Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/2/2022

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Chancen-Aufenthaltsrecht bricht mit dem unwürdigen Zustand, dass wir jahre-, ja jahrzehntelang zugelassen haben, dass Menschen perspektivlos im Zustand der Kettenduldung leben. Das betrifft allein zum Stichtag 31. Oktober dieses Jahres über 137 000 Menschen mit einem Aufenthalt von mehr als fünf Jahren. Zusammen mit der Einführung einer behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung, mit Anpassungen und Modernisierungen im Bleiberecht, mit der Asylverfahrensbeschleunigung, mit der Öffnung von Integrationskursen für Asylsuchende ist diese Änderung des Aufenthaltsgesetzes ein Gesetz der Vernunft. Es ist ein Gesetz des gesunden Menschenverstandes. ({0}) Es ist ein Gesetz der Mitte, der vernünftigen Mitte. Davon reden wir hier. Eine herausragend große Zahl der Menschen in unserem Land, all diejenigen Deutschen, die an einem guten Zusammenleben interessiert sind, finden es sinnhaft, was wir hier machen. Wir haben ein breites Bündnis hinter uns. Es reicht von Menschen, die wissen, was es bedeutet, mit Menschen, die in Duldung leben, zusammenzuarbeiten, von Unternehmerinnen und Unternehmern, Arbeitgeberverbänden, Industrie- und Handelskammern bis zu denjenigen, die als Aktivisten oder in Kirchengemeinden, Moscheen und Synagogen Geduldete betreuen und begleiten. Das ist das breite Bündnis, von dem wir hier reden. Deshalb sage ich ausdrücklich: Dieses Chancen-Aufenthaltsgesetz ist kein sozialdemokratisches Gesetz. Es ist auch kein grünes Gesetz. Es ist auch kein liberales Gesetz, sondern es ist ein Gesetz der Vernunft. ({1}) Wenn wir sagen, es sei ein sozialdemokratisches Gesetz oder ein grünes oder ein liberales Gesetz, dann gilt genauso, dass es ein Gesetz des Konservatismus ist. Denn wenn man konservativ denkt, muss man dieses Gesetz unterstützen. Konservativ bedeutet nämlich auch, Maß und Mitte zu finden, nicht rigoristisch zu denken und zu erkennen, was für Menschen wichtig ist, wenn sie Perspektiven haben wollen, wenn sie sich anstrengen und bemühen. ({2}) Deswegen würdige ich auch ausdrücklich, dass mindestens 19 Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion in einer persönlichen Erklärung deutlich gemacht haben, welche Punkte sie nicht teilen, dass sie im Grundsatz aber die Idee gut finden, dass langfristig geduldete Menschen, die sich gut integriert haben, die Teil dieser Gesellschaft geworden sind, aber als solche nicht wirklich leben können, eine Perspektive erhalten durch den Chancen-Aufenthalt. Das kritisiere ich überhaupt nicht. Nein, das ist Ausdruck von Demokratie. Das verdient Hochachtung. Dabei sind Prominente wie Herr Laschet, wie Frau Grütters, wie Frau Güler, wie Herr Gröhe. Was ich aber kritisiere, ist, dass der Anschein erweckt wird, als gäbe es einen geschlossenen Block gegen diese Haltung. Ich habe schon in meiner letzten Rede in der ersten Lesung darauf hingewiesen, dass die größte Landesregierung, CDU-geführt, uns ausdrücklich auffordert, dieses im Koalitionsvertrag zu machen, und dem durch das Erlassen einer Vorgriffsregelung vorarbeitet. ({3}) Wir haben – auch das muss man mal sehen – die behördenunabhängige Asylverfahrensberatung schon unter einem CDU-Innenministerium pilotiert. Die Sinnigkeit dieser Maßnahmen haben Sie selbst also schon erkannt, und jetzt üben Sie dagegen Opposition. Das mag verstehen, wer will. Ich verstehe es nicht. ({4}) Wenn in diesen Tagen, in denen es ja wieder üblich geworden ist, das Thema Migration komplett zu ideologisieren und emotionalisieren, ({5}) davon gesprochen wird – ich zitiere jemanden; er weiß, wer angesprochen ist –, dass wir die Staatsangehörigkeit „verramschen“ würden, dass das die Integration nicht fördern würde, dass wir damit Pull-Effekte für illegale Migration auslösen würden, zeigt das, dass diese Person nicht verstanden hat, was Staatsangehörigkeit bedeutet, nämlich dass es ein Kompliment ist, wenn Menschen deutsche Staatsangehörige werden wollen. ({6}) Wer das sagt, hat nicht verstanden, was Integration bedeutet. Es ist ein Kompliment für dieses Land, dass Menschen hier Deutsch lernen, hier leben wollen, sich einfügen in dieses Land. ({7}) Wer das sagt, hat nicht begriffen, dass Änderungen im Aufenthaltsgesetz oder Staatsangehörigkeitsrecht doch nicht die Hauptgründe sind, warum sich Menschen auf die Flucht begeben. Das ist doch Irrsinn; das ist eine Fehldeutung. Die Realität ist folgende: Vor meinem Büro stand vor nicht allzu langer Zeit Lamarana D. und hat geschildert, wie lange er schon in diesem Land lebt. Er ist vor fast sieben Jahren aus Guinea gekommen und wäre fast verreckt auf der Anreise. Er hat sofort Deutsch gelernt. Sein Schriftdeutsch ist besser als das in jeder Bachelorarbeit. Er hat eine Freundin, ist verlobt, kann aber nicht heiraten wegen der ungeklärten Identitätsfrage. Er hat sich immer Arbeit gesucht und nie von Transferleistungen gelebt. Er hat sich sofort einem Sportverein angeschlossen. Er möchte mit seiner Freundin am liebsten mit einem Wohnmobil nach Frankreich fahren und campen. Der Mann ist besser integriert, der ist deutscher, als ich es je sein könnte. ({8}) Was für einen Sinn macht es, diesem Mann eine Chance in diesem Land zu verwehren? Es macht keinen Sinn. ({9}) Es wird der Anschein erweckt, als ob wir ernsthaft in der Lage wären, Tausende, Hunderttausende wie ihn abschieben zu können. Dann würden wir unsere ganzen Landes- und Bundespolizeien lahmlegen. Wir können es im Realfall nicht. Wir haben also die Wahl: Akzeptieren wir diesen Istzustand und geben diesen Menschen eine Chance, oder machen wir weiter so, dass sie ohne Perspektive hierbleiben, aber auch nicht abgeschoben werden? Für mich ist diese Entscheidung glasklar. Es ist eine Entscheidung des Pragmatismus, der Vernunft und auch der Menschlichkeit. ({10}) Es zeichnet nämlich eine Gesellschaft nicht aus, einen Wettbewerb zu machen, wer am härtesten und am unmenschlichsten ist, sondern es zeichnet eine Gesellschaft aus, dass sie mit ihrer Gesetzgebung der Realität und den Erwartungen einer Bevölkerung, die sehr souverän, sehr selbstbewusst mit Migration umgeht, endlich gerecht wird. Diese Entscheidung haben wir heute; vor der stehen wir. Sagen Sie Ja. Vielen Dank. ({11})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion der CDU/CSU Andrea Lindholz. ({0})

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir brauchen in Deutschland eine umsichtige Asylpolitik und einen Rechtsstaat, der sich ernst nimmt und der keine Fehlanreize setzt. Genau diese Voraussetzungen erfüllt dieser Gesetzentwurf nicht. Ich empfehle hier auch gerne mal, in die Anhörung und die Stellungnahmen der Sachverständigen hineinzuschauen. ({0}) Deutschland gehört seit Jahren zu den wichtigsten Aufnahmeländern weltweit. Nur die Türkei und Kolumbien beherbergen heute noch mehr Flüchtlinge als wir. Diese humanitäre Leistung lässt sich nicht unbegrenzt ausweiten, und deshalb sollten wir uns auf die wirklich Schutzberechtigten fokussieren. ({1}) Bei dem Gesetzentwurf geht es um ausreisepflichtige Ausländer. Und ja, es gibt Ausnahmen, in denen man pragmatische Lösungen braucht. Die Ampel tut aber so, als ob ausreisepflichtige Ausländer, die sich gut integriert haben, in unserem Land keine Chance hätten, und diese Behauptung ist falsch. ({2}) Von den rund 830 000 abgelehnten Asylbewerbern, die im Ausländerzentralregister registriert sind, haben heute 75 Prozent einen regulären Aufenthaltstitel. Und warum ist das so? Weil auch mit uns, weil auch mit der Union in der vergangenen Legislaturperiode längst pragmatische Lösungen gefunden worden sind. ({3}) Unser geltendes Aufenthaltsrecht belohnt gute Integration auch bei Ausreisepflichtigen. Ein Bleiberecht gibt es zum Beispiel, wenn man einen qualifizierten Beruf ausübt oder wenn man eine Berufsausbildung absolviert hat. Es gibt Ausnahmen für gut integrierte Jugendliche unter 21 Jahren, für Familien und gut integrierte Erwachsene. ({4}) Aber die zentrale Voraussetzung für diese Chance ist, dass die Betroffenen zunächst ehrlich sagen, wer sie sind, woher sie kommen und wie sie heißen. Genau mit diesem Prinzip will die Ampel jetzt brechen. Für uns gilt: Erst Identitätsklärung, dann Chance, und nicht umgekehrt. ({5}) Die Ampel will ausreisepflichtigen Menschen auch dann ein Aufenthaltsrecht geben, wenn sie in Bezug auf ihre Identität aktiv getäuscht oder die Mitwirkung an der Identitätsklärung verweigert haben. ({6}) Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, belohnen damit die Falschen. Sie belohnen Identitätstäuscher, und Sie diskriminieren alle Ausländer, die sich bei ihrer Einreise an Recht und Gesetz halten und ihren Pass vorlegen. ({7}) Auch wer seinen Pass verloren hat und keinen Ersatz beschaffen kann, kann seine Identität schon nach den jetzt geltenden Regeln mit anderen Mitteln belegen. Für uns und für das Gesetz entscheidend ist der Wille zur Mitwirkung. Sie wollen jetzt die Personen belohnen, die fünf Jahre lang diesen Willen nicht gezeigt haben. ({8}) Sie nehmen damit den Anreiz, an der Identitätsklärung mitzuwirken. Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist fatal. ({9}) Mindestens genauso fatal ist Ihre Anhebung der Altersgrenze von 21 auf 27 Jahre für Jugendliche, die auch mit der jetzigen Rechtslage eine Chance haben, obwohl Sie genau wissen, dass zwei Drittel aller unberechtigten Asylbewerber junge Männer in diesem Alter sind. ({10}) Diese Gruppe soll nach Ihnen künftig schon nach drei Jahren ein Bleiberecht erhalten, auch wenn sie nicht schutzbedürftig ist. ({11}) Der Entwurf von Frau Faeser hätte sogar dazu geführt, dass man direkt von der Ablehnung in den legalen Aufenthalt gerutscht wäre. Das haben Sie ja in letzter Minute gerade noch gestoppt und diesen krassen Fehler notdürftig repariert. ({12}) Aber was zeigt uns das? Das zeigt uns, dass Sie an wirklicher und echter Rückführung nicht interessiert sind. Die Ampel und vor allen Dingen die FDP reden hier seit Monaten von ihrer Rückführungsoffensive. Fakt ist, dass Sie nach einem Jahr noch nicht mal einen Rückführungsbeauftragten benannt haben. Ihre Detailregelung zur Abschiebehaft heute ist nichts anderes als ein Feigenblatt, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({13}) Seit September 2021 liegt die Evaluation des Geordnete-Rückkehr-Gesetzes, das noch wir verabschiedet haben, vor, und die Länder haben viele Maßnahmen in diesem Gesetz begrüßt und weitere Maßnahmen vorgeschlagen. Fragen Sie sich mal, warum Sie keinen einzigen dieser guten Vorschläge aufgreifen: ({14}) weil Sie aus ideologischen Gründen überhaupt keine Rückführung wollen! Im Grunde lehnen Sie sie ab. Und Ihr hier heute eingebrachtes Gesetz hat schon dazu geführt, dass in Baden-Württemberg ein Gericht mit Verweis auf Ihren Gesetzentwurf eine Rückführung ausgesetzt hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie belohnen die Falschen. Wir als Union stehen für einen glaubwürdigen Rechtsstaat. Wir stehen für eine Asylpolitik, die von Humanität und Ordnung geprägt ist. Und das ist auch der Grund, warum wir Ihren Gesetzentwurf hier und heute ablehnen werden. ({15})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Filiz Polat. ({0})

Filiz Polat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004857, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht und der Verbesserung der bestehenden Bleiberechtsregelung für gut integrierte Geduldete, der Einführung – endlich – einer bundesfinanzierten, behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung, der Erleichterung des Familiennachzugs mit Wegfall der Spracherfordernis vor der Einreise, der Öffnung der Integrationskurse in einem ersten Schritt und der Abschaffung der anlasslosen Widerrufsprüfung setzen wir unsere ersten zentralen flüchtlingspolitischen Vorhaben um, für die wir Grüne lange gekämpft haben. Das ist ein Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Es geht um Reformen, die von der Zivilgesellschaft, den Kirchen, Herr Frei, Gewerkschaften und nicht zuletzt der Wirtschaft seit Jahren als längst überfällig erachtet wurden. Wer daran noch gezweifelt haben sollte, den muss die Sachverständigenanhörung zum Chancen-Aufenthaltsrecht vom vergangenen Montag, liebe Frau Lindholz, nun wirklich eines Besseren belehrt haben. ({1}) Was schaffen wir mit dieser Reform? Wir ziehen die Konsequenz daraus, dass die bisherigen Bleiberechtsregelungen aus 16 Jahren unionsgeführter Innenpolitik ins Leere gelaufen sind. Deshalb schaffen wir das Chancen-Aufenthaltsrecht. Mehr als 137 000 Menschen sollen vom kommenden Jahr an aus dem System der entwürdigenden Kettenduldung geholt werden und endlich eine Perspektive in Deutschland bekommen. ({2}) Alle, die seit fünf Jahren geduldet oder gestattet hier leben, bekommen in dem Chancenjahr einen gesicherten Status, um die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht zu erfüllen, zu arbeiten, wenn sie bisher keine Beschäftigungserlaubnis hatten, Sprachkenntnis zu erwerben, wo ihnen bisher der Zugang zum Integrationskurs verwehrt wurde, und sich Identitätsnachweise zu besorgen, soweit die Herkunftsländer diese überhaupt ausstellen. Von was für Menschen sprechen wir, meine Damen und Herren? Beispiele haben uns und Ihnen allen Flüchtlingsräte, Kirchen, Handwerkskammern, Handelskammern zugeschickt: der junge Eritreer, der schon fünf Jahre in Deutschland gelebt, erfolgreich eine Lehre zum Koch abgeschlossen hatte und dessen Arbeitgeber alles tat, um eine befristete Arbeitserlaubnis zu beschaffen. Am Ende verhängten die Behörden die unsägliche „Duldung light“, und ihm wurde eine Beschäftigung dauerhaft verweigert. ({3}) Oder der Afghane, seit sieben Jahren bei uns, erfolgreich die Ausbildung zum Metallbauer abgeschlossen, von seiner Firma übernommen, Sozialbeiträge bezahlt, im örtlichen Fußballverein spielend, engagiert in der Kirchengemeinde: ({4}) Den mündlichen Sprachnachweis packt er, aber nicht den schriftlichen, weil er Legastheniker ist, belegt durch Atteste und Gutachten. Meine Damen und Herren, das ist entwürdigend. ({5}) Dagegen helfen keine Dauerparolen der Abgrenzung, der Diffamierung und der Spaltung, sondern eine Antwort, die Chancen bietet und – letztendlich doch für uns alle – Perspektiven eröffnet. Daher laden wir Sie herzlich ein, mitzumachen. Auch in Ihren Wahlkreisen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, gibt es unzählige Betriebe, die das alles genauso sehen und Ihnen die Frage stellen werden, warum Sie diese Reform abgelehnt haben, ({6}) warum die junge Geduldete aus Hannover, als Intensivpflegerin tätig, abgeschoben werden soll. ({7}) Für die Wirtschaft, den Deutschen Industrie- und Handelskammertag, das Bündnis aus Unternehmen für ein Bleiberecht aus Baden-Württemberg und auch für uns ist klar: Ausbildung statt Abschiebung! ({8}) Meine Damen und Herren, die Koalition wird das Chancenjahr nach den wichtigen Hinweisen aus der Anhörung nun auf 18 Monate verlängern. Die Verschiebung des Stichtags um zehn Monate wird dazu führen, dass mehr Menschen von der Regelung profitieren können. Wir werden außerdem mit den Verbesserungen bei den bestehenden Bleiberechtsregelungen weitere Möglichkeiten für Geduldete eröffnen. Beim bisherigen Bleiberecht ermöglichen wir für gut integrierte Jugendliche bereits nach drei Jahren, für Familien nach vier Jahren und für alleinstehende Erwachsene nach sechs Jahren den Spurwechsel zusätzlich zum Chancen-Aufenthaltsrecht und einen gesicherten Aufenthaltstitel. Die Altersgrenze von 21 Jahren – ebenfalls lange gefordert – beim Bleiberecht für gut Integrierte setzen wir auf 27 Jahre hoch. Auch das ist ein ganz wichtiger Beitrag, um aus den unsäglichen Kettenduldungen rauszukommen. ({9}) Mit den Änderungen, die wir Ihnen zu diesem Gesetz heute vorlegen, werden wir auch eine einjährige Vorduldung für Jugendliche und junge Erwachsene nach dem Bleiberecht für gut Integrierte einführen. Wir halten diese Vorduldungsfrist für falsch, tragen sie aber als Kompromiss mit. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und FDP, wir sollten aber schon jetzt prüfen, ob nicht alternative Möglichkeiten im Migrationspaket bestehen. Denn wenn junge Menschen, die sich trotz eines langen Asylverfahrens gut integriert oder ihren Aufenthaltstitel verloren haben, weil sie ihren eingeschlagenen Bildungsweg ändern müssen oder mussten, nicht abgeschoben werden sollen, müssen wir das gesetzlich sicherstellen und nicht über Härtefallkommissionen heilen. ({10}) Abschließend zwei wichtige Punkte zu den Änderungen im Asylgesetz. Endlich kommt sie, die gesetzliche Verankerung für eine flächendeckende behördenunabhängige Asylverfahrensberatung – das wird in jedem Fall zu einer höheren Qualität der Asylbescheide führen –, und außerdem ist eine Rechtsberatung vor der Anhörung für uns unglaublich wichtig und auch europarechtlich geboten. Last, but not least: Die Praxis der anlasslosen Widerrufsprüfung positiver Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge war und ist ebenso unverhältnismäßig wie aufwendig. Beim BAMF wurden unzählige Personalkapazitäten gebunden, die an anderer Stelle für die Beschleunigung der Asylverfahren benötigt werden. Die Neuregelung wird zu einer enormen Entlastung beim BAMF führen. Am Ende möchte ich mich ganz herzlich beim Innenministerium, heute stellvertretend bei Herrn Özdemir, und den Kolleginnen und Kollegen für die guten Beratungen bedanken. Ich empfehle dem Hohen Haus die Zustimmung zu diesen beiden Gesetzen. Ich bedanke mich für Ihre und eure Aufmerksamkeit. ({11})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Dr. Bernd Baumann. ({0})

Dr. Bernd Baumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004662, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Regierung legt heute zwei Gesetzentwürfe vor und hat einen dritten bereits im Kabinett. Mit diesen will sie die Einwanderung nach Deutschland noch leichter machen; es soll noch einfacher werden, einen deutschen Pass zu erhalten. In aktuellen Umfragen lehnen zwei Drittel der Bevölkerung das ab. Respektieren Sie das! Stoppen Sie diese Politik! ({0}) Hunderttausende Migranten müssten schon seit Jahren Deutschland verlassen haben, weil sie ausreisepflichtig sind. Ihre Asylgründe sind endgültig abgelehnt, weil sie oft nur vorgetäuscht waren. Sie alle will die Ampel jetzt nicht abschieben; sie will jetzt endgültig alle im Land behalten. Aus Illegalen sollen Legale werden – was für eine Verhöhnung des Rechtsstaats! ({1}) Schlimmer noch: Zehntausende Beamte mussten jahrelang an den Asylverfahren arbeiten. Überlastete Richter, Staatsanwälte, Polizisten verbrachten Millionen Arbeitsstunden damit. Und jetzt kommt die links-gelbe Regierung und sagt: Interessiert uns alles gar nicht mehr! ({2}) Die Asylanten bleiben alle da. Was für eine Verachtung für die Arbeit unserer Staatsdiener, meine Damen und Herren! ({3}) Der neue Kabinettsentwurf der Regierung geht ja noch weiter: Ausländer müssen nicht mehr acht Jahre in Deutschland gelebt haben, bis sie den deutschen Pass kriegen; künftig reichen fünf Jahre, in vielen Fällen sogar drei. Warum so kurze Fristen? Weil damit auch die Syrer von 2015 schnell Deutsche werden können – fast 1 Million –, ({4}) dazu die Hunderttausenden Afghanen, Iraker, Marokkaner, Somalier, Senegalesen. Alle sollen Deutsche werden – der totale Ausverkauf. ({5}) Das darf doch nicht sein, meine Damen und Herren! ({6}) Um den Migranten die deutsche Staatsbürgerschaft noch schmackhafter zu machen, dürfen sie sogar den alten Pass behalten. Doppelstaatlichkeit wird zur Norm. Auch für Analphabeten gibt es neue Regeln für schnelle Einbürgerung. Selbst orientalische Heiratsverhältnisse mit zahllosen Ehefrauen sind kein Hinderungsgrund mehr. ({7}) Sämtliche Gesetze zielen in die gleiche Richtung: Alle dürfen kommen, alle dürfen bleiben, Deutsche werden. Was für eine schreiende Einladung an die ganze Welt! Kein anderes Land macht das so, meine Damen und Herren. ({8}) Warum also machen Sie das? Es kämen Fachkräfte, haben Sie gesagt. Dabei belegen alle Zahlen das Gegenteil: ({9}) Fast 70 Prozent der Syrer leben von Hartz IV, auch sieben Jahre nach ihrer Ankunft; bei Somaliern, Afghanen oder Ghanaern ist es ähnlich dramatisch. Also: Warum machen Sie das? „Humanitäre Gründe“, haben Sie gesagt. Wir müssten Schutzsuchenden helfen. – Für die Ukrainer ist das richtig; da flüchten Frauen und Kinder. Aber die meisten Migranten der letzten Jahre kamen aus dem Orient und Afrika, vorwiegend junge Männer. ({10}) Selbst EU-Kommissarin Johansson gibt jetzt zu: Die große Mehrheit braucht keinen Schutz; sie kommt aus wirtschaftlichen Gründen, wie zum Beispiel Faisal S., der jüngst in der Presse sagte: Ich kam in zehn Tagen von Damaskus nach Dresden für 6 500 Dollar. – Wörtlich sagt er weiter: „Jeder will jetzt nach Deutschland – wenn er das Geld“ – für die Schlepper – „aufbringen kann.“ Solche Leute kommen nach Deutschland. ({11}) Es sind allzu oft keine humanitären Gründe. Es kommen in der Masse weder Fachkräfte noch Schutzbedürftige. ({12}) Aber die Ampelregierung öffnet weiter die Schleusen, gegen den Willen der Deutschen: 80 Prozent fordern besseren Grenzschutz. Gehen Sie darauf ein! Respektieren Sie das! ({13}) Es bleibt die bohrende Frage: Warum machen Sie das? Schon als Abgeordneter im Landesparlament in Hamburg habe ich mich gewundert, als eine Grünenabgeordnete davon redete, dass in einigen Jahren die Deutschen im eigenen Land in der Minderheit sein werden. ({14}) Und sie ergänzte wörtlich: Das ist gut so. Frau Göring-Eckardt, langjährige Fraktionsvorsitzende der Grünen hier im Bundestag, sagte während der Flüchtlingsströme 2015 – ich zitiere –: Unser Land wird sich ändern, und zwar drastisch. Ich freue mich darauf. ({15}) Und die Chefin der Grünen Jugend spricht von einer – ich zitiere – „ekligen weißen Mehrheitsgesellschaft“, die sie nicht mehr will. ({16}) Allein seit 2014 kamen über 8 Millionen Ausländer nach Deutschland. Die Linken und Grünen freuen sich darüber; für sie wird hier ein Großprojekt umgesetzt, das sie herbeisehn: eine Transformation hin zu einer ganz anderen Republik, die alles aufzulösen droht, was wir „unsere Heimat“ nennen, meine Damen und Herren. ({17}) Diese Transformation ist radikaler, als es sich die meisten Bürger überhaupt vorstellen können, und von ihr gibt es, wenn sie weitergeht, kein Zurück mehr. Es ist die Ideologie einer anonymen, diversen Weltgesellschaft, eine linke Utopie, eine Heilsvorstellung, deren Schlagworte lauten: „No borders“ – keine Grenzen mehr –, „No nation“ – keine Nationen mehr, vor allem keine Deutsche –, „One World“ mit mehr Diversity, also divers. ({18}) Alles mit allem vermengt, grenzenlos bunt, gemischt, alles erreicht durch Grenzöffnung, Migration und anschließende Quoten, Zwangsquoten. Wir wollen diese große Umgestaltung nicht, dieses linke Hirngespinst. Das wollen wir nicht, und das darf es in Deutschland auch nicht geben, meine Damen und Herren. ({19}) Dieses links-grüne Experiment einer Regenbogenweltgesellschaft geht auch noch einher mit Sprechverboten, mit Cancel Culture gegen alle Kritiker, mittlerweile mit Verbündeten in allen gesellschaftlichen Organisationen: in Kirchen und Schulen, in Printmedien und den Öffentlich-Rechtlichen, in Parteien und Parlamenten, und jetzt auch noch im Sport. Die deutsche Nationalmannschaft ist mit stundenlangen Diskussionen um einen Regenbogen am Oberarm zugrunde gegangen. Wir wollen nicht, dass auch noch die deutsche Nation zugrunde geht, meine Damen und Herren! ({20}) Zwei Drittel aller Menschen in Deutschland sagen, sie trauen sich nicht mehr, offen ihre Meinung zu sagen. Uniprofessoren schreien auf, weil sie nicht mehr frei forschen können. Schauspieler und Literaten werden öffentlich bedrängt, sie sollen Haltung zeigen, im Sinne der Ideologie. Und über alldem weht dann die Regenbogenflagge. ({21}) Die steht eben nicht für Rechtsstaat, die steht nicht für Freiheit und Menschenrechte. Sie ist das linke Symbol einer diversen, bunten Zwangsgesellschaft. Für die historisch erkämpfte Freiheit in der deutschen Geschichte stehen nicht die Farben des linken Regenbogens; dafür stehen Schwarz, Rot, Gold. Das sind die Farben von Freiheit und Demokratie. Das sind unsere Farben, meine Damen und Herren! ({22})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Stephan Thomae. ({0})

