Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer die Bilder und Berichte wahrnimmt, die uns seit dem 24. Februar Tag für Tag aus der Ukraine erreichen, kann nur zu einem Ergebnis kommen: In diesen Wochen geht ein besonders schweres Jahr zu Ende. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine ist ein entsetzlicher Einschnitt. Er trifft zuallererst die Ukrainerinnen und Ukrainer. Sie ertragen seit fast zehn Monaten Vertreibung und Verschleppung, Verwundung und Tod.
Aber einen Einschnitt – eine Zeitenwende – bedeutet Russlands Krieg auch für ganz Europa und die Welt. Die Themen des Europäischen Rates morgen in Brüssel spiegeln den Ernst der Lage wider, in die Putin unseren Kontinent gestürzt hat. Sie belegen aber noch etwas – und vor allem darüber will ich heute sprechen: Sie belegen, wie fundamental Putin sich verrechnet hat. Putin glaubte, seine Truppen würden die Ukraine innerhalb von Tagen überrennen. Er glaubte, wir in Europa und im demokratischen Westen seien zu uneinig, um der Ukraine wirksam zu helfen. Er glaubte, er könne Europas Solidarität austrocknen, indem er uns den Gashahn zudreht. Aber kein einziger von Putins Plänen ist aufgegangen,
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weil Putin sich getäuscht hat über den Mut der Ukrainerinnen und Ukrainer, über Europa, über uns, über den Charakter unserer Demokratien, über unseren Willen, uns zu widersetzen gegen Großmachtwahn und Imperialismus.
Meine Damen und Herren, das ist die wirkliche Geschichte dieses Jahres 2022: Die Ukraine widersteht der russischen Aggression; aber auch wir haben die Herausforderung angenommen. Gemeinsam mit unseren Freunden und Partnern haben wir die Ukraine entschlossen unterstützt – finanziell, humanitär und auch mit Waffen. Diese Unterstützung setzen wir fort, und zwar genau so lange, wie sie benötigt wird. Auch deshalb kämpfen die tapferen Streitkräfte der Ukraine immer erfolgreicher. Und weil das so ist, geht Russland dazu über, die ukrainische Infrastruktur zu zerstören, wehrlose Kinder, Frauen und Alte mit Raketen zu beschießen. Was für eine furchtbare und zugleich völlig verzweifelte Strategie der verbrannten Erde! Aber auch damit kommt Putin nicht durch, weil die Ukrainerinnen und Ukrainer zusammenstehen und standhalten und weil wir die Ukraine umso mehr unterstützen, mit allem, was sie braucht, um auch dieser niederträchtigen Art der Kriegsführung zu widerstehen.
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Dazu gehören jetzt Stromgeneratoren und Transformatoren genauso wie die Artillerie und Flugabwehrsysteme, die wir liefern. Es sind ja nicht zuletzt die Gepard-Flakpanzer aus Deutschland, die hochwirksam dazu beitragen, dass ziemlich viele russische Flugkörper abgeschossen werden. Gerade jetzt geht es dazu auch um konkrete Maßnahmen zur Versorgung der Ukraine mit Wärme, Wasser und Strom. Deshalb bin ich unseren französischen Freunden, besonders Emmanuel Macron, sehr dankbar für die gestern in Paris veranstaltete Solidaritätskonferenz. Dabei ging es gezielt darum, wie die Widerstandskraft der Ukraine in diesem Winter mit Blick auf die Instandsetzung der Energieinfrastruktur gestärkt werden kann. Auch im Europäischen Rat werden wir uns darüber weiter abstimmen.
Zugleich sorgen wir dafür, dass die Ukraine auch 2023 die finanziellen Mittel bekommt, die sie braucht. Zusammen mit den internationalen Partnern hat Europa der ukrainischen Regierung seit Kriegsbeginn bereits umfangreiche Finanzhilfen geleistet. Für 2023 stellt die EU der Ukraine weitere 18 Milliarden Euro an außerordentlicher Finanzhilfe planbar und zielgerecht zur Verfügung.
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Denn die Ukraine muss jetzt in die Lage versetzt werden, diesen Winter zu überstehen.
Mit Blick auf die Zukunft will ich hier aber auch anmerken: Wer immer glaubt, er könne die Grundwerte der EU, zu denen sich alle Mitgliedstaaten verpflichtet haben, ausspielen gegen die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der Union, der wird damit scheitern.
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Meine Damen und Herren, auch die Arbeit am Marshallplan für den langfristigen Wiederaufbau der Ukraine kommt voran. Im Oktober haben wir führende Expertinnen und Experten der Welt hier in Berlin zusammengebracht, um dafür Konzepte zu entwickeln. Jetzt treiben wir die Bildung einer internationalen Geberplattform voran, die den Wiederaufbau koordinieren wird. Erst vorgestern haben wir uns mit unseren Partnern in der G 7 und mit der EU auf Eckpfeiler dieser Plattform geeinigt. Zugleich werden wir in der G 7 weiter zusammenarbeiten, um die Schwächsten in der Welt vor den Folgen dieses Krieges zu schützen, in dem Russland auch Ernährung und Energie gezielt als Waffe einsetzt.
Parallel dazu erhöhen wir den Sanktionsdruck auf Putins Regime. Das Embargo der EU für Öl aus Russland ist in Kraft. Seit vorletzter Woche gilt in Europa, in den G 7 und darüber hinaus der vereinbarte Ölpreisdeckel. Die Sanktionen gegen Russland werden wir so lange aufrechterhalten und weiter verschärfen, wie Putin seinen brutalen Angriffskrieg fortsetzt.
Meine Damen und Herren, der russische Angriffskrieg bedeutet eine Herausforderung für den Zusammenhalt der Europäischen Union. Aber auch diese Herausforderung haben wir angenommen – gemeinsam und stark. Europa steht seit dem 24. Februar fest zusammen. Dafür hat die Bundesregierung von Anfang an gearbeitet. Wir haben unsere Partner unterstützt und umgekehrt ihre Unterstützung erfahren. Das ist gelebte europäische Solidarität.
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Auch im Hinblick auf die Verteidigung unserer Freiheit und Sicherheit in Europa haben wir die vergangenen Monate intensiv genutzt. Hier in Deutschland, in Europa und in der NATO haben wir uns verteidigungspolitisch neu ausgerichtet. Unsere Bündnispartner wissen genau: Sie können sich auf uns verlassen. Sie wissen: Wir werden, falls nötig, jeden einzelnen Quadratmeter des Bündnisgebiets verteidigen.
Dafür haben wir das Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro beschlossen – die größte Investition in unsere Bundeswehr seit ihrem Bestehen wird damit möglich. Dafür rüsten wir unsere Streitkräfte nach Jahren der Vernachlässigung endlich angemessen aus. Dafür beschaffen wir moderne F-35-Kampfjets und leisten weiter unseren deutschen Beitrag zur nuklearen Teilhabe in der Allianz. Dafür halten wir in diesem Jahr und in den nächsten beiden Jahren bis zu 17 000 Soldaten für die NATO Response Force vor. Dafür übernehmen wir 2023 erneut die Führung der Schnellen NATO-Eingreiftruppe. Dafür werden wir ab 2025 für die NATO-Streitkräftestruktur dauerhaft 30 000 Soldaten bereitstellen. Dafür sind wir mit Kräften des Heeres und der Luftwaffe in der Slowakei präsent. Dafür sichern wir mit unserer Luftwaffe den Luftraum über Estland und erhöhen die Präsenz unserer Marine in der Ostsee. Dafür haben wir den NATO-Gefechtsverband in Litauen dauerhaft verstärkt und verbessern so die Verteidigung des ganzen Baltikums.
Dafür verstärken wir gemeinsam mit Norwegen und anderen Küstenstaaten aus NATO und EU den Schutz von Pipelines und anderer kritischer Offshore-Infrastruktur. Und dafür habe ich vor drei Monaten in Prag auch den Vorschlag gemacht, einen Raketenschutzschirm aufzubauen, um so die europäischen Fähigkeiten innerhalb der NATO zu stärken. Es ist gut, dass sich schon 15 Partner unserer Initiative angeschlossen haben.
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Und es ist gut, dass wir in der EU beschlossen haben, unsere Partner weltweit, allen voran die Ukraine, mit neuen Mitteln der Europäischen Friedensfazilität weiter zu unterstützen.
Mit allen diesen Maßnahmen stärken wir nicht nur die Sicherheit unserer Freunde und Alliierten, sondern zugleich auch unsere eigene Sicherheit. Mit allen diesen Maßnahmen stärken wir das Vertrauen aller Partner in unsere Bereitschaft, im Bündnis Verantwortung zu übernehmen. Diesen Kurs haben wir seit dem 24. Februar entschlossen eingeschlagen. Diesen Kurs halten wir.
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Meine Damen und Herren, Europas Sicherheit – das bedeutet auch Europas Energiesicherheit. Auf keinem anderen Gebiet haben wir in so kurzer Zeit so großen Fortschritt erzielt.
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Nichts beweist das so deutlich wie die Eröffnung des ersten schwimmenden Terminals für Flüssiggas, die wir am Sonnabend in Wilhelmshaven feiern werden. Im Juli war Baubeginn, und jetzt ist dieses erste deutsche LNG-Terminal fertig.
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Schon in dieser Woche wird das erste Schiff mit Flüssiggas in Wilhelmshaven anlegen. Seit Monaten habe ich das angekündigt. Und seit Monaten haben mich Leute ungläubig angeguckt und gesagt: „Noch in diesem Jahr? Das wird doch nie was.“ Das hat vermutlich auch Wladimir Putin gedacht. Aber es ist was geworden. Die nächsten Terminals folgen in Kürze: in Lubmin, in Brunsbüttel und in Stade. Ich glaube, ich spreche im Namen von allen oder fast allen in diesem Haus, wenn ich sage: Herzlichen Dank an alle Arbeiterinnen und Arbeiter, an alle Ingenieurinnen und Ingenieure, die im Rekordtempo diese großartige Leistung vollbracht haben!
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Auch ihnen verdanken wir, dass wir in diesem Jahr gut durch den Winter kommen. Sie stehen für viele Millionen Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, die in dieser schwierigen Zeit einfach anpacken, die mit ihrem Zusammenhalt und mit ihrer guten Arbeit dafür sorgen, dass wir über die Runden kommen. Auf jede und jeden von ihnen kommt es an.
Mit unseren Entlastungspaketen und dem 200-Milliarden-Abwehrschirm gegen die Folgen des russischen Angriffskriegs tut die Bundesregierung alles nur Mögliche, um die Lage der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen zu erleichtern. So – und nur so – kommen wir gemeinsam durch diese Zeit.
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Meine Damen und Herren, „gemeinsam“ – das bedeutet vor allem „gemeinsam in Europa“. Nie zuvor haben wir in Energiefragen so eng zusammengearbeitet. Wir haben uns auf gemeinsame Energiesparziele geeinigt, und wir haben uns darauf verständigt, dass wir die hohen Strompreise abfedern. Wir arbeiten am gemeinsamen Einkauf von Gas, sodass wir auch nächstes Jahr unsere Speicher gut füllen können. Dabei ist klar: Einfache Sofortlösungen gibt es nicht. Zum Beispiel können wir nicht so in Preise eingreifen, dass zu wenig Gas nach Europa geliefert wird. Diese Einsicht ist auch für die Verständigung wichtig, an der der Energierat der EU gestern weitergearbeitet hat. Ich bin sicher: Wir werden eine gute, pragmatische Verständigung erzielen.
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Meine Damen und Herren, in einer weiteren Hinsicht erweist sich Putins Krieg als Beschleuniger notwendiger Veränderungen. Für den Umstieg auf erneuerbare Energie steht diese Bundesregierung von Anfang an. Aber jetzt ist klar: Die Erneuerbaren brauchen wir nicht nur wegen der Klimakrise. Wir brauchen sie auch zu unserer Sicherheit, damit wir nie wieder zu abhängig sind von einzelnen Lieferanten. Aus beiden Gründen arbeiten wir daran, dass Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent wird, und auch dabei kommen wir schnell voran.
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Viele Elemente des Pakets „Fit for 55“ der EU werden gegenwärtig noch verhandelt. Wir setzen uns dabei ein für ehrgeizige Ziele, für den mutigen Einstieg in die nächste große Epoche unserer europäischen Industriegeschichte, in der wir mit klimaneutraler Technologie sichere neue Arbeit und neuen Wohlstand schaffen.
Meine Damen und Herren, auch in den Prozess der EU-Erweiterung hat Putins Krieg neuen Schwung gebracht. Der Ukraine, Moldau und perspektivisch Georgien haben wir im Juni den Weg zur EU-Mitgliedschaft eröffnet. Aber wir haben endlich auch den Beitrittsprozess der sechs Staaten des westlichen Balkans wieder unter Dampf gesetzt. Das ist mir ein besonderes Anliegen.
Das Gipfeltreffen des Berlin-Prozesses am 3. November im Kanzleramt hat gezeigt: Konflikte der Vergangenheit sind, wie wir wieder spüren, nicht vorüber, aber überwindbar. Fortschritt in Richtung EU-Mitgliedschaft ist möglich. Diese Einschätzung habe ich letzte Woche beim EU-Westbalkan-Gipfel in Tirana ausdrücklich bekräftigt. Dafür setze ich mich auch weiter energisch ein, morgen beim Europäischen Rat und auch im kommenden Jahr. Darum ist es richtig, dass in dieser Woche auch Bosnien-Herzegowina zum EU-Beitrittskandidaten wird. Es liegt in unserem deutschen und in unserem europäischen Interesse, dass der westliche Balkan Teil der Europäischen Union wird.
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Genauso liegt es in unserem Interesse, dass Kroatien ab 2023 zum Schengenraum gehören wird. Und es liegt in unserem Interesse, dass Rumänien und Bulgarien bald folgen.
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Das ist noch nicht gemacht; aber wir müssen auf diesem Weg weiter vorankommen.
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Meine Damen und Herren, Putins Krieg hat auch bei vielen Fragen nach der Zukunft der Globalisierung und nach Europas Rolle in der Welt des 21. Jahrhunderts neue Klarheit geschaffen. Heute Mittag reise ich ja zuerst zum EU-ASEAN-Gipfel in Brüssel. Das wird das erste Gipfeltreffen überhaupt, das die Regierungschefs der EU und des südasiatischen Staatenverbandes so zusammenbringt. Gemeinsam haben die zehn ASEAN-Staaten 670 Millionen Einwohner; wir in der EU sind 450 Millionen.
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Schon diese enormen Zahlen zeigen: Die Vorstellung einer bipolaren Ära, in der sich alles um die USA und China dreht, geht an der globalen Wirklichkeit vorbei.
Natürlich, an der herausgehobenen Rolle der USA besteht kein Zweifel, auch nicht an der Rivalität zwischen den USA und China. Mit unserem wichtigsten globalen Partner, den USA, verbinden uns Europäer dabei vielfältige gemeinsame Werte und Interessen. Gerade dieses Jahr hat wieder gezeigt, wie unverzichtbar das transatlantische Bündnis ist.
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Das schließt Differenzen in Einzelfragen nicht aus.
Die amerikanischen Investitionen in den Klimaschutz sind ein beeindruckender Beitrag zur Transformation der US-Wirtschaft, und – auch das muss an dieser Stelle und hier gesagt werden – lange haben wir uns gewünscht, dass eine solche Zielrichtung in den USA verfolgt wird. Aber sie dürfen – auch das ist klar – nicht den fairen Wettbewerb verhindern. Darum unterstütze ich sehr, dass die Europäische Kommission intensive Gespräche mit den USA führt. Ich habe mit dem amerikanischen Präsidenten gesprochen; der französische Präsident hat das auch getan. Denn wir dürfen uns im transatlantischen Verhältnis nicht auseinanderdividieren lassen. Im Gegenteil: Statt einer großen Auseinandersetzung sollten wir noch enger zusammenarbeiten und den gemeinsamen und fairen Handel mit den USA stärken.
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Meine Damen und Herren, Chinas Aufstieg zur Weltmacht ist eine Tatsache, mit der wir zurechtkommen müssen. Dabei wäre es falsch, „zurechtkommen“ mit „abkoppeln“ zu übersetzen, mit „decoupling“ oder „Deglobalisierung“. Das wäre nicht der richtige Weg. Als Wirtschafts- und Handelspartner bleibt China für uns wichtig, und über viele globale Fragen wollen und müssen wir mit China sprechen, auch da, wo wir unterschiedlich auf Sachverhalte blicken.
Bei meinem Besuch in China habe ich klar zum Ausdruck gebracht, dass Deutschland und Europa für eine regelbasierte internationale Ordnung einstehen, fest verankert in der Charta der Vereinten Nationen. Unsere Sorgen über die wachsende Unsicherheit im Südchinesischen Meer und in der Straße von Taiwan habe ich sehr deutlich formuliert. Das war wichtig. Aber wichtig war zugleich, dass Präsident Xi und ich in einer entscheidenden Frage einig waren: einig darüber, dass bereits die Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen unzulässig ist; einig darüber, dass der Einsatz von Atomwaffen eine rote Linie überschreiten würde, die die Menschheit zu Recht gezogen hat.
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Ich hoffe sehr, dass diese klare und gemeinsame Botschaft auch in Moskau angekommen ist. Mit seinem gewalttätigen Großmachtwahn steht Russland heute so alleine da wie nie zuvor; auf dem G-20-Gipfel kürzlich auf Bali war das für alle Welt zu sehen.
Meine Damen und Herren, die Welt des 21. Jahrhunderts wird eine multipolare Welt sein. Wenn es um Lösungen für die großen globalen Themen geht – Klimaschutz, Pandemien, Biodiversität oder Digitalisierung –, dann müssen wir unsere Netze weiter auswerfen, dann müssen wir nicht nur unsere Lieferketten diversifizieren, sondern auch unsere Verhandlungen und Verbindungen in alle Teile der Welt, dann brauchen wir enge und vertrauensvolle Partnerschaften, besonders mit den aufstrebenden Nationen in Asien, in Afrika, in Lateinamerika und in der Karibik.
Darum haben wir zum diesjährigen G‑7-Gipfel in Elmau auch die Regierungschefs wichtiger demokratischer Staaten des Globalen Südens eingeladen. Darum bin ich in diesem Jahr gezielt in Länder wie Vietnam und Singapur, Japan und Indonesien, Südafrika, Senegal oder Niger gereist. Darum habe ich Premierminister Modi zu deutsch-indischen Regierungskonsultationen empfangen. Und darum haben wir unsere gesamte deutsche G‑7-Präsidentschaft genutzt, um für die Gründung eines offenen, kooperativen internationalen Klimaklubs zu werben, um so den globalen Klimaschutz voranzubringen. Es ist ein erfreulicher Abschluss unserer Präsidentschaft, dass die G 7 Anfang dieser Woche den Rahmen dieses Klubs förmlich beschlossen hat.
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Wir werden jetzt schnell auf weitere Staaten zugehen, damit der Klimaklub zu vereinten Anstrengungen gegen den Klimawandel führt.
Meine Damen und Herren, niemand leidet so sehr unter Russlands Angriffskrieg wie die Ukrainerinnen und Ukrainer. Wir stehen fest an ihrer Seite.
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Aber auch uns Deutsche, unsere Freunde und Partner hat Putins Krieg vor enorme Herausforderungen gestellt. Diese Herausforderungen haben wir angenommen; an diesen Herausforderungen sind wir gemeinsam gewachsen. Diejenigen, die nicht geglaubt haben, dass wir das können, die haben sich gewaltig geirrt.
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Das ist die gute Nachricht, die am Ende dieses so bitteren Jahres zuversichtlich stimmt: Wir in Deutschland haben gemeinsam den richtigen Weg eingeschlagen. Wir stehen zusammen, wir lassen niemanden allein.
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Ich eröffne nun die Aussprache. Zuerst hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Friedrich Merz.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir begrüßen ausdrücklich, dass Sie, Herr Bundeskanzler, vor dem letzten Europäischen Rat in diesem Jahr und auch vor dem ersten EU-ASEAN-Gipfel heute eine Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag abgeben.
Wir teilen Ihre Einschätzung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und vor allem Ihre Bewertung der Entwicklung dieses Krieges in den letzten Wochen. Das russische Regime unter Präsident Putin verübt mit den gezielten Angriffen gegen die Infrastruktur des Landes, gegen die Wohnbezirke, gegen Kinderheime, gegen Krankenhäuser und Altenheime schwerste Kriegsverbrechen, für die Putin und seine Schergen eines Tages von der Weltgemeinschaft zur Rechenschaft gezogen werden müssen.
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Wir stimmen Ihnen zu, Herr Bundeskanzler, dass die Europäische Union und die NATO in den Wochen und Monaten seit dem Beginn dieses Krieges am 24. Februar zusammengewachsen sind und sich als handlungsfähig erwiesen haben.
Putin und sein verbrecherisches Regime haben vor allem die Widerstandsfähigkeit der Ukraine, die Standhaftigkeit ihrer Regierung unter Präsident Selenskyj, die Opferbereitschaft und die Leidensfähigkeit ihrer Bevölkerung und auch die Einsatzfähigkeit und Kampfkraft der Armee vollkommen unterschätzt.
Wir können zum Ende dieses, wie Sie es gesagt haben, Herr Bundeskanzler, besonders schweren Jahres dem ukrainischen Volk nur mit größtem Respekt unsere Anerkennung und auch unsere Anteilnahme an seinem Schicksal aussprechen.
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Zum Ende des Jahres trauern die Familien in der Ukraine um viele Tausend gefallene und verwundete Soldaten, um viele Tausend getötete Kinder, junge und ältere Menschen, unschuldige Männer und Frauen, die diesen Kriegsverbrechen zum Opfer gefallen sind. Wenn wir, meine Damen und Herren, in wenigen Tagen unser Weihnachtsfest feiern, in unserem Land, in dem wir doch das große Glück haben, in Frieden und Freiheit zu leben, dann sind unsere Gedanken auch bei den Menschen in der Ukraine, die unvorstellbares Leid und unvorstellbare Not in diesen Tagen aushalten müssen.
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Dem Land stehen im Winter weiterhin schwere Wochen und Monate bevor. Es ist deshalb wichtig, dass wir unsere Unterstützung und Hilfsbereitschaft erneut unterstreichen und darin nicht nachlassen. Das gilt für die humanitäre und finanzielle Hilfe; das gilt aber auch für die militärische Hilfe. Anders als der ein oder andere in diesem Haus und außerhalb meint, sagen und denken zu müssen, verlängert unsere Hilfe diesen Krieg nicht. Das Gegenteil ist richtig: Je mehr wir helfen, desto schneller ist dieser Krieg vorüber.
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Deshalb, Herr Bundeskanzler, bleiben wir dabei: Ja, Deutschland hat nach langem Zögern einiges an wichtigem militärischen Gerät geliefert. Aber nach wie vor fehlen der ukrainischen Armee Schützenpanzer und Kampfpanzer, die wir aus unseren Beständen und aus Beständen der Industrie liefern könnten. Fast zehn Monate nach Beginn dieses Krieges verstecken Sie, Herr Bundeskanzler, sich immer noch hinter den NATO-Partnern, die angeblich auch nicht liefern wollen. Wir wissen mittlerweile, dass dies falsch ist. Es liegt vor allem an Ihnen ganz persönlich, dass die Ukraine diese Hilfe nicht bekommt.
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Sie haben in Ihrer Rede gesagt: Wir haben hier in Deutschland unsere Verteidigungspolitik neu ausgerichtet. – Herr Bundeskanzler, das nehmen die NATO-Partner und die Europäische Union anders wahr. Sie bleiben weit hinter den Zusagen zurück, die Sie von dieser Stelle aus am 27. Februar in Ihrer Regierungserklärung gegeben haben. Der Verteidigungsetat der Bundesrepublik Deutschland sinkt. Wenn wir viel Glück haben, dann wird heute im Laufe des Tages der Beschluss des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages gefasst, von diesen 100 Milliarden Euro nun die ersten Mittel freizugeben – zehn Monate nach dem Beginn des Krieges,
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mehr als ein halbes Jahr, nachdem wir hier unter großem Zeitdruck, unter den Sie uns gesetzt haben, die Änderung des Grundgesetzes beschlossen haben.
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Diese Einschätzung, die Sie hier abgegeben haben, stimmt nicht mit der Wirklichkeit überein.
Sie haben in Ihrer Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler, die wichtige Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union angesprochen. Natürlich teilen wir diese Einschätzung in dieser Frage mit Ihnen. Aber so wortreich Sie diese Zusammenarbeit als gut funktionierend dargestellt haben: Es ist doch nicht zu übersehen, dass wir zurzeit eine tiefe Störung des deutsch-französischen Verhältnisses erleben. Sehr viele Beobachter in Berlin und vor allem in Paris sprechen von einem Tiefpunkt der Beziehungen. Und es war der französische Staatspräsident, der Ihnen am Rande des letzten Gipfels in Brüssel gesagt hat – wörtlich –: Es ist nicht gut, „wenn Deutschland sich isoliert“. – „Der Tagesspiegel“ titelt heute: „Einzelgänger in der EU-Politik“. Herr Bundeskanzler, das ist die Wahrnehmung anderer außerhalb Ihrer Regierung.
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Ich füge eine Bemerkung hinzu, da Sie noch einmal auf die Rede Bezug genommen haben, die Sie im Sommer, im August an der Karlsuniversität in Prag gehalten haben. Sie haben in dieser Rede Frankreich, die deutsch-französischen Beziehungen, die gemeinsame Gründungsgeschichte in der Europäischen Union und die deutsch-französische Freundschaft als einen der wichtigsten Pfeiler der EU-Politik mit keinem einzigen Wort erwähnt. Das mag vielleicht in Ihrer Regierung niemand bemerkt haben. Aber in Paris ist das mit größter Aufmerksamkeit wahrgenommen worden. Das ist die Realität Ihrer Europapolitik.
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Wir haben von Ihnen heute hier eine ganze Liste von Themen gehört, was jetzt in den nächsten Tagen weiter zu geschehen hat. Ich will es einmal so sagen: Sie listen wie ein guter Anwalt akribisch das Inventar auf, das sich in dem Haus befindet, das wir gemeinsam bewohnen. Aber Ihnen fehlt fast völlig der Blick für die Statik dieses Hauses, für das Fundament dieses Hauses,
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und Ihnen fehlen die Fantasie eines Architekten und der entschlossene Wille eines Baumeisters,
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dieses Haus in Europa jetzt wetterfest und zukunftsfähig zu machen und vielleicht in diesem Haus in Europa sogar einen neuen Teil zu bauen.
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– Wenn Sie jetzt so dazwischenrufen, dann will ich Ihnen drei konkrete Beispiele nennen, über die wir heute Morgen eigentlich auch sprechen müssten.
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Sie haben über die deutsch-amerikanischen und die europäisch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen gesprochen. Was folgt denn aus dieser Beschreibung, die Sie heute Morgen abgegeben haben?
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Heißt das im Klartext, dass Sie, die SPD und die Grünen, jetzt dafür sind, dass mit Amerika ein neues Freihandelsabkommen ausverhandelt wird? Ja oder nein?
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Sie haben hier über China gesprochen und über die Notwendigkeit, uns etwas unabhängiger von China zu machen. Sie treffen sich jetzt richtigerweise mit den ASEAN-Staaten in Brüssel. Was heißt das denn konkret, etwa im Hinblick auf die Handelsbeziehungen zu Südamerika? Sind Sie jetzt dafür, dass das Mercosur-Abkommen, das ausverhandelt ist mit den südamerikanischen Staaten, ratifiziert und verabschiedet wird als ein neues Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Mercosur-Staaten?
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Und dann muss ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, sagen – das hat mich nun wirklich fast entsetzt –:
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– ich bin gespannt, ob Sie gleich immer noch so reagiere: – Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, dass der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung nicht ein einziges Wort zu den Vorgängen im Iran gesagt hat, meine Damen und Herren?
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In diesem Land werden seit drei Monaten auf offener Straße Demonstranten erschossen. Dieses Land versorgt die Hisbollah und die Hamas mit den finanziellen Mitteln, die diesen Terror überhaupt erst möglich machen. Dieses Land finanziert die Drohnen, die Russland gegen die Zivilbevölkerung in der Ukraine einsetzt.
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Und Sie erwähnen dieses Land mit keinem einzigen Wort!
Herr Bundeskanzler, es wäre doch richtig gewesen, am heutigen Morgen zu sagen, dass Sie sich dafür einsetzen, dass dieses Land jetzt vollkommen isoliert wird und dass von Deutschland eine Initiative ausgeht,
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das Land Iran jetzt so zu isolieren, dass es keine Chance mehr hat, den internationalen Terrorismus zu finanzieren.
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Warum geben Sie uns in der Befragung Ihrer Regierung keine Antwort auf die Frage, ob Sie sich bei diesem Gipfel, der jetzt in Brüssel stattfindet, dafür einsetzen, diese sogenannten Revolutionsgarden, die die Stütze des Regimes sind, als eine Terrororganisation einzustufen? Warum bekommen wir noch nicht einmal eine Antwort von Ihrer Regierung, wenn wir Ihnen diese Frage stellen? Ja oder nein, Herr Bundeskanzler?
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Ihre Regierungserklärung enthält viel Richtiges – keine Frage –, mit dem wir einverstanden sind und was wir selbstverständlich aus Überzeugung auch mitverantworten wollen.
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Aber es fällt doch auf, dass ganz wesentliche Teile fehlen und dass Sie vor allem den Fragen gezielt aus dem Wege gehen, die in Ihrer Regierung offenkundig streitig sind, auf die das stärkste und bevölkerungsreichste Land der Europäischen Union aber eigentlich gerade zum Abschluss des Jahres 2022 eine Antwort geben müsste. Herr Bundeskanzler, diese Antworten bleiben Sie uns schuldig.
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Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Katharina Dröge.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, gerade in diesen Tagen zeigt sich, wie wichtig die Europäische Union ist, dass wir die EU dringlicher denn je brauchen. Sie, Herr Merz, haben ja gerade große Worte dazu gefunden, dass wir an einem Europa der Zukunft bauen müssen. Aber wenn man auf die Politik der CDU und CSU in Europa in den letzten Jahren zurückschaut,
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dann stellt man fest: Es war gerade der Kurs von Wolfgang Schäuble, der Europa so gespalten hat,
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der besserwisserische, belehrende Ton, den Wolfgang Schäuble, den die Union insbesondere gegenüber den Ländern Südeuropas an den Tag legten, dieser elende Kurs der Austeritätspolitik,
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mit dem Sie viele südeuropäische Länder zur Privatisierung gezwungen haben, wichtige Investitionen verhindert haben. Das ist Ihr Erbe, und das hat Deutschlands Ruf bei unseren europäischen Nachbarländern schwer belastet; das ist Ihr Erbe in der Europapolitik.
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Ja, wir arbeiten an einem Europa der Zukunft. Das ist wirklich harte Arbeit: 27 Mitgliedstaaten mit vielen unterschiedlichen Perspektiven, die jeden Tag miteinander um den besten Weg ringen, aber auch zeigen, dass sie handeln können.
Wir haben hart um harte Sanktionen gegen den Iran gerungen – ein Regime, das auf furchtbare Weise Terror gegen seine eigene Bevölkerung ausübt, das junge Menschen einsperrt, foltert und hinrichtet, nur weil sie es wagen, eine eigene Meinung zu haben, nur weil sie es wagen, von einem Leben in Freiheit zu träumen. Das auszuhalten, ist extrem schwer. Wir arbeiten jeden Tag daran, dafür zu sorgen, dass die Welt hinschaut. Wir arbeiten jeden Tag daran, es diesem Regime schwerer zu machen. Insbesondere die deutsche Außenministerin
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war es doch, die dafür gesorgt hat, dass am Montag weitere Sanktionen in der Europäischen Union beschlossen wurden. Ganz persönlich: Herzlichen Dank, Annalena, dafür. Ich weiß, wie hart das ist, was du da gerade leistest.
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Herr Merz, wenn Sie den Iran hier zu Recht ansprechen, dann muss ich Ihnen sagen: Ich werde Ihnen persönlich nicht vergessen, dass Sie hier im Plenum gelacht haben, als die deutsche Außenministerin über feministische Außenpolitik gesprochen hat.
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Sie haben sich breitbeinig zurückgelehnt und haben das Thema nicht ernst genommen, als wir das auf die Tagesordnung gesetzt haben. Fangen Sie erst mal mit Ihrer eigenen Wertehaltung an, bevor Sie hier andere kritisieren.
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Ja, wir ringen in Europa um die besten Antworten, zum Beispiel auch zum Umgang mit Orban. Es war schäbig, dass Orban ausgerechnet die Hilfen für die Ukraine genutzt hat, um die Europäische Union zu erpressen. Gut, dass sich eine Mehrheit der Mitgliedstaaten nicht davon hat beeindrucken lassen.
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Ja, es hätten noch mehr sein müssen, aber dass der Rechtsstaatlichkeitsmechanismus jetzt angewendet wird, das ist ein historisches Signal und zeigt, wozu die Europäische Union in diesen Zeiten fähig ist.
Wozu die Europäische Union fähig ist, hat sie insbesondere angesichts des furchtbaren Angriffskriegs, den Russland gegen die Ukraine führt, gezeigt. Wir haben zusammengestanden. Wir haben schnelle und harte Sanktionspakete auf den Weg gebracht, und gerade jetzt, in diesem Winter, der lang, dunkel und kalt wird für die Menschen in der Ukraine, ist es so wichtig, dass wir weiterhin mehr helfen, beim Thema „zivile Infrastruktur“ etwa mit Hilfsgütern, mit Generatoren, mit Heizgeräten, mit Containern. All das, was wir liefern können, um den Menschen in der Ukraine jetzt durch diese Zeit zu helfen, müssen wir liefern. Das heißt auch: Unterstützung mit Waffen. Das heißt auch: Unterstützung mit mehr Waffen. Das ist in dieser Zeit wichtig.
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Herr Merz, angesichts Ihrer Worte über die Ukraine – sie waren am Anfang angemessen und empathisch – sage ich Ihnen auch: Solidarität mit der Ukraine zeigt sich auch im Umgang mit Geflüchteten,
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mit den Menschen, die hierher kommen, die unsere Hilfe brauchen. Dass die Union in dieser Zeit, in der so viele Menschen auf unsere Unterstützung angewiesen sind, immer wieder Kampagnen gegen Geflüchtete fährt, immer wieder Sharepics erstellt, wie es die CSU in dieser Woche gegen Geflüchtete gemacht hat,
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über Sozialtourismus spricht, über Pull-Effekte spricht,
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das ist unsolidarisch, auch gegenüber den Menschen aus der Ukraine. Das macht das Leben dieser Menschen hier schwieriger, und Sie haben hier auch Verantwortung.
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Ja, wir brauchen die EU auch, um Antworten auf die großen geopolitischen Herausforderungen dieser Zeit zu geben, etwa den Umgang mit China und auch mit den USA. Der Inflation Reduction Act der USA ist eine krasse Ansage. Auf der einen Seite zeigen sie, wie man beim Klimaschutz Ernst machen kann, und auf der anderen Seite ist es eine Herausforderung für uns, weil diese Politik im Kern protektionistisch ist. Darauf müssen wir in der Europäischen Union eine Antwort geben.
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Unser Ziel ist hierbei klar: Wir müssen Europa zum Leitmarkt für Zukunftstechnologien, für grüne Technologien machen. Das zu fördern, ist die beste Antwort, die wir auf den Inflation Reduction Act geben können.
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Dazu gehört übrigens auch, unserer Industrie hier vor Ort zu helfen, fit zu werden für den klimaneutralen Markt der Zukunft.
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Herr Merz, dieser Reflex, immer alles zu kritisieren, was die Regierung macht,
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und immer alles doof zu finden, nur weil es von der Regierung kommt, hat genau an dieser Stelle nicht funktioniert. Sie haben Herrn Habeck dafür kritisiert, dass wir jetzt Verträge mit der Industrie auflegen, damit sie auf Grünen Wasserstoff, auf eine klimaneutrale Stahlproduktion umstellen können.
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Sie haben das kritisiert und schlecht gefunden und dabei sogar vergessen, dass es in Ihrem eigenen Bundestagswahlprogramm stand.
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Dieser Reflex, einfach nur alles doof zu finden, ist im Kern populistisch. Wer so handelt, ist im Kern nicht ernsthaft. Und ich wundere mich wirklich: Ich habe in den letzten Wochen von der Union mehr Sharepics gefunden zu irgendwelchen Leuten, die sich auf Straßen festkleben, als eine zukunftsgerichtete Antwort für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Sie hatten mal vor, eine Wirtschaftspartei zu sein. Im Kern haben Sie keine Antworten für die Zukunft unseres Landes,
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weder bei der klimaneutralen Wirtschaft noch beim Thema Fachkräftestrategie, wo Sie auch einfach gegen alles sind, was der Wirtschaft helfen würde, den Fachkräftemangel in diesem Land zu bekämpfen.
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Das ist keine ernsthafte Oppositionspolitik.
Die CDU hatte mal den Anspruch, eine staatstragende Partei zu sein. Momentan haben Sie sich in eine Populismusopposition zurückgezogen. Ich hoffe, Sie kriegen das in Zukunft wieder besser hin.
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Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Tino Chrupalla.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Landsleute! Herr Merz, Sie haben auf die Rede vom Herrn Bundeskanzler erwidert, Sie seien entsetzt, weil Teile gefehlt haben. Was ich bei allen meinen Vorrednern, auch in Ihrer Rede, eben nicht gehört habe und was mich entsetzt hat, ist, dass Sie kaum ein Wort über das eigene Land verloren haben, dass Sie kaum ein Wort über die Sorgen und Nöte der deutschen Bevölkerung verloren haben. Das sagt eigentlich alles aus.
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Bereits die vergangenen EU-ASEAN-Gipfeltreffen haben uns nämlich auch eines gezeigt: Die Staaten wollen sich nicht zwischen zwei Verhandlungspartnern entscheiden. Darin haben sie uns und Europa mittlerweile einiges voraus. Sie wägen die Zusammenarbeit nämlich interessengeleitet ab, anstelle sich durch Sanktionen zu separieren.
China, meine Damen und Herren, gehört zu Asien: geografisch, kulturell und wirtschaftlich. Differenzen gibt es auch dort überall. Die kann man jedoch nur gemeinsam beraten, ohne die komplette Öffentlichkeit in die eine oder die andere Richtung zu instrumentalisieren. So kann jeder sein Gesicht wahren, und Missverständnisse werden so auch vermieden. Diese sind in den letzten Monaten schon oft genug als Konfrontation wahrgenommen worden. Genau das, werte Kollegen, gilt es auch zu vermeiden. Wir brauchen Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Niemand möchte sich zuerst mit ideologischen Denkansätzen seines Gegenübers beschäftigen. Für eine friedliche Welt ist der respektvolle Umgang miteinander der erste Schritt.
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Gerade die aktuelle Situation in Deutschland zeigt, dass wir als ein Land ohne Rohstoffe und mit hoher Inflation es uns überhaupt nicht erlauben können, ständig wirtschaftliche Sanktionen im Namen der sogenannten – wir haben es ja heute wieder gehört – feministischen Außenpolitik zu erlassen. Dieses Instrument schadet Deutschland ebenso nachhaltig wie seinen Bürgern, und genau das muss ein Ende haben.
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Schon längst reden wir nicht mehr nur über Russland. Mittels Berichterstattung zur innenpolitischen Auseinandersetzung sendet die Bundesregierung Signale an unliebsam gewordene Länder aus; wir haben es heute auch gehört. Diese sorgen dort zumindest für Erstaunen bis hin zu Unverständnis; denn über Jahrzehnte – das muss man ja auch mal sagen – hat man vernünftig kommuniziert, diplomatische Standards gewahrt und wirtschaftlichen Austausch gepflegt. Das waren die Leitlinien deutscher Außenpolitik der letzten Jahrzehnte.
Spätestens seit dieser Ampelregierung stehen ideologische Lehrstunden gegenüber anderen Nationen und Kulturen mittlerweile auf der Tagesordnung. Man unterscheidet nur noch zwischen gut und schlecht, zwischen schwarz und weiß. Da frage ich Sie: Können Sie sich, meine Damen und Herren, eigentlich noch vorstellen, dass diese Stimmung mittlerweile als feindselig aufgenommen wird?
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Ich frage Sie: Wem nutzt das? Meinen Sie, das hilft den Menschen vor Ort in den Ländern?
Ja, die geführten Auseinandersetzungen sind in Teilen auch gewalttätig, was wir als Alternative für Deutschland auch nicht verteidigen. Ist man aber ein besserer und vertrauensvollerer Partner, wenn man von außen einen vielleicht gewaltsamen Regimewechsel aktiv herbeiführen möchte? Natürlich nicht. Sie stellen sich – und damit Deutschland – dauerhaft vollkommen ins Abseits. Das trägt weder zu Frieden in der Region oder der Welt bei, noch nutzt es den deutschen Bürgern. Mit Ihrer Politik teilen Sie die Welt in zwei Hälften, schotten Deutschland einseitig ab und treiben so auch die Deindustrialisierung weiter voran.
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Sie setzen den mittlerweile längst eingeschlagenen Kurs der Merkel-Regierung fort. Dass der Wirtschaftsstandort Deutschland schon seit Jahren immer weniger attraktiv ist, zeigt die steigende Zahl der Firmen, die bereits abgewandert sind oder die es planen. Diese Zahlen sind alarmierend und müssten mittlerweile auch im Wirtschaftsministerium angekommen sein. So konnte man in der „FAZ“ am 30. November dieses Jahres nachlesen, dass laut einer Umfrage des Statistischen Bundesamtes unter 600 mittelständischen Unternehmen mittlerweile 20 Prozent bereits konkrete Pläne haben, Deutschland zu verlassen. Und das ist nicht der Anfang: Von 2018 bis 2020 gingen bereits 1,6 Prozent der deutschen Firmen diesen Weg – also lange vor den Ereignissen des Jahres 2022.
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Sehr bedenklich sind zudem die Geschäftsbereiche, die vorrangig ausgelagert wurden, darunter die Warenproduktion und deren Vertrieb, aber auch die Forschung und Entwicklung. Das letzte Know-how, der letzte Rohstoff – Forschung und Entwicklung – wandert also mittlerweile ab.
Verstehen Sie da wirklich die Signale? Ich weiß es nicht. Zuerst wurden Produktionsprozesse aus Deutschland ausgelagert, und die Politik sagte: Wir werden eine Dienstleistungsgesellschaft; das war hier die Ansage.
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Aber das gehört mittlerweile auch der Vergangenheit an. Auch Dienstleistungen werden mehr und mehr ausgelagert. Da frage ich Sie: Warum sollte sich überhaupt noch ein Unternehmen in Deutschland ansiedeln? Diese Frage können Sie überhaupt nicht mehr beantworten. Die Ursachen sind nämlich klar – die benennen Sie kaum noch –: Hohe Sozialabgaben, die Steuerlast, die zu hoch ist, Bürokratie und natürlich nicht zuletzt die hohen Energiepreise tragen genau dazu bei, dass dieser Wirtschaftssektor bald auch nicht mehr existiert und dass Deutschland keine Wirtschaftsnation in dem Umfang mehr sein wird.
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Beispiele sehen wir gerade auch hier in Berlin tagtäglich. Handwerksbetriebe wie Bäckereien schließen, und die Gastronomie kann keine Angebote mehr machen, weil die Arbeitskräfte fehlen – und das in einer Bundeshauptstadt.
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Gehen Sie mal in Ihren Wahlkreis, sofern Sie überhaupt einen haben, und schauen sich die Lage mal vor Ort an. Können Sie Ihren Wählern diesen Niedergang eigentlich überhaupt noch vermitteln?
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Wenn man die Abwanderung, die ja auch in keinen Kontext mehr gesetzt wird, mal betrachtet, sieht man: Seit 2014 verlassen jährlich fast 250 000 Deutsche dieses Land. Das waren bis zum Jahr 2020 2 Millionen deutsche Leistungsträger,
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die dieses Land verlassen haben. Und Sie reden immer wieder von Zuwanderung. Die Gründe dafür sollten Sie mal ermitteln; denn das ist ein Skandal.
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Sie dürfen mir glauben, dass die Bürger Tag für Tag die Folgen Ihrer destruktiven Politik sehen und erleben; denn diese Politik führt unser Land auch in die energiepolitische Sackgasse. Mit Ihrer Entscheidung, die grundlastfähigen Energieträger wie Kohle, Gas, aber auch Kernkraft aus Deutschland zu verbannen, enthalten Sie Bürgern und Unternehmen die kontinuierliche Energieversorgung vor. Und nein, aktuelle Dunkelflauten können Sie eben nicht beeinflussen, wohl aber einen vernünftigen Energiemix, wie wir von der AfD ihn immer wieder gefordert haben. Sie als Bundesregierung werden mehr und mehr zum Treiber der Inflation.
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Sie sind die Hauptursache der Inflation in Deutschland.
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Deshalb: Machen Sie die energiepolitische Kehrtwende! Machen Sie endlich Politik für Deutschland und für die Bürger! Sie haben die Aufgabe, auch in schwierigen Zeiten realpolitische Lösungsansätze zu erarbeiten. Hören Sie auf, stattdessen Ihre Ideologie mit immer wieder neuen Bedrohungsszenarien durchsetzen zu wollen. Wir, die Opposition, werden Sie immer wieder in die Pflicht nehmen, Politik zum Wohle des deutschen Volkes zu machen. Wir, die Opposition dieses Hohen Hauses, haben die Aufgabe, Ihre Regierungspolitik kritisch zu begleiten. Das ist der Kern unserer demokratischen parlamentarischen Ordnung, und nicht, Ihnen auf der Regierungsbank mit warmen Worten zu schmeicheln. Das machen Sie jeden Tag schon selbst genug.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Christian Dürr.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir im Februar nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hier zu einer Sondersitzung des Deutschen Bundestages zusammengekommen sind, haben wir uns gegenseitig versprochen, dazu beizutragen, dass die demokratische Welt in dieser schwierigen Zeit zusammensteht, dass die Europäische Union zusammensteht und dass die Demokratien der Welt die Ukraine unterstützen. Wir können jetzt, nach zehn fürchterlichen Monaten des Krieges – die Vorredner, bis auf den letzten, sind darauf eingegangen, welch fürchterliches Leid die Menschen in der Ukraine dieser Tage immer noch erfahren –, feststellen, dass die Demokratien der Welt zusammenstehen. Meine Damen und Herren, das ist ein ganz wichtiges Signal: Die Demokratien der Welt stehen gegen den russischen Aggressor zusammen. Das ist auch für die Menschen in der Ukraine ein ganz wichtiges Signal.
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Jetzt tagt der EU-Rat. Herr Bundeskanzler, Sie sind heute auf dem Weg zum ASEAN-Gipfel; ich komme gleich noch einmal darauf zu sprechen. Insbesondere die Europäische Union spielt allein wegen der geografischen Nähe eine ganz wichtige geopolitische Rolle. Das, was dort ganz konkret besprochen wird – beispielsweise der Ölpreisdeckel, um die russischen Staatseinnahmen zu drosseln, oder die Ausweitung der personenbezogenen Sanktionen –, findet breite Unterstützung, die Sie von hier mit auf den Weg nehmen können. Gleichzeitig ist wichtig, was wir schon geleistet haben und weiter leisten werden. Ich denke an die finanziellen Hilfen für die Ukraine, die der Bundesfinanzminister im Rahmen der G 7 und der Europäischen Union zugesichert hat, oder an die Justizhilfen, die der Bundesjustizminister auch im Rahmen der G 7 und der Europäischen Union diskutiert hat und die Sie als Bundeskanzler im EU-Rat heute und in den nächsten Tagen besprechen werden.
Meine Damen und Herren, wir alle stehen, obgleich sich dieses Volk mitten im anhaltenden Krieg befindet, in dauerndem Austausch mit den Menschen und den Führungspersönlichkeiten in der Ukraine. Die Demokratien der Welt – Deutschland, die Europäische Union – senden jeden Tag das klare Signal an die Menschen in der Ukraine: Wir stehen an eurer Seite und unterstützen euch, wo immer es geht. Das ist ein ganz wichtiges Signal diese Woche, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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An der Stelle will ich auch ganz kurz auf die Europäische Union selbst zu sprechen kommen. Die Einführung des Rechtsstaatsmechanismus war ein ganz großer Schritt nach vorne. Denn ja, wir als Europäer müssen offen sagen, dass hier und da die Rechtsstaatlichkeit auch innerhalb der EU infrage gestellt wird. Ich will es in aller Klarheit unterstreichen: Herr Orban, die Finanzhilfen für die Ukraine sind keine Pokerchips in diesem Spiel.
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Meine Damen und Herren, wir wollen auch Rechtsstaatlichkeit innerhalb der EU durchsetzen. Es geht um starke Demokraten, starke Rechtsstaatlichkeit innerhalb der Europäischen Union.
Dann müssen wir auch darüber diskutieren – der Oppositionsführer Friedrich Merz hat es angesprochen –, wie wir uns als viertgrößte Volkswirtschaft in der Welt aufstellen. Meine Damen und Herren, der Inflation Reduction Act der US-Regierung macht uns natürlich große Sorgen, keine Frage. Herr Merz, Sie haben hier ganz viele Fragen gestellt. Die Fragen bezüglich des Freihandels hat der Deutsche Bundestag in der letzten Sitzungswoche aber längst beantwortet:
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Wir wollen mit Südamerika, mit Mercosur, mit Chile, mit Mexiko vorangehen, wir wollen einen Neustart des Freihandelsabkommens mit den Vereinigten Staaten.
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Herr Merz, ich weiß, da ist immer noch viel aufzuarbeiten, offensichtlich auch in Ihrer politischen Geschichte gegenüber der eigenen Partei und der eigenen Regierungsverantwortung. Das sind alles Punkte, Herr Merz, die unter einer unionsgeführten Bundesregierung nicht möglich waren. Wir sind eine Freihandelsnation innerhalb Europas, und wir wollen den Freihandel vorantreiben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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An der Stelle will ich auch ansprechen – der Herr Bundeskanzler sprach darüber in Bezug auf den kommenden Samstag –, was wir in Deutschland als konkrete Antwort auf diesen Angriffskrieg, auf diese Krise gerade im Bereich der Energiepolitik leisten konnten. Angesichts der Tatsache, dass Deutschland als langsam galt, als ein Land, das hundertmal nachgedacht hat, das über ein Jahrzehnt braucht, um einen Flughafen in seiner Hauptstadt zu bauen: Wer hätte uns denn ernsthaft zugetraut, dass wir innerhalb weniger Monate ein LNG-Terminal in Deutschland
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planen, genehmigen, bauen und am Samstag in Betrieb nehmen werden, meine Damen und Herren? Das ist die Beschleunigung, die Deutschland braucht. Das macht diese Koalition, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Gleichzeitig schreiten wir bei den Modernisierungsprojekten weiter voran. Ich denke an die Digitalstrategie. Über Planungsbeschleunigung sprach ich gerade. Ich denke auch an die Sozialstaatsreform; das Bürgergeld wird zum 1. Januar 2023 in Kraft treten. Ich denke an Dinge wie die Absicherung der gesetzlichen Rentenversicherung über die Aktienrente und an eine BAföG-Reform. Über die Handelsagenda sprach ich gerade.
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Meine Damen und Herren, zu den Zukunftsprojekten dieser Koalition gehört auch, Deutschland endlich zu einem modernen Einwanderungsland zu machen.
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Wir sind weltoffen. Gleichzeitig machen wir das im besten Interesse unseres Landes und unserer Volkswirtschaft, liebe Kollegen. Diesen Fortschritt tragen wir nach Europa. Wir wollen gemeinsam mit unseren europäischen Partnern gerade in diesen harten geopolitischen Zeiten zusammenarbeiten.
Zu guter Letzt, Herr Merz, da ja viel Kritik – jedenfalls zu zwei Drittel Ihrer Rede – gegenüber dem Bundeskanzler und der Bundesregierung dabei war: Wenn ich mir die Zeitungsüberschriften der letzten Monate anschaue, dann sehe ich im April: „Bundeswehr: Merz droht mit Blockade des Milliardenpakets.“, im Oktober: „Streit um Bürgergeld – CDU droht mit Blockade.“, im November: Merz droht mit Blockade der Preisbremsen. – Das ist zurzeit keine konstruktive Oppositionspolitik.
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Und ehrlicherweise ist es nicht einmal eine Politik der Alternativen zu der Politik dieser Bundesregierung.
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Die Sprachbilder, die Sie gerade in Ihrer Rede genutzt haben, Herr Merz, die Sprachbilder von „Bob der Baumeister“ sind kein Beweis dafür, dass Sie es an irgendeiner Stelle besser könnten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ganz im Gegenteil!
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Wir dagegen handeln: Noch diese Woche setzen wir das Gesetz über die Strom- und Gaspreisbremse in Kraft, die zum 1. Januar nächsten Jahres gelten wird. Niemand in Deutschland wird allein gelassen, und natürlich wollen wir gemeinsam Deutschland stärker machen in der Zukunft.
Ich würde mir – und das zum Schluss als Weihnachtsgruß in Richtung der Union – eine Opposition wünschen, die nicht nur ganz laut fordert: „Preisdeckel bei Strom und Gas“ und dann über Monate im Deutschen Bundestag dagegen ist; eine Opposition, die nicht nur fordert: „Freihandel“ und dann die Bundesregierung fragt, warum sie keinen Freihandel macht, obwohl wir es beschlossen und erklärt haben.
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Schauen Sie hin, was wir machen, und gehen Sie gemeinsam mit uns in ein gutes neues Jahr 2023.
Ich danke Ihnen.
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Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Dr. Dietmar Bartsch.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den Wochen nach dem furchtbaren völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine hat Europa, hat die EU, etwas erlebt, was ihr in den letzten Jahren jedoch sehr selten widerfahren ist. Es gab Hoffnung, es gab Sehnsüchte, die sich mit der EU verbunden haben. Ja, es war ein Einschnitt. Ja, es war eine Zeitenwende, unbestritten. Aber Fakt ist auch: Vor dem jetzigen erneuten Treffen des Europäischen Rats sind diese Hoffnungen vielfach verpufft.
Und, meine Damen und Herren, ich will hier mal feststellen, dass die Fraktion der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament aktuell in einem Korruptionssumpf versinkt.
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Ich hätte mir gewünscht, dass das zumindest mal erwähnt wird.
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Das ist einer der größten Skandale, die wir in der letzten Zeit hatten. Das ist doch unfassbar!
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Kein Wort dazu!
Meine Damen und Herren, die Krisenlösungsfähigkeit der Europäischen Union entpuppt sich immer mehr als eine Luftnummer. Ja, ich weiß, es ist viel getan worden. Und ich will auch deutlich sagen: Wir als Linke unterstützen alle humanitäre Hilfe für die Ukraine. Ja, ich sage deutlich: Danke an die Hilfsbereitschaft vieler Menschen in unserem Land, die Geflüchtete aufnehmen, ohne Wenn und Aber.
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Aber es stimmt eben auch: 254‑mal taucht das Wort „Europa“ in Ihrem Koalitionsvertrag auf, aber für die Menschen in Deutschland gilt leider – und täglich grüßt das Murmeltier; die Tagesordnung ist wie immer –: Was europäische Lösungen für die Inflation und für die Energiekrise betrifft, da ist weitgehend Fehlanzeige. Das hat eben viel mit Ihnen zu tun, mit der Bundesregierung.
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Zum Beispiel die Gaseinkäufe: Erst wollten Sie nicht, und nun doch. Dann die Übergewinnsteuer: Wollten Sie nicht. Und während andere in Europa diese Übergewinnsteuer schon längst gemacht haben, haben Sie das sehr lange unter einem anderen Namen und eine Nummer kleiner getan. Und was ist eigentlich mit der europäischen Gaspreisbremse? Auch da: keine Antwort. Da ist das US-Investitionsprogramm. Sie haben Fragen gestellt. Sie haben nach Antworten gesucht. Ich hätte mir gewünscht, dass außer intensiven Gesprächen hier klar gesagt wird, was da getan wird. – Das ist mir alles viel zu wenig. Ich sehe nur ein Maximum an Selbstgerechtigkeit,
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viele verprellte Partner in der Europäischen Union und vor allen Dingen unzufriedene Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, meine Damen und Herren.
