Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/15/2022

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Ricarda Lang (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005121, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 24. Februar dieses Jahres begann Wladimir Putin seinen unmenschlichen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Von Beginn an nutzte er nicht nur militärische Mittel, sondern auch Energiepreise als eine Waffe, mit dem klaren Ziel, unsere Solidarität mit der Ukraine zu brechen und uns zu spalten. Doch das Problem begann vor dem 24. Februar. Denn warum waren wir so angreifbar? Weil wir uns über Jahrzehnte hinweg abhängig gemacht haben von russischem Gas, das vermeintlich billig war. Heute können und müssen wir ganz klar sagen: Russisches Gas war niemals billig; den Preis zahlen heute Millionen von Bürgerinnen und Bürgern. ({0}) Ihn zahlen vor allem diejenigen, die schon davor nicht wussten, wie sie über die Runden kommen, die jeden Euro zweimal umdrehen mussten. Ihn zahlen aber auch Familien aus der Mittelschicht und kleine und mittelständische Unternehmen, die gerade überlegen, wie sie eigentlich im nächsten Jahr noch investieren können. An all die haben wir heute eine ganz klare Message: Wir nehmen Geld in die Hand, wir übernehmen Verantwortung, und wir lassen in dieser Krise niemanden alleine. ({1}) Denn mit den Strom- und Gaspreisbremsen entlasten wir Millionen von Bürgerinnen und Bürgern ganz konkret – auf der Rechnung. Damit unterstützen wir Unternehmen in diesem Land und schützen so den Wirtschaftsstandort Deutschland. Und wir sorgen mit den Härtefallregelungen dafür, dass das erhalten bleibt, was wir alle brauchen: Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen. Wir schützen die soziale Infrastruktur in diesem Land. ({2}) Einen Teil davon finanzieren wir aus den sogenannten Übergewinnen, aus den Zufallsgewinnen, die einige wenige Energiekonzerne in diesem Krieg gemacht haben. Für mich ist das, ehrlich gesagt, ein Gebot der Gerechtigkeit. Denn wenn viele Menschen, Unternehmen, Familien nicht mehr wissen, wie sie über die Runden kommen sollen, und gleichzeitig einige wenige große Gewinne machen, dann ist es doch klar, dass wir einen Teil dieses Geldes nutzen, um Entlastungen für die Breite der Bevölkerung zu finanzieren. ({3}) Gerade in einer Krise muss gelten: Wer einen Beitrag leisten kann, der übernimmt Verantwortung; wer Unterstützung braucht, der bekommt sie. So machen wir aus dem viel herbeibeschworenen Winter der Wut einen Winter der Solidarität. ({4}) Ich bin mir sicher – ich habe es in den letzten Wochen immer wieder in den Medien gehört –, dass wir von Ihnen heute hören werden: Das reicht alles nicht, das ist zu wenig und zu spät. – Aber ich finde, die Union muss sich, ehrlich gesagt, mal entscheiden. ({5}) Am Montag forderte die Union Steuerentlastungen für Wohlhabende. Am Dienstag beschwert sie sich über zu viele Schulden. ({6}) Und am Mittwoch sagt sie, dass wir mehr Entlastung brauchen. Das macht alles keinen Sinn. Das wissen wir auch selbst. Dieses Finanz-Voodoo wäre, ehrlich gesagt, lustig, wenn die Lage nicht so verdammt ernst wäre. ({7}) Deshalb ist es, glaube ich, gerade ein Zeichen dafür, dass es gut ist, dass wir und nicht Sie Regierungsverantwortung tragen. Denn die Menschen in diesem Land brauchen keine belanglosen aneinandergereihten Sprechblasen. Sie brauchen konkrete Lösungen, und die bekommen sie mit der Strom- und mit der Gaspreisbremse. ({8}) Doch wir gehen noch einen Schritt weiter. Wir arbeiten als Regierung, allen voran Robert Habeck, Tag für Tag, Windrad für Windrad daran, ({9}) dass wir unabhängiger werden von fossilen Energien. Denn es ist klar, dass wir jetzt alles geben müssen, um Menschen in Zeiten einer fossilen Inflation finanziell zu unterstützen. Aber es ist auch klar, dass der Weg zu bezahlbarer Energie nur mit Effizienz und mit erneuerbaren Energien, mit Wind und Sonne, geht. ({10}) Deshalb ist die Energiewende eine Frage des Klimaschutzes, sie ist eine Frage der Freiheit. Doch die Energiewende ist auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. ({11}) Ich habe meine Rede mit dem Angriffskrieg von Wladimir Putin begonnen. Sein Ziel war es, unsere Solidarität zu brechen und auch unser Land zu spalten. Ich glaube, nach diesem Jahr können wir ganz klar sagen: Wladimir Putin hat die Stärke unserer Demokratie unterschätzt. Denn wir stehen weiterhin an der Seite der Ukraine. Wir machen uns unabhängig von russischen fossilen Brennstoffen. Und wir stärken jetzt mit der Strom- und Gaspreisbremse ganz konkret den Zusammenhalt in diesem Land. Kurzum: Wir können nach einem Jahr sagen: Wir lassen uns nicht spalten. Vielen Dank. ({12})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Ihnen, Frau Präsidentin, zunächst herzlich danken für Ihre Würdigung von Annemarie Renger und von Wolfgang Schäuble. Wir haben größten Respekt vor ihren Lebensleistungen. Und der stehende Applaus des ganzen Hauses hat gezeigt, dass ich für viel mehr als die Abgeordneten der Unionsfraktion spreche, wenn ich sage: Lieber Herr Dr. Schäuble, wir sind stolz, dass Sie einer von uns sind. ({0}) Dr. Schäuble ist mit 50 Jahren länger dabei als wir alle. Sie, Herr Dr. Schäuble, haben nach dem 24. Februar gesagt, Sie hätten, seit Sie politisch tätig sind, keine schwerere Krise erlebt. Wir haben wieder Krieg mitten in Europa. Es geht um Frieden und Freiheit, für die wir einzustehen haben. Aber es geht auch um die Bekämpfung der Energiekrise, die uns trifft. Darum geht es hier. Es sind wichtige Fortschritte gemacht worden, an denen wir mitgewirkt haben – mit dem Füllen der Gasspeicher, mit dem Beschleunigen des Baus der LNG-Terminals. Aber genauso gilt: Wir sind noch nicht über den Berg. Wir müssen weiter konsequent alle Möglichkeiten der Energieversorgung und alle Potenziale der Einsparung nutzen. Ich will es so deutlich sagen: Für diesen und für den nächsten Winter brauchen wir noch mehr Konsequenz. ({1}) Wir erleben spätestens seit dem Frühjahr eine Explosion der Energiepreise. Und darauf braucht es eine starke Antwort. Meine sehr geehrten Damen und Herren der Bundesregierung, das ist der Punkt, bei dem Sie zu viel Zeit haben verstreichen lassen. Sie haben Ihr erstes Entlastungspaket im Sommer ohne Anschlussregelung auslaufen lassen. Und als Olaf Scholz „You’ll never walk alone“ ausrief, sind Sie zunächst in die falsche Richtung losmarschiert. Mit der Gasumlage wollten Sie die Preise zunächst erhöhen. Viel zu spät ist dann die Gaskommission eingesetzt worden, erst im September. Das ist der Grund, warum die Bremsen nicht vor dem Winter kommen, sondern erst nach dem Winter. Damit haben Sie sich selbst unter einen Zeitdruck gesetzt, der dazu geführt hat, dass um 0.25 Uhr in der Nacht auf gestern dem zuständigen Ausschuss für Klimaschutz und Energie ein Konvolut von 400 Seiten mit Änderungsanträgen zugestellt wurde. ({2}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, das steht einer seriösen Behandlung dieses Gesetzespaketes heute entgegen. ({3}) Wäre es Ihnen, Frau Lang, wirklich darum gegangen – Sie haben den Zusammenhalt beschworen –, hier nicht einfach nur die Mehrheit, die Sie haben, zu nutzen, sondern eine Mehrheit über die Regierungskoalition hinaus zu suchen, dann hätten Sie wohl die größte Oppositionsfraktion vor 0.25 Uhr in der letzten Nacht beteiligt. Wir haben Respekt vor der Arbeit der Gaskommission, und wir unterstützen die Umsetzung ihrer Ergebnisse, um durch diesen Winter zu kommen, um jetzt dort, wo Menschen, Betriebe unter gestiegenen Preisen leiden, zu helfen. Ich sage das deutlich. Aber genauso deutlich sage ich: Wir kritisieren das, wo Sie von den Empfehlungen der Gaskommission abweichen. Das betrifft gerade die Industrie. Mit den Regelungen, mit den Hürden, Anforderungen, Begrenzungen, die Sie aufgebaut haben, werden weite Teile der Industrie, gerade der energieintensiven Industrie, diese Preisbremsen überhaupt nicht in Anspruch nehmen können. Deshalb konterkariert Ihre Umsetzung das doch auch von Ihnen ausgerufene Ziel, jetzt die industrielle Substanz unseres Landes, den industriellen Kern zu sichern. Da geht es um Tausende von Arbeitsplätzen. Es geht um Wertschöpfung in unserem Land. Es geht um Lieferketten. Ja, es geht genau an diesem Punkt um den Zusammenhalt unseres Landes. Und da konterkarieren Sie die Ergebnisse der eigenen Kommission, Ihre eigenen Ansagen. Dies setzt die Industrie, die Arbeitsplätze, die Wertschöpfung in Deutschland in dieser Krise aufs Spiel, und das halten wir für einen schweren Fehler. ({4}) Sie, Herr Habeck, waren derjenige, der gesagt hat: Wir werden das Programm zur Kostendämpfung für Mittelstand und Handwerk öffnen. – Ich stelle fest: Es gibt heute keinerlei Antwort für die Bäckerei, die auf Pellets umgestellt hat, die jetzt unter der Preissteigerung genauso leidet. Da gibt es weiter Lücken in Ihrem Programm, und dabei darf es nicht bleiben. Sie müssen da nachbessern. ({5}) Eine letzte Bemerkung, weil Frau Lang die erneuerbaren Energien angesprochen hat. Was Sie vorlegen – Sie haben nachgebessert –, bleibt eine Bremse für erneuerbare Energien. Sie konterkarieren das, was Sie mit dem Osterpaket auf den Weg bringen wollten: Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien. Abschöpfung von fiktiven Erträgen statt tatsächlichen Gewinnen ({6}) ist das Gegenteil dessen, was wir jetzt zur Beschleunigung brauchen. Wenn Investitionen in anderen Ländern gemacht werden, können sie angerechnet werden. Da werden die privilegiert, die woanders investieren. Hier werden Investitionen zurückgestellt. In der Erneuerbaren-Branche ist die Rede von einem Schildbürgerstreich. Es werden Klagen angekündigt. Ja, wir brauchen einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien, und den konterkarieren Sie mit diesem Paket. Herzlichen Dank. ({7})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dr. Matthias Miersch. ({0})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist ein gutes Zeichen, dass wir nach dem Gedenken und den Ehrungen dieses Thema hier heute als ersten Punkt auf der Tagesordnung haben. Denn die Ampelkoalition beweist mit diesem Rettungsschirm, dass Politik gestalten kann und dass wir gerade in diesen Zeiten Sicherheit schaffen können. Das machen wir heute nach vielen Wochen der Beratungen in der Kommission, in der Regierung. Dieses Parlament gibt heute weiten Teilen der Bevölkerung und der Wirtschaft in Deutschland Sicherheit bei den Energiepreisen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Herr Kollege Jung, ja, Sie können alles kritisieren – auf einige Punkte werde ich noch eingehen –; aber Sie müssen hier auch sagen, dass Sie den Ursprung, die Grundlage für das alles, überhaupt nicht mitgetragen haben. Sie haben gegen die 200 Milliarden Euro gestimmt, die überhaupt die Voraussetzung dafür sind, dass wir das machen können, worum es hier heute geht, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Ich habe vor zwei Wochen einige Punkte angesprochen, bei denen es meiner Fraktion sehr wichtig gewesen ist, sie in den letzten 14 Tagen noch mal zu beraten. Ich bin froh, dass wir diese Punkte als selbstbewusste Fraktion jetzt im parlamentarischen Verfahren geklärt haben. Für uns war es richtig und wichtig, dass wir nicht nur die im Blick haben, die von Gas oder von Fernwärme abhängig sind, sondern gerade auch die, die Öl und Pellets beziehen. Ich weiß, es ist eine Riesenherausforderung, weil wir hier keine festen Versorgungsstrukturen haben, sondern auf Antragsverfahren abstellen müssen. Aber dass die ähnlich gestellt werden wie die Gaskunden, wo wir sagen: „Ja, der doppelte Preis ist zu tragen, aber bei dem, was darüber hinausgeht, hilft der Staat“, das ist eine Form von Gerechtigkeit. Ich erwarte, dass Bund und Länder jetzt Wege finden, um hier die Gerechtigkeit auch zu realisieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Ja, es ist richtig gewesen, dass wir beim Biogas und bei der Frage der Gewinnabschöpfung auch noch mal nachjustiert haben, hier die Freibeträge angehoben haben und kleine Anlagen aus der Übergewinnbesteuerung rausgenommen haben. Dies ist eine Energieform, die wir jetzt brauchen, und auch hier ist der parlamentarische Eingriff dringend, richtig und notwendig gewesen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Damit bin ich bei Ihnen, Herr Kollege Jung. Ja, Sie haben recht: Wir werden sehr genau aufpassen müssen, dass das, was wir uns vorgenommen haben, auch wirkt. Es ist aber nicht die Bundesregierung gewesen, die beim Industriepreis interveniert hat, sondern es sind Vorgaben der Europäischen Kommission, die uns verpflichten, bestimmte Voraussetzungen einzuziehen. ({4}) Und hier sage ich ganz deutlich: Wir werden uns angucken, an welchen Stellen wir hier gegebenenfalls nachjustieren müssen. Das ist ein lernendes Verfahren. Es gibt keine Blaupause. Wir sind bereit, gegebenenfalls nachzusteuern, wenn wir Punkte sehen, wo nachgesteuert werden muss, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Wir werden uns garantiert nicht zurücklehnen. Vielmehr sind die Aufgaben der nächsten Wochen, Herr Bundeswirtschaftsminister, klar skizziert. Bei Krisenintervention darf es nicht bleiben. Ich glaube, es hat Sie genauso geschmerzt wie mich, dass wir zum Beispiel bei der Gewinnabschöpfung nicht berücksichtigen konnten, dass bereits in erneuerbare Energien investiert wurde. Der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien analog zu dem, was wir bei LNG-Terminals jetzt schaffen, muss der Schlüssel sein, um das Maximum zu erreichen und Energiesouveränität in diesem Land tatsächlich hinzubekommen. Die Aufgaben liegen vor uns; sie liegen nicht hinter uns. Wir werden uns diesen als Sozialdemokratie mit voller Kraft stellen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Steffen Kotré. ({0})

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Abrissunternehmen Ampelkoalition marschiert weiter in Richtung energie- und sozialpolitischer Abgrund und in den haushalterischen Wahnsinn. Die Summen der Transferzahlungen sind nicht mehr real gedeckt. Wir haben deshalb eine Inflation von 10 Prozent, um mit dem daraus resultierenden realen Schrumpfen der nicht mehr rückzahlbaren Schulden den Bürgern diesen Werteverlust aufzuhalsen. Wie in Diktaturen werden die selbstgeschaffene Mangelwirtschaft verwaltet und die Bürger geschröpft, meine Damen und Herren. Planwirtschaftlich werden Löcher mit Steuergeldern jetzt gestopft, die wir in einer funktionierenden sozialen Marktwirtschaft ohne diese dumme und naive Sanktionspolitik gar nicht hätten. ({0}) Trotz Preisbremse werden die überhöhten Energiekosten ja doch bezahlt, aber eben jetzt wie auch schon bei der sogenannten Energiewende von den Steuerzahlern. Die Situation ließe sich sofort entschärfen mit Kernenergie, mit Kohleverstromung, mit Beendigung der nutzlosen Sanktionen. ({1}) Aber weil die Ampel das nicht tut, müssen wir konstatieren, dass wir es hier mit einer Veruntreuung von Steuergeldern zu tun haben. ({2}) Die leider nicht mehr dem Volk verpflichtete Ampel scheffelt das Geld der Deutschen über die eigentlichen Energiekosten hinaus mit vollen Händen ins Ausland: in die USA für überteuertes Flüssiggas, nach Indien für russisches Öl, ({3}) jetzt nach Frankreich und Belgien für russisches LNG. Und Russland bekommt trotzdem weiterhin Geld, obwohl die Propaganda der Ampel genau das mit diesen Sanktionen verhindern wollte. Aber das links-grüne Abbruchunternehmen Ampelkoalition macht uns dadurch leider zu Geiseln ihrer heuchlerischen Moralpropaganda, meine Damen und Herren. ({4}) Normal wäre eine Beendigung, wenn Dinge nicht funktionieren – aber eben leider nicht bei den Links-Grünen. Die Verhinderung der niedrigen Strompreise muss also einen Grund haben. ({5}) Und der liegt wohl in der Absicht, uns Deutsche finanziell zu schädigen, unsere Wirtschaftskraft quasi zu verdünnen, wie es wahrscheinlich der ehemalige grüne Kriegsminister Joschka Fischer gesagt hätte: quasi zu verdünnen. ({6}) Ein Instrument dafür ist es, nicht direkt preiswertes russisches Öl und Gas einzukaufen, sondern über Umwege und Zwischenhändler. Damit kann dann diese Trümmertruppe nämlich zusätzlich Geld außer Landes schaffen, mit der Einschaltung zum Beispiel des US-amerikanischen Unternehmens ConocoPhillips für katarisches Gas, der belgischen Fluxys, der französischen TotalEnergies. Meine Damen und Herren, mit einem Straftatbestand Steuergeldverschwendung säße vermutlich die gesamte Bundesregierung auf der Anklagebank. ({7}) Die Bürger zahlen brav ihre hohen Steuern, und die Regierung verschwendet sie regelmäßig. Das muss aufhören. Deshalb wird es mit der AfD diesen Straftatbestand Steuergeldverschwendung geben. ({8}) Das links-grüne Politbüro löst mit seinen planwirtschaftlichen Transferzahlungen nicht nur nicht die Probleme in unserem Land, sondern es verschärft sie auch für die Zukunft. Die Preisdämpfung beim Kunden – jetzt in diesem vorliegenden Gesetzespaket kodifiziert – löst nicht nur die Probleme nicht, sondern sie bewirkt einen Anreiz für unbegründete Preiserhöhungen bei den Unternehmen selbst, bei den Lieferanten. Im nächsten Jahr entfällt russisches Rohrleitungsgas komplett, und der Ersatz fehlt. Die Betteltouren von Scholz und Habeck waren bekanntlich nicht sehr ergiebig. Wenn die Weltwirtschaft wieder anzieht, ja, dann wird überall LNG nachgefragt, und es wird für uns auch knapper und teuer. Meine Damen und Herren, die Schädigung der Deutschland AG geht leider weiter. ({9}) Die Menschen in unserem Land werden das aber erkennen, sich wehren, und dann ist Schluss mit dieser gegen unsere Menschen ({10}) gerichteten Politik. ({11}) – Sie konnten sich natürlich nicht enthalten, hier etwas zu sagen. ({12})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Dr. Lukas Köhler. ({0})

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns vor nicht einmal zehn Monaten, also vor nicht einmal einem Jahr, hier darüber unterhalten, welche Auswirkungen dieser Krieg haben wird, und haben damals festgestellt: Es wird nicht einfach. – Natürlich ist es nicht einfach geworden. Aber wir haben damals schon sehr klar gesagt: Alles, was wir können, werden wir hier in diesem Hohen Hause mit der Ampel tun, um die Regierung zu unterstützen, um gegen diesen Krieg zu arbeiten, um dafür zu sorgen, dass der Mittelstand erhalten bleibt, dass die Industrie erhalten bleibt, dass Härten nicht so treffen, wie sie könnten, wenn wir nichts tun. Und wir haben immer gesagt: Wir werden die Ukraine unterstützen. Das ist nach wie vor richtig. Es bleibt richtig, die Ukraine zu unterstützen, auch wenn es nicht einfach ist, 200 Milliarden Euro neue Schulden aufzunehmen, um dafür zu sorgen, dass wir viel Geld an die Menschen verteilen können, auch wenn es nicht einfach ist, in eine neue Zeit eintreten zu müssen, wenn es um die Energieversorgung geht. Und es ist trotzdem richtig, die Menschen zu unterstützen. Und es ist trotzdem richtig, dafür zu sorgen, dass die Ukraine weiterhin unterstützt wird. ({0}) Wir haben mit der Strom- und Gaspreisbremse jetzt ein einfaches, schnelles und wirksames Instrument vorgelegt. Ist es ein perfektes Instrument? Nein. Wie sollen wir in so kurzer Zeit das perfekte Gesetz machen? Wolfgang Schäuble hat gerade gesagt: Wir können in Schönheit sterben, oder wir können Dinge pragmatisch lösen. – Und ich finde es richtig, dass wir uns für Pragmatismus entschieden haben. ({1}) Heißt das, wir werden kein Problem mit diesem Gesetz bekommen? Nein, das heißt es nicht. Heißt das, dass wir reaktionsfähig sind? Ja, das beweisen wir jeden Tag. Wir beweisen und zeigen jedes Mal, dass es funktioniert, dass wir Dinge besser machen. Und ich finde es gut und richtig, dass wir mit diesem Gesetz die unterschiedlichen Anreize wirken lassen, dass wir dafür sorgen, dass der Mittelstand entlastet wird, damit er gut durch das Jahr kommt, dass wir für KMUs gemeinsam mit den Ländern noch einmal einen Härtefallfonds auflegen, dass wir dafür sorgen, dass die Industrie wirklich bei ihren Energiekosten entlastet wird. Gleichzeitig müssen wir den Sparanreiz aufrechterhalten. Ich finde, das darf in dieser Debatte nicht vergessen werden. Wenn wir zu wenig Gas sparen, dann reden wir in wenigen Monaten nicht mehr über die Probleme eines solchen Gesetzes oder die Herausforderungen, vor denen wir gerade stehen, sondern dann reden wir über eine Gasmangellage, und das darf uns nicht passieren. ({2}) Deswegen ist es richtig, dass wir sparen. Es ist auch richtig, dass wir dafür sorgen, dass bei denjenigen, wie zum Beispiel den Erneuerbaren, die extreme Gewinne in diesem Jahr eingefahren haben wegen des Marktdesigns, das wir haben, die Zufallsgewinne abgeschöpft werden. Und es ist trotzdem richtig, dass wir beim Biogas viel herausgeholt haben dafür, dass es da nicht zu Härten kommt, dass wir dafür gesorgt haben, dass wir weiterhin flexible Leistungen am Markt haben. Denn auf der einen Seite ist Sparen richtig, aber auf der anderen Seite müssen wir heute schon in die Zukunft denken. Wir müssen heute darüber nachdenken: Woher kommt das Gas in Zukunft? Und ja, da darf auch die deutsche Gasförderung nicht ausgeschlossen sein. Aber es darf natürlich nicht dabei enden. Wir müssen in erneuerbare Energien investieren, wir müssen aber auch ein neues Strommarktdesign schaffen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Industrie, dass der Mittelstand, dass die Wirtschaft, dass die Menschen in diesem Land mit günstiger Energie versorgt werden. Wenn wir das alles hinbekommen, dann sind wir auf einem wirklich guten Weg. Zum Schluss möchte ich Robert Habeck und dem BMWK noch einmal für dieses Gesetz danken. Es war ein heißer und schneller Ritt. Ich glaube, wir haben hier wirklich etwas Gutes vorgelegt. Vielen Dank. ({3})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Klaus Ernst. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Lang, Sie haben gerade gesagt: Gas war bei uns eigentlich nie billig. – Das ist der erste grandiose Fehlschluss, den Sie da machen. Der niedrige Gaspreis war Mitursache des Wohlstands dieser Republik in den letzten 50 Jahren. ({0}) Von diesem Wohlstand haben auch Sie profitiert: Sie konnten zum Beispiel studieren. Die industrielle Basis beruhte zum einen auf der Energie und zum anderen auf den gut ausgebildeten Leuten sowie auf vernünftigen Löhnen. Das heute infrage zu stellen und so zu tun, als wäre das nicht gewesen, geht schlichtweg an der Realität vollkommen vorbei. ({1}) Ich freue mich übrigens, dass sich unsere Ex-Kanzlerin tatsächlich weigert, sich für diese Politik zu entschuldigen. ({2}) – Nein, das sage ich Ihnen; denn Sie ärgern sich ja darüber, dass sie es nicht tut. Ich finde es gut, dass sie es nicht tut, dass sie sich zu diesem Punkt bekennt. Ich würde mich freuen, wenn von der CDU das mehr so sehen würden. ({3}) Zweitens. Wir machen jetzt eine Gaspreisbremse. Ich weiß nicht, ob es Ihnen klar ist: Trotz dieser Bremse verdoppeln wir den Gaspreis. ({4}) 80 Prozent des Gases ist doch schlichtweg doppelt so teuer wie vorher – 80 Prozent! ({5}) Und für den Rest machen wir überhaupt nichts; der Rest ist Marktpreis. Wir verdoppeln den Gaspreis, ({6}) und beim Strom sind es 35 Prozent. ({7}) Das ist die Realität Ihres Denkens. ({8}) – Ich weiß nicht, warum Sie sich so aufregen. Lesen Sie doch Ihr eigenes Gesetz; da steht es doch so drin. Ich sagen Ihnen: Das führt im Ergebnis nicht dazu, dass das passiert, was die Bundesregierung und ihre Mitglieder in ihrem Amtseid versprochen haben, nämlich Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. ({9}) Wenn das kein Schaden ist, dann weiß ich auch nicht, was überhaupt ein Schaden ist, meine Damen und Herren. ({10}) Ich sage Ihnen auch, dass wir aus diesen Gründen keine Gaspreisbremse machen. Stattdessen tragen Sie mit Ihrer Politik dazu bei, dass insbesondere die industrielle Basis dieses Landes gefährdet wird. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({11})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Andreas Audretsch. ({0})

Andreas Audretsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005011, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Herr Ernst, ich muss mit Ihnen anfangen. Es ist traurig, und ich hätte das gerne anders gemacht; aber es ist einfach nicht möglich, an dem vorbeizugehen, was Sie gerade gesagt haben. Sie sind Vorsitzender des Ausschusses für Klimaschutz und Energie. Wenn Sie hier sprechen, kriegen Sie ausschließlich Applaus von einer Fraktion, nämlich von ganz rechts, von der AfD. ({0}) Ich weiß nicht, wohin sich Die Linke entwickeln will. Aber das, was wir hier erlebt haben, ist ein weiterer Tiefpunkt und ist traurig; es tut mir leid. ({1}) Wir deckeln heute Gas- und Strompreise für Millionen von Menschen, für Millionen von Unternehmen, für Krankenhäuser, Schulen, Kitas, Kultureinrichtungen, soziale Einrichtungen. Das ist ein Handeln in einer Dimension, die so in Deutschland noch nie da gewesen ist. Es ist eine klare Ansage, dass wir uns nicht erpressen lassen mit Energie als Waffe und dass wir uns schon gar nicht erpressen lassen von einem Diktator namens Wladimir Putin. Ich sage Ihnen mal, was das in der Praxis bedeutet, zum Beispiel für eine vierköpfige Familie mit 100 Quadratmeter Wohnfläche. Diese Familie spart durch die Deckelungen bei Gas und Strom über 1 500 Euro im Jahr. ({2}) Das ist die Antwort, die wir Wladimir Putin geben und auch denjenigen, die hier im Deutschen Bundestag versuchen, die Menschen in so einer schwierigen Lage aufzuwiegeln. Vor allem ist es die Antwort, die wir geben an all die Menschen da draußen, die es verdient haben, dass wir in dieser Krise solidarisch sind und Probleme lösen. ({3}) Fairness und Gerechtigkeit, das hat uns bei der Ausgestaltung der Bremsen geleitet. Deswegen ist es ein Gebot der Vernunft, dass diese Maßnahmen, dass die Bremsen versteuert werden. Denn die, die mehr haben, können natürlich auch etwas mehr beitragen; die Menschen, die sehr wenig haben, brauchen jetzt den vollen Entlastungsbetrag. Deswegen haben wir eingeführt, dass die Bremsen versteuert werden; so schaffen wir ein Prinzip von Gerechtigkeit und Solidarität in dieser Krise. ({4}) Das gilt selbstverständlich auch für Vorstände, für die Manager von Unternehmen, die nun hohe Millionenbeträge an Unterstützung erhalten können. Ich sage es einmal sehr, sehr klar: Staatshilfen in dieser Krise sind richtig, und sie sind notwendig. Gleichzeitig muss dabei aber doch klar sein, dass diese Hilfen in die Betriebe fließen müssen, dass diese Investitionen in die Unternehmen, in die Zukunft des Standorts Deutschland fließen müssen. Wir subventionieren nicht die Konten von Aufsichtsratsvorsitzenden oder Vorstandsvorsitzenden. Wir wollen nicht, dass Dividenden ausgezahlt werden, wenn hohe Millionenbeträge vom Steuerzahler an die Unternehmen gehen. Das, was wir tun, ist, Zukunft zu finanzieren. Das, was wir tun, ist, zu stützen, um daraus für Unternehmen eine Perspektive zu erreichen, und das können wir mit dieser Preisbremse umsetzen. ({5}) Eines darf uns in der aktuellen Lage nicht passieren: Wir dürfen bei der Bewältigung der Probleme nicht die größte Krise unserer Zeit, die Klimakrise, aus den Augen verlieren. Darum ist Nachhaltigkeit und darum ist Klimaneutralität genau die Perspektive, die wir brauchen, um aus dieser Krise wieder herauszukommen. Deswegen haben wir in den Verhandlungen dafür gesorgt, dass die mögliche Förderung für Erneuerbare bei den Ausschreibungen um 25 Prozent angehoben wird. Wir wissen, dass wir jetzt einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien brauchen, um die Krise zu überwinden. Raus aus Putins Gas und raus aus Putins Öl muss heißen: Rein in die Erneuerbaren! Das machen wir mit diesem Paket, und auch das ist Teil der Lösung, die wir hier heute vorlegen. ({6}) Wir investieren in Solidarität und Fairness in dieser Krise. Gleichzeitig investieren wir in Nachhaltigkeit und Klimaneutralität, damit Deutschland aus dieser Krise schnell und nachhaltig wieder herauskommen wird. Danke schön. ({7})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Jens Spahn. ({0})

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gestern gehört, unter anderem von Frau Dröge und Herrn Dürr, Sie wünschen sich eine konstruktive Opposition – und die kriegen Sie, seit Monaten. ({0}) Die Union als konstruktive Opposition hat seit März die wirksamste aller Preisbremsen gefordert: eine Ausweitung des Angebotes. ({1}) Umso mehr Strom produziert wird, desto niedriger der Preis. Sie haben den Menschen monatelang erzählt, morgens im Radio, abends in der „Tagesschau“, wir hätten kein Stromproblem. Sie haben erst gelacht, als wir gesagt haben: Mehr Kohle ans Netz. – Sie haben unsere Anträge für mehr Biogas und Windenergie abgelehnt. Sie haben sich bei der Kernenergie unseren Vorschlägen ideologisch verweigert. Aktuell übrigens, Frau Lang, wird fast zwei Drittel unseres Stroms wochenweise aus fossilen Brennstoffen, Kohle und Gas, produziert. ({2}) Wie stellen Sie sich das eigentlich vor, wenn dann die drei Kernkraftwerke abgeschaltet werden für nächsten Winter? Dass wir noch mehr Gas verbrennen? Lassen Sie die drei Kernkraftwerke in dieser Krise in den nächsten zwei Wintern am Netz! ({3}) Die Union als konstruktive Opposition sagt Ihnen seit dem Sommer, dass Sie Haushalte und Wirtschaft schnell und wirksam entlasten sollten – schnell durch eine Senkung der Mehrwert- und Energiesteuern. Das haben Sie bisher nur beim Gas gemacht. Das sollte jetzt auch vor allem beim Öl passieren, um Millionen Haushalte zu entlasten. Sie machen es nicht schnell und wirksam für Millionen Haushalte in Deutschland, die mit Öl heizen, vor allem im ländlichen Raum. Sie machen irgendeinen Fonds, von dem bis heute keiner weiß, ob überhaupt irgendwo eine Hilfe ankommt. Sie machen Millionen Haushalte zu Antragstellern, ({4}) anstatt es unbürokratisch und einfach zu machen. ({5}) Sie haben stattdessen monatelang Zeit mit einer Gasumlage vergeudet, die in der Krise den Preis noch erhöht hätte. Dann haben Sie eine Gaskommission eingesetzt – spät, aber immerhin –; die Ergebnisse haben Sie zelebriert. Nun setzen Sie die Ergebnisse der Kommission so um, dass weite Teile der Wirtschaft sie gar nicht werden in Anspruch nehmen können oder wollen. Dass Sie entlasten wollen, ist richtig, und ja, das haben wir immer gefordert; aber Sie machen es bürokratisch, halbherzig, spät und hektisch. Der BDI-Präsident Russwurm, der Mitglied der Gaskommission war, sagte gestern, er sei tief enttäuscht, die Politik lege mit ihrer Ignoranz gegenüber den betrieblichen Realitäten die Axt an die Grundpfeiler des Standortes Deutschland. Verbraucherschützer sind enttäuscht, die Gewerkschaften alarmiert. Eine konstruktive Opposition kann solchen Befunden nicht zustimmen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Wer eine konstruktive Opposition will, Herr Kollege Gremmels, der sollte sie einbinden. Sie haben in den letzten Wochen und Monaten trotz mehrfacher Angebote nicht das ernsthafte Gespräch mit uns gesucht. Sie haben uns – im Gegenteil – Dienstagnacht über 400 Seiten Änderungsanträge geschickt, die Mittwochmorgen im Ausschuss beschlossen werden sollten. Im Ausschuss konnten Sie zum Beispiel Ihre Regelung für Öl und Pellets teilweise selbst nicht nachvollziehbar erläutern. ({7}) – Ich war digital zugeschaltet, Herr Kollege Kruse – das Schöne an hybriden Sitzungen ist: man kann digital teilnehmen –, und dabei habe ich gemerkt: Der zuständige Energieminister war im Energieausschuss einmal mehr nicht da. ({8}) Herr Habeck, es ist schon bezeichnend, dass Sie heute in dieser Debatte nicht zu diesem Thema reden. Wer von seinem eigenen Gesetz überzeugt ist, der kann es auch hier vor dem Deutschen Bundestag vertreten und muss nicht den Gesundheitsminister schicken, um die Energiepolitik der Regierung zu erklären, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({9}) Statt die konstruktive Opposition zu beschimpfen, statt dieses teilweise aggressiven Mimimi, das wir vor allem gestern in der Debatte erlebt haben, sollten Sie lieber schauen, wie wir zu einer konstruktiven Regierung kommen. Sie können das für sich entscheiden, Sie haben die Mehrheit. Sie ziehen das hier durch, das ist völlig okay. Das ist Ihr gutes Recht. Aber erwarten Sie dann nicht, dass wir da in Mithaftung gehen; denn die einzige Bremse, die seit Monaten wirklich wirkt, ist leider die Ampel selbst. Sie bremsen mehr Angebot beim Strom und damit niedrige Preise politisch aus. ({10}) Sie bremsen wirklich wirksame Hilfen für Handwerk, Mittelstand und Industrie und damit für Millionen Arbeitsplätze aus. ({11}) Sie bremsen ein ordentliches parlamentarisches Verfahren, eine gute Debatte und notwendige Transparenz aus. Das Ergebnis ist ein Gesetz, das gut gemeint, aber nicht gut gemacht ist. Für so viel Halbherzigkeit, Bürokratie und Hektik sollten Sie uns nicht in Verantwortung nehmen wollen. Die müssen Sie schon selber tragen. ({12}) Eine konstruktive Opposition kann da nicht zustimmen. ({13})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Verena Hubertz. ({0})

Verena Hubertz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005089, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was für ein Jahr! Heute, in der letzten Sitzungswoche des Deutschen Bundestages in diesem Jahr, beschließen wir ein noch nie dagewesenes Paket mit Bremsen für Gas und Strom, damit die Wirtschaft, aber auch die Haushalte in unserem Land gut durch diese Krise kommen. Ich würde mir wünschen, Herr Spahn, dass auch Sie dem zustimmen und nicht dagegen sind; denn mit Ihren Vorschlägen stünden wir jetzt schon ganz woanders. Deswegen ist das heute ein wichtiger Schritt für dieses Parlament. ({0}) Ich möchte heute mal auf die wirtschaftspolitischen Themen eingehen. Wir erinnern uns noch alle an den Sommer, als die Bäcker gesagt haben: Ich bekomme ja keine Hilfe, weil ich nicht auf irgendeiner Liste stehe, die KUEBLL-Liste heißt, und weil die Hilfen nicht für mich greifen. – Was wir jetzt beschließen, sind Unternehmenshilfen. Die helfen den großen Aktiengesellschaften, den kleinen Personengesellschaften, egal in welcher Branche, egal wo. ({1}) Wir ziehen eine Bremse ein, damit wir nach dieser Krise in diesem Land noch etwas zu transformieren haben. Das ist wichtig. ({2}) Aber wir stellen auch Bedingungen an diese Unterstützungen. Wenn Unternehmen zum Beispiel ganz, ganz große Millionenhilfen bekommen, dann erwarten wir auch, dass der Standort gesichert bleibt, dass die Arbeitsplätze erhalten bleiben, dass man nicht den Koffer mit dem Geld nimmt und das Werk dann woanders wiederaufbaut. Dafür haben wir uns als Sozialdemokratie starkgemacht. ({3}) Es geht um Respekt in diesem Land. Es geht darum, dass auch Unternehmen ihren Beitrag leisten, dass wir alle gemeinsam gut durch diese Krise kommen. Da kann es nicht sein, dass ich auf der einen Seite Steuergelder und ganz viel Staatshilfe bekomme und auf der anderen Seite sage: So, jetzt schütte ich doch mal die Gewinne aus und erhöhe die Boni. – Bevor ich dieses Mandat letztes Jahr angenommen habe, war ich selbst Unternehmerin. Die Coronapandemie war für uns alle eine schwierige Zeit. Da bin ich nicht hingegangen und habe mein Gehalt erhöht. Ich habe das Gehalt gekürzt und keinen Bonus ausgeschüttet. Deswegen haben wir auch Verbote in diesem Gesetzentwurf verankert. Sie sind auch ein Zeichen des Respekts voreinander, ein Zeichen dafür, dass wir gemeinsam unseren Beitrag leisten müssen. ({4}) Natürlich sind in diesem Gesetzentwurf viele Berechnungsgrundlagen enthalten, zum Beispiel, dass Vorjahreszeiträume bestimmen, welcher Grundbedarf subventioniert wird. 2021 – und 2021 fließt in diese Berechnung mit ein – war für uns alle kein einfaches Jahr, auch nicht für Hotellerie, Gastronomie und Einzelhandel. Wir hatten staatlich verordnete Lockdowns. Wir hatten aber auch eine Flutkatastrophe, die nicht nur mein Bundesland – ich bin Rheinland-Pfälzerin –, sondern auch Nordrhein-Westfalen und Bayern betroffen hat. Wenn dort das Betriebswerk wegschwimmt oder das Restaurant nicht öffnen kann, dann kann ich nicht sagen: 2021 war die Berechnungsgrundlage; dieses Jahr nehmen wir jetzt als Grundlage und berechnen so die Hilfen. Nein, wer einmal im Regen gestanden hat, darf nicht ein zweites Mal im Regen stehen. Deswegen werden dort individuelle Prognosen angelegt. Das haben wir im parlamentarischen Verfahren jetzt auch noch mal klargestellt. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, das ist ein dickes Brett. Es ist auch nicht perfekt. Der Kollege Miersch hat eben schon darauf hingewiesen: Wir werden unsere Hausaufgaben noch mal mitnehmen nach Brüssel, damit wir innerhalb des Temporary Crisis Framework – einem Rahmenkorsett – schauen, was überhaupt erlaubt ist, was Unternehmen jetzt an Hilfe bekommen können. Dies betrifft zum Beispiel die großen Konzerne, die einen Gewinnrückgang, einen EBIT-Rückgang verzeichnen müssen. Ja, das passt noch nicht so richtig gut zusammen. Deswegen werden der Wirtschaftsminister, der Kanzler und wir alle gemeinsam in Brüssel dafür werben, dass das, was wir hier bereitstellen, auch ankommt. Ich lade Sie herzlich ein, heute bitte zuzustimmen und nicht nur zu sagen, was wäre. Denn heute ist erst mal ein wichtiger Tag für die Menschen und die Wirtschaft in diesem Land, damit wir alle miteinander gut aus dieser Krise kommen. Vielen herzlichen Dank. ({6})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Marc Bernhard. ({0})

Marc Bernhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004669, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Konzept Ihrer Energiewende war es, alle Kohle- und Kernkraftwerke abzuschalten und diese durch Gaskraftwerke zu ersetzen, die hier überall im Land gebaut werden sollten. So wurden allein Anfang dieses Jahres Kern- und Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 10 Gigawatt abgeschaltet. Das ist genauso, wie wenn man ganz Baden-Württemberg den Stecker ziehen würde. Seit dem Beginn des Ukrainekrieges ist aber jedem klar, dass dieser Plan so nicht mehr funktionieren wird. Das ist jetzt zehn Monate her. Was haben Sie von der Regierung in diesen zehn Monaten gemacht, um die Energieversorgung unseres Landes sicherzustellen? ({0}) Ganz offensichtlich nichts Sinnvolles. ({1}) Denn sonst müssten die Bürger heute nicht den doppelten Strompreis und den fünffachen Gaspreis bezahlen. Sie hätten sofort mit Kriegsbeginn handeln müssen, den Ausstieg aus Kohle und Kernenergie aussetzen ({2}) und alle nur wenige Wochen vorher vom Netz genommenen Kraftwerke wieder ans Netz nehmen müssen. Dann hätten wir diese ganze Energiekatastrophe hier heute nämlich gar nicht. ({3}) Sie haben also diese aktuelle Notlage, ({4}) sei es mutwillig oder durch Unfähigkeit, sehenden Auges herbeigeführt. ({5}) Deshalb muss den Menschen jetzt auch dringend geholfen werden; denn in Deutschland darf niemand frieren müssen. Aber was Sie hier machen, ist eine reine Symptombekämpfung, die am grundsätzlichen Problem überhaupt gar nichts ändert. ({6}) Von Ihrem sogenannten 200-Milliarden-Euro-Abwehrschirm kostet allein die Strom- und Gaspreisbremse 100 Milliarden Euro. „Wie viele Winter sollen denn die Bürger diese 100 Milliarden Euro für den Strom- und Gaspreisdeckel bezahlen?“, frage ich Sie. Das ist doch nichts anderes als eine reine Steuerverbrennungsmaschine. ({7}) Die Menschen müssen nämlich für 80 Prozent ihres Verbrauchs immer noch den dreifachen Gaspreis gegenüber dem letzten Jahr bezahlen ({8}) und den Rest, die restlichen 20 Prozent des Gasverbrauchs, in unbegrenzter Höhe. ({9}) Was wir hier brauchen, ist eine dauerhafte und nachhaltige Lösung, nämlich ganz einfach das, wogegen sich diese Regierung seit zehn Monaten rigoros sperrt: Wir müssen alle verfügbaren Kern- und Kohlekraftwerke wieder ans Netz nehmen oder weiterlaufen lassen, ({10}) eigene Gasvorkommen nutzen und vor allem nicht aus teurem Gas Strom erzeugen und diesen dann in riesigen Mengen ins Ausland exportieren. ({11}) Helfen Sie den Menschen wirklich! Bringen Sie die 2021 abgeschalteten Kraftwerke wieder ans Netz, und der Strompreis halbiert sich von heute auf morgen von ganz alleine. ({12})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Michael Kruse. ({0})

Michael Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005117, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich bin Volkswirt, und ich bin Freidemokrat. Preisbremsen und Gewinnabschöpfungen sind exakt das Gegenteil von dem, wofür ich mich in dieses Parlament habe wählen lassen. ({0}) Sie sind nicht treffsicher, und sie schaffen auch nicht die richtigen Anreize, nämlich dafür zu sorgen, dass Menschen bei stark steigenden Energiepreisen auch die richtigen Anpassungen vornehmen und sich eben an die hohen Preise anpassen. Deshalb ist für mich vollkommen klar: Diese Instrumente dürfen nur in einer Notlage wie der aktuellen eingesetzt werden, ({1}) und sie müssen wieder enden, sobald dies möglich ist. Nur der russische Energiekrieg gegen Deutschland rechtfertigt einen temporären Einsatz derartiger Instrumente. ({2}) Lieber Herr Kollege Spahn, ich wundere mich etwas über ihren partiellen Gedächtnisverlust. ({3}) Ich weiß, dass die Coronagesetzgebung in den letzten Jahren unter Ihrer Federführung teils so hektisch war, dass Änderungen noch im Ausschuss vorgetragen worden sind. Deswegen fände ich es, ehrlich gesagt, für eine verantwortungsvolle Opposition angemessen, das Gesetz, das wir hier vorlegen, an seiner Qualität zu messen und nicht daran, wie das Verfahren nun gelaufen ist. ({4}) Sie wissen, dass wir sehr schnell Gesetze machen. Beurteilen Sie die Qualität, und stimmen Sie danach ab! Dann müssten Sie diesem Gesetzentwurf heute nämlich zustimmen. ({5}) Die Verunsicherung in den Energiemärkten ist groß. Sie hat zu starken Preisanstiegen geführt. Dieser externe Schock bedroht die Volkswirtschaft, und er bedroht auch viele Menschen in Deutschland in ihrer wirtschaftlichen Existenz. Das ist der Grund, warum wir derartige Eingriffe vornehmen. Wir entlasten mit diesem Instrument in einem Ausmaß, wie es das in der Geschichte Deutschlands meines Wissens nach noch nicht gegeben hat. Die Ampel ist damit die Entlastungskoalition in Deutschland. ({6}) Dass wir Freie Demokraten besonders viel Wert auf die Entlastung der Menschen legen, brauche ich, glaube ich, an dieser Stelle nicht zu betonen. ({7})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Kruse, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung aus der AfD-Fraktion?

Michael Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005117, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Klar.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Hilse.

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege Kruse, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben ja gerade erwähnt, dass Sie gegen Ihre eigentliche Überzeugung diesem Gesetz zustimmen und dieses mittragen. ({0}) Gestern gab es im Ausschuss ein absurdes Schauspiel: Herr Ernst, der Ausschussvorsitzende, hat richtigerweise gesagt, dass der Ausschuss laut Geschäftsordnung nur dann Beschlussempfehlungen abgeben darf, wenn es einen sachlichen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Punkten in diesem Gesetz gibt. Sie wissen ja jetzt, dass es ein Omnibusgesetz ist, ({1}) mit dem das Infektionsschutzgesetz geändert wird, sodass Apotheker impfen dürfen. Das durften sie schon vorher, aber nun wurden die Regelungen erleichtert. Jetzt würde ich von Ihnen gerne den sachlichen Zusammenhang zwischen dem Impfen in Apotheken ({2}) und der Gaspreisbremse erklärt bekommen. Das wäre sehr nett. Vielen Dank. ({3})

Michael Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005117, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Erste Bemerkung dazu. Es schließt sich also der Kreis zu der Rede des Vorsitzenden Ernst, bei dem, wie der Kollege von den Grünen festgestellt hat, ausschließlich die AfD-Fraktion geklatscht hat. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wohin das Ganze hier noch führen soll. ({0}) Zweitens. Wenn ich es im Spaße beantworten wollte, würde ich einfach sagen: Es wird einen Grund geben, warum der Bundesgesundheitsminister gleich noch spricht. Und auch der ehemalige Gesundheitsminister hat hier die Themen „Gesundheit“ und „Energie“ auf eine ganz interessante Art und Weise verknüpft, nämlich im Verfahren. ({1}) Aber ich möchte Ihnen auch einfach sagen, dass das, was wir hier im Moment machen, eben Krisengesetzgebung ist. Sie haben diese Krise in den letzten zehn Monaten – ich wollte fast sagen – ausgeblendet. Aber „ausgeblendet“ stimmt ja gar nicht; denn Sie hatten eine Veranstaltung. Herr Kollege, Sie waren auf dieser Veranstaltung anwesend, Sie saßen sogar ganz nah am Mikrofon. ({2}) In dieser Veranstaltung in diesem Sommer haben Sie darauf gehofft, dass dieser Winter eine Katastrophe wird, damit Ihnen die Wählerinnen und Wähler zulaufen. ({3}) Dass das nicht passiert ist, zeigt: Wir machen hier genau das Richtige. ({4}) Wir sorgen dafür, dass Schaden vom deutschen Volk abgewendet wird. Das tun wir im Bereich der Coronapolitik, und das tun wir im Bereich der Energiepolitik. ({5}) Es ist bedauerlich, es ist eine Schande, dass Sie nicht in der Lage sind, konstruktiv an diesen Themen mitzuarbeiten. Wir werden auch weiterhin alles tun, um dieses Land vor Schaden zu bewahren. ({6}) Sie freuen sich in Wahrheit darüber, wenn die Energiespeicher leer sind. Sie freuen sich, dass Putin kein Gas mehr an Deutschland liefert, weil Sie ausschließlich auf Ihr eigenes Punktekonto schauen. ({7}) Da machen wir nicht mit. Wir sind vom deutschen Volk für das deutsche Volk gewählt worden, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({8})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Kruse, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage oder ‑bemerkung vom Kollegen Ernst aus der Fraktion Die Linke.

Michael Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005117, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, gerne. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Ernst. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kruse, zu dem Verfahren – es wurde ja schon angesprochen – möchte ich schon den Hinweis geben, dass selbst in einem Schriftstück des Ministeriums der Vermerk stand: Vorsicht: sachfremd. – Das Verfahren gestern in diesem Ausschuss – ich möchte das noch mal eindeutig sagen – war auch aus meiner Sicht nicht in Ordnung. ({0}) Wir haben eine Fülle von Vorschlägen von Ihnen zu einem Zeitpunkt bekommen, zu dem es keinem Abgeordneten mehr möglich war, rechtzeitig und einigermaßen sauber überhaupt zu lesen, was Sie vorschlagen, selbst wenn wir die ganze Nacht durchgelesen hätten. Sie sind ja nach 12 Uhr nachts eingegangen. Also, ich weiß nicht, was es daran eigentlich zu verteidigen gibt. ({1}) Sie haben sich im Ausschuss für dieses Verfahren entschuldigt. Es wäre angebracht, das auch hier zu tun und nicht die zu kritisieren, die ein solches Verfahren nicht mehr akzeptieren. Ich hoffe, Herr Kruse, dass Unternehmen, die nicht damit einverstanden sind, dass ihre Gewinne abgeschöpft werden, nicht deshalb gegen dieses Gesetz klagen, weil sie sagen: Es ist nicht ordnungsgemäß zustande gekommen. – Wenn das eintritt, dann hätten Sie sozusagen Ihr Ziel erreicht; Sie sagen ja, Sie sind mit dem Gesetz eigentlich sowieso nicht einverstanden. ({2}) Deshalb wäre es vielleicht sinnvoller, künftig darauf zu achten, dass die Verfahrensregeln eingehalten werden. ({3})

Michael Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005117, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, was die Energiepreisbremse betrifft, ist es ja so, dass die Entwürfe dem Parlament seit vielen Wochen vorliegen, Sie die Gelegenheit hatten, sich ausgiebig mit dem Inhalt dieser Gesetze zu beschäftigen, ({0}) und wir als Koalition dann noch viele Verbesserungen an diesem Gesetz vorgenommen haben. ({1}) Ich glaube, dass sich die Menschen in diesem Land vor allem dafür interessieren, was wir mit den 230 Milliarden Euro, die wir hier heute beschließen werden, denn eigentlich unternehmen. ({2}) Ich hätte mich sehr gefreut, wenn sich Ihre Debattenbeiträge auch darauf bezogen hätten, wie dieses Geld verwendet wird, wie es richtig eingesetzt wird, wie es Schaden von den Menschen abhält, wie es Schaden von den Unternehmen in diesem Land abhält, wie wir vielleicht Dinge verbessern, von denen wir wissen, dass sie noch nicht optimal sind. Ich nenne Ihnen mal ein Beispiel. Wir haben erkannt, dass es Missbrauchspotenzial in diesem Gesetz gibt. Wir haben erkannt, dass es die Möglichkeit gibt, sich gegen den Steuerzahler zu optimieren. Das ist der Grund, warum es in diesem Gesetz eine zusätzliche Verordnung gibt. Meine Erwartung an den Bundeswirtschaftsminister ist ganz klar: Er muss dafür sorgen, dass diese Verordnung jetzt auch sehr schnell kommt und dass das Missbrauchspotenzial bestmöglich eingedämmt wird. Wollen wir vielleicht darüber reden, wie 230 Milliarden Euro, die den Menschen in diesem Land gehören, richtig eingesetzt werden, und nicht über die Frage, wann Sie oder Sie eine E‑Mail bekommen haben? Das ist dermaßen selbstreferenziell, dass es dem Anspruch des Hohen Hauses hier nicht gerecht wird, meine Damen und Herren. ({3}) Ich meine – das ist der wesentliche Punkt –, wir haben noch eine ganze Menge zu tun und laden die Opposition ein, an diesen Stellen weiter mitzuarbeiten. Das Thema Missbrauchspotenzial habe ich eben angesprochen. Ich werde weiterhin ganz persönlich auch öffentlich dafür werben, dass wir hier die Lücken schließen; denn es sind noch große Lücken. ({4}) Zudem muss die Zeit der künstlich vergünstigten Energie bestmöglich genutzt werden, zum Beispiel für die dauerhafte Erhöhung des Energieangebots. Wir müssen eine ehrliche Kapazitätsplanung vornehmen. Dazu gehören für uns, für eine Industrienation wie Deutschland, auch die Ausweitung günstiger CO2-freier Grundlastkraftwerke, der Ausbau der heimischen Gasförderung und selbstverständlich der Ausbau der Freiheitsenergien. ({5}) Und natürlich gehört dazu auch, dass wir beim Thema Effizienz endlich mal PS machen. ({6}) Was ist denn eigentlich im Bereich Smart Meter in den letzten zehn Jahren geschehen? Unter den Großen Koalitionen ist da gar nichts vorangekommen. Wir haben große Aufgaben für das Jahr 2023. Die erste Welle der Attacken aus Russland haben wir abgeschmettert. Aber die Deiche müssen dauerhaft gestärkt werden. Bei uns im Norden heißt es: Nicht der Wind entscheidet den Kurs, sondern das richtige Setzen der Segel. Und das wird für 2023 unsere Aufgabe sein. Ihnen allen frohe Weihnachten und herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Ralph Lenkert. ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Auch in diesen Zeiten müssen Strom und Gas bezahlbar bleiben. Deshalb ist ein preiswertes Grundkontingent für Strom und Gas nach Haushaltsgröße notwendig. ({0}) Bei Strom kostet die Kilowattstunde maximal 30 Cent, bei Gas maximal 8 Cent. Und wir brauchen eine monatliche Inflationspauschale von 75 Euro je Haushalt plus 50 Euro je Person im Haushalt, vom Staat gezahlt. ({1}) Das fordert Die Linke. Das wäre ein guter Weg durch den Winter. Die Ampel hat jetzt Einmalzahlungen von nur 300 Euro veranlasst und eine Preisgrenze von 40 Cent bei Strom und 12 Cent bei Gas festgeschrieben, aber nur für 80 Prozent des bisherigen persönlichen Verbrauches. Das reicht nicht. ({2}) Wer viel verdient und viel Strom und Gas verbraucht, hat die Mittel, 20 Prozent Energie leicht einzusparen, und bekommt die Gesamtenergie dann zum Festpreis. Arme Familien dagegen mussten schon immer Energie sparen und haben heute mehr denn je nicht das Geld, sparsamere Technik zu kaufen. Die müssen dann mehr zahlen. Das ist unsozial. ({3}) Schamlos nutzen Konzerne und Spekulanten jede Gelegenheit, Preise und Profite hochzutreiben. RWE machte allein im ersten Halbjahr den zweieinhalbfachen Gewinn des kompletten Vorjahres. Shell steigerte den Halbjahresgewinn von 5,5 auf 12 Milliarden Euro. Über 50 Milliarden Euro Sondergewinne fielen in Deutschland bis heute an. Diese Gewinne will Die Linke abschöpfen ({4}) für die Finanzierung der Hilfen für Bürgerinnen und Bürger, für produzierende Unternehmen, für Handwerk, für Hochschulen und für Krankenhäuser. Diese Ampel aber schöpft nur kümmerliche 3 Milliarden ab, bei 50 Milliarden Extraprofiten. Die Ampel kuscht vor Aktionärinnen und Aktionären, und das ist ein falsches Signal. ({5}) Strom, Gas, Wärme gehören zur unverzichtbaren Daseinsvorsorge, und Daseinsvorsorge muss der Gesellschaft gehören. Das fordert Die Linke. Vielen Dank. ({6})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dr. Ingrid Nestle. ({0})

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir unterstützen heute mit diesem Gesetz alle in diesem Land, die von den dramatischen Preissteigerungen bei fossilem Erdgas betroffen sind, sei es direkt oder indirekt durch die Preissteigerungen bei Strom und Wärme. Wir unterstützen alle, egal ob Haushalte, ob Unternehmen, ob Kommunen, weil wir einen gemeinsamen Ansatz haben, bei dem niemand durch die Ritze fällt durch eine Definition: Was ist das Unternehmen im Hinterzimmer der Wohnung? Wir unterstützen alle, und das ist gut so. ({0}) Zudem kommt das Geld bei den Menschen an, ohne dass sie einen Antrag stellen müssen. Ohne ein einziges Formular auszufüllen, kommt diese substanzielle und entscheidende Hilfe bei den Menschen an. Auch das ist gut so. ({1}) Wichtig ist, dass die Menschen nicht nur direkt Geld bekommen, sondern zusätzlich auch dann, wenn sie Energie einsparen. Ich danke da der Union, die das angesprochen hat: Ja, wir müssen unbedingt weiter Energie sparen. Wir bleiben als Koalition auch nach den vielen Maßnahmen, die wir für Energieeffizienz schon auf den Weg gebracht haben, weiter dran. Alle, die in diesem Winter Energie einsparen – gerade jetzt, wo es so kalt wird, sieht man ja, wie der Gasverbrauch hochgeht und wie wichtig es ist, dass jetzt alle mitziehen –, haben hinterher noch mal mehr Geld im Geldbeutel; denn für jede Kilowattstunde Gas und für jede Kilowattstunde Strom, die sie einsparen, haben sie die volle Ersparnis in ihrem Geldbeutel. Auch das bekommen wir hin, und auch das ist sehr gut so. ({2}) Wichtig ist mir aber auch, dass wir mit diesem Gesetz nicht einfach nur signalisieren: „Hier ist das Geld; dann feiern wir mal Weihnachten und gucken, was passiert, vielleicht kommt ja das nächste Problem“, sondern schon weiterdenken. Denn es muss auch darum gehen, die Ursachen dieses ganzen Schlamassels, die Abhängigkeit von den dramatisch teuren fossilen Energien, zu beseitigen und den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzubringen. Und auch das fassen wir mit diesem Gesetz an. Ja, das war in der Koalition nicht ganz einfach, aber es ist gelungen. Wir werden dem Ausbau der erneuerbaren Energien bei den nächsten Ausschreibungen einen entscheidenden Schwung geben. Die Obergrenze bei den Ausschreibungen ist zu niedrig, weil sich auch dort die Inflation bemerkbar macht, weil sich auch bei den Zinsen die Inflation niederschlägt. Der Ausbau der Erneuerbaren drohte zum Erliegen zu kommen. Auch diesen Punkt sind wir schon angegangen. Denn wir können nicht auf Dauer immer mal wieder 200 Milliarden Euro in die Hand nehmen und entlasten. Nein, wir müssen die Ursache beseitigen. Wir zeigen, dass die Ampel auch das angeht, und zwar schon mit diesem Gesetz. ({3}) Kollege Jung, das ist natürlich nicht die Antwort auf die Frage, die Sie inhaltlich zu Recht aufgeworfen haben. Ich teile Ihre Analyse, dass wir dringend für bezahlbare Energie für die Industrie sorgen müssen. Aber da ist doch nicht entscheidend, ob Robert Habeck, der in Brüssel sowieso schon beinhart verhandelt, noch einen Prozentpunkt mehr rausschlägt. Der entscheidende Punkt ist doch, warum wir in den letzten zehn Jahren so wenig Erneuerbare ausgebaut haben und dass wir das jetzt endlich hinbekommen müssen. ({4}) Da wünschte ich mir sehr, wenn wir alle zusammenarbeiteten; denn es ist wirklich ernst. Danke schön. ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Mark Helfrich. ({0})

Mark Helfrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004298, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Strompreisbremse, Gaspreisbremse – die Titel der Gesetze, über die wir heute reden, drücken das genaue Gegenteil dessen aus, was sie mit großer Wahrscheinlichkeit bewirken werden, nämlich den Strom- und Gaspreis künstlich hochzuhalten. Viel treffender wäre es, das heutige Gesetzespaket wie die „FAZ“ als das große Geldverbrennen zu bezeichnen; denn das ist es auch. Warum? Die sogenannte Preisbremse beinhaltet einen Mechanismus, der die Preise für Strom und Gas künstlich hochhält, eine Art Booster also. Am Beispiel Strom erklärt: Hier deckelt der Staat für 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs die Strompreise auf 40 Cent je Kilowattstunde. Alles, was darüber liegt, übernimmt der Staat. So weit, so gut. Vollkommen schräg ist allerdings Ihr Belohnungssystem, Herr Bundeswirtschaftsminister, das einen Anreiz zum Energiesparen setzen soll. Hätten Sie mal lieber den Fünfziger rausgerückt; es wäre besser gewesen. ({0}) Ihr Anreizsystem sieht bei Einsparungen, die über 20 Prozent hinausgehen, eine Gutschrift zum aktuellen Vertragspreis vor: je höher der Tarif, desto größer die Entlastung. Versorger und Kunden profitieren, der Staat bezahlt. An eine Pflicht, den Preis zu senken, wenn es die Marktlage gebietet, hat die Ampel nicht gedacht. Auch bei einem weiteren Blick in Ihr Gesetz wird deutlich: Die Ampel hat grundlegende Marktprinzipien immer noch nicht verstanden. Sie deckeln nämlich nur die Preise, ohne das Angebot auszuweiten. Lassen Sie mich Ihnen das noch mal ganz simpel erklären: Wenn alle Bundesländer beim Ausbau der Windkraft so weit wären wie das unionsgeführte Schleswig-Holstein, hätten wir mehr Strom zur Verfügung, und der Preis würde sinken. ({1}) Wenn das rot-grüne Hamburg den Betrieb des hochmodernen Kohlekraftwerkes in Moorburg nicht jahrelang torpediert hätte, könnte es heute vermutlich noch Strom produzieren, und der Preis würde sinken. Wenn die Ampel die Laufzeiten unserer Atomkraftwerke in der Krise bis 2024 verlängert hätte, gäbe es mehr Strom, und der Preis würde sinken. ({2}) Und anstatt auf mehr gesicherten Biostrom zu setzen, verunsichern Sie wochenlang eine ganze Branche mit maßlosen Abschöpfungsplänen. Das ist rot-grün-gelbe Verknappungspolitik. ({3}) Um es mit den Worten unserer Vizepräsidentin Göring-Eckardt zu sagen: Das ist „Wohlstand des Weniger“. Und ich prophezeie Ihnen: Danach kommt nur noch Wohlstand für Weniger. ({4}) Meine Damen und Herren, Kritik ist leider auch notwendig an der geplanten Entlastung für Heizöl-, Pellet- und Flüssiggaskunden. Die Union hat diese seit Monaten eingefordert, und es ist immer noch nicht klar, wann diese Entlastung für die Privathaushalte kommt. Und dann will die Ampel auch noch 13,5 Millionen Haushalte – in ihrer Logik Härtefälle – zur Abgabe einer eidesstattlichen Erklärung zu ihrer Brennstoffrechnung nötigen. ({5}) Damit setzen Sie unsere Bürger auch noch dem Risiko aus, dass sie sich unbeabsichtigt einer falschen Versicherung an Eides statt strafbar machen. Es drohen im schlimmsten Fall Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Das alles müssen Menschen auf sich nehmen, um nicht zu frieren. Und für unsere kleinen und mittleren Betriebe ist immer noch unklar, wer, wie viel, wann, was bekommt. Ihnen fehlt nicht nur der wirtschaftliche Verstand, sondern auch das Herz für unseren Mittelstand. ({6}) Weil Weihnachten eine Zeit der Besinnung und des In-sich-Gehens ist, habe ich Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister, etwas Weihnachtsgebäck aus einer mittelständischen Familienbäckerei mitgebracht. ({7}) In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen besinnliche Weihnachten. ({8})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Bevor das ausartet: Ich bitte, von Geschenküberreichungen abzusehen. ({0}) Als Nächstes hat das Wort für die Bundesregierung Bundesminister Dr. Karl Lauterbach. ({1})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir führen heute eine wichtige, auch zum Teil technische Debatte. Aber ich möchte zunächst auf den Hintergrund dieser Debatte zu sprechen kommen. Der Hintergrund dieser Debatte ist leicht zu beschreiben: Gas und Strom, Energie wird teurer. Wir nehmen das hin. Wir werden uns einschränken, wir werden damit klarkommen. Aber ich bitte, zu beachten: Das Signal, das wir heute senden ({0}) – Sie können das direkt nach Moskau senden –, ({1}) ist: Wir lassen uns nicht erpressen. Wenn es um die Verteidigung der Menschenrechte geht, dann lassen wir uns nicht wegen der Gas- und Strompreise erpressen. Wir stehen hier zusammen und verteidigen die Demokratie und die Menschenrechte. ({2}) Bei dieser Gelegenheit möchte ich dem Kollegen Robert Habeck noch einmal ausdrücklich danken. Dieses Paket hinzubekommen, ein 200-Milliarden-Paket – technisch sehr aufwendig, für alle Bereiche der Wirtschaft ausgreifend, die Bürger schützend, umgesetzt in einer Art und Weise, dass die Gaspreise nicht durch die Decke gehen, wir nicht durch die Unternehmen erpressbar sind und das Geld auch überall im Land ankommt –, ist keine Kleinigkeit. Das Verfahren ist durch die Beratung im Bundestag besser geworden; dafür bedanke ich mich. Auch wir haben spät sehr viele Änderungsanträge eingebracht. Aber die Grundkonzeption ist vom Kollegen Habeck entwickelt worden, in einer Art und Weise, worauf wir stolz sein können. Das ist ein Handwerk, das erst einmal geleistet werden muss. Es lässt sich leicht vieles sagen, wenn man noch nie ein Gesetz, so wie es hier gestaltet wurde, verantworten musste und das wahrscheinlich auch niemals tun wird. Kritik in der Sache ist richtig. ({3}) Aber dieses Grundgerüst ist die Grundlage dafür, dass wir durch diese Krise kommen und zum Schluss stärker sein werden; denn dieses Gesetz sieht gleichzeitig vor, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht entschleunigt wird, so wie Sie sich das wünschen, sondern beschleunigt. Wir werden stärker aus dieser Krise herauskommen, als wir in die Krise hineingegangen sind. Wir werden unabhängiger sein. ({4}) Wir werden mehr erneuerbare Energien haben. Wir werden durchkommen.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Lauterbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Frau Lötzsch aus der Fraktion Die Linke?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Ich bitte hier um Verständnis: Nein. ({0}) Ich möchte auf den zentralen Teil zu sprechen kommen, der unsere Krankenhäuser betrifft. Die Krankenhäuser und die Praxen, aber auch die Pflegeeinrichtungen kämpfen besonders mit der Erhöhung der Energiepreise. Damit das verstanden wird: Wir haben eine Regelung gefunden, die die Mehrkosten für Energie, für Gas und Strom, zu 100 Prozent ausgleicht. Wir gehen hier über den Wirkmechanismus der Gaspreis- und Strompreisbremse hinaus – danach wird ja bei einem Verbrauch von 70 Prozent erstattet, bei Konsumenten von 80 Prozent – und erstatten hier 100 Prozent. Der Grundgedanke ist: Wenn wir aus dieser Krise herauskommen, dann wird nicht ein einziges Krankenhaus, nicht eine einzige Rehaklinik auf der Grundlage höherer Strom- und Gaspreise aus dem Markt ausgeschieden sein. ({1}) Das ist eine großartige Leistung. Das ist der Beginn einer Entökonomisierung unseres Gesundheitssystems. Wir machen es nämlich nicht so, dass diejenigen, die Gewinne machen oder Rücklagen haben, sich die höheren Gaspreise und Strompreise leisten können, sondern wir gleichen die Preiserhöhung für jeden aus. Wir nehmen jeden mit. Das ist der Anspruch, den wir haben. Ich darf mich ganz herzlich für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Ich bedanke mich auch ausdrücklich bei den Kollegen von der Union, die hier mitgezogen haben. Wir haben zum Schluss auch noch die Apotheker als Impfstellen mit hineingebracht. Es ist sinnvoll, das zu machen. Wir müssen mehr impfen, auch gegen die Grippe. Wir haben es geschafft, dass die Impfverordnung fortgeführt wird. Es ist somit ein gutes Gesetz. Ich bitte um Ihre Zustimmung. Wir lassen uns durch die Menschenrechtsverletzungen von Putin nicht erpressen. Wir gehen gemeinsam gestärkt aus dieser Krise heraus. ({2})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, hat zunächst das Wort zu einer Kurzintervention die Kollegin Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister Lauterbach, Sie haben während der Plenardebatte von der Regierungsbank aus getwittert und haben Falschbehauptungen aufgestellt. Dazu hätte ich Sie gern befragt. Sie haben in Ihrem Tweet behauptet, Klaus Ernst und Die Linke beklatschten ein Lob auf russisches Öl. Das ist falsch. Klaus Ernst hat die Situation beschrieben, nämlich dass der Wohlstand der Bundesrepublik Deutschland jahrzehntelang darauf beruht hat, dass billiges Gas, billiger Strom, billiges Öl importiert wurden, und zwar in einseitiger Abhängigkeit von Russland. Er hat das nicht gelobt. Er hat diese Situation beschrieben. ({0}) Der Wohlstand beruhte weiter darauf, dass wir teure Technologien exportieren konnten. ({1}) – Der Zwischenruf mit dem Porsche ist völlig dämlich. Ich will darauf hinweisen, Herr Lauterbach, dass Sie, weil Sie seit 2005 Mitglied des Bundestages sind – ich würde auch meine eigene Fraktion bitten, jetzt nicht zu streiten – ({2}) und damit etliche Große Koalitionen mitgetragen haben, mitverantwortlich sind für die Organisation dieser einseitigen Abhängigkeit von Russland. Stehen Sie zu Ihrer Verantwortung, und beschimpfen Sie meine Kollegen nicht von der Regierungsbank aus per Twitter, was sowieso eine Unsitte ist! Vielen Dank. ({3})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Minister, möchten Sie antworten?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Ganz kurz. – Zunächst einmal: Von Öl habe ich nicht getwittert, sondern von Gas. Zum Zweiten. Ich habe nicht gesagt, dass ich das gleichsetze, sondern darauf hingewiesen, dass der Kollege Ernst ausgedrückt hat, dass wir dankbar sein sollen, dass wir diese Abhängigkeit gehabt haben. ({0}) Der Kollege hat mit Blick in Richtung der Grünen gesagt, dass wir dankbar sein sollen, dass wir von diesem Gas profitieren durften. Das bedeutet: Wir sollen dankbar sein für eine Politik, die uns eine Abhängigkeit gebracht hat, von der wir derzeit alle sagen können: Wir leiden darunter. ({1}) Wenn Sie jetzt monieren, dass ich gesagt habe, es sei ein Lob oder ein Dank gewesen, ({2}) dann korrigiere ich das. Aber ich finde, ehrlich gesagt, den Dank genauso problematisch wie das Lob – wenn Sie es gelobt hätten. ({3})

Konrad Stockmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005234, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Als liberaler Energiepolitiker bin ich dezidiert der Meinung, dass auch der Energiemarkt funktionieren kann, wie ein Markt funktionieren sollte, nämlich als rechtssicherer und wettbewerblicher Rahmen, in dem sich Innovationen, in dem sich das Gewinnstreben und in dem sich Investitionen so entfalten, ({0}) dass am Ende das Bestmögliche dabei rauskommt, nämlich eine preisgünstige, sichere Energieversorgung für Privathaushalte, für Betriebe und auch für Krankenhäuser in diesem Land. ({1}) Warum hebe ich heute als liberaler Energiepolitiker also meine Hand für einen Werkzeugkasten, von dem ich der festen Überzeugung bin, dass er so schnell wie möglich wieder im Keller verschwinden sollte? ({2}) Warum? Weil es in Zeiten des Energiekrieges darum gehen muss, Schaden von diesem Land abzuwenden. ({3}) Warum hebe ich heute meine Hand für Instrumente wie Erlösabschöpfungen und Preisbremsen, die auf einem funktionierenden Markt nun dezidiert nicht zum Einsatz kommen sollten – wenn er denn funktionieren würde? ({4}) Warum? Weil es darum geht, in diesen Zeiten den Energiemarkt preislich zu stabilisieren – das funktioniert übrigens auch schon –, weil es darum geht, Schaden von diesem Land abzuwenden und übrigens auch Scherben einer Energiepolitik, staatlichen Versagens in diesem Lande aufzukehren, das jahrelang angerichtet worden ist, ({5}) weil wir einen Fehler gemacht haben, den wir nie wieder machen dürfen, nämlich uns einseitig in die Abhängigkeit eines mörderischen Regimes zu begeben, einseitig in die Abhängigkeit von Feinden der Freiheit. Das darf uns nie wieder passieren. ({6}) Dass seit Ausbruch des Krieges auch aus diesem Hause heraus immer wieder von der rechten Seite und – ich will fair bleiben, Ralph – von Teilen der linken Seite – nicht der kompletten – Liebesgrüße nach Moskau geschickt werden, das ist einigermaßen unerträglich. ({7}) Es muss also darum gehen, mit diesen Maßnahmen heute eine Brücke zu bauen in eine sichere und bezahlbare Energieversorgung der Zukunft, die sich dadurch auszeichnen sollte, dass sie übrigens nicht nur in einem deutschen, sondern auch in einem europäischen Sinne so dezentral wie möglich organisiert ist – sowohl in der Produzenten- als auch in der Eigentümerstruktur –, dass sie flexibel ist und – jawohl – für privates Kapital auch attraktive Ertragschancen bietet und dass sie sich technologisch vielfältig gestaltet. Es ist überhaupt keine Zeit zu verlieren; diese Aufgabe ist anzupacken. Wir als Freie Demokraten werden da ganz konstruktiv mitwirken. Danke für die Aufmerksamkeit. ({8})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Andreas Mehltretter. ({0})

Andreas Mehltretter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005147, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Preisbremsen kommen. Das, was wir versprochen haben, setzen wir heute um: Wir lassen niemanden allein. Wir schützen viele Betriebe und Bürgerinnen und Bürger vor den Kosten, die sie nicht tragen können, und wir geben damit die richtige, jetzt kurzfristig notwendige Antwort auf die Energiekrise. Wir geben aber auch die Antwort, die mittel- und langfristig notwendig ist: Unsere Energieversorgung der Zukunft muss erneuerbar sein. Strom und Wärme aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse senken schon heute die Preise, sie machen uns unabhängig von Rohstoffimporten. Der Schlüssel für zukünftig sichere und bezahlbare Energie sind gute Investitionsbedingungen für Wind- und Solaranlagen. ({0}) Deswegen geben wir der Bundesnetzagentur bei der Erneuerbaren-Förderung den Spielraum, den sie braucht, um auf die gestiegenen Kosten zu reagieren. Wind- und Solaranlagen bleiben die günstigsten Stromerzeuger. Aber auch dort macht sich die Inflation bemerkbar. Die Bundesnetzagentur kann jetzt die Ausschreibungen so gestalten, dass wir die Ausbaumengen, die wir uns vorgenommen haben, auch erreichen können. ({1}) Das ist ein extrem wichtiger Schritt für die erneuerbaren Energien und ein extrem wichtiger Schritt für eine sichere und preiswerte Energieversorgung, meine Damen und Herren. Wir stellen auch sicher, dass die sinnvolle und notwendige Abschöpfung von Überschusserlösen den Ausbau der Erneuerbaren nicht bremst. Es ist richtig, Überschusserlöse, die wegen der Energiekrise entstehen, auch bei erneuerbaren Energien abzuschöpfen; das gehört zur gerechten Finanzierung der Preisbremsen. Bei Biogasanlagen zum Beispiel war der sogenannte Sicherheitszuschlag aber zu niedrig für einen kostendeckenden Betrieb. Wir haben diesen Sicherheitszuschlag deswegen auf 9 Cent erhöht. Damit ist gewährleistet, dass die Biogasanlagen auch weiterhin mit voller Kraft Strom produzieren. ({2}) Meine Damen und Herren, die Preisbremsen wirken schnell. Das ist das, was gerade im Vordergrund stehen muss. Wir haben in den Beratungen aber auch feststellen müssen, dass wir nicht alles sofort lösen können. Die Gasversorger wissen zum Beispiel nicht, wie viele Haushalte an einem Anschluss hängen. Deshalb geht manches, was die Bremsen gerechter machen würde, im Moment nicht – es geht noch nicht. Das Modell der Preisbremsen soll aber ein lernendes Modell sein, mit dem wir in Zukunft noch zielgerichteter unterstützen können. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, bis zum Sommer zu prüfen, wie einkommensärmere, sparsame Haushalte besser entlastet werden können, etwa mit einem haushaltsbezogenen Basiskontingent. Und die Bundesregierung muss untersuchen, wie mit einer Obergrenze verhindert werden könnte, dass reiche Haushalte mit übermäßig hohem Verbrauch übermäßig Subventionen bekommen. Dadurch wollen wir die Gaspreisbremse noch gerechter machen. ({3}) Meine Damen und Herren, es ist bereits darauf hingewiesen worden: Ein ebenso zentraler Punkt für die Gerechtigkeit ist, dass wir auch diejenigen nicht alleine lassen, die mit Öl, mit Pellets oder mit Flüssiggas heizen. Auch wer solche Brennstoffe für das Heizen kaufen musste, soll bei einer Belastung, die über dem Doppelten des Vorkrisenniveaus liegt, eine Entlastung bekommen können. So geht gerechte Politik in der Energiekrise. ({4}) Meine Damen und Herren, die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land erwarten, dass wir alles dafür tun, dass Energie bezahlbar bleibt. Deswegen hat es mich doch sehr verwundert, dass CDU und CSU im Ausschuss die Preisbremsen abgelehnt haben und das heute anscheinend wieder tun wollen. Das zeigt, wo Wirtschaftsverstand und Herz für den Mittelstand wirklich fehlt, Herr Helfrich. ({5}) Wir stellen heute sicher, dass Energie bezahlbar bleibt. Mit der Abstimmung wird deutlich, wer es mit den Entlastungen ernst meint. Wir als Ampel jedenfalls zeigen: Wir lassen niemanden allein. ({6})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Andreas Lenz. ({0})

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende der Debatte lässt sich feststellen: Es ist immer mit einer gewissen Vorsicht zu genießen, wenn der Bundesgesundheitsminister über Energiepolitik spricht. ({0}) Dieser Fakt wirft auch ein gewisses Licht auf das Verfahren, das stattfand. Aber zunächst einmal ist zu betonen, dass es grundsätzlich gut ist, dass Bürgerinnen und Bürger entlastet werden. Wir waren und sind nicht gegen Entlastungen. Im Gegenteil: Wir fordern diese seit Beginn dieses Jahres. ({1}) Ich kann es Ihnen nicht ersparen: Sie haben viel Zeit vergeudet durch die unsägliche Diskussion, den Streit um die Gasumlage, ({2}) die weder umsetzbar noch verfassungsgemäß war, durch die viel Geld verschwendet wurde. Ein Beispiel: Ich war neulich bei den Stadtwerken Augsburg. Allein diese Stadtwerke mussten 150 000 Euro aufwenden für eine Gasumlage, die nie kam. Hier wurde gemurkst. Und der Murks ging weiter bei der Gas- und Strompreisbremse. ({3}) Die fast 400 Seiten, die am Morgen des gestrigen Mittwochs vorgelegt wurden, sind kein Zeichen von Respekt gegenüber dem Parlament, aber auch kein Zeichen von Respekt gegenüber den Betroffenen. ({4}) Zuerst wollten Sie bei den Erneuerbaren rückwirkend zum 1. März abschöpfen, dann zum 1. September, jetzt zum 1. Dezember. Das schafft erhebliche Verunsicherung. Die derzeitige Investitionszurückhaltung bei den Erneuerbaren geht auch auf Ihre Politik zurück, sehr geehrte Damen und Herren. Wenn ich jetzt sehe, dass PPAs und andere Vertragsverhältnisse und dadurch letzten Endes Innovationen bei den Erneuerbaren ausgebremst werden – Stichworte „Wunsiedel“ und „Wasserstoffregion“ –, dann muss ich feststellen, dass es auch Ihre Verantwortung ist, dass diese Projekte nicht stattfinden. ({5}) Ebenso haben Sie die Branche der Bioenergie verunsichert, ja, in Existenzängste versetzt. Sie erhöhen jetzt zwar den Sicherheitszuschlag; Altholzanlagen haben aber nach wie vor große Probleme. ({6}) Ein Beispiel: Steinkohle wird nicht abgeschöpft, nachhaltige Bioenergie schon. Das muss man sich mal vorstellen! Klüger wäre es, die Bioenergie ganz von der Abschöpfung auszunehmen, wie wir das fordern. ({7})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Erlauben Sie eine Zwischenfrage von Frau Nestle von Bündnis 90/Die Grünen?