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Baumann hat nun wirklich ein extrem selektives, düsteres, schwarzmalerisches Bild von der Wirklichkeit gemalt. ({0}) Aber alle Politik beginnt mit der Wahrnehmung der Wirklichkeit. Wie ist denn die Wirklichkeit bei uns? Deutschland ist ein Land, in das ungeheuer viele Menschen kommen, weil sie hier ein besseres Leben führen wollen, weil sie Hilfe und Schutz vor Gewalt, Krieg und Bürgerkrieg suchen. Deswegen müssen wir uns in zweifacher Hinsicht ehrlich machen: Wirklichkeit eins ist: Deutschland ist ein Einwanderungsland. ({1}) Seit Jahrhunderten ist Deutschland ein Einwanderungsland. Das haben nur viele in den letzten Jahrzehnten nicht so richtig wahrhaben wollen, obwohl die Gastarbeiter der Nachkriegsjahre einen enormen Anteil hatten am Aufbau des deutschen Wirtschaftswunders. Jetzt sind wir wieder in einer Situation, wo viele Arbeitgeber händeringend nach Arbeitskräften suchen. Wenn man sich mit Unternehmern unterhält, dann werden immer zwei Sorgen adressiert, die die Unternehmen in ihrem Fortkommen und ihrem Bestand bedrohen: Das sind aktuell die hohen Energiepreise. Das sind aber seit langer Zeit – die Lage verschärft sich zunehmend – die fehlenden Arbeitskräfte. ({2}) Deswegen müssen wir lernen, Einwanderung als Chance zu verstehen, aber auch als Notwendigkeit. Das ist die eine Wahrheit. Und die zweite Wahrheit ist: Ja, nicht alle Menschen, die bei uns Asyl beantragen, haben auch einen validen Asylgrund, und nicht alle, die gerne bei uns arbeiten möchten, bringen dafür auch die notwendigen Voraussetzungen mit. Deswegen müssen wir auf diese beiden Wahrheiten auch auf zweierlei Weise reagieren: Wir brauchen eine wirksame Migrationskontrolle; wir brauchen aber auch eine bessere Integrationsförderung bei uns im Land. ({3}) Das ist kluge Migrationspolitik: beides im Blick zu behalten. Deswegen legen wir heute zwei Gesetzentwürfe vor, die auf diese beiden Aspekte abzielen. ({4}) Das Erste ist, dass die Asylgerichtsverfahren bei uns viel zu lange dauern. Sie dauern im Bundesschnitt über 26 Monate. Das ist zu lang. Das müssen wir beschleunigen, natürlich mit der Behutsamkeit, die wir immer brauchen, wenn wir rechtsstaatliche Grundsätze nicht über Bord werfen wollen. Deswegen gehen wir vorsichtig und behutsam vor, versuchen, an verschiedenen Stellen beschleunigende Schritte zu ergreifen. Wir wissen natürlich genau, dass es nicht den einen Knopf gibt, mit dem man den Turbo einschalten kann. Wir gehen behutsam und vorsichtig und doch wirksam vor. Wir entlasten auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge; denn wir sehen künftig davon ab, dass jeder Asylbescheid regelmäßig wieder überprüft werden soll. Das bindet beim BAMF enorme Personalressourcen und führt nur in etwa 5 Prozent der Fälle tatsächlich zu einer Korrektur der Asylbescheide. Das ist ineffizient. Deswegen wollen wir künftig eine Asylprüfung nur noch anlassbezogen vornehmen lassen. Ja, ich weiß. Die einen sehen die Verlängerung der Abschiebehaft sehr kritisch. Und die anderen sehen die staatliche Förderung einer behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung sehr kritisch. Aber bei der Abschiebehaft treten wir nur an Straftäter heran und klammern die Minderjährigen aus. Und bei der Asylverfahrensberatung haben wir uns das Modell der Schweiz vor Augen gehalten, wo auch eine Trennung von Beratung und Entscheidung vorgenommen wird, und das mit viel Erfolg. Und keine Angst, es wird Standards geben, wie diese Beratung ausgestaltet sein muss. Das ist der eine Gesetzentwurf. ({5}) Der zweite Gesetzentwurf betrifft den Chancen-Aufenthalt. Wir müssen bei der Integration der Menschen endlich mehr in die Offensive gehen. Über 130 000 Menschen in Deutschland sind seit über fünf Jahren geduldet, können aber nicht abgeschoben werden, bekommen aber auch keinen Aufenthaltstitel und hängen im Sozialsystem fest, anstatt in den Arbeitsmarkt integriert zu werden. Da müssen wir doch vorankommen. Wir dürfen nicht dauernd versuchen, die Falschen abzuschieben. Wir müssen diejenigen, die sich integrieren wollen, integriert sind und auch arbeiten wollen, doch arbeiten lassen. Das ist doch ein Widerspruch: einerseits über Arbeitskräftemangel zu klagen, andererseits aber diejenigen, die bei uns arbeiten wollen, daran zu hindern, ihnen Steine in den Weg zu legen. ({6}) Deswegen ist unser Chancen-Aufenthaltsrecht ein wichtiger Baustein. Es richtet sich an Menschen, die über fünf Jahre hier sind, gut integriert sind und die Sprache beherrschen, straffrei sind, deren Identität geklärt ist. Der Gesetzentwurf richtet sich vor allem nur an Vorgänge in der Vergangenheit. Für die Zukunft wollen wir eine neue Regelung zur Fachkräfteeinwanderung durchsetzen. Dafür ist in dieser Woche auch ein Eckpunktepapier im Kabinett beschlossen worden. Insofern beinhaltet unser Migrationspaket beides: Es schafft Verbesserungen bei der Migrationskontrolle und Verbesserungen bei der Integrationsförderung. Das ist ein Beispiel für kluge Migrationspolitik, meine Damen und Herren. ({7})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Clara Bünger. ({0})

Clara Bünger (Unbekannt)

Politiker ID: 11005289

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stimmen heute über die ersten beiden Asylpakete der Ampelkoalition ab. Beide sind aus meiner Sicht eine Riesenenttäuschung. Der Gesetzentwurf zum Chancen-Aufenthaltsrecht schafft nicht wirklich Chancen für die, die sie bräuchten, und das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz keine Beschleunigung. Ich weiß auch, dass Sie sich in der Koalition nicht immer einig waren und dass die FDP teilweise blockiert hat. Ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Mit uns hätte es das nicht gegeben. ({0}) Aber nun zurück zum Thema. Der Gesetzentwurf zum Chancen-Aufenthaltsrecht beinhaltet immer noch viel zu hohe Hürden, um Kettenduldungen, wie eigentlich versprochen, wirksam zu beenden. Sogar nach Ihren eigenen Berechnungen werden nur rund 34 000 Personen die Anforderungen erfüllen. Gegenüber den 240 000 geduldeten Menschen, die in Deutschland leben, ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. ({1}) Die wesentlichen Kritikpunkte von Verbänden und NGOs hat die Koalition vollkommen ignoriert. So wurde die Identitätsklärung per eidesstattlicher Versicherung nicht mit geregelt, wodurch weiterhin Menschen ausgeschlossen werden, die schlicht keine Pässe besorgen können. Frau Lindholz, es gibt Menschen, die können diese Pässe einfach nicht besorgen; Sie kennen die Realität einfach nicht. ({2}) – Nein. – Auch der Stichtag wurde lediglich um ein Dreivierteljahr verschoben, statt gänzlich abgeschafft. Da hätten wir uns mehr gewünscht. Das ist aus unserer Sicht Ausdruck einer Politik, die nur Zwischenlösungen schafft. Helge Lindh hat gesagt, das Chancen-Aufenthaltsrecht sei Ausdruck von Vernunft und Pragmatismus. Wenn Sie wirklich vernünftig und pragmatisch gewesen wären, hätte die Koalition unserem Gesetzentwurf für ein Bleiberecht vor der Sommerpause zugestimmt. ({3}) Dann hätte es die vielen Abschiebungen bis jetzt nicht gegeben. Zum Gesetzentwurf zum Asylgerichtsverfahren sage ich Ihnen als Juristin ganz ehrlich: Das ist eine richtige Katastrophe. Im Koalitionsvertrag wurden faire, zügige und rechtssichere Asylverfahren versprochen. Stattdessen liefert die Ampel jetzt eine Ausweitung und Manifestation des Sonderrechts im Asylbereich. Viele wissen gar nicht, dass die Rechte von Geflüchteten in Deutschland schon maximal eingeschränkt sind. Und das setzt die Bundesregierung jetzt fort; Frau Polat hat das auch eingesehen. Ich wünsche mir, dass Sie da wirklich noch einmal nacharbeiten. Ich möchte dazu ein Beispiel nennen, das auch Herr Rechtsanwalt Münch, der als Sachverständiger für den Deutschen Anwaltverein am Montag in der Anhörung war, genannt hat: Wird beispielsweise ein Auto abgeschleppt, steht den Besitzern, bzw. Besitzerinnen der komplette Instanzenzug offen. Im Asylverfahren, wo es um Leben und Tod geht, sind die Rechtsmittel dagegen eingeschränkt und Klagefristen verkürzt. Herr Münch nannte Ihren Gesetzentwurf einen experimentellen Ausbau dieses Sonderrechts gegenüber Geflüchteten. Ich möchte an dieser Stelle ergänzen: Diese Ungleichbehandlung per Gesetz ist das Gegenteil von einem Paradigmenwechsel. ({4}) Dabei wäre doch die Abschaffung dieses Sonderrechts gegenüber Geflüchteten der erste und ein wichtiger Schritt für eine Gleichberechtigung. Das haben auch viele Sachverständige bestätigt. Ein regelrechter Tabubruch hingegen ist die Ermöglichung von Anhörungen im Asylverfahren mit Videotechnik. Die Anhörung ist das Kernstück des Asylverfahrens. Dort müssen Geflüchtete von ihrem Schicksal und häufig traumatisierenden Erlebnissen und Gewalterfahrungen berichten. Das ist über eine Kamera einfach nicht möglich, weil es keine vertrauensvolle Atmosphäre gibt. ({5}) Außerdem sehe ich die Gefahr, dass Sie hier eine Technik einführen, die am Ende in Schnellverfahren in Haftzentren an den EU-Außengrenzen zum Einsatz kommt, womit das Leid dort noch vergrößert wird. Diese Verschärfung lehnen wir natürlich ab. Und beim Chancen-Aufenthaltsrecht müssen wir uns aus den genannten Gründen enthalten. Vielen Dank. ({6})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Gülistan Yüksel. ({0})

Gülistan Yüksel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004448, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche mir, dass wir zusammenhalten, einander wertschätzen und respektieren. ({0}) Diese Worte stammen von einer Schülerin aus meinem Wahlkreis, die für ihr beeindruckendes Engagement, für ihren Einsatz für Integration in unserer Stadt geehrt wurde. 2015 floh sie als Dreizehnjährige mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern aus Syrien, fand bei uns ein neues Zuhause und engagiert sich auch heute für Menschen, die Hilfe benötigen. Ich finde, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Wunsch nach Zusammenhalt, Wertschätzung und Respekt sollte auch uns leiten, wenn wir hier über Migration und Integration debattieren. ({1}) Einen ersten Schritt gehen wir heute mit den beiden vorliegenden Gesetzentwürfen. Zum einen beschleunigen wir die derzeit langen Asylgerichtsverfahren und vereinheitlichen die Rechtsprechung. Zum anderen setzen wir den Kettenduldungen das Chancen-Aufenthaltsrecht entgegen. Wir geben Menschen, die bei uns ihren Lebensmittelpunkt gefunden haben und seit vielen Jahren hier leben, so eine aufenthaltsrechtliche Perspektive. Für die Betroffenen bedeutet beides mehr Wertschätzung und Respekt und für die Gesellschaft mehr Zusammenhalt. ({2}) Damit eine Gesellschaft zusammenhält, müssen wir auch Integration ermöglichen – von Anfang an. Deshalb ist es gut, dass wir mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht mehr Menschen den Zugang zu Integrationskursen und Berufssprachkursen ermöglichen. Auch das zeigt Wertschätzung und Respekt. ({3}) Nicht zuletzt wird Deutschland ganz konkret davon profitieren; denn wir brauchen Menschen, die bei uns leben, die sich hier engagieren und arbeiten wollen. Wir können es uns nicht leisten, auf Fach- und Arbeitskräfte zu verzichten – schon gar nicht auf die Arbeitskraft derer, die schon bei uns sind. Deshalb ist es gut, dass wir bewährte Regelungen aus dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz entfristen und dass Fachkräften nachziehende Familienangehörige künftig keinen Sprachnachweis mehr erbringen müssen. ({4}) Es sollte jedem klar sein: Die Sprache eines Landes lernt man am einfachsten vor Ort und nicht, wenn man zum Teil Hunderte Kilometer zum Prüfungsort braucht oder Deutschsprachkurse gar nicht erst im Angebot sind. ({5}) Deshalb kann das Chancen-Aufenthaltsrecht an dieser Stelle nur ein erster Schritt sein. ({6}) Seit Jahren erreichen mich Zuschriften von Menschen, die aufgrund des Sprachnachweises von ihrem Ehepartner oder ihrer Ehepartnerin getrennt leben müssen, und das teilweise jahrelang. ({7}) Ich glaube, niemand hier im Raum möchte das selbst durchleben. Darum, sehr geehrte Damen und Herren, werden wir in unserem nächsten Gesetzespaket die Regelungen zum Sprachnachweis beim Ehegattennachzug grundsätzlich ändern und diesen erleichtern. ({8}) Zum Ende möchte ich mich noch kurz an die Kolleginnen und Kollegen der Union wenden. Frau Lindholz, ich sehe, Sie können das gar nicht ertragen, wenn wir hier vorne über Integration und Migration reden. ({9}) – Okay. ({10}) Dass Sie sich den Realitäten in diesem Land verweigern, ist nichts Neues; das haben wir ja auch gestern bei der Debatte zum Staatsangehörigkeitsrecht gesehen. Aber es ist einfach unerträglich, wie Sie dies immer wieder auf dem Rücken derjenigen austragen, die besonders Unterstützung und Hilfe benötigen, ({11}) seien es Beziehende von Bürgergeld – das haben wir gesehen – oder wie hier Menschen mit Migrationsgeschichte. ({12}) Aber anstatt wie Sie den Kopf in den Sand zu stecken, erkennen wir als Ampel die Realitäten. Wir gehen voran. ({13}) Das ist gut für unser Land, und das ist gut für die Menschen, die hier leben. Sie können entweder weiter Sandkörner zählen, oder Sie arbeiten mit daran, dass wir in einem Land leben, in dem die Menschen zusammenhalten, einander wertschätzen und respektieren. Ich würde mir Letzteres wünschen. Herzlichen Dank. ({14})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Silke Launert. ({0})

Dr. Silke Launert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004336, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Neustart in der Migrationspolitik, modernes Einwanderungsrecht, ({0}) Integrationspolitik der Zukunft – das sind wirklich sehr schöne Worte, mit denen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampelregierung, das Chancen-Aufenthaltsrecht bezeichnen. ({1}) Aber es geht nicht darum, ob etwas modern, toll, neu, schön formuliert ist. ({2}) Es geht bei der Migrationspolitik darum, ob sie von Verantwortungsbewusstsein und Weitblick geleitet ist, ({3}) ob die Folgen analysiert wurden, und zwar nicht nur die unmittelbaren Jetztfolgen, sondern auch die für die nächsten Jahre, mit all den damit zusammenhängenden Aspekten wie Wohnungssituation, den Kosten usw. Das gilt auch für die Folgen für die Wirtschaft. Alles muss genau analysiert werden, und diese ausreichende Prüfung habe ich bei diesem Gesetzentwurf nicht ansatzweise feststellen können. ({4}) Wir reden hier nicht über die Fachkräfteeinwanderung; dazu haben Sie ja einen eigenen Entwurf. Wir reden hier nicht über das Staatsbürgerschaftsrecht; dazu hatten wir gestern schon eine Debatte. Wir reden über die, die aus der ganzen Welt zu uns kommen, verständlicherweise eine Chance wollen, „Asyl“ sagen, allerdings abgelehnt werden und abschoben werden müssen. ({5}) Über die reden wir. Für diese Gruppe ist der zukünftige § 104c Aufenthaltsgesetz letztlich nichts anderes als ein Amnestiegesetz. Er sagt ganz klar: Die Rechtsuntreuen, die ihre Identität lange verschleiert haben, zum Teil sogar getäuscht haben, die profitieren. ({6}) Das wurde in der Anhörung thematisiert. Schade, dass Sie nicht in der Anhörung waren. Der Sachverständige hat ganz klar ausführt, wer von § 104c profitiert: ({7}) die, die getäuscht haben und/oder lange nicht aktiv mitgewirkt haben; ({8}) denn für die anderen gibt es schon ganz viel. Die SPD hat alles vergessen, was sie in den letzten Legislaturperioden gemacht hat. Ein Beispiel ist die Ausbildungs- bzw. Beschäftigungsduldung. Wir haben § 25 Absatz 5 Aufenthaltsgesetz. Nach 18 Monaten Duldung und wenn jemand nichts dafür kann, dass er nicht abgeschoben wird, bekommt er eine Aufenthaltserlaubnis. Es gibt schon mehr, als man glaubt. Lassen Sie mich kurz das Bundesverfassungsgericht zitieren: Eine Rechtsordnung, die sich ernst nimmt, darf nicht Prämien auf die Missachtung ihrer selbst setzen. Sie schafft sonst Anreize zur Rechtsverletzung, ({9}) diskriminiert rechtstreues Verhalten … und untergräbt damit die Voraussetzungen ihrer eigenen Wirksamkeit. Kurz: Der Ehrliche darf nicht der Dumme sein. Auch diese Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts müssen Sie beachten. Wir müssen irgendwo glaubwürdig bleiben, obwohl wir auch viele Chancen geben wollen. ({10}) Die weitreichendsten Folgen – das wurde auch in der Anhörung deutlich – ergeben sich allerdings aufgrund der Änderungen in den §§ 25a und 25b. Ich kann die vielen Beispielfälle über die „Alles super toll“-Integrierten nicht mehr hören. ({11}) Die können übrigens meistens schon bleiben. Für die sind wir dankbar. ({12}) Sie haben recht: Unser Arbeitsmarkt braucht sie. Aber die §§ 25a und 25b sagen genau das nicht. Da hätte ich mir von der FDP wahrlich mehr erwartet. ({13}) In der Anhörung waren die Voraussetzungen ganz klar: drei Jahre hier und bis zum Alter von 27. Als Heranwachsende zählen dieser Ampel hier plötzlich alle bis 27, im Strafrecht bis 21, wählen darf man ab 16. Aber die, die alle kommen, dürfen bis 27 bleiben. ({14}) „Drei Jahre zur Schule“ ist Ihnen um die Ohren geflogen. In der Anhörung haben Sie versucht, es etwas abzuschwächen mit der zwölfmonatigen Vorduldung; das ändert aber nichts. ({15}) Aufenthaltsrecht nach drei Jahren Schule! Sie wissen alle, wie lange das Verfahren dauert. Zusammen mit „zwölf Monate nicht abgeschoben“ heißt das: Nach drei Jahren dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland. Wenn das keine Signalwirkung hat! ({16}) Dann haben wir noch § 25b. Da haben Sie auf diese zwölf Monate Vorduldung gleich ganz verzichtet. Es reichen also mit Kind vier Jahre in Deutschland. ({17}) Wenn sie es dann schaffen, das Sprachniveau A2 und einen 600-Euro-Job zu haben: dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland. ({18}) Das sind Signale! Das muss man doch sehen! ({19}) Das wird Auswirkungen haben, und das gerade in der aktuellen Zeit, wo die Bürgermeister und Landräte nicht wissen, wie sie die Asylsuchenden unterbringen sollen. ({20}) Verantwortung heißt: Humanität, aber auch mit den Ressourcen vernünftig umgehen. Wir wollen denen helfen, die wirklich Hilfe brauchen, aber wir können nicht die ganze Welt einladen. ({21}) Schöne Worte, hört sich toll an, Marketing perfekt – aber im Ergebnis ist es nicht gut geworden. ({22})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Katrin Göring-Eckardt. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ja, ich mute Ihnen auch noch einen Einzelfall zu, ({0}) Samuel D. nämlich. ({1}) Er lebt seit zwölf Jahren in Deutschland, er arbeitete jahrelang für die DHL und stand auf eigenen Beinen. Als er aus seinem Herkunftsland Äthiopien endlich einen Pass bekam, endete sein Alltag abrupt. ({2}) Statt die in Aussicht gestellte Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, verbot ihm die bayerische Ausländerbehörde, weiterzuarbeiten, und entzog ihm seine Duldung. Jetzt droht ihm die Abschiebung. ({3}) – Lächerliche Einzelfälle? Meine Damen und Herren, Herr Baumann, das ist ein Mensch, der in unserem Land lebt, der hier gearbeitet hat. ({4}) Das ist nicht lächerlich. Dieser Samuel D. hat übrigens auch leider deswegen Pech gehabt, weil er in Bayern lebt. Ein paar Kilometer weiter, nämlich in Thüringen, hat man Anfang des Jahres entschieden, dass man auf das Chancen-Aufenthaltsrecht wartet, und hätte ihm ermöglicht, weiter hier bei uns zu arbeiten und auf eigenen Beinen zu stehen. ({5}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht entscheiden wir uns für die Wirklichkeit. Und ja, das ist ein Signal, so wie beim Staatsbürgerschaftsrecht. Wir passen die Gesetze an die Einwanderungsgesellschaft an. Darum geht es: anzukommen im Hier und Heute. Sie, meine Damen und Herren von der Union, haben gerade in diesen letzten Wochen das Gegenteil versucht. Sie haben nach dem Motto „Was wir in den 1980er-, 1990er- und 2000er-Jahren falsch gemacht haben, das machen wir jetzt noch mal falsch“ gehandelt, aber aus „ein paarmal falsch“ wird nicht richtig, sondern es bleibt falsch. Was wir brauchen, ist ein Einwanderungsrecht, ein Asylrecht und ein Chancen-Aufenthaltsrecht, das der Wirklichkeit, dem Hier und Heute in unserem Land gerecht wird, meinen Damen und Herren. ({6}) Vielleicht glauben Sie ja, dass Sie damit die Identitätskrise in den eigenen Reihen irgendwie bewältigen können. Aber es geht doch hier um unser Land. Die eigenen Leute sagen Ihnen: Der Kaiser ist gerade nackt. – Deswegen brauchen wir klare und deutliche Antworten; deswegen brauchen wir Antworten, die wirtschaftlich vernünftig sind. Das haben gestern und heute schon viele gesagt. Und ich verstehe nicht, auch heute Morgen noch nicht, wie Sie die ganze Zeit Signale nach dem Motto „Das ist uns egal, was die Unternehmen sagen; es ist uns egal, was die Unternehmen brauchen“ aussenden können. ({7}) Mir könnte es egal sein, dass Sie das sagen. Aber ehrlich gesagt: Sie arbeiten daran, dass nicht nur der Ruf Deutschlands in der Welt ({8}) bei all denen, die überlegen, nach Deutschland zu gehen und dort ihr Glück zu versuchen, und die wir brauchen, beschädigt wird, sondern dass die Leute sagen: Nee, dann gehen wir lieber woandershin; ({9}) woanders sind wir willkommen, woanders können wir arbeiten, woanders können wir zum Wohlstand beitragen. ({10}) Das ist das Problem, das Sie haben, aber das Sie auch diesem Land machen, meine Damen und Herren. ({11})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Frau Göring-Eckardt, lassen Sie eine Frage aus der AfD-Fraktion von Frau von Storch zu?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich glaube, lieber nicht. Nein. ({0}) Es gibt noch einen zweiten Punkt, der mich noch mehr verwundert. Es handelt sich um Menschen, die sich für unser Land entschieden haben. Sie finden es gut hier. Die finden gut, was wir hier machen. Deswegen sagen sie: Wir wollen Teil davon sein. Wir wollen Teil des demokratischen Gemeinwesens sein. – Sie arbeiten hier ehrenamtlich und kümmern sich um andere. Das sind Leute, die tragen zum Wohlstand unseres Landes bei. Denen sollten wir doch als Land das Signal aussenden: „Ja, herzlich willkommen und vielen Dank, dass ihr zu unserem Wohlstand beitragen wollt“, statt zu sagen: „Ach nee, eigentlich lieber nicht“. Und genau das machen wir mit dem Gesetz heute und hier, meine Damen und Herren. ({1}) Zwei von drei Unternehmen sagen: Ja, es ist gut, dass wir Geflüchtete beschäftigen. Ja, das führt zu einem positiven Betriebsklima. Das sind Leute, die sich mehr anstrengen als viele andere. – Deswegen, anders als viele Kritikerinnen und Kritiker behaupten, sei auch noch mal klar gesagt: Es geht nicht darum, dass Leute jahrelang abwarten, sondern darum, dass die Motivation steigt, hier Dinge zu tun. Die geflüchteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen bei den Unternehmen verdammt hoch im Kurs. Beim Chancen-Aufenthaltsrecht geht es um pragmatische und zeitgemäße Lösungen. Und es geht darum, wie wir den Menschen entgegentreten, die sich hier etwas aufbauen wollen, die hier gemeinsam mit uns etwas aufbauen wollen. Die Frage ist: Machen wir es ihnen schwer, oder haben wir das gleiche Ziel vor Augen, nämlich Deutschland gemeinsam zu einem Chancenland zu machen? Wir entscheiden uns dafür, dass wir ein Land der Chancen sein wollen. Ich sage: Die Einladung steht. Das heute ist erst der Anfang. Die Einladung an Sie steht, meine Damen und Herren. Nach gestern Abend muss man vielleicht sagen: Lassen Sie uns doch lieber Weltmeister der Chancen werden. Dieses Land und seine Menschen haben es verdient. ({2})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner ist der fraktionslose Abgeordnete Robert Farle. ({0})