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Herr Bundeskanzler, Sie haben Ihre Energiepolitik gelobt und den schnellen Ausbau der Terminals. Aber zur Wahrheit gehört doch auch: Seit Wochen herrschen Temperaturen um den Gefrierpunkt, und Millionen Haushalte und Betriebe haben in den letzten Wochen astronomische Preiserhöhungen für Strom und Gas im Briefkasten vorgefunden. Keine dieser Preiserhöhungen wurde vom Wirtschaftsminister kontrolliert. Nun erklärt Herr Habeck zwar, Preiserhöhungen wären null und nichtig, außer sie können durch die Beschaffungskosten begründet werden. Aber wann beginnen denn nun endlich die Kontrollen?
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In zwei Wochen ändern sich die Tarife. Müssen die Leute zahlen oder nicht? Das ist unklar. Die Menschen haben Existenzängste, und Sie kommen viel zu spät, meine Damen und Herren.
Ich will auf einen weiteren Punkt aufmerksam machen: Die Erneuerbaren haben Sie hier gelobt. Es ist ja völlig richtig, sie verbal zu loben. Aber Ihre Energiepolitik, die ist teuer, und die ist klimaschädlich, und vor allen Dingen gibt es dort eine erhebliche Doppelmoral. Der Ausbau der Windenergie geht seit 2017 stetig zurück. Und in diesem Jahr stagniert er auf dem Niveau des Vorjahres der Großen Koalition.
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Das ist die Wahrheit! Fast die Hälfte des produzierten Stroms in Deutschland stammt phasenweise aus der Kohle. Deutschland ist unter der Ampel die Klimadreckschleuder Europas. Das ist die Wahrheit! Es ist schlicht wahr.
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Die gute Nachricht ist, dass ein Jahr schon vorbei ist. Aber ich kann nur eins raten: Korrigieren Sie Ihre Selbstzufriedenheit auch bezüglich Europas. Die Bürgerinnen und Bürger haben Besseres verdient als dieses: „Wir lassen niemanden allein“ und lauwarme Ankündigungen aus Brüssel. Endlich weniger Selbstzufriedenheit und mehr Engagement, meine Damen und Herren!
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Herzlichen Dank.
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Achim Post.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man auf das Jahr 2022 zurückblickt, muss man, glaube ich, sagen: Es war und ist ein Jahr wie kaum ein anderes. Es ist ein Jahr, das durch Putins aggressiven Angriffskrieg wieder Krieg auf diesen Kontinent gebracht hat. Es ist ein Jahr, das vermeintliche Gewissheiten beschädigt oder sogar zerstört hat. Aber: Es ist auch ein Jahr, das uns in Deutschland und Europa angespornt hat, entschlossener und geschlossener zu handeln. Und es ist ein Jahr, das nachdrücklich und eindrücklich zeigt: Eine souveräne, soziale, starke Europäische Union ist unverzichtbar, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wenn ich zur Regierungsbank blicke und zum Bundeskanzler, kann ich für meine Fraktion, für die SPD-Bundestagsfraktion, gerade zum Ende dieses Jahres erklären: Wir bedanken uns für die Entschlossenheit und Besonnenheit der gesamten Bundesregierung und des Bundeskanzlers Olaf Scholz.
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Diese Bundesregierung handelt in Deutschland mit dem „Sondervermögen Bundeswehr“, mit drei Entlastungspaketen, mit dem 200-Milliarden-Paket, das wir in dieser Woche beschließen werden zur Deckelung von explodierenden Energiepreisen. Diese Bundesregierung handelt in Europa, außenpolitisch, gegenüber Russland, mittlerweile mit neun Sanktionspaketen – Sanktionspakete, die es so noch nie gegeben hat in der Geschichte der Europäischen Union. Sie handelt gegenüber dem Iran mit einer Klarheit und Entschlossenheit, wie sie von Annalena Baerbock und vom Bundeskanzler vorgetragen wird, wie ich sie noch nie erlebt habe in den letzten 20 oder 30 Jahren, um das mal ganz klar zu sagen!
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Und sie handelt mit Blick auf die nächsten notwendigen Erweiterungsschritte fast 20 Jahre nach dem Gipfel in Kopenhagen, wo die bislang größte Erweiterung beschlossen wurde. Mit klaren Kriterien, wann man beitreten darf und wann nicht, haben wir uns jetzt, nachdem jahrelang nichts passiert ist, auf den Weg gemacht, unter der Führung dieses Bundeskanzlers die nächsten Schritte zur Erweiterung der Europäischen Union um den westlichen Balkan zu machen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({3})
Diese Bundesregierung handelt auch sicherheitspolitisch und verteidigungspolitisch in einer Art und Weise, wie wir uns das wahrscheinlich alle vor zehn Monaten noch nicht vorstellen konnten: mit dem „Sondervermögen Bundeswehr“ und auch mit deutsch-französischen Projekten, die jahrelang in der Großen Koalition verhakt waren und wo nichts weiterging, als Sie die Verteidigungsminister gestellt haben,
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nämlich mit dem Waffensystem, dem neuen FCAS, ein deutsch-französisches Großprojekt für die nächsten Jahre und Jahrzehnte, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wir handeln – das gehört nämlich dazu – auch entwicklungspolitisch, wir leisten humanitäre Hilfe. Das, was Deutschland in den letzten zehn Monaten für die Ukraine geleistet hat, ist wirklich vorbildlich, und es ist ganz billig, das eine oder andere herauszusuchen, was einem gerade nicht passt, lieber Kollege Merz.
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Und wenn ich schon mal bei Ihnen bin: Das Einzige, was mich bei Ihren Reden immer irritiert, ist der Anfangsteil. Der Anfangsteil ist immer staatsmännisch, kooperativ. Es stellt sich am Schluss Ihrer Rede immer heraus: Das ist nur gespielt. Es reicht nur zum Reclam-Staatsmann, Herr Merz.
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Zu dem, was Sie, Herr Bartsch, angesprochen haben: Natürlich muss man auch bei einer solchen Regierungserklärung – an einem solchen Tag, vor zwei wichtigen Gipfeln – darüber reden, was in der Europäischen Union nicht klappt oder wo es Missstände gibt. Ich fange mal an. Es gibt keinen Skandal der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament. Es gibt einen Skandal von einzelnen Sozialdemokraten im Europäischen Parlament.
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Das ist richtig, und das sprechen wir ganz offen an.
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Ich hätte mich gefreut, wenn Sie das bei den Maskenskandalen und anderen Sachen genauso gemacht hätten.
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Das, was sich da zeigt, ist zweierlei: ein Abgrund an Habgier und ein Abgrund an Korruption. Aber es zeigt sich auch: innerhalb von fünf Tagen Ausschluss aus der Partei, Ausschluss aus der Fraktion und ein Beschluss des Europäischen Parlaments zur Absetzung als Vizepräsidentin.
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Das ist schnelles Handeln. In fünf Tagen ist hier bei uns mehr passiert als bei anderen in fünf Jahren.
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Und es gibt noch etwas, worüber man reden muss; der Kollege Dürr hat das zu Recht angesprochen: Natürlich ist es in der Europäischen Union mit 27 Staaten nicht so, dass alle so sind wie wir oder alle so sind wie Frankreich oder alle so sind wie die Niederlande; nein. Das liegt in der Natur der Sache, wenn ich nach und nach versuche, die Europäische Union zu erweitern.
Es liegt nicht in der Natur der Sache, dass einige Länder meinen, sie müssten sich nicht an Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, Demokratie und Pressefreiheit halten, zum Beispiel Ungarn. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es richtig, dass mit dem Vorgehen der Europäischen Union gegenüber Ungarn und Orban ein Meilenstein gesetzt wurde. Geld scheint doch eine wichtige Waffe zu sein, um solchen Leuten ans Leder zu gehen.
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Er ist jedenfalls kein Gewinner der letzten Woche. Er ist der große Verlierer in Europa. Der große Verlierer in Europa heißt Viktor Orban, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Zusammengefasst: Wir haben für 2023, ausgehend von dem morgigen Gipfel, viel vor in Europa. Wir werden in der Wirtschafts- und Industriepolitik mit diesem Wirtschaftsminister die industriepolitische Agenda in Europa neu schreiben, wir werden bei den Beihilfen deutlich mehr machen als bisher, und wir werden auf der Höhe der Zeit sein,
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wenn es darum geht, uns neu aufzustellen, was die Wirtschafts- und Industriepolitik in Europa angeht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Der letzte Punkt: Ich bin sicher, dass der Fahrplan für einen realistischen Fortschritt in der Europäischen Union Schritt für Schritt umgesetzt wird, wie es der Bundeskanzler in Prag erklärt hat. Der erste Schritt dafür wird auf diesem Gipfel passieren, die nächsten werden folgen.
Schönen Dank.
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Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Alexander Dobrindt.
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Sehr geehrte Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundeskanzler, Sie haben den Vernichtungskrieg Putins gegen die Zivilbevölkerung in der Ukraine angesprochen. Sie haben noch einmal deutlich bekräftigt, dass Sie an der Seite der Ukraine stehen. Wir unterstützen Sie bei diesem Anliegen ausdrücklich, immer und immer wieder.
Aber was Sie heute erneut nicht gesagt haben, und das muss das Leitmotiv all unserer Handlungen sein: Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen! Was ist so schwer daran?
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Sie haben darüber gesprochen, dass Sie Europa zusammenhalten wollen. In Ihrer ersten Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler, haben Sie gesagt, dass Sie in Europa Brücken bauen wollen. Die Bilanz allerdings im ersten Jahr Ihrer Regierung ist doch eher, dass Sie Deutschland in Europa zunehmend isoliert haben.
Es ist Ihre Verteidigungsministerin, die Polen vor den Kopf gestoßen hat, weil sie Patriot-Vereinbarungen nicht geheim halten konnte. Es ist Ihr Wirtschaftsminister, der Schweden vor den Kopf gestoßen hat, weil er aus ideologischen Gründen die Kernenergieversorgung Schwedens gefährdet. Sie selber liegen mit dem französischen Präsidenten im Streit.
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Herr Bundeskanzler, der deutsch-französische Motor in Europa, er stottert. Sie bauen keine Brücken, Sie reißen sie ein. Das ist die Wahrheit in Europa.
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Sie haben hier heute intensiv über Ihre Neuausrichtung der Verteidigungspolitik gesprochen. Sie haben in Ihrer Zeitenwende-Rede ja auch von einer Aufrüstungsoffensive gesprochen und diese versprochen. Aber wie schaut denn die Bilanz am Ende dieses Jahres aus? 2 Prozent für die Verteidigung: Sie halten sie nicht ein. 10 Milliarden Euro für die Munitionsbeschaffung: Sie halten sie nicht ein. 100 Milliarden Euro Sondervermögen ausgeben für Beschaffung: Sie halten es nicht ein. Ihre Verteidigungsministerin organisiert anstatt der Zeitenwende die Zeitverschwendung. Das hat mit Fortschritt nichts zu tun.
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Sie haben auch von der Energiesicherheit gesprochen. In Ihrer Rede hier im Deutschen Bundestag am 1. Juni haben Sie gesagt:
Energie muss immer verfügbar sein, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr.
Die Realität heute ist eine andere. Erst hat Ihr Wirtschaftsminister das Stromproblem grundsätzlich geleugnet. Dann haben die Grünen ein Stromsonderproblem für Bayern erfunden.
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Jetzt erklärt das grüne Ministerpräsidentenland Baden-Württemberg – hören Sie einfach zu –, dass Abschaltungen der Stromversorgung nicht mehr auszuschließen sind.
Ja, Herr Habeck, Sie schalten die Kernkraftwerke ab anstatt den Verstand ein. Ich sage Ihnen: Das hat mit Blackout nichts zu tun. Es ist ein Greenout, den wir hier erwarten können.
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Weil wir hier über Ihre Bilanz reden: Der Bundesfinanzminister hat noch im letzten Monat gesagt, dass Sie als Koalition nicht beabsichtigten, Steuern zu erhöhen. Letzte Woche haben Sie hier im Deutschen Bundestag eine massive Erhöhung der Erbschaftsteuer beschlossen.
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Vielleicht haben Sie das etwas spät bemerkt.
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Und weil Sie, Herr Dürr von der FDP, hier wieder den Namen „Horst Seehofer“ zwischenrufen, will ich Ihnen schon mal sagen:
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Wir haben uns ja daran gewöhnt, dass Sie von Ihrer Mitverantwortung in den letzten 20 Jahren in der deutschen Politik nichts mehr hören wollen,
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aber dass Sie jetzt schon von Ihrer Mitverantwortung bei den Entscheidungen von letzter Woche nichts mehr wissen wollen, das ist in der Tat eine ganz neue Dimension.
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Auch wenn Ihnen das möglicherweise spät aufgefallen ist:
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Sie haben in der letzten Woche die Freibeträge nicht erhöht.
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Jetzt kommen Sie darauf – gestern ganz offensichtlich –, dass man Freibeträge erhöhen muss, und schieben die Verantwortung den Ländern zu.
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Ich sage Ihnen: Wenn Sie bereit sind, die Freibeträge zu erhöhen, dann liegt der Ball immer noch im Finanzministerium. Dann machen Sie doch einen Gesetzentwurf, dass die Freibeträge erhöht werden und die Erbschaftsteuer nicht steigt. Wir sind sofort dabei, dies mitzumachen.
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Zum Schluss nur der Hinweis: Herr Bundeskanzler, Sie haben den Menschen Respekt versprochen. In Ihrer ersten Rede als Bundeskanzler kommt dieses Wort 30‑mal vor. In Ihrer letzten Rede und auch heute, Herr Bundeskanzler, ist davon keine Rede mehr. Ich wünsche mir für Ihr zweites Jahr in Ihrer Amtszeit, dass Sie wieder mehr über Respekt reden und übrigens auch danach handeln:
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Respekt gegenüber unseren europäischen Partnern, Respekt gegenüber der nächsten Generation, Respekt gegenüber der Leistung der Menschen in unserem Land und – übrigens auch als Weihnachtsgruß, Herr Dürr – Respekt auch gegenüber der Opposition.
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Ich kann sagen: Ich habe selten eine so destruktive Rede hier im Deutschen Bundestag
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von einer Regierungskoalition gehört wie von Ihnen, Frau Dröge.
Danke schön.
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Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Jürgen Trittin.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Dobrindt, ich glaube, Sie haben hier gleich mehrere Chancen verpasst.
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Die erste Chance wäre gewesen, dass Sie sich hier für das unselige Sharepic entschuldigen, das ukrainische Flüchtlinge im Ankunftszentrum in Tegel zeigt.
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Solidarität mit der Ukraine heißt Solidarität mit den Menschen und heißt nicht, Politik zulasten von Geflüchteten aus der Ukraine zu machen.
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Die zweite Gelegenheit, die Sie verpasst haben: Sie hätten sich hier endlich mal für den Begriff der „Klima-RAF“ entschuldigen können.
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Wissen Sie, warum ich das in dieser Woche sage? Weil wir gerade damit konfrontiert worden sind, was die wahre terroristische Herausforderung in diesem Lande ist, nämlich der bewaffnete Arm der Reichsbürger mit den Beziehungen zur AfD. Dazu gab es kein Wort von Ihnen, kein Sharepic, gar nichts! Das ist ein Messen mit doppelter Moral.
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Vielleicht sollten Sie, wenn wir über Europa sprechen, sich der Ernsthaftigkeit der Delegitimation infolge dieses jüngsten Korruptionsskandals stellen.
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Ich hätte mir gewünscht, dass die CSU an der Stelle sagt: Ja, wir überdenken unsere Position noch mal. – Denn weiterhin dagegen zu sein, dass es eine Obergrenze für Bargeldzahlungen gibt, ist angesichts der Bargeldhaufen, die da gefunden worden sind, meines Erachtens genau die falsche Konsequenz aus diesem Skandal.
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Wenn Sie mir schon den Gefallen tun, als CSU-Mitglied über Energiepolitik zu sprechen, dann erlaube ich mir die freundliche Frage: Wer hat die Situation herbeigeführt, dass, wie die deutschen Netzbetreiber festgestellt haben, wir zwar in Norddeutschland eine Überkapazität von Strom haben, wir nicht wissen, wohin damit, wir zum Teil dort Windparks abschalten müssen, aber in Bayern eine Mangellage droht? Ich kann Ihnen beantworten, wer dafür verantwortlich ist: Das ist der esoterische Einzelgang der CSU gewesen, die gewollt hat, dass dort keine Windenergie produziert wird und die jede Stromleitung aus dem Norden in den Süden blockiert hat. Wenn jemand ein energiepolitischer Geisterfahrer ist, dann ist es die CSU in Deutschland.
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Letzte Bemerkung. Meine Damen und Herren, das ist die traurige Wirklichkeit, die wir gelegentlich vorgefunden haben, als wir die Regierung übernommen haben.
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Auf die Frage, wie wir in Europa
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mit dieser Situation umgehen, hat diese Bundesregierung eine Antwort gefunden. Wir sind diejenigen, die zum Beispiel mit dem Global Gateway es vorantreiben, dass in Namibia, in Chile im großen Stil die Erzeugung von erneuerbaren Energien und Wasserstoff ausgebaut wird. Aber wir gehen nicht nur hin und sagen: Wir machen dieses Neue. – Wir sichern auch die Energieversorgung für morgen. Das ist übrigens, wenn ich das sagen darf, nicht nur eine gute Nachricht für die Energieunabhängigkeit Deutschlands. Das zeigt an dieser Stelle auch und gerade ein partnerschaftliches Verständnis im Umgang mit Ländern wie Namibia. Das ist eine riesige Entwicklungschance für diese Länder.
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Aber wir nehmen als G‑7-Länder auch viel Geld in die Hand, um gemeinsam mit anderen Ländern, beispielsweise Südafrika, deren Abhängigkeit von Kohle zu überwinden. Das ist unsere Antwort auf die Herausforderung, vor der dieses gemeinsame Europa angesichts einer drohenden Bipolarität der USA und Chinas steht. Diese Antwort gibt diese Bundesregierung. Dafür danke ich.
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Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Alexander Graf Lambsdorff.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was für ein Jahr neigt sich dem Ende zu, ein Jahr wirklich großer, dramatischer Zäsuren. Der größte Landkrieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ist ausgebrochen. Gleichzeitig ist es auch eine Zäsur, die zeigt, wie fest der Westen zusammensteht. Wer hätte zu Beginn dieses Jahres, zu Beginn der Invasion und der schrecklichen Entwicklungen gedacht, dass der Versuch von Russlands Totaleroberung der Ukraine so umfassend scheitern würde, wie wir das jetzt beobachten?
Putins außenpolitischer Handlungsspielraum ist deutlich geschrumpft; aber auch im Inneren scheint die russische Regierung ihre eigene Legitimität infrage gestellt zu sehen. Zum ersten Mal seit zehn Jahren fällt die Jahrespressekonferenz des russischen Präsidenten aus. Meine Damen und Herren, das ist eine bemerkenswerte Entwicklung. Ganz offensichtlich sieht sich Präsidentin Putin nach der Mobilisierung auch im Inland inzwischen dem Druck seiner Bevölkerung ausgesetzt, diesen schrecklichen Krieg zu beenden. Wir können nur hoffen, dass dieser Druck sich auch dahin gehend auswirkt, dass der Krieg eines Tages endet.
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Zurzeit – das muss man auch so deutlich sagen – gibt es aber keinen Anlass zur Entspannung. In der Ukraine verfolgt Russland zurzeit eine Politik der verbrannten Erde, und diese Art der Kriegsführung birgt auch für uns in Zukunft Risiken und Gefahren, für die wir in Deutschland und Europa gewappnet sein müssen. Was bedeutet das: „gewappnet sein“? Es bedeutet das, was wir im Koalitionsvertrag festgehalten haben.
Erstens: das transatlantische Bündnis ist zentraler Pfeiler, und zweitens, die NATO bleibt unverzichtbare Grundlage unserer Sicherheit.
Drittens – so haben wir es im Koalitionsvertrag festgehalten –: Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten einen unentbehrlichen Beitrag zum Schutz unseres Landes, für Frieden und internationale Sicherheit.
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Sie stehen in Ämari mit der Luftwaffe, in Rukla mit dem Heer. Die NATO-Luftabwehr in der Slowakei wird gestärkt, und in dieser Woche wird auch in Polen die Luftabwehr verstärkt. Meine Damen und Herren, wir hier können genau wie unsere Wählerinnen und Wähler Advent und Weihnachten voraussichtlich zu Hause, in der Heimat bei unseren Lieben feiern. Für viele Soldatinnen und Soldaten gilt das nicht. Sie leisten ihren Dienst fern der Heimat, ob in Mali oder Estland, Litauen oder dem Libanon, Südsudan oder der Slowakei. Wir denken an sie. Wir danken ihnen für ihren Einsatz und wünschen ihnen friedliche und fröhliche Weihnachten fern der Heimat.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner: der fraktionslose Abgeordnete Robert Farle.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Bundesregierung tritt jetzt mit der zugesagten Ausbildung von 5 000 Mann ukrainischer Kampftruppen auf deutschem Territorium ganz bewusst in den ukrainischen Krieg gegen Russland ein
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mit dem Ziel, eine militärische Niederlage Russlands zu ermöglichen, was offensichtlich durch die immer schärfere Sanktionspolitik der EU im Wirtschaftskrieg gegen Russland nicht erreicht werden kann. Für diese ständig weiter gehende Eskalation der Beteiligung Deutschlands an dem Krieg gegen Russland gibt es keine völkerrechtliche Grundlage,
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und sie verstößt eindeutig gegen das Aggressionsverbot
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unseres Grundgesetzes nach Artikel 26 Absatz 1.
Spätestens seit Selenskyjs Dekret Nummer 117 vom März 2021 zur Eroberung der Krim steht zweifelsfrei fest, dass die Ukraine, gestützt auf die USA und Teile der EU, einen Angriffskrieg gegen Russland vorbereitet hat. Selenskyj verteidigt keine westlichen Werte. Er ist korrupt. Er hat die Opposition in seinem Land verboten, die Medien gleichgeschaltet, Kriegsverbrechen zu verantworten, Friedensverhandlungen mit Russland per Dekret verboten, lässt Kollaborateure foltern und ermorden, führt Terroraktionen durch und versucht, durch gezielte Provokationen immer mehr westliche Länder in seinen Krieg hineinzuziehen.
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Das ist alles belegt durch Zeitungsmeldungen im „Focus“ und in der „Welt“.
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Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, ich appelliere an Sie: Reichen Sie dem französischen Präsidenten Macron die Hand, und unterstützen Sie seinen Vorschlag, sofortige Waffenstillstandsverhandlungen und die Schaffung einer europäischen Sicherheitsarchitektur unter Wahrung der Sicherheitsinteressen aller Beteiligten, unter Einschluss der Russischen Föderation, nach Kräften voranzutreiben! Und nein, Herr Dobrindt, die Ukraine muss nicht gewinnen. Der Frieden muss gewinnen. Wir brauchen keinen nuklearen Winter, niemals – nicht in Europa, auch nicht in Deutschland und nicht in der ganzen Welt. Machen Sie endlich eine Friedensoffensive! Das ist die Aufgabe dieser Regierung, wenn Sie Ihren Amtseid nicht brechen wollen. Wenn Sie ihn brechen wollen, werden Sie Ihre Quittung bei den nächsten Wahlen bekommen.
Vielen Dank.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der letzten Rede muss man feststellen: Es kann sein, wenn man lebenslang Stalinist ist und im Alter dann rechtsextrem wird, dass das beides sehr, sehr nahe beieinanderliegt. Trotzdem ist das tragisch und dramatisch. Wir müssen gemeinsam aufs Schärfste zurückweisen, was Herr Farle gerade gesagt hat.
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Reden wir über Europa, und reden wir darüber, was getan werden muss, damit es gelingt! Olaf Scholz hat in seiner Prager Rede zu Recht gesagt: Damit Europa gelingt, brauchen wir Mehrheitsentscheidungen. Was Einstimmigkeit in der Praxis bedeutet, haben wir ja gesehen: Orban war in der Lage, die Ukraine in Bezug auf die Hilfen in Geiselhaft zu nehmen. Es war gut, dass wir es jetzt geschafft haben, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Es war übrigens auch gut, dass in diesem Hause ganz viele zehn Jahre lang auf die Union eingeredet haben, Herrn Orban aus der christdemokratischen Familie auszuschließen; irgendwann ist er dann freiwillig gegangen. Ich erinnere mich sehr gut daran, wie viele Pilgerzüge es von München aus nach Budapest gegeben hat, um Orban zu unterstützen.
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Ich hoffe, das ist bei der Union ein für alle Mal vorbei.
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Reden wir auch über die Praxis des Bundeskanzlers! Er hat schon als Finanzminister zusammen mit dem französischen Finanzminister Bruno Le Maire für globale Mindeststeuern bei Unternehmen gekämpft. Dafür hat es dann eine Mehrheit gegeben, und jetzt haben wir das – auch wieder gegen die Blockade Ungarns – innerhalb der Europäischen Union erreicht. Das ist ein großer Erfolg in der Europapolitik für diese Bundesregierung und für diesen Bundeskanzler.
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Kollege Merz, es ist ja leicht, zu behaupten, man wisse, wie in anderen Ländern zurzeit über die Bundesregierung bzw. über angebliche Unzuverlässigkeiten geredet wird.
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Ich habe in diesem Haus als Einziger das Privileg, sowohl in der Zukunftskonferenz Europas mit Parlamentarierinnen und Parlamentariern der EU als auch in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats – dort sind 46 Staaten vertreten – zu wirken. Ich weiß sehr wohl, wie Parlamentarierinnen und Parlamentarier in den Mitgliedsländern über uns denken, was sie von Deutschland halten und erwarten. Das, was Sie gesagt haben, ist pauschal, oberflächlich und in der Konsequenz auch falsch.
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– Lieber Gunther Krichbaum, ich bin auch in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. Mein Blick geht also schon ein bisschen weiter als nur auf die Zukunftskonferenz.
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Bleiben wir genau bei diesem Punkt. Wir haben in der Zukunftskonferenz gesagt: Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger stärker beteiligen. Ein zentraler Punkt, um die Demokratie zu entwickeln, ist das Wahlalter, das heißt die Einbeziehung jüngerer Menschen. In Deutschland ist es gelungen, das Wahlalter für die Bundestagswahl von 25 über 21 auf 18 Jahre zu senken. Die CDU/CSU verweigert sich einer weiteren Absenkung. Das heißt, sie gibt vielen Millionen jüngeren Menschen nicht die Chance auf politische Partizipation. Wir haben in Europa die Forderung, dass eine weitere Absenkung realisiert wird. Wir haben deshalb hier im Bundestag dafürgestimmt, dass an der nächsten Direktwahl des Europäischen Parlaments im Jahr 2024 auch 16-Jährige teilnehmen dürfen. Das haben wir in der Zukunftskonferenz gemeinsam so gefordert und hier im Bundestag beschlossen, und die Union hat geschlossen gegen diese Forderung gestimmt. Hier kann man ganz genau sehen, inwieweit Europa von Ihnen getragen und vorangebracht wird.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist wichtig, an dieser Stelle deutlich zu machen: Wir haben in diesem Jahr, im Jahr der größten Herausforderung Europas seit 1945, bewiesen, dass wir handlungsfähig sind. Wir haben bewiesen, dass wir dieses Europa zusammenhalten. Deshalb war es in diesem Jahr so entscheidend, eine Koalition aus Freien Demokraten, Grünen und Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten zu haben, und so soll es auch bleiben.
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Kollege Schäfer, Sie haben gerade den Abgeordneten Farle als Person angegriffen. Wir haben vereinbart, uns nicht gegenseitig mit Ausdrücken zu beschimpfen. Deshalb will ich sagen: Das ist zumindest unparlamentarisch. Ich schaue mir aber im Nachgang die genaue Formulierung im Protokoll noch mal an.
Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Patricia Lips.
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Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Die Welt sortiert sich neu – wir haben es heute mehrfach gehört –, aber nicht erst seit heute, nur mit einer sichtbar neuen Dynamik. Die Entwicklung liegt schonungslos offen.
Wir sind das größte Land in der Europäischen Union. Auch deshalb richten sich viele Augen nach Deutschland, in Zeiten wie diesen umso mehr. Europa braucht ein starkes Deutschland. Aber um das zu sein, brauchen wir ein starkes, funktionierendes Europa. Deshalb bleibt die Frage wichtig: Wie wird unser Land aktuell innerhalb der europäischen Familie wahrgenommen? Sind wir als starker, verlässlicher, berechenbarer Partner in der Manege? Wir haben da so unsere Zweifel. Was noch wichtiger ist: Was ist eigentlich die Vorstellung der Bundesregierung von Europa? Was ist der Kompass über den Tag hinaus, der sie leitet?
Manches wurde am heutigen Tag bereits genannt. Aber wenn wir es mit der Zeitenwende ernst meinen, dann müssen weitere Taten folgen.
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Europa steht mehr denn je an einem Scheideweg. Lassen Sie es uns deshalb auch mit einem Belastungsmoratorium ernst meinen – ein Begriff, der heute noch gar nicht gefallen ist –,
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wenigstens mit einem Regulierungs- oder Bürokratiestopp, wenn schon der Abbau nicht hinreichend gelingt.
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Das gilt für Maßnahmen im eigenen Land, aber aktuell umso mehr für Maßnahmen auf europäischer Ebene. Wir tun an dieser Stelle oft so, als sei in diesem Jahr gar nichts geschehen. Setzen Sie sich dafür ein! Erfüllen Sie Ihren eigenen Anspruch an die Zeitenwende, auch an dieser Stelle!
Kolleginnen und Kollegen, nicht nur Deutschland, auch Europa lebt vor allem von der Akzeptanz und dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger sowie der Planungssicherheit für unsere Betriebe. Unser Ziel muss zwingend bleiben, die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu stärken. Das allein sichert unseren Wohlstand. Die Zeit allein wohlfeiler Worte jedenfalls ist vorbei.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Timon Gremmels.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielen Dank, Herr Merz, für Ihre Hausbauspartipps, die Sie hier am Anfang gegeben haben. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir in diesem Jahr auf den Häuslebauer Friedrich Merz gehört hätten, dann hätten wir vielleicht ein schönes, aber kaltes Haus; denn die Hälfte der Häuser, die Herr Merz gebaut hätte, hätte keine funktionierende Gasversorgung. Es war doch sein Vorschlag im März, Nord Stream 1 vom Netz zu nehmen. Unsere Gasspeicher wären heute leer, unsere Häuser wären heute kalt. So viel zur energiepolitischen Kompetenz von Friedrich Merz. Insofern: Diese Häuser kann er selber bauen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ja, wir werden uns auch in den nächsten Tagen über einen europäischen Gaspreisdeckel unterhalten. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir da auf den Konferenzen, allerspätestens am Montag auf der EU-Energieministerkonferenz, einen guten europäischen Kompromiss hinbekommen. Wichtig und oberstes Ziel ist doch, dass wir in Europa genügend Brennstoff, genügend Gas bekommen. Wir müssen natürlich aufpassen; denn ein zu hoher Preisdeckel birgt die Gefahr, dass Gas in Europa knapp wird, dass die internationale Tankerflotte an Europa vorbeifährt. Insofern haben wir da eine Gesamtverantwortung.
Wir brauchen aber noch in diesem Jahr eine Lösung, weil alle weiteren Diskussionen, die wir führen, wie zum Beispiel über den vom Kanzler angesprochenen gemeinsamen Gaseinkauf oder die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, die wir in Europa voranbringen, derzeit noch blockiert werden. Deswegen ist es sinnvoll und wichtig, diesen Knoten zu durchschlagen und diese Fragen zu diskutieren. Ich bin sehr zuversichtlich, dass sowohl der Kanzler als auch Robert Habeck als unser Energie- und Wirtschaftsminister diesen Knoten in den nächsten Tagen durchschlagen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Dafür sehr viel Erfolg!
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Herr Dobrindt, Sie hatten gerade angesprochen, der deutsch-französische Motor würde stocken.
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Ehrlich gesagt: Ich sehe das nicht so.
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Wir haben den Franzosen in diesem Sommer geholfen. Zur Wahrheit gehört: Der steigende Strompreis und unsere Gasknappheit haben zum Teil doch etwas damit zu tun, dass wir den Franzosen im Sommer und bis heute ausgeholfen haben, weil 30 der 53 Atomkraftwerke in Frankreich gar nicht am Netz waren. Wir haben europäische Solidarität geleistet und Energie nach Frankreich geliefert; das muss an dieser Stelle angesprochen werden.
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Das ist auch ein Beleg dafür, dass Atomkraft keine Lösung, sondern nur ein Übergang sein kann. Zur Wahrheit gehört auch, dass die Franzosen uns helfen, indem sie Gas liefern. So funktioniert Europa. Der deutsch-französische Motor läuft, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Wir haben als Ampelkoalition in diesem Jahr vieles vorangebracht. Wir haben auch unideologisch gehandelt. Ich hätte mir im Januar dieses Jahres nicht vorstellen können, dass ich mal dafür sein würde, LNG-Terminals, Flüssiggasterminals, zu bauen. Es ist richtig, es ist notwendig, diese Übergangstechnologie auch in Deutschland zu installieren. Ehrlich gesagt: Angesichts der neuen Deutschlandgeschwindigkeit, die wir da an den Tag gelegt haben – erste Überlegungen im Februar und die erste Lieferung jetzt im Dezember –, würde ich mir wünschen, dass wir diese neue Deutschlandgeschwindigkeit auch für den Ausbau der erneuerbaren Energien nutzen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Das muss der Maßstab sein. Das ist unser Thema.
Ja, der Kanzler hat auch deutlich gemacht, dass die Energiewende nicht nur dem Klimaschutz dient, sondern auch der Energieunabhängigkeit. Lassen Sie mich einen dritten Punkt anführen: Die Energiewende ist auch industriepolitisch sinnvoll. Wir wollen doch als Industrienation, dass die Wärmepumpen, dass die Wechselrichter, dass die Solarmodule, dass die Windturbinen, dass die Elektrolyseure, dass die Halbleiter in Zukunft hier in Deutschland, in Europa gebaut werden. Das sind die Arbeitsplätze der Zukunft, und wir als Industrienation wollen daran partizipieren.
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Deswegen ist es für uns als Partei der Arbeit, wie wir Sozialdemokraten uns nennen, so wichtig, dass wir gemeinsam mit unseren europäischen Freunden eine Antwort auf den Inflation Reduction Act der USA geben. Wir sind da auf einem guten Weg, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Ich möchte an dieser Stelle noch einmal im Namen meiner Fraktion, aber sicherlich auch im Namen der Koalition dem Kanzler danken, dass die Idee des Klimaklubs, die er auf den Weg gebracht hat, zur Umsetzung gekommen ist, dass er die G‑7-Präsidentschaft dafür genutzt hat, die Gründung eines solchen Klimaklubs voranzubringen. Letzte Woche ist die Satzung veröffentlicht worden; das heißt, es kann losgelegt werden.
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Der klimafreundliche Umbau der Industrie ist die Hauptaufgabe dieses Klimaklubs. Wir wollen gemeinsame Regeln und Standards vereinbaren, um Wettbewerbsverzerrung zu vermeiden, um einen Zollkrieg zu vermeiden. Genau das ist die Idee. Er wird eine neue Dynamik beim Klimaschutz entfesseln, und er wird der Erreichung der globalen Klimaziele dienen. Das ist die Aufgabe dieses Klimaklubs. Und ja, es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dieser Klimaklub einen offenen Charakter hat, dass weitere Länder hinzutreten können, dass auch Entwicklungs- und Schwellenländer an dieser Stelle mitmachen können. Das ist die Aufgabe dieses Klimaklubs. Da sind wir einen großen Schritt vorangegangen.
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Lassen Sie mich einen Strich darunter ziehen. Dieses Jahr war herausfordernd. Dieses Jahr war für die Menschen in der Bundesrepublik herausfordernd, und es war auch für die Parlamentarier und für die Regierung herausfordernd, weil wir Krisen meistern mussten, die so am Anfang nicht abzusehen waren. Mir ist wichtig, zu betonen – das kann man unter dem Strich sagen –: Wir lassen uns in Europa nicht von Putin spalten, wir stehen als Europa zusammen. Die Antwort auf Putins Angriffskrieg auf die Ukraine ist eine geschlossene, ist eine solidarische Europäische Union.
Vielen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Herzlichen Dank für Ihr Interesse an der Regierungsbefragung. Sie ist eine gute Gelegenheit, die Diskussion, die wir gerade im Bauausschuss hatten, fortzuführen.
Das Bauministerium blickt wie wir alle, glaube ich, auf ein sehr bewegtes Jahr zurück. Es war gekennzeichnet von der großen sozialen Frage des Wohnens, die gerade durch die gestiegenen Nebenkosten für viele Menschen das große Problem in diesem Jahr war. Wir haben mit einem Heizkostenzuschuss reagiert; das war das erste Gesetz in dieser Legislaturperiode. Es folgten ein zweiter Heizkostenzuschuss und die historisch größte Reform des Wohngeldes.
Das erfordert insbesondere in den Kommunen große Anstrengungen. Sehr viele Kommunen sind jetzt dabei, diese Vorgaben umzusetzen. Wir sind sehr optimistisch, dass es gelingt, diese große Wohngeldreform an den Start zu bringen. In vielen Kommunen wird es schon im Januar möglich sein, die neuen Höchstsätze auszuzahlen. Sie wissen: Wir haben den Kreis der Anspruchsberechtigten ausgeweitet: Dreimal mehr Menschen bekommen doppelt so viel Wohngeld. Das war ein wichtiger Beitrag dazu, dass sich die Menschen weiterhin ihr Haus oder ihre Wohnung leisten können.
Ein ebenso wichtiger Punkt war die deutliche Erhöhung der Mittel, die für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stehen. Sie wissen: Wir kommen von 3 Millionen Sozialwohnungen. Wir sind jetzt in einer Situation mit nur noch 1 Million Sozialwohnungen. Da haben wir gesagt: Wir müssen massiv in den sozialen Wohnungsbau investieren. 14,5 Milliarden Euro stehen dafür zur Verfügung. Das ist ein ganz wichtiger Stabilisierungseffekt in diesem Bereich.
Nächstes Jahr wird der soziale Aspekt des Wohnens weiter angegangen mit der Schaffung eines Konzeptes zur Wohngemeinnützigkeit, durch die erreicht werden soll, dass dauerhaft preiswerte, sozial gebundene Wohnungen am Markt sind. Ergänzt wird das Ganze durch einen Aktionsplan zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit, der die Kommunen und die Länder bei dieser großen Aufgabe unterstützt. Daneben stehen wir im Bereich des Bauens vor einer großen Transformation. Das ist die Dekarbonisierung: zum einen des Gebäudebereichs, zum anderen aber auch im Bereich der Wärmewende.
Natürlich müssen wir in Deutschland die Kapazitäten ausbauen; Sie kennen die Zahlen. Letztes Jahr sind weniger als 300 000 Wohnungen fertig geworden. 400 000 Wohnungen sind die Benchmark, die mein Haus vom ersten Tag an verfolgt. Dieses Ziel fußt noch auf den Berechnungen, die vor dem 24. Februar angestellt wurden. Aufgrund des furchtbaren Krieges von Putin in der Ukraine sind noch mal mehr Menschen zu uns gekommen; das müssen wir berücksichtigen.
Das heißt, wir müssen mit aller Kraft – auch wenn es jetzt noch schwieriger geworden ist – schneller bauen und planen. Wir sind zum einen schon dabei, das Raumordnungsgesetz zu novellieren, um Planungsverfahren zu beschleunigen. Zum anderen hat das Kabinett heute Morgen die nächste Novelle des Baugesetzbuches mit Blick auf die Digitalisierung in Richtung Parlament gegeben. Wir digitalisieren die Bürgerbeteiligung, wir verkürzen die Fristen, und wir sorgen dafür, dass zum Beispiel bei geänderten Plänen die Bürgerbeteiligung nur noch für die Änderungen und nicht mehr für den kompletten Plan gilt.
Das sind viele einzelne Schritte, gerade auch im Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir haben mit dem Wind-an-Land-Gesetz angefangen, wo wir über Änderungen im Baugesetzbuch eine bessere Verbindlichkeit der Windausbauziele erreichen und auch Länder im Süden motivieren, Windräder zu errichten. In Bayern hatten wir den schönen Umstand, dass der Ministerpräsident und zwei Fachminister bei der Einweihung eines einzelnen Windrades dabei waren. Es geht also auch da voran. Mit der Novelle des Baugesetzbuchs können wir zum Beispiel ehemalige Tagebauflächen oder auch Verkehrsflächen an Autobahnen nutzen und den Hochlauf von Wasserstoff durch die Kombination von Windenergie- und PV-Energieanlagen mit Elektrolyseuren ermöglichen.
Die Frage „Wie heizen wir in Zukunft?“ wird im nächsten Jahr wichtig sein. Diese Frage werden wir bei der Umsetzung der GEG-Novelle und natürlich auch beim Gesetz für die kommunale Wärmeplanung intensiv miteinander besprechen. Ergänzt wird das Ganze durch die Tatsache, dass mein Ministerium ab 1. Januar 2023 für die Neubauförderung und die Eigentumsförderung zuständig sein wird und entsprechende Konzepte und das Geld zur Verfügung stellt.
Wichtig ist aber auch, dass wir um den großen Investitionsbedarf im Bereich der öffentlichen Gebäude wissen. Ich danke dem Bundestag, dass er erneut große Mengen Geld – 476 Millionen Euro waren es dieses Jahr, noch mal 400 Millionen Euro für den Sportbereich stehen nächstes Jahr bereit – für die Sanierung von Jugendeinrichtungen, von Sporteinrichtungen, von Kultureinrichtungen zur Verfügung stellt.
Die große Aufgabe – die Anpassung der urbanen Räume an den Klimawandel – wird uns begleiten, auch bei der Novelle des Baugesetzbuchs. Wir werden es schaffen müssen, das Baugesetzbuch, das noch aus einer Phase nach dem Krieg kommt, in der man sich auf den Wiederaufbau fokussierte, umzubauen; denn die große Herausforderung heutzutage ist, den Bestand zu erhalten, zu sanieren, ihn nachzuverdichten und unsere Städte fit und resilient zu machen.
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Vielen Dank, Frau Ministerin. – Wir beginnen jetzt die Regierungsbefragung zu den einleitenden Ausführungen und zum Geschäftsbereich sowie zu den vorangegangenen Kabinettssitzungen und mit den allgemeinen Fragen.
Ich erteile das Wort zur ersten Frage dem Kollegen Dr. Jan-Marco Luczak.
Frau Präsidentin, vielen Dank. – Frau Ministerin, die „FAZ“ hat gestern getitelt: „Deutschland vor dem Baustopp“. In diesem Artikel haben die Unternehmen der Wohnungswirtschaft die Lage auf dem Wohnungsmarkt skizziert, und die Lage ist wirklich dramatisch. Dort ist skizziert worden, dass reihenweise Projekte storniert werden, dass wir einen dramatischen Einbruch der Genehmigungszahlen beim Neubau erleben, dass die 400 000 Wohnungen, die Sie gerade angesprochen haben, mehr oder weniger nur Wunschdenken sind – quasi Realitätsverweigerung – und dass man vielleicht etwa 250 000 Wohnungen in diesem Jahr schaffen wird, im nächsten Jahr wahrscheinlich nur noch 200 000 Wohnungen.
Das hat natürlich etwas mit der Ukraine zu tun. Das hat aber auch etwas damit zu tun – das sagen die Unternehmen –, dass die Regierung in dieser schwierigen Situation Öl ins Feuer gießt; denn Sie erhöhen die Baustandards, treiben damit die Kosten in die Höhe und reduzieren gleichzeitig die Förderungen.
Deswegen möchte ich Sie und die Bundesregierung nach Ihrer Verantwortung fragen. Wie reagieren Sie auf den Vorwurf, dass Sie Öl ins Feuer gießen? Was möchten Sie tun, damit es bei der Erreichung der Wohnungsbauziele wieder vorwärtsgeht? Und ich möchte gerne eine konkrete Zahl hören bezüglich Ihrer Erwartung im Wohnungsneubau im kommenden Jahr –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– jenseits der 400 000 Wohnungen.
Frau Ministerin, Sie können antworten.
Grundsätzlich versuche ich es immer zu vermeiden, Öl ins Feuer zu gießen. Das ist nämlich nicht zu empfehlen.
Ansonsten wissen Sie: Die Rahmenbedingungen sind schwierig. Es geht darum, die Kapazitäten auszuweiten. Denn selbst im letzten Jahr, als wir noch keinen Krieg hatten, als die Zinsen historisch niedrig waren und als wir ganz viel Geld in die Neubauförderung gesteckt haben, sind wir hinter dem eigenen Ziel geblieben – damals war das Ziel von Bauminister Horst Seehofer, 375 000 Wohnungen zu bauen – und haben weniger als 300 000 Wohnungen geschafft. Deswegen gehe ich nicht davon aus, dass es in diesem Jahr mit den wesentlich schwierigeren Rahmenbedingungen zu einer sprunghaften Erhöhung der Baukapazitäten um 25 Prozent gekommen ist. In der Tat: Wir werden die Zahl von 400 000 Wohnungen dieses Jahr nicht erreichen.
Das, was wir machen, ist eine ganz stabile Förderung. Wir investieren 14,5 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau, damit die neuen Wohnungen nicht auch noch das Mietniveau in unseren Städten anheizen, sondern einen Beitrag dazu leisten, dass es sinkt. Außerdem planen wir die „neue Wohngemeinnützigkeit“, eine Genossenschaftsförderung. Zudem sind die 1,1 Milliarden Euro für die Neubauförderung und die knapp 190 Maßnahmen des Bündnisses bezahlbarer Wohnraum zu nennen. Natürlich brauchen wir auch die Länder, gerade bei der Frage der Vereinfachung und Angleichung der Bauordnung.
Sie haben die Möglichkeit einer Nachfrage.
Vielen Dank. – Frau Ministerin, Sie haben am Ende das Bündnis bezahlbarer Wohnraum mit seinen in der Tat 187 Maßnahmen angesprochen. Wie erklären Sie sich denn eigentlich, dass der Bundesverband und 17 Verbände zum Wohnungsbau, zentrale Akteure auf dem Wohnungsmarkt, nur sechs Wochen – sechs Wochen! –, nachdem die Ergebnisse von monatelangen Verhandlungen präsentiert worden sind, einen dramatischen Hilferuf gestartet haben: „Wir brauchen jetzt einen neuen entschiedenen Kraftakt“?
Offensichtlich ist dort die Einschätzung, dass das, was im Bündnis verhandelt worden ist, nicht ausreichend ist, und deshalb erfolgt der Aufruf, das jetzt zur Chefsache zu machen.
Kommen Sie zum Schluss.
Offensichtlich fehlt es bei der Umsetzung der Maßnahmen an Durchschlagskraft.
Frau Ministerin.
Bauen ist Chefsache; das sieht man in dieser Regierung. Erstens gibt es ein Bauministerium. Zweitens fand das Treffen mit dem Bündnis bezahlbarer Wohnraum im Kanzleramt statt und wird regelmäßig fortgeführt: Jedes Jahr wird es einen Bündnistag geben.
Die Veröffentlichung dieser Erklärung des Bündnisses kam zu einem interessanten Zeitpunkt, und zwar am Ende der Haushaltsberatungen, als das Jahressteuergesetz im Deutschen Bundestag zum Beispiel noch einmal deutlich verbessert wurde. Wir haben die Erhöhung des AfA-Satzes auf den 1. Januar 2023 vorgezogen und eine Sonder-AfA für EH40-Neubauten eingeführt. Insofern widerspricht sich das nicht. Vieles, was in diesem Verbändepapier steht, zum Beispiel die Förderung des seriellen Bauens, fordere ich seit dem ersten Tag meiner Amtszeit.
Ich habe zwei Nachfragen aus anderen Fraktionen. – Einmal der Kollege Föst von der FDP.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, der Herr Kollege Luczak ist gerade auf dem Bündnis und auch auf diesem Verbändepapier herumgeritten. Wir hören natürlich alle, dass die Bauindustrie besorgt ist; wir sehen das ja auch in den Stornierungszahlen. Die Umfrage des ifo-Instituts unter Bauunternehmen kennt nur eine Richtung: Diese geht tendenziell nach unten.
Trotzdem muss man feststellen, dass das Positionspapier zu einer komischen Zeit kam; denn danach wurde das Jahressteuergesetz verabschiedet.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Deswegen würde mich Ihre Meinung zu den Forderungen, die gestellt wurden, interessieren, wie viele von denen tatsächlich noch angegangen werden müssen.
Frau Ministerin.
Ich habe das akustisch nicht ganz verstanden. Könnte Herr Föst den letzten Satz einmal wiederholen?
Gern. Ein Satz.
Es geht um das Verbändepapier, auf das Herr Dr. Luczak abgestellt hat. Es enthält viele Forderungen, die vor der Anpassung des Jahressteuergesetzes erhoben wurden, durch das einige Forderungen erfüllt wurden.
Meine Frage an Sie als verantwortliche Ministerin für den Bereich Bauen: Was ist noch in der Pipeline, um die anderen Positionen abzuarbeiten? Und welche weiteren Forderungen dieses Verbändepapiers haben sich Ihrer Meinung nach erledigt?
Frau Ministerin.
Also, im Kern ist das ein ganzes Maßnahmenbündel. Das eine ist die Frage, wie viel Geld wir als Staat für die Förderung ausgeben. Ich möchte jetzt nicht wiederholen, welche Instrumente wir eingesetzt haben, sowohl Direktzuschüsse über den sozialen Wohnungsbau, über die Genossenschaftsförderung als auch Abschreibungsmöglichkeiten über das von Ihnen angesprochene Gesetz.
Das andere sind die Rahmenbedingungen, das heißt, wie viele Vorschriften wir machen und wie schnell wir beim Planen und Genehmigen sind. Wir sind gerade dabei – das habe ich auch gesagt –, das Baugesetzbuch zu ändern.
Frau Ministerin, kommen Sie zum Schluss.
Es gibt auch noch viele große Vorhaben im Bereich der Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung, inklusive der Digitalisierung.
Kurze Nachfrage zur Präzisierung. Sie haben gemeinsam mit den Verbänden im Bündnis bezahlbarer Wohnraum 187 Maßnahmen beschlossen. Sind Sie mit den beteiligten Verbänden im Gespräch über die Abarbeitung der 187 Maßnahmen? Herr Dr. Luczak hat auch darauf abgestellt. Teilweise finden sich diese Maßnahmen dieses Verbändepapiers wieder. Wenn Sie in dieser Diskussion sind: Wie sieht da momentan die Priorisierung aus?
Angesichts der Dramatik können wir es uns nicht leisten, erst einmal das eine zu bearbeiten und dann das andere. Wir versuchen, sämtliche Maßnahmen im Bündnisprozess in Arbeitsgruppen, in den unterschiedlichen Strukturen voranzutreiben. Das unterscheidet dieses Bündnis von Vorgängermodellen: Wir belassen es nicht bei dem einem Treffen im Kanzleramt; vielmehr gibt es einen kontinuierlichen Arbeitsprozess mit einem jährlichen Evaluationsbericht.
Das sind natürlich dicke Bretter: die Angleichung der Bauordnung oder die Folgekosten bei der Implementierung im Normungsprozess. Insofern wird es eine ständige Aufgabe des Bauministeriums sein, zu schauen: Welche Maßnahmen können wir ergreifen, um Bauen in Deutschland einfacher und schneller zu machen?
Vielen Dank. – Der nächste Fragesteller in dieser Runde ist Ulrich Lange.
Frau Ministerin, Sie haben sich ja angeblich zum Ziel gesetzt, mehr Wohnraum zu schaffen. Sie haben das Jahressteuergesetz schon angesprochen. Gleichzeitig haben Sie mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass nicht jede Generation selber bauen soll und kann. Durch die Hintertür haben Sie jetzt eine Erhöhung der Erbschaftsteuer beschlossen.
({0})
Für welchen konkreten Erbschaftsteuerfreibetrag setzen Sie sich ein, damit die nächste Generation im eigenen Heim leben kann, sodass es zumindest vererbt werden kann, wenn sie schon nicht bauen soll?
Frau Ministerin.
Sie spielen wahrscheinlich auf die Änderung der Immobilienbewertung an. Es ist ja eine Leistung meines geschätzten Vorgängers Horst Seehofer gewesen,
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dieses wirklich komplexe Regelwerk im Anschluss an ein Gerichtsurteil des Verfassungsgerichts anzugehen. Die Erbschaftsteuer kommt den Ländern zugute; deswegen mache ich mir jetzt keinen schlanken Fuß und sage: Von mir aus können wir da auf Einnahmen verzichten. – Vielmehr bieten wir den Ländern an, dass wir uns der Regelungen, wenn es einen Bedarf in diesem Bereich gibt, annehmen und uns nicht verschließen werden.
Sie haben eine Möglichkeit der Nachfrage.
Frau Ministerin, es geht ganz konkret um den Freibetrag bei der Erbschaftsteuer. Das ist ein Bundesgesetz. Setzen Sie sich für dieses Bundesgesetz selber ein, oder machen Sie sich doch den schlanken Fuß über die Länder? Für welche Summe sind Sie konkret?
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Ich finde, ehrlich gesagt, man kann ja nicht Politik nach dem Motto machen: Ich bin dafür, und andere müssen es bezahlen. – Das Verfahren habe ich geschildert.
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Ich als Bauministerin habe ein ganz großes Interesse daran, dass wir dieses Jahressteuergesetz schnell in Kraft setzen können. Denn die Vergünstigungen, die dieses Parlament erstritten hat, gerade die Erhöhung des AfA-Satzes von 2 auf 3 Prozent und die Sonder-AfA für besonders ökologische Gebäude, werden in der Bauindustrie dringend gebraucht. Deswegen hoffe ich, dass wir über die Parteigrenzen hinweg zu einer schnellen Einigung kommen.
Vielen Dank. – Ich sehe nicht den Wunsch nach einer weiteren Frage. Dann ist die nächste angemeldete Fragestellerin Anja Liebert für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Ministerin, meine Frage bezieht sich auf das Thema, das Sie in Ihrer Einführung auch angesprochen haben: Hitze und Klimaanpassung. Wir haben nach diesem Sommer der Extremwetter und insbesondere auch nach der Flutkatastrophe im Juli 2021 festgestellt, dass wir in Deutschland in vielen Bereichen noch nicht klimaangepasst bauen. Die Städte und Gemeinden haben da einen sehr großen Nachholbedarf, vor allem auch, was hochwasserangepasstes Bauen und Maßnahmen für mehr Klimaschutz in der Stadtentwicklung angeht.
Es gibt das Bundesprogramm „Anpassung urbaner Räume an den Klimawandel“. Meine Frage ist: Welche Möglichkeiten gibt es darüber hinaus noch für Grün- und Freiflächen, Klimaanpassung und Hitzeanpassung in der Zukunft? Was sind Ihre Vorstellungen für die nächste Zeit? Wie können wir unsere Städte und Gemeinden besser vor Extremwetterereignissen schützen?
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Die Reaktionen auf die geänderten Temperaturen sind sicherlich nicht nur baulicher Art. Gerade was Hitzeplanungen betrifft, muss man auch über die Schaffung von kühlen Orten reden, über die Alarmierung der Bevölkerung, über eine Sensibilität auch im medizinischen Bereich.
Eine der großen Herausforderungen bei der Novelle des Baugesetzbuches wird es sein, dass man die Klimaanpassung bei sämtlichen Bebauungsplanverfahren mitdenkt, dass man Frischluftschneisen mit plant, dass man Hitzeinseln zu verhindern versucht und dass man zum Beispiel – wir werden das vorschlagen – Klimasanierungsgebiete plant, so wie es im Denkmalschutzbereich Sanierungsgebiete gibt. Wir erleben eine Riesentransformation im Bereich „Verkehrswende/Wärmewende“, sodass wir die Struktur der Städte ganz stark angehen müssen.
Wir müssen verstehen, dass wir das alles nur im Quartier denken können und dass die Summe wichtiger ist, als nur einzelne Häuser zu betrachten, gerade bei Starkregenereignissen, aber auch bei Hitzeinseln. Dazu braucht es einen Quartiersansatz, keine Einzelsanierung. Das werden wir über das Baugesetzbuch, aber auch über die kommunale Wärmeplanung nächstes Jahr gestalten.
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Sie haben die Möglichkeit einer Nachfrage.
In dem Zusammenhang gibt es ja noch folgenden Punkt: Wie schaffen wir es, auch im Gebäudesektor die Klimaziele zu erreichen und stärker CO2-angepasst zu bauen? Würden Sie das auch in einen Zusammenhang mit der klimaangepassten Stadtentwicklung setzen?
