Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung bekennt sich zur Schuldenbremse unserer Verfassung.
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So steht es im Koalitionsvertrag. Wir werden ab 2023, also schon mit dem Bundeshaushalt, den wir im kommenden Sommer hier im Haus verhandeln, die Vorgaben der Schuldenbremse einhalten.
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Eine andere Prognose war im Januar in einem Gastbeitrag im „Handelsblatt“ zu lesen. Die Schuldenbremse, schrieb der damalige Kanzleramtsminister, sei in den kommenden Jahren – in den kommenden Jahren – auch bei ansonsten strenger Ausgabendisziplin nicht einzuhalten.
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Deshalb müsse das Grundgesetz geändert werden, um längere Zeit höhere Schulden machen zu können. Nun ist Helge Braun auf Vorschlag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Vorsitzenden des Haushaltsausschusses gewählt worden. Ich freue mich, lieber Herr Braun, auf die Zusammenarbeit mit Ihnen im Ausschuss. Wir wollen prüfen, ob ein anderer Weg als der, den Sie prognostiziert haben, möglich wird.
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Meine Damen und Herren, der Koalitionsvertrag umfasst zugleich auch eine Antwort auf die Pandemie. Sie setzen wir mit diesem Nachtragshaushalt als das Verhandlungsergebnis dreier Parteien um. Ich danke meinem Vorgänger, der dies konzeptionell vorbereitet hat. Wir haben uns ambitionierte Ziele gesetzt, die Coronapandemie zu bewältigen und gestärkt aus der Krise herauszukommen, für unsere Aufgabe, die Transformation einer der größten Industrienationen hin zur Klimaneutralität.
Wir stellen uns dieser Aufgabe in einer herausfordernden Zeit. Ein großer Teil der öffentlichen Mittel wird für die Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie verwendet. Und – das führt zu diesem Nachtragsetat – zugleich sind durch die Unsicherheiten und Einschränkungen der Coronakrise viele Investitionen in die Modernisierung der Wirtschaft ausgefallen. Die pandemiebedingten Restriktionen haben auch unsere Lieferketten gestört. Zudem verteuern gestiegene Energiepreise wirtschaftliche Aktivität. Die Herbstprojektion der Bundesregierung geht daher davon aus, dass die Investitionstätigkeit der Volkswirtschaft in den Jahren 2020 und 2021 deutlich unterhalb des in der Herbstprojektion des Jahres 2019 für diesen Zeitraum geschätzten Volumens geblieben ist. Es ist von grundlegender Bedeutung, jetzt einen Nachholprozess zu organisieren. Wir dürfen durch die Pandemie nicht auch noch Zeit bei der Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft verlieren.
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Also, meine Damen und Herren, wir brauchen den Mut zum Aufbruch. Nicht nur die Menschen benötigen einen Booster, auch die wirtschaftliche Entwicklung. Gerade jetzt sind öffentliche Investitionen und die Förderung Privater, die die Transformation befördern, entscheidend. Dabei bedingen sich die Bekämpfung der Pandemie und die Transformation der Wirtschaft geradezu. Die zahlreichen Hilfen für Unternehmen, Selbstständige und Beschäftigte überbrücken die schwere Zeit, aber langfristig wirken sie nur, wenn wir damit zugleich eine wirtschaftliche Dynamik entfachen und mehr Fortschritt wagen.
Es geht um den Weg aus der Krise, um wirtschaftlichen Erfolg und um viel mehr: Es geht um die Verantwortung für die zukünftigen Generationen. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht unterstrichen. Der Maßstab für den Klimaschutz heute sind die Freiheitschancen künftiger Generationen. Die Bundesregierung orientiert sich an dieser Entscheidung.
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Zugleich müssen wir die Schuldenbremse des Grundgesetzes einhalten. Beides ist für die Bundesregierung verbindlich.
Wir handeln schnell und entschlossen. Mit diesem Nachtragshaushalt schaffen wir eine Basis. Wir schaffen Planungssicherheit und setzen Wachstumsimpulse. Wir bauen gewissermaßen eine Brücke aus der Pandemie in eine klimafreundliche Zukunft. Eine zentrale Rolle spielt der Energie- und Klimafonds, den wir zu einem Klima- und Transformationsfonds weiterentwickeln. Das ist das für diesen Nachholprozess geeignete Instrument.
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Ich habe die Kritik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wahrgenommen. Wir nehmen die Kritik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auch ernst. Sie unterscheidet sich wohltuend von früheren Äußerungen aus Ihren Reihen.
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Bei uns ist der Unterschied weniger groß.
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Ich will Ihnen deshalb eine klare Zusage geben: Bei der Nutzung der Mittel werden wir zukünftig darauf achten, dass der Bezug zu den Folgeschäden der Pandemie, also etwa nicht erfolgte Investitionen oder Preisentwicklungen, jederzeit bestehen bleibt. Mitnichten geht es darum, allgemeine Projekte der Ampelkoalition oder etwa Staatskonsum zu finanzieren. Die Mittel des Fonds werden zielgerichtet eingesetzt für transformative Investitionen.
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Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, nutzen wir Mittel aus den bereits veranschlagten, aber nicht benötigten Kreditermächtigungen. Wir schlagen vor, die bereits im letzten Jahr von der Vorgängerregierung erfolgte Zuweisung um weitere 60 Milliarden Euro zu ergänzen. Mehr wäre möglich, mehr ist aber nicht nötig.
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Es werden im Vergleich zum früheren Vorgehen keine zusätzlichen Kreditermächtigungen geschaffen.
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Im Gegenteil: Sollten sich weitere Entlastungen im Haushaltsvollzug 2021 ergeben, dann werden wir vorschlagen, diese zur Reduzierung der tatsächlichen Nettokreditaufnahme einzusetzen.
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Nachhaltig zu wirtschaften, ist uns wichtig; denn Deutschland hat auch eine Rolle in Europa. Die Rückkehr zu klaren Fiskalregeln ist entscheidend. Und deshalb schließen wir für uns Wege aus, die Änderungen der Verfassung umfassen. Das erfordert Mut zur Prioritätensetzung, aber darüber verfügen wir.
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Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion der Abgeordnete Christian Haase.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Münze hinter dem Ohr hervorzaubern, einen Blumenstrauß aus dem Ärmel ziehen oder einen kleinen Ball in der Hand verschwinden lassen – so etwas nennt man Taschenspielertricks.
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Im Mittelalter standen die Menschen mit großen Augen auf Jahrmärkten vor Gauklern und schauten sich solche Kunststücke an.
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Heute stehen wir staunend vor den Begründungen zum zweiten Nachtragshaushalt 2021. In einer wundersamen Wandlung werden Coronakredite zu Klimakrediten.
Mindestens genauso staunen müsste der Kollege Dürr. Ich darf Ihnen an dieser Stelle übrigens noch einmal zur Wahl zum Fraktionsvorsitzenden gratulieren, werter Kollege. Beim rechtlich deutlich weniger zweifelhaften zweiten Nachtragshaushalt 2020 hatten Sie im Juli letzten Jahres scharfe Töne angeschlagen.
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Lassen Sie mich aus Ihrer Rede zitieren:
Der zweite Nachtragshaushalt beeinträchtigt wesentliche Verfassungsgrundsätze wie Jährlichkeit, Fälligkeit, Wahrheit und Klarheit.
Und mit Blick auf die ehemaligen Finanzminister Scholz und Walter-Borjans fragte sich der Kollege Dürr damals, warum man in der SPD nur Karriere machen könne, wenn man verfassungswidrige Haushalte vorlege.
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Sind das die Fußstapfen, in die Sie treten wollen, Herr Lindner? Sie sind mit der klaren Aussage angetreten, die Schuldenbremse zu verteidigen. Und auch in die Sondierungsgespräche sind Sie mit der klaren roten Linie gegangen: kein Aufweichen der Schuldenbremse. Lieber Herr Finanzminister, wollen Sie wirklich dieses Versprechen mit Ihrem ersten Gesetzentwurf brechen?
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Denn es ist doch offensichtlich, dass Sie die Schuldenbremse mit diesem waghalsigen Manöver aushöhlen. Zu den Coronakrediten, die Sie im Energie- und Klimafonds parken, kommen ja noch die Änderungen bei den Schuldenregeln für Sondervermögen – mit dem einzigen Ziel, den Verschuldungsspielraum in den nächsten Jahren vollkommen unabhängig von Corona zu erhöhen.
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Ich halte diesen Nachtragshaushalt für verfassungswidrig. Ich halte diesen Nachtragshaushalt für den Anfang vom Ende der Schuldenbremse. Und das wird mit Ihrem Namen verbunden sein.
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Mit meinen Bedenken stehe ich nicht allein da. Namhafte Staatsrechtler, der Bundesrechnungshof oder der Wissenschaftliche Beirat des Stabilitätsrats haben bereits deutliche Kritik geäußert.
Die ausschweifende Begründung im Gesetzentwurf zeigt anschaulich, was für geistige Verrenkungen nötig sind, um diesen Nachtragshaushalt zu rechtfertigen. Da ist die Rede davon, dass sich zur Pandemiebewältigung die Zuweisung an den EKF im Jahre 2020 bewährt habe. Nein, meine Damen und Herren! Wenn man einmal bei Gelb über die Ampel gefahren ist, heißt das nicht, dass man beim nächsten Mal bei Rot fahren darf.
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Die bisherigen Kreditermächtigungen haben eine feste Coronakonditionierung. Sie jetzt nachträglich für die Bekämpfung des Klimawandels auszuweiten, ist nicht nur verfassungswidrig, sondern beinhaltet einen offensichtlichen Logikfehler.
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Bereits seit Langem ist doch klar, dass der Klimawandel auch eine finanzielle Herausforderung ist. Das hat nichts, aber auch gar nichts mit der Bewältigung der Coronakrise zu tun.
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Die Pandemie ist eine außergewöhnliche Notsituation im Sinne des Artikels 115 Grundgesetz. Der Klimawandel ist dies nicht. Der Klimawandel ist eine dauerhafte Herausforderung, der wir uns im Rahmen der regulären Haushaltsführung stellen müssen.
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Und das können wir ohne Verfassungsbruch.
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Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion hat sich in der vergangenen Wahlperiode ja immer gerne als Serviceopposition bezeichnet. Darum will ich Ihnen auch helfen, etwas zu tun, das nicht verfassungswidrig ist.
Erstens: eine konsequente Aufgabenkritik.
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Wir sind uns alle einig, dass der Kampf gegen den Klimawandel eine der drängendsten Aufgaben ist.
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Das muss sich dann durch Prioritätensetzung im Bundeshaushalt widerspiegeln. Bevor man Ausgaben erhöht, sollte man nach Einsparpotenzial schauen. Ich bin erstaunt, dass ich Ihnen das erklären muss, Herr Lindner. Bisher war das auch Ihre Linie.
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Zweitens. Aktivieren Sie private Investitionen zum Klimaschutz, statt der nächsten Generation riesige Schuldenberge zu hinterlassen!
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Die finanziellen Herausforderungen sind durch die Demografie bereits groß genug. Schränken Sie die Zukunftsmöglichkeiten der zukünftigen Generationen nicht weiter ein!
Drittens. Effiziente Förderprogramme sind einfach besser als immer mehr Geld.
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Befreien Sie sich von der Illusion, dass die Erhöhung öffentlicher Ausgaben irgendeine kurzfristige Wirkung entfaltet! Ein Blick auf den stockenden Mittelabfluss im EKF sollte für diese Einsicht genügen. Stattdessen arbeiten wir mit Ihnen gerne daran, Planverfahren zu straffen und Förderprogramme zu entschlacken – oder noch besser: Stärken Sie kommunale Investitionen durch höhere Umsatzsteueranteile!
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Eigentlich müsste ich mit diesen Vorschlägen einem liberalen Finanzminister aus der Seele sprechen. Überzeugen Sie also Ihre Koalitionspartner, dass dies der deutlich bessere Weg ist als immer zusätzliche neue Schulden. Ganz zu schweigen davon, dass Sie Ihre Amtszeit mit einem Verfassungsbruch beginnen. Ziehen Sie deshalb diesen Nachtragshaushalt zurück!
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dennis Rohde.
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Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg: Wir sind mitten in der Pandemie, und auch für die Haushaltspolitik gilt weiterhin: Wir werden nicht beim Gesundheitsschutz der Bevölkerung sparen. Der Schutz von Leib und Leben wird auch für die neue Koalition allerhöchste Priorität haben.
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Neben dem Gesundheitsschutz haben wir uns aber in den letzten anderthalb Jahren auch sehr intensiv mit den wirtschaftlichen Folgen dieser Pandemie beschäftigen müssen. Dafür haben wir vielfältig Brücken gebaut. Wir haben Brücken gebaut für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, insbesondere durch das Kurzarbeitergeld, damit diejenigen, die vor der Krise einen Job hatten, ihn auch nach der Krise haben. Wir haben Brücken gebaut für Unternehmerinnen und Unternehmer, die vor der Krise erfolgreich waren, damit sie durch Soforthilfe, durch Brückenhilfe, durch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds auch nach der Krise erfolgreich sein können. Wir haben Brücken über diese Krise gebaut.
Aber jetzt geht es um die Frage: Wohin führen eigentlich diese Brücken? Denn die Welt um uns herum ist ja nicht stehen geblieben. Es ist ja nicht nur das Thema Corona, womit sich Politik zu beschäftigen hat. Wir erleben, dass wir uns mit der Frage auseinandersetzen müssen: Landen die Brücken in der Welt, wie sie vorher aussah, oder schlagen wir diese Brücken jetzt in die Zukunft? Wir erleben weltweit, dass die Geschwindigkeit der wirtschaftlichen Transformation zugenommen hat. Viele andere Länder setzen darauf, CO2-neutral zu werden, ihre Produktion weg von CO2 zu führen. Und uns muss klar sein: Wenn dieser Aufschwung, den wir gerade gestalten, wenn diese Brücken in die Zukunft führen sollen, dann geht das nur, wenn wir möglichst schnell in diesem Land die Voraussetzungen schaffen, auch hier CO2-neutral zu produzieren und auch an dieser Stelle wettbewerbsfähig zu bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Natürlich: Das kostet eine Menge Geld. Auch die Brücken der letzten eineinhalb Jahre haben eine Menge Geld gekostet. Aber hätten wir weggesehen, hätten wir jeden sich selbst überlassen, hätten wir nicht gehandelt, dann wäre das alles viel teurer geworden, und der Schaden für unser Land wäre immens viel größer geworden. Deshalb ist es richtig, zu handeln, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wie dringend mit Blick auf die Zukunft kluges Handeln ist, sehen wir ja schon, wenn große deutsche Unternehmen jetzt Entscheidungen treffen, dass sie Stahl zukünftig bei fremdländischen Unternehmen einkaufen, weil der CO2-neutral ist und wir das Angebot noch nicht so vorhalten können. Gerade deswegen ist es zwingende Voraussetzung für die nachhaltige Sicherung der Arbeitsplätze und des wirtschaftlichen Wohlstandes dieses Landes, dass die Brücken in der Zukunft ankommen, dass sie in der CO2-Neutralität ankommen. Das ist unsere Aufgabe im Hier und Jetzt.
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Genau das ist der Grund, weswegen wir den Energie- und Klimafonds zu einem Klima- und Transformationsfonds weiterentwickeln wollen. Damit kommen wir auch – der Bundesfinanzminister hat es angesprochen – dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nach, den Übergang zur Klimaneutralität jetzt zügig in Angriff zu nehmen, und wir kommen damit unserer Verpflichtung, der Verpflichtung des Staates nach, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wer das negiert, wer das bestreitet, der möge sich doch noch mal die Bilder aus dem Ahrtal angucken.
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Ja, wir brauchen die wirtschaftliche Transformation schnell, um den Wohlstand unseres Landes zu sichern, aber wir brauchen sie eben auch zum Erhalt des natürlichen Lebensraums auf dieser Welt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Darum sage ich in aller Deutlichkeit in Richtung Union: Wer davon spricht, wir wollten mit diesem Transformationsfonds nur irgendwelche Ampelprojekte finanzieren, der ist noch immer nicht im Hier und Jetzt und der ist noch immer nicht in der Realität dieses Landes angekommen.
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Wer dann sagt, er will wegen dieser Rücklage für diese unbedingt notwendige wirtschaftliche Transformation dieses Landes nach Karlsruhe gehen und dagegen klagen, der macht sich aus Opportunismus zum Kämpfer gegen den Wohlstand in diesem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Aber gehen Sie! Sie werden scheitern. Zum einen, weil wir der festen Überzeugung sind, dass man eine Krise auch nachhaltig verlassen muss – das machen wir mit diesem Klima- und Transformationsfonds –, und zum anderen, weil wir uns sehr intensiv mit dem Urteil des Staatsgerichtshofs in Hessen auseinandergesetzt haben und uns angeguckt haben, welche Leitplanken da eigentlich gezeichnet werden. Da konnten wir schnell feststellen: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen sind sehr unterschiedlich; denn der Hauptkritikpunkt des hessischen Staatsgerichtshofs war die fehlende parlamentarische Beteiligung und die Verletzung des Budgetrechts des Landtages.
Ich sage Ihnen: Das würde bei uns ins Leere laufen. Wir, der Deutsche Bundestag, sind verantwortlich für die konkrete Verwendung der Mittel der Sondervermögen. Wir beraten jedes Jahr den Wirtschaftsplan des Energie- und Klimafonds. Der Haushaltsausschuss setzt sich regelmäßig in vielen Sitzungen mit konkreten Fragen des Energie- und Klimafonds auseinander. Wir schaffen kein Sondervermögen, mit dem eine Regierung frei hantieren kann. Wir beschließen kein Sondervermögen der Bundesregierung; wir beschließen ein Sondervermögen,
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über dessen konkreten Einsatz zur nachhaltigen Bekämpfung der Pandemie wir als Deutscher Bundestag entscheiden werden.
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Wir reden also nicht von einem Sondervermögen der Exekutive, sondern von einem der Legislative. Das ist der Unterschied zu Hessen.
Vielleicht das auch noch einmal an ein paar wenigen Zahlen verdeutlicht: Das hessische Sondervermögen findet sich auf einer halben Seite zusammengefasst, zwei Einnahmepunkte, sieben Ausgabepunkte für 12 Milliarden Euro. Der Wirtschaftsplan des Energie- und Klimafonds umfasst im Entwurf 2022 85 Seiten. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, und wir werden sie auch weiterhin machen.
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Und: Ein Sondervermögen für dringend notwendige Transformationsprozesse zu nutzen, ist im Deutschen Bundestag nichts Neues. Genau dasselbe haben wir in der letzten Koalition auch gemacht.
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Wir haben mit dem zweiten Nachtragshaushalt 2020 28 Milliarden Euro ebenfalls für Transformationsaufgaben in den Energie- und Klimafonds überführt. Wir haben das nicht nur mit den Stimmen der Union gemacht, sondern die Union war auch noch voll des Lobes.
So hat der damalige stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andreas Jung in der Debatte am 2. Juli 2020 an diesem Rednerpult von einer „Vitaminspritze für die Zukunft unseres Landes“ gesprochen.
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Der Kollege Brandl sprach in derselben Debatte an diesem Rednerpult davon, dass es nicht nur der Anspruch sein müsse, nach der Krise in einem Deutschland anzukommen, das wie davor ist, sondern – Zitat – „unser Anspruch ist, Deutschland damit besser zu machen“. Sie erkennen also die Notwendigkeit, zu handeln. Sie haben die Instrumente, die wir nutzen, selbst miterdacht. Sie sprachen von Vitaminspritzen, davon, Deutschland besser zu machen, und heute verleugnen Sie Ihre eigene Politik. Ich frage: Wer soll Ihnen das eigentlich abnehmen?
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Der Bundesminister Lindner hat es angesprochen: Helge Braun hat ja selbst einen Vorschlag zur Reform der Schuldenbremse auf den Weg gebracht. Die Begründung dafür, die Herleitung, ist genauso interessant. Ich zitiere Helge Braun aus dem „Handelsblatt“ vom 26. Januar 2021:
Sollte eine solche strategische Entscheidung zur wirtschaftlichen Erholung getroffen werden, ist das mit erheblichen Belastungen für den Bundeshaushalt verbunden. Konkret: Die Schuldenbremse ist in den kommenden Jahren auch bei ansonsten strenger Ausgabendisziplin
– die Sie, Herr Haase, gerade gefordert haben –
nicht einzuhalten.
Helge Braun sagt also ebenfalls, dass es einer strategischen Entscheidung zur wirtschaftlichen Erholung bedarf und dass diese enorme Kosten mit sich bringt. Trotzdem wurde sein Vorschlag insbesondere von Ihrer Fraktions- und Parteiführung vehement zurückgewiesen. Ihr Credo war: Keine neuen Schulden! Keine zusätzlichen Einnahmen! – „Kein Geld für Transformationsaufgaben!“ kommt heute noch dazu. Und was machen Sie? Sie machen Helge Braun, der all das erkannt hat, zu Ihrem Gesicht für die Haushaltspolitik im Deutschen Bundestag, zum Vorsitzenden des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages. Was gilt jetzt eigentlich bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen?
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Abschließend: Was ist der Preis des Nichtstuns? Die Brücken nicht in die Zukunft zu schlagen, würde den wirtschaftlichen Aufschwung unseres Landes massiv gefährden. Da es die stärkste Volkswirtschaft in Europa ist, würde das die ökonomische Erholung des gesamten Kontinents gefährden. Heute nicht zu handeln, würde den Preis in der Zukunft um ein Vielfaches erhöhen, weil unsere Wirtschaft abgehängt ist und weil Katastrophen wie die im Ahrtal Milliarden Euro an Schäden mit sich bringen.
Diese Krise ist nicht beendet. Sie stellt uns vor neue Herausforderungen. Wir sind bereit, diese Herausforderungen anzugehen. Der Nachtragshaushalt ist der erste richtige Schritt in die richtige Richtung.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Peter Boehringer.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir waren ja schon unter der GroKo einiges an Zumutungen gewöhnt. Aber es ist schon eine bemerkenswerte Leistung eines FDP-Finanzministers, in seiner allerersten Amtswoche gleich zwei zentrale FDP-Wahlkampfversprechen zu brechen: zunächst mit dem Impfzwang für Pfleger den Erhalt eines elementaren Grund- und Freiheitsrechts der Menschen und heute das Versprechen einer seriösen Haushaltspolitik. Diesen Ausverkauf des liberalen Tafelsilbers sollten Sie dringend Ihren betrogenen Wählern erklären, Herr Lindner.
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Der Nachtragshaushalt 2021 über 60 Milliarden Euro soll rückwirkend im Januar des Folgejahres beschlossen werden, was schlicht absurd ist. Man nimmt kein Geld für ein Jahr auf, in dem der Bund ohnehin bereits 180 Milliarden Euro Schulden gemacht hat, nur weil die alte GroKo sich noch weitere 60 Milliarden Euro hat genehmigen lassen und 2021 einfach nicht mehr ausgeben konnte; so wie es die Ampel nun eben auch nicht mehr tun kann.
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Das sind doch unseriöse Tricks, die einer Bundesregierung unwürdig sind.
Wenn ich eben höre, Kollege Fricke, dass das Geld nicht mehr ausgegeben wird, dann ist es erst recht ein Argument, es heute nicht aufzunehmen. Wenn Sie es 2021 in einem kameralistischen Haushalt nicht mehr ausgeben können, dann dürfen Sie es nicht aufnehmen. Das sind Buchungstricks; ich komme dazu.
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Man weiß ja offensichtlich bereits, wie viel Geld man in diesen vier Jahren auf Pump benötigen wird, und dann fängt man lieber gleich in den ersten Tagen an, richtig aufzuschulden.
Zudem stellen sich komplexe rechtliche Fragen – für die Union und auch die FDP offenbar zu komplexe. Das zeigt sich am erratischen Verhalten dieser Fraktionen seit 2020; wir haben das ja eben schon zu Recht gehört. Die FDP hatte noch in der Opposition ihr jetziges Vorgehen in der Regierung als verfassungswidrig bezeichnet, nämlich die Bildung von über Neuverschuldung finanzierten Rücklagen
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– das ist nicht falsch; das waren Ihre Worte – sowie die Zweckentfremdung von Coronamitteln für andere Zwecke.
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– Ich komme gleich noch mal zu Ihnen, Herr Dürr. Sie werden gleich noch mal zitiert; alles gut.
Auch die Union ist heute überzeugt davon, dass ihr eigenes, völlig analoges Vorgehen als Regierungspartei 2020/2021 nun plötzlich rechtswidrige „Finanzakrobatik“ sei – Zitat eines CSU-Kollegen. Sie will nun – offenbar im Zustand des Gedächtnisverlustes – ihr eigenes Tun von damals, das heute das der Ampel ist, nachträglich per Klage in Karlsruhe prüfen lassen. Das könnte man sich nicht ausdenken.
Die AfD sieht natürlich ebenfalls und immer noch dieses Vorgehen als rechtswidrig an – immer noch deshalb, weil wir und nur wir bereits 2021 hier im Haus entsprechende Normenkontrollklageanträge eingebracht hatten. Zum Nachlesen für Sie, Herr Brinkhaus, Herr Dobrindt, Herr Haase, und gerne auch für die Medien: Drucksachen 19/22926 von September 2020 und 19/26549 von Februar 2021.
Kein einziger Unionsabgeordneter wollte damals diese Verfassungsklagen unterstützen. Und nun erklären Sie, Kollege Haase, gegenüber der „FAZ“: „Das Wort ‚Verfassungsbruchʼ liegt förmlich in der Luft“, oder eben hier nannten Sie das Vorgehen „verfassungswidrig“; Sie haben es ja ausgesprochen. Oder was haben Sie noch gesagt: Nun würden „Coronakredite zu Klimakrediten“. Ja, in der Tat, das war bei Ihnen das Gleiche. Sie haben genau das Gleiche gemacht, nur mit etwas kleineren Summen; das ist doch reine Realsatire hier.
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Die Bildung von schuldenfinanzierten Rücklagen ist natürlich generell rechtswidrig. Das sagen nicht nur der gesunde ökonomische Rechtsverstand
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und der haushalterische Verstand und die AfD, sondern auch der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Kirchhof und der Bundesrechnungshof, der haushalterische Verfassungsgrundsätze wie Jährlichkeit und Klarheit verletzt sieht – genau das, was die FDP früher irgendwie auch immer so gesehen hat.
Professor Schwarz von der Uni Würzburg erklärt ebenfalls das Offensichtliche – Zitat –: Es sei „verfassungswidrig“ und eine „unzulässige Umgehung der Schuldenbremse“. Und sogar der sehr liberale Staatsrechtler Gröpl schrieb dazu im „Handelsblatt“: „Verfassungsbruch par excellence“. Nachlesen!
Dann wollen wir in der Tat den ja eben schon sehr aktiven FDP-Kollegen Dürr nicht ganz vergessen. Sie, Herr Dürr, sagten hier an dieser Stelle am 2. Juli 2020, als Finanzminister Scholz genau denselben Rücklagentrick anwenden wollte
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– Zitat; das Protokoll ist eindeutig –:
Er
– dieser Haushalt –
verstößt gegen das Grundgesetz … Ich verstehe nicht, warum man in der SPD … nur Karriere machen kann,
– und der SPD-Fall Walter-Borjans war vergleichbar –
wenn man verfassungswidrige Haushalte vorlegt …
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Und weiter fragten Sie sich,
… warum die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hier zum Helfershelfer eines möglichen Verfassungsbrechers wird.
Heute will der FDP-Minister Lindner davon nichts mehr hören. Welchen Unterschied schon acht Tage an der Macht machen können; das ist wirklich erstaunlich.
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Nochmals zur Union: Noch bis Herbst 2021 hat die Union genau dieses verfassungswidrige Vorgehen als Regierungspartei mitgetragen, und nun reden Sie demonstrativ stabilitätspolitisch vom Verfassungsbruch. Welchen Unterschied schon acht Tage in der Opposition ausmachen; auch das ist erstaunlich.
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Wer wie Herr Dobrindt ernsthaft am vorherigen Dienstag der Presse diktiert: „Wer Finanzpolitik durch Finanzakrobatik ersetzt, der bewegt sich schnell außerhalb des Rechtsrahmens“,
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der sollte ganz dringend in den Rückspiegel seiner eigenen zwei vergangenen Haushaltsjahre schauen und verschämt schweigen. Diese gelebte Doppelmoral ist wirklich kaum noch zu ertragen.
({12})
Nein, liebe Unionskollegen, so leicht kommen Sie nicht aus dem verfassungsbrechenden Erbe der Merkel-Ära raus.
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Sie kritisieren hier etwas, was Sie seit 2020 in mehreren Haushalten selbst getan haben. Aber die gute Nachricht ist: Wir sind gerne bereit, Ihnen unsere Normenkontrollklageanträge für Karlsruhe zur Verfügung zu stellen.
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Die 240 Milliarden Euro Neuverschuldung für 2021 dürfen nur wegen der angeblichen pandemischen Notlage aufgenommen werden und selbstredend auch nur für diese Notlage genutzt werden; das ist das Konnexitätsprinzip, rechtlich etabliert. Schon die GroKo hat es missachtet; aber die Ampel macht nun gar keinen Hehl mehr daraus. Angebliche Coronanotkredite werden ganz offen als Rücklagen in den neuen Klima- und Transformationsfonds gesteckt. Ein Veranlassungszusammenhang wird nicht einmal mehr geheuchelt.
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Und der hessische Staatsgerichtshof – eben schon zitiert – hat eben ein sehr ähnliches Vorgehen der Hessischen Landesregierung für rechtswidrig erklärt. Herr Rohde, Sie haben sehr selektiv zitiert.
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Das Urteil des hessischen Staatsgerichtshofs ist viel umfassender als das, was Sie eben zitiert haben.
Der Finanzminister sieht seine Aufgabe heute ernsthaft als – Zitat – „Ermöglichungsminister“. Herr Lindner, Ihre Aufgabe wäre es, alles Mögliche zu tun, um den Steuerzahler vor weiteren superteuren Zugriffen der rot-grünen Planwirtschaft und Ideologiepolitik zu schützen, nicht etwa, diese „möglich“ zu machen.
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Mein letzter Satz. Die FDP hat beim Impfzwang und bei der Finanzseriosität vor der Wahl in zentralen Punkten gelogen. Das neue Motto der FDP scheint zu sein: Lieber verfassungswidrig und wortbrüchig regieren als nicht regieren.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Sven-Christian Kindler.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bis auf ein paar rechtsradikale Verschwörungsideologen hier im Parlament kann ja niemand bestreiten, dass wir weiterhin mitten in einer schweren pandemischen Notlage sind.
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Leider, leider ist diese Pandemie noch lange nicht vorbei, und wir müssen alles tun, um die Menschen in Deutschland zu schützen.
Als Erstes natürlich durch Impfen, Impfen, Impfen. Deswegen ist es besonders bedauerlich, dass der Gesundheitsminister der alten Regierung anscheinend nicht für genug Impfstoff für das neue Jahr gesorgt hat. Denn wir wissen: Mittelfristig ist es der Weg aus der Krise und zur Überwindung der Pandemie, die Menschen in Deutschland zu impfen. Wir wissen aber auch: Kurzfristig brauchen wir Kontaktbeschränkungen; wir brauchen Untersagungen, Einschränkungen und regionale Lockdowns.
Wir wissen: Das hat erhebliche wirtschaftliche Folgen, das schwächt die Wirtschaftsleistung, das ist eine Belastung für die Beschäftigung. Die internationalen Lieferketten – darauf hat der Bundesfinanzminister hingewiesen – sind durch die weltweite Coronapandemie gestört. Auch haben wir durch die Pandemie und ihre Folgen in den letzten Jahren in Deutschland zu wenige volkswirtschaftliche Investitionen getätigt. Deswegen hat der Deutsche Bundestag 2020 und 2021 zusammen mit der Bundesregierung erhebliche Summen an Krediten zur Bewältigung dieser Pandemie bereitgestellt und die außergewöhnliche Notsituation nach Artikel 115 Grundgesetz festgestellt.
Ich will hier mit einem Missverständnis aufräumen: Natürlich waren diese Gelder für die Stabilisierung des Gesundheitssystems, für Krankenhäuser, für Pflegekräfte, für Impfstoffe, für Gesundheitsämter, aber natürlich nicht nur dafür. Sie waren natürlich auch für die Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, für Wirtschaftshilfen, für das Kurzarbeitergeld.
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Sie waren explizit auch für öffentliche Investitionen zur Unterstützung der Wirtschaft und zur Stabilisierung der Volkswirtschaft. Das war immer die Linie der Bundesregierung in den letzten Jahren; das war die Linie der breiten Mehrheit in diesem Hause. Ich finde, diesen breiten Konsens sollten wir jetzt nicht aufkündigen; diesen breiten Konsens sollte die Union in der Opposition jetzt nicht aufkündigen.
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Denn klar ist doch auch: Es wird mit diesen großen ökonomischen Einschnitten nicht einfach sofort aufhören, wenn diese Pandemie überwunden ist; sie werden länger andauern. Jeder vernünftige Ökonom und jede vernünftige Ökonomin wird Ihnen bestätigen, dass öffentliche Investitionen der nachhaltigste und beste Weg aus dieser Krise sind. Deswegen brauchen wir jetzt eine grundlegende, eine große Investitionsoffensive, und die werden wir in dieser Koalition auf den Weg bringen.
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Deswegen hat die Regierung jetzt einen zweiten Nachtragshaushalt zum Haushaltsgesetz 2021 auf den Weg gebracht. Es wurde in der Debatte gesagt: 60 Milliarden Euro werden dem Energie- und Klimafonds zugeführt. Gleichzeitig wird die Kreditermächtigung nicht erhöht, die ja noch die Große Koalition unter Führung der Union beschlossen hat.
Für uns ist klar: Wir wollen damit die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abmildern. Wir sagen: Wenn wir schon investieren, dann müssen wir natürlich auch in das Neue, in die Zukunft investieren, auf den 1,5-Grad-Pfad kommen. Wir können nicht wieder in das Alte, in das Fossile investieren. Wir sind eine Koalition, die sich der Zukunft verschrieben hat. Deswegen sagen wir: Wir wollen eine Politik, die auch nachfolgende Generationen in den Blick nimmt. Was wir hier machen, ist eine generationengerechte, eine smarte Haushaltspolitik.
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Dazu verpflichtet uns das völkerrechtlich verbindliche Pariser Klimaschutzabkommen, und dazu verpflichtet uns auch das historische und wegweisende Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz, das nämlich besagt, dass der Staat eine Schutzpflicht gegenüber nachfolgenden Generationen hat.
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Der Staat hat eine verfassungsrechtliche Schutzpflicht gegenüber unseren Kindern, unseren Enkeln, um ihre Freiheitsrechte auch in der Zukunft zu sichern. Deswegen dürfen wir mit konkreten Klimaschutzmaßnahmen jetzt nicht warten, sondern müssen sie konkret angehen. Das ist die Vorgabe aus Karlsruhe, die wir zu erfüllen haben, und wir legen dafür mit diesem Nachtragshaushalt eine erste Grundlage.
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Deswegen ist es auch sinnvoll, jetzt finanzpolitisch zu handeln und nicht erst viel später. Wir haben doch alle gesehen, dass in den letzten Jahren die Zahl der Naturkatastrophen und klimabedingten Katastrophen massiv zugenommen hat – weltweit, auch in Deutschland und Europa. In Deutschland haben wir von 2018 bis 2020 drei Dürresommer in Folge erlebt, mit erheblichen Schäden für die Landwirtschaft und unsere Wälder. Kollege Rohde hat auf die schreckliche Tragödie im Ahrtal in NRW und Rheinland-Pfalz hingewiesen, die auch eine erhebliche Belastung für die staatlichen Haushalte darstellt. Bund und Länder rechnen damit, dass allein diese Katastrophe den Staat 30 Milliarden Euro kosten wird. Das zeigt doch: Wenn man Klimaschutz macht – das sagen wir auch klar –, dann gibt es den zwar nicht zum Nulltarif; aber wenn man keinen Klimaschutz macht, dann wird es am Ende richtig, richtig teuer. Das ist die Lehre, die wir hieraus ziehen müssen.
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Ich bin, ehrlich gesagt, etwas verwundert über die Kritik und die Empörung aus der Unionsfraktion. Kollege Rohde hat auf die Debatten zum zweiten Nachtragshaushalt 2020 im letzten Jahr schon hingewiesen. Der hochgeschätzte ehemalige Kollege Eckhardt Rehberg, damals Sprecher der Unionsfraktion für Haushaltspolitik
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– sehr guter Mann, wie Andreas Mattfeldt sagt; genau –, hat damals in der Abschlussdebatte zum zweiten Nachtragshaushalt 2020 gesagt, das sei ein „Superergebnis“. In der ersten Lesung hier im Bundestag hat er ausgeführt, dass mit dem Nachtragshaushalt extrem viel investiert würde. Er sprach von – ich zitiere – „Elektromobilität 6 Milliarden Euro, … Wasserstoffstrategie 9 Milliarden Euro, energetische Gebäudesanierung 2 Milliarden Euro“, und er sagte: „Das sind Investitionen in die Zukunft, um aus der Krise herauszukommen und um Deutschland zukunftsfähig zu gestalten.“ Ich finde, Herr Kollege Rehberg hatte damals völlig recht.
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Er bezog sich dabei auf die Investitionen aus dem Energie- und Klimafonds, dem berechtigterweise unter Inanspruchnahme der coronabedingten Notfallkredite im zweiten Nachtragshaushalt 2020 28 Milliarden Euro zugeführt wurden, nämlich in eine Rücklage, und das war auch richtig so. Wir als Grüne haben das als verantwortungsvolle Opposition damals begrüßt, weil das so richtig war.
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Deswegen verstehe ich die Kritik der Union nicht; denn inhaltlich ist das, was wir jetzt machen, dem, was die Große Koalition 2020 gemacht hat, sehr ähnlich. Nur ist die Union jetzt in der Opposition; damals war sie in der Koalition, in der Regierung. Um es klar zu sagen: Dass Sie das erst so und dann ganz anders finden, finde ich nicht ehrlich. Das ist keine redliche Haushaltspolitik; das ist Heuchelei und Doppelmoral.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir halten diesen Nachtragshaushalt für einen ersten zentralen finanzpolitischen Schritt dieser neuen Koalition. Wir zeigen, dass wir entschlossen handeln, dass wir diese Coronapandemie überwinden wollen und dass wir besser aus der Krise herauskommen wollen, dass wir die großen Aufgaben bei der Transformation und beim Klimaschutz mit großen Investitionen angehen. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen dazu im Bundestag.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es geht um 60 Milliarden Euro. Das ist mehr als der gesamte Verteidigungsetat – damit wir einmal wissen, um welche Größenordnung es geht. Diese 60 Milliarden will Finanzminister Lindner der Kontrolle des Bundestages weitgehend entziehen.
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Das ist ein Angriff auf das Parlament und auf das Grundgesetz. Ein denkbar schlechter Einstieg, Herr Lindner!
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In der Opposition hat die FDP ein solches Vorgehen als verfassungswidrig gebrandmarkt, und auf einmal soll das alles verfassungskonform sein. Wir sagen Ihnen ganz klar: Nein, das ist es nicht!
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Meine Damen und Herren, die alte Bundesregierung war der Auffassung, dass man die Pandemie mit Verordnungen bekämpfen könne. Der Bundestag wurde als Störfaktor ausgeschaltet. Wir haben gesehen, wohin das führte: Maskendealer schossen wie Pilze aus dem Boden, und in der Unionsfraktion konnten wir Anzeichen von Clankriminalität erkennen.
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Ich erinnere nur an den CSU-Abgeordneten Nüßlein. Er hat sein Mandat missbraucht, um dubiose Geschäfte zu machen. Das ist nicht vergessen. Korruption darf nicht länger straffrei sein, meine Damen und Herren.
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Grundrechte einzuschränken und dem Parlament die Kontrollrechte zu entziehen, das ist einer Demokratie unwürdig. Wenn Sie mehr Fortschritt wagen wollen, dann geht das nur, in Anlehnung an Willy Brandt, mit mehr Demokratie. Ohne Demokratie gibt es keinen Fortschritt, meine Damen und Herren.
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240 Milliarden Euro hat der Bundestag für die Bekämpfung der Pandemie als Kreditermächtigung bewilligt. 60 Milliarden wurden nicht ausgegeben. „Warum nicht?“, fragen wir. Haben wir etwa genügend Luftfilter in den Schulen? Nein. Haben wir etwa ausreichend Pflegekräfte? Nein. Und jetzt kommt der Höhepunkt: Haben wir ausreichend Impfstoffe? Auch das nicht. Das ist doch nicht zu fassen, meine Damen und Herren!
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In der vergangenen Woche hat der Bundestag eine einrichtungsbezogene Impfpflicht beschlossen; über eine allgemeine Impfpflicht wird diskutiert. Ex-Minister Jens Spahn erklärte immer wieder: Es ist ausreichend für alle da. – Und dann kommt der neue Minister, Karl Lauterbach, macht eigenhändig, wie er uns gestern im Haushaltsausschuss erklärt hat, die Inventur und sagt: Wir haben zu wenig. – Es ist doch unglaublich: Wir sind voll in der vierten Coronawelle und haben zu wenig Impfstoff. Das ist eine große Enttäuschung für uns und für die Menschen im Land, meine Damen und Herren.
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Sie haben viel Geld für die Rettung von DAX-Konzernen ausgegeben, aber Sie haben kein Geld ausgegeben für die Menschen, die sich mit 450‑Euro-Jobs über Wasser halten mussten und ohne Kurzarbeitergeld vor dem Nichts stehen. Sie haben nichts unternommen, um ausgebildete Pflegekräfte wieder in den Beruf zurückzuholen. Ja, das kostet Geld, aber das Geld war auch da. Die alte Regierung war unfähig und unwillig, dieses Geld sinnvoll auszugeben, und darum wurde sie auch zu Recht abgewählt.
Aber das Täuschungsmanöver von Herrn Lindner hat doch nur einen einzigen Grund: Sie brauchen dringend Geld, und Sie wollen nicht die Steuern für die Vermögenden erhöhen. Sie verhalten sich nicht wie ein Bundesfinanzminister, Sie verhalten sich wie ein Vermögensverwalter der Superreichen. Da kann ich nur sagen, meine Damen und Herren: Aufgabe verfehlt!
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Ich fordere SPD und Grüne ganz deutlich auf: Machen Sie dieses Spiel nicht mit! Sie hatten in Ihren Wahlprogrammen erklärt, Sie wollten die Vermögenden zur Finanzierung dieses Landes heranziehen. Davon dürfen Sie sich nicht verabschieden! Das ist unser Appell an Sie, meine Damen und Herren.
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Also: Ziehen Sie diesen Nachtragshaushalt zurück, und übernehmen Sie unseren sinnvollen Vorschlag! Wir wollen eine Vermögensabgabe für die reichsten 0,7 Prozent – ich wiederhole: 0,7 Prozent – der Bevölkerung in diesem Land. Da hätten wir hohe Einnahmen. Das wäre der richtige Weg. Das wäre sozial gerecht und nachhaltig.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Otto Fricke.
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Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe überlegt: Wie kannst du das als Mitglied einer Mitte-Gelb-Koalition in zwei Minuten eigentlich der Opposition rechts, links und na ja – darüber müssen wir noch einmal reden – erklären? Ich will es einfach machen. Ich wende mich eher an die CDU, weil ich noch hoffe, dass der Verstand dort zurückkehrt, nachdem man hier ja eigentlich nichts anderes macht, als zu versuchen, inneren Stress, den man hat, durch einen äußeren Feind zu ersetzen.
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Das wird Ihnen auf Dauer aber nicht gelingen.
Versuchen wir es so: Es gibt Covid, das ich mit aktuellen Mitteln bekämpfe, und es gibt Long Covid, womit ich mich auch beschäftigen muss. Liebe CDU, in der Wirtschaft, wie Sie es jetzt wieder getan haben, nur auf den Grundsatz der Jährlichkeit zu schauen – was mache ich heute? –, ist genauso dumm wie der Ansatz, zu sagen: Ich bin für null Neuverschuldung.
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Das ist, wie wenn Sie einem Häuslebauer sagen: Warte, bis du 62 Jahre bist und genug Geld gespart hast; dann fängst du an zu bauen.
Mit dem hier vorgelegten Nachtragshaushalt schauen wir auf die nächsten Jahre. Das bedeutet ganz einfach und verkürzt: Wir haben bei dem Thema Investitionen ein Defizit. Dieses werden wir in den nächsten Jahren verringern. Dafür nutzen wir einen Fonds, der vom Parlament begleitet wird. Wir werden diesen Fonds in den Haushaltsberatungen 2022 als Parlamentarier, Frau Kollegin Lötzsch, intensiv beraten.
Wie ist der Fonds zu gestalten? So, wie es das Bundesverfassungsgericht beim Thema Nachhaltigkeit gefordert hat. Wir sorgen an der Stelle dafür, dass das, was für die Wirtschaft langfristig notwendig ist, und nicht nur das, was kurzfristig nötig ist, erfolgen kann. Wir zeigen, dass wir diese Planung machen. Damit geben wir die Sicherheit, die Sie als CDU/CSU in den letzten vier Jahren nicht gegeben haben.
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Zum Schluss noch zwei kleine Anmerkungen, weil hier von allen Seiten immer wieder behauptet wird: Da machen sie neue Schulden. – Erstens: keine neuen Schulden. Das ist der essenzielle Unterschied zu dem, was Sie als CDU in der letzten Legislatur gemacht haben, nämlich zusätzliche Schulden aufzunehmen. Zweitens. Wir werden in der übernächsten Debatte 350 Milliarden Euro an Garantien und Kreditermächtigungen streichen. Das heißt, diese Koalition sagt nicht nur: „Das, was wir haben, nutzen wir, wo wir es brauchen“,
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sondern auch: „Da, wo wir sie nicht brauchen, streichen wir Kreditermächtigungen“. Das ist moderne Politik aus der Mitte.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Carsten Körber.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Sonntag feiern wir den vierten Advent. Nächste Woche ist Heiligabend. Die Weihnachtszeit am Jahresende ist doch für uns alle eine ganz besondere Zeit: Zeit der Ruhe und Zeit der Besinnung.
Und sie ist auch die Zeit der Frohen Botschaft. In der Bibel verkündet ja Erzengel Gabriel Maria die Geburt Jesu. Da dachte sich offenbar die links-gelbe Ampelkoalition: Wir haben auch eine frohe Botschaft! – Und diese Botschaft lautet: „Geld spielt keine Rolle“ und „Der Zweck heiligt die Mittel“.
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Sehr geehrter Herr Finanzminister, lieber Herr Lindner, ich muss mich doch sehr wundern; denn ich – wie auch viele meiner Kolleginnen und Kollegen – habe noch sehr gut im Ohr, wie Sie und Ihre Kollegen von der FDP in den vergangenen Jahren die Haushaltspolitik der Großen Koalition gegeißelt haben, als es darum ging, diesem Land und seinen Menschen durch die Coronapandemie zu helfen.
Die Coronapandemie hat uns seit Anfang vergangenen Jahres fest im Griff und vor ungeahnte Herausforderungen gestellt. Diese Herausforderungen waren genauso wie die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung wahrhaft historisch. Aber ausschließlich die Coronapandemie war die Ursache für die Nachtragshaushalte in den vergangenen beiden Jahren.
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Dies und nichts anderes war für uns als Union die Begründung dafür, von der schwarzen Null abzuweichen.
Die vergangene Große Koalition hat so gehandelt, wie sie damals handeln musste. Wir haben für 2021 eine Nettokreditaufnahme von bis zu 240 Milliarden Euro beschlossen. Aber das, sehr geehrter Herr Finanzminister, was Sie jetzt vorhaben, ist ein haushaltspolitischer Sündenfall, und das direkt in Woche zwei Ihrer Regierungszeit.
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Was haben Sie vor? Sie wollen 60 Milliarden Euro in den Energie- und Klimafonds schieben. So weit, so gut. Aber wo kommt das Geld her?