Robert Farle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005053

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „Immer mehr Menschen leben in Deutschland. Seit 2014 aber viel weniger Deutsche und viel mehr Ausländer“, so die „Bild“-Zeitung vom 30. November 2022. ({0}) Nach offiziellen Angaben leben derzeit 12,8 Millionen Ausländer bei uns. ({1}) 2015 wanderten circa doppelt so viele bei uns ein, wie neue Kinder geboren wurden. In westdeutschen Großstädten sind junge Deutsche bereits in der Minderheit. ({2}) Kein Wunder, dass das Bildungsniveau Jahr für Jahr beständig absinkt. ({3}) – Weil sie noch nicht einmal Deutsch können. – Fazit: Der kontinuierliche Multikulti-Bevölkerungsaustausch ist Tatsache, und er ist kein Zufall. ({4}) Das ist die praktische Umsetzung des Migrationspaktes der Agenda 2030, die von allen Regierungsparteien konsequent gemacht wird. Ziel dieser Agenda ist ein globaler Arbeitsmarkt. Dazu sollen traditionelle Gesellschaftsstrukturen in unserem Land beseitigt werden. Ich mache niemandem einen Vorwurf, kein Patriot zu sein oder wie Robert Habeck Vaterlandsliebe – Zitat – „zum Kotzen zu finden“. Aber man muss den Selbstbetrug beenden und damit Schluss machen, den Wählern den Bevölkerungsaustausch mit Begriffen wie „Bereicherung“, „Integration“ oder „Fachkräftezuwanderung“ schmackhaft zu machen. Erstens können sich Mehrheiten nicht in Minderheiten integrieren. Zweitens werden wir dadurch nicht bereichert, sondern verarmen insgesamt, weil der Großteil der zu uns strömenden geringer Qualifizierten dauerhaft in der sozialen Hängematte verbleibt. Die arbeiten nämlich überwiegend nicht. ({5}) Und drittens machen hochqualifizierte Fachkräfte um unser Land einen großen Bogen, genau aus demselben Grund, weshalb jährlich immer mehr gut ausgebildete Deutsche auswandern. Sie haben keine Lust, sich für die dümmste Energie- und Einwanderungspolitik der Welt über die hohen Steuern und Sozialabgaben ausplündern zu lassen.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Kommen Sie bitte zum Schluss. ({0})

Robert Farle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005053

Ihre Vorhaben sind verfassungswidrig. Sie schaffen sich ein neues Staatsvolk, nur um ein paar mehr Wählerstimmen zu bekommen, ({0}) weil Sie fürchten, abgewählt zu werden, was die logische Konsequenz Ihrer Politik ist. Vielen Dank. ({1})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Muhanad Al-Halak. ({0})

Muhanad Al-Halak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005008, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im Aufenthaltsrecht mit den Kettenduldungen ein Durcheinander geerbt, das dringend geordnet werden musste. ({0}) Es ist doch absurd, dass Menschen, die länger als fünf Jahre bei uns geduldet werden, vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden, und das, obwohl sie arbeiten können und wollen. ({1}) Währenddessen sucht die Wirtschaft händeringend Mitarbeiter und Auszubildende, und der Staat, wir alle haben kein Interesse daran, diese Menschen im Transferleistungsbezug zu halten. Das Chancen-Aufenthaltsrecht gibt mehr als 130 000 Menschen in diesem Land eine Zukunft und eine Perspektive, meine Damen und Herren. ({2}) Wir sagen klar: Wenn jemand zum Stichtag 31. Oktober 2022 seit fünf Jahren oder länger hier in Deutschland geduldet ist, wenn er straffrei ist, dann hat er jetzt drei Jahre Zeit, um den Chancen-Aufenthalt zu beantragen. Dann geben wir diesen Menschen 18 Monate lang die Chance, um die Kriterien für einen Aufenthaltstitel zu erfüllen. Das bedeutet: Identität nachweisen. Das bedeutet: Sprache lernen. Das bedeutet: Job finden. Das bedeutet selbstverständlich auch: „sauber bleiben“. ({3}) Aber wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, dann sind diese Menschen hier willkommen, dann sollen sie raus aus dem Aufenthaltslimbo und einen Aufenthaltstitel bekommen, dann sollen sie hier verlässlich ihr Leben gestalten und planen können. Kurz, wir sagen: Strengt euch an, dann lohnt es sich auch! Und das ist der richtige Weg, das ist das richtige Angebot, meine Damen und Herren. ({4}) Aber dazu gehört genauso klar das Signal: Straftäter, Gefährder, Menschen, die bewusst täuschen und tricksen, müssen verlässlich ausreisen. Menschen, die unser Grundgesetz nicht achten oder sogar verachten, haben bei uns keinen Platz – und auch keinen Chancen-Aufenthalt. ({5}) Deswegen ist es auch richtig, dass wir zum Beispiel die Dauer der Abschiebehaft verlängern. So ermöglichen wir Abschiebungen konsequenter als vorher. Das sorgt erstens für Akzeptanz bei den Menschen im Land, die zu Recht erwarten, dass wir für Sicherheit sorgen und Recht auch durchsetzen. Das sorgt zweitens aber auch dafür, dass die große Mehrheit der ehrlichen geduldeten Menschen sieht: Die halten Wort. Und das tun wir, wir halten Wort, bei den Ausreisen wie bei der ausgestreckten Hand. ({6}) Und noch an die Damen und Herren von der Union: Für mich als Mitbürger mit Migrationsvordergrund – Sie wissen ja, ich komme aus Niederbayern – ({7}) ist dieses Gesetz ebenso wie das Gesetz zur Beschleunigung der Asylverfahren der Beginn einer aufmunternden Antwort an den ehemaligen Innenminister Horst Seehofer, der die Migration als Mutter alle Probleme bezeichnet hatte. Meine Antwort lautet: Wenn ein Junge wie ich aus dem Irak hierherkommen und sich integrieren kann und dann heute als Bürger dieses Landes, das ich meine Heimat nenne, hier stehen kann, dann ist das kein Problem, meine Damen und Herren. ({8}) Aber was ich dafür brauchte, waren Chancen. Und diese Chance hier und heute so vielen anderen zu ermöglichen, das macht mich stolz, sehr stolz. Vielen Dank. ({9})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Alexander Throm. ({0})

Alexander Throm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004917, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Deutschland erbringt wahrlich seit Jahren eine große humanitäre Leistung bei der Aufnahme von Schutzberechtigten. Das zeigt sich gerade auch in diesem Jahr. Darauf können wir alle zu Recht stolz sein. ({0}) Es galt aber immer auch: Wer keinen Schutz braucht, der hat in letzter Konsequenz unser Land wieder zu verlassen. ({1}) Das ist die Balance zwischen Humanität auf der einen und Ordnung auf der anderen Seite. ({2}) Dabei gab es bisher schon viele Möglichkeiten für Ausreisepflichtige, wenn sie rechtstreu waren, wenn sie Integrationsbereitschaft gezeigt haben, wenn sie insbesondere auch gearbeitet haben, hier ein Daueraufenthaltsrecht zu erhalten. ({3}) Nun reduzieren Sie von der Ampel, Frau Kollegin Göring-Eckardt, die Anforderungen an diese Integrationsvoraussetzungen. Damit bringen Sie die Balance in unserem System zwischen Humanität und Ordnung in Schieflage. ({4}) Denn erstmals in der Geschichte wird Personen ohne geklärte Identität ein Aufenthaltsrecht gewährt. ({5}) Die Klärung der eigenen Identität ist aber das Mindeste, was wir von Menschen erwarten können, wenn sie hier bei uns bleiben wollen. ({6}) Und das machen Sie deshalb, weil nur diese Personengruppe von Geduldeten Ihr sogenanntes Chancen-Aufenthaltsrecht überhaupt braucht; sie braucht nämlich den Abschiebeschutz von einem Jahr bzw. jetzt eineinhalb Jahren, um ihre Identität offenbaren zu können. Und – oh Wunder – sofern sie den Abschiebeschutz über das Chancen-Aufenthaltsrecht von Ihnen bekommen haben, dann werden sie ihre Identität offenbaren. Das ist nicht in Ordnung, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Herr Kollege Thomae, wenn Sie das jetzt mit Arbeitsmigration, gar von Fachkräften, begründen wollen, dann reden Sie an der geltenden Rechtslage vorbei. ({8}) Auch Geduldete haben heute nach geltender Rechtslage grundsätzlich die Möglichkeit, eine Arbeitserlaubnis zu erhalten, ({9}) mit Ausnahme der Personengruppe, die nicht an ihrer Identitätsklärung mitwirkt, was zumutbar ist, und derjenigen aus sicheren Herkunftsländern. Das heben Sie ja aber auch noch auf. Insofern ist Ihr Gesetz nichts Neues in Bezug auf den Arbeitsmarkt, Sie nehmen damit nur die Personen mit ungeklärter Identität mit hinein, liebe Kolleginnen, Kollegen. ({10}) Jetzt haben Sie hinsichtlich der Erteilung des Bleiberechts auch das Alter für gut integrierte Jugendliche auf bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres erhöht. Wir wissen, zwei Drittel aller Asylbewerber, die kommen, sind Männer – das hat damit jetzt nichts zu tun –, ({11}) aber vor allem sind sie genau in dieser Altersgruppe. Deswegen habe ich Herrn Staatssekretär Saathoff am 9. November bei der Fragestunde gefragt, wie denn die Rechtsfolgenabschätzung der Ampel aussehe, mit wie vielen Menschen man denn rechne, die zukünftig über diesen Weg „Alter bis 27 Jahre“ hier ein Daueraufenthaltsrecht bekommen können. Herr Saathoff sagte: Daher ist jede Prognose mit Unwägbarkeiten verbunden, und jede Aussage darüber wäre nicht zu verantworten. Wie können Sie es dann verantworten, hier ein Gesetz zu machen, von dem Sie offenkundig selbst nicht wissen, welche Rechtsfolgen es haben wird? ({12}) Dann haben Sie das Problem erkannt, dass es dann, wenn Sie die Aufenthaltszeiten auf sechs, vier oder gar drei Jahre verkürzen, quasi einen nahtlosen Übergang vom Asyl- und Klageverfahren, von der Gestattung in das Daueraufenthaltsrecht gibt, in aller Regel in wenigen Monaten ({13}) – ich komme gleich genau darauf –, und dass deshalb der Rechtsanspruch des Staates, eine Ausreisepflicht durchzusetzen, gar nicht mehr umsetzbar ist. Das haben Sie erkannt, sind auf die Kritik eingegangen und machen jetzt eine Vorduldungszeit von zwölf Monaten. Das heißt, in diesen zwölf Monaten kann bei den Jugendlichen bis 27 Jahren grundsätzlich noch eine Abschiebung stattfinden. ({14}) Das führt aber zu dem absurden Ergebnis, dass ein gut integrierter Jugendlicher, der die Schule besucht hat und einen Abschluss hat, der Deutsch kann, der rechtstreu ist, weil er nämlich seine Identität geklärt hat, in diesen zwölf Monaten abgeschoben werden kann. ({15}) Der Rechtsuntreue, der seine Identität nicht offenbart hat, erhält von Ihnen über das Chancen-Aufenthaltsrecht einen Abschiebeschutz und kann nicht abgeschoben werden, und zwar an keinem einzigen Tag seit seinem Aufenthalt hier in Deutschland. ({16}) Das ist das absurde Ergebnis Ihres Gesetzentwurfs, Ihres Änderungsantrags am heutigen Tag. Frau Polat, ich kann Sie insofern verstehen, dass Sie dieser Vorduldungszeit nicht zustimmen wollten.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Throm, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kaddor?

Alexander Throm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004917, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr gerne.

Lamya Kaddor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005095, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, vielen Dank. – Herr Kollege Throm, Sie haben ja sozusagen darauf verwiesen, dass es offensichtlich am Arbeitsmarkt nicht wirklich funktioniert. Den 2,5 Millionen Arbeitslosen, die es gibt, stehen 1,5 Millionen offene Stellen gegenüber. Warum haben Sie denn dieses Problem in den Jahren während Ihrer Regierung eigentlich nicht gelöst? Zweitens: Was ist denn Ihr konkreter Vorschlag, der wiederum eine Modernisierung der Zuwanderungsregeln, wie wir sie hier ja planen und vorstellen, überflüssig machen würde? Ich bin sehr gespannt auf Ihre Ideen. Vielleicht erklären Sie noch kurz, warum Sie gerade auf junge Männer verwiesen haben, wie Ihre Kollegin davor übrigens auch. Was hat dieser Sachverhalt mit jungen Männern zu tun? ({0})

Alexander Throm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004917, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Kollegin, ich habe darauf hingewiesen, dass eben in dieser Altersgruppe überwiegend Männer kommen, habe aber gleich gesagt, dass das mit diesem Gesetz nichts zu tun hat. Das ist die Statistik, die besagt: Zwei Drittel sind Männer bis zum Alter von 27 bzw. 29 Jahren. ({0}) Was den Arbeitsmarkt anbelangt – darauf habe ich ja gerade hingewiesen –: Die meisten Geduldeten könnten heute schon arbeiten, eine Arbeitserlaubnis erhalten, ({1}) sie arbeiten nur nicht. Es sind 27 000 Geduldete, die tatsächlich in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis sind. Unseren Lösungsvorschlag sehen Sie in § 60b Aufenthaltsgesetz mit der sogenannten Duldung light, die wir seinerzeit gemeinsam mit unserem Koalitionspartner SPD in einem Kompromiss eingeführt haben. Damals waren wir beide gemeinsam der Auffassung, dass wir alles von den Menschen Zumutbare erwarten können hinsichtlich ihrer Identitätsklärung und der Passbeschaffung und dass dann natürlich auch eine Arbeitserlaubnis gegeben werden kann. Solange das nicht passiert, gibt es keine Arbeitserlaubnis. Es handelt sich aber genau um diese Personengruppe, also die ohne geklärte Identität. Und es ist auch richtig, dass wir nur die belohnen, die auch tatsächlich rechtstreu sind, liebe Kolleginnen und Kollegen. Und Sie, die Ampel, wollen genau diese Lösung bei Ihrem nächsten Migrationspaket abschaffen. ({2})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Throm, lassen Sie noch eine Frage des Kollegen Thomae aus der FDP-Fraktion zu?

Alexander Throm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004917, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Natürlich, sehr gerne.

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen. – Ich habe den Widerspruch, den Sie aufgezeigt haben, vernommen, glaube aber, dass es ein Scheinwiderspruch ist. Denn bei den Personen, die Sie als die rechtstreuen Erwachsenen darstellen und die schlechtergestellt würden als die rechtsuntreuen jungen Erwachsenen, handelt es sich um solche Personen, die sich schon mehr als fünf Jahre im Inland befinden. Der Chancen-Aufenthalt ist ja der Clou des § 104c Aufenthaltsgesetz. Er behandelt einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Vorgang. Deswegen war es hier schon möglich, diese Menschen fünf Jahre abzuschieben. Da brauchen wir nicht noch einmal ein Jahr, während wir bei der anderen Personengruppe noch ein Jahr brauchen, um die Abschiebung durchzuführen.

Alexander Throm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004917, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Thomae, danke für die Frage.- Sie gibt mir die Gelegenheit, noch ein paar Erklärungen zu machen. Sie haben den Stichtag angesprochen, indem Sie gesagt haben, dass es nach hinten wirkt. Wissen Sie, was ein Stichtag eigentlich bedeutet? Der bedeutet, dass man als Gesetzgeber weiß, dass man etwas macht, was eigentlich falsch ist. ({0}) Deswegen will man sich durch einen Stichtag vor den weiteren Wirkungen dieses Gesetzes schützen. Das ist so. Sie wollen Nachahmer vermeiden, die sich dann auf dieses Gesetz berufen können. Sie erkennen also, dass etwas falsch ist. Das Problem bei Stichtagen, Fristen und wie auch immer in der Gesetzgebung – das war bei uns ganz genau so, wie es bei Ihnen zukünftig sein wird – ist: Sie werden meistens aufgehoben, entfristet, und es wird daraus eine Dauerlösung gemacht. Dadurch, dass Sie die Frist jetzt schon zum 31.10. dieses Jahres verlängert haben, zeigen Sie, dass Sie auch an dem Stichtag weiter drehen werden. ({1}) Herr Kollege Thomae, Sie haben gefragt nach dem Widerspruch bei § 104c zwischen den Jugendlichen, die, wenn sie gut integriert sind, in diesen zwölf Monaten Vorduldungszeit abgeschoben werden können, und den sogenannten Erwachsenen, die nicht unter § 25a Aufenthaltsgesetz fallen. Nein, Sie haben die Situation nicht richtig erkannt. Es geht nicht um die Frage, wann, nach wie vielen Jahren jemand abgeschoben werden kann – nach drei oder nach fünf Jahren –, sondern es geht darum, dass Sie ein Gesetz machen, bei dem der rechtstreue Jugendliche bis 21, 27 Jahren, der eine Schule besucht hat, einen Abschluss gemacht hat, Deutsch spricht, bestens integriert ist – die wollen wir auch hier behalten, jedenfalls bis 21 Jahre –, nach Ihrem Änderungsantrag über diese zwölf Monate Vorduldungszeit abgeschoben werden kann. Der Rechtsuntreue, der von mir aus zwei Jahre länger hier ist – fünf Jahre –, der nicht gut integriert ist, weil er seine Identität nicht geklärt hat – wer seine Identität nicht offenbart, kann schon per Gesetzesdefinition nicht gut integriert sein –, ({2}) erhält von Ihnen über das Chancen-Aufenthaltsrecht quasi einen Abschiebeschutz. Nicht einen Tag in der Zeit, in der er sich in Deutschland befindet, kann er abgeschoben werden. Das ist der Widerspruch. Das ist der Murks in Ihrer Gesetzgebung, Herr Kollege Thomae. ({3}) Liebe Kollegen, ich bedanke mich grundsätzlich für jede Zwischenfrage. Zur Rückführungsoffensive. Für die Vergangenheit bereinigen Sie die Statistik, für die Zukunft gibt es großzügige Bleiberechte, und für die Problemfälle schaffen Sie im nächsten Migrationspaket die eidesstattliche Erklärung zur Identitätsklärung. Es bleiben zum Schluss nur noch die Straftäter übrig, die abgeschoben werden. Ihre Rückführungsoffensive, die der FDP so wichtig ist, ist ein reiner Etikettenschwindel. Deswegen lehnen wir das Gesetz heute ab. Herzlichen Dank. ({4})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Adis Ahmetovic. ({0})

Adis Ahmetovic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005005, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Jetzt muss man sich die nächste schmerzhafte Schicksalsgeschichte anhören. Aber ich kann sie erzählen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Kind hatte ich als erste Videokassette, VHS, „König der Löwen“ – vielen bekannt. Dort gibt es den Titelsong „Der ewige Kreis“. Wissen Sie, was schön ist? Heute schließt sich dieser Kreis nicht nur für mich, sondern auch für viele andere Hunderttausende und mehr Menschen, ({0}) die zu unserer Gesellschaft und zu unserem Land gehören; denn wir beschließen heute im Deutschen Bundestag das Chancen-Aufenthaltsrecht. Damit beginnen wir einen Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik. Wir schaffen eine neue Grundlage für eine notwendige Anerkennungskultur. ({1}) Ich freue mich, als hannoverscher Bundestagsabgeordneter und Bürger dieses Landes an diesem Redepult zu stehen und zu diesem Gesetz zu sprechen. Ob ich mir das jemals hätte erträumen können? Ich weiß es nicht. Aber jetzt ist es Realität geworden. Wenn man sich jedoch die Jahre davor anguckt, war es nicht vorhersehbar. Meine Geschichte beginnt 1993 in Hannover, in der Bundesrepublik Deutschland. Meine Eltern sind zusammen mit meinem älteren Bruder aus Bosnien-Herzegowina nach Deutschland gekommen. Ich bin in Hannover geboren, ein waschechtes Hannover-Kind: Schule, Studium und Arbeit, alles in Hannover gemacht, mein Zuhause. Das klingt so weit erst einmal nach einer normalen Kindheit. Das war sie jedoch nicht. Ich habe mir bewusst von dem zuständigen Ordnungsamt einen Auszug meiner Aufenthaltsgeschichte geben lassen, um gemeinsam mit Ihnen den behördlichen Spießrutenlauf nachzuvollziehen. Adis Ahmetovic: von 1993 bis 2001 18 Duldungen, zwischen einem Monat und drei Monaten, dazwischen eine Androhung auf Abschiebung und eine Ausreiseaufforderung. Wie Sie sehen können, hat es nicht geklappt. Jetzt bin ich direkt gewählter Bundestagsabgeordneter. ({2}) Dann fast vier Jahre Einbürgerungsprozess mit Abgabe der bosnisch-herzegowinischen Staatsbürgerschaft, die mir nicht leichtfiel. Aber auch an der doppelten Staatsbürgerschaft arbeiten wir, und das ist auch ein richtiges Zeichen. ({3}) Seit 2015 glücklicher deutscher Staatsbürger. Und eine Meldung nach rechts: Schwarz, Rot, Gold, die Farben gehören mir, nicht Ihnen. ({4}) Sie gehören den Demokratinnen und Demokraten. Das lassen wir uns nicht nehmen. Das ist nämlich das Grundgesetzbuch. ({5}) Mit diesen behördlichen Gängeleien, dieser unsäglichen Praxis der Kettenduldungen ist ab heute Schluss. Das ist auch gut so, meine Damen und Herren. Das ist gut so. ({6}) Es ist ein Zeichen im Sinne von Fairness, Partizipation, Anerkennung und Respekt. Aber es ist auch ein Zeichen für viele Bundesbürgerinnen und Bundesbürger: ein spätes Eintreffen von Gerechtigkeit für so viele harte Schicksalsjahre. Die Gerechtigkeit siegt heute mit dem Beschluss des Chancen-Aufenthaltsrechts. Für viele Menschen beginnt damit ein neues Leben. Deutschland hat dieses neue Gesetz nötig. Die Menschen haben es verdient, in einem Einwanderungsland zu leben, mit Anerkennung, Respekt und Wertschätzung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und vielen Dank für dieses Engagement. ({7})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Detlef Seif. ({0})

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Ahmetovic, für Ihren Redebeitrag. Sie sind ein gutes Beispiel dafür, dass es auch in den 16 Jahren funktioniert hat, dass Menschen, die qualifiziert sind, ohne Chancen-Aufenthaltsrecht hier Möglichkeiten erhalten. Vielen Dank für Ihren Beitrag. ({0}) Jetzt kommen wir zu einem Punkt, über den wir noch gar nicht gesprochen haben, jedenfalls nicht vertieft. ({1}) Sie öffnen die Integrationskurse und auch die Sprachkurse für alle, die zu uns kommen. ({2}) Alle wissen, die Kapazitäten dieser Kurse sind begrenzt. Wir haben zu wenig Lehrer. Das heißt, die, die wir integrieren wollen, haben jetzt schon Schwierigkeiten, Kurse zu erhalten. ({3}) Sie setzen sie jetzt mit den Menschen, die aus sicheren Herkunftsstaaten kommen, die demnächst vollziehbar ausreisepflichtig sind, in direkte Konkurrenz, und das ist nicht verantwortungsvoll, meine Damen und Herren. ({4}) Das vorgesehene Chancen-Aufenthaltsrecht – Kollegin Launert, Kollege Throm haben es schon gesagt, aber ich vertiefe das noch einmal – ist ein Sonderrecht für die Menschen, die nicht mitgewirkt haben, die getäuscht haben. Warum ist das klar? Sie geben anderthalb Jahre die Gelegenheit, die Voraussetzungen nachzubessern. Eine Voraussetzung ist nach § 5 Aufenthaltsgesetz, dass die Identität geklärt ist. Meine Damen und Herren, warum soll es denn bei jemandem, der mitgewirkt hat, der alles offengelegt hat, nun plötzlich in anderthalb Jahren möglich sein, dass seine Identität geklärt wird? Das ist nicht möglich, nur in Ausnahmefällen. Das heißt, das trifft im Ergebnis nur die, die getäuscht haben, die nicht mitgewirkt haben. Da machen wir nicht mit. ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Seif, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung aus der Fraktion Die Linke?

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Frau Bünger.