Das Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude aus unserem Haus ist ja genau dieser breitere Ansatz, mit dem nicht mehr nur auf die Energieeffizienz fokussiert wird, sondern auch die Materialien sowie der Flächenverbrauch in den Blick genommen werden, um zum Beispiel einen Anreiz zu setzen, flächensparend zu bauen. Wir müssen verstehen, dass die Lösung nicht darin bestehen kann, möglichst hochtechnische Lösungen zu schaffen. Vielmehr müssen wir die gesamten Treibhausgasemissionen des Gebäudebereiches, sowohl aus dem Heizbereich als auch für den Gebäudebereich an sich, in den Blick nehmen. Wir müssen natürlich auch durch einen digitalen Gebäuderessourcenpass das, was wir an Ressourcen schon eingesetzt haben, viel stärker als bisher in die Kreislaufwirtschaft einbringen.
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Vielen Dank. – Emmi Zeulner hat eine Nachfrage.
Sehr geehrte Frau Ministerin, zum Thema Klima gehört – Sie haben es angesprochen – zum Beispiel auch das Thema „Luftschneisen in Quartieren“. Dort ist ja schon gebaut worden. Das heißt, wir müssen in Richtung Entsiegelung gehen. Meine Frage lautet daher: Was tun Sie ganz konkret dafür, dass es verstärkt Programme beispielsweise beim Thema Flächenentsiegelung und auch beim Thema Flächenkreislaufwirtschaft geben kann? Was sind da Ihre Pläne für die Zukunft?
Das eine ist, dass wir dabei sind, das Raumordnungsgesetz zu novellieren, um diese Planungen entsprechend zu beschleunigen. Der andere Weg geht über das Baugesetzbuch. Wir wollen uns genau anschauen, wo wir zum Beispiel über die Bauplanung das ganze Thema „Wasserversickerung in der Stadt“ noch stärker als bisher angehen können. Das wird ganz wichtig sein. Uns liegen Prognosen vor, nach denen insbesondere im Süden Deutschlands, aber auch in Nordrhein-Westfalen die Wahrscheinlichkeit für Starkregenereignisse steigt. Wir prüfen gerade, ob wir daneben noch ein individuelles Programm für die Hausbesitzer auflegen, die ihre Häuser dann besser als bisher zum Beispiel an Starkregenereignisse anpassen können.
Sie haben die Möglichkeit einer Nachfrage.
Wie wollen Sie dann – das ist ja auch Aufgabe der Kommunen – unsere Kommunen ganz konkret entlasten, um eben Entsiegelung auf den Weg zu bringen? Wir wissen: Die Baupreise sind gestiegen. Es ist kaum oder sehr, sehr schwer möglich, überhaupt noch zu bauen, beispielsweise Wohnungen; auch Grünflächen anzulegen, kostet entsprechend viel Geld. Was wollen Sie konkret auf den Weg bringen, um Kommunen dabei zu helfen, tatsächlich Flächen zu entsiegeln?
Zum einen: Die klassische Städtebauförderung dient dazu, zum Beispiel auch Flächen zu entsiegeln. Zum anderen haben wir ja über das Wind-an-Land-Gesetz die Möglichkeit geschaffen, dass Länder miteinander Verträge schließen, sodass man in einem Land Flächen sparen und in einem anderen Land Windenergieflächen zusätzlich ausweisen kann.
Ich weise auch darauf hin: Das Flächensparziel gilt nicht allein für das Bauministerium, sondern für die gesamte Bundesregierung. Auch Steffi Lemke hat einen großen Beitrag zur Renaturierung leisten können, indem zum Beispiel über die Moorschutzstrategie, aber auch mit den Milliarden für die Stärkung der Biodiversität –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– Flächen, die nicht mehr gebraucht werden, renaturiert werden können.
Vielen Dank. – Ich sehe, Herr Luczak hat noch eine Nachfrage.
Vielen Dank. – Frau Ministerin, Sie hatten gerade das Flächensparziel angesprochen. Das haben Sie in Interviews in den letzten Tagen immer auch als Grund dafür genannt, dass zukünftige Generationen keine neuen Einfamilienhäuser mehr bauen sollen. Sie haben gesagt: Das wird nicht gehen, vielmehr müssen wir Flächen einsparen. – Deswegen wollen Sie sich auf den Bestand konzentrieren.
Mich hat Ihre Aussage insoweit ein bisschen verwundert, weil Sie jetzt ein Konzept für die Eigentumsförderung bzw. zumindest dessen Eckpunkte vorgestellt haben. Die Förderung ist leider noch nicht in Kraft; darauf warten wir noch. Gemäß der Eckpunkte dieses Konzepts ist vorgesehen, dass die Eigentumsbildung im Bestand, was insbesondere in Ballungsgebieten, in großen Städten der Fall ist – dort kaufen die Leute ja keine neuen Wohnungen und bauen auch keine Einfamilienhäuser, sondern sie kaufen Bestandswohnungen –, gerade nicht gefördert wird. Deswegen wundert mich das. Sie setzen sich, jedenfalls den Worten nach, immer für Eigentumsbildung ein. Aber an dieser Stelle ist eine große Leerstelle. Das klappt einfach nicht. Das ist ein offener Widerspruch zu dem, was Sie im Interview gesagt haben, nämlich dass man eigentlich in den Bestand gehen müsste.
Frau Ministerin.
Ich bin ja nicht allein in dieser Bundesregierung. Sie wissen: Die Neubauförderung verantwortet die Bauministerin, und die Bestandsförderung verantwortet Robert Habeck. Bei aller weiten Interpretation von Neubau: Ein Haus im Bestand ist einfach kein Neubau. Deswegen gibt es diese Trennung zwischen den zwei Ansätzen.
Die Union hat ja auch im letzten Plenum ganz treffend herausgearbeitet, dass der Anteil der Sanierungsförderung doch deutlich über dem der Neubauförderung liegt, was die Summe des Geldes anbelangt. Ansonsten ist wichtig, dass es kein Entweder-oder gibt. Es wird natürlich in der Zukunft immer auch Neubau geben. Bereits jetzt findet die überwiegende Mehrzahl der Eigentumsbildung im Bestand statt.
Sie haben die Möglichkeit der Nachfrage.
Ja, sehr gerne. – Mich verwundert das ein bisschen, Frau Ministerin. In der Tat, es gibt auf der einen Seite die Neubauförderung, und es gibt auf der anderen Seite das, was Robert Habeck in seinem Ministerium macht. Da geht um den Bestand – das ist richtig –, aber es geht um die Sanierung des Bestandes. Das hat rein gar nichts mit Eigentumsbildung zu tun. Das heißt, das, was die Bundesregierung macht, ist: Sie fördert die Sanierung im Bestand und den Neubau. Aber bei der Eigentumsbildung im Bestand – Sie selber haben gerade gesagt: das ist der zentrale Baustein, mit dem die Leute in die eigenen vier Wände kommen, von denen viele Menschen träumen – passiert vonseiten der Bundesregierung gar nichts.
Ganz lebenspraktisch ist es in der Regel so, dass Sie, wenn Sie ein Bestandsgebäude erwerben, einen hohen Sanierungsbedarf haben, um es auf Ihre Bedürfnisse anzupassen. Deswegen war es zum Beispiel sehr gut, dass jetzt das Wohn-Riester-Programm, das ja Vermögensbildung auch unterstützen soll, für die energetische Sanierung geöffnet wurde.
Kein Problem, Frau Präsidentin. – Frau Bauministerin, Sie hatten gerade die Moorschutzstrategie von Ministerin Lemke und die Renaturierung von Flächen, die nicht mehr gebraucht werden, angesprochen. Ich möchte jetzt bitte von Ihnen konkret wissen, welche Flächen in Deutschland denn nicht mehr gebraucht werden – um Ihre Worte zu zitieren. Sind es die den Mooren und Sümpfen abgerungenen Ackerbauflächen? Sind es die den Mooren und Sümpfen abgerungenen Bauflächen in Deutschland? Welches sind denn die Flächen, die in Deutschland nicht mehr gebraucht werden?
Frau Ministerin.
Das war sprachlich nicht ganz präzise; denn diese Flächen werden zum Beispiel für den Naturschutz gebraucht.
Sie haben die Möglichkeit einer Nachfrage.
Sie sagen also: Die Moorschutzstrategie der Bundesregierung wird sich entlang der Flüsse und der dortigen Auen, die zu landwirtschaftlicher Fläche umgebaut worden sind, ausschließlich auf Flächen beziehen, die nur für den Umweltschutz gebraucht werden, nicht aber für Wohnraum, Transport und Verkehr, für die Wald- und Forstwirtschaft und sonstige landwirtschaftliche Nutzflächen. Ist das korrekt? Habe ich Sie richtig verstanden?
Also, man sollte ein Moor nicht unterschätzen. Wir sind gerade in sehr intensivem Austausch, zum Beispiel über die Frage, inwiefern man das lange Gras, das auf diesen sehr extensiv bewirtschafteten Flächen wächst, nutzen kann, um eines der großen Probleme zu lösen, nämlich: Wie kriegen wir nachhaltige Dämmstoffe hin? In Mecklenburg-Vorpommern gibt es dafür schon ganz interessante Ansätze. Insofern heißt es nicht, dass Flächen, die gut für die Natur sind, nicht automatisch auch auf andere Art als bisher von den Menschen genutzt werden können.
Vielen Dank. – Die nächste Nachfrage kommt von einer Kollegin aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Frau Ministerin, dass Sie auch das Beispiel genannt haben, wie man Flächen sinnvoll mehrfach nutzen kann.
Bei den eben gestellten Fragen hatten wir zum Teil den Eindruck, dass davon ausgegangen wird, dass man im Bestand keinen weiteren Wohnraum schaffen kann. Aber das ist ja nicht so. Deswegen frage ich Sie: Welche Maßnahmen planen Sie im Rahmen der Änderung des Baugesetzbuchs zu ergreifen, um Aufstockung und Umnutzung im Bestand zu erleichtern?
Das eine sind rechtliche Rahmenbedingungen. Wir wollen es leichter machen, dass man Dachgeschosse umbauen und ausbauen kann. Wir wollen es auch erleichtern, dass man zum Beispiel Büroflächen umnutzen kann in Wohnungen; denn da ist ja schon ganz viel graue Energie gebunden.
Das andere ist, dass unsere Bundesstiftung Baukultur einen Baukulturbericht veröffentlicht hat, in dem das zentrale Thema der Umbau ist. Denn natürlich stellt sich ganz häufig die Frage: Denke ich automatisch, wenn ich Wohnraum brauche, erst mal an Abriss und Neubau, oder schaue ich mir auch an, ob man etwas nachnutzen kann? Wir werden, weil das Geld im Zusammenhang mit dieser Frage natürlich auch wichtig ist, die Honorarordnung der Ingenieure und Architekten so ändern, dass auch die intellektuelle Leistung des Umbaus entsprechend honoriert wird.
Sie haben die Möglichkeit der Nachfrage. – Nein. Die nächste Fragestellerin ist Caren Lay.
Vielen Dank. – Frau Ministerin, der Flächenverbrauch ist ein wichtiges Thema. Gerade wenn man weniger versiegeln will, ist es wichtig, Prioritäten zu setzen. Die Bundesregierung strebt 400 000 neue Wohnungen an, davon – aus meiner Sicht: nur – 100 000 Sozialwohnungen. Aber auch von diesem jährlichen Ziel, das Sie ausgegeben haben, sind wir meilenweit entfernt. Wir haben im letzten Jahr nur 23 000 Sozialwohnungen neu gebaut.
Die 14,5 Milliarden Euro, die Sie erwähnt haben, beziehen sich ja, wie es der Deutsche Mieterbund und auch wir kritisieren, nicht auf ein Jahr, sondern auf fünf Jahre. Das bringt in diesem Jahr gerade einmal eine Verdopplung der Mittel. Meine Frage: Glauben Sie wirklich, dass Sie mit diesem Mitteleinsatz eine Vervierfachung der aktuellen Zahlen erreichen? Wie soll das mit einer guten Verdopplung der Mittel überhaupt gelingen, noch dazu bei steigenden Baupreisen? Das ist doch völlig unrealistisch.
Frau Ministerin, Sie haben das Wort.
Herzlichen Dank für die Frage. – Sie wissen ja, dass der soziale Wohnungsbau in der Zuständigkeit der Länder liegt. Wir geben mit 14,5 Milliarden Euro einen erheblichen Zuschuss. Die Länder kofinanzieren das. Sie wissen auch, dass es viele Länder gibt, die deutlich mehr als den geforderten Kofinanzierungsanteil von 30 Prozent stemmen. Wir müssen natürlich auch sehen: Wir haben jahrelang zu wenig in den sozialen Wohnungsbau investiert. Das ist ein System, das anlaufen muss. Deswegen erhöhen wir die Förderung jedes Jahr um 500 Millionen Euro.
Es bringt allerdings nichts, wenn ich den Ländern jetzt Geld gebe, diese aufgrund ihrer Haushaltssituation aber nicht zur Kofinanzierung in der Lage sind, das Geld also nicht abrufen können. Sie sehen flächendeckend in vielen Bundesländern eine deutliche Anpassung der Fördersätze des sozialen Wohnungsbaus nach oben. Nächstes Jahr kommt noch die 500-Millionen-Scheibe für das Programm „Junges Wohnen“, für Azubiwohnheime und Studentenwohnheime, hinzu.
Sie haben die Möglichkeit der Nachfrage.
Diese Möglichkeit würde ich sehr gerne nutzen.
Ich glaube, viele Menschen haben wenig Verständnis dafür, wenn der Bund sagt, die Länder seien verantwortlich. Wir haben hier vor ein paar Jahren gemeinsam das Grundgesetz geändert – also mit Ausnahme der AfD –, damit der Bund wieder in die Mitverantwortung für den sozialen Wohnungsbau kommt. Das Grundproblem – das wissen wir als Wohnungspolitiker/-innen alle – ist ja, dass Jahr für Jahr Bindungen von Sozialwohnungen auslaufen. Das heißt, wir hatten im letzten Jahr trotz eines Neubaus von 23 000 Wohnungen unter dem Strich ein Minus von 27 000 Sozialwohnungen. Das heißt, wir brauchen ein neues Prinzip: Einmal Sozialwohnung, immer Sozialwohnung. Was wollen Sie tun, damit das Auslaufen der Bindungen der bereits bestehenden Sozialwohnungen unterbunden werden kann?
Wir werden im März Eckpunkte für eine neue Wohngemeinnützigkeit vorlegen, die genau das beinhaltet, was Sie sich wünschen, nämlich dauerhaft sozialgebundene Wohnungen.
Die letzte Nachfrage stellt Herr Schisanowski.
Besten Dank. – Meine Kollegin Lay hat den sozialen Wohnungsbau gerade schon angesprochen. Ich will einleitend noch einmal hervorheben – das hat die Frau Ministerin in ihren einleitenden Worten auch bereits getan –, dass wir mit den insgesamt 14,5 Milliarden Euro, die wir bis 2026 zur Verfügung stellen, Rekordinvestitionen auf den Weg bringen. Ich glaube, das ist ein ganz zentraler, wichtiger Schwerpunkt, den das neue Bauministerium hier setzt. Deswegen erlaube ich mir noch die Nachfrage, tiefergehend, wie denn der Sachstand der Gespräche mit den Ländern für mehr sozialen Wohnraum aussieht.
Wir sind gerade in den Verhandlungen über die Scheibe für nächstes Jahr, für 2023, sowohl was die klassische Verwaltungsvereinbarung als auch was die zusätzliche Verwaltungsvereinbarung für Azubiwohnen und Studentenwohnen anbelangt. Ich bin sehr optimistisch, dass wir das jetzt in den nächsten Tagen abschließen können und die Verwaltungsvereinbarung an die Länder geben; sie tritt in Kraft, wenn alle Länder das unterschrieben an den Bund zurückgeschickt haben.
Wie gesagt – Sie sehen das selber bei sich –: In den Bundesländern fängt man allerorten damit an, die Förderkonditionen für den sozialen Wohnungsbau deutlich zu verbessern. Man hat sich im Rahmen der Föderalismusreform dafür entschieden, dass die Länder die Verantwortung tragen, weil die Bedingungen vor Ort, was gebraucht wird, wirklich sehr unterschiedlich sind.
Sie haben die Möglichkeit der Nachfrage.
Weil jetzt der Faktor Zeit auch ganz entscheidend ist, erlaube ich mir die Nachfrage: Wie gedenken Sie die Prozesse zu beschleunigen, auch für den sozialen Wohnungsbau?
Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass wir die Gesetzesnovelle zum Baugesetzbuch, die ich gerade vorgestellt habe – Umplanungen sollen schneller ermöglicht werden –, auch gut beraten. Wir sehen zum Beispiel, dass Projektentwickler von frei finanziertem Wohnungsbau auf Sozialwohnungen umplanen wollen, was ich erst mal begrüße. Hier ist es natürlich einfacher, wenn man nur diesen Teil des Bebauungsplanes ändert und für den Rest nicht noch mal eine Anhörung durchführen muss. Das ist ein ganz praktischer Beitrag dazu, dass man Bebauungspläne schnell ändern kann.
Ansonsten sind die Länder frei, die Mittel des Bundes einzusetzen, wie sie es den Bedürfnissen ihrer Bundesländer entsprechend für sinnvoll einschätzen.
Vielen Dank. – Dann ist der nächste, reguläre und angemeldete Fragesteller Marc Bernhard.
Frau Ministerin, wir haben schon gehört: Ihr Ziel von 400 000 neuen Wohnungen pro Jahr werden Sie wohl nicht erreichen. Dieses Jahr werden es vielleicht knapp 250 000 werden, nächstes Jahr vielleicht weniger als 200 000. Gleichzeitig fehlen 2 Millionen bezahlbare Wohnungen.
Ihr „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ ist – wir haben es gehört – eigentlich schon gescheitert, weil die Maßnahmen völlig falsch sind. Das Problem ist im Wesentlichen nicht Planungsbeschleunigung, sondern, dass die Menschen das Bauen nicht mehr bezahlen können; deswegen wird nicht mehr gebaut. Sie machen auf der einen Seite zu wenig Förderung – Sie fördern den Eigenheimbau mit 1 Milliarde Euro; das sind gerade mal 3 000 Euro pro Wohnung, nicht einmal 1 Prozent des Preises – und auf der anderen Seite das Wohnen sehr viel teurer, beispielsweise durch die Einführung des EH55-Standards ab nächstem Jahr. Dadurch werden Vorgaben für den Wohnungsbau gemacht, die sich 80 Prozent der Menschen in Deutschland gar nicht mehr leisten können; entsprechende Mieten können auch nicht mehr gezahlt werden.
Deshalb die Frage: Wie wollen Sie es jetzt konkret schaffen, dass 400 000 bezahlbare Wohnungen in absehbarer Zeit pro Jahr gebaut werden?
({0})
Frau Ministerin.
Wie viel dieses Jahr tatsächlich gebaut wird, das werden wir im Mai nächsten Jahres wissen, wenn die Fertigstellungsstatistik vorliegt.
Ich weise darauf hin, dass dieses Jahr durch die BEG-Förderung, die wir von der alten Bundesregierung übernommen haben, ziemlich große Milliardensummen in den Neubau gesteckt wurden. Wir werden sehr genau analysieren, ob das eher einen Preiseffekt hatte oder tatsächlich zur Kapazitätsausweitung führte.
Bei EH55 gibt es jetzt ein Gutachten, das ganz klar sagt: EH55 ist über die Nutzungsdauer des Hauses insgesamt rentierlich, weil man entsprechend Energie einspart. Insofern sehe ich nicht, dass EH55 den Bau so verteuert.
Wir arbeiten an Planungsbeschleunigung, weil längere Planungs- und Bauphasen natürlich Kostensteigerungen mit sich bringen. Deswegen gibt es da sehr wohl einen Zusammenhang. Wir werden im sozialen Wohnungsbau eine sehr stabile Förderung gewährleisten. Wir arbeiten an der Wohngemeinnützigkeit und vielen anderen Maßnahmen mehr.
Sie haben die Möglichkeit einer Nachfrage.
Neben der reinen Zahl der Wohnungen ist natürlich auch wichtig – ich habe es vorher schon gesagt –, dass die auch bezahlbar sind. Jetzt wollen Sie ja den CO2-Ausstoß bis 2030 um 50 Prozent reduzieren.
({0})
Wenn man sich Ihr Klimaschutz-Sofortprogramm anschaut, dann geht es dabei hauptsächlich darum, auf der einen Seite immer massivere und kostspieligere Dämmmaßnahmen zu ergreifen, also die Kosten zu erhöhen.
({1})
Auf der anderen Seite führen Sie in Ihrem Klimaschutz-Sofortprogramm klar aus, dass Sie Ihre Klimaziele überhaupt nur durch einen massiven Anstieg der Energiepreise erreichen können.
Da frage ich Sie jetzt: Wie wollen Sie mit diesen Plänen dafür sorgen, dass Wohnen in Zukunft endlich wieder bezahlbar wird? Sie können die Kosten doch nicht immer weiter nach oben schrauben.
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Es geht nicht darum, immer besser zu dämmen, sondern wir sind der Meinung, dass wir umstellen müssen von der alleinigen Energieeffizienz hin zu der Frage der Treibhausgasemissionen.
({0})
Das befürwortet zum Beispiel auch Low-Tech-Ansätze, die im Bauunterhalt preiswerter sind, den Einsatz von nachhaltigen Materialien. Wenn auf dem Dach aus erneuerbaren Energien Strom produziert wird, dann haben Sie natürlich auch die Möglichkeit, Nebenkosten zu sparen.
Es gibt auch sehr interessante Ansätze, die jetzt im Justizministerium entwickelt werden, zur Teilwarmmiete, damit man beides zusammendenkt und das große Potenzial unserer Gebäude für die erneuerbaren Energien auch ausschöpft.
Vielen Dank. – Dann habe ich eine Nachfrage von Jan-Marco Luczak.
Frau Ministerin, Sie haben gerade erwähnt, dass zum Anfang des kommenden Jahres für Neubauten EH55 als gesetzlicher Standard festgelegt wird. Das war der Standard, der in den vergangenen Jahren mit sehr großen Summen gefördert wurde, um sozusagen klimapolitisch auch ein Stück weit voranzukommen.
Jetzt bekommt man keine Förderung mehr – die haben Sie gestrichen. Gleichzeitig wird der Standard hochgesetzt. Das führt in der Folge dazu – wir haben vorhin schon über das Eigentumskonzept gesprochen –, dass Sie sagen: Das, was jetzt gesetzlicher Standard ist – EH55, was jetzt nicht mehr gefördert wird –, kann natürlich zukünftig nicht mehr gefördert werden, sondern wenn wir Eigentumsförderung gewähren, dann muss man über den gesetzlichen Standard hinausgehen, also EH40 Plus. Das führt aber dazu: Wenn man diesen förderfähigen Standard erreichen will, dann gehen die Kosten, die man hat, enorm nach oben. Gleichzeitig sagen Sie: Damit Haushalte überhaupt in den Genuss der Förderung kommen, dürfen sie über maximal 60 000 Euro Haushaltseinkommen verfügen.
Wie passt es zusammen, die Kosten durch die Anforderungen so hoch zu treiben und gleichzeitig zu sagen, dass das Haushaltseinkommen maximal 60 000 Euro betragen darf?
Kommen Sie zum Schluss.
Das klappt am Ende ja nicht.
Frau Ministerin.
Bei den Einkommenshöhen haben wir uns an den durchschnittlichen Einkommen orientiert, die bei Baukindergeldbeziehern vorhanden waren. Sie lagen durchschnittlich sogar unter den 60 000 Euro, die wir jetzt angesetzt haben.
Ein weiteres Thema ist, dass die Nebenkosten ein ganz wesentlicher Aspekt bei der Frage sind, ob man sich das Gebäude auf Dauer, über Jahrzehnte, leisten kann. Jenseits aller abstrakten Diskussionen um Förderfähigkeit oder Nichtförderfähigkeit weiß ich, dass jeder Private jetzt schon darüber nachdenkt, was er machen kann, um sein Haus energetisch zu ertüchtigen, um halt Betriebskosten zu sparen, Nebenkosten zu sparen. Deswegen glaube ich, dass alle Menschen, die sich jetzt ein Haus bauen, gut beraten sind, wenn sie sich ein energetisch sehr effizientes Haus bauen.
Eine Nachfrage.
Das passt, Frau Ministerin, natürlich nicht mit dem zusammen, was die Verbände sagen. Wohnen im Eigentum sagt zum Beispiel: Diese Förderung verdient den Namen nicht, weil die Menschen, die davon profitieren sollen – mit dem entsprechenden Haushaltseinkommen –, sich diese sehr teuren Häuser mit dem Standard, den Sie gesetzlich vorsehen, am Ende nicht leisten können.
Ein ganz kurzer Punkt zum Baukindergeld, verbunden mit der Bitte um eine kurze Antwort. Das Baukindergeld haben Sie gestrichen. Das Programmende ist vorgezogen worden. Das bedeutet, dass 15 000 bis 20 000 Familien, die bei der Aufstellung ihrer Finanzierung fest damit gerechnet haben, nicht mehr in den Genuss des Baukindergeldes kommen werden. Warum haben Sie das gemacht? Wieso lassen Sie diese Familien im Regen stehen?
Das Baukindergeld war systematisch ein bisschen anders ausgestaltet. Es hatte ja die Eigenschaft, dass man das Geld erst bekam, nachdem man das Haus fertiggebaut hatte. Es war immer schon in der Diskussion, ob das wirklich eine sinnvolle Förderung ist oder ob es nicht einfach sinnvoller ist, den Familien durch eine staatliche Steuerung am Anfang, zum Beispiel beim Nachweis von Eigenkapital, zu helfen. Deswegen hat sich der Bundestag entschieden, eine andere Form der Eigentumsförderung zu machen, die es ab nächstem Jahr geben wird.
Wir haben die Programmscheibe von 2023 vorgezogen, damit wir dieses Jahr in keine Förderlücke laufen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Deswegen wird das Baukindergeld zum Ende des Jahres auslaufen.
Eine Nachfrage des Kollegen Beckamp.
Frau Ministerin, wir sprechen ja gerade über die Bezahlbarkeit von Wohnraum, über die Höhe von Mieten. Wer hätte gedacht, dass steigende Wohnungsnachfrage durch Masseneinwanderung zu deutlich höheren Mieten führt. Hätten Sie das gedacht, Frau Ministerin?
({0})
Die Ministerin antwortet.
Ich gebe gerne darüber Auskunft, was diese Bundesregierung plant; aber meine Gedanken sind meine Gedanken. An der Stelle kann ich Ihnen sagen, dass wir dafür sorgen, dass jeder, der in Deutschland lebt, ein gutes Zuhause hat, egal wo seine Eltern herkommen.
({0})
Sie haben die Möglichkeit der Nachfrage.
Vielen Dank. – Frau Ministerin, Sie betonen ja oft, dass wir ein sehr attraktives Land sind
({0})
und deswegen ganz viele Menschen zu uns kommen. Das freut Sie anscheinend sehr.
({1})
Ich teile das nicht unbedingt für jeden so ganz.
Wie schaut es aus, wenn wir demnächst wahrscheinlich 90 Millionen Menschen in unserem Land haben, wie unser Kanzler es schon herbeisehnt? Was machen wir denn dann?
Ich empfehle da einfach mal das Gespräch mit der Bauindustrie. Die begrüßt zum Beispiel ganz ausdrücklich, was wir im Bereich der Fachkräfteeinwanderung machen, weil händeringend Menschen gesucht werden,
({0})
die auf unseren Baustellen arbeiten und die Häuser bauen, in die Sie und alle anderen Menschen einziehen können.
Die letzte Nachfrage hat der Kollege Föst.
Danke. – Ich muss noch mal auf den Themenkomplex „energetische Sanierung“ zurückkommen. Ich ignoriere jetzt mal den ganzen AfD-Mist.
({0})
– Ja, Sie haben allerdings recht damit, wie primitiv Ihre Positionen sind.
({1})
Wir hatten ja beim Thema der Sanierung die Frage im Kopf: Wie können wir bezahlbaren Wohnraum schaffen? Da müssen wir feststellen: Wir haben in den letzten zehn, zwölf Jahren sehr viel Geld in die energetische Sanierung investiert, aber der Gebäudebestand hinkt hinterher, was die Einsparziele anbelangt.
Jetzt wäre natürlich die Frage, ob wir nicht vielleicht doch mal überlegen sollten, wie wir von der Dicke der Dämmung, von immer mehr Technik, von der alleinigen Fokussierung auf die Energieeffizienz wegkommen, hin zu dem, was das BBSR formuliert hat, nämlich zur Emissionseffizienz.
Kommen Sie zum Schluss.
Da wäre meine Frage an Sie: Welchen Kostenvorteil sehen Sie in diesem Konstrukt?
Aus meiner Sicht müssen wir genau das machen, um den Einsatz von erneuerbarem und von Recyclingmaterial und auch die Wertschätzung des Bestandes voranzutreiben. Wenn man nämlich nur darauf fokussiert, wie viel Energie das Haus verbraucht, wenn es steht, dann ignoriert man natürlich die Frage: Wie viel Energie habe ich eigentlich gebraucht, um das Dämmmaterial herzustellen? Und dann kommt man nicht zu einem realen Belastungsbild. Deswegen haben wir das Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude entwickelt. Wir werden auch mit Ihnen diskutieren, wie in Zukunft zum Beispiel die Annäherung an EH40 ausgestaltet wird, mit dem Ziel, sich in diesem Bereich ehrlich zu machen und dann ein Gesamtbild zu haben, das tatsächlich sämtliche Emissionen darstellt, die es in diesem Bereich gibt. Der digitale Gebäuderessourcenpass, aber natürlich auch BIM werden wichtig sein, damit wir besser als bisher wissen, welches Potenzial in einem Gebäude steckt und wie wir es besser nutzen können.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Natürlich werden wir bei der bevorstehenden Sanierungswelle auch schauen, inwiefern wir es zum Beispiel durch Versorgung mit erneuerbarer Energie schaffen, dass wir nicht jeglichen Gebäudebestand tiefensanieren müssen. Das wird nicht möglich sein.
Ihre Nachfrage.
Vielen Dank. – Ich hätte eine ganz kurze Nachfrage. Dass wir jetzt den alleinigen Fokus auf die Gebäudeenergie wegnehmen, höre ich sehr gerne. Wir fokussieren uns bei allen Maßnahmen aber auch immer nur auf das einzelne Gebäude. Ähnlich wie beim Thema „mehr Emissionseffizienz statt Energieeffizienz“ ist auch der Blick auf das Quartier immer wieder im Fokus der Debatte. Wie stehen Sie dazu? Müssen wir eher das Quartier in den Blick nehmen – weg vom einzelnen Gebäude –, oder passt das alles so, wie wir es machen?
Das Bauministerium hat ja in der Städtebauförderung eine jahrzehntelange Tradition, genau das zu tun, nämlich in der Dimension der Quartiere zu denken. Wir werden das bei der kommunalen Wärmeplanung machen müssen, aber auch bei der Anpassung der Städte an den Klimawandel. Ich hatte ja vorhin ausgeführt: Man springt zu kurz, wenn man nur das einzelne Gebäude betrachtet. – Es gibt sicherlich auch Gebäude, die man gar nicht energieeffizient machen kann, weil sie unter Denkmalschutz stehen, weil sie Probleme mit sich bringen oder weil sie vielleicht gar nicht mehr dauerhaft gehalten werden sollen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Das kann man dann kompensieren, indem man einen anderen, höheren Standard in anderen Bereichen in demselben Quartier hat. Das wird bei der Ausgestaltung der kommunalen Wärmeplanung ganz wichtig sein.
Vielen Dank. – Die nächste reguläre Fragestellerin ist für Die Linke Susanne Hennig-Wellsow.
Danke, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, das Bundesverwaltungsgericht hat im November 2021 das Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten gekippt. Das bedeutet, dass mindestens die zehn großen Städte eines der wenigen Instrumente verloren haben, um gegen Spekulation vorzugehen, um Luxussanierungen und Mieterhöhungen für die Mieterinnen und Mieter verhindern zu können. Jetzt werden sogar sogenannte Abwendungsvereinbarungen beklagt. Tausende Wohnungen sind mittlerweile verkauft. Sie haben damals gesagt: Die Bundesregierung wird sich kümmern.
Jetzt ist natürlich meine Frage: Wann wird die Bundesregierung einen neuen Vorschlag liefern?
Mein Ministerium hat im April einen entsprechenden Gesetzentwurf in die Ressortabstimmung gegeben. Es gibt insbesondere seitens des Justizministeriums erheblichen Nachfragebedarf. Wann wir da zu einer Einigung kommen, kann ich nicht abschätzen. Aber wenn ich mir vor Weihnachten etwas wünschen darf, dann würde ich mich sehr freuen, wenn wir das sehr, sehr schnell hinkriegen.
Sie haben die Möglichkeit der Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Ministerin. – Dieser Wunsch eint uns ja; er eint ja auch zum Beispiel viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der zehn betroffenen Städte, darunter auch sehr viele SPD-regierte. Nun habe ich es aber so verstanden, dass Sie bei dem betreffenden Gesetzentwurf federführend sind. Ich kann ja noch in gewisser Hinsicht verstehen, wenn man beim Mietrecht sagt, dass die FDP und der FDP-Minister es aussitzen. Aber beim Vorkaufsrecht haben Sie die Federführung. Deswegen haben aus meiner Sicht Sie die Verantwortung, das schnellstmöglich umzusetzen. Es geht um zwei Paragrafen, die geändert werden müssen. Deswegen meine Frage: Wann werden Sie einen Gesetzentwurf vorlegen?
Wenn die Ressortabstimmung zu Ende ist, dann werden wir das dem Kabinett zuleiten.
({0})
Vielen Dank. – Frau Bayram.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, es gibt ja einen Referentenentwurf, der in interessierten Kreisen auch schon kursiert. Darin sind sehr viele vernünftige Ansätze enthalten. Mich interessiert – auch mit Blick darauf, dass in meinem Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg und in der Stadt Berlin tatsächlich viele Mieterinnen und Mieter einfach das Vorkaufsrecht brauchen, um vor Verdrängung geschützt zu werden und um in ihren Wohnungen bleiben zu können –, wie Sie denn die Situation einschätzen, wie die Kommunen wieder in den Stand versetzt werden, das Vorkaufsrecht auszuüben. Oder sind Sie der Ansicht, dass sie das zurzeit tatsächlich ausüben können? Darüber diskutieren wir ja immer wieder im Ausschuss.
Frau Ministerin.
Nein, wir sehen da einen gesetzlichen Regelungsbedarf. Ich weiß jetzt nicht, woher Sie den Referentenentwurf haben; aber dass es ihn gibt, ist ja Ausdruck der Tatsache, dass wir da einen Bedarf sehen.
Sie haben die Möglichkeit einer Nachfrage.
Vielen Dank. – Es ist natürlich ein Entwurf, der in interessierten Kreisen diskutiert wird, der eben noch nicht ressortabgestimmt wird. Frau Lay hat das ja eben angedeutet: Eine Ressortabstimmung kann auch scheitern, wenn das federführende Ministerium etwas vorlegt und ein mitzeichnendes Ministerium nicht zustimmt. Dann stehen wir alle da mit unseren frommen Weihnachtswünschen.
({0})
Ja, ich gebe für meine Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu: Wir wünschen uns dieses Jahr zu Weihnachten eine klare gesetzliche Verankerung des Vorkaufsrechts, –
Kommen Sie zum Schluss, bitte.
– damit wir endlich die Mieter/-innen schützen können. Deswegen: Wie können wir Sie dabei unterstützen?
Frau Ministerin.
Ich spreche ja hier für die Bundesregierung. Die Bundesregierung an sich ist noch dabei, sich dazu zu positionieren. Meine Position als Fachministerin ist klar. Es wäre sicherlich hilfreich, wenn Sie mit anderen Mitgliedern der Bundesregierung ein inhaltsgleiches Gespräch führten.
({0})
Ich habe eine Nachfrage des Kollegen Rohwer.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, ich möchte genau dazu noch mal nachfragen. Sie haben ausgeführt, dass Sie da in der Ressortabstimmung sind. Aber wir haben ja ein Ungleichgewicht zwischen Stadt und ländlichem Raum. In den ländlichen Räumen haben wir zunehmend Leerstand, und hier sollen wir die Kommunen in die Lage versetzen, sich Eigentum anzueignen. Deswegen meine Frage an Sie: Was sehen Sie denn noch für Möglichkeiten, um Kommunen zum Beispiel in diesem Bereich und bei der Sanierung zu unterstützen?
Was auf jeden Fall immer geht und ja auch praktiziert wird, ist, Mittel im Rahmen der Städtebauförderung für das Bekämpfen städtebaulicher Missstände einzusetzen. Das andere ist das Instrument der Sanierungsförderung, die natürlich auch im ländlichen Raum genutzt werden kann.
Wir unterstützen gerade die Entwicklung von alternativen Mobilitätskonzepten im ländlichen Raum durch das BBSR. Unser Wunsch ist, im nächsten Jahr eine Kleinstadtakademie zu etablieren, die den zentralen kleinen Städten, die im ländlichen Raum ein Anker sind, mehr Austauschmöglichkeiten eröffnet. Unsere Modellprojekte zum Beispiel für die Innenstädte sollen auch in kleineren Städten genutzt werden, um Ortslagen zu reaktivieren.
Ich kann Ihnen versichern: Als Brandenburgerin ist mir der ländliche Raum sehr nah. Wir werden auch eine Formulierungshilfe zur Änderung des Baugesetzbuches zum Umbau von Ställen zuliefern, weil das auch für Investitionssicherheit im ländlichen Raum ganz wesentlich ist.
Eine Nachfrage.
Frau Ministerin, Sie merken: Wir kommen immer wieder auf das Thema „Sanieren im Bestand“ zurück. Auch wenn Sie sagen, dass dafür das Haus des Kollegen Habeck zuständig ist, richte ich die Frage an Sie: Zu Ihrem Ressort gehört die Bundesstiftung Baukultur. Sie hat sich zum Sanieren im Bestand gerade umfangreich geäußert. Was machen Sie jetzt damit? Verweisen Sie wieder auf den Kollegen Habeck, oder sind Sie da tätig und greift Ihr Haus einzelne Punkte auf, damit im Bestand kostengünstiger saniert werden kann?
Auf jeden Fall ist das ein ganz wichtiger Punkt. Wie gesagt, wir müssen die Honorarordnung der Architekten überarbeiten, damit es sich für sie auch lohnt, Umbau zu planen, und sie nicht mehr verdienen, wenn sie Neubau planen. Das andere ist, dass wir uns im Bereich der Baugesetznovelle anschauen müssen, ob wir gerade im ländlichen Raum noch Änderungsbedarf im Bereich des Baugesetzbuches haben, um zum Beispiel ehemalige, nicht mehr genutzte Ställe zu Wohngebäuden umzubauen, ob es da noch anderen Regelungsbedarf gibt als bisher. Aber auch der Umbau der Ställe selber ist ein wichtiges Thema. Und wir müssen über die Standards reden; denn ein umgebautes altes Gebäude wird die Standards von 2023 –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– nicht erfüllen können. Es ist ein ganz großes Paket, das wir da angehen müssen.
Ich habe noch zwei Nachfragen, die ich zulasse. – Einmal der Kollege Nickholz, bitte.
Sehr geehrte Frau Ministerin, erst mal vielen Dank, dass Sie hier so engagiert und klar die Fragen beantworten.
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Wir befassen uns ja gerade damit, wie wir Kommunen bei den Herausforderungen beim Thema Wohnen stärken. Deswegen ist eine Nachfrage zum Thema Wohnungslosigkeit aus meiner Sicht wichtig. Es ist ein sehr breit gefächertes Phänomen, bei dem die kommunale Ebene deutliche Unterstützung auch durch den Bund erfahren muss. Wir haben uns als Ampelkoalition ja auch ein klares Ziel gesetzt. Mit dem Nationalen Aktionsplan wollen wir bis 2030 die Wohnungslosigkeit überwinden. Uns liegt die erste bundesweite Statistik zum Thema Wohnungslosigkeit vor.
Für mich wäre jetzt erst mal interessant, zu erfahren, wie der aktuelle Stand des Nationalen Aktionsplans gegen Wohnungslosigkeit ist und was das Ministerium für das nächste Jahr plant.
Wir werden nächstes Jahr anfangen, mit den Akteuren, mit denen wir jetzt schon in einen ersten Austausch getreten sind, diesen Aktionsplan vorzubereiten. Hier ist es ganz wichtig, zum einen die kommunale Ebene, die ja seit Jahrzehnten Lösungen erarbeitet, und zum anderen die Ressorts mitzunehmen. Wir haben große Probleme, was die Krankenversicherung von Obdachlosen anbelangt; aber wir haben manchmal auch das Problem, dass es im Melderecht noch Lücken gibt. Das kann selbst der engagierteste Sozialarbeiter nicht ohne entsprechende gesetzliche Änderungen des Bundes bearbeiten. Deswegen wird es darauf ankommen, die kommunale Ebene und alle anderen Akteure einzubeziehen, aber natürlich auch die Selbstvertretung der Menschen, die von Obdachlosigkeit betroffen sind, mit ins Boot zu nehmen.
Wir werden regionale Veranstaltungen machen; wir werden ins Land gehen. Aber ich werde auch Länder wie Finnland im Februar nächsten Jahres besuchen, die es geschafft haben, die Zahl der Obdachlosen durch Housing-First-Ansätze zu reduzieren. Wir werden auch mit Architekten darüber sprechen, wie gute Architektur für Menschen aussieht, die ehemals obdachlos waren. Wir haben mit den 14,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau auch Geld, –
Kommen Sie zum Schluss, bitte.
– um entsprechende Wohnungen zu errichten. Also: Es wird nicht eine Maßnahme, sondern ein ganzer Plan sein. Unser Ziel ist es, nächstes Jahr diesen Plan zu erstellen.
Es wäre schön, wenn wir die Nachfragen wirklich auf den Punkt beziehen, den die Ministerin am Anfang genannt hat. Sie haben nach der Wohnungslosigkeit gefragt. Das wäre wahrscheinlich Ihre Frage gewesen, die Sie gehabt hätten, wenn Sie als regulärer Fragesteller an der Reihe gewesen wären. Sie können aber jetzt noch mal eine Nachfrage stellen, am besten zu dem Bereich, den die Ministerin angesprochen hatte.
({0})
Gut. Ich war etwas irritiert. Das ist das erste Mal für mich, und ich fand, insgesamt war der Rahmen bei allen Nachfragen sehr weit gewählt.
({0})
Deswegen: Danke, dass Sie mir erlauben, das wichtige Thema, die Kommunen da zu stärken, anzusprechen.
Meine Nachfrage lautet: Welche Schlüsse lassen sich aus dem Wohnungslosenbericht 2022, der ja sicherlich wesentlich als Arbeitsgrundlage für den Nationalen Aktionsplan dient, ziehen, und welche Handlungsaufträge lassen sich daraus ableiten? – Herzlichen Dank.
Die Zuständigkeit der Wohnungslosenberichterstattung wechselt ja zum 1. Januar 2023 vom BMAS zu meinem Haus. Wir werden das weiterführen, weil das eine ganz wichtige Grundlage dafür ist, dass wir die richtigen Antworten geben. Denn die Unterschiede zwischen den von Wohnungs- und Obdachlosigkeit betroffenen Menschen sind groß. Es gibt Menschen, die tatsächlich auf der Straße leben, Menschen, die in Unterbringungen leben, und Menschen, die versteckt obdachlos sind, darunter viele Frauen, die in schwierigen Situationen feststecken, weil sie keinen eigenen Wohnraum haben. Die Zielgruppe der Menschen,-
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– die von Wohnungs- und Obdachlosigkeit betroffen sind, ist sehr unterschiedlich zusammengesetzt.
Petra Nicolaisen ist die nächste Fragestellerin.
Vielen Dank. – Von der Wohnungslosigkeit jetzt noch mal zur Wohngeldreform: Frau Ministerin, Sie sind auch Kommunalministerin.
({0})
Die Kommunen haben die Gesetze entsprechend umzusetzen. Ich frage: Nehmen Sie die Kommunen ernst? Nehmen Sie die Hinweise ernst? Oder warum ist es bei der Umsetzung der Wohngeldreform zu desolaten Situationen gekommen, bzw. warum wurden die Hinweise der Kommunen einfach ignoriert?
Auch Mieter, die in Häusern mit kommunalem Vorkaufsrecht wohnen, bekommen ja Wohngeld.
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Insofern darf ich Ihnen versichern – ich war 15 Jahre Stadtverordnete, ich habe den kommunalen Wohnungsausschuss in Potsdam geleitet; die Abteilungsleiterin, die jetzt diese Wohngeldreform macht, war im letzten Jahr noch Bürgermeisterin einer Kleinstadt in Brandenburg –: Wir sind im intensiven Austausch mit der kommunalen Ebene. Wissen Sie, dass das eine Riesenherausforderung ist? Wir machen das nicht aus Jux und Tollerei so zügig, sondern weil die Leute einfach diese Unterstützung brauchen.
Wir haben im parlamentarischen Verfahren viele Vereinfachungen aufgenommen: die Verlängerung des Bewilligungszeitraums auf zwei Jahre, die Bagatellgrenze, die Möglichkeit der vorläufigen Bescheidung. Das sind wichtige Punkte. Wir unterstützen auch gerne bei der Digitalisierung. Im parlamentarischen Verfahren haben Sie ja Hinweise diskutiert, einige angenommen, andere nicht. Der große Brocken, nämlich die Verschlankung der Verwaltungsvereinbarung, die wir geerbt haben, mit über 150 Seiten, wird unsere Arbeit auch im nächsten Jahr prägen, sodass wir auch untergesetzlich noch weitere Anregungen und Vereinfachungen aufnehmen werden und können.
Vielen Dank. – Die nächste Fragestellerin ist Caren Lay.
Ich würde tatsächlich sehr gerne noch mal zur Ursprungsfrage zurückkommen, zum Vorkaufsrecht. Ich glaube, geschätzte Frau Kollegin, Sie und ich, viele hier wissen, dass das eigentlich eine einzige Hängepartie ist und dass es peinlich ist, nach über einem Jahr keine Gesetzesänderung erreicht zu haben, bei der es um nur zwei Paragrafen geht. Ich frage auch gern Ihren Kollegen, Herrn Buschmann, warum er sich da querstellt. Aber heute stehen Sie Rede und Antwort, und Sie sind federführend. SPD und Grüne haben zusammen die Mehrheit in der Koalition.
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Deswegen ist meine Frage: Wie kann es sein, dass der kleinste Koalitionspartner in diesem Themengebiet offenbar bestimmt? Wie kann es sein, dass Sie sich da nicht durchsetzen können, dass sich die SPD nicht durchsetzen kann und dass auch der Kanzler für bezahlbares Wohnen an dieser Stelle, wie auch an vielen anderen Stellen, kein Machtwort spricht, um das kommunale Vorkaufsrecht im Interesse der Mieterinnen und Mieter und im Interesse der Kommunen wiederherzustellen?
Sie werden ja bemerkt haben, wie viele Gesetze in diesem ersten Jahr aus dem Bauministerium gekommen sind. Die ganzen Gesetze – Heizkostenzuschuss, Wohngeldreform, mehrfache Novellierung des Baugesetzbuches – sind alles Abwägungsprozesse. Ich würde mich auch nicht unter Druck setzen lassen. Wenn ich als Bauministerin noch Nachfragebedarf inhaltlicher Art zu dem Gesetzentwurf eines Kollegen habe, dann stelle ich Fragen, bis alle beantwortet sind. Das Justizministerium hat noch mehrere Fragen zu diesem Prozess. Es ist auch die Frage, in wie vielen Kommunen wie oft das angewandt wird, um abschätzen zu können – das ist für das Justizministerium sehr wichtig –, wie hoch der gesetzliche Regelungsbedarf tatsächlich ist. Deswegen geht es nicht nur um die Frage, ob man mal zwei Sätze in einem Gesetz ändert, sondern das sind komplexe juristische Fragestellungen und Einschätzungen. Insofern braucht es seine Zeit.
Ich würde mich, wie gesagt, freuen, wenn diese Zeit bald zu Ende ist und wir uns auf einen Gesetzentwurf verständigen können. Aber ansonsten ist das kollegiale Miteinander in der Bundesregierung dadurch geprägt, dass man sich nicht gegenseitig mit dem Fuß aufstampfend unter Druck setzt, sondern dass man so lange miteinander diskutiert, bis man einen ordentlichen Konsens gefunden hat.
Sie haben keine Nachfrage, Frau Lay? – Vielen Dank. Dann komme ich zum nächsten regulären Fragesteller. Das ist Hagen Reinhold.
Frau Ministerin, die steigenden Baukosten halten uns alle in Atem, auch die Verfügbarkeit von Material, auch die Materialpreissteigerungen. Wir haben ja den gesellschaftlichen und politischen Willen, mehr Recyclingmaterial, mehr bereits hergestelltes Material zu verwenden – nicht nur, weil wir das abgebrochene Material kaum deponieren können, weil kaum Kapazitäten da sind, sondern weil es eben auch sinnvoll ist, Kreislaufwirtschaft zu betreiben. Jetzt ist die Ersatzbaustoffverordnung gerade in der Novellierung. Wie ist Ihr Haus da miteingebunden? Wird es die Möglichkeit geben, Abbruchmaterial zu klassifizieren, damit wir mehr Sekundärbaustoff zu Primärbaustoff werden lassen und damit in nächster Zukunft viel ökologischer bauen können, als das jetzt der Fall ist?
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Wir sind eingebunden, und wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, dass verstanden wird, dass Abfall nicht Abfall ist, sondern der Rohstoff von morgen.
Sie haben die Möglichkeit zu einer Nachfrage.
Danke für diese knackige und knappe Antwort. – Trotzdem wäre mir lieb, zu erfahren, ab wann ich das Abbruchmaterial nicht mehr in die Deponie fahre, sondern beim Bau wiederverwenden kann. Deshalb die konkrete Frage: Wann sind Sie zeitlich durch? Und dann schließe ich an: Was macht Ihr Ministerium, um die Erzeugung von heimischen und regionalen Baustoffen, zum Beispiel durch die Erschließung von Gipsgruben in Deutschland, voranzutreiben? Da brauchen wir ja nach dem Auslaufen des REA-Gipsabbaus auch zügig eine Veränderung.
Beim Bereich der Erschließung von neuen Vorkommen ist es sicherlich sinnvoll, dass Sie sich noch mal anschauen, was wir mit der Novelle zum Raumordnungsgesetz gemacht haben. Da wurden ja auch wesentliche Vereinfachungen geschaffen, insbesondere was die Raumverträglichkeitsprüfung von großen Vorhaben anbelangt. Das andere ist in der Tat die Frage der Akzeptanz vor Ort, wenn das in Planungsrecht überführt werden muss. Ich weiß, dass die Gipsindustrie in Deutschland an Alternativen zum Gips aus Rauchgasentschwefelungsanlagen arbeitet und diese auch vorhanden sind und interessanterweise sogar auch im Bereich des Recyclings von jetzt vorhandenen Abfällen zu suchen sind.
Ansonsten zur anderen Frage, wann Sie das machen können: Die Regulierung in diesem Bereich ist auch abhängig von den Vorgaben der EU. Ich bin ganz optimistisch, dass wir das im Laufe des nächsten Jahres hinbekommen.
Ich habe eine Nachfrage des Kollegen Kießling.
Sehr geehrte Frau Ministerin, eine Frage hätte ich noch zu den steigenden Baukosten bzw. zum Thema Mantelverordnung.
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Wann wird denn die Abfalleigenschaft wegfallen, sodass wir Recyclingbaustoffe leichter einsetzen können?
Das zweite Thema sind die steigenden Baukosten. Was gedenken Sie zu tun? Wir merken ja, dass die Zahl der Baugenehmigungen zurückgeht, dass Zinsen steigen, dass teilweise Bauplätze zurückgegeben werden, Kredite nicht bedient und nicht mehr ausgegeben werden können. Wie bekommen wir die Baukosten so in den Griff, dass wieder gebaut wird?
Sie haben gesagt, Sie wollen die Baukapazitäten ausbauen. Das haben Sie hier gesagt; das haben Sie heute früh auch im Ausschuss gesagt. Wie wollen Sie das leisten?
Zur ersten Frage: Im nächsten Jahr, hoffe ich, wird das der Fall sein. Und zum anderen: Das ist sehr komplex. Ich würde erst mal sagen: Wenn wir baukostendämpfend arbeiten können, ist das schon viel. Das eine ist natürlich die 200-Milliarden-Euro-Entlastung, die Gas- und Strompreisbremse. Das ist natürlich auch ein Beitrag für die Baustoffindustrie, damit die überhaupt wieder planen kann. Das andere ist, dass ich mit Cem Özdemir dabei bin, auch eine Holzbauinitiative vorzubereiten, weil Holz natürlich ein ganz spannender, nachwachsender Rohstoff ist. Der Einsatz von Recyclingmaterial kann hoffentlich auch dazu führen, dass man andere Preise hat als beim Einsatz von Primärrohstoffen.
Kombiniert werden muss das absolut mit der Verkürzung von Planungsverfahren. Es ist ja das Ziel der Regierung, dass wir die Planungsprozesse in Deutschland deutlich verkürzen; denn jeder Monat Planung ist natürlich ein Monat mit potenziellen Baukostensteigerungen. Wir sind dabei, unterschiedliche Maßnahmen zu ergreifen, um die Planungsprozesse zu beschleunigen, aber natürlich auch durch Digitalisierung es insgesamt schneller und einfacher zu machen.
Eine Nachfrage. Bitte.
Vielen Dank. – Zum Thema Baukosten gehören ja auch die Planungskosten. Jetzt haben Sie gesagt, Sie wollen die HOAI ändern, sodass man im Bereich des Planens im Bestand vielleicht eine neue Leistungsphase einführen kann. Mit welcher Höhe rechnen Sie da bei den Baukostensteigerungen? Was bedeutet das an Mehrkosten für den Bauherren bzw. dann später für den Mieter? Es muss ja umgelegt werden.
Das andere Thema ist: Das Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude und der Ressourcenpass bedeuten zusätzliche administrative Aufgaben. Wer zahlt das letztendlich? Wird es da Förderung geben? Wir haben ja in der letzten Legislatur und jetzt hier gesehen, dass Sie Kapazitäten aufgebaut haben.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
100 000 Arbeitsplätze im Baubereich. Jetzt sehen wir, dass die Zahl zurückgeht. Was sagen Sie zu diesen administrativen Aufgaben, die Sie jetzt noch mal anstoßen werden?
Die Zahlen von heute zeigen, dass wir sogar einen Beschäftigungsaufwuchs im Baubereich haben. Die Anzahl der Bauanträge entwickelt sich sehr unterschiedlich. Wir haben sogar einen kleinen Aufwuchs im Bereich der Mehrfamilienhäuser; das wissen Sie. Insgesamt kann ich jetzt noch nicht haarscharf sagen, was die Änderung der HOAI pro Wohneinheit dann mit sich bringen wird. Aber wenn wir den Umbau fördern, dann ist natürlich auch klar: Das ist ja im Vergleich zum kompletten Neubau eine sehr sparsame Sache. Das heißt, wenn Sie aus einem bestehenden Bürogebäude eine Wohnung bauen, dann dürfte die im Durchschnitt wesentlich preiswerter sein, als wenn Sie die Wohnung komplett neu bauen.
Vielen Dank. – Da wir noch einige Nachfragen haben und noch nicht mal eine reguläre Runde durch sind, würde ich die Befragung um 15 Minuten verlängern.
Die nächste reguläre Frage kommt von Melanie Wegling.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Frau Ministerin, als Bauministerin setzen Sie sich besonders für den sozialen Wohnungsbau ein. Sie legen dabei einen wichtigen Schwerpunkt auf den Bereich „Junges Wohnen“; wir haben es heute schon gehört. In den Jahren 2022 bis 2026 sind insgesamt 14,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau vorgesehen. Allein im Programmjahr 2023 statten Sie daraus das Programm „Junges Wohnen“ mit 500 Millionen Euro aus. Das ist wichtig für viele Studierende, aber auch für viele Auszubildende. Meine Frage an dieser Stelle: Was sind denn aus Ihrer Sicht die nächsten Schritte für die Förderung des Programms „Junges Wohnen“?