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Im vergangenen Jahr, 2020, lag der Rahmen der coronabedingten Nettokreditaufnahme bei bis zu 217 Milliarden Euro. 130 Milliarden Euro davon wurden tatsächlich zur Bekämpfung der Coronapandemie in Anspruch genommen; immerhin 87 Milliarden Euro wurden nicht in Anspruch genommen.
In diesem Jahr haben wir eine Nettokreditaufnahme von bis zu 240 Milliarden Euro; eine Nettokreditaufnahme von historischem Ausmaß. Bisher wurden in diesem Jahr davon 180 Milliarden Euro zielgerichtet zur Pandemiebekämpfung in Anspruch genommen – ganz so, wie es Artikel 115 Grundgesetz als Ausnahme von der Schuldenregel vorschreibt. 60 Milliarden Euro bleiben noch offen. Diese werden aktuell nicht zur Bekämpfung der Coronapandemie benötigt.
Eine seriöse Regierung würde diese 60 Milliarden Euro jetzt nicht in Anspruch nehmen. Das sind 60 Milliarden Euro, die von unseren Kindern und Enkeln in der Zukunft nicht zurückgezahlt werden müssten. Das aber, sehr geehrter Herr Finanzminister, ficht Sie offenbar nicht an. Sie wollen diese 60 Milliarden Euro Schulden trotzdem aufnehmen. Schlimmer noch: Sie wollen diese zweckgebundenen Mittel umwidmen. Klimaschutz ist Ihre Begründung. Klingt ja total gut; aber am Ende des Tages heiligt der Zweck eben doch nicht die Mittel.
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Sie wollen letztlich Geld für die Zukunft bunkern. Sie wollen eine Haushaltsrücklage über Kredite finanzieren und verletzen damit, erstens, das Haushaltsgebot der Jährlichkeit.
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Denn Sie wollen frühestens ab 2023 an diese Mittel heran. Mit der Umwidmung zum Klimaschutz verletzen Sie, zweitens, zudem Artikel 115 Grundgesetz, da die Ausnahme von der Schuldenregel ausschließlich mit der Pandemie begründet wurde.
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Diese Begründung lassen Sie jetzt fallen und versuchen stattdessen, den Klimawandel generell als außergewöhnliche Notsituation zu definieren. Damit versetzen Sie, sehr geehrter Herr Finanzminister, der Sie doch eigentlich immer Fan der Schuldenbremse waren, der Schuldenbremse den Todesstoß. Und drittens verletzen Sie mit Ihrem Tun auch das Wirtschaftlichkeitsgebot. Für Geld, das nicht gebraucht wird, dürfen keine Kredite in Anspruch genommen werden.
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Gegen all diese Regeln verstoßen Sie. Da fragt man sich: Warum tun Sie das? – Ganz einfach: Sie haben zu vielen zu vieles versprochen. Das fällt Ihnen jetzt auf die Füße. Deshalb kommen Sie mit einem rechtlich höchst zweifelhaften Konstrukt. Eines kann ich Ihnen sagen: Die Union wird Ihnen diesen Nachtragshaushalt so nicht durchgehen lassen. Wir werden uns in Karlsruhe wiedersehen!
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Sehr geehrter Herr Lindner, das, was Sie hier abliefern, ist kein Signal Ihrer Handlungsfähigkeit und auch kein Ausdruck von Gestaltungswillen. Das ist ein haushaltspolitisches Armutszeugnis – ein Armutszeugnis, das man von einem aufrechten Liberalen so nicht erwartet hätte.
Vielen Dank.
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Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Bettina Hagedorn.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Ich habe hier ein Déjà-vu, wenn ich mich an die Debatten der letzten Jahre erinnere. Als Sozialdemokratin denke ich mir: Wir sind wahrscheinlich am ehesten diejenigen, die nicht mit ihren Zitaten aus der Debatte zum Nachtragshaushalt 2020 konfrontiert werden können; denn wir fanden es damals richtig, was wir gemeinsam in der Großen Koalition auf Vorschlag unseres Finanzministers Olaf Scholz gemacht haben: Mit dem zweiten Nachtragshaushalt sind 28 Milliarden Euro für Zukunftsinvestitionen in den EKF geflossen – übrigens mit der Zustimmung und dem Beifall der CDU/CSU-Fraktion und dem Protest der FDP; ja, das ist richtig.
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Heute ist das Instrument – eigentlich exakt das gleiche Instrument wie das, was wir damals angewendet haben – immer noch richtig, und es ist auch verfassungskonform.
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Ich möchte kurz zitieren; ich würde gerne mehr zitieren, aber das lässt meine Redezeit nicht zu. Es lohnt sich jedoch für Sie alle, das nachzulesen. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat sich mit dem Haushalt damals ausführlich beschäftigt. Ich möchte aus der Zusammenfassung der vielen Seiten Folgendes vorlesen:
Mit der letzten Zielsetzung längerfristig verbundene nachhaltige Wachstumseffekte tragen dazu bei, die Kosten der Krise auch im Interesse zukünftiger Generationen zu reduzieren.
Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der Unsicherheiten hinsichtlich der Krisendauer erscheinen die Maßnahmen … geeignet und damit erforderlich.
Lesen Sie das bitte gerne alles noch einmal ausführlich nach; dazu wird ja Gelegenheit sein.
Es ist hier schon von den Brücken, die in die Zukunft führen sollen, gesprochen worden. Es ist gesagt worden, dass es wichtig ist, die Zielsetzung von Maßnahmen nachzujustieren und nachzuschärfen. Nichts anderes tun wir. Vor allen Dingen wollen wir die Milliarden, die wir für Investitionen zur Überwindung der Krise bereitgestellt haben, für die Zukunft weiter einsetzbar halten. Das, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen von der Union, haben wir in der Vergangenheit doch gemeinsam getragen.
Es sei mir der Hinweis gestattet: Wir haben das nicht nur hier im Deutschen Bundestag mit dem zweiten Nachtragshaushalt 2020 getan; wir haben das auch auf europäischer Ebene getan. Wir haben es übrigens auch schon in der Großen Koalition in der Finanz- und Wirtschaftskrise getan. Das war das probate Mittel. Unser gemeinsamer Geist war immer von dem Gedanken getragen, dass man in die Krise nicht hineinsparen darf, sondern sie im Sinne der Menschen überwinden muss,
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im Sinne der Menschen, die beschäftigt bleiben müssen, im Sinne der Unternehmen, die die Prosperität in unserem Land erzeugen, und auch im Sinne unserer europäischen Nachbarn – das Stichwort „Europa“ habe ich schon genannt –; denn nur wenn es unseren europäischen Nachbarn gut geht, können sie bei uns einkaufen. Wir sind eine Exportnation, und wir leben davon, dass es uns allen in Europa gut geht.
Darum haben wir in der letzten Großen Koalition gemeinsam mit Angela Merkel, gemeinsam mit Ursula von der Leyen 750 Milliarden Euro in Europa verfügbar gemacht, einen Eigenmittelbeschluss hier im Deutschen Bundestag herbeigeführt. Warum haben wir das denn getan? Um die Krise in ganz Europa zu bekämpfen. Und dazu gehört eben nicht nur, dass man die Krankenhäuser stabilisiert, dass man Impfstoffe, Masken usw. einkauft; dazu gehört auch, dass man die Menschen in Beschäftigung hält, dass man Massenarbeitslosigkeit vermeidet, dass man dafür sorgt, dass es den Familien und den Kindern gut geht, dass in Kitas und Schulen investiert werden kann.
All das ermöglichen wir in Deutschland und in Europa. Das, liebe Kollegen von der CDU/CSU, war letztes Jahr richtig, und es bleibt auch in diesem Jahr richtig.
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Und weil das so ist und weil ich ganz viele von Ihnen aus der Zusammenarbeit gut kenne und sehr schätze, würde ich mir wirklich wünschen, dass Sie Ihre neue Oppositionsrolle da einsetzen, wo es erforderlich ist. Wir hier im Deutschen Bundestag leben vom Streit. Aber das, was Sie hier machen, ist im höchsten Maße inkonsequent und damit unglaubwürdig. Es schadet unserem Ansehen als Politik insgesamt.
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Deshalb bitte ich Sie: Überdenken Sie das doch noch einmal! Der breite Konsens, den wir zur Überwindung der Krise hier im Deutschen Bundestag und in Europa insgesamt entwickelt haben, ist richtig und bleibt richtig. Er ist die Grundlage dafür, dass die Menschen uns und der Demokratie vertrauen. Ihn gemeinsam zu stärken, darum geht es auch.
Ich bedanke mich für den guten Entwurf, empfehle ihn zur Zustimmung im Januar. So lange können wir debattieren. Wir machen noch eine Anhörung; so hat es der Haushaltsausschuss gestern beschlossen. Wir nehmen Ihre Bedenken ernst. Aber bitte erinnern Sie sich an das, was Sie noch im letzten Jahr für richtig gehalten haben. Es war richtig.
Vielen Dank.
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Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, hat der Abgeordnete Dr. Helge Braun das Wort zu einer Kurzintervention.
Liebe Frau Kollegin Hagedorn, Sie haben gesagt, wir seien inkonsequent und unglaubwürdig in unserer Position. Deshalb möchte ich Sie fragen, ob Sie nicht auch einmal Folgendes überdenken wollen: Wenn wir das, was hier geschieht – 60 Milliarden Euro an Schulden werden in die Zukunft verschoben und werden, wie Sie gesagt haben, für Brücken in die Zukunft verwendet –, in Zukunft zum Standard unserer Haushaltspolitik machen, haben wir der Höhe nach keine Begrenzung der ausgabenfinanzierten Schulden in den nächsten Jahren, und das ist das exakte Gegenteil von dem, was die Schuldenbremse vorsieht.
Der Bundesfinanzminister hat auf die freundschaftliche Zusammenarbeit im Haushaltsausschuss hingewiesen. Auf die freue auch ich mich. Aber ich bitte auch um eines: mich nicht für das, was Sie hier machen, in Mithaftung zu nehmen. Erstens. Das, was ich im Januar gefordert habe, war das, was die FDP massiv bekämpft hat. Dass Sie eine 180‑Grad-Wende machen, das ist schon mal sehr, sehr eindeutig.
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Das Zweite. Das, was ich damals gesagt habe – wir waren damals in einer finanziell schwierigen Lage wegen Corona –,
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war sehr klar: Wenn wir dauerhaft die Schuldenbremse nicht einhalten müssen, brauchen wir dafür eine gesetzliche Grundlage.
Im Juni hat der Stabilitätsrat aber sehr deutlich gesagt: Wir können im Jahr 2023 die Schuldenbremse wieder einhalten. Damit ist das obsolet. Das wollte ich hier nur noch einmal sagen.
Anders, als Sie sich das wünschen, liebe Frau Hagedorn: Wir werden und auch ich persönlich werde dem Vorgehen, das Sie hier vorschlagen, nicht die Hand reichen. Das ist die Axt an der Schuldenbremse.
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Frau Hagedorn, möchten Sie antworten? – Bitte.
Ja, das möchte ich. – Lieber Kollege Braun, dieser Nachtragshaushalt ist nicht die Axt an der Schuldenbremse.
({0})
Ich habe im Übrigen in meinem Redebeitrag auch gar nicht auf Sie und Ihre Äußerungen abgezielt; das waren andere Kollegen hier in der Debatte. Aber Fakt ist doch, dass Sie im letzten Jahr mit Ihren Bemerkungen nicht etwa von uns oder anderen, sondern von der eigenen Partei und der eigenen Fraktion gestoppt worden sind, die ein lautes Nachdenken über die Schuldenbremse nicht haben wollte.
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In unserem Koalitionsvertrag haben wir uns alle gemeinsam darauf verpflichtet, die Schuldenbremse einzuhalten, und das ist auch gut so. Wir erleben doch gerade, dass die Schuldenbremse, so wie sie im Grundgesetz steht, eben auch in einer Krise die finanziellen Spielräume ermöglicht, die erforderlich sind, um diese Krise zu bekämpfen. Mit der Zustimmung des Deutschen Bundestages haben wir doch diese Krise von nationaler Tragweite ausgerufen und damit Spielräume im Haushalt eröffnet, die sinnvoll sind. Darum muss die Schuldenbremse auch nicht im Grundgesetz verändert werden. Wir wollen sie einhalten,
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weil wir davon ausgehen, dass wir die Konsequenzen aus der Pandemie ab 2023 so weit im Griff haben, dass man sie bewältigen kann, ohne in die Krise hinein zu sparen. Das glauben wir.
Dafür ist das, was wir jetzt machen, ein probates Mittel,
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das wir in der Großen Koalition auch schon erprobt haben, indem wir 28 Milliarden Euro in den EKF geschickt haben. Und das ist richtig – ich habe auf den Wissenschaftlichen Dienst verwiesen –, weil es zulässig ist, mit diesen Mitteln nicht nur medizinische Maßnahmen zu finanzieren, sondern sehr wohl auch in die Stabilität der Gesellschaft und vor allen Dingen der Wirtschaft zu investieren.
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Das war damals richtig, und das bleibt richtig. Nur das habe ich gemeint.
Ich habe die Zusammenarbeit mit Ihnen immer geschätzt, mit Ihnen allen. Darum würde ich gern weiter auf diese Art und Weise mit Ihnen zusammenarbeiten. Auch die Grünen und wir Sozialdemokraten sind damals in der Griechenland-Krise – ich möchte daran erinnern – als Opposition nicht der Versuchung erlegen, einfach dagegen zu sein, sondern wir haben Sie unterstützt, obwohl wir viele Maßnahmen im Detail damals nicht richtig fanden. Daran appelliere ich, nur daran. Das, was vor einem Jahr richtig war, bleibt auch jetzt richtig. Das ist die Grundlage für diesen Nachtragshaushalt.
Vielen Dank.
({5})
Zu seiner ersten Rede bitte ich nun den Abgeordneten Dr. Sebastian Schäfer ans Rednerpult, für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Bund nehmen wir in diesem Jahr Kredite in Höhe von bis zu 240 Milliarden Euro auf. Das ist ungefähr die Hälfte der Wirtschaftsleistung von Baden-Württemberg; das ist eine gewaltige Summe. Der geltende Bundeshaushalt wurde noch von der Großen Koalition beschlossen und nicht von unserer Fortschrittskoalition. Dennoch kann ich sagen: Der Beschluss dieser Rekordverschuldung ist auch vonseiten der Großen Koalition nicht leichtfertig erfolgt.
Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel hat im Zusammenhang mit der Coronapandemie von der größten Krise in unserem Land seit dem Zweiten Weltkrieg gesprochen. Leider müssen wir in diesen Tagen feststellen, dass die Krise nicht nur nach wie vor anhält, sondern sich auch noch einmal verschärft hat: mit extremen Belastungen unserer Pfleger und Ärztinnen in den Kliniken und einer furchtbar hohen Zahl von Menschen, die jeden Tag an und mit Corona versterben.
Auch unsere Wirtschaft ist weiterhin schwer von der Krise betroffen. Wir alle hier – außer die, die die Krise lieben – hätten uns eine v-förmige Erholung der Wirtschaft gewünscht. Aber das tritt leider nicht so ein. Gerade haben das Münchner ifo-Institut und das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle ihre Wachstumsprognosen für 2022 teils deutlich nach unten korrigiert. Es besteht also weiterhin die Notwendigkeit, die wirtschaftliche Erholung mit staatlichen Investitionen zu stabilisieren.
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Wenn unser Land ökonomisch stabil ist – Frau Hagedorn hat es gesagt –, profitieren davon auch unsere europäischen Nachbarn, mit denen wir wirtschaftlich so eng verflochten sind. Wir tragen auch dafür Verantwortung, und – jenseits aller notwendigen Solidarität – wir haben auch etwas davon.
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Mit dem Klima- und Transformationsfonds und mit diesem Nachtragshaushalt geben wir die richtige Antwort auf die wirtschaftliche Herausforderung der Pandemie. Damit können die Investitionen umgesetzt werden und private Investitionen weiter angereizt werden, die in der Pandemie ausgeblieben sind. Wir müssen dem Geld eine neue Richtung gegeben. Die Transformation unserer gesamten Wirtschaft zur Klimaneutralität, die Dekarbonisierung insbesondere der Industrie ist eine gigantische Herausforderung.
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Ich vertrete den Wahlkreis Esslingen im Deutschen Bundestag. Wir haben einen hohen Anteil an industrieller Wertschöpfung mit vielen gut bezahlten Arbeitsplätzen. Das ist bei vielen von Ihnen hier ähnlich; nicht nur in Baden-Württemberg. Wir brauchen diese gut bezahlten Arbeitsplätze, diese industrielle Wertschöpfung, die wir in Deutschland haben, auch in Zukunft. Dafür nehmen wir jetzt Geld in die Hand: um die Coronapandemie wirtschaftlich schnell zu überwinden und diese notwendige Transformation zu einem Erfolg für unser Land zu machen.
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Wir gehen in der Ampelkoalition aber nicht nur den Investitionsrückstand an. Wir schaffen mit einem modernen Einwanderungsgesetz auch die Grundlage, mit der zunehmend schwieriger werdenden demografischen Entwicklung in unserem Land umzugehen. Mit dem Spurwechsel nutzen wir die Potenziale, die schon jetzt in unserem Land vorhanden sind, statt diese weiter brachliegen zu lassen.
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Wir haben viel nachzuholen, viel zu viel ist liegen geblieben in diesen letzten Jahren trotz guter Steuereinnahmen und immer niedrigerer Zinsbelastungen für die öffentlichen Haushalte. Dafür schaffen wir jetzt die Grundlage mit dem vorliegenden Nachtragshaushalt und dann im neuen Jahr mit dem regulären Bundeshaushalt 2022. Wir gehen in dieser Koalition mit den öffentlichen Mitteln sorgsam um; auch das verbindet uns.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Das war übrigens zeitlich eine Punktlandung. Herzlichen Glückwunsch dazu.
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Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Florian Oßner.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der neue FDP-Finanzminister – heute erstaunlich zurückhaltend in seiner Rede zum Nachtragshaushalt; offensichtlich sind Sie selbst nicht derart überzeugt von Ihrem ersten Meisterstück – ist offenbar ein großer Fan des Schriftstellers Mark Twain nach dem Motto „Von jetzt an werde ich nur so viel ausgeben, wie ich einnehme, selbst wenn ich mir dafür Geld borgen muss“. Anders kann ich mir nämlich nicht erklären, warum das Versprechen der soliden Finanzen des Ministers keine Woche nach Amtsantritt gehalten hat. Nochmals 60 Milliarden Euro für die Finanzierung nebulöser Projekte abzuzweigen, ist einfach inakzeptabel und verfassungsrechtlich mehr als bedenklich.
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In diesem Jahr wurde wegen der Pandemie eine gigantische 240‑Milliarden-Euro-Kreditlinie aufgenommen; eine unvorstellbare Summe. Hiervon wurden Gott sei Dank rund 60 Milliarden Euro nicht benötigt, was grundsätzlich positiv ist. Also statt 240 Milliarden Euro Zusatzschulden „nur“ – in Anführungszeichen – 180 Milliarden Euro zusätzliche Belastungen für die deutsche Bevölkerung, so würde man als Normalsterblicher denken. Aber nein, nicht so in der Finanzierungslogik der Ampelkoalition. Die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP plant nun stattdessen, diese Mittel dem sogenannten Energie- und Klimafonds gutzuschreiben. Man kann sich durchaus fragen, was der frischgewählte Finanzminister dazu noch vor ein paar Wochen gesagt hätte, wäre er jetzt nicht selbst an der Regierung beteiligt, auch ganz nach dem neuen FDP-Fraktionschef Dürr: Karriere kann man nur machen, wenn man verfassungswidrige Haushalte vorlegt. – Damals galt das noch für die SPD; jetzt gilt es für die FDP. Herr Lindner, ist das, was Sie hier machen, Ihr Verständnis vom Richtig-Regieren der FDP? Für uns als CDU/CSU-Fraktion hat dies jedenfalls nichts mit seriösem Wirtschaften zu tun.
({1})
Auch die Begründung der links-gelben Koalition für diesen zweiten Nachtragshaushalt ist mehr als fragwürdig; denn wenn die Mittel nun für Klimainvestitionen in den kommenden Jahren genutzt werden, fehlt der Bezug zur Pandemienotlage, mit der die Aussetzung der Schuldenbremse gemäß Artikel 115 Grundgesetz ursprünglich begründet war. Dort steht:
Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden.
Klarer Fall.
Nun waren aber die Mittel ausreichend für dieses Jahr. Es besteht überhaupt kein Grund, nun zusätzliche Geldmittel in einem Fonds zu parken, es sei denn, man möchte diese Gelder überhaupt nicht für katastrophenbedingte Ausgaben verwenden. Ich bin schon froh, dass auch Bundesminister Habeck mittlerweile anwesend ist, für den ja dieses große Geschenk ist. Die erste halbe Stunde hat er der Debatte nicht beigewohnt. Ich denke, liebe Ampel, diese Buchungstricks können und dürfen wir als CDU/CSU Ihnen nicht durchgehen lassen.
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Würde man nun der Argumentation der Ampelkoalition folgen, hätten wir aufgrund des Klimawandels und der notwendigen Transformation der Wirtschaft eine permanent außergewöhnliche Notsituation, die eine über die 0,35‑Prozent-Regel hinausgehende Neuverschuldung im Bundeshaushalt ermöglichen würde. Dies hätte eine dauerhafte Aussetzung der Schuldenbremse zur Folge, ja sogar die komplette Auflösung dieser Schuldengrenze. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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In der Klimapolitik drängt Rot-Grün-Gelb darauf – auch völlig zu Recht –, die Belange der nächsten Generation zu berücksichtigen. In der Haushaltspolitik scheint der neuen Bundesregierung die Generationengerechtigkeit jedoch absolut egal zu sein. Wie passt das zusammen? Die „FAZ“ kommentierte – aus meiner Sicht sehr zutreffend – den Nachtragshaushalt am letzten Freitag wie folgt:
In normalen Jahren erlaubt die Schuldenregel eine Neuverschuldung von etwa 12 Milliarden Euro. Das zeigt: Es geht nicht um einen Schluck aus der Pulle, sondern um das Leersaufen gleich mehrerer Kanister.
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Es ist und bleibt falsch, weshalb wir als Union diesen völlig unnötigen Nachtragshaushalt ablehnen und auch eine gerichtliche Überprüfung durchführen. Alles andere wäre auch völlig unverantwortlich.
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Der Hessische Staatsgerichtshof – heute schon mehrfach zitiert – hat in einem ähnlichen Fall dazu bereits entschieden, dass kreditfinanzierte Maßnahmen zur Krisenbewältigung nicht nur geeignet, erforderlich und angemessen, sondern auch final auf die Beseitigung der Notsituation gerichtet sein müssen. Verheerend ist aus meiner Sicht auch die Signalwirkung an unsere europäische Familie. Wie sollen wir unsere Europartner von einer soliden Haushaltsführung überzeugen, um den Euro stabil zu halten, falls wir selbst die größten Sünder sind? Als stärkste Volkswirtschaft Europas haben wir nicht nur das größte Risiko zu tragen, sondern auch eine unmissverständliche Vorbildfunktion zu erfüllen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.
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Das alles ist hier nicht gegeben und weit entfernt von dem, was man als nachhaltige Haushaltspolitik bezeichnen kann, zumal ab dem Jahr 2026 die Pandemieschulden getilgt werden und ein deutlich geringerer Handlungsspielraum für zukünftige Investitionen besteht.
Deshalb abschließend: Auf Schuldenbergen kann man keine Zukunft bauen. Diese bilden kein dauerhaft festes Fundament.
Herzliches „Vergelts Gott!“ fürs Zuhören.
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Andreas Schwarz.
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Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren an den Fernsehbildschirmen! Max Frisch hat einmal gesagt:
Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.
Wir sind in einem starken Land mit einem starken Staat, wir haben kreative Unternehmen, und wir haben fleißige Menschen, die hier arbeiten. Und dieses Land war wahrlich gefordert in den letzten zwei Jahren. Wir waren auch produktiv, und ich will Ihnen sagen, warum. Fangen wir bei den Menschen an: Sie mussten ihr Leben ändern, und sie haben das angenommen: Maskenpflicht, Abstandspflichten und, und, und.
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Wir haben in einer Rekordzeit einen Impfstoff entwickelt. Das zeigt: Es gibt kluge Köpfe in unserem Land. Wir haben Test- und Impfzentren in Betrieb genommen. Unser Gesundheitssystem wurde hochgefahren, um mit den Problemen fertigzuwerden. Es wurden schnell finanzielle Hilfen organisiert, um Arbeitsmarkt und Wirtschaft zu stabilisieren. Und zwischendurch waren auch noch ein paar kleine und große Wahlen in unserem Land. Das heißt, es musste sich eine neue Regierung finden und bilden. Auch das ist schnell passiert. Sie kam auch zügig in den Arbeitsmodus und schlägt hier auch ganz schnell Gesetze vor. Wir haben einen Gestaltungs-, auch einen Fortschrittswillen. Wir haben am Ende auch sehr viel Verantwortung zu tragen.
Meine Damen und Herren, wenngleich uns die Pandemie schon viel abverlangt hat, steht mit Sicherheit fest, dass sie noch ein bisschen andauern wird. Wir müssen Gesundheit, Gesellschaft, Wirtschaft weiter stabilisieren. Während Karl Lauterbach gerade ausreichend Impfstoff für die Menschen im Land organisiert, kümmert sich unser Finanzminister um die notwendige finanzielle Boosterimpfung für unsere Wirtschaft.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade weil die Situation so ist, wie sie ist, müssen wir die wirtschaftlichen Auswirkungen weiterhin genau im Auge behalten und alles dafür tun, um die deutsche Volkswirtschaft wieder auf einen langfristigen, nachhaltigen Wachstumspfad zu führen. Das schafft Generationengerechtigkeit, weil wir in die Zukunft investieren und die Zukunft im Blick haben. Dafür benötigen wir die im vorgelegten zweiten Nachtragshaushalt vorgesehenen 60 Milliarden Euro, die wir in den Energie- und Klimafonds bzw. Klima- und Transformationsfonds überführen werden. Wir nutzen einfach nichtgenutzte Kredite, die wir für die Bewältigung der Pandemie im Land nicht aufnehmen mussten. Und das, liebe ehemalige Koalitionspartner der Union, haben wir im letzten Jahr auch schon erfolgreich mit 26 Milliarden Euro getan.
Ich bin mir sicher, dass das auch mit unserer Verfassung konform geht. Warum dieser Optimismus, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger? Ziel ist: Wir wollen nachhaltig aus der Krise kommen, um Fortschritt für dieses Land zu organisieren.
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Man spart nicht in der Krise; denn das kostet uns und unseren nachfolgenden Generationen Zukunft. Es geht um Digitalisierung, Transformation und Klimaschutz. Und darüber, wie Geld wann und wo ausgegeben wird, entscheiden wir hier in diesem Parlament gemeinsam. Also keine Angst! Gerade Klimaschutzmaßnahmen sind von besonderer Bedeutung. Ich erinnere hier an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das uns ja einiges an Hausaufgaben aufgegeben hat, um unser Land zukunftsfähig zu machen, Arbeitsplätze zu sichern und die Menschen in die neue Zeit zu begleiten.
Sie merken, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es geht um Investitionen, die über das normale Maß eines Bundeshaushalts hinausgehen. Neben der Pandemie geht es um Transformation und Wachstum in diesem Land, und dies unter erschwerten konjunkturellen Bedingungen. Wir werden die öffentlichen Investitionen verstärken und durch eine weitere Steigerung auch private Investitionen nachhaltig anstoßen. Das schafft Anreize, und es schafft vor allen Dingen Planungssicherheit für die Menschen, aber auch für die Unternehmen in diesem Land. Dies hat eine wichtige Signalwirkung und setzt klare Impulse, die für unsere Wirtschaft notwendig sind.
Letztendlich ist es nicht nur eine deutliche Weiterführung unserer Hilfsmaßnahmen zur Überwindung der Pandemie, sondern es ist auch ein sichtbarer Einstieg in die nachhaltige Finanzierung der Überwindung der Klimakrise. Das sichert nicht nur vorhandene Arbeitsplätze, sondern sorgt auch für weitere Beschäftigungsmöglichkeiten und vor allen Dingen für starke Impulse für unsere Wirtschaft. Ich nenne das, was wir hier vornehmen, Krisenbewältigung erster Klasse.
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Meine Damen und Herren, Sie sehen: Wir leisten mit unserer Finanzpolitik weiterhin einen starken und deutlichen Beitrag dazu, dass der soziale und wirtschaftliche Frieden und auch der Erfolg in diesem Land gesichert werden.
Zum Abschluss, meine Damen und Herren: Mit diesem Nachtrag zum Bundeshaushalt setzen wir klare Impulse für das Land. Mir bleibt insofern nur, kurz zum Beginn meiner Rede zurückzukommen und meine tiefste Überzeugung kundzutun: Krise ist durchaus ein produktiver Zustand. Und ich ergänze mit den Worten Helmut Schmidts: „In der Krise beweist sich der Charakter.“ Und dieses Land hat Charakter.
In diesem Sinne: Danke, und ich freue mich auf die weiteren Beratungen.
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Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind froh, dass wir heute gleich zu Beginn der neuen Wahlperiode über ein Thema sprechen, das eine weitreichende Bedeutung für das Verhältnis dieses Hohen Hauses und auch der neuen Koalition zum Thema „Grundrechte und Menschenrechte“ hat. Wir sind deshalb froh, weil wir hier alle sicher übereinstimmen, dass die Bundesrepublik Deutschland, gerade auch vor dem Hintergrund unserer Geschichte, Menschenrechte aus gutem Grund zu einem Teil unserer Staatsräson gemacht hat. Das ist gut so, und das soll und das wird auch so bleiben.
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Wenn wir heute über die Fortführung einer jungen, aber sehr wirkungsvollen Institution sprechen, nämlich des Beauftragten der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit, dann reden wir über einen wichtigen deutschen Beitrag zum globalen Monitoring und zum aktiven Tun sowie über einen globalen Beitrag für Gewissensfreiheit und Glaubensfreiheit als ganz wichtige Indikatoren für die Freiheit und Toleranz von Gesellschaften.
80 Prozent der Weltbevölkerung rechnen sich einer Religion zu. Bittere Realität ist: Dort, wo Religionsfreiheit aus welchen Gründen auch immer eingeschränkt wird, werden in den allermeisten Fällen regelmäßig auch wesentliche Grund-, Freiheits- und Menschenrechte eingeschränkt. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist gerade für ein Land wie Deutschland mit seiner international anerkannten Position ein Beitrag zur Religionsfreiheit und zur weltanschaulichen Freiheit insgesamt so wertvoll, und deshalb ist es wichtig, diese wichtige Institution der Bundesregierung inklusive der Berichte an den Deutschen Bundestag zu bewahren und auch auf Dauer beizubehalten.
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Wir haben nicht nur als Große Koalition dieses Amt mit guten Gründen eingerichtet; wir haben auch eine Person gefunden, die dieses Amt nach allgemeiner Einschätzung mit großer Gewissenhaftigkeit, mit großem Einsatz und auch mit notwendigem Feingefühl ausgefüllt hat. Ich glaube, ich darf im Namen des gesamten Hauses sprechen, wenn ich unserem Kollegen Markus Grübel hier einmal ganz herzlich dafür danke, mit wie viel Engagement und auch Empathie er diese Verantwortung übernommen und ausgefüllt hat. Vielen Dank, lieber Markus!
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An die neue Koalition und an ihre stärkste Fraktion, die SPD, möchte ich ausdrücklich den Appell und die Forderung richten: das 2018 von uns gemeinsam eingerichtete Amt eines Religionsbeauftragten nach diesen Fortschritten und Erfolgen zu wahren und ihm die dauerhafte Verankerung zu geben, die dieses Amt mit all seinem Potenzial für die Menschenrechte verdient.
Die neue Bundesregierung und die neue Mehrheit werden unter Beweis stellen müssen, wie wichtig ihnen Menschenrechte tatsächlich sind. Das zentrale Menschenrecht auf Religionsfreiheit findet sich im neuen Koalitionsvertrag nicht ein einziges Mal – im Gegensatz zur Vereinbarung von vor vier Jahren –, kein Wort zu dieser wichtigen Aufgabe in der EU und in Deutschland.
Ich höre, es gibt aktuell Bewegung bei dieser Frage. Wenn wir mit unserem heute vorliegenden Antrag einen Beitrag dazu leisten, die neue Koalition auf den richtigen Weg zu bringen, dann tun wir das gerne. Menschenrechte sind immer konkret; handeln Sie auch konkret!
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Frank Schwabe.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Menschenrechte sind unteilbar, universell und unveräußerlich; man kann sie nicht mal abgeben, wenn man das selbst möchte. Sie gelten in Deutschland, sie gelten aber auch in anderen Teilen der Welt, und wir wollen alles dafür tun und alles dazu beitragen, um ihnen Geltung zu verschaffen.
Wir wollen, dass Menschen in Freiheit leben, und Freiheit meint eben auch Freiheit, zu glauben, was man möchte, eine Religion auszuüben, sich einer Religion anzuschließen oder eben auch nicht. Ich will daran erinnern, dass das natürlich auch eine Verpflichtung im Inland ist, wenn wir das im Ausland anmahnen. Wir müssen immer daran denken, wenn wir über Moscheebauten, Minarette, Muezzinrufe und anderes reden: Das gilt entsprechend auch für uns.
Der Kollege Michael Brand hat den Antrag der Union gerade vorgestellt. Im Antrag steht ausdrücklich, wie das Amt geschaffen wurde. Ich will unterstreichen: Das ist alles so richtig. Wir haben das gemeinsam auf eure Initiative hin vereinbart. Wir haben das Amt eines Beauftragten der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit – aber eben auch für Glaubensfreiheit – geschaffen. Markus Grübel war der Erste, der das Amt ausgeübt hat. Er hat es durch seine Persönlichkeit geprägt, ausgewogen agiert, und, ich denke, er wurde allseits geschätzt. Deswegen will ich im Namen meiner Fraktion, aber wahrscheinlich auch von vielen anderen, herzlichen Dank sagen.
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Und das Amt wird bleiben. Das hat gestern Bundesministerin Svenja Schulze schon deutlich gemacht. Es gibt viele Menschen auf der Welt, aber auch in Deutschland, die unterdrückt werden, die Hoffnung in dieses Amt setzen und gerne hätten, dass ihnen geholfen wird, dass ihnen zugehört wird, und deswegen soll das Amt bleiben.
Wir fangen also nicht bei null an, nicht in Deutschland und auch nicht international. Wir haben den EU-Sonderbeauftragten für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, auch wenn die Stelle gerade nicht besetzt ist. Wir haben einen UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Glaubensfreiheit, Ahmed Shaheed. Vorher war das Heiner Bielefeldt, der das Amt sehr geprägt hat.
Ich glaube, man muss klarmachen: Bei der Religions- und Weltanschauungsfreiheit geht es um das Recht der Religionsausübung. Es geht aber nicht so sehr um das Recht von Obrigkeiten, darüber zu entscheiden, wie Religion ausgeübt wird. Das Recht, eine Religion zu haben, ist ein Freiheitsrecht, und so muss es auch verstanden werden. Es ist ein individuelles Recht auf Ausübung von Religion und eben kein Kollektivrecht. Deswegen will ich gerne Heiner Bielefeldt – der international wirklich eine führende Rolle innehat –, zitieren:
Die Religionsfreiheit schützt nicht religiöse Dogmen oder religiöse Werte als solche, sondern die Freiheit von Menschen, sich in Fragen von Religion frei zu orientieren … ohne Angst und ohne Diskriminierung in Freiheit.
Ich will noch mal deutlich machen: Es geht nicht darum, Obrigkeiten zu unterstützen, die definieren wollen, was Religion ist, wie Religion ausgeübt werden soll, sondern immer darum, Menschen die Freiheit zu geben, ihren Glauben, ihre Religion entsprechend auszuüben. Und das können viele Menschen auf der Welt eben leider nicht. Das ist das Problem. Nach den Zahlen des Pew Resarch Centers von 2019 ist es so, dass in 52 Ländern auf der Welt die Religionsfreiheit und die Freiheit von Religionsgemeinschaften hohen oder sehr hohen Restriktionen ausgesetzt ist,
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dass in 70 Ländern es Blasphemie- oder Antikonversionsgesetze gibt. Viele sind davon betroffen weltweit: vor allem Juden, Christen, Muslime, aber auch kleinere religiöse Gruppen oder Religionsgemeinschaften wie die Ahmadiyya in Pakistan, die Bahai im Iran oder die Kopten in Ägypten; die Aufzählung ist nicht vollständig, man könnte viele andere Gruppen hinzufügen. All die verdienen unsere Aufmerksamkeit und unsere Unterstützung.
In diesem Sinne will ich betonen: Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist ein wichtiges Menschenrecht. Es darf aber nicht in künstlichen Gegensatz zu anderen Menschenrechten gesetzt werden, zum Beispiel zum Menschenrecht auf Meinungsfreiheit. Deswegen ist es manchmal ein nicht ganz einfacher Diskurs, den wir zu führen haben. Aber es ist ein wichtiger, ein richtiger Diskurs, ein spannender Diskurs, und wir werden ihn auch in den nächsten vier Jahren hier gemeinsam führen.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Jürgen Braun.
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Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Unmittelbar vor Weihnachten sendet die grün-linke Ampel ein verheerendes Signal in die Welt. Mehr als 300 Millionen verfolgten Christen wird gesagt: Eure Probleme sind kein Thema für die Bundesregierung.
Ich habe dem Beauftragten für Religionsfreiheit, Markus Grübel, hier vor einem halben Jahr meinen Respekt und Dank für die geleistete Arbeit ausgesprochen. Aber ich sagte schon damals, dass die Religionsfreiheit in der deutschen Politik keine Lobby hat, außer der AfD.
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Und jetzt kann es jeder sehen: Die AfD hat wieder einmal recht behalten. Die CDU kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie 16 Jahre lang Christenverfolgung kleingeredet hat. Sie hat den Begriff „Christenverfolgung“ in den letzten Jahren sogar vermieden;
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nur wir von der AfD prangern die Christenverfolgung offen an.
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Diese neue links-grüne Regierung mit leichtem Gelbstich oder mit blassvergilbter Tönung interessiert sich nicht mehr für Christenverfolgung. Anfang November hat die Ampel überhaupt nicht reagiert, als die Veranstalter der Konferenz „Christenverfolgung heute“ inständig baten, das Amt des Religionsfreiheitsbeauftragten weiterzuführen. Und auch der Koalitionsvertrag erwähnt das Amt mit keinem Wort; sie wollten es stillschweigend abschaffen.
Die verfolgten Christen können von einer Außenministerin Baerbock nichts erwarten. Aber die Anhänger der selbsternannten Völkerrechtlerin jubeln: Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch. – Tja, wir als AfD wissen genau, was sie damit meinen: Grüne, feministische Außenpolitik bedeutet High fives mit islamistischen Massenmördern, bedeutet europäische Politikerinnen auf Delegationsreise mit Kopftüchern, bedeutet die Unterwerfung der Frau unter den politischen Islam.
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Die Religionsfreiheit wird nicht durch alte weiße Männer eingeschränkt. Die Religionsfreiheit wird heute vor allem durch Kommunisten und Islamisten eingeschränkt.
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Die sogenannte Gleichstellungskommission der EU hat eine Empfehlung vorgelegt, auf das Wort „Weihnachten“ zu verzichten, weil es diskriminierend sei.
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So viel zu Ihrer Christlichkeit und der Ihrer EU-Kumpane aus Brüssel.
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Christen werden verfolgt, werden abgeschlachtet, weltweit, gerade an ihren heiligsten Festen, gerade auch an Weihnachten und vor Weihnachten. Die neue Ampelkoalition wird für 300 Millionen verfolgte Christen zur Todesampel – unmittelbar vor Weihnachten.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen!
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Ich bezeichne mich als Christ. Ich passe vielleicht als schwuler Katholik nicht in das Weltbild von einigen hier, aber eines habe ich durch meine Religion lernen können, nämlich dass die Würde eines jeden Menschen unantastbar ist. Ich finde es unerträglich, was sich dieses Parlament hier teilweise bieten lassen muss.
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Meine Damen und Herren, in meiner Generation erlebe ich eine sehr, sehr hohe Sensibilität für Menschenrechtspolitik.
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Das ist, glaube ich, auch gut so; denn Menschenrechte müssen immer wieder aufs Neue erkämpft werden. Das fordert auch der Blick auf die Religionsfreiheit weltweit ein. Das fordert zum Beispiel der Blick auf die dramatische Lage der Christinnen und Christen in Afghanistan ein, die nicht erst seit der Machtübernahme der Taliban in Angst vor Diskriminierung leben müssen. Das fordert genauso der Blick auf die Hazara in Afghanistan zum Beispiel, die seit der Machtübernahme der Taliban in Angst um ihr Leben fliehen müssen.
Ich möchte hier heute auch die Gelegenheit nutzen, um ganz besonders an die Jesidinnen und Jesiden zu denken, so an das Leid von Nadia Murad. Mit ihr hatten wir bei der Wahl des Bundeskanzlers vergangene Woche einen ganz besonderen Gast auf unserer Tribüne. Am 3. August 2014 wurde sie vom IS in ihrem Dorf gefangen genommen. Sie wurde versklavt, sie wurde vergewaltigt, weil sie der jesidischen Minderheit angehört. Für ihre Mutter und ihre Brüder kam jede Rettung zu spät. In Deutschland konnte sie Schutz finden und ist heute UN-Sonderbotschafterin.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Leid der Jesidinnen und Jesiden ist so erdrückend, dass wir alles dafür unternehmen müssen, dass dieser Genozid juristisch und auch politisch in seiner Systematik weiter aufgearbeitet wird.
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Die Vertreibung von Jesidinnen und Jesiden aus ihren Dörfern, der systematische Einsatz von Vergewaltigung als Kriegswaffe gegen Jesidinnen, Sklaverei und Folter – angegriffen wurde hier auch das Menschenrecht auf Religionsfreiheit, aber nicht nur dieses Menschenrecht, sondern alle Menschenrechte wurden damit angegriffen.
Dies zeigt uns auf eine dramatische Art und Weise die Unteilbarkeit von Menschenrechten auf. Ganz egal, ob oder an was wir glauben: Wenn die Freiheit zum Glauben angetastet wird, dann wird auch immer die Würde des Menschen in seinem Kern angetastet. Deshalb müssen wir als Abgeordnete dieses Parlamentes, ganz egal, ob christlich, atheistisch, jüdisch oder muslimisch, mit Nachdruck für die Religionsfreiheit weltweit einstehen
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und auch bei uns im Land dafür sorgen, dass sich Juden endlich mit einer Kippa auf die Straße trauen können und Musliminnen ohne Angst mit Kopftuch nach draußen gehen können.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, seinen Glauben öffentlich und sichtbar zu leben, ist für die alevitische Gemeinde bei mir im Wahlkreis in Bochum keine Selbstverständlichkeit. Bei meinem Besuch erzählten sie mir, dass sie hier in Deutschland erstmals frei leben konnten und in der Lage waren, Pogrome aufzuarbeiten; zu erdrückend ist die Stigmatisierung in der Türkei. Sie berichteten mir aber auch darüber, wie sie hier Diskriminierung erleben und wie wenig Gehör sie dafür von der Politik geschenkt bekommen. Doch wir hören diese Diskriminierung, wir nehmen das ernst, und wir werden auch die transnationale Dimension der Verfolgung von religiösen Minderheiten in den Blick nehmen; denn wir verstehen, dass die Religionsfreiheit keine Grenzen kennen darf.
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Wir werden in der Ampelkoalition dafür sorgen, dass Menschenrechte auch dann zählen, wenn es wirklich um etwas geht. Der Unionsantrag mit seiner Verkürzung der 30 Menschenrechte auf ein Menschenrecht und einen einzigen Beauftragten wird der weltweiten Lage nicht gerecht. China eine klare Kante zeigen, wenn es um die Minderheitenrechte von Uiguren geht, ein Rüstungsexportstopp hinsichtlich Saudi-Arabien, ein erleichterter Zugang zu humanitären Visa – all das werden wir mit unserer Außenministerin Annalena Baerbock angehen,
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um die Menschenrechte und auch um das Recht auf Religionsfreiheit weltweit zu stärken, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Dazu zählt eben auch und ganz explizit das weltweite Engagement für Religionsfreiheit – für positive Religionsfreiheit wie auch für negative Religionsfreiheit, die in Ihrem Antrag nicht deutlich betont wird. Zu Menschenrechten zählt eben noch viel mehr. Deshalb freuen wir uns, dass wir im Ausschuss weiter über Ihren Antrag beraten können.
Danke für die Aufmerksamkeit.
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Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Petra Pau.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU-Fraktion beantragt, das internationale Engagement für das Menschenrecht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit fortzusetzen und das Amt des Beauftragten der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit fortzuführen. Dem inhaltlichen Anliegen stimmt die Fraktion Die Linke ausdrücklich zu. Jede und jeder hat das Recht, einer Religion zu folgen oder eben auch keiner. Das gehört zur Selbstbestimmung und darf nicht vorgeschrieben werden. Es geht nicht nur um Glauben, sondern zugleich um Demokratie.
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Religionsfreiheit ist in Artikel 4 des Grundgesetzes verankert, ebenso in Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie in weiteren internationalen Dokumenten. Die Praxis indes sieht weltweit vielfach anders aus, und das ist nicht hinnehmbar.
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Ich danke den Kollegen Brand, Lucks und Schwabe für die Darstellung der Situation, weil ich das in zwei Minuten Redezeit nicht unterbekomme. Aber ich unterstreiche: Die Situation ist nicht hinnehmbar. Wir müssen nicht in die weite Welt gucken, um auf Probleme mit der Religions- und Weltanschauungsfreiheit zu stoßen. Ich erinnere nur an den grassierenden Antisemitismus hierzulande.
Nun hat der Kollege Schwabe gesagt: Das Amt wird bleiben. – Gut. Allerdings stellt sich die Fraktion Die Linke schon noch die Frage: Kann man nicht, aufbauend auf das, was der Kollege Grübel in den vergangenen Jahren gemacht hat, noch einmal weiterdenken? Braucht es den Religionsbeauftragten beim BMZ, oder wäre es nicht beim Menschenrechtsbeauftragten und seiner Ausstattung auch gut aufgehoben, um sowohl der internationalen Dimension als auch unserer nationalen Dimension und den Problemen zu entsprechen?
Kurzum: Das Anliegen teilen wir; über die Ausgestaltung werden wir ja wohl weiterreden.
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Ich erinnere meine Kollegin ungern an die Maskenpflicht, aber es muss sein. Alles gut. – Nächste Rednerin: für die FDP-Fraktion Renata Alt.
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Sehr geehrte Frau Bundestagspräsidentin! Meine Damen und Herren! Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Weltanschauungsfreiheit – so heißt eigentlich das Recht, über das wir hier heute sprechen. Es umfasst gleichermaßen die Freiheit, zu glauben, und die Freiheit, nicht gläubig zu sein. Niemand darf wegen seines Glaubens oder seines Nichtglaubens bestraft oder stigmatisiert werden.
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Und doch wird dieses Recht weltweit massiv verletzt. Derzeit gibt es in mindestens 70 Staaten Blasphemiegesetze; in circa 40 Staaten weltweit ist mindestens eine religiöse Gruppe verboten. Die Covid-Pandemie war zum Teil auch ein willkommener Vorwand, um die Religions- und Weltanschauungsfreiheit zu verletzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, in Ihrem Antrag betonen Sie, die Religions- und Weltanschauungsfreiheit sei ein wichtiges Menschenrecht. Da haben Sie recht. Sie heben weiter hervor, dass mit den Verletzungen der Religionsfreiheit oft andere Menschenrechtsverletzungen einhergingen. Auch das stimmt. Denn oft genug wird die Religionsfreiheit missbraucht, zum Beispiel wenn unter ihrem Deckmantel Presse- und Meinungsfreiheit unterdrückt werden. Es gibt nur ein Mittel, um gegenzusteuern: einen verstärkten Einsatz für alle Menschenrechte ohne Ausnahme.