Clara Bünger (Unbekannt)

Politiker ID: 11005289

Danke für das Zulassen der Zwischenfrage. – Herr Seif, Sie waren doch am Montag in der Anhörung. Da haben unsere Expertinnen und Experten ausgeführt, wie die Situation der Menschen ist, die ihre Papiere nicht beibringen können, und dass es Länder und Botschaften gibt, die Papiere einfach nicht ausstellen. Das ist die Realität, in der viele Menschen leben. ({0}) Möchten Sie das negieren? Möchten Sie sagen: „Diese Realität existiert nicht“? Wie können Sie die Realität der Menschen, die einfach alles getan haben, um die Papiere zu besorgen – das wurde auch von den Sachverständigen gesagt –, denen das aber faktisch unmöglich ist, so negieren? Wie können Sie das den Menschen einfach so krass verwehren? Ich verstehe es einfach nicht. ({1})

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Bünger, Sie gehen auch hier der Argumentation der Ampel auf den Leim. ({0}) Den Personenkreis, von dem Sie gesprochen haben, gibt es. Dessen Problem wird durch das Gesetz aber nicht gelöst werden. Denn wenn diese Personen, die ja vorher die Dokumente nicht liefern konnten, diese auch in den anderthalb Jahren nicht liefern können, kommen sie trotzdem nicht über den § 5 Aufenthaltsgesetz hinaus. ({1}) Das heißt, darüber werden wir in der Zukunft nachdenken müssen. Die CDU/CSU-Fraktion wird demnächst intern Asylkonferenzen machen. ({2}) Das Thema ist nicht gelöst. Danke, dass Sie das in Ihrer Frage noch mal gesagt haben. Es gibt das Problem; aber dieses Chancen-Aufenthaltsrecht begünstigt nur die Täuscher und diejenigen, die nicht mitgewirkt haben. ({3}) Meine Damen und Herren, man sollte auch immer gucken: Wie sind Behörden belastet? Was bringt ein Gesetz denn überhaupt? Sie reden hier von 136 000 Personen, die betroffen sind. Die Bundesregierung selbst sagt in ihrem Entwurf: 96 000 werden voraussichtlich einen Antrag stellen. Und sie schätzt dann großzügig, dass 33 000 Menschen letztlich die Voraussetzungen erfüllen werden. Die Behörden müssen rund 100 000 Anträge prüfen. Wir haben einen Rechtskreiswechsel von Asylbewerberleistungen ins SGB II. ({4}) Das heißt, es sind zwei Behörden beteiligt. Demnächst werden 65 000 Menschen wieder zurück in die Duldung kommen. Behörden werden hier doppelt belastet, und das ist auch in der Anhörung deutlich gesagt worden. Deshalb – ich kann es nur noch mal sagen –: Das Gesetz ist nicht durchdacht, ist Murks, hält nicht das, was Sie versprechen. Das ist kein Chancen-Aufenthaltsrecht für Geduldete, die nicht getäuscht, sondern mitgewirkt haben. Deshalb bleibt uns nichts anderes übrig: Das ist abzulehnen. Vielen Dank. ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Sebastian Hartmann. ({0})

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Ich glaube, dass die Debatte heute Morgen noch mal deutlich gezeigt hat, wo eigentlich das Problem ist. ({0}) Auf der nationalkonservativen Seite in diesem Land verweigern sich immer mehr Menschen der Realität, was das Einwanderungsland Deutschland angeht. Damit machen wir heute Schluss. ({1}) Es ist der CDU/CSU-Fraktion nicht gelungen, die Meinungsbreite, die in Ihrer Fraktion offenbar existiert, in der Rednerliste und in den Reden, die wir heute vernommen haben, vernünftig abzubilden; denn wir haben aus der CDU/CSU auch ganz andere Stimmen vernommen. Wir laden Sie herzlich zum Austausch ein. ({2}) Konzentrieren wir uns mal auf die Fakten. Der erste Fakt ist: Wer hat uns in diese Lage gebracht? CDU/CSU-Innenminister, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Sie sind verantwortlich für den Rechtsstaat, und sie haben diese Realität im Land herbeigeführt. ({3}) Es ist unwürdig, Menschen in Kettenduldungen zu lassen wie den Kollegen, der in 18 Kettenduldungen war. Wollen Sie das fortführen? Das kann doch nicht die Antwort sein, meine Damen und Herren. ({4}) Wir stellen uns der Realität. Das bedeutet, dass es um eine Viertelmillion Menschen geht, von denen 137 000 Menschen endlich eine echte Perspektive bekommen. In Wirklichkeit geht es um viel mehr als um diese 137 000 Menschen, die schon lange in Deutschland leben, die sich integrieren, die dabei sind, sich für unser Land zu entscheiden, die etwas wollen. Davon brauchen wir noch viel mehr Menschen. Millionen von Menschen erwarten pragmatische, progressive Politik und dass wir endlich mit dieser verkrampften Einwanderungs- und Asylpolitik aufhören, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Wir wollen pragmatische Lösungen. Wir wollen nicht „Wünsch dir was“, sondern wir sind hier in der Realität angekommen. Wir beenden den bisherigen Zustand, und wir schaffen damit ein Bleiberecht. Wir haben eine Lösung gefunden, dass die erforderlichen Unterlagen innerhalb von 18 Monaten beigebracht werden können und eine echte Chance gegeben wird. Darum heißt es Chancen-Aufenthalt. Und hören Sie bitte auf, immer wieder neue Fake News zu verbreiten; das kann man nicht anders bezeichnen. ({6}) Es ist eine einmalige Regelung, um die Zeit zu nutzen, zu einer dauerhaften Lösung im Aufenthaltsrecht zu kommen, um die Fragen der Staatsbürgerschaft zu beantworten, um endlich ein modernes Land zu schaffen. Deutschland ist ein Einwanderungsland, und wir bilden das ab. Und die Fachkräfteeinwanderung kommt auch noch dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Ihnen ist es nicht gelungen, zurückzuführen. Werfen Sie uns nicht einen fehlenden „Rückführungsbeauftragten“ vor! Wir haben in unserem Koalitionsvertrag einen „Beauftragten für Migration“ benannt. Sie verhetzen es mit diesen Worten! So geht es nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({8}) Im Übrigen haben Sie dieser ganzen Situation ein einziges Dagegen und ein Weiter-so entgegengesetzt. Alles, was fehlt, ist ein einziger Vorschlag aus der Union. Das ist keine konstruktive Oppositionspolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist viel zu wenig. ({9}) Wir haben eine klare Botschaft gesendet. Diejenigen, die gut integriert sind, die unsere Sprache sprechen, die auch ihren Lebensunterhalt nachweisen können – all das sind klare Anforderungen und klare Regeln; und das ist nicht nur im Interesse der 137 000 Menschen, die davon betroffen sein können –, laden wir herzlich dazu ein, einen solchen Antrag zu stellen. Es ist im Interesse von 82 Millionen Menschen in diesem Land. Es geht um uns alle, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({10}) Die Menschen, die sich jetzt für unser Land entscheiden können, fehlen doch in den Betrieben; die fehlen doch in der Wirtschaft. Das sind Menschen, die wir hier herzlich einladen. Das, was hier jetzt gemacht wird, ist, eine Lösung zu bieten. Das ist in den vergangenen Jahren nicht gelungen. Darum lade ich alle Kolleginnen und Kollegen, die in den vergangenen Jahren noch und nöcher eine Verweigerungshaltung der Union im Innenausschuss erlebt haben, dazu ein: Springen auch Sie in der CDU/CSU über Ihren Schatten! Sie haben die großartige Chance, heute für ein modernes Chancen-Aufenthaltsrecht zu stimmen. Das ist nicht ausschließlich auf die Ampel beschränkt. Wenn Die Linke sich nur zu einer Enthaltung durchringen kann: Glauben Sie uns, wir haben mit unserem Koalitionsvertrag einen grundlegenden Paradigmenwechsel angestoßen. Sie müssen sich nur darauf einlassen. Wir erkennen ohne Scheu und Träumereien die Realitäten an, wir müssen endlich ein modernes Land schaffen. Daran arbeiten wir jeden Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({11})

Florian Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005160, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was macht eine Autobahnsperrung mit den Menschen vor Ort? Wir können es uns ansehen in Lüdenscheid, im Sauerland an der A 45, wo die Rahmedetalbrücke nun seit einem Jahr gesperrt ist. Heute seit einem Jahr leiden die Menschen im Sauerland. Heute seit einem Jahr suchen die Menschen im Sauerland nach einer Perspektive. Lassen Sie uns deshalb heute auch darüber sprechen, was das für die Menschen vor Ort bedeutet, für eine Familie, die vielleicht gerade ein Haus gekauft hat, damit die Kinder endlich mal draußen spielen können. Das geht jetzt nicht mehr, weil Lkw an Lkw, Pkw an Pkw an den Umleitungsstrecken im Dauerstau stehen, Stoßstange an Stoßstange. Und seit einem Jahr haben sie nicht mehr richtig geschlafen. Aber trotz des Schlafmangels müssen sie morgens noch früher aufstehen, damit die Kinder pünktlich im Kindergarten und in der Schule sind, damit sie selber pünktlich am Arbeitsplatz ankommen. Die Pflegekraft, die beim mobilen Pflegedienst arbeitet, schafft es nicht mehr pünktlich zu ihren Patienten. Sie kann es nicht mehr schaffen, pünktlich die Medikamente zu verabreichen. Vielleicht schafft sie es zu dem einen oder anderen Patienten gar nicht mehr. ({0}) Das macht eine Sperrung mit einer Region. Es nimmt jegliche Perspektive. Deshalb ist es richtig, dass es so weit ist, dass auf den Umleitungsstrecken zumindest Tempo 30 gelten wird. Es ist gut, dass die Transitverkehre aus der Region verbannt werden. Aber, liebe Kollegen, das hilft nur begrenzt. Es sind die Symptome, die wir damit bekämpfen. Wir müssen doch endlich an die Ursachen heran. Wir müssen Familien, Unternehmen, Einzelhändlern, der Region insgesamt helfen. Die beste Hilfe ist eine so schnell wie möglich aufgebaute Brücke. Das ist Ursachenbekämpfung, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Es ist richtig, dass es auch in diesem Hause fraktionsübergreifend eine Haltung gibt: Diese Region braucht Hilfe. Aber da ist doch bislang viel zu wenig passiert. Die Hoffnung der Menschen, was diese Aussage betrifft, nimmt ab; sie sind inzwischen verunsichert. Sie haben zum Teil die Nerven verloren, die Nerven sind strapaziert. Die Region ist dabei, den Glauben an die Berliner Politik zu verlieren. Und es gibt doch Handlungsmöglichkeiten, es gibt Hilfsmöglichkeiten. Wir haben sie vorgeschlagen. Wir haben sie Ihnen vorgeschlagen. Und was haben wir gehört in der letzten Woche? Dass sich das Verkehrsministerium mit dem Umweltministerium darüber streitet, ob die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren denn auch für Autobahnbrücken gelten soll. Und das ein Jahr nach der Vollsperrung! Was für eine traurige Botschaft für diese Region! ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute wollen wir nach vorne schauen. Wir wollen Ihnen heute einen Vorschlag machen, einen Vorschlag für ein Schnellspurgesetz für Brückensanierung. Wir wollen damit die Planungs- und Genehmigungsverfahren bei sanierungsbedürftigen Brücken um zweieinhalb Jahre verkürzen. Das ist eine Perspektive für diese Region und für viele andere Regionen in Deutschland. ({3}) Es ist richtig, wenn wir darauf achten, dass wir künftig in solchen Fällen bei Ersatzneubauten keine Planfeststellungsverfahren mehr brauchen. Wir sorgen dafür, dass wir das Vergaberecht in dringenden Fällen extrem straffen können. Und lassen Sie uns doch da, wo es besonders dringend ist, wo eine Region so massiv betroffen ist wie das Sauerland, wie Lüdenscheid, dafür sorgen, dass das Bundesverkehrsministerium eine Ausnahme bei der Umweltverträglichkeitsprüfung zulassen kann. ({4}) Am Ende geht es doch darum, dass wir gemeinsam dafür sorgen, dass es eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur in Deutschland gibt. Damit sorgen wir für eines: Wir sorgen dafür, dass die Regionen vor Lärm, vor Immissionen und vor Deindustrialisierung geschützt sind, und wir sorgen dafür, dass es wieder einen ruhigen Schlaf gibt. Das ist ein Vorschlag zur Zusammenarbeit. Wir reichen Ihnen heute die Hand. Wir wollen mit Ihnen gemeinsam den Menschen im Sauerland helfen. Wir wollen dafür sorgen, dass es nicht nur im Sauerland Hilfe gibt, sondern dass es auch in anderen Regionen nicht einen solchen Verkehrs-Super-GAU geben wird. Das hilft den Regionen, das hilft unserem Land. Und das ist heute die wichtige Botschaft: Lassen Sie uns gemeinsam die Bremsklötze lösen! Lassen Sie uns gemeinsam mehrere Gänge hochschalten! Lassen Sie uns gemeinsam auf die Schnellspur gehen! Herzlichen Dank. ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD Fraktion Jürgen Berghahn. ({0})

Jürgen Berghahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005023, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste auf den Tribünen! Kollege Müller, Ihr Antrag in allen Ehren, aber er kommt für die Menschen in Lüdenscheid viel zu spät. Da hätten Sie schon einmal eher etwas auf den Tisch legen sollen. ({0}) Grundsätzlich hat der Entwurf einige gute Punkte vorzuweisen; denn selbstverständlich müssen Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich schneller ablaufen, als es in der Vergangenheit der Fall war. Nur, dafür braucht es diesen Antrag jetzt nicht mehr; denn die Koalition hat in den letzten Monaten zahlreiche Maßnahmen verabschiedet bzw. bereits umgesetzt und arbeitet natürlich an weiteren Verbesserungen. ({1}) Das Oster- und das Sommerpaket zeigen bereits Wirkung, und mit dem Herbstpaket wird die Regierung sehr bald einen Gesetzentwurf vorlegen, dem Sie dann eigentlich auch zustimmen können. Erst vor zwei Tagen hat die Ampelkoalition einen Gesetzentwurf zur Beschleunigung von verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Infrastrukturbereich beschlossen. Dieser sieht unter anderem eine deutliche Verschlankung von Gerichtsverfahren vor, die es vor allem bei großen Bauprojekten oftmals gibt. Verfahren zum Planungsrecht sollen erst- und letztinstanzlich beim Bundesverwaltungsgericht liegen, das dafür zusätzliche Stellen erhält. Die CDU/CSU fordert eine Kürzung der Planfeststellungsbedürftigkeit. Das wollen wir umsetzen, indem zum Beispiel bei Ersatzneubauten die Genehmigungsfreiheit ausgeweitet und der Bau direkt nach neuestem Stand der Technik und der tatsächlichen Verkehrsbelastung gebaut wird. Hinzu kommt, dass bei Ersatzneubauten die Voraussetzungen für geplante bzw. vorhersehbare Erweiterungen ebenfalls direkt mitgeschaffen werden. Das bedeutet erstens eine Verkürzung der Genehmigungsphase, zweitens mittel- und langfristige Verbesserungen der Infrastruktur und drittens die komplette Einsparung eines weiteren Genehmigungs- und Bauverfahrens. Das bedeutet Zeitgewinn. ({2}) Die CDU/CSU fordert, Vergabeverfahren zu verschlanken und damit zu vereinfachen. Auch dies ist längst umgesetzt, beispielsweise durch die funktionale Ausschreibung. Planung und Bau liegen in einer Hand und werden nicht mehr an verschiedene Auftragnehmer vergeben. Das war auch ein Wunsch aus der Bauindustrie. Bei der Ausschreibung ist die Baugeschwindigkeit in Zukunft ein wichtiges Vergabekriterium. Auch da wieder: Zeitgewinn! Dazu gibt es einen Verfahrensplan, der den gesamten Prozess von Anfang bis Ende aufzeigt und somit einen konkreten Fahrplan liefert. Dies sind nur einige Beispiele dafür, dass die Regierung längst an der Arbeit sitzt und ganz konkrete Lösungen erarbeitet, während die Opposition noch Anträge stellt oder Gesetzentwürfe einbringt. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, Sie haben in Ihrem Entwurf übrigens die Bevölkerung vergessen. Sie haben zwar jetzt angesprochen, wie es dort aussieht. Aber das ist wirklich bemerkenswert, da Baustellen und Umleitungen für die Anwohnerinnen und Anwohner eine echte Belastung darstellen, oft auch über mehrere Jahre. Da ist es nicht nur menschlich, sich der Sorgen und Probleme der Leute anzunehmen, sondern für die Beschleunigung von Projekten auch unerlässlich. Durch Transparenz und Mitsprache werden die Betroffenen mit ins Boot geholt, was erfahrungsgemäß dann auch zu mehr Akzeptanz und als Folge dessen zu weniger Klagen führt. Auch das wieder Zeitgewinn! Aus diesen Gründen hat die Ampel bereits im März das „Zukunftspaket leistungsfähige Autobahnbrücken“ vorgelegt und deutlich gemacht, dass eine frühzeitige Abstimmung mit allen Beteiligten vor Ort äußerst wichtig ist. Herr Kollege Müller, das kann ich Ihnen nicht ersparen – mit freundlicher Genehmigung der Präsidentin –: Die Autobahnbrücke Rahmedetal hätte gar nicht in einen so katastrophalen Zustand kommen müssen, wenn die CDU-NRW-Regierung ihren Job richtig gemacht hätte. ({4}) – Ich kann Ihnen das nicht ersparen. – Im August 2018 hat der damalige NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst einen Bericht herausgegeben, der den Zustand und die Sicherheit von Brücken bewertet. Die Rahmedetalbrücke hat damals die Zustandsnote 3, „nicht ausreichend“, erhalten. Es wurde festgehalten, dass eine Verstärkung sowie ein Ersatzneubau nötig sind, die Brücke aber bis 2025 nutzbar sein soll. Dies war eine katastrophale Fehleinschätzung von Herrn Hendrik Wüst. ({5}) Denn die Zustandsnote zeigt zwar auf, dass dringend Maßnahmen eingeleitet werden müssen; sie gibt aber keinen direkten Aufschluss über Art und Umfang der Schäden. Die logische Konsequenz wäre wohl gewesen, dass man genau dies prüft und nicht nur darauf hofft, dass die Brücke bis 2025 schon irgendwie durchhält. Das ist allerdings nicht passiert, und somit musste die Brücke 2021 gesperrt werden. Alles in allem müssen wir den Gesetzentwurf ablehnen, da er sich durch die vorausschauende Arbeit der Bundesregierung erledigt hat. ({6}) Vielen Dank. ({7})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, komme ich noch einmal zu Tagesordnungspunkt 30 zurück. Für die namentliche Abstimmung sind noch fünf Minuten Zeit. Sollte es jemanden hier im Raum geben, der noch nicht abgestimmt hat, dann besteht jetzt noch fünf Minuten lang die Möglichkeit dazu. Ich rufe jetzt den nächsten Redner zu Tagesordnungspunkt 31 auf: aus der AfD-Fraktion Dr. Dirk Spaniel. ({0})

Dr. Dirk Spaniel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004899, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir reden heute über eine Beschleunigung von Bauvorhaben und Planungsfeststellungen für Sanierungen und für Neubauten. In Wirklichkeit ist die Situation in unserem Land eine katastrophale. Das kann man nicht anders sagen; das bestätigen ja auch alle Aussagen hier. Wir haben eine marode, nicht mehr ausreichende Infrastruktur in Deutschland. Wir haben eine Bauzeit inklusive der Planungen von ungefähr 20 Jahren. Jeder, der hier im Parlament sitzt und über ein Bauvorhaben diskutiert, muss davon ausgehen, dass er nicht mehr im Parlament sitzt, wenn es realisiert wird. Das ist ein untragbarer Zustand. ({0}) Warum ist das so? Das ist nicht so, weil wir eine unfähige Bauindustrie hätten; die baut in vier Jahren im Schnitt. Das ist so, weil wir 16 Jahre lang klagen und planen können in diesem Land. Warum können wir 16 Jahre lang klagen und planen? Weil Sie hier Gesetze gemacht haben, die dazu führen, dass eine beliebige Organisation praktisch zu jedem Zeitpunkt in das Planungsverfahren eingreifen und dieses Verfahren verzögern kann. ({1}) Da hilft es auch nichts, Herr Berghahn, wenn Sie die Gerichtsverfahren beschleunigen wollen. Das ist alles Augenwischerei. ({2}) Sie sabotieren die Infrastruktur dieses Landes, und das seit vielen Jahren. ({3}) Ihre Ausrede ist in diesem Zusammenhang immer, dass das so sein muss wegen der europäischen Gesetzgebung. ({4}) Sehr geehrte Damen und Herren, in Italien stürzt eine Autobahnbrücke ein, und zwei Jahre später steht eine neue Autobahnbrücke an dieser Stelle. Ist Italien keine Demokratie? Gehört Italien nicht zu Europa? Das ist doch alles Unsinn, was Sie hier erzählen. ({5}) Sie wollen das nicht. Den Schlüssel, um die Probleme in diesem Land zu beheben, kennen Sie ganz genau. Der liegt nämlich in der Umweltverträglichkeitsprüfung, der sogenannten UVP. Wenn Sie die UVP herausnehmen, schaffen Sie es, in kürzester Zeit ein LNG-Terminal in diesem Land zu bauen. Sie wissen auch, dass der Schlüssel in dieser Umweltverträglichkeitsprüfung liegt, weil Sie die nämlich bei den Projekten, die Ihnen wichtig sind, zum Beispiel Schienenprojekten, ({6}) gezielt herausgenommen haben. Diese Projekte, die Schienenprojekte, können Sie in diesem Haus durch Maßnahmengesetze beschließen und schnell umsetzen. Und weil Sie diese Ausnahme kennen, muss ich unterstellen, dass, wenn Sie das nicht auch für Straßen anwenden, es reine Sabotage ist, Sabotage an den Menschen in Lüdenscheid. ({7}) – Jawohl, Herr Berghahn, so ist es. Deshalb begrüßen wir den Entwurf der Union. Wir können uns in weiten Teilen den Gedanken, die dort formuliert sind, anschließen. ({8}) Ich muss hier einmal sagen: Ich finde es toll, dass Sie diesen Schritt machen. Aber – das müssen Sie sich jetzt anhören – wer hat noch mal die letzten zwölf Jahre im Verkehrsministerium gesessen? Da sehen Sie es. Es ist ganz einfach: Wenn Sie vernünftige Politik für dieses Land machen wollen, dann können Sie das nicht mit der Sabotagepartei Deutschlands machen. Das geht halt nicht. ({9}) Es geht auch nicht, dass hier eine FDP, die in der letzten Legislatur fast die gleichen Vorschläge wie die Union jetzt ins Parlament eingebracht hat, wenn sie im Verkehrsministerium sitzt – in einer Koalition mit Leuten, die dieses Land eben nicht voranbringen wollen –, nicht mehr der Meinung ist, dass die Vorschläge aus der letzten Legislatur gut waren. Lieber Herr Wissing, Sie haben Ihre Wähler getäuscht. Sie hätten alle Möglichkeiten gehabt, hier ein Gesetz zu machen, das dem Entwurf der Union und auch dem Entwurf der AfD aus der letzten Legislatur entspricht. Wir haben nämlich das Gleiche, was Sie hier fordern, gefordert. Infolgedessen sehen wir hier eine komplette Verdummung der Wähler in diesem Land. ({10}) Sie wollen keine schnelle Sanierung von Autobahnbrücken. Sie täuschen die Wähler, wenn Sie Gegenteiliges behaupten. Liebe Kollegen von der Union, wenn Sie Politik für die Infrastruktur unseres Landes machen wollen, finden Sie die Partner dazu rechts von Ihnen. Vielen Dank. ({11})

Susanne Menge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005149, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin vor zwei Wochen im Ahrtal gewesen. Herr Müller, die Dramatik der Situation, über die Sie gerade berichtet haben, möchte ich aufgreifen, um kurz auf die arg gebeutelte Region Ahrweiler und den wirklich dramatischen Zustand vor Ort einzugehen, zum Beispiel auf den dortigen Abschnitt der B 266, vierspurig, weggerissen von der Ahr nach einem katastrophalen Umweltereignis. Wir mussten feststellen, dass es Menschen, die seit Jahren Geld in ihre Häuser investiert haben, um dort weiterhin wohnen zu können, nun nicht mehr möglich ist, weil zum Beispiel Erdöltanks in den Häusern umgekippt sind und das ausgelaufene Öl die Wände verseucht hat. Das sind Katastrophen, die auch damit zusammenhängen, dass die Infrastrukturplanung mit dem Natur- und Umweltschutz überhaupt nicht kompatibel gemacht worden ist. ({0}) Trotz dieser Erfahrungen im Ahrtal wird aufgrund des herkömmlichen Planungsrechts und der damit verbundenen UVP, die auch von Ihnen immer als Störfaktor betrachtet wird, gesagt: Wir müssen alles genau so wieder aufbauen. – Dabei machen die Menschen, die in der Fluthilfe engagiert sind und die Arbeitsgruppen gebildet haben, uns politischen Akteurinnen und Akteuren deutlich, dass das nach dieser Flutkatastrophe keine kluge Antwort sein kann. Da wir wissen, dass wieder Starkregenereignisse folgen werden, können wir doch nicht dort, wo jetzt ein ganz harmloser Fluss seine Kurven zieht, sagen: Wir müssen es genauso wieder herrichten. – Denn sonst stehen wir, weil die Situation nicht beherrschbar ist, bei der nächsten Flutkatastrophe vor der gleichen Herausforderung. Dann müssten wir wieder etliche Milliarden und Millionen investieren, um in der Region Leben zu ermöglichen. Es geht vielmehr um andere Faktoren. Es geht darum, dem Umwelt- und Naturschutz endlich den Stellenwert einzuräumen, den er verdient. ({1}) Ich möchte ein zweites Beispiel nennen, den Lückenschluss der A 1 in der Region Adenau. Die Planfeststellung musste erneuert werden, weil wiederum Akteurinnen und Akteure aus der Zivilgesellschaft deutlich gemacht haben, dass Planungsrechte, die das Umweltrecht tangieren, genutzt werden müssen, um zum Beispiel wasserrechtliche Voraussetzungen zu berücksichtigen. Schon bei der Planung muss daran gedacht werden, dass Katastrophen zu verhindern sind. Das ist hier überhaupt nicht eingeplant gewesen. Insofern ist festzustellen: Klimaschutz, Umweltschutz und Flächenschutz sind unbedingt notwendig. Die zivilgesellschaftliche Expertise ist unbedingt notwendig, um Planungsfehler zu verhindern. ({2}) Ich möchte auf das Beispiel von Herrn Spaniel eingehen, der gesagt hat, eine Verkürzung der Verfahren hätte bei den LNG-Terminals doch auch funktioniert. Ich weise darauf hin, dass die Verfahrensanforderungen die LNG-Terminals betreffend einen klar definierten Ausnahmefall darstellen. ({3}) Das ist auf den Straßen- und Brückenbau nicht übertragbar. ({4}) Ich werde jetzt nicht näher auf die verfehlte Infrastrukturpolitik eingehen. Ich zitiere Herrn Groschek aus dem Jahr 2012, der über den Zustand der Rheinbrücke in Leverkusen sagte, das sei ein Mahnmal für den katastrophalen Zustand der deutschen Infrastruktur. Der Mann hat schmerzlich erfahren müssen, was Fehlplanungen bedeuten und was passiert, wenn nicht investiert wird, um marode Infrastruktur zu sanieren. ({5}) Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung von 2015 und der Expertenkommission von 2016, eingesetzt vom damaligen Wirtschaftsminister Gabriel, zeigen: Die ganzen Jahrzehnte ist auf Verschleiß gefahren worden. ({6}) Das ist das, was wir jetzt zu bearbeiten haben, ({7}) was wir mit aller Kraft und mit allem Engagement versuchen müssen auf Spur zu bringen. Das heißt, wir bekämpfen an dieser Stelle die Symptome. Das ist notwendig, um die Infrastruktur sicher und befahrbar zu machen. Darum geht es. ({8}) Ihr Gesetzentwurf wird dem selbst formulierten Anspruch überhaupt nicht gerecht. Sie fokussieren sich wieder nur auf zwei Sachen – ich habe das eingangs erklärt –: Umweltrecht und Planungsformalitäten. Es gibt kluge, wichtige Vorschläge, die in ihre Problemanalyse gehört hätten; die tauchen da aber leider nicht auf. Wir versuchen nun, das umzusetzen. Deshalb muss es an dieser Stelle dabei bleiben: Klima- und Umweltschutz sind ein hohes Gut in dieser Republik. ({9})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Thomas Lutze. ({0})