Herzlichen Dank für die Frage. – Wir verhandeln gerade mit den Ländern die Verwaltungsvorschrift für „Junges Wohnen“. Wir sind in den Verhandlungen so weit, dass sie aus meiner Sicht noch dieses Jahr vorgelegt werden kann. Sie tritt in Kraft, wenn sie alle 16 Bundesländer unterzeichnet und zurückgeschickt haben; das dauert immer ein paar Wochen. Dann sind die Länder in der Lage, das Geld auszugeben. Sie können dann eigene Förderprogramme machen, weil die Situationen sehr unterschiedlich sind. Einige werden sicherlich einen Schwerpunkt auf Sanierung setzen, andere zum Beispiel auf den Neubau von Auszubildendenwohnheimen und Studentenwohnheimen. Der ein oder andere wird vielleicht auch Belegungsrechte erwerben.
Die Frage der Förderkonditionen bzw. der Höhe der Förderung liegt in der Verantwortung der Länder. Wir sind da aber sehr offen für andere Förderkonditionen als im klassischen sozialen Wohnungsbau, weil die Bedürfnisse, auch was die Wohnungszuschnitte betrifft, von Studierenden und Azubis sich vom normalen Wohnen in einem Haus natürlich unterscheiden.
Sie haben die Möglichkeit zu einer Nachfrage.
Mich würde detailliert interessieren, welche Rahmenbedingungen aus Ihrer Sicht auf Bundesebene und auf Landesebene geschaffen werden müssen, um das gute, bezahlbare Wohnen für junge Menschen – für Studierende und für Auszubildende – weiter zu fördern und zu unterstützen.
Bei den Studierenden ist es ein bisschen einfacher, weil wir da die etablierte Struktur haben, über die Studentenwerke als Träger. Bei den Wohnheimen für Auszubildende muss man neben der Frage, wo das Geld für den Bau herkommt – das haben wir jetzt geklärt –, auch noch schauen, wie zum Beispiel Betreuungspersonal bezahlt werden kann, weil Auszubildende ja in der Regel unter 18 sind, wenn sie anfangen. Das heißt, für ein Azubiwohnheim muss man zum einen die Frage der Trägerschaft beantworten – die ist ja nicht geklärt wie bei den Studentenwerken – und zum anderen natürlich die Frage, wie die Finanzierung des Betreuungspersonals aussehen kann. Ich werbe noch mal ganz ausdrücklich dafür, Azubiwohnheime zu bauen. Wir brauchen dringend die Stärkung der dualen Berufsausbildung.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Azubis haben es heute sehr schwer auf unserem Wohnungsmarkt.
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Vielen Dank. – Jan-Marco Luczak hat eine Nachfrage.
Es ging gerade um das Thema „Junges Wohnen“. Gerade viele junge Menschen haben Schwierigkeiten, ihre Mieten zu bezahlen. Deswegen werden sie unter anderem mit dem Wohngeld unterstützt. Sie haben heute schon gesagt, dass die größte Wohngeldreform der letzten Jahrzehnte, die auf den Weg gebracht worden ist, zum 1. Januar in Kraft treten soll. Die Menschen warten auf ihr Geld; sie brauchen es auch wirklich dringend.
Nun hören wir aber aus den Kommunen – das ist vorhin schon angesprochen worden – einen Hilferuf nach dem anderen: Personal fehlt; die IT ist nicht fertig. Wir lesen in der Zeitung, dass in den Ämtern dort totales Wohngeldchaos droht. Deswegen haben wir hier im Bundestag gesagt: Die Berechnungsverfahren müssen deutlich vereinfacht werden, damit das Personal entlastet wird, weil man das fehlende Personal nicht so schnell aufbauen kann. – Davon ist im parlamentarischen Verfahren allerdings nichts übriggeblieben – ganz im Gegenteil. Vorläufige Prüfungen etc. führen am Ende dazu, dass man sich mit einem Verwaltungsvorgang möglicherweise sogar zweimal befassen muss; der Aufwand wird sozusagen verdoppelt. Deswegen die Frage: Was wollen Sie tun, wenn wir Anfang Januar feststellen, –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– dass das Wohngeld Plus nicht bei den Menschen ankommt, sondern dass sich die Bearbeitung bis zur Mitte des Jahres oder darüber hinaus hinzieht?
Ich hatte Ihnen ja erstens im Ausschuss gesagt: Die „Bild“-Zeitung hatte gestern eine kleine Fehlmeldung, was die IT und die Software anbelangt. Wir haben eine Übersicht, nach der alle Bundesländer es im ersten Quartal und die allermeisten Bundesländer es im Januar schaffen werden, das neue Wohngeld auszuzahlen.
Das Zweite: Es handelt sich um ein vorläufiges Verfahren. Es ist ein ganz einfaches Verfahren, bei dem man nur wenige Nachweise über Einkommen und Miethöhe erbringen muss. Es ist nicht richtig, dass der Antrag dann ein zweites Mal bearbeitet werden muss, sondern der vorläufige Wohngeldbescheid wird nach Zeitablauf zu einem endgültigen, sodass genau das, was Sie befürchten, nämlich die doppelte Arbeit, nicht gegeben ist. Und wir haben den Bewilligungszeitraum von 12 auf 24 Monate verlängert. Das ist eine ganz wesentliche Unterstützung, damit man auch genug Zeit für die neuen Antragsteller hat. Wir werden im Rahmen des Dialoges mit den Kommunen und Ländern auch die Verwaltungsvorschrift – ein opulentes Werk – im nächsten Jahr deutlich verschlanken, sodass wir auch untergesetzlich für weitere Vereinfachungen sorgen werden.
Sie haben die Möglichkeit zu einer Nachfrage.
Sehr gern. – Ich muss Sie leider korrigieren, Frau Ministerin. Sie haben ja gesagt, dass die vorläufige Prüfung automatisch zu einer endgültigen wird. Das ist nicht so nach dem Gesetz, sondern es kann so sein, wenn nicht bestimmte Umstände eintreten.
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Das führt aber dazu, dass die Menschen, die jetzt Wohngeld bekommen und dies durch die Verlängerung des Bewilligungszeitraumes auch über viele Monate, immer Gefahr laufen, dieses Geld zu großen Teilen wieder zurückzahlen zu müssen, weil die Bewilligung eben nur vorläufig und noch nicht endgültig ist.
Sie haben vorhin von der Bagatellgrenze gesprochen. Sie beträgt 50 Euro; das ist nichts. Deswegen meine Frage: Wenn wir so eine geringe Bagatellgrenze haben und die Menschen Gefahr laufen, Geld zurückzahlen zu müssen, wie wollen Sie mit dieser absehbaren schwierigen sozialen Situation umgehen, –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– dass die Menschen Geld zurückzahlen müssen, das sie gar nicht haben?
Also, in dem Fall würde der kluge Staat sicherlich eine Lösung finden.
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Aber es ist immer noch besser, wenn ich etwas aufgrund eines vorläufigen Bescheides bekomme, als wenn ich Monate warten muss und nichts bekomme.
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Sie können sich gerne auch noch mal – wir können Ihnen diese Information zur Verfügung stellen – den Anteil der Rückforderungen unter 50 Euro angucken; das ist ein erheblicher Anteil. Wir haben im parlamentarischen Verfahren gesagt: Wir evaluieren das. – Aber natürlich darf man auch keine Fehlanreize setzen. Deswegen bedeutet die 50-Euro-Grenze auch eine erhebliche Entlastung bei den Rückforderungen. Sollte es sich erweisen, dass eine andere Grenze sinnvoller ist, können wir uns das gerne in zwei Jahren anschauen. Aber jetzt ist es vor allem wichtig, das Verfahren von Anfang an einfacher zu machen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Wir haben noch viel vor bei der einfacheren Bearbeitung des Wohngeldes. Da ist in den letzten Jahren leider zu wenig passiert.
Es gibt eine Nachfrage von Herrn Nickholz.
Ich habe gerade gelernt: Sie muss sich auf die eigentliche Frage beziehen. – Ob das Wohngeld jetzt dazugehört, weiß ich an der Stelle nicht, vor allem weil BAföG-Empfänger/-innen ja nicht wohngeldberechtigt sind, sondern die Leistungen über das BAföG abgedeckt sind. Für mich wäre noch mal wichtig, zu erfahren, welche Chancen und Perspektiven beim „Jungen Wohnen“ in unterschiedlichen Wohnformen liegen. Welche Beteiligungsmöglichkeiten werden von jungen Menschen in diesem Kontext gesehen, und wie sind die Herausforderungen gerade auch beim Azubiwohnen? Wie könnten Jugend- und Ausbildungsvertretungen in solche Prozesse und Betriebe eingebunden werden? Gibt es da vielleicht Ansätze und Ideen? Dazu würde mich Ihre Haltung interessieren, Frau Ministerin. – Danke schön.
Wir hatten zur Konzeption dieses Programmes einen Dialog mit Vertretern von Organisationen, die entsprechend in dem Bereich unterwegs sind – vom Studentenwerk, aber natürlich auch von Vertretern der Gewerkschaften und der Handwerkskammern. Wir werden diesen Dialog im nächsten Jahr noch mal suchen und informieren, dass es jetzt dieses Programm gibt und wir natürlich alles dafür tun, dass es auch möglichst schnell angenommen wird. Das heißt, wir als Ministerium werden auf Bundesebene mit den Verbänden darüber informieren, dass es diese Möglichkeiten gibt. Ich weiß, dass in den einzelnen Ländern schon Vorbereitungen laufen. Gerade die Studentenwerke sind schon in der Vorplanung, was sie mit den zusätzlichen Mitteln des Bundes machen können. An der Stelle noch mal mein Hinweis: Es ist auch ganz wichtig, dass wir mit den Vertretern des Handwerks darüber sprechen, wie wir die Situation für Auszubildende und ihre Wohnsituation verbessern können, weil es hier nicht so eine Trägerstruktur gibt wie bei den Studentenwerken. Deswegen da auch noch mal mein großer Wunsch, dass Sie, wo immer Sie die Möglichkeit in den Wahlkreisen haben, darauf aufmerksam machen, dass dieses Geld nicht nur für Studierende da ist, sondern auch für Azubis.
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Die nächste Frage stellt Kassem Taher Saleh.
Danke, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, es ist ja gerade in der Presse zu lesen, dass Sie ein Umdenken beim Neubau von Einfamilienhäusern zugunsten von Eigenheimen im Bestand fordern. Dabei sprechen Sie sich auch für eine stärkere Finanzierung der Sanierungsförderung aus, was wir als bündnisgrüne Fraktion sehr begrüßen.
Welche Maßnahmen plant das Bauministerium jedoch über die bekannte Bundesverordnung hinaus, um vor allem für Kommunen mit Leerstand Anreize zu schaffen, um junge Familien und Wohnen in Einfamilienhäusern besonders in den ländlichen Regionen zu fördern?
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Wir sind da gerade im Austausch mit dem Wirtschaftsministerium, das für den Bestand zuständig ist. Sie kennen ja meine Unterstützung des Programms „Jung kauft Alt“. Wir loten jetzt gemeinsam Wege aus, wie wir so ein Programm dann auch für die Bestandsunterstützung hinbekommen. Wir sind allerdings noch nicht so weit, dass ich Ihnen dazu ein Ergebnis präsentieren kann.
Sie haben die Möglichkeit einer Nachfrage.
Besonders das Potenzial in Ostdeutschland ist in der Hinsicht relativ groß. Wie ist ungefähr Ihre Prognose, wann Sie bereit sind und in der Pipeline stehen? Können Sie eventuell eine Aussage dazu tätigen?
Ich war jetzt in den Herbstferien im Westharz im Urlaub. Da gibt es auch ein großes Potenzial für die Belebung des Bestandes.
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Insofern würde ich nicht sagen, dass es ein reines Thema Ostdeutschlands ist. Ich kann Ihnen allerdings jetzt noch nicht sagen, wann wir da so weit sind.
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Vielen Dank. – Die nächste Fragestellerin ist Anne König.
Frau Ministerin, ich habe noch eine Frage zum Wohngeld. Meiner Meinung nach gießen Sie da wirklich Öl ins Feuer, wenn Sie am Anfang so euphorisch sagen, dass es in ganz vielen Ländern schon möglich sein wird, es pünktlich auszuzahlen. Da steht anscheinend auch jede Kommune vor anderen Herausforderungen.
Bei mir im Wahlkreis steht heute schon ein großer Hilferuf in der Zeitung, und ich kann Ihnen eigentlich nur Fragen aus meiner Kommune weitergeben. Sie sehen wie folgt aus: Wie stellt der Bund sicher, dass angesichts der hohen Erwartung seitens der Bürgerinnen und Bürger eine Kommunikation dahin gehend erfolgt, dass Anträge erst nach einigen Monaten zur Auszahlung kommen? – Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich, und, ich denke, es ist auch wichtig, dass Sie doch den Anspruch haben, sobald ein Gesetz in Kraft tritt, dass es auch allen Menschen zuteilwird bzw. die Auszahlung dann auch rechtzeitig erfolgt.
Es ist zwar löblich, wenn Sie sagen, in ein, zwei Ländern ist das vielleicht schon im Januar möglich. Aber ich denke doch, dass es zu noch mehr Frust auch auf dem Rücken der Mitarbeiter in den Verwaltungen kommen wird, wenn verzweifelte Menschen vor ihnen stehen. Welche Antworten geben Sie denen?
Ich habe nicht „ein, zwei Länder“, gesagt, sondern: Eine große Anzahl von Bundesländern wird im Januar die neuen Bescheide rausschicken können.
Die Bundesländer haben den Bund aber ganz explizit gebeten, dass wir kein Ranking machen und keine Länder benennen, die das besonders gut machen, bzw. auch kein Ranking nennen bei Ländern, die, aus welchen Gründen auch immer, größere Schwierigkeiten haben. Ansonsten: Wenn Sie die Presse verfolgen, werden Sie sehen, dass ich als Bundesministerin immer kommuniziere, dass die Reform im Januar in Kraft tritt, aber dass es vor Ort natürlich eine große Herausforderung ist für die Behörden.
Ich habe selber auch Wohngeldstellen besucht, habe auch immer deutlich kommuniziert, dass niemandem Geld verloren geht, wenn es länger dauert in der Bearbeitung, und dass es für Härtefälle natürlich die Möglichkeit der vorläufigen Auszahlung gibt. Ansonsten ist es natürlich so, dass die Situation in den Kommunen extrem unterschiedlich ist. Diejenigen, die jetzt schon sehr lange Wartezeiten haben, werden größere Herausforderungen haben als Kommunen, die jetzt innerhalb von wenigen Wochen in der Lage sind, das Wohngeld zu bescheiden. Wir sehen jetzt aber auch schon, dass viele Kommunen dabei sind, –
Kommen Sie zum Schluss.
– Personal bzw. Kapazitäten aufzubauen. In Berlin zum Beispiel hat die Landesebene die Bezirke noch mal mit eigenem Personal verstärkt. Das ist sicherlich sehr hilfreich.
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Sie haben die Möglichkeit der Nachfrage, Frau König.
Um die Belastungen in den Verwaltungen zu reduzieren, wäre ja auch eine durchgehend digitale Bearbeitung hilfreich. Gab es Ihrerseits Gespräche mit den Ländern hinsichtlich eines einheitlichen Verfahrens?
Das ist eine ganz lange Geschichte. Die Digitalisierung des Wohngeldes ist eine der ersten Maßnahmen gewesen. Es gab auch einen Verbund von Ländern, die zusammen digitale Wohngeldlösungen entwickelt haben. Schleswig-Holstein war das führende Land und andere Länder – insgesamt elf – haben sich angeschlossen; sie haben eine entsprechende gemeinsame Plattform.
Wir haben auch noch die Möglichkeiten, über Mittel des OZG zu unterstützen, wenn Bedarf besteht. Aber es ist Ihnen ja sicherlich auch bekannt, dass die Umsetzung von Bundesgesetzen allein in der Verantwortung der Länder liegt. Insofern ist es auch die Entscheidung der Länder – ich werde mich da auch nicht aufdrängen, weil mir das als Bundesministerin nicht zusteht –, darüber zu entscheiden, –
Kommen Sie zum Schluss, bitte.
– mit welcher Fachanwendung sie diese Bundesgesetze umsetzen.
Wenn Herr Daldrup seine Nachfrage zurückzieht, habe ich jetzt noch eine Nachfrage von Jan-Marco Luczak. Danach würde ich die Befragung der Bundesregierung beenden.
Man sieht: Mir macht das Fragen Spaß,
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insbesondere auch deswegen, Frau Ministerin, weil Sie jetzt gerade erwähnt haben, dass Sie so viele positive Rückmeldungen aus den Kommunen und aus den Ländern bekommen, dass das mit der Wohngeldnovelle alles so wunderbar klappt. Dann frage ich mich aber schon, wieso der zuständige Ausschuss im Bundesrat einen Entschließungsantrag formuliert hat. Da heißt es – Zitat –:
Eine schnelle Umsetzung des Wohngeld-Plus-Gesetzes ist ohne gravierende Vereinfachungen des Wohngeldrechts in der Praxis jedoch nicht möglich.
Außerdem heißt es: Die Änderung der Vorschussregelung – die Sie vorhin so gelobt haben – sei keine wesentliche Verbesserung. Die Herabsetzung der Schwellenwerte für Erhöhungsanträge konterkariere die Bestrebungen einer schnellen Auszahlung. Und zur Einführung einer Bagatellgrenze – wo Sie gerade ja schon gesagt haben, dass das möglicherweise nicht ausreicht – wird gesagt, sie sei zu niedrig bemessen. Wie gehen Sie mit dieser Kritik um? Aufgegriffen haben Sie sie nicht.
Herzlichen Dank. – Schön, dass Ihnen das Fragen Spaß macht. Mir macht es auch Spaß, hier in der Runde zu antworten.
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Sie haben ja auf den Ausschuss des Bundesrates verwiesen; dann verweise ich auf das Plenum des Bundesrates, das sich mit 16 zu 0 Stimmen dafür entschieden hat, der Wohngeldreform zum 1. Januar 2023 zuzustimmen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns aus einem sehr ernsten Anlass heute zu einer Aktuellen Stunde verabredet, die nicht nur dieses Parlament und die Abgeordneten im Deutschen Bundestag betrifft. Vielen Millionen Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land ist mit dem Zugriff, der Reichsbürgerrazzia, noch mal deutlich geworden, was eigentlich in diesem Land an rechten Netzwerken existiert, welche hohe Bereitschaft an Gewalt besteht, wie weit Teile der Gesellschaft darin verstrickt sind und wie knapp wir dem Angriff zuvorgekommen sind.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier haben Menschen vorbereitet, im Deutschen Bundestag einen Putsch durchzuführen. Sie haben versucht, Waffen einzuschmuggeln. Sie haben Zugriff auf Waffen; es geht um Hunderttausende von Euro. Es gibt Meldungen darüber, dass die Ermittlungen noch andauern; wir sehen die Spitze eines Eisberges. Aber wir müssen sagen: Dieser Rechtsstaat, er ist wehrhaft. Er lässt sich von Nazis, alten und neuen, und auch von den Milieus der AfD und der Reichsbürgerszene nicht auf der Nase herumtanzen, meine Damen und Herren.
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Wir blicken in einen Abgrund an Gewaltbereitschaft, wir sehen eine enorme Vorbereitungshandlung, und wir sind den Ermittlungsbehörden, den Polizistinnen und Polizisten, den Ermittlern daher dankbar dafür, dass sie so beherzt zugegriffen haben.
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Wir sind aber auch sehr beruhigt, dass es zu keinen Toten und Verletzten gekommen ist; denn wir haben bei Reichsbürgerrazzien gesehen, dass Polizisten von diesen Reichsbürgern ermordet worden sind. Wer das verharmlost, wer hier behauptet, das seien Spinner, der macht sich zum Teil des Problems, der ist die Ursache des Problems. Meine Damen und Herren, hier muss eine klare Abgrenzung her!
({2})
– Herr Baumann, dass Sie hier reinrufen!
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Ihre AfD-Kollegin gehört zu den Festgenommen. Schämen Sie sich!
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Sie sind Teil des Problems. Sie sind Feinde der Demokratie.
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Sie versuchen, das Problem herunterzureden. Sie verursachen diese Melange in diesem Bundestag, in dieser Republik. Hass und Hetze trägt einen Namen: Der lautet „AfD“, meine Damen und Herren.
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Unmöglich! Schämen Sie sich in Grund und Boden! Es sind Ihre Bediensteten, die Sicherheitsüberprüfungen unterlaufen. Sie sind Teil des Problems!
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Unfassbar! Halten Sie inne! Sie verreden diese Razzia – –
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– Hören Sie mit Otto Schily auf! Der hätte Ihnen was gesagt! Unmöglich!
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Meine Damen und Herren, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, dort sitzen die Verharmloser rechtsradikalen Terrors.
({10})
Wer glaubt, dass es sich um einen „Rollatorputsch“ handelt, der darf nie vergessen, dass es Paul von Hindenburg – einer Ihrer rechten Idole – war, der, mit 77 Jahren ins Amt gekommen, die erste demokratische Republik hier zugrunde gerichtet hat.
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Sie sind das Problem!
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Wir dulden keine Verfassungsfeinde in den Reihen deutscher Sicherheitsbehörden. Diese Verfassungsfeinde sind zu entfernen. Alle Reichsbürger sind zu entwaffnen. Dafür werden wir das Waffenrecht verschärfen, das Disziplinarrecht und das Beamtenrecht anpassen. Es gibt keine Toleranz für die Feinde der Republik, meine Damen und Herren.
({13})
Wir sind am Anfang. Es fehlt jede Abgrenzung, es fehlt jede Verurteilung von der rechten Ecke. Und darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann man es nicht hoch genug einschätzen, dass wir schon vor Jahren dazu übergegangen sind, mehr Bedienstete zum Verfassungsschutz zu delegieren. Jeder Beamte, der dort arbeitet, leistet einen Beitrag dazu, dass wir diese rechten Netzwerke noch genauer aufklären können, und mit jedem Beamten wissen wir mehr von den Netzwerken, die sich hier zusammentun. Wir reden über Hunderte von Waffen. Wir reden über Hunderte von Objekten, die durchsucht wurden. Wir reden davon, dass es einen militärischen Arm gibt. Das ist alles kein Witz, sondern ein ernstes Problem, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Es ist gut, dass wir ein Demokratiefördergesetz auf den Weg bringen; denn auch Prävention gehört dazu. Es gibt hier keinen Verhandlungsspielraum: Man tritt entweder für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ein oder ist dagegen. Es gibt nichts dazwischen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Diejenigen von uns, die in den Sondersitzungen der Gremien dabei waren – ob Geheim oder Vertraulich tagend; es ging um Verschlusssachen –, wissen: Es ist schon sehr auffällig, welche Fragestellungen da aus der ganz rechten Ecke kamen. Das waren nicht nur Versuche der Verharmlosung, sondern auch Versuche der Ablenkung.
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Deswegen: Hier werden wir hinschauen. Es ist nicht hinnehmbar, dass Kollegen aus dem Bundestag daran mitwirken, das in Zweifel zu ziehen.
Die eine Frage ist dann doch zu beantworten: Kriegen Sie die Radikalisierung eigentlich mit?
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Ist das reiner Zufall, dass sich Menschen so radikalisieren? Wird das gemeldet? Deswegen werden wir an der Stelle auch überprüfen, wenn Polizistinnen und Polizisten angesprochen worden sind. Es ist richtig, dass nur Einzelne angezeigt wurden; aber ein Polizist, einer aus den Sicherheitsbehörden ist einer zu viel. Es gibt so viele Tausende von Bediensteten, die sich jeden Tag mit ihrer Gesundheit dafür einsetzen, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu verteidigen. Das ist die erdrückende Mehrheit in diesem Land. Wir sind mehr, und wir lassen uns das nicht bieten!
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich danke Ihnen, dass ich als hessischer Innenminister heute eine Ländersicht bei der konsequenten Bekämpfung von Reichsbürgern und Rechtsextremisten einbringen kann. Bund und vor allem auch Länder führen den Kampf gegen Staatsfeinde und Rechtsextremisten seit vielen Jahren mit aller Konsequenz und mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln.
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Wir werden und wir dürfen in diesem Kampf für unseren demokratischen Rechtsstaat nicht nachlassen, meine Damen und Herren.
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Es waren Hinweise aus und Ermittlungen in den Ländern, welche die Umsturzpläne von Reichsbürgern im gesamten Bundesgebiet aufdeckten und diesen Schlag gegen die Szene ermöglichten. Verfassungsschutz, Polizei und Justiz haben diesen Erfolg ermöglicht. Dafür können wir dankbar sein.
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Von Teilen der Reichsbürger, meine Damen und Herren, geht eine ernste Gefahr für unsere Demokratie und ihre Repräsentanten aus. Sie sehen in der Bundesrepublik keinen souveränen Staat; sie zweifeln sogar an seiner Existenz. Die nun zerschlagene Gruppierung hatte konkrete Pläne, die ohne Gewaltanwendung nicht umsetzbar gewesen wären. Dass es diesem Netzwerk letztlich nicht gelungen wäre, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung abzuschaffen, mag als gesichert gelten. Sicher ist aber auch, meine Damen und Herren, dass diese Menschen bewaffnet waren, taktisch geschult und dass sie Gewalt als legitimes Mittel erachten. Auf dem Weg ihres Scheiterns hätten sie gleichwohl schweren Schaden für unsere Demokratie anrichten können, wenn zum Beispiel Menschen ums Leben oder zu Schaden gekommen wären.
Der Fall hat deutlich gezeigt: Reichsbürger mit ihren Ideologien und ihrer Waffenaffinität dürfen von niemandem verharmlost werden. Die Träume von Exilregierungen, Königreichen und in den Raum geworfene Verschwörungsmythen klingen für manchen noch immer nach Spinnerei. Im Internet und bei ganz realen Treffen befördern sie aber die Radikalisierung Einzelner oder, wie festgestellt, sogar einer großen Gruppe von Staatsfeinden.
Ich bin allen Sicherheitsbehörden in unserem Land und ihren Mitarbeitern dankbar, die ihre Erkenntnisse zielgerichtet ausgetauscht und gemeinsam ein Gesamtbild des mutmaßlichen Netzwerks herausgearbeitet haben. Die schnelle Weitergabe und der ständige Austausch von Informationen untereinander haben in unserem föderalen System funktioniert, und die Rädchen haben ineinandergegriffen. Diesen Austausch benötigen wir auch in Zukunft, um solche Netzwerke erfolgreich auszuheben.
Dieser Austausch hat auch unterstrichen, dass die Sicherheitsbehörden aus der selbstkritischen Analyse nach den furchtbaren Morden des NSU ihre Lehren gezogen haben und diese auch beherzigen. Alle haben gemeinsam und konsequent an einem Strang gezogen und gezeigt, dass unser Staat und unsere Demokratie wehrhaft sind und unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung beschützt wird.
Meine Damen und Herren, unsere Behörden können allerdings nur so gut schützen, wie wir als Gesetzgeber es ihnen letztlich ermöglichen. Waffen haben in den Händen von Extremisten und Reichsbürgern nichts verloren.
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Nach wie vor ist es eine der wichtigsten Aufgaben der Sicherheitsbehörden, Staatsfeinden konsequent ihre Waffen zu entziehen. Seit 2019 bis Mitte dieses Jahres konnten wir allein in Hessen 100 Extremisten die Waffenerlaubnis entziehen. Diese einzelnen Erfolge sind jedoch stets mit sehr aufwendigen Verfahren verbunden, die wir längst durch eine Änderung des Waffenrechts hätten beschleunigen müssen, wie von uns seit Jahren gefordert. Das Waffenrecht müsste dem einfachen Prinzip folgen: Wer dem Verfassungsschutz als Extremist bekannt ist, darf keine Waffenerlaubnis und keine legalen Waffen besitzen. Punkt!
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Ich teile ausdrücklich die Ankündigung der Bundesinnenministerin, Extremisten entwaffnen zu wollen. Bis heute hat sich außer der kraftvollen Ankündigung aber noch nichts Zählbares getan.
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Ganz im Gegenteil: Der Koalitionspartner FDP hat erst heute die dringend notwendige Änderung unseres Waffenrechts direkt wieder einkassieren wollen,
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und das mit dem in der Sache völlig absurden Argument, Extremisten könnten sich dennoch illegal Waffen besorgen; dies gelte es zu unterbinden.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, ist es nicht möglich, dass wir uns bei dem Thema „keine Waffen in den Händen von Extremisten“ auf eine logische Reihenfolge einigen und am Anfang beginnen? Ist es nicht nachvollziehbar, dass wir zuerst den Legalwaffenbesitz zu unterbinden versuchen? Wer will nicht den Schwarzmarkt austrocknen und illegale Waffen aus dem Verkehr ziehen? Aber diese Ziele zu erreichen, ist – vorsichtig gesagt – noch ein bisschen aufwendiger als die logisch zwingende Regelversagung für Extremisten.
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Wenn es, Frau Ministerin, zur Umsetzung des Prinzips juristisch nur mit einer Tatbestandsangleichung im Waffenrecht gehen sollte, dann müssen wir das aber schnell umsetzen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Die Uneinigkeit in der Ampelkoalition blockiert das konsequente Vorgehen im Sinne der Sicherheitsbehörden hinsichtlich des Waffenrechts. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist am Ende für die Sicherheit in unserem Land weder förderlich noch akzeptabel. Der Schlag unserer Sicherheitsbehörden in der vergangenen Woche war gleichwohl ein wichtiges Ausrufezeichen einer, nein: unserer wehrhaften Demokratie.
Vielen Dank.
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Die nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Irene Mihalic für Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir reden hier über den größten Antiterroreinsatz in der deutschen Geschichte, ein Einsatz im Milieu von Reichsbürgern und Rechtsextremen. Unser aller Dank gilt den Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern für diesen wirklich sehr gut vorbereiteten und vor allen Dingen erfolgreichen Einsatz, meine Damen und Herren.
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Reichsbürger sind eine Gefahr für unsere Gesellschaft. Sie sind im mehrfachen Wortsinne Feinde der Verfassung. Sie verfolgen eine durch und durch staatsfeindliche Ideologie, die im Kern antisemitisch, revisionistisch und auch antiamerikanisch ist. Hinter der bizarren Idee, Deutschland sei nicht souverän, steckt die krude Vorstellung, dass Eliten in den USA alles irgendwie steuern würden. Wenn man diese Zwiebel weiter schält, kommt man schnell zur sogenannten jüdischen Weltverschwörung.
Es mag vielleicht verrückt klingen, wenn QAnon-Anhänger vom „Deep State“ faseln und sich selbst in einer Allianz der Guten sehen. Doch was diese Erzählungen so wahnsinnig bedrohlich macht, meine Damen und Herren, ist ihre Anschlussfähigkeit bis weit in die Mitte unserer Gesellschaft. Und deshalb ist es gefährlich, wenn Reichsbürger und Rechtsextreme auf Coronaprotesten Zustimmung finden, wenn Menschen sich nicht daran stören, wenn Reichsbürgerflaggen in Nachbargärten wehen, und wenn bei Verschwörungsideologien gesagt wird: Ah ja, doch, da könnte schon was dran sein. – Nein, meine Damen und Herren, hier braucht es aktiven Widerspruch,
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und hier müssen Demokratinnen und Demokraten entschlossen zusammenstehen!
Meine Fraktion hat vor der Gefahr, die von Reichsbürgern ausgeht, schon seit Jahren gewarnt. An der Spitze der Verharmloser stand damals Hans-Georg Maaßen,
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als er noch das Bundesamt für Verfassungsschutz leitete. Seine Einschätzung hat die Arbeit der Sicherheitsbehörden unter unionsgeführten Innenministerien viel zu lange geprägt.
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Die Reichsbürger wurden als harmlose Spinner abgetan, aber eben nicht als das erkannt, was sie eigentlich sind: eine verfassungsfeindliche und terroristische Gefahr für die Sicherheit unseres Landes. Und es ist gut, dass unsere Sicherheitsbehörden inzwischen einen wirklich sehr scharfen Blick darauf haben und dass diese schlimmen Anschlagspläne vereitelt werden konnten.
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Aber dass nun trotz aller Erkenntnisse Stimmen laut werden, die von verwirrten Rentnern und einer hysterischen Berichterstattung sprechen, ist hochgradig besorgniserregend. Denn es geht doch nicht um die Erfolgswahrscheinlichkeit eines geplanten Staatsstreichs. Es geht hier doch vor allem um die Terrorgefahr, die Leib und Leben von Menschen bedroht. Und dazu gehört es auch, glasklar zu benennen, dass der parlamentarische Arm dieser Bewegung auf der rechten Seite dieses Hauses sitzt, nämlich in der AfD.
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Eine ehemalige AfD-Abgeordnete war ganz vorne bei den Planungen für diesen Staatsstreich mit dabei. In Ihrer Fraktion werden Mitarbeiter beschäftigt, die im gewaltbereiten rechtsextremen Milieu zu Hause sind.
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Ihre Partei ist der Brandbeschleuniger genau dieser demokratiefeindlichen Bewegungen.
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Auch wenn Sie sich noch so sehr bemühen, das alles zu verharmlosen und zu relativieren: Das nimmt Ihnen keiner ab!
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Es ist die Aufgabe aller fünf demokratischen Fraktionen hier im Hohen Haus, eine effektive Brandmauer zu den Demokratiefeinden von rechts zu bilden.
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Und, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, da ist es aus meiner Sicht nicht nachvollziehbar, dass Sie bei den Protesten der „Letzten Generation“ ganz schnell dabei sind, von einer Klima-RAF zu reden. Aber jetzt, wo Sie es mal mit echten Terroristen zu tun haben, schweigen Sie tagelang.
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Sie sollten dringend Ihren Kompass neu kalibrieren und damit aufhören, Öl ins Feuer zu gießen, auch in anderen Debatten, die wir hier im Haus führen. Werden Sie Teil der Brandmauer, meine Damen und Herren!
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Denn wir brauchen Sie – das rufe ich Ihnen nicht zum ersten Mal zu –, wenn der Kampf gegen die Feinde der Demokratie erfolgreich sein soll.
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Dazu müssen wir uns leider erneut mit radikalisierten Kräften in Sicherheitsbehörden beschäftigen.
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Denn es gab gezielte Rekrutierungsversuche bei der Polizei und in der Bundeswehr, und manche waren auch erfolgreich.
Auch in der Prävention gibt es viel zu tun. Deshalb ist es gut, dass das Kabinett heute das Demokratiefördergesetz auf den Weg gebracht hat.
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Gerade in diesen Zeiten ist es so wichtig und ein Meilenstein, meine Damen und Herren.
Und auch für die Arbeit von Polizei und Nachrichtendiensten müssen wir Lehren ziehen. Ich bin froh, dass wir mittlerweile eine Bundesregierung haben, die auf der Höhe all dieser Herausforderungen angekommen ist. Aber, meine Damen und Herren von der Union, es wäre noch besser, zu wissen, dass wir in solchen Fragen auch auf eine demokratische Opposition zählen können.
Ganz herzlichen Dank.
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Dr. Gottfried Curio hat das Wort für die AfD.
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Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Leute, die glauben, die staatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland bestünde nicht zu Recht, irren sich. Wenn solche Personen ihrem Irrglauben Gewalttaten folgen lassen wollen, handelt es sich um kriminelle Staatsfeinde. Und wo es dem Staat gelingt, solche Leute rechtzeitig zu enttarnen, zu entwaffnen und festzusetzen, zeigt sich ein Stück weit das Funktionieren des Rechtsstaats und vor allem seiner Sicherheitsbehörden.
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Das gilt auch dann, wenn man wie der Ex-Innenminister Schily in der Gruppe – Zitat – „keine reale Bedrohung“ erkennen kann und sie schlicht für – Zitat – „skurrile Spinner“ hält.
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Das gilt auch dann, wenn solche Leute in ihren Fähigkeiten von einer Umsetzung Lichtjahre entfernt waren, verglichen etwa mit dem Türkeiputsch 2016 mit Tausenden Soldaten, Kampfflugzeugen, Panzern – ein selbst dann noch gescheiterter Putsch.
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Insofern ist es gut, dass die personelle Basis der Festgesetzten hier nur gut zwei Dutzend Leute umfasst im Zusammenhang mit einer zweistelligen Zahl von Feuerwaffen. Gut, dass es nicht schlimmer gekommen ist und neben etwa beabsichtigten Straf- und Gewalttaten jedenfalls keine Gefahr für die verfassungsmäßige Ordnung Deutschlands bestand.
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Vielleicht hielt man ja selbst die Leute nicht für so gefährlich, sodass man die Festsetzungsaktion quasi vor geladenen Gästen der Medien glaubte durchführen zu können – mit Namen, Adressen und Zeitpunkt, selbst bei Inkaufnahme des Risikos, das Beschuldigte Wind bekommen. Eine Linkenabgeordnete kritisiert, so eine Festnahme dürfe nicht zu einer Show geraten. Ein bekannter Journalist sieht in einer vorab derart breitgestreuten Aktion eine PR-Operation. Der Generalbundesanwalt bat, doch wenigstens nicht vor 7.30 Uhr zu berichten, um nichts zu gefährden. Und so war die Razzia auch nicht wie sonst üblich mitten in der Nacht; bestellte Fernsehkameras sollten gute Bilder einfangen.
Das Einzige, was an diesem Fake-Staatsstreich, an diesem – wie Zeitungen schrieben – Operettenputsch professionell war, war die PR-Operation des Innenministeriums. Wenn das Nancy Faeser nicht ins hessische Parlament trägt, ja, was denn dann, meine Damen und Herren?
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Aber gut, dass die Gruppe hochgenommen wurde, vor allem, wenn neben abstrusen Vorstellungen auch konkrete Handlungspläne auftauchen sollten. Man möchte keine Waffe bei denen sehen, auch nicht die 19 Faustwaffen, 25 Langwaffen und 11 Armbrüste, auch keine Finanzmittel, nicht die 190 000 Euro, die Edelmetalle. Aber, um auch Entspannungssignale zu geben: Nein, die Demokratie selbst muss eher nicht erzittern, wenn König Heinrich der Fragwürdige beim Kaffeekränzchen auf Schloss Waidmannsheil seine Paladine mit den Ämtern und Würden seines Fantasiereichs belehnt und danach an seine Rentnercombo die Schwerter und Armbrüste austeilt. 11 Armbrüste: Stand dem Land womöglich eine konzertierte Welle von „Wilhelm Tell“-Aufführungen bevor?
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Nur gut, dass die rund 20 000 Reichsbürger mit 2 000 Gewaltbereiten immerhin nicht dieselbe Zahlenstärke haben wie die Linksextremisten mit 35 000, gut 10 000 Gewaltbereiten, oder die gut 28 000 Islamisten. Gut, dass der GBA neben den 130 islamistischen Verfahren im ersten Halbjahr 2022 nur neun im Rechtsextremismus führen muss,
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auch wenn jedes eins zu viel ist. Ein ideologiefreier Rundumblick klärt da über die Proportionen auf. Gut, dass nach dem Messermord in Illerkirchberg die Menschen immerhin keine Angst davor haben, dass ihre Tochter auf dem Schulweg von einem Reichsbürger erstochen wird.
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Gut, dass, wie die Generalbundesanwaltschaft Montag berichtete, der Untersuchungsrichter einen dieser Tage oft kolportierten Angriff auf den Bundestag gerade nicht für gegeben sah.
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Gut, dass niemand wegen des ehemaligen Stadtrats der CDU, Frank R. – er ist unter den 25 Festgenommenen –, diese Partei dann pauschal kollektiv in Haftung nimmt.
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Ein Letztes ist auch trotz allem beruhigend: Wenn durch die Fülle der Krisen in letzter Zeit bei Bürgern irgendeine Art von Staatsverdrossenheit um sich greifen sollte, die Leute nicht mehr verstehen können, dass Deutschland Kernkraft aus Ideologie abschaltet, leichtfertig seine Energieversorgung zerstört, sich aufregen über die Politik der Inflation, der unbezahlbaren Energiepreise, der permanenten Milliardenschulden, sich aufregen über die Bluttat von Illerkirchen – ein weiteres Opfer in einer Kette von Morden und Messerstechereien –, wenn die Bürger verzweifelt sind, dass, wenn die Zuwanderung groteske Ausmaße annimmt mit explodierenden Mieten und überforderten Kommunen, die Regierung immer noch weitere Anreize zur Migration plant – Chancen-Bleiberecht für Unberechtigte, Turboeinbürgerung –, wenn all das die Menschen zur Verzweiflung bringt, so müssen sie nicht am Staat, am parlamentarischen System selbst zweifeln, so gibt es Abhilfe innerhalb des parlamentarischen Systems mit der AfD.
({10})
Da ist die Existenz und Arbeitsfähigkeit der AfD die beste Versicherung des Parlamentarismus gegen politische Bestrebungen, die sich reichsbürgerhaft außerhalb des demokratischen Systems stellen. Die Umfragen sehen die AfD weiter im Aufwärtstrend bei 15, 16 Prozent, auch nach der letzten Woche.
({11})
Die AfD steht für den parlamentarischen Weg, und die Bürger vertrauen ihr immer mehr.
({12})
Umso besser für die Demokratie, umso besser für Deutschland, meine Damen und Herren.
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Das Wort für die Bundesregierung hat der Bundesminister Dr. Marco Buschmann.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Wenn die größte Sorge von Herrn Curio nach diesen Ereignissen den Umfragewerten seiner Partei gilt, zeigt er damit, wes Geistes Kind er ist. Ich muss sagen: Das ist ekelhaft.
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Am 7. Dezember dieses Jahres hat einer der größten Antiterroreinsätze der letzten Jahre stattgefunden. Es handelte sich um Durchsuchungen und Festnahmen. Das fand in über 130 Objekten statt. Es waren etwa 3 000 Polizistinnen und Polizisten eingebunden. Die Ermittlungsmaßnahmen richteten sich gegen eine mutmaßliche terroristische Vereinigung. Diese terroristische Vereinigung hat nach Überzeugung des Generalbundesanwalts die dafür notwendigen arbeitsteiligen und hierarchischen Strukturen aufgebaut. Diese mutmaßliche terroristische Vereinigung verfolgte natürlich das Ziel der Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Staates sowie des Grundgesetzes.
Dabei gab es auch Pläne zu bewaffneten Überfällen auf Verfassungsorgane. Und natürlich gab es auch Äußerungen – das war ja unter anderem die Begründung dafür, dass wir hier von einer mutmaßlichen terroristischen Vereinigung ausgehen können; die setzt nämlich die Anknüpfungsstraftaten von Mord und Totschlag voraus –,
({1})
dass diese Leute mindestens billigend in Kauf genommen haben, dass im Falle von Widerstand durch Polizeibeamte diese Polizeibeamten auch getötet werden sollten. Das sind die Fakten, die der Generalbundesanwalt seinen Maßnahmen zugrunde gelegt hat, die ein Ermittlungsrichter geprüft hat, die ein Haftrichter geprüft hat und die jetzt die Grundlage auch eines fairen rechtsstaatlichen Verfahrens sein werden.
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Wer diese Dinge abstreitet und ins Lächerliche zieht, hat einfach nicht verstanden, worum es hier geht, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Dieser Einsatz hat gezeigt, dass dieser Staat nicht blind ist: nicht auf dem linken, nicht auf dem rechten Auge. Dieser Einsatz ist eine großartige logistische Leistung gewesen. Deshalb möchte ich dem Generalbundesanwalt, seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an dieser Stelle für die Leitung dieses Einsatzes danken. Dieser Einsatz zeigt: Diese Demokratie ist wehrhaft. Wir können stolz auf unsere Sicherheitsbehörden sein.
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Es ist ja im Zusammenhang mit diesem Einsatz gerade wieder, aber auch schon vorher versucht worden, ihn ins Lächerliche zu ziehen. Wir haben das bei Herrn Curio gerade erlebt. Wir haben das bei Frau Weidel erlebt, die von einem Rollator-Putsch sprach, und bei ihrem Kollegen Herrn Bystron, der von dem größten Machtmissbrauch in der Geschichte der Bundesrepublik sprach.
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Ich muss sagen: Das ist absurd und frei von jeder Sachkenntnis.
Ich will Ihnen mal berichten, welcher Gefahr sich unsere Polizistinnen und Polizisten aussetzen, wenn sie gegen radikalisierte Reichsbürger vorgehen, die Zugang zu Waffen haben. Ich will Ihnen die Geschichte von Dirk E. erzählen,
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der mit seinen Kolleginnen und Kollegen eines Sondereinsatzkommandos – an der Zahl 30 Leute – zu einem Objekt ging. Dort hatten sie es mit Wolfgang P. zu tun, einem radikalisierten Reichsbürger, der Zugang zu Waffen hatte. Das haben die Behörden erkannt, haben die Waffenerlaubnis natürlich widerrufen, die Waffenbesitzkarte eingezogen. Und weil er seine Waffen nicht aushändigte, sind die Polizisten des SEK nach Georgensgmünd gefahren, um Wolfgang P. zu entwaffnen, was übrigens zeigt, dass das heute auch möglich ist.
Als Dirk E. vor der Tür stand, hat Wolfgang P. das Feuer eröffnet; elf Schüsse hat er abgegeben.
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Der Arm ist durchbohrt worden, eine Kugel ist in die Lunge eingedrungen, und dieser Polizist ist im Einsatz nicht nur verletzt worden, er ist wenige Stunden später im Alter von 32 Jahren gestorben. Das zeigt, welche Gefahr von radikalisierten Reichsbürgern ausgeht, die Zugang zu Waffen haben, meine Damen und Herren.
({8})
Wer das ins Lächerliche zieht, der versucht, die Gefahr kleinzureden,
({9})
der sich unsere Polizistinnen und Polizisten aussetzen, wenn sie in solche Einsätze gehen, und der zeigt in Wahrheit, dass ihm Leib und Leben unserer Polizistinnen und Polizisten egal sind. Dafür sollten Sie sich schämen.
({10})
Deshalb will ich eines sagen, weil die Zahl von 3 000 Polizistinnen und Polizisten ins Lächerliche gezogen wird: Ich habe gerade davon gesprochen, dass sich Dirk E. und seine Kollegen mit einem Sondereinsatzkommando von 30 Leuten einem Objekt genähert haben. Wenn wir von über 130 Objekten ausgehen und von 3 000 Polizistinnen und Polizisten, dann haben wir im Durchschnitt etwa 20 Polizistinnen und Polizisten für jedes Objekt. Ich finde es richtig, dass die taktische Einsatzleitung darauf Wert legt, dass man sich auf solche eskalierenden Situationen vorbereitet, dass man in der Lage ist, die Situationen notfalls unter Kontrolle zu halten und die Kolleginnen und Kollegen, die unter Feuer stehen, auch zu schützen und zu retten. Das ist nicht lächerlich. Das ist die Fürsorgepflicht des Dienstherrn für seine Beamten.
({11})
Es gibt einen Punkt, den ich hier als Bundesjustizminister auch erwähnen will; das relativiert allerdings nicht die Gefährlichkeit. Es ist natürlich so, dass der Generalbundesanwalt diese Maßnahmen und die Informationen über diese Maßnahmen eingestuft hat. Der Generalbundesanwalt hat übrigens keine Pressearbeit gemacht. Wenn Sie das hier behaupten, weise ich das in aller Entschiedenheit zurück. Das hat er mir persönlich versichert.
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Mein Ministerium hat dazu auch keine Öffentlichkeitsarbeit gemacht.
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Ich will an dieser Stelle sagen: Wenn Beamte eingestufte Informationen, die sie auf dem Dienstweg erreichen, an Unbefugte weitergeben, dann machen sie sich strafbar nach § 353b des Strafgesetzbuches. Und wenn Sie solche Anschuldigungen erheben, dann müssen Sie wissen, was Sie da tun. Wenn es dazu gekommen sein sollte, dann werden deutsche Staatsanwaltschaften dagegen vorgehen. Auch das gilt im Rechtsstaat, meine Damen und Herren. Das mindert aber in keiner Weise die Gefährlichkeit und die Bedeutung dieses Einsatzes.
({14})
Ich will auch noch einen Satz zu Folgendem sagen – die Kollegin Mihalic hat es vorhin eigentlich schon erklärt, aber Herr Curio hat es immer noch nicht verstanden –:
({15})
Die Frage, ob wir es hier mit einer terroristischen Vereinigung zu tun haben, hängt nicht an der Frage, ob diese Leute in der Lage wären, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen; sie hängt daran, dass sie sich vereinbart haben, eine arbeitsteilige Organisation aufzubauen, und dass sie bereit waren, die Verbrechen von Mord und Totschlag zu begehen. Das war nach Überzeugung des Generalbundesanwalts der Fall. Und das ins Lächerliche zu ziehen,
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ist wirklich grotesk.
Ich sage an dieser Stelle: Natürlich wäre dieser Putsch nicht erfolgreich gewesen, weil die Mehrheit in unserem Lande hinter dem Grundgesetz steht, weil alle Demokratinnen und Demokraten sich eines geschworen haben: dass rechter Autoritarismus in diesem Land nie wieder stärker sein wird als Freiheit und Demokratie.
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Das hat der Generalbundesanwalt gezeigt. Und wer sich darüber lustig macht, sollte sich ganz andere Fragen stellen.
Herzlichen Dank.
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Martina Renner hat das Wort für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte auf zwei Punkte in der Debatte der letzten Tage und auch heute Morgen im Innenausschuss eingehen, die ich für folgenschwere Fehlannahmen halte.
Die erste irrige Annahme ist, dass wir es hier mit einer ideologisch diffusen Szene zu tun hätten; manche reden gar von einem „Salatbar-Extremismus“. In der Tat: Der Geheimdienst behauptet, nur etwa 5 Prozent der sogenannten Reichsbürger seien rechtsextrem; der Rest sei irgendwie nicht zuzuordnen, oder es handele sich um – deren Wortschöpfung – Vertreter „verfassungsschutzrelevanter Delegitimierung des Staates“.
Aber ist es wirklich so schwer zu verstehen, wer diese Leute sind, was sie wollen und warum sie gefährlich sind? Diese Leute verbreiten mitunter auch als Abgeordnete der AfD Rassismus gegen Geflüchtete. Sie verbreiten antisemitische Verschwörungstheorien über finstere Mächte, die die Welt aus dem Geheimen heraus lenken würden.
({0})
Sie planen Säuberungen und Entführungen politischer Gegner/-innen. Sie halten den Staat für schwach, weil er nicht hart genug durchgreift, und sie wollen eine autoritäre Diktatur.
({1})
Nennen wir die Dinge doch einfach mal beim Namen. Wir haben es mit bewaffneten Rechten zu tun, die eine Gefahr für viele Menschen und für die Demokratie sind.
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Auch der Umstand, dass hier ganz unterschiedliche, zum Teil krude ideologische Aspekte zusammenkommen, widerspricht nicht dieser klaren Einordnung. Faschistische Ideologie zeichnete schon immer aus, dass sie in der Lage war, disparate, irrationale oder gar esoterische Elemente einzubinden. Wenn wir dieses Phänomen, dieses Problem aber nicht begreifen, dann werden wir es auch nicht richtig bekämpfen können. Ich glaube, wenn wir schon früher klar gesprochen hätten über die rechte Reichsbürgerszene, dann hätten wir auch konsequenter entwaffnet. Das ist meine feste Überzeugung.
({3})
Die zweite, nicht weniger folgenschwere Fehlannahme liegt der großen Verwunderung zugrunde, von der ich jetzt die letzten Tage immer wieder lesen und hören musste, die die Zusammensetzung dieses Netzwerks hervorruft: eine Richterin, Polizisten, Soldaten und Ärzte. Es sei erschütternd und vor allem neu, dass bürgerliche Kreise, ja, die Mitte der Gesellschaft Teil von rechten Verschwörungen seien. – Dieses Erstaunen ist gefährlich. Aus ihm spricht das Unvermögen, sich Rechte anders als extremistische Proleten vorzustellen. Es zeugt vom Wunsch, Rassismus und Antisemitismus nur dort zu verorten, wo es möglichst wenig mit einem selbst zu tun hat.
Und: Es offenbart ein gefährliches Unwissen über die Geschichte der extremen Rechten. Erinnern wir uns an das rechte Nordkreuz-Netzwerk. Es waren Soldaten, Polizisten und Anwälte, die Waffen horteten und Gegner/-innen ermorden wollten. Und wer förderte eigentlich die Wehrsportgruppe Hoffmann, deren Mitglieder Shlomo Lewin und Frida Poeschke töteten
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und aus deren Umfeld das Oktoberfestattentat verübt wurde?
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Das waren ein Verleger und Immobilienbesitzer, ein Adliger und ein Rüstungsfabrikant – um nur einige zu nennen.
Wir können auch noch gerne weiter zurückgehen in der deutschen Geschichte und werden immer wieder sehen: Die extreme Rechte war nie ein Phänomen der gesellschaftlichen Ränder. Es waren immer die bürgerlichen Kreise, die Stützen der Gesellschaft, von denen die rechte Gefahr für die Demokratie ausging. Die nicht abreißende Serie rechter Netzwerke, die sich mindestens seit 2015 auf den Weg machen, einen rechten Putsch vorzubereiten, zeigt: Diese Gefahr ist brandaktuell.
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Für die Bundesregierung hat die Bundesministerin Nancy Faeser jetzt das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute vor einer Woche haben wir als Demokratinnen und Demokraten in einen Abgrund geblickt. 3 000 Polizeikräfte aus Bund und Ländern, teilweise auch Spezialkommandos, waren im Einsatz, um eine terroristische Bedrohung für unsere Demokratie abzuwehren. Dabei wurden 25 Personen festgenommen. Das zeigt: Wir handeln. Und: Unser Rechtsstaat ist wehrhaft, meine Damen und Herren.
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Und ich will hinzufügen: Das war für alle Beteiligten ein hochgefährlicher Einsatz, und es war ein hocherfolgreicher Einsatz. Deshalb möchte ich zu Beginn meiner Rede noch einmal all diesen Polizeibeamtinnen und ‑beamten aus Bund und Ländern, die einen hervorragenden Job gemacht haben, hier ganz herzlich danken für diesen Einsatz. Sie haben letzte Woche unsere Demokratie verteidigt.
({1})
23 000 sogenannte Reichsbürger zählt das Bundesamt für Verfassungsschutz, Tendenz steigend. Diese Zahl ist erschreckend, und sie ist nur – Herr Hartmann hat schon darauf hingewiesen – die Spitze des Eisbergs. Denn wir sehen seit geraumer Zeit, Frau Renner, immer engere Verbindungen zwischen rechtsextremen Gruppierungen, Verschwörungstheoretikern, Reichsbürgern, aber auch Querdenkern, die jetzt während der Coronazeit entstanden sind. Das sollte man auch nicht unterschätzen an dieser Stelle.
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Viel zu lange – auch das will ich sehr deutlich sagen – wurde diese Szene unterschätzt. Viel zu lange wurden Reichsbürger als „harmlose Spinner“ abgetan. Wir haben ja heute bei Herrn Curio wieder gesehen, wie sehr diese hochgefährliche Szene, die mit Waffengewalt agiert, verharmlost wurde durch dieses Lächerlichmachen. Der Justizminister, mein Kollege Herr Buschmann, hat darauf hingewiesen, was Reichsbürger tatsächlich 2016 in Georgensgmünd angerichtet haben, als sie einen Polizeibeamten brutal ermordet haben. Wer angesichts dessen die Reichsbürgerszene ins Lächerliche zieht, wie heute geschehen, hat nicht nur nicht verstanden,
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wo die Gefahren in diesem Land sind, sondern Sie verharmlosen sie in einer Art und Weise, die diesem Land extrem schadet und es gefährdet, meine Damen und Herren.
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– Herr Baumann, Sie müssen sich schon zurechnen lassen, was Ihre Redner heute hier machen.
Ich will den Blick noch weiten. Die Reichsbürgerszene bedroht Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker,
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die sich im Ehrenamt vor Ort für andere einsetzen,
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Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in öffentlichen Ämtern sowie Journalisten.
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All diese Menschen, die tätig sind für unsere Gesellschaft, die sich für unsere demokratische Grundordnung einsetzen, werden von Reichsbürgerinnen und Reichsbürgern bedroht. Es gab allein 239 Gewalttaten durch Reichsbürger im letzten Jahr, und Sie stellen sich hierhin
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und verhöhnen das. Es ist wirklich gefährlich, eine solche Auffassung im Deutschen Bundestag zu hören.