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. – Es ist wichtig, Inhaber von Holzpelletheizungen, von Heizöl- und Flüssiggasheizungen ebenfalls zu entlasten. Auch das fordern wir seit Beginn der Debatte. Ob der Fonds in Höhe von 1,8 Milliarden Euro aber ausreicht, das ist mehr als fraglich. ({0}) Sorgen Sie für eine entsprechende Finanzierung der Hilfen, sehr geehrte Damen und Herren. ({1}) Noch ist übrigens überhaupt nicht sicher, ob die Hilfen auch tatsächlich bei den Unternehmen ankommen. Noch ist nicht sicher, ob damit Arbeitsplätze erhalten bleiben. ({2}) Laut BDI sind die Hilfen vielfach überhaupt nicht anwendbar. Das liegt am Beihilferecht, aber nicht nur. Das liegt auch an der Komplexität der Anwendungen. Setzen Sie sich dafür ein, dass das Beihilferecht ermöglicht und nicht verhindert, dass der Industriestandort Deutschland eine Zukunft hat, sehr geehrte Damen und Herren! ({3}) Es hieß vorher, dass gewisse Dinge – Auswirkungen von Corona und des Hochwassers von 2021 – berücksichtigt werden können. Im Gesetz steht dazu noch gar nichts. Auch die Besteuerung steht nicht im Gesetz, sondern nur in einem Entschließungsantrag. Es ist eben so, dass die Gerechtigkeitsdefizite nach wie vor vorhanden sind und gesetzlich nicht gelöst sind. Am besten wirkt gegen hohe Preise ein hohes Angebot. Das gilt auch und gerade bei der Energie. Durch den Ausstieg aus der Kernkraft zum 15. April 2023 erreichen Sie genau das Gegenteil. Ihre Politik trägt dazu bei, dass im Moment Rekordmengen von Gas verstromt werden. Es wurde noch nie so viel Gas verstromt wie im Moment. 20 Prozent des Stroms kommt aus Gaskraftwerken; das muss man sich mal vorstellen. Letzten Endes brauchen wir natürlich einen massiven Ausbau der Erneuerbaren, aber immer auch ein Back-up durch – im Moment eben – konventionelle Kraftwerke. Das ist die Verantwortung, um Energiesicherheit zu geben. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Zanda Martens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Liebe Mieterinnen und Mieter! Deutschland ist das Mieterland Nummer eins in der EU. Nirgendwo ist die Eigentumsquote niedriger. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung kann sich Wohneigentum nicht leisten und lebt hierzulande zur Miete. Auch Düsseldorf, mein Wahlkreis, ist eine Mieterstadt; dort leben sogar 80 Prozent der Einwohner zur Miete. Mieterinnen und Mieter sind in unserem Land also die übergroße Mehrheit. An Mieter/-innen sollten wir daher in der Politik immer denken, sie in Krisenzeiten entlasten, das Recht auf Wohnraum achten und die Mieten bezahlbar halten. Damit Mieter/-innen, die nicht selbst direkt mit ihrem Energieversorger, sondern über den Vermieter abrechnen, zum Beispiel in zentral beheizten Häusern, nicht schlechter behandelt werden als alle anderen, waren für uns – nicht nur wegen Weihnachten – drei Wünsche besonders wichtig, und für die haben wir gekämpft. Erstens. Die Mieter/-innen werden rückwirkend auch für Januar und Februar entlastet. ({0}) Und die Weitergabe der Entlastungen an die Mieter/-innen betrifft nicht nur diejenigen, die mit Gas und Fernwärme heizen, sondern auch alle, die mit Strom heizen – ob mit Wärmepumpe oder Nachtspeicherheizungen. Die Entlastungen kommen also allen Mieterinnen und Mietern zugute. Alles andere wäre auch zutiefst ungerecht gewesen. ({1}) Zweitens muss der Vermieter die Betriebskostenvorauszahlung unverzüglich anpassen, nicht erst nach der Betriebskostenabrechnung für 2023, die schlimmstenfalls erst Ende 2024 kommt. Falls der Vermieter sich beeilt und die turnusmäßige Jahresabrechnung für dieses Jahr bis zum 1. April 2023 fertigstellt, kann die Anpassung der Betriebskostenvorauszahlung gemeinsam mit der Jahresabrechnung erfolgen. Spätestens dann aber muss die Betriebskostenvorauszahlung auf jeden Fall angepasst sein. Drittens brauchen die Mieter/-innen nicht selbst aktiv zu werden. Sie müssen die Entlastungen nicht selbst errechnen und dem Vermieter anzeigen. Das war uns wichtig; denn wir wissen doch genau, dass gerade auf dem heutigen Wohnungsmarkt Mieter und Vermieter nicht auf Augenhöhe sind. Mieter sind allzu oft nur heilfroh, überhaupt eine Bleibe gefunden zu haben, und sogar noch eine bezahlbare. Kaum ein Mieter legt sich doch heute freiwillig mit dem Vermieter an. Deshalb war eine klare Verpflichtung der Vermieter für uns ein politisches Muss, wenn wir wollen, dass die Entlastungen tatsächlich bei den Mieterinnen und Mietern ankommen. Und das wollen wir. ({2}) Bei allen Kompromissen, die unter drei Koalitionspartnern notwendig sind: Allein schon wegen dieser drei Wünsche, die wir den Mieterinnen und Mietern jetzt erfüllen, können wir mit gutem Gewissen sagen: Wir haben dafür gesorgt, dass Mieter/-innen – gerade die mit kleinem oder mittlerem Einkommen – im Mieterland Deutschland schnell, direkt und unkompliziert bei Gas-, Wärme- und Strompreisen entlastet werden. Frohe Festtage! ({3})

Lamya Kaddor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005095, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst einmal: Herzlichen Glückwunsch an unsere Bundesaußenministerin! Alles Gute, liebe Annalena! ({0}) Es geht um einen Antrag der CDU/CSU. „Iranische Protestbewegung entschlossen unterstützen“, so lautet Ihr Antrag. Ich finde, wir sehen hier ein Beispiel für die Folgen ideologiegetriebener und unüberlegter Wortklauberei. Wie der Teufel das Weihwasser scheuen Sie den Begriff „feministische Außenpolitik“. Um ihn ja nicht gelten zu lassen, sprechen Sie lieber gekünstelt von „frauenorientierter Außenpolitik“. Leider führt Sie genau das in eine völlig falsche Richtung. Das fängt schon mit dem Titel Ihres Antrages an. Im Text erklären Sie dann, es bedürfe einer „konkreten Implementierung einer echten frauenorientierten Außenpolitik, welche die Verbesserung der Lage der Frauen konkret in den Blick nimmt“. Nein! Es geht im Iran um sehr, sehr viel mehr. Die Bundesregierung und insbesondere Bundesaußenministerin Annalena Baerbock haben das sehr genau verstanden. Die Proteste sind feministisch und werden eben nicht von Frauen für Frauen allein durchgeführt. ({1}) Das belegen die vielen männlichen Demonstranten, die seit nunmehr drei Monaten auf die Straße gehen und auf tragischste Weise ihr Leben riskieren. Denn neben der Gleichberechtigung von Frauen geht es um nichts weniger als den Protest gegen das Unrechtsregime der Mullahs mit ihrem Unrechtsapparat im Ganzen. ({2}) Feministische Außenpolitik richtet sich nicht allein von Frauen an Frauen – das sagte ich bereits –, es geht auch um einen emanzipatorischen und protektionistischen Gesamtansatz im Hinblick auf marginalisierte Gruppen. Feministische Außenpolitik mahnt zur Einhaltung von Menschenrechten, gerade und insbesondere bei Kindern, bei Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung, bei Verfolgung aufgrund von Herkunft, sexueller Orientierung, Hautfarbe oder Religion. Das haben sehr früh auch Männer im Iran erkannt und sich solidarisch und mutig an die Seite der Demonstrantinnen gestellt. ({3}) Diesem Verständnis feministischer Außenpolitik liegt ein großes Friedenspotenzial zugrunde, das für die internationale Diplomatie unverzichtbar ist, meine Damen und Herren. ({4}) Mit Bestürzung haben wir alle die barbarischen Hinrichtungen von Mohsen Shekari und Madschidresa Rahnaward durch den Strang aufgenommen. Die beiden jungen Männer hatten für einen Iran frei von Repressionen und Unterdrückung demonstriert und wurden dafür qualvoll gehängt. Was für uns hier unvorstellbar ist, ist dort seit Jahren Realität. Sehr geehrte Damen und Herren, statt Reformschritte zu gehen, halten die islamistischen Machthaber an ihrer brutalen Unterdrückungspolitik fest. Ich hoffe inständig, dass die Rechnung der Mullahs nicht aufgeht. ({5}) Die mutigen Iranerinnen und Iraner gehen bis dato weiterhin auf die Straße, und dazu brauchen sie unser aller Unterstützung. ({6}) Wir meinen es ernst mit der feministischen Außenpolitik gegenüber dem Iran. Vor allem das Auswärtige Amt war im Duo mit Frankreich der treibende Motor für die EU-Sanktionen gegenüber diesem islamistischen Regime. Im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf hat unsere Außenministerin erfolgreich eine Resolution erwirkt, die die Gewalt gegen Demonstrantinnen und Demonstranten im Iran verurteilt und die vorsieht, diese durch unabhängige UNO-Expertinnen und -Experten zu dokumentieren. Wir tun, was in unserer rechtlichen und politischen Macht steht. Sehr geehrte Damen und Herren, zum Abschluss möchte ich noch einmal den Blick weiten. Die mutigen Demonstrantinnen und Demonstranten im Iran sind Vorbild für Frauen und Mädchen in der gesamten Region. In Syrien, in Afghanistan gehen die Frauen auf die Straße; das wird hier nur kaum zur Kenntnis genommen. Als Berichterstatterin, die selbst syrische Wurzeln hat, für den Nahen und Mittleren Osten für meine Fraktion möchte ich Danke sagen für diesen großen Mut. ({7}) Danke, dass Frauen und Männer in der Region sich zusammen gegen das Unrecht auflehnen und Freiheit fordern! Und danke an unsere Außenministerin Annalena Baerbock, die diesen Kampf politisch mitführt. Es macht eben einen Unterschied, dass eine Frau als Chefdiplomatin den Ton angibt, erst recht für diese Region. In diesem Sinne: Frauen, Leben, Freiheit – Jin, Jiyan, Azadi. Vielen Dank. ({8})

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der sich den herzlichen Glück- und Segenswünschen für unsere Außenministerin gerne anschließt. – Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Lage im Iran ist dramatisch. Die Brutalität, mit der das iranische Regime gegen die breite Protestbewegung vorgeht, sucht ihresgleichen. Am 16. September, also vor fast drei Monaten, ist die junge Kurdin Mahsa Jina Amini durch brutales Vorgehen der Sittenpolizei zu Tode gekommen. Dies hat zu den größten landesweiten Protesten gegen das islamische Regime im Iran seit der sogenannten Islamischen Revolution im Jahre 1979 geführt – Proteste, die im ersten Moment von vielen mutigen Frauen getragen wurden, die gegen das repressive Regime aufbegehrten; ein Regime, das seit Jahrzehnten Frauen systematisch unterdrückt und drangsaliert. Diesen Protesten haben sich sukzessive immer weitere Teile der Bevölkerung angeschlossen: Studenten, Händler, die Mittelschicht. Ihre Forderung ist klar: ein grundlegender Wechsel im Herrschafts- und Gesellschaftssystem im Iran. Anders als ihre Elterngeneration haben viele junge Menschen der iranischen Bevölkerung, die im Übrigen etwa gleich groß wie die deutsche ist und in der etwa 60 Prozent unter 30 Jahren sind, keine Beziehungen und keine Bindungen zur islamischen Staatsform. Sie wollen eine andere Staatsform. Dies versuchen das islamistische Terrorregime um Präsident Raisi und die Revolutionsgarden zu unterdrücken. Die Bilanz ist verheerend. Schon jetzt wurden mehr als 18 000 Menschen verhaftet. Mehr als 400 unschuldige Menschen – Frauen, Kinder – wurden getötet. Berichte aus Gefängnissen sprechen von schlimmsten Menschenrechtsverletzungen. Frauen werden vergewaltigt, Kinder werden gefoltert. Die ARD-Journalistin Natalie Amiri hat der CDU/CSU-Fraktion geschildert, dass sie am Sonntag einen Beitrag senden wird, in dem eine Minderjährige aus den Gefängnissen berichtet und von den Schreien anderer Mädchen erzählt, die nach ihrer Mutter rufen. Wir sind im Mittelalter angekommen. Es gibt öffentliche Hinrichtungen. Dieses Regime hat offensichtlich nichts mehr zu verlieren. Es wendet alle barbarischen Methoden an. Deswegen sind wir alle aufgerufen, ist die freie Welt aufgerufen, diesen Menschen, diesen Frauen, diesen Kindern, der Bevölkerung des Iran insgesamt zur Seite zu stehen. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion reagiert die Bundesregierung darauf jedoch wie üblich zu spät, und sie macht zu wenig. Sie ist entweder nicht bereit oder nicht in der Lage, das historische Momentum und die notwendige Rolle Deutschlands zu definieren und eine darauf aufbauende, konsistente Außenpolitik zu formulieren. Erst am 26. September, ganze zehn Tage nach der Ermordung Aminis, hat sich die Bundesaußenministerin per Twitter öffentlich zur Gewalt gegen Demonstranten geäußert. ({1}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das haben die Grünen uns ja gerade noch einmal vorgehalten: Feministische Außenpolitik verdient nur dann diesen Begriff, wenn die Außenpolitik in ihren praktischen Taten den eigenen Ansprüchen auch gerecht wird. ({2}) Und das ist nicht der Fall. ({3}) Dazu kommt der Bundeskanzler. Der Bundeskanzler hat bis zum 26. September gebraucht, bis er überhaupt etwas dazu gesagt hat. ({4}) Gestern in der Regierungserklärung – vollkommen richtig – haben wir vom Bundeskanzler 20 Minuten lang etwas über internationale Politik und keinen Satz zum Iran gehört – kein Wort, keine Silbe. Ist es Unfähigkeit? Ist es Unwille? ({5}) Ich muss noch mal darauf hinweisen: Das Mindeste, das die Inhaftierten, die Gefolterten von uns erwarten können, ist doch, dass wir ihnen eine Stimme verleihen. Deswegen wäre es die vornehmste Aufgabe des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland gewesen, hier an dieser Stelle etwas dazu zu sagen und für die Bundesrepublik Deutschland eine klare Position zu formulieren. Das ist nicht geschehen. ({6}) Deswegen kann ich Sie nur dazu auffordern, dass Sie sich noch einmal unseren Antrag und auch die konkreten Forderungen anschauen, die dort drinstehen. Es muss doch konkret darum gehen, das Regime in Teheran maximal unter Druck zu setzen, seinen Handlungs- und Bewegungsspielraum größtmöglich einzuschränken. ({7}) Wie kann es sein, dass wir dieser Tage zur Kenntnis nehmen müssen, dass Deutschland immer noch der größte Handelspartner des Iran in der EU ist?

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich würde gerne fortfahren. – In Ihrem Antrag sprechen Sie davon, dass die Iranpolitik mal geprüft werden müsse. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in dieser Zeit muss mehr gemacht werden, als zu prüfen. Sie müssen handeln. Die Bundesregierung muss endlich praktisch etwas tun. ({0}) Warum ist es Kanada möglich, die iranischen Revolutionsgarden komplett zu sanktionieren? Warum gibt es in der Europäischen Union jetzt ein erstes kleines Sanktionspaketchen und keine vollständige Sanktionierung der Garden? Warum ist es immer noch möglich, dass die Kinder der Mitglieder der Revolutionsgarden in Eliteschulen in Europa zur Schule gehen, sich hier frei bewegen und diese Schicht ein Leben in Saus und Braus führt? Hier muss mehr gemacht werden, hier muss Deutschland in eine Führungsrolle gehen. ({1}) Warum besteht das Islamische Zentrum Hamburg immer noch als Drehscheibe der Spionage und der Auslandsrepression dieses Regimes? Bürgermeister Scholz und sein Nachfolger Tschentscher haben an dieser Stelle nichts unternommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie diese Außenstelle des Regimes hier schließt. Es muss endlich etwas geschehen. ({2}) Der Iran, so wie er unter diesem Regime außenpolitisch und in der Region agiert, steht gegen alles, was Deutschland wichtig ist: ({3}) Er steht gegen Menschenrechte. Er stellt die Existenz Israels infrage. Er verunsichert die gesamte Region, führt Militärschläge im Irak durch, destabilisiert den Libanon. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Regime steht gegen alles, was Deutschland wichtig ist. Deswegen: In der deutschen Außenpolitik braucht es eine neue Iranpolitik, und sie muss sich endlich diesem Regime widersetzen.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Jetzt müssen Sie wirklich zum Schluss kommen, Herr Kollege.

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Iran, diese große Kulturnation, ist größer, und dem müssen wir in unserer Außenpolitik endlich gerecht werden. Danke schön. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächste Rednerin ist Derya Türk-Nachbaur für die SPD-Fraktion. ({0})

Derya Türk-Nachbaur (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005241, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Erst einmal: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, liebe Frau Ministerin! – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Iran! Wer wird der oder wer wird die Nächste sein? Das ist die quälende Frage für Millionen Iranerinnen und Iraner, die sie in den Schlaf begleitet und morgens schweißgebadet aufschrecken lässt. Eine iranische Freundin erzählt mir, dass sie mit dem Handy in der Hand einschläft und der erste Blick am Morgen ihrem Telefon gilt – aus Sorge vor weiteren schlimmen Nachrichten. Nach der Hinrichtung der zwei jungen Demonstranten Mohsen Shekari und Madschidresa Rahnaward sind die quälenden Nächte noch viel, viel unerträglicher geworden. Mohsen und Madschidresa waren beide gerade einmal 23 Jahre alt. Mohsen wurde am Donnerstag in Teheran hingerichtet und Madschidresa am Montag in Maschhad. Sie hätten einen „Krieg gegen Gott und gegen die islamische Ordnung“ geführt, sagt die Justiz – ein Vorwurf, der aktuell mindestens 38 weitere inhaftierte Demonstranten das Leben kosten wird, wenn sich dieses Terrorregime nicht aufhalten lässt. Wird es heute das Brüderpaar Farhad und Farzad Tahazadeh treffen oder den 19-jährigen Mohammad Broghani? Wie viele junge Frauen wie Armita Abbasi werden noch in den Gefängnissen brutalst vergewaltigt werden, um dann spurlos zu verschwinden? Noch wie viele Mütter, wie viele Väter werden ihre Kinder zu Grabe tragen müssen und mit dem Leichnam die ungelebten Hoffnungen und Träume ihrer Kinder beerdigen? Ich weiß es nicht; wir wissen es nicht. Was wir allerdings wissen, ist, dass dieser staatlich angeordnete Terror sofort aufhören muss. ({0}) Heute sind es nun 90 Tage. In diesen 90 Tagen wurden mehr als 18 000 Menschen inhaftiert, Tausende vergewaltigt und gefoltert, über 460 getötet, darunter über 60 Kinder. Die demonstrierenden Menschen im Iran zeigen uns: Das kostbarste Gut ist die Freiheit. Sie will mit Loyalität und Mut verteidigt werden. Der Ruf nach Freiheit lässt sich nicht einsperren. Die Hoffnung auf Zukunft lässt sich nicht vergewaltigen. Die Träume der Jugend lassen sich nicht auspeitschen. ({1}) Diese Erkenntnis schüchtert die Führung der Islamischen Republik Iran ein. Der Mut der protestierenden Frauen und der Jugend auf den Straßen versetzt Khamenei in Angst und Schrecken. Khamenei weiß ganz genau, dass er alles verlieren wird, wenn diese mutigen Menschen in Irans Straßen, Schulen und Universitäten nicht gestoppt werden. Die Protestbewegung ist zu einer Revolutionsbewegung geworden. Es gibt kein Zurück mehr. Das Ausmaß und die Dauer des zivilen Aufstands gegen die Mullahs und ihr Regime haben eine seit Jahrzehnten nicht gesehene Wucht erreicht. Das weiß die islamistische Führung. Daher ist jedes Mittel recht: Die willkürlich ausgesprochenen Todesurteile sollen Stärke demonstrieren, sollen die Menschen einschüchtern; die Exekutionen sind ein Signal der Schwäche und der Angst. An die Herren Entscheidungsträger im Iran: Sie haben Angst vor Ihren eigenen Bürgerinnen und Bürgern. Sie haben Angst vor Machtverlust. Sie sind zwar besser ausgerüstet, Sie haben das Geld, Sie haben die Strukturen, Sie haben einen Überwachungsapparat, Sie haben Partner, die zu Ihnen passen – aber Sie haben keine Zukunft. Die Zukunft gehört der Freiheit. ({2}) Wir Demokratinnen und Demokraten stehen dabei ganz fest an der Seite der unterdrückten Menschen. Das haben wir mit dem von der Koalition eingebrachten und beschlossenen Antrag vor wenigen Wochen ziemlich deutlich zum Ausdruck gebracht, ohne die Frauen im Iran zum „Testfall“ erklären zu müssen. Ich wiederhole mich, weil ich das schon in der ersten Debatte zu diesem Antrag gesagt habe: Die Frauen im Iran sind weder ein Testfall noch ein Spielball irgendwelcher Parteipolitik. Liebe Kollegen von der Union, das wissen Sie auch. ({3}) Vieles, was Sie fordern, ist bereits Beschlusslage, und vieles andere ist in Arbeit. Auch ich möchte die Revolutionsgarden geschlossen auf der Terrorliste sehen. ({4}) Ich möchte auch die Abgeordneten des iranischen Parlaments, die für diese unmenschlichen Hinrichtungen plädieren, auf dieser Terrorliste sehen. Ich möchte auch die Staatsanwälte und Richter, die für diese Exekutionen verantwortlich sind, auf genau dieser Terrorliste sehen. Es ist allerdings nicht so einfach, wie wir uns das wünschen. Das EU-Recht ist da ziemlich klar – die Council-Nummer sage ich Ihnen nicht; aber es ist dokumentiert –: Erste Voraussetzung ist, dass eine nationale Strafverfolgungs- oder Ermittlungsbehörde in einem EU-Mitgliedstaat ein Verfahren eingeleitet hat oder eine Verurteilung erfolgt ist. Das ist bislang nicht der Fall. Aber das wissen Sie doch auch. Wir tun alles, was momentan rechtlich möglich ist, und da hat sich zum Glück schon einiges getan. Auf Antrag Deutschlands hat sich der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen Ende November mit der Lage im Iran befasst und für unabhängige Untersuchungen der anhaltenden Gewalt gegen Demonstrierende gestimmt. Der Iran ist erst gestern auf Betreiben der USA aus einem UN-Gremium für Frauenrechte ausgeschlossen worden. Das sind so wichtige Zeichen. Bislang sind über 50 Einzelpersonen mit Bezug zu den Revolutionsgarden gelistet, entweder im Rahmen des spezifischen Iran-Sanktionsregimes oder im Rahmen des Menschenrechtsanktionsregimes. Die Liste wäre lang. Es sind Banken sanktioniert. Es sind Geldgeber sanktioniert. Das Cyber-Abwehrkommando ist sanktioniert. Auch die Listung weiterer Personen ist in Arbeit. Die Menschen im Iran brauchen die Geschlossenheit aller Demokratinnen und Demokraten im Bundestag. Das Leid dieser Menschen eignet sich überhaupt nicht dazu, hier parteipolitische Profilierungsaktionen zu starten. ({5}) Die Menschen im Iran und auch die iranische Community bei uns hier in Deutschland brauchen unser aller Stimme, unseren Schutz und unsere Unterstützung und vor allem eine ehrliche und sachliche Erklärung des EU-Rechts. Mit Parteipolitik ist in dieser Situation wirklich niemandem geholfen. Mit einigen iranischen Freunden habe ich ausgemacht, dass wir spätestens an Newroz am Brandenburger Tor das Ende dieses Mullah-Regimes tanzend feiern. Ich hoffe, Sie sind dann auch dabei. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Eugen Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005209, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Landsleute! Ein sehr großer Teil der iranischen Bevölkerung ist unzufrieden mit der politischen und gesellschaftlichen Ordnung im Land. Die mutigen Demonstrationen vieler Iraner gegen Kopftuchzwang und für Freiheit sind unbedingt anerkennenswert. Die AfD sagt: Bevormundung und Islamismus – nein, Freiheit – ja, ({0}) auch hier und vor allem in Deutschland. Denn bevor wir uns mit anderen Ländern befassen, sollten wir die Probleme im eigenen Land angehen. Es gibt ein massives Islamismusproblem in Deutschland; das ist offensichtlich. Aber die Bundesregierung verschließt hiervor die Augen. – Das ist das eine. Das andere ist: Über die innere Ordnung muss im jeweiligen Land selbst entschieden werden. Deutschland sollte hierfür auf Dialog setzen und seine Unterstützung anbieten. ({1}) Die Bundesregierung muss mit der iranischen Führung ins Gespräch kommen, um Spannungen abzubauen. Deutschland sollte Krisen entschärfen und nicht anfeuern. Gewalt darf kein Mittel sein, egal von welcher Seite. Hunderte tote Demonstranten, aber auch rund 60 getötete Sicherheitskräfte: Das darf sich keinesfalls wiederholen. ({2}) Wir können uns keinen weiteren Bürgerkrieg im Nahen Osten erlauben. Wir wollen Gespräche, sowohl mit der Führung als auch mit den Oppositionskräften. ({3}) Falls es vom iranischen Volk gewollt ist, könnte Deutschland als Vermittler eine wichtige Rolle übernehmen. ({4}) Doch Außenministerin Baerbock hat das traditionell vertrauensvolle deutsch-iranische Verhältnis schwer beschädigt. Sie setzt sich stattdessen dafür ein, dass deutsche Waffen nach Saudi-Arabien geliefert werden. Hierdurch wird der blutigste Krieg weltweit – der im Jemen ist – weiter befeuert. Heuchelei und Selbstgefälligkeit – Markenzeichen grüner Außenpolitik! ({5}) Sie, meine Damen und Herren von der Union, lehnen in Ihrem Antrag diplomatische Mittel – Verhandlungen, Gespräche – ausdrücklich ab. Stattdessen wollen Sie Druck ausüben. Sie schreiben weiter in Ihrem Antrag: Die konkrete Verbesserung der Lage der Frauen im Iran muss Gradmesser für den Erfolg der deutschen und europäischen frauenorientierten Außenpolitik sein. Das bedeutet: Der Erfolg deutscher Außenpolitik misst sich daran, inwiefern sie die innere Situation eines anderen Landes beeinflusst. Die Außenpolitik Baerbocks ist Ihnen noch nicht grün genug? Das ist oberflächlich, arrogant, lächerlich und besorgniserregend. ({6}) Wollen Sie die Grünen überholen? Die Politik der Union und der Regierungsfraktionen zielt auf Regimewechsel ab. Dabei hat diese Politik in den vergangenen 20 Jahren unzählige Menschenleben gekostet. Ganze Länder wurden verwüstet: Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien. Migrationsstürme wurden ausgelöst und Terror befeuert. ({7}) Terror und Gewalt gelangten auch in unser Land. Doch diese Bundesregierung und auch die Union will die Krise nicht entschärfen. Im Gegenteil: Sie haben eine Neigung zu gewaltsamen Lösungen. ({8}) Sie haben nichts aus den letzten 20 Jahren misslungener westlicher Interventionspolitik gelernt. Hierzu kann die AfD nur Nein sagen. Wir sind die Alternative für Freiheit, gegen Gängelung, für Diplomatie und gegen Gewalt und vor allem und stets an erster Stelle für Deutschland. AfD – die Friedenspartei! ({9})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Das Wort erhält Rainer Semet für die FDP-Fraktion. ({0})

Rainer Semet (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005223, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorgestern Abend haben sich wieder viele Menschen hier in Berlin versammelt, um ein Zeichen der Solidarität mit den Frauen und Männern im Iran zu setzen. „Frauen, Leben, Freiheit“ stand leuchtend in mehreren Sprachen am Brandenburger Tor. Wir stehen unter dem Eindruck der grausamen öffentlichen Hinrichtungen, der rohen Gewalt auf den Straßen, der Verschleppungen, mit denen das Mullah-Regime verzweifelt versucht, die Bevölkerung von ihrem Freiheitskampf abzuhalten. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen und Freunden der Getöteten. Sie trauern um ihre Heldinnen und Helden. Für unsere Maßnahmen, die Freiheitsbewegung zu unterstützen und das Regime zu schwächen, heißt das: Jetzt erst recht! Wir begrüßen als Freie Demokraten ganz ausdrücklich die neuen Sanktionen, die der Außenministerrat Anfang der Woche in Brüssel beschlossen hat. Sie enthalten Einreiseverbote betreffend die EU und Kontosperrungen. Mit den Sanktionen treffen wir auch Kommandeure, die die Befehle zu den grausamen Taten gegeben haben, beispielsweise einen Kopf der iranischen Ordnungskräfte in der Provinz Sistan und Belutschistan. Er ist verantwortlich für mehrere Massaker, bei denen Protestierende erschossen wurden, unter anderem in Zahedan am 30. September und in Chasch am 4. November. Diese Listen werden fortgeschrieben und laufend ergänzt. Die Bundesregierung wird alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die Täter zur Verantwortung zu ziehen und die Profiteure des Regimes mit den Sanktionen zu treffen. Unseren Kindern bringen wir bei: Wer anderen Menschen absichtlich schadet, wird dafür bestraft. Wir bringen ihnen auch bei, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Meine Damen und Herren, wir wollen auf internationaler Ebene Werten wie Verantwortung und Freiheit der persönlichen Lebensgestaltung Ausdruck verleihen und diejenigen unterstützen, die diese Rechte für sich einfordern. Und: Es gibt keinerlei Legitimation, jemandem diese Rechte zu verweigern. Ich freue mich, dass die deutsche Bundesregierung maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen auf seiner Sondersitzung vor drei Wochen beschlossen hat, eine unabhängige Untersuchungskommission einzurichten. Diese Kommission wird Menschenrechtsverletzungen im Iran identifizieren, Beweismittel sammeln und alle staatlichen und überstaatlichen Instanzen in die Aufarbeitung einbinden. Ja, es ist politisch ein erster Erfolg, wenn Rechtsbrüche verurteilt werden und damit Druck auf die Verantwortlichen ausgeübt wird. Aber machen wir uns bitte nichts vor. Mehrheitsentscheidungen zugunsten von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten sind in internationalen Gremien alles andere als ein Selbstläufer. Dem UN-Menschenrechtsrat gehören 47 Mitgliedstaaten an. Die Abstimmung zur Einrichtung der Untersuchungskommission fiel mit 25 Jastimmen und 6 Neinstimmen bei 16 Enthaltungen aus. Das bedeutet: 22 Mitglieder haben sich also entschieden, eine unabhängige Untersuchung nicht zu befürworten – fast alles Länder, die mehr oder wenig abhängig von den großen Autokratien dieser Welt sind. Um weltweit für Freiheit und Menschenrechte eintreten zu können, müssen wir den Systemwettbewerb ernst nehmen, in dem wir uns mit China und Russland längst befinden. Der Iran wurde gestern aus der Frauenrechtskommission der Vereinten Nationen ausgeschlossen, die sich für genau die Rechte einsetzt, die die Mullahs und ihre Handlanger so sehr fürchten. Das ist das richtige Signal und ein wichtiger weiterer Baustein der Isolation der Staatsführung. Die internationale Staatengemeinschaft zeigt damit, dass sie Gewalt und Unterdrückung als Regierungsmethode nicht billigt und mit harten Konsequenzen versieht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, geben wir auch weiterhin der iranischen Freiheitsbewegung all die Aufmerksamkeit und Unterstützung, die sie verdient und benötigt. Danke schön. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Die nächste Rednerin ist Janine Wissler für Die Linke. ({0})

Janine Wissler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005260, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 16. September wurde die iranische Kurdin Jina Mahsa Amini im Polizeigewahrsam getötet. Die Sittenpolizei hatte sie wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die islamischen Kleidungsvorschriften festgenommen. Sie starb fünf Tage vor ihrem 23. Geburtstag. Ihr Tod wurde zum Fanal und zum Ausgangspunkt einer landesweiten Protestbewegung im Iran. Seit drei Monaten halten die Massenproteste und Streiks gegen die Unterdrückung durch das Mullah-Regime an – eine Revolution, bei der Frauen Vorreiterinnen sind. Ihr Ruf nach einem Leben in Würde und Freiheit hat verschiedene Teile der iranischen Gesellschaft vereint. Mit einem dreitägigen Generalstreik in der vergangenen Woche erreichte die Protestbewegung eine neue Dimension. Lkw-Fahrer, Beschäftigte in Fabriken, in der Ölindustrie streikten. Was im Iran gerade passiert ist, ist historisch. ({0}) Unsere Solidarität gilt den Protestierenden. Wir unterstützen ihren Kampf für einen demokratischen und sozialen Iran, und wir haben Hochachtung vor ihrem Mut und ihrer Entschlossenheit. ({1}) Denn das Regime reagiert mit äußerster Brutalität. Fast 500 Demonstrierende sollen getötet worden sein und fast 18 000 festgenommen, darunter Kinder und Jugendliche. Die Gefangenen berichten von Folter und Vergewaltigung. Besonders gefährlich ist die Situation für die Menschen in Kurdistan und Belutschistan, die seit Jahrzehnten drangsaliert und marginalisiert werden. Die Regierung versucht, die Menschen mit Todesurteilen und Hinrichtungen einzuschüchtern und zum Aufgeben zu bewegen. Mohsen Shekari und Madschidresa Rahnaward wurden in eilig durchgeführten Scheinprozessen zum Tode verurteilt und hingerichtet. Beide waren 23 Jahre alt. Ihr Verbrechen: Teilnahme an Protesten. Vielen anderen Verhafteten droht ebenfalls die Todesstrafe. Es ist nicht das erste Mal, dass das Regime solche Methoden der Abschreckung einsetzt, um Widerstand zu unterdrücken. Allein im Sommer 1988 wurden Tausende politische Gefangene in dreiminütigen Gerichtsverhandlungen zum Tode verurteilt und in Massengräbern wie Khavaran bei Teheran verscharrt. Und der heutige Präsident Raisi war schon damals an den Morden beteiligt. Aber die Menschen lassen sich nicht einschüchtern. Sie protestieren weiter, trotz alledem. Einige Abgeordnete hier aus dem Deutschen Bundestag haben ja politische Patenschaften für zum Tode verurteilte Menschen übernommen, um Solidarität zu zeigen mit den Verurteilten. Wir haben es gerade gehört: Es gibt eine Fraktion, die aufseiten der Mullahs steht, und das ist die AfD. Das haben Sie hier deutlich gemacht. Es ist ja auch interessant, das zu hören. ({2}) Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler darf nicht weiter schweigen. Die Bundesregierung muss alle diplomatischen Mittel einsetzen, um den Druck auf das Regime zu erhöhen und weitere Hinrichtungen zu verhindern. Die humanitäre Visa- und Passvergabe muss erleichtert werden. Und natürlich muss es einen dauerhaften Abschiebestopp betreffend den Iran geben. ({3}) Nicht nur im Iran leben iranische Oppositionelle in Angst. Auch in Deutschland werden Exiliranerinnen vom Regime bespitzelt, eingeschüchtert und drangsaliert. Erinnern wir uns an das „Mykonos“-Attentat 1992, bei dem iranisch-kurdische Oppositionelle in Berlin durch das iranische Regime grausam ermordet wurden. Das Wirken des iranischen Geheimdienstes in Deutschland muss endlich entschieden bekämpft werden, meine Damen und Herren! ({4}) Die Bundesregierung muss Mittel bereitstellen, um Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren, damit Täter auch zur Verantwortung gezogen werden können. Meine Damen und Herren, die Protestierenden im Iran schreiben Geschichte. Eine Aktivistin sagt: „Nein, die Menschen wollen keine Reformen. Die eindeutige und zentrale Forderung ist der Sturz der islamischen Republik. Es hat sich etwas im Kern der Gesellschaft grundlegend verändert. Es ist ein Punkt erreicht, an dem es trotz der Repressionen kein Zurück mehr gibt.“ Und ich will den Protestierenden sagen: Die Welt schaut auf euch, die Welt schaut auf eure Revolution! Nach Pablo Neruda: „Sie können wohl alle Blumen abschneiden, aber sie können den Frühling nicht verhindern.“ ({5}) Nie wieder Khavaran! Jin, Jiyan, Azadi – Frau, Leben, Freiheit! ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächster Redner ist Jürgen Trittin für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Iran ist im Nahen Osten etwas Besonderes, übrigens im Guten. Und das liegt an den Menschen. Die Mehrheit der Iranerinnen und Iraner möchte eine strikte Trennung von Staat und Religion. Sie wollen nicht mehr in einem sogenannten Gottesstaat leben. Diese klare Haltung beruht auf den Erfahrungen mit einer islamischen Republik, die sich selbst als Gottesstaat definiert. Doch was ist das für ein Gottesstaat, der seine Herrschaft auf den Strang stützt? Welchem Gott ist das gefällig? Was ist das für ein Staat, der seit Jahren Minderjährige ermordet, der Rappern mit dem Galgen droht? Heute stehen 23 Menschen vor der Vollstreckung der Todesstrafe. Es gibt unzählige Verhaftungen, Tote. Menschen, die für Frauen, Leben, Freiheit auf die Straße gegangen sind, werden nicht nur mit dem Tode bedroht, sondern die öffentlichen Hinrichtungen sollen sie einschüchtern. Diesen Menschen gilt unsere uneingeschränkte Solidarität. ({0}) Frauen, Leben, Freiheit – das hat vor einigen Wochen bei einem Fraktionsvorsitzenden hier schenkelklopfendes Gelächter ausgelöst. ({1}) Nun legt die CDU/CSU einen Antrag für eine frauenorientierte Außenpolitik vor, und da sieht man eine Entwicklung. ({2}) Dann würde ich, lieber Kollege Wadephul, auch in aller Freundlichkeit anmerken, dass Sie genau wissen, dass Sie an dieser Stelle mit rhetorischen Fragen nicht weiterkommen. Sie wissen, dass es Voraussetzungen gibt, die für eine Listung als Terrororganisation beispielsweise notwendig sind oder auch für die Schließung eines iranischen Zentrums, was dieser Bundestag schon lange fordert. ({3}) Aber Sie hätten auch hinzufügen können, dass Deutschland das einzige Land ist, in dem nach den Schüssen auf die Essener Synagoge nun mit den Ermittlungen des Generalbundesanwalts ein solches Verfahren eingeleitet wird, was die Voraussetzung wäre für die Listung der Revolutionsgarden als Terrororganisation. ({4}) Das ist das, woran diese Außenministerin sehr hart arbeitet. Und, liebe Frau Wissler, ich teile viel von dem, was Sie gesagt haben, aber wäre es dann nicht einfacher gewesen, am 28. September im Ausschuss für Menschenrechte mit den anderen Fraktionen der UN-Resolution zum Iran zuzustimmen, anstatt sich zu enthalten? ({5}) Ich glaube, bevor man andere der Untätigkeit bezichtigt, sollte man mal das zur Kenntnis nehmen, was im UN-Menschenrechtsrat durchgesetzt worden ist. Sie haben ja recht, Herr Kollege Hardt, dass sich 16 Länder enthalten haben. Aber wir müssen auch mal feststellen: Dass sich Länder wie Usbekistan und Kasachstan enthalten haben, die in verkehrlicher Hinsicht vom Iran total abhängig sind, ist schon ein Erfolg. Diese Länder haben nicht mit Nein gestimmt. Dieser Erfolg geht unter anderem auf die Reise der Bundesaußenministerin in diese Länder zurück, wo sie aktiv genau für diese Politik geworben hat. ({6}) Und wenn jemand wissen will, was feministische Außenpolitik ist: Das ist ein Beispiel für feministische Außenpolitik, meine Damen und Herren. ({7})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Sie müssen zum Schluss kommen, bitte.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Und es war diese Ministerin, die das dritte Sanktionspaket vorangetrieben hat, das übrigens nicht nur die Terroraktionen gegen die eigene Bevölkerung sanktioniert, sondern auch die Unterstützung des Irans für den Drohnenkrieg Russlands in der Ukraine. Solche Schritte sind Ergebnisse einer feministischen Außenpolitik, und es ist die Antwort auf ein Regime, das sich auf Gott beruft, aber eine satanische Politik betreibt. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächster Redner ist Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir als CDU/CSU-Fraktion haben den Iranantrag aus zwei Gründen heute in der Kernzeit auf die Tagesordnung gesetzt. Zum einen sehen wir im Iran in diesen Tagen und Wochen eine massive Verschärfung der Brutalität des Regimes gegen die Zivilbevölkerung. In Schauprozessen werden junge Menschen abgeurteilt und hingerichtet. Das ist etwas, was uns zutiefst beunruhigt und schockiert. Zum anderen beunruhigt und schockiert uns die aus unserer Sicht nach wie vor zu zögerliche Haltung der Bundesregierung in der Europäischen Union, wenn es um die Antwort auf diese Taten geht. Deswegen ist es gut, dass wir heute hierüber diskutieren. ({0}) Jetzt sind durch die Europäische Union die Namen weiterer zwei Dutzend alter grauer Männer in Teheran, die ihren Fuß im Zweifel sowieso nicht vor die Tür setzen, auf die Sanktionsliste gesetzt worden. Wir als CDU/CSU-Fraktion fordern ein deutlich härteres Sanktionsregime gegen den Iran. Wir fordern, dass die Revolutionsgarden als Terrororganisation gelistet werden, ({1}) was verschiedene Wirkungen hätte. Zum Ersten hätte es die Wirkung, dass junge Männer im Iran, wenn sie sich für diesen Teil des Staatsapparats anwerben lassen, wissen, dass sie einer Terrororganisation angehören und mit Blick auf ihre Zukunft, was Reisefreiheit, Studiermöglichkeiten und Geschäfte angeht, extrem eingeschränkt sind. Zum Zweiten treffen wir natürlich auch diejenigen, die mit den Revolutionsgarden Geschäfte machen. Man muss wissen, dass im Iran ein großer Teil der Wirtschaft Staatswirtschaft ist und dass ein wesentlicher Teil der Staatswirtschaft eben von diesen Garden kontrolliert wird. Jetzt hat uns die Bundesregierung – Herr Trittin hat das hier übernommen – gerade gesagt, es gebe nationale und europäische Rechtssachverhalte, die uns daran hindern, das zu tun. Wenn es nationale Gesetze gibt, die uns daran hindern, diese führende Terrororganisation der Welt, die ja nicht nur das Volk im Iran unterdrückt, sondern die auch Kampf gegen Israel führt, die in Jemen die Terrorgruppen unterstützt, die die Hisbollah unterstützt, die in Syrien massiv wirkt, entsprechend einzustufen, dann möchte ich als Abgeordneter wissen: Welche Gesetze müssen wir ändern, um das entsprechend tun zu können? ({2}) Außerdem gibt es eine EU-Terrorliste. Erstens sind wir nicht einig mit der Regierung in der Einschätzung, dass das europäische Recht es tatsächlich untersagt, diesen Schritt zu gehen. Zweitens stelle ich auch da die Frage: Wie müssen wir das europäische Recht weiterentwickeln, wenn das europäische Recht nicht in der Lage ist, in diesem Fall die Listung als Terrororganisation vorzunehmen? Da erwarte ich eine Initiative der deutschen Regierung. ({3}) Ein weiterer Punkt, der mir sehr wichtig ist – ich kann nur an die Regierung appellieren, das sehr ernst zu nehmen –: Wir erleben, dass der Iran als gegenwärtig mutmaßlich einziger Unterstützer Russlands, was konkrete Rüstungsgüter angeht, in der Ukraine massive Schäden anrichtet. Ukrainische Kindergärten werden von Drohnen getroffen, die die Russen vom Iran bekommen haben. Die Frage ist: Wie ist der Iran in der Lage, solche Drohnen zu bauen und zu exportieren? Da gibt es Presseberichte, dass möglicherweise Mikroelektronik aus Gütern, die nicht einmal als Dual-Use-Güter zu betrachten sind, wie zum Beispiel Waschmaschinen, Verwendung in iranischen Drohnen finden und dass so der Iran auf Umwegen in die Lage versetzt wird, solche Drohnen zur Verfügung zu stellen. Ich kann die Bundesregierung nur dringend auffordern, diesen Presseberichten, zum Beispiel aus der „Financial Times“, intensiv nachzugehen. Denn es wäre ein großer Schaden für Deutschland, für das deutsche Ansehen und natürlich für das ukrainische Volk, wenn sich tatsächlich Bauteile aus Deutschland am Ende in diesen Drohnen finden ließen. Wir werden das im Ausschuss entsprechend thematisieren. ({4}) Letzter Punkt. Die Bundesregierung übt aus meiner Sicht zu große Zurückhaltung gegenüber dem Regime in Teheran, vielleicht auch, weil sie hofft, doch noch beim Atomabkommen JCPoA zu einem Ergebnis zu kommen. Um das hier klar zu sagen: Ein solches Abkommen wollen wir auch. Aber dahinter, ob das ein realistischer Weg, eine Perspektive für die nächsten Monate ist, mache ich aber ein großes Fragezeichen. Ich sehe zum Beispiel nicht die Mehrheit im amerikanischen Kongress, die die Wiederaufnahme eines solchen Abkommens befürwortet. Was ich bei dieser Regierung vermisse, ist nicht das Engagement, zu versuchen, ein solches Abkommen abzuschließen, sondern, dass wir keinen Plan B haben, was wir eigentlich mit der atomaren Bewaffnung des Iran machen, wenn es nicht zu diesem Abkommen kommt. Auch über diese Frage müssen wir hier im Deutschen Bundestag, müssen wir im Auswärtigen Ausschuss intensiv diskutieren, und ich hoffe, dass wir die Gemeinsamkeit der Demokraten in dieser Frage bewahren. Herzlichen Dank. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächster Redner in dieser Debatte: Kaweh Mansoori für die SPD-Fraktion. ({0})

Kaweh Mansoori (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005141, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauende! Ich möchte Ihnen von Farzaneh und ihrem Ehemann Hamid erzählen, zwei politische Gefangene im Iran, für die ich die Patenschaft übernommen habe. Es handelt sich um ein Ehepaar, das für seinen Einsatz und seine Unterstützung in Krisengebieten, bei der medizinischen Versorgung und Unterstützung von Kindern bekannt ist. Am 3. November sind sie nach der Trauerfeier für eine junge, durch das Regime ermordete Frau aus Sicht des Mullah-Regimes zur falschen Zeit am falschen Ort. In der Nacht wird das Ehepaar von Sicherheitskräften zu Hause überfallen, vor den Augen ihrer Kinder schwer misshandelt und verschleppt. Im Gefängnis werden sie gefoltert und erpresst, falsche Geständnisse abzulegen. Hamid erleidet innere Blutungen und Rippenfrakturen. Das Scheingerichtsverfahren gegen ihn und seine Frau wird ohne rechtlichen Beistand ihrer Wahl durchgeführt. Farzaneh wird eine Aussage verweigert. Hamid wird ohne Beweise und unter Missachtung rechtsstaatlicher Mindeststandards zu Tode verurteilt, seine Frau Farzaneh zu 25 Jahren Haft ohne Besuchsrecht. Das Ziel ist, den Anschein von Rechtsstaatlichkeit zu wahren und die Menschen zum Schweigen zu bringen. Aber sie können nicht die ganze Welt zum Schweigen bringen. Das hier ist ein Haus der freien Rede, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({0}) Der freiheitlich-demokratischen Bewegung werfen die Mullahs Krieg gegen Gott vor. Doch die Menschen im Iran rebellieren nicht gegen Gott. Sie rebellieren gegen dieses Regime. Dieses Regime verwechselt sich selbst mit Gott. ({1}) Sie brechen die elementarsten Regeln menschlicher Zivilisation. Fritz Bauer bezeichnete Zivilisation als eine sehr dünne Decke, die schnell abblättert. Mit Schauprozessen, Mord an Kindern und Massenhinrichtungen beweist das Regime, wie recht er hatte. Deswegen ist es auch international isoliert, und das ist auch gut so. ({2}) Die Opfer der Revolution haben Gesichter. Sie haben Geschichten und Botschaften. Diese lassen sich in einer freien Welt nicht auslöschen. Viele in diesem Parlament haben Patenschaften für einzelne der über 18 000 politischen Gefangenen im Iran übernommen. Lassen Sie die Welt hören, wer die Menschen sind, die von den Mullahs in Folterkammern gesteckt werden. Es ist wichtig, dass wir laut sind für sie. Denn die Menschen im Iran können uns hören, und sie sollen wissen: Es ist ihre Revolution. Aber im Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung sind sie nicht allein. Wir stehen an ihrer Seite. ({3}) Mehrere EU-Sanktionspakete sind bereits verabschiedet. Diese Woche ist ein weiteres hinzugekommen. Unser Parlament hat dem Regime vor Wochen jegliche Legitimation abgesprochen. Im UN-Menschenrechtsrat ist auch dank der Außenministerin eine Mehrheit gegen das iranische Regime zustande gekommen, die die Gewalt im Land unabhängig untersuchen will. Aus der UN-Kommission für Frauenrechte wurde das Land nun ausgeschlossen. Es zeigt: Der internationale Druck hilft. Und wichtig ist, dass wir mit dem Druck nicht nachlassen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Mit einer Regierung, die Mordanschläge in Deutschland auch schon hat durchführen lassen und offenbar weitere plante, werden wir nicht auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Die Spirale der Gewalt braucht eine unmissverständliche Antwort: maximalen Druck gegen dieses Regime. ({4}) Auch deswegen ist es wichtig, dass eine Terrororganisation wie die Revolutionswächter auf eine Terrorliste kommt. Auch deswegen ist wichtig, dass sämtliche Abgeordnete, die ihre Hand für die Massenhinrichtungen gehoben haben, ebenfalls persönlich sanktioniert werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Zugleich braucht es Unterstützung für die Zivilbevölkerung, die seit Jahren unter den internationalen Sanktionen am stärksten leidet. Keiner von uns weiß, wie lange der Kampf bis zur Befreiung des Irans dauern wird. Und weil das so ist, dürfen die Menschen im Land nicht auf sich selbst gestellt sein. Freie Kommunikation, Austausch mit Kulturschaffenden, Presse und Wissenschaft, Versorgung mit Hilfsgütern – das ist, wozu wir einen konkreten Beitrag leisten können und auch leisten müssen. Bei alldem wird auch entscheidend sein, dass dieses Parlament in den zentralen Punkten mit einer Stimme spricht. Im Iran fragt aktuell keiner, ob du Perser, Kurde, Afghane, Araber, Belutsche oder Aserbaidschaner bist. Da wird nur gefragt: Bist du für einen freien Iran? – Das ist eine Frage, die auch unser Parlament einen sollte, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Die Tage der Mullahs sind gezählt. Für ihre Taten werden sie sich verantworten. Aber das kann ein langer Weg werden. Menschen, denen der Tod droht, gehen auf die Straße, weil sie an den Sieg von Freiheit, Gerechtigkeit und Selbstbestimmung glauben. Und wenn sie das tun, dann sollten wir das auch. Setzen wir auf den Erfolg der Revolution! Ich danke Ihnen. ({7})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächster Redner ist Jürgen Braun für die AfD-Fraktion. ({0})

Jürgen Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004680, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Als das islamistische Regime im Iran in den letzten fünf Jahren Demonstrationen brutal unterdrückt und Internetsperren verhängt hat, als es den jungen Sportler Navid Afkari verhaftet und schließlich hingerichtet hat, da kam kein solcher Antrag von CDU/CSU. Im Gegenteil: Als die Union regierte, half sie dem islamistischen Iran. Sie stimmte lauthals in das grün-linke Geschrei gegen Donald Trump und seinen Ausstieg aus dem Atomabkommen ein. ({0}) Dieses sogenannte Abkommen ist dabei nur eine politische Absichtserklärung, gegen die der Iran zudem mehrfach verstoßen hat. Es ist eine klassische Gutmenschenausgeburt der naiven, ahnungslosen Obama-Regierung. ({1}) Die iranische Atombombe hätte diese Absichtserklärung niemals verhindern können, sondern im besten Fall verzögern, und auch das nur im allerbesten Fall. ({2}) Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen nannte das fragliche Abkommen dennoch ein „außenpolitisches Glanzstück“. ({3}) Heute spricht er nicht mehr davon. Den Ausstieg der USA unter Trump geißelte er als „Selbstisolierung“. Und noch vor zwei Jahren, während der Sportler Navid Afkari in Haft gefoltert wurde, bekräftigte Röttgen, es brauche „den Anlauf für ein neues Abkommen“, neue Gespräche mit den Mullahs. Nachdem das iranische Scheinparlament vor fünf Wochen beschlossen hat, dass allein die Teilnahme an den Protesten als Krieg gegen Allah eingestuft wird, ist der Weg frei für massenhafte Exekutionen. Und die ersten Todesurteile sind bereits vollstreckt: Vor einer Woche haben die Mullahs einen 23-Jährigen gehängt, am Montag folgte der nächste junge Mann. ({4}) Nur Tage zuvor waren Todesurteile gegen 28 Demonstranten ergangen. Doch die mutigen Proteste gegen das islamistische Gewaltregime gehen trotz aller Drohungen weiter, seit drei Monaten. ({5}) Ebenfalls seit drei Monaten klagt Außenministerin Baerbock hier im Hohen Hause und vor jeder sich bietenden Kamera. Mal klagt sie, wie schlecht es den Menschen im Iran gehe, mal klagt sie, wie schlecht es ihr selbst gehe angesichts ihrer schweren Arbeit. ({6}) Aber aus den Gesprächen zum Atomabkommen ist sie noch immer nicht ausgestiegen. Und die Islamische Revolutionsgarde hat sie noch immer nicht als Terrororganisation eingestuft. ({7}) Die AfD ist die einzige Fraktion im Deutschen Bundestag, die sich konsequent gegen den politischen Islam stellt ({8}) und die sich schon seit vielen Jahren für die Schließung des Islamischen Zentrums Hamburg einsetzt. Sie haben das versäumt – Sie alle hier! ({9}) Mit uns gibt es keine Halbheiten wie bei der Ampel. ({10}) Und mit uns gibt es auch keine plötzlichen unglaubwürdigen Kehrtwenden wie bei der Union. Vielen Dank. ({11})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächste Rednerin ist Renata Alt für die FDP-Fraktion. ({0})

Renata Alt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004654, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der iranische Innenminister Ahmad Vahidi hat die Demonstrantinnen und Demonstranten im Iran kürzlich als „Krawallmacher“ bezeichnet. Er will die Ursachen der Proteste untersuchen lassen, ohne die Protestierenden zu beteiligen. Das zeigt, dass die Mullahs den Kontakt zu der eigenen Bevölkerung völlig verloren haben. Das Mullah-Regime ist reformunwillig, es ist reformunfähig, es ist gewalttätig und menschenverachtend. Deswegen wollen die Iranerinnen und Iraner das Mullah-Regime beseitigen. Die iranischen Frauen und Männer demonstrieren seit drei Monaten für die Freiheit, für die Demokratie und für Menschenrechte. Dabei müssen wir sie so weit wie möglich unterstützen. ({0}) Hunderte von Demonstranten wurden bereits getötet, darunter viele Jugendliche und Kinder. Mehr als 18 000 Demonstranten wurden verhaftet. Diese Woche wurden die ersten Gefangenen gehängt – ohne ein faires Gerichtsverfahren. Viele Abgeordnete hier im Hause – nicht nur hier, sondern auch in vielen deutschen Landtagen – übernehmen derzeit politische Patenschaften für Inhaftierte im Iran. Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir fordern die Freilassung aller politischen Gefangenen im Iran. Die EU hat am Montag weitere Sanktionen verhängt – gegen 20 führende Vertreter des Regimes und gegen den iranischen Sender IRIB. Das ist gut, reicht aber nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, den Druck auf das iranische Regime zu erhöhen, ist richtig. Aber in Ihrem Antrag fordern Sie überwiegend das, was wir als Koalition bereits im November in unserem Antrag vorgelegt haben. Dem hätten Sie hier gerne zustimmen können. Eine Ihrer Forderungen ist, die Revolutionsgarde als terroristische Organisation einzustufen. Ja, das fordern wir Freie Demokraten auch. Bereits im April 2021 haben die USA die gesamte Iranische Revolutionsgarde als terroristische Organisation eingestuft. Einer der Gründe war, dass zehn Agenten der Revolutionsgarde an der Planung eines Terroranschlags in Deutschland beteiligt waren. Im Januar 2018 wurden sie vom Bundeskriminalamt enttarnt. Ich frage mich, warum die damalige unionsgeführte Bundesregierung daraus nicht sofort dieselben Konsequenzen gezogen hat wie die Amerikaner. ({1}) Warum haben Sie damals nicht gehandelt? Heute kommt Ihre Forderung ziemlich verspätet. Ihr Antrag ist zwar gut gemeint, beinhaltet aber wenig Neues. In diesem Sinne unterstützen wir Freien Demokraten die Arbeit der Bundesregierung. Deutschland muss jedoch schneller handeln, damit nicht noch mehr Gefangene hingerichtet werden. Ein politischer Wandel und die langersehnte Freiheit für alle im Iran müssen endlich Wirklichkeit werden. ({2})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächster Redner ist Max Lucks für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Max Lucks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Seit über 90 Tagen heißt es im Iran „Jin, Jiyan, Azadi“ und „Zan, Zendegi, Azadi“. Zunächst stand dieser Satz für Gerechtigkeit für Jina Mahsa Amini, und dafür steht er auch nach wie vor. Aber inzwischen haben wir doch alle erkannt und müssen es aussprechen: Dieser Satz steht auch für etwas Weiteres: Er steht für den Sturz des iranischen Regimes; „Jin, Jiyan, Azadi“ steht für eine Revolution im Iran. ({0}) Die Bewegung im Iran hat eine Stärke historischen Ausmaßes angenommen. Diese Stärke hat auch das brutale Regime erkannt, und es hat sehr hart zurückgeschlagen. 90 Tage des Protestes für die Freiheit bedeuten auch 90 Tage der Folter, der Verschleppung, der Splittergeschosse, bedeuten Zehntausende Inhaftierte, mindestens 400 Tote, darunter auch Kinder, bedeuten Berichte über Vergewaltigungen in Gefängnissen, Todesurteile für Menschen, deren Geschichten wir kennen, aber eben auch Todesurteile für Menschen, deren Geschichten wir nicht kennen. Und eines trifft mich besonders hart: Viele der jungen Menschen, denen eine Hinrichtung droht, sind in meinem Alter. Ich möchte diesen jungen Menschen sagen: Ihr habt genauso sehr ein Recht auf Freiheit, wie ich es habe; denn Freiheit ist nicht westlich, Freiheit ist nicht östlich, sondern Freiheit ist universell. Und darum haben wir die Pflicht, an der Seite der Freiheitsbewegung im Iran zu stehen, und wir dürfen nicht ruhen, liebe Kolleginnen und Kollegen, bis der letzte politische Gefangene von Evin frei ist. ({1}) Meine Damen und Herren, dieses Parlament hier hat sich als erstes Parlament Europas zu den Protesten im Iran verhalten mit der gemeinsamen Erklärung im Ausschuss für Menschenrechte am 28. September. Es ist Deutschlands Außenministerin, die Sanktionen in der EU durchsetzt, die gegen massive Widerstände eine eindeutige Resolution im UN-Menschenrechtsrat erreicht hat. Dass wir aktiv sind und dass wir laut bleiben, das fordert auch eine laute Zivilgesellschaft in unserem Land. Ich finde, wir können dieser Zivilgesellschaft dafür dankbar sein; denn sie zeigt: Deutschland ist ein Menschenrechtsland. ({2}) Und weil wir ein Menschenrechtsland sind, werden wir nicht wegschauen. Die Außenministerin ist weiter engagiert. Die Koalition wird alle möglichen Maßnahmen gegen dieses Regime ergreifen. Aber weil wir ein Menschenrechtsland sind, wird das auch auf rechtsstaatlichen und geordneten Wegen erfolgen. Lassen Sie uns parteipolitische Spiele beiseitelegen! Lassen Sie uns gemeinsam alles dafür tun, dass wir an der Seite der mutigen Freiheitsbewegung im Iran stehen! Lassen Sie uns an das Mullah-Regime ein klares Signal aus diesem Parlament senden: Die Tage dieses Regimes im Iran, sie sind gezählt. Danke schön, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Die nächste Rednerin ist Dorothee Bär für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wurde heute schon mehrfach hier am Rednerpult, aber auch draußen in unserem Land und selbstverständlich auch im Iran der Ruf „Jin, Jiyan, Azadi“ – „Frau, Leben, Freiheit“ – vernommen – ein Slogan, der für eine Revolution steht und der seit Monaten um die Welt geht. Dass er ausgerechnet vom Iran ausgeht, grenzt an ein Wunder, da das Regime bisher alle Proteste im Keim erstickt hat und mit aller Härte zurückschlägt. Wir haben heute schon von unterschiedlichen Kolleginnen und Kollegen gehört, dass der Iran im Moment all unseren Werten entgegensteht, dass Frauen dort vom Regime systematisch unterdrückt werden, dass Frauenfeindlichkeit per Gesetz gelebt wird, dass die Frau nur halb so viel wert ist wie der Mann. Und doch ist von den iranischen Frauen ausgehend – natürlich auch von iranischen Männern, aber gerade auch von den Frauen – eine ganz große Revolution unterwegs, wo Leben riskiert werden, wo der Mut zur Veränderung groß ist, weil eben die Wut, die Verzweiflung, der in über 40 Jahren aufgestaute Zorn sich in massiven Protest verwandelt hat. Wir haben uns in den letzten Wochen, gerade auch als CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in jeder Woche mit iranischen Frauen getroffen – mit Aktivistinnen, mit Journalistinnen, mit Hausfrauen, mit allen Frauen, ({0}) die hier in unserem Land leben –, nicht nur auf Demonstrationen, auch in Vieraugengesprächen, in Sechsaugengesprächen, und haben uns in letzter Zeit beinahe täglich von den Gräueltaten erzählen lassen, die an der Zivilbevölkerung verübt werden, wo Inhaftierte ohne Anwalt oder die Möglichkeit, vermeintliche Beweise oder die erhobene Anklage einzusehen, zum Tode verurteilt werden und dieses Urteil auch unmittelbar vollstreckt wird. Und trotzdem lassen sich die Protestierenden nicht abschrecken – in allen ethnischen Gruppierungen, in allen Schichten, in allen Landesteilen, geschlechterübergreifend und generationenübergreifend. Besonders ist daran auch, dass die Frauen, die sich das Kopftuch in der Öffentlichkeit herunterreißen, oft frenetischen Beifall von Männern ernten. Ich finde es sehr schade – die Kollegin Renata Alt hat gerade eigentlich sehr stark für unseren Antrag gesprochen –, dass dieses Thema, obwohl wir uns eigentlich in der Bestandsaufnahme einig sind oder einig sein müssten, heute von einigen hier parteipolitisch missbraucht wurde. ({1}) – Gerade von dem, der am lautesten zwischenruft. Früher hat man immer gesagt: „Der getroffene Hund bellt“, Herr Trittin. ({2}) Genau so ist es leider. Gerade Sie haben wirklich nur Reden zur Parteipolitik gehalten. Auch die Kollegin Lamya Kaddor hat vorhin angesprochen, dass wir in der Union Begriffe wie „feministische Außenpolitik“ ({3}) wie der Teufel das Weihwasser scheuen würden. Also erstens hat auch mein Kollege Jo Wadephul die feministische Außenpolitik vorhin erwähnt, und zweitens können wir das so oft sagen, wie Sie es hören wollen: feministische Außenpolitik, feministische Außenpolitik, feministische Außenpolitik. ({4}) Nur, der Punkt ist doch: Der Begriff muss mit Leben erfüllt werden. Das ist doch das Entscheidende an dieser Stelle, Frau Kaddor. ({5}) Für mich ist die Situation der Frauen im Iran der Lackmustest für die feministische Außenpolitik. Nur Worte reichen eben nicht, ({6}) sondern es müssen dann eben auch Taten folgen. ({7}) Und ich gehe noch weiter: Es geht nicht nur um feministische Außenpolitik. Es geht auch um wertegeleitete Außenpolitik für unser Land; denn für uns sind die Menschenrechte selbstverständlich universell und nicht verhandelbar. Gerade Sie beide haben das leider Gottes hier etwas zu parteipolitisch gemacht. ({8}) Deswegen hätte ich mich gefreut, wenn von den Grünen heute nicht diese zwei Redner benannt worden wären – der dritte Kollege ging ja einigermaßen –, ({9}) sondern wenn auch die Außenministerin – ({10})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– nein –, die das nicht so parteipolitisch gemacht hätte, heute hier gesprochen hätte. ({0}) Das wäre sicherlich der Sache dienlicher gewesen an dieser Stelle. ({1}) Ich würde mich freuen, ({2}) wenn wir einfach genauso konsequent vorgehen, wie es uns andere Länder vormachen. ({3}) Es wurde vorhin erwähnt: Die Vereinten Nationen haben den Iran wegen des brutalen Vorgehens gegen die Protestbewegung im Land aus der UN-Frauenrechtskommission geworfen, ({4}) auch auf Antrag der USA. Die USA und Kanada haben die Schergen der Revolutionsgarde auf ihren Listen terroristischer Organisationen ({5}) – auch wenn Sie dauernd dazwischenrufen –, und wie schon Cato sagte: Ceterum censeo; wir müssen es einfach immer und immer wieder fordern, weil wir uns für die Menschen im Iran, für die Frauen, für die mutigen Männer wünschen, dass endlich diesen Worten auch Taten folgen. Der Mut, hier zu stehen oder draußen vor dem Brandenburger Tor zu Demonstrationen zu gehen, ist doch für uns alle total billiger Mut. ({6}) Natürlich machen wir das. Aber es ist in unserem Land ganz wichtig, dass dann eben auch Taten folgen. Ich finde es schade, dass da außer vom Kollegen Kaweh Mansoori von der SPD – er war der Einzige aufseiten der Ampel, der in dieser Debatte einen konkreten Vorschlag gemacht hat; vielen herzlichen Dank an Sie für Ihre Rede – einfach zu wenig kommt, und zwar von allen drei Fraktionen. ({7}) Sie haben jetzt alle die Chance, unserem Antrag zuzustimmen, der ein sehr, sehr guter Antrag ist und auch überall Gehör finden würde. Ich kann nur noch mal alle auffordern, Netzwerke zu nutzen und unseren Schwestern und Brüdern im Iran ({8}) mit unseren Reden, aber auch mit unserem Handeln eine Botschaft der Hoffnung zu schicken. Ich würde mich auch freuen, wenn viele noch Patenschaften übernehmen würden. Vor allem wäre es ganz wichtig, wenn wir dies auch über Weihnachten hinaus aufrechterhalten könnten; denn sobald wir wegschauen, sterben Menschen. Wir wollen nicht wegschauen; deswegen auch dieser Antrag heute in der Kernzeit. Bitte unterstützen Sie unseren Antrag gegen das Regime für die Menschen im Iran! Vielen Dank. ({9})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für eine Kurzintervention erhält das Wort die Kollegin Luise Amtsberg von Bündnis 90/Die Grünen.

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich entschuldige mich beim Kollegen Frank Schwabe, dass er noch kurz warten muss. Ich habe bei allen Rednerinnen und Rednern der Unionsfraktion versucht, Zwischenfragen zu stellen; das wurde leider nicht zugelassen. Deshalb jetzt an dieser Stelle meine Kurzintervention. Sie kritisieren vor allen Dingen, dass Ihnen viele Reaktionen zu spät kamen, dass es zu wenig ist und dass es zu langsam ist. ({0}) Ich finde, gute Oppositionspolitik – da können Sie sich von uns ja auch was anhören; denn damit haben wir Erfahrung – lebt auch davon, dass man bestimmte politische Handlungen entsprechend ins Verhältnis rückt. Deshalb möchte ich an dieser Stelle zum Stichwort „zu große Zurückhaltung“ einfach noch mal sagen: Wir haben 2019 im Iran Proteste gehabt, die Hunderte von Menschen das Leben gekostet haben. Ich bin mir sehr, sehr sicher, dass Sie nicht weggeguckt und es ignoriert haben. Ich bin mir sogar sicher, dass Sie überlegt haben: Was können wir eigentlich gegen das Regime im Iran machen? Was können wir gegen die Revolutionsgarden machen? – Trotzdem sind sie nicht gelistet worden. Wäre das geschehen, wären wir heute wahrscheinlich in einer anderen Situation. Aber ich unterstelle Ihnen mal, dass es nicht Ignoranz war, sondern dass Sie genau wissen, wie kompliziert ein solches Verfahren ist, dass man es eben nicht einfach im Rahmen einer politischen Willensbekundung in die Welt pusten kann oder, Herr Hardt, einfach Gesetze ändern kann, die dazu führen, dass es im europäischen Kontext einfach mal so nicht mehr rechtsstaatlich geregelt wird. Es braucht valide juristische Grundlagen, die am Ende auch zum Erfolg führen. Denn das Schlimmste, was passieren kann, ist doch, dass so ein Versuch schiefgeht. Das würde doch keinem Rechtsstaat der Welt helfen. ({1}) Und weiter, zum Stichwort „zu langsame Reaktionen“: Ich meine, es ist ja nicht so, dass nicht geprüft wird. Auch die Sanktionen werden immer wieder auf den Prüfstand gestellt – Sanktionen, die auch Sie nach 2019 versucht haben auf den Weg zu bringen und deren Implementierung im Übrigen zwei Jahre gebraucht hat. Annalena Baerbock hat es mit täglicher Präsenz in der Welt und auf internationaler Ebene geschafft, das erste Paket in vier Wochen auf den Weg zu bringen – ({2}) wir müssen an dieser Stelle mal über Verhältnismäßigkeit reden –, die gesamte internationale Gemeinschaft nach Genf zu holen und dort noch einen großen Teil nicht nur hinter sich zu bringen, sondern auch eine Resolution – und zwar eine starke Resolution – auf den Weg zu bringen. ({3}) Das ist der Erfolg dieser Bundesregierung. Wir würden uns wünschen, dass Sie aufhören würden, –

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Danke.

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– das auf dem Rücken der vielen ernst zu nehmenden und wirklich auch nachvollziehbaren Gefühle der Iranerinnen und Iraner in der Diaspora auszutragen ({0}) und die feministische Außenpolitik zu instrumentalisieren. ({1})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Frau Kollegin.

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Denn auch in Afghanistan gehen Frauen auf die Straße.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Frau Kollegin!

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

In der ganzen Welt wird feministische Außenpolitik großgeschrieben. Das müssen Sie hier an dieser Stelle mal zur Kenntnis nehmen. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Frau Kollegin Bär, Sie wollen antworten.