Thomas Lutze (Unbekannt)

Politiker ID: 11004103

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Was die Union hier unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus vorschlägt, bedeutet erstens das Begrenzen von Rechten der Anlieger und zweitens ein Beschneiden der Mitwirkungsrechte gesellschaftlich relevanter Organisationen. Zu diesem Demokratieabbau bei Bauprojekten sagen wir ganz klar und deutlich Nein. ({0}) Der Neubau und die Erweiterung von Infrastruktur wie Autobahnen oder Bahntrassen sind eigentlich klar geregelt. Und ja, Verzögerungen bei Planung und Bau sind ärgerlich für alle Beteiligten. Wenn Sie aber zum Beispiel aus einer vierspurigen Autobahn bei einer Komplettsanierung eine sechsspurige Autobahnbrücke bauen, dann ist das baurechtlich ein neues Bauwerk. ({1}) Warum? Weil bei einer derartigen Vergrößerung auch ein erhöhtes Verkehrsaufkommen eingeplant wird; sonst würde man die Brücke ja nicht vergrößern. Dieses erhöhte Verkehrsaufkommen kann beim Umweltschutz und bei den Rechten der Anlieger sehr wohl zu gravierenden Veränderungen führen. Deswegen machen wir genau diesen Abbau der Mitwirkungsrechte nicht mit. ({2}) Wenn Sie etwas für unsere zum Teil heruntergekommene Infrastruktur machen wollen, dann müssen Sie an die Belastung der Bauwerke gehen. Autobahnbrücken müssen in der Regel nach 30 bis 40 Jahren nicht komplett saniert oder komplett erneuert werden, wie das heute der Fall ist, weil so viele Autos darüber fahren. Sie müssen auch nicht saniert oder erneuert werden, weil Witterung oder Temperaturschwankungen den Beton angefressen haben. Diese Brücken gehen kaputt, weil täglich viele Tausende Lkw mit bis zu 40 Tonnen Belastung oder Gesamtgewicht darüber fahren. ({3}) Einer dieser Lkw belastet eine Brücke circa 60 000‑mal mehr als ein 1 Tonne schwerer Pkw. Ihre Entscheidung aus den 90er-Jahren, möglichst viel Güterverkehr von der Schiene auf die Autobahnen zu verlagern, kommt uns jetzt teuer zu stehen. ({4}) Und bevor hier weiter an demokratischen Mitwirkungsrechten herumgedoktert wird, sollte man die Qualität einiger neuer Autobahnbrücken genauer unter die Lupe nehmen. Ein Beispiel aus Thüringen bzw. Bayern gefällig? Nach der deutschen Einheit wurden hier die Autobahnen A 71 und A 73 neu geplant, gebaut und fertiggestellt. Bereits nach weniger als 20 Jahren musste die Talbrücke Albrechtsgraben komplett und aufwendig saniert werden, und das bei einem Bauabschnitt mit verhältnismäßig geringem Lkw-Verkehrsaufkommen. Da muss man doch mal ein Fragezeichen dransetzen und sich überlegen, was bei Bauprojekten in unserem Land eigentlich los ist. An den Mitwirkungsrechten liegt es auf jeden Fall nicht. ({5}) Fazit: Anstatt die Mitwirkungsrechte von Anliegern und Verbänden zu begrenzen, sollten wir uns sehr viel ernsthafter Gedanken machen, welche Mobilität wir wollen und uns auch leisten können. Straßenbau und die Sanierung von Straßen und Brücken – das wissen wir alle – sind sehr teuer und aufwendig. Und ja, wir brauchen auch Lkw, um Waren und Güter im Nahbereich anliefern zu können. Aber der notwendige Güterfernverkehr quer durch Europa gehört auf die Schiene. ({6}) In der Wirtschaftspolitik, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, müssen wir regionale Wirtschaftskreisläufe noch viel mehr fördern. Das vermeidet Güterfernverkehr und letztendlich die Belastung unserer Autobahnbrücken. Denn jeder Lkw, der nicht im Fernverkehr fahren muss, entlastet unsere Infrastruktur. Das wäre dann auch tatsächlich nachhaltig. Ein herzliches Glückauf. ({7})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung bekannt: abgegebene Stimmen 654. Mit Ja haben gestimmt 371, mit Nein haben gestimmt 226, Enthaltungen 57. Damit ist der Gesetzentwurf zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts angenommen. ({0})

Carina Konrad (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004789, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen der Union! Herr Müller, ich freue mich, dass wir heute Morgen hier über ein so wichtiges Thema wie die Planungsbeschleunigung reden können; denn das ist ein wichtiges Thema für Deutschland. Ich bin wirklich froh, Herr Müller, dass die Union jetzt ihr Herz für die Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung entdeckt hat. ({0}) Leider gilt das nur für Brücken und Fernstraßen, ({1}) aber ganz ehrlich: Ich hätte mir gewünscht, dass diese Einsicht früher einsetzt. In der Opposition die Versäumnisse der letzten Jahre aufzuarbeiten, ({2}) mag jetzt psychologisch für Sie ein großes Ding sein. Für mich ist Ihre emotionale Gesetzeseinbringung heute Morgen vor allen Dingen eins: ({3}) Sie ist ein Dokument Ihres eigenen Versagens in den letzten Jahrzehnten. ({4}) Ihr Minister Scheuer formulierte Masterpläne, Sonder- und Innovationsprogramme. 2018 hat er noch behauptet, mit den Rekordinvestitionen – wir erinnern uns: Geld löst immer alles – müsse man sich keine Sorgen machen, man habe die Brücken im Griff. Was für eine Fehleinschätzung, wie wir heute wissen! ({5}) Was für eine Fehleinschätzung! Das mussten wir, das musste Volker Wissing erfahren, kurz nachdem wir hier Verantwortung übernommen haben. ({6}) Sie haben die Rahmedetalbrücke erwähnt. Diese Vollsperrung macht uns doch erst bewusst, wie wichtig intakte Verkehrsinfrastruktur in unserem Land ist. Diese müssen wir gewährleisten. ({7}) Seitdem diese Brücke gesperrt ist, quälen sich tagtäglich Zehntausende Fahrzeuge durch die Umleitungsstrecken. ({8}) Anwohner sind genervt. Unternehmen können Lieferzeitpunkte nicht mehr einhalten. Handwerker erreichen ihre Baustellen nicht, und Krankenwagen stehen im Stau. ({9}) Die Situation um Lüdenscheid herum ist kein Einzelfall in unserem Land. Dieses Chaos ist die Verantwortung Ihrer Verkehrspolitik in Bund und Ländern der letzten Jahre. ({10}) Die Verantwortung für diese Mangelwirtschaft jetzt von sich zu weisen, ({11}) das versuchen Sie heute mit Ihrem Gesetzentwurf. Aber glauben Sie wirklich, so könne man Probleme lösen? ({12}) Glauben Sie wirklich, dass die Schuldweitergabe ein Lösungsangebot für die Menschen ist, die sich jetzt tagtäglich quälen müssen? Ich glaube das nicht. Wir als Freie Demokraten sind hier angetreten, um diese Probleme zu lösen. ({13}) Das ist nicht einfach. Für diese Koalition ist Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung ein zentrales Anliegen. Das wird an vielen Stellen im Koalitionsvertrag deutlich, und den haben wir alle drei unterschrieben. ({14}) Wir bauen jetzt die Hürden ab, die Sie jahrzehntelang aufgebaut haben. ({15}) Denn, ja, es herrscht gravierender Nachholbedarf beim Neubau, beim Ausbau und auch beim Erhalt aller Verkehrswege. ({16}) Dazu gehören die Schienen, dazu gehört die digitale Infrastruktur, und dazu gehören auch die Brücken und die Bundesfernstraßen. Ja, das heißt auch, Verkehrswege zu ertüchtigen, damit unser Land nicht Weltmeister bleibt bei Schlaglöchern und bröckelnden Brücken. ({17}) Ja, dazu müssen wir auch Planung beschleunigen. Wie man Planung beschleunigen kann, haben wir in diesem Jahr an vielen Stellen erfolgreich gezeigt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, ich muss Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage aus der AfD zulassen möchten.

Carina Konrad (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004789, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. – Das LNG-Beschleunigungsgesetz hat das Potenzial offenbart, was im Thema Planungsbeschleunigung steckt. ({0}) Nach nur sieben Monaten steht das erste LNG-Terminal. Beim Ausbau der Erneuerbaren haben wir einen Paradigmenwechsel eingeleitet. ({1}) Der Artenschutz wird weiter gesichert. Dennoch ist ein einzelnes Tier in Zukunft kein Genehmigungshindernis mehr, wenn die Population insgesamt stabil ist. ({2}) Die VwGO-Novelle, die Bundesjustizminister Marco Buschmann vorgelegt hat, wurde auch schon erwähnt. Denn auch Planungsbeschleunigung in Verwaltungsgerichten ist dringlich und notwendig für die zügige Umsetzung von Infrastrukturvorhaben. Wir werden diesen Weg weitergehen, weil wir ihn weitergehen müssen. Er wird beschwerlich sein; denn diese Knoten zu lösen, die Sie über die letzten Jahrzehnte gebastelt haben, ist nicht einfach. Man kann auch nicht einfach sagen, man weiß es jetzt besser, weil man in der Opposition ist, ({3}) und wischt mal manche Dinge einfach beiseite. So funktioniert es nicht. ({4}) Es muss uns am Herzen liegen, dass wir das Fernstraßenausbaugesetz angehen, dass wir das Bundesschienenwegeausbaugesetz angehen und auch das Bundeswasserstraßenausbaugesetz. ({5}) Denn Infrastruktur insgesamt sicherzustellen, ist zentral für die Wirtschaft und für die Zukunft unseres Landes. ({6}) Wenn wir schneller werden wollen und Sie uns dabei unterstützen, dann sind Sie dazu herzlich eingeladen. Aber psychologische Aufarbeitung durch Planungsbeschleunigungsvorhaben, die hier so emotional präsentiert werden und an vielen Stellen fachlich so unklug gemacht sind, bringt uns keinen Meter weiter. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat Felix Schreiner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Felix Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004883, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Als ich vor wenigen Wochen als zuständiger Berichterstatter meiner Fraktion auf Einladung von Florian Müller und Paul Ziemiak in der Region in Lüdenscheid war und die gesperrte Rahmedetalbrücke angeschaut habe, habe ich eine Verkehrssituation erlebt, die ich sonst noch nirgends erlebt habe und die wir – da sind wir uns doch einig – hoffentlich nirgendwo in Deutschland so jemals wieder erleben werden. ({0}) Ich hatte da eine Begegnung, die ich nicht vergessen werde. Als ich mit einem jungen Mann von der „Bürgerinitiative A 45“ in der Lennestraße gesprochen habe, da hat er gesagt: Ich glaube hier an gar nichts mehr. Ich glaube nicht mehr daran, dass hier was passiert. Da habe ich gefragt, woran er nicht mehr glaubt. Da sagte er: Seit Dezember 2021 ist die Brücke gesperrt, und nichts passiert. Keinen einzigen Schritt sind wir vorangekommen. ({1}) Das ist doch bedrückend, das ist enttäuschend. Wir müssen heute zur Kenntnis nehmen, dass wir hier ein offensichtliches Problem haben, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({2}) Ja, es ist eine Brücke, die gesperrt ist. Es ist eine schwierige Situation für die Menschen. Aber es geht um mehr. Diese Brücke steht für die Glaubwürdigkeit von Politik in diesem Land. Wir müssen es hinkriegen, dass wir unsere Infrastruktur erhalten, aber auch, dass wir gesperrte Brücken durch einen Ersatzneubau erneuern können. Frau Kollegin, was Sie gerade zur Planung gesagt haben, finde ich nicht ganz richtig. Ich finde schon, dass man darüber reden muss, wenn man fünf Jahre für Planungsprozesse braucht, wenn man eine Lebensader in einer Region gesperrt hat. Man muss doch wirklich zur Kenntnis nehmen, dass wir hier eine Lösung brauchen. Damit Sie es nicht falsch verstehen: Auch ich bin sehr für den Naturschutz. ({3}) Aber wenn ein Jahr lang jeder Käfer gezählt und umgesiedelt wird, am Ende aber nichts rauskommt ({4}) und wir immer noch am selben Punkt stehen, dann haben wir doch ein offensichtliches Problem. Wir müssen in die Prozesse gehen. Wir müssen einen Modus finden, wie wir die Planungsprozesse in diesem Land beschleunigen, meine Damen und Herren. ({5}) Der volkswirtschaftliche Schaden in Lüdenscheid ist immens: 1,8 Milliarden Euro; 1 Million Euro am Tag. Deshalb müssen wir uns doch hier diese Fragen stellen, und – Florian Müller hat das gesagt – wenn wir Ihnen die Hand reichen, dann meinen wir das ja ernst. Denn wir als Deutscher Bundestag müssen doch die Kraft haben, uns um diese Themen zu kümmern und die Planungs-, die Genehmigungs- und die Verfahrensbeschleunigung auf den Weg zu bringen, und zwar gemeinsam. ({6}) Es ist uns übrigens gelungen, zum Einsatz des verflüssigten Erdgases, des LNG, einen gemeinsamen Antrag auf den Weg zu bringen. Wir haben dies als Union unterstützt, weil es richtig war. Aber auch das ist die Wahrheit: Es war aber der einzige Gesetzentwurf, den Sie als Koalition hier zu diesem Thema überhaupt auf den Weg gebracht haben. Das ist leider die bittere Wahrheit. Es gibt, wie wir der Presse entnommen haben, einen Entwurf von Bundesverkehrsminister Volker Wissing für den Bau von Fernstraßen. Er wird derzeit von der grünen Seite blockiert. Sie haben keine Kraft, die wesentlichen Infrastrukturprojekte zu beschleunigen und auf den Weg zu bringen. Das ist sicherlich auch eine bittere Pille, die wir gemeinsam schlucken müssen: Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstrengung, weil wir ein Problem beim Erhalt der Infrastruktur haben. Es geht schlichtweg darum, dass wir die wirtschaftliche Prosperität von morgen sicherstellen. Nur wenn wir Planungsbeschleunigungen, die Genehmigungsverfahren, nur wenn wir den Investitionshochlauf auch sicherstellen können, dann werden wir in diesem Land unseren Wohlstand halten können. Lassen Sie uns doch deshalb gemeinsam auf den Weg machen. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass wir gemeinsam auch Großprojekte in diesem Land umsetzen, aber vor allem auch, dass wir Ersatzneubauten realisieren können. Denn sonst werden wir mit unserer Infrastruktur so nicht vorankommen können, wenn wir es ernst damit meinen – auch darüber diskutieren wir immer wieder im Verkehrsausschuss –, dass wir eine klimafreundliche Mobilität von morgen wollen. Hören Sie auf mit Klein-Klein. Das sieht man am Beispiel der A 45 ganz genau. Wir müssen gemeinsam eine Lösung für die Menschen in der betroffenen Region finden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Felix Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004883, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dafür sind wir hier gewählt. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Kaweh Mansoori ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. ({0})

Kaweh Mansoori (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005141, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauende! Der heutige Gesetzentwurf der Union ist ein guter Anlass, um festzuhalten, was die Regierungskoalition im ersten Jahr für die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren auf den Weg gebracht hat. Ich halte fest: Es ist mehr als das, was die Union in zwölf Jahren Verkehrsministerium geschafft hat. ({0}) Warum machen wir das? Weil die Modernisierung unseres Landes keinen Aufschub duldet, weil es um den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen geht, weil es um die Sicherheit der Energieversorgung geht und weil wir das nur schaffen werden, wenn wir neue Technologien und eine moderne Infrastruktur hinbekommen. Deswegen handelt die Koalition ab dem ersten Tag der Regierungsübernahme. Umfangreiche Pakete haben den Bundestag bereits passiert oder sind im Geschäftsgang. Das ist nicht das Ende, sondern erst der Anfang. ({1}) Viele Menschen in unserem Land sind frustriert von ewigen und kostspieligen Baustellen, von fehlender Digitalisierung auf dem Bürgeramt, von verspäteten und überteuerten Zügen, vom fehlenden Mobilfunknetz und schlechtem Internet. ({2}) Die Beschleunigung von Planungs-, Genehmigungs- und Gerichtsverfahren ist deswegen kein Selbstzweck, sondern die Antwort auf die Probleme der Menschen in dieser Republik. Im Frühjahr haben wir uns um die massive Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien gekümmert. Dazu gehört die Festschreibung der erneuerbaren Energien und des Netzausbaus als überragendes öffentliches Interesse sowie die Einführung verbindlicher Flächenziele für Windkraft an Land. Schluss gemacht hingegen haben wir mit der 10‑H-Abstandsregel; das ist sozusagen ihr bayerisches Herzensanliegen. Im weiteren Verlauf des Jahres haben wir auch Anpassungen beim Artenschutz vorgenommen, nicht durch Absenkung des Schutzes, wie die Kollegin ausgeführt hat, sondern durch Standardisierung. Das ist ein gelungener Ausgleich von Arten- und Klimaschutz. Lassen Sie uns mehr Pragmatismus wagen. ({3}) Wir beenden mit einer weiteren Gesetzesinitiative die unnötigen Doppelprüfungen zwischen sich überschneidenden Planungsverfahren. Ebenso haben wir die in der Pandemie bewährte digitale Bürgerbeteiligung verlängert. Als in diesem Jahr letzter Baustein unserer Beschleunigungspakete hat das Kabinett am Mittwoch einen Beschluss zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und weiterer Gesetze gefasst. Hiermit soll im gerichtlichen Verfahren großen Infrastrukturprojekten Vorfahrt gegeben werden. Behörden werden Fristen zur Klageerwiderung gesetzt. Nicht jeder formelle Fehler behindert im vorbeugenden Rechtsschutz. Eine schnelle gerichtliche Konfliktbeilegung wird damit gestärkt. Das ist eine gute Nachricht. ({4}) Aber bei den bisher aufgezählten Maßnahmen kann und wird es nicht bleiben. Neben weiteren Beschleunigungspaketen, zum Beispiel im Bereich Verkehr, brauchen wir mehr Personal, eine flexible Behördeninfrastruktur und die vollständige Digitalisierung des Antragswesens; denn die Beschleunigung beginnt beim Kampf gegen Leitz-Ordner und Aktenberge. ({5}) Die im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Ausnahmen von der Umweltverträglichkeitsprüfung für Brücken verkennen hingegen europarechtliche Hürden; denn die Ausnahmen von der UVP-Pflicht werden sehr streng und restriktiv ausgelegt. Dazu gehören meistens Katastrophenfälle wie zum Beispiel die Möglichkeit einer Energiemangellage. Beschleunigung darf für die Politik jedoch niemals bedeuten, rechtswidrige Entscheidungen zu produzieren; denn das wäre das Modell Scheuer. ({6}) Ich stimme der Union allerdings zu: Nicht jede Maßnahme an einer Brücke braucht unbedingt eine Umweltverträglichkeitsprüfung. ({7}) Wir müssten dann als Gesetzgeber allerdings schon regeln, wo die Grenze zwischen Bau, Erneuerung und Verbesserung verläuft, wann wir eine Prüfung brauchen und wann nicht. Sie schlawinern um dieses Thema herum, indem sie es mit einer Verordnungsermächtigung regeln wollen. ({8}) Ich habe meine Zweifel, ob das nach einem Verkehrsminister Andi Scheuer eine gute Idee ist. In letzter Zeit hat Kollege Ploß ebenfalls kritisiert, dass die Ampel eher am Verbandsklagerecht festhalte als an der Planungsbeschleunigung. Seine Lösung lautet, das Verbandsklagerecht einzuschränken. Auch dieser Vorschlag – das wissen Sie – ist europarechtswidrig. Die Urteile des EuGH aus dem Jahr 2015 haben Sie sicherlich, wenn Sie ehrlich sind, zur Kenntnis genommen. Wir als Koalition versuchen – und das sollten Sie zur Kenntnis nehmen –, eine europarechtskonforme Lösung zu finden. Das Justizministerium schlägt vor: Wer innerhalb gerichtlicher Frist im Prozess ein Argument nicht einbringt, ist damit im weiteren Verlauf ausgeschlossen. Das ist ein pragmatischer europarechtskonformer Weg. Es finden sich weitere Vorschläge auch im Bund-Länder-Papier. Lassen Sie mich zusammenfassen: Es ist gut, dass wir in den Zielen übereinstimmen. Die Ampel bringt ein Gesetz nach dem anderen ein, um Planungsverfahren zu beschleunigen. Sie hingegen beschleunigen nur das Tempo halbgarer Vorschläge. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die AfD hat René Bochmann das Wort. ({0})

René Bochmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005026, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Tribünen und an den Fernsehgeräten! ({0}) Wir debattieren heute in der ersten Beratung über den von der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren an Brücken auf Bundesfernstraßen. Insbesondere bemängelt dabei die Union die langen Zeiträume für notwendige Planungsverfahren. Das Paradoxe und etwas Lustige dabei ist, dass Sie zur Beseitigung dieser Missstände mehr als zwölf Jahre Zeit hatten und die dafür verantwortlichen Minister stellten. ({1}) Beispielhaft erwähnen Sie in Ihrem Antrag die Sperrung der Talbrücke Rahmede der Bundesautobahn 45 im Dezember 2021. Dabei geht es hier um viel mehr. 4 000 Brücken sind sanierungsbedürftig. Ich wiederhole: 4 000 Brücken! Die Bewertung erfolgt seit Kurzem durch sogenannte Lastmodelle, die Zustand und Tragfähigkeit der Brücke beschreiben. Ähnlich wie bei Schulnoten beschreiben LM 1 bis LM 5 den aktuellen Brückenzustand. LM 1 steht für „keine Abweichung“, LM 5 für „absolut kaputt“. Mit LM 5 werden circa 16 Prozent der Autobahn- und Bundesstraßenbrücken bewertet; sie sind in derart schlechtem Zustand. Das ist der Stand des Brückengipfels im März dieses Jahres und gleichzeitig Resultat Ihrer jahrelangen Vernachlässigung unserer Verkehrsinfrastruktur. Gleiches gilt auch für die deutschen Bundeswasserstraßen mit maroden Schleusen und die Bahn mit schadhaften Bahntrassen. Ein weiteres Beispiel für diese Misswirtschaft ist die Rader Hochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal. 2018 antworte die Bundesregierung auf der Drucksache 19/728 auf die Kleine Anfrage des damaligen Bundestagsabgeordneten Andreas Mrosek und der AfD-Fraktion – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –: Eine statische Nachrechnung der bestehenden Rader Hochbrücke ergab, dass das Bauwerk erneuert werden muss. Die Vorplanung für das Ersatzbauwerk wurde Anfang 2015 begonnen. Meine Einzelanfrage im Februar 2022 zum gleichen Sachverhalt, Rader Hochbrücke, also vier Jahre später – zu finden in Drucksache 20/894 –, ergab fast die gleiche Antwort. Die gesamte Verkehrsinfrastruktur wurde unverantwortlich und systematisch vernachlässigt. ({2}) Hinzu kommen immer wieder Blockaden der Umweltverbände, die zu weiteren unnötigen Verzögerungen und Kostenexplosionen führen. Beim Anschluss der Bundesstraße 6n an die Bundesautobahn 9 ist es beispielsweise die Knoblauchkröte – unfassbar. ({3}) Auch unter der Ampel hat sich bisher nichts zum Besseren geändert, wie die geplante Nutzung der innerstädtischen Berliner Parkplätze an Bundesfernstraßen als Abstellfläche für Fahrräder oder der Stillstand beim Neubau der Bundesautobahn 100 zeigen. Deshalb stimmen wir diesem Antrag zu. Oder: Fragen Sie ganz einfach mal Ihr Navigationssystem, wie wir jetzt am schnellsten ans Ziel kommen. Es würde wahrscheinlich die AfD empfehlen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wünsche Ihnen allen ein angenehmes Wochenende, einen schönen zweiten Advent. ({4})