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Gerade deshalb braucht es diese klare Haltung aller Demokratinnen und Demokraten, und deswegen muss Schluss sein mit der Verharmlosung der Reichsbürger in unserem Land, meine Damen und Herren!
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Ich will, dass wir Extremisten und Reichsbürgern entschlossen und konsequent die Waffen entziehen. Da will ich mich auch auf das beziehen, was der hessische Innenminister heute hier gesagt hat: Das ist in vielen Fällen schon passiert, und damit müssen die Waffenbehörden der Länder konsequent weitermachen. Aber wir brauchen mehr Druck. Deshalb müssen wir das Waffenrecht aus meiner Sicht auch weiter verschärfen. Vor allem werden wir für einen engeren Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden und den Waffenbehörden sorgen. Das ist wirklich wichtig. Ich glaube, keiner wird bezweifeln, dass es notwendig ist, sicherzustellen, dass Extremisten nicht in den Besitz von Waffen kommen.
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Herr Kollege Beuth, diese Bemerkung will ich Ihnen nicht ersparen: Wenn Sie so stark für den Waffenentzug sind, dann sorgen Sie auch dafür, dass Ihre Partei diese Meinung übernimmt!
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In der letzten Legislaturperiode waren es nämlich CDU und CSU, die im Deutschen Bundestag Verschärfungen des Waffenrechts verhindert haben. Also bitte nicht nur dann so argumentieren, wenn es gerade passt, sondern diese Linie auch konsequent weiterverfolgen. Das haben Sie in Hessen getan. Aber hier im Bund muss es dann folgen.
Damit unsere Demokratie wehrhaft bleibt, müssen wir sie aber auch von innen heraus stärken, und dazu ist Prävention wichtig. Prävention von Anfang an – in Kindertagesstätten, in Schulen – ist eines der wichtigsten Mittel zur Bekämpfung von Extremismus in unserem Land. Deswegen müssen wir darauf fokussieren. Ich bin meiner Kollegin Lisa Paus, der Familienministerin, auch dankbar, dass wir heute gemeinsam das Demokratiefördergesetz vorstellen konnten,
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um die demokratische Zivilgesellschaft zu stärken. Sie sehen, wir handeln auch im Bereich der Prävention.
Außerdem werden wir das Disziplinarrecht verschärfen. Denn wir lassen nicht zu, dass der Rechtsstaat von Extremisten von innen heraus sabotiert wird. Das schulden wir letztlich allen Angehörigen der Sicherheitsbehörden und des öffentlichen Dienstes, die sich – und das ist die überwältigende Mehrheit – auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen. Diesen Schutz haben sie auch von uns verdient. Deshalb werden wir Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst entlassen, ein schnelleres Verfahren dafür auflegen und auch eine konsequentere Ahndung von Volksverhetzungsdelikten vorsehen. Den Gesetzentwurf werden wir noch vor Weihnachten vorlegen, meine Damen und Herren.
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Ich habe es zu Beginn meiner Amtszeit gesagt: Die größte Bedrohung für die demokratische Grundordnung kommt von rechts. Wir haben letzte Woche gesehen, dass das stimmt, meine Damen und Herren, und dass der Rechtsstaat hier konsequent handeln muss. Der Einsatz gegen die Reichsbürgerszene in der letzten Woche hat gezeigt: Unser Rechtsstaat ist stark, er ist wehrhaft. Wir werden dafür sorgen, dass es so bleibt. Wir verteidigen die Demokratie gegen alle Feinde, egal von welcher Seite.
Vielen Dank.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat Andrea Lindholz jetzt das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesrepublik hat vor einer Woche einen der größten Antiterroreinsätze ihrer Geschichte erlebt. Ich möchte daher auch für die Unionsfraktion zunächst einmal ganz herzlich allen Einsatzkräften, dem Generalbundesanwalt und den beteiligten Sicherheitsbehörden für ihre professionelle Arbeit meinen Dank aussprechen.
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Es war ein komplexer und gefährlicher Einsatz in der waffenaffinen Szene der Reichsbürger. Es ist gut und auch ein Erfolg, dass zahlreiche Beschuldigte in Haft genommen werden konnten und niemand ernsthaft zu Schaden gekommen ist.
Auf unseren Antrag hin, liebe Frau Mihalic, und gegen das Votum der Ampel hat die Bundesregierung am Montag das Parlament in zwei Sondersitzungen des Innen- und Rechtsausschusses über den Stand der Ermittlungen informiert. Sie hatten sich dagegen ausgesprochen. Wir haben gesehen, es war gut, dass das Parlament informiert worden ist.
({1})
Obwohl die Auswertung der Razzia noch länger dauern wird, wurde am Montag bereits Folgendes deutlich: Die Reichsbürgergruppe, die die Existenz der Bundesrepublik leugnet und die auch Umsturzpläne verfolgte, war gefährlich. Mitglieder der Gruppe besaßen Waffen, sie konnten mit ihnen umgehen, und sie sind auch gewaltbereit. Mindestens einmal hat man sich zu einer Schießübung getroffen. Es ist daher falsch, diese Gruppe als bloße Spinnertruppe abzutun.
({2})
Aber es ist auch klar – und das ist auch gut so –: Unsere Demokratie stand auch nicht kurz vor einem Umsturz.
Es ist für mich unerträglich, wenn vonseiten der AfD versucht wird, den Vorgang mit Worten wie „Rollator-Putsch“ ins Lächerliche zu ziehen.
({3})
Es ist für mich unerträglich, Herr Dr. Curio, dass Sie – man kann sich das alles noch mal anhören und den Faktencheck machen – auch mit Ihrer Rede heute wieder versucht haben, diesen ganzen Vorgang und die Notwendigkeit zu relativieren. Sie müssen sich schon die Frage gefallen lassen, warum ausgerechnet mehrere Mitglieder der AfD, unter anderem ein ehemaliges Mitglied dieses Bundestages, im engsten Führungskreis mit vertreten waren.
({4})
Mit Ihren Relativierungsversuchen offenbaren Sie eine schräge Sicht auf unseren Rechtsstaat.
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Der Generalbundesanwalt hat anhand konkreter Fakten und nicht eben mal einfach so und nicht ohne Grund vom Anfangsverdacht der Betätigung in einer terroristischen Vereinigung gesprochen; er geht davon aus. Deswegen ist sämtliche Relativierung deplatziert.
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Das gilt im Übrigen auch für die Linken, die von einer „PR-Aktion“ sprechen, und das gilt im Übrigen auch, lieber Herr von Notz, für Otto Schily, der von einer „skurrilen Spinnergruppe“ gesprochen hat.
({7})
Auszugsweise herausgegriffen relativieren genau solche Sätze den Einsatz und lassen bei dem einen oder anderen in der Bevölkerung die Frage zurück: War das alles so notwendig?
({8})
Zur Wahrheit gehört dazu, dass auch die Pressearbeit in diesem Zusammenhang hinterfragt werden muss. Es ist doch nicht in Ordnung, wenn die Innenministerin sich hinstellt und sagt, sie habe – angeblich – erst einen Tag vorher von dem Umstand gewusst. Es ist auch nicht zielführend, wenn der Justizminister sagt, sein Haus war es auch nicht. Wenn aber beim Einsatz massenweise Presse vor Ort ist,
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schneller da ist als manche Einsatzkraft, dann ist etwas schiefgelaufen, und da erwarte ich von Ihnen, dass Sie das aufklären. Es geht hier um Geheimnisverrat, es geht um den Verrat von Dienstgeheimnissen. Ich möchte von Ihnen wissen, wie Sie diese Vorgänge aufklären. Sie können nicht einfach sagen: „Ich habe nichts davon gewusst“; denn das kann nicht sein.
({10})
Nach den Ausschusssitzungen am Montag im Innen- und Rechtsausschuss ist eines klar: Die Ermittlungserfolge beruhen auch auf Maßnahmen der Innenminister der Union. Ich will das ganz klar sagen: Es war Innenminister Friedrich, der 2012 das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum von Bund und Ländern zur Bekämpfung von Rechtsextremismus gegründet hat; es war – das haben die Sitzungen ergeben – maßgeblich beteiligt am Erfolg dieser Tage. Innenminister Thomas de Maizière hat 2016 aus gutem Grund die Beobachtung der Reichsbürgerbewegung durch den Verfassungsschutz beschlossen. Horst Seehofer hat 2019 unter anderem die Regelabfrage der Waffenbehörden beim Verfassungsschutz hier eingeführt, damit legale Waffen möglichst erst gar nicht in die Hände von Extremisten gelangen,
({11})
und er hat 2020 in zehn Bundesländern Razzien gegen Reichsbürger durchgeführt und erstmals eine Gruppierung verboten.
Der Kampf gegen Rechtsextremismus und gegen Reichsbürger muss nachhaltig, andauernd und auf vielen Ebenen erfolgen, und dafür steht gerade auch die Union.
({12})
Deswegen wehre ich mich auch, liebe Frau Mihalic, gegen Ihren Vorwurf, wir hätten uns nicht gewehrt. Machen Sie mal den Faktencheck, schauen Sie sich mal die Pressearbeit von uns an: Wir sind an dieser Stelle glasklar gewesen.
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Frau Kollegin, Sie hätten zum Ende gekommen sein müssen.
Damit komme ich zum Ende.
Nein, gekommen sein müssen.
Wir müssen nach Abschluss der Ermittlungen sehen, was noch angezeigt ist, sei es beim Waffenrecht oder an anderer Stelle; aber dafür habe ich jetzt nicht mehr genug Zeit.
Vielen Dank.
({0})
Für die Bundesregierung hat Lisa Paus jetzt das Wort.
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Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuschauende und Zuhörende! Es sind Soldaten, Polizisten, eine Ärztin, eine Richterin und sogar eine ehemalige Abgeordnete des Deutschen Bundestages, die die Sicherheitsbehörden vor einer Woche bei der Razzia gegen Reichsbürger/-innen festgenommen haben. Es sind Menschen, die Verantwortung in unserem Rechtsstaat tragen. Dennoch haben sie sich zu Staatsfeinden erklärt und greifen die Grundfesten unserer Demokratie an, und das ist schlichtweg schockierend.
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Es ist gut, dass unser Rechtsstaat darauf eine klare Antwort gibt. Denn sogenannte Reichsbürger sind eben nicht nur irgendwelche Spinner. Sie haben gute Verbindungen in unsere Institutionen. Sie können durch Insiderwissen Behörden potenziell sogar lahmlegen. Sie haben konkrete Umsturzpläne, die auch über eine Stürmung dieses Hauses verwirklicht werden sollten. Die sogenannten Reichsbürger sind Menschen, die unseren Staat und unsere Demokratie zerstören wollen,
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die auch bereit sind, zu töten. Herr Buschmann hat noch mal sehr klar dargelegt, wie das 2016 in Georgensgmünd gewesen ist. Dort haben sie es bewiesen. Ein Polizist ist im Einsatz gegen einen Reichsbürger getötet worden.
Deshalb ist es so wichtig, dass unsere Sicherheitsbehörden, dass die Generalbundesanwaltschaft, dass die Polizei aus Bund und Ländern wachsam waren und dass sie so konsequent gehandelt haben.
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Eine wehrhafte Demokratie braucht wachsame und kompetente Sicherheitsbehörden – wachsam nach außen, aber auch nach innen. Eine wehrhafte Demokratie braucht engagierte Polizistinnen und Polizisten wie die 3 000, die letzte Woche die Razzia in elf Bundesländern durchgeführt und zum Erfolg geführt haben. Für ihren Einsatz möchte auch ich mich ausdrücklich und in aller Form bedanken.
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Eine wehrhafte Demokratie braucht aber auch eine starke Zivilgesellschaft, eine Zivilgesellschaft, die die Werte der Demokratie, der Vielfalt und des Miteinanders lebt, die trotz aller unterschiedlichen Meinungen Kompromisse findet, die gemeinsame Projekte auf die Beine stellt. Dafür stellt mein Ministerium über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ allein für das kommende Jahr 182 Millionen Euro zur Verfügung – 182 Millionen Euro für die Förderung unserer Demokratie und die Gestaltung von Vielfalt,
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für die Prävention gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Diese Arbeit fördern wir auf kommunaler, auf Landes- und auf Bundesebene; denn Demokratieförderung ist dann besonders erfolgreich, wenn verschiedene Institutionen und Organisationen sich daran beteiligen, wenn eben nicht nur die Bürgermeister/-innen und Gemeinderäte, sondern auch die Sportvereine mitmachen, wenn die Kirche genauso wie die Polizei, wenn Unternehmen genauso wie der Jugendklub dabei sind.
Die weit mehr als 600 Initiativen, die wir über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ fördern, gehen deshalb gezielt an die unterschiedlichen Lebensorte. Auch die Prävention in Haftanstalten und im Internet sind wichtige Bereiche des Bundesprogramms. Denn Demokratie kann nicht von oben verordnet werden. Demokratie braucht Menschen, die sie in den Institutionen der repräsentativen Demokratie vertreten. Demokratie braucht Menschen, die sich in Initiativen und Organisationen für ein gemeinsames Miteinander einsetzen. Diesen Menschen, die unsere Demokratie täglich mit Leben erfüllen, haupt- oder ehrenamtlich, gilt ebenfalls mein Dank.
Wir wollen und werden diese engagierten Menschen jetzt noch besser fördern. Denn heute hat die Bundesregierung das Demokratiefördergesetz im Kabinett verabschiedet. Noch mal ganz herzlichen Dank auch an meine Kollegin Nancy Faeser!
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Dieses Gesetz bringt uns wirklich einen sehr großen Schritt voran; denn damit haben wir zum ersten Mal den gesetzlichen Auftrag für den Bund geschaffen, zivilgesellschaftliches Engagement für Demokratie, gegen Extremismus, für Vielfaltgestaltung und für politische Bildung in seiner Qualität zu sichern und zu stärken. Ein solches Gesetz hat es bislang in Deutschland nicht gegeben, meine Damen und Herren.
Damit machen wir klar: Demokratieförderung ist eine dauerhafte staatliche Aufgabe. Wir stellen diese Förderung auf eine gesetzliche und damit stabilere Grundlage. Damit schaffen wir endlich Planungssicherheit für die Initiativen. Das Demokratiefördergesetz legt das Fundament für eine längerfristige, für eine bedarfsorientierte und für eine altersunabhängige Förderung von zivilgesellschaftlichen Projekten. Denn die Aufdeckung des Terrornetzwerks zeigt: Beim Reichsbürgermilieu handelt es sich mitnichten nur um junge Erwachsene, die vielleicht auf Abwege geraten sind, sondern es handelt sich um Menschen, die voll im Leben stehen und die vorsätzlich unsere Demokratie zerstören wollen, die wissen, dass ihr Gerede von der angeblichen Diktatur, in der wir alle leben sollen, bei einigen Menschen tatsächlich seine toxische Wirkung zeigt. Daher gilt es, den Blick in der Präventionsarbeit noch stärker zu weiten und alle Altersgruppen zu erreichen.
Was ändert sich durch das Demokratiefördergesetz konkret? Beispielsweise können wir jetzt das Beratungsnetz für Opfer von rechtsextremer oder rassistischer Gewalt stärker ausbauen. Hier ist eine längerfristige Förderung besonders wichtig, da die Begleitung gerade von traumatisierten Opfern oft mehrere Jahre dauert. Auch die Arbeit der mobilen Beratungen können wir durch das Demokratiefördergesetz weiterentwickeln. Beispielsweise wurden im Land Brandenburg 2 000 Bedienstete in früheren Jahren im Umgang mit Reichsbürgern geschult, und das erste Handbuch dazu ist auch von einem entsprechenden Projekt herausgegeben worden. Aus diesem Fachwissen können wir jetzt ein längerfristiges und breites Unterstützungsangebot machen – so wichtig in dieser Zeit!
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Sie sehen also: Die Bundesregierung ist entschlossen, die Bundesregierung handelt gegen die Demokratiefeinde, aber eben auch für diejenigen, die die Demokratie mit ihrem Engagement und ihrem Mut schützen und sich für sie einsetzen. Und das ist die übergroße Mehrheit in unserem Land. Deshalb werden die Feinde der Demokratie auch niemals Erfolg haben.
Herzlichen Dank.
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Katrin Helling-Plahr hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein Mann, Ende 60, am Rande der Gesellschaft, er trägt eine alte Tweedjacke, tippt auf Telegram wirre Texte, hält die BRD für eine GmbH, ist als notorischer Querulant in der ganzen Nachbarschaft bekannt, wird belächelt – so oder so ähnlich haben sich viele bisher Reichsbürger vorgestellt. Die Realität: Richter, Ärzte, Polizisten, Lehrer, ehemalige Soldaten und eine Ex-AfD-Abgeordnete, 400 000 Euro in bar, Gold- und Silbermünzen, 93 Waffen, Ausrüstung und Satellitentelefone, konkrete Pläne zu Putsch und Exekutionen, zu „Säuberungen“ bei Kommunalpolitikern und zum Aufbau einer neuen Regierung und Verwaltungsstruktur. Deutsches Reich, ein Geheimer Rat, Heimatschutzkompanien – was wie von vorgestern und vorvorgestern klingt, ist offenbar heute traurige, gefährliche Gegenwart.
Dem Generalbundesanwalt und allen beteiligten Behörden und Beamten gilt unser Dank für ihr entschlossenes Vorgehen.
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Durchsuchungsmaßnahmen in über 130 Objekten in elf Bundesländern, 25 Festnahmen von Niedersachsen bis Perugia in Italien, 3 000 Polizisten waren beteiligt – das ist ein Erfolg, den es zu würdigen gilt. Ganz offenkundig haben die unterschiedlichen Akteure und Behörden reibungs- und geräuschlos wie Zahnräder ineinandergegriffen. Die Ermittlungen laufen weiter, und vermutlich ist das, was schon bekannt ist, nur die Spitze des Eisbergs. Was wir aber schon wissen: Eine dreistellige Anzahl von Personen hat sogenannte Verschwiegenheitserklärungen unterschrieben. Das ganze Ausmaß können wir nur erahnen. Das muss uns zu denken geben und uns zeigen: Wir müssen noch wachsamer sein.
Die festgenommene AfD-Abgeordnete hat vor etwas mehr als einem Jahr noch hier in diesem Plenarsaal, in diesen Reihen gesessen. Sie hat hier gesprochen, sie war in der AfD-Bundestagsfraktion offenbar tief verwurzelt. Sie hat ja bis heute Parteiaufgaben und ist Nachrückerin auf der Landesliste.
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Die AfD hat sie sogar mehrfach für einen Sitz im Vertrauensgremium, das sich unter anderem um die vertraulichen Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste des Bundes kümmert, vorgeschlagen.
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Gut, dass wir sie nicht gewählt haben!
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ermittlungen des Generalbundesanwalts haben den Verdacht ergeben, dass konkrete Vorbereitungen getroffen worden sind, um hier im Deutschen Bundestag mit Waffengewalt einen Machtwechsel zu erzwingen. Birgit Malsack-Winkemann und ihre Verbündeten wollten offenbar hier beginnen, die Demokratie zu beseitigen. Aber nicht nur sie, sondern auch weitere Verdächtige haben eine Nähe zur Alternative für Deutschland oder sind Mitglied.
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Es geht ihnen allen darum, unsere Demokratie zu beseitigen. Und das werden wir nicht zulassen, meine Damen und Herren.
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Unser Rechtsstaat ist wehrhaft, und auch unsere Demokratie ist wehrhaft. Alle Gewalt geht in unserem Staat vom Volke aus, nicht von radikalen Machtfantasten, die zu blutigem Terror bereit sind.
Unsere Aufgabe wird es also sein, noch deutlicher zu machen, wer sich unter dem Deckmäntelchen einer vermeintlichen Alternative für das Land eigentlich versteckt,
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aufzuklären, für unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat zu begeistern – in die Breite der Gesellschaft hinein.
Das geltende Waffenrecht lässt eine konsequente Entwaffnung von Reichsbürgern bereits zu. Hier braucht es das Personal, bestehende Regelungen anzuwenden, und auch den exekutiven Willen, dies tatsächlich zu tun. Es kann nicht sein, dass auf Bundesebene eine weitere Verschärfung des Waffenrechts vor allem deshalb den Weg in die Diskussion findet, weil in manchen Bundesländern da in Bezug auf Reichsbürger noch immer nicht entschlossen genug vorgegangen wird.
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Den Bundestag und seine Liegenschaften werden wir besser schützen müssen, indem wir einen genauen Blick auch auf die Ehemaligenausweise haben. In die Hände von Birgit Malsack-Winkemann und ihresgleichen gehören solche Ausweise jedenfalls nicht.
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Auch das Disziplinarrecht für Beamte werden wir uns anschauen; denn Beamte stehen in einem besonderen Treueverhältnis zum Staat. Wer die staatliche Ordnung in Deutschland ablehnt oder gar beseitigen will, der kann kein Beamter sein.
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Meine Damen und Herren, wir sind dem Generalbundesanwalt für sein entschlossenes Vorgehen zu Dank verpflichtet, und wir werden den Weg einer wehrhaften Demokratie weitergehen. Für Träume von bewaffnetem Umsturz ist weder in diesem Haus noch in unserer Gesellschaft Platz.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Martin Plum für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie alle Richterinnen und Richter in unserem Land habe auch ich an meinem ersten Arbeitstag geschworen, mein Amt getreu dem Grundgesetz auszuüben. Die Treue zur Verfassung ist dem Richteramt immanent, genauso wie dem Beamten- und Soldatenverhältnis; denn gerade diejenigen, die im Dienst unseres Staates stehen, müssen sich zu unserem Staat bekennen, aktiv für ihn eintreten und sich von allen Staatsfeinden distanzieren.
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Diese Verfassungstreue war und ist nicht nur für mich, sondern für fast alle Beamten, Richter und Soldaten in unserem Land selbstverständlich. Das zeigt auch und gerade der Einsatz der vergangenen Woche, und das kann an dieser Stelle nicht oft genug gesagt werden. Wir dürfen dankbar für die Leistung der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern sein.
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Frau Kollegin Mihalic, an dieser Stelle möchte ich schon noch etwas zu Ihrer Einlassung sagen, wir hätten tagelang geschwiegen:
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Sie verdrehen die Tatsachen.
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Ich darf daran erinnern, wer die Sondersitzungen von Innen- und Rechtsausschuss beantragt hat: die Union. Ich darf daran erinnern, wer sich dagegen ausgesprochen hat: die Ampel. Und ich darf daran erinnern, wer bereits am Samstag diese Aktuelle Stunde beantragt hat: die Union.
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Wer diese Tatsachen hier nicht zur Kenntnis nimmt, der stellt sie auf den Kopf.
Die Festnahmen der vergangenen Woche zeigen aber leider auch, dass Verfassungstreue für einige Beamten, Soldaten und Richter eben nicht selbstverständlich ist. Wer hier von Einzelfällen spricht, verkennt die Gefahr, die von diesen Personen für unseren Staat ausgeht. Er verkennt, dass sich unser Staat gerade in Zeiten, in denen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung von Extremisten und Populisten im Inneren und von Autokraten im Äußeren infrage gestellt und bekämpft wird, uneingeschränkt auf jede und jeden verlassen können muss, der in seinem Dienst steht. Für uns als Union ist deshalb ganz klar: Klare Kante gegen alle Staatsfeinde im öffentlichen Dienst!
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„Klare Kante“, das heißt erstens, dass wir bei unseren Sicherheits- und Justizbehörden verbindliche Sicherheitsüberprüfungen vor der Einstellung brauchen, damit Staatsfeinde erst gar nicht Staatsdiener werden, zweitens, dass wir auch nach der Einstellung regelmäßige Sicherheitsüberprüfungen brauchen, damit wir Staatsfeinde im Staatsdienst früher erkennen, drittens, dass wir die Regelung der Union in Baden-Württemberg, Disziplinarmaßnahmen durch Verwaltungsakt statt durch Disziplinarklage zu ermöglichen, ernsthaft prüfen, damit Staatsfeinde einfacher aus dem Staatsdienst entfernt werden können,
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und viertens, dass gerade wir Abgeordnete in Anbetracht des Falls Birgit Malsack-Winkemann überlegen müssen, ob unser Schutz vor straf- und dienstrechtlicher Verfolgung ein Freifahrtschein für Staatsfeinde zurück in den Staatsdienst sein darf.
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Wir begrüßen daher, dass die Bundesinnenministerin einige dieser Vorschläge aufgreifen möchte. Aber, Frau Bundesinnenministerin, an dieser Stelle muss auch eines noch mal klargestellt werden: Die Beweislast dafür, dass, wie Sie es gesagt haben, ich anständig bin und mir nichts habe zuschulden kommen lassen, trägt in unserem Staat weder der Bewerber noch der Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Denn eine solche Beweislastumkehr würde alle Bewerber und Beschäftigten unter einen Generalverdacht stellen, obwohl fast alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.
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Es war deshalb auch dringend notwendig, dass Sie sich eindeutig von Ihren eigenen Aussagen distanziert haben.
Aber ich erwarte von einer Bundesministerin, zumal von einer Verfassungsministerin, die selbst Juristin ist, dass sie sich auch etwas umgangssprachlich im Fernsehen ausdrücken kann.
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Und ich kaufe Ihnen diese Entschuldigung auch nicht ab; denn Sie haben hier in diesem Saal am 16. März 2022 auf die Frage des Kollegen Hartmann erklärt – ich zitiere wörtlich aus dem Plenarprotokoll –:
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Wir wollen insbesondere das Disziplinarrecht und wahrscheinlich auch das Beamtenrecht insoweit ändern, dass wir beispielsweise – das treibt mich schon seit Langem um – die Möglichkeit schaffen, die Beweislast umzukehren.
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War das etwa auch etwas umgangssprachlich erklärt, Frau Faeser?
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, mein Richtereid ist für mich nach meiner Wahl in dieses Haus wichtiger denn je; denn gerade wir als Mitglieder eines Verfassungsorgans haben uns zu unserem Staat zu bekennen und unsere Verfassung aktiv zu verteidigen. Ich würde mir wünschen, dass wir das vielleicht in Zukunft auch, wie viele Landtage und andere Mitglieder der Verfassungsorgane, durch eine entsprechende Verpflichtung tun.
Staats- und Verfassungsfeinde haben auch in diesem Haus keinen Platz. Wer in diesen Tagen im Zusammenhang mit der Aufdeckung der Umsturzpläne rechtsterroristischer Reichsbürger von „Inszenierung“ faselt, wer hier über den Irrglauben der vorläufig Festgenommenen sinniert und wer ihre Pläne als „Rollator-Putsch“ und „Fake-Staatsstreich“ abtut, der steht nicht aufseiten unseres Staates und unserer Verfassung, der steht aufseiten der Staats- und Verfassungsfeinde.
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Und wer dort steht, ist keine Alternative, sondern eine Schande für Deutschland!
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Elisabeth Kaiser hat das Wort für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Bürgerinnen und Bürger! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei den Razzien letzte Woche in elf Bundesländern durch unsere Sicherheitsbehörden traten Reichsbürgernetzwerke, demokratiefeindliche Ideologie und Terrorpläne in einem Ausmaß zutage, das sich wohl die wenigsten von uns hätten vorstellen können. Die aufgedeckten Rechtsterrorstrukturen zeigen, wie stark sich die Szene der Reichsbürger, Coronaleugner/-innen und Organisatoren der Herbstaufmärsche radikalisiert.
Es hat sich bestätigt, was die SPD immer schon klar benannt und unsere Innenministerin Nancy Faeser auch sehr deutlich ausgesprochen hat: Die größte Bedrohung für unsere Demokratie in diesem Land ist der Rechtsextremismus.
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Ich bin froh, dass wir endlich eine Innenministerin haben, die diese Gefahr ernst nimmt und konsequent handelt.
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Es kommt eben entschieden darauf an, dass unsere Sicherheits- und Ermittlungsbehörden rechtzeitig durchgreifen und, wie nun geschehen, Schlimmeres verhindern. Dieser Schlag war so erfolgreich, weil die zuständigen Stellen intensiv und gut koordiniert zusammengearbeitet haben. Für dieses verantwortungsvolle Handeln möchte auch ich dem Generalbundesanwalt danken, dem Bundeskriminalamt, den Nachrichtendiensten sowie den beteiligten Staatsanwaltschaften, Polizei- und Verfassungsschutzbehörden in den Ländern.
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Danken möchte ich ebenso für die große Transparenz, mit der die Aufklärer/-innen und Ermittler/-innen diese Woche im Innenausschuss das Parlament über die Vorgänge informiert haben. So schützt man unsere Demokratie, Gesellschaft und Parlamente.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, schauen wir aber einmal auf die relativierenden oder auch ausbleibenden Reaktionen von einigen Meinungsträgern und auch sonst recht lautstarken politischen Stimmen. Wenn man sich das anguckt, dann muss man sich angesichts der Gefahrenlage schon recht wundern. Denn was wurde am vergangenen Mittwoch beschlagnahmt? Mindestens 93 Waffen, darunter 44 potenziell tödliche Schusswaffen, und auch augenscheinliche Feindeslisten. Zudem wollte das Netzwerk offenbar mehrere Hundert paramilitärische Einheiten aufstellen.
Vor diesem Hintergrund frage ich mich ernsthaft: Wie vernebelt muss man denn sein, die aufgeflogenen Terrorpläne herunterzuspielen, wie es einige konservative Kreise und natürlich die AfD hier versuchen, oder dass man sich eben gar nicht zu dem größten bewaffneten Rechtsterrornetzwerk der letzten Jahrzehnte äußert, wie es der Vorsitzende der Union, Friedrich Merz, vorzieht?
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Werte Kolleginnen und Kollegen von der Union, auch wenn einige von Ihnen hier deutlicher geworden sind: Es gibt doch eine Schieflage in Ihrer sicherheitspolitischen Wahrnehmung. Sie müssen sich schon den Vorwurf gefallen lassen, wieder einmal rechts außen nicht so ganz genau hinzuschauen.
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Zur Wahrheit gehört doch auch, dass unionsbesetzte Innenministerien und auch Nachrichtendienste über Jahrzehnte nur halbherzig durchgegriffen haben; Frau Mihalic hat es dargestellt.
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Die NSU-Terrorserie, der Mord an Walter Lübcke und die Attentate von München, Halle und Hanau haben tragischerweise gezeigt: Schon eine Schusswaffe genügt, um Tod und Schrecken zu verbreiten.
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Die Razzien verdeutlichen, wie richtig es ist, dass unsere Bundesinnenministerin schon wenige Monate nach Amtsantritt einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus aufgesetzt hat.
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Es braucht nun schnelle Konsequenzen beim Waffenrecht. Bisher wurden schon über 1 000 Reichsbürgern die Waffen entzogen. Es ist gut, dass das noch umfassender passieren soll. Wir müssen auch genauer hinschauen, wer eigentlich welche Waffen bekommen darf.
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Außerdem macht die Verstrickung einiger Bundeswehr- und Polizeiangehöriger in das Terrornetzwerk klar, wie wichtig es ist, Staatsfeinde konsequent aus den Sicherheitsbehörden entfernen zu können. Wer unsere Demokratie verachtet, hat im öffentlichen Dienst nichts verloren. Dem werden wir mit der nun anstehenden Gesetzesnovelle Rechnung tragen.
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Ich bin froh, dass die Union das anscheinend auch so sieht.
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Es ist an der Zeit, die Rolle der AfD neu zu bewerten. Dass drei Beschuldigte aus Ihren Reihen kommen, das ist kein Zufall, sondern eine direkte Folge der Verachtung gegenüber unserer Demokratie in der AfD. Als geistige Brandstifter liefern Sie das ideologische Futter für solche Umsturzfantasien und Gewalttaten; Dr. Curio hat das eben deutlich gemacht.
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Um das Übel dieser Ideologien aber an der Wurzel zu packen, ist umfassende Prävention immer noch das beste Mittel gegen Radikalisierung. Zum Beispiel mit dem Ausbau des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ und den Projekten der Bundeszentrale für politische Bildung gegen Desinformation und Verschwörungserzählungen stärken wir unsere Gesellschaft gegen rechtsextreme Ideologie.
Ich bin sehr froh, dass wir nun das Demokratiefördergesetz auf den Weg bringen, mit dem die Engagierten in unserem Land unterstützt werden, die sich tagtäglich für eine selbstbewusste und lebendige Demokratie einsetzen. Dass Sie von der Union dieses Gesetz in der letzten Legislaturperiode blockiert haben und die notwendige Stärkung der Zivilgesellschaft immer noch in Abrede stellen, ist unverantwortlich. Deswegen bin ich froh, dass wir als Ampel das jetzt machen.
Vielen Dank.
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Matthias Helferich hat jetzt das Wort für zwei Minuten.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn wirklich eine Bedrohung von den Terrorrentnern um den Putschprinzen ausging, dann haben die politisch Verantwortlichen das Leben von 3 000 Beamten gefährdet, indem sie bereits vor Wochen genehme Medienvertreter über den Einsatz informierten.
Gegen Straftäter, die in der Vergangenheit auch Polizisten ermordeten, muss mit aller Härte vorgegangen werden. Doch wissen Sie, was mich anwidert? Es ist die zur Schau getragene Besorgnis, die die Bundesinnenministerin samt Establishment in jede Kamera des Landes heuchelt. Unsere Demokratie ist nicht gefährdet, wenn sie von Spinnern abgelehnt wird.
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Wir haben zu keinem Zeitpunkt in den Abgrund geschaut, Frau Innenministerin. Niemand kann die Demokratie und den Staat delegitimieren; niemand kann das, außer Ihnen.
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Erst wenn die Bürger das Vertrauen in den demokratischen Rechts- und Verfassungsstaat verlieren, dann ist unsere demokratische Ordnung wirklich gefährdet. Und dafür, dass die Bürger unseres Landes auf unseren Staat vertrauen können, sind Sie als Regierung verantwortlich.
Sie delegitimieren unseren Staat, wenn türkische Mädchen auf offener Straße von einem geisteskranken Afrikaner abgeschlachtet werden. Sie delegitimieren unseren Staat, wenn der Onkel des ermordeten Mädchens in den Medien fragen muss, wie vieler Einzelfälle es denn noch bedürfe, bis man illegale Afrikaner endlich abschiebe.
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Sie delegitimieren unseren Rechtsstaat, wenn Sie sich weigern, Frau Innenministerin, den afghanischen Gruppenvergewaltiger einer 14-Jährigen endlich außer Landes zu schaffen. Sie delegitimieren unsere Demokratie, wenn Sie all jene zu Feinden der Demokratie erklären, die lediglich anderer Meinung sind.
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Ece S. aus Illerkirchberg hatte keinen Wassergraben, keine Parlamentspolizei, keine Spezialkräfte, keinen Verfassungsschutz, der sie vor ihrem afrikanischen Mörder schützte. Ece S. und ihre Familie vertrauten lediglich auf Sie. Doch dieses Vertrauen ist zerstört.
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Ihre Aufgabe als Regierung ist es, den anhaltenden Vertrauensverlust nicht durch aufgeblähte Bedrohungsszenarien abzumildern. Ihre Aufgabe ist es, aus sich heraus echtes Vertrauen in unsere Freiheitsordnung und in unseren Rechtsstaat wiederherzustellen, und dafür stehe ich Ihnen gern zur Verfügung.
Vielen Dank.
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Der Kollege Dr. Konstantin von Notz hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin Lindholz, Sie bringen mich jetzt in die etwas verrückte Situation, dass ich mich für ein Zitat von Otto Schily rechtfertigen muss;
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aber ich will das gerne tun, weil es hier so oft gefallen ist. Otto Schily hat sinngemäß gesagt: Ich kenne diese Gruppe nicht, ich halte sie für ungefährlich.
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– Sinngemäß. – Ich selbst sammle Pilze, und ich kann Ihnen sagen: Alle die sagen: „Ich kenne diesen Pilz nicht, ich halte ihn für ungefährlich“, erzählen die Geschichte häufig nicht zweimal.
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Deswegen kann ich nur sagen:
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Ein solches Zitat, Herr Baumann, ist fahrlässig, unvernünftig, meinetwegen auch dumm, und es ist vorsätzlich bösartig, es hier verkürzt zu zitieren, meine Damen und Herren.
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Es zeigt: Sie vertuschen, dass Sie selbst ein fulminantes Sicherheitsproblem sind, meine Damen und Herren.
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Das Verniedlichen von Rechtsextremisten, das Verstärken und Befeuern von radikal-antidemokratischen, oft antisemitischen Narrativen, das hat bei Ihnen – das hat man beim „Operettenputsch“ des Kollegen Curio gesehen – einfach Methode.
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Selbst angesichts der Tatsache, dass eine Ex-Kollegin von Ihnen – die Kollegin Helling-Plahr hat es gerade gesagt –, die jüngst noch hier im Plenum neben Ihnen gesessen hat und der Sie Applaus gespendet haben, in der letzten Woche in den Knast eingefahren ist und dort heute noch einsitzt, hört man von Ihnen keine Nachdenklichkeit, keine Selbstkritik, sondern immer den gleichen bornierten, geschichtsvergessenen, geschmacklosen, die Opfer von rechter Gewalt verhöhnenden Zynismus, meine Damen und Herren.
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Ob zu Hanau, Halle oder auch jetzt von Herrn Curio: Von der AfD kommt immer die gleiche Leier: Die Täter seien wohl ein bisschen verrückt, verwirrt, senil, nicht ganz richtig im Oberstübchen.
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Die Pathologisierung von rassistisch und antisemitisch motivierten Gewalttätern, die in der Geschichte der Bundesrepublik seit 1945 Hunderte von Menschen ermordet haben, weil sie schwarz, jüdisch, liberal, links, türkischstämmig, obdachlos, Vertreter von Merkels Flüchtlingspolitik oder was auch immer waren, diese Verharmlosung ist schlicht unerträglich und dieses Hauses unwürdig, meine Damen und Herren.
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Nun hört man das Argument, ein erfolgreicher Staatsstreich habe ja nicht unmittelbar bevorgestanden; auch hier haben wir das häufig gehört.
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Aber, Herr Baumann – und dafür braucht man rudimentärste Geschichtskenntnisse –, man darf von der Abgründigkeit und der Abwegigkeit vieler Ziele von Extremisten eben nicht auf ihre Harmlosigkeit schließen.
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Die Rote-Armee-Fraktion wollte mit ihren Bomben und mit ihren Terrormorden die Arbeitermassen dazu bringen, sich zu erheben und sich ihrem antiimperialistischen Kampf gegen das System anzuschließen.
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Ist das hanebüchener, weltfremder Wahnsinn? Ja, das ist es allerdings. Hat das die RAF ungefährlich gemacht? Nein, wohl kaum, meine Damen und Herren.
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Und deswegen ist das Verniedlichen von schlimmsten Ideologien, wie die der Reichsbürger, der QAnon und der Anhänger des Nationalsozialismus, dieses strukturelle Verharmlosen von Menschenfeindlichkeit wesensprägend für Ihre politische Organisation, die AfD, meine Damen und Herren.
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Was das für die Frage der Verfassungsfeindlichkeit Ihrer Partei bedeutet, müssen andere, dafür zuständige Behörden und unabhängige Gerichte entscheiden.
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Aber eines weiß ich: Sie sind ein immanenter Teil dieses akuten extremistischen Problems dieses Landes, meine Damen und Herren.
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Sie von der AfD sind sich nicht zu schade, all diesen Extremisten ein politisches Angebot zu machen und ihre ideologischen Motive zu wiederholen und zu verstärken.
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Wenn man Herrn Curio genau zugehört hat, hat man es auch gehört. Es gibt unzählige Zitate, Herr Baumann, bei Höcke, von Storch, Weidel und vielen, vielen anderen Funktionsträgern der AfD,
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die das abwegige, stark antisemitische Narrativ vom großen Bevölkerungsaustausch anteasern, nacherzählen oder bestärken.
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Genau diese abstruse Verschwörungsideologie des Great Reset war in den letzten Jahren immer wieder der Treibstoff für zahlreiche schlimmste Mord- und Terrortaten. Deswegen ist Ihr Mangel an glaubwürdiger Distanzierung hier eine Schande für dieses Haus, meine Damen und Herren.
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Unsere wehrhafte Demokratie ist militanten Verfassungsfeinden entschlossen in die Parade gefahren. Das ist gut so, und dafür bin ich sehr dankbar. Es ist ein erster Schritt.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat Manuel Höferlin für die FDP-Fraktion.
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Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir blicken heute auf Vorkommnisse der letzten Woche, die viele hier in dem Ausmaß sich nicht haben vorstellen können: die Planung eines Umsturzversuches, eines Versuches, die Verfassung, die zentralen demokratischen Werte dieses Landes anzugreifen.
Uns allen muss es eine Warnung sein, mit welcher Akribie diese Pläne im Detail vorbereitet wurden. Da wurden Waffen und Geld besorgt – übrigens nicht nur die 90 Waffen, die direkt bei den Durchsuchungen gefunden wurden. Es gab auch einen weiteren Zugriff auf über 200 Waffen eines Legalwaffenhändlers, der Teil des Netzwerkes war. Da wurden Unterstützer angeworben, Verschwiegenheitserklärungen unterschrieben, in denen vorgesehen war, Verrat zum Teil unter Androhung der Todesstrafe zu ahnden. Da wurden die Aufstellung bewaffneter Einheiten – Heimatschutzkompanien – geplant, Ausrüstungspläne und ein Verpflegungskonzept erstellt, Hierarchien entworfen und eine eigene, neue politische Ordnung auf den Grundfesten des Reichs von 1871 gedanklich aufgebaut. Das alles sollte mithilfe von Gewalt durchgesetzt werden. Der Tod wurde absichtlich in Kauf genommen.
Das alles zeigt, warum man das nicht ins Lächerliche ziehen kann. Ich bin entsetzt darüber, wie Teile der AfD diesen Vorgang immer noch – auch Sie, Herr Baumann, heute Morgen im „Morgenmagazin“ wieder – ins Lächerliche ziehen.
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Es ist ein gravierender Unterschied zu dem, was Sie, Herr Baumann, gesagt haben. Sie haben sich heute Morgen auch als Opfer dargestellt; die Meinungsfreiheit sei gefährdet, und man sei aus Ihrer Ecke eingeschüchtert worden.
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Es ist ein Unterschied, ob man hier sitzen kann wie Sie und die Meinung frei äußern kann – Sie können hier alles sagen, was Sie wollen,
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Sie können darum kämpfen, dass man Ihnen folgt – oder ob man die demokratische Grundordnung mit Waffengewalt bekämpfen will. Manchmal muss man sich fragen: Sind Sie eigentlich der politische Arm der Reichsbürger, oder sind die Reichsbürger der militärische Arm der AfD, meine Damen und Herren?
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Sie mit Ihrer Meinungsfreiheit müssen wir aushalten.
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Die, die mit Gewalt vorgehen, sind eine Sache für die Staatsanwaltschaft. Das ist der Unterschied: Sie müssen wir erdulden. Das andere werden wir nicht ertragen.
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Ja, es gibt einen Unterschied zu dem,
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was in den Gedanken dieser Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker, die sich zusammengetan haben, mit Wollen und Können vielleicht möglich war. Nicht alles, was sie gedacht haben, kann man mit diesen Mitteln anstreben. Der Justizminister hat gesagt: Das ist nicht das Entscheidende, sondern entscheidend ist, dass eine terroristische Vereinigung den Tod in Kauf nimmt; das ist die Anklage.
Ich glaube: Nicht das, was dort gedacht und gesagt wird – wir haben Meinungsfreiheit –, ist die besondere Gefahr, sondern die toxische Mischung dieser Ideologien, gepaart mit militärischen Fähigkeiten von mindestens acht Personen in diesem Netzwerk, mit Personen, die Spezialkenntnisse aus dem militärischen und dem polizeilichen Bereich haben, mit Zugriff auf über 200 Waffen, mit Insiderwissen einer ehemaligen AfD-Abgeordneten bezüglich der Strukturen und Räumlichkeiten hier, mit Planungen in der Detailtiefe, ist das Brandgefährliche dieses Vorgangs. Deswegen bin ich sehr glücklich, dass die Behörden im richtigen Moment zugegriffen und diese Truppe hochgenommen haben.
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Trotz des Erfolgs müssen wir uns sagen: Die Gefahr durch Reichsbürger ist damit nicht gebannt. – Wir müssen uns auch intensiver als bisher die Frage stellen: Wie gehen wir eigentlich mit Menschen, die in diesen Bereich driften, um? Denn es handelt sich eben nicht um breitbeinige Spinnereien am Stammtisch. Es hat sich gezeigt, dass die Verachtung für die demokratische Grundordnung, die hier aus der rechten Ecke des Parlaments immer wieder befeuert wird, auch von vielen Menschen draußen, außerhalb dieses Gebäudes, weitergetragen wird.
Die Feinde dieser Gesellschaft finden wir nicht mehr nur an den Rändern. Wir finden sie unter Richtern, unter Beamten, unter Soldaten, unter Köchen, unter Menschen, die also selbst in unserem Staat leben und einen Eid auf ihn geleistet haben. Ich befürchte, dass wir, wenn diese Reichsbürger dort so agieren und die Feinde der Gesellschaft hier im Parlament sitzen, diese Menschen viel stärker abholen müssen als bisher. Ich bin nicht bereit, zuzulassen, dass Menschen, die diese Verschwörungsideologien weitertragen, an die politische Rechte verloren gehen. Wir müssen darum kämpfen, dass Menschen in Deutschland diesen Staat, diese demokratische Grundordnung schätzen, sie verteidigen und sie nicht mit Gewalt angreifen wollen. Das ist das, was wir mit Entschlossenheit vorantreiben wollen. Das ist das, was die Koalition auch in Zukunft machen wird.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat Michael Breilmann für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute viel von wehrhafter Demokratie gesprochen worden, und es ist heute oft erwähnt worden, dass die demokratischen Parteien zusammenstehen müssen. Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich kann mich nur wundern – und es ist auch wirklich ärgerlich und auch nicht gut für unsere Demokratie –, wenn ich die Rede der Kollegin Kaiser höre und auch die Reden von Vorrednerinnen und Vorrednern, die der Unionsfraktion vorwerfen, sie hätte zu wenig gegen Extremismus getan.
Ich kann Ihnen nur eins sagen: Es war die unionsgeführte Bundesregierung, die einen Kabinettsausschuss gebildet hat, die 89 konkrete Einzelmaßnahmen mit auf den Weg gebracht hat und mehr als 1 Milliarde Euro für die Jahre 2021 bis 2024 zur Verfügung gestellt hat – für den Kampf gegen Rechtsextremismus. Ganz konkret: Wir haben uns von Ihnen nicht belehren zu lassen.
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Wenn wir von wehrhafter Demokratie sprechen, dann sage ich auch, dass eine Regierung dazugehört, die sich bei den richtigen Fragen und Lösungen einig ist.
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Wir haben von der Ministerin heute viel zum Waffenrecht gehört. Das sind aber allgemeine Ankündigungen; das ist nichts Konkretes. Der Bundesjustizminister von der FDP schweigt sich aus. Die FDP-Fraktion lässt über einen Fraktionsvize vermelden, dass man eine generelle Verschärfung des Waffenrechts ablehnt. Sie wollen uns kritisieren, dass wir zu still und zu ruhig waren? Das kann doch wohl nicht wahr sein!
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Es ist auch viel zur AfD gesagt worden. Ich kann nur sagen: Die Debattenbeiträge, aber auch die Zwischenrufe der AfD-Fraktion zeigen, dass Sie von der AfD völlig zu Recht als Verdachtsfall des Verfassungsschutzes eingestuft werden.
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Ich finde, es ist jetzt auch richtig und wichtig, dass Ihre Rolle, die Rolle der AfD-Fraktion als Sammelbecken für sich radikalisierende Gruppen, Stück für Stück weiter offengelegt wird. Denn es gibt keine Gründe zur Verharmlosung der Reichsbürgerszene. Nein! Die Beschuldigten besaßen weitgehende Pläne, scharfe Waffen und nicht unerhebliche Geldmittel. Die Lage ist zwar beherrschbar, aber definitiv nicht harmlos. Das muss man ernst nehmen. Die festgenommenen Personen hätten Schaden anrichten können; die Szene wirbt ja über unzählige Telegram-Kanäle weiter um Sympathisanten.
Denken wir nur – das ist auch gerade angeklungen – an die Todesfälle unter und die Verletzungen von Polizeibeamtinnen und ‑beamten bei vorherigen Aktionen gegen Reichsbürger. Daher an dieser Stelle noch mal: Herzlichen Dank an alle Einsatzkräfte und Sicherheitsbehörden für ihren geleisteten Dienst!
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Ich möchte einen weiteren Dank anschließen. Ich möchte mich, auch im Namen meiner Fraktion, bei Bundestagspräsidentin Bas bedanken. Es ist schon erstaunlich – das wurde vorhin auch schon angesprochen –, dass die wichtigen und wirklich sehr zielführenden Sondersitzungen des Rechts- und Innenausschusses nur gegen den Willen der Ampelkoalitionäre zustande kamen.
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Als Begründung gaben Sie von der Koalition an, den Behörden solle genügend Zeit gegeben werden, um den Sachverhalt aufzuarbeiten. Es ist heute noch mal klar geworden – Sie haben es ja auch selber eingestanden –: Das war ein sehr, sehr schwaches Argument.
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Ich muss nach der Sitzung am Montag sagen: Ich bin in dieser Legislaturperiode noch nie so umfassend,
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auch zeitlich, in einem Gremium von BKA, Generalbundesanwalt und Bundesamt für Verfassungsschutz informiert worden. Das hat Maßstäbe gesetzt, und es bleibt auch hoffentlich so. Aber es war richtig, und es zeigt ja auch noch mal, dass wir handlungsfähig waren und gehandelt haben. Es war richtig so, dass wir diese Sondersitzung als CDU/CSU-Fraktion beantragt haben.
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In dieser Sondersitzung ist im Übrigen auch deutlich geworden – adressiert an Die Linke –: Die Reichsbürger- und Selbstverwalterszene ist schon eine sehr, sehr eigene, ganz besondere Mischung von Personen, die gefährlich ist. Es ist eine Mischung von ganz verschiedenen Charakteren: Verschwörungstheoretikern, QAnon-Gläubigen, Querdenkern – auch aus der Mitte der Gesellschaft. Die Sicherheitsbehörden schätzen, dass von den 22 000 bis 23 000 Personen im Szenebereich circa 5 Prozent klassische Rechtsextreme sind. Deswegen sollten wir nicht so tun, als seien das alles Rechtsextreme und könnten wir die Reichsbürgerszene pauschal mit dem Etikett „Rechtsextremismus“ versehen; das wäre fatal. Wir brauchen einen 360-Grad-Blick.
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Eines möchte ich noch zum Schluss sagen: Unsere Demokratie ist wehrhaft. Demokratie lebt, wenn die Bürgerinnen und Bürger für sie eintreten und starke Stimmen sie verteidigen; deswegen sollten wir alle gemeinsam als Demokraten handeln.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Dirk Wiese hat das Wort für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! In der vergangenen Woche hat dieser Staat gezeigt, hat diese Demokratie, dieser Rechtsstaat deutlich gemacht, dass diese Demokratie gegen die Feinde dieser Republik, gegen die Feinde einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, gegen die, die ein anderes Deutschland wollen, eine andere Grundordnung wollen, wehrhaft ist.
Ich bin allen – das ist heute hier in dieser Debatte oft gesagt worden –, die in der letzten Woche dazu beigetragen haben, insbesondere denjenigen aus den Sicherheitsdiensten, denjenigen aus der Polizei, dankbar, dass das aufgedeckt worden ist und das, was sie vorhatten, verhindert worden ist. Da gebührt allen unser Dank.
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Helmut Schmidt hat einmal gesagt:
Mir liegt eine doppelte Einsicht am Herzen: erstens, dass unsere offene Gesellschaft und Demokratie mit vielen Unvollkommenheiten behaftet sind und alle Politiker von allzu menschlichen Schwächen gekennzeichnet bleiben. Es wäre ein … Irrtum, unsere … Demokratie zum reinen Ideal zu erheben. Das ist sie nicht.
Aber er hat zweitens gesagt, und das ist entscheidend:
Gleichwohl haben wir Deutschen – unserer katastrophalen Geschichte wegen – allen Grund, mit Zähigkeit an der Demokratie festzuhalten, sie immer wieder zu erneuern und immer wieder ihren Feinden tapfer entgegenzutreten.
Wir sind alle gefordert, das gemeinsam zu machen. Da sind wir alle in diesem Land gefordert.
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Ich will das ganz deutlich sagen, weil Herr Baumann an der einen oder anderen Stelle Zitate von Otto Schily nicht ganz lesen kann. Herr Baumann, ich will Ihnen mal eins sagen: Die SPD wird im kommenden Jahr 160 Jahre alt. Seit 160 Jahren wissen wir, dass der Feind dieser Republik rechts steht.
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Ich kann Ihnen sagen: Wenn Otto Schily im hohen Alter heute diese Debatte gehört hat und wenn er gehört hat, was Sie hier reingerufen haben, dann würde er seinen Helm und seinen Knüppel wieder rausholen. Er weiß, wo der Feind dieser Republik steht.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, lassen Sie mich auf ein, zwei Punkte auch noch mal eingehen: Am vergangenen Mittwoch gab es eine Unterrichtung aller Fraktionen, auch Ihrer. Ich bin Ihnen auch durchaus dankbar, dass Sie die Sondersitzungen gerade noch mal erwähnt und hervorgehoben haben; denn – das hat man ja in den letzten 48 Stunden auch gemerkt – viele von Ihnen in der Unionsfraktion haben durch diese Sondersitzungen, glaube ich, erst mal gemerkt, was da letzte Woche vorgefallen ist.
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Das will ich noch mal eindeutig unterstreichen. Ein Fraktionsvorsitzender der CDU
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hat Ende 2021 in der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt: Bei der Abgrenzung nach rechts sind wir konsequent. – Dass man dann in so einer Situation fünf Tage lang schweigt, das geht nicht. Das halte ich für ein Unding.
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Jetzt will ich auch noch mal ganz kurz auf Herrn Breilmann eingehen. Herr Breilmann, Sie sind erst seit Oktober 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages und haben hier gerade versucht, einige Punkte auf Zuruf klarzustellen.
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Ich war in der letzten Legislaturperiode bei vielen Gesprächen mit dem Bundesinnenministerium und bei vielen Gesprächen mit den Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion dabei. Ich muss das noch mal deutlich unterstreichen: Am Ende der letzten Legislaturperiode, als wir den Maßnahmenplan zur Bekämpfung des Rechtsextremismus in Teilen umsetzen wollten, als wir das Demokratiefördergesetz einführen sollten, da hätte Horst Seehofer lieber auf dieser Seite des Hauses gesessen und hat sich in Teilen für Ihre Fraktion geschämt,
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weil Sie nicht mitgemacht haben, diese Dinge umzusetzen; das gehört heute zur Ehrlichkeit mit dazu.
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Sehr geehrter Herr Innenminister Beuth, ich bin dankbar, dass Sie heute hier in dieser Debatte das Wort ergriffen haben und noch mal einiges sehr deutlich gemacht haben im gemeinsamen Kampf, dem wir gegenüberstehen. Ich glaube aber, dass ein bisschen Selbstkritik angebracht ist. Hessen, insbesondere das hessische Innenministerium, ist nicht das Beispiel, das in den vergangenen Jahren durch Transparenz und Aufklärung im Kampf gegen rechts die Vorreiterrolle eingenommen hat.
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Ich glaube, da ist bei Ihnen einiges zu tun. Wenn Sie heute hier das Versprechen abgeben, dass es besser wird, dass besser ausgeführt wird, dann ist das, glaube ich, schon ein Erkenntnisgewinn an sich.
Von daher ist jetzt die entscheidende Frage, was wir tun wollen und was wir tun müssen. Wir müssen uns sicherlich das Sicherheitskonzept hier im Bundestag noch mal sehr genau anschauen. Wir wollen das Demokratiefördergesetz, was heute auf den Weg gebracht worden ist, zügig verabschieden.
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Wir wollen gleichzeitig beim Disziplinarrecht sehr genau hinschauen. Verfassungsfeinde müssen leichter aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden und das auch durch Verwaltungsakt.
Aber ich sage auch ganz deutlich: Wir wollen auch beim Waffenrecht hinschauen. Da, wo Lücken sind, wollen wir diese schließen; das ist richtig, und das müssen wir auch gemeinsam angehen.