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Kollegin Amtsberg, zunächst einmal bedauere ich sehr, dass Ihnen von Ihrer Fraktion keine Redezeit gegeben wurde, ({0}) weil Sie anscheinend jetzt noch länger gesprochen haben als die Redner vorher. Ehrlicherweise: Zu den vielen Minuten, in denen Sie sehr viel geredet und nichts gesagt haben, sind trotzdem zwei Dinge bemerkenswert: Erstens. In einer Situation, in der jeden Tag Menschen hingerichtet werden, zu sagen: „Wir müssen über die Verhältnismäßigkeit reden“, ist indiskutabel – unmöglich! ({1}) Zweitens. Wenn Sie sagen: „Wir waren schnell“, obwohl es zehn Tage dröhnendes Schweigen gegeben hat, dann sage ich: Das war nicht schnell, das war zu langsam; das wissen Sie auch. ({2}) Ihre Kollegin hat vorhin dazwischengerufen: Das haben Sie jetzt schon so oft gesagt. – Ja, und wir werden es auch wieder und wieder sagen, weil wir nicht zulassen, dass wir länger abwarten, weil wir als Opposition unsere Arbeit ernst nehmen. ({3}) Wir hören jeden Tag von Frauen, die sterben, von Männern, die sterben, von Kindern, denen ins Gesicht geschossen wird. Deswegen erwarten wir – das können auch die Bürgerinnen und Bürger erwarten –, dass diese Regierung schneller handelt. ({4})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Letzter Redner in dieser Debatte ist Frank Schwabe für die SPD-Fraktion. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Was ist das für ein Regime, das die eigenen Kinder umbringen lässt? Ich meine, man muss sich immer klarmachen: Während wir hier debattieren, sitzen Menschen in Zellen und wissen nicht, ob sie in Kürze gehängt werden, junge Menschen, die nichts anderes wollen als ihre Freiheit. Es ist heute in der Debatte deutlich geworden, dass dieses Regime – ich glaube, dahin gehend gibt es Einigkeit in großen Teilen dieses Hauses – längst jede Legitimation verloren hat. Auch wenn die Demonstrationen nicht mehr so stattfinden können, weil sie dramatisch und drastisch unterbunden werden: Wir sehen die Proteste. Wir sehen, dass Geschäfte geschlossen sind. Wir sehen, dass Künstlerinnen und Künstler sich weigern, weiterhin zensiert Filme zu zeigen oder Bücher zu veröffentlichen. So herzzerreißend das alles ist: Am Ende wird in der Tat die Veränderung nur aus dem Land selbst kommen können. Aber wir können helfen. Wir können helfen, indem wir den Protest, den es gibt, sichtbar machen, indem wir aufklären, indem wir den Resonanzboden schaffen für Menschen, die protestieren – weltweit, im Iran, in europäischen Ländern und auch in Deutschland. Das sind Frauen wie beispielsweise Düzen Tekkal und Natalie Amiri, die hier in Deutschland den Protest bündeln. Wir können versuchen, das Ganze ins Parlament zu bringen. Wir können versuchen, das Brandenburger Tor erstrahlen zu lassen, um genau diesen Protest deutlich zu machen: Frau, Leben, Freiheit – Jin, Jiyan, Azadi. ({0}) Oder wir können es machen – es ist vielfach gesagt worden –, indem wir Patenschaften übernehmen, und das machen wir: viele Patenschaften. Wir wollen dies morgen – ich will das für alle diejenigen sagen, die sich noch daran beteiligen wollen – demonstrieren, indem wir uns vor dem Parlament treffen. Wir bitten alle diejenigen, die eine Patenschaft übernommen haben, dort morgen dabei zu sein. Das machen wir nicht alleine in Deutschland, sondern es sind viele europäische Länder daran beteiligt. Es gibt in Deutschland viele Länderparlamente, wo solche Patenschaften übernommen werden. Das ist das, was wir machen können: sichtbar machen, wer gerade vom Tode bedroht ist, und uns mit den Menschen solidarisch erklären. Und wir können die Debatte ins Parlament bringen. Das ist etwas, wo ich sagen würde, dass es das Verdienst der Union ist. Denn Sie haben den Tagesordnungspunkt heute aufgesetzt; das haben Sie ja schon gesagt. Frau Bär, weil Sie versucht haben, es versöhnlich zu machen, will ich es auch versuchen: Wir können ja Einigkeit herstellen, dass wir alle wollen, dass die Revolutionsgarden verboten werden. Wir können aber auch Einigkeit herstellen, indem wir deutlich machen, dass es diese Bundesregierung ist, die versucht, wirklich alles zu tun, um den Iran zu isolieren und den internationalen Protest zu organisieren. Ich glaube, der deutsche Botschafter im Iran ist häufiger im iranischen Außenministerium als in der Botschaft im Iran. Das macht doch deutlich, was Deutschland da tut. Der UN-Menschenrechtsrat und die Aktivitäten dort sind beschrieben worden. Deswegen: Bitte lassen Sie es uns doch so machen, dass wir diesen Popanz nicht aufbauen, indem Sie sagen, wann jemand was getwittert oder auch nicht getwittert hat. Es ist doch absurd, dieser Bundesregierung zu unterstellen, dass sie im Rahmen der Menschenrechtspolitik nicht ausreichend unterwegs ist. ({1}) Wenn diese Debatte über die Frage des Iran hinaus am Ende wirklich zu etwas dient, dann ist es in der Tat – das begrüße ich –, dass Sie sich für die Begrifflichkeit der feministischen Außenpolitik öffnen, vielleicht am Ende dann auch noch mal in der richtigen Begrifflichkeit. ({2}) Man kann das alles nachlesen bei Margot Wallström. Die war nämlich diejenige, die das Ganze mal entwickelt hat als eine Außenpolitik, die nicht nur auf Frauen – auch auf Frauen, aber nicht nur – guckt, sondern auch Menschen, die in der auswärtigen Politik bisher marginalisiert sind, eine neue Stimme verleiht. Das sind zum Beispiel auch Indigene und viele andere mehr. Wenn wir uns jetzt darauf einigen, dass wir diesen Begriff benutzen, weil er ein fortschrittlicher Begriff ist, weil er dazu führt, Außenpolitik anders zu betrachten und anders zu diskutieren, dann ist diese Debatte zumindest schon mal für etwas gut. Verehrte Protestierende im Iran, wir hören euch! Das ist, glaube ich, die Botschaft, die auch von dieser Debatte heute ausgeht. Wir müssen alles tun, damit diese Proteste weiterhin gehört werden können, auch von denjenigen, die in Europa, die in Deutschland unterwegs sind. Mich besorgen sehr die Berichte darüber, dass Menschen in Deutschland bedroht werden. Iranerinnen und Iraner im Exil, aber auch andere, die sich hier organisieren, die hier organisierten Protest auf die Straße bringen, in die sozialen Medien bringen, werden bedroht. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass auch das Signal ausgeht: Die deutschen Sicherheitsbehörden gucken ganz genau hin, und wir werden dafür sorgen, dass diese Menschen in Deutschland frei agieren und protestieren können. ({3}) Ich könnte zum Ende dieser Debatte Dutzende und Hunderte Namen nennen. Ich will Leila Hosseinzadeh nennen; das ist nämlich diejenige, für die ich eine Patenschaft übernommen habe. Leila ist studentische Aktivistin. Sie ist in den letzten Jahren vielfach inhaftiert gewesen, und sie hat eine schwerwiegende Autoimmunerkrankung. Deswegen ist sie eigentlich haftunfähig. Sie sitzt aber seit August wieder in Haft im Iran. Sie hat es erst in den letzten Tagen geschafft, eine Audiobotschaft nach außen zu senden, die deutlich macht, wie schwer krank und wie bedroht sie entsprechend ist. Insofern lautet unsere Forderung auch heute hier, aus dem Deutschen Bundestag, von diesem Rednerpult aus: Lassen Sie Leila Hosseinzadeh und all die anderen, die nichts anderes tun, als für die Freiheit einzustehen, frei! Der Bundestag verneigt sich vor den Protestierenden, vor denjenigen, die jetzt für Freiheit ihr Leben aufs Spiel setzen. Frau, Leben, Freiheit – Jin, Jiyan, Azadi! ({4})

Cem Özdemir (Minister:in)

Politiker ID: 11002746

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Landwirtschaft hat sich immer verändert. Sie wird es auch künftig tun, um Mensch, Klima und Umwelt gerecht zu werden. Notwendige Veränderungen und Anpassungen fallen aber dann leichter, wenn die wirtschaftliche Lage gut ist. Deshalb freut es mich, dass die aktuellen Wirtschaftszahlen in der Landwirtschaft nach Jahren des Rückgangs und der Stagnation positiv sind. ({0}) Zugleich wissen wir aber auch, dass gerade in der Schweinehaltung die Situation weiter sehr schwierig und dramatisch ist. Der Veränderungsdruck ist immens, aber die Veränderungsbereitschaft unserer Landwirtinnen und Landwirte ist es auch. Unsere Aufgabe ist es, diese Veränderungsbereitschaft zu unterstützen. Die Lösungen dafür liegen seit vielen Jahren auf dem Tisch. Es wurde viel geredet, vieles auch zerredet; die Unionsfraktion wird sich vielleicht trotz mancher Probleme mit dem Langzeitgedächtnis daran erinnern. Wir müssen jetzt endlich loslegen! Verbraucherinnen und Verbraucher wollen zu Recht wissen, was da in ihrem Einkaufskorb liegt. Sie wollen wissen, wie das Tier gelebt hat, dessen Fleisch auf ihre Teller kommt, und zwar nicht auf freiwilliger, sondern auf verbindlicher Basis und damit auch verlässlich und umfassend. ({1}) Dieser Gesetzentwurf ist ein erster Schritt, um dieses Ziel zu erreichen. Es werden weitere Schritte, und zwar in dieser Legislaturperiode, folgen. Dazu gehört die Ausweitung auf Sauen und Ferkel sowie auf weitere Tierarten. Dazu gehört die Ausweitung auf weitere Bereiche der Wertschöpfung wie Gastronomie und verarbeitete Produkte. Aber ich bitte Sie auch: Seien wir an dieser Stelle ehrlich miteinander. Wenn wir alles auf einmal machen wollten, dann würde nichts passieren. Das ist schon mal versucht worden, und wie es ausging, wissen wir alle: Es ist gescheitert. Aber dass Sie von der Opposition jetzt allen Ernstes fordern, eine verpflichtende nationale Kennzeichnung auch für importierte Ware einzuführen, obwohl Sie genau wissen, dass das europarechtswidrig wäre, das finde ich auch gegenüber den Landwirtinnen und Landwirten unehrlich. Sie wissen ganz genau: Auch wenn hier ein CDU/CSU-Landwirtschaftsminister oder eine ‑ministerin stehen würde, könnte auch er oder sie nicht gegen Europarecht vorgehen. Bitte sagen Sie den Bauern nicht Dinge, von denen Sie wissen, dass sie nicht wahr sind. ({2}) Aber spätestens seit Andi Scheuer und seiner gescheiterten Maut wissen wir: In Sachen Europarecht sollte man sich vielleicht besser nicht auf die Expertise der Union verlassen. ({3}) Es ist völlig klar, dass die Veränderungsbereitschaft unserer Tierhalter nicht zu Nachteilen durch importierte Produkte führen darf. Es geht mir deshalb nicht allein um die Transparenz bei der Haltung, sondern auch um die Transparenz bei der Herkunft. Deshalb habe ich von Beginn an – und ich habe das hier ja oft genug gesagt – in Brüssel darauf gedrängt, dass es endlich zu Verbesserungen bei der Herkunftskennzeichnung kommen muss. Wir haben jetzt die Zusage, dass es Anfang nächsten Jahres einen Vorschlag geben wird. Ich sage hier auch noch mal „on the record“: Falls Brüssel wider Erwarten nicht Wort hält, ist mein Haus darauf vorbereitet. Bei der Kennzeichnung von Frischfleisch erweitern wir jetzt schon die bestehende Herkunftskennzeichnung auf unverpackte Produkte. Verbraucherinnen und Verbraucher erwarten nicht nur Klarheit bei der Haltungsform, sondern auch bei der Herkunft. Auch dafür werden wir sorgen. Das gilt auch für die notwendigen Veränderungen im Baurecht. Der Umbau der Ställe für mehr Tierwohl darf nicht länger am Bau- und Genehmigungsrecht scheitern. ({4}) Wir müssen endlich die traurige Realität beenden, dass Tiere an die Ställe angepasst werden. Umgekehrt muss es künftig sein: Die Ställe müssen an die Tiere angepasst werden. ({5}) Die notwendigen Änderungen im Baurecht werden noch vor der geplanten großen Baugesetznovelle umgesetzt. Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich meiner Ministerkollegin Geywitz, dass sie das jetzt anpackt. Wir wollen die Betriebe beim Umbau auch finanziell unterstützen. Nie hat eine Bundesregierung mehr in die zukunftsfeste Tierhaltung investiert. An dieser Stelle auch mein ausdrücklicher Dank an Finanzminister Christian Lindner. Im Bundeshaushalt haben wir in der Koalition die Grundlagen für ein Bundesprogramm geschaffen, um Investitionen in den Stallumbau für mehr Tierwohl zu fördern. Darüber hinaus – das ist ganz entscheidend – sollen laufende Mehrkosten für mehr Tierwohl mit Verträgen bis zu zehn Jahren unterstützt werden. Das ist notwendig für die finanzielle Planungssicherheit unserer Landwirtinnen und Landwirte. Wir sorgen dafür, dass die Landwirte profitieren, wenn sie auf mehr Tierwohl setzen. Ich bin guter Dinge – wir wissen in der Koalition auch um die Erwartungen, die es draußen bei den Landwirtinnen und Landwirten gibt nach so vielen Enttäuschungen –, dass die Koalitionsfraktionen in den kommenden Wochen einen guten Weg finden werden, die Finanzierung des Umbaus langfristig zu gestalten und zu sichern; denn jeder Euro, den wir in den Umbau der Tierhaltung investieren, ist wahrlich gut angelegtes Geld. ({6}) Wir investieren in Klimaschutz, in mehr Tierwohl, wenn weniger Tiere besser gehalten werden. Wir sichern damit die Arbeits- und Lebensgrundlagen für die junge Generation unserer Landwirtinnen und Landwirte. Damit stärken wir auch ländliche Regionen. All das schaffen wir mit einer vertretbaren Investition; es ist also sehr gut angelegtes Geld. Aber wenn wir jetzt nicht investieren, dann werden die tierhaltenden Betriebe in Deutschland dichtmachen, weil sie den ruinösen Preiswettbewerb nicht bestehen können. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass die dringend notwendigen Investitionen auf den Höfen ankommen, um die Tierhaltung in Deutschland zukunftsfest zu machen. Ja, der Umbau der Tierhaltung ist ein Marathon. Wir haben aber nicht wie vorherige Regierungen mutlos und zaghaft darauf gewartet, dass es endlich einen Startschuss gibt. Wir sind jetzt einfach gestartet. Genauso, wenn ich das an der Stelle sagen darf, wie übrigens Renate Künast damals, vor 20 Jahren, mit der Eierkennzeichnung ein wichtiges Projekt auf den Weg gebracht hat, ist es jetzt Zeit für den nächsten großen Schritt: die Tierhaltungskennzeichnung. ({7}) Auf diesem Weg – ich nehme an: im Namen des ganzen Hauses –: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, liebe Renate Künast! ({8}) Der Umbau beginnt. Ich freue mich über jede Verbesserung des Gesetzentwurfs für eine verbindliche staatliche Tierhaltungskennzeichnung. Es gibt Kritik. Aber ein Großteil der Kritik ist eigentlich gar keine, sondern beschreibt vielmehr das, was unsere nächsten Schritte sein werden. Würden wir alles auf einmal machen, würden wir so enden, wie es bislang geendet ist, nämlich beim Stillstand. Den aber darf es angesichts der dramatischen Lage nicht geben; sonst gibt es künftig nur noch Fleisch aus dem Ausland, und dort werden die Tiere sicherlich nicht besser gehalten. ({9}) Wir können gemeinsam den Grundstein für den Wandel legen. Lassen Sie uns gemeinsam die Vorschläge der Borchert-Kommission und der Zukunftskommission Landwirtschaft Schritt für Schritt umsetzen! ({10}) Machen Sie mit, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, um gemeinsam Klima, Tieren, Verbraucherinnen und Verbrauchern und unseren tierhaltenden Betrieben gerecht zu werden! Die Zeit ist jetzt. Herzlichen Dank. ({11})

Albert Stegemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004415, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren! Liebe Kollegen! Renate Künast, auch von uns aus natürlich herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag; gar keine Frage. Heute, vor allen Dingen in dieser Debatte, schaut wirklich die komplette Agrar- und Ernährungswirtschaft nach Berlin. Das sind nicht nur 17 900 Schweinehalter, nein, das sind insgesamt 4,4 Millionen Beschäftigte in der Agrar- und Ernährungswirtschaft mit einem Gesamtumsatz von 186 Milliarden Euro. Rund ein Viertel davon, etwa 46 Milliarden Euro, erwirtschaftet alleine die Fleischwirtschaft. Einen wesentlichen Bestandteil der ländlichen Räume und der dortigen Wirtschaft beeinflusst am Ende die Agrarpolitik. Sie entscheidet, welche Grundlagen dort geschaffen werden. Herr Özdemir, Sie als Landwirtschaftsminister – er war gerade noch zur Abstimmung, aber er kommt schon wieder rein – sind eben auch Minister der ländlichen Räume; dafür haben Sie eine sehr große Verantwortung. Leider treten Sie als solcher überhaupt nicht in Erscheinung. Ich werde auch gleich begründen, warum ich das so einschätze. ({0}) Wenn man sich mit dem Tierhaltungskennzeichen auseinandersetzt, muss man verstehen, dass es zwei wesentliche Ziele erfüllen muss, damit es überhaupt funktioniert: Einmal, wie der Name sagt, geht es tatsächlich um die Kennzeichnung. Aber hier stellen wir fest – das ist ja gerade schon vom Minister selbst angesprochen worden –: Es ist löchrig wie ein Schweizer Käse. Es gilt tatsächlich nur für frisches Schweinefleisch, also nur für etwa 25 bis 30 Prozent des Marktes. Es werden kein Import, keine Kantinenware, keine Gastro, keine anderen Tierarten, keine Sauen, keine Prozesse berücksichtigt. Wir haben ja in der letzten Legislatur durchgesetzt, dass es keine betäubungslose Ferkelkastration gibt. Ferkel, die so kastriert wurden, können jetzt aber importiert werden. Das kann nicht wahr sein. ({1}) Also, das ist sehr lückenhaft. Von dieser Stelle aus kann ich Ihnen hier nur eine Schulnote „Fünf“ geben für das, was das Haltungskennzeichen im wahrsten Sinne des Wortes ausmacht. ({2}) Beim Umbau der Tierhaltung brauchen wir aber – und das ist das viel gewichtigere Thema – ein Gesamtkonzept. Ich glaube, dass es eben kein Gesamtkonzept gibt. Wir haben in der letzten Legislatur gut vorgearbeitet. ({3}) Die Borchert-Kommission, die Sie auch schon angesprochen haben, hat hervorragende Vorschläge gemacht. Im Grunde genommen ist es so, dass ein Haltungskennzeichen in die höhere Tierwohlstufe führen muss. Sie stellen jetzt öffentlich und medienwirksam diese Treppe ins politische Schaufenster, diese Treppe zur nächsten Ebene von „mehr Tierwohl“. Aber die zweite Etage, nämlich die Borchert-Kommission und die Umsetzung ihrer Vorschläge, hat die FDP bereits weggesprengt. Jetzt komme ich auch zu den konkreten Zahlen. Sie haben angesprochen: Sie wollen das gerne umsetzen. 150 Millionen Euro haben Sie zur Verfügung gestellt. Lesen Sie sich doch mal durch, was heute in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ steht: Miriam Staudte, ihre Kollegin von den Grünen aus Niedersachsen, hat noch mal beziffert, dass der jährliche Bedarf für einen Umbau der Tierhaltung bei 4 bis 7 Milliarden Euro liegt. Also, da hat Ihre Kollegin ausnahmsweise recht. Orientieren Sie sich daran! Mit Ihren 150 Millionen Euro kommen wir wirklich noch nicht mal von zwölf bis Mittag. Das reicht bei Weitem nicht; das ist das Entscheidende. Deswegen ist Ihr Gesetzentwurf wirklich komplett untauglich: weil er das grundsätzliche Ziel, die Tierhaltung in Deutschland in irgendeiner Form weiterzuentwickeln, komplett verfehlt. ({4}) Sie haben eine Patrone im Lauf gehabt. Diese Chance haben Sie vertan. Sie schießen in die Luft – Effekthascherei. Dabei kommt nichts rum. Das kann ich Ihnen wirklich leider nur sehr übel nehmen. ({5}) Ich bitte Sie herzlich, hier noch nachzuarbeiten. Jetzt könnte man es sich einfach machen. Wir sind am Ende des Jahres, und Sie sagen, als Minister würden Sie gerne auch noch mal einen grünen Haken an das eine oder andere Gesetzespaket machen, ({6}) nach dem Motto: Auch wenn es nicht viel bringt: Es ist unschädlich. Aber auch damit müssen wir mal aufräumen. Es ist nicht unschädlich. Es gibt nämlich Initiativen – privatwirtschaftliche Initiativen –, wie die Initiative Tierwohl, die einwandfrei funktionieren. Dort werden jedes Jahr 150 Millionen Euro gemeinsam mit dem Lebensmitteleinzelhandel, gemeinsam mit der Branche tierwohlgerecht investiert. ({7}) Die Landwirte machen es. Es funktioniert. 90 Prozent des Mastgeflügels in Deutschland ist an die Initiative Tierwohl angeschlossen; 68 Prozent der Schweinefleischerzeugung werden ebenfalls durch die Initiative Tierwohl gefördert. Diesen Tieren geht es besser als denen in den meisten anderen europäischen Ställen. ({8}) Dieses gute, funktionierende System machen Sie durch das Verbot kaputt, dass die ITW ihr Label künftig neben dem staatlichen Tierwohl-Label abdrucken darf. Sie zerstören ein funktionierendes, gutes System, das auch in der Praxis bereits umgesetzt wurde. ({9}) Das, was Sie nachschieben, funktioniert eben nicht. ({10}) Deswegen machen Sie etwas kaputt. Ich kann Ihnen nur sagen: Überdenken Sie, was Sie hier machen. Das ist kein konstruktiver Beitrag zu mehr Tierwohl. Es ist wirklich ein sehr, sehr schlechter Gesetzentwurf. Wir werden nicht aufhören, Ihnen zu empfehlen, dringend noch mal darüber nachzudenken und Ihre Aufgabe als Bundeslandwirtschaftsminister endlich wahrzunehmen. Vielen Dank fürs Zuhören. Frohe Weihnachten! ({11})

Susanne Mittag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004355, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das muss jetzt aber mal sein: Heute ist ein guter Tag für die Tierhaltung, der erste praktische Schritt für den Umbau in der Nutztierhaltung. Da wird einiges deutlich werden, auch für Herrn Stegemann: die Transformation in die Zukunft. Die Notwendigkeit wird ja wohl seit Jahren bis heute gesehen, debattiert von Verbänden, Landwirten, Vermarktern und Politik. Der Druck wird immer größer. Und: Nein, es funktioniert derzeit nicht gut. Deswegen ist es ja so wichtig. ({0}) Das Ganze, verhandelt und konzeptionell erarbeitet von Betroffenen und Fachleuten – nicht von der Politik –, wurde uns mit der Bitte übergeben, einen rechtssicheren Rahmen zu schaffen. Genau so ist es mal eingeteilt worden, und das hätten wir auch gerne in der letzten Legislatur umgesetzt. Aber ein unvollständiger Entwurf vom Ministerium – nur freiwillig, partiell –, das war von vornherein zum Scheitern verurteilt und konnte nicht funktionieren. ({1}) Das sieht jetzt anders aus. Die Tierhaltung wird sich verbessern, die Kennzeichnung ist verpflichtend – das geht nämlich –, die Standards sind nachvollziehbar und überprüfbar, nicht nur von Marktinteressen geleitet, sondern auf Tierwohl ausgerichtet und verlässlich für die Landwirtinnen und Landwirte. Es ist ein guter Tag. Es ist das erste Gesetz von insgesamt neun Gesetzen und Verordnungen – vielleicht mal zur Klärung –, was vermutlich für einige ein wenig überraschend ist, besonders für die CDU. Das ist aber notwendig, um das ganze Thema zu fassen: von Geburt bis Schlachtung – für alle drei Nutztierarten –, für Verarbeitung, Verkauf, für Privat, Gastronomie und Kantine – das war vorher auch nicht so – und für die gesamten tierischen Erzeugnisse. Ergänzend dazu werden derzeit die Baurechtsanpassungen, der Bereich Immissionen und die Finanzierung verhandelt. Dazu gibt es noch Anpassungen im Tierschutzgesetz und den Ausbau der Tiergesundheitsdatenbank. All das gehört zu einem tragfähigen Konzept. Ebenso wie in der Herkunftskennzeichnung – das ist aber schon gesagt worden – gilt: Entweder die EU macht eine Vorlage, oder wir machen es selbst. Jeder Landwirt, jede Landwirtin kann frei entscheiden, ob er oder sie teilnimmt. Aber das Labeln der Haltungsbedingungen, das ist verpflichtend. Das wird gerne mal in öffentlichen Debatten alles in einen Pott geworfen, aus was für Gründen auch immer. Das ist aber zu trennen. Aber wir sind auch überzeugt, dass jede Landwirtin und jeder Landwirt sehr wohl selbst entscheiden kann, soll und will, wie die Tierhaltung der Zukunft für den eigenen Betrieb aussieht. Es ist nun absehbar, dass bei allen tierischen Erzeugnissen dies erkennbar ist und auch sehr einfach erkennbar ist. Alle Vergleiche mit bisher vorhandenen Labeln hinken; denn diese sind privatwirtschaftlich orientiert, umfassen nur Teilbereiche, sind oft nicht nachvollziehbar und unzuverlässig, sei es für Landwirtinnen und für Landwirte, die heutzutage oft immer neuen und kurzfristigen Anforderungen an ihre Erzeugnisse unterliegen und ihre Erzeugerkosten vom Handelspartner oftmals nicht oder nur teilweise erstattet bekommen, oder für Verbraucherinnen und Verbraucher, die bei der Labelflut mit Bildern und verwirrenden Begriffen oft einen Haltungsstandard vorgegaukelt bekommen, der einer Überprüfung nicht mal ansatzweise standhalten würde. ({2}) Jedoch gibt es bei aller Begeisterung, dass es endlich vorangeht, natürlich auch Nachbesserungsbedarf – das ist nach einer ersten Lesung immer so –, und den haben wir auch schon deutlich angemeldet. Da gibt es eine ganze Bandbreite, sei es bei den Details der Haltungsbedingungen oder beim Fehlen des Bereiches „Aufzucht und Ferkel“ in dem Gesetz – um nur einiges zu nennen. Unseren Koalitionspartnern geht es ähnlich. Aber die Verhandlungen laufen schon und sind sehr konstruktiv. Nicht nur so ziemlich alle Verbände haben aufgelistet, was fehlt und was verbessert werden muss; auch die Länder haben nach der ersten Lesung im Bundesrat eine sehr lange Liste von Anmerkungen und Forderungen erstellt. Die insgesamt sehr fundierten Verbesserungsvorschläge umfassen allerdings nicht nur die vorliegende Gesetzesvorlage, sondern das gesamte Konzept, das in diesem Gesetz ja noch gar nicht komplett erfasst ist. Ich erinnere: neun Gesetze und Verordnungen, Baurecht, Immissionen, dazu das Finanzierungskonzept mit der Festschreibung der Fördermöglichkeiten beim Umbau sowie der finanziellen Absicherung des Mehraufwandes bei den Erlösen. Bessere Haltung kostet nun mal mehr. Das darf nicht nur wie bislang als Werbung vermarktet werden, sondern der Mehraufwand muss auch bei den Landwirtinnen und Landwirten endlich mal ankommen, statt als Marketingerlös bei den Verarbeitern oder Verkäufern zu bleiben, so wie es jetzt oftmals ist. ({3}) – Nein, ist es nicht. ({4}) Diese Systematik ist teilweise eine Abkehr von der vorherigen Vorgehensweise. Das ist ungewöhnlich, kann aber auch von Vorteil sein, wie zum Beispiel in dem Zusammenhang bei der geplanten Verordnung für Transport und Schlachtung, die für alle Kategorien gelten soll, was vereinfacht, aber trotzdem verbessert. Dieser erste Teilabschnitt dient auch der europäischen Notifizierung, die schon auf dem Weg ist, und zwar auf einem guten Weg. Wichtig ist daher die Umsetzung eines Gesamtpaketes, das ermöglicht, dass alle Maßnahmen ineinandergreifen und zeitnah zu verwirklichen sind – „zeitnah“ ist wirklich ganz ernst gemeint. ({5}) – Genau; kommt an. Das heißt, Gesetze und Verordnungen zu beschließen, Finanzierung zu sichern und damit Verlässlichkeit zu dokumentieren: für Landwirte, die finanzieren müssen und bauen wollen, für Kommunen, die genehmigen wollen und müssen, für Verarbeiter, Zulieferer, Verkauf, Gastronomie und Kantinen, die kennzeichnen müssen, und für viele andere Bereiche, auf die Umstellungen und Anpassungen noch zukommen. Alle sind darauf angewiesen, dass die Rahmenbedingungen im nächsten Jahr absehbar sind, um sich darauf vorzubereiten und einzustellen. Es besteht eine sehr ausgeprägte Erwartungshaltung, viel Skepsis nach so vielen Enttäuschungen und eine enorme Bereitschaft, sich auf die Zukunft einzulassen. Das hier ist der erste Schritt, und ich freue mich auf die weiteren. Danke schön. ({6})

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Meine Damen und Herren! Gott zum Gruße! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf möchte Minister Özdemir die Haltungsform bei frischem Schweinefleisch einheitlich kennzeichnen. „So weit, so gut“, könnte man jetzt sagen – wenn es eine solche Kennzeichnung nicht schon längst gäbe. Was Sie aber hingegen vorhaben, Herr Minister, schadet den Beteiligten. In erster Linie schaden Sie mit Ihrer Kennzeichnung den deutschen Schweinehaltern; denn für die Betriebe bedeutet der neue Bürokratieaufwand erhebliche Mehrkosten. Weil ausländische Marktteilnehmer diese Mehrkosten nicht haben, schaffen Sie gleichzeitig einen massiven Wettbewerbsnachteil für die heimische Landwirtschaft. Das würden wir nicht durchgehen lassen, wir stellen uns dagegen. Zweitens hat die Tierhaltungskennzeichnung keinerlei Einfluss auf bessere Haltungsbedingungen oder den Tierschutz. Denn warum sollte ein Schweinehalter seinen Stall für mehrere Millionen Euro umbauen und die Haltungsbedingungen verbessern, wenn er dann auf den Kosten sitzenbleibt, weil niemand die teure Ware kauft? Falls Sie, Herr Minister, es in Ihrem Elfenbeinturm noch nicht mitbekommen haben sollten: Wir befinden wir uns inmitten einer der schwersten Inflationen seit den 50er-Jahren. Die meisten Deutschen können sich schon heute kaum noch Fleisch leisten. Vielleicht ist es die Absicht der Grünen – das weiß ich nicht –, aber das ist eine Katastrophe momentan. ({0}) Drittens gibt es auch keinerlei Mehrwert für den Verbraucher; denn die Kennzeichnung gibt nämlich, anders als behauptet, keine Auskunft darüber, ob die Haltung besonders artgerecht ist. Aufzucht und Transport zum Beispiel werden gar nicht berücksichtigt in Ihrem Gesetz. Hier sind die bereits am Markt existierenden privatwirtschaftlichen Tierschutzkennzeichen – ITW ist schon angesprochen worden – deutlich weiter als Ihre Pläne. Ihre Pläne sind vermutlich nur zur Täuschung des Verbrauchers da, meine Damen und Herren. ({1}) Fassen wir noch einmal kurz zusammen. Ihre staatliche Tierhaltungskennzeichnung diskriminiert die heimischen Schweinehalter und verteuert die Produktion massiv. Das bedeutet auch, dass das heimische Fleisch künstlich teurer gemacht wird – und das inmitten der aktuellen Krise, die wir haben. Gleichzeitig verbessern Sie nicht die Haltungsbedingungen, sondern schaden sogar dem Tierschutz. In der Schule würde man sagen: Setzen, sechs! ({2}) – Kriegen Sie keinen Herzinfarkt, bleiben Sie ruhig, ganz chillig, ({3}) ganz ruhig bleiben! Durchatmen, dann wird es besser. ({4}) Kein Wunder, dass so gut wie alle relevanten Verbände, egal ob der Landwirtschaft oder des Handels und sogar Tier- und Umweltschutzverbände, Sturm gegen Ihre praxisfremden Pläne laufen. Sogar der Bundesrat – das haben wir schon gehört – hat fast 60 Änderungen an Ihrem Entwurf eingefordert. Was machen Sie, Herr Minister? Sie ignorieren diese Kritik einfach und wollen Ihre Kennzeichnungspflicht trotz allem und ohne jede Not durch den Deutschen Bundestag boxen. Dass Sie unbelehrbar sind, wussten wir ja bereits, aber Ihre unerträgliche Ignoranz gegenüber allen Einwänden der beteiligten Akteure zeigt mir, wes Geistes Kind Sie in Wirklichkeit sind und wie sehr Sie unsere freiheitliche marktwirtschaftliche Demokratie verachten. Mit uns ist es jedenfalls nicht zu machen, meine Damen und Herren. Der einzige richtige Weg wäre eine vernünftige Herkunftskennzeichnung. Das hilft allen Tierhaltern und den Verbrauchern. Der entsprechende Antrag liegt hier vor; er ist an diesen Tagesordnungspunkt angehängt. ({5}) Wie es richtig funktioniert, wird im zweiten Redebeitrag mein Kollege Peter Felser erklären; denn Landwirtschaft, Umweltschutz und Tierschutz funktionieren nur mit der AfD. Danke schön, meine Damen und Herren. ({6})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Liebe Kolleginnen und Kollegen, einen schönen guten Tag von meiner Seite, auch an die Gäste auf den Besuchertribünen! Schön, dass Sie da sind! Die nächste Rednerin in der Debatte ist Carina Konrad, FDP-Fraktion. ({0})

Carina Konrad (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004789, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in erster Lesung den Gesetzentwurf zur Einführung einer staatlichen Tierhaltungskennzeichnung. Wir Freie Demokraten wollen eine verpflichtende staatliche Tierhaltungskennzeichnung europaweit schon seit sehr, sehr langer Zeit. Von daher bin ich sehr froh, dass wir das heute machen. ({0}) Was wollen wir mit dieser Kennzeichnung erreichen? Wir wollen mehr Landwirten eine verlässliche Basis dafür schaffen, dass sie tatsächlich auch von mehr Tierwohl in ihren Ställen profitieren können, indem durch eine staatliche Kennzeichnung endlich die notwendige und verlässliche Transparenz für die Verbraucher an der Ladentheke hergestellt wird. Dieses Gesetz, das heute vorliegt, ist für uns eine Arbeitsgrundlage. Nahezu alle Verbände, Stakeholder rund um die Landwirtschaft, vom Tierschutz bis zum Bauernverband, und der Handel haben uns in ihren Stellungnahmen schon wertvolle Ratschläge gegeben. Ich bin froh, dass diese wertvollen Ratschläge eingegangen sind. Ich wundere mich, ehrlich gesagt, über die Opposition, die nur kritisiert, aber in der Debatte bisher keinen einzigen Beitrag dazu geleistet hat, was denn besser gehen kann. ({1}) Worum geht es uns Freien Demokraten? Das will ich kurz verdeutlichen. Erstens. Das ist doch ganz klar: Landwirte, die bereits den Weg beschritten haben und in mehr Tierwohl investiert haben, dürfen doch am Ende nicht die Dummen sein. Deshalb haben wir uns innerhalb der Ampel auch schon darauf verständigt, dass sich das Label an bestehenden Initiativen orientieren muss. Wir wollen zweitens das Tierwohl auf keinen Fall nur auf dem Papier im Gesetzestext verankern, sondern wir wollen auch, dass es in der Praxis stattfinden kann. Deshalb müssen wir auch ermöglichen, dass Tierwohl umgesetzt werden kann. Herr Özdemir hat es ja verdeutlicht. Dafür sind Änderungen im Baurecht und auch Änderungen im Bundes-Immissionsschutzgesetz, ganz konkret bei der TA Luft, notwendig. Das müssen wir auch machen. Ich hätte es gut gefunden, wenn wir direkt die erste Lesung der Baurechtsdebatte heute hätten anschließen können. Das wird folgen. Bei der TA Luft müssen auch die Länder ihren Beitrag leisten. Da können sie dann vielleicht auch mal konkrete Vorschläge machen, wie man baurechtliche Weichen so stellt, dass Landwirte dazu befähigt werden, Tierwohl auch umzusetzen. ({2}) Denn die Zeit dieser Verantwortungsschieberei muss jetzt definitiv vorbei sein. Wer auf den Höfen unterwegs ist, der merkt doch, was los ist. So kann es auf jeden Fall nicht weitergehen. Wir wollen Landwirten eine verlässliche Basis und Planungssicherheit schaffen. ({3}) Diese Kennzeichnung ist für uns kein Vehikel für eine einzelbetriebliche Reduktion von Tierbeständen. Ich will ein Beispiel nennen: Worum geht es uns? Mich hat ein junger Mann angerufen, 22 Jahre alt, der den Hof von seinem Vater übernehmen will. Er will den Schweinestall mit 500 Mastplätzen umbauen zu mehr Tierwohl. Das kann er im Moment nicht, weil ihn baurechtliche Hürden hindern. Diesem jungen Mann, der bereit ist, hohe sechsstellige Beträge in die Hand zu nehmen, um in Tierwohl zu investieren, müssen wir den Weg ebnen, dass es möglich ist, ({4}) dass er diesen Markt, den er sich bereits erschlossen hat, bedienen kann und dass er im Laufe seiner Lebenszeit – er ist ja noch sehr jung – auch eine Entwicklung machen kann. ({5}) Das ist doch das, was die Gesellschaft erwartet, was möglich sein muss. Wir werden es doch wohl hinkriegen, das hier zu machen. ({6}) Lassen Sie mich zum Abschluss noch ein Wort sagen, weil das Thema der Finanzierung natürlich alle umtreibt. Wir erleben das doch. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dafür zu sorgen, dass mehr Tierschutz zustande kommt. Dazu müssen alle Akteure in der Wertschöpfungskette ihren Beitrag leisten. Der Handel überbietet sich dabei – das ärgert mich wirklich –, bessere Haltungsformen in seinen Werbeblättchen für sich zu bewerben. Zumindest jetzt muss doch der Zeitpunkt sein, dass den Worten Taten folgen.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Carina Konrad (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004789, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bessere Tierhaltung gibt es nicht zum Nulltarif. Wir müssen als Staat den Weg ebnen. Das begleiten wir, aber jeder muss seinen Beitrag leisten; denn wir können nicht dauerhaft die Schäden quersubventionieren, –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Letzter Satz, bitte.

Carina Konrad (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004789, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

– die durch diese Preispolitik passieren. Da werden wir eine gute Lösung finden und die Gespräche nicht scheuen. Vielen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Die Linke hat das Wort Ina Latendorf. ({0})

Ina Latendorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005123, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Grundsätzlich begrüßen wir Linken die verbindliche Tierhaltungskennzeichnung auf Lebensmitteln. Die freiwillige Kennzeichnung, wie es der Handel gerade macht, umfasst nicht alle Fleischangebote, und es haben nicht alle Hersteller mitgemacht. Ziel dieses Labels war vor allem, sich über ein Vermarktungskriterium von Konkurrenzprodukten abzuheben. Schlechtere Haltungsformen wurden eher nicht gekennzeichnet. Eine staatliche Kennzeichnung hingegen soll die Endverbraucherinnen und Endverbraucher neutral informieren. Sie wird kontrolliert und ist verpflichtend. ({0}) Das Gesetz ist damit ein Schritt in die richtige Richtung. ({1}) Doch nun zu den Lücken: Zuerst wäre aus meiner Sicht eine Anpassung der Tierschutzgesetzgebung und der Nutztierhaltungsverordnung nötig und wichtig. Hierdurch wäre eine Anhebung des gesetzlichen Mindeststandards für alle Tierarten möglich. Dies ist längst überfällig. ({2}) Der Minister sagte eben: „Wir müssen jetzt endlich loslegen!“ Kollegin Mittag sagte: Neun Gesetze sind in der Pipeline, sind angekündigt. – Und ich sage: Tun Sie es! Wir werden hier konstruktiv mitarbeiten. ({3}) Kritisch ist aus meiner Sicht zweitens, dass die vorgeschlagene Regelung nicht geeignet ist, den gesamten Lebenszyklus aller Tierarten abzubilden. Dies würde die Bewertung von der Erzeugung bis hin zur Schlachtung bei allen tierischen Produkten, sowohl bei einheimischen als auch bei Importprodukten, bedeuten – und dies gemeinsam in Europa. Das wäre die Komplettlösung. ({4}) Kritikpunkt Nummer drei. Dieses Siegel bildet nur den aktuellen Zustand ab. Aber unser Ziel muss es sein, den Standard in der Tierhaltung konsequent weiterzuentwickeln, ihn über alle Tierarten und Wirtschaftsformen hinweg deutlich anzuheben, und zwar gemeinsam mit den Tierhaltern; das kann ich hier nur wiederholen. Die bäuerlichen Landwirtschaftsbetriebe kritisieren, dass die Empfehlungen der Borchert-Kommission viel weitreichender und zukunftsweisender waren als dieser Gesetzentwurf; es fehle an einer Synchronisierung zwischen Tierhaltungskennzeichnung, Nutztierhaltungsverordnung, Finanzierung, Baurecht und Immissionsschutzrecht. Ein weiterer – vierter – Kritikpunkt. Diese zusätzliche Kennzeichnung wird die Verbraucherinnen und Verbraucher, befürchte ich, verwirren, weil die bestehenden Kennzeichnungen mit der angestrebten nicht kompatibel sind. Kritikpunkt Nummer fünf. Die Verbraucher/-innen werden mit dieser Kennzeichnung getäuscht. Sie könnten es als Tierwohllabel verstehen, als eine Aussage, dass es den Tieren besonders gut gehen würde. Aber das ist nicht der Fall. Beim gesetzlichen Mindeststandard „Stall“ ebenso wie bei den unteren Stufen des Labels wie „Stall+Platz“ ist ein ausreichendes Mindestmaß an Tierschutz und Tierwohl einfach nicht gegeben. Konventionelle Tierhalter, die in Tierwohl investiert haben, welches über die EU-Öko-Verordnung hinausgeht, landen nach den bisherigen Entwürfen in einer niedrigeren Stufe als Biobetriebe, die nur das absolute Minimum erfüllen. Das darf aus meiner Sicht nicht sein. ({5}) Bisher reden wir hier ausschließlich vom Schweinefleisch. Es fehlen die konkreten Termine für die Erweiterung der Kennzeichnungspflicht für verarbeitete Produkte und weitere Tierarten. Auch die Bundestierärztekammer kritisiert wie wir, dass der Entwurf weit hinter den Erwartungen zurückbleibt. Selbst die freiwillige Kennzeichnung der Handelsketten umfasst neben Schwein auch Rind, Geflügel sowie Kaninchen. Warum, meine Damen und Herren, schaffen Sie es nicht, diese in Ihr Gesetz mit aufzunehmen? ({6}) Und auf noch einen Punkt möchte ich eingehen. Dieses Gesetz geht zulasten Dritter. Der große Brocken der Kosten und der Arbeit liegt nämlich bei den Ländern. Von den 1,4 Millionen Euro Erfüllungsaufwand haben die Länder 1,34 Millionen Euro zu tragen. Auch die praktische Umsetzung ist durch die zuständigen Behörden der Länder zu leisten. Das sind häufig die Veterinärämter; deren Be- und Überlastung haben wir hier in der vergangenen Sitzungswoche debattiert und uns ganz klar vor Augen geführt. Verehrte Kollegen aus der Ampel, Sie wollen mit diesem Gesetz dem Verbraucher Orientierung geben. Ich sage Ihnen: Man muss sich, gerade in diesen Zeiten, eine Wahl zwischen „Stall“ und „Bio“ erst mal leisten können. Solange dies nicht der Fall ist, hilft uns die Kennzeichnung nicht weiter. Vielen Dank. ({7})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Bevor wir zur nächsten Rednerin kommen, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf zur Einführung einer Strompreisbremse mitteilen: abgegebene Stimmenkarten 661. Mit Ja haben gestimmt 273, mit Nein haben gestimmt 187, Enthaltungen 101. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. ({0}) Wir kommen zur nächsten Rednerin. Das ist unser heutiges Geburtstagskind. Liebe Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen, Sie haben das Wort. ({1})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht um die Zukunft der Tierhaltung. ({0}) Wir haben jetzt viel an Kritik gehört; ({1}) aber trotz alledem bin ich der festen Überzeugung, dass hier wirklich ein bzw. der Grundstein für den Umbau der Tierhaltung in Deutschland und auch in der Europäischen Union vorgelegt wurde, meine Damen und Herren. Weil die vorgeschlagene Kennzeichnung an manchen Stellen zu anderen, schon existierenden Siegeln abgegrenzt wird: Es reicht eben nicht, ein freiwilliges Siegel zu haben und zu beten, dass möglichst viele mitmachen, meine Damen und Herren. Deshalb verstehe ich gar nicht, warum Sie das immer hochhalten und an den Kriterien festmachen. Die Frage ist nicht nur, welche Kriterien da sind, sondern auch, wie viel in der Realität am Ende umgebaut wird, welche Perspektiven die Bauern haben. ({2}) Das ist der entscheidende Punkt. Und: Lesen hilft ja auch. Als Allererstes will ich sagen: Der ganze Bereich der Tierhaltung steht sowieso vor einer Umwälzung. Wir müssen eines leisten, nämlich das Ganze jetzt irgendwie zu strukturieren. Es gibt zum einen immer mehr Menschen, die pflanzliche Alternativen essen. Das ist eine Konkurrenz, aber auch eine Chance für den Ackerbau. ({3}) – Einige klatschen; genau. – Der Fleischkonsum in Deutschland sinkt deutlich. Wir produzieren vieles für den Export, meine Damen und Herren. Im Ausland wird mittlerweile aber auch selbst produziert. Wir kennen die Problemlagen an dieser Stelle: 40 Prozent aller geschlachteten Schweine weisen Organbefunde, also Krankheiten, bei der Schlachtung auf. Die Realität in der Fleischindustrie – auch bei uns – wird im wahrsten Sinne des Wortes geschönt. Zum anderen sagen die Bauern – wir wissen, dass es einen Rückgang bei den Betrieben gibt, vornean bei den Schweinehaltern –: Wir wollen endlich verlässliche Linien haben, wohin wir uns ausrichten sollen. Wir wollen eine Perspektive. – Ich sage Ihnen: Dieser Gesetzentwurf, den Cem Özdemir hier vorgelegt hat, ist der Grundstein dafür, etwas Neues zu bauen, und zwar systematisch. ({4}) Am Ende werden in Deutschland sowieso weniger Tiere gehalten; es wird wahrscheinlich auch weniger Exportorientierung geben. Aber was es auch geben muss, ist mehr Akzeptanz für Tierhaltung in Deutschland. Deshalb: Es muss sich etwas dahin gehend verändern, dass Tierhaltung in Deutschland vereinbar und im Einklang mit den Vorschriften des Grundgesetzes ist, mit dem Tierschutz, mit Klimaschutz, mit Artenvielfalt. Das alles wollen wir bauen. Ich finde, nach 16 Jahren ist es unsere verdammte Pflicht, statt immer nur zu diskutieren, jetzt tatsächlich ein System aufzulegen, das nicht nur einen Umbau möglich macht, sondern auch den Bäuerinnen und Bauern, den Tierhalterinnen und Tierhaltern, die schon jetzt Tiere anders halten als nach den gesetzlichen Mindeststandards, eine faire Präsentationsmöglichkeit am Markt gibt, meine Damen und Herren. ({5}) – Ja, sehr gut. Ich sehe, hier sind die Fans von ITW. Ich weiß, dass Sie bei ITW schon längst Gutachten haben und in Brüssel das Ganze versuchen zu torpedieren. So was lieben wir ja, wenn man sozusagen andernorts die Bundesregierung torpedieren möchte. Tun Sie das ruhig! ({6}) Aber belegen Sie uns mal – auf die Zahlen warte ich noch –, wo ITW zu einem grundsätzlichen Umbau geführt hat, meine Damen und Herren! ({7}) – Nein, nicht „natürlich“. Wenn ich in den Laden gehe – ich weiß nicht, wo Sie hingehen –, dann finde ich Produkte aus oberen Haltungsstufen fast überhaupt nicht. Sie können mir viel erzählen! ({8}) Ich sage Ihnen, wie wir den Umbau vornehmen. ({9}) Es wird so sein, meine Damen und Herren – das hier ist der Grundstein –: Wir werden in den nächsten Monaten weitermachen mit der Ausweitung auf verarbeitete Produkte, mit der Ausweitung nicht nur auf den Handel, sondern auch auf die Gastronomie. Sie werden es im Restaurant und bei der Außer-Haus-Verpflegung sehen. Es werden weitere Arten dazukommen; denn – Sie kennen sich ja EU-rechtlich so gut aus – ein Gesetzentwurf muss in Brüssel erst mal notifiziert werden. Dann kommen die Rechtsverordnungen für den gesamten Lebenszyklus für andere Tierarten. ({10}) Dann kommt – da werden Sie es bestimmt unterstützen – die Novellierung des Tierschutzgesetzes. Da werden wir all die Ausnahmen, die Sie in 16 Jahren nicht gestrichen haben, endlich streichen. ({11}) Wir werden eine Herkunftskennzeichnung einführen, sodass Sie von Anfang an erkennen: Wo gekennzeichnet ist, ist garantiert deutsches Fleisch drin. Wir werden eine Ernährungsstrategie –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– ich komme zum Schluss – auflegen, die auf der Nachfrageseite dafür sorgt, dass etwas, was für die Hersteller und für die Kundinnen und Kunden transparent ist, am Ende auch gekauft wird.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Letzter Satz, bitte, Frau Künast.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Mein letzter Satz, Frau Präsidentin. – Ich nehme mir noch mal heraus, etwas zu Herrn Stegemann zu sagen. Sie haben hier viel erzählt. Sie haben viel erzählt von einem Vorspiel, ({0}) davon, dass Sie angeblich die Vorarbeit an dieser Stelle geleistet hätten. ({1}) Ich sage Ihnen mal: 16 Jahre Vorspiel sind nicht genug. Es muss auch mal zum Äußersten kommen. ({2})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Die nächste Rednerin in der Debatte ist für die Unionsfraktion die Kollegin Christina Stumpp. ({0})

Christina Stumpp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005235, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verbraucherinnen und Verbraucher sollen zukünftig auf einen Blick erkennen, wie ein Tier in landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland gehalten wird. Das ist das, was Sie, sehr geehrter Herr Minister, mit dem Tierhaltungskennzeichnungsgesetz erreichen wollen. Das begrüßen wir als Union. Wie so oft in Ihrer Regierung ist das Gesetz aber handwerklich schlecht gemacht. ({0}) Denn mit dem vorliegenden Entwurf erreichen Sie genau das Gegenteil. Sie kennzeichnen mit den vorgesehenen fünf Haltungsstufen ausschließlich die Schweinemast. Wenn sich eine Familie zu Weihnachten einen guten Schweinebraten gönnen will, weiß sie zwar zukünftig beim Kauf, unter welchen Bedingungen das Schwein gemästet wurde, sie weiß aber nicht, unter welchen Umständen das Ferkel geboren und wo es aufgezogen wurde. Wurde es vielleicht im Ausland betäubungslos kastriert und anschließend importiert? Hat das Schwein nach der Mast bei Transport und Schlachtung womöglich unnötig gelitten? Fragen über Fragen, die weiter offenbleiben – so viel zur Transparenz und Ehrlichkeit der Grünen. ({1}) Und die Liste lässt sich noch weiter fortsetzen. Die Kennzeichnung ist nur für frisches Schweinefleisch vorgesehen. ({2}) Bei der von Ihnen geplanten Regelung würden Sie also maximal 25 Prozent des Schweinefleisches kennzeichnen. Es fehlen verarbeitete Waren. Es fehlen die Vertriebswege der Gastronomie und der Außer-Haus-Verpflegung. Es fehlen die anderen Tierarten. Ihr Stückwerk, Herr Minister, verspielt das Vertrauen unserer Verbraucher. ({3}) Auch die von Ihnen vorgesehene eigene Stufe „Bio“ innerhalb der Logik einer Tierhaltungskennzeichnung schafft Verwirrung. Gerade die Einordnung der ökologisch erzeugten tierischen Lebensmittel in die oberste Stufe suggeriert, ({4}) dass es sich dabei um die beste Haltungsstufe handelt. Für die Stufe „Bio“ gelten aber – anders als für die anderen vier Haltungsstufen – nicht die Vorgaben des Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes, sondern die der EU-Öko-Verordnung, und die stellen nicht unbedingt die höchsten Haltungsvorgaben für Tiere dar. ({5}) Bereits jetzt gehen einige privatwirtschaftliche Kennzeichnungssysteme vom Umfang her über das von Ihnen geplante Siegel deutlich hinaus. So sind dort unter anderem auch andere Tierarten und die Finanzierung schon inbegriffen. Ein gutes Beispiel ist die hier bereits erwähnte Initiative Tierwohl. Schauen wir auf die im Handel bereits breit etablierte Kennzeichnung mit den Haltungsstufen 1 bis 4. Diese ist bei der Verbraucherschaft schon hinreichend bekannt und akzeptiert. Wenn das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz so in Kraft tritt, wie es hier vorliegt, wird die Kennzeichnung dieses freiwilligen Programms für frisches Schweinefleisch in der aktuellen Form oder überhaupt nicht mehr möglich sein. Das heißt, das bisherige vierstufige System wird nicht weiter verwendet werden können. In der Folge werden die Leistungen der privatwirtschaftlichen Programme wegbrechen. Das Tierwohlniveau in Deutschland wird dramatisch sinken, und ein Großteil der Tierhaltung wird ins Ausland verlagert. Das kann nicht Ziel und Zweck Ihres Vorhabens sein! ({6}) – Nein, sicherlich nicht, Frau Künast. Dafür sind Sie verantwortlich. Wenn Sie es mit mehr Verbrauchertransparenz wirklich ehrlich meinen, dann beziehen Sie auch ausländische Produkte zu gleichen Bedingungen in die verbindliche Haltungskennzeichnung ein. ({7}) Denn sonst ist das geradezu eine Einladung zur Verbrauchertäuschung. Das Gesetz enthält nämlich keine Regelung, die unsere Behörden ermächtigt, die Einhaltung der jeweiligen Haltungsanforderungen freiwillig teilnehmender ausländischer Betriebe unmittelbar zu überprüfen, geschweige denn, diese vor Ort kontrollieren zu können, liebe Damen und Herren. Das führt für mich zum nächsten Aspekt. Die Tierhaltungskennzeichnung muss mit einer Herkunftskennzeichnung einhergehen. ({8}) Denn nur dann weiß ich als Konsumentin verlässlich, ob ich die beste und lückenlos kontrollierte Qualität aus Deutschland auf den Teller bekomme. ({9}) Die Verbraucherinnen und Verbraucher wollen fünfmal Deutschland – von der Geburt bis zur Verarbeitung. ({10}) Sie wollen überall eine umfassende Tierhaltungs- und Herkunftskennzeichnung: in der Gastronomie und in der Außer-Haus-Verpflegung. ({11}) Sehr geehrter Minister, zwischen der Ankündigung Ihrer Vorhaben und deren Umsetzung vergeht sehr viel Zeit – zu viel Zeit. Seit der Vorstellung Ihrer Eckpunkte zum Tierhaltungskennzeichnungsgesetz sind sage und schreibe sechs Monate vergangen. ({12}) Sechs Monate, in denen Sie auf die zahlreiche Kritik der beteiligten Player hätten eingehen können. Ich verstehe, Sie wollen in die Veränderung einsteigen. Aber dass der Gesetzentwurf in der Verbandsanhörung durch die Bank verrissen wurde – das ging von den Landwirten über die Schlachtunternehmen bis hin zu den Tierschutzorganisationen – und nunmehr auch im Agrarausschuss des Bundesrates abgelehnt worden ist, ({13}) können Sie doch nicht einfach ignorieren. ({14}) Nur mit allen Beteiligten ist die Veränderung möglich und nicht gegen sie. Lassen Sie unsere Landwirte nicht weiter in Ungewissheit und mit Zukunftssorgen auf der Wartebank sitzen! ({15}) Wir alle wollen den Umbau der Tierhaltung. ({16}) Dazu braucht es aber nicht nur ein vollständiges Tierhaltungskennzeichnungsgesetz, ({17}) das alle Wertschöpfungsstufen, alle Tierarten und alle Vertriebskanäle umfasst, sondern zeitgleich auch eine Änderung des Bau- und Immissionsschutzrechtes und insbesondere eine langfristige, planbare und auskömmliche Finanzierung. ({18}) Nur mit einem guten Gesamtkonzept wird der Weg zu mehr Tierwohl gelingen. Vielen Dank. ({19})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Die nächste Rednerin ist Luiza Licina-Bode für die SPD-Fraktion. ({0})

Luiza Licina-Bode (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005128, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister! Die Landwirtschaft steht vor einem Neuanfang. Eine neue Ära beginnt mit diesem Gesetzentwurf. ({0}) – In Ihre Richtung gesagt: Wir machen es jetzt einfach. Wir wollen mit dem Reden aufhören. ({1}) Der Umbau der Nutztierhaltung in Deutschland soll mit diesem Gesetzentwurf auf den Weg gebracht werden. Der Gesetzentwurf schafft eine staatliche Nutztierhaltungskennzeichnung für Frischfleisch. Gekennzeichnet werden fünf verschiedene Haltungsformen, beginnend mit Schweinefleisch: Stallhaltung, Stallhaltung+, Haltung im Frischluftstall, die Auslaufhaltung bzw. die Freilandhaltung und die Biohaltung. Mit der staatlichen Haltungskennzeichnung wollen wir beim Einkauf für Verbraucher/-innen transparente und gezielte Kaufentscheidungen ermöglichen und zugleich den Tierschutz stärken. ({2}) Wenn wir ein Überleben der Tierhaltung in Deutschland langfristig sichern wollen, brauchen wir die gesellschaftliche Akzeptanz. Die können wir nur erreichen, wenn die Nutztierhaltung für die Tiere genug Platz, Licht, Auslauf, Beschäftigung und Hygiene im Stall vorhält. Die Bilder aus den Betrieben, wo Tiere vernachlässigt oder misshandelt werden, die in den letzten Wochen und Monaten immer wieder durch die Medien gingen, zeigen ganz deutlich, dass wir endlich handeln müssen. Wir brauchen mehr und effizientere Kontrollen in den Betrieben. Und wir müssen auch Straftaten zulasten von Tieren konkret und konsequent verfolgen. ({3}) Von 2023 bis 2026 haben wir für den Umbau der Tierhaltung insgesamt 1 Milliarde Euro vorgesehen. Davon werden 2023 über ein neues Bundesprogramm für den Anfang 150 Millionen Euro für Stallumbauten und den tiergerechten Umbau zur Verfügung gestellt. Der Nutztierhaltung geben wir damit Planungssicherheit bei den Kosten für den Umbau und auch bei den laufenden Mehrkosten in den Ställen, was hoffentlich für mehr Tierwohl sorgen wird. Zur Finanzierung werden derzeit unterschiedliche Modelle diskutiert. Ich möchte heute bei Ihnen noch mal für das bürokratiearme Modell der Steuererhöhung werben; denn regelmäßige Steuereinnahmen lassen uns den Umbau in der Landwirtschaft langfristig und sicher finanzieren. In vielen Gesprächen, die ich mit Landwirtinnen und Landwirten geführt habe, wurde meines Erachtens deutlich, dass das eine berechtigte Forderung ist, bevor wir neue Bürokratiemonster schaffen. Parallel können wir überlegen – das ist auch schon oft Thema gewesen –, die Steuersätze auf Obst und Gemüse herunterzusetzen und diese wichtige Maßnahme auch gesundheitspolitisch zu flankieren. Als Tierschutzbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion ist mir aber besonders wichtig, dass die Kennzeichnung am Ende das hält, was sie verspricht. Eine Kritik, die angebracht wurde, war, dass wir überlegen müssen, nicht nur die Mastphase staatlich zu kennzeichnen, sondern in dem Zusammenhang auch den kompletten Lebenszyklus in den Blick zu nehmen und vom Gesetzentwurf erfassen zu lassen. Die Geburt, die Aufzucht der Ferkel, die Mast, den Transport und die Schlachtung müssen wir einbeziehen. Wir müssen den Sauenhaltern und der Ferkelzucht hier in Deutschland eine Perspektive geben, dass sie von dem Förderprogramm profitieren und für die Tiere mehr Tierschutz ermöglichen. ({4}) Bei der Kennzeichnung selber besteht für meinen Geschmack auch ein wenig Handlungsbedarf. Auslauf- und Freilandhaltung sollten für mich nicht auf einer Ebene nebeneinanderstehen. Die entsprechenden Änderungen in der Nutztierhaltungsverordnung müssen wir unbedingt konkretisieren. Wir müssen definieren, wie ein Auslauf beschaffen sein soll, damit wir am Ende überhaupt feststellen können, ob Auslauf- und Freilandhaltung vergleichbar sind und nebeneinanderstehen können. Denn wer aktuell Tiere in einem geschlossenen Stall hält und lediglich eine Wand entfernt, davor eine kleine Betonplatte zementiert und einen sogenannten Auslauf anbietet, der würde mit dieser kleinen Maßnahme von der Stallhaltung in die Freiland- und Auslaufhaltung gelangen. Das suggeriert am Ende vielleicht etwas, was wir den Verbrauchern nicht suggerieren sollten: ein sogenanntes Tierwohl, das auf dieser Ebene eigentlich gar nicht gegeben ist. Die Freilandhaltung ist eben nach Tierhaltungsgesichtspunkten eine Premiumhaltung. Deshalb muss diese meines Erachtens für sich stehen. Oder wir müssen überlegen, ob diese nicht neben der Biohaltung stehen sollte. Mehr Tierwohl bedeutet auch – das ist ein Punkt, den ich gerne noch ansprechen möchte –, zu überlegen, bei allen Haltungsstufen zwingend Liegebereiche mit eingestreutem Stroh vorzuschreiben. Tiere, die dauerhaft auf Betonplatten oder auf Spalten liegen, das muss endlich der Vergangenheit angehören, weil auch Tiere ein Recht darauf haben, mal weich liegen zu dürfen. ({5}) Außerdem hat sich im Gespräch mit vielen Landwirtinnen und Landwirten herausgestellt, dass Stroh auch Beschäftigungsmaterial ist und das natürliche Verhalten von Schweinen in den Ställen fördert, wodurch sich auch das immer wieder auftretende Ringelschwanzbeißen maßgeblich reduziert, wenn wir diese Maßnahme für alle Haltungsstufen ergreifen. Staatliches Geld für den Umbau gibt es nur einmal, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deshalb werden wir in den nächsten Wochen darüber sprechen müssen, die Anforderungen so hoch wie möglich zu schrauben, damit wir am Ende da ankommen, wo wir ankommen wollen, und möglichst viel Tierwohl erreichen. Für die Verbraucher/-innen ist die Erweiterung der Kennzeichnung auf die Außer-Haus-Verpflegung, Gastronomie und verarbeitete Produkte wichtig. Da werden wir in den kommenden Gesprächen auch noch mal nachjustieren. Es ist eben so, dass kein Gesetz so aus dem Parlament rausgeht, wie es reingekommen ist; das wissen wir alle. In diesem Sinne wünsche ich mir, dass dieses Gesetz entscheidend dazu beiträgt, Tierschutz, Transparenz für Verbraucher/-innen und am Ende auch Planungssicherheit für unsere Landwirtschaft zu gewährleisten. Wir werden das Realität werden lassen. Das Fundament ist durch den Gesetzentwurf des BMEL gelegt. Ich freue mich auf die Beratungen. Vielen Dank. ({6})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die AfD-Fraktion hat das Wort Peter Felser. ({0})

Peter Felser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004714, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kollegen! Liebe Gäste! Liebe Landwirte! Dass die von Ihnen geplante Tierhaltungskennzeichnung kontraproduktiv für alle Beteiligten wäre, hat mein Kollege Protschka schon ausgeführt. Zu Recht bekommen Sie dafür von allen Seiten innerhalb der Branche Kritik. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin den Verband der Fleischwirtschaft: Das Gesetz wird nichts zum Umbau der Tierhaltung beitragen, sondern zum Abbau der Versorgungssicherheit aus deutscher Fleischerzeugung und vermutlich auch zum Abbau der bereits erreichten Tierhaltungsfortschritte. – Das muss doch allen hier Anwesenden zu denken geben. Das können wir doch gerade in der aktuellen Krise nicht zulassen, liebe Kollegen. ({0}) Was hingegen eine starke Unterstützung für die Branche und alle Beteiligten wäre und auch schon längst überfällig ist, ist die verbindliche Herkunftskennzeichnung von Lebensmitteln insgesamt. Wir haben das schon wiederholt gefordert und erneuern diese Forderung heute mit unserem Antrag. Die Realität sieht doch so aus, dass sich die deutsche Landwirtschaft in einem harten Verdrängungswettbewerb befindet. Gegen die Dumpinglebensmittel aus dem Ausland haben die heimischen Landwirte effektiv kaum Chancen. Umwelt- und Tierschutz spielen bei der Erzeugung im Ausland kaum eine Rolle. Das ist doch jedem hier in Wahrheit auch bewusst. Eine transparente Kennzeichnung der Herkunft könnte das jedoch entscheidend verändern. Es kann doch nicht sein, liebe Kollegen, dass es Lebensmittel gibt, die Zutaten aus Polen, aus China, aus Brasilien enthalten, aber der Verbraucher sieht das gar nicht im Lebensmittelmarkt. Was ist denn das für eine Kennzeichnung, wenn draufsteht: „Honig aus EU- und Nicht-EU-Ländern“? Hallo? Aus Nicht-EU-Ländern? Also von der ganzen Welt, vom ganzen Planeten? Das ist doch keine Verbraucherinformation, das ist eine Veräppelung der Verbraucher, sonst nichts. ({1}) Bei mir im Allgäu wird Allgäuer Milch vermarktet, die zum Teil gar nicht aus dem Allgäu kommt. Wo Allgäu-Milch draufsteht, muss zukünftig auch Allgäu-Milch drin sein, liebe Kollegen. Punkt! Alles andere wäre Verbrauchertäuschung. ({2}) Mit der Herkunftskennzeichnung wären heimisch erzeugte Agrarprodukte auf einen Schlag für jeden sichtbar. Verarbeiter und Verbraucher könnten sich also bewusst für heimische Produkte und damit für sehr hohe Tierschutz- und Umweltstandards entscheiden. Von allen relevanten Umfragen wissen wir, dass das draußen bei den Verbrauchern auch explizit erwünscht ist. Dass diese wichtige Entscheidung immer wieder auf die lange Bank geschoben wird, ist unverantwortlich. Österreich, Frankreich und Schweden sind hier bereits erfolgreich vorangeschritten. Es gibt also keinen sachlichen und fachlichen Grund, warum wir das nicht auch sofort hier in Deutschland einführen könnten. Mit unserem Antrag geben wir Ihnen heute die Gelegenheit, genau diese Herkunftskennzeichnung endlich auch bei uns in Deutschland einzuführen. Vielen Dank und gesegnete Weihnachten! ({3})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die FDP-Fraktion hat das Wort Dr. Gero Hocker. ({0})

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Verehrte Frau Präsidentin! Vorweg ein Wort in eigener Sache: Dass einige Kolleginnen und Kollegen, auch ich, heute etwas verschwitzt vor Ihnen stehen, liegt daran, dass zeitgleich ein fraktionsübergreifendes Tischtennisbenefizturnier hier im Hause zugunsten von Parkinsonerkrankten stattfindet. Ich möchte, auch wenn er gerade nicht dabei sein kann, Albert Stegemann ganz herzlich danken, dass er da in der wichtigen Funktion als Schirmherr tätig ist, und deswegen ist er heute nicht da. Also: Vielen Dank an alle, die teilgenommen haben. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, viele Menschen behaupten, sie würden gerne mehr Steuern zahlen, als das von ihnen gesetzgeberisch erwartet wird. Das Konto für freiwillige Zuwendungen des Bundes erfreut sich in den letzten elfeinhalb Monaten des Jahres 2022 ganzer 51 000 Euro, und das bei ungefähr 46 Millionen lohn- und einkommensteuerpflichtigen Menschen in Deutschland. ({1}) Auch bei der Frage, was Menschen für Lebensmittel ausgeben, behaupten ganz viele, dass sie gerne bereit wären, einen höheren Preis für Lebensmittel zu bezahlen. Wir wissen aber seit vielen Jahren, dass nur ungefähr jeder zehnte Mensch seinen Ankündigungen tatsächlich an der Supermarktkasse Taten folgen lässt. Das ist eine fatale Entwicklung, meine Damen und Herren. Denn so werden gerade diejenigen aus dem Markt herausgedrängt, die schon jetzt in den allermeisten Fällen nach höchsten Standards in Deutschland Lebensmittel erzeugen. Und diejenigen werden honoriert, die das im Ausland häufig zu sehr viel niedrigeren Standards tun. Deswegen, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist der Gesetzgeber hier gefordert, endlich mehr Transparenz walten zu lassen. ({2}) Es wird argumentiert, dass die mangelnde Transparenz bzw. mangelnde Deklaration der Grund dafür ist. Ich will es nur mal ganz am Rande sagen: Auch jetzt gibt es ja durchaus Orientierungsmöglichkeiten, beim Kauf von Lebensmitteln darauf zu achten, dass es einen möglichst kleinen CO2-Fußabdruck gibt, dass es Tieren gut gegangen ist, dass hohe Standards eingehalten wurden. Daher kann ich nur an alle Verbraucher appellieren, regional und saisonal einzukaufen. Damit ist übrigens schon jetzt, vor Einführung des sinnvollen Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes, ein großer Dienst für Nachhaltigkeit und Biodiversität erwiesen, meine Damen und Herren. ({3}) Aber diese Koalition geht trotzdem weiter. Erstmals in der Geschichte dieses Landes soll es möglich sein, auf den ersten Blick zu erkennen, wie, wo und nach welchen Standards ein Tier gehalten wurde. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist weit mehr, als in den letzten Jahren und Jahrzehnten bei einer Vielzahl von vergeigten Versuchen, das zu erreichen, vonseiten der Union gekommen ist. ({4}) Aber uns ist klar: Ein Kennzeichen alleine wird nicht ausreichen, sondern wir müssen auch die Voraussetzungen dafür schaffen, dass ein Umbau tatsächlich erfolgen kann. Wir müssen endlich ans Baugesetz ran, ({5}) damit die Kommunen vor Ort, damit die Landkreise vor Ort endlich Genehmigungen erteilen, damit Landwirte in neue oder in umgebaute Stallungen investieren können und damit das überhaupt umgesetzt werden kann. ({6}) Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten sehr genau darauf achten, dass nicht quasi durch die Hintertür mit der Novelle zum Baugesetzbuch dafür gesorgt wird, dass es insgesamt weniger Tiere geben muss. Denn, meine Damen und Herren, wenn der Fleischkonsum sich nicht ändert, würde das nur bedeuten, dass dann mehr tierische Produkte aus dem Ausland nach Deutschland importiert werden würden, und dann würde man den Zielen von mehr Tierwohl und mehr Transparenz tatsächlich einen Bärendienst erweisen. ({7}) Deswegen werden wir bei den Verhandlungen während der nächsten Wochen und Monate genau darauf achten, dass das nicht passiert, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({8}) Und ich will einen zweiten Punkt nennen, der uns in den Verhandlungen sehr wichtig ist. Ob ein Tier „Bio“ ernährt wurde und Biofutter bekommen hat, sagt nichts, aber auch wirklich gar nichts aus darüber, wie gut es dem Tier zu Lebzeiten gegangen ist, wie viel Platz es hatte. Deswegen muss man auch hier sehr wohl noch intensive Diskussionen führen und sehr wohl hinterfragen, ob diese Systematik, als eine Haltungskennzeichnung das Biolabel zu verwenden, tatsächlich sinnlogisch ist. Meine Damen und Herren, das ist mir und meiner Fraktion insgesamt besonders wichtig: Wir werden auch darauf achten, dass bestehende Strukturen, die – häufig genug privatwirtschaftlich organisiert – bereits seit sehr vielen Jahren einen erheblichen Beitrag dafür leisten, dass tatsächlich sinnvoll und effektiv kontrolliert wird, dass Betriebe sich an bestimmte Standards und Vorgaben halten, ({9}) nicht zerschlagen werden, sondern all das, was der Gesetzgeber jetzt auf den Weg bringt, auf diesen Ideen und diesen erwiesenermaßen guten Konzepten aufbaut. Vielen Dank fürs Zuhören. ({10})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die Unionsfraktion hat Max Straubinger das Wort. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Geschätzte Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir unterhalten uns ja über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Tierwohlkennzeichnung. Außer Frage steht: Wir treten natürlich auch dafür ein, dass das Tierwohl im Mittelpunkt steht und dass Produkte auch entsprechend gekennzeichnet werden. ({0}) Aber das muss auch richtig erfolgen und darf nicht so lückenhaft und so schlecht sein, wie es in diesem Gesetz gemacht wird. Meine geschätzten Vorredner haben bereits darauf hingewiesen; selbst aus der Koalition heraus hat der Kollege Hocker ja ebenfalls auf die Defizite dieses Gesetzes hingewiesen. Und das zeigt ja auch die Abstimmung im Bundesrat sehr deutlich. ({1}) Die Frau Kollegin hat es schon dargelegt: Die Mehrzahl der Landwirtschaftsminister im Bundesrat hat es abgelehnt, auch die grünen Landwirtschaftsminister. ({2}) Im Agrarausschuss wurde es abgelehnt. ({3}) Und im Plenum gab es nachher 58 Einwände, ({4}) auf die einzugehen ist. Einer davon war zum Beispiel die Forderung, hier europaweite Kennzeichnungen herbeizuführen, ({5}) was diese Bundesregierung nicht schafft und nicht kann. ({6}) Sie haben früher ja auch immer gefordert, wir sollten das europaweit schaffen. Und wir haben Ihnen immer entgegengehalten, dass es europaweit einfach nicht geht; denn die anderen europäischen Staaten sind nicht bereit dazu, hier dementsprechend mitzuziehen. ({7})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Lieber Herr Straubinger – –

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist auch hier die Aufgabe, und Sie werden es auch nicht schaffen, Frau Künast. – Aber ich freue mich auf Ihre Zwischenfrage.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Sehr gut. – Frau Künast, Sie haben das Wort.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. Er übernimmt schon Ihre Arbeit. Na so was!

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

So bin ich.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich wollte mal sagen: Ich weiß ja nicht, wie Sie jetzt akut über Debatten auf europäischer Ebene informiert sind. Mehrere Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen, auch der Minister, haben gesagt, dass dieses Gesetz das erste in einem ganzen Paket ist. Zu all den Dingen, die Sie als Mangel dieses Gesetzes begreifen und beschreiben, ist also ausgeführt worden, dass sie alle behoben werden, dass weitere Tierarten kommen, dass die Gastronomie kommt, dass Änderungen des Tierschutzgesetzes, eine Herkunftskennzeichnung usw. kommen. ({0}) Jetzt frage ich mich: Haben Sie sich eigentlich mal akut über das informiert, was auf europäischer Ebene läuft? Die EU-Kommission guckt nämlich, bisher zumindest, durchaus mit Interesse auf diesen Entwurf. Wir müssen ihn ja in der EU notifizieren lassen und auch anderen Mitgliedstaaten eine Chance geben, sich einzubringen im Hinblick auf das, was darin enthalten sein soll. Dann haben wir den Türöffner, um wirklich rasant auch alle anderen Dinge mit zu erledigen. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass bei dieser Geschichte die EU-Kommission mit Interesse darauf guckt, dass ein Mitgliedstaat vorangeht, weil das hinsichtlich der Absicht der EU-Kommission, dann selber einen EU-weiten Vorschlag zu machen, auch ein Modell sein kann. Ob er durchkommt oder nicht, wissen wir doch nicht. Oder wissen Sie heute schon, wie in ein, zwei Jahren auf europäischer Ebene im Rat abgestimmt wird? Wenn ja, woher haben Sie das Wissen?

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, das weiß ich nicht. Liebe Frau Künast, da kann ich Ihnen nicht helfen. Ich bin kein Weissager und kann nicht vorhersagen, was in Zukunft sein wird. ({0}) Aber mit den Ankündigungen der Bundesregierung haben wir in diesem Jahr schon erhebliche Erfahrungen gemacht. Es wurden im Hinblick auf Gas zum Beispiel große Ankündigungen durch den Bundeswirtschaftsminister gemacht. Die wurden ja dann, Gott sei Dank, doch nicht umgesetzt. ({1}) Und so zieht sich das ja durch. Auf Ihre Ankündigungen will ich mich nicht verlassen. Das Einzige, was Sie mit Ihren Ankündigungen vielleicht zustande bringen – Sie als Rednerin, Frau Künast, haben ja auch die Ernährungsstrategie angekündigt –, ist, dass mir und auch den Bäuerinnen und Bauern draußen bange wird. Wenn Sie sich zum Beispiel um die Kantine hier bei uns im Bundestag kümmern, wird es, liebe Frau Künast, wohl besser sein, ich mache dann vor dem Bundestag draußen eine Würschtelbude auf. ({2}) Dann werde ich wohl mehr Zulauf haben als Sie hier drinnen in der Körnerbude. Das muss man ja mit betrachten. ({3}) – Frau Künast, ich bin ja noch nicht fertig. ({4}) Frau Künast, es geht letztendlich darum: Sie wollen die Tierhaltung in Deutschland kaputtmachen. Das ist Ihr Ansatz. Sie selbst haben ja gesagt: Wir machen sozusagen einen neuen Grundstock. Da wollen wir was Neues bauen. – Das klingt ja sehr erhaben und großartig. Aber ich sage: Dieses Gesetz ist dazu angetan, die Tierhaltung in Deutschland abzubauen und nicht aufzubauen. ({5}) Da haben wir einen großen Gegensatz. Wir als Union stehen nämlich dafür, dass heimische Produkte und nicht ausländische Produkte auf den Teller kommen. ({6}) Kollege Gero Hocker hat auch prophezeit, dass gerade dies so kommen wird. Er will es zwar nicht; aber dieses Gesetz ist dazu angetan, dass zukünftig mehr Produkte – und zwar vor allen Dingen tierische Produkte wie Fleisch – aus dem Ausland kommen, ({7}) die unter schlechteren Haltungsbedingungen, unter schlechteren Fütterungs- und medizinischen Behandlungsbedingungen erzeugt worden sind. ({8}) Die spanischen Schweinebauern freuen sich über unsere Gesetzgebung. Sie sind derzeit dabei, die Schweinehaltung noch auszubauen. Und warum? Weil sie wissen, dass in Deutschland die Tierhaltung letztendlich immer weniger werden wird, ({9}) weil die Bäuerinnen und Bauern sich die Anforderungen hier nicht leisten können. Frau Kollegin Luiza Licina-Bode hat vorhin gesagt: Wir müssen dann bei der Förderung sehr hohe Grundsätze anwenden. – Ich habe fast den Eindruck gehabt, Sie fordern das möglicherweise, damit die wenigen Fördermittel in Höhe von 150 Millionen Euro gar nicht zur Anwendung kommen können, weil wir so hohe Anforderungen stellen, die kein Landwirt und kein Bauer mehr erfüllen kann bzw. will. ({10}) – Doch, das ist letztendlich Ihre Fantasie von zukünftiger Tierhaltung. ({11}) Jetzt wurde aufs Vielfältigste angemahnt, dass das Baurecht geändert werden müsste. Kollege Hocker hat das hier auch angemahnt. Ich frage: Wo ist hier der Zusammenhang? ({12}) Hier wird jetzt die Tierhaltungskennzeichnung in die Gesetzgebung gebracht. Aber gleichzeitig müsste letztendlich das Baurecht angepasst werden, gleichzeitig müsste das Immissionsschutzgesetz neu definiert werden. Das tun Sie nicht. ({13}) Ich kann Ihnen auch sagen, warum ich weiß, dass Sie es nicht tun werden: weil wir dies über acht Jahre versucht haben und es von der SPD-Seite ständig verhindert worden ist. ({14}) – Gerade Sie, Herr Miersch, waren einer, der beim Immissionsschutz in der Regel keine Zugeständnisse an die Bäuerinnen und Bauern gemacht hat. ({15}) Darum wird es in dieser Koalition auch nicht gelingen. Das ist mir sehr bewusst. ({16}) Von daher wissen wir: Mit diesem Tierhaltungskennzeichen, wie es heute vorgeschlagen worden ist, wird die Tierhaltung in Deutschland letztendlich Schiffbruch erleiden. Vor allen Dingen werden die Bäuerinnen und Bauern nicht bereit sein, entsprechende Umstellungen in den Ställen vorzunehmen, weil das auch unter den wettbewerblichen Gesichtspunkten nicht zu schaffen ist. ({17}) Deshalb wäre es vernünftiger gewesen, auf der Initiative Tierwohl aufzubauen oder die Empfehlungen der Borchert-Kommission umzusetzen. Wir haben gute Konzepte geliefert. ({18}) – Das ist auch an Ihnen gescheitert, Herr Miersch. ({19}) Vor allen Dingen geht es um die Initiative Tierwohl. Die hätte nämlich ermöglicht, ({20}) auch bei ausländischen Tierhaltern und Erzeugern entsprechende Überprüfungen durchzuführen, die jetzt nicht stattfinden. ({21}) Hier werden nur die inländischen Erzeuger mit Bürokratie und mit Auflagen belastet. Und die ausländischen Mitbewerber in Europa freuen sich; denn sie können das Schweinefleisch dann noch günstiger hier bei uns anbieten. ({22})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Kollege Hocker hat darauf hingewiesen, dass die Kräfte des Marktes letztendlich so groß sein werden, dass die Tierhaltung in Deutschland weniger werden wird. Das ist aber leider Gottes auch das Ziel – ich möchte nicht sagen: von Ihnen, –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Lieber Herr Straubinger, letzter Satz.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– aber auf jeden Fall von den Grünen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist für die SPD-Fraktion Peggy Schierenbeck. ({0})

Peggy Schierenbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005206, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, guten Morgen! ({0}) – Mahlzeit! Entschuldigung. – Herr Bundesminister Özdemir! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Als letzte Rednerin in der Debatte hat man ja immer so ein paar Aufträge, und jetzt muss ich feststellen, dass Max Straubinger sechs Minuten Gelegenheit hatte, etwas Sinnvolles zu sagen, und er hat sie nicht genutzt. ({1}) Danke, Renate, für „16 Jahre Vorspiel“. ({2}) Bevor ich zu meiner eigentlichen Rede komme, möchte ich noch eine wichtige Information an die CDU/CSU geben: 2 von 16 Ländern haben im Bundesrat gegen diese Kennzeichnung gestimmt – 2 haben dagegengestimmt! Das war leider dann auch eine falsche Information. Aber jetzt zu meiner Rede. Wie gut klingt es, wenn wir lesen: „Karotten von hier“ oder „Kartoffeln aus der Region“? Das klingt nach einem regionalen Produkt. Genau das wünsche ich mir beim Einkaufen. Laut Umfragen ist Regionalität für 76 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher beim Einkauf sehr wichtig. Schließlich unterstützen wir mit dem Griff zu regionalen Produkten die heimische Landwirtschaft, sorgen für kürzere Transportwege und mehr Frische und tragen zur Nachhaltigkeit bei. Das gibt einem ein gutes Gefühl. Tatsächlich jedoch sind die Begriffe „von hier“ oder „aus der Region“ gesetzlich nicht geschützt. Das heißt, die „Karotten von hier“ könnten auch einen Transportweg von 500 Kilometern hinter sich haben oder die scheinbar regionalen Kartoffeln stammen tatsächlich aus Polen. Mit dieser Art der Regionalwerbung werden Verbraucherinnen und Verbraucher also gezielt getäuscht. Das muss endlich aufhören. ({3}) Im Supermarkt kämpfen wir uns durch einen Siegel- und Kennzeichnungsdschungel. Auf zu vielen Verpackungen stehen irreführende Angaben zur Herkunft oder Regionalität der Produkte. Für uns Verbraucherinnen und Verbraucher ist es fast unmöglich, die wahre Herkunft auf einen Blick zu erkennen. Dieser Kennzeichnungsdschungel entsteht durch einen Wildwuchs an freiwilligen Regionallabels der Privatwirtschaft. Transparenz und Einheitlichkeit – Fehlanzeige. ({4}) Was ist bisher geregelt? Auf EU-Ebene ist die Angabe der Herkunft bisher nur für wenige Lebensmittel verbindlich vorgeschrieben. Ich nenne einige Beispiele: Bei den Eiern sehen wir, dass eine Herkunftskennzeichnung funktioniert, wenn sie verpflichtend vorgeschrieben ist. Sie wissen es alle: Der Stempelaufdruck auf dem Ei zeigt uns, wie die Henne gehalten wurde und wo sie das Ei gelegt hat. Eindeutig gekennzeichnet werden müssen frisches Rindfleisch und Fisch. Für frisches Obst und Gemüse ist die Angabe des Ursprungslandes ebenfalls verpflichtend. Allerdings gibt es Ausnahmen, zum Beispiel bei Bananen, Oliven, Früh- und Speisekartoffeln; hier ist es leider nur freiwillig. Die verpflichtende Kennzeichnung umfasst also nur bestimmte Produkte; vor allem betrifft sie nur unverarbeitete Produkte. Das heißt: Selbst Produkte wie Obst, Gemüse oder Fleisch fallen, wenn sie verarbeitet werden, nicht mehr unter die Kennzeichnungspflicht. Es gibt also reichlich Lücken und Nachbesserungsbedarf. ({5}) Was wollen die Verbraucherinnen und Verbraucher? Sie wünschen sich mehr Transparenz. Sie haben das Recht, zu erfahren, woher ihre Lebensmittel kommen; schließlich ist das die Grundlage für eine bewusste Kaufentscheidung. Für uns als SPD-Fraktion ist klar: Wir müssen eine verpflichtende Herkunftsangabe auf allen Lebensmittelverpackungen sicherstellen, und zwar EU-weit. ({6}) Das heißt: Die jetzige Herkunftsbezeichnung muss ausgeweitet werden. Wichtig ist uns dabei, dass unbedingt auch verarbeitete Produkte erfasst werden, die zum Beispiel Milch, Gemüse oder Fleisch als Zutat haben. Nehmen wir das Beispiel der Tomatensuppe: Die Tomaten sind die Primärzutat der Suppe, also soll deren Herkunft in Zukunft eindeutig gekennzeichnet werden. Zurück zur Regionalität. Was, meinen Sie, heißt „aus der Region“? Aus Ihrem Nachbardorf, aus dem Landkreis oder aus Ihrem Bundesland? Sie merken: Die Voraussetzung für eine verbraucherfreundliche Kennzeichnung regionaler Lebensmittel ist eine klare Definition des Wortes „Region“. Außerdem wollen wir, dass mindestens 75 Prozent der Zutaten eines Produktes aus dieser definierten Region stammen müssen. Nur so verdient es diese Bezeichnung eines regionalen Lebensmittels. Fassen wir zusammen: Grundsätzlich muss die künftige Kennzeichnung von Herkunft und Regionalität leicht verständlich, einheitlich, vergleichbar und verbindlich sein. Diese Transparenz wäre das Gegenteil des heutigen Kennzeichnungsdschungels. Nur so schaffen wir den Weg dahin, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher informiert sind und bewusste Kaufentscheidungen treffen können und wir das Vertrauen auch wieder zurückgewinnen. Abschließend ist mir wichtig, zu betonen: Die Bundesregierung kann hier mit unserer Unterstützung rechnen. Wir von der SPD-Bundestagsfraktion setzen uns deutlich für eine umfassende, übersichtliche, einheitliche und staatlich festgelegte Zertifizierung ein. Wir hoffen also, dass schnellstmöglich eine entsprechende Verordnung von der EU-Kommission auf den Weg gebracht wird. Ich freue mich, dass unser Ernährungsminister Cem Özdemir bereits zu Beginn des Jahres –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Peggy Schierenbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005206, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– mit Österreich eine Initiative gestartet hat. Dabei hatte er auch eine breite Unterstützung vieler weiterer EU-Mitgliedstaaten erhalten. Das ist genau, was wir wollen, –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Schierenbeck, letzter Satz, bitte.