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Doch mein Eindruck ist, dass es Ihnen in Ihrem Antrag weniger um die Religionsfreiheit als solche geht, Herr Grübel;
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vielmehr geht es Ihnen um den symbolischen Stellenwert des Amtes des Beauftragten der Bundesregierung für Religionsfreiheit.
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Sie werfen der Ampelkoalition vor, dieses Amt abschaffen zu wollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht alle Ämter, die nicht namentlich im Koalitionsvertrag erwähnt werden, werden auch abgeschafft; Herr Schwabe hat das schon angedeutet.
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In Ihrem Antrag gehen Sie überwiegend auf die Religionsfreiheit der Christen ein. Natürlich steht Christen, die die größte Glaubensgemeinschaft sind, ihr Recht auf Religionsfreiheit zu, und natürlich müssen wir sie schützen. Sie erwähnen die Christenverfolgung in Myanmar, aber zu der Verfolgung von Rohingya sagen Sie gar nichts. Die kleineren Religionsgemeinschaften leiden überproportional unter Verfolgung. Dazu habe ich in Ihrem Antrag nichts gefunden.
Eine glaubwürdige Menschenrechtspolitik fängt aber zu Hause an. Religionsfreiheit betrifft auch Deutschland. Auch hier müssen wir das Recht auf Religionsfreiheit schützen.
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Dazu gehören eine effektive Bekämpfung und Prävention von Muslimfeindlichkeit und Antisemitismus.
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Im Koalitionsvertrag haben wir uns als Freie Demokraten gemeinsam mit der SPD und den Grünen zu einer wertebasierten Außenpolitik verpflichtet.
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Dieses Versprechen werden wir einhalten und werden uns für alle Menschenrechte einsetzen, auch für die Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Das kann ich Ihnen versichern.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Markus Grübel.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Religion hat Bedeutung! Die Fakten sprechen für sich – uns wurde das hier schon gesagt –: Über 80 Prozent der Menschen auf der Welt sagen von sich, sie seien religiös. Bei meiner ersten Reise als Religionsfreiheitsbeauftragter in den Norden Iraks war ich in einem Flüchtlingslager im Raum Dohuk und habe dort einen Mann getroffen, einen Christen – es hätte aber auch eine Jesidin, ein Kakai oder ein Schabak sein können –, der alles verloren hatte, Haus, Hof, Landwirtschaft, Tiere, Auto. Er sagte mir: Meine Religion ist das Wichtigste; darum habe ich alles zurückgelassen. – Darum sage ich: Religion hat Bedeutung! Wer Religion geringschätzt, ist schlechterdings weltfremd.
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Drei von vier Menschen in der Welt leben in Ländern, in denen die Religionsfreiheit eingeschränkt wird oder völlig infrage gestellt wird. Die Entwicklung ist leider nicht gut. Wer eine wertebasierte Politik macht, setzt sich darum für Religionsfreiheit ein. Wer Menschenrechte ernst nimmt, setzt sich für Religionsfreiheit ein. Betroffen sind viele Millionen Menschen, Hunderte Millionen Menschen. Darum ist es gut, dass die Koalition, dass Sie, Frau Ministerin Schulze, nun angekündigt haben, die Stelle des Beauftragten wieder zu besetzen.
Religion hat auch ein großes Potenzial – im Sozialen, für Frieden, für Kultur, für Umwelt, für Nachhaltigkeit. Darum hat das Entwicklungsministerium die Strategie „Religion und Entwicklung“ entwickelt und das internationale Netzwerk PaRD – Internationale Partnerschaft für Religion und nachhaltige Entwicklung – gegründet. Es gibt im Auswärtigen Amt ein Referat „Religion und Außenpolitik“. Hier geht es insbesondere um die Friedensverantwortung der Religionen. Auch hier besteht ein Netzwerk „Religions for Peace“.
Damit aber Religion ihr großes Potenzial entfalten kann, braucht es die Religionsfreiheit. Die Ansiedlung im BMZ finde ich gut und richtig. Ich habe viele Projekte anschieben, entwickeln, begleiten können, bei denen es darum ging, ein friedliches Miteinander von Menschen unterschiedlicher Religionen in der Welt zu ermöglichen. Zuletzt habe ich eine Handreichung erarbeitet, in der es um Schulbildung geht, dass in der Schule keine Zerr- und Feindbilder dargestellt werden, dass alle Menschen, alle Kinder die gleichen Chancen haben, unabhängig von ihrer Ethnie oder Religion.
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Eine wichtige Aufgabe des Beauftragten ist der Bericht der Bundesregierung, ein Nachschlagewerk für die Regierung, für uns im Parlament, für die Zivilgesellschaft und für die Wirtschaft. Das ist ein Dokument, das auch im Ausland gelesen wird, in den betroffenen Ländern als Erstes. Nun steht der dritte Bericht an.
Zusammenfassend möchte ich beschreiben, was die Aufgaben des Religionsfreiheitsbeauftragten sind. Wir müssen hinschauen, wo das Menschenrecht auf Religionsfreiheit verletzt wird. Wir müssen laut aufschreien; manchmal ist es aber auch besser, leise zu sein. Wir müssen Verbündete suchen. Wir müssen schließlich gemeinsam handeln. Darum sage ich herzlichen Dank den vielen Verbündeten hier im Bundestag, den verbündeten Menschenrechtspolitikern, den Außen- und Entwicklungspolitikern, den Sprecherinnen und Sprechern für Kirchen- und Religionsthemen für ihre vielfältige Unterstützung.
Jetzt geht es darum, uns gemeinsam stark zu machen für das Menschenrecht auf Religionsfreiheit, das Amt des Religionsfreiheitsbeauftragten zu stärken und uns auf der Ebene der Europäischen Union dafür einzusetzen, dass das Amt des EU-Sonderbeauftragten wieder besetzt wird.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem man in der gestrigen Debatte zur Regierungserklärung den Eindruck hatte, dass für Sie, werte Antragsteller, jetzt das Wichtigste ist, wo Sie künftig sitzen werden, sind Sie heute bei den Sachthemen angekommen. Das ist schon mal gut. Ihr Antrag ist auch gut, aber er ist nicht nötig. Frei nach Montesquieu: Wo es nicht nötig ist, einen Antrag zu stellen, ist es eigentlich nötig, keinen Antrag zu stellen. Die Ministerin hat schon für Klarheit gesorgt: Das Amt des Beauftragten für weltweite Religionsfreiheit wird beibehalten.
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Das ist eine richtige Entscheidung der neuen Bundesregierung.
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Selbstverständlich können wir nicht sämtliche Beauftragte, die es in den Geschäftsbereichen der Bundesregierung gibt, in einen Koalitionsvertrag hineinnehmen. Es ist nicht unsere Aufgabe, das alles einfach nur fortzusetzen, sondern auch eine Sekunde darüber nachzudenken, ob alles, was über die letzten Jahre angesammelt worden ist, tatsächlich wert ist, fortgeführt zu werden. Das hat etwas mit Demokratie zu tun. Das sollten Sie hier auch wertschätzen.
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Wenn man so über die Gänge läuft und hört, was zu diesem Thema gesagt wird, dann könnte man den Eindruck bekommen, dass die Leute denken: Da ist so eine gottlose Truppe unterwegs, und das Erste, was die macht, ist, das Amt des Beauftragten für Religionsfreiheit abzuschaffen. Erstens ist das nicht so, und zweitens offenbart man mit einem solchen Gerede, dass man gerade den Kern von Religionsfreiheit überhaupt nicht verstanden hat; denn man kann unter der Fahne der Religionsfreiheit nicht irgendjemandem zum Vorwurf machen, dass er einem bestimmten Glauben nicht anhängt.
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An dieser Stelle muss klar gesagt werden: Religionsfreiheit ist Freiheit zum Glauben, aber auch die Freiheit, keinem Glauben anzuhängen. Dieses Verständnis wird diese Bundesregierung fördern.
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Lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, inhaltlich über dieses Amt zu sprechen. Uns wurden insgesamt zwei Berichte zur weltweiten Lage der Religionsfreiheit vorgelegt. Wenn das Amt neu besetzt wird, ist mein Anliegen, dass wir eine Art Monitoring einführen. Bisher haben wir einzelne Länder der Welt herausgegriffen. Das bedeutet doch immer, dass wir aus deutscher Perspektive auf andere mit dem Finger zeigen und sagen: So und so sieht das bei euch aus. – Ich glaube, das ist nicht unsere Aufgabe. Vielmehr brauchen wir eine Berichterstattung, die uns einen guten Überblick über den Zustand der Religionsfreiheit weltweit gibt. Das heißt, es braucht ein Monitoring aller Länder.
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Der zweite wichtige Punkt ist von meinem Kollegen der Grünen hier angesprochen worden. Wenn wir in einem Land leben, in dem beinahe täglich Übergriffe stattfinden – auf Synagogen, zuletzt war es eine Moschee in Leipzig –, wo sich Menschen mit Kippa oder Kopftuch nicht auf die Straße trauen, dann ist es doch eine bittere Notwendigkeit, dass wir sagen: Wenn wir weltweite Religionsfreiheit zum Thema machen, dann ist es auch unsere Aufgabe, ein Vorbild zu sein und nicht nachzulassen, dafür zu sorgen, dass in diesem Land jede und jeder ihren und seinen Glauben frei leben kann.
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Um das zu erreichen, wird diese Regierung eine deutliche Schippe drauflegen müssen.
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Ich finde es immer wieder bedrückend und beschämend, zu sehen, dass Gotteshäuser in diesem Land geschützt werden müssen. Es ist nötig, dass sie geschützt werden; aber es ist beschämend. Stellen wir uns vor – das richte ich an diejenigen, die dem christlichen Glauben anhängen –, wir würden Weihnachten durch Sicherheitsanlagen in die Gottesdienste gehen. Was wäre denn dann in diesem Land los?
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Das zeigt doch, dass da eine Riesenaufgabe vor uns liegt.
Ein letzter Punkt zur Rolle des oder der neuen Beauftragten. Wir dürfen nicht immer nur feststellen, dass es schlecht ist und absehbar schlechter wird. Wir müssen auch etwas dafür tun, dass es besser wird.
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Dazu müssen wir diejenigen unterstützen, die für interreligiösen Dialog und Religionsfreiheit aktiv eintreten.
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Gerade in dieser Woche war der Generalsekretär des Hohen Kommissariats für die Brüderlichkeit im Deutschen Bundestag zu Gast. Das sind Initiativen für Dialog, von denen kaum jemand etwas mitbekommt. Wir müssen sie stärken.
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Das ist unsere Aufgabe.
Dem oder der neuen Beauftragten wünsche ich schon heute eine glückliche Hand und uns allen frohe Feiertage oder schöne Weihnachten, wenn Sie daran glauben.
Vielen Dank.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stehe vor Ihnen als neugewählter Abgeordneter, der sich vermutlich seit dem 26. September unzählige Male gefragt hat, über was er denn zum ersten Mal vor diesem Hohen Haus sprechen wird. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Als Demokrat glaube ich, dass es kein größeres Thema gibt als die Rechte und die Würde des Menschen.
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Als gläubiger Christ weiß ich, dass das Recht auf freie Religionsausübung eines der heiligsten dieser Rechte ist. Ich habe viel darüber nachgedacht, was ich heute sage. Ich möchte mich gleich am Anfang dafür bedanken, dass das Amt des Beauftragten für die weltweite Religionsfreiheit erhalten bleibt. Wir sind davon ausgegangen, dass es abgeschafft wird. Es ist gut, dass Sie es beibehalten, und das ist auch richtig so.
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Weltweite Religionsfreiheit beinhaltet das Recht, den eigenen Glauben zu leben. Sie beinhaltet das Recht, zu konvertieren, wenn man das möchte, den Glauben öffentlich auszuleben und auch das Recht, keinem Glauben anzugehören. Das stellt niemand in Abrede; das ist zentraler Teil dieses weltanschaulichen Rechts, auch für uns. Ich möchte Ihnen auch sagen, dass ich glaube, dass wir in Deutschland sehr wohl wissen, dass wir uns unserer eigenen Verantwortung stellen müssen, die in diesem Fall durch unsere Geschichte begründet ist. Das tun wir. Das haben wir mit der Einführung des Amts gemacht, und das tun wir immer wieder.
Wir wissen – ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie das gesagt haben –, wie sehr Religionen weltweit herausgefordert sind. Ich glaube, jeder von uns hat die Bilder der ermordeten Jesiden und der versklavten Jesidinnen im Kopf. Wir alle haben die Bilder von 200 Millionen Christen auf der ganzen Welt im Kopf, die ihren Glauben nicht frei leben können, die von Verfolgung, Folter und Tod bedroht sind. Wir wissen, dass es den Hindus und den Buddhisten nicht anders geht. Und Antisemitismus ist und bleibt die Geißel der Menschheit. Es ist unser Anspruch, dem entgegenzutreten, immer und überall. Das ist der Anspruch der deutschen Außenpolitik; das ist aber auch der Anspruch von uns Demokraten.
Es gibt wohl keine Religion, die weltweit gelebt wird, die nicht irgendwo auf diesem Globus verfolgt wird. Wir freuen uns darüber, dass Sie das Amt beibehalten, dafür sind wir Ihnen dankbar. Vielleicht haben wir einen kleinen Beitrag dazu geleistet, dass Sie es wirklich machen. Wir wünschen uns, dass Sie dieses Amt, das mit so viel Leben gefüllt worden ist, auch in Zukunft lebendig gestalten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Kollege Geissler, Ihnen ist etwas gelungen, was nicht vielen Abgeordneten in ihrer ersten Rede gelingt, nämlich eine absolute Punktlandung, was die Einhaltung der Redezeit betrifft.
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Ich schließe die Aussprache.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Von 3,6 Prozent auf 3,5 Prozent, von 5,1 Prozent auf 4,0 Prozent, von 5,1 Prozent auf 3,7 Prozent – das sind die in den vergangenen Tagen vorgestellten Anpassungen der Konjunkturprognosen der bekannten deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute für das BIP des kommenden Jahres. Wir sind angesichts dieser Zahlen offensichtlich in der Situation, dass wir noch nicht von einer vollständigen Stabilisierung der Wirtschaft in Deutschland sprechen können. Deswegen verlängern wir heute die Befristungsregelung für den Wirtschaftsstabilisierungsfonds; wir brauchen ihn noch.
Wir schaffen damit Kontinuität in einer immer noch schwierigen Lage. Aber diese Verlängerung erfolgt mit Augenmaß. Daher bleiben die 100 Milliarden Euro für die KfW-Coronasonderprogramme davon unberührt. Wir reduzieren jedoch das Volumen für Garantien des Bundes zur Absicherung von Krediten von 400 Milliarden Euro auf 100 Milliarden Euro, und der Umfang der möglichen Rekapitalisierungen sinkt von 100 Milliarden Euro auf 50 Milliarden Euro. Angesichts der bisher abgerufenen Mittel in Höhe von 8 Milliarden Euro in dieser dritten Säule des WSF bleiben wir mit dem WSF insgesamt handlungsfähig, aber überführen ihn in die finanzpolitischen Realitäten.
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Am wichtigsten ist jedoch: Mit der Befristung des Zeitraums machen wir klar, dass diese Hilfen nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag laufen werden. Damit behalten wir das Ziel des WSF im Blick: die Leistung substanzieller Hilfen nach eingehender Prüfung in akuten Notlagen, der WSF quasi als Ultima Ratio. Sprich: Sobald sich ein Unternehmen wieder konsolidiert hat, zahlt es die Kredite und Einlagen zurück und konkurriert wieder auf dem freien Markt. Das ist uns wichtig. Wir glauben an den Markt und an den Wettbewerb. Wir glauben nicht an staatswirtschaftlichen Dirigismus.
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Nach jeder Hilfestellung muss sich der WSF aus den betroffenen Unternehmen wieder zeitnah zurückziehen. Dieses Ziel erreichen wir. So hatte die Lufthansa in der größten Krise der Luftfahrt mit der Bundesregierung und der EU-Kommission im Sommer 2020 ein 9 Milliarden Euro schweres Rettungspaket ausgehandelt: 3 Milliarden Euro kamen von der KfW, 6 Milliarden Euro vom WSF. In diesem Rahmen erwarb der Bund auch 20 Prozent an der Lufthansa. Damit konnte die Lufthansa stabilisiert und eine sechsstellige Anzahl von Arbeitsplätzen gesichert werden. Schon im Februar dieses Jahres begann die Lufthansa, einen Teil der in Anspruch genommenen Kredite zurückzuzahlen. Mitte November hatte sie sämtliche Kredite – insgesamt 3,5 Milliarden Euro – zurückgezahlt. Der Bund hat schon im August einen Teil seiner Lufthansa-Aktien abgestoßen und ist noch mit 14 Prozent am Konzern beteiligt. Hier wird der Bund bis Oktober 2023 alle seine verbliebenen Anteile verkaufen. Genau so war der WSF gedacht, nämlich dass Unternehmen, die darauf verzichten können, die Hilfen wieder zurückgeben. Das liegt auch im Interesse der Unternehmen. Lufthansa-Chef Carsten Spohr sprach, bezogen auf die Tilgung der Kredite, zuletzt von einem „mentalen Befreiungsschlag“ für sein Unternehmen. Dadurch scheidet letztendlich der Staat als Aktionär aus.
Die vorliegende Verlängerung der Befristungsregelung für den WSF steht in einer Linie mit der beschlossenen Verlängerung der Überbrückungshilfen und der Neustarthilfen. Damit senden wir an die vielen von der Krise betroffenen Unternehmen, Selbstständigen und Beschäftigten das klare Signal: Wir lassen sie in der Krise nicht allein. Der Bund ist da, wenn Unternehmen unverschuldet in Notlage geraten.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zu der Debatte zum vorvorhergehenden Tagesordnungspunkt. Helge Braun hat davon gesprochen, die Ampel setze die Axt an die Schuldenbremse an.
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Allein an dem Handeln beim WSF können Sie erkennen: Wenn öffentliche Gelder nicht gebraucht werden, sind wir als Ampel auch in der Lage, auf Gelder zu verzichten.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Andreas Mattfeldt für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister Habeck! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich zum Wirtschaftsstabilisierungsfonds komme, Herr Habeck, möchte ich Ihnen zur Ernennung zum Minister für Wirtschaft und Klimaschutz ganz herzlich gratulieren. Ich habe gehört: Sie haben ein gut bestelltes Haus übertragen bekommen. Wie es sich in einer Demokratie gehört, ist der Übergang sehr professionell vonstattengegangen.
Den ersten Gesetzentwurf, den Sie in Ihrer neuen Verantwortung einbringen, betrifft die Fortführung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds, den Ihr Vorgänger Peter Altmaier bereits initiiert hat. Sie haben ein paar Anpassungen vorgenommen, die zumindest für mich schlüssig sind, und wollen den Maximalbetrag für Garantien von vormals 400 Milliarden Euro auf 100 Milliarden Euro festlegen. Das kann man machen. Ich glaube, das ist in dieser Phase verantwortbar.
Dass Sie dieses Instrument fortführen, ist eine gute Nachricht, insbesondere für die Unternehmen, aber infolgedessen natürlich auch für die Arbeitnehmer, die beide – das dürfen wir mal sagen – in dieser Pandemie vielfach über sich hinausgewachsen sind. Uns war bei der Konstruktion des WSF wichtig, dass wir ein Signal senden, das Signal, dass man sich auf den Staat verlassen kann. Den Unternehmen, die durch die Coronamaßnahmen unverschuldet in Schwierigkeiten geraten sind, musste geholfen werden. Alles andere wäre verantwortungslos gewesen. Deshalb werden wir diesem Gesetzentwurf zum WSF heute selbstverständlich zustimmen.
Sehr geehrter Herr Minister, wir sollten nicht vergessen, dass wir ebendiesen finanziellen Kraftakt nur stemmen können, weil wir in den vergangenen Jahren vielleicht nicht alles, aber doch sehr vieles richtig gemacht haben. Sie, Herr Habeck, sind für mich der sechste Wirtschaftsminister, den ich als Haushälter begleite. Ich freue mich auf die anstehenden Haushaltsberatungen mit Ihnen. Ich kann Ihnen versprechen: Wir werden in den kommenden Wochen und Monaten viel miteinander zu tun haben. Ich fand es toll – das darf man vielleicht auch mal sagen –, dass Sie bei Ihrer Antrittsrede im Ministerium gesagt haben, dass das bessere Argument gewinnen soll, und hinzugefügt haben: nur geschlagen von dem noch besseren. Ich kann Ihnen versichern: Sie werden aus den Reihen der Unionsfraktion, auch von mir ganz persönlich, nur noch bessere Argumente hören, die Sie dann hoffentlich aber auch aufnehmen.
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Ein wenig verwundert war ich allerdings, Herr Minister, dass Ihre anscheinend zweite Amtshandlung erst einmal die Schaffung von 28 neuen hochdotierten Personalstellen hauptsächlich für das Amt des Vizekanzlers war. Da haben Sie fast ein Ministerium im Ministerium geschaffen; das muss man erst mal bringen. Sie befinden sich hier aber – das darf man vielleicht auch mal sagen – in guter Tradition mit einem Ihrer Amtsvorgänger, mit Sigmar Gabriel, der auch sofort nach Amtsantritt für die Vizekanzlerschaft Stellen geschaffen hat. Aber ganz ehrlich: Der war bescheidener als Sie; so opulent hat er das nicht gemacht, und das soll schon was heißen. Übrigens wurde die Zahl der Stellen im Ministerium nie zurückgefahren, sodass Sie nun im Wirtschaftsministerium rein rechnerisch zwei Vizekanzlerabteilungen haben. Das ist schon großartig, wie ich finde.
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Ich darf an dieser Stelle sagen: Mir machte auch der Stellenaufwuchs bei der vorherigen Regierung große Sorge.
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– Otto, ich habe schon während der vorherigen Regierungszeit gefordert, dass wir Haushälter vielleicht eine jährliche 1-prozentige Stelleneinsparung ausweisen müssen. Seinerzeit, lieber Otto, gab es da großen Applaus bei euch. Heute ist das anscheinend anders.
Herr Habeck, ich würde mich freuen, wenn Sie neben dem sicherlich auch in der Union unumstritten notwendigen Thema Klima nicht vergessen, dass die Industrie, dass das Handwerk, dass der Handel, dass der Tourismus, dass der gesamte Mittelstand das Brot-und-Butter-Geschäft Ihres Hauses ist. Bitte lassen Sie, wenn Sie auf den Klimaschutz schauen, diese wichtigen Bereiche nicht verkümmern. Legen Sie den Unternehmen nicht Fesseln an, sondern entfesseln Sie diese mit Ideenreichtum! Dann wissen Sie die Union, dann wissen Sie mich als Ihren Haushälter und Hauptberichterstatter an Ihrer Seite.
In diesem Sinne: Herzlichen Dank!
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Zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun die Kollegin Verena Hubertz für die SPD-Fraktion das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war selbst Unternehmerin und weiß, wie schwer es ist, dranzubleiben, auch in schwierigen Zeiten, wie es ist, wenn man mal eine Nacht oder mehrere Nächte nicht schlafen kann, weil man sich überlegt, wie man Gehälter und auch Rechnungen zahlt. Natürlich plant man langfristig, mit Businessplanungen und vielen Excel-Tabellen; aber manche Dinge kann man eben nicht planen. Dazu gehört eine Krise, erst recht eine Pandemie.
Dieses Virus hat erst mal den Stoppknopf für uns alle gedrückt: die Familien, die Kinder, das Gesundheitswesen, aber natürlich auch für die Wirtschaft und unsere Unternehmen. Wir sind auf einmal alle zu Hause geblieben, wir wollten solidarisch sein. Aber die Reiseindustrie, der Einzelhandel, die Gastronomie, die Hotellerie – um hier nur mal ein paar Branchen zu nennen – haben es natürlich mit aller Wucht gespürt. Und deswegen war es auch richtig, dass wir als Politik geholfen haben – flexibel, pragmatisch und auch solidarisch.
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Das waren die Überbrückungshilfen, das war das Kurzarbeitergeld.
Aber in der Krise muss man auch einmal neue Wege gehen und nicht an morgen, sondern direkt an übermorgen denken; denn irgendwann einmal müssen wir aus der Krise herauskommen. Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds ist solch ein langfristiges Vehikel, ein Instrument mit Mut anstatt mit Gießkanne. Wir haben damit ein zielgenaues Hilfskonstrukt geschaffen. Es gibt ja Unternehmen, die nicht zur Sparkasse um die Ecke gehen können, und damit ist es geklärt. Es gibt Unternehmen, die nicht in die vielen Coronahilfen hineingepasst haben. Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds bietet einen Baukasten, in dem jede Menge drin ist, unter anderem Kredite und Bürgschaften, aber auch die stille Beteiligung. In der Krise sehen wir als Staat in unseren Unternehmen primär die Chancen und nicht nur die Sanierungsfälle, und das ist genau richtig.
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Das Instrument der stillen Beteiligung will ich hier einmal erläutern. Es ist eine Eigenkapitalfinanzierung. Wir als Staat gehen hin und übernehmen Unternehmensanteile. Das bedeutet: Wenn es wieder bergauf geht, dann partizipieren wir an dem Erfolg. Das war eine der Lehren aus den Rettungsmaßnahmen mit Blick über den Atlantik. Die Obama-Regierung hat das in der einen oder anderen Krise sehr erfolgreich praktiziert, und einige dieser Erkenntnisse sind beim Aufsetzen dieses Programms eingeflossen. Das ist es, was wir uns vorstellen: der Staat als gemeinwohlorientierter Ankerinvestor unserer sozialen Marktwirtschaft, auch in Krisenzeiten.
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Das Beispiel Lufthansa, von dem wir eben schon gehört haben, zeigt doch, dass das geklappt hat. Wir haben die Jobs gerettet. Wir haben aber auch dafür gesorgt, dass wir, wenn wir aus dieser Pandemie herauskommen, langfristig an den Gewinnen partizipieren. Das eine ist eine wirtschaftliche Rendite, das andere ist die soziale Rendite, und die ist mir als Sozialdemokratin besonders wichtig.
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Ich bitte Sie, gleich zuzustimmen, wenn wir dieses Instrument bis zum 30. Juni 2022 verlängern. Wir wollen – und das ist im Rahmen der von der EU-Kommission gesetzten Rahmenbedingungen möglich – das Volumen nochmals anpassen, weil wir, wie gesagt, die Mittel nicht in vollem Umfang benötigen. Wir gehen auf 150 Milliarden Euro herunter.
Zum Abschluss möchte ich hier noch einen Appell an alle richten: Natürlich sind wir in einer Pandemie, natürlich sind wir in einer Krise. Und wir kommen nur miteinander da heraus. Deswegen: Lassen Sie sich impfen, impfen, impfen! Werben Sie dafür in Ihrem Umfeld! Das ist der einzige Weg heraus. Man kann auch noch einen persönlichen Beitrag zur Abmilderung dieser ökonomischen Krise leisten. Ich weiß nicht, ob Sie schon alle Ihre Geschenke für den Weihnachtsbaum oder andere Feierlichkeiten haben; ich noch nicht. Vielleicht denken wir alle mal an den lokalen Handel vor Ort und nicht nur an den Onlineriesen und besorgen dort noch das eine oder andere.
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Herzlichen Dank. Gemeinsam kommen wir da wieder raus.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Michael Espendiller für die AfD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und bei Youtube! Und ganz besonders: Liebe Genossen von der FDP! Stellen Sie sich vor, Ihre Familie hat Ihnen nach 80 oder 100 Jahren Existenz die Verantwortung für das Familienunternehmen anvertraut, und jetzt müssen Sie hilflos zuschauen, wie dieses Unternehmen stirbt. Es stirbt, weil eine Regierung nach der anderen ihm die Lebensgrundlage entzieht. – Das ist keine Fiktion. Der deutsche Mittelstand ist in Auflösung begriffen. Traditionsreiche Firmen müssen dichtmachen und sich von verdienten und langjährigen Mitarbeitern trennen. Die staatlichen Coronamaßnahmen wirken dabei wie ein Booster für diese zerstörerische Entwicklung.
Leider wird auch die neue Ampelregierung diesen Prozess eher beschleunigen als bremsen. Zwar geht es in dem hier vorgelegten Gesetzentwurf um die Verlängerung von wirtschaftlichen Stabilisierungsmaßnahmen, die sonst zum Jahresende auslaufen würden. Doch diese Instrumente sind zu bürokratisch und helfen zuvorderst den Großen und eben nicht dem Rückgrat unserer Wirtschaft, dem deutschen Mittelstand.
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Sie vergessen bei der Verteilung Ihrer milden Gaben nämlich all jene kleinen und mittleren Unternehmen, die im letzten Existenzkampf gar nicht mehr die Kraft haben, sich mit Ihrer Bürokratie herumzuschlagen. Und genau jetzt, zur selben Zeit, trudeln bei den Mittelständlern die Rückforderungsbescheide zu Coronahilfen aus dem ersten Lockdown im März 2020 ein. Der Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland befürchtet, dass das für viele Betriebe der Todesstoß sein wird. Dagegen, werte Kollegen, unternehmen Sie leider nichts, und das ist verantwortungslos.
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Das passt aber leider auch zu einer Politik, die die Lebenswirklichkeit der Unternehmer nicht mehr kennt und nicht mehr versteht. Der Mittelstand ist der Hauptarbeitgeber in Deutschland. Er besteht aus 40 Millionen Menschen, die zum selbstständigen und angestellten Mittelstand gehören. Diese Menschen dürfen wir nicht vergessen. In der Coronamaßnahmenzeit haben wir bereits mehr als 300 000 Selbstständige verloren. Ihre Zahl ist damit auf rund 3,9 Millionen gefallen. Das ist der tiefste Stand seit 25 Jahren. Das ist ein riesiger struktureller und innovativer Aderlass, der uns alle hier alarmieren muss.
Wir in diesem Hohen Haus haben die Aufgabe, auch an die kleinen und mittelständischen Unternehmen zu denken. Und da diese von dem hier vorgelegten Gesetzentwurf leider nur mangelhaft profitieren, können wir uns leider auch nur enthalten, wenngleich wir Ihr Bemühen um die Sicherstellung der Liquidität von Firmen zum Erhalt größerer Strukturen durchaus anerkennen. Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf auch nicht ab; denn die AfD will die deutsche Wirtschaft unterstützen.
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Aber wir wenden uns ausdrücklich gegen den Umbau unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zulasten des Mittelstandes und zulasten unserer bürgerlichen Freiheiten. Wir appellieren daher an Sie, werte Kollegen der Ampel: Haben Sie auch endlich mal ein Herz für die kleinen Selbstständigen in Deutschland!
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Zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun die Kollegin Jamila Schäfer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren! Wir befinden uns immer noch mitten in einer Pandemie. Kliniken, Pflegerinnen und Pfleger, Ärztinnen und Ärzte sind am Rande ihrer Belastungsgrenze oder schon weit darüber hinaus, und wir sind es ihnen schuldig, dass wir konsequente Maßnahmen ergreifen, um diese Pandemie zu bekämpfen. Ich bin froh, sagen zu können: Alle demokratischen Parteien dieses Hauses sind sich darüber einig. Und das ist wichtig; denn wir müssen zusammenstehen gegen die Ideologen von rechts außen, die die Ängste der Menschen für ihren Machterhalt instrumentalisieren. Das ist an Schäbigkeit und Menschenverachtung nicht zu überbieten.
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Angesichts gefährlicher Virusvarianten, einer viel zu niedrigen Impfquote und der Lage auf den Intensivstationen sind wir weiterhin zu Kontaktbeschränkungen verpflichtet. Veranstaltungen müssen abgesagt werden, und wir müssen massiv in den Alltag der Menschen eingreifen.
Wir wissen, dass diese notwendigen Beschränkungen auf viele Branchen und Betriebe sehr negative, teils sehr tragische Auswirkungen haben. Viele Unternehmen sind unverschuldet in Not geraten, und wichtige Wirtschaftszweige – wie zum Beispiel die Veranstaltungsbranche, die Tourismusbranche, die Transportbranche und die Gastronomie – sind ganz besonders hart getroffen. Viele Unternehmen können nicht mehr vernünftig wirtschaften.
Was heißt das? Das heißt, dass viele Menschen da draußen gerade Angst haben, ihren Job zu verlieren. Das heißt, dass viele Eltern Angst davor haben, ihre Kinder nicht mehr ordentlich versorgen zu können, dass Auszubildende ihre Stelle verlieren und damit natürlich auch ihre berufliche Zukunft. Das sind die echten menschlichen Schicksale, die hinter so abstrakten Begriffen wie einer „abflauenden Konjunktur“ stecken.
Für die vielen kleinen Betriebe, die durch die notwendigen Kontaktbeschränkungen straucheln, haben wir die Unternehmenshilfen auf den Weg gebracht, und das ist gut so. Aber wir brauchen auch Hilfen und Instrumente für größere Unternehmen; denn auch sie sichern zahllose Arbeitsplätze und leisten einen großen Beitrag zur Stabilität der Wirtschaft, die gesichert werden muss.
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Wir dürfen deshalb nicht zulassen, dass die erfolgreichen stabilisierenden Maßnahmen mitten in der Pandemie auslaufen. Solange es die gravierenden Einschränkungen gibt, die unsere Unternehmen, aber auch Arbeitsplätze und Einkommen gefährden, brauchen wir sie. Heute können wir gemeinsam dafür sorgen, dass die Handlungsfähigkeit unseres Wirtschaftsstabilisierungsfonds auch nach dem 31. Dezember 2021 noch sichergestellt ist. Wir müssen dieser Verantwortung heute gerecht werden. Daher plädieren wir dafür, der Verlängerung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds bis Mitte des nächsten Jahres zuzustimmen.
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Aber – das möchte ich auch ganz deutlich sagen – es kann nicht sein, dass die Allgemeinheit für wirtschaftliche Risiken aufkommt und dass die Vermögen von privaten Eigentümern ohne Gegenleistung gerettet werden. Es ist nicht zu viel verlangt, dass bei den Unternehmen, die sich unter den Schutzschirm stellen, auch die Eigentümerseite zur Rettung beiträgt. Daher dient die Verlängerung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds auch der Stabilisierung der Wirtschaft und nicht der Stabilisierung von Managerboni.
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Wir werden alles dafür tun, im Haushaltsausschuss sicherzustellen, dass kein Steuergeld für Dividendenzahlungen an Aktionäre gegeben wird. Das Geld muss da landen, wo möglichst viele Menschen profitieren, und nicht nur einige wenige.
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Wir reden gerade über die Stabilität unserer Arbeitsplätze, unserer Einkommen und unserer Wirtschaft. Deshalb ist es eben nicht egal, wofür diese Gelder ausgegeben werden; denn zur Stabilität unseres Wirtschaftens gehört nicht nur die Rettung von Unternehmen und Jobs, sondern auch die Rettung unserer Ökosysteme. Darum muss klar sein: Wer sich unter unseren Rettungsschirm stellt, der muss sich auch mit uns gemeinsam auf den Pfad der Klimaneutralität begeben, denn es gibt keinen Wohlstand ohne den Schutz unserer Lebensgrundlagen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch für die Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die neue Koalition nennt sich nun „Fortschrittskoalition“. Darum prüfen wir jedes Gesetz, ob es diesem Anspruch auch gerecht wird. Was dieses Gesetz betrifft, sage ich: Es ist kein Fortschritt!
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Ja, wir haben im März 2020 dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds zugestimmt. Was waren unsere Gründe? Wir wollten möglichst viele Arbeitsplätze retten. Doch dem Gesetz – das habe ich auch seinerzeit in der Rede gesagt – fehlten damals schon klare soziale und ökologische Regelungen, und die vermissen wir auch in dem neuen Gesetz. Das kann nicht gehen, meine Damen und Herren.
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Die Lufthansa – das ist schon von der FDP erwähnt worden – wurde mit Steuergeldern gerettet, aber das Management hat daraufhin Tausende Beschäftigte entlassen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bleiben durften, mussten kräftige Geldeinbußen hinnehmen. Auf der anderen Seite war das Management nicht bereit, die Öffentlichkeit über seine Aktivitäten in Steueroasen zu unterrichten. Das ist nicht hinzunehmen! Das passt nicht zusammen.
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Wenn hier schon die KfW erwähnt worden ist, will ich doch einmal der Öffentlichkeit sagen, dass in der KfW – also der Kreditanstalt für Wiederaufbau, unserer staatlichen Förderbank – sehr viel Geld bewegt wird. Im Jahr 2020 zum Beispiel waren es 135 Milliarden Euro an Förderung. Im Verwaltungsrat der KfW sind aber nicht alle Parteien vertreten, und das ist demokratisch nicht hinnehmbar, meine Damen und Herren.
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Die Großen hatten es leicht, an diese Fördergelder zu kommen. Ich bin immer wieder entsetzt, mit welchem bürokratischen Aufwand kleine und mittlere Unternehmen zugeschüttet werden und wie bedingungslos große Konzerne Milliarden an Steuergeldern bekommen. Das darf so nicht weitergehen, meine Damen und Herren.
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Fortschritt muss heißen: klare soziale und ökologische Vorgaben. Doch diesen Fortschritt kann ich in diesem Gesetz leider nicht erkennen.
Meine Damen und Herren, es ist Zeit für mehr Solidarität. Es ist Zeit, dass die Vermögenden ihren Beitrag leisten. Es ist Zeit für eine Vermögensabgabe.
Herzlichen Dank.
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Zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun die Kollegin Kathrin Michel für die SPD-Fraktion das Wort.
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Sehr verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Cesceni knjenje a knjeza! Wirtschaftsstabilisierungsbeschleunigungsgesetz – zugegebenermaßen, davon habe ich nicht geträumt, als ich darüber nachdachte, worüber ich meine erste Rede im Bundestag halten werde.
({0})
Doch der Inhalt des Gesetzes ist klar und deutlich: Es geht im Kern dieser Debatte um nicht weniger als eine krisenbedingt notwendige Stabilisierung unserer heimischen Wirtschaft, die Stabilisierung von Unternehmen, die von den Auswirkungen der anhaltenden Covid-19-Pandemie existenziell betroffen sind, und nicht zuletzt auch um den Schutz von Arbeitsplätzen derjenigen Menschen, die Tag für Tag ihre Arbeit leisten und damit unsere Wirtschaftskraft prägen, die zu Recht in der ganzen Welt Anerkennung findet.
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Corona stellt uns weiterhin vor immense Herausforderungen. Viele medizinische Fachkräfte kämpfen täglich weit über ihre Kräfte hinaus um das Leben von Patientinnen und Patienten, die auf Intensivstationen behandelt werden müssen. Dass wir den Gesundheitsbereich schnellstmöglich und nachhaltig entlasten und die angemessene Versorgung von Menschen gewährleisten, die schwer krank oder verletzt sind oder sich einer notwendigen Operation unterziehen müssen, hat höchste Priorität.
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Zugleich wirkt sich die Pandemie auch auf weitere Bereiche aus, die wir im Zuge der Krisenbewältigung nicht außer Acht lassen dürfen. Unternehmerinnen und Unternehmer erleben in Anbetracht der europa- und weltweiten gesamtwirtschaftlichen Lage auch weiterhin eine ökonomische Unsicherheit, der wir als Gesetzgeber und Gesetzgeberin etwas entgegensetzen müssen. Wir wollen und müssen das Vertrauen in die Reaktions- und Handlungsfähigkeit des Staates angesichts der anhaltenden Coronakrise stärken. Ja, wir haben die Pflicht, Lösungen auch für diese bestehende ökonomische Unsicherheit zu bieten.
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Aus diesem Grund stellen wir die Handlungsfähigkeit des Wirtschaftsstabilisierungsfonds auch über den 31. Dezember 2021 hinaus sicher. Die in unserem Gesetzentwurf vorgesehene Verlängerung der Befristungsregelung im Stabilisierungsfondsgesetz schafft die notwendige gesetzliche Grundlage zur Gewährung der Stabilisierungsmaßnahmen durch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds für ein weiteres halbes Jahr, eben bis zum 30. Juni 2022. Wir führen in diesem Zusammenhang eine Antragsfrist bis zum 30. April 2022 ein, um Unternehmen im speziellen Bedarfsfall im besagten Zeitraum die entsprechenden Hilfen gewähren zu können.
Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf gewährleisten wir, dass Härten der Pandemie abgemildert werden und betroffenen Unternehmen die Sicherheit geboten wird, die sie auch in den kommenden Monaten dringend benötigen werden.
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Im Zentrum steht, die Solvenz der Unternehmen zu erhalten; Arbeitsplätze können gesichert werden, und somit entfaltet das Gesetz auch die nötige arbeitsmarktpolitische Wirkung.
Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds wurde bereits 2020 eingerichtet. Auch ich habe hier das Beispiel der Deutschen Lufthansa AG auf dem Zettel: Die stillen Rücklagen des Bundes konnten vorzeitig zurückgezahlt werden. Das zeigt sehr deutlich, dass das hier diskutierte Instrument wirkt.
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Es bietet die entscheidende Brücke für Unternehmen, um aus der finanziellen Hilfsbedürftigkeit rasch zur unternehmerischen Selbstständigkeit zurückzufinden. Es stabilisiert unsere Wirtschaft wie auch den Arbeitsmarkt nachhaltig. Zugleich ist die Belastung der öffentlichen Haushalte bei Anwendung dieser Maßnahme begrenzt, auch durch die im Fonds vorgesehene Möglichkeit, staatliche Beteiligungen an Unternehmen zu erwerben und Garantieprämien zu erheben.
In diesem Zusammenhang zitiere ich abschließend unseren Bundeskanzler Olaf Scholz: „Kluge Politik zahlt sich aus.“ Ja, kluge Politik zahlt sich in der Tat aus. Sie zahlt sich aus für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sie zahlt sich aus für die Stärkung unserer Wirtschaftskraft. Es zeigt sich deutlich, dass das Gesetz genau den Rahmen bietet, den wir brauchen, um weiterhin gemeinsam die Krise zu bewältigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie es uns gemeinsam angehen; denn nur so werden wir Erfolg haben.
Vielen Dank und Glück auf!
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Sebastian Brehm das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetz sollen die Coronahilfen für Unternehmen und die Stabilisierungsmaßnahmen bis 30. Juni 2022 verlängert werden. Das ist notwendig angesichts der weiter anhaltenden Pandemie. Wir werden insbesondere unsere Mittelständler in Deutschland hier nicht im Regen stehen lassen. Das ist selbstverständlich, übrigens auch in unserer neuen Rolle als Opposition. Deshalb stimmen wir heute diesem Gesetz zu.
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Immerhin ist es eine Verlängerung des von der CDU/CSU initiierten und eingeführten Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Coronabedingte Stabilisierungsmaßnahmen waren zunächst bis 31. Dezember 2021 begrenzt und werden nun richtigerweise bis 30. Juni 2022 verlängert. So weit ist alles okay. Aber drei Dinge machen mir große Sorgen.
Erstens. Die Beantragung der Hilfen wird nur bis zum 30. April genehmigt – keine Fristverlängerung, obwohl das Programm bis 30. Juni 2022 läuft. Das ist unsystematisch, liebe Kolleginnen und Kollegen, übrigens handwerklich falsch und zeugt davon, dass Sie nicht aus der Praxis kommen und wissen, welche Belastungen hier auf den Mittelstand zukommen, insbesondere weil auch im ersten Quartal 2022 die Schlussrechnungen für 2020 und 2021 vorgenommen werden müssen.
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Zweitens. Sie haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass Sie die Schuldentilgung von 20 Jahren um weitere 16 Jahre auf 36 Jahre verlängern. Und Sie sprechen von nachhaltiger Haushaltspolitik! Das ist keine nachhaltige Haushaltspolitik, sondern belastet die nächsten Generationen maßgeblich.
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Drittens – das macht mir die allergrößten Sorgen –: Niemand weiß, wie die Ampelkoalition dies finanzieren will. Es liegt kein Finanztableau vor. Die FDP hätte das übrigens in ihrer damaligen Rolle nie durchgehen lassen und sofort kritisiert. Heute kommt der Finanzminister von der FDP und legt kein Finanztableau vor; er macht also eine intransparente Haushaltspolitik. Herr Habeck wurde im ZDF gefragt und hat gesagt, ja, es gäbe wohl eine Finanzplanung, aber in der Tat hätte man die vielleicht offenlegen müssen. Gleichwohl: keine Offenlegung und kein Finanztableau.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer keine Offenlegung und keine transparente Haushaltspolitik macht, der hat etwas zu verschweigen – oder steht zumindest im Verdacht, etwas verschweigen zu wollen. Deswegen frage ich mich: Warum? Die Antwort ist ganz einfach: Sie wollen offiziell und offensichtlich mit der Nichtvorlage der Finanzplanung die Schuldenbremse umgehen. Der Kollege Dürr hat in der Diskussion im Bundestag gesagt: Es gibt keine Neuverschuldung. – In der Tat gibt es eine Neuverschuldung von 60 Milliarden Euro. Das ist die Wahrheit, und das müssen Sie auch in der Debatte sagen.
({3})
Was noch viel schlimmer ist: Sie ändern die Buchungsregeln für dieses Sondervermögen. Vereinfacht für die Bürgerinnen und Bürger heißt das: Das Geld in diesem Sondervermögen kann ohne Beteiligung des Haushaltsausschusses für alles andere verwendet werden, außer für die Coronamaßnahmen.
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Sie bunkern damit Geld im Haushalt für Wahlgeschenke 2023, 2024.
Wenn Ausgaben gemacht werden, muss der Haushaltsausschuss hier beteiligt werden. Das ist aus meiner Sicht eine Umgehung des Haushaltsrechts des Deutschen Bundestages, und das werden wir Ihnen auch nicht durchgehen lassen. Das muss verfassungsrechtlich geklärt werden.
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Kollege Brehm, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Fricke?
Selbstverständlich, gerne. Jawohl.
Herr Kollege Brehm, Sie sind mir als Regierungspolitiker wirklich immer als ein fachlich ausdifferenzierter Kollege erschienen. Das fand ich auch immer sehr gut, selbst wenn man unterschiedlicher Meinung ist. Deswegen würde ich Sie gerne darauf hinweisen, dass Sie von zwei völlig verschiedenen Dingen reden, sie bewusst durcheinanderbringen.
({0})
Erstens. Zu dem, was Sie bei diesem Gesetzentwurf hier kritisiert haben, die Frage des Auseinandergehens der Frist für die Antragstellung und des Zeitpunkts, bis zu dem der Fonds noch arbeitet, darf ich Sie darauf hinweisen, dass, wenn dem Wunsch der CDU gefolgt wird, die Antragspflicht bis Ende Juni fortzusetzen, Anträge, die Ende Juni eingehen, noch im Juli bearbeitet werden müssten. Dann werden Sie uns Ende Juni sagen, wir müssen aber den Fonds noch weiter verlängern; denn sie müssen bearbeitet werden.
({1})
Zweitens. Herr Kollege Brehm, könnten Sie mir sagen, welchen Änderungsantrag dieser Art die CDU im Ausschuss oder hier im Plenum gestellt hat, um dies angeblich zu verhindern?
Drittens. Neue Schulden werden nicht gemacht; die Kreditermächtigung bleibt auf dem Niveau, auf dem sie ist. Im Haushalt streichen wir Kreditermächtigungen von 50 Milliarden Euro, und darüber hätten Sie reden können.
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Herzlichen Dank. Sie verlängern damit auch meine Redezeit. – Um es noch einmal zu erläutern: Erstens. Bisher war es immer so, dass die Antragsfristen auch mit der Laufzeit des Programms gleichlautend waren.
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– Genau. – Das kürzen Sie jetzt bewusst, um die Unternehmer und diejenigen, die die Anträge bearbeiten müssen, noch mehr unter Druck zu setzen.
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– Nein, eben nicht. Sie haben es doch verkürzt. 1. Januar bis 30. April ist kürzer als 1. Januar bis 30. Juni. Das ergibt sich doch schon alleine aus der Mathematik.