Lukas Benner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005022, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Wiederaufbau nach dem Hochwasser im vergangenen Jahr, der Aufbau klimaresilienter Städte, der Angriffskrieg gegen die Ukraine und die dadurch ausbleibenden Gaslieferungen – wir stehen vor riesigen Herausforderungen, was Planungs- und Genehmigungsverfahren angeht. Die Klimakrise, die Energiekrise, die Überbleibsel der Coronapandemie – all das stellt unsere Behörden vor riesige Herausforderungen. Ihre Antwort, liebe Union: die Schaffung des überragenden öffentlichen Interesses für Bundesfernstraßen. Im ganzen Land zerfallen die Brücken, weil Sie und Ihre Verkehrsminister in den letzten zwölf Jahren mit Flugtaxis und rechtswidrigen Mautverfahren beschäftigt waren, anstatt das Problem endlich anzugehen. ({0}) Fast nirgends wird das so deutlich wie bei der schon erwähnten Rahmedetalbrücke. Die Kosten für die Sperrung gehen in die Milliarden. Aber, liebe Union, wer hat uns den Murks denn eingebrockt? Ihre Kritik ist an dieser Stelle wohlfeil. ({1}) Ich möchte betonen: Niemand leugnet, dass wir eine schnellere Sanierung von Brücken brauchen. Ich bin in der Eifel groß geworden. Mir brauchen Sie nicht zu sagen, dass wir eine vernünftige Verkehrsinfrastruktur brauchen, gerade dort, wo wir noch keinen ÖPNV und keine Alternativen haben. Aber wir brauchen sie nicht so, wie Sie es in Ihrem Gesetzentwurf schreiben. ({2}) Wir als Ampelkoalition haben uns das Thema Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung ganz oben aufgeschrieben. ({3}) Am Mittwoch war die VwGO bereits Thema im Kabinett. Ich kann Ihnen sagen: Es werden noch viele Gesetze folgen. Dass wir im Jahr 2022 noch zig Aktenordner brauchen, um eine Windkraftanlage zu genehmigen, ist völliger Irrsinn. Für uns Grüne ist klar: Bei der Beschleunigung des Neubaus von Infrastruktur brauchen wir ganz klare Priorisierungen. Wer alles beschleunigen will, beschleunigt am Ende gar nichts. Deswegen muss es um Windenergie, Stromtrassen und Bahnstrecken gehen ({4}) und nicht primär um Autobahnen und Flughäfen. ({5}) Denn es geht darum, Energiesouveränität herzustellen, und um eine nachhaltige, funktionierende Infrastruktur. Thema Nachhaltigkeit: In Ihrem Gesetzentwurf kommt das Wort „Schadstoffimmissionen“ genau einmal vor, und zwar bei der Begründung der Forderung, noch breitere Straßen zu bauen. Der zweite wichtige Punkt: Im Hinblick auf Planungsbeschleunigung ist zu betonen, dass Umweltschutz nicht das Problem ist. Nicht Feldhamster und Rotmilan verhindern Planungen in diesem Land, sondern Faxgeräte und mangelndes Personal. ({6}) Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Lassen Sie uns aufhören, Gegensätze aufzumachen! Die unmittelbaren Reformen müssen zielgenau sein. Anstatt falsche Gegensätze, die häufig mehr Klischee als Realität sind, aufzumachen, sollten wir anpacken und pragmatisch sein. Vielen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der nächste Redner ist Christian Hirte für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Christian Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003890, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele der Vorredner haben darauf hingewiesen, dass wir ein akutes Problem haben, und zwar nicht nur bei der Brücke in Lüdenscheid, sondern auch bei vielen anderen infrastrukturpolitischen Themen. Wir haben 4 000 Brücken, die saniert werden müssen, ({0}) viele Straßen, die saniert werden müssen, und andere Infrastrukturprojekte. Viele bestätigen das. Aber wenn wir gerade vom Redner der Grünen gehört haben, dass wir als Union in der Vergangenheit falsch darauf reagiert haben, dann zeigt das doch eher, dass Sie ideologisch mit der Situation umgehen, vor allem, wenn Sie meinen, dass wir heute nur punktuell, an der einen oder anderen Stelle, etwas erreichen wollen. Das Gegenteil ist der Fall: Sie erkennen, dass wir an einigen Punkten schneller werden müssen. Beispiele wurden schon genannt, etwa der schnelle Ausbau des LNG-Terminals. Das unterstützen wir als Union, weil wir das für richtig erachten. Auf der anderen Seite sind wir in unserem Land aufgrund sich seit Langem aufbauender Probleme in einer so herausragenden Krise und stehen auch aufgrund der aktuellen Krisensituation durch den Krieg in Europa und die großen Transformationsprozesse vor so großen Herausforderungen, dass wir in nahezu jedem Bereich schneller, besser werden müssen. ({1}) Jetzt war es in der Vergangenheit so, dass wir in Deutschland gerade nicht dafür berühmt waren, dass wir beim Thema „Pragmatismus und Tempo“ gut waren. Warum das so ist, haben wir von einigen Rednern gerade gehört. Sie lehnen es schlicht ab, das, was möglich wäre, auf den Weg zu bringen. ({2}) Tatsächlich ist es doch so – lieber Kollege Müller –, dass wir das nicht nur zum Beispiel bei dem Infrastrukturprojekt im Watt, wo wir im Weltnaturerbe neue Infrastrukturen ganz schnell mit abgekürzten Umweltverträglichkeitsprüfungen auf den Weg bringen, machen könnten, sondern auch in anderen Bereichen. Genau das ist die Forderung der CDU/CSU-Fraktion: dass wir schauen, wo es noch notwendig ist, zum Beispiel auch bei Straßenbauprojekten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den Transformationsherausforderungen in unserem Land geht es eben darum, den Ausbau nicht nur der Energieinfrastruktur auf den Weg zu bringen, sondern auch den der restlichen Infrastruktur. ({3}) Das hören wir ja gelegentlich; aber das, was bei Ihnen passiert, ist leider zu wenig. Wir als Union machen einen konkreten Vorschlag. Wir unterstützen nicht nur das, was Sie richtigerweise auf den Weg bringen, sondern wir machen bessere, darüber hinausgehende Vorschläge, zum Beispiel auch für die Bundesstraßen, um vor allem die Beschleunigung von Verfahren und die Vereinfachung von Verfahren zu ermöglichen. Wir haben die Situation, dass das aktuelle Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz Verbandsklagen ermöglicht, dass diese aber häufig instrumentalisiert, missbraucht werden für die Wahrnehmung von Partikular- und von Einzelinteressen vor Ort. Das ist der falsche Weg. ({4}) Wir müssen schneller werden. Wir müssen Verfahren abkürzen, vereinfachen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wann, wenn nicht jetzt, ist es an der Zeit, Gas zu geben und unser Land voranzubringen? Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bernd Reuther ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion. ({0})

Bernd Reuther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004864, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Müller, ich fange mal mit etwas Positivem an. Es gibt ein bekanntes Lied, in dem es heißt: „Mein Herz schlägt für das Sauerland“. ({0}) Gleich spricht auch noch der Kollege Ziemiak. Ich will euch nicht absprechen, dass euer Herz für diese Region schlägt; aber auch das Herz der Freien Demokraten schlägt für das Sauerland. ({1}) Das zeigt allein die Tatsache, dass Minister Volker Wissing die Rahmedetalbrücke zur Chefsache gemacht hat. Ich glaube, es gibt kein Infrastrukturprojekt in diesem Land, bei dem so viele hochrangige Vertreter des Ministeriums – der Minister voran – vor Ort gewesen sind, mit den Menschen vor Ort gesprochen und ihnen versprochen haben, dass sie sich um dieses Projekt schnellstmöglich kümmern und es schnellstmöglich nach allen Regeln der Kunst umgesetzt wird. ({2}) Aber zur Wahrheit gehört auch – Kollege Berghahn hat es angesprochen –: Wir hätten dort an der A 45 schon längst eine neue Brücke haben können. Das muss man einfach mal so konstatieren. Jetzt will ich auch noch – hört gut zu! – die Große Koalition loben. Denn vor vielen Jahren ist die Autobahn GmbH auf den Weg gebracht worden. ({3}) Da ist dafür gesorgt worden, dass nicht mehr die Länder, die das alle ganz unterschiedlich geregelt haben, sondern jetzt die Autobahn GmbH zuständig ist. ({4}) Minister Volker Wissing hat dann zu Beginn dieses Jahres endlich eine einheitliche Überprüfung der gesamten Autobahnbrücken in diesem Land vorgenommen. Das hat viel Trauriges zutage gefördert: 4 000 Autobahnbrücken in diesem Land sind sanierungsbedürftig. Diese Koalition, die Regierungsfraktionen gehen es mit Hochdruck an, die Sanierung schnellstmöglich auf den Weg zu bringen. ({5}) Ich will noch eines sagen: Hier wurde gerade von den Kollegen – auch Kollege Schreiner hat es erwähnt – von „Hand reichen“ gesprochen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, ihr habt in der letzten Wahlperiode mehrere Gesetze zur Planungsbeschleunigung auf den Weg gebracht. Da haben wir als Freie Demokraten Vorschläge gemacht, die ihr jetzt in euren Gesetzentwurf geschrieben habt. ({6}) Wir haben euch damals die Hand gereicht. Ihr habt sie in der letzten Wahlperiode nicht ergriffen. Das gehört auch dazu. Ihr habt die Hand nicht ergriffen! Die Bundesregierung wird ein Gesetz vorlegen, das viele dieser Punkte, die wir schon in der letzten Wahlperiode vorgeschlagen haben, aufgreift, ({7}) was die Priorisierung von wichtigen Infrastrukturen angeht, was das Abschaffen von Doppelüberprüfungen angeht, ein Gesetz, das Bürger- und Öffentlichkeitsbeteiligung von Beginn an garantiert – ein ganz wichtiger Punkt –, das das Pingpong zwischen Landes- und Bundesbehörden beendet, das den digitalen Datenfluss sicherstellt und das Building Information Modeling enthält, was ein ganz wichtiger Punkt ist. Wir wollen das beschleunigte Verfahren, das wir bei LNG-Terminals angewendet haben, zum Standard machen, ({8}) und zwar auch für die Schiene, für Wasserstraßen, für Bundesfernstraßen, für Brücken. ({9}) Das muss alles mit dabei sein. ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, Sie haben jahrelang gebummelt; wir machen jetzt Geschwindigkeit. Vielen herzlichen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Martina Englhardt-Kopf hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Martina Englhardt-Kopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, in einer Sache sind wir uns heute einig: Die Planung und die Umsetzung von wichtigen Infrastrukturmaßnahmen in unserem Land müssen deutlich schneller gehen. ({0}) Es dauert einfach zu lange: Jahre, Jahrzehnte. Es wird vieles blockiert und verhindert, und daraus müssen wir endlich unsere Lehren ziehen. Als Exportnation und Transitland im Herzen Europas sind wir auf eine gut funktionierende Infrastruktur, auf ein gutes Verkehrsnetz angewiesen. Es ist unverzichtbar für unsere Wirtschaft, für das wirtschaftliche Handeln, aber auch für die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger. 70 Prozent der gesamten Verkehrsleistungen erfolgen über die Straße, und das ist einfach ein Fakt, den wir heute auch ganz klar bewerten müssen. Wir brauchen in der Zukunft nicht nur kräftige Investitionen – ich denke hier an die drohende Auflösung des Finanzierungskreislaufes „Straße finanziert Straße“, ein völlig fatales Zeichen; die Ampel ist sich hierüber bereits einig –, ({1}) sondern dürfen uns auch den Luxus langwieriger Verfahren nicht länger leisten. Denn Mobilität in der Zukunft wird, egal welche Antriebstechnologien wir haben, auch auf der Straße stattfinden müssen. Wir leben gegenwärtig in multiplen Krisenzeiten und unterliegen dynamischen Veränderungen; tagtäglich passiert Neues. Aufgrund dessen müssen wir hier einfach unsere Infrastruktur weiter ertüchtigen und das Ganze auch vor diesem Hintergrund betrachten. ({2}) Folgende Konsequenz: Eine gut funktionierende Infrastruktur liegt im überragenden öffentlichen Interesse. Auch Bundesfernstraßen sind Lebensadern. ({3}) Darüber laufen Gütertransporte, aber auch die Mobilität unserer Bürgerinnen und Bürger. In der aktuellen Periode ist bisher wenig in diesem Bereich passiert, wenn wir auf das Bundesverkehrsministerium blicken. In der Vergangenheit, auch mit der Unterstützung der SPD, wurden viele Planungsbeschleunigungsgesetze auf den Weg gebracht; aber wir dürfen hier nicht nachlassen. Wir müssen schneller werden. Die Infrastruktur muss hier viel schneller angepasst werden. Es gibt ja auch ein gutes Beispiel aus der Praxis dafür, dass es eben doch gehen kann. Es wurde heute bereits das LNG-Beschleunigungsgesetz angesprochen. Nach diesem Vorbild müssen wir weiter voranschreiten. Die FDP hat das soeben angesprochen. Aber wenn ich richtig informiert bin, liebe FDP, konnten Sie sich auch nicht bei der Verkürzung des Rechtswegs durchsetzen, was möglich wäre, wenn Bundesfernstraßen im überragenden öffentlichen Interesse liegen. Aber es wurde gestrichen; somit gilt hier der verkürzte Rechtsweg nicht. ({4}) Das ist Fakt; die Meldung ist vom 1. Dezember. Das sei an dieser Stelle auch erwähnt, wenn Sie hier solche großen Töne spucken, dass die beschleunigten Verfahren bei LNG künftig auch als Grundlage für andere Bereiche dienen sollen. ({5}) Dafür, wie es schneller gehen kann, liefert unser Gesetzentwurf viele wertvolle Ansätze.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Martina Englhardt-Kopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Greifen Sie ein, damit wir unsere Infrastruktur fitmachen für die Zukunft – besser heute als morgen! Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Dr. Zanda Martens hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Zanda Martens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Es ist interessant, über einen Gesetzentwurf der Union zu sprechen, der sich mit Geschwindigkeit befasst. Leider sind Sie bei Ihrem Gesetzentwurf mit hoher Geschwindigkeit bereits aus der ersten Kurve geflogen. ({0}) In wesentlichen Teilen haben Sie bei genauem Hinsehen nämlich nichts anderes getan, als das von uns verabschiedete LNG-Beschleunigungsgesetz zu kopieren. ({1}) Aber Sie haben es offensichtlich versäumt, sich die wesentlichen Unterschiede zwischen kritischer Energieinfrastruktur und einer Autobahnbrücke klarzumachen. ({2}) Zunächst ist zu begrüßen, dass Sie in § 3 Ihres Gesetzentwurfs eine Änderung des Fernstraßenbaugesetzes anregen, die einen Instandhaltungsplan schaffen soll. Bedauerlich ist nur, dass Ihnen dieser zwingende Gedanke nicht bereits in der letzten Dekade gekommen ist. ({3}) Immerhin sind in den letzten 12 – nicht 16 – Jahren vier verschiedene Bundesminister einer christsozialen Regionalpartei im Verkehrsministerium verschlissen worden. Verwunderlich ist die Zielrichtung dieses Instandhaltungsplans. Hier schlagen Sie nämlich vor, dass die Sanierung der im Plan genannten Bauvorhaben teilweise oder ganz von der Umweltverträglichkeitsprüfung ausgenommen werden soll. ({4}) Derartige Einschnitte sind im Fall von kritischer Energieinfrastruktur bedauerlich, aufgrund der wenigen Fälle aber vielleicht noch verkraftbar. ({5}) Im Fall von Bundesfernstraßen und Brücken kommt Ihr Vorschlag hingegen einer grundsätzlichen Schleifung der Umweltverträglichkeit gleich. Schlimmer noch: Mit Ihrer Gesetzeskopie navigieren Sie blind in den Geltungsbereich des Europarechts, und das auch noch wider besseres Wissen, oder? ({6}) Denn in der Begründung zum Gesetzentwurf erläutern Sie ausgiebig, dass gemäß EU-Recht und ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs das Aussetzen von Umweltverträglichkeitsprüfungen für den Bau und in weiten Teilen auch für die Instandhaltung von Bundesfernstraßen und notwendigen Brücken nicht möglich ist. ({7}) Man hätte doch annehmen können, dass die Union gerade im verkehrspolitischen Bereich ausreichend Erfahrung mit dem Europarecht gesammelt hat, Stichwort „Pkw-Maut“. ({8}) Insofern verwundert mich, dass Sie mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erneut eine Klatsche vor dem Europäischen Gerichtshof riskieren. Nicht verwundert mich hingegen, dass Sie Ihren fragwürdigen Umgang mit dem geltenden Recht gleich auch noch auf das Bundesnaturschutzgesetz übertragen. ({9}) So schlagen Sie vor, die Fristen zur Genehmigung und zum Umsetzungsbeginn von Ersatz- und Ausgleichsmaßnahmen auf insgesamt fünf Jahre auszudehnen. ({10}) Auch das ist eine Kopie aus dem LNG-Beschleunigungsgesetz, was Sie immerhin in der Begründung kenntlich machen. ({11}) Wo sich aber der Anwendungsbereich des LNG-Gesetzes auf insgesamt vier Terminals beschränkt, umfasst der Anwendungsbereich Ihres Vorschlags Zigtausende Kilometer Bundesfernstraßen und Brücken ({12}) und „vergleichbare Bauprojekte“ – Definition offen und Anzahl unbekannt. Was hier deutlich wird: Vier Terminals lassen sich keinesfalls mit dem gesamtdeutschen Bundesfernstraßennetz vergleichen, weder qualitativ noch quantitativ. ({13}) Selbiges gilt auch für Ihren Vorschlag, das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu beschneiden, und zwar dahin gehend, dass mittelständische Interessen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge nicht mehr vornehmlich berücksichtigt werden sollen. ({14}) Es ist überraschend, dass die Union sich immer mehr nicht mehr als die Partei des Mittelstandes darstellt. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, wie mein Vorredner Jürgen Berghahn erläutert hat, arbeiten die Bundesregierung und unsere Fraktionen gerade emsig an einem Gesetzesvorschlag zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. In der Beratung des Gesetzentwurfs freuen wir uns selbstredend auf Ihre konstruktive Zuarbeit. Bis dahin, aber auch für die weitere Zukunft möchte ich Sie jedoch bitten: Sosehr Ihnen beim Schreiben Ihrer Vorlagen die Geschwindigkeit am Herzen liegen mag, ({15}) so sehr kann es doch lohnenswert sein, beim Abschreiben zumindest kurz über Fliehkraft und Kurvengeschwindigkeit und somit über den Inhalt zu reflektieren. Gute Fahrt. ({16})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Paul Ziemiak hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Paul Ziemiak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Katastrophe begann vor genau einem Jahr: Eine der wichtigsten Verkehrsadern in Deutschland hat einen Infarkt erlitten. Es begann ein großer Horror für die Menschen in Lüdenscheid, im Sauerland, im Märkischen Kreis, in ganz Südwestfalen. Die Menschen leiden unter dieser Situation. Wenn jeden Tag 40‑Tonner an ihren Schlafzimmerfenstern vorbeidonnern, dann werden sie am Ende krank. Das ist Körperverletzung, was viele an den Umleitungsstrecken jetzt erleben, und es ist eine große Belastung für die gesamte Region. Wir haben diese Situation bisher gemeinsam bewältigt und versucht, aus dieser schlimmen Situation noch das Beste zu machen. Aber wir sind in großer Sorge um die Zukunft. Herr Minister Wissing, Sie sind heute da. Das ist ja keine Selbstverständlichkeit bei dieser Ampelregierung, dass sich bei wichtigen Themen auch die Minister blicken lassen. ({0}) Sie tun es heute; das ist gut. Ich weiß, dass das dem Minister ein Anliegen ist. Sie waren vor Ort, Herr Minister. Sie setzen sich ein; wir sind dazu im Gespräch. Aber Sie haben heute in der „Westfalenpost“ in einem Interview richtig gesagt: Alles, was es an Ideen gibt, muss auch einer rechtlichen Überprüfung standhalten. – Damit hat der Minister recht, und deswegen legen wir heute diesen Vorschlag vor, damit die Rahmedetalbrücke so schnell wie möglich wieder aufgebaut werden kann und die Menschen endlich entlastet werden können, meine Damen und Herren. ({1}) Ich war heute sehr gespannt auf Ihre Vorschläge. Das ist keine parteipolitische Frage; auch vor Ort arbeiten wir alle zusammen. Jetzt legt eine Fraktion, in diesem Fall CDU/CSU, einen Vorschlag vor. Ich war gespannt: Was haben Sie denn für Ideen? Was haben wir vielleicht nicht so gut gemacht? Was kann man besser machen? Was fehlt noch, damit die Brücken, diese Brücke und andere, schneller aufgebaut werden können? – Dann vernehme ich hier einfach blanke Ignoranz. ({2}) Die AfD sagt: Merkel ist schuld. – Die Grünen sagen: Der Brückenbau kann jetzt nicht beschleunigt werden wegen der globalen Klimakrise. – Die SPD sagt: Wir machen jetzt erst einmal gar nichts. – Die Linke schaut die ganze Zeit auf das Handy und sucht Lüdenscheid. ({3}) Das ist doch keine Haltung. ({4}) Bringen Sie doch Ihre Ideen ein, damit wir einen noch besseren Gesetzentwurf erarbeiten, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Ziemiak, es gibt zwei Wünsche nach Zwischenfragen: einmal aus der SPD, einmal aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Möchten Sie beide zulassen?

Paul Ziemiak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, selbstverständlich. Es geht um die Sache.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann, bitte schön. ({0})

Paul Ziemiak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Stellen Sie doch eine Zwischenfrage wie die Kolleginnen, und plappern Sie nicht dazwischen. ({0}) An dieser Stelle haben Sie auch recht, aber nicht nur an der. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt ist zuerst die Kollegin Baradari mit einer Zwischenfrage dran.

Nezahat Baradari (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004947, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, vielen Dank. – Vielen Dank, Herr Kollege Ziemiak, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie haben davon erzählt, wie schwierig die Situation vor Ort ist. Das wissen wir sauerländischen Abgeordneten, die vor Ort sind, auch. Übrigens: Auch das Herz der SPD schlägt für das Sauerland; das möchte ich an dieser Stelle einmal festhalten. Ich möchte Sie gerne fragen: Ist Ihnen eigentlich bekannt, dass es einen Beschlussvorschlag des Bundeskanzleramts zusammen mit den Chefs der Kanzleien der Länder vom 17. November zu genau diesem Punkt gibt, und zwar mit dem Titel „Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung“? Genau darin, Herr Ziemiak, sind unsere Vorschläge nämlich schon längst enthalten. Da kommen Bund und Land zusammen. Sie stellen es hier so dar, als liefe überhaupt nichts. Ich möchte Sie einladen, in nächster Zeit einmal zur Brücke zu gehen und zu schauen, wie dort gearbeitet wird. Bitte stellen Sie auch klar, dass das Problem nicht der Brückenbau ist, sondern dass die Umleitungsstrecken das Problem sind; da ist die schwarz-grüne Landesregierung in der Pflicht. ({0}) Das ist Horror für die Anwohnerinnen und Anwohner vor Ort. Ihre Polemik ist hier unangebracht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt nehme ich gleich noch die Frage von Frau Menge dazu. – Dann kann Herr Ziemiak, der sich gut Dinge merken kann, das im Kontext beantworten und dann in die Schlusskurve seiner Rede kommen. Es ist nämlich nicht mehr viel Redezeit übrig.

Susanne Menge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005149, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön, Herr Ziemiak, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben gesagt, dass Sie hier keine Vorschläge gehört haben, dass niemand etwas zur konkreten Umsetzung gesagt habe. Ich möchte Sie daran erinnern, dass der Kollege Mansoori einzelne Vorschläge vorgelegt hat, bei denen es vor allen Dingen um Planungseffizienz und Planungsmanagement geht. Wir haben aufgezeigt, wo Sie in Ihrem Gesetzesvorschlag falsch liegen, weil bestimmte rechtliche Vorgaben nicht eingehalten werden. Meine Kollegen, vor allem der Kollege Benner, haben darauf hingewiesen, was machbar und umsetzbar ist. Warum ignorieren Sie das an dieser Stelle?

Paul Ziemiak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank für die Zwischenfragen. – Zunächst einmal, Frau Kollegin Baradari, der Beschlussvorschlag vom Bundeskanzleramt und von den Ländern zur Beschleunigung der Verfahren steht, wenn ich es richtig sehe, nicht mehr auf der Tagesordnung für die nächste MPK. Vielleicht können Sie sagen, woran das liegt. Das werden Sie wissen. Also, mir geht das nicht schnell genug. Ich will Ihnen das ganz ehrlich sagen. Sie haben gerade gesagt, ich solle zu der Brücke kommen, an der ich schon häufig war, und mir anschauen, was dort alles an Bauarbeiten passiert. Wissen Sie, die Menschen in Lüdenscheid und im Märkischen Kreis haben nichts davon, wenn sie sich anschauen, wie dort Bagger herumfahren. Die Menschen interessiert nur eins: Wann steht endlich die neue Brücke, damit der Verkehr raus ist aus der Stadt und die Region wieder leben kann? ({0}) Es bringt doch nichts, wenn wir die ganze Zeit darüber diskutieren, wie viele Bagger vor Ort sind. ({1}) Sie haben gefragt: Wer ist schuld? Wer trägt Verantwortung? Darüber können wir gerne diskutieren. Nur, wissen Sie, das ist der Unterschied zwischen den Handwerkern, den Unternehmen, den Menschen im Sauerland auf der einen und manchen hier im Deutschen Bundestag auf der anderen Seite: Sie zeigen immer auf andere und dorthin, wo es Probleme gibt, ({2}) sagen aber nicht, wie es gehen kann. – Das ist nicht meine Mentalität. Ich würde Ihnen in der SPD wünschen, dass auch Sie mehr sauerländische Mentalität haben und einfach mal anpacken und nicht nur die Schuld auf andere schieben. ({3}) Nun zu Frau Menge. Ihre Vorschläge sind insofern nicht konstruktiv, als dass Sie grundsätzlich nicht auf unseren Gesetzentwurf eingehen wollen. ({4}) Das würde ich mir aber sehr wünschen. Sie haben gerade selbst gesagt: Wegen des Klimaschutzes und wegen der Interessen der Anwohnerinnen und Anwohner könnten wir das Planungsrecht nicht ändern. Ich sage Ihnen: Die Emissionen im Zusammenhang mit der Autobahnbrücke werden vor allem dadurch verursacht, dass sich die Lkws und die Autos durch die Stadt quetschen müssen. Die Menschen sind durch die Abgase belastet. Von dieser Brücke geht keine Hochwassergefahr aus. Wissen Sie, wenn Sie über die Interessen der Anwohnerinnen und Anwohner sprechen: Ich kenne keinen Einzigen, der will, dass dieser Zustand lange so bleibt. Also, wenn Ihnen die Anliegen der Menschen in der Region am Herzen liegen, dann wissen Sie, was zu tun ist: Diese Brücke muss so schnell wie möglich gebaut werden. Das ist der Grund, warum Florian Müller und alle anderen Verkehrspolitiker aus der Union diesen Gesetzentwurf vorgelegt haben. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir in Südwestfalen, wir im Märkischen Kreis brauchen Ihre Hilfe, damit wir endlich entlastet werden. Seien Sie konstruktiv, denken Sie nicht in Parteigrenzen, sondern lassen Sie uns zusammenarbeiten, dass wir möglichst schnell die Brücke hochziehen und unsere Region wieder richtig stark werden kann, damit wir unseren großen Wirtschaftsstandort Südwestfalen, der für Deutschland so wichtig ist, wieder neu beleben können. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Stefan Gelbhaar hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Stefan Gelbhaar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004726, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Politische Amnesie, Herr Ziemiak, ist anscheinend weit verbreitet in diesem Haus. 13 000 Brücken landauf, landab – 13 000, nicht 4 000 – haben Sie verfallen lassen. Dann beklagen Sie sich: Hey, das dauert zu lange mit dem Wiederaufbau. – Sorry, aber das geht nicht. Sie müssen schon Ross und Reiter benennen. Wie ist denn das passiert? Wie sind denn diese Brücken zerbröselt? Wer hat denn in zwölf Jahren die Prioritäten gesetzt? Welche Prioritäten wurden gesetzt? Wurden sie so gesetzt, dass Brücken zerbröseln, dass man sie sperren muss, dass sie jetzt saniert werden müssen? Das fällt doch nicht vom Himmel. Jetzt stellen Sie sich hier an das Pult und erzählen was vom Pferd. Das passt nicht zusammen, Herr Ziemiak. ({0}) Ja, dieses Land ist zu langsam beim Bau von Infrastrukturprojekten. Das ist vollkommen unbestritten. Aber was Sie da vorschlagen, hilft doch nicht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möchten Sie eine Frage von Herrn Ziemiak zulassen, Herr Kollege?