Peggy Schierenbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005206, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– einen europäischen Schulterschluss, die Herkunft von Lebensmitteln transparenter zu machen. Danke. ({0})

Christian Görke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005067, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeskanzler hat am 23. März hier im Plenum Folgendes gesagt – ich zitiere –: Sanktionen dürfen die europäischen Staaten nicht härter treffen als die russische Führung; das ist unser Prinzip. Das stimmt. Das stimmt auch bei vielen Sanktionen – nur nicht beim Thema Energie und schon gar nicht beim Öl. Beim Boykott russischen Pipelineöls schneiden wir uns – das muss man einfach so klar sagen – ins eigene Fleisch; denn Aggressor Putin wird trotz aller Umstellungsprobleme sein Öl an den Mann bringen bzw. Abnehmer finden. Es gab im Europäischen Rat einen einstimmigen Beschluss, dass das Embargo nur für Schiffsöl gilt, aber nicht für Pipelineöl, um der Energiesicherheit unter anderem anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union – Slowakei, Tschechien, Rumänien und Bulgarien – zu entsprechen. Die PCK-Raffinerie in Ostdeutschland steht jetzt vor einem hausgemachten Fiasko, weil diese Bundesregierung freiwillig, ohne bis zum heutigen Tag Alternativen zu haben, davon abweicht. Das ist nicht nur unverantwortlich, meine Damen und Herren – ich spreche Sie auch als Wirtschaftsminister an, Herr Habeck –; Sie haben sich hier auch regelrecht verrannt. ({0}) Vielleicht ist Ihnen die Entscheidung ja auch deshalb so leichtgefallen, weil die verbliebenen Importmengen russischen Erdöls sich möglicherweise ausschließlich auf das PCK konzentrieren. Ich sage es mal ganz deutlich und behaupte: Hätte diese Raffinerie in Wilhelmshaven gelegen, hätte es diese politische Entscheidung nicht gegeben. ({1}) Wir sind jetzt wenige Tage – und ich sage sogar: wenige Stunden – vor diesem Embargobeginn. Das muss man sich mal vorstellen: Die angekündigten Ersatzlieferungen aus Polen und Kasachstan sind bis jetzt nicht garantiert. Deshalb ist unsere Forderung als Linksfraktion, dass Sie sich der EU-weiten Übergangsregelung anschließen. Die ist jetzt dringender denn je. ({2}) Meine Damen und Herren, ich höre hier immer: Wir haben ja noch die Rückfallposition, wir haben ja die Pipeline aus Rostock. – Diese Röhre – das ist der Flaschenhals, und das wissen alle – deckt gerade mal 50 Prozent der Kapazitäten ab. ({3}) Sie hat einen Durchmesser von 40 Zentimetern! Das ist keine Pipeline! Die wird auch das PCK nicht durch die zwei Jahre bringen. ({4}) Deshalb ist es so wichtig, dass das PCK am Netz bleibt und vor allen Dingen die Versorgung gesichert wird. Wer in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg Kraftstoffe tankt, wer mit dem Flieger vom BER abhebt, wer seine Wohnung noch mit Heizöl heizt, der wird hier im Osten zu 95 Prozent vom PCK versorgt. Dazu kommt, dass ein Drittel des Bitumens in Deutschland für den Straßenbau auch vom PCK kommt. Das PCK ist eine kritische Infrastruktur, und deshalb brauchen wir diese Übergangsregelung, ({5}) um die Versorgung, um den Erhalt Tausender Arbeitsplätze – auch bei den Zulieferern – sicherzustellen. Wir brauchen vor allem aber auch die Brücke – daher auch mein Appell an die Grünen – für die Umstellung der Raffinerie auf Grünen Wasserstoff. Deshalb brauchen wir diese Zeit. Meine Damen und Herren, für eine sichere Zukunft reicht es nicht, nur die Fördermittel jetzt hier ins Schaufenster zu stellen. Es braucht zusätzlich eine vollständige staatliche Kontrolle des PCK auf der Grundlage des Energiesicherungsgesetzes, und da meine ich nicht die Treuhand. ({6}) Ähnlich wie bei Uniper und SEFE muss das PCK in Bundeseigentum überführt und damit auch verstaatlicht werden. ({7}) Nur so könnte man den Beschäftigten eine langfristige Jobgarantie geben und vor allen Dingen mit den Polen wirklich erfolgreich über Ersatzlieferungen verhandeln. Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Viele Menschen in meiner Heimat Brandenburg haben schon einmal eine Welle der Deindustrialisierung erlebt. Ich sage Ihnen: Das prägt. Die Menschen in Schwedt und in der gesamten Region brauchen jetzt verlässliche Antworten – nicht irgendwann, sondern heute. Vielen Dank. ({8})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Markus Hümpfer. ({0})

Markus Hümpfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005090, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schwarzes Gold! Nicht umsonst wird Erdöl so genannt. Wahrscheinlich hat keine Ressource die Industriegesellschaften des 20. und 21. Jahrhunderts so sehr geprägt wie Erdöl. Es war das zentrale Lebenselixier der auf fossilen Rohstoffen basierenden Industriegesellschaft. Wenngleich seine Bedeutung heute zum Glück abnimmt, ist und bleibt es weiterhin eine unglaublich wichtige Ressource für unsere Gesellschaft. ({0}) Egal ob Benzin, Diesel, Kerosin, Flüssiggas, Bitumen oder Fernwärme – unsere Gesellschaft ist nach wie vor auf das schwarze Gold und die Produkte daraus angewiesen. ({1}) In Deutschland wird Erdöl in 18 Raffinerien verarbeitet. Die brauchen ständig neues Öl: per Schiff, per Zug, per Pipeline. Weil Deutschland selbst über kaum Erdöl verfügt, müssen wir den Großteil importieren, zum Beispiel aus den USA, aus Kasachstan, aus Norwegen und bis Ende dieses Jahres auch aus Russland. Dazu muss man wissen, dass dieses Öl unterschiedliche Qualitäten besitzt. Deswegen ist es so schwer, einfach mal eben von einem Öl aufs andere umzustellen. Das Erdöl aus Russland ist zum Beispiel besonders schwefelhaltig. Die Raffinerie PCK Schwedt ist auf dieses schwefelhaltige Erdöl eingestellt. Es gibt aber noch eine andere Besonderheit in Schwedt: Die Raffinerie bekommt nicht nur russisches Erdöl, nein, sie ist auch auf direktem Wege mit Russland verbunden: zum einen über eine Pipeline und zum anderen über den Mehrheitseigner. Das ist nämlich nach wie vor der russische Konzern Rosneft. Dessen Anteile sind zwar unter Treuhandverwaltung gestellt, aber – das wissen wir alle – das ist nur eine vorübergehende Lösung. Die Raffinerie in Schwedt ist eine Lebensader für Deutschland und insbesondere für die neuen Bundesländer. Und deshalb gehört sie in europäische Hände. ({2}) Deswegen verhandeln wir intensiv mit dem zweiten großen Eigentümer Shell sowie der polnischen Regierung, dem wichtigsten Partnerland in dieser Frage. ({3}) Die Eigentumsverhältnisse von Schwedt sind alles andere als eine Provinzposse, sondern von zentraler Bedeutung für die Energiesicherheit in unserem Land. ({4}) Erdöl ist das schwarze Gold der Vergangenheit. Es ist aber nicht das Gold der Zukunft. Der Goldstandard der Zukunft ist klimaneutral und grün, und er wird aus Schwedt kommen. ({5}) Wir wollen die Raffinerie nicht nur sichern, sondern sie auch transformieren und die Arbeitsplätze sichern – das, was Sie nicht wollen! ({6}) In der Zukunft nutzen wir diesen Hochtechnologiestandort nicht mehr, um fossiles Erdöl zu verarbeiten – nein, die PCK Schwedt und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort werden Teil einer Lebensader einer klimaneutralen und sicheren Energieversorgung in unserem Land. ({7}) Ich denke dabei vor allem an die Produktion von Wasserstoff, die Abscheidung und Speicherung von CO2 und die Produktion grüner synthetischer Kraftstoffe. All das brauchen wir in der Zukunft; all das kann Schwedt in der Zukunft liefern. Ich glaube, vielen unter uns ist gar nicht klar: Schwedt ist kein nerviges Anhängsel der Vergangenheit, Schwedt ist der Herzschrittmacher unserer industriellen Zukunft! ({8}) Mit Blick auf die Anträge der Union, der Linken und der AfD kann ich daher sagen: Herr Görke, all das, was Sie fordern, nämlich Entlassungen verhindern, die Transformation begleiten, die Belange der neuen Bundesländer berücksichtigen, die Erdölversorgung sicherstellen, wird bereits umgesetzt. Wir sind sogar schon einen Schritt weiter, ({9}) und deswegen werden wir Ihre Anträge ablehnen. ({10})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die Unionsfraktion erteile ich das Wort dem Kollegen Sepp Müller. ({0})

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Sozialdemokraten! Es gibt Dinge im Leben, die kann man mit einem Koffer voller Geld nicht kaufen. Das ist einerseits ({0}) die Liebe, die Liebe eines Mannes oder einer Frau; das ist andererseits die Zustimmung zu einer Staatsform, und das ist drittens Vertrauen. Warum Ihnen und Ihrer Ampelregierung und insbesondere dem am Handy spielenden Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Menschen nicht mehr vertrauen, kann ich Ihnen sagen. ({1}) Der Bundeskanzler hat gegen die Stimmen von 20 Länderchefs ein nationales Embargo zum 31. Dezember 2022 auf den Weg gebracht. Herr Habeck, Sie als Bundeswirtschaftsminister haben Zusagen gemacht, die Sie nicht eingehalten haben. Im April dieses Jahres haben Sie bezüglich der Rohölversorgung der Raffinerie Schwedt – ich zitiere – gesagt: „Diese Alternative ist Aufgabe der nächsten Tage.“ Sie haben es versprochen, Herr Habeck! Sie haben es gebrochen! Sie haben Vertrauen zerstört! ({2}) Im Juni dieses Jahres haben Sie sich auf die Bühne in Schwedt gestellt und haben per Handschlag versprochen, dass eine Rohölversorgung garantiert ist, dass die Arbeitsplätze garantiert sind und dass die Infrastruktur ausgebaut wird. Sie haben es versprochen! Sie haben es gebrochen! Sie haben das Vertrauen vor Ort verspielt! ({3}) Nun könnte es uns als größte Oppositionsfraktion natürlich freuen, dass die Regierung mittlerweile deutschlandweit an Zustimmung verloren hat und auf einem Tiefpunkt ist. ({4}) Es könnte uns freuen, dass die Ampel fertig hat. Aber ich sage: Nein, mich persönlich freut es nicht; ({5}) denn ich liebe unser Ostdeutschland. Ich liebe Deutschland, unsere gemeinsame Heimat. ({6}) Und ich sage Ihnen: Die Vertrauensbrüche der Ampel treiben die Bürgerinnen und Bürger nach rechts und links außen. Sie zerstören das Vertrauen vor Ort, Sie stellen die Honigtöpfe hin, damit die rechts und links außen Nektar saugen können. Sie sind die Brandbeschleuniger. Das führt dazu, dass die Bürgerinnen und Bürger am Ende das Kreuz bei denjenigen machen, die unsere Demokratie als Staatsform ablehnen. Das geschieht, weil die Menschen vor Ort Ihnen nicht mehr vertrauen, meine sehr geehrten Damen und Herren! ({7}) Ab 1. Januar nächsten Jahres drohen folgende Schlagzeilen: „Kein Sprit mehr in Ostdeutschland“, ({8}) „Flugverkehr in Hauptstadt kommt zum Erliegen“, „Tausende Wohnungen bleiben kalt“, „Riesige Bitumenlücke lässt Straßenbauer verzweifeln“. Und damit es nicht so kommt, haben wir Ihnen unseren Antrag vorgelegt; denn wir brauchen erst Lösungen, und dann kann es zu einem Embargo gegen den Aggressor aus Russland kommen. Wir brauchen zuerst die Pipeline, die zusätzliche Pipeline zwischen Rostock und Schwedt. Wir brauchen zuerst einen belastbaren Vertrag zwischen Polen und Deutschland. Wir brauchen zuerst die Sicherstellung von Sprit- und Heizölversorgung deutschlandweit und vor allem: Wir brauchen jetzt einen Krisenstab in der Kommune, damit die Fernwärmeversorgung in Schwedt sichergestellt werden kann. ({9}) Da ich hier schon die ersten Zwischenrufe höre ({10}) und Sie uns ja anscheinend kein Vertrauen schenken: Vielleicht hören Sie dem von uns gemeinsam gewählten Bundespräsidenten zu, der auf seiner Osttour war, der in einem Interview mit dem MDR in der letzten Woche bezüglich Schwedt Folgendes gesagt hat – ich zitiere –: … dass auch eine solche Raffinerie, wenn wir uns unabhängig machen von russischem Gas und russischem Öl, … betriebsfähig bleibt, ausgelastet bleibt, das muss auch der Politik in Berlin klar sein. Nehmen Sie die Worte des Bundespräsidenten an! Wenn Sie wie wir Deutschland lieben, wenn Sie wie wir die Demokratie verfechten und weiterhin als unsere Staatsform haben wollen, dann nehmen Sie die Sorgen und Nöte der Menschen im Osten ernst, und stimmen Sie für unseren Antrag! ({11}) Es ist Ihre letzte Chance, gerade in Ostdeutschland für Vertrauen zu sorgen. Sie haben so viel Vertrauen zerstört. Korrigieren Sie Ihre Haltung. Stimmen Sie unserem Antrag zu! ({12})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die Bundesregierung hat das Wort der Parlamentarische Staatssekretär Michael Kellner. ({0})

Michael Kellner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11005102

Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Keine einzige Industrieanlage in unserem Land hat mich dieses Jahr so beschäftigt wie das PCK Schwedt. ({0}) Die Treuhandverwaltung im September war notwendig, um die Situation zu stabilisieren. Ohne die Treuhandverwaltung wäre Schwedt aus der Produktion herausgegangen. Wir haben Schwedt damit stabilisiert. Wir haben nicht nur das getan, sondern wir haben ein großes Transformationspaket auf den Weg gebracht. Das Herzstück dieses Transformationspaketes ist ein 750 Millionen Euro schweres GRW-Sonderprogramm. Ich war Ihnen, den Abgeordneten im Deutschen Bundestag, sehr dankbar, dass es noch gelungen ist, im Haushaltsverfahren für 2023 dieses Sonderprogramm abzusichern. Erst am Dienstag tagte der GRW-Koordinierungsausschuss, und alle 16 Bundesländer haben diesem GRW-Sonderprogramm zugestimmt. Das ist ein beeindruckendes Zeichen gesamtdeutscher Solidarität. Herzlichen Dank dafür an alle Länder! ({1}) Wir als Bundesregierung haben gemeinsam mit den Ländern nicht nur eine Arbeitsplatzgarantie abgegeben – ({2}) das war mir besonders wichtig, weil wir ja wissen, dass daran nicht nur 1 200 Arbeitsplätze, sondern ganze Familien in der gesamten Uckermark hängen –, sondern wir haben dieses Versprechen auch gehalten und umgesetzt. Die Arbeitsplätze sind sicher. Das sehen Sie, wenn Sie sich den Betriebsplan für das PCK für das nächste Jahr anschauen. ({3}) Wir haben mit der Transformation begonnen, ({4}) die so lange verzögert wurde, und Grüner Wasserstoff wird ab 2025 in Schwedt produziert werden. Ich danke allen Beteiligten. Ein herzliches Dankeschön geht auch und gerade an Brandenburg, an Wirtschaftsminister Jörg Steinbach. ({5}) Dieses Jahr war nicht leicht, doch eines ist auch klar: Auch im kommenden Jahr wird in Schwedt Öl verarbeitet, ({6}) aber – das ist die entscheidende Nachricht des Tages – kein russisches mehr. ({7}) Wir haben Rosneft Deutschland angewiesen, für Januar kein russisches Rohöl einzukaufen.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Staatssekretär, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst?

Michael Kellner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11005102

Ich komme an dieser Stelle erst einmal zum Ende meiner Ausführungen, weil ich glaube, es ist wichtig, diese zu hören und zu verstehen. Wir setzen damit die Ankündigung der Bundesregierung um. Die dafür notwendigen Voraussetzungen sind erfüllt. Die Versorgungssicherheit kann durch Lieferungen über Rostock, Polen und Kasachstan gewährleistet werden. ({0}) Der Markt hat die vergangenen Monate genutzt, um sich zu wappnen und flexibler aufzustellen. Auch für das PCK ist damit die von einigen lieb gewonnene bequeme Abhängigkeit von einem Standbein – einem unzuverlässigen russischen Holzbein – auf drei Lieferwege diversifiziert worden. Das erhöht Resilienz und Reaktionsmöglichkeiten. Denn die sichere Versorgung mit Benzin, Diesel und Heizöl ist und bleibt die oberste Prämisse der Bundesregierung in dieser Krise für die Unternehmen und für die Familien vor Ort. ({1}) Sie wissen: Wir haben Rosneft unter Treuhandverwaltung gestellt und eine gemeinsame Vereinbarung mit der polnischen Regierung unterzeichnet. Mit diesem Rückenwind war ich vergangene Woche in Warschau und habe intensive Gespräche mit der polnischen Regierung, den Pipeline-Betreibern und PKN Orlen geführt. ({2}) Im Ergebnis haben wir jetzt die Zusage der polnischen Seite, ab Januar ausreichende Ölmengen zu liefern, die dem PCK eine komfortable Auslastung von rund 70 Prozent ermöglichen. ({3}) Ich danke der polnischen Regierung für die intensive Zusammenarbeit und begrüße weiter das Engagement polnischer Unternehmen in Deutschland. Denn nur gemeinsam können wir in einem gemeinsamen europäischen Binnenmarkt Versorgungssicherheit für Polen und Deutschland gewährleisten. Dazu kommen Verträge mit Kasachstan, die die Auslastung der Raffinerie weiter steigern. Und zu guter Letzt haben wir die Lieferungen über die Pipeline Rostock–Schwedt, die einen stabilen Mindestdurchsatz garantieren. Die entsprechenden Schiffe zur Vollauslastung der Pipeline Rostock–Schwedt sind von den drei Anteilseignern bestellt und werden ab Januar in den Hafen Rostock einlaufen. Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich Shell, Eni und Total, die ihrerseits von sich aus für Leuna und Schwedt schon lange angekündigt haben, auf russisches Rohöl zum 1. Januar zu verzichten, und die hier gemeinsam mit der Bundesregierung alles für die Versorgungssicherheit unseres Landes tun. ({4}) Gemeinsam mit der Mineralölwirtschaft finden wir Lösungen, die es den Unternehmen ermöglichen, sich von russischem Öl zu befreien, und gleichzeitig die ausreichende Versorgung mit Rohöl sicherstellen, um den Betrieb in Schwedt und in Leuna fortzuführen. Ziel ist es, die Auslastung von über 70 Prozent im Januar im Laufe des Jahres weiter zu steigern, wenn sich der Bezug über die neuen Quellen im kommenden Jahr eingespielt hat. Diese durch Wladimir Putin erzwungene Umstellung weg von russischem Öl ist ein Kraftakt, bei dem es auch mal ruckelt. Aber insgesamt ist es möglich und richtig; denn so machen wir unsere Energieversorgung unabhängiger und robuster. Deshalb setzen wir den Ausstieg aus russischem Öl vollständig um und sichern das rechtsverbindlich in Brüssel ab. Polen will diesen Schritt gemeinsam mit Deutschland gehen. Angesichts des Krieges in der Ukraine und der Zerstörung von Stromleitungen, um die ukrainische Zivilgesellschaft zu terrorisieren, ist das ein richtiges und notwendiges Signal. Für manche im Haus mag eine ethische Begründung nicht ausreichen. Auch aus Gründen der Versorgungssicherheit ist dieser Schritt notwendig. Denn ganz zu Recht wollen viele Firmen keine Produkte aus russischem Öl abnehmen ({5}) und viele Dienstleister keinen Service für das PCK anbieten, wenn es nach dem 1. Januar weiter russisches Öl verarbeiten würde. Herzlichen Dank. ({6})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Klaus Ernst.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kellner, ich wollte noch ein paar Nachfragen stellen. Wir haben diese Fragen öfter im Ausschuss für Klimaschutz und Energie erörtert. Sie haben viele Vorschläge gemacht, Sie haben viele Absichtserklärungen abgegeben. Aber die Frage ist jetzt konkret: Was ist vertraglich abgesichert mit Polen? Gestern im Ausschuss für Klimaschutz und Energie wurde von Staatssekretär – wie heißt er? ({0}) – Wenzel gesagt, dass es noch nicht klar ist. Und es wurde gesagt, dass es deswegen noch nicht klar ist, weil Polen eigentlich darauf besteht, dass Rosneft enteignet wird. Das ist bis jetzt nicht geschehen. Ich möchte nach fünf, sechs Monaten einmal ganz konkret von Ihnen wissen: Ist gerade ein Vertrag abgeschlossen worden, und, wenn ja, wie viel Kapazität haben Sie vereinbart, was wird konkret über Polen geliefert? Die zweite Frage. Sie haben von Kasachstan gesprochen. Auch darüber diskutieren wir schon lange im Wirtschaftsausschuss und auch im Ausschuss für Klimaschutz und Energie. Können Sie nun, bitte schön, irgendeine Zahl nennen – irgendeine konkrete Zahl und keine Absichtserklärungen –, welche Kapazität von den Kasachen nach Schwedt geliefert wird? Drittens. Ist eigentlich mit Russland geklärt, dass das Öl von den Kasachen, wenn ich es geografisch richtig sehe, durch die Druschba-Leitung laufen muss? Sonst kommt es ja bei uns nicht an. Haben Sie irgendeine konkrete Vereinbarung mit den Russen, damit das Gas auch bei uns ankommt? ({1}) Wissen Sie, ich bin es langsam leid, sieben, acht Monate lang Absichtserklärungen zu hören. Wenn man nachfragt, dann bleibt es immer unkonkret. ({2})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Ernst, bleiben Sie bitte stehen, wenn Sie eine Antwort haben möchten. – Herr Staatssekretär, Sie können darauf antworten.

Michael Kellner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11005102

Ich weiß nicht, ob Sie zugehört haben, Herr Ernst. Ich habe ja gerade gesagt, dass wir die Zusicherung der polnischen Seite für eine Auslastung des PCK in Schwedt von 70 Prozent ab Januar 2023 haben. ({0}) Zugleich haben die Anteilseigner des PCK eigene Verträge mit Kasachstan verhandelt, die weitere Mengen ab Januar 2023 ermöglichen. Und ja, wir haben immer ein Risiko, dass Leitungen unterbrochen werden. Sie brauchen ja nur die Zeitung aufschlagen, dann lesen Sie von explodierenden Röhren. Deswegen war es so wichtig, dass wir uns in den vergangenen Monaten auch darauf vorbereitet haben, dass wir in jedem Fall, auch im Falle der Störung der Zuleitung, die Auslastung auf dem Niveau einer Mindestmenge sicherstellen können. Deswegen habe ich ja gerade erläutert, dass die Schiffe für den Hafen Rostock bestellt sind. Und Sie können sich im Januar an den Hafen Rostock stellen und die Schiffe zählen. Dort kommen sie an. ({1}) Wir garantieren also, dass in Schwedt weitergearbeitet werden kann. ({2})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Vielen Dank. – Wir führen die Debatte fort. Der nächste Redner für die AfD-Fraktion ist Karsten Hilse. ({0})

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Landsleute! Noch im Mai dieses Jahres gab der Wirtschaftszerstörungsminister, vormals Kinderbuchautor, der erstaunten deutschen Öffentlichkeit bekannt, dass sich Deutschland dem Ölembargo gegen Russland zum 31. Dezember 2022 anschließen werde und auch per Pipeline kein Öl mehr beziehen werde, aus rein ideologischen Gründen; denn der Bezug von Öl per Pipeline war bei den EU-Sanktionen für alle ausdrücklich ausgenommen. Als ihm klargemacht wurde, dass die ostdeutschen Raffinerien, voran das PCK Schwedt, dann die Produktion einstellen müssten, was die Versorgung mit Kraft- und Schmierstoffen und chemischen Vorprodukten in ganz Ostdeutschland zusammenbrechen lassen würde, schickte er seinen nicht minder begabten Kellner vor, der den entsetzten Schwedtern das Blaue oder eher das Grüne vom Himmel versprach: Rohöl käme auch weiterhin nach Schwedt, wenn auch vorerst in geringerer Menge; die Jobs der rund 2 000 Beschäftigten würden per Jobgarantie gesichert. Er krönte das Ganze dann mit dem Satz – Zitat –: „Die Lichter gehen hier nicht sofort aus“, was nichts anderes heißt, als dass sie dann eben später ausgehen. Dieser Zeitpunkt scheint jetzt gekommen; denn keine der gemachten Versprechungen wurde erfüllt. Weder wurden die Ersatzöllieferungen per Vertrag mit Polen gesichert noch die entsprechenden Transportwege für die benötigten Mengen gebaut. Eine vergleichbare Rohölqualität für Schwedt ist momentan nicht lieferbar. Lediglich die Jobgarantie – also Geld für Nichtstun – wurde wohl auf den Weg gebracht. Aber sicher ist auch das nicht. ({0}) Mit anderen Worten: Die grüne Bundesregierung hat das Gleiche geplant und durchgeführt, wofür die Staatsanwaltschaft Neuruppin jetzt die Klimaterroristen der „Letzten Generation“ als kriminelle Vereinigung einstuft, ({1}) diese unter Anklage stellt und Hausdurchsuchungen bei den Klimaterroristen durchführt. Begründet wird das vorrangig mit den wiederholten Versuchen, die Rohölversorgung des PCK Schwedt zu stoppen, also exakt dasselbe, was die Bundesregierung tut. ({2}) Die Staatsanwaltschaft Neuruppin begründet ihr Vorgehen damit, es gehe auch um die Bildung und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 Strafgesetzbuch und die Gruppe weise eine „klare Rollenverteilung und eine kontinuierliche Struktur“ auf. ({3}) Auch hier sind die Ähnlichkeiten nicht rein zufällig. Der einzige Unterschied ist, dass die Bundesregierung die Exekutive eines Rechtsstaates ist, dieses Recht aber mehr und mehr umdeutet, ja missbraucht. In diesem Zusammenhang sei an Papst Benedikt erinnert, der den Abgeordneten vor gut elf Jahren hier im Bundestag, wenn auch in einem anderen Zusammenhang, die Worte des heiligen Augustinus ins Stammbuch schrieb – Zitat –: Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande … Und recht hat er. ({4}) Aber es gibt auch etwas Positives. Offensichtlich haben die Mahnungen an die konservativen Kräfte in der Union für ein teilweises Umdenken gesorgt; denn in Ihrem Antrag, der heute hier zum PCK Schwedt eingebracht wird, bemängeln Sie nicht nur das Fehlen von Ersatzmengen in geeigneter Qualität und zu fairen Preisen, sondern vor allem auch den Mangel jeglicher Rechtsgrundlage für das Embargo. Das Embargo und alle Sanktionen müssen also weg. Dass dies mit dieser Regierung möglich ist, halten viele Bürger für ausgeschlossen. Sie halten diese Regierung, eben weil sie auf Recht und Gesetz pfeift, für eine – Zitat – „große Räuberbande“. Der einzige Weg, vernünftige Politik für Deutschland zu machen, ist, wenn sich endlich die konservativen Kräfte, wie im meinem Heimatkreis Bautzen in dieser Woche geschehen, zusammenschließen. Im Kreistag stimmte fast die gesamte CDU-Fraktion für einen Antrag der AfD, freiwillige Integrationsleistungen für abgelehnte Asylbewerber zu streichen ({5}) und damit erstens den Haushalt zu entlasten und zweitens den Magneten für Asylforderer herunterzudrehen. ({6}) Dieses Beispiel macht hoffentlich Schule, in ganz Deutschland für Deutschland. ({7}) Vielen Dank. ({8})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Hilse, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass die Titelbezeichnung des Bundeswirtschaftsministers „Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz“ lautet und nicht „Wirtschaftszerstörungsminister“. Das ist ein unparlamentarischer Begriff. Darum bitte ich Sie, in Zukunft darauf zu verzichten. ({0}) Der nächste Redner für die FDP-Fraktion ist Konrad Stockmeier. ({1})

Konrad Stockmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005234, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Görke, wenn man Ihnen zuhört, dann weiß man wieder, dass es gut ist, dass die Energiepolitik in diesem Lande nicht in der Verantwortung der Linkspartei liegt, weil Sie wirklich noch in Ost-West-Konflikten der 1990er-Jahre verhaftet sind. ({0}) Die müssen Sie mit sich ausmachen. Ich finde, in diesem Hause haben sie eigentlich nicht mehr viel Platz. ({1}) Ich habe mich hier über die Arbeit des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz an der einen oder anderen Stelle durchaus auch kritisch geäußert. Aber eine Polemik, die Sie gegen Minister Habeck hier ausgebreitet haben, möchte ich wirklich zurückweisen, nämlich als Sie gesagt haben: Na ja, wenn das PCK Schwedt beispielsweise in Schleswig-Holstein wäre, dann hätte er sich anders darum gekümmert. ({2}) Das ist wirklich äußerst billige Polemik. ({3}) Ich möchte Sie daran erinnern, dass eines der neuen LNG-Terminals in Lubmin angesiedelt ist. Gut, dass Sie in der Vergangenheit bleiben, aber nichts mit der Zukunft zu tun haben! Kollege Müller aus der Unionsfraktion, Sie breiten hier große Tiraden über einen Vertrauensbruch aus, den angeblich die Ampelkoalition an den Menschen in Ostdeutschland begangen hat. ({4}) Ich mache mir dieses Gerede nicht zu eigen. Aber wenn ich mir noch mal vor Augen führe, auf welche massiven strategischen Fehlentscheidungen die Tinte zurückzuführen ist, in der wir hier jetzt sitzen, ({5}) weil nämlich Bundesregierungen, an denen die Union maßgeblich beteiligt war oder die sie sogar geführt hat, reihenweise zu Eigentumsverhältnissen in der deutschen Energieversorgung beigetragen haben, die uns jetzt auf die Füße fallen, ({6}) dann frage ich Sie, was eigentlich die größten Vertrauensbrüche der Vergangenheit waren. Denken Sie mal darüber nach. ({7}) Damit sind wir beim nächsten Punkt. ({8}) Die Bedeutung des PCK Schwedt für die Kraftstoffversorgung in Ostdeutschland ist ja unbestritten; aber Sie schlagen hier einen Tonfall an, bei dem ich gerne wüsste: Wie klingt dieser eigentlich in Polen? Polen weiß aus seiner Geschichte sehr genau, warum es mit großen Anstrengungen die völlige Unabhängigkeit von russischen Energieimporten anstrebt. Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem es uns vielleicht einmal gut zu Gesicht stünde, uns davon eine Scheibe abzuschneiden. Die Lösung dieser Probleme – das verkünde ich hier immer wieder, geradezu mantramäßig – müssen wir eben in einem partnerschaftlichen europäischen Kontext, zusammen mit den Ländern, die wissen, was Freiheit bedeutet, angehen. Denken Sie darüber mal nach! ({9}) Die AfD fordert in einem ihrer Anträge, dass an der Ertüchtigung der Infrastruktur bitte schön gearbeitet werden soll. Das ist – es ist an Ihnen mal wieder völlig vorbeigegangen – seit Monaten im Gange. Vielleicht sollten Sie einfach mal die Nachrichtenlage verfolgen. Für die Freien Demokraten kann ich an dieser Stelle noch sagen, dass wir es sehr begrüßen und auch froh darüber sind, dass die Gespräche der Bundesregierung mit der polnischen Seite jetzt zu den Ergebnissen geführt haben, ({10}) die Staatssekretär Kellner hier heute verkündet hat. Das eröffnet wertvolle Perspektiven für das PCK Schwedt. ({11}) Die Anstrengungen, die noch vor uns liegen, gibt es unbenommen. Aber der Weg in die Zukunft ist vorgezeichnet. So geht man durch die Krise. Das gelingt nicht mit den Polemiken, die hier von allen möglichen Seiten zu hören sind. Vielen Dank. ({12})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die Unionsfraktion hat das Wort Jens Spahn. ({0})

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im September haben Kanzler und Minister versprochen, die Versorgung wäre gesichert, der Schritt zum Embargo wäre gut vorbereitet und organisiert. Auch heute gibt es hier wieder große Worte und Versprechungen. Zehn Wochen später muss man sagen: Nichts Genaues weiß man nicht. Erstmalig hören wir jetzt eine Zahl, ({0}) gerade eben in dieser Debatte, nachdem der Kollege Staatssekretär gestern im Ausschuss jedenfalls keine nennen konnte oder wollte. Wir hören Worte wie „Transformation“, „Wasserstoff“, „synthetische Kraftstoffe“; alles richtig. Die Ampel redet, wenn es um Schwedt geht, viel über die Zukunft. Aber sie sollte erst mal die Gegenwart meistern; denn um die nächsten Wochen geht es jetzt. ({1}) Schauen wir doch einmal genau hin, wie die Gegenwart gemeistert wird. Kasachstan ist angesprochen worden. Es hieß, als Ersatz für russisches Öl könnte welches aus Kasachstan kommen. Klang wie eine gute Option. Aber wenn man will, dass Öl aus Kasachstan kommt, dann muss man sich auch darum kümmern. Dann steigt man als Minister, als Staatssekretär in den Flieger nach Astana und verhandelt. Frage an die Bundesregierung: Wer hat überhaupt einmal mit der Regierung in Kasachstan gesprochen? Es gab einen Brief des Kanzleramtsministers, ({2}) ansonsten kein aktives politisches Bemühen auf Leitungsebene um Kontakt mit Kasachstan. So jedenfalls sieht politisches Engagement in dieser Frage nicht aus, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Wie viel Öl aus Rostock oder Danzig kommen könnte, wissen wir bisher nicht. Wir haben jetzt gerade etwas von 70 Prozent gehört. Aber ich kenne bis jetzt keine schriftliche Vereinbarung; sie wäre uns sicherlich bekannt gemacht worden. ({4}) Es ist schon bezeichnend genug, dass die Ampel hier heute keinen Antrag, ({5}) keinen Plan vorlegt, wie sie denn zum 1. Januar die Versorgung sichern will. Gar nichts schriftlich haben wir bis jetzt von Ihnen bekommen. Und so wissen wir heute, gut zwei Wochen vor Ende des Jahres, bevor dieses politische Embargo in Kraft treten soll – aus guten Gründen, um das klar zu sagen –, nicht, wissen die Menschen in der Region nicht, wissen 1 200 Beschäftigte nicht, was ab dem 1. Januar gilt. Wie viel steht konkret an Menge ab dem 1. Januar aus welchen Quellen zur Verfügung? ({6}) Es drohen vielleicht keine Versorgungsengpässe – das kann auch sein –, aber es droht mindestens das Risiko von Preisunterschieden zwischen West-, Ost- und Mitteldeutschland, was ziemlich hoch ist, wie wir aktuell beim Diesel sehen. Daher werden wir als Union Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, an Ihren Versprechungen messen. 70 Prozent im Januar, das ist jetzt eine sehr klare Aussage, ({7}) an der man Sie messen kann. Wir werden, wenn es sein muss, jedes einzelne Schiff, das in den Hafen von Rostock einfährt, zählen. ({8}) – Das können Sie gern lächerlich machen, aber das macht eine konstruktive Opposition: Sie misst eine Regierung an ihren luftigen Versprechungen. ({9})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Und für den Bundesrat erteile ich das Wort dem Staatsminister Professor Dr. Jörg Steinbach. ({0})

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Bundesregierung, vertreten durch das Bundeswirtschaftsministerium, hat für die Zusammenarbeit mit Brandenburg, aber auch mit Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt eine Bund-Länder-Projektgruppe zusammengerufen, die unterdessen mehrfach getagt hat. ({0}) Nach intensiven Verhandlungen mit der Projektgruppe hat die Bundesregierung am 16. September 2022 das Zukunftspaket „Sicherung der PCK und Transformation in den ostdeutschen Raffineriestandorten und Häfen beschleunigen“ vorgelegt. Dieses Zukunftspaket regelt auch eindeutig Zuständigkeiten. So liegt primär das Thema Versorgungssicherheit beim Bund und das Thema Transformation bei meinem Bundesland. Entsprechend fokussiere ich mich auf den zuletzt genannten Bereich. Herzstück des Maßnahmenpakets ist ein Sonderprogramm im Rahmen der GRW mit Zuständigkeit des Bundeswirtschaftsministeriums. Zusammen mit den drei Bundesländern, nämlich Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und uns, werden hier umfassende Gelder sofort bereitgestellt. ({1}) Es wurde bereits gesagt, dass der Bund 375 Millionen Euro zur Verfügung stellt und die Länder die andere Hälfte finanzieren. Den Weg, lieber Herr Görke, die Transformation über die GRW zu unterstützen, begrüßt das Land Brandenburg ausdrücklich, –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sepp Müller?

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Wenn ich den Satz zu Ende führen kann, gerne.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ja.

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– da er die Förderung von Unternehmen ermöglicht, was bekanntlich in einem Strukturstärkungsgesetz, wie wir es für die Lausitz haben, nicht möglich ist. – Jetzt gerne.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Müller, Sie haben das Wort.

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister Steinbach, vielen Dank, dass Sie heute hier im Bundestag als Vertreter des Bundesrates reden und als Wirtschaftsminister für das Land Brandenburg die Zukunftsvision für Schwedt aufmachen, die wir, glaube ich, in der Mehrheit auch teilen. Uns geht es aber insbesondere um die Gegenwart. Sie haben die Taskforce angesprochen, die am 16. September die Entscheidung getroffen hat. Ich frage Sie ganz konkret: Wie können Sie eine Zukunft gestalten, wenn die Gegenwart keine 100-prozentige Rohölversorgung vorsieht? Wissen Sie mehr bzw. gehen Sie von mehr als 70 Prozent aus, von denen wir wissen? Ich frage Sie zweitens, Herr Minister: Was antworten Sie Ihrer Landrätin Karina Dörk aus Schwedt, was antworten Sie Ihrer Oberbürgermeisterin in Schwedt, was antworten Sie dem Zukunftsbündnis Schwedt um Frau Fischer, die fordern: „Erst eine Lösung für 100 Prozent Rohölversorgung und dann das Embargo“? Welche Antwort haben Sie darauf? Vielleicht können Sie uns an Ihren Erkenntnissen teilhaben lassen. ({0})

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Das mache ich an der Stelle sehr gerne. – Ich selber habe im Wirtschaftsausschuss meines Landes mehrfach gesagt, dass der Beginn vermutlich nur abgestützt wird über Rostock only. ({0}) Ich bin dem Bundeswirtschaftsministerium für seine Anstrengungen ausgesprochen dankbar, dass zum 1. Januar die Versorgung von Schwedt nun nicht nur auf Rostock only beruht, sondern jetzt auch zusätzliche Lieferungen aus Polen realisiert werden. ({1}) Zweitens. Ich habe mehrfach die Debatte darüber miterlebt, was es bedeutet, über 100 Prozent zu reden. Der derzeitige Leistungsstand dieser Raffinerie liegt bei 85 Prozent. ({2}) 85 Prozent, das entspricht sozusagen 100 Prozent Wiederherstellung des jetzigen Zustands. Mit 70 Prozent sind wir nicht weit davon entfernt. Ich bin optimistisch, dass auch die Verhandlungen mit Kasachstan gelingen werden, um diese letzte Lücke wieder zu schließen. ({3}) Die letzte Antwort, die ich Ihnen dazu gebe – die brauche ich der Bürgermeisterin in Schwedt nicht zu geben, weil sie meiner Meinung ist; das geht mehr in Richtung von Frau Dörk –, ist: Ich erinnere an dieser Stelle an den Strukturwandelprozess in der Lausitz. Mir kommt alles wie ein Déjà-vu vor. ({4}) Damals wurde von denselben Oppositionsparteien der Weltuntergang proklamiert, wie er heute hier auch für Schwedt geäußert worden ist. Wir sind in zweieinhalb Jahren mitten im Transformationsprozess der Lausitz. Das sollte den Menschen in Schwedt Mut machen, dass Schwedt eine Zukunft hat und es uns dort genauso gelingen wird, die Transformation zu gestalten wie in der Lausitz. ({5}) Mit dem vorhin genannten Paket war verbunden, die Beschäftigung in der PCK mit geeigneten Maßnahmen zu sichern, was gelungen ist. Die Regelung zur Einkommenssicherung der Beschäftigten in dieser Form ist einmalig und uneingeschränkt positiv hervorzuheben. Zusätzlich stellt der Bund Geld für die Ertüchtigung bzw. für die sicherere Versorgung über den Pipelinebetrieb zur Verfügung. Ich bin dem BMWK ausgesprochen dankbar, mit welcher Intensität an einer auch wirtschaftlich auskömmlichen Versorgung gearbeitet worden ist und auch weiter gearbeitet wird. Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit – ich bitte den Vizekanzler, das weiterzugeben – ausdrücklich beim Bundeskanzler bedanken. Ich möchte hier die Gelegenheit wahrnehmen, um mich bei Ihnen ganz persönlich für die Unterstützung der Bundesregierung zu bedanken. Wir wissen, dass dies ein erster Schritt ist, dass wir uns nicht zurücklehnen dürfen, dass wir weitermachen müssen. Aber für diese erste Unterstützung unseren ganz herzlichen Dank, auch von meinem Ministerpräsidenten! ({6}) Im Telegrammstil bei der laufenden Zeit: Wir haben ergänzend vonseiten des Landes eine Förderung von Schwedt im Rahmen der sogenannten GRW-Experimentierklausel ermöglicht, sodass wir bereits jetzt im Dezember 5 Millionen Euro der Stadt zur Verfügung stellen können, um den anstehenden Transformationsprozess – Thema „Flächengenerierung/Bereitstellung“ – und die dazugehörigen Konzepte zu realisieren. Wir haben von der Seite der Wirtschaftsförderung unseres Landes ein Vor-Ort-Büro eingerichtet, das für alle potenziellen Ansiedler entsprechend eine Andockstation ist. Und wir haben zur engen Begleitung des ganzen Transformationsprozesses eine Taskforce unter Leitung meines Ministerpräsidenten eingerichtet, die am Montag wieder tagen wird ({7}) und die sich speziell um die Themen Standortentwicklung und Genehmigungsverfahren kümmert. Lassen Sie mich an der Stelle mit einer persönlichen Bemerkung schließen. Es ist wichtig, dass die Menschen in der Region den Mut behalten. Insofern sollten die Ergebnisse, die in diesen neun Monaten erzielt worden sind, nicht schlechtgeredet werden, sondern sie sollten den Menschen Mut machen. Schwedt hat eine Zukunft. Und die Landesregierung – ich kann mir nicht anmaßen, hier für die Bundesregierung zu sprechen, aber für die Landesregierung – steht weiter bei den Schwedtern. Danke schön. ({8})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die AfD-Fraktion hat das Wort Dr. Rainer Kraft. ({0})

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Geschätzte Präsidentin! Werte Kollegen! Zuerst ein kurzer Realitätscheck: Die Leistungsdaten der Kraftwerke in der vergangenen Nacht – Solar: 0 Gigawatt, Wind: 5 Gigawatt, Kernenergie: 4 Gigawatt, Gas: 18 Gigawatt, Kohle: in Summe 30 Gigawatt. Von dieser Stelle einen herzlichen Dank an die Arbeiter in den Kern-, Kohle- und Gaskraftwerken! Ihr haltet die Republik am Laufen. Wind und Sonne tun es nicht und werden das niemals schaffen. ({0}) Seit einem halben Jahr nun weiß die Bundesregierung, dass ab 1. Januar 2023 eine Unterversorgung der Raffinerie in Schwedt bevorsteht, und seit einem halben Jahr heißt es immer nur, dass man mit Polen verhandelt. Nun, jetzt wurde heute eine Lösung präsentiert; wir werden sehen, was dabei herauskommt. Aber was ich dem Wirtschaftsminister – er ist nicht da – ({1}) und seinem Ministerium nicht abnehme, ist, dass, wenn man die Treuhand über eine Raffinerie hat, man nicht in der Lage ist, zu sagen, welche Verträge ab 1. Januar 2023 für diese Raffinerie gelten. Das nehme ich Ihnen nicht ab. ({2}) Vonseiten des Ministeriums wurde eine Lösung in Eigenregie ohne Polen ja niemals präsentiert. Man verlässt sich immer darauf, dass eine Pipeline gebaut werden soll, die vielleicht in zwei Jahren fertig sein soll – aber in Berlin-Brandenburg kann es ja schon mal länger dauern. Kurz zur Erinnerung: Vor 74 Jahren wurde Berlin fast ein Jahr lang ausschließlich über die Luft durch zwei- und viermotorige Propellermaschinen versorgt. Dieses Ministerium schafft es nicht, einen einzigen Raffineriestandort mit Pipeline, mit Bahnanschluss und mit Binnenhafen zu versorgen. Wäre diese Regierung vor 74 Jahren in Verantwortung gewesen, ja, Berlin wäre verhungert. ({3}) Die AfD fordert, dass die Regierung jetzt einen Plan vorlegt, ein Konzept, dass die Raffinerie zu 100 Prozent über deutschen Boden versorgt werden kann, und zwar mit den vorhandenen Transportressourcen Bahn, Pipeline und Schiff und nicht mit irgendeiner Wünsch-dir-was-irgendwann-Pipeline. Wir sprachen vom Verhungern. Ja, das wird das Schicksal des Industriestandortes Schwedt in den von der Regierung versprochenen blühenden Wasserstofflandschaften sein. Am Tag werden in Schwedt Pi mal Daumen mit 750 Gigawattstunden Industrieprodukte verarbeitet. Schauen wir, was wir bräuchten, um das in Wasserstoff abzubilden. Für diese Mengen an Strom für die Elektrolyse bräuchte man dann in Schwedt entweder 22 Kernkraftwerke oder 90 000 bis 95 000 Windkraftanlagen, nur für den Strom für die Elektrolyseure. ({4}) An diesen Zahlen sieht man es ganz deutlich: Die Wasserstoffpläne der Regierung sind grüne Märchen. Weil mit Wasserstoff in Schwedt nur ein Bruchteil der bisherigen Wertschöpfung wird stattfinden können, wird auch nur ein Bruchteil der Arbeitsplätze dort erhalten werden können. Die Menschen in Schwedt werden sich nicht an diesem grünen Märchen erfreuen. Nein, sie werden zum zweiten Mal in ihrem Leben einen bitteren Bruch ihrer Lebensplanung erdulden müssen. Die Regierung schafft also keinen Ersatz für die 1 200 produktiven Arbeitsplätze der hartarbeitenden Menschen in der Raffinerie. Das Versprechen eines erneuerbaren Zukunftsstandortes ist bereits vor Beginn des Unternehmens gebrochen worden.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Und ja, es ist die gleiche Lüge wie die der einst versprochenen blühenden Landschaften. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort der Kollege Bernhard Herrmann. ({0})

Bernhard Herrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005083, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich herzlichen Dank sagen Ihnen, Herr Wirtschaftsminister Dr. Steinbach, aber auch Herrn Staatssekretär Kellner und meinen Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten, die zur Versachlichung beitragen und beigetragen haben. Denn nur so, konzentriert arbeitend – Dank an die Ministerien! – und gleichzeitig sachlich kommunizierend, werden wir der Herausforderung und der Aufgabe der jetzt und auch langfristig anstehenden Zukunftssicherung gerecht. ({0}) Noch einmal klar und deutlich: Die Versorgung mit Erdölprodukten ist gesichert, in Westdeutschland und ebenso in Ostdeutschland. ({1}) Am 1. Januar 2023 wird das Embargo auf Erdöl aus Russland in Kraft treten. Das nutzen einige, um unnötige Ängste zu schüren. ({2}) Dabei sind wir schon heute auf das Ölembargo vorbereitet, wie wir heute gehört haben. Auch in Ostdeutschland wird man nach Inkrafttreten des Embargos genügend Rohöl haben, ({3}) um in ausreichenden Mengen Diesel, Benzin und Heizöl für alle in Ostdeutschland zu produzieren, die es brauchen. ({4}) Schauen wir uns einmal die Realität in den beiden ostdeutschen Raffinerien im Detail an. Beide haben zu Beginn des Jahres nahezu ausschließlich Rohöl aus Russland verarbeitet. Leuna hat sich im März entschieden, sich von Russland unabhängig zu machen und Öl aus anderen Quellen zu nutzen. Inzwischen hat Leuna seine Rohölversorgung erfolgreich komplett auf andere Lieferanten umgestellt. Das PCK in Schwedt braucht und erhält mehr Unterstützung bei dieser Umstellung. Um das PCK aus der Abhängigkeit Russlands zu befreien, hat das BMWK Rosneft unter Kontrolle gestellt und so aus Putins fossilem Klammergriff befreit. Ermöglicht hat dies das novellierte Energiesicherungsgesetz, das der Bundestag als Antwort auf die Energiekrise umfassend reformiert hat. Der Energiehafen Rostock wird ausgebaut und die Pipeline Rostock–Schwedt ertüchtigt, um mehr Öl vom Hafen in Rostock transportieren zu können. ({5}) Die Kosten dafür übernimmt vollständig der Bund. Zur Beschaffung zusätzlicher Mengen hat Staatssekretär Kellner gerade von den erfolgreichen Verhandlungen mit Polen und den gut laufenden Gesprächen mit Kasachstan berichtet, sodass im folgenden Jahr die Vollauslastung wieder gegeben sein wird. Es ist entscheidend – das scheint Ihnen als Union egal zu sein, und das ist bitter –, dass wir als Europa zusammenhalten und mit Polen kooperieren. Das scheint Ihnen egal zu sein, und das macht Sorge. Zum Glück haben Sie an der Stelle zurzeit nichts zu sagen. ({6}) In einer schwierigen Gemengelage ist die Produktion des PCK gesichert, dank der beharrlichen Arbeit der Ampelkoalition und insbesondere des BMWKs. Auch wenn das PCK Schwedt in den ersten Monaten 2023 übergangsweise nicht vollständig ausgelastet sein könnte, ({7}) kann mit den Raffinerien Leuna und Schwedt der Bedarf an Ölprodukten in Ostdeutschland problemlos gedeckt werden; denn wir haben bei wichtigen Infrastrukturen genügend Überkapazitäten, um genau solche Fälle zu bewältigen. ({8}) Es wird genügend Ölprodukte geben. Wer was anderes behauptet, schürt nur unnötig – aber wohl aus ganz anderen Gründen – ganz gezielt Ängste in der Bevölkerung. ({9}) Ebenso werden Befürchtungen geäußert, dass die Preise für Ölprodukte regional steigen könnten. Aber schauen wir doch mal die aktuellen Preise an. Die Tankstellen von Berlin werden überwiegend von dem PCK Schwedt beliefert, in der Tat. Ich habe mal nachgeschaut: Heute liegen die Benzinpreise in Berlin, wie an den meisten Tagen, deutlich unter dem Bundesschnitt. ({10}) Die Preise in Ostdeutschland werden auch bei einer vorübergehenden gewissen Reduktion der Produktionskapazitäten in Schwedt stabil bleiben. Ölprodukte lassen sich gut transportieren. Sie würden einfach aus anderen Raffinerien beschafft. ({11}) Es gibt also keinen Grund zur Sorge über plötzliche Preissprünge bei Kraft- und Treibstoffen. ({12}) Die Sorge der Beschäftigten des PCK und in der Stadt Schwedt hingegen verstehe ich nur zu gut. Erfahrungen mit dem Verlust von Arbeit, von Gewohntem, mit Entwurzelung haben wir im Osten in meiner Generation vor 20 bis 30 Jahren gemeinsam massiv erleben müssen. ({13}) Die Folgen wirken oft noch bis heute nach. Auch deshalb hat die Ampelkoalition – anders als Sie damals – ein großes Zukunftspaket für das PCK in Schwedt geschnürt, um die Arbeitsplätze zu sichern sowie den Industriestandort und die Menschen in der Region zu halten und um wichtige Zeichen für die Zukunft der Region zu setzen. Für das Jahr 2023 ist sichergestellt, dass es aufgrund des Embargos keine betriebsbedingten Kündigungen geben wird. Alle 1 200 meist gutbezahlten Arbeitsplätze sind sicher. ({14}) Die große Frage ist doch aber: Wie geht es in Zukunft weiter, wie klappt es langfristig? Das geht nur klimaneutral. Die ostdeutschen Flächenländer haben ein enormes Grünstrompotenzial. Das ist ein großer Standortvorteil für die Wasserstoffindustrie, für ein Wegkommen von der Petrolindustrie. ({15}) Damit diese Chance aber nicht ungenutzt bleibt, unterstützt die Ampelkoalition die Transformation der Standorte in Schwedt und Leuna im Rahmen des schon benannten Programms zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur mit einer dreiviertel Milliarde Euro. ({16}) Mit diesen Maßnahmen stellen wir sicher, dass das PCK Schwedt gemeinsam mit der Raffinerie Leuna die ostdeutschen Bundesländer heute, morgen und übermorgen mit den notwendigen Energieprodukten versorgen wird und –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Bernhard Herrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005083, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– an dieser Stelle gibt es Einigkeit zwischen uns und dem Antrag und den Ambitionen der Linken – die zukunftsfeste Transformation der Weg sein muss, um auch langfristig erfolgreich zu sein. Herzlichen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der nächste Redner ist Robert Farle.

Robert Farle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005053

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich halte es gar nicht für falsch, was Herr Spahn hier vorhin gesagt hat: dass man die Tanker alle zählen und genau kontrollieren sollte, ob das Öl ausreicht, um Schwedt ausreichend zu versorgen und diese Arbeitsplätze zu erhalten. Das halte ich für die entscheidende Aufgabe im Sinne aller Leute, die betroffen sind, die zu Recht Angst um ihre Arbeitsplätze haben und Ihren Versprechungen gar nicht mehr glauben, weil sie wissen, dass es nicht Russland war, das das Öl abgestellt hat, sondern dass die Grünen – Frau Baerbock auf einer Konferenz – schon am Anfang dieses Jahres erklärt haben, dass ein Öl- und Gasembargo kommen soll. Das kommt jetzt, und Sie haben nichts geklärt. Wie toll ist denn die Zusage aus einem Gespräch mit irgendwelchen Leuten in Polen, die uns, Deutschland, zurzeit 1,3 Billionen Euro Reparationsleistungen abverlangen wollen und kein Wort darüber verlieren, dass ein Teil ihrer Gebiete in ihrem eigenen Staat ehemals deutsches Staatsgebiet ist? ({0}) Wie groß ist das Vertrauen in solche Gespräche? Denn diese Frage der Reparationen ist schon ewig lange her, und die wollen sie in Polen im Vorfeld der nächsten Wahlen jetzt ernsthaft zur großen öffentlichen Diskussion stellen. Nächstens. Die von Korruptionsskandalen erschütterte EU hat jüngst einen Preisdeckel für russisches Öl weit unter dem Weltmarktpreis verhängt, wobei Russland schon erklärt hat, dass es zu diesen Sanktionskonditionen nicht liefern wird. So zerstört man Lieferketten und schädigt die eigene Wirtschaft und die Konsumenten mit dem Vorwand des Ukrainekrieges.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Robert Farle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005053

Zum Schluss sage ich noch eins: Machen Sie Schluss mit Ihrem sinnlosen Wirtschaftskrieg gegen unsere eigene Wirtschaft! Denn Sie schädigen weniger Russland. Es kann auch nach China, nach Indien und sonst wohin liefern, von wo Deutschland dann wieder Öl einkaufen kann.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Farle, kommen Sie bitte zum Schluss. Ihre Redezeit ist vorbei.

Robert Farle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005053

Ja, die ist jetzt langsam vorbei. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Nicht langsam, sondern schon einige Sekunden.

Robert Farle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005053

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Reinhard Houben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004763, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind es ja gewöhnt, dass von ganz links außen und ganz rechts außen jeder Versuch unternommen wird, irgendwie Weltuntergangsstimmung zu betreiben. ({0}) – Das kommt noch. Warten Sie ruhig ab. Ihre Strategie, dieses permanente Untergangsszenario hier darzustellen, unterscheidet sich in nichts von dem, was die AfD tut. ({1}) Da stimmt die Hufeisentheorie wiederum ganz genau. Lieber Herr Müller, dass Sie dann eigentlich in das gleiche Fahrwasser hineingehen, das schockiert mich, ehrlich gesagt, schon. ({2}) Wenn Sie in Ihren Ausführungen hier schon anfangen mit „versprochen und nicht gehalten“, dann können wir ja mal ein mindestens ganztägiges Seminar darüber veranstalten, was die Union schon mal vor Wahlen versprochen und hinterher nicht gehalten hat. ({3}) Ich hätte da so die eine oder andere Idee. ({4}) Dass man in Regierungsverantwortung nicht alles umsetzen kann, was man im Wahlkampf verspricht, ist vollkommen normal. Dass Sie aber jetzt die Situation nutzen, um ähnlich zu argumentieren wie AfD und Linke, das schockiert mich nun wirklich sehr. ({5}) Und, Herr Müller, Sie hantieren mit falschen Zahlen; wir wollen ja auf das Schwedt’sche Problem zurückkommen. Also, ich komme aus Köln. Da gibt es eine große Raffinerie. Wer sich da ernsthaft hinstellt und sagt: „Wir brauchen permanent 100 Prozent Versorgung einer Raffinerie“, der hat noch nie begriffen, wie eine Raffinerie funktioniert. Es tut mir leid. ({6}) Keine Raffinerie braucht jeden Tag 100 Prozent Rohölversorgung. ({7}) Köln wird aus Rotterdam versorgt. Es wird täglich kontrolliert, wie viel Rohöl tatsächlich in Köln ankommt, damit man es vor Ort auch wirklich verarbeiten kann. ({8}) Nun wissen Sie doch auch genau, Herr Müller, dass Leuna – nachdem klar war, dass wir kein russisches Öl mehr beziehen wollen – es aufgrund der Eigentümerstruktur leichter hat als Schwedt. Leuna hat sich ja relativ schnell aufgelöst; es ist eben dargestellt worden. Dann waren die Bemühungen der Bundesregierung wahrhaftig schwer genug, weil der Haupteigentümer von Schwedt eigentlich nur russisches Öl einführen möchte. Dann haben wir über die technischen Möglichkeiten debattiert, und es war relativ klar, dass wir ungefähr 50 Prozent der Versorgung über die bisher vorhandene Leitung über Rostock darstellen können. Dann haben alle Techniker gesagt: Ja, das reicht aber nicht für einen Betrieb. ({9}) Dann ist debattiert worden: Können wir das aufheben durch Bahntransport? Da hat man gesagt: Ja, das könnte knapp reichen, aber es wäre viel sinnvoller, mit dem polnischen Nachbarn darüber zu debattieren, dass wir seine Pipeline nutzen, die Leuna ja außerdem auch nutzt. ({10}) – Entschuldigen Sie, Herr Koeppen, wie können Sie so etwas sagen? Meinen Sie, Herr Kellner würde sich hierhinstellen und sagen: „Wir garantieren ab Januar 70 Prozent Versorgung“ und wir halten das nicht durch? ({11}) Das, lieber Herr Koeppen, nehme ich Ihnen nun wirklich nicht ab. Sie haben das Wort von Herrn Kellner. ({12}) Auf dieser Grundlage sollten wir meiner Meinung nach debattieren, anstatt hier irgendwelche Hätte-könnte-sein-Debatten zu führen. ({13}) Die Bundesregierung hat sich um das Problem gekümmert. Es hat lange gedauert, ja. Ich kann die Reserviertheit der Polen in dieser Frage verstehen. Es ist ja der Wunsch geäußert worden, von russischen Öllieferungen unabhängig zu werden. Dass unsere polnischen Nachbarn das ein bisschen anders sehen als wir, wissen wir. Das Problem ist gelöst. Wenn über die 70 Prozent Versorgung hinaus mit Kasachstan ein weiterer Lieferant gefunden wird, dann – das wissen wir – gibt es ein Restrisiko. Aber, meine Damen und Herren, in der Wirtschaft gibt es immer ein Restrisiko. Vielen Dank. ({14})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich grüße Sie erneut an diesem Tage und gebe das Wort weiter an Dr. Markus Reichel für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Markus Reichel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005185, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind jetzt in der Zeit vor Weihnachten. Weihnachten ist eine Zeit der Hoffnung, des Optimismus. Allerdings muss ich sagen: Allein mit Hoffnung werden wir an dieses Problem nicht herangehen können. Herr Staatssekretär Kellner, Sie hatten erwähnt, dass ein Ansatz für eine Lösung ist, kasachisches Rohöl zu bekommen. Ich halte es für ein Prinzip Hoffnung, zu erwarten, dass Sie das durch russisches Staatsgebiet bekommen, wenn Sie vorher ein Embargo verhängen. Und zum Thema „polnische Lieferungen“: Ich hoffe, dass es dazu kommt, muss allerdings sagen, dass das – so habe ich es zumindest aus Polen gespiegelt bekommen – noch nicht in trockenen Tüchern ist. ({0}) Die Verhandlungen mögen fortgeschritten sein. Wir hoffen auch, dass es dazu kommt. Aber mit dem Prinzip Hoffnung allein führt man ein Industrieland wie Deutschland nicht durch die Krise, in der wir heute sind. ({1}) Es gibt keinen Zweifel: Allein 3 000 Arbeitsplätze in Schwedt hängen davon ab, dass die Raffinerie ausreichend versorgt wird. Es gibt auch keinen Zweifel daran, dass noch viel mehr Arbeitsplätze bei den Zulieferern und den versorgten Gebieten in Ostdeutschland daran hängen. Und natürlich gibt es auch keinen Zweifel daran, dass eine ganze Reihe von Familien direkt davon betroffen ist. Diese Familien verdienen jetzt, eine Woche vor Weihnachten und zwei Wochen vor dem geplanten Inkrafttreten des Embargos, dass Sie klare Ansagen machen und hier nicht zur Verwirrung beitragen. Ich muss sagen: Angesichts der bisherigen Darstellungen seitens der Ampelkoalition habe ich eigentlich nur Verwirrung wahrgenommen. Das geht so nicht. ({2}) Wir als Union stehen selbstverständlich zu Sanktionen gegen Russland, ({3}) aber sie müssen gut vorbereitet sein. Hier geht es doch um viel mehr. Jeder Fehler, jede schlechte Vorbereitung führt nur dazu, dass wir die Arbeitnehmer, die Bevölkerung und die Unternehmen verunsichern. ({4}) Um das zu verhindern, haben wir unseren Antrag eingereicht, in dem wir Ihnen eine Reihe von Punkten nennen, die erfüllt sein müssen. Wir sagen: Ein Pipelineembargo muss daran geknüpft sein, dass die Voraussetzungen dafür geschaffen sind. Das sehen wir momentan noch nicht gegeben. ({5}) Mit dem, was von Ihrer Seite bis heute, 16 Tage vor Inkrafttreten des Embargos, gemacht wurde, kommen wir nicht weiter. Wie kann genug Öl geliefert werden? – Nicht beantwortet. Was passiert mit den Arbeitsplätzen in Schwedt? – Teilweise beantwortet. Was passiert mit den Arbeitsplätzen in den ansonsten davon betroffenen Industrien? – Nicht beantwortet. Wie lange soll Kurzarbeitergeld gezahlt werden? Welche Sicherheiten können den Menschen gegeben werden? – Nicht beantwortet. Wenn Sie hierauf wirklich ernsthaft Antworten geben wollten, hätten Sie vielleicht die Ergebnisse aus dem Gutachten, das Sie bei Prognos in Auftrag gegeben haben und in dem genau diese Fragen beantwortet werden, mit uns geteilt. Sie haben in der Antwort auf unsere Kleine Anfrage dazu geschrieben, dass diese Fragen in diesem Rahmen beantwortet werden sollen. Wieso hören wir heute nicht die Ergebnisse? ({6}) Das Problem ist doch – das haben wir hier wunderbar mitbekommen –: Die Verunsicherung, die dadurch entsteht, wird von Populisten bedenkenlos ausgenutzt. Es kommt doch nicht von ungefähr, dass die AfD in ihren Antrag, in dem Fall aus dem Mai, Formulierungen wie „Massenentlassungen“ benutzt. Das trägt zur Verunsicherung bei. Und so geht das nicht. ({7}) Ich sage Ihnen: Sie sind gefordert, in Schwedt Klarheit zu schaffen, auch für die Zukunft. Da haben Sie sehr gute Ansätze, gar keine Frage. Aber ich möchte noch eines sagen: In der Lausitz – nur als ein Beispiel – haben Sie mit Ihrer Floskel, den Braunkohleausstieg „idealerweise“ bis 2030 zu erreichen, genau dieselbe Prinzip-Hoffnung-Strategie angewendet, die am Ende unverantwortlich ist und für Verunsicherung sorgt. Wir erwarten: Zeigen Sie mehr Respekt vor den Arbeitnehmern und der Wirtschaft in Schwedt und in Ostdeutschland! Dann finden die Populisten hier keinen Ansatz mehr, unausgegorene Anträge einzureichen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächster Redner ist Hannes Walter für die SPD-Fraktion. ({0})

Hannes Walter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005250, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Eltern auf der Besuchertribüne und alle anderen Gäste vor Ort! ({0}) Wohl noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat eine Koalition in so kurzer Zeit so große Aufgaben zu bewältigen wie in diesem Jahr. ({1}) Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat massive Folgen, und das wirkt sich auch auf die europäischen Nachbarn aus. Die Folgen der Energiekrise, die der Krieg ausgelöst hat, bekommen wir in Deutschland täglich zu spüren. Infolgedessen gefährden eine hohe Inflation und eine drohende Rezession die Prosperität unseres Landes. Diese historischen Herausforderungen nehmen wir an. Die Ampelkoalition übernimmt Verantwortung in schwierigen Zeiten. ({2}) Wir gewährleisten Energiesicherheit und machen uns gleichzeitig unabhängig von fossilen Energien. Wir schützen die Substanz der deutschen Wirtschaft und treiben gleichzeitig die Transformation zum klimaneutralen Wirtschaften voran. PCK Schwedt ist ein Brennglas für die vielen Herausforderungen, vor denen wir stehen. Wir übernehmen daher auch hier Verantwortung für die Beschäftigten und für den Standort. Wir geben Sicherheit, jetzt und morgen. Das tun wir zum Beispiel, indem der Bund die Treuhandschaft über PCK übernommen hat. Diese Maßnahme war für den Fortbestand der Raffinerie von großer Bedeutung. Nicht nur die Erdölversorgung wird dadurch langfristig weiter gesichert; jetzt können auch die dringend notwendigen Investitionen in die Zukunft des Standortes stattfinden. Darüber hinaus sorgt die zweijährige Beschäftigungsgarantie des Bundes für Sicherheit bei den Beschäftigten. Mit den Beschlüssen der PCK-Gesellschafter zum Betriebskostenbudget können betriebsbedingte Kündigungen für 2023 ausgeschlossen werden. ({3}) Damit sind alle 1 200 Arbeitsplätze für das nächste Jahr gesichert. Wir halten, was wir versprechen. ({4}) Vordringliches Ziel ist es jetzt, dass wir den Durchsatz der Pipeline in Schwedt weiter erhöhen. Wir werden daher für die Rohölbelieferung die Pipeline Rostock–Schwedt ausbauen. Die Pipeline soll so ertüchtigt werden, dass zügig eine stabile jährliche Maximalkapazität von rund 9 Millionen Tonnen gewährleistet ist. ({5}) Der Bund stellt die nötigen 400 Millionen Euro in einem Zukunftspaket zur Verfügung. Mit diesem Zukunftspaket sichern wir die Raffineriestandorte Schwedt und Leuna und investieren gleichzeitig in die Transformation Ostdeutschlands. ({6}) Ende November haben wir mit dem Haushalt 2023 die Weichen dafür richtig gestellt. Darüber hinaus – ich danke Ihnen, Staatssekretär Kellner, für die guten Nachrichten – haben wir mit Polen die Versorgung gesichert. ({7}) – Herr Müller, wenn Bürgermeisterin Hoppe aus Schwedt in die SPD eintritt mit den Worten – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –: „Die SPD ist die Partei, die sich maßgeblich für Arbeitnehmer einsetzt, ({8}) und Arbeitsplatzsicherung ist jetzt das wichtigste Thema in der Stadt“, dann kann die Arbeit der Bundesregierung und der SPD-Fraktion nicht die schlechteste sein. ({9}) Hieran hat auch Stefan Zierke, der Kollege vor Ort, einen erheblichen Anteil. Natürlich ist auch die Arbeit der Landesregierung von überaus wichtiger Bedeutung. Danke, Jörg Steinbach. ({10}) Für die Sicherheit von morgen wird es maßgeblich auch auf Investitionen in Zukunftstechnologien ankommen. Das Zukunftspaket setzt hier genau das richtige Signal; denn es nimmt die Transformation und Modernisierung in den Fokus, nicht nur in Schwedt, sondern in ganz Ostdeutschland. Es geht um die Transformation weg von fossilen Brennstoffen. Deshalb sind der Ausbau der erneuerbaren Energien, der rasche Ausbau und Betrieb von Elektrolyseanlagen und der zügige Hochlauf einer wettbewerbsfähigen Wasserstoffwirtschaft von großer Wichtigkeit. Daran arbeiten wir hier in Ostdeutschland schon lange mit Hochdruck. ({11}) Auch in Zukunft kommt es darauf an, Tempo zu machen und den Anschluss nicht zu verpassen. Sicherheit der Arbeitsplätze, Ertüchtigung und Modernisierung der Pipeline Rostock–Schwedt, aber auch ausreichend Mittel für eine klimafreundliche und zukunftsweisende Transformation in Schwedt, Rostock und Leuna sind Punkte, auf die es ankommt. Ich komme zum Ende. – Unsere Botschaft lautet: Wir übernehmen Verantwortung. Wir sichern unsere ostdeutschen Raffineriestandorte. Wir lassen beim Strukturwandel niemanden zurück. Vielen Dank und Glück auf! ({12})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Jens Koeppen. ({0})

Jens Koeppen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003789, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende dieser Debatte kann ich das Fazit meiner Rede an den Anfang stellen: Ohne eine wirtschaftliche, ohne eine technische, ohne eine umweltverträgliche Lösung für die Raffinerie in Schwedt und alles, was damit verbunden ist, darf es kein nationales Embargo auf pipelinegebundenes Erdöl geben! ({0}) In 16 Tagen plant dieser Wirtschaftsminister, plant diese Bundesregierung eine freiwillige, nationale, völlig unnötige Ausweitung des europäischen Ölembargos auf die Erdölleitung Druschba, die bekannterweise in Schwedt endet. Sie, Herr Habeck, halten an diesem Embargo fest, ohne gesetzliche Grundlage. Die Protokollnotiz des Bundeskanzlers ist ein Koloss auf tönernen Füßen. Weder auf EU-Ebene noch hier im Deutschen Bundestag wurden darüber jemals Beschlüsse gefasst. Sie halten daran fest, ohne die Versorgungssicherheit mit Kraftstoffen in Ost- und Mitteldeutschland und in Westpolen sicherzustellen. Sie halten an diesem Embargo fest ohne die Absicherung, dass die ostdeutschen Raffinerien auf alternativen Transportwegen vollständig mit dem benötigten Öl versorgt werden. Sie halten an diesem Embargo fest, ohne sicherzustellen, dass der Bereich Straßenbau in Deutschland zuverlässig mit Bitumen beliefert wird, das zum größten Teil aus Schwedt kommt. Sie halten an diesem Embargo fest ohne Garantien für den Erhalt von Arbeitsplätzen über die PCK hinaus und für die wirtschaftliche Infrastruktur an den ostdeutschen Raffineriestandorten. Sie halten an diesem Embargo fest auch auf die Gefahr hin, dass es zu einer wiederholten Deindustrialisierung in Ostdeutschland kommt. Das geplante Ölembargo würde hauptsächlich unserer Volkswirtschaft und den Menschen in Ost- und Mitteldeutschland schaden. Sie sollten aber alles vermeiden, um uns zu schwächen. Deshalb noch einmal: Ohne Lösung darf es dieses nationale Embargo nicht geben. Kommen Sie endlich zur Vernunft, und ziehen Sie Ihre Protokollnotiz zurück! ({1}) Diese hat für viel Verunsicherung gesorgt und Existenzängste geschürt. Ihr Motto, Herr Habeck, ist seit Monaten: Es wird schon irgendwie gut gehen. – Das ist aber zu wenig für eine umsichtige Regierungsarbeit. Es reicht eben nicht aus, nur in guten Gesprächen zu sein. ({2}) Seit Monaten gibt es nur Reden, nur Ankündigungen, nur Unverbindliches. Bliebe es bei dem nationalen Ölembargo, würde Ostdeutschland wieder die gesamte Last zu tragen haben. Begreifen Sie endlich, dass Ostdeutschland einen enorm wichtigen Beitrag für die Versorgungssicherheit leistet und für die Wertschöpfung des gesamten Landes wichtig ist! ({3}) Die Berichte aus dem sogenannten Wirtschaftsministerium im Energieausschuss haben die ganze Planlosigkeit Ihres Hauses offenbart. Dort ist das Prinzip Hoffnung vorherrschend. Aber das ist angesichts der Lage und der zu befürchtenden Auswirkung viel zu wenig. Bevor man ein nationales Ölembargo ausruft, sollte man vom Ende her denken und sich nicht auf so dünnes Eis begeben. Für die Bürger und für die Unternehmer meiner Heimatregion ist das eine Frage ihrer Existenz und ihrer Lebensleistung. Deshalb bleibt es aus Sicht der Menschen östlich der Elbe dabei, lieber Herr Habeck: Jeder Monat ohne Ölembargo ist ein guter Monat. ({4})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Abschließend für diese Debatte erteile ich Bengt Bergt von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Bengt Bergt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005024, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Moin, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Herr Koeppen, ausgerechnet Sie fordern jetzt, dass wir eine staatliche Planwirtschaft einführen, ({0}) dass wir nichts mehr in die Hände der Betriebe legen, dass der Staat alles zu organisieren hat und alles selbst beschaffen muss. Das ist schon ein starkes Stück. ({1}) Und es ehrt Sie, dass Sie alle sich für den Standort Schwedt einsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken. Einige Ihrer Forderungen sind diskussionswürdig, andere teile ich nicht. Ich hätte es besser gefunden, wenn Sie für Ihren Antrag nicht nur die alten Stereotype aus der Schublade geholt hätten, dass der Bund den Osten vergessen hätte oder den Westen nicht bevorzugen solle. Mit Verlaub: Das ist echt Quatsch. ({2}) Es ist normal, dass die Schwedterin sich anders fühlt als ein Schleswiger. Es ist normal, dass die Leute aus Nebra einen anderen Fokus haben als ein Norderstedter. Es gibt Regionen in Deutschland, das ist das Normalste der Welt. Die Menschen von Mecklenburg-Vorpommern bis Sachsen sind in dieser Frage längst viel weiter. Wir kümmern uns um die Menschen in Deutschland, egal wo sie leben, meine Damen und Herren. ({3}) Ich denke, ich kann das guten Gewissens sagen; denn ich bin selbst im sogenannten Osten geboren, in Luckenwalde, keine 50 Kilometer von hier, in Brandenburg. Das heißt, ich weiß um die Bedeutung des Raffineriestandortes in Schwedt für die Region. Mit 1 200 Arbeitsplätzen ist die Raffinerie der größte Arbeitgeber in den unendlichen Weiten der Uckermark. Hunderte Arbeitsplätze sichert die Raffinerie noch indirekt in der Umgebung; das haben wir heute alles schon gehört. Dieser Standort ist ein wichtiger Anker, der Tausende Menschen ernährt. Insofern hat das, was in Schwedt passiert, auch immer Auswirkungen in der Breite. Ich kann Ihnen versichern, dass die SPD-Bundestagsfraktion und die gesamte Ampelkoalition alles dafür tun werden, dass Arbeitsplätze und Versorgungssicherheit erhalten bleiben. ({4}) Durch die Versorgungsstrukturen der PCK in Schwedt sind Berlin, Brandenburg, Meck-Pomm, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen direkt oder indirekt betroffen, und das ist eine schwierige Situation. Das stimmt; da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Aber ich darf auch im Namen meines Fraktionskollegen und Ostbeauftragten der Bundesregierung, Carsten Schneider, der heute leider krankheitsbedingt passen muss, sagen: Wir kümmern uns darum. Wir sind dran. Ich denke, in einer Frage sind wir uns hier im Hause weitestgehend einig: Wir müssen alle ausbleibenden Öllieferungen nach Schwedt ersetzen. Wir müssen die Wertschöpfung erhalten. Deswegen ist es sehr gut, dass die Liefervereinbarung mit Polen steht und ein Back-up aus Kasachstan in Arbeit ist. ({5}) Es zeigt sich, dass es richtig und wichtig war, dass die Bundesregierung schon vor Monaten Gespräche mit den anderen Regierungen eingeleitet hat. Die 100-prozentige Auslastung eines Betriebes zu garantieren, ist übrigens nicht die Aufgabe des Staates. Natürlich müssen alle Weichen gestellt werden, um die Versorgung zu ermöglichen. Wirtschaften tut aber immer noch der Betrieb selbst. ({6}) Mit all den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und dem Staat als Rückhalt werden die Betriebe das auch schaffen. Wir nehmen diese Rolle sehr ernst. Was wir aber vor allem tun müssen, ist, Schwedt und der gesamten Region, den Menschen Perspektiven aufzuzeigen, meine Damen und Herren. Deshalb ist es gut, dass wir nicht nur Anträge schreiben, sondern auch konkret handeln. Über 15 Jahre werden 374 Millionen Euro in die Uckermark fließen, Geld, das vom Bund und vom Land Brandenburg kommt. – Vielen Dank, lieber Jörg Steinbach, dass wir hier so gut zusammenarbeiten und dass du heute hier das Wort für die gesamte Region ergriffen hast. ({7}) Mit einem Gesamtpaket von insgesamt 825 Millionen Euro werden wir die Region fit machen für die Zukunft. Das ist ein Riesenkraftakt; das wissen wir. Hier werden Politik, Wirtschaft und vor allem die Menschen gemeinsam Ideen entwickeln und die Region voranbringen. Das kommt dem Raffineriestandort zugute, das kommt der Region zugute, und das kommt dem Land zugute. Die Raffinerie von heute wird aber nicht derselbe Arbeitgeber von morgen sein. So ehrlich sollten wir uns machen. Es wird auch künftig Arbeit geben; aber die Arbeit wird sich wandeln. Der Wandel ist jedoch nichts, wovor man Angst haben muss. Im Gegenteil: Ich halte es für ein gutes und ermutigendes Signal, dass auf dem Gelände künftig Grüner Wasserstoff hergestellt werden soll, also Wasserstoff aus erneuerbaren Energien. ({8}) Als Bund schaffen wir die nötigen Voraussetzungen für einen funktionierenden Wasserstoffmarkt. Beides zusammendenken, also die Gegenwart sichern und die Zukunft planen, das ist die richtige Antwort. Sie ist sogar so richtig, dass – der Kollege hat es erwähnt – die Bürgermeisterin von Schwedt in die SPD eingetreten ist. Schauen wir uns den AfD-Antrag mal ein bisschen genauer an. Da ist von Zukunftsideen nichts zu finden; das ist klar. Im Gegenteil: Verunsicherung und Panikmache, das ist es, was Sie können. Sie reden von Blackouts, Preisschocks, Deindustrialisierung, und Sie reden einen heißen Herbst herbei. Haben Sie sich in den letzten Tagen mal die Preise an den Tankstellen angesehen? Diesel 1,69 Euro, Benzin 1,61 Euro – vor drei Wochen waren wir noch bei 2 Euro. ({9}) Dabei haben wir schon ein Embargo für schiffsgestützte Importe aus Russland. Der Preisschock fällt also aus. ({10}) Und zu den Stromausfällen, die Sie herbeireden: Letzten Montag hat eine französische Überlast im System die Frequenz im deutschen Netz ans Maximum gebracht. Und, was ist passiert? Nichts. Ihr Blackout fällt aus. Zu dem heißen Herbst, von dem Sie die ganze Zeit reden: Wir deckeln die Energiepreise für Verbraucher, Gewerbe und Industrie. Wir entlasten und springen ein, wenn die Leute in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Schauen Sie raus: Ihr heißer Herbst fällt aus. Und nun zu der von Ihnen angeführten Deindustrialisierung – ich komme zum Schluss –: ({11}) Bleiben wir auch hier bei den Fakten. Wir haben sinkende Arbeitslosenquoten trotz multipler Krisen. Die Zahl der offenen Stellen in der Industrie ist auf einem Höchststand. Die Lieferkettensituation in den Betrieben entspannt sich derzeit. Die Kurzarbeit ist trotz der Energiepreise auf geringstem Niveau seit Langem. Ihre Deindustrialisierung fällt aus, genauso wie die Massenentlassungen für Schwedt ausfallen werden. ({12})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Sie müssen wirklich zum Schluss kommen.