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Insofern: Da werden Sie, glaube ich, nachbessern müssen. Es wird im Frühjahr dazu kommen, mit den Schlussabrechnungen, mit dieser großen Belastung des Mittelstands, dass Sie die Fristen verlängern müssen. Sie müssen dann nicht das Programm verlängern, aber die Beantragungsfristen müssen Sie verlängern.
Übrigens: Je mehr Sie die Antragsfristen verkürzen, desto mehr Schätzungen wird es geben, weil man das natürlich für den fünften und sechsten Monat schätzen muss, das heißt, desto mehr Unsicherheit gibt es im deutschen Mittelstand auch bei der Schlussabrechnung und Rückzahlung. Sie gehen das bewusst ein. Wir haben das diskutiert. Wir haben das auch in der ersten Lesung angesprochen; aber Sie wollten hier keine Änderung vornehmen. Also macht es letztlich auch gar keinen Sinn, jetzt einen Antrag zu stellen, wenn man weiß, dass Sie ihn eh ablehnen.
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Also wenn, dann müssen Sie es schon einfach mit aufnehmen. Aber Sie werden es eh machen müssen. Das wird sich im Laufe der Zeit im Frühjahr auch ergeben.
Außerdem: Sie nehmen sehr wohl 60 Milliarden Euro neue Schulden auf, und Sie ändern sehr wohl die Buchungsregelung für dieses Sondervermögen. Also, das können Sie nicht bestreiten. Es liegt auch kein Finanztableau vor; das können Sie nicht bestreiten. Also machen Sie intransparente Haushaltspolitik, Sie zeigen uns nicht auf, wie Sie das letztendlich finanzieren, und Sie geben auch nicht in den Haushaltsausschuss, wie Mittel, die hier noch frei bleiben, dann ausgegeben werden. Das ist doch der Vorwurf. Das hätten Sie, wenn Sie in der damaligen Rolle gewesen wären, niemals durchgehen lassen.
Die Reden vom Kollegen Dürr, die Reden von Ihnen, die Reden von der gesamten FDP, vom Herrn Kollegen Lindner hätte ich eins zu eins heute hier halten können. Sie haben innerhalb von fünf Tagen eine komplette Kehrtwendung bei ihren finanzpolitischen, haushaltspolitischen Grundsätzen gemacht. Das ist die Wahrheit, und das muss man an einem solchen Tag leider auch einmal sagen können.
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Summa summarum: Die Verlängerung wird kommen müssen, aus praktischen Gründen. Man wird aber diese Haushaltspraxis und diese Intransparenz letztlich auch in Karlsruhe prüfen müssen. Dann bin ich gespannt, was dabei herauskommt. Ich denke, dass Sie hier nachbessern werden müssen. So lassen wir Ihnen das nicht durchgehen.
Herzlichen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Zuhörende! Eines der beliebtesten Gedichte der Deutschen heißt „Stufen“. Der Titel ist nicht so bekannt; aber den Satz „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, den kennen sehr viele.
Er passt zu diesem Tag in verschiedener Hinsicht: Politisch, weil die neue, erste Ampelkoalition auf Bundesebene ihre Arbeit aufgenommen hat und zeigt: Sie will etwas bewegen – und, so hoffe ich, sie wird auch viel bewegen.
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Aber auch für mich persönlich passt dieser Satz; denn dies ist meine erste Rede als Bundesfamilienministerin in diesem Hohen Hause, und das gleich zu einem Thema, das mir wirklich sehr am Herzen liegt. Es geht um eine gute, zuverlässige Kinderbetreuung, die Kinder und Familien stärkt. Dafür hat die letzte Bundesregierung mit dem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder die Weichen gestellt. Jetzt ist der Zug aus dem Bahnhof. Aber es liegt in den kommenden Jahren noch eine lange Strecke vor uns. Deshalb sorgen wir heute dafür, dass unser Ganztagszug richtig ins Rollen kommt.
Ich möchte mich zunächst einmal ganz herzlich bei den Fraktionen und dort insbesondere bei den Berichterstatterinnen und Berichterstattern bedanken, dass sie diesen Gesetzentwurf eingebracht haben. Er ist wahrlich ein Entwurf aus der Mitte des Parlaments.
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Wir verlängern mit diesem Gesetzentwurf die Fristen für die erste Tranche der Investitionsmittel für den Ausbau von Ganztagsschulen. Die Länder erhalten damit ein Jahr mehr Zeit, um die insgesamt 750 Millionen Euro abzurufen, die der Bund seit Ende 2020 bereitstellt. Das fordern auch der Bundesrat und die CDU/CSU-Fraktion in ihren jeweiligen Gesetzentwürfen. Aber wir gehen darüber noch hinaus, indem wir die Förderstruktur vereinfachen. Wir schlagen die zusätzlichen Bonusmittel in Höhe von noch einmal 750 Millionen Euro den Basismitteln im Ganztagsfinanzhilfegesetz zu. Somit sind zukünftig 2,75 Milliarden Euro im Topf.
Damit setzen wir erstens eine Forderung des Koalitionsvertrages um.
Zweitens kommen wir damit den Ländern entgegen. Sie benötigen mit Blick auf die besonderen Herausforderungen der Coronapandemie, des Baustoff- und des Fachkräftemangels einfach mehr Zeit, um die Investitionsmittel abzurufen.
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Drittens – auch das ist wichtig – bauen wir mit dem Gesetz Bürokratie ab und schaffen mehr Planungssicherheit für Länder und Kommunen, was die Bundesmittel für den Ganztagsausbau angeht.
Meine Damen und Herren, was wir heute zur Abstimmung vorlegen, ist der nächste Schritt auf dem Weg zu einer verlässlichen, guten Ganztagsbetreuung in unserem Land. Dass wir nur wenige Tage nach der Regierungsbildung schon diesen Schritt gehen, freut mich.
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Aber ich sage auch: Das ist heute nur der Anfang. Gemeinsam mit meinem Haus und Ihnen, liebe Abgeordnete, will ich in den kommenden Jahren dafür arbeiten, dass wir unseren Koalitionsvertrag umsetzen.
Wir wollen das Gute-KiTa-Gesetz fortentwickeln und bis Ende der Legislatur in ein Qualitätsentwicklungsgesetz überführen.
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Wir wollen die Kindergrundsicherung auf den Weg bringen. Wir wollen den Ausbau der Ganztagsangebote für Grundschulkinder gemeinsam mit den Ländern voranbringen. Dabei geht es nicht nur um zusätzliche Horträume. Ich weiß: Gebäude sind wichtig. Es heißt nicht umsonst: Der Raum ist der dritte Pädagoge. – Es geht auch um Qualität. Es geht um Förder- und Freizeitangebote, die Kinder wie Pädagoginnen und Pädagogen wie Eltern überzeugen. Es geht um Lern- und Lebensorte, an denen sich unsere Kinder wohlfühlen und die von den Kindern her gedacht und konzipiert sind.
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Das geht nicht ohne Personal. Deshalb werden wir eine Gesamtstrategie auf den Weg bringen, um mehr Fachkräfte zu gewinnen und im Beruf zu halten, und noch einiges mehr.
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Das alles kann der Bund nicht alleine leisten. Das ist eine gesamtstaatliche Aufgabe, für die es eine gemeinsame Kraftanstrengung braucht. Das Gute ist: Wir wissen, wofür wir das tun – für gute, faire Bildungschancen für alle Kinder und für eine gute Vereinbarkeit, auf die sich Eltern verlassen können, damit sie ihre Kinder auf ihrem Weg in unsere Gesellschaft gut begleiten können, Schritt für Schritt und Stufe für Stufe.
Lassen Sie mich abschließend ausdrücklich für die Begleitung bei diesen vielen Schritten und Stufen denjenigen danken, die tagtäglich in den Schulen dafür sorgen – und zwar angefangen bei den Hausmeistern über die Reinigungskräfte, die Lehrkräfte, die Schulsozialarbeit bis zu den Schulleitungen und der Verwaltung –, dass unsere Kinder tagtäglich gut lernen, gut aufwachsen können und sie mit diesem Bildungsangebot einen Anker der Stabilität und Geborgenheit in dieser schwierigen Coronapandemie haben.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Dorothee Bär für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich ganz herzlich den beiden neuen Ministerinnen, die in der Debatte gesprochen haben bzw. gleich sprechen werden, zu ihrem neuen Amt gratulieren. Liebe Frau Spiegel, liebe Frau Stark-Watzinger, herzlichen Glückwunsch, alles Gute! Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen. Es wird in den nächsten Jahren sicherlich an der einen oder anderen Stelle in der Sache auch hart zugehen, aber immer angemessen im Ton. Beim heutigen Thema müssen wir noch nicht streiten, weil Sie dankenswerterweise aus unserem Antrag abgeschrieben haben.
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Wir haben gemeinsam am Ende der letzten Legislaturperiode beschlossen, die Nachmittagsbetreuung für Grundschulkinder auszubauen, und ab 2026 kommt der Rechtsanspruch. Das ist ein wirklicher Meilenstein für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und auch ein maßgeblicher Beitrag für mehr Bildungsgerechtigkeit in unserem Land. Das ist uns wichtig, weil es eine echte Entlastung für den Kern unserer Gesellschaft ist – für die Mütter und Väter in unserem Land, die jeden Tag unser Land am Laufen halten –, und es ermöglicht – und das ist meiner Fraktion ganz besonders wichtig – echte Wahlfreiheit.
Wir haben zugesagt, dass die notwendigen Voraussetzungen geschaffen und Mittel bereitgestellt werden. Mit dem Gesetzentwurf der Regierungskoalition zur Änderung des Ganztagsfinanzierungsgesetzes und des Ganztagsfinanzhilfegesetzes wird jetzt endlich – ich sage „endlich“, weil es jetzt kurz vor Jahresende kommt – die Frist für die Kommunen zum Abruf der Mittel aus dem Ganztagsausbaufonds verlängert. Das begrüßen wir ausdrücklich.
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Wir begrüßen es, weil wir damit wirklich auch etwas schaffen, nicht nur für die Familien auf der einen Seite, sondern auch für die Kommunen auf der anderen Seite, indem wir dafür sorgen, dass die Kommunen in diesem Land Planungssicherheit bekommen, Planungssicherheit, dass der Ausbau der Nachmittagsbetreuungsplätze weitergehen kann – ein ganz, ganz wichtiges Signal.
Liebe Frau Ministerin Spiegel, Sie haben gerade selber in Ihrer Rede von einer guten und zuverlässigen Kinderbetreuung gesprochen. Das unterstütze ich ausdrücklich. Ich sage Ihnen an dieser Stelle aber auch: Das hätten Sie alles schon viel früher haben können. Warum haben Sie denn unseren Antrag vom 10. November mit genau dem gleichen Inhalt abgelehnt?
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Warum haben Sie ihn abgelehnt, obwohl der Inhalt eins zu eins der gleiche ist? Warum haben Sie unseren Gesetzentwurf vom 17. November abgelehnt? Auch da hätten Sie es schon haben können.
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Jetzt haben wir eine Woche vor Weihnachten. Mein Kollege – er wird gleich von der kommunalpolitischen Seite noch dazu sprechen – hat die ganzen Beschwerden der Kommunalpolitiker bekommen, die sich gefragt haben: Wie unzuverlässig ist diese neue Regierung gegenüber den Kommunen? – Das bedauere ich sehr.
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Auch der Bundesrat hat Sie überholt. Die von Ihnen regierten Länder haben nicht an Sie geglaubt
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und haben deswegen in der Sitzung am 26. November beschlossen, einen eigenen Gesetzentwurf einzubringen. Einziger Gegenstand: die Fristverlängerung. Auch das Vertrauen Ihrer eigenen Länder in Sie ist nicht gegeben. Das muss Ihnen an dieser Stelle doch zu denken geben.
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Jetzt ist in dem Gesetzentwurf neben der unzweifelhaft notwendigen Fristverlängerung die Zusammenlegung der Basis- und Bonusmittel vorgesehen. Das ist eine gute Entscheidung. Auch das hätten wir gerne schon von Anfang an in der vorherigen Regierung beschlossen. Nur: Wer hat es abgelehnt?
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Der damalige Bundesfinanzminister; mittlerweile ist er Bundeskanzler. Er hat es auf jeden Fall abgelehnt. Das hätten wir auch schon längst haben können. Es ist gut und erfreulich, dass jetzt Einsicht da ist; aber es ist halt schade.
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Mir tut es leid, weil viel Vertrauen der Kommunen ohne Not zerstört wurde. Mir tut es leid, dass ohne Not auch viel Vertrauen bei den Familien verloren gegangen ist.
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Ich kann Ihnen nur anbieten, dass wir immer die Familien und die Kinder in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen, und ich wünsche mir einfach – es wurde heute ja schon mehrfach angesprochen, dass für die neue Koalition die Macht des besseren Argumentes zählt –, dass Sie auf eine so gute Oppositionsfraktion wie die CDU/CSU setzen, zum Wohle der Familien und zum Wohle der Kinder in unserem Land.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Ulrike Bahr für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Sehr geehrte Ministerinnen! Es ist bemerkenswert, dass wir in dieser noch sehr jungen Wahlperiode bereits zum dritten Mal in vier Wochen über die Finanzierung des Ganztagsausbaus für Grundschulkinder sprechen. Aber als Bildungs- und Familienpolitikerin ist mir das natürlich mehr als recht, besonders wenn es vorangeht.
Heute machen wir mit der signalisierten breiten Zustimmung der Fraktionen den Weg frei für längere Fristen und – das ist der Unterschied zu Ihrem Antrag, Frau Kollegin Bär – weniger Bürokratie beim Abruf der Mittel für den Ganztagsausbau.
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Das ist gut und richtig und setzt gleich zu Beginn dieser Wahlperiode das Signal, dass es uns ernst ist mit guter Bildung und echten Chancen für alle Kinder.
Die Förderung von Kindern in der Ganztagsbetreuung ist nach dem DigitalPakt Schule ein weiteres Projekt, bei dem sich die neue Kooperation von Bund und Ländern im Bildungsbereich bewähren kann. Denn wo große nationale Anstrengungen erforderlich sind, brauchen wir ein Kooperationsgebot, kein Kooperationsverbot.
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Nun gilt es, die Ganztagsförderung ganz praktisch mit Leben zu füllen: vor Ort mit kindgerechten Räumen und Bewegungsmöglichkeiten, mit qualifiziertem und motiviertem Fachpersonal und vor allem mit klugen Konzepten und Angeboten, die schulische Förderung, musische und sportliche Bildung, aber auch Spiel, Spaß und soziales Miteinander unter einen Hut bringen. Wir als Bund stellen erst einmal „nur“ – in Anführungszeichen – das Geld zur Verfügung – ein durchaus wichtiger Aspekt; denn ohne verlässliche Finanzierungszusagen können die Kommunen nicht planen und sich nicht an die Arbeit machen. Dennoch: Die eigentliche Anstrengung folgt noch und wird uns auf allen Ebenen – Bund, Länder und Kommunen – weiter beschäftigen.
Noch dringlicher als die Bauvorhaben und noch wesentlich langsamer zu bewältigen ist der Fachkräftemangel in erzieherischen Berufen. Ich bin sehr froh, dass wir uns im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien darauf verständigt haben, mit hoher Priorität mit den Ländern und allen relevanten Akteuren eine Gesamtstrategie zu entwickeln, um den Fachkräftebedarf für Erziehungsberufe zu sichern.
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Mir liegt auch am Herzen, keine unerwünschten Konkurrenzen aufzubauen. Neben Kita und Grundschule braucht auch die Erziehungshilfe ganz dringend mehr qualifiziertes Personal. Diese Sorge eint Jugendämter und freie Träger. Darum ist es nötig, sehr schnell voranzukommen mit einem bundeseinheitlichen Rahmen für eine vergütete und attraktive Ausbildung und auch mehr Studienplätze für soziale Arbeit und Pädagogik zu schaffen. Weiterbildungen, zweite Ausbildungen und solide Nachqualifizierungen für Quereinsteiger müssen das Angebot abrunden.
Die Investitionen in unsere Kinder dulden keinen Aufschub; denn Bildung und gutes Aufwachsen haben ein enges Zeitfenster. In der Pandemie ist uns das wieder sehr plastisch klar geworden. Als Lehrerin habe ich immer wieder sehr eindrücklich erlebt, wie schwierig es ist, größere Lernrückstände im laufenden Schulbetrieb aufzuholen. Ähnliches gilt für soziale Lernerfahrungen. Darum verlängern wir heute zwar Fristen, um auf Baustoffmangel und fehlende Planungskapazitäten zu reagieren, aber wir dürfen uns trotzdem keine Zeit lassen.
Auch die qualitative Ausgestaltung und Weiterentwicklung der Ganztagsangebote wollen wir in dieser Wahlperiode begleiten und fördern; denn die Qualität entscheidet darüber, ob Kinder nur verwahrt oder umfassend gefördert werden.
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Nur die Förderung bietet wirkliche Bildungschancen. Zur Qualität gehört auch, Schulen zu öffnen, Erfahrungsräume zu weiten, mit externen Partnern zusammenzuarbeiten und eine aktive Partnerschaft von Schule und Jugendhilfe umzusetzen. Damit meine ich auch, aber keineswegs nur die Schulsozialarbeit, die seit dem Sommer endlich im Achten Buch Sozialgesetzbuch verankert ist. Auch hier gibt es ein Projekt für diese Wahlperiode: Die Koalitionsfraktionen haben beschlossen, an Schulen in sozialen Brennpunkten dauerhaft schulische Sozialarbeit zu fördern.
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Darüber hinaus wünsche ich mir viele Kooperationen mit der offenen Jugendarbeit – ein ungewohntes Terrain für die Schulen, aber eine Bereicherung für die Kinder im Sinne eines ganzheitlichen Bildungsansatzes.
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Heute sorgen wir erst einmal dafür, dass die Mittel für den Ganztagsausbau von den Ländern und Kommunen wirklich abgerufen werden können. Dies ist ein kleines Puzzleteil auf dem Weg zu besserer Bildung und familienfreundlichen Strukturen in Deutschland. Darum vielen Dank für Ihre Zustimmung und Unterstützung!
Ich danke Ihnen.
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Während das Pult vorbereitet wird, wofür ich mich bedanke, bitte ich den Abgeordneten Hilse, die Maske vollständig aufzusetzen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Martin Reichardt für die AfD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Schon die letzte Debatte hat gezeigt, dass das Gesetz zur Fristverlängerung der Ganztagsfinanzierung im Grunde eine Scheindebatte zwischen alter und neuer Regierung ist. Es geht darum, wer was vergessen hat. Das hat man sich auch heute wieder vorgeworfen.
Sie reden über Ganztagsbetreuung, während sich Schüler in ganz Deutschland ihr Recht auf Bildung mit Tests und Impfungen erkaufen sollen. Sie reden von Ganztagsbetreuung und meinen eigentlich die schnellstmögliche Mobilmachung von Eltern für den Arbeitsmarkt.
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Wir als AfD wollen selbstbestimmte Wahlfreiheit der Eltern bezüglich elterlicher Betreuung und Fremdbetreuung und können uns deshalb in dieser Frage nur enthalten.
Sie, meine Damen und Herren, reden von Ganztagsbetreuung, während die FDP-Bildungsministerin sagt, die Impfung von Schulkindern sei ein wichtiger Beitrag, um Präsenzunterricht zu sichern.
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Die FDP – zusammen mit Ihnen allen von den anderen Fraktionen – nimmt sich die Freiheit heraus, Eltern zu drangsalieren mit der Wahl zwischen Impfung oder Schulschließung sowie zwischen Impfung oder Ausschluss von sozialer Teilhabe. Jetzt sollen schon die Fünfjährigen die Ärmel hochkrempeln, um sich damit Bildung und letztlich die von Ihnen hier versprochene Teilhabe zu sichern. Dazu sagen wir eindeutig Nein. Hände weg von unseren Kindern!
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Der ständig schwurbelnde Minister Lauterbach nötigt Kinder und Eltern zu einer Impfung mit Aussagen, die keinem Faktencheck standhalten.
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Liebe Eltern, können Eltern eigentlich einem Minister vertrauen, der sich in der Vergangenheit öfter geirrt hat, als er seine Socken wechselt?
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Können Eltern Politikern vertrauen, die mit kalter Berechnung Kindern einreden, dass sie eine Gefahr sind? – Liebe Eltern, vertrauen Sie nicht denen, denen das Wohl unserer Kinder weniger wert ist und um deren Wohl sie sich weniger scheren als um ihre Ablehnung der Impfpflicht von gestern!
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In diesem Stil geht es bei der ganzen Frage weiter. Die STIKO gibt eine Impfempfehlung für vorerkrankte Kinder von fünf bis elf Jahren, also keine allgemeine Empfehlung für diese Altersgruppe. Das Paul-Ehrlich-Institut weist fünf Kinder aus, die im Zusammenhang mit der Impfung gestorben sind, und viele Ärzte weisen diese Impfung als medizinisch nicht ausreichend zurück.
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– Das hat sehr viel damit zu tun. – Trotz all dieser Bedenken sollen jetzt Kinder in Zoos von mobilen Impfteams geimpft werden. Meine Damen und Herren, Sie reden von Ganztagsbetreuung, aber würdigen Kinder seit Monaten zur Verfügungsmasse Ihrer Politik herab.
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Die Familienministerin Spiegel will mit der Impfung ab fünf Jahren die Pandemie in die Knie zwingen, meine Damen und Herren. Allein für diese unsinnige Aussage müssten Sie Ihren Stuhl eigentlich wieder räumen.
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Hören Sie endlich auf, die Kinder und die Eltern zu instrumentalisieren! Stellen Sie wirkliche Normalität in der Betreuung von Kindern und in der Bildung wieder her. Die roten Linien sind überschritten; das hat Ihr Kanzler bereits gesagt. Beenden Sie endlich die unsinnigen Coronamaßnahmen für Kinder!
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Abgeordneter Reichardt, ich muss auf Ihre unhaltbaren Aussagen gar nicht eingehen. Aber klar ist: Impfen ist der Weg aus der Krise!
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Das Angebot an die Kinder ist eine Chance, dass Bildung in unserem Land stattfinden kann. Damit haben die Schwächsten in unserer Gesellschaft überhaupt eine Chance.
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Wir sprechen heute vordergründig über eine Fristverlängerung; aber dahinter steht viel mehr. Wir wissen doch heute, dass die Grundlage für die Bildungswege in der frühen Kindheit gelegt wird.
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Wir sprechen heute darüber, dass der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung zügig kommt. Das ist auch ein Angebot an Chancen für den Bildungsweg. Das geht uns alle an. Deswegen ist es gut, dass wir es heute beschließen.
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Die Fristverlängerung ist schlicht sinnvoll; darüber sind wir uns einig. Wer heute einen Handwerker buchen möchte, der weiß, was auf dem Markt gerade los ist. Es ist gut, dass wir die Frist verlängern.
Liebe Frau Bär, ich freue mich auf die Zusammenarbeit; ich bin mir sicher, sie wird gut sein. Aber ein kluger Hesse hat gesagt: Denken muss man selber. – Ich kann Ihnen versprechen: Das können wir als Regierung.
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Deswegen ist unser Gesetzentwurf besser als der Antrag, den Sie eingebracht haben.
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Dass wir das unkompliziert möglich machen, ist Teil dessen, was wir Kooperationsgebot nennen. Es muss uns um die Sache gehen. Ja, es waren Mittel aus dem Konjunkturpaket; aber die Länder brauchen mehr Zeit. Es geht jetzt nicht um alte Muster politischer Kommunikation. Wir ändern zügig das Gesetz und geben ein Jahr länger Zeit. Die Länder kommen leichter an die Mittel. Die Bonusmittel sollen in den Basistopf fließen. Der Anteil für jedes Land ergibt sich aus dem Königsteiner Schlüssel.
Das ist das, was wir brauchen: Kooperation, ein Hand-in-Hand von Bund, Ländern und Kommunen – reibungslos, zielorientiert und immer mit dem Blick darauf, was den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land wirklich nützt.
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Davon brauchen wir mehr, wenn wir die Bildung in unserem Land voranbringen wollen. Denn auch darin sind wir uns einig: Die Bildung in unserem Land ist nicht auf dem Niveau, das wir uns für unsere Industrie- und Kulturnation wünschen. Jeder fünfte Jugendliche kann nicht gut lesen. Schon in der Grundschule hapert es. Lernen die Kinder dort wirklich die Grundkompetenzen in Lesen und Schreiben? Nein, sagt uns die Wissenschaft, zu viele lernen es nicht ausreichend. Da müssen wir ran – mit mehr Engagement, breiterem Engagement
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und vor allen Dingen mit viel mehr Mut, meine Damen und Herren.
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Das Ziel ist die weltbeste Bildung für alle – unabhängig vom Wohnort, von der Herkunft und davon, ob Eltern unterstützen oder nicht. Der Bund steht bereit. Wir wollen keine zentrale Bildungspolitik als Ersatz für die Länderzuständigkeit. Der Bund leistet ein On-top-Engagement für eine On-top-Bildung, meine Damen und Herren.
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Dazu gehört, dass wir den Schulen mehr Freiraum lassen. Wir wollen Schulen, die viel mehr selbst bestimmen. Sie wissen, was ihre Schülerinnen und Schüler brauchen. Das ist der Weg zu mehr Qualität.
Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung kommt. Da muss dann auch das Angebot stimmen. Da geht es nicht nur um Quantität, sondern auch um Qualität. Nur so nutzen wir die Chance der Ganztagsbetreuung auf besser Lesenlernen, MINT, Sport und soziales Lernen. Das ist der Weg in die Bildungsrepublik.
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Das ist der Weg der neuen Bundesregierung, mehr Qualität in der Bildung zu sichern. Ich will dazu so schnell wie möglich mit den Ländern ins Gespräch kommen. Mehr Zeit und Geld in Bildung zu investieren, heißt gut investieren. Jedes Kind, das wir so mitnehmen, ist ein Gewinn, meine Damen und Herren.
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Deshalb ist klar: Wenn der Bund Extrageld gibt, dann muss beim Bürger auch Extraqualität ankommen. Das müssen wir möglich machen. Dafür treten wir als Regierung, dafür trete ich als Ministerin an.
Vielen Dank.
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Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Nicole Gohlke das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bringen heute auf den Weg, dass die Mittel für den beschleunigten Ausbau der Ganztagsbetreuung nicht nur bis Ende dieses Jahres, sondern bis Ende nächsten Jahres abgerufen werden können. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
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Es schafft Planungssicherheit für die Länder, Kommunen und Träger. Deswegen stimmt die Linke diesem Gesetzentwurf der Ampel auch zu.
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Aber ich muss schon sagen, Kolleginnen und Kollegen: Die letzten drei Debatten zu diesem Thema – mit der heutigen sind es sogar vier – haben schon ein Geschmäckle, wie man so schön sagt. Die Rednerinnen und Redner der Ampel feiern sich hier für diese Selbstverständlichkeit ab.
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Und man kann wirklich nur hoffen, dass die Union irgendwann mal ihre Phantomschmerzen, die sie hat, weil sie nicht mehr regiert, überwinden wird.
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Das ist auf jeden Fall noch ein Problem.
Jetzt, Kolleginnen und Kollegen, muss es aber darum gehen, den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder auch Realität werden zu lassen, ihn umzusetzen. Jetzt muss es um die Frage gehen, wie der enorme Fachkräftemangel im Bildungsbereich beseitigt werden kann;
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denn ohne mehr pädagogisches Personal und Fachkräfte, ohne mehr Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter wird eine Ganztagsbetreuung ja gar nicht möglich sein.
Es muss jetzt dringend um Qualitätsstandards gehen, darum, wie wir zu einer guten Ganztagsbetreuung kommen. Das, was wir wollen, ist eine Ganztagsbetreuung, zu der die Kinder gerne hingehen; denn sie ist mehr als die Verlängerung von Leistungsdruck und Stress in den Nachmittag hinein.
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Vielmehr sollen ein angemessener Betreuungsschlüssel und kleine Gruppen endlich dabei mithelfen, die soziale Spaltung in diesem Land zu beenden. Das sind die Themen, die jetzt anstehen.
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Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns nicht weiter kostbare Zeit verplempern!
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Machen Sie einen Aufschlag zur Entwicklung verbindlicher Qualitätsstandards! Legen Sie einen Zeitplan vor! Spannen Sie die Kultusminister/-innenkonferenz,
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die Jugend- und Familienminister/-innenkonferenz
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und die Fachverbände mit ein, und dann lassen Sie uns loslegen! Wir arbeiten gerne daran mit.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Marja-Liisa Völlers für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In meiner Rede vor ein paar Wochen habe ich ebenso wie viele Kolleginnen und Kollegen der neuen Ampelkoalition versprochen, dass wir uns als neue Regierung zeitnah um die Fristverlängerung für den Abruf der Beschleunigungsmittel für den Ganztagsausbau kümmern werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wissen Sie was? Unsere Botschaft damals an Schulträger, an Familien, an unsere kommunale Familie war deutlich: Wir lassen euch nicht allein.
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Kaum vier Wochen später lag bereits der Gesetzentwurf von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP vor, und heute befinden wir uns schon in der abschließenden Lesung. Damit ist das Motto der Ampelkoalition deutlich und klar: Gesagt, getan! Wir erkennen die Probleme und kümmern uns zeitnah um deren Lösung. Darauf können sich die Familien, die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land verlassen.
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Da ich auch selber Kommunalpolitikerin bin: Nicht nur unsere Familien können sich auf uns, auf die Ampel, verlassen, sondern auch die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker.
Im Grunde ist zu den Kriterien der Fristverlängerung und zum Gesetzentwurf schon alles gesagt worden. Meine liebe Kollegin Ulrike Bahr und auch unsere beiden neuen Ministerinnen – herzlich willkommen hier in unserer Bildungs- und Familienpolitikfamilie! – haben das schon sehr detailliert ausgeführt.
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Ich möchte daher den Fokus auf das setzen, was wir uns in der Ampelkoalition im Bereich Ganztag in den nächsten vier Jahren vorgenommen haben.
Der Koalitionsvertrag ist überschrieben mit „Mehr Fortschritt wagen“. Als Lehrerin, die viele Jahre auch selber unterrichtet hat, weiß ich, wie wichtig eine gute Bildung ist. Echter Fortschritt klappt nämlich nur mit einer guten Bildung, die elternunabhängig ist und von der Herkunft der Eltern entkoppelt wird.
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Das ist das große Versprechen der deutschen Sozialdemokratie. Daran arbeiten wir mit unseren Partnern schon seit vielen, vielen Jahrzehnten. Wir sind noch nicht am Ziel, aber ich glaube, wir werden es erreichen. Das ist unsere große Hoffnung für unsere Kinder, die unsere Zukunft sind.
Am Ende des Tages geht es nicht nur um die Ganztagsbetreuung in der Grundschule; es geht auch um Bildungschancen, von der Kita über die Schule bis hin zum Meister oder zum Master. Die Ganztagsbetreuung spielt dabei eine Schlüsselrolle; Frau Stark-Watzinger hat es ja eben schon ausgeführt.
Ja, wir müssen uns tatsächlich noch einmal mit zwei Punkten verstärkt beschäftigen: zum einen mit der Qualität und der Frage, wie wir sie definieren – wie soll Qualität in der Ganztagsbetreuung eigentlich aussehen? – und zum anderen mit der Frage, wie wir den Fachkräftemangel lösen werden. Wissen Sie, wenn man als Lehrkraft in einer Klasse steht, muss man rödeln, um 20 oder sogar 30 Kinder und Jugendliche mit unterschiedlicher Vorbildung, mit unterschiedlichen Perspektiven, mit unterschiedlichen Rucksäcken, mit denen sie dort ankommen, mitzunehmen. Das ist ganz viel Arbeit. Je kleiner die Kinder sind, umso aufwendiger ist es. Von daher ist das eine Aufgabe, die wir schultern müssen: wir der Bund in Zusammenarbeit mit unseren Ländern, mit unseren Kommunen. Ganztagsbetreuung ist eine Gemeinschaftsaufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wir dürfen die Lehrkräfte, die pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber eben auch alle anderen, die in Schule und Kita arbeiten, an dieser Stelle nicht alleinlassen. Meine Botschaft als SPD-Bundestagsabgeordnete ist: Wir, die Ampel, lassen Sie, lassen euch an dieser Stelle nicht allein. Heute ist der erste Beweis dafür, dass wir unseren Worten, die wir in den Koalitionsvertrag geschrieben haben, auch Taten folgen lassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich darauf, dieses Thema in den nächsten vier Jahren gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und der FDP und mit unseren tollen Ministerinnen – ich freue mich schon auf die Zusammenarbeit – weiter zu betreuen.
In diesem Sinne: Ihnen allen ein frohes Weihnachtsfest!
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Das Wort hat Dr. André Berghegger für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Schluss der Debatte noch einige Gedanken aus Sicht der Kommunen an Sie richten. Ich würde sagen: Konstruktive Opposition zahlt sich aus. Das sieht man an diesem Beispiel.
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Deswegen: Vielen Dank an die Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion, die sich immer wieder um dieses Thema gekümmert haben. Wir stimmen am Ende zu; das hat meine Kollegin Bär schon am Anfang der Debatte gesagt. Aber ich muss doch etwas Wasser in den Wein gießen. Sehen Sie es als Anregung für zukünftige Projekte.
Worum geht es eigentlich? Wir haben den Anspruch auf Ganztagsbetreuung für die Grundschulkinder beschlossen. Dieser erfordert natürlich bautechnisch eine Riesenkraftanstrengung; das haben wir gehört. Keine Zeit ist zu verlieren; denn es fehlen rund 800 000 zusätzliche Plätze, um diesen Anspruch ab 2026 zu erfüllen. Der Bund unterstützt diese Baumaßnahmen – holzschnittartig – mit 3,5 Milliarden Euro. Ein Teil dieser Mittel – 750 Millionen Euro – wird für den beschleunigten Ausbau vorgesehen. Der Begriff gibt es vor: Die Mittel sollen schnell abgerufen werden, damit schnell gebaut werden kann. Aber die Frist für den Abruf dieser Mittel durch die Kommunen sollte schon dieses Jahr enden. Das wäre natürlich viel zu schnell für die Kommunen und würde große Probleme mit sich bringen. Darauf reagieren wir jetzt.
Aber, ehrlich gesagt, die vorliegenden Gesetzesänderungen hätten viel schneller kommen können und kommen müssen
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– nein, wir reden nicht von einer Woche –; denn sie sind dringend notwendig. Sie alle wissen: Die Kommunen sind originär zuständig für die Ganztagsbetreuung von Kindern im Grundschulalter. Der Bund muss, wenn er fördert – und das macht er gern –, praktikable Regelungen treffen. Da gibt es noch Luft nach oben für die Zukunft. Die Kommunen brauchen Planungssicherheit beim Ausbau, keine Unsicherheit. Wer vor Ort ist, wer den Kontakt zu den Kommunen hat, weiß: Es geht um große Bausummen. – Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel, mit etwas mehr Mut, mit etwas mehr Entscheidungsfreude wäre das Thema schon längst entschieden. Das haben Sie leider versäumt.
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Wir hatten bereits vor Wochen einen entsprechenden Antrag eingebracht. Diesen haben Sie geparkt bis zum letzten Sitzungstag dieses Jahres und damit wertvolle Zeit verstreichen lassen. Jetzt wird es knapp. Diesen Zeitverlust können die Kommunen eigentlich so nicht hinnehmen. Das müssen Sie sich vorhalten lassen. Wenn wir nicht immer wieder Druck gemacht hätten, würden Sie im Zweifel immer noch prüfen.
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– Wir verlassen uns auf die Gesetzesbeschlüsse und nicht auf Ankündigungen. Das müssen Sie auch einmal berücksichtigen.
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– Ich komme noch dazu. – Sie kennen doch die angespannte Situation im Bausektor, bei den Handwerkern. Das führt zu Verzögerungen. Es wäre wichtig gewesen, die Frist zum Abruf dieser besonderen Mittel viel schneller um ein Jahr, nämlich auf Ende 2022, zu verlängern. Die Kommunen müssen doch die Chance haben, diese Mittel auch abzurufen.
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Frau Stark-Watzinger, ich höre diese großen Linien gerne, und dafür schätze ich Sie auch; das unterstreiche ich auch, das finde ich richtig. Aber wir müssen in Zukunft auf praxisgerechte Regelungen warten. Wir wissen doch, dass dem Ganztagsausbau mit dem Zögern ehrlicherweise zum Teil ein Bärendienst erwiesen worden ist. Sie haben es zu vertreten, wenn einzelne Baumaßnahmen wegen der Unsicherheit verschoben worden sind
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und jetzt teilweise sogar weniger Plätze vorhanden sind als zuvor. Denn wir wissen doch auch: In der Praxis werden Baukörper manchmal abgerissen, um praxisgerecht, um neu, um modern, um größer zu bauen, und wenn eine Unsicherheit auftritt, dann stellt man als Bürgermeisterin oder Bürgermeister eben eine solche Maßnahme ein. Jetzt holen wir das nach. Es ist aber eine Anregung für die Zukunft.
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Und Ihre Begründung, Ihr Gesetzentwurf sei weiter gehend als unser Antrag, weil er die technisch komplizierten Bonus- und Basismittel zusammenführt, überzeugt mich ehrlicherweise nicht ganz. Wir hätten ohne Probleme in unserem Gesetzentwurf eine Änderung aufnehmen können. Wir hatten bereits im Sommer einen Vorschlag gemacht; das wurde auch schon angesprochen. Der damalige Finanzminister hat das nicht akzeptiert; das finde ich schade und fahrlässig. Sie schreiben sich doch auf die Fahnen, enger mit den Kommunen zusammenzuarbeiten.
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Ich mache mir Sorgen um die Zukunft. Ich würde mir Verlässlichkeit gegenüber den Kommunen wünschen; die sieht aus meiner Sicht anders aus. Handeln Sie bitte schneller und pragmatischer! Lassen Sie Ihren Worten auch Taten folgen!
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Die Kommunen sollten wir nicht verunsichern, lieber Matthias Seestern-Pauly, sondern wir sollten ihnen vertrauen und sie stärken.
Vielen Dank für das freundliche Zuhören.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Aufgrund der weltdümmsten Energiepolitik haben wir es mittlerweile fünf Minuten vor zwölf. Die Energieversorger schlagen Alarm. EON-Chef Birnbaum prognostiziert, dass Stromunterdeckung zur Abschaltung ganzer Städte führen kann und dass mit den hohen Energiepreisen die Industrie aus unserem Land gejagt wird. Auch der Übertragungsnetzbetreiber Amprion, um nur den einen zu nennen, äußert sich ähnlich. Sie alle sprechen von erheblicher Gefahr für unsere Stromversorgung aufgrund der jetzigen Situation. Das Stromnetz ist schon jetzt an seiner Leistungsgrenze angekommen; Reserven gibt es nicht mehr.
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Beenden Sie, meine Damen und Herren, bitte jetzt die Lebenslüge, dass wir mittelfristig ohne Kohle und Kernkraft auskommen würden. Denn Ihre Antwort auf die Stromlücke – Gaskraftwerke und Stromimporte – ist eine Fata Morgana. Zusätzliche Gaskraftwerke sind nicht in Sicht; niemand wird sie bauen. Wo soll das Gas denn eigentlich auch herkommen, wenn die Bundesregierung Nord Stream 2 verhindern will, wenn unsere naive Außenministerin mit ihrer Ungeschicklichkeit und mit ihrem kindlichen Größenwahn
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gegen Russland und unsere Gasversorgung schießt und agiert?
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Damit erinnert sie eher an Größen wie vielleicht Kaiser Wilhelm II. denn an eine moderne Diplomatin, meine Damen und Herren.
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Deutschland braucht eine Energieaußenpolitik und keine Energieverhinderungspolitik.
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Zum anderen Punkt: Stromimporte wird es in Spitzenlastzeiten eben nicht geben können, weil genau dann auch das Ausland den Strom selbst braucht. Die Antwort ist deshalb naheliegend: Weiterbetrieb der rentablen Kernkraftwerke.
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Immer mehr Stimmen sprechen sich dafür aus, zum Beispiel der Chef von Volkswagen oder der Ex-Chef von BASF, um auch hier nur einige zu nennen. Die ganze Welt setzt auf die nahezu CO2-freie Kernenergie. Die Niederlande haben gerade ihren Fehler eingesehen und steigen wieder in die Kernenergie ein. Eine Großzahl von Kernkraftwerken ist weltweit in Planung und im Bau. Selbst der sogenannte Weltklimarat geht davon aus, dass die Klimaziele ohne Kernenergie gar nicht zu erreichen sind.
Ja, viele Menschen haben Vorbehalte gegenüber der Kernenergie, Angst vor einem Super-GAU; aber diese Angst ist unbegründet.
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Moderne Reaktorkonzepte schließen solche Katastrophen aus, meine Damen und Herren.
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Teilweise ist eine selbsterhaltende Kettenreaktion überhaupt nicht mehr notwendig. Forschungsreaktoren diesbezüglicher Art sind längst schon im Bau, im angeblich technologieorientierten Deutschland jedoch leider nicht.
Die Endlagerproblematik wird mit der Transmutation gelöst; Reststoffe werden wiederverwertet. Heutige Strahlungszeit von 100 000 Jahren verringert sich: morgen 300 Jahre, übermorgen vielleicht gar keine mehr. Das ist wissenschaftlicher, technologischer Fortschritt, meine Damen und Herren, den Sie verhindern wollen.
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Die Links-Grünen wollen den CO2-Ausstoß verringern. Wir wollen eine preiswerte, sichere Stromversorgung. Na, dann lassen Sie uns doch zusammenkommen.
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Mit moderner und nahezu CO2-freier Kernenergie ist eben beides möglich. Das wäre eine intelligente, eine versöhnende und eine verantwortungsvolle Politik, meine Damen und Herren.
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Aber Sie, die Sie die Kernenergie verhindern wollen – sozusagen als Ewiggestrige –,
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werden die Renaissance der sicheren Kernenergie nicht verhindern können. Was Sie sicherlich verhindern, ist unser Wohlstand. Sie sind Weltmeister darin, ihn zu vernichten. Wir werden also Technologie im Bereich der Kernenergie später wieder teuer einkaufen müssen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
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Aber seien Sie sicher: Um die Kernenergie kommen wir nicht drum herum. Da können Sie sich auf den Kopf stellen. Sie ist nicht mehr aufzuhalten.
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Zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun die Kollegin Sanae Abdi das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist mir eine große Ehre, hier und heute meine erste Rede halten zu dürfen. Und obwohl das meine erste Rede hier ist, hatte ich ein Déjà-vu, als ich diesen Antrag las. Erst im letzten Monat hatte sich die AfD-Fraktion in einer Debatte eine Renaissance der Atom- und Kohleenergie herbeigewünscht.
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Auch der heutige Antrag der AfD-Fraktion basiert wie gewohnt auf grundlegenden Falschaussagen und in die Jahre gekommenen Mythen: Atomkraft sei unerlässlich, umweltfreundlich, billig und sicher.
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Lassen Sie mich das richtigstellen.
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Beginnen wir mit dem im Antrag behaupteten „Blackout“ der Stromversorgung. Bereits dieser Punkt ist falsch.
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Wissenschaftler/-innen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung haben erst kürzlich wieder in einer Studie betont, dass auch nach Abschaltung der letzten Atomkraftwerke die Stromversorgung in Deutschland gesichert ist.
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Die Forscher/-innen betonen die Wichtigkeit des Atomausstiegs und einen schnellen Umstieg auf erneuerbare Energien.
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Das entspricht auch den politischen Zielsetzungen, die wir im Koalitionsvertrag festgehalten haben. Dort bekennen wir uns klipp und klar zum Ausbau und zur Nutzung erneuerbarer Energien.
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Auch wird leider immer noch häufig behauptet, dass die Atomenergie CO2-neutral und damit umweltfreundlich sei. Auch das stimmt nicht. Zahlreiche Studien zeigen, dass bei solchen Behauptungen die energieaufwendigen Faktoren der Atomenergie nicht berücksichtigt werden. Denn auch beim Abbau von Uran, beim Kraftwerksbau und bei der langwierigen Endlagerung werden Treibhausgase ausgestoßen. Für den Bau der Atomkraftwerke sind neben Stahl und Zement zudem auch Edelmetalle notwendig. Kurzum, die Branche der Kernenergie ist eines ganz sicher nicht: emissionsfrei.
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Daher sollte die Kernenergie auch auf europäischer Ebene nicht als grüne Energie eingestuft werden.
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Ein weiterer Punkt, der häufig falsch dargestellt wird und auf den meine Kolleginnen und Kollegen aus der Fraktion schon mehrfach aufmerksam gemacht haben: Die Atomenergie zahlt sich nicht aus. Atomkraftwerke sind und waren auch in der Vergangenheit volkswirtschaftsschädigend, da die wirklichen Kosten durch massive politische Subventionen abgefedert wurden. Die Kosten für die Stromerzeugung im Bereich der Wind- und Sonnenenergie liegen seit Jahren darunter.
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Außerdem bleibt die Kernenergie unsicher. In Kernkraftwerken sind jederzeit schwerwiegende Unglücke möglich. Wir alle haben die katastrophalen Bilder aus Tschernobyl und Fukushima noch immer ganz deutlich vor Augen,
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von weiteren Unfällen in anderen Regionen, die weit weniger mediale Aufmerksamkeit bekommen haben, ganz zu schweigen.
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Eine große Herausforderung stellen die hochradioaktiven Abfälle dar. Die Endlagerung radioaktiver Abfälle muss für sage und schreibe 1 Million Jahre gewährleistet sein. Die damit verbundenen Risiken sind einfach nicht vorhersehbar. Es ist mir zum einen unerklärlich, wie sich eine solche Aufgabe vor kommenden Generationen rechtfertigen lässt.
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Zum anderen frage ich Sie: In welchen Ihrer Vorgärten hätten Sie sie denn gern?
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Lassen Sie uns lieber zukunftsgerichtet nach vorne schauen. Die Atomenergie ist ein Relikt vergangener Zeiten. Sie ist unsicher, umweltschädlich, eine unvorstellbare Belastung für zukünftige Generationen und dazu noch teurer als klimafreundliche Energien.
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Ich begrüße es sehr, dass wir dem endgültigen Atomausstieg in Deutschland zeitlich näher kommen.
Frau Kollegin. – Entschuldigung, es hat sich erledigt. Es hatte sich ein Kollege zu einer Frage oder Bemerkung gemeldet. Er hat aber zurückgezogen.
Vielen Dank. – Ich begrüße es sehr, dass wir dem endgültigen Atomausstieg in Deutschland zeitlich näher kommen. Dass die AfD-Fraktion alten Zeiten nachtrauert und dabei wissenschaftliche Erkenntnisse komplett missachtet, sind wir bereits aus diversen Debatten gewohnt.
Wir hingegen beschäftigen uns derweil mit dem Ausbau erneuerbarer Energien und der Zukunft unseres Landes. Beschäftigen Sie sich weiterhin mit Ihren Blackouts!
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Jens Koeppen für die CDU/CSU-Fraktion.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Transformation der Energieerzeugung hin zu nachhaltigen, umweltfreundlichen, bezahlbaren und vor allen Dingen aber auch zu verfügbaren Energien bleibt die größte Herausforderung der 20er- und 30er-Jahre, auch vor dem Hintergrund, dass der Energiehunger weltweit ins Unermessliche steigt. Vor einigen Jahren haben wir hier noch über Energieeinsparung gesprochen; davon ist weltweit überhaupt nicht mehr die Rede.
Für diese Mammutaufgabe kann ich uns allen nur Erfolg wünschen. Aber das funktioniert natürlich nur, wenn es einigermaßen ideologiefrei zugeht.
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Es geht nur – auch wenn Sie da stöhnen –, wenn es auf der Basis von Fakten
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und Naturgesetzen stattfindet und nicht auf der Basis von Tagträumereien. Sonst werden wir scheitern. Denn in nicht einmal drei Wochen werden wir die vorletzten drei Kernkraftwerke abschalten,
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die übrigens zu den weltweit besten und sichersten gehören.