Lassen Sie mich zu guter Letzt noch einen Satz sagen, weil ich doch ziemlich schockiert war über die Rede des Kollegen Helferich. Die deutsche Rechte im Jahr 2022 ist eine bizarre Kreuzung von Stahlhelm und Aluhut. Das, was Sie hier geredet haben, ist dieses Hauses unwürdig. Sie sind aus Ihrer eigenen Fraktion ausgeschlossen worden.
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Und das Schlimme ist: Sie haben alle applaudiert, und das macht einen fassungslos.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir das letzte Mal hier im Plenum über Moldau gesprochen haben, war April. Die Premierministerin Natalia Gavrilita war zu Besuch im Bundestag und hat uns von den Ängsten und Bedürfnissen der Menschen in ihrem Land berichtet.
Schon damals tobte der brutale Angriffskrieg gegen die benachbarte Ukraine. Es waren schon zu diesem Zeitpunkt Tausende Menschen aus der Ukraine angekommen, die in Moldau aufgenommen und versorgt wurden. Der Druck auf die demokratische, proeuropäische Regierung wuchs schon damals auf Betreiben Russlands enorm an. Moldau, das ärmste Land Europas, hatte schon damals zu kämpfen und hat gekämpft und tut dies immer noch. Wir stehen dabei an Moldaus Seite.
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Gemeinsam mit unseren internationalen Partnerinnen und Partnern haben wir schon im Frühjahr mehr als 650 Millionen Euro bereitgestellt. Aber das war im Frühling, liebe Kolleginnen und Kollegen. Jetzt ist Winter, und in Chisinau ist es bitterkalt. Im November wurden Gasimporte aus Russland halbiert. Die Lieferung des gesamten Stroms aus dem russisch-gestützten Transnistrien wurde komplett gestoppt – ganze 70 Prozent der landesweiten Versorgung. Familien bezahlen bis zu drei Viertel ihres Einkommens für ihre Energiekosten. Straßenlampen müssen ausgestellt werden. Lebensmittelpreise steigen. Die Inflation steht bei 34 Prozent.
Die russische Einflussnahme, liebe Kolleginnen und Kollegen, hinter all diesen Entwicklungen ist nicht versteckt, sondern ziemlich offensichtlich. Was wir hier sehen, ist Erpressung auf dem Rücken der Menschen, dem Rücken der armen Menschen. Der Schaden, den die Menschen davontragen, bietet Nährboden für die prorussische Opposition, die schon seit Amtsantritt versucht, die Regierung um Maia Sandu zu destabilisieren. In Moldau versucht Russland einen weiteren Krisenherd in Europa zu schaffen und unsere Solidarität zu testen.
Moldau ist heute geschwächt und wird gerade vor unseren Augen Opfer des russischen Energiekrieges. Aber was sich seit dem Frühjahr geändert hat, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist, dass Moldau heute offiziell Beitrittskandidatin der EU ist. Das ist gut für Moldau, und das ist gut für Europa.
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Das gibt uns ein Momentum, unsere außenpolitischen Bemühungen mit Moldau weiter auszubauen. Wir unterstützen die Menschen in Moldau in ihrem Wunsch nach mehr Demokratie, Bekämpfung der Oligarchen, mehr Rechtsstaatlichkeit und einem Ende der Korruption. Wir zeigen mehr europäische Solidarität gegen russische Erpressung.
Das machen wir auch mit finanzieller Unterstützung. Ende November erst haben Annalena Baerbock und Svenja Schulze bei der bereits dritten Geberkonferenz weitere Gelder für die Unterstützung Moldaus zugesichert. Die internationale Konferenz gibt nun mehr als 1,5 Milliarden Euro. Damit sollen unter anderem Energieeffizienz und erneuerbare Energien gestärkt werden; denn in Moldau sehen wir ganz akut, dass Energiesicherheit eine Kernfrage von einem integrierten Sicherheitsbegriff ist. Auch die anhaltende Hilfe, die Moldau für die Geflüchteten aus der Ukraine leistet, soll weiterhin gestützt werden: kurzfristig im zentralen Krisenmanagement und langfristig in der Integration der Menschen, die in Moldau bleiben werden.
Wie wir nun weitermachen sollten, ist für mich ganz klar: Wir unterstützen Moldaus Resilienz und stärken den Weg aus der russischen Energieabhängigkeit. Überall dort, wo wir unsere Partner/-innen vor Putin schützen können, leisten wir einen Beitrag zur Sicherheit. Wir tun dies für die Menschen in Moldau, aber auch aus ureigenem Interesse; denn Putins Krieg richtet sich eben nicht nur gegen die Ukraine, die Aggressionen nicht nur gegen Moldau, sondern gegen Demokratinnen und Demokraten.
Bei den notwendigen Schritten für einen schnellen EU-Beitritt stehen wir an Moldaus Seite. In den aktuellen Krisen begleiten wir weiterhin Justiz- und Verwaltungsreformen. Wir unterstützen den Kampf gegen Menschenrechtsverstöße wie Diskriminierung von Roma oder Gewalt gegen Frauen oder die LGBTQI-Community. Wir setzen uns ebenso für eine bessere Anbindung Moldaus an die EU ein – über Schieneninfrastruktur ebenso wie über klima- und energiepolitische Kooperation. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich um die Unterstützung unseres Antrags: um all diese Bemühungen aufrechtzuerhalten und weiter zu stärken.
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Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es fällt einem doch wirklich schwer, sich hier im warmen Herzen Berlins, in diesem gut geheizten Plenarsaal, vorzustellen, wie dramatisch die Lage in der Republik Moldau ist. Merle Spellerberg hat gerade schon auf die Stromausfälle, die es dort gibt, hingewiesen – eine direkte Folge der Raketeneinschläge in der Ukraine. Das Land ist schwer getroffen von dem Krieg: die Stromausfälle, die externe Sicherheitslage, russische Desinformation und Subversion, der Wirtschaftseinbruch – wir haben es gehört –, die Inflation von mehr als 30 Prozent. Unter all diesen Problemen ist aber ganz sicher die Energiekrise die schwierigste. Die Menschen in Moldau zahlen Energiepreise so hoch wie unsere hier in Deutschland, aber mit Durchschnittseinkommen von 400 bis 500 Euro. Die Regierung versucht alles, um die Menschen zu entlasten; aber es fehlen schlicht die finanziellen Mittel.
Warum ist es jetzt so wichtig, Moldau zu unterstützen? Es geht um noch mehr. Die proeuropäische Regierung unter Präsidentin Maia Sandu arbeitet entschlossen, leistet Enormes, das Land wirklich zu reformieren und in die Europäische Union zu führen. Das sind richtig gute Leute, die unsere Unterstützung brauchen.
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Die Verleihung des EU-Kandidatenstatus war eine epochale Entscheidung. Jetzt gilt es, dieses Momentum zu erhalten, wichtige Zwischenschritte zu gehen, etwa die schrittweise Zulassung in den EU-Binnenmarkt. Es darf auf jeden Fall eines nicht geben: eine zweite Hängepartie, wie wir sie beim westlichen Balkan leider haben sehen müssen.
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Seien wir auch gewarnt: Wenn die Regierung es nicht schafft, die Menschen mitzunehmen, und scheitert, würden die Folgen für alle in Europa schlimm; denn wir wollen uns nicht vorstellen, was eine prorussische Regierung in einem Land nur 50 Kilometer von Odessa entfernt und mit russischen Soldaten auf dem Staatsgebiet, nämlich in Transnistrien, für die Sicherheit der Ukraine und der ganzen EU bedeuten würde.
In dieser schwierigen Situation schaut Moldau auf uns. Eine ganz wichtige Rolle bei der Stabilisierung der moldauischen Demokratie spielen übrigens unsere politischen Stiftungen. Die Konrad-Adenauer-Stiftung zum Beispiel hat im moldauischen Staatsfernsehen eine Talkshow etabliert, in der regelmäßig auf Russisch russische Desinformation demontiert wird.
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Das ist, finde ich, eine ganz großartige Sache. Das sollten wir noch mehr unterstützen.
Der vorliegende Antrag beinhaltet viele gute Ideen. Irgendwie erinnert mich das Ganze aber an den April, Frau Spellerberg; da haben wir nämlich unseren Antrag besprochen. Wir hätten das alles viel früher haben können, nämlich am 7. April, und auch ein bisschen besser und präziser.
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Denn Hilfe darf nicht nur angekündigt werden, sie muss auch bei den Menschen ankommen.
Die Solidaritätsplattform für Moldau, Frau Ministerin, ist eine wirklich sehr gute Sache. Sie hat – wir haben es schon gehört – 659 Millionen Euro zugesagt. Allerdings – und das ist ein Problem – gibt es kein Forum, keine Plattform, die wirklich kontrolliert, ob diese Gelder tatsächlich ankommen. Die moldauische Regierung jedenfalls hat äußerste Schwierigkeiten, das zu überblicken. Sind denn die im April von der Bundesrepublik zugesagten 50 Millionen Euro wirklich dort angekommen? Auf jeden Fall müssen wir aufhören, mit Zahlen Verwirrung zu stiften. Im Antrag werden 615 Millionen Euro zusätzlich genannt. Dem ist nicht so.
Ganz klar ist: Die Hilfe muss jetzt kommen. Der Winter ist da. Dieser Antrag ist okay, und er verdient hier unsere Unterstützung.
Vielen Dank.
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Für die SPD-Fraktion ist der nächste Redner der Kollege Johannes Schraps.
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Vielen Dank. – Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wenn wir uns nach dieser letzten Sitzungswoche alle so langsam auf den Weg in unsere Wahlkreise machen, dann müssen wir auf ein extrem schwieriges Jahr zurückblicken. Ich denke, die meisten von uns hegen zu Recht die Hoffnung, dass wir vielleicht zum Ende dieses intensiven Jahres zumindest ein bisschen zur Ruhe zu kommen.
Wenn aber wahrscheinlich die meisten oder viele von uns am 24. Dezember zu Hause vor dem Weihnachtsbaum sitzen, dann wird der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine genau zehn Monate andauern. Dieser Krieg stellt unsere gesamte europäische Gemeinschaft schon seit vielen Monaten vor eine schwere Bewährungsprobe. Diese Zeitenwende hat uns gezwungen, sicher geglaubte Gewissheiten zu überdenken, beispielsweise unsere Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik neu zu definieren. Unser Fokus richtet sich dabei zu Recht auf die Ukraine, und dabei ist jede mögliche Hilfe für dieses angegriffene Land nicht nur notwendig, sondern auch ganz klar völkerrechtlich legitimiert, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
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Ein wichtiges Signal – das wurde angesprochen – war in diesem Zusammenhang die Verleihung des Kandidatenstatus für den Beitritt zur Europäischen Union an die Ukraine, aber eben auch an die Republik Moldau. Dieses kleine Land, das sich geografisch zwischen der Ukraine und Rumänien befindet, fliegt in der Wahrnehmung durch den zu Recht starken Fokus auf die Ukraine manchmal ein bisschen unter dem Radar. Mit diesem sehr detaillierten Antrag machen wir als Bundestag noch einmal ganz bewusst deutlich, dass wir die Republik Moldau als EU-Beitrittskandidaten weiter intensiv unterstützen wollen,
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und zwar sowohl auf dem Weg zu einem zukünftigen Beitritt zur Europäischen Union als auch bei den aktuellen Herausforderungen, die das Land durch den russischen Angriffskrieg zu tragen hat.
Die Moldau ist auch deshalb besonders vom Krieg betroffen – das hat Kollegin Spellerberg schon angesprochen –, weil die Energieversorgung zu 100 Prozent von russischem Gas abhängt. Stark vereinfacht könnte man sagen, dass Gazprom mehr oder weniger für lau Gas an die De-facto-Führung des moldauischen Landesteils Transnistrien abgibt. Von dort wird es dann als Gas oder umgewandelt in Strom über das einzige Kraftwerk des Landes zu derart günstigen Preisen an den Rest der Republik Moldau weiterverkauft, dass sich andere Versorgungswege eigentlich nicht rechnen, weil die Marktpreise immer leicht unterboten werden können – und das ausschließlich, um die Abhängigkeit von russischem Gas und den damit verbundenen Einfluss Russlands zu erhalten. Das müssen wir verhindern. Gerade deshalb ist es ausgesprochen wichtig, dass die alternativen Verbindungen zwischen der Moldau und Rumänien, zwischen der Europäischen Union und der Moldau von EU-Seite aus weiter ausgebaut werden und so die Abhängigkeit der Moldau von russischen Energieträgern langfristig abgebaut wird, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
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Für die Regierung der Moldau ist das natürlich mit immensen finanziellen Belastungen verbunden. Deshalb ist wichtig, dass bei den Geberkonferenzen zur Unterstützung der Moldau bereits umfangreiche Kredite und Budgethilfen zusammengekommen sind. Bereits im Sommer gab es internationale Hilfen in Höhe von knapp 700 Millionen Euro, davon etwa 90 Millionen Euro aus Deutschland. Kommissionspräsidentin von der Leyen hat Mitte November angekündigt, dass weitere 250 Millionen Euro an Krediten und Budgethilfen von EU-Seite zur Verfügung gestellt werden sollen. Diese Hilfe ist notwendig und muss so lange zur Verfügung gestellt werden, bis die Energiekrise der Republik Moldau überwunden ist, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
Wenn wir über Inflation und Preissteigerungen sprechen, dann können wir in Deutschland beim Blick in andere Länder ganz grundsätzlich sehr dankbar sein, vor allem dafür, dass wir hier die finanziellen Möglichkeiten haben und sie auch nutzen, um die Auswirkungen der Inflation mit zahlreichen gesetzgeberischen Maßnahmen zumindest einigermaßen einzudämmen. Die Inflation in der Republik Moldau liegt in diesem Jahr allerdings bei deutlich über 30 Prozent. Das sind mehr als dreimal so hohe Preissteigerungen, wie wir sie in Deutschland tagtäglich wahrgenommen haben – und das in einem Land mit gerade mal 2,5 Millionen Einwohnern, die in den ersten Kriegsmonaten circa eine halbe Million Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen haben. Das muss man sich immer wieder vor Augen führen. Deshalb sind Hilfe und Unterstützung absolut notwendig.
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Der russische Angriffskrieg hat uns auch noch einmal überdeutlich vor Augen geführt, wie wichtig es ist, die Grundlagen unserer Demokratie und deren Grundwerte mit allem, was wir haben, zu verteidigen, und wie wichtig es ist, dass die europäische Staatengemeinschaft, die gemeinsam für diese demokratischen Grundlagen eintritt und sie verteidigt, aus mehr Ländern als den 27 EU-Mitgliedstaaten besteht.
Zweifelsohne braucht es zahlreiche Schritte, bis sich der Beitritt der Kandidatenländer verwirklichen lässt. Im Lissabonner Vertrag und mit den Kopenhagener Kriterien sind sie klar festgelegt, und die Reform der Justiz und der Kampf gegen Korruption gehören sicher zu den drängendsten Themen. Diese Schritte hin zu einer EU-Mitgliedschaft sollten wir aber nicht als Hürde betrachten, sondern viel mehr als Potenzial, um peu à peu eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit aufzubauen. Die proeuropäische Regierung mit Präsidentin Maia Sandu gibt mit ihrem ambitionierten Aktionsplan dabei allen Grund für Optimismus, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
Unser Koalitionsantrag beinhaltet die klare Aussage zur Unterstützung, verbunden aber auch mit Forderungen an unsere Bundesregierung. Dazu gehört neben Budgethilfen für die Überwindung der finanziellen Herausforderungen auch ein fortgesetztes Engagement für einen Dialog zur territorialen Integrität der Republik Moldau bezüglich der transnistrischen Region. Gerade in Anwesenheit von Botschafter Ciocoi auf der Tribüne möchte ich gerne noch ganz ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir die gesellschaftlichen Aspekte bei der weiteren EU-Annäherung nicht vergessen dürfen. Deswegen haben wir die Intensivierung von Jugendaustauschen und wissenschaftlicher und kultureller Kooperation –
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
– explizit in diesem Antrag benannt. Das sind viele Herausforderungen, die es gemeinsam zu meistern gilt, aber vor allem auch viele Chancen, die wir gemeinsam ergreifen können. Im Ausschuss haben Sie von der CDU/CSU diesem Antrag zugestimmt.
Herr Kollege, Sie haben noch einen Satz.
Ich hoffe, dass wir auch hier im Plenum eine breite Unterstützung für die Moldau ausdrücken können, die deutlich über die regierungstragenden Fraktionen hinausgeht.
Vielen herzlichen Dank fürs Zuhören und noch einen angenehmen Abend.
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Vielen Dank, Herr Kollege Schraps. – Der Kollege Funke kann sich schon mal darauf einstellen, dass er eine Minute weniger Redezeit hat.
Nächster Redner ist der Kollege Matthias Moosdorf, AfD-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Noch im Frühling dieses Jahres haben wir die kluge und hilfsbereite Politik Moldaus begrüßt und bewundert. Dieses kleine Land mit seiner kurzen, aber schwierigen Geschichte als Staat hatte manchen Pragmatismus, den wir hier eigentlich immer vermissen lassen. Aber Moldawien ist eben auch direkt vergleichbar mit der Ukraine; denn es ist ein Vielvölkerstaat. Interessenausgleich und Toleranz sind überlebenswichtig.
Moldawien hat sich in die Verfassung geschrieben, ein neutraler Staat zu sein. Seit 2020 führt die in den USA ausgebildete und eng mit George Soros verbundene Politikerin Maia Sandu das Land stringent in Richtung Westen. Sie hat eine – Zitat – „Säuberung der Justiz“ angekündigt, was bei uns nur positiv und als Kampf gegen Korruption dargestellt wurde. In Wahrheit ging es um eine Zementierung des Westkurses und eine Entfernung aller Gegner, die die Neutralität erhalten wollen. Sandu selbst bat für die anstehenden Reformen um Unterstützung und hat dabei die USA als wichtigsten strategischen Partner bezeichnet. Gegen diesen Kurs regt sich nun immer mehr Widerstand. Seit Mai gibt es im ganzen Land regelmäßig Demonstrationen.
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Meine Damen und Herren, in Kiew wurden am 21. März 2022 elf Oppositionsparteien verboten. In Moldau wurde Ende Mai der Oppositionsführer und ehemalige Präsident Dodon zunächst verhaftet und dann unter Hausarrest gestellt. Sandu verfolgt mehrere Ziele: Erstens will sie offenbar, notfalls auch gewaltsam, die Kontrolle über Transnistrien zurückbekommen.
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Dort leben mehrheitlich Russen. Zweitens bezeichnet sie Moldawisch nicht als Sprache. Sie sagt, es sei in Wahrheit Rumänisch. Sie hat auch einen rumänischen Pass.
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Das ist die Ausgangslage.
Mit den Sanktionen des Westens sind auch in Moldau, wie fast überall in Europa, die Preise für Strom und Heizung explodiert, obwohl es eine Einigung mit Gazprom über sehr niedrige Preise gegeben hat. Diese Einigung war nur an eine pünktliche Zahlung der offenen Rechnungen von 700 Millionen Euro gekoppelt. Das wird von Sandu verweigert. Stattdessen wird Gas und Strom sehr viel teurer aus EU-Ländern eingeführt.
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Zu den exorbitanten Preissteigerungen erreicht die Inflation mit 34 Prozent auf Jahresbasis zum ersten Mal seit den 1990er-Jahren einen Rekordwert. So gehen die Bürger eines der ärmsten Länder Europas mit der Angst in den Winter, dass sich ein Zusammenbruch wie am Ende der Sowjetunion mit einer kollabierenden Wirtschaft, mit grassierender Arbeitslosigkeit, Strom- und Gassperren und einem militärischen Konflikt am Dnjestr wiederholen könnte.
Umfragen der letzten Monate zeigen, dass die Popularität der Regierungspartei um 20 Prozent an Zustimmung verloren hat und sie auf den zweiten Platz abgerutscht ist. Der oppositionelle Block könnte in Neuwahlen 60 Prozent erreichen. In Umfragen sind 75 Prozent mit der Leistung der derzeitigen Regierung unzufrieden. Und Sandu? Sie sagt über Bürger, die mit Russland sympathisieren – Zitat –: Um diese Leute sollten sich staatliche Institutionen kümmern, weil sie eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen. – Russische Nachrichten und TV-Programme wurden verboten. Ihre Sprache ist keine Amtssprache mehr.
Der Weg in Richtung EU, in Richtung Europa wird zu einer Vorstufe auf dem Weg in die NATO gesehen. Mit dem ersten Ziel ginge Russland mit; das zweite tangiert ähnliche russische Interessen wie in der Ukraine. Es würde wohl auch hier Krieg bedeuten. Der ukrainische Präsident Selenskyj goss Öl ins Feuer, als er in Zagreb vorschlug, eine Plattform für die Reokkupation von Transnistrien zu schaffen. Die EU treibt somit Moldau mit einer Schwarz-Weiß-Politik in den Blackout, in eine Schuldenfalle und eigentlich sogar in den Krieg.
Es scheint wenig Hoffnung zu geben, dass die Regierung in Moldau aus ihren Fehlern lernen wird. Es scheint aber auch, liebe Kollegen, wenig Hoffnung zu geben, dass Europa diesem Land wirklich helfen will. Eine Frontstellung im Kampf gegen Russland wird es jedenfalls nicht überleben, nicht wirtschaftlich und schon gar nicht politisch. Beides aber haben wir in der Hand. Ihren Antrag lehnen wir deswegen ab.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Anikó Glogowski-Merten, FDP-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Botschafter! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aufgrund der Rednerliste ist es meistens die Aufgabe der Freien Demokraten, ein bisschen was von dem richtigzustellen, was Vorredner gesagt haben. Mehr sage ich an der Stelle nicht dazu.
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Die mutmaßliche Peripherie Europas rückt näher ins Zentrum. Die Republik Moldau ist dafür ein ausgezeichnetes Beispiel. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zwingt die EU, aber auch die Bundesrepublik Deutschland, sich mit den sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Interessen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft realpolitisch auseinanderzusetzen. Staaten wie beispielsweise die Republik Moldau, Georgien und Armenien kristallisieren sich dabei zunehmend als Schlüsselstaaten für unsere energie- und sicherheitspolitische Zukunft heraus. Wenn wir heute die Weichen richtig stellen, meine Damen und Herren, dann werden die Länder des Kaukasus und des postsowjetischen Raumes wertvolle Alliierte bei der Bewältigung der großen geo- und energiepolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sein.
Die Anbindung der Republik Moldau an die Europäische Union ist mit immensen Herausforderungen für beide Seiten verbunden, aber auch mit großen Chancen. Weil Chisinau weit weg von Berlin ist, erlauben Sie mir, Ihnen die Republik Moldau kurz etwas näherzubringen: Moldau ist ein kleines Land an der Grenze Südosteuropas. Mit 2,6 Millionen Einwohnern und einer überwiegend landwirtschaftlich geprägten Struktur gehört es zu den Staaten des postsowjetischen Raumes, die in der jüngeren Vergangenheit in internationalen Kontexten eine eher geringere Rolle spielten.
Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, mit der „Zeitenwende“ wurde die Republik Moldau plötzlich auf die weltpolitische Bühne katapultiert. Moldau hat bekanntermaßen pro Kopf mehr Menschen aus seinem Nachbarland Ukraine aufgenommen als jedes andere Land. Solidarität und Unterstützung mit dem ukrainischen Volk sind trotz der hohen Kosten für das kleine Land immens.
Auch der Reformwille in der Republik Moldau ist erheblich. In den vergangenen Jahren wurde bereits viel in Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sowie in die Bekämpfung von Korruption investiert. Die Republik Moldau hat ein dezidiertes Eigeninteresse daran, die Kopenhagener Kriterien als Bedingung für den Beitritt zur Europäischen Union zu erfüllen. Institutionelle Stabilität, die Wahrung einer funktionierenden demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung, die Achtung und der Schutz von Menschen- und Bürgerrechten sowie eine funktionierende Marktwirtschaft sind Maßstäbe, die eine engere Anbindung Moldaus an die Europäische Union und an den europäischen Binnenmarkt bereits lange vor der Verschärfung der sicherheitspolitischen Lage in Südosteuropa attraktiv machten.
Moldau ist ein Staat im Wandel – hin zu einer liberaleren, offeneren und moderneren Gesellschaft – und im Übrigen nicht zufällig das einzige Land in Europa, das mit der Präsidentin Maia Sandu und der Ministerpräsidentin Natalia Gavrilita von zwei Frauen an der Spitze geführt wird.
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Die Republik Moldau, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann auf dem Weg nach Europa jede Hilfe brauchen. Die energiepolitische Abhängigkeit von Russland ist groß. Der Druck, den Russland mittelbar durch den Krieg gegen die Ukraine auch auf Moldaus Energieversorgung ausübt, ist groß. Auch dort wird der Energiekrieg, den wir alle spüren, geführt. Die Bekämpfung von Armut und Korruption sowie die in Teilen bereits durch russische Separatisten kompromittierte territoriale Integrität werden weiterhin große Hürden für eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union bleiben. Doch die Republik Moldau verdient unsere Unterstützung und unsere Solidarität bei der Bewältigung dieser rechtsstaatlichen Herausforderungen. Unsere Außenministerin hat zusammen mit der internationalen Staatengemeinschaft deshalb bereits im Rahmen mehrerer Geberkonferenzen mehrere Milliarden Euro an Finanzhilfen und Budgethilfen akquiriert.
Auch wir, meine Damen und Herren – das haben die vergangenen Monate uns allen eindrücklich vor Augen geführt –, sind angewiesen auf verlässliche Partnerschaften in unserer europäischen Nachbarschaft. Wir brauchen dringend alliierte, moderne und demokratische Gesellschaften wie die der Republik Moldau, wo die Menschen bereit sind, sich den oligarchischen Strukturen eines rückwärtsgewandten Putinismus zu widersetzen. Wir brauchen Partner im postsowjetischen Raum, die in Liberalismus, Demokratie und Menschenrechten, den Grundpfeilern, auf denen die Europäische Union fußt, die Chance auf eine bessere Zukunft in einem geeinten, friedlichen Europa sehen.
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Die Geschichte lehrt uns, dass Europa und die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Nachbarschaft größere sicherheitspolitische Verantwortung übernehmen müssen. Das gilt für den Kaukasus, das gilt für den Westbalkan, und das gilt für Südosteuropa. Es ist in unserem ureigenen energiepolitischen, sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Interesse, den nach Europa strebenden Gesellschaften des postsowjetischen Raumes langfristige Perspektiven der Anbindung und Kooperation mit und vor allem in Europa zu bieten. In diesem Sinne ist unser Antrag als Zeichen zu verstehen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Glogowski-Merten. – Als Nächste hat das Wort die Kollegin Sevim Dağdelen, Fraktion Die Linke.
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Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es liegt uns heute ein Antrag der Ampel vor, in dem direkte Budgethilfen für die Republik Moldau gefordert werden. Ich kann Ihnen sagen, dass wir diese Hilfen besonders vor dem Hintergrund der außerordentlich schwierigen wirtschaftlichen Lage des Landes ausdrücklich begrüßen.
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Diese Hilfen können einen Beitrag leisten – hoffentlich werden sie diesen Beitrag auch leisten –, damit es nicht zum völligen Zusammenbruch der staatlichen Strukturen kommt.
Natürlich hoffen wir, dass Ihre Hilfszusage auch für den Fall gilt, dass es in Moldau wieder zu einem Regierungswechsel in Richtung sozialistische Partei kommen sollte, die ja einen Mittelweg zwischen Moskau und dem Westen sucht. Wenn es Ihnen wirklich um die Menschen im Land geht, dann darf die politische Zusammensetzung der Regierung keine Bedingung sein.
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Wenn es Ihnen wirklich um die Menschen geht, dann darf es auch keine Rolle spielen, ob eine Regierung die Neutralität und Unabhängigkeit des Landes erhalten will. Natürlich müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, wie fragil die Verhältnisse im Land sind. Wie Sie wissen, gibt es Massendemonstrationen gegen die aktuelle prowestliche Regierung. Kritiker sagen, die Führung in Moldau zähle zu den unpopulärsten Regierungen in ganz Europa.
Die Budgethilfen sind gut. Schlimm an Ihrem Antrag ist, dass Sie das, was Sie mit den Finanzhilfen für den Erhalt des Staates leisten, wieder einreißen, indem Sie Moldau an die EU-Militärpolitik anschließen wollen. Damit verletzen Sie nicht nur die verfassungsrechtlich verankerte Neutralität des Landes. Es geht hier auch um die Fundamente der Staatlichkeit Moldaus. Lesen Sie Ihren Antrag; das steht im Forderungskatalog.
Mit der Politik des Anschlusses an den EU-Militärpakt fördern Sie die Fliehkräfte in Moldau. Und da spreche ich nicht nur von Transnistrien; das gilt auch für den Nordosten und für das autonome Gebiet Gagausien mit seiner türkischsprachigen Minderheit im Süden. Sie rufen damit Kräfte auf den Plan, die eine Aufkündigung der Versprechen sehen, die bei Gründung des Staates gegeben wurden. Nur zur Erinnerung: Sollte sich der neutrale Status der Republik Moldau ändern, kommt Gagausien ausdrücklich das Recht auf Selbstbestimmung zu. Eine deutsche Außenpolitik, die sich im Feuerlöschfahrzeug wähnt und zugleich mit Benzin hantiert, ist in der Tat brandgefährlich.
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Es wäre wirklich viel gewonnen, wenn Sie nur ein einziges Mal über die möglichen Folgen Ihres Handelns nachdenken würden. Es wäre jedenfalls verheerend, wenn diese Bundesregierung jetzt dazu beitrüge, den nächsten Konflikt in Europa mit auszulösen durch die Anbindung an den EU-Militärpakt.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Alexander Radwan, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Durch den Krieg Putins in der Ukraine ist in Europa die Realität des Krieges zurück. Moldau ist – das wurde schon mehrfach erwähnt – ein Staat an der Grenze zur Ukraine, der sehr viel leistet, der sehr viel Solidarität gegenüber den Flüchtlingen aufbringt und von daher unsere volle Unterstützung und auch mutige Entscheidungen braucht.
Wir als Union haben bereits am 7. April 2022 einen entsprechenden Antrag eingebracht – die Vorredner haben darauf hingewiesen –, in dem wir für Moldau zum Beispiel den EU-Kandidatenstatus gefordert haben. Heute ist die Bundesregierung so weit, einen entsprechenden Antrag einzubringen; im April wurde bereits darüber entschieden. Das ist ein bisschen langsam und träge, meine Damen und Herren.
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Wenn wir zurückschauen, ist die Osterweiterung ein gutes Beispiel dafür, wie man ein Zeitfenster nutzt. Viele haben das mit Skepsis begleitet. Noch heute ist die eine oder andere Diskussion mit Mitgliedern innerhalb der Europäischen Union sehr schwierig; stellvertretend nenne ich hier Ungarn. Nichtsdestotrotz, Frau Außenministerin, bin ich froh, dass die Staaten Osteuropas heute Mitglied der Europäischen Union sind. Das ist ein Raum der Stabilität, ein Raum des Friedens. Das ist wichtig. Darum ist es notwendig, hier mutige Entscheidungen zu treffen.
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Heute haben wir neun Staaten – Westbalkan, Georgien, Ukraine und Moldau –, die in die Europäische Union möchten. Was mich an diesem Antrag stört – wir werden ihm zustimmen –, ist, dass die Erweiterungsfähigkeit der Europäischen Union mit nur einem Satz erwähnt wird; der Bundeskanzler hat heute in seiner Rede kein Wort darüber verloren. Meine Damen und Herren, um die Europäische Union zukunftsfähig zu machen und sie nicht zu gefährden, wenn wir 36 Staaten sind, muss sie weiterentwickelt werden. Die Strukturen müssen entsprechend angepasst werden. Mit Montenegro haben wir einen Staat mit 600 000 Einwohnern und mit der Ukraine einen Staat mit 43,8 Millionen Einwohnern. Wir wissen, dass wir eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik brauchen. Wir wissen, dass das mit Einstimmigkeit nicht mehr geht. Wolfgang Schäuble sprach damals von konzentrischen Kreisen. Staaten, die weiter gehen wollen, muss das ermöglicht werden. Hier erwarte ich von der Bundesregierung mehr Engagement. Das Weimarer Dreieck wäre eine ideale Basis dafür: auf der einen Seite mit Frankreich, auf der anderen Seite mit Polen. Aber auf beiden Seiten ist es sehr schwierig, meine Damen und Herren. Wenn der französische Präsident Vorschläge macht, wird von Deutschland nicht geantwortet. Und unsere Politik gegenüber Polen wird zurzeit durch Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine, die wir nicht leisten, Tag für Tag belastet. In diesem Bereich ist es heutzutage sehr schwierig.
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– Herr Lambsdorff, ich habe auch von der FDP noch keine Vorschläge gehört, wie sich diese Europäische Union weiterentwickeln soll. Sie waren selber im Europäischen Parlament, so wie ich. Sie wissen, mit 36 Staaten ist man nicht immer einer Meinung. Machen Sie Druck auf die Bundesregierung, –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– damit wir endlich in diesem Bereich vorankommen! Ansonsten gefährden wir – das wissen Sie – die Zukunft der Europäischen Union.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Fabian Funke, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Botschafter! Ich versuche, den Blick wieder zurück auf den Antrag zu lenken.
Wir haben in diesem Jahr viel darüber diskutiert, was die Zeitenwende für deutsche und europäische Außenpolitik in den verschiedenen Bereichen bedeuten kann. Ein zentraler Punkt, den Bundeskanzler Scholz auch in seiner Rede an der Karls-Universität in Prag klargemacht hat: Die Zukunft Europas entscheidet sich nicht mehr zwischen wenigen großen Staaten Westeuropas, sondern auch im Umgang und in der Zusammenarbeit mit den Staaten in Zentral- und Osteuropa. Deswegen ist es wichtig, dass wir heute auch über die Republik Moldau reden.
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Kaum ein anderes Land in Europa – abgesehen natürlich von der Ukraine selbst – leidet so stark unter den Folgen des russischen Angriffskrieges. Russland nutzt die jahrelange Abhängigkeit Moldaus von russischem Gas, um das Land gezielt zu destabilisieren. Wir haben es schon gehört: Die Gaspreise haben sich versiebenfacht, die Strompreise vervierfacht, die Inflation liegt über 30 Prozent. Die Menschen in Moldau geben stellenweise über die Hälfte ihres Einkommens für Energie aus. Cyberattacken, ein Dauerfeuer von russischer Propaganda und Desinformation sowie militärische Drohgebärden führen bei den Menschen in der Republik Moldau außerdem zur Furcht, bald selbst zum Opfer von russischer Aggression zu werden. Den Bürgerinnen und Bürgern der Republik Moldau gilt in diesen schwierigen Zeiten unsere volle, uneingeschränkte Solidarität.
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Ich bin froh, dass wir heute mit diesem Antrag unsere Solidarität als Deutscher Bundestag noch einmal bekräftigen, und zwar mit mehr als bloßen Bekundungen. Bereits seit Februar hat die Bundesrepublik gemeinsam mit der EU viel getan, um die Republik Moldau in dieser beispiellosen Krise zu unterstützen. Unmittelbar nach Kriegsbeginn hat der europäische Zivilschutzmechanismus die Republik Moldau schnell und unbürokratisch bei der Aufnahme von Hunderttausenden Geflüchteten unterstützt und gemeinsam mit der Regierung in Chisinau einen Kollaps an der Grenze zur Ukraine verhindert. Hier gilt es, noch einmal die Hilfsbereitschaft der Menschen in Moldau hervorzuheben, die viele Geflüchtete meist in ihren Häusern und Wohnungen aufgenommen haben,
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im Verhältnis zur Einwohnerzahl so viele wie kein anderes Land in Europa.
Gemeinsam mit den Regierungen von Frankreich, Rumänien sowie der Europäischen Kommission organisierte die Bundesregierung dieses Jahr drei Geberkonferenzen, auf denen die internationale Gemeinschaft insgesamt über 1,5 Milliarden Euro an Soforthilfen und Krediten für die Republik Moldau zur Verfügung gestellt hat. Auch mit dem Einsatz des THW, das seit Ende November vor Ort ist und im Notfallmanagement ausbildet, leistet die Bundesregierung einen wichtigen Beitrag.
Die Bundesregierung und die Europäische Union haben durch ihr praktisches, konkretes und solidarisches Handeln bekräftigt: Die europäische Familie beschränkt sich nicht auf EU-Mitgliedstaaten. Die Republik Moldau ist ein unverrückbarer Teil unserer europäischen Familie. Und gerade weil sie ein Teil unserer europäischen Familie ist, braucht es mehr als die kurzfristige Unterstützung in der Krise. Was es braucht, ist eine dauerhafte europäische Verankerung und einen konkreten Weg in die Europäische Union.
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Auf diesem Weg möchten wir die Republik Moldau unterstützen und begleiten. Seit Juni ist sie offiziell EU-Beitrittskandidatin. Mit diesem Antrag leisten wir einen Beitrag dazu, diesen abstrakten Status mit konkreten Schritten zu untermauern, die der EU-Mitgliedschaft der Republik Moldau nicht nur eine Perspektive, sondern einen beschreitbaren Weg bereiten. Denn so groß der europäische Wille auch ist: Die Republik Moldau hat noch viel vor sich. Reformen sind insbesondere in den Bereichen Justiz und Rechtsstaatlichkeit bitter nötig. Es ist dementsprechend beachtenswert, dass die Regierung in Chisinau trotz der vielen Krisen, des dauerhaften Ausnahmezustandes und der fortwährenden politischen Angriffe durch kremltreue Oligarchen, ihre ambitionierte Justizreform und die umfassende Korruptionsbekämpfung weiterhin kraftvoll vorantreibt.
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Dieser Antrag aus unserer Mitte setzt ein wichtiges Zeichen. Wir stehen an der Seite der Republik Moldau und unterstützen sie weiter; denn wir dürfen nicht die Fehler wiederholen, die wir in der Vergangenheit unter anderem auf dem Westbalkan gemacht haben, und so lange abwarten, bis vielversprechende Ambitionen sich zu Frust über unerfüllte Versprechungen wandeln. Der Wille zu Europa in der Republik Moldau existiert jetzt. Deswegen müssen wir ihn auch unterstützen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Funke. – Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Tilman Kuban, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Botschafter! In dieser Debatte ist viel Richtiges gesagt worden und vor allem zum Ausdruck gekommen, dass die breite Mitte dieses Parlaments an der Seite der Republik Moldau steht. Dass es von Rechtsaußen und von Linksaußen in diesem Parlament manchmal leider so klang, als seien Sie die Pressesprecher von Gazprom oder dem Kreml, ist etwas beschämend. Aber es ist richtig, dass wir ein starkes Signal von der breiten Mehrheit dieses Parlaments senden.
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Zum Abschluss möchte ich noch einmal den Fokus auf den Antrag richten. Dieser Antrag hat viele kluge, richtige und warme Worte für die Menschen in Moldau übrig. Es sind starke Versprechungen im Bereich des Reformprozesses, bei der Energieinfrastruktur, aber auch beim Schutz von Frauen und Kindern dabei. Nur habe ich mich manchmal beim Lesen gefragt: Wie läuft jetzt konkret die Umsetzung? Wie tragen wir konkret dazu bei, die Regierung von Maia Sandu zu unterstützen? Wie tragen wir konkret dazu bei, dass den Menschen in der Republik Moldau geholfen wird?
Ich hätte mir drei konkrete Punkte gewünscht: Ich hätte mir konkrete rechtliche Regelungen zur internationalen Zusammenarbeit, bei der Bekämpfung von Korruption und Geldwäsche und der Zerschlagung von oligarchischen Strukturen gewünscht, wie es beispielsweise die USA oder auch Großbritannien, die Sanktionen auf den Weg gebracht haben, umgesetzt haben. Hier hätte ich mir konkrete Vorstöße gewünscht.
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Ich hätte mir gewünscht, dass wir, wie wir es in den letzten Monaten getan haben, verstärkt Mittel für die Moldau, die Ukraine und den Südkaukasus zur Verfügung stellen, um die Arbeit der politischen Stiftung zu unterstützen und eine Verstetigung der Mittel auch für das Jahr 2023 hinbekommen. Auch hier hätte ich mir einen konkreten Vorstoß gewünscht. Und ich hätte mir gewünscht, dass wir bei der technischen Entwicklungshilfe für eine bessere medizinische Versorgung, eine bessere medizinische Ausstattung sorgen; denn der medizinische Kollaps in den Krankenhäusern ist wirklich eine Alltagssorge der Menschen in der Republik Moldau. Auch da hätte ich mir einen konkreten Vorstoß gewünscht. Das wäre gut gewesen.
Wir haben trotzdem gezeigt – das ist Fakt –: Wir stehen an der Seite von Maia Sandu und ihrer proeuropäischen Regierung. Wir stehen an der Seite derer, die sich gemeinsam klug und mutig den russischen Energieaggressionen entgegenstellen. Und wir stehen an der Seite derjenigen in der Republik Moldau, die in die Europäische Union wollen. Wir werden heute zustimmen, weil wir verlässliche Partner sehen und weil wir unsere Pflicht darin sehen, sie zu unterstützen.
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Aber das kann erst der Startpunkt sein. Wir müssen im nächsten Jahr weitermachen. Daran sollten wir gemeinsam arbeiten, gern auch fraktionsübergreifend. Die CDU/CSU steht dafür bereit.
Vielen herzlichen Dank.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wissen Sie, wenn ich zum Beispiel die heutige Ausschusssitzung so Revue passieren lasse, wenn ich mir die Kommentierungen zu einem Jahr Ampelkoalition anschaue, muss ich sagen: Für meinen Geschmack ist da ein wenig zu viel Selbstgerechtigkeit dabei.
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Da gibt es lange Aufzählungen darüber, was Sie alles auf den Weg gebracht haben; ich gehe davon aus, dass uns die auch heute wieder nicht erspart bleiben werden.
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Nur, das meiste davon ist leider bis heute nicht über den Status der Ankündigung hinausgekommen. Und nur durch Ankündigungen allein werden Dinge nicht auf den Weg gebracht.
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Das Tragische dabei ist, dass Sie ganze Gruppen in der krisengebeutelten Zeit, in der wir leider leben, vergessen haben. Das geben Sie ungern zu; das kann ich verstehen. Sie geben auch ungern zu, dass Sie allein auf unser Drängen hin tätig geworden sind;
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auch das verstehe ich. Vielleicht lernen Sie für die Zukunft daraus und adaptieren unsere Ideen dann wenigstens so schnell, dass diejenigen, die davon profitieren sollen, das auch tun können, solange sie es noch brauchen.
Und weil schon wieder die ersten Rufe kommen: Es gibt zahlreiche Beispiele dafür. Da gibt es zum Beispiel die Hilfen für die Rentner, da gibt es die Hilfen für die Studenten, da geht es auch darum, wie wir die Hochschulen und den wissenschaftlichen Nachwuchs unterstützen wollen.
Am 20. Oktober – am 20. Oktober! – hat die Ministerin einen Rettungsschirm für die Spitzenforschungsunternehmen von der Bundesregierung gefordert, also de facto von sich selbst. Rein zufällig war das genau der Tag, an dem unser Antrag „Entlastungspaket und Notfallfonds einrichten, um Schaden vom deutschen Wissenschaftssystem abzuwenden“ hier im Plenum beraten worden ist. Sie haben also de facto eins zu eins die Forderungen aus unserem Antrag übernommen.
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– Ich stelle an dieser Stelle nur fest.
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Ein Ausspruch der Ministerin ist mir an diesem Tag besonders in Erinnerung geblieben – ich zitiere –:
… Forschung ist der Schlüssel zur Überwindung der aktuellen und zukünftiger Krisen sowie für Wachstum und Wohlstand.
Wenn jetzt die Hochschulen ihr Personal entlassen müssen und in den Digitalbetrieb gehen, die Bibliotheken zeitweise schließen müssen, damit sie ihre Gas- und Stromrechnungen überhaupt noch bezahlen können, dann wird es bald keinen wissenschaftlichen Nachwuchs mehr geben, der unser Schlüssel zur Überwindung der Krisen sein kann.
Interessant ist in dem Zusammenhang auch, dass plötzlich Wert darauf gelegt wird, dass sich die Länder um die Hochschulen kümmern sollen.
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– Da sagen Sie: Das stimmt.
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Das sagen Sie nur nicht bei anderen Bildungsthemen, wo das genauso stimmen würde. Also, irgendwie gibt es da schon eine gewisse Diskrepanz.
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Deshalb an dieser Stelle unser dringender Appell: Setzen Sie sich bitte mit den Ländern zusammen. Beraten Sie, wie es in einer gemeinsamen Anstrengung gelingen kann, den wissenschaftlichen Nachwuchs und die Hochschulen zu unterstützen. Und stimmen Sie den Forderungen, die wir in unserem Antrag erhoben haben, zu.
Erstens. Die Hochschulen in Deutschland müssen bedarfsgerecht und analog zu den außeruniversitären Forschungseinrichtungen in die Härtefallregelung der Strom- und Gaspreisbremse aufgenommen werden.
Zweitens. Insbesondere die energieintensiven Forschungsaktivitäten an den Hochschulen und die besonderen Belange der Förderung von wissenschaftlichen Nachwuchsgruppen, Doktoranden und Postdocs, müssen berücksichtigt werden.
Drittens. Öffnen Sie den Härtefallfonds für den wissenschaftlichen Nachwuchs an den Hochschulen und an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen, und bauen Sie diesen bedarfsgerecht finanziell aus!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gemeinsam an einem Strang ziehen! Lassen Sie uns die hervorragende Forschungslandschaft in unserem Land am Leben erhalten!
Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Frau Ministerin – oder in dem Fall bitte weitergeben –, Sie sitzen am Hebel. Bedienen Sie ihn endlich!
Danke schön.
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Ich wollte jetzt gerade sagen: Ich sitze hier am Knopf.
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Nächster Redner ist der Kollege Holger Mann, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Kollegen der Union haben in den letzten Wochen ein Bild vom Untergang der Wissenschaft gezeichnet, angereichert mit Szenen von sich leerenden Tierställen – ich habe noch gute Erinnerungen an die letzte Debatte – oder auftauenden Bioproben. Ich will hier erst mal feststellen: Nichts davon ist eingetreten oder ein wahrscheinliches Szenario.
In der letzten Debatte sprach Ihr Kollege von „Existenzgefährdung“, und auch heute mangelt es Ihrem Antrag nicht an Alarmismus. Dabei sind die darin beschriebenen Fälle die Ausnahme und nicht die Regel, und das ist auch gut so.
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Das hat einen Grund; denn die Bundesregierung hat mit ihren Maßnahmen angemessen und kraftvoll agiert. Die mobilisierten 300 Milliarden Euro zeigen, dass wir weder die Menschen noch die Wirtschaft oder die öffentlichen Institutionen alleinlassen.
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Meine Damen und Herren, das gilt auch für den Wissenschafts- und Forschungsbereich. Dieser wird komplett von den Preisbremsen bei Strom und Gas profitieren. Sie werden ab Januar in Kraft gesetzt; es entsteht also keine Lücke zwischen den Dezembersoforthilfen und den Preisbremsen. Ein Härtefallfonds wird für die institutionell geförderte außeruniversitäre Forschung verbliebene Preisanstiege um bis zu 90 Prozent mindern – wer kann das im privaten Bereich sagen? Hier ist übrigens die energieintensive Forschung ebenso erfasst wie Hochleistungsrechner, Forschungsschiffe oder internationale Forschungseinrichtungen.
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Zudem – das war auch eine Forderung – werden die Hochschulen und die Forschungseinrichtungen von der Bundesnetzagentur in Gänze als geschützte Kunden behandelt. Das heißt, sie wären im immer unwahrscheinlicher werdenden Fall einer Gasmangellage von reduzierten Liefermengen oder Gassperren ausgenommen.
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Das alles, meine Damen und Herren, trägt dazu bei, dass der Weiterbetrieb gesichert ist.
Ja, wir haben heute im Bildungs- und Forschungsausschuss Ihren Antrag zur Energiepreiskompensation für die Wissenschaft beraten. Hierbei – das hätten Sie ja auch sagen können – konnten wir fraktionsübergreifend feststellen, dass die Mehrheit der acht darin formulierten Punkte bereits in exekutivem Handeln oder morgen mit Beschluss der Gas- und Strompreisbremsen umgesetzt werden. Das hatte übrigens auch die Sachverständigenanhörung im November bereits ergeben. Diese hat zudem gezeigt, dass die Wissenschaftseinrichtungen zwar vor großen Herausforderungen bei der Bewältigung der Energiepreisanstiege stehen, aber diese eben nicht existenziell sind.
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Sie bringen als Union dennoch zwei Restpunkte des Antrags, welche die Hochschulen betreffen, ins Bundestagsplenum ein. Da muss ich sagen: Das verwundert mich aus mehreren Gründen:
Erstens – Sie benennen es selber bzw. hatten es in Ihrem vorherigen Antrag wenigstens noch erwähnt –: die Verfassungslage. Bisher liegt die Verantwortung für Bildung und Hochschulen klar bei den Ländern. Auch bei Vereinbarungen nach Artikel 91b GG bedarf es der Zustimmung aller Länder. Ich muss daher fragen: Haben Sie wirklich das richtige Parlament gewählt?
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Zweitens: die geübte Praxis. Wir erinnern uns, wie das BMBF unter CDU-Führung die Hochschulen in der Pandemie unterstützt hat – nämlich gar nicht. Mir scheint deshalb, Ihr Sinneswandel hat viel mit der neuen Oppositionsrolle, aber wenig mit Überzeugung zu tun.
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Drittens: die Sachlage. Die Berechnungen des DIW, die wir in der Anhörung beraten haben, zeigen, dass die Kostensteigerungen, wenn die Hochschulen 20 Prozent Energie einsparen, auf 1 bis 3 Prozent ihres Gesamtbudgets begrenzt werden können. Viele Bundesländer – es seien Brandenburg, Sachsen oder auch Baden-Württemberg erwähnt – haben bereits klargemacht, dass sie zu ihrer Verantwortung stehen werden. Sie werden für 90 Prozent oder mehr dieser Energiepreissteigerungen einstehen.
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Angesichts der Aufwendung des Bundes und der Einnahmesituation erwarten wir und auch die Hochschulrektorenkonferenz dies auch von den anderen Bundesländern, gerade von den finanzstarken wie Bayern, Hessen oder NRW.
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Es geht hier eben nicht, meine Damen und Herren, um Milliardenbeträge wie beim Bund, sondern um Millionenbeträge. Deshalb ist meine dringende Bitte an die Kolleginnen und Kollegen aus diesen Bundesländern: Gehen Sie auf Ihre Landesregierung zu, gerne auch mit Ihren zwei Punkten. Unsere Unterstützung haben Sie dabei.
Danke schön.
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Vielen Dank, Herr Kollege Mann. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Michael Kaufmann, AfD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Prinzipiell ist der Antrag aus Sicht von Forschung und Wissenschaft zu begrüßen, werte Kollegen von der Union. Jeder kleine Schritt ist sinnvoll, der den Einrichtungen der Wissenschaft in Deutschland etwas mehr Planungs- und Zukunftssicherheit gibt und sie von forschungsfremden Sorgen entlastet. Aber genau da liegt die Krux: Der Antrag stopft notdürftig einige der zahlreichen Löcher, welche die Bundesregierung bei ihren hektischen Versuchen, die selbstgeschaffenen Krisen zu bekämpfen, übersehen hat.
Seit Monaten erleben wir ein quälendes, kleinteiliges Gezerre um die notwendige Unterstützung von Wissenschaft und Forschung in dieser Krise. Hochschulen gelten als geschützte Kunden im Fall einer Energiemangellage, aber nicht die außeruniversitären Forschungseinrichtungen.
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Für die wiederum gibt es einen Härtefallfonds, der aber für die Hochschulen nicht gilt. Der Härtefallfonds gilt damit zum Beispiel auch nicht für von der DFG geförderte Großforschungsgeräte, die an Hochschulen betrieben werden.
Es ist richtig, dass die Union dieses Problem aufspießt. Aber der Antrag wirkt, als wenn man mit dem Feuerlöscher zu einem Großbrand geht. Trotz Energiepreisbremse sehen sich viele Hochschulen und Forschungseinrichtungen bis zu dreimal höheren Energiekosten gegenüber. Aber die Energiepreise sind nur ein Teil des Problems.
An vielen Wissenschaftseinrichtungen wird schon jetzt in erheblichem Umfang Personal abgebaut. Bei steigenden Kosten und nahezu gleichbleibendem Budget ist der Personalabbau für viele Einrichtungen die einzige Option. Insgesamt fehlt es derzeit in Wissenschaft und Forschung an Planungssicherheit und der Gewissheit, die Arbeit uneingeschränkt fortsetzen zu können. Dabei werden es nur unsere Forscher und Ingenieure sein, die uns am Ende mit ihren Ideen und Innovationen aus dieser hausgemachten multiplen Krise wieder herausführen können.
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Darum brauchen wir jetzt nicht noch mehr kleinteiliges Nachjustieren, sondern eine Generalgarantie für Forschung und Wissenschaft, dass deren Arbeit jede denkbare Unterstützung erfährt, um auch unter diesen erschwerten Bedingungen uneingeschränkt und ohne Finanzierungssorgen weitermachen zu können. Hier wäre ein „Whatever it takes“ wirklich einmal angebracht.
Lassen Sie uns endlich aufhören mit diesem peinlichen Gezerre um Details, und sprechen Sie, Frau Stark-Watzinger – Sie lässt sich durch ihren Staatssekretär vertreten –, ein Machtwort, das da lautet: Wir werden alles Notwendige tun, damit kein Forschungsprojekt eingestellt oder eingeschränkt und keine Stelle gestrichen werden muss, weil die Kosten wegen Inflation und Energiekrise aus dem Ruder laufen. – Nichts weniger wäre dem Stellenwert von Forschung und Wissenschaft für unsere Gesellschaft und unsere Zukunft angemessen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Das Wort hat jetzt die Kollegin Laura Kraft, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Grüne finde ich Recycling super. Ich finde es nur schwierig, wenn Sie das bei Ihren Anträgen machen.
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Ich habe Ihnen auch schon mal gesagt, was ich davon halte. Denn man sieht auch wieder an diesem Antrag, der so dünn ist, das man fast durchgucken kann, dass Sie sich nicht so viel Mühe geben. Und das finde ich, ehrlich gesagt, schwierig. Aber nur weil Sie Ihre Anträge recyceln, mache ich das nicht automatisch mit meiner Rede.
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– Ja, das mache ich jetzt auch.
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Deswegen gehe ich jetzt genauer darauf ein, wie wir die Hochschulen mit Entlastungspaketen unterstützen; denn die Bildungs- und Forschungseinrichtungen werden in mehrfacher Weise von Entlastungsmaßnahmen abgedeckt. Alle Einrichtungen aus Wissenschaft, Forschung und Bildung erhalten die Dezembersoforthilfe. Das ist ein wichtiger Beitrag; der bringt auch schon dieses Jahr Entlastung.
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Außerdem sind alle Einrichtungen auch bei der Gas-, Wärme- und Strompreisbremse berücksichtigt.
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Das heißt, dass energieintensive Labore, Hochleistungsrechner etc. besonders geschützt sind. Die Hochschulen, Bildungs- und Forschungseinrichtungen sind geschützte Kunden im Sinne des Notfallplans Gas.
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Das ist richtig, das ist wichtig. Wir haben auf die Problematik reagiert,
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zusätzlich zu anderen Entlastungsmaßnahmen, die wir in dem Kontext natürlich auch zur Verfügung stellen. Aber das ist besonders wichtig.
Es ist nicht redlich, dass Sie immer mit ganz abstrakten Worst-Case-Szenarien drohen,
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indem Sie so tun, als ob jemand als allererste Maßnahme, um Energie zu sparen, auf die Idee kommen würde, in Laboren, wo Tiere sind, dafür zu sorgen, dass dort die Heizung abgestellt oder die nötige Temperatur nicht gehalten wird,
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oder bei empfindlichen Materialien oder Archivgut nicht dafür zu sorgen, diese für die Forschung wichtigen Artefakte und Produkte zu schützen. Das ist nämlich absoluter Quatsch. Ich finde es nicht okay, dass Sie immer wieder – das haben Sie heute im Ausschuss nämlich schon wieder gemacht – mit solchen Worst-Case-Szenarien drohen.