Bengt Bergt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005024, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bleiben wir bei den Fakten – und ich komme zum Schluss –: ({0}) Wir brauchen keine Schwarzmaler, wir brauchen keine Teufel an der Wand. Wir brauchen eine zupackende Haltung. Das werden wir tun, so wahr die Bundesregierung hier steht und wir als Ampel dafür etwas tun können. ({1})

Ates Gürpinar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005073, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die letzte Aktuelle Stunde in diesem Jahr beschäftigt sich mit dem Ergebnis eines kaputtgesparten Gesundheitssystems, einem Ergebnis aller Regierungen der letzten 30 Jahre. Die Aktuelle Stunde wird für Die Linke erforderlich, weil auch die jetzige Regierung entgegen großen Worten nicht die richtigen Schlüsse zieht und es so weitergehen wird, wenn wir jetzt nicht sofort handeln, sehr geehrte Damen und Herren. ({0}) Was ist passiert? Bei einer Umfrage Ende November gab jede zweite Klinik an, dass sie in den letzten 24 Stunden Kinder für die Intensivmedizin abweisen musste. Nach dieser Kurzumfrage von DIVI, der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, hatten von den 110 befragten Kinderkliniken 43 kein einziges freies Bett mehr auf der Normalstation. Die Umfrage war Ende November; da standen wir am Abgrund. Heute sind wir den berühmten Schritt weiter. Eine Rettungsstelle berichtete dieser Tage, im Flur vor den Untersuchungszimmern drei Kinder die ganze Nacht mit Sauerstoff versorgt zu haben. Für so manches Kind könnte der Wunschzettel an Weihnachten in diesem Jahr recht kurz ausfallen: „Gesund werden“ könnte darauf stehen, vielleicht auch nur: „Ein Bett im Krankenhaus“. Das ist die Situation in diesem Land, sehr geehrte Damen und Herren. ({1}) Nun gehören zu den Schwächsten in unserer Gesellschaft gemeinhin Kranke und Kinder. Wenn der ehemalige Bundespräsident Gustav Heinemann mit seinem berühmten Zitat recht hat, dass man den Wert einer Gesellschaft nach ihrem Umgang mit den schwächsten Gliedern bemessen könne, dann ist es bei unserem Umgang mit kranken Kindern darum verdammt schlecht bestellt. ({2}) Das Perverse ist: Die Überlastung der Kinderkliniken ist nicht neu. Sie ist im Gegenteil ein trauriger Klassiker. Die Zeitungen könnten auch „Alle Jahre wieder“ titeln. Aber sie titeln – wie im November 2019, vor Corona – „Notfallpatient Kinderklinik“: Viele Kinderkliniken operieren … jenseits ihrer Kapazitätsgrenzen – insbesondere in der Intensivmedizin … Die Folgen können für die Betroffenen tödlich sein. Oder man hört – wie im November 2021 – von einem Arzt auf RBB, manche der kleinen Patienten in der Kinderrettungsstelle „müsse er bis zu sieben Stunden warten lassen“. Warum ist das so? Weil in den letzten 30 Jahren von allen Bundesregierungen die Kommerzialisierung der Krankenhäuser vorangetrieben wurde. Aber in der Kinder- und Jugendmedizin lassen sich kaum Profite erwirtschaften. Deswegen wurde hier seit 1991 fast die Hälfte der Betten abgebaut. ({3}) Neben den Betten ist auch die Anzahl der Beschäftigten drastisch gesunken. Die Zahl der Patientinnen und Patienten aber ist gestiegen: in den letzten 30 Jahren um 10 Prozent. Deswegen führt jede kleine Krankheitswelle nahe an den Kollaps. Nun muss das Problem akut angegangen werden, und es muss langfristig gelöst werden. Akut hebelt Gesundheitsminister Lauterbach die Pflegepersonaluntergrenzen aus – einmal mehr. Das bedeutet: Einmal mehr werden die Beschäftigten in den Kliniken gezwungen, mehr der jüngsten Patientinnen und Patienten gleichzeitig zu pflegen, als sie eigentlich sollten. Oder anders gesagt: Neben den Patientinnen und Patienten und ihren Eltern sind es einmal mehr die Beschäftigten, die politisches Versagen ausbaden müssen, und zwar ohne Gegenleistung. Und ich verrate es Ihnen: Diejenigen, die noch da sind, Herr Lauterbach, werden kranke Kinder einmal mehr nicht im Stich lassen. Aber die Frage ist, ob sie danach noch bleiben. Das wird den sogenannten Pflexit, den Ausstieg der Pflegekräfte aus ihren Jobs, weiter verstärken. Kurzfristig sind es die Beschäftigten, die das von Ihnen geschaffene Problem zu lösen haben. Und langfristig? Sie haben versprochen, die Pädiatrien bedarfsgerecht zu finanzieren. Sie haben versprochen, dass Sie die Fallpauschalen und den damit einhergehenden Sparzwang abschaffen. Das ist nicht passiert, und das steht entgegen Ihren Aussagen auch nicht im jetzigen Vorhaben. Sie wollen das auch gar nicht, wie man lesen kann. Was bei der FDP zur Kultur gehört, hört sich bei den Grünen folgendermaßen an: Man könne nicht einseitig den Anreiz rausnehmen, um Kinder zu versorgen, sonst würde man ein noch größeres Problem bekommen. – Ich frage Sie: Was ist das für ein zynisches Menschenbild, das davon ausgeht, dass Ärztinnen und Ärzte und Pflegekräfte in der Pädiatrie wirtschaftliche Anreize bräuchten, um Kinder und Jugendliche zu versorgen? ({4}) Kein Wunder, dass die Entwürfe aus dem SPD-geführten Hause die Fallpauschalen auch in der Pädiatrie erhalten und sie eben nicht bedarfsgerecht ausfinanziert wird. Akut tun Sie das genaue Gegenteil und lassen ab 2023 Gelder sogar nach dem Fallpauschalensystem auszahlen. Kliniken, die besser dastehen, erhalten auch ein größeres Stück vom Kuchen. Ich fasse zusammen. Das Profitsystem hat im Gesundheitsbereich nichts verloren. ({5}) Am deutlichsten wird dies bei der Versorgung von Kindern. Sie bauen auf kurzfristige Lösungen auf dem Rücken der Beschäftigten; aber diese wissen, dass von Ihnen keine Entschädigung, keine Wertschätzung zu erwarten ist. Langfristig brechen Sie trotz mantraartiger Wiederholungen nicht mit dem System. Sie wollen es nicht. Schauen Sie, was die DIVI fordert! Schauen Sie, was die Initiative Berliner Kinderkliniken fordert! Lassen Sie uns ein Wiederaufbauprogramm für die Kinder- und Jugendmedizin erschaffen, um die Trümmer wegzuräumen, die 30 Jahre Wettbewerbsorientierung und Fallpauschalen in der Pädiatrie hinterlassen haben. ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Ates Gürpinar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005073, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss. – Wir brauchen keine Sparanreize in der Pädiatrie. Wir brauchen Anreize, dass die Beschäftigten zurückkommen in die Krankenhäuser, um für Kinder da zu sein – Kinder, die sich nicht in Fallpauschalen berechnen lassen müssen, sondern die einfach nur gesund werden wollen. Vielen Dank. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Das Wort erhält für die Bundesregierung der Bundesminister Professor Dr. Karl Lauterbach. ({0})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen! Die Lage in den Kinderkliniken gibt in der Tat allen Grund zur Sorge. Es ist eine Lage, wie wir sie in Jahrzehnten nicht gehabt haben. Die Kinder leiden unter dem RS-Virus. Es sind auch andere Infektionskrankheiten zu beobachten. Und das Personal fehlt. Es wird seit langer Zeit am Rande der Erschöpfung gearbeitet. Somit ist das eine Situation, wo wir von einer tatsächlich akuten Gefährdung der Versorgung der Kinder ausgehen müssen. Leider ist die Situation in den Praxen nicht besser. Auch in den Praxen wird am Limit gearbeitet, auch dort gibt es Personalausfall. Und auch dort werden zahlreiche schwere Verläufe der RS-Viruserkrankung gesehen, die eigentlich stationär versorgt werden müssten, für die es aber keinen Platz gibt. Wir haben sofort reagiert. Wir haben zunächst die Personaluntergrenzen ausgesetzt – nicht weil wir das Personal noch mehr belasten wollen, sondern wir wollen das Personal, das derzeit bei den Kindern eingesetzt werden kann, dort auch einsetzen. Das Personal muss flexibel einsetzbar sein. Hier geht es nicht darum – wie das immer wieder vorgetragen wird –, dass Pflegekräfte aus anderen Bereichen plötzlich komplizierte Kinderpflege machen sollen, beispielsweise in der Beatmung. Darum geht es nicht, überhaupt nicht! Es geht um Folgendes: Auch in der normalen Kinderklinik bekommen Kinder eine Versorgung, die auch eine normale Pflegekraft machen kann, zum Beispiel nach einem Beinbruch, nach einer Blinddarmoperation oder nach einer Mandeloperation. Für diese einfacheren Fälle ziehen wir Pflegekräfte aus anderen Bereichen heran, ({0}) sodass die Spezialpflegekräfte dort eingesetzt werden können, wo sie gebraucht werden. ({1}) Das wird von den Kliniken angenommen. Wir sind mit den Kliniken im direkten Kontakt, und wir bekommen auch die Rückmeldung. Das sind Maßnahmen, die funktionieren. Aber wir müssen mehr machen. Daher werden wir jetzt drei weitere Maßnahmen ergreifen: Erstens. In den Praxen selbst soll sichergestellt werden, dass jede Leistung, die dort erbracht wird, zu festen Preisen bezahlt wird. Das heißt, dort werden die Budgets ausgesetzt. Jede zusätzliche Leistung, die erbracht wird, wird voll bezahlt, sodass hier nicht über Gebühr am Rande der Erschöpfung gearbeitet wird und man das noch nicht einmal komplett bezahlt bekommt. Das schulden wir den Praxen. Daher setzen wir die Budgetierung für die Kinderkliniken und für die Praxen ab sofort aus. ({2}) Zum Zweiten möchte ich hier ankündigen: Wir wollen noch einen Schritt weitergehen. Zum jetzigen Zeitpunkt entscheiden sich zu wenige junge Fachärzte und Fachärztinnen dafür, Kinderheilkunde zu praktizieren. Um das Angebot, in der Kinderheilkunde in der Praxis zu arbeiten, attraktiver zu machen, werden wir eine Reform durchsetzen, mit der ab jetzt der Bereich der Kinderheilkunde dauerhaft von den Budgets in der Praxis ausgeschlossen wird. Somit kann dort dauerhaft zu festen Preisen praktiziert werden. Derjenige, der sich für die Kinderheilkunde entscheidet – wir haben dort einen enormen Bedarf, der nicht zu decken ist –, wird von dem klassischen System der Budgets nicht mehr erfasst und kann allein auf der Grundlage medizinischer Überlegungen praktizieren. Wir setzen die Budgets in der Kinderheilkunde in den Praxen vollkommen und auch dauerhaft aus, ({3}) sodass dieser Bereich attraktiver wird für junge Menschen, die sich den Kindern widmen wollen. Die Kinder verdienen eine budgetfreie und ökonomiefreie Versorgung, und das werden wir sicherstellen. ({4}) Drittens. Wir werden darüber hinaus mit sofortiger Wirkung Honorarkräfte, die in Krankenhäusern zusätzlich eingesetzt werden, über die Pflegebudgets abrechnen, sodass kurzfristig zusätzliche Honorarkräfte eingesetzt werden können und diese finanziert werden. Alle drei Maßnahmen werden wir in der nächsten Woche in Gesetzesform vorlegen. Wir werden noch darüber hinausgehen: Wenn sich die Situation in den Kinderkliniken nicht verbessert, dann werden wir auch so weit gehen, dass wir in den anderen Bereichen der Erwachsenenmedizin die Eingriffe, die verschiebbar sind, absetzen, sodass sich eine Konzentration bei der Versorgung der Kinder aufbauen lässt. Wir haben folgende Situation: Die Kinder haben in einer Lage, wo die Erwachsenen besonders gefährdet waren, zurückgestanden und Opfer erbracht. Jetzt ist die Situation umgekehrt. Jetzt brauchen die Kinder unsere Hilfe. ({5}) Daher werden wir alles tun, um diese Hilfe zu leisten. Dafür sind wir auch bereit, alle Eingriffe, die bei Erwachsenen verschiebbar sind – im Moment ist überhaupt die Frage, ob bei der Personalnot diese Eingriffe optimal durchgeführt werden können –, zur Not zu verschieben, um den Kindern alles anzubieten, was wir anbieten können. Wir lassen hier kein Kind zurück, und wir werden rechtlich so weit vorrücken, dass wir den Kindern grundsätzlich die Versorgung anbieten können, die sie in dieser Krise benötigen. ({6}) Ich möchte noch mal auf Folgendes hinweisen: Hier wird oft kritisiert, wir würden zu wenig machen, es käme zu spät. ({7}) Wir arbeiten seit sechs Monaten an einer Krankenhausreform für die Kinder. ({8}) Ab dem 1. Januar 2023 werden die Kinderkliniken aus dem Budget heraus sein. In einem Korridor von 80 bis 100 Prozent kann eine Klinik 80 Prozent der Leistungen bringen und bekommt 100 Prozent bezahlt. Das haben wir entbudgetiert. ({9}) Ich weise darauf hin: Daran haben wir sechs Monate gearbeitet. In diesen sechs Monaten, als es diese Krise noch nicht gab, haben wir weder von Ihnen auf der rechten Seite – da hätte ich es auch nicht erwartet –, aber auch nicht von Ihnen auf der linken Seite einen einzigen Vorschlag gehört, der sich nur auf die Kindermedizin bezogen hat. ({10}) Es gab keinen einzigen Vorschlag! ({11}) Seit sechs Monaten arbeiten wir an dieser Reform. Hier sitzen die Besserwisser. Von Ihnen ist kein einziger Vorschlag gekommen. Ich will es hier noch mal ganz deutlich machen: Wir werden auch in anderen Bereichen in diese Richtung gehen. Ich habe gesagt: Wir sind bei der Ökonomisierung unseres Gesundheitssystems zu weit gegangen. Wir werden das Fallpauschalensystem überwinden. Am 5. Januar werden wir einen Klinikgipfel haben. Bei diesem Klinikgipfel werden wir uns mit Vorschlägen beschäftigen, die unsere Expertenkommission vorgetragen hat, wo es um die Frage geht: Was kann man stattdessen machen? Dann werden 60 Prozent des Budgets über Vorhaltepauschalen und über die Pauschalen für Pflegekräfte bezahlt. Das heißt, die Krankenhäuser bekommen demnächst 60 Prozent ihres Budgets vollkommen unabhängig von den Fallzahlen. ({12}) Und diejenigen, die sagen, es solle für die Fallzahlen gar nichts mehr geben, müssen zu Ende denken. ({13}) – Ich weiß, dass Sie das aufregt. ({14}) Aber denken Sie zu Ende! Wenn die Fallzahlen gar keine Rolle spielen würden, dann könnten die Kliniken das Geld mitnehmen, ohne dass überhaupt behandelt würde. Das will natürlich auch niemand. ({15}) Wir wollen jetzt eine Entökonomisierung. Uns haben Sachverständige aus der Pflege, aus den Krankenhäusern, aus der Ökonomie beraten, die wir gebeten haben: Macht kluge Vorschläge, damit wir dieses ökonomische System überwinden! ({16}) Das sind kluge Vorschläge. ({17}) – Sie glauben, dass Ihre Vorschläge besser sind als die Vorschläge der Wissenschaft? Das ist eine Missachtung der Wissenschaft. Was glauben Sie denn, wer Sie sind? Wir folgen der Wissenschaft. ({18}) – Nein, ich folge nicht der Wirtschaft. Sie glauben, dass Sie es besser wissen. Die Wissenschaftler, die uns hier unterstützen, haben sich 50-mal getroffen, haben einen 50-seitigen Report vorgelegt. ({19}) Den diskutieren wir mit den Ländern. Und Sie stellen sich hierhin und sagen: Ja, was ist denn das schon? Das weiß ich doch alles besser. – Was glauben Sie, wer Sie sind? Das kann ich Ihnen sagen. ({20}) – Nein, ich beziehe mich auf die Vorschläge, die mir geliefert worden sind; aber ich bin nicht der einzelne Besserwisser. Ich komme zum Schluss. ({21}) Wir werden darüber hinaus in der nächsten Woche zu den Lieferengpässen ebenfalls drei Vorschläge vorbringen, wo es darum geht, dass wir die Rabattverträge ein Stück weit adjustieren. ({22}) Das sind Gesetze, die bei Ihnen liegen geblieben sind, Herr Sorge. ({23}) – In Ihrer Fraktion. Das sind Nachholgesetze. ({24}) – Ich habe Sie bisher geschont. Aber wir müssen diese Arbeit machen. Weder bei der Krankenhausreform noch bei der Reform zur Vermeidung von Lieferengpässen kann ich auf Reformen zurückblicken, die Sie gemacht hätten. ({25}) Daher werden wir diese Vorschläge einbringen. Ich bitte Sie um konstruktive Unterstützung. Abschließend möchte ich mich bei dem Personal, bei den Pflegekräften und bei den Ärztinnen und Ärzten bedanken, die die Arbeit leisten. ({26}) Wir werden sie unterstützen, wo auch immer wir können. Darauf können Sie sich verlassen. ({27})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für die CDU/CSU – – ({0}) – Können wir weitermachen? Wir kommen jetzt zur nächsten Rednerin. Das ist für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Simone Borchardt. ({1})

Simone Borchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005030, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Lauterbach, um etwas zu Ihrer Rede zu sagen, muss ich mal ganz kurz von meinem Manuskript abweichen. Falls Ihnen das entgangen ist: Sie haben in den letzten Jahren die Gesundheitspolitik mit zu verantworten. ({0}) Sie haben auch die DRGs mit eingeführt. Ich finde es wirklich ungehörig, sich jetzt hierhinzustellen und so zu tun, als ob alles falsch und ganz schlecht sei. Ich bin bei Ihnen, dass wir vieles verändern müssen; aber hören Sie bitte auf, immer so zu tun, als seien Sie die letzten Jahre nicht dabei gewesen. ({1}) Und nicht nur das. Sie haben auch federführend die Gesundheitspolitik der SPD vertreten. Unsere Kinderkliniken kämpfen zurzeit mit den schwierigsten Problemen, und ich habe hier nicht einen einzigen wirklichen Lösungsansatz von Ihnen gehört. ({2}) Die Kliniken kämpfen mit hohen Vorhaltekosten, mit einer schwierigen Erlössituation und mit einem Mangel an Pflegekräften und Ärzten. Der Reformbedarf ist groß. Es wird immer viel angekündigt. Seit einem halben Jahr wird hier angekündigt und wenig gemacht. Da hilft auch keine Expertenkommission, wenn Sie die PS nicht endlich auf die Straße kriegen. ({3}) Wir brauchen mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit, und die Versorgung muss bedarfsgerechter werden. Dabei müssen wir endlich und schnell die Sektorengrenzen aufbrechen. Es kann doch nicht wahr sein, dass Sie sich hier noch um die Vergütung streiten – ambulant, stationär, hybrid und was auch immer; das verstehen die Menschen nicht –, während die Jüngsten der Gesellschaft darunter leiden. Und nicht nur diese, ich rede hier auch von besorgten Eltern und Angehörigen. ({4}) Wir brauchen eine Krankenhauslandschaft, die auch den Belangen des ländlichen Raumes gerecht wird. Es mangelt dabei weniger am Geld und in Teilen auch nicht am verfügbaren Personal. Vielmehr müssen wir die Ressourcen richtig einsetzen. Es ist an der Zeit, innovative Versorgungsformen schnell an den Start zu bringen. Dazu gehören für mich auch neue Arbeitszeitmodelle. Auch darüber sollten wir ernsthaft nachdenken. Das, was Sie gerade machen, ist genau das Gegenteil. Einfach mal machen, das ist jetzt angebracht. Sie müssen auch endlich zur Kenntnis nehmen, dass nicht alle Bundesländer gleich sind. Die dünn besiedelten Bundesländer müssen sich strukturell natürlich anders aufstellen als Großstädte wie München, Hamburg, Dresden. Diesen Umstand dürfen wir nicht ausblenden. Wir gefährden sonst wirklich wichtige Versorgungsstrukturen in diesen Ländern. ({5}) Wir wollen gleiche Lebensqualität und Lebensverhältnisse in Stadt und Land. Daher müssen wir auch über die Mengenregelungen des G-BA neu nachdenken. Denn so ist zum Beispiel die Frühchenintensivstation in Neubrandenburg gefährdet und soll geschlossen werden, weil Mengen nicht eingehalten werden. Aber auch die Menschen dort haben einen Anspruch auf eine gute medizinische Versorgungsqualität. Hier muss nachgearbeitet werden. ({6}) Wenn wir uns jetzt die Situation in den Ländern anschauen, können wir feststellen: Die Stationen sind voll. Es fehlen Betten. Die Eltern müssen mit ihren Kindern lange in den Notaufnahmen warten. Natürlich ist das ein unhaltbarer Zustand. Ich kann wirklich alle Eltern verstehen, die sich große Sorgen machen. Wir stehen erst am Anfang der Saison, in der die ganzen Erkältungskrankheiten kommen werden. Aber damit die Notaufnahmen nicht so überlastet sind, sollten wir vor allem über den ganzen Prozess von Anfang an nachdenken. Das heißt, wir müssen auch den ärztlichen und medizinischen Bereitschaftsdienst neu aufstellen. Wir sollten die Behandlung, die Telemedizin stärker forcieren und hier eine bessere Vergütung möglich machen, damit eben nicht alle in die Notaufnahme kommen, sondern schon durch den ärztlichen Bereitschaftsdienst gut und qualitativ versorgt werden. ({7}) Das heißt für mich, den Prozess wirklich ganz zu denken. Wir müssen auch die Planungsbereiche der Ärzte in den Fokus nehmen, damit sie sich nicht alle in den Städten ansiedeln, sondern auch im ländlichen Bereich. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt aber keinen Grund, Panik zu machen. Aus den Kliniken in meinem Bereich wurde mir bestätigt: Ja, wir sind zwar im Krisenmodus, aber die Versorgung der Patienten ist gewährleistet. – Jetzt ist es nur wesentlich, dass zügig gehandelt wird. Abschließend möchte ich noch sagen: Die CDU/CSU hat bereits am Anfang des Jahres zwei gute Anträge eingebracht. Diese wurden allesamt von Ihnen abgelehnt. Der eine betraf die Bonusregelungen für die Pflegekräfte, die Sie vergessen haben. Und wir hatten einen Antrag eingereicht, um Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen finanziell zu unterstützen. Sie haben wertvolle Zeit vergeudet, damit diese Leistungserbringer hochqualitative Versorgung gewährleisten können. Herr Minister, es wird höchste Zeit, dass Sie ins Tun kommen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächste Rednerin ist für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Ricarda Lang. ({0})

Ricarda Lang (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005121, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lage in den Kinderkliniken ist ernst. Wir sehen Kinder, Eltern, die teilweise keinen Platz mehr finden. Wir sehen Ärztinnen und Pflegekräfte, die vollkommen überlastet sind. Und wir sehen viele Menschen, die schon in den letzten Jahren Unfassbares in diesem Gesundheitssystem geleistet haben und jetzt wirklich auf dem Zahnfleisch gehen. Der akute Grund dafür ist eine Infektionswelle, die unser Land im Moment hart trifft. Aber wir müssen auch ehrlich sein: Sie trifft auf ein Gesundheitssystem, das in den letzten Jahrzehnten und vor allem in den letzten 16 Jahren Missmanagement und falsche Weichenstellungen erlebt hat. ({0}) Aber hier vielleicht ein Satz zu Ihnen, Frau Borchardt: Für die partielle Amnesie, wer in den letzten 16 Jahren mitregiert hat und wer in den letzten Jahren das Gesundheitsministerium geführt hat, ist vor allem Ihre Fraktion bekannt. ({1}) Ich möchte die Chance einmal nutzen, um vor allem Danke zu sagen: Danke an die vielen Menschen in den Arztpraxen, an die vielen Menschen in den Kinderkliniken, an die vielen Pflegekräfte, die trotz dieser widrigen Umstände, trotz dieser harten Zeit alles tun, um die Jüngsten und die Verwundbarsten unserer Gesellschaft zu schützen. ({2}) – Nein, ich jammere nicht; ich komme jetzt zu den Maßnahmen, die diese Regierung auf den Weg gebracht hat, ({3}) vermutlich auch, weil Ihre Fraktion nicht Teil davon ist. Bei „Danke“ bleibt man nicht stehen. Dieser Dank wäre natürlich zynisch, ({4}) wenn wir als Politiker/-innen dort stehen bleiben würden. Vielmehr müssen wir ganz akut handeln, um die Menschen in den Kliniken, um die Menschen in den Arztpraxen zu unterstützen. Dafür haben wir einiges auf den Weg gebracht innerhalb der letzten Monate: mehr finanzielle Unterstützung, eine Finanzierungsgarantie für Kinderkliniken, die PPR 2.0 – eine langjährige Forderung gerade von Pflegekräften und von Pflegegewerkschaften –, ({5}) die Ausweitung der Kinderkrankentage. Und erst heute haben wir hier die Strom- und Gaspreisbremse beschlossen, die auch für die Kliniken greifen wird, ({6}) sodass Kliniken in dieser harten Zeit unterstützt werden. ({7}) Hier zu behaupten, nichts sei passiert, gerade nach Ihren 16 Jahren, ({8}) das ist einfach falsch, an der Realität vorbei und zynisch. ({9}) Des Weiteren geht es darum, akute Maßnahmen auf den Weg zu bringen, ({10}) um jetzt ganz konkret die Kinderkliniken zu unterstützen: eine Koordination zwischen Kliniken, damit Personal gut verteilt werden kann, und auch die Verteilung von Personal zugunsten der Kinderkliniken bzw. der Kinderstationen. Dabei geht es nicht darum, dass das zugewiesene Personal die Kinderpflege übernehmen soll; das wäre überhaupt nicht möglich. Kinder sind nicht einfach nur kleine Erwachsene. ({11}) Vielmehr geht es darum, bei organisatorischen Arbeiten, bei Zusatzarbeiten zu unterstützen, sodass die Kinderpflegenden tatsächlich ihrer Arbeit nachgehen können. Das ist eine richtige Weichenstellung, die wir jetzt auf den Weg bringen; das ist notwendig. Und ich sage hier auch explizit: Den Vorschlag von Karl Lauterbach, die Entbudgetierung bei den Kinderarztpraxen, finden wir als Bündnis 90/Die Grünen richtig. Wir unterstützen diesen Vorstoß sehr, sehr gerne. ({12}) Trotzdem ist klar: Das sind Krisenmaßnahmen; das sind keine Maßnahmen, die dauerhaft gelten können. ({13}) Dass jetzt innerhalb von verschiedenen Pflegebereichen Leute umverteilt werden müssen, das ist ein riesengroßes Problem, und das ist keine Lösung für die Zukunft. Wir dürfen nicht nur ein Pflaster auf die Wunde kleben, sondern wir müssen auch dafür sorgen, dass diese Wunde endlich heilt. Darum gilt es jetzt, dort ranzugehen. ({14}) Wir tun drei Dinge: Erstens bringen wir die Professionalisierung der Pflege auf den Weg – schauen wir auf andere Länder –, um das, was Pflegekräfte leisten können, was sie leisten dürfen, stärker zu nutzen; denn Pflegekräfte sind nichts anderes als die Experten für die Zukunft unseres Gesundheitswesens. ({15}) Zweitens stärken wir die Kinderpflege und auch die Kindermedizin ganz explizit; einige Vorschläge wurden hier gerade schon genannt: Wir nehmen auch die Kinderlobby stärker wahr. ({16}) Denn es stimmt: In den letzten Jahren hat das an vielen Stellen gefehlt, und vor allem haben die Kleinen oft am stärksten zurückgesteckt. Das muss sich jetzt ändern. ({17}) Drittens drängen wir die Ökonomisierung zurück, die unser Gesundheitssystems in den letzten Jahrzehnten geprägt hat. ({18}) Denn es stimmt tatsächlich, dass immer wieder die falschen Weichen gestellt wurden. Jetzt geht es darum, die Krankenhausplanung – denn zur Finanzierung gehört auch Planung – und die Krankenhausfinanzierung neu aufzustellen. ({19}) Hier wurde von einem Vorredner von den Linken gesagt, wir hätten unser Gesundheitssystem kaputtgespart. ({20}) Das stimmt einfach nicht. ({21}) Deutschland gibt im Vergleich zu anderen Ländern nicht wenig Geld für Gesundheit aus, aber es wird falsch verteilt. ({22}) An diese Verteilung werden wir als Ampel jetzt endlich rangehen. ({23}) Dafür liegen gute Vorschläge vor. Wir werden in der Koalition noch einige Debatten dazu zu führen haben. Aber für mich ist ganz klar: In Zukunft muss das bezahlt werden, was gebraucht wird, und darf nicht das bezahlt werden, womit der größtmögliche Profit gemacht werden kann. ({24}) Wir müssen die starre Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung endlich überwinden. ({25}) Wir müssen Prävention viel mehr in der Klinikfinanzierung abbilden. Und ja, das System der reinen Fallpauschalen muss endlich Geschichte werden. ({26}) Vielen Dank. ({27})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächster Redner ist für die AfD-Fraktion Martin Sichert. ({0})

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie man in den vergangenen drei Jahren Stimmung gegen Kinder gemacht hat, war absolut unsäglich, ({0}) zum Beispiel Böhmermann im ZDF von diesem Jahr – ich zitiere –: Um Sie herum lauern zurzeit gefährliche kleine Mikroorganismen, die einen krank machen wollen: Kinder! Kinder sind zurzeit gemeingefährlich. Was Ratten in der Pest waren, sind Kinder zurzeit für Covid-19: Wirtstiere. Kinder sind noch schlimmer als Aluhutträger in der sächsischen Fußgängerzone, weil die handeln unverantwortlich und sehen dabei so niedlich aus. ({1}) Für solch eine unsägliche Verbreitung von Hass und Hetze gegenüber den Schwächsten der Gesellschaft gab es keine Konsequenzen. Der Böhmermann arbeitet weiterhin im ZDF ({2}) und erhält auf Kosten der Beitragszahler ein üppiges Gehalt. Sie alle machen sich völlig lächerlich, wenn Sie die größten Hetzer im ZDF weiter hetzen lassen, aber auf der anderen Seite Zensur bei Twitter und anderen Medien fordern. ({3}) Die Intensivstationen der Kinderkliniken sind randvoll, weil Kindern durch Maske und Abstand die notwendigen Antikörper fehlen. ({4}) Abstand und Maske schädigen das Immunsystem der Bevölkerung. Laut dem Münchner Immunologen Peter Schleicher ist die Coronapolitik für die Krise in den Kinderkliniken verantwortlich – ich zitiere –: Kinder brauchen bis zu 16 Infekte im Jahr, damit sie überhaupt erst ein intaktes Immunsystem aufbauen können. Deshalb werden heute so viele Kinder schwer krank. – Als Vater von zwei kleinen Kindern finde ich es beängstigend, dass jetzt schon wieder von Lauterbach, Wieler und anderen Appelle zum Maskentragen kommen. Lasst die Kinder endlich die notwendigen Infekte durchmachen, damit sie ein gutes Immunsystem bekommen und auch als Erwachsene später gut geschützt sind! ({5}) Kinderärztepräsident Fischbach findet dazu die richtigen Worte – ich zitiere –: Der Schrei nach Masken ist der übliche Reflex der Politik. Dabei ist die Maskenpflicht der zurückliegenden zwei Jahre ja ein wichtiger Grund für die aktuelle Krise. Man kann übrigens an dieser Thematik wunderbar sehen, wie die sogenannten Faktenchecker von „Correktiv“ keine Fakten checken, sondern Fake News verbreiten. Die haben nämlich am 28. Mai 2020 einen Artikel veröffentlicht unter dem Titel „Nein, Masken schwächen nicht das Immunsystem“. Am Ende des Beitrags stand dann – ich zitiere –: Fazit: Die Behauptung, dass durch Masken das Immunsystem geschwächt werde, ist falsch. – Statt seriösem Faktencheck die Verbreitung von Fake News! Aber das sind wir von den sogenannten Faktencheckern ja gewohnt. ({6}) Wir von der AfD waren übrigens schon 2020 weiter, als Sie es heute sind. Wir haben schon vor zwei Jahren gefordert, Kinder von sämtlichen Masken- und Abstandsregeln auszunehmen. Sie alle haben dagegengestimmt und Kinder zu Maske, Desinfektion und Abstand gezwungen. Sie alle sind daran schuld, dass aktuell so viele Kinder schwer erkranken. ({7}) Wir von der AfD sind diejenigen, denen es von Anfang an darum ging, den Menschen ein Leben in Gesundheit und Freiheit zu ermöglichen. Ihnen ging es darum, Panik zu verbreiten, und da Kinder als Schwächste der Gesellschaft sich am wenigsten wehren konnten, wurden sie von Ihnen am stärksten gemobbt. Übrigens haben wir von der AfD in den letzten drei Jahren nicht nur immer wieder Anträge gestellt, Masken- und Abstandsregeln zu unterlassen, sondern auch mehrfach darauf hingewiesen, dass es völlig falsch ist, die Zahl der Intensivbetten in Coronazeiten zu reduzieren. Der Gesundheitsminister hingegen plant den medizinischen Kahlschlag. Ich zitiere Karl Lauterbach: „Jeder weiß, dass wir in Deutschland mindestens jede dritte, eigentlich jede zweite, Klinik schließen sollten.“ Nein, Herr Lauterbach, die jetzige Krise zeigt uns, dass wir um jedes Krankenhaus, das wir haben, heilfroh sein können. ({8}) Der Unterschied zwischen Karl Lauterbach und der AfD ist, dass das, was Karl Lauterbach fordert, sich ständig als fatal für die Menschen erweist, während die Forderungen der AfD mit der Zeit immer wieder von den anderen Parteien übernommen werden, weil sie schlicht richtig und wichtig sind. ({9}) Insofern wundert uns von der AfD nicht, dass die Linken nun die Forderung der AfD nach Abschaffung des Fallpauschalensystems übernehmen. ({10}) Aber wir wundern uns, ehrlich gesagt, schon ein bisschen, warum Sie vor nicht mal zwei Monaten unseren Antrag, der genau das forderte, hier im Bundestag noch abgelehnt haben und heute das Thema als so wichtig sehen, dass Sie dazu eine Aktuelle Stunde einberufen. Sollten Sie einen vernünftigen Antrag stellen, um das Fallpauschalensystem abzuschaffen, werden wir dem zustimmen, weil es uns im Gegensatz zu Ihnen nicht darum geht, wer einen Antrag stellt, sondern, was das Beste für die Bürger ist. ({11}) Meine Damen und Herren, wir alle müssen aus der jetzigen Situation lernen, dass man nie wieder Kinder zu Maske und Abstand nötigen sollte, weil wir damit den Kindern massiven Schaden zufügen, – ({12})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– unter dessen Folgen diese möglicherweise ein ganzes Leben lang leiden müssen. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächster Redner ist für die FDP-Fraktion Professor Dr. Andrew Ullmann. ({0})

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, nach so einer Rede muss man erst mal Danke sagen: ({0}) Danke den Menschen, die heute Kindern helfen, gesund zu werden, danke für das bisher Geleistete. Und ich möchte auch schon mal im Voraus Danke sagen mit Blick auf das, was noch bevorsteht. Denn es ist sehr bedauerlich, dass wir hier noch nicht am Ende der Infektionswelle in diesem Winter stehen; es steht uns noch einiges bevor. Wir stehen an ihrer Seite; das kann ich an dieser Stelle vonseiten der Ampel den Kinderklinikern, den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen zurufen, die jetzt versuchen, das Gesundheitssystem aufrechtzuerhalten. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist allerdings bedauerlich, dass Sie als Linke diese schreckliche Situation nutzen, um das Thema unterkomplex darzustellen. ({2}) Denn ihre antiökonomische Propaganda zeigt, dass Sie die komplexe Problemlage nicht erkannt haben, obwohl jeder weiß, dass wir eines der teuersten Systeme der Welt haben. Alles, was Ihnen zum Thema einfällt, ist, nach dem Ende der Fallpauschalen zu schreien und Staatsmedizin zu fordern. Sie glauben doch nicht allen Ernstes, dass das Gesundheitssystem in der ehemaligen DDR mit der jetzigen Belastung besser hätte umgehen können. ({3}) – Sie müssen das selber wissen; Sie sind schon Freunde der AfD, wie man ja mitgekriegt hat. ({4}) Ich will damit nicht sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass das bestehende System keine Fehler hat, dass keine Fehlverteilung und Fehlanreize existieren; sie sind offensichtlich. Doch ich sehe positiv in die Zukunft und sage, dass wir es schaffen werden, die in 20 Jahren, liebe Union, aufgestauten strukturellen Defizite im Gesundheitswesen abzubauen. Dazu zählt auch und vor allem die Kinder- und Jugendmedizin. Es ist sehr bemerkenswert, heute der Generalamnesie der Union zuzuhören. ({5}) Wir, die Ampelkoalition, haben mit der Schaffung von Tagesbehandlungen in Krankenhäusern und sektorengleicher Vergütung eine verbesserte Situation geschaffen, um sowohl die stationäre als auch die ambulante Versorgung zu gewährleisten. Zusätzlich haben wir die finanziellen Mittel für die akute Situation von rund 760 Millionen Euro für die kommenden zwei Jahre für die stationären Pädiatrien und die Geburtshilfen zur Verfügung gestellt. ({6}) – Sie verstehen es nicht. Es hat auch keinen Sinn, das jetzt zu erklären. Das geht von meiner Zeit ab. ({7}) – Das ist es absolut. – Dazu kommen noch die Milliarden zur Deckung der Energiekosten, die die Kliniken entlasten. Das sind Mittel, die akut helfen, weil sie Planungssicherheit geben. Dazu kommt, dass wir auf dem Weg sind, das gesamte System nachhaltig zu reformieren. Für die stationäre Versorgung von Kindern und Jugendlichen wird das vor der Pandemie im Jahre 2019 erbrachte Erlösvolumen weitgehend garantiert, um den Druck, der da tatsächlich existiert, abzubauen. Mögliche Fehlanreize werden auch verhindert. Das ist erst ein Teil der überfälligen Strukturreformen, meine Damen und Herren. Und wer hat das gemacht? Die Ampel hat das gemacht. ({8}) Dann vergessen Sie, liebe Linke – Sie hören ja schon gar nicht mehr zu –, ({9}) ganz und gar die niedergelassenen Kinder- und Jugendärztinnen und ‑ärzte; denn die ambulanten Kinder- und Jugendmedizinerinnen und ‑mediziner behandeln 85 bis 90 Prozent der Erkrankten. Diese arbeiten nämlich unabhängig von den Fallpauschalen und sind doch ebenso belastet wie die stationären Einrichtungen. Hier ist der größte Fehler natürlich die Budgetierung; aber diese werden wir abschaffen, damit endlich jede Leistung bezahlt wird. Das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, und das, meine Damen und Herren von der Linken, ist Fortschritt. Was Sie machen, ist Rückschritt. ({10}) Zurzeit sehen wir eine extreme Prävalenz von respiratorischen Erkrankungen in ganz Deutschland. Aber dieses Phänomen ist halt leider weltweit sichtbar, und ganz egal, welches Gesundheitssystem betroffen ist, dieser Zustand bringt die Systeme an den Rand der Belastbarkeit und manchmal darüber hinaus. Aber was können wir nun tun, um den Druck zu minimieren, um zu helfen, um diese schreckliche, aber hoffentlich kurze Zeitspanne zu überwinden? Wir können, wie es die Linke möchte, einfach das Fallpauschalensystem abschaffen. ({11}) Damit wäre keinem einzigen Kind geholfen. Vielleicht würde es ein bisschen Chaos und noch mehr Leid verursachen. ({12}) Prinzipiell finde ich in der jetzigen Situation jede Maßnahme richtig, die pragmatisch und unbürokratisch Flexibilität schafft, und da handeln der Bundesgesundheitsminister und das BMG richtig. ({13}) Politisch machen wir alles, was sinnvoll ist, jetzt möglich. Aber wir sind auch auf die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes angewiesen; denn Gesundheit kann und darf niemals staatlich oktroyiert werden und ist immer auch auf die Vernunft und die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung angewiesen. Versuchen Sie alle, die Ausbreitung des Virus zu minimieren! Das RKI gibt entsprechende alltagstaugliche Empfehlungen.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Damen und Herren, die jetzige Situation ist eine Folge der verfehlten Gesundheitspolitik der letzten Jahre in den Ländern und im Bund. Daher können wir als Fortschrittskoalition diese kumulativen Fehler nicht innerhalb weniger Wochen aus dem Weg räumen; aber wir werden die Fehler Stück für Stück und vor allem nachhaltig beseitigen. Danke schön. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Das Wort erhält Heidi Reichinnek für Die Linke. ({0})

Heidi Reichinnek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wir alle haben Angst, dass ein Kind stirbt, weil es einfach alles zu viel ist.“ Das sagte die Chefärztin der Kinder- und Jugendmedizin am St. Joseph Krankenhaus hier in Berlin diese Woche. Verzweifelte Eltern müssen mit ihren kranken Kindern stundenlang in der Notaufnahme warten. Die Kinder haben Schmerzen, leiden. Und ob sie überhaupt behandelt werden können, weiß niemand; denn Betten sind knapp, das Personal ist überlastet, Operationen werden verschoben. Das geht so weit, dass dem Vater eines jungen Mädchens mit gebrochenem Arm gesagt wird, notfalls müsse der Arm dann eben noch mal gebrochen werden, um ihn später richtig zu behandeln, ({0}) wann auch immer „später“ ist. Denn es werden täglich Hunderte Operationen verschoben, die irgendwann nachgeholt werden sollen. Das ist die Realität. Ich frage Sie: Was ist das für eine Gesellschaft, die so mit kranken Kindern umgeht? ({1}) Während die Versorgung der Kleinsten nicht mehr sichergestellt ist, machen private Klinikbetreiber auf Kosten unserer Gesundheit Hunderte Millionen Euro Gewinn. ({2}) Ja, wir pumpen Geld ins Gesundheitssystem, und zwar auf die Konten der Großkonzerne. Na, herzlichen Dank dafür! ({3}) Wie pervers ist das!? Sie, Herr Lauterbach, sagen: Wir werden alles tun. – Das stimmt einfach nicht; Sie unterwerfen die Gesundheit weiter dem Marktmechanismus. Und Sie haben wirklich die Chuzpe, uns zu fragen, was wir glauben, wer wir sind, weil wir ein Gesundheitssystem wollen, das sich nicht an Profiten, sondern am Wohl der Menschen orientiert!? ({4}) Ich sage Ihnen, wer wir sind: Wir sind die, die sich nicht kaufen lassen. Aktuell laufen Eltern verzweifelt von Apotheke zu Apotheke, weil es keinen Fiebersaft mehr gibt, keine Antibiotika. Sie wenden sich an Bekannte, sogar an Fremde und versuchen, im Ausland an diese Medikamente ranzukommen. Das alles passiert vor unseren Augen. Und übrigens, Herr Minister Lauterbach, für Sie ist das alles auch auf Twitter nachzulesen; das scheint ja der einzige Weg zu sein, auf dem man mit Ihnen kommunizieren kann. Schauen Sie mal unter #kindheitbrennt. Da können Sie einiges lernen. ({5}) Der Medikamentenmangel führt doch direkt in einen Teufelskreis. Wo müssen denn fiebernde Kinder hin, wenn es keine Medizin mehr gibt? ({6}) Genau, in die Notaufnahme, weil die Eltern nicht mehr wissen, was sie machen sollen. Und dort muss das vollkommen überlastete Personal jetzt auch noch das Marktversagen bei den Medikamenten auffangen. ({7}) Wo sind die Krisengipfel und Sofortpakete zur Entlastung der Kinderkliniken? Wo ist der Notfallbeschaffungsplan für Kindermedikamente? Jede zweite Klinik musste Kinder abweisen, die ein Intensivbett brauchten. Auf den Stationen müssen vollkommen überlastete Pflegekräfte jetzt zusätzlich Kinder versorgen, obwohl sie dafür gar nicht ausgebildet sind, aber dahin versetzt wurden. Die haben panische Angst, Fehler zu machen. Erste Kinderkliniken starten Aufrufe an die Bevölkerung, bei der Versorgung von Kindern auszuhelfen – medizinische Kenntnisse nicht erforderlich. Was wollen Sie unternehmen? Das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz ist eine Farce. Und was Sie weiterhin nicht haben, ist ein Plan zur Fachkräftegewinnung, ein Plan, um die Ausbildung endlich so gestalten, dass sich junge Menschen diese Ausbildung überhaupt leisten können, ein Plan, um die, die ihren Job aufgegeben haben, zurückzuholen. 300 000 Pflegekräfte haben angegeben, in ihren alten Job zurückzukehren, wenn sich die Bedingungen verbessern – Fachkräfte, die wir dringend auch auf den Kinderstationen brauchen. Gesundheit ist keine x-beliebige Ware, mit der Großkonzerne und Aktionärinnen und Aktionäre Kasse machen sollen. ({8}) Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht, nicht Spekulationsobjekt. Daseinsvorsorge gehört in öffentliche Hand. ({9}) Minister Lauterbach, es ist übrigens schön, dass Sie jetzt zum ersten Mal eine Revolution im Gesundheitssystem ankündigen, ({10}) weil Sie jetzt endlich auch verstanden haben, dass es ein Ungleichgewicht zwischen Gesundheit und Ökonomie gibt. Aber Sie haben doch damals das brandgefährliche System der Fallpauschalen mit vorangetrieben und damit dafür gesorgt, dass Krankenhäuser ihre Abteilungen nach Rentabilität aussortiert haben. ({11}) Und, oh Wunder: Kinderkliniken lohnen sich einfach nicht. Jetzt sagen Sie ja selbst, dass 60 Prozent der Kinderkliniken kurz vor dem finanziellen Ruin stehen. Wer glaubt da noch an den selbsternannten Revolutionsführer Lauterbach? ({12}) Wir trauen Ihnen nicht mal mehr ein Reförmchen zu. Dass Profit über allem steht, schadet der großen Mehrheit unserer Gesellschaft, vor allem Kindern und Jugendlichen. Aber hey, wen interessieren die schon? ({13}) Während der Coronapandemie wurden sie ja auch nur beachtet, wenn es darum ging, sie zu betreuen, damit die Eltern weiter arbeiten gehen konnten. Das kann ich Ihnen aus meiner Erfahrung in der Jugendhilfe ziemlich deutlich erzählen. Gegen die psychischen und physischen Auswirkungen der Krisen gibt es weiterhin nichts. ({14}) Kinder und Jugendliche haben in den letzten Jahren so viel durchgemacht: Freundinnen und Freunde nicht getroffen, Klassenfahrten nicht mitgemacht, Chaos in Kitas und Schulen, die Angst, liebe Menschen anzustecken. Und trotzdem haben die Kinder und Jugendlichen, ohne zu meckern, Masken getragen und sich regelmäßig getestet – im Gegensatz zu manchen Erwachsenen übrigens. ({15}) Nicht nur die Kliniken sind am Limit. Die Kitas und Schulen stehen vor dem Kollaps. Die Jugendhilfe und die therapeutische Betreuung brechen zusammen. Und wen trifft das besonders hart? Natürlich die Kinder und Jugendlichen, die aus armen Familien kommen. Sie werden öfter und länger krank, sind stärker von psychischen Erkrankungen betroffen, sie leiden unter Zukunftsängsten, und das ja leider auch zu Recht; denn sie sind im Bildungssystem massiv benachteiligt, haben kaum Chancen, ihre Lebensumstände zu verbessern, können weniger an der Gesellschaft teilhaben. Zu all diesen Problemen liegen zahlreiche Studien vor. Es geht nicht nur um die Kinderkliniken. Es geht um alle Bereiche für Kinder und Jugendliche. Ja, Kindheit brennt! Und Ihre bisherigen Löschversuche sind kläglich gescheitert. Eine echte Revolution muss mit der Marktlogik brechen. Kinder müssen sich nicht rechnen. ({16})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als Nächstes erhält das Wort für die SPD-Fraktion Heike Baehrens. ({0})

Heike Baehrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit platter Kampfrhetorik die Situation zu dramatisieren, hilft weder den Kindern und Familien noch den Ärztinnen und Ärzten und auch nicht den Pflegekräften. ({0}) Ja, es ist richtig: Die Situation auf vielen Kinderstationen ist dieser Tage höchst angespannt. Die Welle der Atemwegsinfektionen trifft auf ein Versorgungssystem, das nach fast drei Jahren Pandemie erschöpft ist. ({1}) Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kliniken stehen unter Höchstspannung. Die Hausarztpraxen und die Kinder- und Jugendärzte werden überrannt. Familien stehen erneut unter Druck durch die oft langanhaltenden RSV-Infektionen und haben Sorge, im Notfall nicht schnell ärztlichen Rat zu bekommen. Dass Kinder und Jugendliche in manchen Regionen keine Aufnahme finden, wenn sie eigentlich in der Klinik versorgt werden müssten, verunsichert viele Familien und macht den dringenden Handlungsbedarf deutlich: Krankenhäuser dürfen finanziell nicht auf Kante genäht sein. Krankenhäuser müssen Kapazitäten vorhalten können für solche Spitzen. Krankenhäuser und ganz speziell Kinderkliniken müssen personell gut ausgestattet sein. ({2}) Dieser Handlungsbedarf ist erkannt. Es wurden bereits wichtige Weichen neu gestellt, und die grundlegende Reform der Krankenhausfinanzierung ist angestoßen worden durch unseren Gesundheitsminister Karl Lauterbach. 2019 haben wir als SPD bereits in der Vorgängerkoalition – daran will ich Sie von der Union erinnern – das Pflegebudget eingeführt. Das heißt, seit zwei Jahren werden alle Personalkosten für die Pflege in vollem Umfang außerhalb der Fallpauschalen vergütet. Krankenhausträger können theoretisch jede Pflegekraft einstellen, die sie finden können, und bekommen sie auch refinanziert. ({3}) Doch woher kommen die Ärzte und Fachpflegepersonen, die wir jetzt dringend benötigen? In allen Bereichen der Pflege haben wir einen akuten Personalmangel. Krankenhäuser wie die Kinderklinik Sankt Louise in Paderborn helfen sich gerade, indem sie einen Apell gestartet haben: Sie sprechen Ruheständler, Pflegekräfte, die den Beruf verlassen haben, Studierende und andere an und bitten sie, in dieser angespannten Situation mitzuhelfen. Und überraschenderweise stoßen sie auf Resonanz. Das hilft kurzfristig, ist auf Dauer natürlich keine Lösung, aber ein wichtiger Hinweis, worauf es ankommt: Wir müssen dafür sorgen, die Arbeitsbedingungen in der Pflege wieder so attraktiv zu machen, dass niemand mehr diesen für unsere Gesellschaft so wertvollen Beruf verlässt. ({4}) Wir brauchen gute Tarife und moderne Arbeitszeitgestaltung, die jungen Menschen eine Perspektive bietet und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht. Und wir brauchen eine gesellschaftliche Wertschätzung dieser Arbeit, die weit über das Applaudieren hinausgeht. Damit die Arbeitsbedingungen nachhaltig besser werden, haben wir mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz die Einführung einer verbindlichen Pflegepersonalbemessung beschlossen. Wir bringen ein Instrument auf den Weg, das von den Pflegefachpersonen selbst entwickelt und umgesetzt wird. Diese Maßnahme wird langfristig eine große Wirkung entfalten. Davon sind auch die Gewerkschaft Verdi und der Deutsche Pflegerat überzeugt. ({5}) Um jetzt schnell für Entlastung auf den Kinderstationen zu sorgen, nehmen wir die Pädiatrie nun aus den Fallpauschalen, den sogenannten DRGs, heraus. ({6}) Für die nächsten zwei Jahre bekommen die Kinderkliniken zusätzlich jährlich 300 Millionen Euro. Damit steigen wir in eine neue Finanzierungslogik ein; denn Vorhaltekosten werden bezahlt. Die Krankenhäuser bekommen eine feste Grundfinanzierung, egal wie viele Behandlungen sie durchführen. ({7}) Wir können uns dann auch in solch zugespitzten Situationen wie jetzt darauf verlassen, dass die Kapazitäten ausreichen werden. Der Einstieg in eine große Krankenhausreform, die unser Minister Karl Lauterbach in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht hat, ist geschafft. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir drehen mit der Krankenhausreform ein ganz großes Rad. Jetzt kommt es darauf an, dass alle Beteiligten mitziehen, insbesondere die Länder. Ich schaue ganz bewusst zur CDU/CSU; denn Sie können Ihren Lippenbekenntnissen nun Taten folgen lassen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächste Rednerin ist für die CDU/CSU-Fraktion Emmi Zeulner. ({0})

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Also, man muss heute zumindest einräumen, dass Die Linke etwas erreicht hat. Sie hat mit dieser Aktuellen Stunde erreicht, dass Minister Lauterbach nicht bei „Markus Lanz“ Maßnahmen verkündet hat, sondern hier im Deutschen Bundestag. ({0}) Ich möchte die Maßnahmen von Herrn Lauterbach einmal auseinandernehmen. Er hat jetzt die Entbudgetierung für die Kinderarztpraxen beschlossen. Das ist ein guter, ein wichtiger Schritt. Meine Bitte wäre, dem Antrag der Union zuzustimmen. Wir hatten im Frühjahr dieses Jahres einen entsprechenden Antrag zu den Medizinischen Fachangestellten eingebracht. ({1}) Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus meiner Heimat: Dort musste eine Kinderklinik schließen, weil die Medizinischen Fachangestellten gefehlt haben. Wir brauchen Lösungen für dieses Problem, wenn wir wirklich nachhaltig handeln wollen. Und es wird immer Infektionswellen geben, diese jetzt ist extrem; aber jeder wusste, dass nach der Coronapandemie, wenn Abstandsregelungen und das Maskentragen wegfallen, Infektionen nachgeholt werden. Ja, natürlich, was denn sonst? Aber da müssen wir aktiv werden. Deswegen meine herzliche Einladung, unserem Antrag für eine Reform der Ausbildungsordnung der MFA zuzustimmen. Dafür brauchen wir dringend einen Bund-Länder-Gipfel; denn die beste Finanzierung nützt am Ende nichts – auch nicht den Arztpraxen –, wenn die Medizinischen Fachangestellten fehlen. ({2}) Sie haben angekündigt, dass die Untergrenzen ausgesetzt werden – das ist ja der Fall –, und auch da kennen wir den Hintergrund. Der Grund ist vor allem, dass die Krankenhäuser keine Strafzahlungen leisten müssen. Ich glaube, das ist das Mindeste, was wir in diesem Bereich tun können. Aber auch das ist nur eine kleine Maßnahme, die zwar kurzfristig wirken kann, aber langfristig keine Lösung bringt. Deswegen müssen wir dringend handeln. Sie haben in diesem Jahr versucht, mit verschiedenen Maßnahmen zu beweisen – Sie stellen 300 Millionen Euro für die Kinderkliniken zur Verfügung –, dass Sie es ernst meinen. Wir sehen aber, dass Sie es eben nur so halb ernst meinen; denn ein Viertel der Gelder kommt nicht bei der Kinderkliniken an, sondern kommt der allgemeinen Krankenhausfinanzierung zugute und ist somit nicht zielgerichtet. Deswegen stimmt das nicht ganz. ({3}) Sie haben beispielsweise die Mittel für die Hebammen zuerst aus den Budgets herausgestrichen, um sie dann wieder – wir haben das mühevoll erkämpft – aufzunehmen. Jetzt kommt die Nagelprobe: die Perinatalzentren. Es gibt 30 Kliniken in unserem Land, die kurz davor stehen, geschlossen zu werden. ({4}) Wenn sich Pflegekräfte in der Regel in einem Radius von 20 Kilometern eine Arbeitsstelle suchen und uns keine bessere Antwort einfällt, als 30 Kliniken zu schließen, ({5}) dann kann man davon ausgehen, dass die von den Schließungen betroffenen Fachpflegekräfte nicht zwingend Ihrem Konzept der Zentralisierung folgen werden, sondern sich wahrscheinlich vor Ort eine Arbeitsstelle – es sind ja reichlich vorhanden – suchen werden. Deshalb fordere ich Sie ganz konkret auf, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Ich finde es sehr schade, dass Sie heute nichts dazu angekündigt haben; denn gerade die Perinatalzentren – einschließlich Neonatologie – sind weiterhin von Schließung bedroht. Ich fordere Sie auf: Führen Sie mit uns die Debatte dazu! ({6}) Die Ausbildung ist das Nächste; das ist die Generalistik. Die müssen wir natürlich zurück in den Deutschen Bundestag holen. Wir müssen hier darüber sprechen: Wie geht es mit der Generalistik weiter? Lieber Herr Lauterbach, ich kann mich noch gut daran erinnern: Sie haben federführend mit einem Kollegen von der Union die Generalistik bis zum Schluss mitverhandelt, und ich habe Ihnen immer wieder gesagt: Die Kinderkrankenpflege muss anders behandelt werden. Kinder sind eben keine kleinen Erwachsenen. ({7}) Das sehen wir an den Ausbildungszahlen. Wir sehen auch, dass Leute die Ausbildung nicht machen, weil sie sagen: Nein, ich kann es mir in der Erwachsenenkrankenpflege nicht vorstellen. – Deswegen müssen wir uns das noch mal anschauen. Ich sehe, dass dort, wo Ausbildung stattfindet, weniger Fachkräftemangel ist, aber es in Berlin meiner Kenntnis nach nicht mal eine Ausbildungsstelle in der Generalistik gibt, die die Vertiefung zur Kinderkrankenpflege überhaupt möglich macht. Das heißt, das Land Berlin steht vor Riesenaufgaben, ({8}) weil die Ausbildung hier nicht stattfinden kann. Deswegen fordere ich noch mal, die Generalistik hierher ins Plenum zu holen. Wir müssen intensiv darüber sprechen, wie die Ausbildung gerade in der Kinderkrankenpflege aussieht, und wir müssen uns wirklich anschauen, wo die Ausbildungsstätten sind. Und deswegen fordere ich ein Bonussystem in der Ausbildung. Wir müssen schauen, wo die Praxiseinsätze stattfinden, und wir müssen die belohnen, die besonders attraktive Praxiseinsätze anbieten. Dafür werbe ich um Zustimmung. Da nehme ich Sie auch beim Wort. Sie haben jetzt angekündigt: Zum 1. Januar nächsten Jahres sind die Dinge scharfgeschaltet. – Ich bin gespannt; denn bis heute wissen die Krankenhäuser nicht, wie die Wirtschaftspläne im nächsten Jahr wirklich aussehen. Das ist eine Riesenaufgabe, und daran werden wir Sie messen. ({9}) – Bayern, lieber Herr Kollege, tut natürlich was. Zum Beispiel haben wir bei den Hebammen – man muss es ja ganzheitlich denken – in jedem Regierungsbezirk eine Hebammenausbildung auf den Weg gebracht. ({10}) – Ja, „Kinderklinik! Kinderklinik!“: Was glauben Sie, wer sozusagen im Vorraum zur Verfügung steht, wenn der Arzt nicht da ist? Dann wird bei der Hebamme angerufen. ({11}) Dann wird natürlich in die Arztpraxen gegangen. Deswegen muss man es ganzheitlich anschauen. Stimmen Sie unseren Anträgen zu den MFA und zur Pflegereform – alles ist aufgedröselt – zu! Unterstützen Sie uns da! Dann können Sie auch die Unterstützung von uns bekommen. ({12})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächster Redner ist für Bündnis 90/Die Grünen Johannes Wagner. ({0})

Johannes Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005248, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es scheint schon paradox, dass ich als Kinderarzt hier im Bundestag stehe und darüber spreche, dass Kinderärztinnen und Kinderärzte und Kinderkrankenpflegekräfte in unseren Kliniken fehlen. Wenn ich mir aber anschaue, wie wenig Gehör diese Berufsgruppen in den letzten Jahren hier in diesem Haus gefunden haben, muss ich feststellen: Offenbar fehlt es an Kinderärztinnen und Kinderärzten nicht nur auf Station, sondern auch hier im Bundestag. ({0}) Sonst würde eine Infektionswelle nicht jedes Mal wieder das gesamte System an den Rand des Zusammenbruchs bringen. Natürlich ist es dieses Jahr besonders dramatisch; aber Fakt ist, dass Kinderkliniken und auch die niedergelassenen Kinderärztinnen und Kinderärzte jeden Winter aufs Neue an und über ihre Belastungsgrenzen kommen. Die Frustration darüber ist in dem gesamten Gesundheitssektor sehr hoch, und zwar auf allen Ebenen. Das habe ich vor meinem Einzug in den Bundestag auch schon persönlich gespiegelt bekommen und vernehme es auch aktuell noch von Kliniken, von Ärztinnen und Ärzten und von Pflegekräften. Wir haben es in Deutschland geschafft, wunderschöne Berufe im Gesundheitssystem zu extrem anstrengenden Berufen werden zu lassen. Zum Beispiel war ich vor Kurzem bei einer Veranstaltung des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte in Bayern. Was mir dort die knapp 100 aufgebrachten Kinderärztinnen und ‑ärzte alles an Kritik entgegengebracht haben, kann ich in der Kürze der Zeit hier gar nicht vortragen. Aber ich würde mir schon wünschen, dass gerade Sie von der Union sich das auch einmal anhören würden und mitbekommen würden, wie dort über die letzten 16 Jahre gesprochen wird; denn Sie haben es vielfach nicht geschafft, Reformen anzugehen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir jetzt alle gemeinsam diesen Vertrauensverlust wiedergutmachen müssen. Nachdem wir in den letzten Jahren eher kosmetische Veränderungen vorgenommen haben, ist es endlich Zeit, das System grundsätzlich zu ändern; denn so kann es nicht weitergehen. ({1}) Mit den in der letzten Woche vorgestellten Vorschlägen für eine Krankenhausreform sind wir erste Schritte gegangen. Natürlich gibt es vor jeder großen Reform Bedenken und Kritik; aber ich möchte Ihnen sagen: Ich bin tief davon überzeugt, dass wir mit dieser Reform genau die richtigen Schritte gehen. Wir müssen weg von einer rein leistungsabhängigen Vergütung. Gesundheitsversorgung ist Teil der Daseinsvorsorge; da müssen wir auch die Vorhaltekosten mitfinanzieren. ({2}) Das ist insbesondere in der Kinder- und Jugendmedizin so, wo wir besonders viel Personal und Zeit für die kleinen Patientinnen und Patienten brauchen. Es ist aber auch klar, dass wir nicht von heute auf morgen Dinge korrigieren können, die jahrelang falsch gemacht wurden. Deswegen haben wir vor rund zwei Wochen auch kurzfristige Übergangshilfen beschlossen und werden unter anderem die Kinderkliniken in den nächsten beiden Jahren mit 600 Millionen Euro zusätzlich finanzieren. Außerdem – wir haben gerade gehört, was der Minister angekündigt hat – werden wir auch den niedergelassenen Kinderärztinnen und Kinderärzten entgegenkommen und dort die Budgetgrenzen auflösen. Leider ist es aber auch klar, dass auch diese Maßnahme nicht schon morgen für mehr freie Betten in den Kinderstationen sorgen wird; so schnell geht das nicht. Deswegen ist es weiterhin wichtig, Infektionsketten zu unterbrechen. Als vor zwei Jahren die Erwachsenenstationen voll waren, haben wir weitreichende Maßnahmen ergriffen, teilweise auch unnötige Maßnahmen, sogar Spielplätze geschlossen. Jetzt sind die Kinderkliniken voll, und für manche ist es zu viel, selbst im ÖPNV, wo sie auf fremde Menschen treffen, eine Maske zu tragen. Das finde ich unsolidarisch. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gesundheitssystem braucht dringend Reformen, und wir gehen diese an. Lassen Sie mich zum Schluss aber noch eine weitere Sache sagen: Kein Gesundheitssystem der Welt, und sei es noch so gut, kann mit den Gesundheitsgefahren einer eskalierenden Klimakrise umgehen. Deswegen ist Klimaschutz auch vorausschauende Gesundheitspolitik. Vielen Dank. ({4})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächste Rednerin ist für die SPD-Fraktion Nezahat Baradari. ({0})

Nezahat Baradari (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004947, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eins vorneweg: Als Berichterstatterin meiner Fraktion für Kinder- und Jugendgesundheit und auch als praktizierende Fachärztin für Kinder und Jugendliche möchte ich der Opposition dafür danken, dass sie der schwierigen Lage der Kinderkliniken in Deutschland mit dieser Aktuellen Stunde noch einmal die dringend notwendige Aufmerksamkeit verschafft. Es ist aber natürlich nicht so, als wäre dies den Regierungsfraktionen nicht schon längst bekannt. Die aktuelle Welle an RSV-Infektionen und anderen grippalen Virusinfektionen wirft ein Schlaglicht auf einen Sektor, der schon lange unterfinanziert und unterbesetzt ist und der besonders unter den Fehlentwicklungen sowohl im ambulanten als auch im stationären pädiatrischen Bereich gelitten hat. Bereits im Krankenhauspflegeentlastungsgesetz haben wir deshalb Maßnahmen ergriffen – das wurde schon oftmals hier erwähnt –, um den Kinderkliniken und Geburtsstationen kurzfristig Hilfen zur Verfügung zu stellen. Für die nächsten zwei Jahre werden wir insgesamt 840 Millionen Euro für deren Finanzierung zur Verfügung stellen, und wir führen die PPR 2.0 für Pädiatrie plus Intensiv ein. Diese kurzfristigen Reformen haben wir bereits auf den Weg gebracht. ({0}) Die langfristigen Pläne, die künftig Notlagen wie die aktuelle verhindern werden, sind längst in Arbeit. Letzte Woche stellte die Regierungskommission ihre dritte Stellungnahme und Empfehlung für eine grundlegende und moderne Krankenhausreform vor. Die Vorschläge beinhalten eine bedarfsgerechte Krankenhausversorgung mit Vorhaltepauschalen in Höhe von 60 Prozent für die Pädiatrie – auch das wurde schon hier genannt –, die Herausnahme der Pflegebudgets und reformierte DRGs, also reformierte Fallpauschalen. Ich begrüße diese Vorschläge. ({1}) Aber wer glaubt, allein durch eine sofortige Abschaffung der Fallpauschalen würden plötzlich paradiesische Zustände in die deutschen Krankenhäuser und Kinderkliniken einkehren, der irrt gewaltig. ({2}) Inzwischen sind wohl viele zu jung, um sich noch an die damals durchaus guten Gründe für die Einführung der Fallpauschalen zu erinnern. Die 80er- und 90er-Jahre waren mitnichten die goldenen Zeiten der stationären Versorgung. ({3}) Mit den Reformplänen wollen wir die leider entstandenen Fehlanreize, die im aktuellen System der Fallpauschalen enthalten sind, abbauen und somit die Fehlentwicklungen der letzten 20 Jahre korrigieren. ({4}) Wir wollen aber nicht einfach die Uhr zurückdrehen und mit der Gießkanne Geld über Deutschland ausschütten. ({5}) Auch die Fachgesellschaften aus dem Bereich Kinder- und Jugendmedizin – und mit denen rede ich wirklich sehr oft – betonen immer wieder: Es muss nicht um Quantität, sondern um Qualität gehen; denn nichts Geringeres verdienen unsere Kinder. ({6}) – Da darf man durchaus mal applaudieren. Wir müssen den Fachkräftemangel angehen, auch wegen der demografischen Herausforderungen, die massiv auf uns zukommen. Es gibt beispielsweise in Berlin und Brandenburg schon jetzt 15 Prozent weniger Kinderkrankenpflegefachpersonal, als benötigt würde. Und dieser Trend wird sich durch den Renteneintritt der Babyboomergeneration weiter verstärken, wohlgemerkt bei einem gleichzeitigen Anstieg der Geburten in den vergangenen zehn Jahren. Die Länder stehen hier genauso in der Pflicht. Sie müssen mehr Medizinstudienplätze anbieten, überhaupt Ausbildungsplätze für Kinderkrankenpflege zur Verfügung stellen und ihren Part bei der Krankenhausreform und den Investitionskosten übernehmen. ({7}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Krankheitsbilder der Kinder sind komplexer geworden. Die Pädiatrie hat sowohl bei der großen Anzahl der Geflüchteten in den Jahren 2015 und danach und auch jetzt in der Ukrainekrise ihr Bestes getan, um viele Kinder gut zu versorgen, in den niedergelassenen Kinderarztpraxen und in den Kinderkliniken. Daher möchte ich an dieser Stelle meinen besonderen Dank an alle Beschäftigten in der Pädiatrie richten, insbesondere an Kinderkrankenpflegerinnen und ‑pfleger, an die Medizinischen Fachangestellten und an die Kinderärztinnen und ‑ärzte in unserem Land. ({8}) Abschließend kann man sagen: Gut, dass wir dieses wichtige Thema endlich ins Plenum tragen und darüber debattieren. Wir sind uns als Koalition der Probleme bewusst, aber wir lassen keine politischen Schnellschüsse los, sondern verfolgen akribisch unsere Ziele: die Stärkung der Pflege, die Ambulantisierung und eine Finanzierung, die sich an Bedarf und Qualität orientiert. Wir lassen kein Kind zurück. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Jetzt erhält das Wort der Kollege Erich Irlstorfer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Erich Irlstorfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004311, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich merke da auf einmal die große Liebe für die Kinder- und Jugendmedizin; schön, sehr gut, das freut mich. ({0}) Ich kann Ihnen eines sagen: Ein bisschen Vertrauen in unsere Minister sollten wir auf jeden Fall haben. Es ist zum Thema Fallpauschalen die klare Ankündigung gemacht worden, dass man die Kinderkliniken kurzfristig für zwei Jahre mit 300 Millionen Euro pro Jahr unterstützen wird, um Vorhaltekosten und dergleichen finanzieren zu können. Das ist generell richtig. Das ist notwendig und überfällig. Deshalb werden wir das jetzt machen. Wir von der Union unterstützen das. Genauso richtig finde ich es, dass dieses Thema von der Linken ins Plenum zurückgebracht wird. Deshalb diskutieren wir es hier. Ich kann Ihnen eines sagen – meine Kollegin Zeulner hat es vorhin schon angesprochen; ich war bei den Gesprächen dabei, bitte erlauben Sie mir die folgende Ausführung –: Es stört mich, dass sich Leute hierhinstellen und so tun, als wären sie die letzten Jahre nicht dabei gewesen. Wir haben in der Großen Koalition über das Thema „generalistische Ausbildung“ diskutiert. Die klare Haltung der Union damals war: Wir wollen einen funktionierenden Beruf nicht in die Generalistik implementieren, weil wir der Meinung sind, dass das läuft. Damals gab es in der Kinder- und Jugendpflege neun Bewerbungen auf eine Stelle. Heute kriegen wir die Stellen nicht mehr besetzt. Wenn man sich jetzt hierhinstellt und sich wie die SPD einen schlanken Fuß macht, kann ich nur sagen: Das ist inhaltlich falsch, und es ist verlogen, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({1}) Weil auch wir einen Anteil an diesem Fehler haben, weil wir uns nicht durchsetzen konnten, kann ich nur sagen, dass wir das Thema „generalistische Ausbildung“ endlich angehen und das Thema der Herauslösung der Kinder- und Jugendpflege wieder ins Parlament holen wollen. Man kann einen Fehler machen. Aber wenn man sieht, dass man einen Fehler gemacht hat, dann muss man ihn korrigieren. Das ist meine herzliche Bitte. ({2}) – Es interessiert mich nicht, ob die Länder das wollen. Wir müssen hier entscheiden und das Richtige tun. ({3}) – Nein, nein. Ich kann Ihnen nur sagen: Das eigentliche Problem ist nicht die hohe Anzahl der kranken Kinder, sondern das eklatante Problem ist der Mangel an Personal. ({4}) Deshalb müssen wir Betten sperren. Deshalb können wir die Kinder nicht versorgen. Und dass die Eltern in so einer Situation Angst bekommen, das ist doch vollkommen normal. Wir müssen praxisnah handeln, meine sehr geehrten Damen und Herren. Das ist notwendig. ({5}) Ich möchte noch anbringen, dass wir auch im Bereich Geburt Wissen generieren könnten. Es gibt die ganzen Untersuchungen und alles, was dazugehört. Ich stelle mir schon die Frage, warum wir in Deutschland die Situation haben, dass wir bei der Erstuntersuchung und in dem ganzen langen Prozess danach an die 30 Krankheiten abklären können, andere Länder teilweise 70 bis 80 Krankheiten. In Asien wird zum Beispiel aus dem Abfallprodukt der Geburt, der Nabelschnur, Wissen generiert; teilweise werden 1 000 bis 12 000 Erkrankungen abgeklärt. Warum machen wir das nicht? Es heißt immer wieder: Das liegt am Datenschutz. Ich bin ein Fan von Datenschutz, aber wenn der Datenschutz bessere Versorgung verhindert, dann ist das nicht in Ordnung, meine sehr geehrten Damen und Herren. Da müssen wir ran. ({6}) Ich glaube, dass uns diese Reform nach vorne bringen kann. Wir als Union – und das ist ein Angebot, Herr Minister – sind bereit, mitzuarbeiten und die Dinge so zu formulieren, dass wir wieder Stabilität reinbekommen. Das ist doch notwendig. Wenn ich hier höre: „Die Länder wollen dies und das“, kann ich nur sagen: Es muss ein Zusammenarbeiten zwischen Bund und Ländern sein. Wir werden diese Situation nur verbessern, wenn wir das gemeinsam machen. Lassen Sie mich als letzten Punkt ein Beispiel bringen. Bei einem Erwachsenen dauert eine Blutabnahme ein paar Minuten; es kommt eine Fachkraft, die Blut abnimmt, und alles ist gut. Bei einem Kind braucht man dafür einfach länger, weil das Kind Angst hat und weint und die Eltern es trösten müssen. Das Blutabnehmen dauert hier vielleicht auch mal 20 Minuten oder eine halbe Stunde. Tatsache ist aber, dass man bei der Abrechnung keinen Cent mehr bekommt. Das Beispiel zeigt, dass man über das Thema Fallpauschalen diskutieren muss. Diese Diskussion müssen wir anfangen, aber es geht nicht einfach darum, Tabula rasa zu machen und die Fallpauschalen zu streichen – das ist alles Schmarrn – und auf Spitzabrechnung zu setzen. Nein, man muss klug handeln, man muss vielleicht auch ein Mischsystem einführen, und wir müssen hier ins Gelingen verliebt sein. Herzlichen Dank. ({7})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächste Rednerin ist für die FDP-Fraktion Nicole Westig. ({0})

Nicole Westig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004931, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Laut RKI leidet fast jeder Zehnte hierzulande aktuell an einer Atemwegserkrankung, beinahe 9 Millionen Menschen. Besonders betroffen sind Schulkinder zwischen 5 und 14 Jahren. Säuglinge und Kleinkinder leiden unter dem RS-Virus, viele mit schweren Verläufen. Das führt zu alarmierenden Nachrichten aus unseren Kinderkliniken. Viele haben keine freien Betten mehr, zu oft müssen schwerkranke Kinder in weit entfernte Kliniken gebracht werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eine Entwicklung, die uns alle entsetzt. Gleichwohl kommt sie nicht überraschend. Dass Kinder sich nach Maskenpflicht und Lockdowns nun vermehrt infizieren und Atemwegserkrankungen regelrecht nachholen, war zu erwarten. Dass völlig unabhängig davon die Kinderkliniken und Kinderstationen in unserem Land große Schwierigkeiten haben, war seit Langem bekannt. Trotzdem hat es über viele Jahre hinweg keine gesetzgeberische Initiative gegeben, um hier entgegenzuwirken. ({0}) Die Ampelregierung war sich schnell einig, an dieser Situation etwas zu ändern. In der Pädiatrie kurzfristig für eine auskömmliche Finanzierung zu sorgen, haben wir in unserem Koalitionsvertrag festgehalten. ({1}) Mit dem gerade verabschiedeten Krankenhauspflegeentlastungsgesetz sind wir den ersten Schritt in diese Richtung gegangen und unterstützen die Kinderkliniken mit jeweils 300 Millionen Euro in den nächsten zwei Jahren. ({2}) Klar kommt dieser Schritt für diesen Winter zu spät. Doch er ist getan, und die Kinderkliniken wissen das sehr zu schätzen. Durch die extrem heterogene Patientengruppe haben Kinderkliniken enorme Vorhaltekosten. Sie müssen gleichermaßen vorbereitet sein auf das 300 Gramm leichte Frühgeborene wie auf den übergewichtigen Teenager. Diese Kosten lassen sich durch die Fallpauschalen nicht abdecken, und deshalb entlasten wir hier. Schon bald werden weitere Schritte folgen. Wir müssen dahin kommen, die Versorgungsstruktur aus Sicht der Familien zu denken. Auch deshalb werden wir die Richtung hin zu mehr Ambulantisierung einschlagen. Menschen werden zu Hause am besten gesund, und das gilt insbesondere für Kinder. „Wir würden kein Kind länger als notwendig bei uns lassen; denn das macht kein Elternteil mit“, höre ich dazu aus der Kinderklinik Sankt Augustin in meinem Wahlkreis. Wenn die Kinder jedoch stationär bleiben müssen, dann sind heutzutage die Eltern bei ihnen. Darauf sind viele Kinderkliniken baulich aber nicht ausgerichtet: zu kleine Zimmer, verkommene Bausubstanz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen eine Investitionsoffensive für unsere Kinderkliniken. Der Bund geht den ersten Schritt mit der dringend notwendigen finanziellen Unterstützung bei den Vorhaltekosten. Weitere müssen folgen; aber da sind auch die Länder gefragt. ({3}) Sie müssen nachholen, was sie in den vergangenen Jahren an Investitionen versäumt haben. ({4}) Doch selbst wenn wir künftig finanziell besser ausstatten und auch endlich mehr investieren, stehen wir weiterhin vor einem Problem; denn, meine Damen und Herren, Betten pflegen keine Patienten. Auch in unseren Kinderkliniken herrscht akuter Personalmangel. Fast 40 Prozent der Kinderintensivbetten können laut DIVI deshalb nicht betrieben werden. Deshalb müssen wir auch noch einmal auf die Pflegeausbildung schauen, ja, aber nicht das Rad zurückdrehen. Aktuell gibt es nicht genug Ausbildungsplätze mit dem Vertiefungsschwerpunkt Pädiatrie. Hier sollten wir Anreize setzen, damit die Träger sich ihrer Verantwortung bewusst werden und mehr anbieten. Wir brauchen tragfähige Einarbeitungskonzepte für die erforderliche Spezialisierung nach der generalistischen Ausbildung. Hier müssen wir uns jetzt auf den Weg machen und für ein nahtloses Weiterbildungskonzept sorgen. Hierzu wünsche ich mir schnell entsprechende Bund-Länder-Gespräche. Einige Kommunen gehen schon mit gutem Beispiel voran. Zum Beispiel kooperieren in der Stadt Dortmund die Pflegeschulen bei der Einsatzplanung trägerübergreifend, um allen Auszubildenden sinnvolle pädiatrische Einsätze zu ermöglichen, teilweise auch mit pädiatrischer Vertiefung. Ein Modellprojekt der Akademie der München Klinik gGmbH wird mit einem Konzept für kurze, aber intensive pädiatrische Einsätze der hohen Anzahl an benötigten Plätzen gerecht. Das kann sicher als Best-Practice-Beispiel dienen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen, wie komplex die Schwierigkeiten für unsere Kinderkliniken sind. Die bloße Forderung nach einer Abschaffung der Fallpauschalen wird dem in keiner Weise gerecht und macht keinen Sinn. ({5}) Unterstützung bei den Vorhaltekosten durch den Bund –

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.