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Es handelt sich immerhin um 4,5 Gigawatt. Dazu kommt die Abschaltung der ersten Kohlekraftwerke, sodass ab dem 1. Januar nahezu 9 Gigawatt fehlen werden.
Es gibt bisher keine politische Antwort – keine, von niemandem – auf die Frage, wie die fehlende Leistung ersetzt werden kann.
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Die gibt es schlechthin nicht. Die Hoffnung auf die Nachbarn allein ist einfach irgendwie zu wenig.
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Denn die Frage ist: Können sie helfen, und werden sie am Ende helfen?
Zwar stellte der Präsident der Bundesnetzagentur, Jochen Homann, im August dieses Jahres fest, dass die Zuverlässigkeit der Stromversorgung im Jahre 2020 erneut sehr gut gewesen sei. Er stellte außerdem fest, dass die bisher niedrigste Ausfallzeit des Jahres 2019 im Jahre 2020 noch mal unterboten werden konnte und dass es allgemein keine negativen Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit gibt. In der Tat ist diese Presseveröffentlichung erst mal ermutigend. Sie ist auch beruhigend, ein gutes Signal.
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Aber die Frage ist, angesichts der Abschaltzeiten: Wie lange geht das noch gut?
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Die neue Bundesregierung ist in der Pflicht, dieses Niveau der Versorgungssicherheit in Deutschland mindestens abzusichern. Es reicht eben nicht, Frau Kollegin Abdi, einfach nur Zigtausende Windräder in Deutschland zusätzlich hinzustellen oder wertvolle Agrarflächen mit Solaranlagen zuzustellen.
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Denn auch unter der neuen Regierung bleibt es dabei, dass sie bei Dunkelheit und Flaute
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keinen Strom produzieren.
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Speichern kann man diese großen Strommengen auch nicht, und schon gar nicht in Gigawattscheiben.
Auch mit Wasserstoff wird es schwierig,
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und auch mit Erdgas haben Sie hier und da Probleme und stehen damit auf Kriegsfuß.
In Ihrem Koalitionsvertrag ist unmissverständlich festgeschrieben, dass man am Atomausstieg in Deutschland festhält und den Kohleausstieg idealerweise auf das Jahr 2030 vorziehen will. Wie Sie aber die Ziele am Ende des Tages erreichen wollen, bleibt durchgehend offen. Noch einmal: Neue Windkraftanlagen, neue Solaranlagen sind kein Garant für Versorgungssicherheit. Sie können immer nur Teil einer Lösung sein, egal wie viel Fläche damit zugestellt wird.
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– Da können Sie noch so laut schreien.
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Da muss schon mehr kommen. Die Bürger erwarten konkrete Antworten, wie die Versorgungssicherheit mindestens auf dem jetzigen Niveau abgesichert werden soll, sonst bleibt Ihr ganzer Koalitionsvertrag in diesem Kontext lediglich grüne Makulatur.
Herzlichen Dank.
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Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun der Kollege Stefan Wenzel für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Abgeordnete! Vor gut zehn Jahren hat der ehemalige Bundesumweltminister Professor Klaus Töpfer den Bericht der Ethik-Kommission an die Bundesregierung übergeben. Frau Bundeskanzlerin Merkel und Herr Bundesminister Rösler haben diesen Bericht damals entgegengenommen. Dieser Bericht hat das Ende der Atomenergie in Deutschland besiegelt.
Meine Damen und Herren, gestern Mittag habe ich versucht, den Antrag der Fraktion der AfD zu bekommen. Er lag gestern Mittag aber noch nicht vor.
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Offenbar gibt es da bei Ihnen Probleme. Zehn Jahre wussten Sie, was kommt, aber einen Tag vor der Debatte hatten Sie Ihren Antrag noch nicht fertig. Das spricht für sich.
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Vor zehn Jahren, meine Damen und Herren, traf man überzeugte Atomphysiker, die sichtlich geschockt waren, nachdem sie gesehen haben, was in Fukushima passiert ist. Sie haben auch ganz persönlich sehr eindrucksvoll berichtet, dass sie sich so was schlicht und einfach nicht haben vorstellen können;
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zumal in allen Studien, die es damals gab, von der Rasmussen-Studie bis zu vielen anderen, solche Ereignisse kategorisch ausgeschlossen wurden. Sie wurden schlicht und einfach für nicht möglich gehalten.
Dann kam der Bericht der Ethik-Kommission, wissenschaftsbasiert. Da waren sehr gute, sehr renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei, anerkannte Persönlichkeiten der Bundesrepublik Deutschland, Energiepolitiker. Die haben dann einen Bericht vorgelegt mit dem Titel „Deutschlands Energiewende – Ein Gemeinschaftswerk für die Zukunft“. Dort hieß es: Zum Atomstrom gibt es Alternativen, die allesamt weniger Risiken aufweisen. – Man hat dann entschieden, sieben Atomkraftwerke sofort abzuschalten, nicht mehr ans Netz gehen zu lassen, Krümmel auch nicht.
Meine Damen und Herren, das ist jetzt zehn Jahre her. Wichtig war der Begriff „Gemeinschaftswerk“; das sage ich auch mit Blick auf Herrn Koeppen. Das ist nämlich ein ganz entscheidender Begriff; denn es geht darum, dass wir das auch in Zukunft als Gemeinschaftswerk betreiben, um unsere Energieversorgung sicher, umweltfreundlich und klimafreundlich zu machen.
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Natürlich steht die Versorgungssicherheit dabei an erster Stelle. Mittlerweile haben wir fast 50 Prozent Strom aus einer heimischen Energiequelle, nämlich den Erneuerbaren, meine Damen und Herren.
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Wir haben Bundesländer, die teilweise schon 90 Prozent des Verbrauchs mit erneuerbaren Energien abdecken.
Jetzt kommen Wärme, Verkehr und Industrie dran. Dafür hat die Ampelkoalition Pläne vorgelegt. Die Netzbetreiber haben in den letzten Jahren massiv investiert. Sie haben die Versorgungssicherheit ständig verbessert. Die Ausfälle im Netz sind, global gesehen, die geringsten.
Jetzt kommt mit dem Projekt „Redispatch 2.0“ noch eine Steigerung. Und da geht es sehr wohl um Effizienz, Herr Koeppen: Es geht um Effizienz beim Betreiben des Netzes, aber auch an anderen Stellen. Beispielweise ist eine Investition in Elektromobilität auch eine Investition in Energieeffizienz, meine Damen und Herren.
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Wenn ich den Antrag Ihrer Fraktion hier auf der rechten Seite lese, stelle ich fest: Sie verbreiten Märchen. Da wird von einer Art Atommüllverbrennung gesprochen. Man will Atommüll mit Halbwertzeiten von über 1 Million Jahren quasi verbrennen.
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Lesen Sie dazu mal die Gutachten der Endlagerkommission zur Transmutation! Das ist damals sehr gründlich untersucht und von allen Seiten in Bausch und Bogen verworfen worden, meine Damen und Herren. Das Projekt können Sie vergessen.
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Sie verbreiten hier Märchen und versuchen den Leuten weiszumachen, man könnte etwas tun, was technisch, physikalisch nicht möglich ist. Ziehen Sie Ihren Antrag zurück! Wir werden ihn sonst ablehnen.
Vielen Dank fürs Zuhören.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie die Kurzintervention zulassen. – Ich kenne diese informelle Vereinbarung. Allerdings erschien mir der Redner rhetorisch so gut drauf und sicher, dass ich mich dann doch entschlossen habe, eine Zwischenfrage zu stellen.
Sie haben vorhin angegeben, dass 50 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen. Ich würde Ihnen empfehlen, ab und zu mal das Agorameter aufzurufen.
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Ich sage Ihnen mal, was hier steht. Es wird immer angezeigt: Wie viel Strom wird gerade produziert und aus welchen Energiequellen? – Da steht für 11.30 Uhr: Strom aus Wind und Sonne insgesamt circa – das kann man nicht genau erkennen – 18 Gigawatt. Verbraucht wurden zu diesem Zeitpunkt 73 Gigawatt. 18 Gigawatt haben Ihre hochgeliebten regenerativen Energien produziert, und 73 Gigawatt haben wir gebraucht. – Wo soll der Strom herkommen, wenn Sie die Kernkraftwerke abschalten, wenn Sie die Kohlekraftwerke abschalten, wenn Sie keine Gaskraftwerke bauen, wenn Sie Nord Stream 2 verhindern?
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Das sind einfach nur Fakten. Ich möchte das gern von Ihnen wissen; aber ich kann mir vorstellen, dass Sie die Antwort nicht parat haben.
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Kollege Wenzel, Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich will gern kurz dazu Stellung nehmen.
Ich würde Ihnen schlicht und einfach empfehlen, sich beispielsweise beim Fraunhofer-Institut ein paar Charts, ein paar Quellen anzugucken, in denen anhand der gesamten Durchschnittswerte eines Jahres unterschiedliche Analysen zum Stromverbrauch dargestellt werden. Natürlich sieht man dort, dass wir noch einen ordentlichen Weg vor uns haben. Aber es ist ohne Zweifel möglich, die restlichen Atomkraftwerke abzuschalten. Wir werden die Atomenergie durch erneuerbare Energien ersetzen, und wir werden die Versorgungssicherheit auf extrem hohem Niveau auch in Zukunft gewährleisten.
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Der Kollege Ralph Lenkert hat nun für die Fraktion Die Linke das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Lobbyisten behaupten, Atomkraft sei sicher; nur alle 10 000 Betriebsjahre würde ein schwerer Unfall passieren. Bei 400 Kernreaktoren weltweit passiert also, statistisch gesehen, alle 25 Jahre ein Super-GAU. Stimmt: 1979 Harrisburg, 1986 Tschernobyl, 2011 Fukushima.
Nun hat die AfD die echt blöde Idee, Atomkraftwerke, die für 40 Jahre geplant waren, 50 Jahre und länger laufen lassen zu wollen. Liebe Bürgerinnen und Bürger, für ein 40-jähriges Auto bekommen sie kaum Ersatzteile, die Wartung wird schwieriger und teuer, und die Technik entspricht nicht mehr dem aktuellen Stand. Als Techniker weiß ich: Bei alten Atommeilern ist das nicht anders.
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Mit jedem Betriebsjahr steigen die Wartungskosten, und das Ausfallrisiko geht nach oben. Die Gefahr, dass nach kleinen Störfällen und einer Notabschaltung ein Blackout provoziert wird, wächst enorm.
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Deshalb jetzt ein paar wirklich gute Ideen für mehr Versorgungssicherheit: Die Linke fordert Energiespeicher, damit der Überschussstrom von Wind und Solar für später aufgehoben werden kann.
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Wir fordern Elektrolyse- und Biogasanlagen, die direkt in das vorhandene Gasnetz einspeisen, damit zukünftige Reservekraftwerke dieses erneuerbare Gas bei Dunkelflauten in Strom und Wärme umwandeln.
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Und: Die Linke stärkt die Stadtwerke; denn die koordinieren vor Ort Erzeugung, Verteilung und Speicherung von Energie. Das senkt das Risiko von deutschlandweiten Blackouts und schafft regionale Wertschöpfung.
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Übrigens braucht das weniger Starkstromtrassen und erst recht keine Atomkraftwerke.
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Liebe Bürgerinnen und Bürger, ohne Subventionen würde Atomstrom 20 Cent je Kilowattstunde kosten. Wind- und Solarstrom kann man für unter 7 Cent produzieren.
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Also: Atomkraftwerke und Starkstromtrassen steigern die Gewinne der Energiekonzerne, –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– aber leider auch die private Rechnung von uns allen, und sie schützen nicht vor Blackouts. Deshalb fordert Die Linke ein Nein zu AKWs und ein Nein zu überbordendem Netzausbau.
Vielen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, der Antrag, der vorliegt, ist in vielerlei Hinsicht dünn; aber er ist vor allen Dingen in der Sache falsch. Sie gehen von zwei Grundprämissen aus, warum wir in Deutschland die Kernkraftwerkslaufzeit verlängern sollten. Die eine Grundprämisse ist: Wir brauchen die Kernkraft zur Versorgungssicherheit. Die zweite Grundprämisse ist, dass Kernkraft für günstige Stromversorgung sorgt. Beides ist de facto und an den unterschiedlichsten Stellen widerlegt worden.
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Diese fast nationalistische Idee, hier in Deutschland jetzt die Nutzung einer Technologie zu verlängern, in die die Unternehmen schon lange nicht mehr investieren, bei der wir gar nicht mehr dafür sorgen können, dass sie wirtschaftlich betrieben werden kann, ist völlig absurd.
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Es ist völlig absurd, weil wir in Deutschland schon lange sehen, dass wir aus der Atomenergie aussteigen müssen und dass die Unternehmen natürlich nicht mehr investiert haben. Das heißt, rein pragmatisch – es geht bei Energiepolitik aus meiner Sicht ganz stark um die Idee des Pragmatismus – wird es nicht funktionieren.
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Der zweite Punkt ist die Frage des Preises der Energie. Wir sehen in den internationalen Märkten, dass immer dann, wenn wir neue Atomkraftwerke, wie zum Beispiel Hinkley Point, bauen, die dort erzeugte Atomkraft extrem teuer wird und gegenüber erneuerbaren Energien immer abfällt – immer. Sie müssen Hinkley Point mit 10 Cent die Kilowattstunde absichern und bauen Solarparks in Portugal für 1 Cent die Kilowattstunde.
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Da haben Sie immer noch 9 Cent zur Verfügung, um Speicher zu nutzen, um Wasserstoff zu produzieren, um, ja, auch Gaskraftwerke mit erneuerbarer Energie zu versorgen;
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denn das ist das Ziel der Versorgungssicherheit.
Die Idee, die hinter Atomenergie steht, hat einen sozialistischen Grundzug; denn Sie verlagern die Risiken der Atomenergie auf die Allgemeinheit. Sie können die Risiken der Atomenergie nur über den Staat absichern. Das, meine Damen und Herren, ist genau der falsche Weg in der Versorgung mit Energie.
({5})
Diese Kombination aus einem rein nationalen Interesse und der Verschiebung der Risiken auf die Allgemeinheit ist eine Idee, die aus einer vergangenen Zeit stammt. Ich glaube nicht, dass sie uns in irgendeiner Hinsicht guttut. Versorgungssicherheit wird in Deutschland über ein hohes Maß an Flexibilität gewährleistet. Wir brauchen dazu Speicher.
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Speicher definieren wir. Speicher bauen wir. Das Prinzip der Elektrolyse sollten selbst Sie im Chemieunterricht gelernt haben.
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Wir werden über Wasserstoff Deutschland in Zukunft versorgungssicher machen. Das Ziel der Versorgungssicherheit ist vorgegeben. Wir werden den Weg über Gas gehen müssen. Erdgas wird eine Übergangstechnologie sein. Aber dieser Weg ist vorgezeichnet.
Meine Damen und Herren, ich finde, es ist eine sehr rückwärtsgewandte Debatte, die Sie uns hier aufgezwungen haben.
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Sie haben eine rückwärtsgewandte Debatte deswegen aufgemacht, weil Sie irgendwie die Nutzung alter Technologien verlängern wollen. Die Zukunft, um die es geht, geht in die Richtung der Frage: Wie versorgen wir den Globalen Süden mit Versorgungssicherheit?
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Vor allen Dingen aber: Wer wird den Globalen Süden mit günstiger erneuerbarer Energie versorgen? Das ist die Aufgabe, vor der diese Bundesregierung steht:
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Wir müssen beweisen, dass wir ein Energiesystem schaffen, das eine günstige CO2-neutrale Energieversorgung gewährleistet.
Der einzige Weg, den wir beschreiten können, um mit deutscher Technologie in anderen Ländern dafür zu sorgen, dass wir Klimaschutz gemeinsam als globale Herausforderung verstehen und umsetzen, ist die Kombination aus erneuerbaren Energien und Wasserstoff – und das können wir beweisen. Wenn wir das in Zukunft nicht beweisen, dann werden wir keinen Klimaschutz machen. Deswegen, meine Damen und Herren, müssen wir uns anstrengen, dass dieser Weg in Zukunft gegangen wird. Dafür steht die neue Bundesregierung, und darauf freue ich mich.
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Vielen Dank, Herr Dr. Köhler. – Als nächster Redner in dieser Debatte erhält das Wort Dr. Andreas Lenz für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute einen Antrag der AfD. Dieser Antrag ist weder besonders neu noch besonders originell; aber das sind wir ja gewöhnt. Es handelt sich um eine Ansammlung von Fehlinformationen, aber auch von Irrtürmen, und deshalb werden wir den Antrag ablehnen.
Das Thema Atomstrom wird unterschiedlich gesehen, unterschiedlich diskutiert und auch unterschiedlich bewertet, auch auf europäischer Ebene; das muss man schlicht konstatieren. Zum einen wollen die deutschen Kraftwerksbetreiber diese Technologie im Moment nicht, und zum anderen ist auch klar: Atomstrom ist eben nicht die günstigste Form der Energieerzeugung. Übrigens ist es auch so, dass kein Versicherungsunternehmen der Welt Atomkraftwerke versichert. Marktwirtschaft sieht anders aus, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Daher erübrigt sich für den Moment die Diskussion. Aber ich möchte auch sagen, dass die Behandlung des Themas „Forschung und Entwicklung in diesem Bereich“ von uns offen unterstützt wird. Unter der unionsgeführten Bundesregierung ging der Ausbau der Erneuerbaren massiv voran. Wir stehen bei annähernd 50 Prozent Erneuerbaren im Strombereich – natürlich immer im Schnitt.
Wir haben die Klimaschutzziele 2020 erreicht: 40 Prozent weniger CO2-Ausstoß im Vergleich zu 1990. Und: Wir haben das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppelt. Man muss hier auch einmal konstatieren: Das waren wir, und es waren nicht Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Die Union hat die Nationale Wasserstoffstrategie initiiert. Diese muss jetzt natürlich weitergedacht werden; Stichwort „delegierter Rechtsakt“.
Die Energiewende – zu Ende gedacht – wird nicht nur in Deutschland stattfinden. Es gilt, internationale Partnerschaften für die Erzeugung von Power-to-X, von synthetischen Kraftstoffen, aber eben auch von Wasserstoff zu schmieden. Wir werden in Deutschland auch zukünftig nicht energieautark sein können. Wir müssen natürlich nationale Potenziale heben, aber wir müssen auch global denken.
Deutschland hat im internationalen Vergleich mit die höchsten Strom- und Energiekosten. Das ist langfristig natürlich Gift für den Produktionsstandort, und es ist natürlich auch eine soziale Frage. Wir wollten die EEG-Umlage schon in der letzten Legislatur abschaffen. Das ging damals mit dem Bundesfinanzminister leider nicht,
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und wir werden ganz genau schauen, ob und wie Sie die EEG-Umlage jetzt tatsächlich abschaffen wollen.
Wenn man den Koalitionsvertrag liest, dann sieht man, dass Sie in der Ampelkoalition jetzt einiges wollen. Aber das Wollen alleine wird nicht reichen. Wir werden auch ganz genau schauen, ob und wie Sie die Dinge erreichen werden.
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Wir werden Sie an der Realität messen.
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Versorgungssicherheit ist wichtig; das Thema sollte auch gesetzlich entsprechend definiert und geregelt werden. Wenn wir aus der Atomenergie und aus der Kohle aussteigen, dann brauchen wir Ersatzkapazitäten. Sie schreiben im Koalitionsvertrag zwar, dass Sie Gaskraftwerke errichten wollen, aber die wachsen natürlich nicht einfach aus dem Boden. Wir brauchen für diese neuen Kraftwerke Anreize, Investitionssicherheit und letzten Endes auch Planungssicherheit mit einem Kapazitätsmarkt.
Außerdem müssen Sie in Ihrer Koalition immer noch Ihr Verhältnis zu Nord Stream 2 klären. Da gibt es völlig unterschiedliche Wahrnehmungen und auch widersprüchliche Aussagen. Auch daran werden wir Sie messen.
Klar ist für uns: Wir brauchen weiterhin Innovationen, wir brauchen Technik, wir brauchen Anreize, wir brauchen einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien, aber eben auch Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit, und dafür stehen wir.
In dem Sinne: Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Lenz. – Als letzter Redner in dieser Debatte erhält das Wort für seine erste Rede im Deutschen Bundestag der Abgeordnete Jakob Blankenburg.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einem Jahr werden die letzten deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet, und damit endet auch ein Stück deutscher Geschichte, einer Geschichte, die mit dem Glauben an Technik und Fortschritt begann und im erbitterten Widerstand von Teilen der Bevölkerung mündete, einer Geschichte, die eigentlich schon viel früher hätte beendet werden sollen und dann doch weitererzählt wurde, einer Geschichte, an deren Ende eine Menge hochradioaktiver Müll stehen wird.
Man kann diese Geschichte aus verschiedenen Perspektiven erzählen. Das Fazit ist aber immer das Gleiche: Es ist gut, dass wir aus der Atomenergie aussteigen. – Und das haben wir auch im Koalitionsvertrag bekräftigt.
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Die AfD schlägt nun, alle Jahre wieder, vor, den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke zu ermöglichen. Die Geschichte der deutschen Atomkraft soll nach dem Willen der AfD nicht enden. Sie begründet das mit der angeblichen Versorgungssicherheit und der vermeintlichen Umweltfreundlichkeit. Liebe AfD, mit Verlaub: Das ist Unsinn.
Der Anteil der Atomkraft am Primärenergieverbrauch ist gering. Sie kann deshalb keinen erwähnenswerten Beitrag zum Erreichen der Klimaziele leisten. Eine Abschaltung der AKWs wird auch nicht zu einem Blackout führen, wie wir heute ja auch schon von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern gut ausgeführt bekommen haben.
Atomkraft ist unglaublich teuer, vor allem, wenn man die Kosten für die Zwischen- und Endlagerung mit hineinrechnet.
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Jeder Cent, der in Atomkraft investiert wird, fehlt beim Ausbau der erneuerbaren Energien.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Wendland – es gehört zu meinem Wahlkreis – ist ganz besonders eng mit der Geschichte der Atomenergie verbunden. In Gorleben sollte ein atomares Endlager entstehen. Sie alle kennen die Bilder von Polizeihundertschaften, von Großdemonstrationen und von Menschen, die sich an Gleise ketten. Im Wendland steht heute noch das Anti-Atomkraft‑X in jedem zweiten Vorgarten. Das Misstrauen und das Gefühl der Ohnmacht haben die Menschen hier geprägt. Die Atomkraft und die Frage der atomaren Endlagerung waren lange Zeit zentrale Konfliktfelder – im Wendland und im ganzen Land.
Nach dem Reaktorunglück in Fukushima hat dieses Haus im parteiübergreifenden Konsens endgültig den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen – absolut zu Recht!
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Der Beschluss zum Ausstieg aus der Atomkraft hat Konfliktlinien befriedet. Er hat dafür gesorgt, dass sich unterschiedliche gesellschaftliche und politische Gruppen an einen Tisch setzen konnten.
Die Endlagersuche erfolgt nun nach wissenschaftlichen Kriterien. Sie wird ergebnisoffen durchgeführt, und die Bevölkerung wird in die Suche mit einbezogen. Am Ende dieser Suche wird es einen Standort für radioaktiven Müll in Deutschland geben.
Bis zu 1 900 Castoren mit hochradioaktiven Abfällen werden dort lagern; denn der Müll bleibt, auch dann, wenn wir über die zivile Nutzung der Atomkraft in Deutschland nur noch in den Geschichtsbüchern lesen können. Ich kann nur sagen: An jedem einzelnen Tag, an dem ein AKW weiterläuft, wird mehr Atommüll produziert. Jeder Tag, den die Atomkraftwerke in Deutschland nach 2022 weiterlaufen werden, ist ein Tag zu viel.
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Dieser Meinung sind im Übrigen nicht nur die Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen und ich. Selbst die Betreiber der sechs noch laufenden Atomkraftwerke stimmen uns zu – ich zitiere –:
Kurz vor Abschalten in Deutschland eine Debatte darüber zu starten, ob Kernkraftwerke einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten, ist befremdlich.
Das zum Beispiel sagte der von Ihnen zitierte EON-Chef Birnbaum am 11. November dieses Jahres dem „Handelsblatt“.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben nur wenige Jahrzehnte Atomkraft genutzt. Meine Generation – das gilt auch für alle folgenden Generationen – hat kaum oder gar nicht davon profitiert. Mit dem Atommüll müssen wir trotzdem leben; das können wir nicht mehr ändern.
In Sachen Strom wird in unserem Land nun eine neue Geschichte geschrieben: Die AKWs werden geschlossen. Die Endlagerung ist auf dem Weg. Erneuerbare Energien werden enorm ausgebaut. – Das ist das, was wir in Sachen Versorgungssicherheit brauchen. Deshalb lehnen wir den Antrag der AfD ab.
Vielen Dank.
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Herzlichen Dank. – Ich schließe die Aussprache.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit der Erfindung von Hartz IV kämpft Die Linke für die Überwindung von Hartz IV, und das aus gutem Grund; denn Hartz IV bedeutet Armut per Gesetz.
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In all den Jahren war hier im Bundestag immer ein Abwehrmuster zu beobachten: Die Anhänger der Hartz-IV-Sanktionslogik versuchten, die hart arbeitenden Menschen gegen die Erwerbslosen auszuspielen. – Als ob die Verkäuferin auch nur einen Cent mehr in der Tasche hat, wenn es anderen noch schlechter geht! Wir wissen doch: Das Gegenteil ist der Fall. Niedrige Sozialleistungen und das Damoklesschwert der Sanktionen haben das Lohnniveau nach unten gedrückt. Wer also möchte, dass die Verkäuferin mehr bekommt, muss sich für höhere Löhne einsetzen, aber nicht für niedrigere Sozialleistungen.
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„Wir lassen Hartz IV hinter uns“, das war das große Versprechen der SPD, als es ihr in den Umfragen schlecht ging. Die Grünen versprachen im Wahlkampf dann immerhin eine Erhöhung um 50 Euro. Inzwischen steht fest: Die Ampel wird die Sozialleistungen nicht erhöhen. Hartz IV heißt jetzt „Bürgergeld“; aber es ist weiter Armut per Gesetz. Ich sage: Neue Begriffe allein füllen keinen Kühlschrank. Wer Hartz IV wirklich überwinden will, der muss gute Löhne und eine sanktionsfreie Mindestsicherung in Höhe von 1 200 Euro durchsetzen.
({2})
Auch die jährliche Anpassung bleibt weit hinter der Inflation zurück. Während die Lebensmittelpreise im November um 4,5 Prozent gestiegen sind, sollen die Sozialleistungen nur um 0,7 Prozent steigen. Ein Anstieg um 4,5 Prozent bei den Lebensmittelpreisen und eine Anpassung der jährlichen Sozialleistungen um 0,7 Prozent: Das heißt, den Armen wird weniger Geld für Lebensmittel zur Verfügung stehen.
Der Kampf gegen Armut erfordert Empathie für die Betroffenen, einen regen Austausch mit ihnen; aber er erfordert schlichtweg auch Geld. Deshalb braucht es eins so dringend: Mumm, um der FDP Kontra zu geben und um höhere Steuern auf Millionenerbschaften, Millioneneinkommen und Millionengewinne durchzusetzen. Es ist ein Jammer, dass dieser Mumm bei der Ampel aktuell nicht zu finden ist.
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An die Adresse von SPD und Grünen: Dass ihr im Moment eures Erfolges just das Versprechen gegenüber den Ärmsten sofort vergessen habt, wird an euch hängen bleiben, wenn ihr hier nicht nachsteuert.
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Meine Damen und Herren, oft wird ja so getan, als ob Armut und Hartz IV nur die Probleme der anderen seien. Die Coronakrise hat uns jedoch eins sehr klar vor Augen geführt: Es kann sehr schnell gehen. Gerade noch läuft das Geschäft gut, und dann ist man auf Unterstützung angewiesen. Deshalb gilt: Ein sicheres soziales Netz, ja, soziale Garantien sind nicht nur für die akut darauf Angewiesenen wichtig, sondern sie prägen das ganze gesellschaftliche Klima. Kurzum: Von sozialen Garantien profitieren wir alle. Deswegen wird Die Linke nicht lockerlassen und weiter dafür streiten.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Kipping. – Als nächste Rednerin, auch zu ihrer ersten Rede hier im Deutschen Bundestag, erhält Annika Klose das Wort für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sozialdemokratie wurde mit dem Ziel gegründet, allen Menschen ein Leben frei von Armut und Ausbeutung zu ermöglichen.
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Dass die Zahl der Menschen in unserem Land, die von Armut bedroht sind, derzeit steigt, ist für uns inakzeptabel.
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Durch die Coronapandemie droht sich die finanzielle Situation von Menschen mit geringem Einkommen noch weiter zu verschärfen. Daher danke ich den Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke für ihre beiden Anträge, mit denen sie diese wichtigen Themen heute hier auf die Tagesordnung setzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann Ihnen aber versichern: Unsere Koalition wird mit aller Kraft daran arbeiten, für alle Menschen in diesem Land ein Leben in Respekt und Würde zu ermöglichen – in Zeiten der Pandemie und darüber hinaus.
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Der Koalitionsvertrag der Ampelfraktionen bietet dafür die richtigen Bausteine. Diese Bundesregierung wird das Bürgergeld einführen und endlich Hartz IV überwinden.
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Ich freue mich sehr über diesen längst überfälligen Paradigmenwechsel in unserem gesellschaftlichen Umgang mit Armut und Arbeitslosigkeit. Es ist absolut notwendig, dass jedem Menschen in diesem Land zu jedem Zeitpunkt und in jeder Lebenssituation mit Respekt und Würde begegnet wird. Zu oft haben Menschen im Hartz-IV-Bezug den Eindruck gewonnen, dass dies nicht der Fall ist und haben sich durch staatliche Maßnahmen schikaniert gefühlt. Das wollen und das werden wir ändern.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, ich finde es schade, dass Sie diesen wichtigen Paradigmenwechsel jetzt kleinreden, obwohl auch Sie jahrelang für genau diese Änderung gekämpft haben. Das Bürgergeld ist keine Veränderung bloß auf dem Papier, sondern bedeutet eine ganz konkrete Verbesserung der Lebenssituation für die betroffenen Menschen.
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Wir machen Schluss mit der Misstrauenskultur und werden eine Kultur auf Augenhöhe einführen und so neues Vertrauen schaffen. Denn wir gehen davon aus, dass jeder Mensch grundsätzlich etwas zu dieser Gesellschaft beitragen möchte. Dabei werden wir die Menschen unterstützen.
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Vertrauen heißt auch, dass in den ersten beiden Jahren des Bürgergeldbezugs Vermögen nicht angerechnet und die Größe der Wohnung nicht überprüft wird. Wer arbeitslos wird, muss keine Angst haben, direkt die Ersparnisse fürs Alter zu verlieren oder aus dem gewohnten Umfeld verdrängt zu werden. Im Gegenteil: Das Bürgergeld bietet neue Chancen und Unterstützung. In einer sich rasant wandelnden Arbeitswelt kann niemand mehr davon ausgehen, ein Leben lang im selben Beruf zu arbeiten, meine Generation schon gar nicht. Daher schaffen wir auch den Vermittlungsvorrang ab. Das heißt, dass man nicht mehr den nächstbesten freien Job annehmen muss, sondern dass Weiterqualifizierung und eine neue Ausbildung gleichwertig unterstützt werden.
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Ganz besonders freut es mich, dass wir in dieser Legislatur den Kampf gegen Kinder- und Jugendarmut aktiv angehen werden. Gerade für Kinder aus Familien im bisherigen Hartz-IV-Bezug werden wir die Lebensbedingungen massiv verbessern. Wir werden eine Kindergrundsicherung einführen und Jugendliche und Kinder vor Armut schützen, ganz unabhängig von der Einkommenssituation der Eltern.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch zum Thema Sanktionen wurde hier gesprochen. Von den Sanktionen im Hartz-IV-System sind vor allem Menschen betroffen, die sich schon länger in einer Grundsicherung befinden. Dem liegt oft nicht der Unwille der Betroffenen, mitzuwirken, zugrunde; vielmehr liegt es an vorhandenen sozialen und psychischen Problemen. Wir wollen diese Menschen nicht sanktionieren, sondern wir wollen ihnen helfen. Daher setzen wir vor allem auf aufsuchende Sozialarbeit und neue Angebote.
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Und: Im kommenden Jahr werden wir die Mitwirkungspflichten evaluieren und neu regeln. Denn unser Sozialstaat lebt vom Solidarsystem. Das bedeutet, dass möglichst alle ihren Beitrag leisten, so wie sie es können, und dass Unterstützung sicher ist, wenn man sie braucht. Dafür steht das neue Bürgergeld.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der heutigen Debatte geht es auch um die Auswirkung der Inflation auf Menschen mit geringem Einkommen. Ich möchte zunächst festhalten, dass die aktuell hohe Inflationsrate ein temporäres Phänomen ist, wie meine Kollegin Cansel Kiziltepe und mein Kollege Martin Rosemann letzte Woche schon ausführlich dargelegt haben. Aber dennoch werden wir uns natürlich für die Menschen mit geringem Einkommen einsetzen und Abhilfe schaffen, insbesondere bei den stark steigenden Heizkosten. Für Bezieherinnen und Bezieher von Grundsicherungsleistungen werden die Kosten für Unterkunft übernommen und damit auch die gestiegenen Heizkosten. Für Menschen mit geringem Einkommen ohne Grundsicherung haben wir uns als Koalition darauf verständigt, dass die gestiegenen Heizkosten über eine Klimakomponente im Wohngeld ausgeglichen werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie zu Beginn gesagt: Niemand soll in diesem Land in Armut leben. Mit dem Bürgergeld, der Kindergrundsicherung, 12 Euro Mindestlohn und einer tatkräftigen Bundesregierung wird dieses Ziel Realität. Ich freue mich darauf, daran mitzuarbeiten, und auf die künftige Zusammenarbeit.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Annika Klose. – Als nächster Redner in dieser Debatte erhält für die CDU/CSU-Fraktion Kai Whittaker das Wort.
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Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine beiden Vorrednerinnen haben sich redlich Mühe gegeben, den Anschein zu erwecken, dass es einen großen Unterschied zwischen der SPD und den Linken gibt.
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Mir scheint aber, Die Linke ist über Nacht heimlich der Ampelkoalition beigetreten; denn was man in dem Antrag liest, findet sich auch im Koalitionsvertrag wieder, meine Damen und Herren.
Die Linke fordert, die Sanktionen abzuschaffen, den Wohnkostenzuschuss zu erhöhen, das Schonvermögen zu erhöhen. All das hat die Ampel auch vor. Die Ampel ist also beim Arbeitslosengeld II einer Meinung mit den Linken. Wenn es aber von der Linken über Rot-Grün bis zur FDP keine Unterschiede mehr gibt in der Sozialpolitik, dann ist ein christdemokratischer, ein christsozialer Gegenentwurf umso wichtiger.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Kipping?
Sehr gerne.
Vielen Dank. – Herr Kollege Whittaker, wenn Sie hier den Eindruck erwecken, dass das, was wir als Linke in diesem Punkt vorgelegt haben, also die sanktionsfreie Mindestsicherung in Höhe von 1 200 Euro, identisch ist mit dem Bürgergeld der Ampelkoalition, dann möchte ich gerne ein paar Faktoren abfragen:
Erste Frage: Sind Sie der Meinung, dass wir die gleichen Regelungen bei den Sanktionen haben? Also, können Sie mit Sicherheit sagen, dass die Koalition wirklich eine hundertprozentige Sanktionsfreiheit will?
Zweite Frage – das war der zentrale Kern, zu dem ich gesprochen habe –: Ist Ihnen bewusst, dass wir als Linke eine Mindestsicherung von 1 200 Euro wollen und finden, dass die Regelsätze mindestens auf 658 Euro erhöht werden müssen? Und wissen Sie, dass die Ampel keinerlei Erhöhung vorsieht?
Liebe Frau Kollegin Kipping, wenn Sie wissen wollen, was die Koalition vorhat, dann muss ich Ihnen sagen: Das kann ich Ihnen als Mitglied der CDU/CSU-Fraktion nicht mehr sagen; das haben Sie ja hoffentlich mitbekommen.
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Was das Thema Sanktionen angeht, kann ich aber zum Beispiel sagen, dass die Ampelkoalition vorhat, bis es neue Regelungen im SGB II gibt, die Sanktionen auszusetzen.
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Das bedeutet ein weiteres Jahr ohne Sanktionen; denn ich vermute mal, dass es ziemlich lange dauern wird, bis der entsprechende Gesetzentwurf durch das Parlament durch ist.
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– Nein, es geht nicht schneller, weil Sie schon noch die Verwaltung brauchen werden, Herr Kuhle, damit das funktioniert.
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Sie wollen ja die Leute nicht ins Chaos stürzen.
Das bedeutet also, dass wir im nächsten Jahr dann schon seit drei Jahren keine Sanktionen mehr in diesem Land haben werden, weil seit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil von vor zwei Jahren die Sanktionen de facto ausgesetzt sind.
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Da sage ich nur: Nachtigall, ick hör dir trapsen. – Ich glaube nämlich auch nicht, dass die Ampelkoalition dann den Mut hat, die Sanktionen wieder einzuführen, sondern sie wird natürlich, weil man auch im Koalitionsvertrag überhaupt nichts dazu liest, versuchen, sie so weit wie möglich abzuschaffen.
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Deshalb glaube ich nicht, dass nachher die Unterschiede zwischen Ihrer Politik und der der Ampel so wahnsinnig groß sind. Das sind eher homöopathische Unterschiede.
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Also, ein Gegenentwurf ist wichtig. Die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der Union, unser Gegenentwurf, folgt den drei einfachen Prinzipien der christlichen Soziallehre: Es geht uns um die Personalität. Die Würde des Menschen steht also im Mittelpunkt. Zweitens braucht es die Subsidiarität, wonach zunächst jeder das tun soll, was er kann, um mit seiner Hände Arbeit den Lebensunterhalt für sich und die Seinen zu verdienen. Denn die Subsidiarität ist die Voraussetzung für das dritte Prinzip, die Solidarität,
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wonach jeder, der auf die Hilfe der Gemeinschaft angewiesen ist, sie auch erhält.
Wenn ich diese Prinzipien an die Sozialpolitik der Linken und der Ampel anlege, dann scheitern Sie kläglich.
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Ihre Sozialpolitik erschöpft sich nämlich darin, arbeitslosen Menschen mehr Geld zu geben, es bequemer im System zu machen. Aber Würde ist für uns mehr als nur Geld. Würde und Teilhabe bedeutet, dass wir Arbeitslosen wieder eine echte Chance geben, auf den eigenen Beinen im Leben zu stehen.
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Uns geht es nicht darum, dass es im Jobcenter muckeliger zugeht, sondern dass man da nicht mehr hinmuss. Frau Kipping, das ist der Unterschied.
Apropos Jobcenter: Was mich wirklich ärgert, ist Folgendes – da muss ich leider auch meine Vorrednerin in Mithaftung nehmen –: Sie stellen sich gerne hierhin und danken den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Jobcentern für ihre Arbeit. Und gleichzeitig bringen Sie es fertig, auch in Ihrem heute vorgelegten Antrag, von Druck und Repressalien in den Jobcentern zu berichten.
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Damit verunglimpfen Sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich sage: Hören Sie auf damit, Frau Kipping!
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Wir als Union sind stolz auf die Sozialverwaltung unseres Landes.
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Und auch das Prinzip der Solidarität verkommt bei Ihnen zur Einbahnstraße. Wenn wir in den letzten Jahren zum Arbeitslosengeld debattiert haben, haben wir nur noch über Sanktionen gesprochen. Dabei betreffen sie bis heute nur einen Bruchteil der Menschen. Aber wer die Hilfe der Gemeinschaft in Anspruch nimmt, hat auch die Verantwortung, schnell aus dieser Hilfe wieder herauszukommen; denn am Ende müssen diese Leistungen auch durch Steuern bezahlt werden, übrigens auch und gerade von Menschen, die wenig Geld verdienen.
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Sanktionen treffen die, die sich dieser Solidarität verweigern. Sie bleiben aus unserer Sicht aber notwendig. Selbst der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, Mitglied der SPD, sagt, dass die Sanktionen ein Mittel sind, um mit diesen Menschen in Kontakt zu bleiben.
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Hören Sie auf ihn, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel!
Meine Damen und Herren, um es klipp und klar zu sagen: Eine Politik, die nur noch fördert und nichts mehr fordert, war nie unsere Politik, ist es nicht und wird es nie werden. Die Erfolge der letzten 16 Jahre kann man am Arbeitsmarkt sehen: Wir haben die Arbeitslosenquote mehr als halbiert. – Unser Gegenentwurf steht. Würde, Eigenverantwortung und Hilfe der Gemeinschaft gehören für uns untrennbar zusammen.
Danke schön.
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Vielen Dank, Herr Kollege Whittaker. – Jetzt kommt für Bündnis 90/Die Grünen, auch zu seiner ersten Rede, Andreas Audretsch.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen Halbsatz zu Kai Whittaker vielleicht direkt zu Anfang: Man kann vortrefflich streiten über die Unterschiede zwischen FDP, Grünen, SPD und Linkspartei; das kann man alles tun. Aber dass Sie die allererste Rede, die Sie hier zu diesem Thema halten, nur dazu nutzen, stolz zu berichten, dass Sie die Allerunsozialsten sind,
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das zeigt nur eins: Es ist gut, dass Sie nicht mehr Teil dieser Bundesregierung sind.
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Für Menschen in der Grundsicherung wird auch dieser Winter wieder ein besonders harter, und das liegt nicht nur an der Inflation, die hier genannt wurde. Die Coronakrise trifft die ärmsten Menschen in diesem Land am allerhärtesten. Vor einigen Minuten ist ein Bericht des Paritätischen veröffentlicht worden, der genau das einmal mehr bestätigt. Wenn dann noch dazukommt, dass die Masken teuer eingekauft werden müssen und die Schüler ihr Mittagessen zu Hause einnehmen, weil in der Schule wieder Quarantäne angesagt ist, dann geht das zulasten des Budgets derjenigen, die ohnehin am allerwenigsten haben. Deswegen ist es völlig klar, dass wir an der Stelle Lösungen vorlegen müssen. Ich sage Ihnen eins: Genau das tun wir.
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Liebe Katja Kipping, vielleicht machen wir es mal ganz konkret: Anne Spiegel, unsere Bundesfamilienministerin, hat am Tag der Amtseinführung – das war eine der allerersten Handlungen – einen Sofortzuschlag für Kinder aus armen Familien angekündigt. 2,7 Millionen junge Menschen werden genau davon profitieren. Das ist etwas, was wir jetzt direkt umsetzen, und zwar mit dem Bundessozialminister und – das ist eine Sache, die mir noch viel besser gefällt – gemeinsam in der gesamten Ampel hier im Deutschen Bundestag.
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Besonders akut ist die Lage angesichts der steigenden Energiekosten, der Heizkosten. Auch da müssen wir reagieren. Selbstverständlich. Deswegen ist es erstens wichtig, dass die Jobcenter die Nachzahlungen unbürokratisch erstatten. Zweitens lassen wir auch die Menschen, die Wohngeld beziehen, nicht aus dem Blick. Schauen Sie mal auf Seite 91 des Koalitionsvertrages: Wir werden „kurzfristig einen einmalig erhöhten Heizkostenzuschuss zahlen“. Das ist das, was da steht. Auch das werden wir jetzt angehen. Jetzt ist Winter. „Kurzfristig“ heißt selbstverständlich: Das muss schnell kommen. – Das werden wir jetzt in der Ampelkoalition ebenso angehen.
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Die Akutmaßnahmen, die ich genannt habe, sind wichtige Schritte. Aber nichtsdestotrotz ist genauso klar, dass diese ersten Schritte nur ein erster Aufschlag sein können, um das System Hartz IV ganz grundsätzlich zu überwinden.
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Die Ampelkoalition plant nichts Geringeres als die größte sozialpolitische Reform seit der Agenda 2010. Ja, wir werden Hartz IV überwinden – das ist das Ziel – und ein völlig neues, auch in der Substanz völlig neues Bürgergeld vorlegen. Daran arbeiten wir, und nichts weniger ist der Anspruch dieser Koalition.
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Was heißt das konkret? Wir wollen einen Sozialstaat auf Augenhöhe. Sanktionen unter das Existenzminimum sind absolut inakzeptabel.
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Deswegen starten wir genau auf diesem Weg. Wir werden ein Moratorium in Kraft setzen, und bis Ende 2022 wird es ein völlig neues Gesetz geben. Glauben Sie mir, wir treten in diesem Prozess, der jetzt ansteht, dafür ein, dass wir an der Stelle eine dauerhaft gute Lösung finden.
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Ein zweiter Punkt, der mir wichtig ist – ich sehe das in meinem Wahlkreis, hier in Berlin-Neukölln, immer wieder –: Es gibt so viele Menschen, die gehen erst gar nicht in die Grundsicherung, weil sie Angst haben. Sie haben schlicht und ergreifend Angst, ihre Wohnung zu verlieren. Das ist das, was passiert. Auch damit machen wir jetzt Schluss. In Zukunft wird es so sein, dass in den ersten zwei Jahren die tatsächlichen Kosten der Unterkunft übernommen werden, ohne Wenn und Aber. Das ist ein riesig großer Schritt; den kann man gar nicht hoch genug einstufen, gerade vor dem Hintergrund, dass wir damit verdeckte Armut angehen.
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Ein weiterer Punkt ist wichtig. Wie oft haben wir den Satz gehört: „Arbeit muss sich lohnen“ – aus den ganz verschiedenen Ecken. Jetzt gehen wir das tatsächlich konkret an. Wir regeln die Hinzuverdienstmöglichkeiten völlig neu. Schüler/-innen und Studierende zum Beispiel, die in der Grundsicherung sind, sollen künftig das, was sie verdienen, auch behalten können. Auch das ist ein riesiger Schritt, übrigens ganz besonders für die jungen Menschen in unserem Land.
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Zum Schluss komme ich zu einem Punkt, der mir sehr wichtig ist. Im Koalitionsvertrag steht, dass das Bürgergeld – ich zitiere – gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen soll. An der Stelle mache ich keinen Hehl daraus: Wir Grüne haben sehr genau berechnet, was das bedeutet, und wir sind an der Stelle sehr, sehr klar: Die Regelsätze sind zu niedrig; die Regelsätze müssen steigen.
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Und das werden wir in der Debatte und bei der Reform, die jetzt ansteht, auch genau so in den Mittelpunkt stellen.
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Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Weil die Zeit zu Ende ist, ein letzter Satz: Die Umsetzung des Ganzen beginnt jetzt. Wir machen uns an die Arbeit, und das machen wir zusammen mit den Wohlfahrtsverbänden, das machen wir zusammen mit den Gewerkschaften, –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– das machen wir zusammen mit den Initiativen. Das wird nicht leicht. Aber ich bin mir sicher: Wir schaffen einen echten Paradigmenwechsel.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Für die AfD-Fraktion erhält jetzt auch für ihre erste Rede Gerrit Huy das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Bürger! Die Fraktion Die Linke will Hartz-IV-Empfänger angesichts der stark gestiegenen Inflation mit einer Aufbesserung ihres Regelbedarfs unterstützen. Das finden wir gut. Gar nicht gut finden wir allerdings, dass sie wesentliche Teile der Bevölkerung dabei komplett vergessen hat, nämlich sehr viele Rentner und leider auch sehr viele Beschäftigte, die mit ihrem Einkommen angesichts der rasant steigenden Preise nicht mehr über die Runden kommen; denn die Inflation in Deutschland explodiert.