({9})
Das ist nämlich nicht die allererste Maßnahme.
Auch die Hochschulen und die Forschungseinrichtungen opfern nicht ihre besonders kritischen Artefakte und Produkte.
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Aber die Hochschulen und die Forschungseinrichtungen gehen jetzt schon vielfältige Sparmaßnahmen durch, die sie vornehmen können. Das machen sie seit Monaten.
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Überall dort, wo es nicht geht, unterstützen wir. Da unterstützen wir von Bundesseite, und da haben wir jetzt schon viele Maßnahmen beschlossen, die entlasten können. Falls es zu einer Gasmangellage kommen sollte, was kein jetzt anstehendes oder realistisches Szenario ist, dann werden wir auch die Hochschulen und die Forschungseinrichtungen nicht im Stich lassen.
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Es ist wichtig, dass wir auf allen Ebenen zusammenarbeiten. Die Hochschulen selber leisten ihren Beitrag. Aber auch wir auf Bundes- und Länderebene müssen zusammenarbeiten. Wir als Ampel nehmen natürlich den Forschungsbereich, die Wissenschaft, die Bildung besonders in den Blick. Wir lassen hier niemanden allein, wir lassen niemanden zurück. – Ich sehe, die Lampe leuchtet auf. – Wir sind da. Deswegen geben Sie sich bitte noch mehr Mühe mit Ihren Anträgen.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Kraft. – Vielleicht darf ich noch darauf hinweisen: Sie können durch das Papier durchschauen, weil es so dünn ist.
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Die Bundestagsverwaltung bemüht sich immer, äußerst ressourcenschonend mit den Sachen umzugehen, die wir haben.
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Manchmal könnte man überhaupt darauf verzichten, Papier zu bedrucken. Aber das ist nicht mein Problem.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Nicole Gohlke, Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! CDU und CSU werden regelrecht zum Sprachrohr für die Studierenden.
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Das ist neu, aber auch ganz gut.
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Ich sage mal so: Wenn Sie jetzt noch anfangen, mehr Verständnis für die Motive der Klimaaktivistinnen und ‑aktivisten zu entwickeln, statt sie nur plump zu kriminalisieren, dann sind Sie wirklich auf einem guten Weg.
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Nein, Scherz beiseite. Ich finde, die Union hat natürlich recht, dass sie heute darüber sprechen will, wie die Hochschulen in dieser Energie- und Preiskrise besser geschützt werden können. Denn die Hochschulen – aber ich will auch die Studierendenwerke nennen, die die Wohnheime, die Mensen, die Kitas und die soziale Beratung an den Hochschulen und Unis organisieren – warten dringend auf Entlastungen in dieser Krise.
Aber die Hochschulen sind bei der Härtefallregelung ausgespart worden. Das versteht tatsächlich kein Mensch. Und das, was bisher an Entlastungen von der Regierung gekommen ist, ist zu wenig und sichert vor allem den Betrieb und die steigenden Kosten nicht ab. Die Folgen sind jetzt schon gravierend.
Denn es ist doch klar, was jetzt passiert: Um Energiekosten zu sparen, bleiben Einrichtungen geschlossen, werden Wohnheimmieten und Mensapreise teurer, und werden die Kosten auf die Studierenden und die Beschäftigten abgewälzt. Und wenn die steigenden Kosten nicht mehr zu stemmen sind, dann wird schlicht und ergreifend gekürzt. Das darf so nicht bleiben, Kolleginnen und Kollegen.
({3})
Die Hochschule Koblenz befindet sich seit dem 4. Dezember in der reinen Onlinelehre, nett umschrieben mit „digitaler Phase“. Die Uni in Hannover geht zum 19. Dezember ins mobile Arbeiten. Nichts soll mehr in den Hochschulen stattfinden: Die Seminarräume dicht, die Labore geschlossen; Prüfungen sollen wieder online stattfinden. Das Studierendenwerk Frankfurt warnt vor einer Absenkung der Temperatur in den Wohnräumen und vor Teuerungen zulasten der Studierenden. An den ersten Hochschulen wurden Einstellungsstopps verkündet, werden Stellen eben nicht mehr neu besetzt. Alles geht zulasten der Studierenden und der Beschäftigten. Das ist Wahnsinn, Kolleginnen und Kollegen, und natürlich müssen Sie hier handeln.
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Es ist wie immer: Diese Krise kommt on top, obendrauf, auf ein angeschlagenes, chronisch unterfinanziertes Hochschulsystem. Das wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, um mal ganz grundlegend gegenzusteuern und umzusteuern, Kolleginnen und Kollegen.
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Die Vorschläge liegen auf dem Tisch: Statten Sie den Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken“ so aus, dass die Hochschulen die Preissteigerungen ausgleichen und eine anständige Personalentwicklung vornehmen können. Legen Sie ein Programm für einen Hochschulsozialpakt und für die Sanierung der Studierendenwohnheime und der Mensen auf, und sichern Sie die Studierenden und die Beschäftigten in dieser Situation besser ab.
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Öffnen Sie das BAföG für alle, die es brauchen! Schaffen Sie ein 0‑Euro-Ticket für die Studierenden! Und kümmern Sie sich um den Schutz der nur befristet beschäftigten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, indem Sie endlich mal beim Wissenschaftszeitvertragsgesetz in die Pötte kommen.
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Ich sage es gerne noch mal: In der Bildung und an den Hochschulen wummst der Doppel-Wumms noch nicht besonders. Im Gegenteil: Er droht, zu verpuffen. Handeln Sie, damit wir hier nicht in einem Jahr über Studienabbrüche und verkorkste berufliche Perspektiven diskutieren müssen!
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Gohlke. – Das Wort erhält jetzt der Kollege Dr. Stephan Seiter, FDP-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Putin’sche Angriffskrieg hat dazu geführt, dass wir in allen Bereichen unseres tagtäglichen Lebens die Belastungen spüren. Wir haben heute Morgen bei der Regierungserklärung des Kanzlers davon gehört, und fast jede Debatte hier im Parlament wird durch dieses Thema bestimmt. Wir haben uns eigentlich in allen Debatten immer darauf geeinigt, dass die Bewältigung dieser Folgen eine Aufgabe ist, die wir gemeinschaftlich lösen wollen.
Ich habe bei dem einen oder anderen Antrag, den man zu lesen bekommt, egal wie dick oder wie dünn er ist, den Eindruck, dass es immer nur eine Institution gibt, die dieses Problem bewältigen kann. Wenn wir uns die Situation mal anschauen, dann stellen wir fest – das wurde auch schon erwähnt –, dass die Hochschulen, die außeruniversitären Forschungseinrichtungen sich Gedanken gemacht und Notfallpläne entwickelt haben: Wie kann man Energie einsparen? Das ist ein Beitrag. Wir sollten an dieser Stelle denjenigen, die das auf sich genommen haben, die unter erschwerten Bedingungen arbeiten, mal danken.
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Das ist das eine. Wir alle sind uns dessen ja bewusst. Es möchte hier hoffentlich niemand den wissenschaftlichen Nachwuchs und seine Perspektiven gefährden. Vielmehr wollen alle, dass es besser läuft und dass diese jungen Menschen ihre Chance bekommen, in der Wissenschaft ihren Beitrag dazu zu leisten, dass wir heutige und zukünftige Probleme lösen können. Deswegen gibt es die verschiedenen Maßnahmen, die die Bundesregierung ergriffen hat und die dann auf das Wirken der Ministerin hin im Hochschulbereich, im Wissenschaftsbereich ihren Niederschlag gefunden haben: Strompreisbremse, Gaspreisbremse, Hochschule als geschützte Kundschaft. Hier hat der Bund seine Aufgabe erledigt.
Aber wir müssen, wenn wir über das Thema reden, uns natürlich darüber im Klaren sein, dass wir Kompetenzen, Zuständigkeiten nicht vollständig ausblenden können. Und die dritte Institution in diesem Bereich sind die Länder. Ich weiß, wir haben an dieser Stelle schon mehrfach über die Fragen diskutiert und debattiert: Was können die Länder leisten? Was leisten die Länder tatsächlich? – Und die Länder leisten etwas. Sie haben sich auf den Weg gemacht; auch das müssen wir an dieser Stelle anerkennen. Wir wissen, dass zum Beispiel Länder wie Baden-Württemberg, Brandenburg – das wurde erwähnt – Dinge auf den Weg gebracht haben. Das vergessen manche, die vielleicht schon länger nicht mehr an einer Hochschule waren.
Ich habe erst heute Nachmittag mit einer Vertreterin aus einem Rektorat einer Hochschule gesprochen. In Baden-Württemberg ist es zum Beispiel so, dass die Hochschulen für angewandte Wissenschaften – wir sagen es immer so flapsig – zur Warmmiete leben, das heißt, dass der Landesbetrieb Vermögen und Bau diese Kosten übernimmt. Sprich: Die Hochschulen sind im Moment noch sehr froh: Sie brauchen den Fonds tatsächlich gar nicht. Da übernehmen die Länder also Verantwortung. Und auch das sollten wir an dieser Stelle anerkennen.
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Der letzte Punkt, zu dem ich kommen möchte, ist: Die auf den verschiedenen Ebenen getroffenen Maßnahmen, auch die Einsparungsmaßnahmen der Hochschulen, der Forschungseinrichtungen, können natürlich nur kurzfristig dazu beitragen, die steigenden Energiepreise zu bewältigen. Aber die Expertinnen und Experten haben in der Anhörung zu diesem Thema in der letzten Sitzungswoche – das muss man an dieser Stelle auch erwähnen – gesagt: Wir haben strukturelle Probleme. Es würde uns viel leichter fallen, Energie einzusparen, wenn der Zustand der Gebäude besser wäre, wenn wir in den letzten Jahren mehr Unterstützung erfahren hätten.
Darüber müssen wir uns auch Gedanken machen. Wir sollten die Hochschulen nicht vernachlässigen. Das ist eine Aufgabe für die Zukunft, und darüber müssen wir uns in nächster Zeit mehr Gedanken machen.
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Zum Schluss, meine Damen und Herren: Wir alle blicken wahrscheinlich mit Sorge in das nächste Jahr. Wir alle haben Belastungen zu verarbeiten, zu bewältigen. Aber eines sollten wir in der letzten Sitzungswoche bitte auf keinen Fall vergessen: Diejenigen, die die schwerste Last dieses Krieges zu tragen haben, das sind die Menschen, die in der Ukraine leben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Seiter. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Stephan Albani, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Energiekrise hat Auswirkungen auf alle Bereiche unseres Lebens, auf die Privatwirtschaft und eben auch auf die Hochschulen. Ich freue mich, dass meine Universität in Oldenburg klar sagt: Wir bleiben offen; Forschung, Lehre, Bibliothek und Labore bleiben offen und aktiv, auch wenn die Kosten zu erheblichen Überschreitungen geplanter Budgets führen. – Man setzt hier auf die Unterstützung der Länder und geht davon aus, dass dies am Ende auch erkannt wird und man sich hier in die Pflicht nehmen lassen wird. Das ist Aufgabe der Länder – völlig richtig.
Andere Hochschulen sehen das aber anders. Der Abbau von Stellen, das Einschränken von Öffnungszeiten und die Reduzierung von Präsenzlehre machen deutlich, dass die Energiekrise an den Hochschulen angekommen ist und wir uns darauf einstellen müssen, dass hier sehr stark auf Kante genäht wird. In vorweihnachtlicher Milde, wie heute schon im Ausschuss gesagt, erkennen wir an, dass die von der Bundesregierung vorgesehene Energiepreisbremse für Gas und Strom die Krise ein Stück weit verringern wird, aber eben nicht verhindern kann.
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Wie bei der öffentlichen Anhörung unseres Antrages deutlich geworden ist, sind energieintensive Forschungsaktivitäten an Hochschule in den Härtefallregelungen nicht berücksichtigt worden; an den außeruniversitären Einrichtungen ja, an den universitären halt nicht. Die Länder werden dies nicht alleine stemmen können. Das Abstellen von Hochenergielasern, Beschleunigern, Kühllaboren und, und, und würde unwiederbringliche Schäden nach sich ziehen, die im schlimmsten Fall mit keinem Geld der Welt wieder herstellbar sind.
Weil Sie es nicht verstanden haben, Herr Mann, wiederhole ich es: Die Kryobanken zum Beispiel lagern Biomaterial, DNA und Ähnliches von ausgestorbenen Tier- und Pflanzenarten, die Grundlage von Erkenntnissen und der Entwicklung neuer Wirkstoffe sein können. Tauen diese auf, ist das unwiederbringlich verloren. Mit keinem Aufwand und Geld der Welt wäre dieser Schaden wiederherzustellen; deswegen ist er zu verhindern.
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Das wird auch geschehen. Deswegen ist es richtig, was Professor Wörner in der Anhörung gesagt hat – das ist kein alarmistischer Utopismus, den wir hier machen –: Wenn das Geld, das man investieren muss, um diesen unwiederbringlichen Schaden zu verhindern, nachher an anderer Stelle eingespart wird, dann müsste zum Beispiel die TU Darmstadt, sofern keine zusätzlichen Entlastungen kommen, Personal in Höhe von schätzungsweise 300 Stellen reduzieren. Denn Hochschulen haben bei stetig steigenden Energiekosten nur noch den Hebel zur Verfügung, die Einstellung von wissenschaftlichem Nachwuchs zu reduzieren.
Wenn wir also jetzt nicht handeln, wird dies zu einem tiefgreifenden Kahlschlag beim wissenschaftlichen Nachwuchs führen. Dieser ist zu verhindern; darum geht es uns im Antrag. Bitte verstehen Sie es! Denn am Ende wollen wir den Schaden im nächsten Jahr nicht beweinen müssen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Dr. Holger Becker, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mancher einer könnte einfach keck behaupten, man könne eine Debatte zu diesem Thema auch auf 3,9 Minuten oder ganz provokant auf 39 Sekunden eindampfen, statt sie über 39 Minuten zu führen. Mit dem Hinweis auf Artikel 30 in Verbindung mit Artikel 70 Absatz 1 unseres Grundgesetzes könnte man sich hier frech hinstellen und sagen: Für Hochschulen sind die Länder zuständig.
Wohlgemerkt: Man könnte das tun. Aber wird es der Sachlage und dem Handlungsdruck gerecht? Natürlich nicht. Man kann sich hier eben nicht einfach mit ein, zwei Floskeln aus der Verantwortung stehlen und sagen: Lass das mal die Länder machen!
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Die sind alleine dafür zuständig.
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Nun kommt aber gemäß dem alten akademischen Motto „Repetitio est mater studiorum“ natürlich die Liste dessen, was der Bund bereits tut: Auf Bundesebene wurde dafür gesorgt, dass die Hochschulen in unserem Land sowohl die Dezemberhilfe bekommen
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als auch bei der Strom- und der Gaspreisbremse berücksichtigt werden. Das sind nämlich auch echte Entlastungen.
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Was man auch erwähnen sollte, ist: Dadurch, dass es eben genau diesen Härtefallfonds für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen und die Rechenzentren gibt, entlastet der Bund an dieser Stelle die Länder bereits; denn bei der Max-Planck-Gesellschaft und der Leibniz-Gemeinschaft wären die Länder mit 50 Prozent dabei, bei der Fraunhofer-Gesellschaft und der Helmholtz-Gemeinschaft, Drittmittel außen vor gelassen, mit 10 Prozent. Das ist bereits eine Entlastung für die Länder.
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Nun liegt uns ein Antrag der Union vor, der diese bisher ergriffenen Maßnahmen anscheinend nicht weit genug gehen. Man kann sicherlich darüber streiten; aber ich muss schon sagen: Liebe Union, es gehört schon ein bisschen Chuzpe dazu, mit so einem Antrag um die Ecke zu kommen angesichts der Art und Weise, wie so einige unionsgeführte Landesregierungen sich hier zieren;
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denn – das ist die andere Seite der Medaille – man kann die Verantwortung der Bundesländer natürlich nicht negieren.
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Deswegen: Rufen Sie mal bei Kolleginnen und Kollegen in München an! Oder rufen Sie in Düsseldorf an! Oder rufen Sie in Wiesbaden an! Fragen Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen doch mal,
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was die dortigen Landesregierungen – Ihre Landesregierungen – unter Führung der Union davon abhält, auch ihren Teil zur Unterstützung der Hochschulen beizutragen.
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Ihr Kollege Blume aus Bayern musste sich bereits den Appell gefallen lassen, dass sein Ministerium sich bewegen muss und nicht – ich zitiere – „den schwarzen Peter ständig von München nach Berlin und zurück schieben“ dürfe. Selbst der Präsident des Deutschen Hochschulverbands, Bernhard Kempen, äußerte den Verdacht – auch hier zitiere ich –, „dass sich die Länder hinter dem Bund als Zahlmeister verstecken, ihrer eigentlichen Verantwortung für die Hochschulen aber nur unzureichend gerecht werden.“
Verwenden Sie Ihre Energie daher bitte für einen wirklich kraftvollen Appell an Ihre eigenen Landesregierungen,
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damit dort endlich Schwung und Bewegung in die Sache kommt und die Landesregierungen tatsächlich auch ihren Teil zur Lösung beitragen. Denn, wie ich bereits sagte, man kann sich hier nicht einfach aus der Verantwortung stehlen,
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und man kann eben auch nicht sagen: Lasst das alles den Bund machen!
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Becker. – Nun lauschen wir der Rede des Kollegen Kai Gehring, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Unionsfraktion gibt den Regierungsfraktionen eine sehr gute Gelegenheit, ihre umfassenden Krisenmanagementbeschlüsse zum Schutz unseres Wissenschaftssystems darzustellen.
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Wir sorgen dafür, dass unsere Hochschulen und Forschungseinrichtungen bei den Energiekosten entlastet werden mit 2 Milliarden Euro aus dem wirtschaftlichen Abwehrschirm dieser Bundesregierung. Alle Wissenschaftseinrichtungen – liebe CDU/CSU-Fraktion, Hochschulen sind Wissenschaftseinrichtungen – erhalten die Dezember-Soforthilfe
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und werden somit schon in diesem Jahr entlastet.
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Die Strom- und Gaspreisbremse gilt ebenso für alle Wissenschaftseinrichtungen, im Übrigen verbrauchsabhängig. Das heißt, besonders energieintensive Einrichtungen profitieren von den günstigeren Parametern für die Industrie. Das ist gezielte Entlastung und passgenau für die sehr vielfältige Wissenschaftslandschaft im Land.
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Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind darüber hinaus als „geschützte Kunden“ eingestuft. Ihre Gasversorgung ist sichergestellt. Auch das ist gut so.
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Wir entlasten in der Krise und modernisieren im Übrigen für die Zukunft. Ich darf an dieser Stelle noch einmal an die sehr wegweisenden Beschlüsse der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz erinnern. Im November war’s. Hallo, Kurzzeitgedächtnis! Der Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken“ wird endlich dynamisiert: um 3 Prozent pro Jahr, synchron zum Pakt für Forschung und Innovation.
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Das ist großartig, weil es bis 2027 für die Hochschulen als Herzstücke unseres Innovationslandes noch einmal zusätzliche 676 Millionen Euro bedeutet.
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Auch die Exzellenzstrategie wird weiterentwickelt. 2026 stehen zusätzliche 154 Millionen Euro für mehr Cluster bereit. Das ist doch mehr, als die Union zustande gebracht hat.
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Daher: Es ist Zuversicht angebracht, dass wir als Bund die Wissenschaft im Zusammenwirken mit den Ländern gut durch die Energiekrise bringen.
In Baden-Württemberg wurde eine Inflationsrücklage in Höhe von 1 Milliarde Euro beschlossen – eigens für die Landesliegenschaften und damit vor allem für die Hochschulen. Das ist kein Zufall. Das kann von anderen Ländern nachgemacht werden.
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Mit Ihrem Antrag zeigen Sie, liebe Union, aber auch, dass Ihnen Zukunftsideen fehlen. Fossile Energiepreise drosseln und weitermachen wie bisher, das reicht nicht.
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Jede Wissenschaftseinrichtung entwickelt derzeit Pläne, wie sie Energie einsparen, sie effizienter nutzen und wie sie auf Erneuerbare umsteigen kann. Dieses Momentum, diesen Drive sollten wir in den nächsten Jahren nutzen für eine Offensive zu CO2-neutralen und klimagerechten Wissenschaftseinrichtungen; denn bei den Liegenschaften der Länder sind es die Hochschulen, die den Löwenanteil der Energie verbrauchen und enormen energetischen Sanierungsbedarf aufweisen. Gerade unsere Infrastrukturen des Wissens sollten klimagerecht modernisiert werden, und bei jedem Neubau muss Goldstandard für Klimaneutralität gelten.
Herr Kollege.
Das spart Energie. Das spart Kosten.
Kommen Sie zum Schluss, bitte.
Das wäre vorbildlich, klima- und ressourcenschonend. Ich will, dass die Hochschulen klimaneutral werden, keine Härtefälle sind, sondern Zukunftslabore für ökobauliche Innovation und –
Und ich würde wollen, dass Sie jetzt zum Ende kommen.
– klimagerechten Fortschritt. Das ist Zukunft.
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Vielen Dank. – Nunmehr hat das Wort Norbert Altenkamp, CDU/CSU-Fraktion.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kai, ich versuche, es noch einmal zu erklären. Denn aus unserer Sicht müssen wir das Wissenschaftssystem in seiner ganzen Breite durch die Energiekrise bringen, und zwar mindestens über die nächsten zwei Winter. Dazu gehören natürlich die Dezember-Soforthilfe und die Energiepreisbremsen, von denen selbstverständlich auch die Hochschulen profitieren. Dazu gehört auch der Härtefallfonds für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Das alles ist richtig. Das haben wir auch nicht negiert. Aber dazu gehört eben auch, dass die Hochschulen künftig in den Härtefallfonds einbezogen werden; denn gerade dort wird an vielen Standorten besonders energieintensive Forschung betrieben: an Hochleistungsrechnern, an Teilchenbeschleunigern und bei vielen anderen Projekten.
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Die bisherigen Maßnahmen reichen zwar zum Überleben der Hochschulen in der Krise aus, aber nicht für Spitzenleistungen an einem Spitzenstandort. Das haben auch die Vertreter der deutschen Wissenschaft am 30. November in der Anhörung zu unserem ersten Antrag vom 20. Oktober betont, als es generell um einen Rettungsschirm für die Wissenschaft in der Energiekrise ging – den die selbsternannte Fortschrittskoalition damals übrigens noch gar nicht im Blick hatte. Die Bundesforschungsministerin macht es sich zu leicht, wenn sie dazu sinngemäß sagt, der Bund tue ja schon so viel für die Hochschulen. Aber wenn es schiefgeht, dann sind halt andere schuld. So fährt man sehenden Auges an die Wand.
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Die Länder und die Hochschulen stoßen inzwischen an ihre Grenzen. So muss zum Beispiel die TU Darmstadt 2023 wahrscheinlich rund 20 bis 25 Prozent ihres Haushaltes für Energie aufwenden; dieses Jahr waren es nur 7 Prozent. Aber die Hochschulbudgets sind wenig flexibel. Da bleiben nur wenige Möglichkeiten, um die Energiekosten zu kompensieren, und zwar: die Gerätenutzung und den Zugang zu Wissen einzuschränken, zurück in die Distanzlehre zu gehen und an wissenschaftlichem Personal zu sparen. Und da mangelt es ja leider Gottes auch aktuell nicht an Beispielen. Das wird in erster Linie auf dem Rücken der Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler ausgetragen. So beißt sich die Katze in den Schwanz, nichts ist damit gewonnen, ganz im Gegenteil. Wir dürfen unser Potenzial nicht verschwenden.
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Und natürlich sind auch die Länder und die Hochschulen selbst gefordert. Kollege Becker, Hessen ist da ein ganz gutes Beispiel – ich danke, dass der Ball da auf den Elfmeterpunkt gelegt wurde. Denn das Land Hessen hat einen eigenen Notfallfonds von 40 Millionen Euro für die Hochschulen aufgesetzt, um sie von den steigenden Energiekosten zu entlasten. Aber nicht alle Bundesländer haben die Kraft, Frau Kraft, um ihre Hochschulen in dieser Krisenlage ausreichend zu unterstützen. Und es kann doch nicht vom Standort der Hochschule abhängen, ob sie offen bleiben und die Wissenschaft entsprechend unterstützen können.
Deswegen zum Schluss noch einmal mein Appell an Sie: Es ist nur ein kleiner Schritt, aber für Sie vielleicht ein großer Ruck: Stimmen Sie unserem Antrag zu!
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Altenkamp. – Letzte Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Ye-One Rhie, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Unionsfraktion, ja, Deutschland hat eines der leistungsstärksten Wissenschaftssysteme der Welt. Ja, die hohen Energiepreise stellen viele Wissenschaftseinrichtungen vor große Herausforderungen, und ja, steigende Betriebskosten dürfen nicht zum Stillstand von Bildung, Forschung und Innovation führen. – Vielleicht kommt Ihnen das jetzt genauso bekannt vor wie mir – meine Mitarbeiter/-innen haben mir nämlich einfach die Rede vom letzten Mal ausgedruckt.
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Ich verstehe das. Warum sollte sich mein Team Mühe geben, wenn Sie das nicht tun?
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Diesen Antrag haben wir, etwas anders, vor zwei Monaten schon einmal diskutiert. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, es gibt zwei Arten der Opposition: Es gibt die einen, die kritisch hinterfragen und wichtige Impulse liefern und im Sinne des Landes denken, und es gibt diejenigen, die einfach aus Prinzip immer wieder denselben Antrag stellen, immer nur meckern und das fordern, was sie in Regierungsverantwortung abgelehnt hätten und abgelehnt haben.
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Sie können jetzt wirklich mal darüber nachdenken, in welche Kategorie Sie fallen.
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Sie fordern, wir sollen den akademischen Nachwuchs schützen. Ich sage Ihnen: Das machen wir, und zwar seit Monaten. Wir haben – gegen Ihren Widerstand – ein höheres BAföG durchgesetzt,
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Wir haben – wieder gegen Ihren Widerstand – das BAföG in Krisensituationen geöffnet. Wir überarbeiten das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Wir wollen Studierenden 200 Euro Energiepreispauschale auszahlen.
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Ihre Unionskolleginnen und Unionskollegen in den Ländern drohen mit Blockade.
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Wir haben übrigens auch eine Härtefallregelung für energieintensive Forschung eingeführt. Damit decken wir bis zu 90 Prozent der Mehrkosten, sichern das nationale Hoch- und Höchstleistungsrechnen, schützen Forschungsschiffe und internationale Forschungsinfrastruktur. Wir stehen zu unseren Verpflichtungen auf der ganzen Welt. Das ist verantwortungsbewusste Ampelpolitik.
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Außerdem ist der Strombedarf aller Hochschulen für angewandte Wissenschaften durch unsere Preisbremsen geschützt. Jetzt kommt wahrscheinlich der Einwand: Aber was ist denn mit den großen Universitäten? – Sie vergessen dabei, wie immer, dass wir dafür gar nicht zuständig sind. Rufen Sie doch mal Ministerpräsident Hendrik Wüst an. Wenn die CDU-geführte Regierung in NRW endlich mal in die Gänge kommen würde, wäre schon ein Viertel aller Hochschulen in Deutschland abgedeckt. Oder Sie wenden sich direkt an das Wahlkampfteam von Markus Söder. Egal wie, lenken Sie nicht mit Ihren immer gleichen Anträgen ständig von Ihrem eigenen Nichtstun ab!
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Ganz zum Schluss wünsche ich uns allen eine besinnliche Weihnachtszeit. Vielleicht kommen wir ja im nächsten Jahr zusammen und bearbeiten gemeinsam die Herausforderungen, vor denen unser Land steht, konstruktiv, demokratisch – und ab und zu vielleicht auch mal mit einem wirklich neuen Antrag.
Vielen Dank.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Zwischen Februar und September 2022 sind rund 1 Million Geflüchtete aus der Ukraine registriert worden, etwa zwei Drittel davon sind weiblich, 350 000 sind Kinder und Jugendliche.
Die Aufnahme der ukrainischen Flüchtlinge stellt unser Land vor große Herausforderungen. Insbesondere unsere Kommunen leisten Hervorragendes. Ich möchte mich ausdrücklich bei den vielen Menschen in den Kindertagesstätten, Kindergärten und Schulen bedanken, die mit sehr viel Engagement den Geflüchteten eine gute Betreuung und eine vielfältige Bildung zukommen lassen.
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Wir müssen aber auch erkennen, dass unsere Kommunen, auch aufgrund der sogenannten Weltflüchtlinge, mittlerweile an ihre Belastungsgrenze kommen. Es wird immer schwieriger, Unterkünfte bereitzustellen, die Flüchtlinge angemessen zu betreuen und zu beschulen.
Es ist zu Recht unser Anspruch, insbesondere den Kindern und Jugendlichen eine gute Betreuung, eine gute Bildung zukommen zu lassen. Gerade weil das so ist, müssen wir als Bund intensiv schauen, wo wir unsere Kommunen noch besser unterstützen können. Ich fordere die Bundesländer auf, ihrerseits alle Anstrengungen zu unternehmen, damit unsere Landkreise, Städte und Gemeinden auch zukünftig in der Lage sind, die Flüchtlinge aufzunehmen und zu versorgen.
Wir wollen die Länder an ihre Verantwortung erinnern, die von der Bundesregierung zugesagte Beteiligung in Höhe von 1 Milliarde Euro auch tatsächlich für Bildungsausgaben im Zusammenhang mit den geflüchteten Ukrainern einzusetzen.
Die Koalitionsfraktionen haben den Antrag zur besseren Unterstützung in Bildung und Forschung für Geflüchtete aus der Ukraine eingebracht. Denn es ist doch so, dass alle direkten Hilfsmaßnahmen in Bildung und Forschung gesellschaftlich eingebettet sein müssen. Wir zielen unter anderem auf eine Fortsetzung der deutsch-ukrainischen Forschungskooperation sowie einen erleichterten Zugang von Geflüchteten zu Leistungen der Berufsorientierung und zu einer beruflichen Ausbildung.
Darüber hinaus wollen wir die Praxis der Anerkennung ukrainischer Schulabschlüsse, Schuljahre und pädagogischer Abschlüsse in enger Kooperation zwischen Kultusministerkonferenz und Bundesministerium für Bildung und Forschung möglichst einheitlich und unbürokratisch gestalten.
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Wir wollen grundsätzlich – unter bestimmten Voraussetzungen – qualifizierten Drittstaatsangehörigen auch ohne vorherige formale Anerkennung ihres Abschlusses die Erwerbszuwanderung nach Deutschland ermöglichen. Das betrifft insbesondere ukrainische Flüchtlinge. Wir müssen nicht immer unsere so geliebte Bürokratie auf die Spitze treiben. Wir Freien Demokraten halten es für sehr wichtig, dass eine Feststellung der Gleichwertigkeit des Abschlusses mit einem Referenzberuf in Deutschland zukünftig nicht zwingend erforderlich sein muss. Mit der Nationalen Weiterbildungsstrategie werden wir die Beratungsaktivitäten zur Weiterbildung stärken und eine Kultur der Weiterbildung fördern. Die Fördermöglichkeiten der BA wollen wir im Bereich „Weiterbildung und Qualifizierung“ noch stärker bekannt machen; denn hier gibt es vielfältige Möglichkeiten, die nach meiner Auffassung oft noch gar nicht bekannt sind.
Die Folgen des andauernden Angriffskrieges gegen die Ukraine auf Bildung und Wissenschaft sind verheerend: Für eine Vielzahl an Bildungsbiografien der Ukrainerinnen und Ukrainer gibt es unglaubliche Einschnitte. Es ist Aufgabe der Politik, Schülerinnen und Schülern und Studierenden aus der Ukraine in dieser Situation zu helfen. Die Öffnung des BAföG für Geflüchtete aus der Ukraine eröffnet ihnen eine Perspektive an den Hochschulen. Dabei ist das außerordentliche Engagement von DAAD und Alexander-von-Humboldt-Stiftung hervorzuheben. Gut, dass wir in den Haushaltsberatungen gerade die Mittel des DAAD verstetigt haben.
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Unabhängig von der humanitären Verpflichtung zur Hilfe sind gerade die ukrainischen Flüchtlinge nicht nur eine Belastung, sondern auch eine Chance für unser Land. Deutschland benötigt branchenübergreifend dringend Fachkräfte. Deshalb brauchen wir eine Fachkräfteeinwanderung, und deshalb wird die Ampelkoalition konkrete Vorschläge für die Weiterentwicklung des Rechtsrahmens erarbeiten.
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Die ukrainischen Flüchtlinge sind in der Regel sehr gut ausgebildet. Sie sind im Prinzip für unseren Arbeitsmarkt sofort verfügbar. Deshalb ist es gut, dass wir die Integrations- und Sprachkurse weiter ausbauen. Stand September haben 100 000 Menschen aus der Ukraine einen Integrationskurs begonnen und weitere 90 000 aus anderen Ländern.
In einer Zeit aufeinanderfolgender Krisen wird deutlich, dass das Bildungssystem, aber auch die Gesellschaft resilienter werden müssen. Hierzu gehört auch der Kampf gegen Desinformation und russische Propaganda, die auch in Deutschland Früchte trägt und die Ausländerfeindlichkeit fördert. Dieser Kampf ist gerade auch eine Aufgabe von Bildung und Wissenschaft. Die Bundesregierung wird im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel das Recht auf Bildung verwirklichen.
Insgesamt ist somit der Antrag das richtige Signal zur richtigen Zeit, und ich bitte um Ihre Zustimmung.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Heidt. – Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Ingeborg Gräßle, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident, ich hoffe, ich bringe die Rede ohne Zähneklappern zu Ende. Es ist wirklich frisch hier im Saal.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte für die CDU/CSU zuerst auch den vielen engagierten hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Kitas, den Schulen, den Hochschulen, in allen Bildungseinrichtungen danken. Sie leisten eine beispiellose Arbeit, die unsere Anerkennung, unseren Dank und unseren Beifall verdient.
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Diese Gruppe verdient Respekt. Auch die vielen Ehrenamtlichen in den Flüchtlingsinitiativen verdienen übrigens den Respekt dieses Hauses.
Ich bin ein bisschen betroffen, weil alles, was der Bundesregierung und den Regierungsfraktionen zu dem Thema einfällt, auf Trittbrettfahren beruht. Sie haben keine eigenen Initiativen und Aktionen gestartet. Sie sagen „wir“ und meinen „die anderen“.
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Meine Damen und Herren, Sie überlassen alle Arbeit den anderen, geben schlaue Ratschläge von außen, machen Ankündigungen und Versprechen und bieten nichts. Ihr Antrag ist eine Ansammlung von Worthülsen,
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eine Zumutung für alle engagierten Helferinnen und Helfer in den Kommunen, für die Kommunalpolitiker, die nicht mehr wissen, wie sie die Flüchtlinge unterbringen sollen, die nicht mehr wissen, wie sie die Energiekosten bezahlen sollen. Wir sind betroffen davon, dass mit so einem Stückwerk hier aufgeschlagen wird.
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Unser Land kann viel und steht zusammen. Es ist gut so, dass wir den ukrainischen Flüchtlingen in einer schwierigen Situation Chancen geben. Aber wer ist „wir“? Die Länder, die Kommunen. Der Bund? Fehlanzeige! Gute Worte statt Taten, leere Worte statt volle Unterstützung! Wir beraten einen Schauantrag aus dem Mai 2022, in dem es in Wahrheit ja darum geht, die fehlende konsequente militärische Unterstützung für die Ukraine hinter Worthülsen zu verbergen. Ein klassisches Ablenkungsmanöver – tut mir leid! –,
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ein Spiegelgefecht, hinter dem verborgen werden soll, wie spät und wie zögerlich die Regierung handelt, wie unvollständig sie handelt, wie lückenhaft die militärische Unterstützung Deutschlands bis heute ist.
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Unser erstes Ziel ist und muss bleiben, dass die Ukraine in diesem ungleichen Kampf nicht untergeht. Da darf es auf Ihrer Seite gerne noch ein bisschen mehr sein. Sie schmücken sich in dem Antrag ungeniert mit fremden Federn. Sie belasten andere, von der Europäischen Union über die Länder bis zu den Kommunen.
In den Kommunen findet alles statt, was in diesem Bereich wichtig ist. In meiner Stadt, in Schwäbisch Gmünd, wurden im September 232 ukrainische Kinder neu eingeschult. Sie treffen jetzt auf Mitschüler, die die Coronafolgen noch nicht weggesteckt haben.
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Und Sie, die Bundesregierung, die Bildungsministerin, was machen Sie? Das Programm „Aufholen nach Corona“ läuft in zwei Wochen aus. Das Startchancen-Programm – ja, wo ist es denn? Andere sollen für Sie die Kohlen aus dem Feuer holen. Sie wollen – das hat Herr Heidt auch gerade gesagt – intensiv schauen und dann irgendwas bekannt machen, was andere machen. Das Ministerium ist als möglicher Träger von Aktivitäten und Aufgaben nicht mal erwähnt, die Ministerin auch hier auf Tauchstation – schön, dass Sie da sind, Frau Ministerin; ich freue mich darüber –,
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ohne Ideen, eine wirklich schwache Leistung.
Ich kann nur sagen: Wir haben auch Probleme mit den Drittstaatlern, die aus der Ukraine, aus den ukrainischen Universitäten, nach Deutschland gekommen sind, die nach wie vor große Probleme haben. Es wäre schön, heute dazu etwas zu hören.
Die Engagierten vor Ort haben mehr verdient als Ihre Nebelkerzen. Wo ist das Unterstützungsprogramm als Perspektive für die Kommunen, die sich alle Mühe geben, die humanitären Verpflichtungen gegenüber den Flüchtlingen zu erfüllen, und die jetzt keinen Wohnraum mehr haben?
Ja, wir wollen Bildung und Chancen für die ukrainischen Kinder und Jugendlichen, damit keine verlorene Generation heranwächst. Wir sehen die umfassende Verantwortung des Bundes. Aber wir sehen von Ihnen PR, Selbstlob und das große Weihrauchfass, das Inhalte und finanzielle Hilfen ersetzt. Wir werden Ihren Antrag ablehnen.
Danke.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Gräßle. – Seien Sie versichert: Dass Sie frieren, ist keine Benachteiligung der CDU/CSU-Fraktion. Wir frieren hier alle solidarisch gemeinsam,
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ich jedenfalls auch. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht.
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Ich war früher mal ein heißer Typ; jetzt friere ich eben.
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Nächster Redner ist der Kollege Ruppert Stüwe, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine werten Kolleginnen und Kollegen! „Und ich dachte irgendwie, in Europa stirbt man nie“, singt die Band „Die Nerven“ in ihrem Song „Europa“. Seit Februar wissen wir: Das stimmt nicht mehr. Es gibt einen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der auch Bildung und Wissenschaft betrifft. Deshalb lohnt es sich, hier noch einmal darüber zu diskutieren, wie wir in diesem Land die Geflüchteten aus der Ukraine in Bildung und Wissenschaft unterstützen können.
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Um das noch mal in ein paar Zahlen zu gießen: Vier Universitäten in der Ukraine sind zerstört – Luhansk, Donezk, Charkiw und Saporischschja. 25 Universitäten und Hochschulen sind teilweise zerstört. 26 000 Lehrerinnen und Lehrer sind aus der Ukraine ins Ausland geflohen, 1,5 Millionen Schülerinnen und Schüler, 15 Prozent der im Wissenschaftssystem Beschäftigten.
Wissenschaft, Bildung und Forschung sind eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen. Das gebietet der Föderalismus, und das gebietet auch die Wissenschaftsfreiheit. Deswegen ist es richtig, dass wir hier als Deutscher Bundestag nicht alles beschließen und verändern können. Aber es ist wichtig, dass wir darüber debattieren und auch eine Perspektive eröffnen für Bildung und Wissenschaft, für die geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer.
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Wir brauchen eine Perspektive für diejenigen, die zu uns geflohen sind. Und natürlich haben wir da gehandelt. Wir haben für die ukrainischen Studierenden das BAföG geöffnet – Bundesbeschluss und Bundesgeld!
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Wir haben 1 Milliarde Euro für Länder und Kommunen, für die Integration bereitgestellt – der Bundeskanzler mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder. Wir haben das Hilde-Domin-Programm für geflüchtete Studierende und die Philipp-Schwartz-Initiative ausgeweitet.
Übrigens: Es sind die SPD-geführten Länder Berlin und Hamburg, die sich darangemacht haben, den Studierenden aus den Drittstaaten, das heißt denjenigen, die aus der Ukraine geflohen sind und keine ukrainischen Staatsangehörigen sind, eine Perspektive im Bildungssystem hier in Deutschland zu eröffnen. Das steht jedem Bundesland frei.
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Natürlich müssen wir diese Perspektive auch in die Arbeitswelt verlängern. Auch das machen wir, und das werden wir im Rahmen der Zuwanderungsregelung noch mal verstärken. Da hoffe ich, jetzt in einer Rede zu hören, dass wir Sie als Union an unserer Seite haben.
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Wir müssen aber auch die Perspektive für Bildung und Wissenschaft in der Ukraine von Anfang an mitdenken. Wir müssen über digitale Bildung reden. Wir geben Stipendien auch schon jetzt an diejenigen aus, die in der Ukraine lernen. Wir müssen schon jetzt ein klares Bekenntnis zum Engagement des DAAD in der Ukraine abgeben. Vielleicht können wir auch über binationale Hochschulen reden, die wir ja auch in anderen Ländern haben.
Und wir müssen etwas Drittes machen: Wir müssen auch über die Perspektive von Wissenschaft in Zeiten internationaler Konflikte sprechen. Deswegen ist es gut, dass wir als Deutscher Bundestag den DAAD, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung und übrigens auch die Max-Weber-Stiftung, die historische Institute im Ausland betreibt, zum Beispiel auch in Moskau und Warschau, noch einmal deutlich gestärkt haben.
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Wir müssen dafür sorgen, dass die Programme für geflüchtete Studierende und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verfestigt werden. Wir müssen raus aus der Ad-hoc-Mentalität und Europa und Deutschland zu einem Kontinent der Wissenschaftsfreiheit und der Sicherheit machen.
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1 800 Bildungseinrichtungen waren im Mai, als der Antrag gestellt wurde, in der Ukraine zerstört. Im November waren es 2 400. Und in Europa wird noch immer gestorben. Es braucht eine Perspektive der Solidarität in Bildung und in Wissenschaft. Deshalb ist es richtig, dass wir als Koalition diesen Antrag gestellt haben, und deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung.
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Vielen Dank, Herr Kollege Stüwe. – Das Wort erhält jetzt der Kollege Dr. Götz Frömming, AfD-Fraktion.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es fällt mir zwar nicht ganz leicht, aber zumindest in der heutigen Debatte muss man die CDU/CSU-Fraktion einmal loben. Die Kollegin Dr. Gräßle hat zum Antrag der Ampel genau das gesagt, was man sagen muss.
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Ihr Antrag ist zwar eng beschrieben, auf vier Seiten. Aber es ist tatsächlich so, wie die Kollegin sagte: Überwiegend ist es Lob für das, was andere getan haben; der Rest sind Absichtserklärungen. Konkrete Zusagen, wie denn jetzt der Bund den Ländern und Kommunen in dieser Situation helfen möchte, findet man nicht. Mit Verlaub, Herr Präsident, wenn ich Sie an der Stelle zitieren darf: Manchmal ist eben nicht nur das Papier dünn, sondern auch die Anträge, die darauf stehen. – Das trifft auf Ihren zu, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Als zu Beginn des Jahres klar wurde, dass zu uns Flüchtlinge kommen werden, und zwar diesmal echte Flüchtlinge,
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da hat natürlich auch die AfD-Fraktion gesagt, dass wir bereit sind, diese aufzunehmen. Es verwundert schon – es kommt gleich eine kleine Kritik in Richtung Union –, dass Ihnen ausgerechnet in diesem Zusammenhang der Begriff des Sozialtourismus und der Einwanderung in Sozialsysteme eingefallen ist. Also, wenn wir so etwas hatten, dann war es ja wohl 2015 folgende, und wenn ich mich recht entsinne, war das unter einer CDU-Kanzlerin. Das dürfen wir nicht vergessen. Also, die CDU/CSU hat keinerlei Recht, sich in dieser Frage hier so weit aus dem Fenster zu lehnen, wie das der Kollege Merz getan hat.
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Es sind inzwischen 200 000 ukrainische Kinder in unseren Schulen angekommen. Alles, was wir von vor Ort hören, läuft darauf hinaus, dass es im Grunde das Improvisationstalent der Kolleginnen und Kollegen vor Ort ist. Zusätzliche Lehrkräfte, die es dringend gebraucht hätte – übrigens auch schon davor, bevor die ukrainischen Kinder gekommen sind –, sind nicht in ausreichendem Maße eingestellt worden. Deshalb haben wir in unserem Antrag, der ja heute mitdebattiert wird, an erster Stelle gefordert, hier dafür zu sorgen, dass mindestens 24 000 weitere Lehrkräfte eingestellt werden. Sie werden dringend gebraucht, meine Damen und Herren.
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Denn vor Ort haben wir ja das Problem, dass auch die Vielzahl der geflüchteten ukrainischen Lehrer und Pädagogen aufgrund der formalen Vorschriften in den Ländern nicht in ausreichender Zahl an den Schulen angekommen sind. Deshalb behilft man sich, je nachdem, mit den Willkommensklassen, die schon 2015 folgende mehr schlecht als recht funktioniert haben, oder man steckt die ukrainischen Kinder gleich in die Regelklassen, wo sie normalerweise dem Unterricht gar nicht folgen können, und häufig sprechen auch die Lehrer kein Ukrainisch. Das sind Verhältnisse vor Ort, die nichts mit den Ansprüchen zu tun haben, die wir zumindest für ein Land wie unseres für richtig halten würden, das Bildung an die erste Stelle setzen sollte, meine Damen und Herren.
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Deshalb teilen wir auch die Kritik, die ja von den Lehrerverbänden vorgetragen und auch nachhaltig formuliert wurde, beispielsweise von Heinz-Peter Meidinger und anderen, dass endlich mehr geschehen muss. Der Bund kann sich hier nicht darauf ausruhen, dass es doch eigentlich Ländersache sei; denn die Entscheidung, so viele Flüchtlinge überhaupt ins Land zu lassen, war ja eine Entscheidung des Bundes. Deshalb bedürfte es doch hier einer gemeinsamen Kraftanstrengung. In anderen Fragen, wo es der FDP um die Finanzierung der Softwareindustrie ging, bei dem Digitalpakt, da waren Sie ja auch in der Lage, zusammen mit den Ländern einen Bund-Länder-Staatsvertrag zu schließen. Ich frage mich, warum das hier in diesem Fall nicht geht, wo es doch um die Kinder geht.
Meine Damen und Herren, wenn Bund und Länder offenbar nicht in der Lage sind, die ukrainischen Schülerinnen und Schüler angemessen zu versorgen, dann müssen wir in der Tat darüber nachdenken, ob vielleicht keine weiteren mehr aufgenommen werden können; es gibt schließlich noch weitere Länder in der EU. Deshalb: Strengen Sie sich etwas mehr an, –
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
– oder schauen Sie sich in Europa um! Deutschland hat schon einen sehr großen Beitrag geleistet.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Kai Gehring, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 24. Februar begann Putin seinen brutalen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine. Fast zehn Monate später bringt er immer noch tagtäglich unfassbares Leid über die Zivilbevölkerung: 17 000 Zivilisten wurden verletzt oder getötet; Millionen von Menschen in der Ukraine harren derzeit bei eisigen Minusgraden ohne Strom, Wärme und fließendes Wasser aus; seit Kriegsbeginn sind schätzungsweise 17 Millionen Menschen innerhalb der Ukraine vor den Angriffen geflohen oder haben das Land verlassen.
Fast 1 Million von ihnen haben Zuflucht und ein neues Zuhause bei uns in Deutschland gefunden, darunter viele Schülerinnen und Schüler, Studierende und Forschende, deren Bildungswege und akademische Laufbahnen durch Kampfhandlungen unterbrochen wurden. Auch jetzt, auch heute und so lange, wie es erforderlich sein wird, stehen wir weiter unbeirrt an der Seite der Menschen in der Ukraine,
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indem wir weiter Schutzsuchende in unserem Bildungs- und Hochschulsystem willkommen heißen und indem wir durch Unterstützungsmaßnahmen in der Ukraine auch das dortige Bildungs- und Wissenschaftssystem in den Blick nehmen.
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Diese Unterstützung tragen wir als Abgeordnete voran, und darum haben wir als Koalitionsfraktionen schon im Mai diesen Antrag eingebracht. Seitdem ist jeder der Forderungspunkte umgesetzt worden, angefangen mit der Öffnung des BAföG für ukrainische Geflüchtete, unbürokratisch und zackig wie nie zuvor.
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Mittlerweile konnte so vieles geschafft werden, und daher danke an alle, die dafür Sorgen tragen! Die Hilfsbereitschaft von Ländern, Kommunen, Bildungs- und Forschungseinrichtungen war von Anfang an großartig. Dieses Engagement aller in Kitas, Schulen, Ausbildungsbetrieben und Hochschulen möchten und müssen wir aufrechterhalten.
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Aktuell besuchen rund 200 000 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine eine deutsche Schule. Respekt vor allen Lehrkräften! Die Länder leisten hier eine große Kraftanstrengung, um Integrationsmaßnahmen unbürokratisch umzusetzen. Zur zentralen Koordinierung dieser Aufgabe hat die Kultusminister/-innenkonferenz eine Taskforce „Ukraine“ eingerichtet. Der Bund unterstützt die Länder umfassend bei der Finanzierung der Ausgaben für Geflüchtete aus der Ukraine, allein in diesem Jahr mit 3,5 Milliarden Euro, und das ist richtig angelegtes Geld.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade in diesen Zeiten stärken wir die Mittlerorganisationen der deutschen auswärtigen Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik institutionell, und über das Sondervermögen konnten wir außerdem zusätzliche Mittel für die Ukrainehilfe zur Verfügung stellen. Das sind Erfolge aus den Haushaltsberatungen, die einen riesigen Unterschied machen, sowohl für unsere deutsche Wissenschaftsdiplomatie als Ganzes als auch für die Einzelschicksale von Menschen, deren Leben durch Russlands Krieg über Nacht auf den Kopf gestellt wurde.
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Das zeigt sich auch sehr deutlich bei den Schutzprogrammen für gefährdete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, zum Beispiel der Philipp Schwartz-Initiative der Alexander von Humboldt-Stiftung, die einen enormen Andrang erfährt.
In Brüssel haben wir uns darüber hinaus dafür starkgemacht, dass es ein EU-weites Scholars-at-Risk-Programm gibt; angesichts der Weltlage und massiver Einschränkungen von Wissenschaftsfreiheit in vielen Ländern auf dem Globus wäre es an der Zeit.
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Für viele ist die neu eingerichtete Nationale Akademische Kontaktstelle Ukraine eine wichtige erste Anlaufstelle, in der alle Angebote gebündelt und strukturiert aufbereitet werden. Das BMBF und der DAAD haben Programme wie „Integra“ und „Welcome“ erweitert und die Programme „Ukraine digital“ und „Digitaler Campus“ ins Leben gerufen. Das Programm „Ukraine digital“ dient übrigens vorrangig der Stabilisierung der ukrainischen Hochschulen vor Ort und ermöglicht Studierenden und Lehrenden aus der Ukraine eine Fortführung ihrer akademischen Laufbahnen, und das ist so wichtig.
Erste Bilanzen zeigen: Der Bedarf ist riesig. Allein das „Integra“-Programm verzeichnete bis September 53 000 Anfragen. Besonders viele Drittstaatenangehörige haben das Programm in Anspruch genommen; das liegt auch an der nach wie vor unsicheren aufenthaltsrechtlichen Situation dieser Gruppe.
Daher appelliere ich noch mal an die Bundesinnenministerin: Unsere Hilfe darf nicht nach Nationalität differenzieren. Laut Schätzungen der Hochschulrektorenkonferenz sind circa 10 000 Studierende aus Drittstaaten nach Deutschland geflohen. Diese Menschen sind vor dem gleichen Krieg geflohen wie gebürtige Ukrainerinnen und Ukrainer; sie müssen das gleiche Recht auf Schutz erhalten, um ihr Studium hierzulande fortzusetzen.
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Es ist ja gut, dass einzelne Bundesländer Sonderregelungen für internationale Studierende aus der Ukraine erlassen. Was es braucht, ist aber endlich eine bundesweite Lösung für diese Menschen, die ihnen die Angst vor der Abschiebung nimmt.
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Die Prioritätensetzung des Bundesinnenministeriums mit Blick auf das Prinzip der Gleichbehandlung, aber auch mit Blick auf 10 000 potenzielle Fachkräfte in unserem Land ist mehr als fragwürdig.
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Meine Damen und Herren, Wissenschaftsfreiheit und das Recht auf Bildung sind Gradmesser für Demokratie und Menschenrechte. Russlands Angriffskrieg ist auch ein Feldzug gegen diese Werte. Unsere Antwort ist Solidarität und Stärkung der Menschen im Bildungs- und Wissenschaftssystem – und das auch weiterhin, auch im zehnten Monat des Kriegs, so lange, wie es notwendig ist. Unsere Botschaft bleibt: Wir stehen weiter an eurer Seite.
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Vielen Dank, Herr Kollege Gehring. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Nicole Gohlke, Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampelkoalition, ich habe es Ihnen schon mal im Mai gesagt, als wir den Antrag der Koalition hier zum ersten Mal beraten haben: Vieles von dem, was Sie aufschreiben und formulieren, klingt sehr gut. Das ist der richtige moralische Kompass: Menschen in Not, den Menschen aus der Ukraine, die vor diesem unmenschlichen Angriffskrieg fliehen müssen, helfen zu wollen und die ukrainischen Kinder und junge Menschen, die hierherkommen, so schnell wie möglich in das deutsche Bildungssystem zu integrieren. Aber ehrlich gesagt ist es so, dass Sie, außer dass Sie mit diesem Antrag Ihren moralischen Kompass dokumentiert haben, ziemlich wenig gemacht haben, um die desaströse Lage in den Kitas, Schulen, Hochschulen und Berufsschulen auch nur annähernd in den Griff zu kriegen.
Die Wahrheit ist: Sie haben nicht eine Voraussetzung mehr geschaffen, nicht eine Bedingung verbessert, um die Mammutaufgaben in der Bildung zu stemmen: von der Bewältigung der Pandemiefolgen über die Integration von über 200 000 ukrainischen Kindern und jungen Menschen bis hin zu den Herausforderungen der Inklusion und dem Schließen der sozialen Schere in der Bildung. Sie haben nicht daran mitgewirkt, die Umsetzung dieser Aufgaben besser gelingen zu lassen. Das ist leider die Wahrheit.
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Ist Ihnen schon aufgefallen, dass Kitas und Horte seit Wochen massenweise schließen müssen wegen Krankheit und großen Personalmangels? Haben Sie mitbekommen, dass zum Beispiel in Sachsen-Anhalt manche Schulen kaum mehr die Hälfte des Unterrichts abdecken können? Haben Sie mitgeschnitten, dass es massive, alarmierende Defizite beim Lesen, Schreiben und Rechnen bei Grundschulkindern gibt und dass uns überall im Bildungssystem das Fachpersonal fehlt? Bekommen Sie das eigentlich mit? Denn Ihre Reden geben das wirklich nicht her.
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Ganz ehrlich: Bei diesen Zuständen stellt sich irgendwann nicht mehr die Frage, wie man Menschen ins Bildungssystem integriert, wenn die Bildungseinrichtungen dichtmachen und die Beschäftigten einfach nicht mehr können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel, ich habe manchmal den Eindruck, Sie erfreuen sich an Ihren schönen Worten, Sie sonnen sich in dem guten Gefühl, das moralisch Richtige zu wollen und aufzuschreiben. Aber wenn es darum geht, die schönen Worte und das moralisch Richtige Realität werden zu lassen, dann stellen Sie dafür kein Geld bereit und schieben die Verantwortung ab. Ich finde, das geht nicht. Und ich glaube, dass die Menschen das auch mitbekommen.
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Die Wahrheit ist: Es gibt nicht eine Lehrkraft mehr, nicht eine pädagogische Fachkraft mehr, nicht eine Sozialarbeiterin, einen Sozialarbeiter mehr, keine Idee, wie man zu kleineren Gruppen und kleineren Klassen kommt, keine bessere Bezahlung, nicht mehr Fortbildung, keine Investitionen in die maroden Schul- und Hochschulgebäude. Ich finde, das ist angesichts dieser Situation einfach viel zu wenig.