Nicole Westig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004931, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

– da bin ich gleich –, eine Investitionsoffensive durch die Länder und die Sicherung der Vertiefung im Bereich Krankenpflegeausbildung, das macht Sinn. Meine Damen und Herren, im Namen von uns allen möchte ich allen, –

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen.

Nicole Westig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004931, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

– die aktuell und vor allem an den kommenden Weihnachtsfeiertagen unser System der Gesundheit am Laufen halten, ganz herzlich danken. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Und zum Abschluss dieser Debatte erhält Tina Rudolph für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Tina Rudolph (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005195, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon spannend, für welche Bandbreite an Themen man so eine Aktuelle Stunde nutzen kann, angefangen bei mal wieder unverhohlener, unsachgemäßer und unwissenschaftlicher Kritik an Coronaimpfungen und ‑schutzmaßnahmen bis hin zu, sorry, einem letzten Aufgebot, weil einem die Felle wegschwimmen, da sich eine langjährige politische Forderung gerade vor Ihren Augen durch Regierungshandeln erledigt. ({0}) Zum ersten Punkt. Liebe Fraktion rechts außen, fühlen Sie sich bitte nicht zu sehr angesprochen. Ich sage das nicht für Sie, sondern eher für diejenigen, die uns zuschauen und vielleicht auch verunsichert sind durch das, was gerade in einigen Medien berichtet wird, nämlich dass wir aktuell eine besonders starke Grippe- und RSV-Welle haben, die mit den Coronaimpfungen zusammenhängen könnte, oder dass die Maskenpflicht dazu führt, dass Grippe- und RSV-Infektionen jetzt nachgeholt würden. Es ist aber so, dass die genannten Erkrankungen immer wieder in Wellen auftreten; bei der Grippe ist die Saison 2016/17 zu nennen, aber auch die Saison 2017/18. Und was das RS-Virus angeht, sind die Kinderkliniken – das ist leider immer so; der Kollege Wagner hat es ja auch ausgeführt – jedes Jahr in einer angespannten Situation. Also, hier einen Zusammenhang mit Coronaimpfungen oder Masken herzustellen, ist einfach viel zu kurz gegriffen und sachlich falsch. ({1}) Was sein kann, ist, dass es in diesem Jahr eine Menge RSV-Fälle gibt, auch deshalb, weil es letztes Jahr eine Maskenpflicht gab. Aber hierzu ist zu sagen, dass das für Kinder insgesamt gut ist, weil das RS-Virus gerade im ersten Lebensjahr einen verheerenden Schaden anrichten und den schlimmsten Krankheitsverlauf verursachen kann. Daher ist es gut, selbst wenn es sich um nachgeholte Krankheitsfälle handelt, dass die Infektionen nicht eher entstanden sind. Also hören Sie bitte auf, zu verbreiten, dass man das Immunsystem einfach nur mit irgendwas konfrontieren muss, und dann wird das Ganze schon. ({2}) Es war mir ein Bedürfnis, das zu sagen, ({3}) weil ich glaube, dass wir uns hier um Wissenschaftlichkeit und Richtigstellung bei solchen Fragen bemühen müssen. Jetzt zum eigentlichen Thema, dazu, dass die DRGs abgeschafft werden sollen, dass wir das Primat der Fallpauschalen im Gesundheitswesen natürlich überwinden müssen. Aber der Aufhänger, liebe Linksfraktion, ist ja die aktuelle Situation. Ich glaube, niemanden lässt die aktuelle Situation in den Kinderkliniken kalt. Wer die Berichte darüber im Fernsehen sieht oder mit ärztlichen oder pflegerischen Kolleginnen und Kollegen redet, den lässt das nicht kalt. Es ist nicht so, dass wir eine solche Situation zum ersten Mal haben, sondern es ist seit Jahren leider so, dass in Kinderkliniken meist im Herbst eine sehr, sehr prekäre Situation herrscht. Wir wissen – das haben wir gesehen –, dass das System der Fallpauschalen dazu geführt hat, dass auch und gerade auf den Kinderkliniken in den letzten Jahren ein enormer Kostendruck lag, der unter anderem dazu geführt hat, dass viele geschlossen wurden, es also immer weniger Kinderkliniken gibt. Das heißt, hier ist dringend Handeln erforderlich. Es ist allerdings nicht redlich, zu behaupten, dass, wenn wir uns heute darauf einigen würden oder wenn wir einem der Anträge auf Abschaffung des DRG-Systems zugestimmt hätten – in Klammern stelle ich die Frage: und was dann? –, sich die Situation dadurch schlagartig verbessert hätte oder verbessern würde. ({4}) Die Situation wird sich aber unmittelbar dadurch verbessern – man darf jedoch nicht erwarten, dass das morgen passiert –, dass wir die Kinderkliniken finanziell entlasten, was wir schon ab Beginn des nächsten Jahres tun werden. Das ist für politische Prozesse sehr schnell. ({5}) Natürlich wird auch kurzfristig etwas getan; es wird etwa versucht, Personal auf andere Stationen umzuschichten, was sein muss; wir wissen, dass wir damit viel abverlangen. Wir wissen, dass das gerade für das Personal schwierig ist, nachdem wir von einer Coronawelle in die nächste und jetzt eben auch noch in eine RSV-Welle gekommen sind. Und trotzdem: Diese Regierung geht das Problem sowohl kurzfristig durch eine finanzielle Besserstellung der Kinderkliniken, aber auch langfristig durch die Überwindung des Primats der Fallpauschalen an. ({6}) Diese Regierung mit diesem Gesundheitsminister hat den Mut, einen validen Vorschlag dafür vorzubringen. Es ist das erste Mal seit Jahren, dass das passiert. Es wird nicht nur die Forderung geäußert, die Fallpauschalen abzuschaffen, sondern es wird auch ein wirklicher Gegenfinanzierungsvorschlag gemacht. Wir wissen, wo wir damit hinwollen, und wir gießen das Ganze in eine große Reform des Gesundheitswesens. Deswegen: Ich danke Ihnen, Herr Minister, dass Sie den Mut hatten, die Regierungskommission einzusetzen, die schon nach einem Jahr viele enorm gute Vorschläge vorgelegt hat, von denen die ersten bereits in die Umsetzung gehen. Ich danke Ihnen, Herr Minister, auch dafür, dass Sie den Mut haben, eine große Krankenhausreform anzustreben. Und ich danke Ihnen jetzt schon für die Beharrlichkeit, die das Ganze erfordern wird; denn das ist kein leichtes Unterfangen. Wir streben tiefgreifende Strukturreformen an: vom Primat der Fallpauschalen zu einer besseren Finanzierung der Vorhaltekosten, zu einer besseren Strukturfinanzierung. Wir wollen aber auch zu generellen Strukturumbrüchen kommen, indem wir Kliniken in Versorgungsstufen unterteilen. All das wird Mut und Tatkraft erfordern. Aber wenn es einfach wäre, könnte es jeder. Wir müssen in dieser Legislatur damit anfangen. Wir müssen es schaffen, das Gesundheitssystem gut und zukunftsfähig aufzustellen. Herr Minister, dabei haben Sie unsere volle Unterstützung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns diese Reform angehen! Vielen Dank. ({7})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Es sind keine einfachen Zeiten, wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen, und wir haben oft hier im Bundestag, gerade in diesen Wochen, sehr komplizierte Gesetzesvorhaben und Sachverhalte zu beraten. Gerade in diesen schwierigen Zeiten ist es aber wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger unsere Entscheidungsabläufe und unsere Entscheidungen nachvollziehen können, dass sie sie erleben können. Deswegen ist es gut, dass wir mit dieser Änderung der Geschäftsordnung für mehr Transparenz hier im Bundestag sorgen; das schafft Vertrauen. Deshalb ist es wichtig, dass wir diese Änderungen heute beschließen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Wir schaffen mehr Öffentlichkeit und Transparenz. Das tun wir zum Beispiel, indem wir mehr Öffentlichkeit in der Ausschussarbeit zulassen. Ich freue mich sehr, dass im Januar mindestens sechs Ausschüsse beschließen werden, dass sie grundsätzlich öffentlich tagen. Ausdrücklich regeln wir darüber hinaus, dass öffentliche Sitzungen der Ausschüsse, soweit es technisch möglich ist, soweit es die Übertragungskapazitäten erlauben, gestreamt werden, damit sich alle Bürgerinnen und Bürger diese Sitzungen anschauen können. Damit bekommen sie viel einfacher die Möglichkeit, sich zu informieren. Diesem Ziel dient auch die Regelung, dass die Protokolle zukünftig schneller einsehbar sind: Protokolle von öffentlichen Sitzungen werden unverzüglich veröffentlicht, Protokolle von nichtöffentlichen Sitzungen spätestens nach einem Jahr. Mehr Transparenz schaffen wir auch bei den Sachverständigenanhörungen. Sachverständige müssen in den Anhörungen zukünftig angeben, ob sie mit dem Regelungsgegenstand ein persönliches Interesse verbindet. Das ist wichtig, damit wir genau wissen: Vertritt jemand, der Fachauskünfte gibt, eigene Interessen oder die Interessen von Dritten? ({1}) Möchte er tatsächlich das Gesetzgebungsverfahren beeinflussen, oder ist er wirklich neutral? – Das sind ganz wichtige Hinweise. Deswegen ist es gut, dass wird das in der Geschäftsordnung regeln. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die vorliegende Geschäftsordnung stammt im Wesentlichen aus dem Jahr 1980. Deswegen ist es wichtig, dass wir hier für dieses Update sorgen und dabei insbesondere auch die Chancen der Digitalisierung nutzen. Dazu gehört, dass wir eine Regelung aus der Coronazeit – da hatten wir geregelt, dass Ausschusssitzungen online stattfinden können – jetzt als Dauerregelung normieren. Diese Regelung hat sich bewährt. Deswegen werden wir das jetzt als Dauerregelung in die Geschäftsordnung übernehmen. Das macht uns flexibel. Insbesondere in Nichtsitzungswochen müssen die Abgeordneten, wenn es erforderlich ist, zu einer Sitzung zusammenzukommen, dann nicht aus der ganzen Republik nach Berlin reisen; das ist nebenbei auch klimafreundlich, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Ich habe zum Thema Digitalisierung ein paar Takte gesagt. In diesem Zusammenhang will ich auch darauf hinweisen, dass die IuK-Kommission heute eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben hat. Wir wollen bis Ende Februar nächsten Jahres vorgelegt bekommen, wie – mit welcher Variante genau und zu welchen Kosten – wir hier bei den namentlichen Abstimmungen elektronisch abstimmen können. Ich finde, das sollten wir tun; denn etwa im Europaparlament und auch in dem einen oder anderen Landtag gibt es diese Möglichkeit schon sehr lange. Wir wollen uns anschauen, was die beste Lösung ist: Sehen wir am Platz festinstallierte Geräte vor, machen wir es mit ausgegebenen Geräten oder mit dem eigenen Tablet? Darüber werden wir beraten, in dem Zusammenhang natürlich auch mit den Fragen, die sich weiter, für die Geschäftsordnung, ergeben. Ich finde, das macht Sinn. Denken Sie nur an die Abstimmungen zur Impfpflicht; da saßen wir fast den ganzen Vormittag hier und mussten warten. Das ist nicht bürgerfreundlich, das kann schneller gehen. Lassen Sie uns also die digitalen Chancen auch für unseren Parlamentsbetrieb nutzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Schließlich schaffen wir auch Klarheit, ob Bundesbedienstete, insbesondere Vertreter des Bundesrechnungshofs, an öffentlichen Anhörungen teilnehmen können. Der Bundesrechnungshof ist eine wichtige Einrichtung; wir sind immer dankbar für die klugen Hinweise, die wir von dort bekommen. Deswegen ist es gut, dass wir im Änderungsantrag jetzt eine klare Regelung getroffen haben. Zukünftig kann mit Beschluss des Ausschusses geregelt werden, dass unabhängige Bundesbedienstete, wie etwa vom Bundesrechnungshof, an öffentlichen Anhörungen teilnehmen können. Ich darf auch darauf hinweisen, dass wir der besonderen Bedeutung, die der Datenschutz für uns hat, Rechnung tragen, indem der Bundesdatenschutzbeauftragte immer dann, wenn ein Gesetzentwurf ganz erheblich mit Datenschutz zu tun hat, an der Sachverständigenanhörung teilnehmen kann. Das ist eine ganz wichtige Klarstellung, die zeigt, wie wichtig uns der Datenschutz ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. Auch ganz wichtig: Wir werden die Regierungsbefragung lebendiger gestalten. Dazu gehört zunächst einmal, dass wir die Regierungsbefragung um 30 Minuten verlängern, und vor allem – das ist die entscheidende Neuerung –, dass zukünftig zwei Regierungsmitglieder/Kabinettsmitglieder gleichzeitig in einer Regierungsbefragung anwesend sein werden. Das ermöglicht dann ein, ich nenne es mal, Kreuzverhör, die Gegenüberstellung von verschiedenen Positionen. ({4}) Ich glaube, das wird ein ganz spannendes Element werden, wenn hier zwei Minister/Ministerinnen zur Verfügung stehen. Wir ermöglichen auch, dass wir sie viel länger befragen; sie werden nämlich doppelt so oft wie bisher anwesend sein. Das heißt, unter dem Strich stehen die Ministerinnen und Minister dem Parlament, uns Abgeordneten, für unsere kritischen Fragen häufiger zur Verfügung. Auch das ist eine ganz wichtige Maßnahme, weil wir so Politik erlebbarer, spannender machen und die Bürger viel mehr für unsere Arbeit hier interessieren können. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Ich darf mich bei allen Kolleginnen und Kollegen – auch der Opposition – für die Zusammenarbeit bedanken. Auch der Bundestagsverwaltung ein herzliches Dankeschön für viele wichtige Hinweise! Das hier ist das erste Paket. Wir haben uns auch schon vorgenommen, ein zweites Paket zu schnüren. Damit werden wir gleich im Januar loslegen. Beim zweiten Paket werden wir uns insbesondere damit beschäftigen, wie wir die Arbeit hier familienfreundlicher gestalten können. Lassen Sie uns heute dieses erste Paket für mehr Transparenz und für mehr Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unsere politische Arbeit beschließen. Vielen Dank. ({6})

Patrick Schnieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004146, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In der Tat, die Geschäftsordnung, mit der wir heute im Deutschen Bundestag arbeiten, stammt im Wesentlichen aus dem Jahr 1980. Natürlich hat es in der Zwischenzeit die eine oder andere Änderung gegeben. Aber wir waren uns in der letzten Periode schon einig, dass es überfällig ist, dass wir die Geschäftsordnung einer Generalrevision unterziehen, sie auf die Höhe der Zeit bringen, Debatten lebendiger gestalten, dem Parlament gerecht werden, das sich mit den verschiedenen Fraktionen weiter aufgefächert hat, familienfreundlicher werden, die Geschäftsordnung an die Digitalisierung anpassen. Gemessen an diesem Anspruch, an der Notwendigkeit, die wir alle sehen, ({0}) ist das, was wir heute vorgelegt bekommen, allenfalls ein Reförmchen. ({1}) – Immerhin ein Reförmchen. Wenn das der Anspruch der Ampel ist, dann sei euch das gegönnt. Immerhin haben die Vorschläge, die wir eingebracht haben, ja dazu geführt, dass man sich genötigt sieht – und das ist vollkommen richtig –, das in einem zweiten Paket umfassender, professioneller anzugehen ({2}) als mit dem, was vorliegt. Denn das, was Sie hier aufgeschrieben haben, erschöpft sich ja im Wesentlichen – neben all den Ankündigungen, die gemacht worden sind – in zwei Punkten: Der eine Punkt ist eine Verlängerung der Regierungsbefragung von 60 auf 90 Minuten, statt einer Ministerin, einem Minister dann zwei Ministerinnen oder Minister. ({3}) Der andere Punkt ist die Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen. Wenn man sich die Vorschläge anschaut, dann muss man sagen: Das ist ja eine Mogelpackung. Sie erweitern zwar die Regierungsbefragung von 60 auf 90 Minuten, aber auf zwei zu Befragende. Wenn ich das mal auf die Zeit zurückrechne, haben wir nur noch 45 Minuten pro Minister. Das ist also ein Rückschritt. Ich lasse es nicht gelten, dass man sagt, im Umlauf passiert das immer öfter. Es wird lebendiger, und es wird der Kontrollfunktion der Abgeordneten und insbesondere der Opposition dann gerecht, ({4}) wenn ich mich auch einmal konzentriert auf ein Thema kaprizieren kann. Je weiter ich das auffächere – ich kann auch zehn Minister in drei Stunden nehmen; dann kommen die noch öfter dran –, desto mehr zerfleddert es natürlich eine Diskussion. Doch das scheint ja geradezu gewollt zu sein. ({5}) – Das kann man verstehen. – Es wird ja dadurch untermauert, dass die Regierung jetzt auch die Reihenfolge kurzfristig festlegen kann bzw. dass sie festlegen kann, wer sich denn der Regierungsbefragung stellen muss. Wir haben auch im Moment keinen idealen Zustand, dass also eine feste Liste besteht, die dann abgearbeitet wird. Aber immerhin passiert es dann mal, dass sich jemand der Befragung hier stellen muss, der auch gerade im Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik steht, dessen Themen gerade die Bevölkerung und auch das Parlament polarisieren. Das macht lebendigen Parlamentarismus aus. Aber wenn die Regierung jetzt einfach sagen kann: „Wir schicken nächste Woche mal zwei ins Feld, die nicht so im Mittelpunkt stehen“, dann schwächt auch das die Kontrollfunktion des Parlaments, der Parlamentarier und der Opposition. Ich habe den Eindruck, dass das geradezu gewollt ist. Dann wende ich mich der Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen zu. Das, was Sie in einem ersten Schritt hier machen, soll ja in der Tat nur ein erster Schritt sein. Gewollt ist ja im Wesentlichen, dass die Ausschüsse insgesamt öffentlich tagen. Es entsteht ja auch Druck – das hat die Anhörung ergeben –, dass sich Ausschüsse öffnen, dass sie öffentlich tagen, weil andere das eben auch machen. Wir haben Bedenken, ob das wirklich zu mehr Transparenz führt. Denn es besteht ein Bedarf, dass man sich eben auch einmal ungeschützt äußern und unterhalten kann, dass man, ohne jedes Wort abzuwägen, miteinander redet, vielleicht auch mal das eine oder andere aushandelt, ohne sofort in der Öffentlichkeit zu stehen. ({6}) Das gilt übrigens für Regierung wie Opposition: Man ist eingeknickt, man hat den Vorschlag eines anderen übernommen. Die Folge wird sein – auch darauf haben die Experten hingewiesen; das können Sie im Europäischen Parlament beobachten, in Landtagen, die das so handhaben –, dass die geschützten Räume eben vorverlagert werden. Dann werden Sie andere Runden haben, in denen diesem Bedürfnis Rechnung getragen wird. Deshalb sagen wir: Das sollten wir uns in der Tat noch einmal überlegen. Wir wollen attraktive, transparente Debatten hier im Parlament im Plenum haben. Wir haben doch heute schon das Problem, dass wir mit den wenigsten Debatten wirklich im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Die Leute schalten lieber die Talkshow am Abend ein. Wenn wir das hier konzentriert als Debatte in der Herzkammer der Demokratie darstellen wollen, dann gelingt das sicherlich nicht, indem wir hier immer mehr öffentliche Formate etablieren, in denen letztlich dann auch nur Schaufensterreden gehalten werden. Wir warnen davor, das so zu machen. Es kann im Einzelfall sehr sinnvoll und nützlich sein, aber als allgemeines Instrument – da stimme ich den Experten zu, die das in der Anhörung auch so dargebracht haben – wollen wir das nicht. Ein Lob will ich aussprechen. ({7}) Das betrifft die Möglichkeit, den Bundesrechnungshof demnächst als Anhörperson zu benennen, ohne auf eine Mehrheit angewiesen zu sein. Die Worte habe ich gerade wohl gehört, aber die Tatsache war doch, dass Ihnen die Kritik des Bundesrechnungshofes am sogenannten Bürgergeld nicht gepasst hat, und deshalb ist es abgebügelt worden. ({8}) Bis heute liegt die Auslegungsentscheidung, ob der Bundesrechnungshof Anhörperson ist oder nicht, im Geschäftsordnungsausschuss. Wir haben das geklärt. Sie haben sich unseren Argumenten hier gebeugt. Deshalb bin ich froh, dass wir das für die Zukunft hier ordentlich geregelt haben. ({9}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin mal gespannt, ob Sie tatsächlich die Kraft haben werden, in einem zweiten Paket die Dinge anzugehen, die wir wirklich angehen müssen. Von Digitalisierung ist ja bisher überhaupt noch nichts zu spüren. Wir haben den Vorschlag gemacht – Sie können das in unserem Antrag alles lesen –, die Familienfreundlichkeit zu erhöhen, vielleicht auch im Zusammenhang mit Digitalisierung. Wir haben die Bündelung – da, wo es geht – von Abstimmungen mit elektronischen namentlichen Abstimmungen vorgeschlagen. Wir müssen die Geschäftsordnung mal von einer Menge Totholz befreien. Es gibt eine Menge Dinge, die wir noch zu regeln haben. Bisher haben wir die Kraft dazu nicht gefunden.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Patrick Schnieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004146, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin gespannt, ob Ihnen das gelingt. Wir sind jedenfalls dabei. Wir bringen uns gerne auch konstruktiv ein. ({0}) – Das war ja jetzt kaum möglich, Herr Kollege, weil die erste Lesung in der Nacht stattfand und das Obleutegespräch am Vormittag des gleichen Tages. ({1})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Lieber Herr Schnieder.

Patrick Schnieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004146, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann kann man nicht erwarten, dass man hier in der breiten Art und Weise konstruktiv einen solchen Antrag unterstützen kann. ({0}) Wenn das vernünftig läuft, sind wir gerne mit dabei. ({1})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Filiz Polat. ({0})

Filiz Polat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004857, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages ist der maßgebliche Rahmen für unsere Arbeit als Abgeordnete in diesem Haus. In unserem Koalitionsvertrag, geschlossen vor nun einem Jahr, haben wir uns vorgenommen, dass das Parlament als Ort der Debatte und der Gesetzgebung gestärkt wird. Genau das bringen wir jetzt auf den Weg, Herr Schnieder. ({0}) Wir werden – das haben die Kollegen gesagt – gleich mittwochs mittags loslegen, wenn wir üblicherweise die Sitzungswochen mit der Befragung der Bundesregierung beginnen. Die Regierungsmitglieder freuen sich schon richtig darauf, an dieser Regierungsbefragung nun mit zwei Ministerinnen/Ministern teilzunehmen. Es ist in der Vergangenheit schon einiges passiert bei der Regierungsbefragung, aber da war noch Luft nach oben. Rede und Antwort stehen demnächst zwei Minister/-innen in der Regierungsbefragung. Damit – da sind wir uns sehr sicher – wird die Regierungsbefragung lebendiger, dynamischer und flexibler, und es werden tagesaktuelle Themen vertieft. Herr Kollege Schnieder, es geht doch weniger darum, die Regierungsbefragung – die im Übrigen länger wird – in die Länge zu ziehen, sondern es geht darum, wie Sie als Opposition oder wie wir insgesamt als Parlament diese Befragung letztendlich auch lebendiger gestalten. ({1}) Also, es liegt in unserer Hand, als Abgeordnete unseren Beitrag für eine lebendige Regierungsbefragung zu leisten. Wir werfen mit der Reform Licht in die Maschinenräume unserer parlamentarischen Arbeit, Herr Schnieder, und ich weiß nicht, wovor Sie Angst haben. Bisher sind wir doch auch sehr transparent in den Debatten des Deutschen Bundestages. So viel anders ist das in den Ausschüssen tatsächlich auch nicht. Auch dort geht es mal heiß her, auch dort wird intensiv beraten, genauso wie hier im Plenum des Bundestages. Ich denke, Sie brauchen keine Angst zu haben, wenn die Ausschüsse sich für die Öffentlichkeit entscheiden. ({2}) Der Grundsatz der Ausschüsse, dass sie nicht öffentlich tagen, entfällt. Wir als Bündnis 90/Die Grünen sagen: Endlich! Gesetzesarbeit wird damit nachvollziehbar. ({3}) Ganz ehrlich, in Zeiten, da die Bürger/-innen zunehmend Zweifel an unserem demokratischen System zum Ausdruck bringen, halten wir es auch für ungemein wichtig, einen weitestgehenden Einblick darin zu geben, wie Entscheidungen zustande kommen, wie wir Abgeordnete beraten; auch das kann tatsächlich spannend sein. Bürger/-innen werden demnächst auch live mitbekommen – diese öffentlichen Ausschusssitzungen werden gestreamt –, wie dieses sogenannte Struck’sche Gesetz funktioniert: dass keine Vorlage das Parlament so verlässt, wie sie hineingekommen ist. Meine Damen und Herren, in zehn Bundesländern tagen die Ausschüsse – das hat der Kollege Schnieder gesagt – bereits jetzt grundsätzlich öffentlich. Auch im Europaparlament sind die Ausschüsse öffentlich. Vor zwei Wochen hatten wir eine sehr spannende Anhörung zu dieser Reform. Die Kolleginnen und Kollegen und auch die Bürger/-innen können sie noch mal nachverfolgen; die Anhörungen sind nämlich bei uns öffentlich. Dort wurde vom Sachverständigen Professor Bernhard Wegener von der Uni Erlangen-Nürnberg tatsächlich gesagt, dass die Reform nicht nur ein Gewinn, sondern auch ein wichtiges Element der Repräsentation sein kann. Meine Damen und Herren, ja, genau das ist es, und es ist gut, dass wir jetzt diese ersten wichtigen Schritte gehen. Die nächste Reform steht schon vor der Tür. Wir werden jetzt für mehr Öffentlichkeit sorgen. Wir gehen aber auch neue Wege. Es wurde gesagt: Wir haben die Pandemie hinter uns. In Zeiten der Pandemie sind wir, wie viele andere auch, digitaler geworden. Die Teilnahme in elektronischer Form haben auch wir für Ausschussberatungen ermöglicht. Diese Regel wollen wir beibehalten, allerdings nur in Ausnahmefällen, sodass Ausschüsse auch zukünftig in digitaler oder hybrider Form tagen können. Meine Damen und Herren, das ist sicherlich kein „Reförmchen“, sondern eine sehr wichtige, große Reform für uns. ({4}) – Ja, das ist vielleicht eine Frage der Perspektive, und die Bürgerinnen und Bürger werden darüber natürlich auch ihr Urteil bilden, wenn sie an den öffentlichen Ausschusssitzungen tatsächlich teilnehmen. Für uns war es wichtig, Herr Schnieder, klarzustellen – das haben wir ja sehr deutlich gesagt –: Die Geschäftsordnung ist vielleicht für viele was Technisches; aber sie ist wirklich das Grundgerüst, mit dem wir hier gemeinsam agieren. Als demokratische Fraktion war es uns wichtig, dass wir alle gemeinsam diese Geschäftsordnungsreform verabschieden. Deswegen sind wir ja auf Anträge Ihrer Fraktion, die sehr spät vorgelegt wurden – deswegen auch die späte gemeinsame Beratung –, ({5}) eingegangen und haben auch Punkte aus Ihrem Antrag übernommen – Sie haben es ja selber gesagt –, ({6}) im Übrigen auch Anregungen der Fraktion Die Linke. Es wäre ein gutes Signal gewesen, auch kombiniert mit dem Angebot, weitere Punkte aufzunehmen, dass Sie am Ende zustimmen wollen. ({7}) Sie haben aber von Anfang an deutlich gemacht, dass Sie dieser Reform ({8}) nicht zustimmen werden. Das ist die Wahrheit. Das ist schade in Zeiten, in denen die Rechten dieses Parlament am liebsten auslösen wollen. Die Geschäftsordnung ist unsere Basis. ({9}) – Ah, Sie fühlen sich angesprochen, Herr Brandner. Interessant. Das ist wirklich interessant. ({10}) Ich komme zum Schluss. Unser Ziel bleibt es, den Rahmen zu schaffen für eine lebendige, transparente Ausgestaltung unserer täglichen Arbeit. Eine Etappe haben wir jetzt geschafft. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich lade Sie alle ein, gemeinsam mit uns – mit Ausnahme der ganz Rechten hier im Hause – die Arbeit im Bundestag, unsere Demokratie noch spannender, erlebbarer und sichtbarer zu machen. ({11}) Vielen Dank an die Kolleginnen und Kollegen für die guten Beratungen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die AfD-Fraktion hat das Wort Stephan Brandner. ({0})

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach den „Heuchler/-innen“ jetzt der wahre Demokrat in diesem Haus. ({0}) Meine Damen und Herren, dieser Deutsche Bundestag ist die Herzkammer unserer Demokratie. Hier wird über das Wohl und Wehe von inzwischen über 84 Millionen Menschen in Deutschland entschieden – man sollte meinen: nach demokratischen, transparenten und rechtsstaatlichen Verfahren. Dem ist aber nicht so; denn Sie alle – außer der AfD – brechen hier tatsächlich jeden Tag das Recht. Seit über fünf Jahren brechen Sie an jedem Plenartag das Recht. Die ganz große Koalition der angeblichen Qualitätsdemokraten hat Angst vor der AfD-Opposition, hat Angst vor der Wahrheit. ({1}) Sie arbeiten täglich daran, uns auszugrenzen, ({2}) um den Bürgern draußen vorzuenthalten, was hier tatsächlich, was in unserem Land vorgeht. Sie ignorieren den Willen von Millionen Wählern, die die AfD gewählt haben. Sie verweigern der Alternative für Deutschland seit über fünf Jahren den Vizepräsidentenposten, ({3}) geregelt in § 2 Absatz 1 der Geschäftsordnung. ({4}) Sie treten das mit Füßen. Sie verwehren uns seit über einem Jahr die drei Ausschussvorsitzenden, die drei stellvertretenden Ausschussvorsitzenden, geregelt in § 58 der Geschäftsordnung. ({5}) Sie treten sie mit Füßen. ({6}) Stattdessen haben Sie jetzt – ich glaube, auf Vorschlag des Kollegen Kubicki – die „faktischen Ausschussvorsitzenden eingeführt“, die in der Geschäftsordnung gar nicht geregelt sind. Also, Sie scheren sich einen Dreck darum, was in der Geschäftsordnung geregelt ist, und erfinden Dinge, die in der Geschäftsordnung gar nicht drinstehen. ({7}) Bevor wir uns also über Reformen der Geschäftsordnung unterhalten, liebe Freunde von den Qualitätsdemokraten, setzen Sie doch einfach erst mal die Vorschriften der Geschäftsordnung um, die unstreitig sind! Nicht mal dazu sind Sie in der Lage. ({8}) Gleichwohl verschließen wir uns guten Gedanken nicht und haben auch gute Gedanken eingebracht. Die Präsenz im Plenum: auch heute wieder mäßig. Woran liegt das Ganze? Ausschüsse und Gremien tagen parallel zu diesem Plenum. Wir sagen: Nein, es soll keine Parallelveranstaltungen geben. Hier findet die Plenarveranstaltung statt und nirgendwo anders. ({9}) Dann kommt meistens der Einwand, das ginge ja alles gar nicht, der Deutsche Bundestag wäre ja ein Arbeitsparlament, womit Sie dann irgendwie suggerieren, andere Parlamente wären wohl keine Arbeitsparlamente. Das ist eine Hybris, die wir Ihnen auch nicht durchgehen lassen. ({10}) Wir von der Alternative für Deutschland wollen ein Arbeitsparlament. Deshalb fordern wir wie eine tibetanische Gebetsmühle seit fünf Jahren mehr Sitzungswochen. Immer wieder scheitert das Ganze an Ihrer Bequemlichkeit. ({11}) Sie haben sich bei Ihren 20, 21 Sitzungswochen von 52 Kalenderwochen eingerichtet. Für das nächste Jahr haben wir als Alternative für Deutschland einen kleinen Erfolg erzielt: Nach langem Ringen und Kämpfen der AfD ist es endlich so weit: Wir haben 22 Sitzungswochen im Jahr 2023. Dafür zunächst mal vielen Dank! Die Alternative für Deutschland wirkt auch hier, wenn auch nur in kleinen Schritten. ({12}) Jetzt bin ich ja guter Hoffnung – Herr Fechner hat es angesprochen –, dass die Ausschusssitzungen mehr oder weniger digital stattfinden können. ({13}) Das kann ja dazu führen, Herr Fechner, dass Sie unserem Antrag jetzt zustimmen und sagen: Stimmt, wenn wir schon digitale Ausschusssitzungen außerhalb von Sitzungswochen stattfinden lassen können, dann brauchen die ja nicht mehr parallel zum Plenum stattfinden. – Das ist genau der Ansatz, den wir auch verfolgen. ({14}) Also steht der Zustimmung Ihrer Fraktion zu unserem Antrag eigentlich nichts im Wege. Meine Damen und Herren, wir wollen auch das Gestotter, dieses künstliche Gestotter, in diesem Parlament abstellen. Ein Paradebeispiel war ja hier gerade Frau Polat von den Grünen. ({15}) Alle Umfragen der letzten Jahre zeigen uns: Das Gendern wird in Deutschland von einem erheblichen Teil, von einem Großteil der Bevölkerung abgelehnt. Und Sie gebärden sich hier wie Sprachgestörte, ({16}) die so tun, als müssten „Ober/-innen“, „Bürger/-innen“, „Meister/-innen“ in den Sprachgebrauch einkehren. Wir reden interessanterweise von „Außenminister/-innen“, also mit anderen Worten: Die Sprache wird von Ihnen verhunzt. ({17}) Das ist aber weder woke noch schick noch regenbogenartig; das ist schlicht nur blöd. ({18}) Deshalb fordert unser Antrag, auf die Gendersprache in diesem Parlament zu verzichten. ({19}) Damit bin ich am Ende meiner Rede, wünsche Ihnen gleichwohl eine besinnliche restliche Advents- und Weihnachtszeit. Vielen Dank. ({20})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Lieber Herr Brandner, Sie haben Ihre Vorrednerin indirekt als „Heuchlerin“ bezeichnet. Dafür erteile ich Ihnen entsprechend unserer Geschäftsordnung einen Ordnungsruf. ({0}) Der nächste Redner in der Debatte ist Stephan Thomae für die FDP-Fraktion. ({1})

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Von allen Verfassungsorganen der Bundesrepublik Deutschland ist der Bundestag das einzige direkt vom Volk gewählte. Man vergisst es so leicht im Alltagsgeschäft: Wir vertreten hier das Volk. Ich finde, dass das auch in der Architektur des Gebäudes sehr gut zum Ausdruck kommt: Wir als Vertreter sitzen hier unten im Plenarsaal, über uns in der Kuppel die sogenannten Besucher des Bundestages, die ja eigentlich aus der Mitte des Volkes sind – über uns. Es sagt sich immer so leicht und klingt vielleicht auch ein bisschen wie eine Phrase: Wir dienen diesem Land. Das vergisst man gern; aber man sollte immer daran denken. Deswegen müssen wir den Menschen auch besser erklären, wie unsere Arbeit und unsere Arbeitsweise vonstattengehen. Darum bemühen wir uns mit einem Teil des heutigen Antrages, den wir Ihnen als Koalition vorlegen, meine Damen und Herren. ({0}) Wir wollen einen tieferen Einblick in den Maschinenraum der Demokratie, in den Motorraum des Parlaments erlauben, und das ist die Echtzeitübertragung jedenfalls aus einem Teil – damit wollen wir beginnen – der Ausschüsse des Deutschen Bundestages. Die Menschen sehen ja in den Fernsehnachrichten immer nur dieses Plenum und denken: „Das ist doch der Bundestag“, und sehen dann die, na ja, manchmal gar nicht so gut gefüllten Reihen, ({1}) und man denkt sich: Wo sind denn die Abgeordneten? Sind die denn nicht bei der Arbeit? Aber das ist ja nicht unser einziger Arbeitsplatz, sondern die Arbeit des Abgeordneten findet auch in einer ganzen Reihe anderer Formate und eben auch Räumlichkeiten statt: in den Ausschüssen, in Berichterstattergesprächen, in öffentlichen Anhörungen, in Presseterminen, in Expertengesprächen, in Kommissionen, Arbeitskreisen, Parlamentariergruppen und anderem mehr. Einen Teil davon wollen wir jetzt besser sichtbar und erlebbar machen; denn die Menschen müssen besser verstehen können, auch sehen können und ein Stück weit miterleben können, was wir tun. Das schafft Vertrauen, und auf dieses Vertrauen sind wir angewiesen. Deswegen wollen wir die Ausschussarbeit besser verstehbar und erlebbar machen, meine Damen und Herren. ({2}) Nun haben wir erlebt, Herr Kollege Schnieder, dass da Ängste bestehen, ob nicht die Ausschusskultur verloren geht: das Diskutieren auch mal ins Unreine hinein, die Möglichkeit, ein Argument auszuprobieren, ins Blaue hinein zu sprechen. Aber wenn wir ehrlich sind: Na ja, Ausschüsse sind auch kein Ort der vertraulichen, diskreten, geheimen Beratungen. ({3}) Es sind keine vertraulichen Runden. Dafür sind auch viel zu viele Leute da. Aber sie sind auch mehr als nur ein Miniplenum. Sie sind fachlicher, vertiefen einzelne Gesichtspunkte stärker, als es im Plenum möglich wäre, sind aber vermutlich auch weniger als ein wissenschaftlicher Kongress. Dafür gibt es einfach zu viele Themen und zu wenig Zeit. Aber sie zeigen schon viel deutlicher, wie Gesetze entstehen, wie Argumente auch abgewogen werden, wie Expertenbefragungen stattfinden und deren Ergebnisse abgewogen werden. Deswegen ist es schon eine Möglichkeit, besser darzustellen, wie das Parlament arbeitet. Deswegen finde ich es schade und eigentlich auch nicht gerecht, diesen Reformschritt als Reförmchen abzutun und auch ein bisschen zu diffamieren. Die Echtzeitübertragung wird schon einen tieferen Blick in die Arbeitsweise des Parlaments gewähren. Ich bin mir auch sicher, dass die Ausschüsse, die als Erste beschließen werden, dass sie ihre Sitzungen in Echtzeit übertragen, einen Bedeutungsgewinn erleben werden. Es wird sicherlich nicht weniger Erkenntnisse geben. Ich habe bei mir selbst auch schon beobachtet, dass ich mich in Sitzungen, die öffentlich übertragen werden, überhaupt nicht anders verhalte als in Sitzungen, die nicht übertragen werden. Deswegen glaube ich auch: Es wird keine schlechteren Diskussionen geben, sondern eher bessere, meine Damen und Herren. ({4}) Ich greife einen zweiten Punkt heraus, das Thema Regierungsbefragungen. Eigentlich sind die Regierungsbefragungen ein sehr interaktives Element, eigentlich viel interaktiver, als die Debatten hier sind, wo oft vorbereitete Reden vorgetragen werden. Deswegen wollen wir dieses Element auch stärken. Sie haben es gesagt: von 60 auf 90 Minuten verlängern, statt einem Minister zwei Minister oder Ministerinnen. Das ist meines Erachtens sowohl eine Aufwertung des Parlaments wie auch der Minister. Nun gab es vor einer guten Woche in der Presse einen interessanten Gastbeitrag des Kollegen Thorsten Frei von der Union, im dem es darum ging, die Kanzlerbefragungen häufiger zu machen, und zwar eine Art Prime Minister’s Question Time wie im britischen Unterhaus einzuführen. Aber ich glaube, dass die Dramaturgie des Bundestages eine andere ist. Wir haben ja Kanzlerbefragungen. Aber schon die räumliche Anordnung des Plenums – ausgerichtet auf das Rednerpult – ist eben eine andere als im Westminster-System, ({5}) wo sich Opposition und Regierung auf engem Raum gegenübersitzen. Von daher glaube ich, was auch das Ressortprinzip, das bei uns ja gilt – Artikel 65 Grundgesetz –, deutlich macht: Die Minister führen schon ihre Ressorts in eigener Verantwortung, und die wollen wir hervorkehren. Das bringt unser Antrag, wie ich meine, deutlich heraus. Deswegen ist das eine echte Modernisierung, ein erster Schritt. Weitere werden folgen, und auf die Beratungen dazu freue ich mich schon sehr. Vielen Dank. ({6})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die Fraktion Die Linke hat das Wort Dr. Petra Sitte. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe mich 2015 das letzte Mal intensiver mit der Geschäftsordnung befasst. Jetzt bin ich infolge einer Krankheitsvertretung in die Gespräche gekommen. Aber ehrlich gesagt: Es war nicht schwer, reinzukommen, weil sich seit 2015 faktisch nichts verändert hat. Insofern war das Murmeltier wieder unterwegs. Es ist auch wirklich so: Unsere Geschäftsordnung ist jetzt nicht gerade eine Idealfassung. ({0}) Nein, vielmehr haben gerade die Kollegen der Union – also, das muss ich Ihnen ja jetzt mal wirklich auf die Stulle schmieren – ({1}) viel Ehrgeiz darauf verwendet, auf der Hand liegende Änderungen auszusitzen. Da muss ich Ihnen ausdrücklich widersprechen. ({2}) – Öffentlichkeit der Ausschusssitzungen. ({3}) Auch bezüglich der Geschäftsordnung braucht selbstverständlich Demokratie ein Update. In Zeiten vielfältiger Krisen und Unsicherheiten muss es doch geradezu inniges Bedürfnis einer jeden Abgeordneten und eines jedes Abgeordneten sein, komplexe Entscheidungen nachvollziehbar zu machen. ({4}) Damit steht und fällt natürlich auch Unterstützung außerhalb des Hauses, nicht nur passiv ertragend, was wir hier beschließen, sondern eben auch mitwirkend beeinflussend, und dazu können eben auch öffentliche Ausschusssitzungen beitragen. Das war also das zentrale Anliegen meiner Fraktion bei den Diskussionen um die Geschäftsordnung. Bisher war es ja so – der Kollege hat es gesagt –: Grundsätzlich tagen die Ausschüsse nichtöffentlich. Das stand wie in Stein gemeißelt. Wir haben dann immer Anträge gestellt; die sind regelmäßig abgelehnt worden. Es hat also bis auf die Anhörungen nichts öffentlich stattgefunden. Jetzt geht die Koalition einen halben Schritt weiter: Das „grundsätzlich“ entfällt. Aber trotzdem ist die Ausschusssitzung immer noch nichtöffentlich. Wir müssen nämlich trotzdem im Ausschuss entscheiden, ob die Ausschusssitzung öffentlich oder nichtöffentlich stattfinden soll. Und dann haben Sie einen Beipackzettel dazugelegt. Sie haben ein paar Hinweise gegeben, woran wir alles denken sollten, wenn wir die Ausschusssitzung tatsächlich öffentlich machen. Das liest sich also dann schon ein bisschen so, als ob die Bedenkenträger aufgefordert werden: Verhindert das! – Vor allem dann, wenn es kontrovers wird, wenn die Themen tatsächlich auch in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert werden, könnte ich mir vorstellen, dass der eine oder andere sagt: Oh, das müssen wir uns ja jetzt hier nicht antun. Wir tagen nichtöffentlich. ({5}) Ich sage, wir sagen: Das „grundsätzlich“ passt in die Öffentlichkeit. Der Satz muss heißen: Die Ausschüsse tagen grundsätzlich öffentlich. – Und Punkt! ({6}) Zu Fragestunden. Die sollen jetzt auf 45 Minuten verkürzt werden. Das ist problematisch, und zwar deshalb, weil nämlich dann nur noch ein Teil der Fragen öffentlich direkt zugänglich wird. Einige Bereiche fallen völlig weg. Man bekommt praktisch nur die schriftliche Antwort; die bekommen aber nicht die Leute, die zugucken. Insofern ist das also schon ein bisschen schwierig. Die verlängerte Regierungsbefragung. Die Verlängerung ist okay. Zwei Minister sind Minimum, absolutes Minimum. Und wenn Sie schon verlängern, dann könnten Sie ja eigentlich auch sagen, dass alle Regierungsmitglieder, soweit sie nicht aus gutem Grund entschuldigt sind, hier Rede und Antwort stehen. Immerhin profitiert von den Änderungen derzeit vor allem die Regierung, weniger das Haus, indem nämlich die Regierung jeweils acht Minuten reden darf – nicht mehr nur fünf –, und sie darf die Themen setzen. Also, meine lieben Kollegen, das ist eine Selbstbeschränkung dieses Parlaments. Wir sind hier die Herren und Frauen im Hause. ({7}) Also, wie auch immer, wir haben uns trotzdem überlegt: Es gibt eine ganze Reihe Verbesserungen in der Geschäftsordnung, und deshalb werden wir uns enthalten. ({8})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die SPD-Fraktion hat das Wort Jan Dieren. ({0})

Jan Dieren (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005041, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete in den demokratischen Fraktionen! Als wir im Juni dieses Jahres hier einige Coronaregeln der Geschäftsordnung verlängert haben, haben wir bereits angekündigt, dass wir diese Geschäftsordnung grundsätzlicher überarbeiten wollen. Genau das tun wir jetzt und haben Ihnen dazu einen Antrag mit einigen Vorschlägen vorgelegt. Wir wollen die Ausschussarbeit transparenter gestalten. Das heißt, die während der Coronapandemie bereits eingeführten Regeln, digitale Ausschusssitzungen zu ermöglichen, wollen wir verstetigen, weil wir gelernt haben, wie dieses Mittel unsere parlamentarische Arbeit hier vereinfachen kann. Zudem wollen wir es den Ausschüssen ermöglichen, öffentlich zu tagen. Worum geht es uns dabei? Ein Großteil der politischen Arbeit hier im Bundestag findet nicht im Plenum statt, sondern in jeder Sitzungswoche arbeiten und debattieren wir in den Ausschüssen, in den Fraktionen, in den Arbeitsgruppen und in vielen verschiedenen Treffen und Sitzungen. Hier im Plenum, an diesem Pult, in den Reden kommen die Ergebnisse dieser Diskussionen an. Es ist natürlich richtig, dass das vor den Abgeordneten, vor Ihnen, vor den Zuschauerinnen und Zuschauern auf den Tribünen, im Fernsehen und im Internet passiert. Denn die Gesetze, die wir hier beschließen, aber auch die ganze politische Arbeit, die da drinsteckt, sind Res publica, eine Sache der Öffentlichkeit, und als Sache der Öffentlichkeit gehören sie vor die Augen der Öffentlichkeit. Politik und Parlamentarismus sind nicht Selbstzweck, sondern finden ihren Zweck darin, allgemeinverbindliche Regeln für unser Zusammenleben aufzustellen. Das Prinzip der Demokratie will, dass das im Auftrag von und in Verantwortung gegenüber den Menschen in unserer Gesellschaft passiert. Es ist deshalb gut, wenn diese Menschen darauf vertrauen können, dass das in ihrem Sinne geschieht. Es ist besser, wenn sie das mit ihren eigenen Augen kontrollieren können. Deshalb ist es gut, wenn nicht nur das Ergebnis unserer Arbeit, sondern auch unsere Arbeit selbst öffentlich wird. Deshalb ist es gut, wenn wir die Ausschussarbeit jetzt öffnen und damit mehr parlamentarische Arbeit vor die Augen der Öffentlichkeit bringen. Mit zwei weiteren Maßnahmen wollen wir für mehr Klarheit und Transparenz sorgen. Es soll zum einen möglich sein, dass auch die Ausschussprotokolle öffentlich einsehbar sind, und wir wollen künftig bei Gesetzesänderungen eine Synopse voranstellen, damit man schnell sehen kann, was der aktuelle Stand ist und was Änderungen am Gesetz sind. Außerdem wollen wir die Regierungsbefragung etwas beleben. Das haben wir schon gehört. Das ist alles hilfreich, um die Parlamentsarbeit selbst verständlicher zu machen. Es hilft aber auch, um die Arbeit einzelner Abgeordneter und einzelner Fraktionen verständlicher zu machen. Warum ich das erwähne? Wir haben zu unserem Antrag noch einige weitere vorgelegt bekommen, in denen sich auch gute Vorschläge finden, mit denen wir uns im weiteren Verfahren noch beschäftigten wollen. Herr Schnieder, ich freue mich über das Interesse, das da offenbar jetzt auch in Ihrer Fraktion so groß ist. Ich wünschte mir, dass es hier noch ein bisschen stärker vertreten wäre. Es gibt also viele gute Vorschläge, mit denen wir uns beschäftigen werden – und dann gibt es noch einen Antrag der AfD. Die AfD gibt damit vor – das haben wir gerade noch mal gehört –, an der Arbeitsfähigkeit des Parlamentes oder an Demokratie interessiert zu sein. Das ist natürlich Quatsch. Das bekommen wir hier jede Sitzungswoche mit. Das Gegenteil ist der Fall. In den Ausschüssen und hier im Plenum behindern und zermürben die Abgeordneten der AfD die Arbeit dieses Parlamentes. ({0}) Und der Vorschlag, mehr Sitzungswochen einzuführen, zeigt sehr gut, wie die Abgeordneten ihre Arbeit verstehen. Ich und viele meiner Kollegen sind in den Nichtsitzungswochen im Wahlkreis unterwegs und arbeiten da. Offenbar tun die Abgeordneten der AfD das nicht. ({1}) Gerade in diesen Tagen ist mir noch mal wichtig, darauf hinzuweisen. Während nämlich draußen Reichsbürger/-innen, Rechtsextreme und Nazis Waffen sammeln und Pläne schmieden, um diese parlamentarische Demokratie zu stürzen, sitzen Sie hier drinnen, um dieselbe Demokratie von innen zu zersetzen. ({2}) Und der parlamentarische Arm dieses Rechtsextremismus, der parlamentarische Arm des Rechtsterrorismus, der sitzt da vorne: Das ist die AfD. ({3}) – Ja, ja beschweren Sie sich; es ist so. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir diskutieren auch gerne weiter darüber, wie wir mit Änderungen an der Geschäftsordnung des Bundestages die parlamentarische Arbeit verbessern und zu mehr Klarheit dazu beitragen können, was hier passiert. ({4}) – Ja, ja, ich lass ihn erzählen; ist in Ordnung. ({5}) Fürs Erste bitte ich aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, um Zustimmung zu unseren Vorschlägen und freue mich auf die weitere Diskussion mit Ihnen. Vielen Dank. ({6})

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Also, ich brauche mich jetzt mit der Vorrede nicht besonders aufhalten; denn das mit der echten Kritik an der Demokratie von innen klappt ja irgendwie doch nicht. Mir geht es vielmehr darum, zu sagen: War da nicht was bei der Frage „Umgang hier im Parlament“? Frau Polat, ich finde, dass Sie mit dem Begriff „Reförmchen“ vom Kollegen Schnieder noch extrem gut bedient sind. ({0}) Ich sehe noch mal diesen Ansatz in dem, was wir heute zu diskutieren haben. Gerade die Grünen wollten den Ort dieses Parlaments wieder zur feurigen, zur offenen Debatte nutzen. War es nicht das Thema Respekt, das von der SPD herangehallt ist, als es um die Frage ging? Ja, schon beim Thema Geschäftsordnung war Schluss. ({1}) Knapp fünf vor zwölf kommt man mal aus den Puschen und will die Opposition überzeugen – oder versucht es zumindest –, man müsse doch an die Geschäftsordnung herangehen. Herrschaften, der Geschäftsgang in diesem Haus, der im Augenblick passiert, ist wirklich schwierig. Heute Nacht, kurz nach zwölf, 400 Seiten zum Thema Energiepreisbremsen! Man ergeht sich die ganze Zeit darin, möglichst Fristen zu reißen. Und dann dieser ständig beschworene Konsens! Dann komme ich nicht fünf vor zwölf und versuche dann noch, dafür die Voraussetzungen zu schaffen. ({2}) Das Entscheidende ist wirklich: Anhörungen, die nicht durchgeführt werden, die verschleppt werden, die verzögert werden, das alles hat mit Respekt zu tun. Das alles ist eigentlich das, worum es geht. Haben wir denn Angst vor dem Sachverstand in den Ausschusssitzungen? Mit Blick auf eine zukünftige Reform will ich schon mal sagen: Ist es wirklich familienfreundlich, wenn man jetzt anfängt, die Sachverständigenanhörungen in die Nichtsitzungswochen zu ziehen? Ich würde bitten, dass man sich an der Stelle noch mal ganz kurz damit beschäftigt. Zu Information – ich weiß nicht, ob das schon so weit gedrungen ist –: diese unglaubliche Revolution beim Thema Regierungsbefragung! Dass der Kern dieser Änderung ausschließlich darauf abzielt, dass man möglichst weit vorausplant, damit keiner auf dieser Regierungsbank in irgendeiner Art und Weise zu aktuellen, vielleicht unangenehmen Themen wird Stellung nehmen müssen, haben wir verstanden. Ich habe viel Verständnis für den Impetus, den Antrieb, die eigene Regierung zu schützen und zu stützen. Aber man muss es auch nicht übertreiben. An dieser Stelle muss man fragen: Hat man wirklich Angst vor der Aktualität? Jetzt lässt die Regierung hören: Na ja, so toll sind die Pläne noch nicht. Die nächste Regierungsbefragung wird auf jeden Fall noch nach altem Recht durchgeführt. ({3}) Ich bin froh, dass wir bei Ihrer Koalition eine solche Regierung haben – so wie Sie ihr folgen. Die großen Reformen, die noch im Raum stehen, können Sie alle unserem Antrag entnehmen – wir haben da kein Problem, wir haben darauf kein Copyright, schreiben Sie es einfach ab –: das Verschlanken der Tagesordnung, das Fokussieren auf die Themen, die die Gesellschaft wirklich bewegen, die Petitionen, die Frage der Vorlagen des Bundesrates, um es einmal kurz abzuhaken. Es geht darum, dass das, was heute besprochen wird, allenfalls noch als Schützenhilfe durchgeht, aber noch nicht mal als Reförmchen. Vielen Dank. ({4})

Maximilian Mörseburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005159, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Spätfolgen der Pandemie, russischer Überfall auf die Ukraine, Krieg in Europa, Zeitenwende, Energiekrise, Inflation, unterbrochene Lieferketten, 100 Milliarden Euro Sonderschulden fürs Militär und 200 Milliarden Euro Sonderschulden für den wirtschaftlichen Abwehrschirm: Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieses Land ist ein anderes als im Juli letzten Jahres. Die deutsche Wirtschaft ist eine andere als im Juli letzten Jahres. Deshalb brauchen wir jetzt auch eine andere Politik als im Juli letzten Jahres. Der Sturm des russischen Angriffskriegs mit seinen Folgen hat viel zu viele Betriebe in Deutschland an den Rand des Abgrundes geblasen. Wir dürfen als Deutscher Bundestag, als Politik nun nicht das Lüftchen sein, das diese Unternehmen noch über die Klippe gehen lässt. ({0}) Das bedeutet: Keine zusätzlichen Belastungen für unsere Wirtschaft! Das haben auch Sie versprochen. Sie haben ein Belastungsmoratorium versprochen und im September beschlossen. Der geschätzte Kollege Cronenberg – der mir noch ein Bier schuldet, weil ich ihn schon das letzte Mal erwähnt und zitiert hatte – ({1}) sagte dazu: „Für die FDP ist klar, dass auch das Lieferkettengesetz vom Belastungsmoratorium erfasst ist.“ Meine sehr geehrten Damen und Herren, er hat ja recht. ({2}) Wir haben zwar in der letzten Legislaturperiode gemeinsam mit dem Koalitionspartner SPD einen breiten Dialog mit Experten geführt und am Ende einen guten Kompromiss gefunden und ein gutes Gesetz beschlossen. Aber in dieser Situation, in der wir jetzt sind, unsere Unternehmen jetzt sind, ({3}) ist diese Regelung einfach nicht mehr angebracht. ({4}) So eine Regelung ist jetzt nicht mehr vermittelbar und muss deswegen für zwei Jahre ausgesetzt werden, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({5}) Im Ausschuss wurde gestern klar, dass die FDP sich hier nicht durchsetzen konnte. Auch bei der Umsetzung gibt es Probleme. 437 mögliche Antworten beim Fragebogen, das klingt jedenfalls nicht nach Belastungsmoratorium. Aber der eigentliche Hammer kommt ja erst aus Brüssel. In Brüssel hat die deutsche Bundesregierung am 1. Dezember ihre Zustimmung für eine weiter gehende europäische Regelung gegeben. Und jetzt bitte gut zuhören: In Europa setzt sich diese Bundesregierung für eine zivilrechtliche Haftungsklausel ein – mit aller Rechtsunsicherheit, die damit einhergeht – ({6}) und für die Ausweitung der Regelung auf Betriebe mit 500 Mitarbeitern, teilweise sogar nur 250 Mitarbeitern. Dadurch werden viel mehr Unternehmen erfasst werden. Und anstatt nur Verantwortung für seinen eigenen Vertragspartner übernehmen zu müssen, soll die ganze Lieferkette relevant werden. Das ist faktisch unmöglich, aber trotzdem soll das so passieren. ({7}) Diese Bundesregierung versucht also, den Murks, den wir der SPD in der letzten Koalition abverhandelt hatten, über eine Hintertür, über Brüssel, wieder in dieses Gesetz reinzubekommen – und die FDP macht mit. ({8}) Unsere Betriebe und die dort beschäftigten Mitarbeiter, meine sehr geehrten Damen und Herren, bräuchten nun einen Minister, der anders handelt, einen Minister, der nach Brüssel fährt, endlich mal auf den Tisch haut und sagt: Es reicht mit mehr Regulierung, mehr Bürokratie und immer mehr Belastung für unsere Unternehmen und für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter! ({9}) Stattdessen treiben Sie das in Brüssel und auch hier in Deutschland mit Beschlüssen zur Erhöhung des Mindestlohns selbst noch mit voran. Sie verhindern zum Beispiel die Digitalisierung von Prozessen, Sie verschlafen die Flexibilisierung der Arbeitszeiten und vieles, vieles mehr, während Sie die Unternehmen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesem Land immer mehr mit Ihren Regelungen belasten. ({10}) Anders als diese geplante EU-Richtlinie war das Lieferkettengesetz ein gutes Gesetz. ({11}) Es war seinerzeit einfach das Richtige, passt aber jetzt nicht mehr in die Situation und nicht mehr in die Zeit. Die Kollegen Gröhe, Stracke, Stefinger und viele andere haben ein gutes Gesetz verhandelt, aber eben für eine andere Zeit, nämlich für den Juli letzten Jahres und nicht für den Herbst und den Winter 2022. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir auch in Zukunft Gutes für diese Welt tun wollen, ({12}) wenn wir Standards setzen wollen und wenn wir Menschenrechte in der Welt durchsetzen wollen, ({13}) müssen wir stark sein, muss auch unsere Wirtschaft stark sein. Deswegen heißt es in einer Ausnahmesituation wie dieser, dass man eben auch einmal die deutschen Interessen und auch die deutsche Wirtschaft voranstellen muss. ({14}) Vielen Dank. ({15})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der nächste Redner ist für die SPD-Fraktion Bernd Rützel. ({0})

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Mörseburg, lesen Sie Ihre Rede, das, was Sie gerade gesagt haben, noch mal durch. ({0}) Menschenrechte sind nicht abhängig von irgendwelchen Situationen, sie sind nicht abhängig von irgendwelchen Großwetterlagen, sie sind nicht abhängig von Jahreszeiten. Menschenrechte sind universell. Man kann sie sich nicht erdienen, sie können einem nicht weggenommen werden. Sie sind von Geburt an da – für jeden Menschen auf der Welt. Dafür haben wir vor eineinhalb Jahren ein Lieferkettengesetz gemacht. ({1}) Uns ist es nicht egal, ob die Kleidung, die wir tragen, durch Zwangs- bzw. Sklavenarbeit, durch Kinderarbeit – 152 Millionen Kinder sind in Kinderarbeit, 25 Millionen Menschen in Sklavenarbeit – hergestellt wurde, ({2}) ob unsere Handys, mit denen wir arbeiten, so hergestellt wurden ({3}) oder ob unser Kaffee, den wir trinken, so hergestellt und produziert worden ist. Uns ist das nicht egal. Deswegen haben wir das Lieferkettengesetz nach einem ganz langen Weg beschlossen. Es ging 2011 los mit den Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte. 2015 war die deutsche Präsidentschaft der G 7 – da hatten wir es damals auf dem Schirm –, und 2016 wurde der Nationale Aktionsplan beschlossen. Es gab Freiwilligkeitslösungen, die nichts gefruchtet haben. Dann haben wir das Lieferkettengesetz im Koalitionsvertrag vereinbart und auf den Weg gebracht. 2020 hat die EU-Kommission ihr Lieferkettengesetz angekündigt, das jetzt am 1. Dezember in Europa auf den Weg gebracht worden ist. Wir haben den Unternehmen auch Zeit eingeräumt, nämlich eineinhalb Jahre. Die Anwendung des Gesetzes startet zum 1. Januar 2023. Es gilt für Unternehmen mit 3 000 oder mehr Beschäftigten, ein Jahr später auch für Unternehmen mit weniger Beschäftigten. Wir erweitern das BAFA: In Borna wird eine Zweigstelle mit 93 Beschäftigten gebaut, die demnächst fertiggestellt wird. Die nehmen die Menschen und die Unternehmen mit und begleiten sie. Den Unternehmen muten wir nur das zu, was lösbar ist. ({4}) Wir muten ihnen nichts Unmögliches zu. Wir muten ihnen nur zu, hinzuschauen und nicht wegzuschauen. Ich glaube, das kann man doch verlangen. ({5}) Die vielen Gespräche und die Anhörung haben gezeigt, dass das kein Hindernis ist. Es ist eher ein Fortschritt, wenn ein Unternehmen sagen kann: Selbstverständlich halten wir Menschenrechte ein. Ich würde an Ihrer Stelle fragen: Was würde denn Gerd Müller, der ehemalige Entwicklungshilfeminister, heute sagen? ({6}) Haben Sie mit dem einmal gesprochen? Ich habe es getan. Gestern, hier im Deutschen Bundestag, im Reichstag habe ich ihn getroffen. Ich habe mich mit ihm darüber unterhalten. Was er mir gesagt hat, erspare ich Ihnen jetzt. ({7}) Schauen Sie sich einfach das Protokoll von damals an; da ist vieles von Gerd Müller drin. „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu“, hat er damals gesagt. Wenn man jetzt sagt: „Gerd Müller ist nicht mehr da; der hat damals mit Hubertus Heil Seit an Seit gekämpft, und Gott sei Dank haben wir das auf den Weg gebracht“, dann muss man feststellen, dass Hermann Gröhe noch da ist. Hermann Gröhe – ich habe es ihm heute Mittag schon angekündigt, als wir in der Abstimmungsschlange standen – hat auch kluge Dinge gesagt, zum Beispiel: Und deswegen ist die heutige Beschlussfassung eines Lieferkettengesetzes ein großer Fortschritt. Es ist ein Stück Internationalisierung der Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Und: Dies ist kein Wettbewerbsnachteil, sondern nachgewiesenermaßen seit Jahrzehnten ein Wettbewerbsvorteil für dieses Land. ({8}) Also, es geht um gute Wirtschaft und vor allem um Menschenrechte, die immer und überall gelten. Schmeißen Sie Ihren Antrag weg, der steht Ihnen nicht gut zu Gesicht! ({9})

Markus Frohnmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004721, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Mörseburg, Sie waren, glaube ich, letzte Legislatur noch nicht hier. Da gab es einen Entwicklungsminister, der von der CSU kam. Der hieß Müller und hat damals dieses Lieferkettengesetz mit eingeführt – das Lieferkettengesetz, das Ihre Fraktion unbedingt haben wollte. Wir als AfD haben damals schon gesagt, dass dieses Lieferkettengesetz insbesondere in Coronazeiten nicht sinnvoll ist. Das muss man sich mal überlegen: Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass die Regelungen des Lieferkettengesetzes aufgrund der Coronasituation in den vergangenen Jahren pausieren sollen. Es gab auch schon 2021 Corona, ({0}) als Sie dieses Gesetz im Deutschen Bundestag mit verabschiedet haben. Jetzt wollen Sie es wieder abschaffen. Machen Sie sich doch mal ehrlich und sagen: Das war nichts. – Wir als AfD haben es damals schon getan. ({1}) Wir haben momentan das Problem, dass wir überall Lieferkettenschwierigkeiten haben. Wer heute Morgen mal Radio gehört, den Fernseher angeschaltet oder die Zeitung gelesen hat, der weiß, dass wir insbesondere im Bereich der Arzneimittel momentan schwer zu kämpfen haben: Apotheken fehlt es an Hustensäften, es fehlt an Schmerzmitteln, an allem. Und was macht diese Bundesregierung? Was hat die CDU/CSU in der letzten Legislatur gemacht? Sie haben dafür gesorgt, dass die Lieferketten noch stärker strapaziert werden, indem Sie dieses Lieferkettengesetz auf den Weg gebracht haben. ({2}) Da sieht man mal, wie wenig vorausschauend Sie arbeiten. ({3}) Meine Damen und Herren, man muss sich das mal überlegen: Der Standort Deutschland ist jetzt schon kein attraktiver Standort aufgrund Ihrer Politik. Wir sind Steuer- und Abgabenweltmeister im OECD-Raum, ({4}) Bürokratie, Energiepreise, Mieten – all das belastet diesen Standort. Und dann lassen sich eine Bundesregierung und die CDU/CSU damals auch noch einfallen, dass man ein Lieferkettengesetz braucht. ({5}) Was ist dieses Lieferkettengesetz eigentlich? Mit diesem Lieferkettengesetz sollen ausschließlich deutsche Unternehmen weiter belastet werden. Was früher Staaten regeln mussten, nämlich innerhalb des eigenen Staatsgebietes Arbeitnehmerrecht, soziale Standards und anderes zu kodifizieren, ({6}) müssen jetzt plötzlich deutsche Unternehmen machen. Das ist also eine Verschiebung der Verantwortung weg vom Staat hin zu deutschen Unternehmen. Diese deutschen Unternehmen müssen im Übrigen in Zukunft auch mit Blick auf die Zulieferer dafür Sorge tragen, dass entlang der kompletten Wertschöpfungskette soziale und ökologische Standards eingehalten werden. ({7}) Meine Damen und Herren, das ist völliger Irrsinn. Schauen Sie sich mal so ein Handy an. Vom ersten bis zum letzten Schritt soll ein Hersteller in Zukunft belegen können, dass ökologische und soziale Standards eingehalten werden können. ({8}) Da sage ich nur: Das wollen wir mal bei der Elektromobilität sehen. Zeigen Sie uns mal bis zum letzten Ion, dass hier ökologische und soziale Standards eingehalten worden sind. Nebenbei belasten Sie auch noch kleine Unternehmen. ({9}) Sie brüsten sich damit, dass nur Unternehmen ab 3 000 Personen davon betroffen sein sollen. Aber was macht denn ein kleines und was ein großes Unternehmen? ({10}) Das kleine Unternehmen wird doch von dem Großunternehmen gar nicht mehr berücksichtigt; denn die großen Unternehmen, die unter das Lieferkettengesetz fallen, sagen zu Recht: Dann musst du in Zukunft auch belegen können, dass du diese Standards erfüllst. – Automatisch werden dadurch auch Kleinunternehmen aus dem Wettbewerb verdrängt. Die AfD sagt Stopp zu so einem wirklich asozialen Gesetz gegen deutsche Unternehmen, gegen den Mittelstand. Darum: Schluss damit, meine Damen und Herren! ({11}) Erlauben Sie mir noch ganz kurz eine Anmerkung zum Thema Menschenrechte. ({12}) Da tun Sie ganz besorgt. Der Dodd-Frank Act hat das auf amerikanischer Ebene geregelt. In diesem wurde mit kodifiziert, dass bei Seltenen Erden Standards einzuhalten sind. Das Ergebnis war, dass sich amerikanische Unternehmen aus dem Kongo zurückgezogen haben –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Markus Frohnmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004721, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– und dass chinesische Unternehmen diesen Platz eingenommen haben. Wer also Menschenrechte schützen will, der sorgt dafür, –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Frohnmaier, Ihre Redezeit ist vorbei.