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Im November betrug die Preissteigerung bereits 5,2 Prozent, der höchste Anstieg seit fast 30 Jahren. Heizung, Strom, Kraftstoffe verteuerten sich sogar um mehr als 20 Prozent. Von Geldwertstabilität kann da keine Rede mehr sein. Und genau diese Inflation trifft Sozialhilfeempfänger, Geringverdiener und Menschen mit niedriger Rente am härtesten. Die grassierende Teuerung frisst zudem ihre Sparrücklagen auf.
Das alles scheint die Ampelregierung nicht zu rühren. Unbeirrt von den Sorgen der Bürger setzt sie ihren drastischen Verteuerungskurs fort. Der Grund: Der Bürger soll erzogen werden.
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Er soll weniger heizen, weniger Auto fahren, weniger Fleisch essen. All das wird gezielt verteuert. Es verteuert sich aber auch vieles andere; denn Energiekosten stecken in praktisch allen Produkten, und diese werden jetzt zusätzlich mit der CO2-Steuer beaufschlagt, als wenn nicht schon genug Steuern in den Energiekosten steckten. Mehr als 50 Prozent der Stromkosten und fast 70 Prozent der Spritkosten sind Steuern. Und diese wirtschaftsschädigende CO2-Steuer soll dann Jahr für Jahr weiter erhöht werden. Wir fordern: Weg damit! Das Klima wird sich dadurch sicherlich nicht umstimmen lassen.
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Wenn die Ampel dann auch noch Nord Stream 2 blockiert, werden die Gaspreise weiter eskalieren.
Und liebe Linke, eine sanktionsfreie Mindestsicherung für arbeitsfähige Menschen geht gar nicht.
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Sie nennen die Zahlen selbst: 7 Millionen Sozialgeldempfänger, davon gut die Hälfte erwerbsfähig. Genau dort werden übrigens auch viele der Asylsuchenden landen, die die Ampel ins Land holen will.
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Schon heute beziehen 2 Millionen Ausländer Hartz-IV-Leistungen. Dem gegenüber stehen gerade einmal 15 Millionen Nettosteuerzahler, die nicht nur die Hartz-IV-Leistungen finanzieren, sondern unsere gesamten Staatsausgaben.
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Das ist auf Dauer schlicht nicht finanzierbar. Schon jetzt bleibt immer weniger für die eigenen Bürger übrig. Das Armutsrisiko in Deutschland ist mit nahezu 20 Prozent eines der höchsten in Westeuropa.
Für den hart arbeitenden Bürger steht nur noch die AfD ein: Wir hören seine Sorgen, wir schauen auf seine Nöte. Aber auch die Regierung muss endlich die Augen aufmachen und erkennen, was sie in diesem Land anrichtet. Entlasten Sie endlich die Bürger! In einem ersten Schritt fordern wir: Erhöhen Sie den steuerlichen Freibetrag auf 12 600 Euro – das ist der gleiche Betrag, den auch der VdK fordert –,
Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.
– und passen Sie ihn künftig regelmäßig an die Inflation an. Das entlastet auf effektive Weise Menschen mit niedriger Rente und Geringverdiener. Es bleibt ihnen dann spürbar mehr Netto vom Brutto.
Danke schön.
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Vielen Dank. – Als nächster Redner in dieser Debatte erhält das Wort für die FDP-Fraktion Pascal Kober.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren hier zwei Anträge der Linken. Der eine beschäftigt sich mit der Frage der steigenden Kosten durch die Inflation. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Das trifft Menschen im Sozialleistungsbezug, betrifft aber auch Menschen mit geringen Einkommen und letztlich alle in unserer Gesellschaft. Deshalb muss da ein gesamtes Konzept durchdacht und in Anschlag gebracht werden. Darüber werden wir noch diskutieren.
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Der andere Antrag aber, den die Linken hier in den Bundestag eingebracht haben, beschäftigt sich auf dreieinhalb Seiten in 17 Themenkomplexen vor allen Dingen mit der Frage der Ausweitung der Sozialleistungen in unserem Sozialstaat. In 16 dieser 17 Abschnitte stellen Sie die Frage, wie man Sozialleistungen ausweiten kann, und nur in einem einzigen dieser 17 Abschnitte stellen Sie sich die Frage, wie Menschen eigentlich den Sozialleistungsbezug verlassen können. Nur in einem einzigen dieser 17 Abschnitte stellen Sie sich die Frage, wie Menschen in Arbeit kommen können. Und allein die Gewichtung dieser Themen zeigt den Unterschied zwischen Ihnen und uns. Wir haben in unserem Koalitionsvertrag festgestellt, dass wir die Potenziale der Menschen in den Mittelpunkt stellen wollen. Das ist der fundamentale Unterschied.
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Aber Sie glauben eben nicht an die Potenziale der Menschen. Sie glauben nicht an die Kräfte der Menschen. Sie glauben nicht an die Möglichkeiten der Menschen.
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Sie glauben nicht an den Selbstbestimmungs- und Selbstbehauptungswillen der Menschen. Sie glauben nicht an die Chancen. Deshalb kommen Sie ganz natürlicherweise zu der Gewichtung, wie sie sich in Ihrem Antrag zeigt.
Da ist ein ganz großer Unterschied zwischen uns und Ihnen; denn wir wollen die Menschen im Bürgergeldbezug, wenn es dann das Bürgergeld sein wird, eben nicht aufgeben.
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Wir wollen ihnen den Einstieg oder den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt, in die Selbstbestimmtheit ermöglichen. Diesen Unterschied möchte ich hier ganz deutlich herausstellen und betonen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Schaut man dann genauer in Ihren Antrag, schaut man in diesen einen Abschnitt, in dem Sie die Frage aufwerfen, wie Menschen in Arbeit kommen können, stellt man fest, dass Ihnen drei Forderungen eingefallen sind: Die eine, nämlich die Abschaffung des Vermittlungsvorrangs, haben Sie von uns abgeschrieben. Das steht auch in unserem Koalitionsvertrag. Auch die zweite, nämlich die Einführung eines Weiterbildungsgeldes, findet sich bei uns im Koalitionsvertrag. Also schauen wir auf Ihre dritte Forderung. Da sagen Sie, dass Sie einen Rechtsanspruch auf vorrangig abschlussbezogene Aus- und Weiterbildung wollen. Auch wir sagen in unserem Koalitionsvertrag, dass die berufsqualifizierende Ausbildung stärker in den Mittelpunkt der Arbeitsförderung gerückt werden muss. Auch das sagen wir.
Nur: An der Stelle zeigt sich einmal mehr, wie weit Sie eigentlich von der Lebenssituation der Menschen entfernt sind, weil das ja für viele nur der zweite Schritt sein kann. Für viele ist der erste Schritt, dass man zunächst einmal die Grundkompetenzen fördert; denn es macht keinen Sinn, in eine berufsqualifizierende Ausbildung zu gehen, wenn man sie am Ende wahrscheinlich gar nicht schafft, weil man die Voraussetzungen dafür nicht mitbringt. Diesen realistischen Blick auf die Menschen in unserem Sozialstaat muss man haben; sonst geht Sozialpolitik am Thema vorbei. Das ist leider bei Ihnen der Fall.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, es ist eben kein Zufall, dass Sie Ihren Antrag so ausgerichtet haben. Es ist kein Zufall, dass Sie Leistungsausweitungen in den Mittelpunkt stellen, weil für Sie der Gedanke der Unabhängigkeit vom Sozialstaat kein Wert an sich ist. Und das unterscheidet uns von Ihnen.
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Diesen Unterschied werden wir auch weiter betonen. Wir werden Ihnen zeigen, wie man Sozialpolitik macht, damit Menschen unabhängig vom Sozialstaat werden.
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Das ist etwas, was mit Respekt zu tun hat, und dafür kämpft diese Ampelkoalition.
Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Vielen Dank, Herr Kollege Kober. – Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun das Wort Peter Aumer.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich darf auf den Antrag „Existenzminimum sichern – Inflationsausgleich bei Regelsätzen garantieren“ eingehen.
Von Inflation, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind Grundsicherungsempfänger betroffen, ja, aber auch Rentnerinnen und Rentner, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Unternehmerinnen und Unternehmer – und das ist ein Problem unseres Landes, unserer Gesellschaft. Der Antrag der Linken zeigt, wie eindimensional Sie denken, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Wenn man sich die Rednerinnen und Redner der Ampel anschaut, stellt man fest, dass es bei einem Teil genauso ist. Ich glaube, das zeigt auch Ihre Haltung, sehr geehrte Frau Kipping.
Das macht deutlich, dass die Verbindung von Wirtschaft und Sozialpolitik in unserem Land zunehmend in Unwucht gerät.
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Aus Sicht unserer Partei, meine sehr geehrten Damen und Herren, muss das zusammengesehen werden. Für uns ist das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft – sehr geehrter Herr Kober, Sie haben versucht, es anzudeuten – die wesentliche Grundlage unserer Entscheidungen. Wenn man Ihre Rede mit den Reden Ihrer beiden Koalitionspartner vergleicht, dann ist dieses Selbstverständnis nicht wirklich sofort ersichtlich.
Ich bin gespannt, wie dieses Bürgergeld dann tatsächlich ausschaut.
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Der Bundeskanzler hat ja gestern in seiner Regierungserklärung den Rahmen dafür gesetzt. Ich bin gespannt, Herr Kuhle, wie wir dann darüber streiten und wie man das liberale Bürgergeld mit den Ansätzen von Rot und Grün zusammenbringt. Diese Auseinandersetzung ist es wert.
Ich glaube, wir müssen in unserem Land ganz aktuell schauen, dass wir das Thema Inflation auch für alle im Blick haben. Die Preisstabilität ist ein Thema vor allem der EZB; das ist mir klar. Aber auch politisch Verantwortliche müssen bei ihren Entscheidungen ökonomische Vernunft walten lassen. Ich habe gestern einen Artikel von Hans-Werner Sinn gelesen, der die Ampelkoalition als Inflationstreiber beschreibt. Das sollte uns allen zu denken geben, vor allem auch dem neuen Bundesfinanzminister; denn zusätzliches Schuldenmachen ist nicht unbedingt der richtige Weg, um Inflation einzudämmen. Und das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist ein ganz wesentlicher Punkt, über den wir uns in den nächsten Wochen und Monaten Gedanken machen müssen.
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Ziel kann es nicht sein, sehr geehrte Frau Kipping, Sozialgarantien zu verlangen, wie Sie das in Ihrer Rede gemacht haben. Ich habe mal nachgeschaut, wie der Bundesrat entschieden hat, als es um die Erhöhung der Regelsätze ging. Ich habe mir sehr genau angeschaut, wie Ihr Ministerpräsident der Linken abgestimmt hat, wie das Bundesland Thüringen abgestimmt hat. Es hat zugestimmt bei der Erhöhung der Regelsätze.
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– Ja, das ist nicht irgendetwas, sondern Politik muss stringent sein, und Politik muss auch ehrlich sein.
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– Das ist kein albernes Argument; das ist Ehrlichkeit. Das, Frau Fraktionsvorsitzende, ist einfach so.
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Wir müssen schauen, dass wir dort ansetzen, wo die Probleme sind. Wir müssen schauen, dass wir die Preistreiber nach unten bekommen. Wir müssen die Energiepreise senken.
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Unser Vorschlag wäre sehr schnell umzusetzen: EEG-Umlage abschaffen, Arbeit muss sich lohnen – das Grundprinzip der sozialen Marktwirtschaft. Ich glaube, daran müssen wir arbeiten. Da sind die Kollegen von der FDP in der Ampel gefordert.
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Ich bin gespannt, wie wir das so hinbekommen, dass das für unser Land gut funktioniert. Wir sind verlässliche Partner. Wir haben die Menschen im Blick. Wir haben aber auch unser Land in Gänze im Blick: die Breite, die Vielfalt der Menschen, die Unternehmer, die Arbeitnehmer und auch die Grundsicherungsempfänger. Und wenn wir in dieser Breite diskutieren, dann sind wir auf dem richtigen Weg.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Aumer. – Als Nächstes erhält das Wort für seine erste Rede im Deutschen Bundestag Takis Mehmet Ali.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! An erster Stelle möchte ich mich bei der Fraktion Die Linke für diesen Antrag bedanken. Sie geben uns damit noch einmal die Chance, diesen großartigen Koalitionsvertrag vorstellen zu dürfen, und zwar im Hinblick auf unser Bürgergeld. Also vielen, vielen Dank.
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– Möglicherweise haben Sie den noch gar nicht gelesen, aber ich komme gleich noch dazu.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, vielleicht verkennen Sie auch eine wichtige Sache: Bei unserem Bürgergeld geht es nicht nur darum, dass wir eine sozialrechtliche Reform voranbringen, indem wir die Arbeitslosenversicherung verändern, sondern es handelt sich dabei auch um ein neues gesellschaftsstärkendes und teilhabeorientiertes Konzept.
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Was wir mit dem Bürgergeld erreichen wollen, entspricht den Ansprüchen einer modernen Leistungssystematik, die jeder und jedem gerecht werden soll.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, insbesondere von der Linksfraktion, ich habe vorhin schon gesagt: Hätten Sie sich unseren Koalitionsvertrag ordentlich durchgelesen, dann hätten Sie sich ein paar Dinge in Ihrem Antrag ersparen können. Ich will Ihnen hier geschwind mal erzählen, worum es geht.
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Erstens. In den ersten beiden Jahren der Leistungsberechtigung wird es keine Anrechnung des Vermögens geben, und wir werden die Angemessenheit der Wohnung anerkennen. Das ist doch im Übrigen das, was auch Sie fordern. Deshalb weiß ich gar nicht, warum Sie den Antrag wieder unverändert eingereicht haben.
Meine Damen und Herren, warum ist das denn so wichtig? Wir werden damit unserem Wahlversprechen gerecht werden, all jenen respektvoll gegenüberzutreten, die aufgrund der Unwägbarkeiten des Lebens ihren Arbeitsplatz verloren haben. Diese Menschen haben ja teilweise jahrelang gearbeitet und sollen daher nicht den Duktus zu spüren bekommen, dass der Staat ihnen jetzt, in dieser schwierigen Lebenslage, alles wieder wegnehmen wird. Genau das zeugt von dem Respekt, den wir gegenüber den Mitbürgerinnen und Mitbürgern in diesem Land auch zeigen möchten.
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Zweitens. Wir gehen aber auch grundsätzlich an die Definition der Angemessenheitsgrenzen heran.
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Und Sie werden mir beipflichten, dass es in den letzten Jahren sehr schwierig war, so etwas insbesondere mit der Union zu machen. Jetzt beglückwünschen Sie uns doch, dass wir da rangehen wollen, und unterstützen Sie uns auch in dieser Sache!
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Aber das Wesentliche kommt noch. Wenn ich Ihren Antrag zur Abschaffung von Hartz IV lese, habe ich manchmal schon das Gefühl, dass Sie von veralteten Sozialstaatsmodellen ausgehen. Wir aber stellen ein Konzept zur Verfügung, das – unabhängig von der sozialrechtlichen Bewertung – meiner Meinung nach auch sozialpädagogisch sehr viel helfen wird. Wir stellen nämlich Rahmenbedingungen zur Verfügung, die einen größeren Personenkreis einschließen werden. Damit werden wir auch die Arbeitsmarktpolitik positiv beeinflussen. Während Ihr Antrag sich hauptsächlich mit Geldleistungen beschäftigt, werden wir – im Gegensatz zu Ihnen – die Lebensziele und die Wünsche der Menschen in den Vordergrund stellen.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie schon erläutert worden ist, machen wir das durch einen potenzialorientierten Ansatz. Wir versprechen Beratung auf Augenhöhe und werden vor allen Dingen wieder das Vertrauen in die Institutionen herstellen. Was aber in diesem Zusammenhang viel wichtiger ist, ist, dass wir ein Kompetenzfeststellungsverfahren einführen, das nicht nur die Hard Skills in den Vordergrund bringen wird, sondern auch die Soft Skills, weil wir den Menschen sehen, seine Förderung in den Blick nehmen und ihn danach erst fordern werden.
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Wir werden in diesem Zusammenhang auch die Eingliederungsvereinbarung abschaffen und durch eine Teilhabevereinbarung ersetzen.
Ich möchte Ihnen noch etwas Wichtiges mitteilen: Wir werden ein begleitendes Coaching und aufsuchende Hilfen durch Sozialarbeit zur Verfügung stellen. Das ist deshalb so wichtig, weil wir jetzt einen Schritt weitergehen müssen, um die Lebenswelten und die persönliche Lage der Menschen zu verstehen, statt nur vom Schreibtisch aus anhand der Aktenlage Bewertungen vorzunehmen. Vielmehr gehen wir vor Ort und unterstützen die Menschen da, wo sie Hilfen benötigen.
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Das ist der Vorteil, und das ist das Neue, was wir mit unserem Bürgergeld beabsichtigen.
Ihr Antrag zeigt daher, dass Sie nicht verstanden haben, dass es nicht nur um Geld geht, sondern dass es auch um die individuellen Bedürfnisse der Menschen geht. Darauf muss man sich einlassen.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.
Ich komme sofort zum Schluss. – Ich möchte nur in diesem Zusammenhang sagen, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wir werden zuhören, weil wir an die Mitbürgerinnen und Mitbürger glauben und weil wir ihnen vertrauen, und wir werden einen modernen Sozialstaat zur Verfügung stellen, an dem die Menschen uns messen können.
Vielen Dank fürs Zuhören, alles Gute und eine schöne Weihnachtszeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege. Ganz so weit sind wir noch nicht. – Ich schließe die Aussprache.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Zu den wichtigsten Aufgaben für uns Abgeordnete hier im Parlament gehört es, dafür zu sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger Vertrauen in die Entscheidungen haben, die wir im Bundestag treffen. Genau dem dient auch dieser Gesetzentwurf. Wir brauchen klare, nachvollziehbare Regelungen für die Höhe der Abgeordnetendiäten. Genau die schaffen wir mit diesem Gesetz.
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Es ist gut, dass sich die neue Ampelkoalition schon im Koalitionsvertrag vorgenommen hat, für mehr Transparenz und mehr Bürgernähe bei unseren Entscheidungen hier im Parlament zu sorgen. Das ist ein ganz wichtiges Vorhaben, ein ganz wichtiges Signal, um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unsere Entscheidungen hier im Bundestag zu sichern, liebe Kolleginnen und Kollegen.
So werden wir, um ein paar Punkte zu nennen, mit einem noch effektiveren Lobbyregister sicherstellen, dass Transparenz darüber herrscht, welcher Interessenverband Einfluss auf ein Gesetzgebungsverfahren genommen hat. Wir wollen zudem mit dem sogenannten exekutiven Fußabdruck Klarheit darüber schaffen, ob und wie Interessenvertreter bei der Erstellung von Gesetzen in den Ministerien durch Kontakte mit Bundesministerien Einfluss genommen haben. Und wir wollen die Straftatbestände der Abgeordnetenbestechung und der Abgeordnetenbestechlichkeit effektiv verschärfen; denn es muss immer klar sein – das müssen wir hier auch strafrechtlich sichern –: Wir Abgeordneten haben für das Allgemeinwohl zu arbeiten, nicht für den eigenen Geldbeutel und schon gar nicht für kriminelle Interessen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Allzu oft wird kritisiert, dass wir Abgeordneten selbst über unsere eigene Entlohnung entscheiden. Dazu sind wir als Gesetzgeber befugt, und es ist auch unsere Aufgabe, selbst für die Festlegung unserer Einkommen zu sorgen. Gerade deshalb aber braucht es hier maximale Transparenz und ganz klare Regeln. Deswegen ist es richtig, dass wir heute mit diesem Beschluss für diese 20. Wahlperiode festlegen, dass unsere Diäten an die Entwicklung des allgemeinen Lohnniveaus gekoppelt sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eine ganz wichtige Entscheidung für diese Wahlperiode.
Es ist fair und gerecht, dass unsere Diäten nur in dem Umfang steigen können, in dem auch die Löhne der Bürgerinnen und Bürger steigen. Sinken die Nominallöhne, wie zum Beispiel coronabedingt 2020, dann sinken auch die Abgeordnetengehälter.
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Konkret ändern sich unsere Diäten jährlich zum 1. Juli in dem Umfang, in dem das Statistische Bundesamt in dessen jeweils im März erstellten Bericht Änderungen bei der Entwicklung der Nominallöhne feststellt. Das ist fair und transparent, und deshalb ist es gut, dass wir gleich zu Beginn unserer Amtszeit, zu Beginn dieser Wahlperiode für diese Wahlperiode die Höhe der Abgeordnetendiäten an die Lohnentwicklung binden. Das schafft Vertrauen und damit Glaubwürdigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Bei der Höhe der Diäten orientieren wir uns weiterhin ganz klar an der Richterbesoldung der Stufe R 6. Das entspricht etwa dem Gehalt – wenn Sie mir den Vergleich mit meiner baden-württembergischen Heimat gestatten – eines Oberbürgermeisters einer baden-württembergischen Gemeinde mit 50 000 Einwohnern.
Ohne Frage, das ist viel Geld; das ist eine sehr gute Bezahlung. Aber wer unseren Abgeordnetenjob ernst nimmt – wirklich die allermeisten machen das ja auch –, der hat viele Stunden zu tun, der hat Wochenendtermine, der ist unter der Woche viel unterwegs, nicht nur hier in Berlin, sondern in den Nichtsitzungswochen auch im Wahlkreis; viele haben auch einen Betreuungswahlkreis. Also kommen da wirklich sehr viel Zeit und Engagement zusammen.
Außerdem tragen wir mit unserem Amt und durch unsere Entscheidungen hier wirklich eine ganz große Verantwortung für die Bürgerinnen und Bürger. Deswegen ist es gerechtfertigt, dass unser Amt als Bundestagsabgeordneter, als Bundestagsabgeordnete wirklich auch angemessen bezahlt ist. Entscheidend ist aber, dass wir dafür transparente, klare und nachvollziehbare Regelungen haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Genau dafür wollen wir heute mit diesem Beschluss sorgen. Klare Regeln, klare Bindung an die allgemeine Lohnentwicklung, klare Orientierung an der Richterbesoldung – das ist bürgernahe Transparenz; damit wollen wir Vertrauen schaffen. Ich bitte um Zustimmung.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Fechner. – Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun das Wort der Kollege Patrick Schnieder.
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Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen! Werte Kollegen! In der Tat: Wir führen hier eine wichtige Debatte. Es ist auch wichtig, dass wir diese Debatte öffentlich führen, weil das zu Transparenz führt. Wir regeln nämlich heute die Frage, wie es sich mit unseren Abgeordnetendiäten verhält. Da stimme ich dem Vorredner, dem Kollegen Dr. Fechner, zu: Das gehört in die Öffentlichkeit. Damit dürfen wir nicht hinter dem Berg halten, sondern man muss offen darüber reden.
Die Frage ist: Was ist angemessen? Da gehen die Meinungen sicherlich weit auseinander, wenn man die Menschen danach fragen würde, welche Bezahlung eines Abgeordneten angemessen ist.
Zunächst ist festzuhalten: Wir müssen selbst über diese Frage entscheiden; das hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Diätenurteil 1975 so festgestellt. Wir sind der Gesetzgeber und müssen hier auch über unsere eigenen Rahmenbedingungen – in diesem Fall über die Diäten – entscheiden.
Im Jahre 2013 haben wir im Deutschen Bundestag eine Expertenkommission eingesetzt. Die hat viele Sachverständige angehört und ist zu zwei Ergebnissen gekommen.
Das erste Ergebnis: Bei der Festlegung der Höhe der Abgeordnetenentschädigung, der Diät, ist es angebracht, sich an dem Gehalt eines Bundesrichters der Besoldungsstufe R 6 zu orientieren. Warum? Weil Bundesrichter wie Richter insgesamt unabhängig sind und sie Entscheidungen treffen, die bundesweit wirken. Das entspricht, auch wenn man das nicht direkt vergleichen kann, dem, was wir als Abgeordnete tun.
Die zweite Feststellung dieser Expertenkommission und ein Ergebnis der Anhörung der Sachverständigen war, dass wir die Entwicklung der Diäten am besten an die Lohnentwicklung in Deutschland koppeln. Das haben wir 2014 getan, und damit das weitergilt, sind wir gehalten, innerhalb der ersten drei Monate einer Wahlperiode diesen Beschluss neu zu fassen und damit das Verfahren in Kraft zu setzen.
Ich kann nur sagen: Dieses Verfahren hat sich bewährt, weil es nachvollziehbar, fair und gerecht ist. Es ist damit letztlich auch, wenn man so will, eine Art leistungs- oder erfolgsabhängige Bezahlung. Wenn es dem Land gut geht, wenn es den Menschen gut geht – das sieht man an der Lohnentwicklung –, dann steigen unsere Diäten im gleichen Umfang. Wenn die Löhne zurückgehen, dann werden unsere Diäten eben gekürzt; das haben wir in diesem Jahr mit einer Kürzung von minus 0,7 Prozent erlebt. Wir können dieses Verfahren auch jederzeit aussetzen, oder wir können in besonderen Situationen besonders reagieren. Das haben wir 2020 getan, zu Beginn der Coronapandemie; da betrug die allgemeine Lohnentwicklung noch plus 2,6 Prozent. Gleichwohl haben wir zu Recht gesagt: „Wir wollen eine Nullrunde einlegen“, weil wir gesehen haben, was da auf uns, auf die Gesellschaft zukommt.
Also: Alle Möglichkeiten bleiben beim Parlament, bleiben hier, darüber zu entscheiden.
Nun wird die AfD auf der rechten Seite auch heute wieder versuchen, dieses Parlament, die Abgeordneten verächtlich zu machen.
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Vor vier Jahren ist hier schon ausgeführt worden, dass das eine automatische Diätenerhöhung sei. Die letzten vier Jahre haben gezeigt, dass das wieder eine Fake News der AfD war; ich habe das gerade geschildert.
Das Verfahren ist nachvollziehbar, es orientiert sich an der allgemeinen Lohnentwicklung. Noch mal: Es ist ein transparentes Verfahren, ein faires Verfahren, ein gerechtes Verfahren. Deshalb sollten wir es auch hier für die nächsten vier Jahre wieder in Kraft setzen.
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Vielen Dank, Herr Kollege Schnieder. – Als Nächste erhält das Wort für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Dr. Irene Mihalic.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Vor zehn Jahren haben die Abgeordneten des Deutschen Bundestages etwas sehr Kluges entschieden. Sie haben gesagt: Es ist nicht gut, dass die Abgeordneten komplett selbst darüber befinden, wie sich die Diäten entwickeln. Auch wenn wir natürlich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dazu angehalten sind, ist es dennoch in der Sache nicht gut und politisch im Sinne populistischer Stimmungsmache immer sehr aufladbar, wie wir wahrscheinlich nachher wieder hören werden.
Damals wurde eine unabhängige Kommission zu Fragen des Abgeordnetenrechts eingesetzt, die im Ergebnis Empfehlungen zur Abgeordnetenentschädigung erarbeitet und ausgesprochen hat. Auf Grundlage ebendieser Empfehlungen gilt seit der 18. Wahlperiode ein Verfahren, in dem die Abgeordnetenentschädigung jährlich zum 1. Juli entsprechend dem Nominallohnindex angepasst wird. Der angepasste Betrag wird transparent in einer Bundestagsdrucksache veröffentlicht.
Dieses Anpassungsverfahren muss aber zwingend spätestens jeweils drei Monate nach der konstituierenden Sitzung des Deutschen Bundestages wieder beschlossen werden, damit es gültig bleibt. Das ist gesetzlich so vorgesehen, und deswegen führen wir heute hier diese Debatte. Das geschieht nicht nur – wie oft und gerne und wahrscheinlich nachher auch wieder behauptet wird –, damit die Diäten steigen können, sondern eben auch, damit sie automatisch sinken können, so wie es eben auch im letzten Jahr geschehen ist.
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Auch darüber hinaus hat sich dieses Verfahren bewährt – übrigens auch, als es galt, davon abzuweichen, wie im Jahr 2020 geschehen, als wir angesichts der Coronapandemie aktiv darauf verzichtet haben, die Diäten zu erhöhen, auch wenn es nach dem Anpassungsmechanismus eigentlich vorgesehen gewesen wäre. Wie eben erwähnt, musste das 2021 gar nicht erst geschehen; denn die Entschädigung sank ohnehin aufgrund der negativen Lohnentwicklung in der Krise.
Wir werden auch zukünftig – das ist meiner Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, sehr, sehr wichtig – äußerst sensibel auf die Umstände achten. Wenn es für andere aufgrund von krisenhaften Entwicklungen große Einschränkungen gibt, muss sich das auch bei den Abgeordneten widerspiegeln, meine Damen und Herren.
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Aber ich bin aufgrund der Erfahrung von 2020 auch sehr sicher, dass wir einen solchen Schritt wieder in großer Einmütigkeit gehen würden, wenn es denn erforderlich wäre. Deshalb kann ich sagen: Der Anpassungsmechanismus hat sich gerade da bewährt, wo es auch galt, eine Ausnahme zu machen.
Deswegen gilt für meine Fraktion: Das Anpassungsverfahren gewährleistet eine für die Öffentlichkeit nachvollziehbare und zugleich angemessene, die Unabhängigkeit der Abgeordneten sichernde Entschädigung gemäß Artikel 48 Absatz 3 des Grundgesetzes; deshalb soll es auch in dieser Wahlperiode wieder fortgeführt werden.
Ganz herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Mihalic. – Als Nächster erhält für die AfD-Fraktion Stephan Brandner das Wort.
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Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin! Diese Debatte ist ja gar keine Debatte; denn eine Debatte würde davon leben, dass eine Vielzahl von Meinungen vertreten wird. Hier ist wie so oft die gesamte Altparteienschar einer Meinung – bis auf die Alternative für Deutschland, die das etwas differenzierter sieht.
Alle vier Jahre gönnen wir uns 31 Minuten, um über die nächsten vier Jahre unserer Diätenentwicklung zu debattieren. Das ist alles andere als transparent, Herr Fechner; das ist so ein bisschen verschämt, verbrämt: Hauptsache, es kriegt keiner mit. – Wir müssen es aber trotzdem mal hier gründlich besprechen. Wir würden das gerne jedes Jahr tun; Sie drücken sich davor.
Es geht ja nicht nur um die gut 10 000 Euro brutto, die wir im Monat bekommen. Dazu kommen ja noch gut 4 500 Euro netto Kostenpauschale, 1 000 Euro für Sachkosten, hälftiger Zuschuss zur Krankenversicherung, BahnCard 100 für die 1. Klasse, die üblicherweise mit etwa 7 000 Euro im Jahr zu Buche schlägt, Freiflüge mit der Lufthansa, Fahrdienst in Berlin – für manche auch Fahrdienst darüber hinaus –, Netzkarte der Berliner Verkehrsbetriebe, Übergangsgeld für bis zu 18 Monate – das sind ungefähr 180 000 Euro –,
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eine üppige Hinterbliebenenversorgung und dann natürlich noch ein Rentenanspruch, den wir hier „erdienen“ und der nicht ansatzweise zu begründen ist, von 250 Euro pro Jahr. Also: ein Jahr Bundestag gleich etwa 250 Euro Rentenanspruch, vier Jahre Bundestag etwa 1 000 Euro Rentenanspruch. Nach vier Jahren Bundestag erwirbt man also einen Rentenanspruch, den draußen Leute nach einem ganzen Arbeitsleben nicht für sich vereinnahmen können. Das ist schlicht und ergreifend ungerecht.
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Jetzt können Sie natürlich hineinrufen: Ja, dann verzichten Sie doch, Brandner! Verzichtet doch, ihr von der AfD-Fraktion!
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Auch darauf haben Sie schon reagiert: § 31 des Abgeordnetengesetzes verbietet es, darauf zu verzichten. Also: Wir könnten gar nicht, selbst wenn wir wollten. Sie verbieten, dass auf diese üppigen Bezüge verzichtet werden darf; wir als Rechtsstaatspartei halten uns daran. Was Sie tun, ist einfach weltfremd, bürgerfremd, abgehoben.
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Liebe Freunde von den Altparteien,
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viele Menschen draußen kämpfen täglich um ihre Existenz: Schausteller, Gastronomen, Hoteliers, Einzelhändler. Die würden gerne Planungssicherheit für die nächsten zwei oder drei Wochen haben. Was Sie sich heute gönnen wollen, ist eine Planungssicherheit für die nächsten vier Jahre. Auch dafür haben die Menschen draußen kein Verständnis, dass wir sagen: Wir debattieren 30 Minuten und haben dann für vier Jahre unsere Schäfchen im Trockenen. Das geht so nicht; das geht an der Lebenswirklichkeit völlig vorbei.
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Was ich am Ende sagen will: Dieser Automatismus, der hier eingeführt wird, ist ein Anachronismus, der sofort ausgesetzt gehört. Es war bisher immer so – mit Ausnahme des letzten Jahres –, dass es üppige Diätenerhöhungen im dreistelligen Bereich gab. Wenn ich mir die Prognose für die Rentenentwicklung anschaue, dann stelle ich fest: Das sind 4 oder 5 Prozent. Das würde für uns möglicherweise 400, 500 Euro mehr in diesem Jahr bedeuten. Das geht angesichts der Lage draußen nicht.
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Deshalb: Folgen Sie der Alternative für Deutschland! Automatismus als Anachronismus sofort beenden! Mehr Transparenz, jedes Jahr zumindest darüber debattieren, wie die Diäten sich entwickeln sollen, und eine grundsätzliche Diäten-, Versorgungs- und Privilegienreform, das stünde dem Bundestag sehr gut zu Gesicht.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Als Nächstes erhält das Wort für die FDP-Fraktion der Kollege Stephan Thomae.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen! Verehrte Kollegen! Wie auf Bestellung konnte der Kollege Brandner der Versuchung wieder mal nicht widerstehen, diese Debatte als Stichwort zu nutzen, um das Parlament und seine Arbeit verächtlich zu machen und herabzuwürdigen.
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Meine Damen und Herren, zu Beginn einer jeden Wahlperiode beschließen wir in einem transparenten, nachvollziehbaren und plausiblen Verfahren, wie die Diäten der Abgeordneten dieses Hauses angepasst werden sollen. Und das ist immer der Augenblick, in dem Kritiker des Parlamentarismus die Gelegenheit ergreifen, um dem Bundestag vorzuwerfen, die erste Amtshandlung sei nichts anderes, als die eigenen Vorteile zu sichern.
Aber die Wahrheit ist doch, dass das Bundesverfassungsgericht selbst in dem schon erwähnten Diätenurteil von 1975 verlangt hat, dass die Abgeordneten die Entwicklung ihrer Diäten im Plenum diskutieren und in einem offenen Verfahren vor den Augen der Öffentlichkeit beschließen müssen. Denn das, so das Gericht, sei neben dem Bundespräsidenten und dem Gericht selbst die einzige wirksame Kontrolle, weil der Bundestag hier ja in eigener Sache entscheidet.
So hat eine Expertenkommission 2013 empfohlen, dass die Entwicklung der Abgeordnetendiäten an die Entwicklung der Löhne im Land angepasst werden soll, und über diese Anpassungsregelung – nur darüber – muss der Bundestag nach dem Gesetz innerhalb der ersten drei Monate der Wahlperiode abstimmen. Genau dieser Empfehlung der Expertenkommission folgt auch der 20. Deutsche Bundestag mit dem heutigen Beschluss, meine Damen und Herren.
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Wir beschließen also heute keine Diätenerhöhung, sondern wir bestimmen über das unserer eigenen Bewertung entzogene Verfahren, wie die Diäten sich in der Wahlperiode entwickeln sollen. Und wie könnte man besser widerlegen, dass wir unsere Diäten nach Gutdünken festsetzen, als dadurch, dass wir die Diätenentwicklung an ein sachliches, unserem Zugriff entzogenes Kriterium wie die allgemeine Lohnentwicklung im Land koppeln, meine Damen und Herren? Deswegen sind die Diäten coronabedingt in den letzten zwei Jahren auch nicht gestiegen, sondern sogar gesunken.
Natürlich gibt es zu allen Zeiten immer wieder Diskussionen und Kritik bezüglich der Höhe der Diäten. Bei den Bruttobezügen orientieren wir uns an den Besoldungsgruppen R 6 für Bundesrichter und B 6 für Bundesbeamte, was der Besoldung eines Unterabteilungsleiters in einem Ministerium entspricht, und diese Bruttodiäten sind natürlich mit dem persönlichen Steuersatz zu versteuern.
Mit der Höhe der Bezüge stellen wir eine der Verantwortung und Stellung eines Abgeordneten angemessene Entschädigung sicher. Die Diäten sollten so hoch sein, dass ein Bundestagsmandat auch für jemanden attraktiv ist, der bereits eine gewisse Lebensstellung erworben hat. Wenn die Diäten zu niedrig wären – auch das ist ein wichtiger Gedanke –, dann wäre ein Bundestagsmandat ein Privileg für jemanden, der über irgendwelche anderen regelmäßigen Einkünfte verfügt oder Vermögen besitzt. Das kann niemand wollen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Aus all diesen Gründen halten wir das gefundene Verfahren, das wir heute beschließen wollen, für hinreichend transparent und auch gut begründbar und werden deshalb diesem Verfahren auch in dieser Wahlperiode zustimmen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Thomae. – Als nächste Rednerin erhält das Wort Nicole Gohlke für Die Linke.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine ursprüngliche Idee der Abgeordnetenentschädigung oder der sogenannten Diät war, dass Menschen ohne eigenes Vermögen in Unabhängigkeit als Abgeordnete arbeiten können. Diese Idee ist gut, und sie ist selbstverständlich auch heute noch richtig.
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Aber dass die Abgeordnetenentschädigung heute so hoch ist, wie sie ist, dass, obwohl sie so hoch ist, immer noch einige meinen, sich mit teilweise dubiosen Nebentätigkeiten zusätzlich die Taschen voll machen zu müssen,
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und dass die Diät in der Regel auch noch automatisch ansteigt, ohne dass das hier noch einmal debattiert werden müsste, das ist unverhältnismäßig, und das ist ungerecht.
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Das wird außerhalb dieses Saales nicht mehr verstanden, und das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.
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Über 10 000 Euro brutto pro Monat, und das in den allermeisten Jahren mit quasi garantierter Tarifsteigerung: Kolleginnen und Kollegen, davon kann der Großteil der Beschäftigten in diesem Land wirklich nur träumen. Und genau deswegen gehört dieser Mechanismus dringend überarbeitet. Zumindest gehört er aber noch einmal ausgesetzt, so wie das der Bundestag letztes Jahr einmalig beschlossen hatte. Das war ein richtiges Signal inmitten dieser Pandemie.
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Nur mal so zum Vergleich: Pflegefachkräfte, die jetzt in dieser Pandemie Tag und Nacht Erkrankte retten, bekommen in Krankenhäusern circa 3 500 Euro brutto, in Pflegeheimen 2 900 Euro brutto. Das Gehalt von Erzieherinnen und Erziehern liegt bei rund 3 000 Euro. Im Einzelhandel verdienen die Beschäftigten im Schnitt 2 600 Euro. Und sie alle haben seit Jahren mehr verdient für ihre wichtige Arbeit.
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Da warten Menschen jahrelang auf eine Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes oder darauf, dass der Mindestlohn endlich mal so hoch ist, dass man wenigstens im Alter nicht in Armut fällt, und dann gibt es, wenn überhaupt, nur Anpassungen in so lächerlich kleinen Schritten, dass es fast nur noch als respektlos empfunden werden kann. Aber bei den Diäten der Abgeordneten soll es einfach flutschen. Das geht doch so nicht, Kolleginnen und Kollegen! Das geht so nicht.
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Ganz ehrlich: Ich finde, beim Start einer neuen Regierung inmitten einer Pandemie, die Millionen Menschen in Existenznöte bringt, und bei einem Kanzler mit SPD-Parteibuch wäre hier wirklich etwas anderes angezeigt gewesen.
Die Linke wird diesem Antrag nicht zustimmen; wir lehnen ihn ab.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Gohlke. – Als letzter Redner in dieser Debatte erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Michael Frieser.
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Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Also, zur Erhellung der derzeitigen Situation und des Themas dieses Tagesordnungspunktes, Frau Kollegin Gohlke, hat Ihre Rede nicht wirklich beigetragen.
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Ihr Anliegen, den Mechanismus mittels eines Antrags auszusetzen, hieße auch, dass wir im Augenblick auch die Verringerung der Diäten aussetzen würden. Ich glaube, das ist kontraproduktiv. Das ist genau das, was Sie nicht wollen. Nein, Sie mussten es fordern, um Ihren Wählern zu verkaufen, wie der deutsche Abgeordnete bezahlt wird. Sie bedienen ein Klischee, das aus meiner Sicht weder der Arbeit des Parlaments noch dem Status des Abgeordneten in irgendeiner Art und Weise gerecht wird.
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Herr Kollege Fechner, Sie haben in Ihrer Rede 30 Sekunden zum Thema des Tagesordnungspunktes gesprochen, um dann den Eindruck zu erwecken, der Antrag, den Sie heute auf den Weg bringen, sei etwas revolutionär Neues. Also wirklich! Ich verstehe den Gedanken der SPD, so zu tun, als ob man in den letzten 20 Jahren kaum etwas mit der Regierung und den Mehrheitsverhältnissen im Parlament zu tun gehabt hätte.
Es bleibt aber dabei: Der Weg, den wir eingeschlagen haben – Frau Mihalic, Sie haben es angedeutet –,
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ist tatsächlich der einzige Weg, der uns bleibt, um zwei Dinge zu berücksichtigen: Wen auf der Welt sollen wir als Abgeordnete denn fragen, was man verdienen kann, will oder muss, wenn nicht uns selber? Es kommt da oben keiner mehr, der uns das sagen kann. Das hat uns das Verfassungsgericht aufgegeben. Und dass wir die Entwicklung der Diäten an die Lohnentwicklung binden, folgt doch geradezu dem Gedanken, den der Kollege Schnieder wie folgt ausgedrückt hat: Wenn es dem Land gut geht, dann kann auch der Abgeordnete – übrigens moderat – daran mitverdienen, fast wie bei einem Prämiensystem. Aber wenn die Löhne sinken, dann sinken auch unsere Diäten. Das ist der Grundgedanke, zu dem wir relativ weise gefunden haben; die Mehrheiten von damals haben es möglich gemacht.
Es könnte nichts falscher sein, als sich immer wieder an der Frage aufzuhängen, wie raffgierig der deutsche Parlamentarier wäre. Wir warten sehnsüchtig auf einen Antrag, ein anderes Verfahren, ein Verfahren, das andere Kriterien für die Angemessenheit zugrunde legt. Übrigens: Von Verzicht redet gar keiner bei der AfD. Sie könnten Ihre Gehälter gerne dem Fonds der AfD-Geschädigten zur Verfügung stellen. Es hätte in diesem Land niemand etwas dagegen, glauben Sie mir!
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Wenn ich sehe, wie Sie sich hierhinstellen und bar jeder Kenntnis Ihre Reden halten, dann muss ich sagen: Wenn man schon nicht denken will, kann man auch nicht rechnen.
Natürlich ist es richtig, in einer solch schwierigen Phase, in der man aber noch von der letztjährigen Erhöhung profitieren würde, zu sagen: Nein, das macht das Parlament nicht mit. – Es ist gerade im Sinne der Regelung, dass man anhand der Lohnentwicklung insgesamt über einen längeren Zeitraum darüber entscheidet, was die Abgeordneten des Deutschen Bundestages verdienen können.
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Herr Kollege?
Verzeihung, nein. Vielen herzlichen Dank, Frau Präsidentin. Die Debatte kann ja an anderer Stelle weitergehen.
Hören Sie auf, an dieser Stelle den Eindruck zu erwecken und das Klischee zu bedienen, dass man am Ende des Tages nur in der Lage ist, die eigene Verantwortung zu dekorieren, aber nicht mehr in der Lage ist, deutlich zu machen, dass dieses Parlament eine Grundlage braucht, auf die es sich auch in Zukunft verlassen kann, um transparent, regelgerecht und in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des Verfassungsgerichtes zu entscheiden.
Vielen herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Frieser. – Für eine Kurzintervention erhält das Wort der Abgeordnete Keuter.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich kann es jetzt nicht lassen, doch noch dazu Stellung zu nehmen, nachdem hier in diesem Hause großes AfD-Bashing betrieben wurde.
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Es wurde behauptet, wir hätten dieses Parlament schon vor vier Jahren verächtlich gemacht und der Kollege Brandner habe da noch mal nachgelegt. Dem muss ich ganz klar widersprechen. Diejenigen, die schon in der letzten Legislaturperiode in diesem Haus waren und zugehört haben, werden wissen: Uns ging es vor allen Dingen darum, darauf hinzuweisen, dass es nicht geht, diesen Beschluss ohne Debatte durchzubringen.
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Sie wollten es heimlich, still und leise machen, ohne Debatte, und erst auf Drängen der AfD haben Sie überhaupt eine Debatte zugelassen.
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Herr Kollege – er sprach gerade vor mir –,
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sagen Sie mir doch mal, was in § 31 des Abgeordnetengesetzes steht. Ich sage es Ihnen: Da steht ganz klar drin, dass ein Abgeordneter auf diese Diäten weder teilweise noch komplett verzichten kann.
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Bei dem, was ich gerade von Ihnen gehört habe, bekomme ich fast Mitleid. Das hört sich so an, als wollten Sie hier einen Automatismus einführen, um die Diäten senken zu können. Das ist nicht so! Wir hatten in der Coronalage eine Ausnahmesituation. Ansonsten haben Sie sich immer einen Schluck mehr aus der Pulle genehmigt. Da sagen wir: Das geht so nicht! Die Abgeordneten bekommen genug.
Verlassen Sie Ihre Blase! Haben Sie ein Ohr am Volk! Hören Sie darauf, was das Volk sagt! Es kommt nicht jemand über Ihnen, aber es kommt jemand unter Ihnen, jemand, der Sie hierhin gewählt hat, der Sie letztendlich bezahlt. – Es wäre schön, wenn Sie mich anguckten, wenn ich mit Ihnen spreche, statt mir Ihren Rücken zuzudrehen.
Lassen Sie mich abschließend noch sagen: Wenn Sie mit einem Rentner oder einem Alleinerziehenden über dessen Probleme sprechen, dann wüssten Sie, wie Sie sich hier zu verhalten hätten.
Vielen Dank.
Herr Kollege, hier darf noch jeder gucken, wohin er möchte.
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Der Kollege Frieser bekommt jetzt die Möglichkeit zur Erwiderung.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Wenn er sich Namen merken könnte, würde ich auch hingucken. Aber das ist ein anderes Thema.
Nichts könnte falscher sein als die Annahme, dass sich dieses Parlament diesem Diskussionsprozess entziehen würde. Was tun wir denn heute? Was gibt uns denn das formulierte Gesetz auf? Es gibt uns auf, selbst regelmäßig darüber zu entscheiden – transparent, öffentlich, wirksam und auch nachvollziehbar. Daran ist nichts Gespenstisches. Es passiert nichts hinter verschlossenen Türen.
Insofern ist alles falsch: erstens die Behauptung, dass es keine Debatte gibt; zweitens die Behauptung, dass es nicht berechenbar wäre, dass es um irgendeinen Schluck aus einer Pulle ginge. Im Gegenteil: Wenn dieses Parlament das Gefühl hat, dass es zu viel Anpassung ist, weil es auf alten Maßstäben basiert, dann kehren wir zurück. Wir können auf eine solche Form von Anpassung auch verzichten, wenn sie nicht in die Zeit passt. Das ist Parlamentarismus. Das ist Verantwortung – vor allem gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern.
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Vielen Dank, Herr Kollege Frieser. – Ich schließe die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es, ehrlich gesagt, etwas unglücklich, dass wir diese Debatte jetzt in der Sache führen müssen. Denn erstens bin ich davon ausgegangen, dass alle Argumente zu diesem Punkt bereits ausgetauscht sind,
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und zweitens versuche ich mir vorzustellen, wie eine solche Debatte auf die Menschen in unserem Land wirkt
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angesichts der vielen Probleme, die wir hier zu bewältigen haben.
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Wir haben die Debatte nicht angezettelt, meine Damen und Herren.