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Die GEW, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, fordert gerade eine 100-Milliarden-Euro-Offensive für die Bildung, und die Wahrheit ist: Dieser Betrag ist realistisch. Das ist die Situation.
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Wir müssen tatsächlich über solche Hausnummern reden, wenn wir das Bildungssystem für alle Kinder, für alle jungen Menschen auf Vordermann bringen wollen. Ich sage Ihnen: Stellen Sie die Weichen dafür, statt immer nur wohlklingende Anträge zu formulieren!
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der Kollege Norbert Altenkamp, CDU/CSU, ist der nächste Redner.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor fast genau einem halben Jahr haben wir schon einmal über die beiden Anträge zur besseren Integration von geflüchteten ukrainischen Schülerinnen und Schülern, Studierenden und Forschenden in unser Bildungssystem diskutiert. Das war ein wichtiges Signal. Richtig war auch, dass der Bund den Ländern im April für die Integration zusätzlich 1 Milliarde Euro zur Verfügung gestellt hat.
Ich finde es jedoch befremdlich, dass erst heute über die Beschlussempfehlung des Ausschusses zu den Anträgen abgestimmt wird. Ist das ein Zeichen, dass das Thema bei der selbsternannten Fortschrittskoalition leider doch keine so hohe Priorität besitzt, oder ist es ein Ausdruck von Hilflosigkeit?
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Das wäre fatal; denn inzwischen hat sich die Lage gerade im Schulbereich noch einmal verschärft. Heute geht es um doppelt so viele, zumeist zutiefst traumatisierte Schülerinnen und Schüler, die in unseren Schulen angemeldet sind oder die teilweise noch einen Schulplatz oder eine ihrer Leistungsfähigkeit angemessene Schule suchen, nämlich rund 200 000. Über den Winter ist sicher noch mit einem weiteren Anstieg zu rechnen; leider. Die meisten Schulen wären damit schon in normalen Zeiten überfordert.
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Aber auch die Folgen der Coronakrise sind noch nicht überwunden. Hinzu kommt die Energiekrise.
An allen Ecken und Enden fehlen in erster Linie Lehrkräfte und Schulräume. Bei 60 Lehrkräften pro 1 000 Schülern – so die Schätzung der KMK-Präsidentin Karin Prien – brauchen wir aktuell rund 12 000 zusätzliche Lehrkräfte nur für die ukrainischen Schulkinder.
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Die aber können auch mit noch so viel Geld nicht herbeigezaubert werden, erst recht nicht, wenn viele der ukrainischen Familien inzwischen länger hierbleiben wollen und müssen; denn ein Ende des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ist leider nicht abzusehen.
Sicher würde es helfen, wenn wir die Anforderungen an die Berufsanerkennung der geflüchteten ukrainischen Lehrkräfte etwas herunterschrauben, damit sie schneller beim Unterricht eingesetzt werden können und eine echte Perspektive haben.
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Die Lehrerausbildung in der Ukraine mag etwas anders sein, aber sie wird sicher nicht schlechter sein als die unsere. Die Nachqualifizierung muss und kann dann auch berufsbegleitend erfolgen. Insgesamt müssen wir auf allen Ebenen flexibler und unbürokratischer werden, um den Lehrkräftemangel abzumildern; lieber Peter Heidt, da nehme ich dich beim Wort.
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Angesichts dieser Herausforderungen ist es fast ein Wunder, dass die Integration an den Schulen, wie Karin Prien sagt, vielerorts „relativ geräuschlos“ gelungen ist – auch wenn noch viele Probleme gelöst werden müssen. An erster Stelle haben gerade die Kommunen, die Lehrerinnen und Lehrer, die Ehrenamtlichen, die Eltern und auch die Kinder geradezu Unglaubliches geleistet, damit Integration gelingt, und sie engagieren sich unermüdlich weiter. Herzlichen Dank an Sie alle für diesen großartigen Einsatz, auch an die Macher in den Kommunen!
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Aber wo ist eigentlich der Beitrag des Bundes? Alleine mehr Geld für die Länder reicht hier nicht. Das Programm „Aufholen nach Corona“ wird leider nicht fortgesetzt, und das Startchancen-Programm kommt viel zu spät, wenn überhaupt.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Altenkamp. – Nächster Redner ist der Kollege Hakan Demir, SPD-Fraktion.
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Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über 1 Million Menschen sind inzwischen aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. Der Krieg hat ihnen nicht nur die Heimat genommen, er hat ihnen auch die Gewissheit genommen, die das Lernen in vertrauten Räumen und in der vertrauten Sprache bietet. Deswegen ist es wichtig, dass wir heute besonders über die Solidarität mit Schülerinnen und Schülern, mit Studentinnen und Studenten sprechen. Sie haben unsere Unterstützung, um ihren Bildungsweg in Deutschland fortzusetzen.
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Dabei sind nicht nur Ukrainerinnen und Ukrainer geflohen; auch viele Drittstaatsangehörige, wie wir heute schon gehört haben, hatte es zum Studium an ukrainische Hochschulen gezogen. Auch sie wurden durch denselben Krieg vertrieben, auch nach Deutschland. Ich habe in den letzten Monaten immer wieder mit diesen Studierenden gesprochen, zuletzt am Samstag mit einigen jungen Menschen zum Beispiel aus Somalia. Für sie war die Ukraine der Ort, mit dem sie die Hoffnung verbunden haben, Ärztin oder Zahnarzt zu werden. Der russische Angriffskrieg hat diese Hoffnung zerstört.
Von Anfang an war klar, dass Deutschland für flüchtende Menschen aus der Ukraine offensteht, unabhängig vom Pass. Auch Drittstaatsangehörige durften für 90 Tage ohne Visum hier sein, waren also sicher. Aber wer sein Zuhause verliert, braucht nicht nur kurzfristigen Schutz, sondern einen Ort mit Bleibeperspektive. Deshalb bin ich dankbar, dass Deutschland sich dafür eingesetzt hat, dass auch Menschen aus Drittstaaten den europaweit einheitlichen temporären Schutz genießen, zumindest wenn sie nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland zurückkehren können. Ich bin auch dankbar, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser schnell klargestellt hat, dass Menschen mit einem dauerhaften Aufenthaltstitel in der Ukraine natürlich mehr Verbindung zur Ukraine haben als zu ihrem Geburtsland. Sie werden daher mit Ukrainerinnen und Ukrainern gleichgestellt, und das ist eine gute Sache.
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Wir wissen aber auch, dass einige Bundesländer weiter vorausgehen. Wir haben beispielsweise Berlin, Hamburg und Bremen, die diesen Drittstaatsangehörigen eine Fiktionsbescheinigung für sechs Monate ausgestellt haben. Ich glaube, das ist eine gute Lösung. Ich habe aber auch vor einigen Stunden aus Augsburg, aus Bayern, eine Nachricht erhalten von einem Studierenden, der in Augsburg eigentlich schon anfangen sollte, zu studieren. Er soll aber jetzt im Dezember abgeschoben werden. Das sind Schicksale, die vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels natürlich absolut irrsinnig sind. Ich bin froh darüber, dass wir mit diesem Antrag ein klares Zeichen dafür setzen, dass wir auf Bundesebene eine einheitliche Lösung suchen.
Danke schön.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein blauer Brief: Alarm! Versetzung gefährdet. – Einen solchen Warnschuss haben Sie, Frau Ministerin Stark-Watzinger, jetzt bekommen. Es geht um die Energiepauschale für Studierende.
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Die Kultusminister aller Länder schreiben – ich zitiere –:
Die Bundesregierung beschäftigt sich seit mehreren Monaten mit der Auszahlung dieser 200 Euro
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und legt dennoch einen Gesetzentwurf vor, der wesentliche Umsetzungsfragen zur Bewilligung und Auszahlung offen lässt.
Das Urteil lautet also parteiübergreifend: Hausaufgaben nur halb und schlampig gemacht, zulasten von Studentinnen und Studenten, die seit Monaten warten, darunter übrigens auch geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer.
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Und dann dieser Antrag mit dem hehren Titel – ich zitiere –: „Unterstützung in Bildung und Forschung für Geflüchtete aus der Ukraine“. Glücklicherweise gibt es diese Unterstützung,
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dank des Einsatzes von vielen Menschen in diesem Land, haupt- und ehrenamtlich, in Kitas, in Schulen, in Betrieben, Vereinen, Hochschulen. Sie alle kümmern sich darum, das Recht auf Bildung auch umzusetzen und sicherzustellen. Ihnen allen gebührt unser Dank – ihnen, leider nicht dem Bund. Denn was hat die Ampel getan? Ja, sie hat das BAföG geöffnet, aber daneben hat sie faktisch nichts getan.
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Das Beweismittel ist Ihr eigener Antrag. Sie listen zwar fleißig die Aktivitäten in Ländern und Kommunen für geflüchtete Kinder und Jugendliche auf. Aber was tun Sie, liebe Ampel, jetzt?
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Die bittere Antwort lautet: Nichts. – Dabei könnten Sie es. Beispiel: Sie sprechen von der Integration ukrainischer Kinder in Kitas. Aber gleichzeitig streichen Sie das segensreiche Programm der Sprach-Kitas.
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Dabei wissen wir: Sprache ist der Schlüssel zur Welt. Sie sprechen von Betreuungs- und Bildungsangeboten, aber Sie beenden das Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“.
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Damit wurden unter anderem Lernförderung und Sozialarbeit finanziert. Anderweitige Hilfe: nicht in Sicht.
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– Sie brauchen jetzt nicht zu schreien. Lautstärke kann die Wahrheit nicht ersetzen.
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Sie kündigen ein Startchancen-Programm an. Start ist aber erst im Schuljahr 2024/25, in zwei Jahren. Sie kündigen die Energiepauschale an, Programmstart unbekannt. Betroffen sind immer auch Kinder und Jugendliche aus der Ukraine. Unterstützung von Ihnen: Fehlanzeige. Sie entziehen sich Ihrer Verantwortung und haben die Chuzpe,
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in Ihrem Antrag Ländern und Kommunen auch noch Hausaufgaben mitzugeben, wie die AfD, die die Länder nur adressiert. Dafür gibt es in der Schule nur eine Note: Mangelhaft. – Setzen, sechs!
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Das waren jetzt zwei Noten, Frau Kollegin: „mangelhaft“ und „sechs“. – Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Maja Wallstein, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Schön, dass Sie da sind. – In neun Tagen, vier Stunden und fünf Minuten ist Weihnachten. Warum ich das so genau weiß? Meine Tochter fragt mich praktisch jeden Tag, und da entwickelt man eine gewisse Expertise.
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Sie freut sich sehr auf Weihnachten.
Viele Menschen tun das, ist Weihnachten doch das Fest, an dem wir besinnlich und geborgen im Kreise unserer Lieben feiern. Zu meinen Lieben gehören seit März auch Katja mit ihren kleinen Töchtern Mascha und Julia, die etwas größere Mascha mit ihrer Mutter Kateryna, außerdem Olya und der kleine Nikita und die Großeltern Luba und Sascha – alle aus Charkiw.
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Wie vermutlich alle hier im Haus wünsche ich mir, dass alle meine Lieben Weihnachten so besinnlich und geborgen wie möglich feiern können.
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Die Väter, Onkel und Söhne, aber auch die dagebliebenen Nachbarn, Freunde und Töchter werden ein anderes Weihnachten erleben. Schon jetzt sitzen sie, begleitet von regelmäßigem Sirenengeheul, bei Minusgraden in ungeheizten Wohnungen und frieren. Sie stehen stundenlang in der Kälte, wenn sie an öffentlichen Brunnen für Wasser anstehen, weil es immer wieder Notabschaltungen und Ausfälle gibt. Inzwischen ist mehr als die Hälfte des ukrainischen Stromnetzes durch die russischen Angriffe beschädigt worden. Das sind Kriegsverbrechen, und wir dürfen nicht müde werden, sie auch immer wieder als solche zu benennen, zu verurteilen und alles zu tun, um die Ukraine zu unterstützen.
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Das tut der Bund, das tun wir von Beginn an. Deutschland hat Hilfen in Höhe von 5,4 Milliarden Euro geleistet oder zugesagt – die dritthöchsten weltweit. Bei der humanitären Hilfe sind wir weltweit auf Platz zwei. Die Zusagen der EU und ihrer Mitglieder zusammen sind höher als die der USA. Das ist die Solidarität, die die Menschen in unserem Land von uns erwarten. Woher ich das weiß? Weil man nur zwei Schritte rausgehen muss, um zu erkennen, dass unfassbar viele Menschen in unserem Land die Schutzsuchenden unterstützen. Das unterstreicht unser Antrag auch ganz deutlich.
Besonders hervorheben möchte ich heute unsere Hochschulen. Ich bin beeindruckt, was zum Beispiel die Hochschulen in Brandenburg auf die Beine gestellt haben, wie sie Forscher/-innen und Studis unterstützen, die direkt und indirekt unter den Auswirkungen des Krieges leiden. Es sind Geschichten wie die der Studentin aus Lwiw, die an der TH Brandenburg ist und deren Freund in der letzten Woche im Krieg gefallen ist, oder die von Margaryta Shcherbiak, die jetzt an der BTU Cottbus-Senftenberg ist, aber anschaulich berichtet, wie schuldig sich diese jungen Menschen aus der Ukraine fühlen – Zitat –: Wir sind hier und sind am Leben, und die anderen sind jung und tot und liegen kalt in einem Graben.
An der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde haben Studis Hilfstransporte in die Ukraine organisiert. In Cottbus am Lehrstuhl Umweltplanung forscht seit September Professorin Liudmyla Paliekhova vom Marketing-Lehrstuhl der Dnipro University of Technology. Mit Mitteln des DAAD hat die Technische Hochschule Wildau die Wildau-Kharkiv IT Bridge ins Leben gerufen. Dabei geht es darum, Personal an ukrainischen Hochschulen zu halten und Studienmöglichkeiten im IT-Bereich anzubieten. Auch das zeigt, wie richtig und wichtig es war, dass wir die Mittel für den DAAD am Ende deutlich erhöht haben.
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Das hilft auch Darina Snizhko, die an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf in Potsdam Kamera studiert. Sie fühlt sich wohl in Potsdam, wo sie und ihre Mutter große Unterstützung erfahren. An der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder forscht mittlerweile Olena Zinenko. Sie ist Mutter von zwei Kindern, war Forscherin und Dozentin an der Karazin Kharkiv National University. Ihre Förderung läuft im März 2023 aus. Es muss unser Anspruch sein, diesen Forscherinnen und ihren Kindern, die ja jetzt in unsere Schulen gehen, Zukunftsperspektiven zu bieten.
Jetzt sind es noch neun Tage, vier Stunden und eine Minute bis Weihnachten.
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Die Zeit bis dahin und die Zeit danach sollten wir füllen – mit der Stärke der Solidarität, des Zusammenhalts und des friedlichen Miteinanders, um Putin und seinen Trollen den Finger zu zeigen.
Vielen Dank.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ece war ein 14‑jähriges Mädchen, das ihr ganzes Leben noch vor sich hatte. Wie alle Mädchen in diesem Alter hatte sie bestimmt viele Träume und Pläne für die Zukunft. Ihre Mutter hat sie als Mädchen beschrieben, das immer lächelte und immer fröhlich war – so bestimmt auch an jenem Morgen des 5. Dezember, als sie unbekümmert mit ihrer Freundin zur Schule ging. Ece und ihre Familie haben darauf vertraut, dass in unserem Land Kinder auf dem Weg zur Schule sicher sind. In einem funktionierenden Staat mit einer verantwortungsvollen Regierung sollten sie das auch sein. Doch leider ist das nicht der Fall. Die Eltern können Ece nicht mehr in den Arm nehmen, weil sie auf dem Schulweg in der kleinen baden-württembergischen Gemeinde Illerkirchberg von einem Asylbewerber aus Eritrea mit einem Messer bestialisch ermordet wurde.
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All die Hoffnungen und Wünsche eines Mädchens und ihrer Familie wurden unwiederbringlich zerstört. Ich vermag als Vater eines elfjährigen Sohnes nicht zu ermessen, welche unsägliche Trauer und welch unerträgliches Leid die Eltern und Verwandten von Ece empfinden und ertragen müssen. Ich kann den Eltern, Geschwistern und Angehörigen aber aus tiefstem Herzen versichern, dass wir als AfD-Fraktion in dieser schweren Zeit an ihrer Seite stehen und echtes, tiefes Mitgefühl empfinden.
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Ich will aber auch klar zum Ausdruck bringen – diese Botschaft richtet sich an die Regierung und an die anderen Fraktionen in diesem Haus –, dass sich unsere Gemütslage nicht nur auf Mitgefühl beschränkt. Nicht nur ich als Vater und Sicherheitspolitiker, sondern auch sehr viele Eltern und Großeltern in diesem Land sind wütend, fassungslos und mit ihrer Geduld am Ende, weil sich Eces Tod in eine Vielzahl von Morden mit Messern und Macheten durch sogenannte Flüchtlinge einreiht, die allesamt mit einer verantwortungsvollen Sicherheits- und Migrationspolitik hätten verhindert werden können.
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Man muss es klar und deutlich aussprechen: Die Migrationspolitik dieser Bundesregierung tötet Menschen in unserem Land, und damit muss endlich Schluss sein!
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Wenn wir in diesen Staat nicht mal mehr gewährleisten können, dass unsere Kinder auf dem Schulweg vor Mördern sicher sind, dann ist das nicht mehr nur ein sicherheitspolitisches Totalversagen, dann ist das eine Schande für unser Land, und diese Bundesregierung sollte sich schämen.
Dass die Innenministerin nach diesem grausamen Messermord auch noch die Abschiebung eines verurteilten afghanischen Sexualstraftäter verweigert, der 2019 in der Flüchtlingsunterkunft von Illerkirchberg an einer Gruppenvergewaltigung beteiligt war und genau diese Gemeinde jetzt gezwungen ist, diesen gefährlichen Verbrecher bei sich unterzubringen, übersteigt das Maß des Erträglichen und Zumutbaren bei Weitem. Empathie- und verantwortungsloser geht es nicht mehr. Schlimmer kann man als Innenministerin seine Verachtung gegenüber der eigenen Bevölkerung nicht mehr zum Ausdruck bringen.
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Wer trotz all der von sogenannten Zuwanderern begangenen Morde in unserem Land diese todbringende Migrationspolitik nicht sofort korrigiert, der – das sage ich in aller Deutlichkeit – kann sich seine geheuchelte Anteilnahme und die immer wiederkehrenden Beileidsbekundungen sparen.
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Wie viele Väter, wie viele Mütter, wie viele Kinder müssen in diesem Land denn noch sterben, bis diese Regierung endlich reagiert?
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Wir wollen keine Worte mehr hören; wir wollen endlich Taten sehen. Schaffen Sie endlich Sicherheit in diesem Land! Dazu bedarf es eben auch einer ideologiefreien Lageanalyse.
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Deshalb fordern wir in unserem Antrag eine sofortige Veränderung der Erfassung, in der Polizeilichen Kriminalstatistik eine klare bundesweite Aufschlüsselung der Messertäter nach Nationalitäten und zusätzlich bei deutschen Messertätern eine Darstellung des Migrationshintergrundes, und zudem wollen wir auch eine bundesweite Erhebung der Anzahl und Nationalität der Opfer; denn das ist zwingend erforderlich, um die Messerkriminalität differenzierter und gezielter bekämpfen zu können.
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Dass das nicht schon längst umgesetzt ist, zeigt, dass es Ihrer Regierung nicht um Aufklärung, sondern offensichtlich eher um Vertuschung der wahren Ursachen für die grassierende Messerkriminalität in unserem Land geht. Denn in Baden-Württemberg haben wir diese Aufschlüsselung schon längst, und diese Zahlen sind verheerend. Dort gab es bei den Messerdelikten 2021 einen nichtdeutschen Täteranteil von über 55 Prozent, und davon waren 38 Prozent Asylbewerber und Flüchtlinge. Das belegt, dass es sich bei Gewalttaten mit Messern zum überwiegenden Teil um importierte Kriminalität handelt; das ist ein untragbarer Zustand.
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Aufgrund der bisher bereits vorliegenden Zahlen ist eines völlig klar – die AfD fordert dies seit Jahren –: Effektiver Grenzschutz und Abschiebungen retten Leben. Viele der Messermörder hätten gar nicht erst in unser Land gelassen werden dürfen oder müssten schon längst abgeschoben sein. Deshalb muss jetzt beides sofort umgesetzt werden. Das sind wir Ece und den unzähligen anderen Opfern schuldig.
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Wer jetzt immer noch untätig bleibt, der handelt gewissenlos und pflichtvergessen und trägt eine Mitverantwortung an zukünftigen Messermorden.
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Das Wort hat die Kollegin Simona Koß für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach solch einer Rede fällt es mir schwer, hier noch sachlich zu bleiben.
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Wer in diesen Tagen und Wochen unterstellt, dass Antisemitismus importiert wird und von Zugewanderten hauptverursachend betrieben wird, hat entweder etwas zu verbergen, ist schlecht informiert oder will Angst verbreiten.
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Meine Vermutung: Es trifft alles zu!
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Die AfD ist schlecht informiert, hat etwas zu verbergen und hat eben bewiesen, dass sie Angst schürt.
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Nun, meine Damen und Herren, halten wir uns an die Fakten, konkret an das „Lagebild Antisemitismus 2020/21“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz, das in beeindruckender Klarheit Licht in das dunkle Feld des Antisemitismus in Deutschland bringt.
Antisemitismus hat in Deutschland viele Facetten. Am weitesten verbreitet ist der Antisemitismus in rechten Kreisen. Antisemitismus zeigt sich aber ebenso von links. Insbesondere im Antiimperialismus finden sich antisemitische Erklärungsmuster. Nahezu fließend ist der sich in Deutschland zeigende, aber vom Ausland getriebene Antisemitismus, getarnt als Antizionismus gegen Israel. Antisemitismus gibt es auch im Islamismus,
({4})
vor allem getrieben durch die Ablehnung des Staates Israel.
Nun, meine Damen und Herren, komme ich auf den Kontext des vorliegenden Antrags zu sprechen: auf den Antisemitismus im Bereich der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter.
({5})
Ausgerechnet eine Woche nachdem unsere aufmerksamen Sicherheitsbehörden mit den Verhaftungen einer Terrorzelle von Reichsbürgern einen blau-braunen Sumpf trockengelegt haben, fragt die AfD nach dem durch Zugewanderte getriebenen Antisemitismus.
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Schauen wir doch ganz nüchtern auf die Fakten, konkret auf die Zahlen. Der RIAS-Bericht spricht eine deutliche Sprache: Von den im Jahr 2021 dokumentierten 2 738 antisemitischen Vorfällen waren 17 Prozent rechtsextrem bzw. rechtspopulistisch getrieben. Dazu kommen 16 Prozent aus dem verschwörungsideologischen Milieu. 9 Prozent waren getrieben durch antiisraelischen Aktivismus, und jeweils 1 Prozent der gemeldeten Vorfälle kamen aus der politischen Mitte, dem linken/antiimperialistischen Bereich, dem islamisch-islamistischen Milieu sowie dem christlichen Fundamentalismus. Rund 54 Prozent aller Vorfälle lassen sich nicht konkret zuordnen.
({7})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus diesen Zahlen lese ich nicht heraus, dass ein angeblich von zugewanderten Menschen importierter Antisemitismus das vorherrschende Problem bezüglich des Antisemitismus in Deutschland ist.
({8})
Lassen wir uns doch nicht ablenken von der eigentlichen Gefahr in unserem Land,
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und zwar dem Antisemitismus, der ausgeht von gewaltorientierten Rechtsextremisten, sogenannten Neuen Rechten in bürgerlichen Kreisen, aggressiven Verschwörungstheoretikern im Zusammenhang mit der Coronapandemie
({10})
und den Parteien im rechten Spektrum, deren parlamentarischer Arm diesen Antrag geschrieben hat.
({11})
Im Verfassungsschutzbericht finden sich klare und eindeutige Belege für antisemitische Aussagen von AfD-Vertretern. Vom „Vogelschiss der Geschichte“ über den „Schuldkult“
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bis hin zu Werbung für den Telegram-Kanal des radikalen Antisemiten Attila Hildmann.
({13})
Und – zur Erinnerung –: Ein Mitglied der AfD, eine ehemalige Bundestagsabgeordnete, ist die Brücke der AfD-Fraktion zu den sogenannten Reichsbürgern
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und ihrem tiefsitzenden Antisemitismus. Reichsbürger, meine Damen und Herren, glauben ernsthaft, dass Deutschland von einer Schattenregierung regiert wird, die im Verborgenen illegitime Machtstrukturen aufbaut.
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Dieser Glaube an einen Deep State baut auf traditionelle antisemitische Erzählungen auf, die im Laufe der Jahrhunderte Jüdinnen und Juden immer wieder als ebendiese Strippenzieher denunziert haben, die im Verborgenen angeblich eine Verschwörung betreiben sollen. Noch vor zehn Tagen hatte die Reichsbürgerbewegung über eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete einen fast problemlosen Zugang zum Bundestag.
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Wenn wir, meine Damen und Herren, über Antisemitismus reden, dann halten wir uns doch an die Fakten, von wem jeden Tag eine Gefahr für jüdisches Leben in Deutschland ausgeht.
({17})
Die vor Kurzem vorgestellte Strategie gegen Antisemitismus wird von allen Parteien des demokratischen Spektrums mit Leben gefüllt werden – aus guten und notwendigen Gründen. Lassen Sie uns das gemeinsam tun! Bringen Sie das mit mir gemeinsam voran!
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Moritz Oppelt das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Als ich das Thema des Antrags gestern gelesen habe, war ich, ehrlich gesagt, erstaunt.
({0})
Da finden letzte Woche in mehreren Bundesländern unter Beteiligung mehrerer Tausend Polizisten Hausdurchsuchungen bei Reichsbürgern und Verschwörungstheoretikern statt, die in weiten Teilen auch antisemitischen Ideologien anhängen, und mitten unter diesen Personen findet sich eine ehemalige Bundestagsabgeordnete der AfD.
({1})
Und Sie von der AfD-Fraktion erlauben es sich, hier nur eine Woche danach einen Antrag zu importiertem Antisemitismus zu stellen.
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Reden wir doch mal über den Antisemitismus, den Sie aus Ihrer Fraktion exportieren! Räumen Sie doch erst mal den eigenen Laden auf, bevor Sie hier mit dem Finger auf andere zeigen!
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Immer dann, wenn es bei der AfD gerade schlecht läuft, wird dasselbe Schema abgespult: Der ursprünglich von Ihnen aufgesetzte Tagesordnungspunkt wird hektisch durch einen Punkt zum Thema Migration ersetzt. Wieder einmal ist die AfD in negative Schlagzeilen geraten, diesmal im Zusammenhang mit den bundesweiten Razzien vom 22. Dezember 2022.
({4})
Nun ziehen Sie schnell diesen Antrag mit dem sperrigen Titel „Umgehend bundesweite Transparenz bei Straftaten mit dem Tatmittel Messer sowie bei Antisemitismus im Kontext von Zuwanderung herstellen“ aus der Tasche und hoffen, dass Sie mit Ihrem Leib-und-Magen-Thema bzw. mit dem einzigen Thema, das Sie bearbeiten, hier punkten bzw. ablenken können.
({5})
– Ich sage etwas zu Ihrem Antrag.
Wenn man zu Ihrem Antrag ein bisschen recherchiert, dann sieht man, dass dieser Antrag im Wesentlichen im Jahr 2018 von Ihnen schon mal gestellt wurde. Was Sie dabei völlig vergessen oder vielleicht auch einfach bewusst ignorieren, ist, dass wesentliche Teile Ihrer Forderungen im Bereich Messerkriminalität bereits umgesetzt wurden,
({6})
und zwar auf Drängen zahlreicher Unionsinnenminister in der Innenministerkonferenz.
({7})
– Hören Sie zu! – Auf Initiative des Landes Baden-Württemberg und des dortigen CDU-Innenministers hat die Ständige Konferenz der Innenminister und ‑senatoren der Länder bereits in ihrer 208. Sitzung – im Juni 2018 wohlgemerkt – sich dafür ausgesprochen, sogenannte Messerangriffe bundeseinheitlich statistisch zu erfassen.
({8})
In den Ländern werden diese Fälle mittlerweile gesondert erfasst, und auch im Bund wird das ab 2023 umgesetzt werden.
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Sie fordern also in Ihrem Antrag wieder einmal Dinge, die längst umgesetzt wurden. Diese Art von Copy-and-paste-Parlamentarismus ist des Deutschen Bundestages unwürdig.
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Wie seriöse Sicherheitspolitik funktioniert, das können Sie in den Ländern sehen, beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Hessen, Sachsen und Baden-Württemberg, wo tatkräftige Innenminister längst das machen, was Sie hier so innovativ fordern. Aus diesen Ländern nehmen Sie im Übrigen ja auch Ihre Zahlen. In NRW gibt es beispielsweise schon seit 2019 eine detaillierte Aufschlüsselung der Gewaltdelikte mit Messern, die differenziert aufzeigt, um welche Art von Stichwaffe es sich gehandelt hat.
Kollege Oppelt, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Hess?
Ach nein, das muss jetzt nicht sein. Lassen Sie mich zum Ende kommen; dann kann er etwas sagen.
Na, dann geht es nicht mehr.
Wieder einmal zeigt sich: Die AfD versucht, aus der Kriminalität, aus schrecklichen Einzelfällen politisch Kapital zu schlagen, und zwar dort, wo wir, die Union, handeln und wo wir in Verantwortung sind.
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Sie reden über die Probleme. Wir unternehmen alles, um diese Probleme zu lösen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit einer detaillierten statistischen Erfassung von Messerkriminalität ist es allerdings nicht getan. Und ja, es gibt einen signifikanten Anstieg der Gewalttaten mit Messern. Und ja, bei einem erheblichen Teil der Tatverdächtigen handelt es sich um Nichtdeutsche oder Asylbewerber. Klar ist aber auch: Die große, die weit überwiegende Menge der Migranten in unserem Land ist rechtstreu. Das fehlt in Ihrem Antrag komplett.
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Gerade deshalb ist es aber wichtig, dass wir diese wenigen schlimmen Straftaten streng verfolgen, ahnden und dass wir auch die nötigen Konsequenzen ziehen. Wer als Asylbewerber nach Deutschland kommt und hier eine schwere Straftat bis hin zu Mord oder Totschlag begeht – ob mit einem Messer oder ohne spielt überhaupt keine Rolle –, der verwirkt hier sein Bleiberecht.
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Nach Verbüßung der Haftstrafe müssen wir diese Schwerstkriminellen auch abschieben.
Ich erwarte hier von der Bundesregierung ehrlicherweise, dass sie künftig an der Stelle noch enger mit den Ländern zusammenarbeitet. Ich will hier gar nicht so tief darauf eingehen. Aber es kann nicht sein, dass Hilferufe aus den Ländern, wie beispielsweise aus meinem Heimatbundesland Baden-Württemberg, einfach abgetan und ignoriert werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel, das hören Sie hier jetzt auch nicht zum ersten Mal. Aber wenn seit mehr als einem Jahr nach Beginn Ihrer Regierungszeit immer noch kein Sonderbeauftragter für Migration ernannt wurde, dann ist das auch ein falsches Signal.
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Am Freitag stellen wir als CDU/CSU-Fraktion einen Antrag zur Stärkung der Bundespolizei. Ich will an der Stelle noch einmal werben: Bitte schauen Sie sich unsere guten Vorschläge an! Übernehmen Sie die in Ihren Gesetzentwurf! Die Bundespolizei zu stärken, heißt, etwas zur Problemlösung und zur Sicherheit in diesem Land beizutragen, und bedeutet umgekehrt, die Feinde der Demokratie, Hass und Hetze in Deutschland zu bekämpfen.
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Kommen wir nun zum zweiten Teil des Antrags der AfD – vielleicht erübrigt sich dann auch Ihre Frage –, zur Bekämpfung von Antisemitismus. Lassen Sie mich hier eins voranstellen: Ja, selbstverständlich gehört zur Bekämpfung von Antisemitismus die Analyse, welche Teile der Bevölkerung aus unterschiedlichsten Gründen anfälliger für antisemitische Aussagen und Verhaltensweisen sind. Daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen – die Kollegin Koß hat schon viele gute Punkte genannt –, ist unsere Aufgabe, ist die Aufgabe der Sicherheitsbehörden, ist die Aufgabe der Politik und der gesamten Gesellschaft.
Aber eine Partei wie die AfD, die immer wieder antisemitische Klischees bedient und fortdauernd auch Antisemiten in ihrer Partei und in ihren Fraktionen duldet,
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ist hier nun wirklich nicht der richtige Ansprechpartner. Das zeigt auch Ihr liederlicher Antrag.
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Wir – und da schließe ich die anderen Fraktionen hier im Haus mit ein – brauchen von der AfD-Fraktion ganz bestimmt keinen Nachhilfeunterricht,
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wenn es um die Ächtung und Bekämpfung von Antisemitismus in diesem Land geht.
Viele von Ihnen hier im Haus kennen sicherlich die gemeinsame Erklärung der jüdischen Verbände und Organisationen aus dem Jahr 2018, in der die Motivation und das Gedankengut der AfD hinsichtlich des jüdischen Lebens in Deutschland dargestellt sind.
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Ich will es mal bei den Überschriften belassen, weil die schon sehr aussagekräftig sind. Die Überschriften lauten – ich zitiere –:
Die AfD – keine Alternative für Juden!
Nein, die AfD ist keine Partei für Juden!
Nein, die AfD ist keine Partei für Demokraten!
Nein, die AfD ist eine Gefahr für jüdisches Leben in Deutschland!
Nein, die AfD ist eine rassistische und antisemitische Partei!
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Weiter heißt es in dem Aufruf unter anderem – ich kann Ihnen den gerne geben, wenn Sie den nicht gelesen haben –:
Die AfD sät Hass und spaltet die Gesellschaft.
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Sie hetzt gegen Menschen und greift unsere Demokratie tagtäglich an. Die AfD radikalisiert sich zunehmend und schreckt nicht davor zurück, Geschichte umzuschreiben. …
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Die Partei ist ein Fall für den Verfassungsschutz, keinesfalls aber für Juden in Deutschland.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
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Lassen Sie mich noch auf die erst kürzlich stattgefundene Vereinbarte Debatte vom 9. November 2022 hier im Plenum mit dem Titel „Antisemitismus bekämpfen – Erinnern heißt Handeln“ hinweisen. Es waren beeindruckende und zugleich beklemmende Beiträge, die uns zusammengefasst eines mit auf den Weg geben: Nie wieder! Vor dem Hintergrund der Shoa und der Ermordung von über 6 Millionen Jüdinnen und Juden im Dritten Reich tragen wir in Deutschland eine ganz besondere Verantwortung dafür, Antisemitismus zu bekämpfen und jüdisches Leben in unserem Land zu gewährleisteten, zu fördern und zu schützen.
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Dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Herrn Dr. Felix Klein, sind wir für seine Arbeit sehr dankbar. Wir begrüßen als CDU/CSU-Bundestagsfraktion die im vergangenen Monat vorgelegte Nationale Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben ganz ausdrücklich.
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Sie baut auf dem auf, was vorangegangene Bundesregierungen und Fraktionen in diesem Haus auf den Weg gebracht haben. Ausdrücklich möchte ich auch der Zivilgesellschaft und den Sicherheitskräften danken, die das jüdische Leben in Deutschland ermöglichen. Der Antrag der AfD ist überflüssig und deplatziert und deshalb abzulehnen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Zu einer Kurzintervention erhält der Abgeordnete Hess das Wort.
Herr Kollege Oppelt, ich stelle fest: Ich habe als Polizeibeamter bereits Objektschutz an jüdischen Synagogen durchgeführt.
({0})
Ich habe von Ihnen keine Belehrungen entgegenzunehmen über den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland.
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Ich weise den von Ihnen erhobenen Vorwurf vehement und dezidiert zurück, dass die AfD etwas mit Antisemitismus zu tun hätte.
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Das Gegenteil ist richtig!
Herr Kollege Oppelt, zu Ihren Ausführungen bezüglich des Antrages: Entweder haben Sie hier bewusst die Unwahrheit erzählt, oder Sie haben den Antrag nicht gelesen.
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Wenn Sie hier behaupten, dass tatsächlich in der Polizeilichen Kriminalstatistik bundesweit eine Aufschlüsselung der Messerdelikte nach Nationalitäten möglich wäre, dann ist das unzutreffend. Es ist lediglich erfasst; der Phänomenbereich Messer kann aber nicht aufgeschlüsselt werden.
Ferner ist unzutreffend – auch das ist Bestandteil des Antrages –, dass die Opfer dieser Delikte ebenfalls nach Nationalität erfasst wären. Also, es wäre wirklich zuträglich, wenn Sie bei Ihren Ausführungen entweder den Antrag vorher lesen oder von diesen unwahren Behauptungen Abstand nehmen würden!
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Möchten Sie erwidern? – Das ist offensichtlich nicht der Fall.
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Dann fahren wir in der Debatte fort. Das Wort hat der Abgeordnete Marcel Emmerich für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Ort Illerkirchberg ist 10 Kilometer von meiner Haustür entfernt. Illerkirchberg liegt in meinem Wahlkreis. Ich war letzte Woche am Mittwoch bei der Beerdigung von Ece, und ich kann Ihnen sagen: Ihre Rede, Ihr Antrag ist genau das, was diese Familie jetzt nicht will und jetzt nicht braucht. Das ist unsäglich und würdelos, was Sie hier erzählt haben.
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Ich möchte Ihnen erzählen, wie die Stimmung im Ort ist, wie die Stimmung in Illerkirchberg ist.
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„Wir brauchen Raum für Trauer und keine Hetzerei.“
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Diesen Satz hat eine Bürgerin aus Illerkirchberg am Samstag auf ein Plakat geschrieben bei der Gegendemo gegen Ihre AfD-Demo und sich mit weiteren Mitbürgerinnen mit ähnlichen Botschaften still auf die Straße gestellt.
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Botschaften wie diese machen deutlich, worum es in Illerkirchberg geht, worum es den Menschen in meinem Wahlkreis in der Region geht: darum, den fürchterlichen, abscheulichen Tod der 14-jährigen Ece zu verarbeiten, und nicht darum, diesen zu instrumentalisieren und faktenfreie Parolen zu dreschen.
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Auf Eces Beerdigung waren mehr als 1 000 Menschen, die Parlamentarische Staatssekretärin Ekin Deligöz war auch mit dabei, und es war eine unglaubliche Trauer zu spüren. Diese Trauer hat uns alle zutiefst bewegt. Es gab aber zugleich sehr viel Mitgefühl und Solidarität – Solidarität in und mit der alevitischen Gemeinde, der Eces Familie angehört. Eces Cousine hat noch am Grab um einen liebevollen und respektvollen Umgang miteinander gebeten. Diesen Wunsch sollten wir respektieren.
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Ohne Zweifel muss diese abscheuliche Tat aufgeklärt werden. Polizei und Justiz sind da auch hinterher. Die Ermittlungen laufen, und dann können im Nachgang auch Konsequenzen daraus gezogen werden. Aber jetzt geht es darum, dass wir die Gemeinde in Ruhe trauern lassen, dass wir den Bürgermeister in Frieden lassen und dass wir nicht Demos vor seinem Rathaus veranstalten, wo dann von AfD-Politikern gegen ihn gehetzt wird. Denn das ist das, was da gerade los ist: Es gibt Drohungen, es gibt Attacken, es gibt haufenweise Anrufe und E‑Mails gegen das Rathaus, gegen den Bürgermeister, gegen einzelne Gemeinderäte, auch gegen den Landrat.
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Und genau das ist das, was diese Gesellschaft jetzt nicht braucht.
Die Gemeinde trauert. Die Gemeinde ist in tiefer Trauer, und es geht jetzt darum, dort den Zusammenhalt zu stärken und nicht zu spalten.
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Denn genau das, was Sie machen, sorgt dafür, dass sich andere Menschen in der Kommunalpolitik nicht mehr engagieren wollen. Dieses Engagement für unsere Demokratie, das brauchen wir! Mit Ihrem Hass und Ihrer Hetzerei wird das sicherlich geschwächt, und das lassen wir nicht zu.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Gökay Akbulut für die Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Verbrechen im baden-württembergischen Illerkirchberg, bei dem die 14‑jährige Ece Sarigül getötet wurde, hat uns alle tief erschüttert. Mein Beileid gilt der Familie und der alevitischen Gemeinde. Ich hoffe, dass die Hintergründe dieser furchtbaren Tat schnellstmöglich aufgeklärt werden.
Ich habe aber überhaupt kein Verständnis dafür, dass dieser schreckliche Fall von der AfD heute hier und in den sozialen Medien für ihre rassistische Agenda instrumentalisiert wird. Ich finde das hochgradig zynisch.
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Wenn der AfD-Chef Tino Chrupalla in Bezug auf das Opfer von Illerkirchberg von „Solidarität mit Deutschen mit Migrationshintergrund“ spricht, ist das geradezu dreist.
({1})
Alice Weidels rassistische Hetztirade von den „Kopftuchmädchen“ und „alimentierten Messermännern“ ist uns allen noch gut im Gedächtnis. Als Deutsche mit Migrationsgeschichte und als Mitglied der alevitischen Gemeinde sage ich Ihnen: Wir brauchen Ihre verlogene Solidarität nicht!
({2})
Die AfD redet gerne von „importierter Kriminalität“. Tatsächlich nimmt sie es selber mit Recht und Gesetz nicht so genau.
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„Die Welt“ hatte recherchiert, dass gegen rund 10 Prozent der AfD-Abgeordneten in Bund und Ländern Verfahren bei Gerichten und Staatsanwaltschaften anhängig sind.
({4})
Da ist alles Mögliche dabei: von sexueller Nötigung über Steuerhinterziehung bis hin zu gefährlicher Körperverletzung. Seit vergangener Woche ist die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Malsack-Winkemann, die offenbar Reichsjustizministerin werden wollte, in Untersuchungshaft. Ja, meine Damen und Herren, es gibt kriminelle Parallelgesellschaften in Deutschland – im Bundestag sitzt sie hier vorne rechts.
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Zum Thema „Antisemitismus und Zuwanderung“ möchte ich darauf hinweisen, dass die AfD im Geschichtsunterricht offensichtlich erneut geschlafen hat und dass sie vergessen hat, dass 6 Millionen Jüdinnen und Juden in Deutschland ermordet worden sind.
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Schmähreliefs an Kirchenwänden zeigen eine jahrhundertalte Tradition des Antisemitismus in Deutschland. Wenn die AfD jetzt so tut, als sei Antisemitismus importiert worden, ist das einfach geschichtsblind und relativiert die historische Verantwortung, die wir alle in diesem Land haben.
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Wir setzen uns gegen jede Form von Antisemitismus und Rassismus ein.
Auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen: Es gibt, verdammt noch mal, keinen kausalen Zusammenhang zwischen Herkunft und strafrechtlichem Verhalten.
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Vielen Dank.
({9})
Für die FDP hat nun der Kollege Stephan Thomae das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich die Rede des Herrn Hess angehört hat, dachte man sich: Was kommt jetzt für ein Antrag? – Aber wenn man sich diesen Antrag anschaut, dann stellt man fest, dass im Forderungsteil sechs Forderungen stehen und fünfeinhalb davon rein statistischer Natur sind.
({0})
Da will die AfD eigentlich nur Zahlenmaterial haben.
Die Behauptung der AfD ist: Taten, die mit dem Messer begangen worden sind, und Taten, die antisemitisch motiviert sind, die müssen doch, nach AfD-Ansicht, eigentlich von Migranten begangen worden sein.
({1})
Und wenn es dann doch mal ein Deutscher ist – der Fall wird in Nummer 3 Ihres Antrags angesprochen, ganz am Ende –, dann muss man noch mal nachfragen, ob es nicht doch irgendeinen Migrationshintergrund gibt.
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Man kann gar nicht glauben, dass das Deutsche sein können.
Normalerweise stellen wir Fragen nach Zahlen in Kleinen Anfragen, und wenn die Antwort nicht befriedigend ausfällt, dann fragen wir noch mal nach. Aber so was ins Plenum zu bringen, das ist schon selten geistlos, muss ich sagen, meine Damen und Herren.
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Nur eine einzige Forderung geht in Richtung einer Problemlösung. In der Nummer 5 Ihres Antrags – und da nur in Satz 1 und da eigentlich auch nur im ersten Teil –
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werden die Islamverbände aufgefordert, Programme und Veranstaltungen gegen Antisemitismus durchzuführen.
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Ansonsten geht es in Ihrem Antrag nirgendwo um Problemlösung oder eine tiefere Befassung mit dem Problem.
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Sie befassen sich so gut wie nicht mit der Lösung dieser Probleme. Sie wollen nur Zahlen wissen – mit dem einen Ziel, Ihre Thesen zu untermauern, die ein bestimmtes Narrativ bedienen: Messerstecher, Antisemitismus? Das muss, so die AfD, ein Migrant oder Muslim sein.
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Meine Damen und Herren, so einfach ist die Welt für Sie. Das erinnert mich ein bisschen an jemanden, der an einen Unfallort kommt, aussteigt, aber nicht, um zu helfen, sondern, um Fotos zu machen, zu gaffen, schaulustig herumzustehen, Sanitätern tausend Fragen zu stellen
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und neunmalklug zu sagen: Ich habe es immer gewusst: Autofahren ist gefährlich! – So ist Ihr Antrag.
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Das ist ein höchst destruktives Politikverständnis, kein Interesse an Problemlösungen zu haben, sondern nur daran, diese Zahlen –
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– Sie schreiben es sogar selber rein; wie kann man auf die Idee kommen, so etwas in einen Antrag zu schreiben? – rein als Wahlkampfmittel zu gebrauchen. Unter Nummer 1 Ihres Antrages schreiben Sie, dass diese Zahlen vor der nächsten Bundestagswahl veröffentlicht werden sollen. Sie schreiben sogar rein, dass das ein reines Wahlkampfmittel für Sie ist. Das ist eigentlich beschämend, meine Damen und Herren! Offensichtlicher geht es nicht.
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Noch ein letzter Gedanke: Ich finde, Ihr Antrag enthält ein höchst infames Stilmittel, nämlich die Behauptung, wer über den Zusammenhang von Migration und Kriminalität spreche, der werde in diesem Land als Rechter diffamiert und solle mundtot gemacht werden.
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Meine Damen und Herren, in diesem Land soll niemand mundtot gemacht werden.
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Man darf in diesem Land praktisch alles sagen.
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– Ihr Narrativ – Migranten sind kriminell – ist nun einmal kein linkes Narrativ, sondern ein AfD-Narrativ. – Nur – und jetzt kommt der Punkt –: Es ist umgekehrt. Die AfD will Kritik an AfD-Behauptungen diffamieren mit der Behauptung, wer die AfD kritisiere, der sei eigentlich gegen Meinungsfreiheit.
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Und das geht nicht! Das muss man immer wieder deutlich sagen.
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Auch die AfD, sogar die AfD
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darf in diesem Land sagen, was sie will. Niemand macht sie mundtot. Nur: Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist kein Recht auf unwidersprochene Meinungsäußerung. Deshalb widersprechen wir Ihnen und Ihrem Antrag.
Ich danke Ihnen.
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Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Peggy Schierenbeck das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! In den fünf Minuten Redezeit, die ich heute zur Verfügung habe, könnte ich Sie mit sehr, sehr vielen statistischen Zahlen konfrontieren. Zahlen lügen nicht. Sie geben uns eine sachliche Information, wenn – wenn! – man sie eben nicht aus dem Zusammenhang reißt und sie in solche Verhältnismäßigkeiten setzt, dass sie ihre Aussagekraft verlieren,
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so wie die AfD es immer wieder in ihren Anträgen tut.
Es sind die Zahlen aus der PKS, der Polizeilichen Kriminalstatistik, die jedes Jahr erscheint und für die ich als Berichterstatterin im Ausschuss für Inneres und Heimat zuständig bin und die Sie, liebe Zuschauerinnen und liebe Zuschauer, jederzeit einsehen können. Sie sind auf den Seiten des BKA zu finden. Sie können die Zahlen auch von Ihrer örtlichen Polizeidienststelle bekommen, übrigens ganz transparent. Diese Statistik gibt uns Auskunft darüber, wie es um die Kriminalität in unserem Land bestellt ist. Und diese Zahlen zeigen uns, dass die Kriminalität insgesamt zurückgeht: die einfachen Delikte wie auch die schweren Delikte und die Gewaltverbrechen bis hin zu schwerer Körperverletzung und Mord. Der Anteil der Delikte der gefährlichen und schweren Körperverletzung lag bei 5,8 Prozent der benannten Delikte. Bei Zuwanderinnen und Zuwanderern ist der Rückgang der Straftaten prozentual am höchsten. Auch das können Sie der Polizeilichen Kriminalstatistik entnehmen.
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Das Bundeskriminalamt hat im Berichtsjahr 2021 erstmals die Zahl der Messerangriffe explizit erfasst. Bis dato wurden diese Straftaten unter dem allgemeinen Begriff der Körperverletzung geführt. Ein deutschlandweiter Vergleich über die vergangenen Jahre ist also noch nicht möglich.
Messerangriffe im Sinne der Erfassung von Straftaten in der Polizeilichen Kriminalstatistik sind solche Tathandlungen, bei denen der Angriff mit einem Messer unmittelbar gegen eine Person angedroht oder ausgeführt wird. Das bloße Mitführen eines Messers reicht hingegen für eine Erfassung als Messerangriff nicht aus.
Was Sorgen machen muss: Der Anteil der Messerangriffe hat zwar abgenommen, zugenommen in ihrer Schwere haben aber die Folgen der durch die Messerangriffe ausgelösten Attacken. Und Messerangriffe sind zu einem hohen Anteil die Taten von Männern, vor allem von jungen Männern. Das Messer als Statussymbol der Selbstverteidigung und der Selbstbehauptung ist leider Realität auf den Straßen und Schulhöfen. – So weit zu den Statistiken.
Wenn ich mir die Titel dieses Antrages ansehe, ist doch klar, worauf er abzielt: unsere Gesellschaft zu spalten, Hass und Hetze zu verbreiten,
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Ihr Gift in die Seelen der Menschen zu spritzen,
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Verunsicherung zu schaffen, unseren Rechtsstaat zu diffamieren – ohne jegliche Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. So übrigens auch im jüngsten Fall: Genau vor einer Woche wurde im Rahmen einer bundesweiten Razzia eine terroristische Vereinigung von selbsternannten Reichsbürgern verhaftet,
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deren Spur direkt in die Fraktion der AfD hineinführt. Ich frage mich die ganze Zeit, ob Sie diesen Antrag nur gestellt haben, um verzweifelt zu versuchen, von sich selbst abzulenken.
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Was Sie ebenfalls versuchen, in Ihrer für mich nicht nachvollziehbaren Denkweise, ist die Gleichsetzung nichtdeutscher Tatverdächtiger mit geflüchteten Menschen und Asylbewerbern. Abgesehen davon, dass zu nichtdeutschen Tatverdächtigen – auch das finden Sie in der Statistik – auch Urlauber, Bürger aus dem EU-Ausland oder Touristen, die sich eines Vergehens strafbar gemacht haben, zählen,
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ist die Gleichsetzung des Begriffs „nichtdeutscher Tatverdächtiger“ mit Geflüchteten und Asylbewerbern eine Diskriminierung ohnegleichen und wird von uns, der Fraktion der SPD, mit Entschiedenheit zurückgewiesen.
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Zurück zu meiner Rede, zurück zur Sachlichkeit. Nun habe ich sehr viel über Kriminalität, Gewalt und Absurditäten gesprochen. Als Berichterstatterin für innere Sicherheit kann ich Ihnen versichern, dass Deutschland zu den sichersten Ländern der Welt gehört.
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Damit das so bleibt, gehört es zu unseren Aufgaben, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisteten. Sie umfasst den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger vor Gewalt, Verbrechen und Terror sowie den Schutz unserer verfassungsmäßigen Ordnung. Darum investieren wir in die Sicherheit unseres Staates. Wir investieren unter anderem in den Periodischen Sicherheitsbericht, der uns die Daten liefert, die es uns ermöglichen, gezielt präventiv zu wirken, um Gewalt gar nicht erst entstehen zu lassen. Wir investieren vor allem in unsere Demokratie und sind diesbezüglich wehrhaft, weil wir unsere Verantwortung wahrnehmen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Kaddor das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Neulich saß ich im Taxi. Der Fahrer stellte sich mir als Deutscher mit türkischen Wurzeln vor. Er kam auf die AfD zu sprechen und meinte, in manchen Punkten hätten sie ja durchaus recht. Worauf ich ihm entgegnete: Stimmt. Und deutsche Kolonialisten haben damals Eisenbahnlinien gebaut, nicht wahr?
So verhält es sich auch mit diesem Antrag: Es gibt Straftaten mit Messern, und es gibt Antisemitismus unter Muslimen. Das ist richtig. Dennoch ist der Antrag sinnlos.
Wir haben gerade eine Aktuelle Stunde zur größten bundesweiten Razzia gegen die gefährliche Reichsbürgerszene abgehalten. Und was kommt dazu aus Ihren Reihen? Lächerlichmachung und Relativierung.
Nun legen Sie mit großer Verve diesen Sinnlos-Antrag vor. Wie immer geht es Ihnen damit offenkundig um das Ablenken von rechter Gewalt, für die Sie hier im Parlament die ideologische Vorfeldorganisation sind. Statt sich mit Antisemitismus in den eigenen Reihen und bei der eigenen Klientel zu beschäftigen, wird wie eh und je gehetzt. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin: „Burkas, Kopftuchmädchen, alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse …“ Wir alle haben das Weidel-Zitat in den Ohren. Heute bewertet die Abgeordnete die Razzia gegen die demokratiegefährdenden Umsturzpläne der Reichsbürger mit den Worten, es handele sich um einen – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin – „Rollator-Putsch“. Anscheinend hat die AfD die nächste soziale Gruppe zur Ausgrenzung gefunden, nämlich Menschen höheren Alters. Nein, das ist nicht lustig.
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– Ja, Otto Schily, ja, ja, genau. – Diese Diskriminierung betrifft Millionen von Menschen in unserem Land, und Sie schämen sich nicht einmal dafür.
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Antisemitismus unter Muslimen, ob eingewandert oder nicht, ist inzwischen ein hinlänglich bekanntes Problem. Ich selbst habe dagegen vor Jahren schon Präventionskurse erarbeitet und durchgeführt. Die letzten, die es braucht, um auf diese Relevanz hinzuweisen, sind AfD-Politikerinnen und -Politiker mit rassistischen Hintergedanken. Sie zeigen auf Muslime, aber solange Sie die drei Finger nicht erkennen, die auf Sie zurückzeigen, erübrigt sich jeder sachliche Austausch, meine Damen und Herren.
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Was die Messerkriminalität betrifft. Erste Schritte zur Transparenz wurden geschaffen. Das BKA erhebt neuerdings Daten speziell zu Angriffen mit Messern. Das haben wir ja gehört. Ich verweise hier auf den jüngsten Sicherheitsbericht aus Baden-Württemberg, den Sie natürlich nur verkürzt heranziehen. Dort steht – ich zitiere –:
Die Gewaltkriminalität im Zusammenhang mit dem Tatmittel Messer nimmt um rund zehn Prozent auf einen Fünfjahrestiefstwert ab.
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Ich kann auch eine Studie der Professoren Brettel und Rettenberger sowie der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Rausch und Hatton aus Rheinland-Pfalz anführen. Dort steht – Zitat –:
Die Ergebnisse zeigen, dass es keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen Messerkriminalität und schwerer Gewaltkriminalität insgesamt hinsichtlich der untersuchten Variablen, insbesondere hinsichtlich der Staatsangehörigkeit, gibt. Auch ein massiver Anstieg der Messergewalt von 2013 auf 2018 konnte nicht nachgewiesen werden. … Die vorliegenden Ergebnisse lassen zusammenfassend deshalb nicht auf einen unmittelbaren kriminalpolitischen Handlungsbedarf schließen.
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Wie man zum x-ten Mal sieht, meine Damen und Herren: Es ist und bleibt vergebens, sich inhaltlich mit AfD-Anträgen zu befassen.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
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