Markus Frohnmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004721, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– dass deutsche Unternehmen auch weiterhin im Ausland investieren und dieses Risiko eingehen. Vielen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Maik Außendorf. ({0})

Maik Außendorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005012, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein wirksames Lieferkettengesetz schützt Menschen und Umwelt, aber auch die ehrlichen Unternehmen in unserem Land, die sich vielfach auch ohne gesetzliche Vorgaben bereits an Corporate-Social-Responsibility-Standards halten, ({0}) auf zuverlässige und grundrechtskonforme Zulieferer achten und sich längst auf dieses Gesetz vorbereitet haben. Genau darum geht es: verantwortungsvolle Unternehmen gegenüber denjenigen zu stärken, die sich auf Kosten von Mensch und Umwelt in fernen Ländern einen kurzfristigen Wettbewerbsvorteil erschleichen wollen. Liebe Opposition, Sie schüren hier eine Debatte und damit Unsicherheiten. Das ist das Letzte, was die Wirtschaft braucht. ({1}) Und Sie machen einmal mehr deutlich, dass Sie keinerlei Verantwortung für minimale Standards für den Schutz von Menschenrechten und für die Umwelt entlang der Lieferketten sehen wollen. Herr Mörseburg, Sie haben das ja gerade auch deutlich gemacht. Sie haben wörtlich gesagt, das sei dieser „Murks“, den Sie der SPD damals „abverhandelt“ hätten. Ich will Ihnen mal eins ganz deutlich sagen: Menschenrechte sind kein Murks; Menschenrechte sind unverhandelbar. ({2}) Was wir hingegen tun, wenn wir über die Wirtschaft reden: Wir sind im permanenten Austausch mit der Wirtschaft. Noch heute Morgen hat unser Staatssekretär Michael Kellner nach mehreren Dialogveranstaltungen den Aktionsplan „Mittelstand, Klimaschutz und Transformation“ vorgestellt. Wir hören zu. Wir hören uns die Probleme an, und wir reagieren. Wir haben heute die Energiepreisbremse beschlossen. Wir haben ein Chancen-Aufenthaltsrecht beschlossen, das natürlich auch dazu dient, die Fachkräftezuwanderung zu erleichtern. Sie haben dagegengestimmt. Sie haben der Wirtschaft Steine in den Weg gelegt. Wir räumen sie weg. ({3}) Ich komme zum Schluss. Was ganz wichtig ist: Wir brauchen ein Level Playing Field. Es ist ganz klar, dass wir unsere Unternehmen nicht alleine lassen können. Wir wollen eine sozial-ökologische Transformation der gesamten Wirtschaft. Daher müssen wir einerseits die sozialen und ökologischen Kosten der Produktion und Wertschöpfung einpreisen und andererseits aber auch faire Rahmenbedingungen schaffen. Das machen wir mit dem Lieferkettengesetz. Da, wo es nötig ist, bieten wir auch Förderungen an; die habe ich gerade schon erwähnt. So schreiten wir voran: mit den Menschen, mit der Umwelt, mit der Wirtschaft. ({4})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die Fraktion Die Linke hat das Wort Bernd Riexinger. ({0})

Bernd Riexinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004865, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn wir jetzt in den kommenden Weihnachtstagen Schokolade essen, essen wir oft genug Süßigkeiten, die mit Kinderarbeit hergestellt wurden. An dem Diamanten in der geschenkten Halskette klebt Blut. Das ist die bittere Realität. ({0}) – Entschuldigung, reden Sie doch nicht von Sachen, von denen Sie nichts verstehen. ({1}) Die CDU/CSU will die Einführung des Lieferkettengesetzes bis 2025 aussetzen – verbunden mit der Forderung, dass die geplante EU-Sorgfaltspflichtenrichtlinie nicht über die deutschen Standards hinausgehen dürfe. Dieser Versuch, die Uhr zurückzudrehen, kann nur mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen werden. ({2}) Allein die Tatsache, dass aktuell nur 1 Prozent der Betriebe sicher den Nachweis erbringen kann, ({3}) dass ihre Lieferketten sauber sind, macht überdeutlich, warum dieses Gesetz nötig ist. Ich will Ihnen gern die Gründe ins Bewusstsein rufen, warum es das Gesetz gibt. Führende Einzelhandelsketten lassen ihre Textilien, die für ein paar Euro verramscht werden, in Bangladesch produzieren. In der Coronakrise mussten die Textilarbeiterinnen monatelang für ihre nicht gezahlten Löhne streiken. Die deutschen Auftraggeber haben keinerlei Anstrengungen unternommen, ihre Dienstleister in Bangladesch zum Einlenken zu bewegen. Führende Textilhändler lassen auch gerne in Ländern wie Serbien, Kroatien oder Bulgarien herstellen. Laut einer Untersuchung von Brot für die Welt und anderen sind dort Lohndiebstahl, der Diebstahl von Urlaubstagen, illegale Entlassungen, zum Beispiel im Krankheitsfall, oder auch Entlassungen, wenn Beschäftigte sich wehren, eher die Regel als die Ausnahme. Oder wenden wir uns der Tilenga-Pipeline in Uganda zu. Um den Energiehunger der Länder des globalen Nordens mit fossilen Brennstoffen zu befriedigen, werden über 100 000 Menschen aus ihrer Heimat vertrieben, wird die ökologische Vielfalt zerstört und das Trinkwasser für Millionen von Menschen in Uganda und Tansania gefährdet. Die einzige Chance, dieses Projekt noch zu verhindern, ist das französische Lieferkettengesetz, das den Betroffenen ermöglicht, den Mutterkonzern direkt in Frankreich zu verklagen. Das sind nur drei konkrete Beispiele aus einer sehr langen Liste von verbrecherischem und profitgetriebenem Handeln. Darum ist ein starkes Lieferkettengesetz nötig. ({4}) Darum begrüßen wir den Vorschlag der EU, dass dort höhere und strengere Richtlinien gelten sollen.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Bernd Riexinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004865, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Einen Satz noch. – Gerade in der Krise zeigt sich, ob wir es mit den vielen Bekenntnissen zum Schutz unseres Planeten und der Menschen, die auf ihm leben, ernst meinen. Deswegen darf das Lieferkettengesetz keinesfalls ausgesetzt werden. Danke schön. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die FDP-Fraktion hat das Wort Carl-Julius Cronenberg. ({0})

Carl Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Max Mörseburg, die Bundesregierung tut seit einem Jahr alles, was notwendig ist, um durch wahrlich schwere Zeiten zu führen. ({0}) Ich habe vollstes Vertrauen, dass sie das auch in dieser Angelegenheit weiter tun wird. Alle weiteren Details können wir dann ja beim Bier klären, zu dem ich herzlich einlade. ({1}) – Nee, nur den Max. Der Antrag der Union reiht sich ein in eine Reihe von Anträgen, die Anlass für Verwunderung geben –Verwunderung, nicht zu verwechseln mit Bewunderung. Sie setzen heute eine neue Pointe, die vielleicht von einem gewissen Sinn für Humor, nicht aber von politischem Instinkt zeugt. Es ist noch keine zwei Jahre her, da hat Ihr damaliger Bundesminister Müller vorneweg lautstark ein scharfes Lieferkettengesetz gefordert. Ich erinnere an die Regierungsbefragung am 21. April 2021 und zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin den damaligen Entwicklungsminister Müller: „Das Lieferkettengesetz … ist ein Meilenstein. … [J]eder … [sollte] zustimmen.“ Das ist ja interessant. ({2}) Das Lieferkettengesetz wird erst von der Union gefordert, verabschiedet, gefeiert – ein gutes Gesetz; wir haben es gerade noch gehört –, und gerade dann, wenn es in Kraft treten soll, soll es verschoben werden. Politische Glaubwürdigkeit geht anders, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union. ({3}) Zur Sache. Uns eint die tiefe Überzeugung, dass Menschenrechte immer und überall geachtet sowie Kinderarbeit und moderne Sklaverei immer und überall geächtet werden müssen. ({4}) Aber wenn Sie noch vor 18 Monaten überzeugt waren, dass Ihr Gesetz einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Menschenrechtslage in der Welt leistet, aber jetzt angesichts steigender Energiepreise und hoher Inflationsraten das gleiche Gesetz als Bürokratielast einfach aussetzen wollen: Ja, was soll denn dann für ein anderer Eindruck entstehen als der, dass Sie Ihr Lieferkettengesetz als Schönwettergesetz für gute Zeiten verstanden haben und eben nicht als ordnungspolitisch sinnvollen Rahmen, der hilft, die Kinder aus den Minen in die Schulen zu bringen? Sie können nicht ernsthaft wollen, dass dieser Eindruck entsteht, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Recht haben Sie, dass der Mittelstand nicht überfordert werden darf. Das hat übrigens die FDP schon letztes Jahr in unserem Entschließungsantrag zum Gesetzentwurf gefordert, den Sie dann abgelehnt haben. Aber deshalb packen wir das jetzt an, was dem Mittelstand nutzt, und entwickeln das Thema „Sorgfaltspflichten auf europäischer Ebene“ weiter. Da hat die Bundesregierung – Marco Buschmann und Hubertus Heil – in ihrer Protokollerklärung unmissverständlich klargestellt, dass es keine deutsche Zustimmung ohne eine Safe-Harbor-Lösung geben wird, und das ist gut so. Genau das hilft dem Mittelstand. ({6}) Überhaupt ist es richtig, dass wir den nationalen Alleingang beenden und ein europäisches Sorgfaltspflichtenrecht bekommen. Wir brauchen ein Level Playing Field – Maik Außendorf hat dazu ausgeführt – hier bei uns im Binnenmarkt. Auch das hat die FDP von Anfang an gefordert. ({7}) Meine Fraktion begrüßt ausdrücklich, dass die Bundesregierung in ihrer Protokollerklärung ebenfalls klargestellt hat, dass der Grundsatz „Rückzug nur als Ultima Ratio“ gewahrt bleiben muss. Das Motto muss lauten: „stay and approve“ und nicht „cut and run“. Ein Rückzug unserer Unternehmen aus den Märkten der Welt wäre der falsche Weg. Der Globale Süden wünscht sich eine europäische, eine faire Alternative zu China. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir in die Welt reisen, werden wir doch gefragt: Wann kommen eure Unternehmen und investieren bei uns? Die Länder in Afrika, in Südasien oder auch in Lateinamerika wissen: Deutsche Investitionen bringen faire Löhne und Arbeitsbedingungen, oft auch Ausbildung und Weiterbildung. Handel und Investitionen unserer Unternehmen in der Welt schaffen nicht nur Arbeitsplätze und Wohlstand bei uns; sie führen auch viele Menschen aus Armut und Perspektivlosigkeit. Deshalb zum Schluss noch ein ernster Appell: Wir sollten uns der Herausforderung bewusst sein, dass die Länder des Globalen Südens ein europäisches Lieferkettengesetz auch als protektionistisch wahrnehmen könnten ({8}) und dass wir unsere neue Dynamik in der Handelspolitik ungewollt konterkarieren könnten, wenn wir die Richtlinie schlecht ausgestalten. Deshalb wird es beim Trilog schon darauf ankommen, Europas Rolle in der Welt ganzheitlich zu betrachten ({9}) und eine Kommunikation zu pflegen, die Handel fördert und nicht bremst. Dafür ist eine starke Safe-Harbor-Regelung der entscheidende Baustein. Branchenlösungen machen Branchenrisiken transparent; –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Carl Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

– sie machen bessere Arbeitsbedingungen möglich und senken den Bürokratieaufwand. Wir setzen in Brüssel um, was Sie in Berlin versäumt haben. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort die Kollegin Gitta Connemann. ({0})

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Zeitenwende“, das Wort des Jahres – zu Recht, denn der Angriffskrieg Russlands hat die Welt verändert. Die Menschen in der Ukraine erleben unvorstellbares Leid. Aber auch und insbesondere Europa spürt die Auswirkungen des Krieges vor seiner Tür: Preise explodieren; Lieferketten brechen; nach zwei Jahren Corona fehlen die Rücklagen; eine Rezession droht – eine toxische Mischung. Die Folgen spüren die Bürger, aber insbesondere auch die Betriebe; denn Energiekrise und Schockinflation treffen die Betriebe in diesem Land mit voller Wucht. Vielen steht das Wasser bis zum Hals. Wer es nicht verstehen will, der mache sich bitte ein Bild vor Ort; denn mancher Beitrag, den ich hier heute gehört habe, hat für mich den Eindruck erweckt, als ob Ihnen der Ernst der Lage, der im deutschen Mittelstand herrscht, nicht klar ist. ({0}) Vor einem Jahr wäre es undenkbar gewesen. Dann kam der Krieg und damit die Zeitenwende. ({1}) Wir alle müssen in dieser Situation unsere Position hinterfragen; Sie als Ampel haben es gemacht. Heute sind Sie für Waffenlieferungen, ({2}) für die Verlängerung von Laufzeiten, für das Wiederanfahren von Kohlekraftwerken, für den Import von Fracking-Gas und übrigens auch für den Abschluss von Verträgen mit menschenrechtsverletzenden Staaten wie Katar. Gerade hat einer Ihrer Redner gesagt: „Menschenrechte sind unverhandelbar.“ ({3}) Ja, Sie haben recht. Aber was sagen Sie dann zu den Vertragsabschlüssen mit Katar? ({4}) Wenn Sie hier ein anderes Maß anlegen, als Sie es bei den Sorgfaltspflichten für Betriebe tun, ist das Doppelmoral, und genau das zeigen und leben Sie hier. Wir als Opposition verstehen, dass die Bundesregierung in Not handelt; dasselbe gilt übrigens auch für das Lieferkettengesetz. Ja, wir wollten damit Sorgfaltspflichten für größere Unternehmen begründen, damit es bei Zulieferern nicht zu Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden kommt. Zu diesen Zielen des Gesetzes stehen wir, natürlich. Aber die Zeit hat sich verändert, dramatisch; darauf müssen wir reagieren. ({5}) Deshalb fordern wir als Union die Aussetzung des Gesetzes für zwei Jahre. Dafür spricht die Vernunft. ({6}) Erstens. Die Großunternehmen, die adressiert werden sollten, werden das Gesetz ohnehin anwenden; denn jedes börsengelistete Unternehmen muss auch laut ESRS im Nachhaltigkeitsreport umfangreiche Berichte abgeben. Zweitens. Das Gesetz trifft inzwischen faktisch kleine und mittlere Betriebe. Die Begrenzung auf Großunternehmen wirkt eben nicht; ({7}) denn die Unternehmen an der Spitze der Lieferkette reichen ihre Pflichten weiter. ({8}) Dies bestätigt sogar Ihr Bundeswirtschaftsminister mit seinem heute vorgelegten Aktionsplan „Mittelstand, Klimaschutz und Transformation“. Drittens. Gerade dieser Mittelstand in diesem Land kämpft aber ums Überleben. 40 Prozent haben jede Investitionstätigkeit eingestellt; jedes vierte Unternehmen denkt über eine Verlagerung nach, weil hier die Wettbewerbsfähigkeit fehlt. Liebe Ampel, Sie haben vor diesem Hintergrund ein Belastungsmoratorium angekündigt; aber Lieferkettengesetz und Moratorium widersprechen sich diametral. ({9}) Ein Mittelständler ist schlicht nicht in der Lage, seine gesamte Lieferkette bis zum Subsubunternehmer des Herstellers am anderen Ende der Welt zu überwachen; dies gilt umso mehr nach der Zeitenwende. All das wird getoppt von dem Fragebogen des BAFA, einem Bürokratiemonster. Ich habe mir erlaubt, diesen mitzubringen. ({10}) Er umfasst 37 Seiten – davon 7 Seiten Definitionen. Er enthält 437 Antwortoptionen, nicht nur für das eigene Unternehmen, sondern für unmittelbare Zulieferer und für mittelbare Zulieferer. Wenn Sie sagen, lieber Herr Kollege, die Unternehmen könnten das ohne Weiteres beantworten, ({11}) dann beantworten Sie mir jetzt diese Frage: Welche Präventionsmaßnahmen wurden für den Berichtszeitraum zur Vorbeugung und Minimierung der prioritären Risiken bei mittelbaren Zulieferern umgesetzt? Sie könnten es nicht; aber Sie verlangen es von den Betrieben. Auch das ist Doppelmoral. ({12}) Wer jetzt „Lieferkettengesetz“ googelt, findet zuerst Dutzende Anzeigen von Beratungsunternehmen. Wir brauchen aber kein Konjunkturprogramm für NGOs oder Berater, sondern wir brauchen ein Schutzprogramm für unsere Betriebe. Wer sich aber rechtssicher verhalten will, muss sich zurückziehen, wie zum Beispiel Strabag aus Afrika. Das Lieferkettengesetz wirkt sich also auch auf Länder in unserer unmittelbaren Nachbarschaft aus, ({13}) auch auf Tunesien, Marokko und noch viele andere Länder. Deutsche Unternehmen mit höchsten Standards ziehen sich zurück. ({14}) Damit wird China Tür und Tor geöffnet. Den Menschenrechten wird damit ein Bärendienst erwiesen. Nehmen Sie das bitte endlich zur Kenntnis! ({15}) Deutschland ist in der EU am stärksten von der Krise betroffen. Ein Inkraftsetzen des Gesetzes zum 1. Januar würde einem nationalen Alleingang gleichkommen.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deshalb: Setzen Sie bitte das Gesetz aus, und kämpfen Sie auf EU-Ebene für eine handhabbare Regulierung für unseren Mittelstand; denn ohne ihn bricht unser Rückgrat! Vielen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die SPD-Fraktion hat das Wort Michael Gerdes. ({0})

Michael Gerdes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004039, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Union, worüber reden wir hier heute? ({0}) Im Wesentlichen geht es um Menschenrechte; das ist Sinn und Zweck des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes, so wie es da steht. Dafür wurde es verfasst. Meine Damen und Herren, ich sage es noch einmal: Menschenrechte – dazu gehören auch umweltbezogene Themen – sind nicht verhandelbar, und sie sind auch nicht aufschiebbar. Menschenrechte sind unveräußerlich, nicht an Räume und Zeiten gebunden und älter als alle Staaten. Sie dürfen nicht von einem Gesetzgeber abhängig und in ihrem Geltungsbereich eingeschränkt werden. „Zeitenwende“ heißt im Übrigen nicht „Verzicht auf Menschenrechte“. ({1}) Wir nehmen in Deutschland gerne die Einhaltung der Menschenrechte in Anspruch. Aber, meine Damen und Herren, für andere soll dies erst ab 2025 gelten? ({2}) Meine Damen und Herren von der Union, ist Ihnen klar, was Sie den Arbeitnehmern abverlangen, die weltweit unter menschenunwürdigen Belastungen arbeiten? Glauben Sie mir: Ich als ehemaliger Bergmann und Gewerkschafter weiß, wovon ich spreche, wenn es um gute und um schlechte Arbeitsbedingungen geht. Noch Ende des letzten Jahrhunderts verunglückten viele Bergleute schwer oder tödlich – und das wegen schlechter Arbeitsbedingungen. Deswegen werden wir kein Gesetz hinauszögern, bei dem es um die Einhaltung von sozialen Mindeststandards wie beispielsweise dem Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit geht. ({3}) Die Arbeitsbedingungen in indischen Textilfabriken oder auf Kakaoplantagen in der Elfenbeinküste sind oft nicht zumutbar, und, meine Damen und Herren, das haben wir auch lange gemeinsam diskutiert. ({4}) Ich will auch sagen: Kein Betrieb wird alleingelassen oder überfordert. So lehnt Deutschland Regelungen ab, die Unternehmen einen sofortigen Rückzug aus schwierigen Beschaffungsmärkten auferlegen. Das Prinzip „Befähigung vor Rückzug“ gilt für uns, und dahin werden wir auch das EU-Lieferkettengesetz weiterentwickeln. Unternehmen müssen nicht plötzlich Regionen mit schwachen Standards verlassen; stattdessen geht es um Verbesserungen für alle. Nur wenn dieses nicht gelingt, müssen Konsequenzen gezogen werden. ({5}) Und ich glaube, das ist nicht zu viel verlangt, wie im Oppositionsantrag hier behauptet wird. ({6}) Denn alle betroffenen Unternehmen erhalten Unterstützung vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Dafür – Bernd Rützel hat es gerade schon gesagt – stocken wir den Mitarbeiterstab des BAFA auf und erleichtern die Beantwortung der Berichtsfragebögen auf digitalem Weg. ({7}) Und unterschätzen Sie bitte nicht unsere Unternehmen! Die können das. ({8}) Das Lieferkettengesetz ist kein Sanktionsgesetz. Stattdessen helfen wir den Branchen, Initiativen zu entwickeln, Zertifizierungen zu erarbeiten und Menschenrechte zu stärken. Was daran „asozial“ sein soll, mag ich nicht nachzuvollziehen. ({9}) Das wollen auch die allermeisten Staaten der Europäischen Union; Deutschland ist da nicht alleine. Im kommenden Jahr startet der Trilog, bei dem der Rat mit dem Europäischen Parlament und der Kommission die endgültige Richtlinie für das EU-Lieferkettengesetz aushandeln wird – also ein Grund mehr, keine nationale Verzögerung zu initiieren. Wie kommen Sie, liebe Union, darauf, dass die Bedingungen 2025 für die Umsetzung des Lieferkettengesetzes besser sein werden? Ich finde, das ist peinlich. ({10}) Corona konnte keiner vorhersehen, den Ukrainekrieg in seiner Dimension auch nicht. Ich wäre dann also mit Prognosen in diese Richtung sehr vorsichtig. Das Einzige, das wir sagen können, ist: Es eilt. Wie ich eingangs sagte: Es geht um Menschenrechte. Und deshalb handeln wir jetzt. Menschenrechte gelten nicht nur in guten Zeiten. ({11}) Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten und einen guten Rutsch in ein hoffentlich friedliches neues Jahr, und ich freue mich auf weitere Diskussionen mit Ihnen. Herzlichen Dank. Glück auf! ({12})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Deborah Düring. ({0})

Deborah Düring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005045, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Februar letzten Jahres sagte Gerd Müller – ich erinnere: seinerzeit Minister der CSU – zum Lieferkettengesetz – ich zitiere mit Erlaubnis –: „… es kann sich kein Unternehmen … in Zukunft leisten, Menschenrechte in Lieferketten nicht zu fokussieren …“ Auch ich durfte gestern mit Gerd Müller reden; dort hat er es noch mal bekräftigt. ({0}) Ich sage Ihnen: Ihr ehemaliger Minister hat recht. ({1}) Was Sie hier heute machen, ist einfach nur lächerlich, liebe Union. ({2}) Zur Erinnerung, worum es hier geht: Es geht leider nicht um die Einhaltung von europäischen Standards, dass alle Arbeiter/-innen 30 Tage Urlaub bekommen oder Anspruch auf Kindergeld haben. Schön wär’s! Es geht hier darum, dass Unternehmen dafür sorgen, dass international anerkannte Menschenrechte in ihrer Lieferkette umgesetzt werden. ({3}) Es geht darum, dass Unternehmen dafür garantieren, dass es keine Kinderarbeit, keine Zwangsarbeit, keine Sklavenarbeit in ihren Lieferketten gibt. ({4}) Es geht darum, dass grundsätzliche Arbeits- und Gesundheitsstandards eingehalten werden. Es geht darum, dass ein angemessener Lohn bezahlt wird. Und wenn wir uns noch nicht mal darauf einigen können, liebe Union, dann frage ich mich wirklich: Worauf können wir uns eigentlich als Demokratinnen und Demokraten hier noch einigen? ({5}) Es geht hier nicht um nice Add-ons oder nervige Bürokratie; hier geht es darum, dass die Produkte, die in unseren Regalen stehen, nicht durch menschenunwürdige Ausbeutung entstanden sind.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Liebe Frau Düring, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der CDU/CSU-Fraktion vom Kollegen Wiener?

Deborah Düring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005045, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, sie haben heute schon genug dazu geredet. Das wird nicht besser. ({0}) Hier geht es nicht darum, dass man einfach nur Bürokratie abbaut; hier geht es darum, dass Menschenrechte geachtet werden. Die Achtung der Menschenrechte muss die Grundlage für all unser Handeln sein. Sie darf kein Luxus sein, den man sich mal gönnt, wenn die Konjunktur es eben zulässt. ({1}) Genau deswegen werden wir dieses Lieferkettengesetz zum 1. Januar 2023 in Kraft treten lassen, und wir werden es auf der europäischen Ebene noch umfassender machen. Ich bin froh darüber, dass wir hier als Koalition gezeigt haben: Menschenrechte und Umweltstandards sind nicht verhandelbar. Sie müssen das ja anscheinend noch mal lernen. ({2})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort Dr. Klaus Wiener.

Dr. Klaus Wiener (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005257, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich verfolge die Debatte jetzt schon eine ganze Zeit, hätte die Frage auch gerne gestellt. Was mich so ein bisschen umtreibt, ist: Welches Menschenbild haben Sie eigentlich von den Unternehmern in Deutschland? ({0}) Wir haben viele kleinere und mittlere Unternehmen – Unternehmen, die hohe soziale Verantwortung übernehmen, die Arbeitsplätze schaffen, die für ihre Mitarbeiter eintreten. ({1}) Glauben Sie, dass diesen Menschen die Arbeitsbedingungen im Ausland egal sind? Ich frage Sie an der Stelle noch mal: Was für ein Bild haben Sie von vielen, zigtausend kleineren und mittleren Unternehmen in unserem Land, die große und auch soziale Verantwortung übernehmen? ({2}) Die brauchen kein Gesetz, das ihnen sagt, was sie zu tun haben. Sie wissen selber sehr genau, was sie tun müssen. ({3})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Düring, Sie haben die Möglichkeit, zu antworten. – Herr Dr. Wiener, bleiben Sie bitte stehen, während Frau Düring antwortet. – Frau Düring. ({0})

Deborah Düring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005045, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank für diese Kurzintervention. – Das gibt mir noch mal die Möglichkeit, klarzumachen, dass Sie anscheinend immer noch an das Märchen der Freiwilligkeit glauben. ({0}) Sie haben doch in der GroKo mit dem NAP drei Jahre lang versucht, es mit Freiwilligkeit hinzubekommen. ({1}) Was haben wir am Schluss gesehen? Dass ein Fünftel der befragten Unternehmen dafür Sorge trägt, dass die Menschenrechte anerkannt werden. Das nennen Sie „Freiwilligkeit, die funktioniert“? ({2}) Nein, es funktioniert nicht. Ich frage Sie: Welches Menschenbild haben Sie eigentlich, dass Sie sich jetzt hierhinstellen und das Lieferkettengesetz mal eben um zwei Jahre verschieben wollen? Sie wollen die Achtung der Menschenrechte verschieben; Sie wollen dafür sorgen, dass Unternehmen die Menschenrechte eben nicht achten. ({3}) Da stellt sich eher die Frage: Welches Menschenbild haben Sie? ({4})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Wir fahren in der Debatte fort. Die nächste Rednerin ist für die SPD-Fraktion Angelika Glöckner. ({0})

Angelika Glöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bundeskanzler Olaf Scholz hat es in seiner gestrigen Rede auf den Punkt gebracht, als er sagte, die Welt werde im 21. Jahrhundert multipolar sein. Ich finde, er hat recht; denn all die aktuellen Herausforderungen – ich nenne mal: die Pandemie, den Angriffskrieg von Putin, die Klimakrise, die Digitalisierung – werden wir nur bewältigen können, wenn wir uns von großen Playern wie China unabhängiger machen, wenn wir uns breiter aufstellen, wenn wir unsere Lieferketten ausbauen. Deswegen will ich an dieser Stelle auch noch mal für meine Fraktion, die SPD, ganz klar und deutlich sagen: Wir stehen für einen globalen Handel, aber nur dann, wenn er fair gestaltet wird. ({0}) Was meine ich mit „fair“? „Fair“ bedeutet, wir müssen weg von Kinderarbeit; denn Kinder gehören auf Spielplätze und in Schulen statt in Minen und Fabriken. ({1}) Wir müssen weg von Zwangsarbeit und Ausbeutung. Wir müssen weg von Fabriken, die einstürzen oder brennen und in denen Menschen ums Leben kommen, wie in Bangladesch. ({2}) Und ja, wir müssen weg von Umweltschäden, die die Biodiversität auf unserem Planeten gefährden und die Menschen krankmachen und es künftigen Generationen nicht ermöglichen, auf dieser Erde zu leben. ({3}) Und darum ging es, werte Kolleginnen und Kollegen von der Union, als wir dieses Lieferkettengesetz beschlossen haben. In dieser Kenntnis haben wir gemeinsam, und damit meine ich Sie von der CDU/CSU und uns von der SPD, dieses Lieferkettengesetz beschlossen. Was Sie jetzt machen, ist eine Rolle rückwärts. Sie schwanken, Sie fallen um. Sie wollen nicht das Lieferkettengesetz aussetzen; Sie wollen die Geltung der Menschenrechte aussetzen. ({4}) Darum geht es nämlich. ({5}) Deswegen, werte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, frage ich Sie: Was trauen Sie eigentlich unseren Unternehmen zu? ({6}) Haben Sie denn wirklich Angst, dass sie es nicht hinkriegen, die Sorgfaltspflicht wahrzunehmen? Was trauen Sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Unternehmen zu? Die werden schon lange geschult. ({7}) Die sind schon auf der Höhe der Zeit, was man von Ihnen offensichtlich nicht behaupten kann. ({8}) Sie reden hier von finanziellen Belastungen. Dazu sage ich Ihnen: Da sind Betriebe dabei, die gerade in dieser Zeit Rekordgewinne einfahren. Tun Sie doch nicht so, als würden alle hier am Hungertuch nagen. ({9}) Die größten DAX-geführten Unternehmen fahren gerade Rekordgewinne ein; das muss man an dieser Stelle auch mal sagen. ({10}) Sie bremsen Unternehmen aus, anstatt ihnen Mut zu machen. ({11}) Sie machen eine rückwärtsgewandte Politik. Es ist gut, dass Sie da sitzen, wo Sie sitzen, nämlich in der Opposition. ({12})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der letzte Redner in der Debatte ist für Bündnis 90/Die Grünen Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn. Sie haben das Wort. ({0})

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute in der Diskussion um die Umsetzung eines Gesetzes der Großen Koalition; das ist eben noch mal gesagt worden. Gerd Müller von der CSU, Hubertus Heil von der SPD und viele andere haben dafür gekämpft. Wir Grünen haben am Ende zugestimmt, ({0}) weil das ein richtiger Schritt war. Nun ist die Argumentation der Union, dass die Situation jetzt eine andere ist als damals, als das Gesetz verabschiedet wurde. ({1}) Was hat sich seitdem geändert? Es gibt einen Angriffskrieg von Russland befohlen gegen die Ukraine. Es gibt einen Angriffskrieg von Wladimir Putin befohlen. Und die Schlussfolgerung der Union ist, dass wir bei den Menschenrechten jetzt Fünfe gerade sein lassen? Das ist doch nicht Ihr Ernst! Das kann doch nicht wahr sein! ({2}) Das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Es ist gerade jetzt an der Zeit, für Menschenrechte einzustehen, gegen Umweltzerstörung vorzugehen. ({3}) Diese Verpflichtung haben wir alle in der Politik. Auch große Unternehmen haben die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass die Menschenrechte eingehalten werden. Und die Unternehmen können das. ({4}) Trauen Sie den Unternehmen, der Wirtschaft in Deutschland doch mal etwas zu, liebe Union. Wir haben eine starke Wirtschaft. Die Unternehmen kriegen das hin.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Strengmann-Kuhn, ich unterbreche Sie ungern; aber erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der CDU/CSU-Fraktion vom Kollegen Rouenhoff?

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne.

Stefan Rouenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004867, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr Dr. Strengmann-Kuhn. – Sie haben gerade gesagt, die Unternehmen müssen auch jetzt in dieser Krise in der Lage sein, das zu bewältigen. Jetzt wissen wir, dass Ihr Minister Robert Habeck nach Katar gereist ist, sich dort dafür eingesetzt hat – weil die Krise es erfordert –, Gaslieferungen für Deutschland, für Europa zu sichern. Jetzt kommt es zu einem Vertrag mit Katar, einem Land, zu dem Ihre Regierung selbst feststellt, dass es dort zu Menschenrechtsverletzungen kommt. Sie nehmen sich als Regierung heraus, mit diesem Land einen Liefervertrag für Flüssiggas über 16 Jahre abzuschließen, fordern von den Unternehmen aber, dass sie die Pflichten aus dem Lieferkettengesetz einhalten. Ich möchte wissen: Legen Sie einen unterschiedlichen Maßstab an bei dem, was die Bundesregierung für sich in Anspruch nimmt, und dem, was sie von den Unternehmen verlangt? Danke schön. ({0})

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie müssen sich mal klar werden: Stehen Sie noch zu dem Lieferkettengesetz oder nicht? ({0}) Auch die Kurzintervention eben hörte sich ja so an, als wären Sie grundsätzlich dagegen. Zu Katar und dem, was der Herr Minister machen musste: Das ist doch eine Folge Ihrer Politik. ({1}) Sie haben uns abhängig gemacht von Russland, einem Land, wo Menschenrechte nicht geachtet werden. ({2}) Was haben Sie denn gemacht? Wir müssen das jetzt ausbaden. Sie haben Waffen nach Saudi-Arabien geliefert. Ihnen war das alles völlig egal. ({3}) Natürlich haben wir als Politik Verantwortung, uns dafür einzusetzen, dass die Menschenrechte geachtet werden. Die Außenministerin, der Wirtschaftsminister, die anderen Mitglieder der Regierung setzen sich jeden Tag dafür ein. Und auch die Unternehmen stehen in der Pflicht. ({4}) Es geht um große Unternehmen, und die sind darauf vorbereitet, das jetzt umzusetzen. Die sind darauf eingestellt. Ich zweifle wirklich an Ihrem wirtschaftspolitischen Sachverstand. Dieses Hin und Her, das Sie vorschlagen, ist doch nicht gut. Die Unternehmen brauchen Planungssicherheit, das ist ganz wichtig für sie. ({5}) Deswegen ist es gut, dass das Gesetz zum 1. Januar 2023 kommt. Die Ausweitung auf weitere Unternehmen erfolgt zum 1. Januar 2024. ({6}) Und es ist gut, dass wir das auf europäischer Ebene noch weiterentwickeln; denn wir brauchen – das haben der Kollege Cronenberg und der Kollege Außendorf schon gesagt – ein Level Playing Field, gemeinsame Wettbewerbsbedingungen. Dann können wir in der Europäischen Union gemeinsam noch viel stärker für Menschenrechte eintreten. Es ist für die Unternehmen in Deutschland besser, wenn sie schon am 1. Januar 2023 mit der Umsetzung anfangen. Dann haben sie quasi einen Wettbewerbsvorteil, wenn das entsprechende Gesetz dann auf europäischer Ebene kommt. ({7})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist ökonomisch sinnvoll. Das ist für die Einhaltung der Menschenrechte sinnvoll, und es ist sinnvoll für den Kampf gegen Umweltzerstörung. Es gibt genügend Gründe, diesen Antrag abzulehnen. Vielen Dank. ({0})

Dr. Volker Wissing (Minister:in)

Politiker ID: 11003702

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Menschen in Deutschland haben im Sommer abgestimmt: Sie wollen mehr Bus und Bahn fahren. Sie wollen mehr ÖPNV und dafür ein unkompliziertes, bezahlbares Angebot. Mit unserem 9‑Euro-Ticket haben wir innerhalb kürzester Zeit geschafft, was viele vorher nicht für möglich gehalten hätten, was viele vor uns aber auch gar nicht erst versucht haben: ein Ticket für den öffentlichen Nahverkehr in ganz Deutschland – eine echte Entlastung für alle. Das Ticket war extrem beliebt: in Städten, bei Pendlern aus dem ländlichen Raum, bei älteren Menschen, bei Schülerinnen und Schülern, Studentinnen und Studenten. Viele haben sich bei mir bedankt, weil sie unmittelbar gespürt haben, dass hier eine echte Verbesserung direkt bei ihnen ankommt. ({0}) Der Erfolg war riesig: 52 Millionen verkaufte Tickets. Nach der Einführung hat sich der Stau auf den Straßen in 23 von 26 untersuchten Städten reduziert. ({1}) Und mit dem 9‑Euro-Ticket haben wir gezeigt, dass wir gemeinsam Dinge umsetzen können, und zwar sehr schnell – wenn alle mitmachen. Wir können stolz darauf sein, was wir hier innerhalb kürzester Zeit, und das auch noch in herausfordernden Zeiten wie diesen, gemeinsam auf die Beine gestellt haben. Wir haben dadurch einen klaren Auftrag der Bürgerinnen und Bürger erhalten, an das Ticket anzuknüpfen. So ist unsere Idee für das Deutschlandticket entstanden. Ich freue mich sehr, dass wir hierfür nun endlich alle Hürden beseitigen konnten, dass die Diskussionen jetzt aufhören und sich alle an die Umsetzung machen. Die Menschen warten auf das Ticket. ({2}) Jetzt müssen die Länder und die Verkehrsunternehmen liefern. Ich weiß, dass vor Ort noch einige Dinge geklärt werden müssen und jetzt alle mit Hochdruck daran arbeiten, damit das Deutschlandticket sehr bald im neuen Jahr kommt. Dieser Sommer 2022 hat auch gezeigt: Das Ticket ist nicht alles. Wenn wir mehr ÖPNV wollen, dann muss das Angebot stimmen. Ich bin überzeugt: Mit einem klugen Konzept und klug eingesetzten Mitteln können wir den öffentlichen Personennahverkehr voranbringen, ihm einen richtigen Schub geben. Daher habe ich gleich im Frühjahr dieses Jahres den Ausbau- und Modernisierungspakt angestoßen. Ich habe klargestellt: Mehr Geld für den ÖPNV, der eigentlich Ländersache ist, kann es vom Bund nur geben, wenn das Angebot auch entsprechend verbessert wird. Ich möchte vermeiden, dass wir einfach mehr Geld in ein bestehendes System investieren, ohne zu prüfen, wie wir es tatsächlich verbessern können. ({3}) Unser Ziel ist ein moderner ÖPNV, und zwar überall im Land. ({4}) Die Länder haben uns zugesagt, dass sie genau das angehen werden. Wir konnten bereits eine gemeinsame Erklärung zur Gründung des Ausbau- und Modernisierungspakts vorbereiten. Die Länder haben die Unterzeichnung aber von einer Bedingung abhängig gemacht: einem Angebot des Bundes zur Erhöhung der Regionalisierungsmittel. Damit sollen die allgemeinen Preissteigerungen seit 2019, Coronaschäden sowie höhere Energiekosten ausgeglichen werden. Die gute Nachricht, meine Damen und Herren, ist: Die Regierung liefert. Um die Preissteigerungen abzufedern und insbesondere den Ausbau des Schienenpersonennahverkehrs voranzutreiben, nehmen wir zusätzlich zu den für das Deutschlandticket zugesagten Mitteln noch mehr Geld in die Hand und erhöhen die Regionalisierungsmittel. Die Änderung des Regionalisierungsgesetzes sieht vor, dass die Länder für das Jahr 2022 zusätzliche Regionalisierungsmittel in Höhe von 1 Milliarde Euro erhalten. Außerdem erhöhen wir ab 2023 die jährliche Steigerungsrate von 1,8 Prozent auf 3 Prozent. ({5}) Insgesamt werden den Ländern dadurch in den Jahren 2022 bis 2031 zusätzliche Regionalisierungsmittel in Höhe von rund 17,3 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Mit dieser Erhöhung setzen wir ein Vorhaben aus unserem Koalitionsvertrag um. ({6}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetzentwurf und den zusätzlichen Regionalisierungsmitteln schaffen wir die Grundlage dafür, den ÖPNV attraktiver zu gestalten und auch wettbewerbsfähiger zu machen. Klar ist: Der öffentliche Verkehr ist das zentrale Element einer modernen, nachhaltigen Mobilität in unseren Städten und Regionen. Er bündelt Verkehre, entlastet Straßen, schont das Klima und die Umwelt. Deshalb werden wir ihn weiter stärken. Mit diesem Gesetz gehen wir einen wichtigen Schritt. Ich bitte all diejenigen, die gesehen haben, wie sehr die Bevölkerung jetzt diese Verbesserung ersehnt, aufzuhören, zu diskutieren und an der einen oder anderen Stelle vielleicht auch kleinkariert zu kritisieren, sondern sich jetzt an die Umsetzung zu machen. Das ist eine große Reform, das ist eine große Herausforderung; aber es ist auch eine große Sache für den Klimaschutz und die Mobilität unserer Gesellschaft. Vielen Dank. ({7})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die Unionsfraktion hat das Wort der Kollege Michael Donth. ({0})

Michael Donth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004262, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Tagen haben wir den recht spät eingebrachten Entwurf zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes im Eilverfahren behandelt und diskutiert. Ich verstehe nicht, warum sich die Ampel selbst auf die Schulter klopft, weil sie nun die Regionalisierungsmittel erhöht. Natürlich erscheint es auf den ersten Blick gut, wenn die Länder für die Stärkung des Schienenpersonennahverkehrs mehr Geld vom Bund erhalten. ({0}) Aber es ist auch ein Stück weit die Aufgabe des Bundes, dies zu tun. Seit 1996 sind die Länder für die Gestaltung und Finanzierung des Nahverkehrs zuständig. Seither erhalten sie dafür vom Bund entsprechendes Geld. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel, wissen genau, dass die Erhöhung der Regionalisierungsmittel eben bei Weitem nicht ausreicht, um die Länder, Kommunen und Unternehmen so weit zu unterstützen, dass diese auch nur annähernd den Bestand des ÖPNVs sichern können. Für den Ausbau des Nahverkehrs, den Sie ja auch wollen – wir haben es gerade wieder gehört –, gibt es gar nichts. Von Verdi über den Gesamtbetriebsrat von DB Regio bis hin zu bdo, VDV und den kommunalen Spitzenverbänden waren sich alle bei der Anhörung einig, dass die Mittel nicht ausreichen, um die finanziellen Herausforderungen im ÖPNV wie steigende Materialkosten, hohe Strom- und Energiepreise oder steigende Personalkosten zu bewältigen. ({1}) Hinzu kommt das 49‑Euro-Ticket. Bei den Regionalisierungsmitteln verweisen Sie immer darauf, dass nach dem Grundgesetz doch eigentlich die Länder für den Nahverkehr zuständig seien und der Bund deshalb nicht so viel Geld dafür aufwenden könne. Und beim 49‑Euro-Ticket entscheidet dann der Bund, wie die Tarif- und Ticketstruktur im Nahverkehr in den Ländern aussieht. ({2}) Also, wenn das kein Widerspruch in der Argumentation ist! ({3}) Vor allem aber führt diese Verknüpfung zwischen 49‑Euro-Ticket und Regionalisierungsmitteln – um genau das geht es hier – dazu, dass das ÖPNV-Angebot abnehmen wird. Staatssekretär Theurer hat uns gesagt, dass der Bund der Erhöhung der Regionalisierungsmittel nur zugestimmt habe, damit die Länder das 49‑Euro-Ticket umsetzen. Kollegin Slawik hat uns gestern gesagt, dass die vorgesehene Dynamisierung der Regionalisierungsmittel bis 2031 nicht ausreichen wird. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, übrigens von den Grünen, hat eingeräumt, dass das Land Abstriche beim ÖPNV machen muss, weil es gezwungen sei, das 49‑Euro-Ticket mitzufinanzieren. ({4}) Das heißt ganz konkret: Das Land Baden-Württemberg hat kein Geld mehr für die eigentlich geplante Nahverkehrsoffensive. ({5}) Im ländlichen Raum wird es keinen Halbstundentakt geben und in den Ballungsräumen eben keinen Viertelstundentakt. Stattdessen fordern die Grünen im Land die Kommunen auf, dass sie doch jetzt einfach mal selbst Wege finden sollen, wie sie den vom Land gewünschten Ausbau bei Bussen und Bahnen finanzieren. Na dann, vielen Dank für nichts. ({6}) Ihre Politik führt dazu, dass die Tickets für manche zwar billiger werden – und die werden sich auch frenetisch bei Ihnen bedanken, Herr Minister –, aber Sie werden gleichzeitig dafür sorgen, dass es ein schlechteres Angebot gibt. Deshalb haben wir als Union für eine echte Verbesserung des Regionalisierungsgesetzes einen eigenen Antrag eingebracht. Wir fordern damit zusätzliche Regionalisierungsmittel für einen Ausbau des ÖPNV. Wir fordern, dass sichergestellt wird, dass die Mittel auch bei den Leistungserbringern ankommen, die sie benötigen.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Michael Donth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004262, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir fordern – letzter Satz – mehr Transparenz bei der Mittelverwendung für den ÖPNV, und wir fordern ein echtes Konzept für eine Attraktivitätssteigerung des Nahverkehrs. Das hilft und verbessert den ÖPNV in Stadt und Land. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die SPD-Fraktion hat das Wort Mathias Stein. ({0})

Mathias Stein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich sollte jetzt Martin Kröber, der Berichterstatter zu diesem Themenfeld, hier vor Ihnen stehen und für unsere Fraktion erläutern, mit welchen Verbesserungen bei den Regionalisierungsmitteln wir es zu tun haben. Leider ist Martin Kröber erkrankt. Ich wünsche ihm an dieser Stelle gute Besserung. ({0}) Ich freue mich, die Änderungen des Regionalisierungsgesetzes hier noch mal etwas genauer zu beleuchten. Es ist ein nächster Schritt in einer Verkehrswende hin zu einem sozialeren und gerechteren Nahverkehr. Was machen wir im Einzelnen? Wir erhöhen die Regionalisierungsmittel vor allem für den Schienenpersonennahverkehr um 1 Milliarde Euro. Wir werden die Schallmauer von 10 Milliarden Euro in diesem Jahr erreichen. Zweitens. Wir dynamisieren die Mittel. Das heißt, wir werden Jahr um Jahr die Mittel für die Bundesländer automatisch um 3 Prozent erhöhen. In einem ersten Schritt haben wir gemeinsam mit der Union, lieber Michael Donth, 1,8 Prozent vereinbart. Jetzt setzen wir noch einen drauf. Das heißt, wir werden für die Kosten, die jetzt zusätzlich entstehen, entsprechend aufkommen. ({1}) Warum machen wir das? Wir machen das, weil derzeit noch viele Menschen, auch in meinem Wahlkreis, für die Nutzung des öffentlichen Nachverkehrs tief in die Tasche greifen müssen, zum Beispiel, wenn sie von Kiel nach Eckernförde oder nach Neumünster pendeln. Wer von Kiel nach Hamburg pendelt, muss derzeit Monat für Monat 300 Euro zahlen. Das werden wir Schritt für Schritt ändern. Dieser Entwurf ist ein Baustein für eine Mobilitätswende, die sozial und gerecht ist. Heute geben wir mehr Geld. In den nächsten Wochen werden wir das Deutschlandticket gestalten; es ist noch nicht über die Ziellinie, aber wir sind nahe dran. Für 49 Euro pro Monat werden wir mit dem öffentlichen Nahverkehr in ganz Deutschland unterwegs sein können. Wir machen das möglich. ({2}) Mit dem Deutschlandticket entlasten wir Pendlerinnen und Pendler nicht nur in meinem Wahlkreis, sondern auch in den Wahlkreisen in Bayern, in Baden-Württemberg, in Hessen, im Saarland usw. ({3}) Warum tun wir das? Weil wir Fachkräfte brauchen, die das Rückgrat unserer Wirtschaft und Gesellschaft bilden. Diese Fachkräfte haben es verdient, entlastet zu werden. Mit diesem Gesetz werden wir für deren Entlastung sorgen. Wir legen einen Gesetzentwurf vor, mit dem wir die Preissteigerungen als Folge des Ukrainekriegs abfedern und den Ausbau des Schienenpersonennahverkehrs vorantreiben. Mit dem 49‑Euro-Ticket werden wir mehr Pendlerinnen und Pendler in den öffentlichen Nahverkehr bekommen. Deshalb werden wir auch dafür sorgen, dass der öffentliche Nahverkehr ausgebaut wird. Ich bin mir sicher, dass auch die Länder und Kommunen mit anpacken. Der öffentliche Nahverkehr ist keine One-Man-Show des Bundes, sondern eine starke Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen. Wir werden kräftig mit anpacken. ({4}) Ich bin mir sicher, dass der baden-württembergische Ministerpräsident das zusammen mit dem Koalitionspartner CDU erkennt und seine Kassen aufmacht, genauso wie das in Schleswig-Holstein der Fall sein wird. Ich habe Baden-Württemberg als prägendes Beispiel genannt. Ich will ergänzen: Sie haben auch Lösungsansätze entwickelt, wie wir einen zuverlässigen öffentlichen Nahverkehr anbieten können. Sie haben einen Pool für Triebfahrzeugführerinnen und Triebfahrzeugführer errichtet. Auch mehr Schienenmaterial soll zur Verfügung stehen, damit man zuverlässig planen kann. Das ist ein Modellprojekt für viele, viele andere. Wir brauchen natürlich auch ein breiteres Angebot. Mit dem Ausbau- und Modernisierungspakt sorgen wir gemeinsam mit den Ländern für einen zukunftsfähigen öffentlichen Nahverkehr. Wir haben gesagt, dass das ein erster Schritt ist, ein Puzzleteil. Wir als SPD werden nicht lockerlassen und den öffentlichen Nahverkehr als tragendes Element einer Verkehrswende, die für uns sozial und gerecht sein muss, gestalten. Wir lassen nicht locker, wir packen an. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Vielen Dank. – Allen einen schönen guten Abend. Das Wort hat jetzt Mike Moncsek für die AfD. ({0})

Mike Moncsek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005156, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Werte Zuschauer hier im Plenarsaal und an den Fernsehgeräten! Ich hätte es fast geglaubt, Herr Stein, dass das was Gutes ist, aber mir fehlt wirklich noch die Überzeugung. Die Regionalisierungsmittel sind an sich eine gute Möglichkeit, wenn klar ist, wer wann Mittel braucht, welche effektiv sind, und man diese dann auch wirklich richtig einsetzt. Die AfD findet es sehr bedenklich, wenn Mittel nicht abgerufen werden. Vielleicht geht das nicht, weil seit Jahren ein ausuferndes Förder- und Finanzierungswirrwarr existiert, wo selbst Experten kaum noch durchblicken. Das muss sofort abgeschafft werden. ({0}) Es ist sehr bedenklich, wenn vom Bund Finanzierungszusagen an die Länder ohne verbindliche Gegenleistung gemacht werden. Der Bundesrechnungshof hat harte Kritik geübt. Auf diese Experten sollten Sie hören; das wäre besser. Die Wahrheit ist: Personalkosten, Inflation und das 49‑Euro-Ticket sind final gar nicht eingepreist. Zu diesem Punkt sind aus unserer Sicht einige grundsätzliche Anmerkungen notwendig. Der Bundesrechnungshof hat recht, wenn er kritisiert, dass der Finanzbedarf nur zuverlässig ermittelt werden kann, wenn feststeht, welche Ziele man damit erreichen möchte. Das 9‑Euro-Ticket war ein reiner Ferienballon. ({1}) Es war ein Versuchsballon, der in den Ferien die Leute faktisch dazu gebracht hat, den ÖPNV zu nutzen. Was soll das für das 49‑Euro-Ticket bringen? Wo sind die 52 Millionen heute, die neuen und begeisterten Kunden, die nur noch den ÖPNV nutzen und ihr eigenes Auto stehen lassen? Wer wird das 49‑Euro-Ticket kaufen? Da gebe ich Ihnen recht: Das sind die Pendler, die derzeit noch für weitaus teurere Tickets zahlen. ({2}) Die Regionalisierungsmittel fließen vor allem in die Bahn. Hier muss der ländliche Raum endlich besser angeschlossen werden. Gerade Sie, Herr Müller, wissen, dass bei uns im ländlichen Raum die Bahninfrastruktur so was von abgebaut wurde, dass es einem himmelangst werden kann. ({3}) Jahrzehntelang wurden Strecken stillgelegt, ja, fast der ganze Osten vom ICE abgehängt, abgekoppelt; noch besser. ({4}) Wir brauchen eine Verkehrspolitik ohne Ideologie, aber mit marktwirtschaftlichem Verstand. Hier hält statt Marktwirtschaft immer mehr die sozialistische Planwirtschaft wieder Einzug. ({5}) Am Ende stehen das Kombinat Bahn und die volkseigenen Kraftverkehre; zurück in die Zukunft, da kommen wir ja her. ({6}) Die FDP, die Partei der sozialen Marktwirtschaft – herzlichen Glückwunsch –, hat ihre Prinzipien über den Haufen geworfen und fährt auf dem ideologisch grün-roten Sonderzug mit. ({7}) Was haben Sie gesagt, was noch dazu kommt? Es kommt der Modernisierungspakt. ({8}) Früher war der Warschauer Pakt etwas Böses; vielleicht sollte man mal darüber nachdenken, was ein Pakt ist. Kein privates Bahn- und Busunternehmen kann so arbeiten, eigentlich niemand. ({9}) Im Übrigen schaffen Sie eigenwirtschaftlich arbeitende Mitwettbewerber, zum Beispiel FlixBus, mit dieser sozialistischen Planwirtschaft restlos ab. ({10}) Statt Milliarden an die Bahn zu verschenken, sollte man das Wichtigste eines Dienstleisters einführen: Dienen und Leisten, Pünktlichkeit, Sauberkeit, Service, Effizienz – alles Fremdwörter. Es ist erbärmlich, wenn der Bahnvorstand als Ziel ausgibt: 70 Prozent Pünktlichkeit. Ich fasse zusammen. Was ist mit all den Bürgern, die den ÖPNV nutzen wollen, aber gar nicht können und trotzdem alles mitfinanzieren? Personalkosten, Inflation, Personalmangel: Kein einziges Problem ist gelöst. Der ländliche Raum muss sofort in den Mittelpunkt gestellt werden. Die Probleme des ÖPNV resultieren aus der falschen ideologischen Energie- und einer falschen Wirtschaftspolitik; eine böse Mischung. ({11}) All diese Aspekte sind im vorliegenden Gesetzentwurf nicht ausreichend thematisiert. Die AfD lehnt ihn deshalb ab. ({12}) Beim Entschließungsantrag enthalten wir uns, da ein Omnibusverfahren erfolgt ist; da nehmen Sie gleich mal wieder alles mit.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Mike Moncsek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005156, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Glück auf und schöne Feiertage! ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Stefan Gelbhaar hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Stefan Gelbhaar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004726, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Man hat ein bisschen das Gefühl, dass es bei der AfD so eine Art Altherrenbingo gibt, wo man dann in seiner Rede einmal „sozialistisch“ sagen muss, einmal „Bundesrechnungshof“ oder irgendwie so etwas. ({0}) Ich habe es noch nicht verstanden. Vielleicht klären Sie das hier irgendwann mal auf. Wir wären Ihnen allen dankbar dafür. Das war schon ziemlich, ziemlich wirr. Gerade die Kritik des Bundesrechnungshofes jetzt hier als Pate zu nehmen, ist einfach völlig neben der Sache liegend. Wir haben im Ausschuss mehrfach die Bundesrechnungshofberichte der letzten Jahre vorgelegt bekommen und haben diese geprüft, auch der Minister hat in diversen Bund-Länder-Runden geprüft, ob die Mittel ordentlich verwendet worden sind, und immer kam raus: Ja. Deswegen ist das Quatsch, was Sie da erzählt haben. Ich glaube, Sie sollten diesen Spin nicht wieder und wieder und wieder wiederholen. Das wird sich nicht verfangen. Wir haben Vertrauen in die Bundesländer, in die Aufgabenträger. Die machen das ordentlich. ({1}) Wir sagen ganz klar: Mit dem vorliegenden Gesetz wollen wir diesen Teil der Daseinsvorsorge stärken: nämlich den ÖPNV, nämlich Bus und Bahn. Das Angebot muss gesichert werden. Eine Perspektive gehört aufgezeigt, und das ist gut und richtig. Heute Vormittag haben wir die Strompreisbremse beschlossen. Damit federn wir ein gutes Stück weit die gestiegenen Stromkosten auch im Bahnbereich ab und stützen so die klimafreundliche Mobilität. ({2}) Nun hat die Union angekündigt, diesen Gesetzentwurf abzulehnen, und das mit den Worten, das wäre zu wenig Geld; Herr Donth hat sogar von „nichts“ gesprochen. Das ist schon bemerkenswert. Erinnern wir uns kurz: Wir erhöhen heute nicht den Finanzierungspfad der Ampel, sondern wir erhöhen den Finanzierungspfad des CSU-Verkehrsministers der letzten Jahre. ({3}) Warum ist in den letzten Jahren nicht stärker von Ihnen aufgestockt worden? ({4}) Warum haben Sie denn hier keinen Gesetzentwurf vorgelegt? Eine verantwortungsvolle, nicht vergessliche Opposition sieht anders aus. ({5}) Ich mache es mal konkret: Wir erhöhen den Betrag um 1 Milliarde Euro; damit setzen wir übrigens den Koalitionsvertrag um. ({6}) Wir steigern die jährliche Dynamisierung um 3 Prozent; das ist fast eine Verdoppelung. Wir erhöhen die Mittel für den ÖPNV sogar rückwirkend wegen der gestiegenen Kosten. Das alles ist sinnvoll und richtig. Aber halten wir noch einmal fest: Bus und Bahn wurden trotz kontinuierlich steigender Fahrgastzahlen nicht so priorisiert und finanziert, wie es nötig gewesen wäre und wie es sich auch die Menschen wünschen; denn das hat uns allen doch der letzte Sommer gezeigt: Die Menschen wollen ({7}) mehr mit dem ÖPNV unterwegs sein. Machen wir uns doch ehrlich: Entscheidend für die Wahl des Verkehrsmittels ist, ja, die Güte der Verbindung, ja, die Qualität des Verkehrsmittels, und ja, die Sicherheit, aber eben auch der Preis. Das 9‑Euro-Ticket war ein Sommermärchen, das in Erinnerung bleiben wird, und das ist richtungsweisend. ({8}) Eines will ich zugestehen: Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass das System ÖPNV mit dem 9‑Euro-Ticket gestresst wurde. ({9}) Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verkehrsunternehmen haben bis zur Erschöpfung gearbeitet. Für diese Arbeit gebührt ihnen unser Dank; ich glaube, da sind wir uns alle einig. ({10}) Denn Mobilität fällt nicht vom Himmel, sie wird hart erarbeitet und hat einen immensen Wert. Die Überarbeitung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern muss künftig vermieden werden. ({11}) Das ist die Aufgabe auch beim künftigen Bundesticket, gemeinhin „49‑Euro-Ticket“ genannt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Stefan Gelbhaar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004726, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Damit komme ich zum Schluss. – Dieses bundesweit gültige Ticket finanzieren wir mit. Nicht minder wichtig ist es aber, in Bestand und Ausbau zu investieren. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bernd Riexinger hat das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Bernd Riexinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004865, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die große Chance, mit der Änderung des Regionalisierungsgesetzes einen wirklichen Sprung nach vorn zu machen für eine nachhaltige Mobilitätswende, haben Sie leider nicht ergriffen. 1 Milliarde Euro mehr plus eine 3-prozentige Dynamisierung reichen gerade einmal aus, um die gestiegenen Kosten zu decken, nicht aber für einen zügigen Ausbau des ÖPNV. Genau das hätte es jedoch gebraucht: Geld dafür, dass mehr Busse und Kleinbusse auf dem Land in deutlich kürzeren Taktzeiten fahren, ({0}) dass der ÖPNV eine attraktive und kostengünstige Alternative zum Individualverkehr wird, dass Arbeitsplätze bei der Bahn und den ÖPNV-Betrieben begehrt sind, weil Löhne und Arbeitsbedingungen stimmen. ({1}) Dann hätten Sie zu Recht Beifall bekommen von den vielen jungen Menschen, die für Klimagerechtigkeit auf die Straße gehen, und von Millionen Menschen, die das 9‑Euro-Ticket – wie der Bundeskanzler – für eine gute Idee gehalten haben. Für das, was Sie hier vorlegen, haben Sie keinen Beifall verdient. Das Umweltbundesamt sieht einen zusätzlichen Finanzbedarf von 11 bis 15 Milliarden Euro pro Jahr für den ÖPNV. Es reicht eben nicht aus, das zur Kenntnis zu nehmen; Sie müssen auch endlich in die Pötte kommen. ({2}) Der Bund muss bei den Regionalisierungsmitteln klotzen und darf nicht länger kleckern. Die Konzepte für eine nachhaltige Mobilitätswende liegen längst auf dem Tisch. Auf keinen Fall darf die Verkehrswende am Personalmangel scheitern. Das droht jedoch, wenn nicht schnellstens die Arbeitsbedingungen verbessert und die Löhne erhöht werden. ({3}) Es kann sogar passieren, dass es im nächsten Jahr zu Abbestellungen von Verkehren kommt, weil die bereitgestellten Mittel die gestiegenen Kosten nicht ausreichend abdecken. Das muss doch verhindert werden. ({4}) Wir bleiben dabei, dass das 49‑Euro-Ticket nur die zweitbeste Lösung ist. Der Anreiz zum Umsteigen wäre bei dem von uns geforderten 29‑Euro-Ticket bei Weitem größer gewesen. Auch hier wurde eine Chance verpasst. Was mich nachhaltig ärgert, ist, dass Sie keine soziale Komponente eingebaut haben. ({5}) – Genau. Ich habe das vorausschauend in mein Manuskript aufgenommen. ({6}) Der lapidare Hinweis, dass es die Länder ja machen können, ist wirklich mehr als ärgerlich. ({7}) Dass Sie Menschen ohne eigenes Einkommen keinen Nulltarif, nicht einmal einen reduzierten Fahrpreis zugestehen, ist einfach nur kleinkariert. ({8}) Wir werden Sie im Übrigen nicht in Ruhe lassen, solange da nicht nachgebessert wird. Wir werden heute der Änderung des Regionalisierungsgesetzes zustimmen, auch wenn es eben nur eine Verbesserung im Schneckentempo ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Bernd Riexinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004865, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Besinnliche Feiertage allen und einen guten Rutsch ins neue Jahr! Möge es auch verkehrspolitisch und klimapolitisch besser werden als das jetzige! Danke schön. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Trotz der guten Wünsche: Wir wollen heute nicht bis nach Mitternacht beraten. Wir sind so stolz, dass wir das verhindern können – bisher. Die Kollegin Anja Troff-Schaffarzyk hat jetzt das Wort. ({0})

Anja Troff-Schaffarzyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Menschen mobil sind, werden auch Ideen in Bewegung gesetzt. Menschen den Weg zum Arbeitsplatz, zum Einkaufen oder zum Arzt zu ermöglichen, ist nicht nur unsere Verpflichtung, es bringt uns allen auch großen Nutzen. Wir bekennen uns hier und heute ganz klar zum öffentlichen Nahverkehr in der Fläche und sichern ihn durch mehr Bezuschussung als jemals zuvor seitens des Bundes ab. ({0}) Warum Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, sich diesem Bekenntnis nicht anschließen können, ist mir ein Rätsel. Sie lassen damit die Länder und die Nutzerinnen und Nutzer des ÖPNV im Stich. ({1}) Gleichzeitig sage ich: Wir möchten natürlich auch noch mehr. Wir diskutieren bereits seit Jahren über einen besseren Nahverkehr, und immer wieder endet die Debatte beim Geld. Wir blockieren uns damit selbst. Drehen wir die Debatte doch endlich mal ins Konstruktive, mit mehr Willen zur Veränderung und mehr Mut, auch mal neue Wege einzuschlagen. ({2}) Wir brauchen endlich funktionierende Konzepte für den ländlichen Raum, ein stärkeres Denken in Mobilitätsketten, mit denen die alltäglichen Wege mit den verschiedensten öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden können, von Tür zu Tür quasi. ({3}) Das kann der Bus oder der Anrufbus sein, die Bahn, das Fahrrad, aber eben auch das eigene Auto. Diese Verkehrsmittel müssen wir an Mobilitätszentren sinnvoll miteinander verknüpfen, statt sie gegeneinander auszuspielen. ({4}) Was wir definitiv nicht brauchen, ist das gegenseitige Zuschieben von Verantwortung. Wir müssen hier alle an einem Strang ziehen. In mehr als der Hälfte der Länder ist der Bund bereits jetzt der Hauptfinanzierer des öffentlichen Nahverkehrs. Es geht nicht, dass der Eindruck erweckt wird, wir würden die Kommunen zu teuren Verkehrsleistungen zwingen, die sie gar nicht wollen. Das 9‑Euro-Ticket und das Deutschlandticket sind hervorragende Beispiele dafür, was passiert, wenn wir uns beim ÖPNV nicht im Klein-Klein verheddern. Ein Ticket, ein Preis, deutschlandweit gültig, einfache Regeln – und schon führen wir eine ganz andere Debatte, ({5}) weil wir sehen: Die Menschen wollen den ÖPNV, gut ausgebaut und verlässlich, sei es als Grundlage ihrer eigenen Mobilität oder eben als Ergänzung. Der nächste Schritt ist jetzt der Ausbau- und Modernisierungspakt. Die Länder haben für ihre Mitwirkung an diesem Pakt das Bekenntnis des Bundes zum ÖPNV zur Bedingung gemacht. Das geben wir heute mit aller Deutlichkeit ab. Als Nächstes wollen wir endlich zu einem gemeinsamen Leitbild für den ÖPNV kommen – mit Bund, Ländern und Kommunen. Der Mobilitätsbedarf der Bürgerinnen und Bürger macht nicht mehr an Stadt- und Ländergrenzen halt. Es gibt längst technische Konzepte, die eine bessere, flexiblere Mobilität ermöglichen. Lassen Sie uns diese neuen Ideen endlich in der Fläche auf den Weg bringen und durch diese Ideen dann auch die Menschen. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Henning Rehbaum ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Henning Rehbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005184, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns alle verbindet ja das große Ziel „mehr ÖPNV, mehr Fahrgäste in Bus und Bahn“. Ich habe mir die Reden von Minister Wissing, von Herrn Stein, von Herrn Gelbhaar angehört. Was ich in den Beiträgen der Ampel einfach vermisse, ist der Bus. Der Bus wird für 40 Prozent aller Fahrten im ÖPNV genutzt, der Bus macht die letzte Meile, da, wo keine Schienen sind in den Städten, zwischen den Dörfern, auf dem Land. Nun gibt es ein wichtiges Detail, das die Ampel leider permanent vergisst: Die Regionalisierungsmittel sind per Gesetz vornehmlich Mittel für den Schienenpersonennahverkehr, also für Regionalexpress und Regionalbahn – für den Bus bleibt meist nichts übrig. ({0}) Die gesamte Branche hat aber massiv gestiegene Kosten für den Betrieb zu schultern: Sprit, Fahrstrom, Personal, Elektrofahrzeuge. Unternehmen geben mittlerweile Aufträge zurück, Fahrpläne werden gestrichen. Leider gibt es erste Insolvenzen und Betriebsaufgaben. Auch im Hinblick auf diese Branche liegt Minister Habeck falsch: Ein Busunternehmen, das einmal aufgehört hat, fängt nicht wieder an. Betroffen sind alle Busunternehmen, im Auftragsverkehr wie im eigenwirtschaftlichen Verkehr, ({1}) selbst die Kommunalbetriebe in den Großstädten und auf dem Land, alle sind in der Kostenfalle. Um es klar zu sagen: Der Bus, der den Löwenanteil im ÖPNV ausmacht, bekommt mit diesem Gesetz trotz immenser Kostensteigerungen keine müde Mark zusätzlich vom Bund. Klimaschutz geht anders! ({2}) Von der Busbranche haben wir in der Anhörung am Montag gehört – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –: Mit jedem gefahrenen Kilometer geht es weiter ins Minus. – Der private Busmittelstand leidet, und von der Ampel kommt nichts. ({3}) Für die kommunalen Busbetriebe müssen die ehrenamtlichen Kommunalpolitiker in den Räten und Kreistagen die Hand für millionenschwere Kredite heben; die wird man brauchen, um die Extraverluste zu decken. Fazit: Die Ampel lässt sich für ein 49‑Euro-Ticket feiern, und im Maschinenraum des ÖPNV brennt der Baum. ({4}) Liebe SPD, hören Sie bitte auch auf die Gewerkschaften; die merken doch zu Recht an, dass Sie bei dem Gesetzentwurf die anstehende Lohnsteigerung schlicht vergessen haben – und das nach dem 9-Euro-Chaos, wo unzählige Busfahrer, Triebfahrzeugführer und vor allem die Zugbegleiter vom Stress krank geworden sind. Auch deshalb lehnen wir das Gesetz ab. Gerade nach diesem anstrengenden Jahr möchte ich für die Unionsfraktion allen Busfahrern, Zugbegleitern, Straßenbahn- und Triebfahrzeugführern Danke sagen – nicht die Ampel, sie sind die wahren Helden des ÖPNV. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Nyke Slawik das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Nyke Slawik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005224, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Werte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste und Zuschauer/-innen! Lieber Herr Donth, liebe Unionsfraktion, wenn Sie mir gestern genau zugehört hätten, wüssten Sie, dass ich gesagt habe: Das Geld wird nicht reichen für die Einhaltung der Klimaziele und für die Verdopplung der Fahrgastzahlen. Sie kritisieren, dass wir zu wenig Geld ausgeben würden, ({0}) aber gleichzeitig sagen Sie hier Nein zu 17 Milliarden Euro mehr – die auch die Länder, in denen Sie mitregieren, gefordert haben. Das versteht doch wirklich kein Mensch. ({1}) Sie fordern mehr Geld. Wir legen bis 2030 17 Milliarden Euro auf den Tisch, 1 Milliarde Euro jährlich mehr, und Sie sagen hier heute Nein. ({2}) Das passt einfach nicht zusammen. ({3}) Mehr Geld für Bus und Bahn, das ist das, worum es hier heute geht. Die Anpassung der Regionalisierungsmittel an die Inflation und an gestiegene Energiepreise von 1,8 auf 3 Prozent jährlich, 17 Milliarden Euro bis 2030, ich sagte es gerade, das ist ein Erfolg für den ÖPNV, für die Bahn, für den Schienenverkehr und für alle Menschen in unserem Land, die täglich mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind; diese Koalition macht es möglich. ({4}) Das ist der Auftakt unserer gemeinsamen Reise. Bis zur erfolgreichen Mobilitätswende haben wir noch einige Haltestellen abzufahren. Es ist klar – ich sagte es gerade –: Für die Erreichung unserer Klimaziele, für die Erhöhung der Fahrgastzahlen werden wir noch einige Fahrten zurücklegen müssen. Dass die Menschen Lust auf mehr ÖPNV haben, hat im Sommer das 9‑Euro-Ticket gezeigt. Wir müssen das Angebot ausbauen, dafür werden die heute bereitgestellten Mittel aber nicht ganz ausreichen. Wir sprachen schon über die Energiekrise. Viel des Geldes wird für die Sicherung des Bestandes benötigt. Wir sind jetzt mit den Ländern im Dialog, weil wir gemeinsam mit Ländern und Kommunen das Ziel erreichen wollen, die Fahrgastzahlen deutlich zu erhöhen. Das kann nur klappen, wenn nicht der Bund allein, sondern Bund, Länder und Kommunen gemeinsam in den nächsten Jahren den ÖPNV stärker finanziell unterstützen. ({5}) Die Bundesregierung hat diesen Prozess eingeleitet. ({6}) Ich freue mich aber erst mal, dass wir hier heute einen guten Anfang machen. Im nächsten Gesetz wird es um die Bereitstellung der finanziellen Mittel und die Ausgestaltung des Deutschlandtickets gehen. Mir wäre es ein wichtiges Anliegen, dass wir den Nachfolger des 9‑Euro-Tickets zu einem großen Erfolg machen. Das ist das, was die Menschen erwarten. ({7}) – Das kommt zum 1. April, konnten Sie ja nachlesen. Über die Ausgestaltung müssen wir noch reden, beispielsweise über die barrierefreie analoge Ticketoption zusätzlich zur digitalen, über die Mitnahme von Kindern und Jugendlichen auf dem Ticket und über Lösungen für Menschen, für die 49 Euro noch immer zu teuer sind. Darüber werden wir jetzt verhandeln. Die Menschen in diesem Land wollen einen besseren ÖPNV. Danke an die Bundesregierung, dass sie das jetzt auf den Weg bringt. Herzlichen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Ulrich Lange hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben einen begeisterten Minister gehört, ({0}) der sich für etwas feiern lässt und die Ministerpräsidentenkonferenz als kleinkariert bezeichnet hat. ({1}) Denn diese hat lediglich für 2023 eine Finanzierung dieses Tickets zugesagt. ({2}) Nicht mehr und nicht weniger als ein paar Monate 49‑Euro-Ticket, mehr gibt es bisher nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. 9‑Euro-Ticket, 49 Euro-Ticket und am Ende ein Mogelticket, weil es sich für 49 Euro nicht wird durchhalten lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ({3}) das ist heute schon klar. Die Preissteigerungen – der Kollege Rehbaum hat es angesprochen – sowohl bei den Bussen wie bei den Bahnen werden natürlich nicht abgebildet. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist teilweise schon eine schräge Debatte, die wir hier führen. Zuständig ist nicht der Bund, ja. Aber es sind keine Almosen, die der Bund den Ländern gibt. ({4}) Denn seit der Bahnreform ist für die Finanzierung des Schienenpersonennahverkehrs über die Regionalisierungsmittel der Bund zuständig. Da kann ich nur sagen: Kommen Sie dieser Zuständigkeit auch ausreichend nach, Herr Minister! ({5}) In den Regionalisierungsmitteln – für all die, die es nicht so genau vor Augen haben – sind auch Investitionen enthalten, Investitionen in barrierefreie Bahnhöfe, Investitionen in Bahnsteige, in rollendes Material. Ich frage, wie mit diesem Geld in all das investiert werden soll, in das investiert werden muss. Das geht nicht auf. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein kundenfreundliches Ticket allein ist keine Antwort, ein kundenfreundliches Ticket allein macht noch keinen ÖPNV, ein kundenfreundliches Ticket allein spaltet die Gesellschaft, ({6}) wenn es für die Metropolen und für das Land nicht in gleicher Weise einen Vorteil bringt. ({7}) Denn wir in den Kreistagen, denn wir in der kommunalen Verantwortung müssen dann sagen, welcher Bus abbestellt wird, welche Zugstrecke nicht mehr bedient wird, wenn die Mittel nicht ausreichen. ({8}) Nur 17 Prozent der Menschen im ländlichen Raum haben das 9‑Euro-Ticket gekauft, 66 Prozent würden es nie kaufen. Ja, warum kaufen sie es nicht? Weil das Angebot nicht da ist. Und mit 1 Milliarde Euro jährlich schaffen Sie auch kein Angebot, Sie verringern das Angebot, das heute da ist. ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Strategie dieser Regierung ist falsch. ÖPNV müsste bedeuten: erst Bestand sichern, dann ausbauen, dann ein gemeinsames Ticket einführen. ({10}) So wird ein Schuh daraus. Umgekehrt wird es eine Mogelpackung. Danke schön. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der nächste Redner ist Jan Plobner für die SPD-Fraktion. ({0})

Jan Plobner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Im Jahr 2021 sind an einem Stichtag im Sommer in Nürnberg 162 274 Menschen in die Stadt zum Arbeiten gependelt. Das sind rund 160 000 Menschen, die jeden Tag den Weg in und durch die Stadt auf sich nehmen, rund 160 000 Menschen, die meist aus dem ländlichen Raum kommen, viele aus meinem Wahlkreis. An diesem Stichtag im Juni des letzten Jahres war auch ich einer von diesen 162 274 Menschen, die beruflich in die Stadt gependelt sind. Zu der Zeit bin ich jeden Morgen in meiner Heimatstadt Altdorf in die S-Bahn gestiegen und am Abend aus Nürnberg zurück nach Altdorf gefahren. Als Standesbeamter war das für mich die mit Abstand gemütlichste Art, an den Schreibtisch zu kommen: eine 30-Minuten-Fahrt, kein Stehen im Stau, keine lästige und teure Parkplatzsuche in der Großstadt. ({0}) Dass ich auf meiner Pendelstrecke – zumindest meistens – entspannen konnte, lag vor allem an zwei Faktoren, die leider alles andere als selbstverständlich sind. Einerseits war es für mich im öffentlichen Dienst kein allzu großes Problem, für das Monatsticket stolze 128,40 Euro zu bezahlen; für viele Menschen ist das ein unfassbar hoher Betrag, der nur schwer zu stemmen ist. Andererseits hatte ich einen 20-Minuten-Takt. Auch dieses Privileg haben viele Menschen, die im ländlichen Raum leben und keinen oder nur stark veraltete Bahnanschlüsse ohne Elektrifizierung vor der Haustür haben, nicht. Als Bund erhöhen wir jetzt also die Regionalisierungsmittel, die die Länder bei der Finanzierung des ÖPNV massiv unterstützen. Wir haben es bereits gehört: Es sind 17,3 Milliarden Euro zusätzlich bis 2031. ({1}) Das ist verdammt viel Geld, das wir vor allem darin investieren, dass mein bequemer Arbeitsweg von der Ausnahme zur Regel wird. Das ist Geld, das die Realisierung des Deutschlandtickets unterstützt, das dafür sorgt, dass das Monatsticket nicht mehr 129 Euro kostet, sondern 49 Euro. Genauso unterstützen diese 17,3 Milliarden Euro den Ausbau der Schieneninfrastruktur. Auch dafür gibt es gute Beispiele, auch in meinem eigenen Wahlkreis. Im Norden gibt es bei mir die Franken-Sachsen-Magistrale: alte Dieselzüge statt S-Bahn-Takt. Das ist, wenn ich ehrlich bin, peinlich. ({2}) Wir haben drei CSU-Verkehrsminister gehabt, die null vorangekommen sind in diesem Bereich. Wir müssen das jetzt richten. ({3}) Die Elektrifizierung muss kommen, bei der Franken-Sachsen-Magistrale und an vielen anderen Stellen in diesem Land. Dass wir die Regionalisierungsmittel, aber auch andere Investitionen in die Schiene stark erhöhen, ({4}) macht genau das möglich. Markus Söder jammert, pünktlich zum Wahlkampf in Bayern, wie immer über zu wenig Geld. Die Union hätte hier die Chance, ihm einen Gefallen zu tun. Stimmen Sie diesem Gesetz doch zu! Er wird sich sicher bei Ihnen bedanken. ({5}) Denn die Erhöhung der Regionalisierungsmittel hat jede Menge konkrete Auswirkungen auf die Menschen in diesem Land, auf die 162 274 Menschen, die jeden Tag nach Nürnberg pendeln, und auf viele andere mehr. Auf dass sie sich alle irgendwann entscheiden können, mit der Bahn zu fahren! Vielen Dank. ({6})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor 59 Tagen hat die Bundesregierung die Breitbandförderung gestoppt. Seit 59 Tagen warten die Länder und Kommunen in Deutschland auf ein Signal, wie es weitergeht. ({0}) Sie warten, und sie warten, und sie warten. Wissen Sie, worauf sie warten, Herr Zimmermann? – Sie wissen es; Sie sagen es ja immer. – Sie warten auf die sogenannte Fortschrittskoalition, meine Damen und Herren. ({1}) Aber sie werden noch länger warten. Sie warten nämlich nicht nur auf Sie und Ihre schlauen Reden – dafür gibt es www.fdp.de –, sondern auch auf eine neue Förderrichtlinie. Wir laufen in die Situation, dass die Förderrichtlinie zu Silvester ausläuft. Jetzt hätten wir also eine Förderrichtlinie, aber es ist kein Geld da. Ab Januar gibt es Geld, aber keine Förderrichtlinie. Beides zusammen wäre gut, Herr Wissing. Wissen Sie, was die Bürgermeister beim Warten am meisten stört? ({2}) Am meisten stört sie, dass die Bundesregierung und Herr Wissing die Situation noch ständig schönreden. Ich zitiere aus dem „Spiegel“ dieser Woche: Wenn Förderprogramme so stark nachgefragt werden, dann ist das kein Problem, sondern ein gutes Zeichen. Nein, Herr Wissing, das ist kein gutes Zeichen, das ist schlechtes Handwerk. ({3}) Warum war denn die Nachfrage plötzlich so groß? Sie war so groß, weil Sie den Kommunen und Ländern gesagt haben: Bis zum 31. Dezember 2022 wird jeder gefördert; ab dem 1. Januar 2023 entscheidet ein Computerprogramm darüber, wer gefördert wird. ({4}) Ab dem 1. Januar entscheidet die sogenannte Potenzialanalyse. Das Programm gibt es noch gar nicht. Wir wissen auch noch nicht, wie es entscheidet – aber es wird in jedem Fall super. ({5}) Das Problem ist nur, dass Ihnen diese Geschichte niemand geglaubt hat. Natürlich haben alle versucht, in das alte Förderprogramm zu kommen. Hinzu kommt – das zum Thema „schlechtes Handwerk“ –, dass die Kommunen im alten Förderprogramm nicht nachweisen müssen, dass sie alle Fördervoraussetzungen erfüllen. Nur etwa zwei Drittel haben überhaupt ein Markterkundungsverfahren durchgeführt, bevor sie einen Antrag gestellt haben. Und hinzu kommt, dass das Programm so hohe Summen zulässt, dass es ganz schnell ausgebucht war. Das Geld wird aber gar nicht abfließen, weil einige Kommunen wieder rausfallen werden. Sie hätten locker durchsetzen können, dass die Mittel überzeichnet werden können, und hätten so den Förderstopp vermieden. Ich hätte mir aber gewünscht, dass der Digitalminister beim Finanzminister so stark für die Breitbandförderung kämpft, wie es zum Beispiel der Verkehrsminister getan hat, als es um die Nachfolge für das 9‑Euro-Ticket gegangen ist. Erinnern Sie sich noch daran, als Herr Wissing durchgesetzt hat, dass es ein Nachfolgemodell gibt? Da hat Herr Lindner ganz stolz und voller Anerkennung gepostet: #wissingwirkt. Bei der Breitbandförderung gab es überhaupt keinen Kampf, da gab es überhaupt keine Verhandlungen. ({6}) Wenn Herr Lindner da etwas gepostet hätte, dann hätte er gepostet: #wissingirrt. Er irrt an zwei Stellen: ({7}) erstens weil er glaubt, dass er und sein Computerprogramm besser wissen als die Bürgermeister, an welchen Stellen im Land eine Glasfaserförderung notwendig ist und an welchen nicht, und zweitens weil er glaubt, dass die Kommunen sich freiwillig wie die Wölfe auf seine Fördermittel stürzen werden. Das Gegenteil ist der Fall. Wir hatten jetzt ein kurzes Aufbäumen, ({8}) aber wir werden langfristig sehen: Die Kommunen werden nicht freiwillig in das Förderprogramm gehen, weil sie wissen, dass das einen riesigen Verwaltungsaufwand bedeutete, sie es kofinanzieren müssten und der Ausbau viel länger dauerte, als wenn dies ein Unternehmen machte. Deswegen mein Appell: Lassen Sie die Priorisierung auf Bundesebene! Lassen Sie die Bürgermeister, die Gemeinderäte entscheiden! Die wissen, was sie tun – besser jedenfalls als Sie. ({9}) Ich weiß, was gleich passiert: Die Ampelkollegen werden sich hier ans Rednerpult stellen, ({10}) werden beruhigen und werden verkünden, dass es bald eine neue Förderrichtlinie geben wird. ({11}) Wissen Sie was? Ich biete Ihnen eine Wette an. Wir haben jetzt Weihnachten. Wenn Sie es schaffen, bis Ostern eine neue Förderrichtlinie zu veröffentlichen, dann bringe ich jedem Mitglied Ihrer Arbeitsgruppe persönlich einen Osterhasen vorbei, erwarte aber andersrum das Gleiche für meine Leute. ({12}) Wir werden gleich sehen, wie groß das Vertrauen in die Bundesregierung bei Ihnen wirklich ist. ({13}) In diesem Sinne: Herzlichen Dank. Die SPD hat das Wort. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Johannes Schätzl hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Johannes Schätzl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005204, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Brandl, ich trete hier tatsächlich nicht ans Rednerpult, um zu beruhigen, sondern um ein paar Diskussionen der letzten Wochen einzuordnen; denn ich glaube, wir können uns in dieser politischen Diskussion einige Fragen stellen. Die erste Frage, oft von Ihnen zitiert, ist: Gibt es eigentlich einen Förderstopp? Ich glaube, die Antwort muss klar Nein lauten. Das Argument an dieser Stelle: Sie haben die Wortwahl selbst geändert. Deswegen würde ich die erste Frage verneinen. Die zweite Frage: Haben wir einen Antragsstopp, und was bewirkt er? Ich glaube, da müssen wir mit Ja antworten. Die Auswirkungen sind klar – Sie haben das beschrieben –: Wir können in diesem Jahr wegen überzeichneter Mittel keine Anträge mehr annehmen. Die entscheidende Frage an dieser Stelle aber ist die Kombination der beiden Fragen: Bewirkt der aktuelle Antragsstopp, dass wir im Bereich Glasfaserausbau in diesem Land zurückfallen? Das ist genau das, was Sie mit diesem Antrag bezwecken. Sie betreiben diese Diskussion seit Wochen. ({0}) Sie werfen uns in diesem Antrag vor, dass wir die Kommunen verunsichern. An dieser Stelle, glaube ich, sind Sie es doch, die mit dieser Diskussion die Kommunen und die Länder aktuell verunsichern. ({1}) Aber kommen wir zurück zur Frage: Gibt es Verzögerungen beim Breitbandausbau? Ich glaube, wenn wir hierüber fachlich diskutieren würden, wären wir relativ schnell einer Meinung. Es gibt gute Argumente, diese Frage mit Nein zu beantworten. Das erste Argument ist, dass nur 13 Prozent des Ausbaus aktuell überhaupt gefördert werden. 87 Prozent des Ausbaus sind davon vollkommen unberührt, weil eigenwirtschaftlich betrieben. ({2}) Das zweite Argument ist, dass wir, wenn wir über Förderung sprechen, 10 Milliarden Euro gebundene Mittel in unserem Haushalt haben, die es erst mal unter die Straße zu bekommen gilt. Der Ansatz muss sein, das jetzt zu beschleunigen. ({3}) Eine wichtige Frage war, ob wir – Sie nannten es so – die Grundlage der Digitalisierung bremsen. Das hier wohl wichtigste Argument zeigt sich durch einen Blick in den Haushalt. Wir haben für dieses Jahr 3,1 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt; das ist eine Rekordinvestition. Was machen wir im nächsten Jahr? Wir legen noch mal 1 Milliarde Euro on top. ({4}) 4,1 Milliarden Euro sind im Schnitt doppelt so viel, wie durch das Graue-Flecken-Programm in den letzten Jahren ausgezahlt wurde. ({5}) An dieser Stelle noch eine weitere Frage. Wir müssen natürlich beleuchten, warum wir uns in dieser Situation befinden. Warum hinken wir weit hinter anderen Ländern im Bereich Glasfaserausbau zurück? Ganz ehrlich: Ich glaube, die Frage können Sie mit Fachkompetenz in der eigenen Fraktion beantworten. ({6}) Werfen wir gemeinsam noch einen Blick in die Zukunft. Ich gebe Ihnen in einem Punkt Ihres Antrags recht: Ja, wir brauchen jetzt schnell eine Förderrichtlinie. Wir nehmen den Minister an dieser Stelle beim Wort. ({7}) Wir wollen daran mitarbeiten. Vielleicht noch ein Satz, weil Sie hier ja bewusst Angst schüren: Wir wollen keine verbindliche Potenzialanalyse, und über Anträge wird nicht vom PC entschieden. Wir vertrauen unseren Kommunen, der Minister vertraut unseren Kommunen. Deswegen laden wir sie natürlich ein, mit uns eine neue Förderrichtlinie zu diskutieren. ({8}) Diese Koalition will schnell eine Förderrichtlinie. Wir stehen zu unserem Wort im Koalitionsvertrag. Wir werden unsere Ziele einhalten: Bis zum Ende dieser Wahlperiode haben 50 Prozent der Haushalte Glasfaseranschlüsse. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Barbara Lenk spricht für die AfD-Fraktion. ({0})