Wir als Mitglieder des Deutschen Bundestages müssen uns wirklich dringend multiplen Problemlagen mit Kraft und Lösungswillen widmen –
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ob das die Klimakrise ist, ob das die Pandemie ist oder ob das die terroristische Bedrohungslage ist. Jetzt führen wir hier eine Debatte zur Sitzordnung. Nun denn.
Aber ich will ich diese Frage gar nicht trivialisieren;
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denn sie ist in diesem konkreten Fall für mindestens zwei Fraktionen hier im Haus von sehr großer Bedeutung. Aber man sollte diese Frage auch nicht überhöhen, meine Damen und Herren. Die Sitzordnung des Deutschen Bundestages ist nicht in Stein gemeißelt. Sie folgt, ganz grob, der Einordnung von Fraktionen im politischen Koordinatensystem – ganz grob, mehr aber auch nicht –,
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und in der Mitte, meine Damen und Herren, wähnt sich ja dabei fast jede Partei.
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Wenn wir uns die Sitzordnung in den Landtagen anschauen, dann finden wir da auch kein einheitliches System, sondern so ziemlich jede irgendwie denkbare Konstellation.
Ja, es stimmt: Wir haben die Sitzordnung in dieser Weise noch nie geändert, was aber nicht bedeutet, dass es daran nie ein Interesse gab. Da steht jede Legislaturperiode für sich.
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Die FDP wollte schon bei ihrem Wiedereinzug in den Bundestag 2017 eine Veränderung der Sitzordnung. Damals hat sich die CDU/CSU durchgesetzt. Jetzt zu sagen: „Das war doch schon immer so“, ist natürlich nachvollziehbar, inhaltlich aber ein denkbar schwaches Argument, meine Damen und Herren.
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Uns erscheint der Wunsch der FDP nach einer Veränderung mindestens genauso nachvollziehbar wie der Wunsch der Union,
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alles so zu belassen, wie es jetzt ist.
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Wir zeigen uns in dieser Frage mit unserem Koalitionspartner solidarisch und stimmen für die Veränderung der Sitzordnung.
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Doch – und das lassen Sie mich bitte noch sagen – wir appellieren auch an beide Fraktionen, meine Damen und Herren, in gegenseitigem Respekt
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und in Anerkennung des Standpunktes des jeweils anderen im Laufe dieser Wahlperiode einen Dialog über den Zusammenhang von politischer Selbstverortung und Sitzordnung zu führen, damit wir nicht in vier Jahren wieder hier stehen
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und die gleiche Debatte erneut führen müssen.
Ganz herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Als Nächster erhält das Wort Thorsten Frei für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Dr. Mihalic, da Sie hier von Respekt sprachen, will ich Ihnen gleich sagen, dass wir das Verhalten der Koalitionsfraktionen als Ausdruck von Respektlosigkeit empfinden. Anders kann man das, was Sie hier beantragt haben, nicht nennen.
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Das meine ich in der Sache; das meine ich aber auch in der Form. Sie haben hier einen Antrag vorgelegt, der nicht einen einzigen Satz der Begründung enthält – keinen einzigen Satz!
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Darüber hinaus: Wir haben Ihnen diese Debatte nicht aufgedrängt. Wir haben Ihnen vor allen Dingen diesen Tagesordnungspunkt nicht aufgedrängt.
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Dass Sie diesen Punkt ohne Debatte vor Weihnachten still und heimlich durch den Bundestag treiben wollten,
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das ist wirklich der Gipfel der Respektlosigkeit, und das lassen wir Ihnen so nicht durchgehen.
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Daran werden die Menschen nämlich sehen, dass das ganz offensichtlich die Themen und die Probleme sind, die für die Koalitionsfraktionen aktuell die beherrschenden und die wichtigen sind. Wir sehen das anders. Aber zu glauben, das könne man über die kalte Küche machen, das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
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Ich will Ihnen auch sagen: Sie haben wirklich nur wenige Tage gebraucht, um den ersten wichtigen Punkt Ihres eigenen Koalitionsvertrages ad acta zu legen. Da steht nämlich geschrieben: Wir wollen den Deutschen Bundestag wieder zum zentralen Debattenort in der Politik machen. – Und das tun Sie eben gerade nicht. Der Punkt gilt offensichtlich nur dann, wenn die Debatten Ihnen angenehm sind, wenn sie Ihren Interessen entsprechen.
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Ansonsten halten Sie sich nicht daran.
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Ich will an dieser Stelle gerne Folgendes sagen: Es gibt im Grunde genommen klar durchsichtige parteipolitische Gründe, warum Sie das machen. Sie möchten uns von unseren Plätzen an den Rand des Plenums drücken.
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Sie möchten einen monolithischen Regierungsblock in der Mitte statuieren. Sie möchten für die Mehrheit die zentralen Plätze hier im Plenum haben.
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Das ist nicht in Ordnung.
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Liebe Frau Dr. Mihalic, ich muss Ihnen sagen: Es ist ja nicht nur so, dass seit mehr als 70 Jahren die Sitzordnung im Deutschen Bundestag so ist, wie sie ist. Erinnern Sie sich an das Jahr 1983. Damals sind die Grünen in den Deutschen Bundestag eingezogen. Es war die CDU/CSU-Fraktion, die Ihnen einen zentralen Platz zwischen SPD und Union zugebilligt hat,
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weil wir erkannt haben, dass es wichtig ist, dass Mehrheitsfraktionen der Minderheit einen zentralen Ort im Parlament belassen.
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Das ist auch eine Frage der Repräsentanz. Das ist auch eine Frage des Erscheinungsbildes des Parlaments. Deswegen ist das, was Sie hier tun, für mich ein Zeichen großer Schwäche. Das muss ich wirklich sagen. Es ist ein Zeichen von Kleinkariertheit,
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weil Sie sich nicht um die wesentlichen Themen kümmern, sondern sich auf Nebenkriegsschauplätzen tummeln.
Und ich will Ihnen noch eines sagen: Respice finem! Bedenke das Ende!
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Eigentlich hat doch jeder hier in diesem Rund die Erfahrung, dass im Parlamentarismus, in der Demokratie jede Mehrheit zur Minderheit und jede Minderheit zur Mehrheit werden kann.
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Wenn Sie einen solchen Komment zur Disposition stellen, dann müssen Sie damit leben, dass in Zukunft auch Sie dort hinplatziert werden, wo Sie nicht hinmöchten.
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Was werden Sie denn sagen, wenn irgendwann mal die AfD zwischen Grünen und FDP platziert wird? Dann möchte ich gern mal Ihre Kommentare hören. Ich bin sicher: Sie werden als Zauberlehrling enden, weil Sie die Geister, die Sie heute rufen, nicht mehr loswerden.
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Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Brandner?
An sich gerne, aber ich glaube, das tut jetzt wirklich nichts zur Sache.
Ich möchte zu meiner Schlussbemerkung kommen. Das, was ich eben angesprochen habe, nämlich: „Bedenke das Ende!“, hat eine populäre Vertreterin dieses Hauses frühzeitig erkannt. Deswegen möchte ich gerne mit Erlaubnis der Frau Präsidentin zitieren, und zwar die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, die am 23. November – das ist nur wenige Tage her – in der „Berliner Zeitung“ Folgendes gesagt hat:
Ich rate den Fraktionen, solche Fragen wie die Sitzordnung einvernehmlich zu lösen. Denn natürlich birgt es Konflikte, wenn man jetzt einfach mit Mehrheit bestimmt, dass eine Fraktion gegen ihren Willen umziehen muss. Am Ende fangen wir nach jeder Wahl an, über die Sitzordnung zu streiten.
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Besser kann man es nicht sagen.
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Unser Ratschlag ist: Ziehen Sie Ihren Antrag zurück, und gehen Sie damit in den Ältestenrat! Lernen Sie Respekt!
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Liebe Kolleginnen und Kollegen! Regierungen gibt es in jedem Staat; aber Parlamente gibt es nur in Demokratien. Deshalb sind Organisationsfragen des Parlamentarismus auch nicht egal, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es ist wichtig, dass wir hier im Plenum darüber sprechen.
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Dass wir diese Woche darüber sprechen, liegt ja in der Natur der Sache; denn um zu funktionieren, muss sich ein Parlament konstituieren. Das geschieht diese Woche mit der Konstituierung der Ausschüsse. Deshalb ist es klar, dass wir, wenn wir von der vorläufigen zur dauerhaften Ordnung des Bundestages für diese Legislatur übergehen, die Frage der Sitzordnung ein für alle Mal entscheiden, und zwar in dieser Woche, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, und das ist richtig.
({1})
Wir klären diese Frage allein deshalb ausnahmsweise nicht im Ältestenrat, sondern hier im Plenum, weil Sie nicht mit sich haben reden lassen. Diese Frage kommt doch wahrlich nicht überraschend. Wir haben sie 2017 aufgeworfen, als wir erstmalig als erneuerte FDP in den Bundestag zurückgekehrt sind. Sie wollten nicht mit sich reden lassen.
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Sie war Gegenstand im Vorältestenrat, liebe Kolleginnen und Kollegen. Sie war Gegenstand von medialen Debatten. Sie war Gegenstand des allerersten Interviews, das Thorsten Frei, erster PGF, und ich gemeinsam hier gegeben haben. Jetzt tun Sie doch nicht so, als würde hier ein Hauruckverfahren erfolgen!
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Die Kollegin Mihalic hat es gesagt: Die Argumente sind ausgetauscht. – Wir müssen nun entscheiden, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, und das machen wir heute.
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Worum es geht, ist eine ganz einfache Frage. Das Links-rechts-Schema der Politik ist wahrlich nicht perfekt; aber das Links-rechts-Schema der Politik ist ganz offenkundig das, nach dem dieser Deutsche Bundestag bei seinen Fraktionen – mit einer Ausnahme – sortiert ist.
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Jeder kann das sehen. Jede Besucherin, jeder Besucher, der hier den Plenarsaal erklärt bekommt, versteht das und sieht das. Jede Schülerin, die etwas über den Bundestag in der Schule lernt, versteht das. Es gibt nur eine einzige Anomalie: nämlich dass die Freien Demokraten nicht in der Mitte sitzen; denn wir sind eine Kraft der politischen Mitte, und deshalb gehören wir auch in die Mitte des Plenums, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union.
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So war und ist es in der klaren Mehrheit der Parlamente weltweit. So ist es übrigens auch in ganz vielen Landtagen: in Schleswig-Holstein, in Hamburg, in Niedersachsen, in Rheinland-Pfalz, im traditionsreichen Baden-Württemberg. So war es übrigens bis 2018 auch in Hessen. Da saßen die Freien Demokraten traditionell in der Mitte des Plenums, bis Volker Bouffier mit seiner Mehrheit entschieden hat, dass die Freien Demokraten gegen ihren Willen rechts von der Union gesetzt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so war es übrigens auch in Bayern: Da saßen die Freien Demokraten immer in der Mitte des Maximilianeums, wenn sie dem Parlament angehört haben – bis 2018, als die CSU mit ihrer Mehrheit entschieden hat, dass die Freien Demokraten gegen ihren Willen nach rechts gerückt werden. Faseln Sie doch nicht von Arroganz der Macht und Respektlosigkeit, wenn Sie das selber in Hessen und Bayern machen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union! Von Ihnen lassen wir uns da nichts zur Arroganz der Macht erzählen, wahrlich nicht.
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Und kommen Sie mir bitte auch nicht mit: Das war schon immer so. – Das ist ja das Argument, das angeführt wurde. In der Paulskirche, im ersten demokratisch gewählten Parlament auf Bundesebene, waren die Fraktionen nach dem politischen Spektrum von links nach rechts sortiert. Wo saßen die liberalen Gruppen? In der Mitte. In Weimar saß die DDP, die Partei von Walther Rathenau, nach dem heute unser Fraktionssaal benannt ist, die Partei von Friedrich Naumann, nach dem unsere Parteistiftung benannt ist, die Partei des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss, in der Mitte, und rechts von ihr saß das Zentrum, eindeutig Ihre Vorgängerpartei. Es war nicht immer so, sondern die Freien Demokraten, die Liberalen, gehören in diesem Land in die Mitte, auch im Plenum, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union.
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Natürlich ist die Mitte vielfältig. Wir repräsentieren sie nicht alleine; das ist auch gut so. Deswegen sind wir als demokratische Parteien in der Mitte koalitionsfähig. Aber es kann doch kein Zweifel bestehen, dass SPD und Grüne sich als Mitte-links-Parteien begreifen. Es kann doch auch kein Zweifel bestehen, dass Sie sich auch als konservativ begreifen, also als Mitte-rechts-Parteien, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union.
({9})
Liberalismus, das ist die Verbindung von wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Freiheit.
({10})
Ich bin stolz darauf, dass der Präsident von Gesamtmetall den aktuellen Koalitionsvertrag als besser als den, an dem Sie beteiligt waren, lobt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union.
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Ich bin stolz darauf, dass wir für Marktwirtschaft stehen und gegen Steuererhöhungen. Aber ich sage Ihnen auch: Ich bin auch stolz darauf, dass wir für gesellschaftliche Freiheit stehen. Diese Koalition liberalisiert die Reproduktionsmedizin, sie verbannt die Vorratsdatenspeicherung aus dem Gesetz, sie modernisiert das Staatsbürgerschaftsrecht, sie schafft Verantwortungsgemeinschaften. Für all diese Vorhaben wird diese Koalition von rechts, von Ihnen, kritisiert.
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Auch das ist die Wahrheit, und das ist der Traditionsbestand, den wir in diesem Plenum abbilden müssen.
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Ich respektiere das, weil die Breite des demokratischen Spektrums und der Meinungsstreit hier zu unserer Demokratie dazugehören. Aber das macht doch deutlich, dass sich das nachvollziehbare Anliegen, das Plenum hier nach dem politischen Links-rechts-Spektrum zu sortieren, gegen niemanden richtet. Sie selber diffamieren diese Koalition ja nicht als links-rechts, sondern als links-gelb.
Die CSU beispielsweise hat gerade in ihrem Mitgliedermagazin ein fiktives Interview mit Franz Josef Strauß abgedruckt – auf vier Seiten.
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Ich habe das mit Interesse gelesen; denn Franz Josef Strauß hat mal gesagt: Rechts von der Union soll es keine demokratische Partei geben, die unzweifelhaft auf dem Boden der Verfassung steht.
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Franz Josef Strauß soll seinen Willen haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Dafür sorgen wir hier im Deutschen Bundestag.
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Es gibt kein historisch schlüssiges Argument gegen die Sitzordnung, die wir heute hier beschließen wollen. Es gibt auch kein sachlich schlüssiges Argument, liebe Kollegen von der Union. Es gibt einfach nur das Argument, dass das zuletzt so war; es gibt einfach nur ein bisschen Gewohnheit. Ich verstehe, dass man etwas aus konservativer Perspektive nicht verändern will, an das man gewöhnt ist.
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Wir sind, ehrlich gesagt, anderer Auffassung. Wir sind der Auffassung: Man verändert etwas, wenn es dafür einen vernünftigen Grund gibt. Deshalb beschließen wir das heute, und danach streiten wir wieder über die Sache.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Vogel. – Jetzt erhält das Wort für die AfD-Fraktion der Kollege Stephan Brandner.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Welch unwürdiges Schauspiel! Ich hoffe wirklich, dass viele Millionen Menschen draußen mal schauen, was in diesem Bundestag los ist,
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zu welchem Kasperletheater Sie diesen Bundestag haben verkommen lassen.
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Heute Morgen sollte 30 Minuten über einen 60-Milliarden-Euro-Nachtragshaushalt debattiert werden. Wir sind – Gott sei Dank – eingeschritten; dann wurden 60 Minuten daraus. Normalerweise wird über Auslandseinsätze der Bundeswehr, bei denen es um Leben und Tod unserer Soldaten geht, 30 Minuten debattiert. Und was machen wir jetzt? Wir debattieren 30 Minuten lang, weil ihr nicht nebeneinander sitzen wollt, weil der Sitzplan geändert wird. Ja, wie krank ist denn so was?
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Wichtige Debatten gehören hier ins Haus und nicht so ein Kasperletheater, wer neben wem sitzt.
Ich nehme es vorweg: Uns ist sowieso wurscht, wer neben uns sitzt. Wir sitzen demnächst sowieso überall. Von daher ist uns das ganz egal – Kasperletheater!
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Aber wenn Ihnen das so wichtig ist – und ich kündige das für die AfD-Fraktion an –, dann können wir gern am Ende der Debatte eine namentliche Abstimmung darüber machen und mal sehen, wer sich namentlich wie positioniert. Ich bitte unseren PGF, diesen Vorschlag aufzunehmen.
Meine Damen und Herren, 736 Abgeordnete mal gut eine halbe Stunde sind ungefähr 380-Mannstunden, die wir jetzt darauf verschwenden, dass die hellbraune Koalition – wenn man Rot und Grün vermengt und ein bisschen Gelb dazumischt, kommt Hellbraun raus – jetzt wirklich die Sitzordnung hier ändern möchte. Soll sie tun; wir haben nichts dagegen. Die CDU kann sich gern neben uns setzen; sie kann viel lernen: Wie geht gute Oppositionsarbeit? Das ist bei uns zu lernen.
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Wie geht vor allem korruptionsfreie politische Arbeit? Das kann man von uns lernen.
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Und so langsam, liebe CDUler, verbindet uns ja auch, dass es uns glücklich macht, dass Merkel weg ist, oder? Das sehe ich Ihnen an. Wir werden hier, glaube ich, auf eine gute Nachbarschaft hinarbeiten und sind im Endeffekt sehr froh darüber.
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Insoweit könnte man meinen, dass wir als AfD richtig geschickt vorgegangen sind; denn wir wollen neben diesen blasierten Typen von der FDP auch nicht mehr sitzen.
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Es ist unerträglich, was in dieser Fraktion in letzter Zeit los ist. Je näher die sich an die Macht heranrobbten, desto blasierter wurde diese machtversessene, machtvergessene grün-links-devote Postengrapschertruppe von der FDP.
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Ekelhaft, was aus dieser Partei geworden ist! Von uns aus kann sie auf der linken Seite sitzen, am besten so weit weg wie möglich von uns.
Apropos Postengrapscher: Auch was an sexistischen Sprüchen und Anmachen aus der FDP-Truppe kommt, werden Sie von Grünen demnächst hier erleben.
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Wir haben da grau melierte Freiheitskämpfer der FDP. Die robben sich schamlos an die AfD-Abgeordnetinnen heran. Der Fraktionsvorsitzende berichtete mir von lüsternen Blicken einer verteidigungspolitischen Sprecherin der FDP; er fühlt sich sexuell belästigt. Es ist eine Katastrophe.
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Sie hören Sprüche wie „Sperrt die AfD in Lager“. Sie hören Sprüche wie „Ihr kommt zu viel aus dem Ossi-Land“. Das ist eine verkommene Gurkentruppe geworden. Wir wünschen uns wirklich, dass die so weit weg von uns sitzen wie möglich,
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und freuen uns auf eine gute Nachbarschaft zur CDU/CSU im Sinne einer guten, konstruktiven Oppositionsarbeit.
Vielen Dank.
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Das Wort erhält für die SPD-Fraktion die Abgeordnete Katja Mast.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich kann verstehen, dass wir hier eine Debatte führen: Wer sitzt künftig neben der AfD im Deutschen Bundestag? Das ist das eigentliche Thema, über das wir reden, und ich verstehe jeden hier im Haus, der sich schämt, neben Ihnen zu sitzen.
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Weil hier so ein paar Argumente gefallen sind, will ich noch mal sagen, worum es geht. Natürlich hat der Kollege Frei damit recht, dass man Dinge einvernehmlich im Ältestenrat klärt.
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Nur, dieses Thema ist nicht einvernehmlich im Ältestenrat zu klären, und deshalb muss es dorthin, wo es geklärt werden kann, ins Plenum des Deutschen Bundestages, und deshalb wird es hier heute entschieden, Herr Kollege Frei.
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Wieso haben wir dieses Thema unter „ohne Debatte“ aufgesetzt?
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Weil wir finden: Es muss entschieden werden, aber wir brauchen auch keine lange Debatte dazu.
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Die Bürgerinnen und Bürger da draußen erwarten von uns, dass wir über die Pandemiebekämpfung sprechen, die erwarten von uns, dass wir ihnen Antworten geben, wie wir Arbeitsplätze sichern in dieser Transformation, wie wir die Klimakrise bekämpfen, wie wir mit der Demografie und der Globalisierung umgehen. Deshalb haben wir das unter „ohne Debatte“ aufgesetzt.
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Es ist Ihr gutes Recht – von dem haben Sie Gebrauch gemacht –, die Debatte aufzusetzen. Der stellen wir uns auch an dieser Stelle.
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Lassen Sie mich zum Schluss kommend sagen: Wir haben gestern die Regierungserklärung vom Kanzler der Ampel gehabt, von Bundeskanzler Olaf Scholz. Er hat viele Antworten auf die Fragen der Bürgerinnen und Bürger gegeben. Und für uns alle ist klar: Wir sind eine Koalition der Mitte.
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Deshalb stimmen wir heute als SPD auch der Veränderung der Sitzordnung zu.
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Ich grüße Sie herzlich von hier aus und gebe das Wort dem Kollegen Jan Korte von der Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist bis jetzt die beste Debatte, die wir in dieser Legislaturperiode hier hatten. Das möchte ich vorab sagen; denn es fällt doch ein wenig auf.
Kollege Frei, ich finde es schon relativ bemerkenswert – das muss ich ja mal sagen –, wie Sie und Ihre Fraktion einerseits 30 Jahre lang mit meiner Fraktion, damals mit der Fraktion der PDS und dann mit der Linksfraktion, umgegangen sind und sich andererseits jetzt hierhinstellen, weil es Ihnen einmal hier an den Kragen geht. Diese Weinerlichkeit ist wirklich sehr traurig. Das muss ich in aller Klarheit mal sagen.
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Das ist ja ein Heulsusentum sondergleichen.
Ich möchte kurz begründen: Warum müssen wir uns heute mit dieser auf den ersten Blick mittelwichtigen Frage überhaupt beschäftigen?
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Zunächst einmal sagt die Tatsache, dass dieser Antrag überhaupt gestellt werden muss, etwas über die braune Kaspertruppe dort vorne aus. Sie ist ja der eigentliche Grund. Sie haben ja plakatiert: „Deutschland. Aber normal.“ Das war Ihr Slogan.
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Ich kann hier zumindest mal für die demokratischen Abgeordneten feststellen: Jeder normale Abgeordnete möchte nicht neben Ihnen sitzen.
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Das ist erst die Sachlage, mit der wir es hier zu tun haben. Das gilt für alle anderen Fraktionen. So sieht es aus – um es in aller Klarheit zu sagen.
Meine Fraktion Die Linke findet das Verfahren, das gewählt wurde, vielleicht etwas unglücklich, aber trägt den Antrag inhaltlich mit. Warum? Ich möchte es begründen: Zunächst einmal gibt es das Links-rechts-Schema seit der großen Französischen Revolution. Dafür gibt es einen bestimmten Grund, es ist sehr sinnvoll. Auch wir als Linke halten daran fest, dass wir die Politik anhand des Links-rechts-Schemas einordnen und analysieren müssen. Dabei bleiben wir – und das hat auch sehr gute Gründe – aus historischer Verantwortung.
Gleich will ich aber aktuelle politische Gründe dafür anführen, warum Sie hierhin müssen und Sie dorthin. Herr Kollege Frei, Sie haben eben gesagt: „Bedenke das Ende.“ Das ist erst mal etwas, was Sie so, wie Sie immer mit uns umgegangen sind, nicht bedacht haben. Das sehen Sie dann jetzt heute.
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Das ist aber eine andere Frage. – Ich will es tagespolitisch aktuell begründen: Ralph Brinkhaus sagte gestern an dieser Stelle zum wiederholten Male – wie Sie es die ganze Zeit tun –, dass Sie weder mit der AfD noch mit der Linken etwas zu tun haben wollen. Diese Gleichsetzung von links und rechts steht in der Tradition rechts-reaktionärer Geschichtsschreibung,
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für die insbesondere Ernst Nolte steht.
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Und wer so rumschwätzt, darf sich nicht wundern, dass er dann weiter nach rechts gesetzt wird. Das ist die Sachlage hier.
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Lesen wird unterschätzt.
Dann will ich zum Zweiten einen inhaltlichen Grund geben: Sie haben in den letzten Jahren die AfD erst stark gemacht, weil Sie, insbesondere Kollege Dobrindt, der gerade anwesend ist – Söder hat das bis vor zwei Jahren gemacht, dann hat er was ganz anderes gemacht –, die ganze Zeit das Zeug nachgeplappert haben, insbesondere zum Bereich der Migration, und die Truppe erst mit stark gemacht haben.
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Auch das ist ein Grund dafür, dass Sie weiter rechts sitzen müssen. Das ist nämlich die richtige Schlussfolgerung.
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Dann will ich Ihnen sagen – ich habe meinen Wahlkreis in Sachsen-Anhalt –: Ich glaube, Sie haben in Sachsen-Anhalt, Thüringen und überhaupt in den ostdeutschen Landesverbänden der CDU ein fettes Problem.
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Denn die Tür zu den Nazis ist bei Ihnen dort nicht zu, sie ist sperrangelweit offen.
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Das müssen Sie mal klären. Vielleicht hilft es dann. Das ist die Lage, in der wir sind.
Ich möchte in Richtung der FDP sagen: Nach der Gründung der Bundesrepublik wäre es nun wirklich falsch gewesen, wenn Sie dort gesessen hätten. Da gehörten Sie in der Tat an den rechten Rand. Das muss man hier der Fairness halber sagen. Es gab nach Ihrer Gründung 1948 eine Zeit, als der alliierte Hochkommissar McCloy überlegt hat, ob er den NRW-Landesverband der FDP verhaftet, weil da das halbe Reichssicherheitshauptamt und so herumhing. Aber ich kann feststellen, dass sich da sehr viel geändert hat. Deswegen halte ich das für eine legitime Forderung, und meine Fraktion wird das heute hier unterstützen.
Ich kann abschließend für uns als Fraktion Die Linke – sie ist leider Gottes etwas kleiner geworden –
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eines feststellen: Wir sitzen gerne hier ganz links außen und sind stolz darauf; denn weltweit sitzen dort in den Parlamenten diejenigen Kräfte, die schon immer für eine Idee der Freiheit und Gleichheit am konsequentesten gekämpft haben.
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Deswegen finden wir die geplante Sitzordnung ganz in Ordnung und unterstützen den Antrag.
Vielen Dank.
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Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Patrick Schnieder.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wenn ich mir die Beiträge der Koalitionsfraktionen hier vor Augen führe, fühle mich erinnert an die Regierungserklärung von gestern. Die „Tagesschau“ hat dazu gesagt: „Viel geredet, wenig gesagt.“
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Inhaltlich haben Sie überhaupt kein Argument für das Ansinnen geliefert, die Sitzordnung heute zu ändern.
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Sie haben in der Sache im Vorfeld dieser Debatte einen Grund genannt – und heute hat Die Linke Ihnen von der FDP sekundiert –:
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Sie wollen nicht neben der AfD sitzen. – Das ist ja nun wirklich ein Kindergartenargument.
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Aber im Übrigen gilt das für alle Fraktionen. Es gilt vielleicht für eine Fraktion nicht: Das, was Herr Korte gerade gesagt hat, würde ihn dazu prädestinieren, den Platz neben den Rechten im Parlament einzunehmen.
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Sie haben Ihren Antrag – und er geht ja auf die FDP zurück – allein damit begründet,
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dass Sie über 200 Jahre parlamentarische Tradition referiert haben. Und wenn wir dabei feststellen, dass die FDP mal mehr oder mal weniger rechts gesessen hat, mal mehr oder mal weniger in der Mitte gesessen hat, dann sagt das, wenn Sie weiter in diesem Rechts-links-Schema denken, nur über eines etwas aus, nämlich über Ihre politische Beliebigkeit.
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Eines kann ich Ihnen nicht ersparen – und das merkt man ja an den Redebeiträgen Ihrer Koalitionspartner; das sieht man auch daran, wie die Redezeiten verteilt wurden –: Ihren Koalitionspartnern ist es doch peinlich, darüber zu reden.
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Sie müssen uns doch nicht den Vorwurf machen, dass wir hier eine Debatte führen. Sie haben das Thema aufgemacht, als gäbe es nichts Wichtigeres in diesem Lande, als die Sitzordnung im Deutschen Bundestag zu ändern.
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Und das Verfahren ist an Intransparenz nicht zu überbieten; auch das müssen Sie sich hinter die Ohren schreiben. Gestern ist der Antrag eingegangen, dass man dieses Thema heute als Ohne-Debatte-Punkt behandeln will. Es ist im Normalfall so – das ist parlamentarische Tradition –,
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dass wir über Fragen, die das Parlament als Ganzes betreffen, im Ältestenrat reden, aber nicht im Verborgenen, im Geheimen und ohne Aussprache.
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Deshalb haben wir zu Recht diese Debatte heute aufgesetzt, um zu zeigen, wie Sie mit diesem Parlament umgehen.
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Auch das erinnert mich an die Regierungserklärung von gestern. Der Bundeskanzler hat gefühlt in jedem zweiten Satz zwischen den Worten „Respekt“ und „neuer Stil“ abgewechselt.
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Wenn das der neue Stil ist, dann sage ich: Das ist ein schlechter Stil, den Sie hier praktizieren!
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Ich kann nur betonen: Es ist an Respektlosigkeit nicht zu überbieten, so mit der Opposition umzugehen;
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denn der einzige Grund, warum Sie die Sitzordnung ändern wollen, ist der, dass Sie sich als Koalition prominent in die Mitte des Parlaments setzen
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und die Opposition an den Rand drängen wollen. Das ist schlechter Stil, das ist Respektlosigkeit, und deshalb lassen wir Ihnen dieses Verfahren auch nicht durchgehen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es wahnsinnig bezeichnend, dass Sie bei dem Kindergartentheater über Ihre Sitzplätze volle Reihen haben, aber die wirtschaftsfreundlichen Parteien FDP und CDU/CSU, wenn dieser Tagesordnungspunkt vorbei ist, fluchtartig den Saal verlassen.
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Ich würde mir wirklich wünschen, dass Ihre Wähler das sehen: wie wichtig Ihnen Ihr Sitzplatz ist und wie unwichtig Ihnen die Belange des Handels draußen in unserem Land sind.
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Liebe Kollegen, ich bin seit 30 Jahren selbst im Textileinzelhandel. Ich weiß, was da draußen gerade abgeht. Ich weiß, wie sich das anfühlt. Ich wurde zweimal in den Lockdown geschickt, mit zwei Tagen Vorlauf. Da ist plötzlich alles, was Sie bis dahin geplant haben, vorbei. Sie können nicht mehr mit Ihren Mitarbeitern arbeiten; Sie müssen sie mit 60 Prozent des Nettolohns in Kurzarbeit schicken; und das ist der Bereich, in dem Mindestlohn gezahlt wird. Wie sich das für jemanden anfühlt, der seine Leute ordentlich bezahlen möchte, kann ich Ihnen überhaupt nicht beschreiben. Wenn Sie ohne eigenes Verschulden Ihre Geschäfte schließen müssen, dann fühlen Sie sich extrem hilflos.
Im Moment haben wir Dezember, und das ist eigentlich der wichtigste Monat für uns in dieser Branche. Und nein, es geht nicht darum, große Gewinne zu machen, sondern darum, die Verluste dieses Jahres irgendwie ausgleichen zu können, Reserven anzulegen und für das nächste Jahr und das, was da vielleicht noch kommen wird, gewappnet zu sein. Das alles können wir gerade vergessen.
Unsere Mitarbeiter sollen Ausweise und Impfzertifikate kontrollieren. Wir wissen nicht mal, ob sie dazu befugt sind, ob sie das dürfen und was passiert, wenn sie dabei einen Fehler machen: Wer zahlt die Strafen? Unsere Mitarbeiter müssen Kunden, die sie seit Jahrzehnten kennen, an der Tür abfangen und, wenn sie das dritte G für „gesund“ nicht erfüllen, wieder rausschicken. Unsere Kunden sind die Basis, das Fundament der Geschäfte, und diesen Leuten müssen wir die Tür weisen. Das ist unerträglich und hat mit dem, was die Wirtschaft draußen machen muss, nichts zu tun.
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Die Presse titelt: Apokalyptische Situation bei den Händlern, Umsatzverluste bis 80 Prozent. – Aber das Geld ist nicht weg; das haben nur andere. Die großen Onlineanbieter feiern gerade ihr zweites Umsatzweihnachtsfest, die großen Supermärkte haben gerade ihr Sortiment umgestellt, und all das, was der kleine Einzelhändler nicht mehr verkaufen kann, gibt es dort plötzlich zu kaufen. Und es ist überhaupt kein Problem, wenn dort 100 Leute an den Regalen mit den Sonderangeboten stehen. Aber der eine, der das letzte G nicht erfüllt, darf sich bei dem kleinen Händler auf 100 Quadratmetern nicht aufhalten. Sie können in ein Tabakwarengeschäft gehen, ohne die 3-G-Regelung zu erfüllen. Sie können aber nicht ein Spielzeuggeschenk für die Tochter Ihrer Nachbarn kaufen; das ist nicht möglich. Das ist furchtbar traurig, das ist aber Realität in unserem Land.
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Wenn ich das alles Revue passieren lasse, diesen Druck, der gerade auf die Ungeimpften ausgeübt wird, dann habe ich den Eindruck: Es geht gar nicht um Gesundheit. Es geht darum, die Ungeimpften zur Spritze zu nötigen,
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und das auf dem Rücken der Einzelhändler, der Gastronomen und der anderen Dienstleistungsbetriebe. Das ist die Realität, die draußen stattfindet, und die wir nicht akzeptieren können.
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Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, vor ein paar Tagen konnte ich noch lesen, dass Sie auch der Kanzler der Ungeimpften sind. Ich würde Sie gerne beim Wort nehmen: Machen Sie Schluss mit der Diskriminierung der Ungeimpften. Machen Sie Schluss damit, diese Leute auf dem Rücken des Einzelhandels und der Gastronomie auszuschließen; denn diese Bereiche haben sich anderthalb Jahre vorbildlich, solidarisch und vernünftig verhalten. Geben Sie bitte meinen Kollegen umgehend ihre unternehmerischen Freiheiten zurück, und beenden Sie damit die irreparable Zerstörung einer Säule der deutschen Wirtschaft.
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Wenn Ihnen das nicht reichen sollte, dann tun Sie es bitte für die Millionen fleißigen Mitarbeiter, die Angst um ihren Job und ihre Existenz haben.
Vielen Dank.
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Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Kollege Bernd Westphal.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieser Aktuellen Stunde geht es vor allem darum: Wie können wir in der Pandemie unser Land stabilisieren? Bisher hatten die alte und auch die neue Bundesregierung drei Schwerpunkte vor Augen, wie man diese Pandemie bekämpft.
Der erste Punkt war: Wie können wir unser Gesundheitssystem stärken? Da geht es darum, alles dafür zu tun, die Strukturen und Rahmenbedingungen zu stabilisieren: in den Krankenhäusern, in den Pflegeeinrichtungen und in den Arztpraxen. Denn genau das ist es, was wir seit zwei Jahren massiv fordern. Unser Gesundheitssystem muss stabilisiert werden, und dafür werden wir alle Finanzmittel und alle Ressourcen zur Verfügung stellen.
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Der zweite Punkt betrifft den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Hier geht es nicht darum, zu spalten, auszugrenzen oder zu diskriminieren, wie mein Vorredner uns glauben machen wollte, sondern es geht darum, den Zusammenhalt in dieser schwierigen Zeit zu organisieren. Deshalb gibt es Unterstützung, gerade auch für Familien, gerade auch im Bereich der Schulen und für ältere Menschen. Vor allen Dingen haben wir durch das Kurzarbeitergeld Beschäftigung gesichert. Das sichert Einkommen für Familien, stabilisiert sozial und bringt sozialen Zusammenhalt, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Der dritte Punkt: Das ist die Stabilisierung unserer Wirtschaft. Um unsere ökonomische Basis zu sichern, haben wir viele Wirtschaftshilfen – die Überbrückungshilfen I bis III und jetzt sogar die Überbrückungshilfe IV für das erste Quartal 2022 – auf den Weg gebracht. Wir haben heute den Wirtschaftsstabilisierungsfonds verlängert. Vor allen Dingen haben wir mit vielen Hilfen im Detail immer wieder nachgesteuert, um der Wirtschaft, wie kleinteilig sie auch ist – vom Mittelstand über Handwerk bis zur Gastronomie, von Kultureinrichtungen über Veranstaltungsmanagement bis hin zur Industrie –, diese Hilfe zu organisieren.
Das ist gelungen, weil wir einen handlungsfähigen Staat haben. Wir haben mit Wirtschaftshilfen genau diese Stabilisierung der Betriebe, der Unternehmen ermöglicht, sodass heute überhaupt Einzelhandel stattfinden kann. Wenn diese Hilfen nicht gewesen wären, dann würde der Handel heute gar nicht mehr existieren. Ich kann Ihnen nur sagen: Dadurch, dass wir diese Maßnahmen auf den Weg gebracht haben, dadurch, dass wir jetzt einen Impfstoff haben, dadurch, dass wir mit dem Impftempo nach vorne kommen, und dadurch, dass Hygienekonzepte eingehalten werden, gibt es keinen Lockdown, sondern findet Einzelhandel statt, meine Damen und Herren. Das ist genau die Lösung, die wir brauchen.
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Was bei der Diskussion über 2-G-, 2-G-Plus- oder 3-G-Regelung vergessen wird, ist, dass diejenigen, die in den Bereichen arbeiten – gerade im Einzelhandel –, auch das Anrecht haben, geschützt zu werden. Deshalb ist es richtig, mit einer 2-G-Regelung dafür zu sorgen, dass von denjenigen, die in die Geschäfte kommen, keine Ansteckungsgefahr ausgeht, weil das Personal geschützt werden muss. Ich finde, das ist genau der richtige Weg.
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Sie haben einen Punkt angesprochen, der richtig war – es war einer der wenigen –: Der Handel steht vor Herausforderungen, und zwar ist das der zunehmende Onlinehandel. Das ist durch die Pandemie sicherlich noch einmal verstärkt worden. Wir haben aber schon vor der Pandemie im Onlinehandel eine Zunahme der Umsätze von 8 bis 10 Prozent pro Jahr gesehen. Das ist etwas, was die Städte natürlich herausfordert. Deshalb gibt es die von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Unterstützung in Form von Bundesmitteln für die Belebung der Innenstädte. Hier muss man sich genau angucken: Wie kann man die Aufenthaltsqualität in den Innenstädten verbessern? Das betrifft sicherlich die Einzelhandelsgeschäfte, aber auch die Gastronomie, Kultur und Verweilplätze. Vielleicht kann man auch die Wohnbereiche in den Innenstädten attraktiver gestalten. Das sind Konzepte, die auch dazu beitragen, dass die Menschen wieder in die Innenstädte gehen, dort einkaufen und für Umsatz sorgen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch mal sagen: Der Weg aus der Pandemie ist Impfen. Das hat überhaupt nichts damit zu tun, dass wir irgendjemanden zwingen oder dass wir jemanden verachten oder diskriminieren, sondern damit, dass wir viele Menschen, die vielleicht jetzt noch zögern, dieses Angebot wahrzunehmen, unterstützen, ihnen Hilfestellung geben und argumentieren: Nehmen Sie das Impfangebot an. Sorgen Sie dafür, dass wir den Weg aus der Pandemie gemeinsam gestalten. So werden wir das im gesellschaftlichen Zusammenhalt auch schaffen.
Da das die letzte Debatte vor Weihnachten ist, wünsche ich Ihnen allen ein frohes Fest. Herzliches Glückauf!
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Zu seiner ersten Rede erteile ich das Wort dem Kollegen Tilman Kuban für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe AfD-Fraktion, Ihr Abgeordneter Johannes Huber hat vor einigen Tagen im Telegram-Chat ziemlich genau beschrieben, wie man sich ein Genesenenzertifikat erschleicht. Seine Empfehlung: Man solle sich die Spucke eines Infizierten einfach vor dem Test in die Nase sprühen lassen, zwei Wochen zu Hause warten, und schon bekäme man ein Zertifikat.
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Sie haben in den vergangenen Monaten der Pandemie schon öfter besonders unsinnige Vorschläge gemacht. Denn wenn es nach Ihnen ginge, dann wäre in diesem Land niemand geimpft, dann würde keiner Maske tragen, und dann würde auch niemand getestet werden.
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Wenn wir Ihren Vorschlägen gefolgt wären, dann hätten wir schon spätestens seit Oktober wieder Voll-Lockdown und Tausende von Toten zu beklagen. Das weiß auch jeder Gastronom in diesem Land!
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Sie wollen heute ernsthaft mit uns über die wirtschaftspolitischen Folgen der Pandemie sprechen. Am Ende haben Sie allerdings nur Hohn und Spott für jede Wirtin im Schwarzwald, für jeden Hotelier in Görlitz, für die Händler im Hannoveraner Umland und erst recht für jeden Intensivpfleger oder jede Ärztin in diesem Land übrig. Anders kann man die Rede, die Herr Ziegler hier vorhin gehalten hat, nicht verstehen.
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Sie zeigen mit dieser Aktuellen Stunde und dem Vorgehen Ihres Abgeordneten auch, dass es Ihnen darum geht, Fundamentalopposition zu betreiben. Das unterscheidet uns grundsätzlich voneinander; denn wir als Union sehen uns nicht als Opposition zum Staat und zu unserem Gemeinwesen. Wir sehen uns als Opposition in diesem Parlament. Wir haben das Wohl der Menschen im Blick, wir tragen Verantwortung für dieses Land, und wir wünschen uns, dass Sie es auch mal täten.
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Ich sage es Ihnen noch einmal in einfacheren Worten: Ihre Politik ist, wie wenn man an einer voll befahrenen Straße stehen und Kindern zurufen würde: Lauft einfach los. Es wird schon nichts passieren. – Tote und Verletzte mit Ansage.
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Ja, viele Einzelhändler und Gastronomen haben erhebliche Umsatzeinbußen und leiden unter der aktuellen Verunsicherung, auch durch die 2‑G-Regelung. Sie sind diejenigen, die für Lebensqualität stehen, die unserem Miteinander einen Raum geben und die vor der Pandemie Jobmotor gewesen sind. Deswegen kann ich die Bundesregierung nur ermutigen, an die Arbeit zu gehen und nicht dem Stil von Karl Lauterbach zu folgen, alles bei den Vorgängern abzuladen und sich die ersten Monate erst einmal wegzuducken. Sie sind gewählt, um Lösungen zu erarbeiten, und ich bitte Sie, an die Arbeit zu gehen.
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Ich möchte noch zwei sehr konkrete Vorschläge für unsere Gastronomen und unsere Einzelhändler machen, um aufzuzeigen, was wir jetzt brauchen.
Erstens. Ohne die bisherigen Hilfen hätten von den über 200 000 Gastronomiebetrieben in diesem Land wahrscheinlich fast 70 000 nicht überlebt.
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Deswegen ist es gut und richtig, dass wir die Überbrückungshilfe IV noch einmal verlängert und die Abschlagszahlungen wieder möglich gemacht haben. Wenn Sie den Betroffenen aber wirklich helfen wollen, dann sorgen Sie dafür, dass die 30 Milliarden Euro, die im Haushalt noch zur Verfügung stehen, auch wirklich abgerufen werden. Sorgen Sie dafür, dass die Allgemeine Bundesregelung Schadensausgleich auch für die 2‑G-Einschränkungen gilt und auf KMUs ausgeweitet wird! Sorgen Sie dafür, dass die Personalkostenpauschale in eine Spitzabrechnung umgewandelt wird, und sorgen Sie dafür, dass die Unternehmerlohnregelung nicht nur in Sachsen, sondern bundesweit eingeführt wird! Damit helfen Sie den Unternehmerinnen und Unternehmern sowie den Mitarbeitern in schweren Zeiten.
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Zweitens. Herr Minister Habeck – er ist ja leider nicht da, aber Herr Staatssekretär Krischer kann das möglicherweise weitergeben –, laden Sie bitte zu einer Wirtschaftsministerkonferenz ein, und sorgen Sie dafür, dass die Bundesregierung mit den Länderministern ins Gespräch kommt. Es kann doch nicht sein, dass Menschen mit einem Impf- oder Genesenenzertifikat dieses in Düsseldorf einmal vorlegen müssen, anschließend ein Bändchen bekommen und nicht weiter kontrolliert werden, während es in anderen Teilen des Landes anders ist. Es kann doch nicht sein, dass in Baden-Württemberg im Handel lange Zeit richtigerweise nur Stichproben durchgeführt wurden, was jetzt geändert wurde. Es kann doch nicht sein, dass in einigen Ländern Boostergeimpfte überall reinkommen, in anderen Ländern aber nicht. Gerade mit Blick auf Weihnachten braucht es klare Regeln, eindeutige Haltungen und keinen immer größeren Flickenteppich, um der Unsicherheit der Bevölkerung entgegenzuwirken.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies sind keine Weihnachtswünsche, auch wenn ich Ihnen natürlich ein frohes Weihnachtsfest wünsche. Wir müssen uns jetzt entscheiden: Wollen wir auch in Zukunft attraktive Innenstädte, in denen man sich austauschen kann, in denen man genießen und einkaufen kann? Wollen wir auch in Zukunft die Gastronomie als Wohnzimmer der Gesellschaft erhalten? Dann tragen wir alle Verantwortung dafür – im Übrigen auch Sie, liebe Kollegen von der AfD-Fraktion.
Vielen Dank.
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Dieter Janecek hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Kollege Kuban, erst mal herzlichen Glückwunsch zur ersten Rede hier! Ich will Ihnen aber schon sagen: Wir haben uns hier in den letzten Wochen nicht zurückgehalten, sondern auch viel über das Thema Überbrückungshilfe gesprochen, als wir noch nicht an der Regierung waren. Wir danken für die Zusammenarbeit mit dem damaligen geschäftsführenden Minister Peter Altmaier und auch Robert Habeck, der das jetzt in die Hand nehmen wird, damit wir zielgerichtete, gute Hilfen für die Wirtschaft auf den Weg bringen. Das ist uns ein großes Anliegen.
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Ich muss sagen: Mir wird traurig ums Herz, wenn ich Sie von der AfD reden höre. In München wird am Wochenende in der Klubszene eine große Aktion stattfinden, an der sich mehrere Klubs unter dem Motto „Wenn schon nicht tanzen, dann doch wenigstens impfen“ beteiligen. Sie werden am Samstag von 10 Uhr bis 22 Uhr mit einem umfassenden Angebot in Vorlage gehen und dafür sorgen, dass wir in Deutschland endlich eine höhere Impfquote kriegen.
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Ich würde Sie bitten, dass Sie dort, wo Sie Verantwortung haben – in den Kreisen, in den Kommunen, Gott sei Dank nicht in Landesregierungen –, endlich anfangen, die Menschen zu motivieren, sich impfen zu lassen. Warum haben wir in Sachsen einen wochenlangen Lockdown? Weil Menschen wie Sie den Menschen vor Ort einreden, dass sie sich nicht impfen lassen sollen.
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Sie sind verantwortlich für die Schließung der Gastronomie. Was aber noch viel schlimmer ist: Sie sind mitverantwortlich dafür, dass die Krankenhäuser volllaufen.
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Es macht mich wirklich wütend – das muss ich Ihnen sagen –, dass Sie sich hierhinstellen und versuchen, mit Empathie für die Gastroszene zu sprechen.
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Das kann doch nicht wahr sein.
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Wenn wir heute so weit wären wie Kanada, Portugal, Spanien oder auch Bremen,
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dann hätten wir die Probleme nicht. Dann hätten wir eine viel lebendigere Kulturszene, eine viel lebendigere Gastroszene, und auch der Einzelhandel hätte nicht dieses Leid zu ertragen.