Stefan Gelbhaar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004726, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, bitte.

Paul Ziemiak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, Sie haben eindrucksvoll bewiesen, dass das, was ich Ihnen unterstellt habe, stimmt: Das Einzige, was Sie tun, ist, auf andere zu zeigen und über die Vergangenheit zu sprechen. ({0}) Meine Frage ist: Sind Sie bereit, in Ihrer Rede noch etwas darüber zu sagen, wie wir die Brücke jetzt so schnell wie möglich aufbauen können und welche Verbesserungsvorschläge Sie zu unserem Gesetzentwurf haben? ({1})

Stefan Gelbhaar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004726, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Na klar. Es lohnt immer, erst abzuwarten, dann merkt man auch, was im Vortrag noch so kommt. Erster Satz dazu. Sie haben in der letzten Legislatur vier Planungsbeschleunigungsgesetze vorgelegt, und keines davon hat dieses Thema adressiert. Ich finde es schön, dass Sie jetzt den fünften Gesetzentwurf vorlegen. Bisher hat keiner Ihrer Gesetzentwürfe irgendeine Planung beschleunigt. Das kann man festhalten. Auch dieser wird es, ehrlich gesagt, nicht tun. ({0}) Zweiter Punkt. Sie stellen die Umweltverträglichkeitsprüfung infrage. Wenn besonders viel Verkehr generiert werden kann, dann wollen Sie das beschleunigen. Nein, wir sagen: nicht mehr Verkehr. Wir sagen: mehr Mobilität. – Das muss auch in Ihrem Vorschlag mitgedacht werden. Das passiert nicht. Und das ist verrückt. ({1}) Dritter Punkt. Sie schlagen in § 6 Ihres Gesetzentwurfs vor – und das finde ich bemerkenswert –, dass Sie die Überprüfung massiv einschränken wollen. Sie wollen ganz viel herauskürzen, dem Auftraggeber freie Hand lassen. Und, ganz ehrlich, das ist der Weg in die Vetternwirtschaft. Ganz ehrlich: Bürokratie ist kein Selbstzweck; da sind wir beieinander. Aber gerade die Unionskollegen haben nicht nur in der Pandemie, ({2}) sondern auch bei der Maut, bei den Beraterverträgen, beim Deutschen Zentrum Mobilität gezeigt, dass es gerichtliche Überprüfung braucht, dass wir da klare, saubere Verfahren brauchen und eben keine nach Feudalherrenart. ({3}) Dann zum Fokus des Gesetzes: Straßenbau. Es gibt kein Wort zu Wasserstraßen, kein Wort zu Fahrradwegen, zur Bahninfrastruktur oder zum ÖPNV, noch nicht mal ein Wort zur Ladeinfrastruktur oder Digitalisierung. ({4}) Nur Straßenbau, und das bei einem der dichtesten Straßennetze der Welt! Herr Ziemiak, noch eins: Sie haben gefragt, wie man das beschleunigen kann. Ja, bauen wir die Brücke doch in gleicher Art und Weise auf; ({5}) dann brauchen wir auch keine Umweltverträglichkeitsprüfung. Das wissen Sie, und trotzdem gibt es die Vorschläge, die Brücke breiter zu machen. Das braucht dann Zeit. Das sind die Probleme, die Ihre Vorschläge aufwerfen. ({6}) Herr Hirte, Sie haben kritisiert, dass wir uns hier nicht auf die Straße fokussieren, und haben gesagt: Genauso wie beim beschleunigten Bau von LNG-Terminals und Windkraftanlagen müssen wir es auch hier machen. – Dieser Gedanke ist falsch. Das eine wird dringend gebraucht, beim anderen haben wir bereits eines der dichtesten Straßennetze der Welt, neben Belgien und den Niederlanden. ({7}) – Ja, natürlich brauchen wir die Brücke. Aber auf Ihrem Entwurf steht nicht „Beschleunigungsgesetz für die Lüdenscheid-Fragen“, ({8}) sondern da steht: Bundesfernstraßen und Brücken. ({9}) – Nein, da steht viel mehr drin. ({10}) Deswegen müssen Sie sich fragen lassen: Was brauchen wir denn wirklich in diesem Land? Diese Frage beantworten Sie nicht, ({11}) sondern Sie stellen einfach nur in den Mittelpunkt: Straßen, Straßen, Straßen und Straßen. Da frage ich Sie mal zurück: Wo ist denn die Technologieoffenheit, von der Sie immer reden? ({12}) Wo ist denn der Klimaschutz, den Sie im Munde führen? Nichts davon ist da, und deswegen taugt Ihr Gesetzentwurf auch einfach nichts. Wir lehnen ihn ab. Vielen Dank. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Mathias Stein spricht für die SPD-Fraktion. ({0})

Mathias Stein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich außerordentlich, dass ich zu diesem Thema sprechen kann. In der letzten Wahlperiode haben wir gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion versucht, Planungsbeschleunigung zu erreichen und Dinge schneller zu machen. Wir haben auch einiges erreicht. Beim Thema Planungs- und Baubeschleunigung ist Knüppel für Knüppel zu beseitigen. Das ist wirklich eine Kärrnerarbeit. Das darf sich nicht nur allein auf Gesetzesänderungen beschränken, meine Damen und Herren. Wir stehen vor einem gewaltigen Transformationsprozess; das ist hier angesprochen worden. Wir wollen in einer sehr großen Geschwindigkeit klimaneutral werden, wir wollen unsere Energieversorgung sichern, und wir müssen auch dazu beitragen, dass wir Industrienation bleiben. Das sind wirklich Kärrnerarbeiten. Wir haben es gleichzeitig damit zu tun, dass unsere Infrastruktur in die Jahre gekommen ist. Sie wurde auch auf Verschleiß gefahren. Wir haben viel zu viele Belastungen auf die Brücken übertragen, und das holt uns jetzt ein. Die Lieferketten sind angespannt; davon hört man. ({0}) Wir erleben jetzt bei der Rahmedetalbrücke einen GAU. Es ist aber auch in meinem Wahlkreis zu einem GAU gekommen. Am Mittwoch ist ein Kran am Nord-Ostsee-Kanal in die Holtenauer Hochbrücke hineingefahren. Die Messungen waren leider fehlerhaft, die Ladepapiere waren vermutlich fehlerhaft. Die Brücke ist immer noch für den motorisierten Verkehr gesperrt. Das heißt, ich habe jetzt auch in meinem Wahlkreis am eigenen Leibe erfahren, wie es ist, wenn Brücken an Bundesstraßen ausfallen. Ich glaube, wir müssen wesentlich sorgsamer mit unserer Infrastruktur umgehen. Ein Bereich gehört dazu, der an dieser Stelle ganz wichtig ist: Wir müssen all denjenigen den Rücken stärken, die im Bereich Infrastruktur arbeiten, die den Betrieb der Infrastruktur gewährleisten. Das sind die Planerinnen und Planer, das sind unsere Ingenieurinnen und Ingenieure. ({1}) Das sind aber auch unsere Handwerkerinnen und Handwerker, ({2}) die jetzt wirklich in mühsamer Arbeit bei jedem Unglück, das wir haben, versuchen, den Laden am Laufen zu halten. Ich finde, dafür müsste mal ein großes Dankeschön vom gesamten Haus kommen. ({3}) – Nein, das ist nicht Ironie, Herr Spaniel. Ich habe selber auf Baustellen gearbeitet. Ich weiß, wie es ist, in Nachtschichten zu arbeiten. Wir können uns nicht hierhinstellen und einfach so tun, als würden wir mit einer bloßen Gesetzesänderung etwas ändern. Wir brauchen Personal, wir brauchen ein Fitnessprogramm, wir brauchen mehr Wissenschaft im Bereich Bauindustrie. Das alles wissen wir. ({4}) Dafür müssen wir kämpfen, und wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind dazu bereit. Wir zollen diesen Menschen wirklich Respekt. Wir werden zehn Jahre harte Arbeit vor uns haben, bis wir unsere Infrastruktur auf einen wirklich guten Stand gebracht haben. Da hilft es auch nicht, so zu tun, als seien die Hauptverursacher dafür, dass es nicht vorangeht, die schlimmen Umweltverbände. Wissen Sie, ich habe mit Planungsbeschleunigung viel zu tun gehabt. Es sind manchmal nicht Umweltverbände, sondern tatsächlich Anwohner, die Angst vor Lärm und Erschütterung haben. Wenn wir das einfach ignorieren, dann werden wir nicht schneller, sondern langsamer bauen. ({5}) Diese Fortschrittskoalition, diese Ampelkoalition ist bereit, einen Infrastrukturkonsens auf den Weg zu bringen, um schneller zu bauen. Wir packen an, mit den Menschen. Ich glaube, das werden Sie auch bei der Planungsbeschleunigung sehen. Wir werden für mehr Personal und mehr Fachlichkeit sorgen, und wir werden diesen Menschen den Rücken stärken. Ich wünsche allen ein schönes Wochenende. Vielen Dank. ({6})

Markus Herbrand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004745, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedes Jahr ist das Jahressteuergesetz ein Gesamtkunstwerk, ({0}) das bei unserem ohnehin sehr komplexen Steuerrecht noch mal in ganz viele Bereiche eingreift. Das ist in diesem Jahr das erste Jahressteuergesetz der Ampelkoalition. Und siehe da: Es führt nicht zu mehr Komplexität – das kennen wir aus der Vergangenheit –, sondern in vielen Bereichen zu deutlichen Vereinfachungen, Entlastungen und auch Modernisierungen. ({1}) Bei der inhaltlichen Vorstellung des Gesetzes will ich mich auf einige wenige Punkte konzentrieren. Zunächst sei auch festgestellt, dass es Vorhaben enthält, die nicht zu den Lieblingsprojekten der Liberalen zählen. Auf die nach EU-Recht umzusetzende EU-Sonderabgabe auf Vorschlag von Frau von der Leyen hätten wir ebenso gerne verzichtet wie auf die – verfassungsmäßig aber gebotene – Neubewertung von Immobilien im Rahmen der Erbschaftsteuer. ({2}) Auch wir halten es für nicht fair, wenn der Staat hier von einer höheren Bewertung der Immobilien zusätzlich profitiert. Allerdings ist die Kritik der Union an Bundesfinanzminister Christian Lindner sehr scheinheilig. Ihm ein Interesse zu unterstellen, eine reine Ländersteuer zu erhöhen, das ist schon merkwürdig. ({3}) So leidensfähig ist in meinen Augen auch Christian Lindner nicht, dass er sich freiwillig verprügeln lässt für etwas, von dem ausschließlich andere profitieren. ({4}) Die Union ist aufgefordert, hier über die Länder eine Änderung herbeizuführen; unsere Unterstützung haben Sie dabei. ({5}) Nun aber zu den erfreulicheren Punkten dieses Gesetzes. Kernpunkt des Jahressteuergesetzes sind die Neuregelungen zur Photovoltaik. Wenn wir die Energiewende ernst nehmen, dann müssen wir das riesige Potenzial der dezentralen Stromversorgung aus Photovoltaik nutzen. Das gehen wir an zwei Fronten an: Wir machen in deutlich höheren Grenzen als bisher Erlöse und Entnahmen aus diesen Anlagen bei der Ertragsteuer steuerfrei, und zwar rückwirkend zum 1. Januar 2022. Darüber hinaus entbürokratisieren wir diesen Prozess im Hinblick auf die Umsatzsteuer sehr deutlich; ganz lange bestehende Hürden werden endlich abgebaut. Zukünftig wird es bestenfalls so sein, dass der Bürger, der eine solche Anlage installiert, mit dem Finanzamt deshalb nichts mehr zu tun haben wird. Das ist Entbürokratisierung. ({6}) Zweiter Punkt. Wir hatten uns auch gemeinsam vorgenommen, die Regelungen zum Homeoffice und zum Arbeitszimmer zu vereinfachen. Das ist uns gelungen, indem wir die Anzahl möglicher Fallkonstellationen in diesem Bereich signifikant auf eigentlich nur noch zwei Varianten reduziert haben. Zukünftig werden die Jahrespauschalen dann 1 260 Euro betragen. Das entspricht einer Tagespauschale von 6 Euro; das ist also auch noch mal erhöht und zusätzlich entfristet worden. Durch die Neuregelung erhoffen wir uns auch sehr viel mehr Rechtssicherheit und weniger Streit zwischen Steuerbürgerinnen und ‑bürgern und der Verwaltung. Dritter Punkt, auf den ich zu sprechen kommen möchte. Der Koalitionsvertrag sieht vor, die Klimawende voranzutreiben und neuen Wohnraum zu schaffen, und in beiden Bereichen werden wir aktiv. Wir erhöhen die lineare Abschreibung für Investitionen in Mietgebäude auf 3 Prozent – eine Forderung, die wir Liberalen schon lange erheben. ({7}) Darüber hinaus nehmen wir die Sonder-AfA für Investitionen in Mietwohnungsneubau neu in den Blick, die Ende 2021 eigentlich ausgelaufen ist. Wir bieten Bauherren ab 2023 eine neue Sonder-AfA an, die aber als zusätzliches Kriterium auch an die Einhaltung des Klimaschutzstandards EH 40 geknüpft ist. So verbinden wir beides miteinander: Klimaschutz und Bauen. Außerdem entlasten wir weiter. Endlich wird der Sparerfreibetrag auf 1 000 Euro erhöht – eine längst überfällige Maßnahme. Und wir gehen einen ersten Schritt im Hinblick auf die Vermeidung der Doppelbesteuerung bei Rentnern, indem die vollständige Absetzbarkeit der Beiträge zur Rentenversicherung vorgezogen wird. Weitere Schritte werden diesbezüglich folgen. Außerdem erhöhen wir nochmals den Werbungskostenpauschbetrag sowie den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende um 252 Euro auf jetzt 4 260 Euro. ({8}) Alle vier Vorhaben stellen weitere Entlastungen dar. Modernisieren, vereinfachen, entlasten: Diesen Dreiklang der Koalition führen wir auch mit diesem Gesetz fort. Herzlichen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Antje Tillmann hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Antje Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003646, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, Herr Kollege Herbrand, dieses Gesetz hat durchaus Regelungen, denen wir zustimmen können. Das betrifft die Verbesserungen beim Wohnungsbau. Wir brauchen bezahlbaren, energieeffizienten und auch mehr Wohnraum; deshalb ist die Sonder-AfA richtig, die Sie auf den Weg bringen, um Wohnungsneubau anzureizen. ({0}) Wir finden auch richtig, dass die Gebäude-AfA auf 3 Prozent erhöht wird und dass Sie im Laufe des Verfahrens nun doch dazu gekommen sind, den Nachweis einer kürzeren Nutzungsdauer zuzulassen. Besser wäre gewesen, wenn Sie in dem Gesetz auch das System des anschaffungsnahen Herstellungsaufwands geschliffen hätten; denn auch das sind Hemmnisse für die Sanierung. Auch richtig finden wir, dass die Riester-Rente genutzt werden kann, um Gebäude energetisch zu sanieren. ({1}) Bei der Photovoltaik stehen wir bei Ihnen. Wir fordern seit Langem, dass Photovoltaikanlagen auf Gebäuden nicht zu zusätzlicher Bürokratie führen dürfen. Es ist richtig, den Mehrwertsteuersatz auf null zu reduzieren und trotzdem den Vorsteuerabzug zuzulassen. Unserem Antrag, das Ganze von Juli auf Januar 2023 vorzuziehen, sind Sie ebenfalls gefolgt. Herzlichen Dank dafür! Auch ein paar Freibeträge werden erhöht, zum Beispiel der Sparerpauschbetrag auf 1 000 Euro. Der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende wird angehoben; das ist gut. Ob die 30 Euro mehr beim Arbeitnehmerpauschbetrag den Braten fett machen, weiß ich jetzt nicht. Aber auch dem würden wir zustimmen. Auch das Vorziehen der Absetzbarkeit von Rentenversicherungsbeiträgen ist richtig und verfassungsrechtlich geboten, aber leider nur die Hälfte des Versprechens. Die spätere Versteuerung der Renten haben Sie in diesem Gesetz nicht durchgesetzt. ({2}) Ich bin sehr gespannt, ob das noch kommen wird. Leider haben all diese Vergünstigungen aber einen Wermutstropfen: Sie machen diese zusätzlichen Entlastungen nämlich alle zulasten der Schuldenbremse. Auf meine Frage im Finanzausschuss, wie Sie die kurzfristig eingeführten Steuerentlastungen denn finanzieren wollten, da der Haushalt ja schon längst verabschiedet ist, haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, amüsiert zwischengerufen: Durch zusätzliche globale Mehreinnahmen. – Ich finde das gar nicht witzig. Denn das zeigt ganz klar, wie Sie mit dem Haushalt umgehen und dass die Schuldenbremse Ihnen nichts mehr wert ist. Ehrlich gesagt habe ich nicht damit gerechnet, dass es ausgerechnet ein Finanzminister der FDP sein wird, der die Schuldenbremse schleift. Das ist sehr, sehr traurig. ({3}) Aber es gibt auch eine ganze Reihe von Gründen, die dazu führen, dass dieses Gesetz heute von uns abgelehnt wird. Ich nenne die Dezemberhilfe. Gut, dass Bürgerinnen und Bürger hoffentlich bald von den hohen Energiepreisen entlastet werden. Wir haben zugestimmt, dass sie den Dezemberenergieabschlag erstattet bekommen. Und es ist irgendwie auch nachvollziehbar, dass Sie Gerechtigkeit herstellen wollen und deshalb eine Steuerpflicht dieser Beträge wollen. Aber niemand von Ihnen – einschließlich des BMF – konnte mir im Ausschuss erklären, wie diese Steuerpflicht umgesetzt werden soll. ({4}) Die Pflichten werden auch erst nächstes Jahr in einem Gesetz verabschiedet. Und da steht drin: Stadtwerke oder alle Vermieterinnen und Vermieter sollen Namen und Adressen des Kunden an eine noch zu bestimmende Stelle schicken. Das BZSt soll dann die Steuer-ID zusteuern, und irgendjemand soll dann bei 20 Millionen Gasverträgen prüfen, ob der Letztverbraucher vielleicht auch noch Solidaritätszuschlagszahler ist. ({5}) Das ist eine Bürokratie, bei der jetzt schon die Stadtwerke sagen: Es ist nicht leistbar. – Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie das gehen soll. Der Ehrliche, der selber angibt und versteuert, wird der Dumme sein. ({6}) In der Anhörung ist gesagt worden: Die Stadtwerke werden schon den Richtigen treffen. – Selbst die Steuergewerkschaft sagt: Bei der Dezemberhilfe wird es zu Ungerechtigkeiten kommen. – Da ist aus meiner Sicht Nichtbesteuerung schon deutlich gerechter als das, was Sie hier vorhaben. Noch krasser zeigt sich beim Energiesoli, beim Energiekrisenbeitrag, wie Sie mit Rechtsstaatlichkeit umgehen. Über Monate haben wir alle vermieden, diesen Solidarbeitrag als Abschöpfungssteuer zu bezeichnen, weil wir dann in der EU ein Einstimmigkeitsprinzip gehabt hätten. Steuermaßnahmen müssen auf EU-Ebene einstimmig beschlossen werden. Wir wussten, dass wir diese nicht kriegen. Jetzt wird in dem Gesetzentwurf auf eine Ermächtigungsvorschrift, Artikel 122 AEUV, verwiesen, die auf die Einstimmigkeit verzichtet. Aber was machen Sie? Sie schreiben im Steuergesetz: Dieser Solidarbeitrag ist eine Steuer. – Alle Sachverständigen, auch Ihre, haben das in der Anhörung problematisiert. Wir gehen in eine große Rechtsunsicherheit. Wir wissen, dass dieses Gesetz beklagt werden wird. Wir werden 1 Milliarde bis 3 Milliarden Euro vermutlich wieder zurückzahlen müssen. Aber vielleicht ist das auch der neue Trick zur Umgehung der Schuldenbremse, dass wir mit Einnahmen kalkulieren, sie auch ausgeben, obwohl wir genau wissen, dass wir sie zurückzahlen müssen. Dieses Risiko werden wir nicht verantworten. Das müssen Sie tun. Auch aus diesem Grund werden wir dieses Gesetz ablehnen. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion hat Parsa Marvi das Wort. ({0})

Parsa Marvi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005143, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Satte 18 Verhandlungsrunden und unzählige Gespräche liegen im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens hinter uns. Die intensive Arbeit von uns als Ampelfraktionen an diesem Jahressteuergesetz hat sich gelohnt: Wir haben dieses gute Gesetz noch einmal deutlich verbessern können. ({0}) Wer sind nun die Gewinnerinnen und Gewinner unserer Verhandlungen? Gewonnen haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die entlastet werden. Gewonnen hat der Wohnungsbau, den wir sozial- und klimagerecht fördern. ({1}) Gewonnen hat die Energiewende durch weniger Bürokratie bei Photovoltaikanlagen. Und gewonnen hat die Solidarität bei der Krisenbewältigung durch die Abschöpfung von Zufallsgewinnen. Dafür machen wir gerne Politik, meine Damen und Herren. ({2}) Wir haben insgesamt eine Menge für die Beschäftigten erreicht: Vorziehen des 100-prozentigen Steuerabzugs für Altersvorsorgeaufwendungen auf 2023, Anhebung des Ausbildungsfreibetrags, Anhebung des Sparerpauschbetrags – genau wie im Koalitionsvertrag festgelegt. Wir heben neu den Arbeitnehmerpauschbetrag zusätzlich an, und auch die Homeoffice-Pauschale auf maximal 1 260 Euro und damit 260 Euro höher als im Regierungsentwurf. Und auch das ist neu gegenüber dem Regierungsentwurf – das hat mein Kollege Herbrand schon ausgeführt –: Wir vereinheitlichen für unzählige Beschäftigte die Homeoffice-Pauschale und das sogenannte häusliche Arbeitszimmer – ein Paragraf, der mir auch im Studium immer wieder begegnet ist – zu einer einheitlichen Tagespauschale. Somit muss in ganz vielen Fällen kein abgeschlossenes Arbeitszimmer mehr vorgehalten werden. Das vereinfacht den Zugang für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und vereinfacht das Steuerrecht. Wir reden nicht nur über sinnvolle Vereinfachung des Steuerrechts, wir setzen sie als Ampel auch endlich in die Tat um, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Das haben wir mit Ihnen von der Union nicht hinbekommen. Wir setzen mit diesem Gesetz den EU-Energiekrisenbeitrag um. Darüber haben wir als SPD schon vor Monaten gesprochen, endlich können wir hier einen Knopf dranmachen. Wir orientieren uns eng an den EU-Vorgaben. Und ich finde es ausdrücklich gut, dass wir den Besteuerungszeitraum auf 2022 und 2023 festgelegt haben und auch Vorkehrungen treffen, damit Unternehmen zum Beispiel nicht über das Instrument von Umwandlungen unter den Radar des Gesetzes kommen. Endlich werden Zufallsgewinne von Kohle-, Öl- und Energieunternehmen für eine solidarische Krisenbewältigung herangezogen. Das ist ein ganz wichtiger Beitrag für mehr Steuergerechtigkeit, meine Damen und Herren. ({4}) Und schließlich haben wir genauer hingeschaut bei der Besteuerung der Nutzung und Überlassung von Rechten an einem inländischen Register. Das sind zum Beispiel Lizenzgeschäfte, die in einer digitalen Wirtschaftswelt immer wichtiger werden. Wir wollen, dass der Besteuerungsanspruch für die sogenannten Innerkonzernfälle nicht, wie im Regierungsentwurf vorgesehen, in vielen Fällen entfällt, sondern dass neben der schmal geschnittenen EU-Steueroasenliste eine eigene nationale Liste für Nicht-DBA-Staaten in einem weiteren Gesetzgebungsverfahren erarbeitet wird. Wir haben nichts gegen einfache Handhabung in der Praxis, aber wir wollen potenziellen Steuergestaltungen einen Riegel vorschieben. So weit reicht jedenfalls unsere sozialdemokratische Vorstellungskraft, meine Damen und Herren. ({5}) Alles in allem verabschieden wir heute ein gutes Gesetzespaket, für das die Ampelfraktionen einen wesentlichen Beitrag geleistet haben. Mein herzlicher Dank gilt meinen Mitberichterstattern Michael Schrodi, Tim Klüssendorf und Bernhard Daldrup, den Kolleginnen und Kollegen der Ampelfraktionen, unseren tollen Leuten in den Fraktionsbüros, den Referentinnen und Referenten, dem Sekretariat des Finanzausschusses und natürlich dem Bundesministerium der Finanzen für die gute Zusammenarbeit. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jörn König ist der nächste Redner für die AfD-Fraktion. ({0})