Barbara Lenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005126, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kollegen! Immer wenn die Unionsfraktion einen Antrag zur Digitalisierung stellt, fordert sie Maßnahmen, die sie in den vergangenen 16 Jahren eigentlich selbst hätte umsetzen können. ({0}) Ich erinnere an die Formulierung von Frau Merkel, mit welcher sie das Internet als „Neuland“ identifiziert hat. Der damals schon dringenden Einrichtung eines Digitalministeriums wurde unter ihrer Regierung keine Priorität zugesprochen. ({1}) Wahrscheinlich wird Ihnen aus den Reihen dieses Hauses niemand widersprechen, wenn Sie in Ihrem Antrag festhalten, dass die Grundlage einer jeden Digitalisierung ein flächendeckend zur Verfügung stehendes, schnelles Internet ist. Meine Damen und Herren, dass eine solche Feststellung Ende des Jahres 2022 überhaupt wiederholt werden muss, beschämt doch jene Regierung, die es seit 16 Jahren versäumt hat, die entsprechende Infrastruktur zu schaffen. ({2}) Dabei sollte es Sie doch erfreuen, dass die Unternehmen aus der Informations- und Kommunikationstechnologie in Deutschland für den Ausbau des Glasfasernetzes 50 Milliarden Euro bereitstellen wollen. Dass Sie nun den Entwurf einer neuen Breitbandförderrichtlinie fordern, geht am Kern des Problems vorbei. Natürlich war es den Kommunen schwer vermittelbar, dass für 2022 seitens der Bundesregierung ein Antragsstopp des Graue-Flecken-Programms verhängt wurde. Vermutlich ist der sogenannte Antragstsunami dann doch noch eingetroffen. Sehr verehrte Damen und Herren, um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Das spricht für den eklatanten Nachholbedarf unseres Landes beim Ausbau der digitalen Infrastruktur. ({3}) Dessen ungeachtet liegen die Richtlinien zum Ausbau des Glasfasernetzes doch bereits vor; sie müssen nur konsequent angewendet werden. Ihre Idee einer neuen Förderrichtlinie ist nichts weiter als ein Bürokratiebeschaffungsprogramm. Aus meinem Wahlkreis Meißen kann ich berichten, dass das Bundesministerium für Digitales und Verkehr den Gigabit-Ausbau bei uns mit rund 51 Millionen Euro unterstützen wird. Das freut die Bewohner vor Ort und mich natürlich sehr. Hier profitiert der ländliche Raum nun tatsächlich vom Breitbandausbau. Ich bedauere jedoch, dass das Tempo beim Ausbau nicht schneller wird. Wenn Sie die Dimension des Problems verstanden hätten, dann hätten Sie sich zusammen mit unserer Fraktion für die unverzügliche Bereitstellung eines Digitalbudgets starkmachen können. ({4}) Die Ampelkoalition hatte dieses im Koalitionsvertrag ja vollmundig angekündigt, um es dann in den Untiefen zwischen Kanzleramt und Ministerien wieder verschwinden zu lassen. Mit Ihren so wohlfeilen wie harmlosen Forderungen gießen Sie bloß alten Wein in neue Schläuche. Wir hingegen fordern schon seit geraumer Zeit die Bündelung aller digitalpolitischen Kompetenzen, Konzepte und Maßnahmen in einem Digitalministerium. Dies ist der zielführende Weg, sehr verehrte Damen und Herren. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Tabea Rößner hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Am Ende des Jahres ist ja bei allen so ein bisschen die Luft raus, aber ganz ehrlich: Diese Debatte könnten wir uns gut ersparen, nicht nur, weil wir erst vor einigen Wochen genau dasselbe Thema debattiert haben, sondern auch, weil Sie, liebe Union, mit Ihrem Antrag den Entwicklungen hinterherhinken. ({0}) Bei alledem sind wir doch längst dran. Die Dynamik im Ausbau ist so hoch wie nie zuvor, allein in diesem Jahr mit insgesamt über 3 Milliarden Euro – Johannes Schätzl hat es gesagt – an Fördermitteln. Endlich nimmt der Glasfaserausbau an Fahrt auf, und das ist auch bitter nötig. ({1}) Dass am Ende des Jahres der Fördertopf leer ist, sollte eigentlich selbstverständlich sein. Es ist ein gutes Zeichen, wenn Gelder abgerufen werden; dann funktioniert die Förderung nämlich. Natürlich ist es bitter, wenn es zu Verzögerungen kommt, gerade bei denen, die schon alles vorbereitet haben und noch in diesem Jahr ihre Anträge einreichen wollten. Hier arbeiten wir an Lösungen, übrigens mit den Ländern zusammen. Gestern und heute fand ein Bund-Länder-Workshop statt, um genau das zu tun, was Sie fordern, nämlich die dringlichen Fragen der zukünftigen Förderung gemeinsam anzugehen und – richtig – eine neue Förderrichtlinie auf den Weg zu bringen, die ähnlich gut funktioniert. Daher ist Ihr Antrag völlig überflüssig. Aber gehen wir Ihren Antrag einmal durch. Eine neue Förderrichtlinie wird gerade erarbeitet. Haken dran! Ja, die Ergebnisse der Potenzialanalyse werden eine Rolle spielen, und nein, wir schludern da nicht. Sie müssen auch geeignet und genau sein. Deshalb wurde das ja auch noch einmal überarbeitet. Förderanträge können vielfach schon digital gestellt werden; da gehen die Länder voran. Auch hier: Haken dran! Beim Markterkundungsverfahren arbeiten wir mit Hochdruck daran, wie wir bereits abgeschlossene Verfahren berücksichtigen können. Im Haushalt haben wir mit 1 Milliarde Euro zusätzlich bereits mehr Geld bereitgestellt, übrigens mehr als Sie früher je zuvor. Also auch hier: Haken dran! ({2}) Beim letzten Punkt haben Sie was verwechselt. Zu den Mehrpersonenhaushalten soll die Bundesnetzagentur dem Digitalausschuss eine Studie vorlegen. Da geht es um die Mindestversorgung, also etwas ganz anderes als die Förderung des Gigabit-Ausbaus. Ihr Antrag ist also bereits erledigt. Wir haben sogar noch mehr geschafft als Sie in den vergangenen Jahren. Die Normierung für alternative Verlegemethoden ist fast abgeschlossen. Auch hier kann ein Haken dran. Insgesamt bleibt von Ihrem Antrag also nicht mehr als heiße Luft. Vielleicht nutzen Sie die Weihnachtspause, um sich mal schlau zu machen, was schon alles läuft. Für sinnvolle Fragen und Anregungen treffen wir uns gerne im neuen Jahr wieder, und zu Ostern freue ich mich dann auf den Osterhasen. ({3}) Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Kollegin Dr. Petra Sitte hat das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem die CDU/CSU jahrelang den Breitbandausbau verschleppt hat, wirft sie nun mit Wortgewalt der Ampel das gleiche Versagen vor. Allerdings – das stimmt schon – hat auch Volker Wissing Riesenprobleme beim Breitbandausbau, und das vor allem, weil er vieles genauso macht wie seine Vorgänger. Auch dieser Minister setzt vor allem auf den Markt. Dabei wissen wir doch längst, dass der Markt bei der Daseinsvorsorge versagt. Aber es geht eben um nichts Geringeres als um Teilhabe an der digitalen Gesellschaft, und das ist Daseinsvorsorge. ({0}) Für diese Erkenntnis – das zeigt der Antrag der Union; ich habe mir die Augen gerieben – haben Sie immerhin 16 Jahre gebraucht. Doll! Zurück zu Herrn Wissing. Wenn es wirklich um den schnellstmöglichen Breitbandausbau ginge, dann würde er Glasfaser nicht doppelt oder dreifach verlegen lassen, sondern genau das verbieten. So könnten Tiefbaukapazitäten zum Beispiel für den Ausbau im ländlichen Raum freigesetzt werden. Diese Ressourcenverschwendung haben auch Sachverständige in der Anhörung im Digitalausschuss kritisiert. Schnelles Netz braucht auch die Uckermark, würde meine erkrankte Kollegin Anke Domscheit-Berg jetzt sagen. ({1}) Leider hat die Ampelregierung ein Umsetzungsproblem und oftmals nicht mal einen Plan. Wie kann es sein – das müssen Sie sich fragen lassen –, dass Volker Wissing vom Jahresende so überrascht ist wie der Räumdienst vom Schnee im Winter? Warum findet der Workshop mit den Ländern zu den neuen Breitbandförderrichtlinien erst im Dezember und nicht Monate früher statt? Wenn Herr Wissing sich sorgt, dass der geförderte Ausbau die Wirtschaft benachteiligen könnte, dann drängt sich an der Stelle schon der Gedanke auf, dass die monatelange Unterbrechung der Förderinstrumente für ihn gar kein Problem, sondern durchaus gewünscht und ein Weihnachtsgeschenk an die Telekomindustrie ist. Mithin steht ja auch in der Gigabit-Strategie, dass die Breitbandförderung gebremst und gestoppt werden könnte, und zwar dann, wenn sich zeigt, dass die Bevölkerung in Deutschland schon vor 2030 Gigabit-Anschlüsse erhalten könnte. Das ist schon einigermaßen widersinnig. Eine solche Strategie verhindert schlicht den Breitbandausbau in ländlichen Regionen, und das kritisieren wir scharf. ({2}) Wir fordern: Beschleunigen Sie den Ausbau! Weg mit künstlichen Bremsen! Stoppen Sie den Fehleinsatz von Ressourcen durch den sofortigen Stopp des Überbaus! Digitale Teilhabe braucht es nämlich nicht nur in Köln, sondern auch in den „unendlichen Weiten“ Brandenburgs. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Maximilian Funke-Kaiser ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion. ({0})

Maximilian Funke-Kaiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005058, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Alle Jahre wieder“, heißt es ja so schön zur Weihnachtszeit, besinnlich, ruhig, gemütlich. „Alle Jahre wieder“ hieß es auch die letzten 16 Jahre unter Unionsführung, wenn es um die mangelnde Digitalisierung, den mangelnden Reformwillen und Fortschritt für unser Land ging. Alle Jahre wieder ist da nichts vorangegangen, alle Jahre wieder musste man feststellten, dass lieber auf Altbewährtes gesetzt worden ist, auf alte Geschäftsmodelle. Alle Jahre wieder setzt man lieber auf „Weiter so!“, keine Modernisierungsagenda – alle Jahre wieder schön besinnlich, ruhig und gemütlich eben. Heute muss es zudem heißen: alle paar Wochen wieder; denn alle paar Wochen wieder will uns die Union etwas vormachen und kaschieren, was sie all die Jahre nicht gebacken bekommen hat. Alle paar Wochen wieder sucht sie verkrampft nach einem Zuckerstangerl, um damit irgendwie Aufmerksamkeit zu bekommen. ({0}) Und da wären wir schon wieder bei „Alle Jahre wieder“; denn geht die Union auf Rutschpartie, gibt es alle Jahre wieder das nächste Zuckerstangerl obendrauf, also mehr Geld, mehr Fördermittel, und dann passt das schon alles irgendwie. ({1}) Alle paar Wochen erklären wir wieder das Gleiche: Dieser Politikstil war falsch und wird auch immer falsch bleiben. Es geht nicht nur darum, immer mehr Geld zu verteilen. ({2}) Es geht um was anderes. Es geht um die Abkehr von der Politik der schnellen „Irgendwie gemacht“-Erfolgsmeldung. Was wir brauchen, ({3}) ist ein langfristiger, ein nachhaltiger Erfolg für unser Land, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Und alle paar Wochen wieder weiß die Union vermeintlich besser, wie es in unserem Land vorwärtsginge. Alle paar Wochen wieder stellen wir fest, dass sie es eben nicht besser weiß. Alle paar Wochen wieder betonen wir, dass es für wirklichen Fortschritt eine gute Zusammenarbeit benötigt. ({5}) By the way: Das gilt nicht nur für die Union im Hohen Haus, das gilt auch für die eine oder andere Landesregierung. ({6}) Die einen wollen immer mehr Vorschriften für den Lebensstil anderer machen – fleißige Menschen mit gutem Einkommen sind ja stets böse Kapitalisten –, noch mehr Verschuldung für künftige Generationen hinterlassen ({7}) und mit Degrowth alle sozialen Ziele erreichen. Das kann man machen; das ist und bleibt aber falsch. Die anderen wollen immer noch nicht wahrhaben, dass sie selbst lange Zeit strukturelle Reformen verweigert haben. Sie haben immer noch nicht verstanden, dass die fetten Jahre vorbei sind und es in den kommenden Jahren darum gehen wird, dass wir künftigen Wohlstand schaffen. ({8}) Es braucht jetzt Reformen, es braucht Fachkräfte, es braucht Effizienz. Vor allem aber braucht es ({9}) Digitalisierung. Das wollen offensichtlich die einen oder anderen Kollegen hier nicht wahrhaben. Das kann man machen; aber auch das ist und bleibt falsch. Liebe Kolleginnen und Kollegen, „alle Jahre wieder“ ist auch hier noch mal passend; denn alle Jahre wieder wird es nötig, zu betonen, dass die Art und Weise, Politik zu machen, wie es die Union die letzten 16 Jahre par excellence betrieben hat, uns keinen Fortschritt bringen wird, ({10}) keinen neuen Wohlstand, keinen sozialen Aufschwung und nichts für das Klima. Unsere Zukunft ist digital. Unser Wohlstand wird im Digitalen begründet sein. Unser Standort wird abhängig sein von guter digitaler Infrastruktur und guten Rahmenbedingungen für Wachstum durch Innovation. Jetzt geht es an die Umsetzung. Weniger lamentieren, mehr machen, liebe Union. Lernen wir aus den Fehlern der vergangenen 16 Jahre, und gehen wir einen neuen Weg! Ich lade Sie dazu ein, dass wir diesen neuen Weg gemeinsam gehen. Seien wir gemeinsam besser als das, was in den letzten Jahren über die Politik in Deutschland so oft gesagt und geschrieben wurde! Ich kann Ihnen sagen: Die Digitalstrategie und die Gigabit-Strategie gehen genau diesen neuen Weg des Politikmachens. Sie geben diesen neuen Politikstil vor. Gute Arbeit wurde dafür geleistet. ({11}) Zum Breitbandausbau und zum angeblichen Förderstopp verweise ich im Großen und Ganzen auf meine Rede vom 21. Oktober hier im Hohen Haus. ({12}) In aller Kürze: Noch nie gab es eine höhere Dynamik des Breitbandausbaus als in diesem Jahr. Das ist ein Erfolg der Ampelregierung. Der Grundstein war die Gigabit-Strategie. ({13}) Es gibt im Jahr 2023 weitere Mittel gegen die Überzeichnung. Es gibt eine neue Förderrichtlinie – ja, die wird kommen, wenn Sie sich nicht dagegenstellen werden, liebe Union; ({14}) gerade Sie blockieren das aktuell, vor allem auf Landesebene –, damit wir ab sofort eine gezielte, eine priorisierte staatliche Förderung bekommen, damit wir vom unkollegialen Windhundverfahren wegkommen. Es wird von Ihnen immer verschwiegen, dass es ein Land war, das ein Drittel der Fördersumme abgerufen hat. ({15}) Das finde ich unfair, vor allem gegenüber anderen Bundesländern, liebe Union. ({16}) Wir beflügeln den eigenwirtschaftlichen Ausbau, der – das wurde schon gesagt – 90 Prozent des Gigabit-Ausbaus in Deutschland ausmacht. Entweder Sie verschweigen das, oder Sie wissen das nicht. Beides ist genau gleich schlimm. Mit dem, was in Ihrem Antrag steht, verkaufen Sie die Menschen draußen alle für dumm. Das ist schäbig, sage ich Ihnen. ({17})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Maximilian Funke-Kaiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005058, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir beschleunigen die Planungs- und Genehmigungsverfahren. Wir normieren die Verlegemethoden. All das gibt es mit der Digitalpolitik der Freien Demokraten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Maximilian Funke-Kaiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005058, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Eine bloße Wiederholung nach dem Motto „Alle Wochen wieder“ bringt uns nicht voran, die Umsetzung des Angesprochenen schon.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege. ({0})

Maximilian Funke-Kaiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005058, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das machen wir alles innerhalb eines Jahres und nicht wie Sie, die es in 16 Jahren nicht hinbekommen haben. In diesem Sinne: Frohe Weihnachten und herzlichen Dank! ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nicolas Zippelius hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Nicolas Zippelius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005266, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Funke-Kaiser, Sie sollten sich bei der Wortwahl ein bisschen zügeln, wenn Sie hier von „schäbig“ sprechen. Sie können ja mal überlegen, welches Bild es abgibt, dass der Verkehrsminister in der Verkehrsdebatte anwesend war und der Digitalminister in der Digitaldebatte rechtzeitig den Raum verlässt. ({0}) Es passt dazu. Wir haben keinen Digitalminister. ({1}) Wenn Herr Schätzl sagt, dass es keinen Förderstopp gebe, dann langt man sich an den Kopf. Ich zitiere den Landkreistag Baden-Württemberg: Durch den völlig unerwarteten #Förderstopp im Oktober konnten unzählige Anträge, in denen teils monatelange Vorbereitungen stecken, nicht mehr eingereicht werden und drohen nun zu verfallen. Oder: Dass es zu einer solchen Situation kommen konnte, ist für uns, also den Landkreistag Baden-Württemberg, nach wie vor unverständlich. Das gilt umso mehr, als uns noch wenige Wochen vor dem Förderstopp unmissverständliche Aussagen aus dem BMDV erreicht haben, dass für 2022 noch Mittel in ausreichender Höhe zur Verfügung stünden. ({2}) – So ist es. – Von unserer Seite bleibt zu sagen: Was für ein fatales Signal für den ländlichen Raum! Was für ein herber Rückschlag für die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse. Was für eine Arroganz gegenüber unseren kommunalen Partnern! ({3}) Es reicht auch nicht, auf parlamentarischer Ebene bei der Argumentation stehen zu bleiben, dass die frühzeitige Ausschöpfung der Fördermittel einen abschließenden Erfolg an sich darstellt; denn unter verantwortungsvollem Regierungshandeln – zumindest der Herr Staatssekretär ist anwesend – ({4}) versteht es sich auch, einen Schritt weiter zu gehen und umgehend Planungssicherheit sowie klare Bedingungen für Städte und Gemeinden zu schaffen. Es hätte überhaupt nicht zu einem Antragsstopp oder der jetzigen Förderlücke kommen müssen. Der Kollege Reinhard Brandl hat schon erwähnt: Im Etat des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr befanden sich Ausgabenreste im Rahmen des Bundeshaushaltes 2022. Die hätte man bei einem rechtzeitigen Bemerken der Überzeichnung des Förderprogramms teilweise für den Breitbandausbau flexibilisieren und somit den Förderstopp verhindern können. Das sah auch der Maßgabebeschluss unserer Fraktion vor. ({5}) Aber nein, vonseiten der Ampelfraktionen wurde das abgelehnt. ({6}) Es wäre auch möglich gewesen, eine Bescheidung der neuen Anträge ab dem 1. Januar 2023 vorzunehmen. ({7}) Tatsache ist, dass der plötzliche Förderstopp bei den Landkreisen, bei den Gemeinden und Städtetagen auf massives Unverständnis gestoßen ist, und das vollkommen zu Recht. ({8}) Ich stehe hier auch als Gemeinderat meiner Heimatgemeinde Weingarten in Baden und als Mitglied des Kreistages im Landkreis Karlsruhe. Mein Heimatbundesland Baden-Württemberg gehört zu den Bundesländern, die vom Förderstopp und vor allem von der sich nun auftuenden Förderlücke im Bereich des Breitbandausbaus besonders schwer betroffen sind. Jetzt hören Sie am besten zu. Zur Einordnung: Aktuell konnten mindestens 289 betroffene Gemeinden aus baden-württembergischen Landkreisen ({9}) aufgrund des Förderstopps der Bundesregierung keine Anträge für den Breitbandausbau mehr einreichen. ({10}) Ein weiterer Punkt, den es dabei zu beachten gilt: Bei einem weit überwiegenden Anteil der Anträge wurde ein Markterkundungsverfahren vor dem Förderstopp mindestens begonnen. In vielen Fällen war dies bereits abgeschlossen. ({11}) Es sind jetzt schon 289 Gemeinden, die nun warten müssen, bis eine neue Förderrichtlinie vom Bund in Kraft tritt, die in dieser Zeit keine Anträge stellen können, ({12}) die in dieser Zeit nicht wissen, ob ihre schon im Voraus durchgeführte Planung und Antragsvorbereitung dann den Förderkriterien einer neuen Förderrichtlinie entsprechen werden. Das ist umso bitterer, weil wir doch wissen, dass unsere Kommunen im Moment alles schultern müssen. Aber das ist Ihnen egal, ({13}) weil die Ampel keinerlei kommunale Kompetenz besitzt. ({14}) Fakt ist: Durch Ihr zögerliches Handeln hat sich eine Förderlücke aufgetan. Zwischen dem Förderstopp am 17. Oktober 2022 und dem etwaigen Inkrafttreten einer neuen Förderrichtlinie für den Breitbandausbau, ({15}) eventuell zum Ende des ersten Quartals 2023, liegen fast sechs Monate. ({16}) Eines hat Ihr Verhalten in dieser Debatte und gerade von Ihnen sehr deutlich gezeigt: Sie haben wirklich jeden Anspruch verwirkt, auch nur in irgendeiner Weise Vertreter und Hilfeleister unserer Kommunen zu sein. Herzlichen Dank. ({17})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Parsa Marvi hatte das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Parsa Marvi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005143, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von Weihnachten und Ostern haben wir in dieser Debatte schon viel gehört. Ich will es mal eine Etage drunter probieren und gerne noch einmal die Wahrheit nennen, die wir alle kennen. Deutschland belegt beim aktuellen Digitalranking der EU nur Platz 13 von 27. Diese Wahrheit ist weder neu noch überraschend. Sie ist das Produkt vieler Jahre mangelnder Priorisierung dieses ganz zentralen Themas. Hinter dieser Wahrheit versteckt sich nicht der Osterhase, sondern ganz viel CSU ({0}) und ganz viel CSU-Verantwortung an entscheidender Stelle. ({1}) Digitales Mittelmaß war und ist quasi ein Markenkern der CSU in Deutschland. ({2}) Wir alle haben eine gemeinsame Verantwortung für das Thema digitale Infrastruktur: Sie als Union, die Sie die Chance im Ministerium hatten, und wir als Ampel jetzt in der Verantwortung. Wir stehen dazu, wie wir beim Digitalgipfel der Bundesregierung immer wieder betont haben: Wir müssen raus aus dem digitalen Mittelmaß. Natürlich: Wir müssen in den kommenden Jahren die digitale Zeitenwende schaffen. ({3}) Genau deswegen haben wir das Thema Digitalstrategie zu einem Leitmotiv unseres Koalitionsvertrags gemacht. Genau deshalb drehen wir jetzt mit der Gigabit-Strategie, mit dem Gigabit-Grundbuch, mit dem Aufbau eines Dateninstituts, mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen an vielen wichtigen entscheidenden Stellschrauben, um eine Trendwende für die Digitalisierung zu erreichen. ({4}) Dafür braucht man einen langen Atem in einem föderalen Staat, wie Sie gut wissen, mit einer komplexen Administration und eine gemeinsame nationale Kraftanstrengung aller Ebenen, zum Beispiel, indem wir Rahmenbedingungen verbessern und dann vor Ort für Akzeptanz werben, zum Beispiel für alternative Verlegemethoden, die beim Glasfaserausbau die richtige Balance zwischen Langlebigkeit, Störsicherheit und Ausbaugeschwindigkeit finden. Da können wir alle mithelfen, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch Sie von der Union. ({5}) Noch einmal, weil hier immer wieder die Fakten verdreht werden: Wir messen uns sehr, sehr gerne an den Taten und können sehr selbstbewusst in den frisch verabschiedeten Bundeshaushalt schauen: Mit einer Förderung von erst 3,2 Milliarden Euro und jetzt dank des Sondervermögens „Digitale Infrastruktur“ 4,2 Milliarden Euro haben wir so viel Geld für den Glasfaserausbau zur Verfügung gestellt wie noch in keinem Haushalt zuvor. Das ist Rekord, meine Damen und Herren. ({6}) Beim Stichwort „Förderstopp“ will ich nicht auf meine Rede vom 21. Oktober verweisen, die ich nie gehalten habe, sondern auf das, was viele Kolleginnen und Kollegen vorher gesagt haben: Es gab und gibt keinen Förderstopp in Deutschland. Es ist genau richtig, dass wir als Ampel jetzt mit dem Erfahrungswissen der letzten Monate, mit der gebotenen Qualität zügig eine neue Förderrichtlinie vorstellen und auf den Weg bringen werden, die noch besser sein wird als die bestehende und die sich noch genauer am Bedarf der Kommunen und der Regionen orientieren wird. Das BMDV – da bin ich mir ganz sicher – wird liefern und sich an genau diesem Anspruch messen lassen. Vielen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Maik Außendorf hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Maik Außendorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005012, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit fast 40 Jahren belastet uns das Erbe des damaligen Postministers Christian Schwarz-Schilling und seine Entscheidung, bei Kabeln einem überholten Übertragungsmedium, Kupfer, Vorrang vor Glasfaser zu geben. Vor allem aber wurde das Kabelfernsehen eingeführt, und es wurden Koaxialkabel und nicht Glasfaserkabel verlegt. Kleine Seitenbemerkung: Profitiert davon hat vor allem die Firma seiner Ehefrau. Auch das scheint ein Muster zu sein, das sich durch die Jahrzehnte zieht. Darüber hinaus haben Sie es in den vergangenen Jahren auch nicht annähernd geschafft, sich dieses Erbes zu entledigen. Jahrelang ist beim Ausbau nichts vorangegangen. Und nun kommt Herr Brandl und sagt hier in diesem Haus – ich zitiere Sie wörtlich –: Die Bundesregierung hat die Breitbandförderung gestoppt. ({0}) Das ist in mehrfacher Hinsicht Quatsch. Das ist wirklich Quatsch. ({1}) Worüber reden wir denn hier? Wir reden hier über ein kleines Programm – eines von vielen –; da geht es um die grauen Flecken. Man muss auch mal erklären, was das ist: Das sind die Gebiete, die schon mit Anschlüssen im Bereich zwischen 30 und 100 Mbit/s versorgt sind. Klar, da müssen irgendwann noch Glasfaserkabel verlegt werden. Aber das ist vielleicht auch nicht das, was jetzt am allerdringendsten ist. Das Letzte, was wir brauchen, ist die Skandalisierung eines Vorgangs, nämlich dass der Fördertopf seit Oktober leer ist, Herr Brandl. Das brauchen wir wirklich nicht. ({2}) Wir haben hierüber schon mal diskutiert. Ich könnte jetzt eigentlich auch wie Herr Parvi auf meine Rede vom Oktober verweisen, aber ich spreche lieber noch ein paar andere Sachen an, die wichtig sind. Wir haben nämlich als Ampel sehr schnell reagiert. In der Zwischenzeit fanden ja auch Haushaltsverhandlungen statt, und wir haben es geschafft, innerhalb von kürzester Zeit 1 Milliarde Euro für den Breitbandausbau obendrauf zu legen. ({3}) Außerdem haben wir uns in der Ampel mit einer Gigabit-Strategie auf den Weg gemacht und Maßnahmen entwickelt, die es den Kommunen leichter machen, Breitband auszubauen: Wir haben die DIN-Normierung vorangebracht, es gibt Musterverträge, es gibt digitalisierte Antragstellungs- und Genehmigungsverfahren, und durch intelligente Clusterbildung können auch kleinere Kommunen vom geförderten Ausbau besser profitieren. Zur Förderrichtlinie. Es ist klar – Frau Rößner hat es auch schon ausgeführt –: Selbstverständlich arbeitet das Ministerium an einer neuen Förderrichtlinie. Viele Punkte sind schon abgearbeitet. Das kommt. ({4}) Ich muss aber noch eines sagen, weil Sie es hier so darstellen, als wäre die Welt am 17. Oktober untergegangen: Die Arbeit geht ja trotzdem weiter. Es ist ja nicht so, dass die Arbeiter alle ihre Schaufel fallen lassen, sondern das Problem ist, dass es enge Produktionskapazitäten, enge Tiefbaukapazitäten gibt. Die Arbeit geht aber weiter. Es gibt vielleicht einen Verzug. Das ist ärgerlich für die Kommunen, aber es ist nicht so schlimm, wie Sie es hier darstellen. Jetzt möchte ich noch auf einen anderen Punkt eingehen. Wir müssen uns nämlich auch mal anschauen, was die Telekommunikationsanbieter machen. Diese Woche ist bekannt geworden, dass die Telekom in Köln ein bereits bestehendes Glasfasernetz, nämlich vom kommunalen Dienstleister NetCologne, überbaut. Da wird noch mal Glasfaser in 100 000 Haushalte verlegt, die schon Glasfaser haben. Das ist skandalös, und da müssen wir mit den Unternehmen reden. Da müssen wir erstens auch prüfen – ich bitte das Ministerium, das zu tun –, ob Unternehmen, die sich so verhalten, die so dermaßen Ressourcen verschwenden, von Förderprogrammen ausgeschlossen werden können. ({5}) Und zweitens müssen wir überprüfen, ob wir die Gesetzgebung hier anpassen müssen, damit wir solchem Unbill regulatorisch Einhalt gebieten können. ({6}) Ich komme zum Schluss. Nach wie vor gilt das Wort des Ministers: Der Breitbandausbau wird nicht am Geld scheitern. Als Ampel haben wir ehrgeizige Ziele für den Ausbau. Wir setzen uns dafür ein, dass es mit dem Breitbandausbau schnellstmöglich vorangeht. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat die Kollegin Dr. Carolin Wagner für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Carolin Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005247, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich gleich am Anfang sagen: Die Digitalisierung und die Tatsache, dass Deutschland in diesem zentralen Bereich endlich richtige Fortschritte macht, das ist mir und meiner Fraktion viel zu wichtig, als dass wir diesen Bereich vernachlässigen würden. Die Wahrheit ist – jetzt suhlt sich die Union gleich wieder in süffisanter Selbstgefälligkeit –, dass im 16 Jahre lang unionsgeführten Verkehrsministerium ({0}) der digitale Fortschritt einfach verschlafen wurde – einfach verschlafen! Mit dem Mautwahn der CSU wurden anscheinend zu viele Kapazitäten im Ministerium gefressen; da war keine Zeit mehr. Und da reicht auch nicht der Verweis in Ihrem Antrag auf die Einrichtung des Graue-Flecken-Programms im April 2021 durch Andreas Scheuer. Ja, es war richtig und gut von ihm, dass er das gemacht hat; aber das kam natürlich viel zu spät. ({1}) Milliardenbeträge hat Ihr Alexander Dobrindt noch für kupferbasiertes Vectoring verbraucht, anstatt auf echte Glasfaseranschlüsse zu setzen. An dieser grundsätzlich falsch ausgerichteten Breitbandpolitik knabbern wir bis heute. Das ist die Wahrheit, werte Union. ({2}) Fakt ist: Es gibt keinen Förderstopp bei der Breitbandförderung, sondern die Mittel in diesem Jahr – über 3 Milliarden Euro – waren frühzeitig ausgeschöpft. Das ist in erster Linie ein Zeichen, dass die Bundesförderung funktioniert und dass die Bundesregierung Glasfaser in die Fläche bringt – und zwar wie? Besonders schnell. ({3}) Sie hingegen betreiben in der Opposition gezielte Panikmache und versetzen die Öffentlichkeit in Unsicherheit – das ist Ihre kommunale Kompetenz, Herr Zippelius –, und zwar aus purer Parteitaktik. ({4}) Ich habe erlebt, dass mich Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aufgrund Ihres suggerierten Förderstopps angerufen haben. Sie haben befürchtet, ihre bereits eingereichten Anträge würden nicht mehr bearbeitet oder würden abgelehnt. Es war gar so verrückt, dass ein Bürgermeister seinen Förderbescheid von 2021 als nicht mehr gültig erachtete. So eine Panikmache betreiben Sie in den Reihen der CDU/CSU! Das finde ich unverantwortlich! ({5}) Derweil hat das BMDV sofort informiert, dass alle zuvor eingegangenen Anträge geprüft werden, und so erfolgte es auch. Vor Kurzem hat in meinem Wahlkreis die Laber-Naab Infrastruktur GmbH, ein Zusammenschluss mehrerer Kommunen, die bewilligten Förderbescheide in Höhe von über 100 Millionen Euro erhalten. Wenige Wochen vor dem Antragsstopp haben sie die Anträge entsprechend gestellt. Das hat mich sehr gefreut, aber überrascht hat es mich nicht; denn es war ja klar, dass das passiert. ({6}) Im Gegensatz zur Vorgängerregierung legen wir beim Glasfaserausbau ein hohes Tempo vor. Und wir legen noch eins drauf, nämlich 1 Milliarde Euro im nächsten Jahr für die Rekordsumme von 4,1 Milliarden Euro. ({7}) Ich fasse für Sie zusammen. Erstens. Ganz einfach: Es entsteht keine Förderlücke. Zweitens. Wir stellen insgesamt 1 Milliarde Euro zusätzlich bereit. Drittens. Alle Förderbescheide, die bereits ergangen sind, sind natürlich gültig. Viertens. Alle Anträge, die vor dem 17. Oktober eingegangen sind, werden geprüft, und bei Erfüllung der Voraussetzungen werden sie positiv beschieden. Ein Stopp der Beantragung von Fördermitteln, wenn diese Mittel ausgeschöpft sind, ist haushalterisch sinnvoll und richtig. ({8}) Das ist verantwortungsvolle Haushaltsführung, die sich die Union sonst so gerne auf die Fahnen schreibt. Gut, werte Damen und Herren, dass wir das jetzt richtig machen! ({9})

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Schneller werden wollen wir nicht nur heute Abend hier, sondern auch insgesamt bei den Planungsprozessen in Deutschland. Das ist notwendig für den Ausbau der Infrastruktur, sei es von Schiene oder Straße, aber natürlich auch für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Raumordnung kann mit dem Raumordnungsgesetz, das wir heute diskutieren, hierzu einen entscheidenden Beitrag leisten; denn sie koordiniert die unterschiedlichen Interessen an den begrenzt vorhandenen Flächen, und sie bezieht die Öffentlichkeit vor Ort frühzeitig in ihre Verfahren ein. Wir wissen: Das ist der Schlüssel für die Akzeptanz. Die vorliegenden Änderungen des Raumordnungsgesetzes greifen diese Punkte entsprechend den Zielen des Koalitionsvertrages auf. Wir modernisieren und – ganz wichtig – vereinfachen das Aufstellen von Raumordnungsplänen, insbesondere – das schließt an den vorherigen Tagesordnungspunkt an – durch Digitalisierung, aber auch durch die Abschaffung von Redundanzen. Weitere gesetzliche Änderungen des Raumordnungsgesetzes erhöhen die Planungs- und Investitionssicherheit, und sie flexibilisieren die Raumordnung, um aktuellen Entwicklungen schnell entsprechen zu können. Letztlich tragen wir auf der Projektebene zur Verfahrensbeschleunigung bei: Zum einen durch den Ausschluss doppelter Umweltprüfungen im Zulassungsverfahren und in der vorgelagerten Raumverträglichkeitsprüfung; diese ersetzt das bisherige Raumordnungsverfahren. Zum anderen durch eine Regelung, die eine Verzögerung des Beginns des Zulassungsverfahrens ausschließt, wenn die Raumverträglichkeitsprüfung ausnahmsweise nicht innerhalb der gesetzlichen Sechsmonatsfrist mit einer Stellungnahme der Raumordnungsbehörde abgeschlossen wird. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält auch eine neue Regelung des Windenergieflächenbedarfsgesetzes, bei dem die Federführung im Bundeswirtschaftsministerium liegt. Die Regelung erleichtert die Genehmigung von Windenergieanlagen, sofern diese in besonders geeigneten, sogenannten „Go-to-Gebieten“ liegen. Um eine maximale Beschleunigung zu erzielen, betreten wir mit dieser Änderung gesetzlich neuen Boden: Noch bevor die EU die Beratung der Richtlinie abgeschlossen hat, setzen wir sie in nationales Recht um. Und sollte sich der Richtlinieninhalt noch ändern, können wir durch eine entsprechende Modifizierung der Regelung im Windenergieflächenbedarfsgesetz sofort nachsteuern. ({0}) Sehr geehrte Damen und Herren, vom Ausbau der erneuerbaren Energien bis zu den Straßen- und Schienennetzen: Wir müssen in den nächsten Jahren massiv in den Ausbau unserer Infrastruktur investieren. Das wird nur gelingen, wenn wir moderne, zeitgerechte Planungs- und Genehmigungsverfahren haben. Der vorliegende Gesetzentwurf leistet dazu einen unverzichtbaren Beitrag; die Raumordnung quasi als Mutter aller Planungen. Der Gesetzentwurf wird heute in die Ausschüsse überwiesen. Mein Haus und ich stehen bereit, die parlamentarische Arbeit zu unterstützen. Schon jetzt herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit! ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Michael Breilmann ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Breilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005032, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gerade einen sehr juristischen Vortrag, einen sehr technischen Redebeitrag gehört. ({0}) Raumordnungsfragen werden häufig unterschätzt, sind aber für eine nachhaltige Zukunftspolitik bedeutend. Wir haben gerade viel von Verfahrensbeschleunigung gehört, von der Beschleunigung von Infrastrukturmaßnahmen, von Modernisierung, von Digitalisierung. So weit, so gut. Das hört sich auch erst mal alles ganz gut an. Der Bundesrat als Vertretung der Länder hat zu diesem Entwurf ausführlich Stellung genommen, auch wenn das Gesetz nicht der Zustimmung der Länderkammer bedarf. Die dort befassten Ausschüsse bewerteten dabei einige der geplanten Änderungen als kritisch – was uns nicht wundert –, lehnten diese ab bzw. forderten Nachbesserung. Erwähnenswert ist, dass der Bundesrat die Ablehnung, insbesondere der Anpassungspflicht von Raumordnungsplänen der Länder und Regionen an Zielfestlegungen von Raumordnungsplänen des Bundes, aus verfassungsrechtlichen Gründen empfiehlt – freilich bisher nur mit mäßigem Erfolg. Das größte Zugeständnis der Bundesregierung in ihrer beschlossenen Gegenäußerung betrifft lediglich die Prüfung einer Ergänzung in den Regelungen zur Raumverträglichkeitsprüfung. Und ja, inhaltlich ist die Anpassungspflicht von Raumordnungsplänen an Bundesvorgaben durchaus kritisch zu bewerten. Denn die Anpassungspflicht bedeutet, dass Länder und Regionen aktiv ihre Pläne ändern müssen, wenn sie Bundesplänen widersprechen. Dies ist meines Erachtens ein deutlicher Bruch mit der bisherigen föderalen Verfahrensstruktur. Das ist systemwidrig und, ja, auch verfassungsrechtlich problematisch. ({1}) Die Ampelregierung versucht hier durch die Hintertür, Ländern und Regionen bestimmte Vorstellungen aufzudrücken. Es verfestigt sich zunehmend der Eindruck, dass die Bundesregierung die eigene Position im Gefüge des Raumordnungsverfahrens stärken möchte. Dies hat aber mit einer Beschleunigung des Verfahrens nichts zu tun; denn Regionalpläne sind ein zentrales Steuerungsinstrument zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums. Wie das funktioniert, zeigt ein Beispiel aus meiner Region, aus dem Ruhrgebiet. Seit 2009 ist die Regionalplanungsbehörde beim Regionalverband Ruhr für die Regionalplanung in elf kreisfreien Städten und vier Kreisen des Verbandsgebiets zuständig. Das Ruhrparlament, also die Verbandsversammlung, ist der Planungsträger. Im Herbst 2020, gleichzeitig mit den Kommunalwahlen, wurde das Ruhrparlament erstmals von Bürgerinnen und Bürgern direkt in einer Wahl gewählt; das hat eine hohe demokratische Legitimation. Da wird Raumordnung im Alltag deutlich greifbarer, konkreter und lebendiger, und das direkt in der Region. Deswegen ist – das ist wichtig – auch im Rahmen der Änderung des Raumordnungsgesetzes die föderale Struktur zu achten. ({2}) Auch die geplanten Änderungen beim Zielabweichungsverfahren sind kritisch zu bewerten. Derzeit kann von Zielen der Raumordnung nur eingeschränkt auf Antrag abgewichen werden. Die Entscheidung über solch einen Antrag liegt bisher als Kannbestimmung im Ermessen der Planungsbehörde. Die von Ihnen, Frau Ministerin, vorgelegte Reform sieht jedoch vor, dass die Gruppe der Antragsberechtigten deutlich ausgeweitet werden soll, was nicht zur Beschleunigung des Planungsverfahrens beitragen wird. Noch problematischer ist die Änderung dieser bisherigen Kannbestimmung in eine Sollbestimmung. Damit wird der Grundsatz der Ausnahme bei der Zielabweichung aufgegeben, und das ist schlecht. ({3}) Nicht nachvollziehbar ist für mich im Übrigen auch der Ansatz, bei der Besetzung des Beirates für Raumentwicklung das Benehmen mit den zuständigen Spitzenverbänden zu streichen. Eine Begründung dafür gibt es nicht; vielleicht kann die heute noch geliefert werden. Zum Fazit. Viele Änderungen, die der Gesetzentwurf vorsieht, bieten Möglichkeiten zur Beschleunigung und Flexibilisierung; das ist richtig. Aber es gibt auch Regelungen, die Gefahren in sich tragen. Insgesamt sehen wir diese Reform daher sehr kritisch. In diesem Sinne bin ich gespannt, was bei dieser Gesetzesnovelle der Raumordnung letztlich herauskommt: eine notwendige Planungsbeschleunigung oder aber ein Angriff auf unsere bewährte Föderalstruktur, dem wir als Unionsfraktion so sicherlich nicht zustimmen werden. Herzlichen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Christina-Johanne Schröder hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Christina Johanne Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005214, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gästinnen und Gäste! ({0}) „Die Mutter aller Planungen“, das war ein sehr schönes Bild, was Sie gezeichnet haben, Frau Ministerin. Denn tatsächlich ist es gar nicht so leicht, zu erklären, was die Raumordnung alles macht und warum sie so wichtig für uns ist. Die Beschleunigung von Planungs- und von Genehmigungsprozessen ist gerade in aller Munde. Das Kanzleramt und die vielen Minister/-innen haben sie zur gemeinsamen Chef/-innensache gemacht. Denn bei all den Transformationen, die wir in Richtung Klimaschutz, in Richtung Sanierung, in Richtung Ausbau von Trassen oder von erneuerbaren Energien machen, brauchen wir mehr Tempo. ({1}) Dafür wollen wir eine bessere Verzahnung von Raumordnung und von Planfeststellung. Wir wollen den Planerhalt, also die Verbindlichkeit einer Planung, stärken, aber trotzdem Zielabweichungen möglich machen. Das müssen wir auch, weil wir ein Europarechtsverfahren haben und das ermöglichen müssen. Und wir wollen den Ausbau der Windenergie beschleunigen, auch mithilfe der Europäischen Union. Wir alle haben gesehen, wie man es besser nicht macht. Die Vorgängerregierung hat das mit Legalplanung bei der Planungsbeschleunigung versucht und ist mit dem Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz gescheitert. Das hat zu einer großen Rechtsunsicherheit und zu einer großen Verlangsamung geführt. Jetzt versuchen wir, es mit dem ROG anders zu machen. Kollege Breilmann, es ist richtig: Wir müssen noch ein paar Sachen im parlamentarischen Verfahren nachbessern. Aber was in dem Gesetz steht, ist doch Folgendes: Endlich eine Modernisierung der Planung durch die weitere Digitalisierung der Beteiligungsverfahren, eine Erleichterung bei der Abweichung von Zielfestlegungen, beidseitige Redundanzen werden endlich vermieden. Wir verzahnen besser, vermeiden Doppelprüfungen und erreichen damit eine Beschleunigung. Und natürlich schaffen wir damit das Wichtigste, nämlich Investitionssicherheit in die Zukunftstechnologien. Dazu brauchen wir eine klare, praxistaugliche Raumordnung, deren Verfahren häufiger angewendet werden und die Beschleunigung schafft, weil die neue Raumverträglichkeitsprüfung rechtssicher ist. Wir brauchen eine Raumverträglichkeitsprüfung, bei der auf solider Datenbasis Trassenalternativen geprüft werden; dazu gehört auch die verkehrsträgerübergreifende Prüfung. Priorisierung ist auch ein Teil der Planungsbeschleunigung. Das ist in der politischen wie planerischen Realität gleich: Wer alles beschleunigen will, beschleunigt am Ende nichts. Und was ganz wichtig ist: Wir müssen zügiger werden. Wir müssen digitaler werden. Wir müssen in Deutschland Planungs- und Genehmigungsprozesse miteinander verzahnen. Das ist notwendig, und hiermit machen wir uns auf den Weg. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Roger Beckamp für die AfD-Fraktion. ({0})

Roger Beckamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005020, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Grüninnen! ({0}) Beschleunigen, modernisieren, digitalisieren, flexibel erleichtern, Aufwand reduzieren – das sind die schönen Begriffe, die dieses Gesetzespaket zum Raumordnungsrecht begleiten. Raumordnung meint dabei die Regelungen, die zum Beispiel eine ausgewogene Siedlungsstruktur und angemessene Naturräume gewährleisten sollen. Es soll also genug Raum für Wohnbedarf geben, aber die Landschaft nicht zersiedelt werden. ({1}) Es soll der ländliche Raum entwickelt werden, aber auch genug Naturraum erhalten bleiben. ({2}) Diese Regelungen sollen nun alle besser werden, schneller, schlanker, schöner. Entscheidend sind zwei Punkte in dem vorliegenden Gesetzespaket. § 7, Nummer 4 des geänderten Raumordnungsgesetzes: Hier versteckt sich bei den Instrumenten für Flächenausweisungen eine knallharte Sache. Es gibt sogenannte „Vorranggebiete mit Ausschlusswirkung“. Das heißt, bestimmte Flächennutzungen sind an einer Stelle im Raum möglich, aber ansonsten ausgeschlossen. Dafür ist ein schlüssiges gesamträumliches Planungskonzept einschließlich einer spezifischen Planungssystematik erforderlich. Hört sich kompliziert an, ist es auch. Diese Sachen sind oft und gerne Gegenstand von vielen Verwaltungsgerichtsverfahren. Und diese hohen Anforderungen haben in der Vergangenheit die Ausweisung von Flächen für die Nutzung von – jetzt kommt’s – Windenergie nahezu zum Erliegen gebracht. Und weil das so ist, wegen dieser bisherigen Hürden für Windräder zugunsten der Natur, musste ein Totschlagargument her. Dieses Instrument zum – wortwörtlich – „Totschlagen“ von Natur und Umwelt, vor allem auch der Gesundheit von Anwohnern in der Nachbarschaft von industriellen Windenergieanlagen, ({3}) ist das Windenergieflächenbedarfsgesetz – ein schönes deutsches Wort und doch so brutal in seinen Auswirkungen. ({4}) In grüner Selbstherrlichkeit wurde dadurch von oben herab ein Mittel gefunden, das zukünftig immer zugunsten von Windenergie entscheidet. 2 Prozent der Landesfläche müssen dafür mindestens her. Es gibt dafür sogar ein bestelltes Gutachten, das die Flächenvorgaben für die Bundesländer begründen soll. Ein schlüssiges Konzept für die Planung erübrigt sich nunmehr, ebenso wie eine Planungssystematik, also die Frage: Wo geht was und wo nicht? Die Windenergiegebiete sind ohne Rücksicht auf jegliche sonstige öffentliche Belange auszuweisen, koste es, was es wolle. ({5}) Das Windenergieflächenbedarfsgesetz geht noch weiter. § 249 Baugesetzbuch wird mal wieder neu gefasst. Entgegenstehende öffentliche Belange bei Windenergieanlagen haben danach par ordre du mufti keine schädlichen Umweltauswirkungen mehr und können solchen Vorhaben nicht mehr entgegengehalten werden. ({6}) Der ehemals so geschützte Außenbereich nach § 35 Baugesetzbuch, also die geschützte Natur – Wald, Wiese, Feld –, ist nicht mehr geschützt, jedenfalls dann nicht, wenn es um Windenergieanlagen geht. Windenergieanlagen sind toll und einfach super. Probleme für Umwelt und Anwohner? Keine. Versuchen Sie dagegen mal, einen ehemals privilegierten Bauernhof zu einer Wohnnutzung umzuwidmen oder gar eine Jagdhütte irgendwo bewohnbar zu machen. Vergessen Sie es! Aber zurück zum Gesetzespaket. Denn hier kommt es noch dicker, diesmal durch EU-Recht. Dieses definiert für die erneuerbaren Energien sogenannte Go-to-Areas. Hier soll man tatsächlich auf Umweltverträglichkeitsprüfungen und artenschutzrechtliche Prüfungen für Brutvögel verzichten können. Also: Auf der einen Seite beklagen wir alle – und das zu Recht – die zurückgehende Artenvielfalt, aber das massenhafte Schreddern von Vögeln durch Windenergieanlagen ist nunmehr gesetzlich abgesegnet. ({7}) Endlich ist der Weg frei für Ihre schöne grüne Welt. Oder in den Worten von Kapitalanlageberatern – Zitat –: Investments in erneuerbare Energien haben sich in den letzten Monaten über Plan gerechnet. Die Rendite liegt voraussichtlich bei 7 bis 9 Prozent im Jahr. – Wie schön! Wie schön für die grünen Besserverdiener mit ihren Aktiendepots, und wie tragisch für Natur und Umwelt. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion hat jetzt Daniel Föst das Wort. ({0})

Daniel Föst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004716, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich muss jetzt doch mal bis zum Wahltag 2021 zurückgehen. ({0}) – Liebe Union, wenn ihr darum bettelt, dass ich über die 16 Jahre unionsgeführte Regierungen rede, dann mache ich das gerne; aber ich will eher in die Zukunft schauen. Deswegen bin ich beim Wahltag 2021. ({1}) Die deutschen Wählerinnen und Wähler haben ganz klar gesagt: Sie wollen mehr Fortschritt. Sie wollen ein moderneres Land. Sie wollen eine andere Regierung – komischerweise erst nach 16 Jahren, aber trotzdem. Die Wählerinnen und Wähler haben das klar formuliert. Deswegen ist es folgerichtig, dass eine Fortschrittskoalition jetzt die notwendigen Schritte einleitet, die sich die Bürgerinnen und Bürger am Wahltag 2021 gewünscht haben. ({2}) Zu diesen notwendigen Schritten des Fortschritts gehört Geschwindigkeit. Deutschland macht alles zu langsam. Wir brauchen für alles zu lange, für manche Entscheidungen leider auch 16 Jahre. Deswegen ist es folgerichtig, dass wir Geschwindigkeit aufnehmen. Da hat die Fortschrittskoalition bereits viel erreicht. Die LNG-Terminals sind ein leuchtendes Beispiel, aber auch das BauGB, das wir jetzt in einem ersten Schritt reformiert haben und das wir, Frau Ministerin, noch weiter reformieren werden, sowie die Gesetze zum Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir sind auf dem Weg, mehr Geschwindigkeit aufzunehmen, und das ist wichtig für Deutschland. ({3}) Wir befassen uns jetzt mit dem Raumordnungsgesetz. Auch hier müssen wir beschleunigen. Wir müssen es ins 21. Jahrhundert holen. Wir können nicht so tun, als hätte sich in den letzten 20, 30, 40 Jahren nichts getan. Es ist wichtig, dass wir das Raumordnungsgesetz modernisieren, dass wir es flexibilisieren und dass wir es digitalisieren. Genau das macht dieser Gesetzentwurf. ({4}) Zwei Punkte sind mir da sehr wichtig. Erster Punkt. Wir digitalisieren das Beteiligungsverfahren. Dadurch wird es transparenter; es wird zugänglicher; es ist niederschwellig erreichbar. Wir werden nicht mehr endlose Aktenberge in irgendwelchen verstaubten Amtsstuben auslegen, sondern wir werden es einfach modern machen: in der digitalen Welt mit digitalen Beteiligungsformaten. Das halte ich für einen sehr wichtigen Punkt. ({5}) Der zweite Punkt, der sehr wichtig ist, wurde hier schon mehrfach angesprochen. Das ist die Änderung der Raumverträglichkeitsprüfung. Sie ist ein großer Schritt. Ich weiß, liebe Union: Ihr habt Angst vor Veränderungen; das ist mir klar. Aber wir sind in einem Bereich, wo wir etwas ändern müssen. Deswegen machen wir einen Vorschlag, wie wir die Raumverträglichkeitsprüfung umstellen, wie wir Doppelbelastungen vermeiden, wie wir damit übrigens auch die Verwaltungen entlasten, wie wir nach sechs Monaten den nächsten Planungsschritt gehen. All das sind wichtige Neuordnungen im Bereich der Raumverträglichkeitsprüfung. Wir sind auch dankbar – der Kollege Breilmann hat es angesprochen –, dass der Bundesrat die eine oder andere Sache gerne ändern würde. Wir sind hier in der ersten Lesung. ({6}) Dann lassen Sie uns doch ein besseres Gesetz daraus machen! Liebe Union, wir laden euch dazu ein. Dann legt hier etwas vor, und zeigt nicht die ganze Zeit mit jeder Pose: Oh Gott, ihr stellt den Staatsaufbau infrage. Alles geht den Bach runter. – Nein, wir machen hier ein gutes Gesetz. Da geht nichts den Bach runter. Der Bundesrat hat bereits Vorschläge gemacht. Teile der Überlegungen sind bereits in diesen Gesetzentwurf eingeflossen. Lasst uns diskutieren! Wir sind jetzt im parlamentarischen Verfahren. Wir können einen guten Vorschlag noch besser machen. Dafür brauchen wir als Fortschrittskoalition allerdings mehr als nur die Aussage „Ihr legt die Axt an den Aufbau des Staates und an die kommunale Selbstbestimmung“. Das ist ungefähr das, was ich als Kernaussage Ihrer Rede verstanden habe, Herr Breilmann. ({7}) Was wir bei der Modernisierung des Landes machen: Bei der Geschwindigkeit werden wir, wie erwähnt, den nächsten Schritt gehen. Aber damit sind wir noch nicht fertig. Es ist jetzt die letzte Sitzungswoche in diesem Jahr; das Jahr klingt zugegebenermaßen aus. Drei Wochen Ruhe tun uns allen jetzt mal gut. Aber das ist ein guter Zeitpunkt, um nach vorne zu schauen, weiter zu schauen. Wir reformieren das Raumordnungsgesetz, dann werden wir das BauGB modernisieren, dann gehen wir ans GEG, ans BEG, an die TA Lärm, ans BImSchG. Wir werden kein Gesetz auf dem anderen lassen, um das Land in das moderne Deutschland zu verwandeln, das es verdient hat. ({8}) Die Fortschrittskoalition ist da der treibende Faktor und Geschwindigkeit das Mittel der Wahl. Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren: Ich freue mich auf die weitere Beratung des Raumordnungsgesetzes. Union, bringt euch gerne produktiv mit ein! Wir sind immer offen für gute Ideen. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Susanne Hennig-Wellsow hat das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Susanne Hennig-Wellsow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005082, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Modernisierung, Beschleunigung, Digitalisierung – mit diesen Schlagworten kündigt die Bundesregierung die Normierung des Raumordnungsgesetzes an. Ihr Ziel ist es, Infrastrukturmaßnahmen zu beschleunigen. Das klingt ja erst mal ganz gut. Natürlich gibt es viele Gründe, beispielsweise den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen; da sind wir uns weitestgehend einig. Deutschland hängt aktuell im internationalen Vergleich immerhin deutlich hinterher. Es ist daher unumgänglich, sich die entsprechenden Planungs- und Genehmigungsverfahren zur Überprüfung vorzunehmen. Es ist nun die Rede davon, die Planungsprozesse zu modernisieren und Verwaltungsaufwand zu reduzieren. Sie beabsichtigen eine weitere Digitalisierung bei den Beteiligungsverfahren, um mehr Geschwindigkeit zu erzeugen. Dank dieser Bausteine soll Ihr gesamter Planungsprozess in nur sechs Monaten abgeschlossen sein. So weit, so groß sind die Fragezeichen. Wir haben bereits an den Stellungnahmen vieler Verbände sowie von Expertinnen und Experten zum Referentenentwurf sehen können, dass die Skepsis relativ groß ist, nämlich bei denen, die in der Praxis mit Planungs- und Genehmigungsverfahren zu tun haben oder Interessen der Gesellschaft bzw. der Natur vertreten. Das betrifft etwa die Frage, ob unter der Losung „Digitalisierung“ die Beteiligungsmöglichkeiten der Bevölkerung eingeschränkt werden. Analoge Formen bleiben unverzichtbar und müssen aus unserer Sicht erhalten bleiben, und zwar ohne Einschränkung. ({0}) Die Beteiligung der Öffentlichkeit zu reduzieren und weiter einzuschränken, sehen wir kritisch. Aus unserer Erfahrung erreicht man eine Verfahrensbeschleunigung, wenn die Beteiligung von Anfang an transparent und nachvollziehbar ist. ({1}) Denn auch so vermeidet man Widerspruchsverfahren. Das betrifft ebenso die Frage, ob der Entwurf unter dem Strich nicht zu unzureichenden Prüfungen führt, was die Gefahr fehlerhafter Planungen und daraus resultierender Verzögerungen erhöht, was wiederum im Ergebnis keine Beschleunigung wäre. Teil der Gesetzesnovelle soll auch das Windenergieflächenbedarfsgesetz sein. Hier warnen Expertinnen und Experten, statt schneller könnte der für den Klimaschutz dringend nötige Ausbau aufgrund der Neuregelung langsamer werden. Und wenn aufgrund des Wegfalls der Prüfung von Artenschutz und Umweltverträglichkeit der Schutz der Natur geschwächt wird, reißen Sie hinten ein, was Sie eigentlich vorn aufbauen wollen. Wie gesagt, wir haben nichts gegen Modernisierung, Beschleunigung oder Digitalisierung; aber das muss natürlich dann auch zu den richtigen Ergebnissen führen. Das kann man in Ihrem Entwurf noch nicht in Gänze erkennen. Aber ich bin mir sicher, dass die Beratung zum Raumordnungsgesetz im Ausschuss tatsächlich sehr spannend wird. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Franziska Mascheck spricht jetzt für die SPD-Fraktion. ({0})

Franziska Mascheck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005144, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Und vor allen Dingen: Liebe Zuschauer/-innen oben auf den Tribünen, auch wenn Sie nicht mehr so zahlreich sind! Ich möchte Sie gerne mit ins Boot holen; es ist ja eine etwas trockene Debatte über die Raumordnung. Bei „Raumordnung“ denkt man vielleicht, wenn man in Beamtendeutsch nicht so fit ist, irgendwie ans Wohnen oder ans Kinderzimmer. ({0}) In dem vorweihnachtlichen Familienstress kann ich das sogar ziemlich gut verstehen. Aber es geht bei dieser Novelle zum Raumordnungsgesetz um die Abstimmung darüber, was auf unseren begrenzten Flächen in Bund und Ländern möglich ist. Soll beispielsweise über einen Acker auch eine Pipeline für Wasserstoff gebaut werden? Oder soll in einem Industriegebiet auch eine Bahnschiene verlegt werden? Und was passiert beispielsweise mit dem ehemaligen Braunkohletagebau, wenn die Bagger weg sind? Solche Fragen werden auf Bundesebene, Landesebene und schließlich auf kommunaler Ebene abgestimmt. Auf diese Weise können wir unsere Flächen sinnvoll entwickeln und nutzen. Wie wir unseren Raum ordnen, bestimmt also, wie wir wirtschaften und wie wir leben, und das muss ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltig sein. Nur dann bauen wir die Bundesrepublik, die Krisen resilient begegnen kann und ihre Wirtschaftsstärke erhält. Für mich als Sozialdemokratin gehören dazu eine starke Industrieproduktion und Arbeitsplätze mit guten Arbeitsbedingungen. Hierfür brauchen wir den nötigen Raum, und zwar schnell. ({1}) Deshalb holen wir das Raumordnungsgesetz jetzt ins 21. Jahrhundert. Dazu gehören im Wesentlichen fünf Punkte. – Herr Breilmann, ich sage Ihnen, was das mit Beschleunigung zu tun hat. Erstens, wie schon genannt, ist es die Digitalisierung der Beteiligungsverfahren, ({2}) und, Frau Hennig-Wellsow, da sind andere Beteiligungsverfahren nicht ausgeschlossen. Zweitens sind es feste Fristen für die Verwaltung, um Prozesse zu beschleunigen. Drittens ist es die Begrenzung der Beteiligung wirklich betroffener Akteurinnen und Akteuren bei Veränderung eines Raumordnungsplanes. Viertens schaffen wir die Doppelprüfung ab – das wurde auch schon gesagt –, reduzieren damit die Bearbeitungszeit und senken die Kosten. Und fünftens schaffen wir mehr Rechtssicherheit bei begründeten Abweichungen vom bestehenden Raumordnungsplan, die eben auch vorkommen. Das schafft die nötige Flexibilität, zum Beispiel für Kommunen. Sie sehen, meine Damen und Herren: Wir zünden den Turbo für wichtige Bauvorhaben, die Energieanlagen, aber auch für die Mobilitätsinfrastruktur und den Strukturwandel. Wir reagieren auf die extremen Brüche in unserer Zeit. Da ist klar, dass das nicht überall reibungslos läuft; denn nach der Raumverträglichkeitsprüfung ist vor dem Planfeststellungsverfahren. Und – hören Sie zu, Herr Beckamp! – dazu gehört auch die Prüfung der Umweltverträglichkeit. Der Vorteil schnellerer Verfahren auf Behördenseite ist die schnellere Rechtssicherheit für Unternehmen, kommunale Verwaltungen sowie Bürgerinnen und Bürger. Ich verstehe, wenn Behörden sagen, dass ihnen das Fachpersonal fehlt; denn schließlich können sie sich das auch in der Vorweihnachtszeit nicht backen. Hier sind aber die Länder am Zug, die oftmals die langen Prozesse zu Recht bemängeln. Wir im Parlament und in der Regierung handeln jetzt. Ich spreche hiermit konkret die Einladung an die Länder und an die Opposition aus, an der Planungsbeschleunigung mitzuwirken. Ich freue mich auf die folgenden Beratungen im Ausschuss. Vielen Dank und ein herzliches Glückauf. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Michael Kießling hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Kießling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004779, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Wir reden heute über Planungsbeschleunigung, und das ist gut so. Ich glaube, jedem im Haus ist klar: Wir müssen schneller werden; Zeit ist Geld. – Von daher kann man Ihr Vorhaben begrüßen. Es sind auch Vorschläge im Gesetzentwurf – das muss man zugestehen –, die dazu geeignet sind, die Planungsbeschleunigung zu verbessern und zu vereinfachen. Das ist gut und richtig. Es sind ein paar Punkte dabei, die man durchaus unterstreichen kann. Es wäre bloß schön, wenn Sie klarmachten, welche Infrastrukturen Sie unterstützen wollen. Schiene? – Ich denke: Ja. Energie? – Wahrscheinlich auch. Bei der Straße bin ich mir gar nicht mehr so sicher, wenn ich die „FAZ“ lese. Ich glaube, die Grünen können noch mitgehen, wenn es um Brücke und Schiene geht, aber bei Ausbau und Erhalt der Straße sehen sie rot. ({0}) Wenn wir aber vom ländlichen Raum und über gleichwertige Lebensbedingungen reden, dann brauchen wir auch die Straße. Sie werden es nicht glauben: Auch E‑Autos und E-Busse benutzen die Straße. Von daher: Werden Sie sich einig! Dann kann man, denke ich, in der Planungsbeschleunigung auch weiterkommen. Ähnlich ist es bei den Lebensbedingungen auf dem Land. Wie gesagt, wir brauchen die Straße. Handeln Sie nicht wie bei den AKWs! Handeln Sie nicht nach Ideologie, sondern nach gesundem Menschenverstand! Nehmen Sie die ganze Infrastruktur in den Blick! Wir brauchen überall Beschleunigung und nicht die Bevorzugung einer bestimmten Infrastruktur. Herr Föst, Sie haben den schnellen Bau der LNG-Terminals angesprochen. Es ist schön, wenn man die Beschränkungen durch die Umweltschutzauflagen etwas zurücknimmt; denn nur so hat es funktioniert. Es ist schon beeindruckend, wenn ein Wirtschaftsminister die Umweltauswirkungen hintanstellt und schnell mal den Bau von LNG-Terminals durchdrückt. Wir müssen aber aufpassen, dass wir die Akzeptanz vor Ort nicht verlieren. Deshalb ist die Bürgerbeteiligung wichtig, und es ist wichtig, dass sie auch digital stattfindet. Aber Sie müssen auch aufpassen, dass Sie die Leute, die keinen digitalen Zugang haben, nicht verlieren. Wir dürfen diese Menschen nicht verlieren. Deshalb ist es auch wichtig, dass neben dem digitalen auch der analoge Weg in gewissem Maße noch vorhanden ist, sei es bei der Auslegung oder bei der Stellungnahme. Ich glaube, das ist angemessen, sodass wir auf dem Weg keinen verlieren und die Akzeptanz vor Ort erhalten. ({1}) Was mich als Kommunalpolitiker schon etwas überrascht: Wenn man sich den Gesetzentwurf anschaut, dann bekommt man den Eindruck, dass der Bund sehr stark Einfluss nehmen und von oben diktieren will, wie die Raumordnung auszusehen hat. Meine Damen und Herren, Raumordnung ist Ländersache und kommunale Sache. Die meisten vor Ort wissen, wie der Raum gestaltet werden muss. Das muss berücksichtigt werden. Es kann nicht sein, dass der Bund die Vorgaben macht und das Land hinterherlaufen und die bestehenden Raumordnungs- und Regionalpläne überprüfen muss. Also, meine Damen und Herren, das geht zu weit. Wir müssen schauen, dass wir bei der Regionalisierung die Länder mit entsprechenden Kompetenzen ausstatten und dass der Bund nicht seine politischen Vorstellungen den Ländern einfach überstülpt. Alles andere ginge zu weit. Da müssen Sie nachbessern; ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt. Dann können wir auch über die Akzeptanz reden, was Planungsbeschleunigung, Regionalplanung und Raumordnung betrifft. Wir sind in der ersten Beratung. Ich denke, es gibt noch einige Punkte, die zu verbessern sind. Das Gute können wir lassen. Aber bei den Punkten, bei denen es Verbesserungsbedarf gibt, muss gehandelt werden, zum Beispiel beim Durchregieren des Bundes über die Länder bis hinunter zu den Kommunen genauso wie beim Ausbau der Windenergieanlagen. Wenn wir schnell sein wollen, dann müssen wir schneller abwägen können. Aber wir dürfen die verschiedenen Rechtsgüter entsprechend gewichten. Von daher: Schauen wir, was die Beratung bringt! Ich hoffe, dass Sie unsere Kritik auch einfließen lassen und sie nicht mit Arroganz und Respektlosigkeit zurückweisen. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Lukas Benner jetzt das Wort. ({0})

Lukas Benner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005022, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stellen in dieser Wahlperiode die Weichen für die Verkehrs-, für die Energiewende. ({0}) Das bedeutet auch: Statt auf die grüne Wiese Autobahnen zu bauen, brauchen wir diese Flächen für Windenergieanlagen, für Stromtrassen, für Schienen. Dafür brauchen wir – das muss man so ehrlich sagen – auch die Landnutzungswende. Denn die Frage, wie wir unseren Raum nutzen, die Frage, wie und wofür wir Flächen nutzen, ist eine elementare für die Herausforderungen, die vor uns liegen. ({1}) Gerade beim Thema der Raumordnung ist es so wie bei einem Uhrwerk: Die einzelnen Ebenen müssen wie Zahnräder ineinandergreifen. Wir haben den Bund, wir haben die Länder, wir haben die Bezirke, wir haben die Kommunen. Überall da müssen die gegenläufigen Interessen – die Interessen von Unternehmen, das Interesse an Umweltschutz, das Interesse an Infrastruktur – gegeneinander abgewogen und die vernünftigen Schlüsse gezogen werden. ({2}) Das Raumordnungsgesetz löst nicht all diese Probleme. Aber es ist auf dem Weg dahin ein unglaublich wichtiger Schritt; denn wir müssen moderieren, wir müssen abwägen, wir müssen uns angucken, was wir brauchen, was wir wollen. Gerade in einem so dichtbesiedelten Land wie Deutschland sind Flächen rares Gut. Deswegen gilt wie immer der Satz: Flächen sind die Währung der Energiewende. ({3}) Aber schauen wir uns einmal an, was wir hier machen. Wir haben es jetzt schon mehrfach gehört: Das Gesetz, die Novelle zum Raumordnungsgesetz, leistet einen Beitrag zur Planungsbeschleunigung. ({4}) „Planungsbeschleunigung“ ist ein schönes Wort. Aber was bedeutet es? Wir brauchen Digitalisierung, wir brauchen die Vermeidung von Doppelprüfung, und wir brauchen rechtliche Klarstellung. Schauen wir uns an, was hier vorliegt, sehen wir: All das tun wir. Wir werden Verfahren digitalisieren, und wir werden endlich Faxgerät und Aktenordner hinter uns lassen; denn es ist an der Zeit. ({5}) Herr Kollege Kießling, ich möchte ganz offen sagen: Ihre Kritik bei der Frage, ob wir Leute nicht mit rein digitalen Formaten abhängen, teile ich in Gänze. Aber: Das, was hier umgesetzt wird, basiert vor allen Dingen auch auf den Ideen des Planungssicherstellungsgesetzes, und die Kritik, die Sie hier angebracht haben, hätte ich mir auch damals schon bei Ihrem Planungssicherstellungsgesetz gewünscht. Kommen wir zum nächsten Punkt, zu der Vermeidung von Doppelprüfungen. Wir haben es hier schon mehrfach gehört: Die Überführung des Raumordnungsverfahrens in ein Raumverträglichkeitsverfahren macht doch genau das. Wir schauen uns an, wo wir unnötig Dinge wieder und wieder prüfen – in den langen, verzahnten Verfahren –, und streichen sie dort, wo wir sie nicht mehr brauchen. Das beschleunigt; denn weniger Personal wird für die Verfahren gebraucht. ({6}) Zur gesetzgeberischen Klarstellung. Gerade bei der Frage der Eignungsgebiete gab es doch in der Praxis so viel Unklarheit, und deswegen ist es doch so gut, dass wir hier aufräumen. Zum letzten Punkt. Wir beschleunigen mit dem Zielabweichungsverfahren endlich ohne die mühsame Planänderung bei der Frage: Was ist, wenn es doch einmal anders laufen muss? Am Ende bleibt aber zu sagen, dass die ROG-Novelle nicht für Planungsbeschleunigung in diesem Land reicht. Sie ist ein Schritt, ein wichtiger Schritt. Wir brauchen viele mehr, Personal ist einer davon. Machen wir jetzt ein bisschen Weihnachtspause, und dann gehen wir das Thema gemeinsam an. Vielen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion hat Bernhard Daldrup jetzt das Wort. ({0})

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle reden von Beschleunigung ({0}) und von Verfahrenserleichterungen; aber wenn es konkret wird, dann meint ihr es doch nicht so ernst. Das ist jedenfalls mein Eindruck. Die Raumordnung ist eigentlich ein Thema, das in den meisten Fällen ein bisschen unter dem Radar der Öffentlichkeit ist. Aber deswegen ist es sehr schön, wenn die Ministerin von der „Mutter aller Planungen“ redet. Denn in der Tat ist dieses vielfältige Land, die Bundesrepublik Deutschland, mit seinen wirklich tollen Bundesländern, mit seinen wunderbaren Landschaften ohne Raumordnung, ehrlich gesagt, gar nicht zu verstehen. Ein Ziel der Raumordnung ist die Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen in allen Teilräumen des Landes – ein klassischer Satz der Raumordnung, der im Kontext der Wiedervereinigung Deutschlands seinen Weg ins Grundgesetz gefunden hat. Also: Die Raumordnung ist von elementarer Wichtigkeit. Die Kollegin Franziska Mascheck hat gerade gesagt: An den Raum werden unglaubliche Anforderungen gestellt. Wenn man 400 000 Wohnungen bauen will, dann geht es um die Siedlungsstruktur, dann geht es um den Freiraumschutz. Es geht beispielsweise auch um Stromtrassen, um die Windenergie, den Klimawandel usw. Und das Raumordnungsgesetz ist der Rahmen für die daraus zu konkretisierende Planung: die Landesplanung, die Regionalplanung bis hin zum Flächennutzungsplan. Natürlich, Herr Breilmann – das ist doch der Sinn dieser Planung und war auch im Gesetz immer schon so vorgesehen –, ist die Planungshierarchie so gestaltet, dass es eine Anpassungspflicht gibt. Wenn das übrigens beim Flächennutzungsplan im Verhältnis zum Regionalplan nicht der Fall ist, ist das rechtswidrig. So nennt man das. ({1}) Dies ist übrigens auch beim RVR so, der – wenn man ihn schon so hervorhebt – ja vor 100 Jahren als SVR gegründet worden ist und damals der avantgardistische Fall der Raumordnung war, weil er die interkommunale Zusammenarbeit geregelt hat. Das klappt heute nicht immer so; aber er ist schon auf einem ganz guten Weg. Es ist meiner Meinung nach auch richtig, im Rahmen der Raumverträglichkeit zu einem frühen Zeitpunkt Abwägungen vorzunehmen, wie der Kollege Benner das gerade dargestellt hat, um eine Selbstblockade, Dopplungen und Mehrfachplanungen zu verhindern und um wochenlange und monatelange Genehmigungsverfahren bei Windenergieanlagen zeitlich zu begrenzen und schneller zu machen. Ich kann eines überhaupt gar nicht verstehen: Wenn man über Vorranggebiete mit Ausschlusswirkung spricht, Michael Breilmann, darf man nicht vergessen: Das ist keine Belastung für Kommunen, sondern eine Entlastung von Kommunen. ({2}) Wenn man das einmal mitgemacht hat, dann weiß man das. Wir in Nordrhein-Westfalen hatten solche Zielsetzungen schon in den 2000er-Jahren. Da gab es rot-grün geführte Landesregierungen, und schon ging es richtig voran mit der Windenergie. Danach ist es ins Stocken gekommen. Zu den Punkten, die ansonsten angesprochen worden sind – mehr Digitalisierung, mehr Pragmatismus –: Zielabweichungen erleichtern doch das Planungsverfahren, Herr Breilmann! ({3}) Sie haben es, glaube ich, noch nicht so richtig mitgekriegt. Sie erleichtern es, Doppelprüfungen wegzulassen und vor allen Dingen auch Zeitbegrenzungen zu setzen. Nun erfolgen Verfahrensbeschleunigungen durch verbindliche Zeiträume für das Raumordnungsverfahren. Spätestens nach sechs Monaten ist das Raumordnungsverfahren abgeschlossen. Wunderbar, sage ich doch mal! Das wollten wir doch eigentlich alles. Summa summarum: Wir befinden uns mit diesem Thema, das viele beschäftigt, so richtig –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– in den Ebenen der Praxis, um die wir uns gemeinschaftlich kümmern müssen. ({0}) Ich hoffe, Sie machen dabei mit. Herzlichen Dank. ({1})