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Aber er hat momentan dieses Leiden zu ertragen, weil die Menschen verunsichert sind, weil die Zahlen so hoch sind. Das ist wirklich etwas, was uns alle sehr bedrückt.
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Natürlich helfen da auch Wirtschaftshilfen auf Dauer nicht. Ich verstehe alle, die sagen: Wir brauchen eine Perspektive.
Ich will aber auch mal kritisch sagen: In den letzten Jahren – so lange geht das jetzt ja schon – sind nicht alle Maßnahmen, die getroffen worden sind, sehr plausibel gewesen. Ich komme aus Bayern.
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– Man merkt schon an der Reaktion, dass die Menschen das verstehen.
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Wir haben zum Beispiel im Bereich der Gastronomie die 2‑G-Regelung. Das sei den Gastwirten gegönnt; dadurch funktioniert die Gastronomie, soweit sie funktionieren kann. Im Kulturbereich dürfen 25 Prozent der Kapazitäten genutzt werden, und es gilt 2‑G-Plus. Ich darf nur mit Maske ins Theater gehen, muss mich testen lassen und einen 2‑G-Nachweis haben. Das kann auf Dauer nicht funktionieren. Wenn ich aber in die Theaterkneipe gegenüber gehe, beträgt die Auslastung dort 100 Prozent. Das verstehen viele – auch im Kulturbereich – nicht.
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Ich kann wirklich nachvollziehen, dass wir dann, wenn Regeln nicht mehr verständlich sind, noch mal nachbessern müssen.
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Ich will aber auch sagen, dass wir noch mal über die Unsicherheiten, die es zum Beispiel bei den Schaustellern auf den Weihnachtsmärkten gibt, diskutieren müssen; da müssen wir noch mal ran. Es sind jetzt noch Maßnahmen für Schausteller mit über 50 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen getroffen worden, damit auch diese die Hilfen bekommen. Wir werden wahrscheinlich nicht umhinkommen, immer wieder zu gucken, welche Branchen noch betroffen sind. Die Veranstaltungsbranche beispielsweise hat in diesem Winter erneut kein relevantes Geschäft. Das ist eine große Branche mit Hunderttausenden von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen.
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– Wir können ihnen auf Dauer – wenn Sie mich das so direkt fragen – nur eines bieten: Wir müssen es endlich schaffen, die Boosterkampagne und die Impfkampagne hochzufahren und Sicherheit durch höchsten Gesundheitsschutz zu erreichen. Das ist der richtige Weg. Alle müssen jetzt kraftvoll zusammenarbeiten, damit wir das mit nachvollziehbaren Regeln wirklich hinkriegen.
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Es wird wieder ein harter Winter, und wir müssen jede Regel immer auch hinterfragen. Wenn die Zahlen nach unten gehen, müssen die Regeln nicht so bleiben; das will ich hinzufügen. Die Länder haben ja auch Vollmachten. Trotzdem ist es gut, dass wir jetzt eine Einheitlichkeit geschaffen haben. Die Regeln waren oft nicht darstellbar. Es ist ja nicht so, dass die Menschen in ihrem Bundesland bleiben und nicht über die Landesgrenze gehen. Man wusste teilweise nicht mehr, wo man dran war, wenn man zum Beispiel von Baden-Württemberg nach Bayern gegangen ist. In den Bereichen, in denen es sinnvoll ist, braucht es also Einheitlichkeit.
Um das abzuschließen: Wir verstehen das Leid, wir verstehen, dass es hier einfach auch Wut gibt. Ich kann das verstehen, weil ich, wie Sie hoffentlich auch, mit vielen spreche. Ich habe auch Vorschläge gemacht, wie zum Beispiel den, die Außengastronomie in München nach dem ersten Lockdown sehr schnell auch auf Parkplätze zu verlagern, wo das möglich war. Kollege Roloff aus München weiß das.
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Lassen Sie uns also auch kreativ sein, um gute Lösungen zu finden, wo es notwendig ist. Lassen Sie uns aber über den Winter vor allem eine hohe Impfquote erreichen, damit wir diese Situation nicht noch einmal ertragen müssen.
Ich danke Ihnen.
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Pascal Meiser hat das Wort für die Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass sich ausgerechnet die AfD hierhinstellt und Krokodilstränen über die Folgen der Pandemie vergießt, ist schon dreist. Sie von der AfD sind es doch, die seit Monaten nichts anderes tun, als selbst das mildeste Mittel zur Bekämpfung der Pandemie zu kritisieren und auch zu torpedieren, sei es die Maskenpflicht, sei es das Testen, wie man an einigen Nasen da oben auf der Tribüne sehen kann, sei es das freiwillige Impfen.
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Und dann wundern Sie sich, dass die Pandemie jetzt wieder mit aller Macht in unserem Land zuschlägt und auch die Gastronomie und den Einzelhandel trifft. Das ist doch absurd.
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Und dass Sie von der AfD in Ihrer Rede nicht ein Wort über den Gesundheitsschutz der Beschäftigten im Einzelhandel und in der Gastronomie verlieren, finde ich schon bezeichnend.
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Das zeigt nur wieder einmal sehr deutlich, dass Sie alles sind, aber nicht die Vertreterinnen und Vertreter der kleinen Leute, der Verkäuferinnen und der Leute, die in der Gastronomie arbeiten. Das war heute wieder sehr entlarvend.
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Jetzt aber zur Bundesregierung. Wenn Sie aufgrund der Versäumnisse der Vorgängerregierung, der gerüchteweise auch der eine oder andere der neuen Regierung schon angehört haben soll, insbesondere bei der Impfkampagne jetzt wieder zu strikteren Maßnahmen greifen müssen, dann sind Sie selbstverständlich auch in der Pflicht, überall, wo es nötig ist, die Menschen und die Unternehmen mit den Folgen dieser Maßnahmen nicht alleine zu lassen. Deswegen begrüßen wir als Fraktion Die Linke ausdrücklich, dass die sogenannten Überbrückungshilfen zumindest bis Ende März verlängert werden. Aber wenn Sie es damit ernst meinen, dann dürfen Sie jetzt nicht die Fehler der alten Regierung fortschreiben, bei der viel zu viele durchs Raster der Hilfsprogramme gefallen sind. Ich hätte da einige Hinweise und helfe Ihnen gerne auf die Sprünge.
Erstens. Warum halten Sie weiter krampfhaft daran fest, dass ein Unternehmen einen Umsatzausfall von mindestens 30 Prozent verzeichnen muss, um überhaupt Unterstützung zu erhalten? Wir wissen doch, dass gerade im Einzelhandel Unternehmen von Umsatzeinbußen von 20 bis 25 Prozent betroffen sind, die genau deswegen durchs Raster fallen. Ich finde, da müssen Sie dringend nacharbeiten.
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Zweitens. Für Unternehmen, die vollständig schließen müssen, reicht eine Erstattung von 90 Prozent der Fixkosten auf Dauer nicht aus. Wer einen Umsatzausfall von 100 Prozent hat, muss auch 100 Prozent der Fixkosten erstattet bekommen.
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Jetzt hätten auch die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen mitklatschen können. Das haben Sie nämlich Anfang des Jahres wortwörtlich in Ihren Antrag geschrieben, und ich glaube, es war niemand Geringeres als die geschätzte Kollegin Dröge, die jetzt Fraktionsvorsitzende ist, die das hier vorgetragen hat. Das war damals richtig, und es ist immer noch richtig. Ich frage mich aber schon: Warum handeln Sie mit der neuen Regierung jetzt nicht entsprechend?
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Drittens. Sorgen Sie endlich dafür, dass die Überbrückungshilfen am Ende immer und zwingend dem Schutz der Beschäftigten in den Unternehmen zugutekommen. Koppeln Sie die Hilfen endlich an ein Verbot betriebsbedingter Kündigungen.
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Viertens. Noch immer haben kleine Selbstständige, die mindestens einen Mitarbeiter bzw. eine Mitarbeiterin beschäftigen, nicht die Möglichkeit, bei den Überbrückungshilfen auch Mittel für die eigene Existenzsicherung zu beantragen. Sie werden stattdessen direkt auf Hartz IV verwiesen. Ich finde das auch weiterhin respektlos.
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Noch Anfang des Jahres haben ja auch Sie von der FDP in einem Antrag die Forderung nach der Erstattung eines solchen sogenannten Unternehmerlohns unterstützt. Jetzt hätten Sie die Chance, Ihren Worten entsprechende Taten folgen zu lassen. Was passiert? Nichts. Das ist und bleibt beschämend, meine Damen und Herren.
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Fünftens. Sorgen Sie endlich für ein Coronakurzarbeitergeld, von dem Menschen mit einem geringen Einkommen anständig leben können. Streichen Sie die Einschränkung, dass nur diejenigen nach drei bzw. sechs Monaten in den Genuss des angehobenen Kurzarbeitergeldes kommen, die mehr als 50 Prozent ihrer Arbeitszeit in Kurzarbeit sind. Erhöhen Sie das Kurzarbeitergeld endlich ab dem ersten Monat auf 90 Prozent des normalen Nettos, und führen Sie ein armutsfestes Mindestkurzarbeitergeld ein. Gerade die Beschäftigten in der Gastronomie, gerade die Beschäftigten im Einzelhandel beziehen häufig Niedriglöhne. Sie sind auf ein erhöhtes Kurzarbeitergeld dringend angewiesen, meine Damen und Herren.
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Übrigens haben Sie von den Grünen auch das vor der Wahl so beantragt. Warum handeln Sie jetzt nicht entsprechend?
Meine Damen und Herren von der Ampelkoalition, ich sage Ihnen: Wenn Sie es wirklich ernst meinen mit einem Neustart, dann müssen Sie an den genannten Stellen handeln, dann dürfen Sie in dieser Krise niemanden mehr im Regen stehen lassen. Wir als Fraktion Die Linke werden nicht ruhen und Sie auch weiterhin überall, wo es nötig ist, daran erinnern, dass Sie hier handeln müssen.
Vielen Dank.
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Der Kollege Manfred Todtenhausen hat das Wort für die Fraktion der FDP.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! In den letzten zwei Jahren gab es sicher einige Unternehmen, die besonders unter Corona und den Maßnahmen gelitten haben. Es gab und gibt nach wie vor Umsatzeinbußen, ganz besonders beim Einzelhandel, in der Gastronomie und auch bei den Schaustellern, deren Hauptgeschäft gerade in der Weihnachtszeit, in der Adventszeit auf den Weihnachtsmärkten stattfindet. Wir als Koalition wissen das; deshalb macht es sich niemand leicht, weder im Bund noch in den Ländern.
Die Freien Demokraten begrüßen die neuen Coronamaßnahmen zur Eindämmung der Infektionen, auch wenn diese auf den ersten Blick für einige recht streng wirken.
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Unser Ziel ist – das war es immer –, einen flächendeckenden Lockdown zu verhindern. Daran haben wir die ganze Zeit gearbeitet. Mit den neuen Regeln, die die Koalition in das Infektionsschutzgesetz geschrieben hat, ist das nun möglich.
Sie von der AfD verharmlosen die Lage.
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Und jetzt, wo die Zahlen von problematischen Fällen in den Kliniken wieder zunehmen und wir entsprechend vorsorgen, wettern Sie gar gegen die 2-G-Regel.
Meine Damen und Herren, wir befinden uns im Winter wieder in einer entscheidenden Phase. Für uns als Koalition gilt weiterhin, die Inzidenzen und die Belegung von Krankenhausintensivbetten im Auge zu behalten und zu reduzieren. Wenn nötig, können die Bundesländer weitere Maßnahmen ergreifen, um das Infektionsgeschehen einzudämmen. Dazu zählen besagte Vorsichtsmaßnahmen, die für Handel und Gastronomie derzeit gelten. Und wissen Sie was, die Menschen nehmen die Regeln in der Mehrheit sogar an – das gilt jedenfalls für diejenigen, mit denen ich gesprochen habe –, genauso wie sie sich auch impfen lassen. Viele Gäste in der Gastronomie fühlen sich einfach viel sicherer, wenn diese Regeln gelten, und gehen auch viel lieber dorthin. Das habe ich gerade erst erlebt.
Natürlich gibt es Umsatzeinbußen im Vergleich zu 2019. Auch die letzte Regierung hat Verantwortung übernommen und entsprechende Maßnahmen ergriffen. Was ist der Unterschied zum letzten Jahr? Geschäfte und Gastronomie sind offen. Das waren sie letztes Jahr nicht, jedenfalls nicht so wie jetzt. Und es gibt keinen Lockdown. Auch das gab es letztes Jahr nicht. In vielen Bundesländern finden sogar weiterhin Weihnachtsmärkte statt. Wir beide, meine Kollegin aus Wuppertal und ich, kennen das. Wir gehen wahrscheinlich auch bald wieder dorthin.
Die Bundesregierung hat dafür gesorgt, dass Händler wie Gastronomen bereits ab einem Umsatzverlust von 30 Prozent einen Antrag auf Überbrückungshilfe III Plus stellen können, und das ist richtig. Außerdem wird die Sonderregelung zur Abschreibung von Warenbeständen für Hersteller, Großhändler, Einzelhändler, professionelle Verwender fortgeführt. Wir verlängern die Überbrückungshilfe III bis ins nächste Jahr – das ist schon mehrfach angesprochen worden –, sodass die Überbrückungshilfe IV nahtlos anschließen kann.
Übrigens, meine Damen und Herren, die Neuinfektionen und die Sieben-Tage-Inzidenz nehmen Gott sei Dank ab. Daran sieht man: Kontaktreduzierungen wirken. Und je eher die Zahlen sinken, desto eher können wir die Regelungen wieder lockern. Darauf arbeiten wir alle hin.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, machen wir uns doch nichts vor. Es gibt noch einen weiteren Grund, der zum Umsatzrückgang führt – wer heute Morgen um 6 Uhr Fernsehen geguckt hat, hat es gehört –: die Lieferprobleme bei bestimmten Produktgruppen. Das führt natürlich auch zum Umsatzrückgang. Außerdem gehen die Bürger doch nicht aufgrund der Regeln weniger in die Läden und die Restaurants. Nein, sie meiden die Innenstädte, weil sie Sorge vor Ansteckung haben.
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Diese Sorge müssen und wollen wir ihnen nehmen, und zwar durch Impfen, Impfen, Impfen! Wir haben das schon tausendmal gehört; wir können es fast nicht mehr hören. Aber Ihren Aufruf zum Impfen habe ich bis jetzt noch nicht gehört.
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– Schön, dass das im Protokoll steht.
Mit abgestuften Regeln wie 2 G ist es möglich, die Läden offen zu halten, und darauf kommt es doch an. Wir müssen die Läden offen halten, um den Händlern eine Chance zu geben, auf welchem Weg auch immer. Für alle, auch für Ungeimpfte, bleiben außerdem Supermärkte, Drogerien, andere Versorger ohne Einschränkungen offen; auch sie dürfen in diese Läden.
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Gleichzeitig können Restaurants und Geschäfte auch nach Hause liefern. Das ist auch eine Möglichkeit, die regionalen Unternehmen zu schützen. Mehr noch: Da, wo die Bundesländer zusammen mit dem Handel kreative Lösungen finden, sind die Kunden sogar viel weiter.
Die Bändchen-Lösung – darüber haben wir heute noch nichts gehört; sonst ist fast alles gesagt –, die dazu dient, nicht in jedem Laden aufs Neue den Impfstatus zeigen zu müssen, und in Hamburg und den FDP-regierten Ländern NRW, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein als Erstes umgesetzt worden ist, ist schon jetzt ein großer Erfolg. Andere Bundesländer ziehen noch diese Woche nach. Hoffen wir darauf, dass auch Bayern auf den Pfad der Einsicht kommt und diese Lösung annimmt. Ich jedenfalls würde das begrüßen.
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Ich muss gucken, wo ich kürze. – Ihre Kritik und Ihre Vorschläge gehen auf Kosten der Gesundheit aller. Das macht die Mehrheit in diesem Haus nicht mit, und das ist gut so.
Herr Kollege!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir lösen das nur gemeinsam. – Jetzt mache ich mich auf den Weg; ich habe meine Zeit falsch eingeschätzt.
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Vielen Dank. – Das Pult ist bereitet für die erste Rede der Kollegin Lena Werner von der SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich halte heute hier meine erste Rede im Deutschen Bundestag, und passender könnte das Thema gar nicht sein. Ich selbst habe jahrelang in der Gastronomie gearbeitet und eine Hotelfachausbildung. Wissen Sie, warum ich gerne in der Gastronomie gearbeitet habe? Wissen Sie, warum dort viele Menschen wirklich gerne arbeiten, auch wenn die Arbeitsbedingungen nicht immer einfach sind? In der Gastronomie steht der Servicegedanke im Vordergrund, der Kontakt zu den Menschen, der Austausch mit anderen Menschen, das Gefühl, jemand anderem etwas Gutes zu tun. Und genau darauf mussten in den letzten zwei Jahren viele verzichten, die Gäste, aber auch die Gastronominnen und Gastronomen und die Hoteliers.
Die Branche lebt vom zwischenmenschlichen Kontakt, und der war und ist sehr eingeschränkt. Die Menschen haben großen Aufwand betrieben, um trotz allem ihre Angebote aufrechtzuerhalten und weiterhin Gäste empfangen zu können. In den vergangenen Wochen hat die Ampelkoalition deutlich gemacht, dass sie diese Bemühungen unterstützt und einen weiteren Lockdown verhindern will.
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Dass die AfD-Fraktion hier jetzt so tut, als sei die 2‑G-Regel verantwortlich für geringere Umsätze, ist eine Frechheit.
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In den vergangenen Wochen habe ich viele Gespräche mit meinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen und weiteren Vertreterinnen und Vertretern der Gastronomie und des Einzelhandels geführt. Alle sind sich einig: Sie leiden nicht an der 2‑G-Regel, sie leiden an der pandemischen Lage. Sie leiden darunter, dass kein Kontakt mit den Gästen stattfinden kann. Und sie wissen, dass die 2‑G-Regel hilft, einen Lockdown zu verhindern. Sie wollen genauso wie wir alle, dass diese Pandemie schnellstmöglich vorbei ist,
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damit wir wieder ganz ohne Sorge ins Restaurant essen gehen können, damit wir wieder feiern gehen können, damit wir wieder in unsere Lieblingsbar gehen können, ohne Angst zu haben, uns und andere zu infizieren. Was mir meine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen auch gesagt haben: Auch schon vor der 2‑G-Regelung haben fast ausschließlich geimpfte und genesene Personen die Restaurants und Bars besucht. Es gab kaum jemanden, der nur getestet zu Besuch kam. – Die Pandemie ist verantwortlich für die Umsatzeinbußen und nicht eine 2‑G-Regelung.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zahlen zeigen eindeutig: Wir sind mitten in der nächsten Welle. Deshalb bleiben die Menschen zu Hause. Sie sind vorsichtig und wollen sich und andere schützen, und das ist auch richtig so.
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Veranstaltungen wie Weihnachtsfeiern werden abgesagt, weil die Menschen ihre Kontakte beschränken wollen. Dadurch entstehen die Umsatzeinbußen.
Es ist uns allen bewusst, dass die Situation weiterhin sehr schwierig ist. Unterstützung ist und bleibt dringend notwendig. Die umfangreichen und unterschiedlichen Programme haben Unternehmen, Gastronominnen und Gastronomen und den Einzelhandel unterstützt und tun das auch weiterhin. Fast 60 Milliarden Euro wurden bis Anfang Dezember ausgezahlt. Daher müssen wir beides angehen, das Ende der Pandemie und die wirtschaftlichen Einbußen. Für Letzteres gibt es die umfangreichen Hilfen, für Ersteres brauchen wir Instrumente wie die 2‑G-Regel. Denn was wäre die Alternative? Wir würden früher oder später in einen erneuten Lockdown schlittern. Das wiederum würde zu größeren Umsatzeinbußen führen. Eine Aufhebung der 2‑G-Regel ist also nicht im Interesse der Branche, wenn wir ernsthaft diese Pandemie besiegen wollen.
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Das muss doch weiterhin das oberste Ziel bleiben: das Ende der Pandemie. Um das zu schaffen, braucht es weiterhin die Solidarität aller. Daher meine Bitte an Sie: Lassen Sie sich impfen, lassen Sie sich boostern, und lassen Sie uns gemeinsam diese Pandemie besiegen,
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damit wir nächstes Jahr wieder alle auf Weihnachtsfeiern gehen können, damit wir wieder ohne Sorge in unsere Lieblingsbar gehen können, damit wir wieder unbeschwert mit unseren Freundinnen und Freunden essen gehen können. Dann steigen auch die Umsätze wieder.
Vielen Dank.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Klaus-Peter Willsch das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Herr Krischer, ich hätte mir gewünscht, dass der Minister heute da wäre; aber es gibt sicher wichtige Gründe. Sie können ihm ja ausrichten, was ich dem Haus mitgeben möchte.
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Gerade für Ungelernte in Sachen Wirtschaft wäre es ganz gut gewesen, heute da zu sein;
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aber das trifft ja auch auf Sie zu. Insofern ist dieser Hinweis nach wie vor gerechtfertigt.
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Was die neue wirtschaftspolitische Agenda anbelangt, ist man auf die dürren Worte im Koalitionsvertrag angewiesen; da ist man etwas eingeschränkt. Ich habe ein bisschen gesucht, ich konnte es gar nicht glauben, aber die Gastronomie findet sich in den 177 Seiten überhaupt nicht.
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Zur Hotellerie gibt es auch nichts. Es findet sich etwas zum Tourismus. Zum Tourismus steht da, dass er klimaneutral und digitaler sein muss. Das ist alles wichtig und gut – darum haben wir uns auch schon gekümmert –; aber ich habe nicht den Eindruck, dass für diese neue Ampelregierung der große Bereich „Tourismus, Gastronomie, Hotellerie“ überhaupt eine Rolle spielt.
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Ich frage mich, wo die FDP bei den Verhandlungen darüber war. Ist das zu später Stunde gewesen, als ihr geschlafen habt? Sonst habt ihr doch immer so getan, als ob ihr hier die einzigen Sachwalter wärt.
Ich glaube, es ist Zeit – wenn Sie das dem Minister bitte ausrichten –, von den Höhen des feuilletonistischen Olymps und der Weltenrettung herabzusteigen und sich der Lebenswirklichkeit in Deutschland zu widmen,
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der Pandemie und den Auswirkungen dieser Pandemie auf die wirtschaftliche Lage in unserem Land.
Ich will mich nicht mit diesen abwegigen Herleitungen von Herrn Ziegler aufhalten;
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aber dass die Debatte heute geführt wird, finde ich gut. Denn das, worüber wir hier reden, findet genau jetzt statt: Die Gastronomen haben jetzt Ausfälle, die Facheinzelhändler haben jetzt Ausfälle. – Es freut mich ja, dass Sie weiterhin Innenstadtkerne stärken und Strukturen für den Handel erhalten wollen; aber wenn das noch ein bisschen so weitergeht, dann macht da überhaupt nichts mehr auf, dann sind da nur noch Nagelstudios und Handyshops und sonst nichts. Dass wir den Facheinzelhandel erhalten, ist auch Voraussetzung dafür, dass Ihre Elektrolasträder nachgefragt werden; denn wenn keiner mehr was auszufahren hat, dann beantragt auch keiner ein elektrisches Fahrrad bei Ihnen. Übrigens ist interessant zu wissen, dass sich ab 2023 die E‑Auto-Förderung ändern wird. Es täte also gut, ein bisschen zu priorisieren und sich der Wirklichkeit zu stellen, die im Lande gerade beobachtbar ist.
Ich will an die Parlamentarier appellieren. Ich habe es genossen, dass eben Bernd Westphal gesprochen hat. Wir als Parlament haben ja wirklich eine intensive Zusammenarbeit mit der ministeriellen Administration gehabt. Wir hatten mindestens sitzungswöchentlich einen Austausch mit dem Ministerium auf Ministerebene oder Staatssekretärsebene. Dabei hatten wir immer wieder Gelegenheit – die haben wir auch genutzt –, unsere Berichte aus den Wahlkreisen in die Administration hineinzutragen, damit nicht an der Faktenlage vorbei geholfen wird, sondern da, wo es nottut. Das brauchen wir dringend auch in Zukunft. Sie als Parlamentarier sind als Sachwalter gegenüber der Regierung gefordert, damit man dort weiterhin ein offenes Ohr hat und wir einen Zugang finden.
Ich will daran erinnern, dass es nicht immer einfach war. Das BMF stand oft auf der Bremse. Wir wollten sehr viel früher steuerlich durch großzügige Verlustvortragsmöglichkeiten helfen; aber der Chef des BMF oder wer auch immer in seinem Haus – das lag jedenfalls in der Verantwortung von Olaf Scholz – war am Anfang strikt dagegen. Deshalb, nur aus diesem Grund mussten wir komplizierte Sonderfördermöglichkeiten schaffen.
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Dass das alles dieses Mal besser geht, das wünschen wir uns sehr. Bisher ist leider nicht zu sehen, dass das Thema wirklich oben auf der Agenda wäre.
Ich habe in diesen letzten Tagen und Wochen sehr viel mit Gastronomen, mit Hoteliers, mit Facheinzelhändlern gesprochen. Da gibt es – einige Zahlen sind genannt worden – 30, 40 Prozent Rückgang. Ich habe heute Morgen mit meinem Schwiegervater telefoniert. Die Schwiegerleute haben Gastronomie in der Oberlausitz. Sie haben nur noch zwei Drittel ihres Umsatzes. Ich finde, um da noch einmal ein Stück Gemeinsamkeit zu zeigen, eigentlich auch, dass 2 G eine Erleichterung für ein Funktionieren ist, zumindest für die, die sich so verhalten, wie ich es mir wünsche, die sich impfen lassen.
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Aber wir dürfen trotzdem nicht die Augen davor verschließen; denn wir riskieren, dass ein großer Bereich mit vielen Beschäftigten und viel Lebensqualität für uns alle – Facheinzelhandel, innerstädtisches Leben und Gastronomie – einfach den Bach heruntergeht. Deshalb bleibt das eine wichtige Aufgabe.
Nehmen Sie meine frohen Grüße für Weihnachten – jetzt mahnt die Präsidentin, aber das darf ich bestimmt noch sagen – bitte noch mit. Wir haben eine besondere Zeit vor uns. Bleiben Sie offen für die frohe Botschaft der Heiligen Nacht, und möge der Heiland unser Land und seine Menschen schützen!
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Vielen Dank auch dafür. – Die nächste Rednerin, die hier im Hause ihre erste Rede absolviert, ist die Kollegin Katharina Beck für Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Bundestag! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Lieber Herr Willsch, ich bin aus Hamburg, dem Tor zur Welt, und natürlich spielt der Tourismus bei uns in dieser Ampelkoalition eine Riesenrolle. Darauf können Sie sich verlassen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, ich finde das, was Sie tun, einfach unredlich. Sie nutzen die tatsächliche Notlage von Millionen von Menschen in Gastronomie, Kultur und Einzelhandel, um hieraus politisches Kapital zu schlagen, um Ihren verqueren Totalitätsanspruch individueller Freiheit voranzutreiben, wo ein „Ich will aber meine Maske nicht tragen“ wichtiger ist als der Schutz des Lebens anderer Menschen.
Wissen Sie, ich wünsche mir auch wieder ein Leben ohne Corona, ja, gerne auch eines ohne Maske, ein Leben mit unbeschwertem Restaurantbesuch, mit einem Bummel in der Innenstadt. Aber wir haben nun mal Corona, und mit Omikron ist die nächste Steigerung schlimmerweise schon in Sicht.
Ihr Eintreten für das Nichtimpfen und das „Ich will aber keine Maske“ führt doch erst dazu, dass wir in der vierten und bald in der fünften Welle stecken und eben zu Maßnahmen wie Masken gezwungen sind, die – darauf können Sie sich verlassen – aufzuhaben hier wirklich niemand auch nur das kleinste bisschen Lust hat.
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Aber das zugrundeliegende Problem heißt nicht 2 G und die anderen Schutzmaßnahmen. Das zugrundeliegende Problem ist der noch immer viel zu große Anteil an Nichtgeimpften und dessen Effekt auf die Belegung der Intensivbetten.
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Liebe AfD, eine Idee habe ich Ihnen mitgebracht. Wenn Ihnen die Menschen in der Gastro und im Einzelhandel wirklich am Herzen liegen, dann schreiben Sie doch Ihren Mitgliedern mal eine E-Mail, und fordern Sie sie zum Impfen auf. Das wäre effektiv.
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Jetzt möchte ich endlich zu dem kommen, worum es eigentlich gehen sollte, nämlich um die Menschen, die hinter den Zahlen stecken, die Millionen von Kleinunternehmern, die Soloselbstständigen, die Ladenbesitzerinnen und Ladenbesitzer, die Jobberinnen und Jobber in Gastro, Einzelhandel und Kultur. Viele von ihnen können einfach nicht mehr.
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Das Bild des neuen Geschäftsklimaindex für Soloselbstständige und Kleinunternehmen des ifo-Instituts ist dramatisch. Über 25 Prozent stehen vor dem Aus ihrer Existenz, fast doppelt so viele wie in der Gesamtwirtschaft, gar nicht zu sprechen von den psychischen Belastungen, einmal durch die finanzielle Lage, aber eben auch, wenn man seiner beruflichen Leidenschaft – und das prägt gerade Kleinunternehmerinnen und ‑unternehmer und Branchen wie Gastro und Kultur enorm – nicht mehr nachgehen kann.
Somit finde ich es exorbitant gut, dass wir schon im Koalitionsvertrag gemeinsam vereinbaren konnten, dass wir die Rückzahlmodalitäten der – – Entschuldigung, jetzt ist meine Seite hier leider falsch. Ich finde es gleich.
Jetzt möchte ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier erst noch einmal das Vertrauen dieser Menschen in uns, in die Politik, adressieren. Ein ganz akutes Problem sind nämlich die Rückforderungen der ersten Coronahilfen vom Frühjahr 2020. Diese Soforthilfen als Liquiditätshilfen waren damals nicht das richtige Mittel. Zuständigkeitsgerangel, nicht funktionierende IT, sich dauernd ändernde AGBs kamen hinzu.
({5})
Seit ein paar Monaten flattern Rückzahlungsforderungen bezüglich dieser ersten Coronasoforthilfen in die Briefkästen vieler Soloselbstständiger und Kleinunternehmerinnen und Kleinunternehmer, zur Unzeit, gerade jetzt in der vierten Welle.
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Für uns hier in diesem Haus ist aber noch wichtiger: Da geht es auch um unsere Kommunikation und Glaubwürdigkeit. Lieber Herr Scholz, Sie haben damals im März 2020 richtigerweise den Menschen Mut gemacht, haben die Bazooka angekündigt. Aber leider wurde damals von Ihnen und Herrn Altmaier eben auch angekündigt, dass es sich um Zuschüsse handeln werde, die nicht zurückgezahlt werden müssten. Das steht so wörtlich darin. Anfang April 2020 hatten knapp 1,8 Millionen Menschen in Deutschland diese Hilfen beantragt. In der detaillierten Umsetzung wurde es dann aber leider vor Ort oft anders gehandhabt. Diese Rückforderungen mögen dadurch in vielen Fällen juristisch korrekt sein. Kommunikativ ist das aber schlimm; denn so kann leider Vertrauen kaputtgehen.
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Doch ich finde es exorbitant gut, dass wir schon im Koalitionsvertrag gemeinsam neue Wege miteinander gehen und sagen: Wir werden die Rückzahlmodalitäten der Coronasoforthilfen prüfen. – Das ist genau die Politik des lernenden Staates, die ich mir wünsche.
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Viele Betroffene nehmen das auch wahr, aber wir müssen nun auch Taten folgen lassen, und das dringendst.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist der Grund, warum ich hier heute unbedingt sprechen wollte: Ich möchte Sie alle für zwei konkrete Ideen bezüglich der Coronarückzahlungsforderungen gewinnen. Erstens. Lassen Sie uns ein Rückzahlungsmoratorium in Verbindung mit einer Taskforce beschließen, die diesmal ihren Namen auch verdient, die aus juristischer, unternehmerischer und politischer Perspektive die Regelungen und Zuständigkeiten aufdröselt und Lösungen erarbeitet. Zweitens. Lassen Sie uns dabei bitte Kulanzregeln bis zu einer gewissen Höhe ernsthaft in Betracht ziehen. – Frau Präsidentin, ich sehe die Lampe. – Wenn wir die Gesamtkosten für die Rückzahlungsforderungen und Folgekosten abwägen, dann bekommen wir für einen überschaubaren Betrag in einer Zeit existenzieller Unsicherheit die Hoffnung für ein gesellschaftliches Wir, das auch die Einzelnen stützt. – Ich hoffe, ich konnte Sie dafür gewinnen,
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und freue mich auf die weitere Zusammenarbeit.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Meine Kulanz erstreckt sich ausschließlich auf die erste Rede in diesem Haus. Deswegen trifft das jetzt auch im positiven Sinn die Kollegin Kristine Lütke, die gleich für die FDP-Fraktion ihre erste Rede hier halten wird.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Letztes Jahr um diese Zeit hieß es: kein Sport, kein Shopping, kein Schulunterricht. Alles war komplett dicht. Heute sind Schulen, Läden, Restaurants, Sport- und Kultureinrichtungen offen, aber eben mit Einschränkungen.
Wie Bundeskanzler Scholz gestern in seiner Regierungserklärung eindrücklich geschildert hat, geht es niemandem momentan richtig gut, ist keiner wirklich in froher Weihnachtsstimmung und freut sich auf unbeschwerte Tage mit seinen Lieben. Wir durchleben als Gesellschaft den zweiten dunklen Pandemiewinter. Mehr als 100 000 Menschen sind bereits an oder mit Corona verstorben. Die Intensivstationen und Krankenhäuser laufen wieder voll. Ärztinnen, Pfleger und Krankenhauspersonal arbeiten seit fast zwei Jahren am Limit und ganz oft weit darüber hinaus. Wir fragen uns doch alle: Wird es jemals wieder so wie früher sein?
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Das wissen wir nicht; denn mit dem sich immer wieder ändernden Virus müssen auch wir uns auf immer wieder neue Umstände einstellen. Aber wir lernen doch immer besser, damit umzugehen. Manche Maßnahmen werden uns noch eine Weile begleiten, um die Pandemie langfristig und endgültig zu bewältigen. Dazu zählen auch die 2-G-Regeln in den besonders von der Pandemie betroffenen Regionen. Das ist herausfordernd, auch wirtschaftlich, für Einzelhandel, Gastronomie und Hotellerie.
Aber, sehr geehrte Damen und Herren von der AfD, machen Sie sich bitte ehrlich: Diese Aktuelle Stunde dient Ihnen doch nur dazu, um Ihrer schrumpfenden Anhängerschaft von Ungeimpften und unverbesserlichen Querdenkern nach dem Mund zu reden.
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Ihr vorgeschobenes Interesse und Ihr vermeintlicher Einsatz für Einzelhandel, Gastronomie und Hotellerie ist doch eine Farce!
Ich bin selbst Unternehmerin in der Gesundheitsbranche. Ich bin also doppelt betroffen, wenn Sie so wollen.
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Ich kenne viele Einzelhändler, Gastronomen und Hoteliers persönlich, und ich weiß: Diese Unternehmerinnen und Unternehmer sind verantwortungsbewusst. Sie wollen explizit ihre Hygienekonzepte umsetzen, und sie organisieren auch selbstständig Impfkampagnen für ihre Belegschaften. Und was wollen Sie?
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Aufmachen ohne Regulierungen, mit der Begründung, dass Branchen zu sehr leiden würden. Was glauben Sie denn, wo das am Ende hinführt? Wir haben es doch gesehen, wie es in manchen unserer Nachbarländer lief, nachdem fast alle Regeln fallen gelassen wurden.
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Da ging es wie in Österreich direkt zurück in den nächsten Lockdown. Was haben der Einzelhandel, das Restaurant, das Café ums Eck oder das Hotel dann gewonnen? Nichts! Einfach aufmachen, das ist angesichts von Varianten wie Delta und Omikron schlichtweg nicht möglich.
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Das führt nur wieder zurück zu Ausgangssperren, flächendeckenden Lockdowns, Schulschließungen, verschobenen Operationen und zu Besuchsverboten in Pflegeheimen und Krankenhäusern – gerade jetzt über Weihnachten und Neujahr. Eines kann ich Ihnen mit Sicherheit sagen: Das ist keine Alternative für Deutschland, meine Damen und Herren!
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Letztes Jahr haben wir noch diskutiert, wie viele Familienmitglieder überhaupt beim Weihnachtsessen zusammen am Tisch sitzen können. Wir haben darauf verzichtet, Oma und Opa dazuzuholen und sehnsüchtig darauf gewartet, dass der in Deutschland entwickelte Impfstoff uns ein kleines Stück Normalität zurückgibt.
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Und das hat er auch.
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Aber nur mit einer hohen Impfquote können wir uns wieder echter Normalität nähern.
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Bis dahin müssen wir andere Maßnahmen einhalten: Abstand, Masken, Tests und auch Impfnachweise – all das wird uns noch eine ganze Weile begleiten.
Natürlich ist die Kontrolle von 2-G-Nachweisen eine zusätzliche Belastung. Natürlich ist sie verbunden mit Aufwand, mit zusätzlichen Kosten und mit Umsatzeinbußen. Das weiß ich als mittelständische Unternehmerin nur zu gut. Aber wir wollen doch nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, was wir in den letzten Wochen und Monaten erreicht haben. Wir wollen die Infektionsketten da unterbrechen, wo sie entstehen. Das schaffen wir mit den neu beschlossenen Regeln von der neuen Koalition, und wir sehen doch: Es funktioniert. Seit einer Woche sind die Zahlen rückläufig. Das, meine Damen und Herren, ist ein Erfolg dieser Ampelkoalition.
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Unser Ziel ist: offenhalten.
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Das geht nur mit Einschränkungen. Aber damit gehen wir doch ein ganzes Stück normaler durch diesen Winter als noch durch den letzten. Letztes Jahr um diese Zeit hieß es: kein Sport, kein Shopping, kein Schulunterricht. Dieses Jahr ist all das – wenn auch mit Einschränkungen – möglich. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist kurz vor Weihnachten dann doch ein ganz kleiner Hoffnungsschimmer.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Aktuelle Stunde hat sich mit den aktuellen Ereignissen zu beschäftigen.
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Wenn wir über die Impfungen sprechen, dann ist es ein positives Signal, dass sich gestern 1,5 Millionen Menschen haben impfen lassen. In Deutschland haben sich aber erst – Stand gestern – 70 Prozent der Bundesbürger insgesamt impfen lassen – eine Zahl, die übrigens in Spanien und Italien bereits im Spätsommer, im Herbst erreicht wurde. Der Rückstand an Erstimpfungen und an Zweitimpfungen ist auch dem Umstand geschuldet, dass Sie von der AfD die Debatte vergiften und die Menschen vorsätzlich gefährden, indem Sie die Wirkungen von Impfungen in Abrede stellen.
({1})
Wenn man über Impfungen spricht, dann braucht man auch eine klare und gute Kommunikation. Da ist das, was der Bundesgesundheitsminister getan hat, kein Fall von klarer Kommunikation. Man darf, wenn es um die Lieferung von Impfdosen geht, nicht verwirren, sondern muss klar und deutlich kommunizieren.
({2})
Das gleiche Muster findet sich auch im Zusammenhang mit dem Infektionsschutzgesetz. Es war unserem Ansinnen geschuldet, dass dieses Gesetz angesichts der Lage zweimal nachgebessert wurde.
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Wenn wir über die Lage sprechen, dann ist doch ganz klar, dass vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeit ein Zugang zum Einzelhandel und zur Gastronomie unter 2‑G-Bedingungen wesentlich besser ist, als wenn dort geschlossen wäre, gar keine Frage. Auch wenn uns bewusst ist, dass dieser Umstand Umsatzeinbußen bringt, so ist es besser – übrigens auch für das Gemüt und für den Zusammenhalt einer Gesellschaft –, wenn diejenigen, die sich haben impfen lassen, auch den Zugang zum Einzelhandel und zur Gastronomie haben. Ich glaube, das ist wichtig in einer Zeit, die nach wie vor als schwer zu kennzeichnen ist.
Wichtig ist mir auch, bei dieser Gelegenheit daran zu erinnern, dass Einzelhandel und Gastronomie nicht nur aus Kunden und Gästen bestehen, sondern auch aus den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Auch sie haben verdient, dass wir uns um ihren Gesundheitsschutz kümmern. An dieser Stelle daher ein herzliches Dankeschön für Ihren Dienst in der Pandemie, der nicht einfach war.
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Ja, wir blicken auch auf die Schaustellerbranche, auf abgesagte Weihnachtsmärkte. Da muss klar sein, dass es in einer Branche, deren Jahresumsatz bis zu 50 Prozent aus den Weihnachtsmärkten besteht, nicht allein mit der Erstattung von anteiligen Fixkosten getan ist. Vielmehr muss hier der Staat auch durch die Zahlung von Unternehmerlohn zur Seite stehen, so wie das Bayern oder Sachsen machen. So wird klar und deutlich, dass diese Weihnachtsmärkte ein Kulturgut sind und dass wir die Strukturen erhalten wollen, damit es auch nächstes und übernächstes Jahr wieder Weihnachtsmärkte in unserem Land geben kann.
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Mir ist es noch wichtig, auf drei Sachen hinzuweisen.
Erstens. Wir brauchen in der Tat eine bundeseinheitliche Regelung in Bezug auf die Frage: Ist das Konzept des Einmalprüfens und der Vergabe von Bändchen ein taugliches, und kann es auch umgesetzt werden? Da darf zwischen unterschiedlichen Regionen keine Rechtsunsicherheit bestehen.
Zweitens. Wir brauchen auch bei den Hilfen eine klare und deutliche Handschrift dahin gehend, dass die Grenze von 30 Prozent Umsatzrückgang vielleicht eine zu starre Grenze ist. Da müssen wir die individuellen Betroffenheiten stärker in den Mittelpunkt unserer Betrachtung rücken. Wir wollen nämlich klar und deutlich machen, dass durch diese Pandemie, durch Einschränkungen, die notwendig sind, die Strukturen nicht zerstört werden. Vielmehr wollen wir diese Strukturen erhalten – auch im Sinne der Lebendigkeit unserer Ortskerne und der Stadtzentren.
Drittens. Wenn wir über das Impfen sprechen, dann muss auch klar sein, dass die Frage einer möglichen Impfpflicht hier im Bundestag umfassend debattiert werden muss. Ich finde aber, eine neugewählte Bundesregierung darf sich bei diesem Thema nicht wegducken. Sie muss klar und deutlich zum Ausdruck bringen, wie sie zu einer möglichen Impfpflicht steht. Ein Verweisen auf Gruppenanträge ist bei diesem Thema nicht angebracht. Das ist nicht ernsthaft genug.
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Lassen Sie uns daher mit der gebotenen Ernsthaftigkeit über diese Themen sprechen, und seien wir froh, dass in der Weihnachtszeit zumindest über die 2-G-Regel ein bisschen Licht in eine etwas schwierige Zeit kommt.
Herzlichen Dank.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich erinnere mich noch sehr gut an die Vorweihnachtszeit im letzten Jahr. Gastronomie und Einzelhandel waren auch damals massiv unter Druck. Viele Menschen haben ihre Besorgungen für Weihnachten im Internet erledigt; gleichzeitig sind die Lager im Einzelhandel vollgelaufen.
Ich habe damals in Homburg, einer Stadt in meinem Wahlkreis im Saarland, eine Plakatkampagne gestartet. Gemeinsam mit der SPD haben wir dafür geworben, die Weihnachtseinkäufe vor Ort zu erledigen. Leider kam der Lockdown und damit ein herber Rückschlag für alle.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt einen großen Unterschied zum letzten Jahr: Heute haben wir den Impfstoff. Heute kann sich jeder impfen und boostern lassen, und je mehr Menschen dieses Angebot nutzen, desto besser kommen wir durch den Winter in diesem und im nächsten Jahr.
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Heute stehen wir mitten in der vierten Welle. In diesem Jahr haben wir alles darangesetzt, dass der Einzelhandel nicht mehr schließen muss und das Weihnachtsgeschäft nicht komplett verloren geht. Die Läden sind offen, und wir setzen alles daran, dass das auch genau so bleibt. Die Läden sind deshalb offen, weil wir mit passgenauen Hygienevorgaben, unter anderem auch 2 G, auf die hohe Zahl der Neuinfektionen reagiert haben – zum Schutze aller. Gibt es eine Alternative? Klar, die gibt es. Eine Alternative zu 2 G ist 0 G; die Alternative zu passgenauen Lösungen ist der Lockdown. Diese Ehrlichkeit gegenüber den Gewerbetreibenden habe ich bei manchen Kollegen heute vermisst.
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Umsatzeinbußen in der Gastronomie und im Einzelhandel gibt es natürlich, und ja, es ist für alle schwieriger geworden. Ich höre das ständig in den Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern aus dem Einzelhandel in meinem Wahlkreis, gerade gestern wieder. Da habe ich mit Nico Ganster vom Verein Handel und Gewerbe aus einer Stadt in meinem Wahlkreis – St. Ingbert heißt sie – gesprochen. Er hat mir berichtet, dass die aktuellen Vorgaben seine Kolleginnen und Kollegen natürlich vor enorme Herausforderungen stellen. Trotzdem haben sie diese in der täglichen Praxis alles in allem sehr gut umgesetzt. Es gab keine Verstöße, keine Probleme. Das alles ist mit mehr Aufwand, mit mehr Zeit und mit mehr Arbeit verbunden und in vielen Fällen leider auch mit mehr Kosten.
Genau aus diesem Grund möchte ich hier an dieser Stelle ganz herzlich Danke sagen, Danke an den gesamten Einzelhandel, der so schnell reagiert und kurzfristig diese Regelungen umgesetzt hat. Vielen Dank!
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Wir wissen aber auch, wie hart es für den Einzelhandel ist. Deswegen sorgen wir in der Koalition dafür, dass die Überbrückungshilfen weiter fließen. Wir lassen den Einzelhandel nicht im Stich, und wir lassen alle anderen Betroffenen nicht im Stich. Seit Beginn der Pandemie sind rund 4 Millionen Anträge für die Hilfen eingegangen; über 59 Milliarden Euro wurden ausgezahlt – 59 Milliarden Euro! Das ist im Übrigen europaweit spitze.
Ich habe gerade von Vertreterinnen und Vertretern des Einzelhandels und Herrn Ganster, mit dem ich gestern gesprochen habe, einen Brief erhalten und würde gerne aus dem Brief mit Erlaubnis der Präsidentin zitieren. Er schreibt:
Wir sehen gravierende Veränderungen in den Fußgängerzonen unserer Städte. Den Appell, Kontakte zu vermeiden, spüren wir jeden Tag: weniger Besucher, geringere Frequenz. Die Fußgängerzonen verlieren ihre Bedeutung als soziales und kommunikatives Zentrum.
Ich finde, Herr Ganster hat vollkommen recht. Nicht Amazon sorgt für lebenswerte Innenstädte; die Cafés, der Buchladen, die Currywurstbude und die Restaurants, die wir alle kennen, sorgen dafür, und die wollen wir in Zukunft weiterhin unterstützen.
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Wir wollen, dass genau die auch nach der Pandemie noch tätig sein können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn alle Menschen sich impfen lassen würden, bräuchten wir diese Debatte heute nicht.
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Dann hätten wir auch im Einzelhandel genau diese Probleme nicht mehr.
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Die Krankenhäuser würden entlastet, und diese Aktuelle Stunde könnten wir nutzen, um konstruktive Ideen und Vorschläge auszutauschen, statt Teil der politischen Inszenierungsversuche der AfD-Fraktion zu sein.
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Übrigens: Eine konstruktive Idee jetzt, kurz vor Weihnachten, wäre doch: Kaufen Sie vor Ort ein! Unterstützen Sie den Einzelhandel gerade jetzt, wenn es besonders notwendig ist, in der Vorweihnachtszeit!
Vielen Dank und schöne Weihnachtsferien!
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