Jörn König (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004788, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Steuerzahler! Die Erarbeitung des Jahressteuergesetzes war ein Tiefpunkt des deutschen Parlamentarismus. Sie, werte Ampel, haben den Skandal der GroKo aus dem Jahr 2019 noch einmal getoppt. Damals waren es 32 Änderungsanträge, die um 21 Uhr kamen, die über Nacht durchgearbeitet werden mussten. Diesmal waren es 39 Änderungsanträge, von denen der letzte erst zwei Minuten vor der Ausschusssitzung bei uns ankam, und in der Sitzung sollte man dann sach- und fachkundig darüber diskutieren und entscheiden. Ein absolutes Ding der Unmöglichkeit. So geht man mit Abgeordneten nicht um. ({0}) Im vorliegenden Jahressteuergesetz gibt es viele gute Dinge, einen Skandal und ein paar schlechte Bestimmungen. Gut sind die neuen Bestimmungen zum Grundrentenzuschlag, zum häuslichen Arbeitszimmer, zur Homeoffice-Pauschale, zur Gebäude-AfA, zu Altersvorsorgeaufwendungen, zum Riester-Verfahren, zu den Verlusten bei Kapiteleinkünften ({1}) sowie die Anhebung vieler Freibeträge wie der Ausbildungsfreibetrag und der Sparerpauschbetrag; Herr Marvi hat es ja gerade gesagt. Auch die Ertrags- und Umsatzsteuerbefreiung für die Photovoltaik ist gut ({2}) – ja, weil wir eben nicht darüber diskutieren konnten, Herr Schmidt – ({3}) – ich finde es trotzdem gut; wir glauben nicht an den menschengemachten Klimawandel –, aber damit ist leider noch nicht das Problem bei den bestehenden Anlagen gelöst. Wir fordern in unserem beigestellten Antrag einen Vertrauensschutz bei der Besteuerung dieser Anlagen. Denn es ist paradox: Bei der Errichtung der Altanlagen war eine Steuerpflicht auferlegt, aber die steuerlichen Verluste ab 2018 werden nicht anerkannt. Ich komme aus Niedersachsen, und für unsere Landwirte ist es ein bitteres Zeichen, dass auf die Bundesregierung kein Verlass ist. Die Fortsetzung der Tarifglättung nach § 32c Einkommensteuergesetz hätte als einkommensförderliches Zeichen der langfristigen Solidarität zwingend in dieses Gesetz gehört. ({4}) So, wie es jetzt ist, bedeutet es nämlich Nettoeinkommensverluste für die Landwirtschaft. Die Ampel nimmt den Landwirten dieses erst kürzlich eingeführte Instrument wieder aus der Hand, frecherweise ohne eine Ersatzlösung anzubieten. ({5}) Schlecht ist zum Beispiel die faktische Erhöhung der Erbschaftsteuer bei Immobilien, und auch den direkten Zahlungsweg sehen wir skeptisch, obwohl jetzt eine freiwillige Lösung angewendet wird. Kommen wir zum Skandal. Die Ampel führt im Omnibusverfahren eine neue Steuer ein und nennt es EU‑Energiekrisenbeitrag. Im Grunde ist das die umstrittene Übergewinnsteuer in einer Tarnkappe. Hierzu zitiere ich den ehemaligen Vorsitzenden des Ersten Senates des Bundesfinanzhofes, Professor Dr. Gosch, in seiner Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung: Art. 122 Abs. 1 AEUV bietet weder aus materiellen noch aus formalen Gründen eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für einen befristeten Solidaritäts-/Energiekrisenbeitrag nach Art. 14 bis 19 der EU-Verordnung. Geplante Maßnahme unterläuft die Verfahrensanforderungen und kollidiert mit vorrangigen Normen des AEUV … Es gibt „offene, vieldiskutierte und auf der Hand liegende Verfassungsfragen (Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Grundgesetz)“. Zitat Ende. Kann man so machen. Auch die beiden anderen Sachverständigen haben genau diese Fragen problematisiert. Auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen riet noch in seinem Gutachten vom Juli 2022 dringend davon ab, eine kurzfristig politisch opportun erscheinende, aber langfristig schädliche Übergewinnsteuer einzuführen. ({6}) Das Ganze war uns so wichtig, dass wir über diesen Punkt eine getrennte Abstimmung verlangen. Wir lehnen die Übergewinnsteuer in der Tarnkappe des EU‑Energiekrisensolidarbeitrages ab. Dem Entschließungsantrag der Union stimmen wir zu. Dem Gesetz würden wir zustimmen, wenn diese Bestimmung zur EU‑Energiekrise herauskommt; ansonsten werden wir uns enthalten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Rednerin ist Katharina Beck für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Katharina Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005019, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Ich habe gerade einen ganz tollen neuen Begriff für „Sammelsurium“, „Potpourri“, „Gesetze, die viele Dinge regeln“ gelernt, nämlich „Gesamtkunstwerk“; vielen Dank dafür, lieber Markus Herbrand. Denn dieses Jahressteuergesetz vereint unfassbar viele Regeln unterschiedlicher Natur, und man kann dieses Gesamtkunstwerk unter zwei Stichworten zusammenfassen: echte Innovationskraft und zusätzliche Entlastung, die diesem Land wirklich guttun. ({0}) Es hat echte Innovationskraft. Wir haben 39 Punkte hier im Parlament noch mal nachgeschärft mit all den Menschen, die daran beteiligt waren. Es gab tolle Entwürfe aus dem BMF, aber eben auch hier im Parlament. Umsatzsteuerbefreiung der PV, sogar rückwirkend für dieses Jahr. Wenn man eine Solaranlage auf seinem Dach installiert, wird das rückwirkend schon für dieses Jahr mit 0 Prozent besteuert. Das ist viel weniger Bürokratie, und das ist langfristig einfach toll für den Standort Deutschland, für die bessere Nutzung erneuerbarer Energien und für die dezentrale Energieversorgung. Entlastungen haben wir nicht nur für die Rentenbeitragszahlerinnen und ‑zahler und Sparerinnen und Sparer vorangetrieben, was sowieso vereinbart war, sondern wir heben – zwar klein, aber immerhin – auch den Arbeitnehmerpauschbetrag noch mal an. Was ganz besonders wichtig ist – ich glaube, auch gerade nach der Coronakrise, die Familien und Menschen mit Kindern so stark getroffen hat –: Den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende heben wir auch noch mal an, nämlich um 252 Euro. ({1}) Mir persönlich als für Immobilienbesteuerung Zuständige ist auch besonders wichtig, dass wir endlich „Öko“ und „Sozial“ in diesem Gesetz verbinden. Wir heben nicht nur die Neubau-AfA an, sondern führen zusätzlich on top eine Sonder-AfA in Höhe von 5 Prozent der Herstellungskosten ein, was wir hier im Parlament erarbeitet haben; das hat nicht nur einen sozialen Anreiz, sondern auch einen ökologischen. So hat man dann im Endeffekt auch im unteren Preissegment endlich Wohnungen, die so gut gedämmt sind, dass es nicht so teuer ist, zu heizen. Das geht super zusammen, und ich freue mich, dass wir diese Innovationskraft endlich mal nutzen und aufzeigen, dass das geht. Vielen Dank an alle Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Zum Energiekrisenbeitrag. Es ist historisch; vor einem halben Jahr hätte niemand gedacht, dass wir als Ampel die Mineralölkonzerne an der Bewältigung dieser Krise beteiligen. Das ist schon historisch, und ich danke allen, die da über ihren Schatten gesprungen sind. ({3}) Wir werden hier die Bemessungsgrundlage und den Steuersatz so übernehmen, wie es von der EU vorgeschlagen worden ist. Wir haben im Parlament aber die Paragrafen genau gelesen und bei den Umwandlungen noch einen Umgehungstatbestand ausgeräumt. Hier waren wir gemeinsam sehr gut unterwegs. Außerdem senden wir – das möchte ich noch sagen – ein tolles Signal an den Markt, indem wir den Beitrag nicht nur ein Jahr, sondern zwei Jahre erheben. Denn bis das Kartellrecht endlich nachgeschärft ist, ist es sehr gut, dass dieses Instrument wie eine Art Brücke wirkt, ({4}) damit der Marktmacht der Konzerne, die die Preise so gut setzen können, ein Riegel vorgeschoben wird. Vielen Dank dafür. ({5}) Zum Schluss möchte ich mich explizit bei allen Beteiligten, vor allem aber bei unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Büros, in den Fraktionen, im BMF, bedanken. Sie waren in sehr vielen Nachtschichten mit involviert, und das ist wirklich nicht selbstverständlich, aber toll bei so vielen tollen Dingen, die wir hier für das Land voranbringen. Zum Schluss:

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, das war schon der Schluss.

Katharina Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005019, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte, dass wir im Bundesrat sehr schnell damit fertig werden, damit diese Entlastungen und Innovationsanreize für das Deutschland, in dem wir gerne leben, schnell vorankommen. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Christian Görke spricht für Die Linke. ({0})

Christian Görke (Unbekannt)

Politiker ID: 11005067

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Jahressteuergesetz ist immer ein ganzer Wust von verschiedensten Maßnahmen, aus unserer Sicht mit viel Licht, aber auch ordentlich Schatten. Sie planen ein echtes Novum im Umsatzsteuerrecht: 0 Prozent Umsatzsteuer auf die Lieferung von Photovoltaikanlagen. Gut so, das unterstützen wir als Linke ausdrücklich. ({0}) Doch stellt sich die Frage: Warum nur dort eine Umsatzsteuerbefreiung? Landwirtschaftsminister Özdemir hat jüngst bei „Maybrit Illner“ wiederholt, Obst und Gemüse von der Umsatzsteuer befreien zu wollen. Er sagte, das sei sozial, wirtschaftlich und klimapolitisch sinnvoll. Wir sagen: Richtig. Doch sind wir im Gegensatz zur Ökopartei – Frau Beck, wir wollen natürlich Öko und Sozial verbinden – dafür, dass wir alle Grundnahrungsmittel von der Steuer befreien, ({1}) nicht nur Obst und Gemüse, sondern auch Butter, Brot, Milch und Eier. Meine Damen und Herren, Grundnahrungsmittel, die auch in der Krise jeder braucht, müssen bezahlbar sein und dürfen nicht mit einer Steuer weiter verteuert werden, woran auch noch dieser Finanzminister verdient. Das dazu. Meine Damen und Herren, manchmal denke ich, in diesem Land gilt das Motto „Nur wer hat, dem wird gegeben“. Weit gefehlt! Es wurde noch besser: Wer in der Krise Abermilliarden verdient, dem wird auch nicht mehr genommen. Thema Übergewinnsteuer. Damit komme ich zu Ihnen, meine Damen und Herren von der Ampel. Man musste Sie regelrecht zwingen, zumindest die EU, dass Sie die überschäumenden Gewinne der Energiekonzerne mit der Suppenkelle abschöpfen, und jetzt kommt raus: Sie nehmen nicht mal einen Dessertlöffel statt der Suppenkelle. Denn Sie sind offensichtlich vor den Energielobbyisten eingeknickt. Seit Januar klingeln die Kassen der Energiekonzerne, und Sie lassen sage und schreibe Milliarden Euro Krisengewinne der Stromproduzenten in 2022 nahezu unbesteuert durchlaufen. ({2}) Elf Monate Kriegsgewinne frei Haus, während die Menschen, unter anderem in meinem Bundesland Brandenburg, Angst vor der nächsten Abrechnung haben. Wie ungerecht ist das denn, meine Damen und Herren? ({3}) Nicht anders ist es beim Öl und Gas. Sie folgen auch hier nur dem Minimalkompromiss der EU und öffnen zudem noch mit dem Gesetz den Konzernen Tür und Tor, um ihre Gewinne kleinzurechnen. Die Deutschen haben in diesem Jahr 2022 ungefähr 60 Milliarden bis 80 Milliarden Euro mehr für Gas, Öl und Benzin bezahlt. Diese 60 Milliarden bis 80 Milliarden Euro sind überwiegend als Gewinne bei den Mineralölkonzernen angekommen. Und Sie wollen allen Ernstes bei Öl und Gas nur maximal 1 Milliarde bis 3 Milliarden Euro davon abschöpfen. ({4}) Meine Damen und Herren, das ist nicht nur skandalös; angesichts der Äußerungen von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD ist das eigentlich auch beschämend. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Bernhard Daldrup spricht jetzt für die SPD-Fraktion. ({0})

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn über 70 Änderungsanträge der Ampel und des Bundesrates in über 18 Gesprächen der Koalitionäre mit dem Ministerium diskutiert werden, dann zeigt das die Komplexität des Jahressteuergesetzes, aber auch – das nehme ich für uns in Anspruch – die Ernsthaftigkeit, mit der wir den Anliegen Rechnung tragen wollen. Deswegen herzlichen Dank an alle Beteiligten, differenziert wie eben schon mal vorgetragen. Dem schließe ich mich ausdrücklich an. ({0}) Ich kann in meiner begrenzten Zeit nicht über alle Punkte reden. Deswegen treffe ich nur eine Feststellung, was zum Beispiel die Frage des EU‑Krisenbeitrages und andere Dinge angeht. Die Union und die Ampel haben in diesen Fragen eine unterschiedliche Vorstellung von Gerechtigkeit. ({1}) – Nein, wir haben einen Maßstab von Gerechtigkeit, der sozusagen die Leistungsfähigkeit der Betroffenen einbezieht. Die wollen Sie auf diese Art und Weise nicht, und das ist ein Unterschied. Das stelle ich hier fest, und ich werde darüber auch gerne öffentlich reden. ({2}) – Ja, man muss das auch mal öffentlich sagen. Ich bin mit den Ergebnissen dieser Beratungen zum Jahressteuergesetz wirklich zufrieden und will das am Beispiel der Wohnungspolitik erläutern. ({3}) Die Wohnungspolitik gehört zu den Schwerpunkten dieser Regierung. Ja, der Motor ist ein bisschen ins Stocken geraten. Nun stellt sich die Frage: Kann über das Jahressteuergesetz im Zeitalter des Klimawandels sozusagen ein neuer Impuls ausgelöst werden? Denn die Regierung macht in diesen Bereichen bereits eine Menge. Es gibt Milliardenprogramme für die Sanierung von Wohngebäuden. Es gibt große Beträge für den Bau bezahlbarer Wohnungen und auch für die Eigentumsförderung. Wie hilft das Jahressteuergesetz in dieser Situation?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage aus der AfD zulassen?

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. – Erstens. Wir erhöhen – das haben schon mehrere gesagt – wie im Koalitionsvertrag vereinbart die lineare Abschreibung von Wohngebäuden von aktuell 2 auf 3 Prozent zum 1. Januar 2023. Seit Jahren gefordert – setzen wir das jetzt in dieser Ampel um. ({0}) Zweitens. Gleichzeitig bleibt die Möglichkeit erhalten, eine Schrottimmobilie durch den Nachweis einer tatsächlich kürzeren Nutzungsdauer schneller abzuschreiben. Wir folgen einem begründeten Wunsch der Wohnungswirtschaft, auch des Bundesrates. Richtig so. Drittens. Um einen klimapolitischen zusätzlichen Impuls zu geben, legen wir eine Sonder-AfA mit deutlichem Akzent zur Stärkung des Baus von bezahlbaren und klimagerechten Mietwohnungen auf. Innerhalb von vier Jahren können 5 Prozent der Herstellungskosten für neugeschaffene Mietwohnungen steuerlich abgesetzt werden, wenn die Anforderungen – EH 40/QNG – erfüllt sind. Um nicht den Bau von Luxuswohnungen steuerlich zu begünstigen, setzen wir eine Obergrenze von 4 800 Euro pro Quadratmeter und setzen einen AfA-Satz von 2 500 Euro pro Quadratmeter ein. Das ist, glaube ich, sehr vernünftig, und ich bin allen Beteiligten sehr dankbar, dass wir das gemeinsam hinbekommen werden. ({1}) Und wir verknüpfen diese Energieziele auch mit sozialen und demografischen Komponenten. Wir alle kennen den Wohn-Riester. Mit den Mitteln kann man eine Wohnung oder ein Haus altersgerecht umbauen, damit Menschen länger gut in ihrer Wohnung leben können. Nicht möglich war es bisher, den Riester auch für energetische Sanierung am selbstgenutzten Wohngebäude einzusetzen. Künftig geht das. Ich finde, das ist vernünftig, zumal dahinter ein Milliardenvolumen, das der Wohnungswirtschaft zugutekommen kann, steht. ({2}) Mein Kollege Klüssendorf wird gleich noch das Thema Photovoltaik vertiefen, das hier schon mehrfach angesprochen worden ist, und darauf eingehen, wie wir es fördern wollen auf dem Weg vom Energie verbrauchenden zum Energie schaffenden Haus. Da haben wir ein grundlegend anderes Verständnis, und ich bin sehr froh darüber, dass wir diese rückwirkende Steuerbefreiung für Kleinanlagen usw. hinbekommen haben. Tolle Sache! Eine kurze Bemerkung will ich noch an die Bauwirtschaft richten, wenn das gestattet ist. Wenn 300 000 Wohnungen gebaut werden, ist das ein guter Erfolg. Wenn das aber ins Stocken gerät, müssen wir uns die Frage stellen, was eigentlich an Produktivitätsfortschritten in der Bauwirtschaft möglich ist und ob diese Potenziale schon ausgeschöpft sind. Das sind sie meines Erachtens nicht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist eine Frage, die die Bauwirtschaft auch selber lösen muss. Leider ist meine Redezeit zu Ende.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ja, das ist richtig. Einsicht kommt vor der Besserung.

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Deswegen höre ich jetzt auch auf, zu reden. Ich glaube, dass wir was Gutes hinbekommen haben. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Gottschalk hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Bitte schön. ({0})

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Demokratie tut weh, insbesondere wenn Sie sich immer so demokratisch verhalten und keine Zwischenfragen meiner Fraktion zulassen. ({0}) Herr Kollege Daldrup, habe ich Sie richtig verstanden – aufgrund der Äußerung der Kollegin Tillmann, die sehr gut ausgeführt hat, dass Rückforderungsrisiken bestehen bezüglich Ihrer Ermächtigungsgrundlage; mein Kollege Jörn König hat es eben ausgeführt –, dass es der linken Doktrin und Ideologie hier im Hause entspricht, wenn man es also nur mit dem Begriff und dem Etikett „Gerechtigkeit“, und zwar nach Ihrer Definition, bezeichnen kann, dass man dann Rechts- und Verfassungsbruch begehen kann, ähnlich wie wir es gerade auf den Straßen in Deutschland erleben? Das heißt also, Sie haben schon verstanden, implizit, dass Sie über den Artikel 122 AEUV die falsche Ermächtigungsgrundlage genommen haben – sie heißt ja Energienotverordnung – und daraus eine Übergewinnsteuer – Frau Tillmann hat es ausgeführt – ableiten. Sie sind sich also dessen klar – das haben Sie eben ausgeführt – und gehen offen in einen Verfassungsbruch. Dann würde ich vielleicht Herrn Haldenwang den Tipp geben, mal genauer bei der SPD hinzuschauen als laufend bei uns oder vielleicht auch bei den Straßenklebern und nicht immer bei den Menschen, die gegen Ihre Coronapolitik demonstrieren. Wenn Sie mir das erläutern, wäre ich sehr dankbar. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möchten Sie antworten, Herr Daldrup? – Bitte schön.

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann ganz kurz antworten, Herr Gottschalk. Sie haben mit der Frage angefangen, ob Sie mich richtig verstanden haben, und haben hinterher sozusagen die Kurve gekriegt und gefragt, ob ich Sie richtig verstanden habe. Ich weiß jetzt nicht, was Sie verstanden haben und was Sie nicht verstanden haben. ({0}) Das können wir bei Gelegenheit noch mal klarstellen. Ich weiß sehr wohl, dass die Fähigkeit, etwas zu verstehen, bei Ihnen nicht von der Beratungszeit abhängt. Danke schön. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat Sebastian Brehm für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jahressteuergesetze sind ja immer komplexe Angelegenheiten. Beim diesjährigen Jahressteuergesetz hatte allein der Referentenentwurf 142 Seiten. Es gab 70 Änderungsanträge; Kollege Daldrup hat es erwähnt. 16 verschiedene Gesetze und Verordnungen werden umfasst. Letztlich handelt es sich eben doch um ein Sammelsurium wie in jedem Jahressteuergesetz. ({0}) Und eines muss man der Ampel lassen: Ihr ist es in diesem Jahr gelungen, einen gewissen roten oder rot-gelb-grünen Faden in all diese Änderungen zu bringen. ({1}) – Klatschen Sie nicht zu früh! – Der rote Faden ist: Fast alle Änderungen sind in irgendeiner Weise unstimmig, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Erstens: Praxisuntauglichkeit der Vorschriften. ({3}) Zweitens: mutmaßliche Verfassungswidrigkeit von Vorschriften. Drittens: offener Wahlbetrug, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Ich will das nicht nur behaupten, sondern ich will jede Unstimmigkeitsart auch mit einem konkreten Beispiel versehen, angefangen – erstens – mit der fehlenden Praxistauglichkeit. ({5}) Die von der Ampel vorgenommene Besteuerung der Energiepreispauschale für Rentnerinnen und Rentner sowie die Besteuerung des Gasabschlags sind handwerklich so schlecht, dass die Bundesländer sogar drohen mussten oder drohen werden, in den Vermittlungsausschuss zu gehen, weil sie fürchten, dass damit eine überbordende Bürokratie verbunden ist ({6}) und das Veranlagungsverfahren in den Finanzämtern stocken wird. Herr Marvi, Sie haben gesagt, Sie hätten irgendwie vereinfacht. Was Sie hier machen, bedeutet pures Verwaltungsbürokratiechaos. Darunter muss man das subsumieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Zweitens: die Verfassungswidrigkeit. Der fachlich nicht zuständige Wirtschaftsminister hat mit seinen Beratern auf der falschen Rechtsgrundlage eine diskriminierende Übergewinnsteuer geschaffen, die in einigen Fällen sogar zu erheblichen Besteuerungen führen wird. Wenn man schon Umverteilung vornehmen will, dann muss man es wenigstens richtig machen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und zwar auch fachlich richtig. In der öffentlichen Anhörung am Montag haben die Sachverständigen keinen Zweifel daran gelassen, dass das, was die Ampel hier plant, unionsrechtswidrig und verfassungswidrig ist. Wir werden sehen, wie das ausgeht. Drittens: der offene Wahlbetrug. Die FDP hat im Wahlkampf versprochen: „Es wird keine Steuererhöhungen geben“, ({8}) und hat gesagt – ich kann nur wiederholen, was ich gestern in der Debatte zitiert habe –: „Steuererhöhungen sind Sabotage am Aufschwung.“ ({9}) Erst am 28. November – das muss man einfach auch noch mal heute hier erwähnen – hat der Bundesfinanzminister Christian Lindner beim Zentralverband des Deutschen Handwerks gesagt: „Wir sind in der Vorweihnachtszeit: Fürchtet euch nicht.“ ({10}) – Man muss das noch mal wiederholen; denn das ist erst vor vier Tagen gesagt worden. ({11}) – Sie lachen, aber die Menschen da draußen lachen nicht, weil Sie mit Ihren Händen tief in die Geldbeutel der Menschen greifen ({12}) und ihnen das hart ersparte Geld wegnehmen. ({13}) Das ist die Wahrheit. Wenn Sie hier lachen, lacht draußen überhaupt niemand mehr, weil die Menschen kalt enteignet werden, ({14}) und zwar von der FDP und dem Bundesfinanzminister Christian Lindner, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({15}) Das ist quasi ein Kleben in den Geldbeutel der Menschen – im übertragenen Sinn, wenn Sie das Wording vielleicht verstehen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möchten Sie, Herr Kollege, eine Zwischenfrage zulassen?

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich gerne.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte sehr.

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Herr Kollege Brehm, ich bin, wie ich bekennen muss, großer Bewunderer der bayerischen Tradition, auch im Bierzelt politische Reden zu halten, und nehme auch gern Anteil daran, dass es Ihnen regelmäßig gelingt, ausgerechnet in der trockenen Steuerpolitik diese gute bayerische Tradition sogar in den Plenarsaal des Deutschen Bundestages zu tragen. Herzlichen Glückwunsch dazu! ({0}) Früher war es so, dass die Union, wenn das Bundesverfassungsgericht bestimmte Dinge verlangt hat, zumindest noch ein bisschen zugehört hat. Das spielt für Sie beim Thema Erbschaftsteuer gar keine Rolle mehr. Ich will Sie jetzt aber etwas anderes fragen. Das Jahressteuergesetz wird im Bundesrat behandelt werden, und die B‑Länder-Seite, die unionsgeführten Landesregierungen, haben drei Themen aus dem Jahressteuergesetz, aus 142 Seiten, für den Vermittlungsausschuss angemeldet. Und – oh Wunder! – das von Ihnen gerade mit großem Getöse angesprochene Thema, nämlich das Thema der Bewertung für die Zwecke der Erbschaftsteuer, wurde von der Unionsseite für den Vermittlungsausschuss nicht angemeldet. ({1}) Es wird also im Bundesrat akzeptiert werden. Ich würde von Ihnen jetzt einfach gerne wissen, wie es sein kann, dass Sie dieses Thema hier riesengroß skandalisieren und es dort, wo die Wahrheit auf dem Platz liegt, wo die Union mitreden kann, noch nicht einmal für eine weitere Beratung angemeldet wird. Herr Kollege, haben Sie dafür eine Erklärung? ({2})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Toncar, herzlichen Dank, dass Sie mir noch mal die Gelegenheit geben, hier ein bisschen auszuführen. Ob das, was Sie vorhaben, verfassungsrechtlich geboten ist, kann man diskutieren. ({0}) Das ist überhaupt keine Frage; das habe ich gestern auch gesagt. Es geht ja darum, den gemeinen Wert der Immobilie darzustellen. Da brauchen Sie mir keine Nachhilfe geben. Aber es ist auch nicht verboten, die Freibeträge anzuheben. ({1}) Sie haben nämlich angekündigt, auch der Bundesfinanzminister hat angekündigt, die Freibeträge anzuheben, und passiert ist gar nichts. Bezogen auf Ihre Frage zum Bundesrat empfehle ich Ihnen, den Antrag des Freistaats Bayern zu genau dieser Sache – Erhöhung der Freibeträge – zur Kenntnis zu nehmen. ({2}) Und wenn Sie es als FDP ernst meinen würden, dann würden Sie diesem Antrag des Freistaats Bayern im Bundesrat zustimmen. ({3}) Dann hätten wir das Thema erledigt. Erhöhung der Werte und Erhöhung der Freibeträge – das wäre für uns in Ordnung. ({4}) Wir haben zusätzlich noch die Frage der Regionalität und der Regionalisierung der Erbschaftsteuer eingebracht. Ich denke, wenn Sie es ernst meinen, dann können wir das miteinander umsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Wir können diesem Jahressteuergesetz aufgrund der drei Faktoren, die ich genannt habe – keine Verfassungsmäßigkeit, viel zu viel Bürokratie, die Frage der Erbschaft- und Schenkungsteuer –, nicht zustimmen, auch wenn ich nicht verschweigen will, dass einige Punkte umgesetzt worden sind, die für sich gesehen in Ordnung sind: ({6}) Sie verstetigen die Homeoffice-Pauschale, übrigens eine Idee der CSU. ({7}) Danke, dass Sie das verstetigen! Sie haben das letzte Mal sogar fast dagegen geredet. Wir als CDU/CSU haben das ins Rennen gebracht. Die Verlängerung der Sonderabschreibung für den Mietwohnungsneubau, auch eine CDU/CSU-Idee, die Sie das letzte Mal kritisiert haben, weil sie die Reichen nur reicher machen würde, setzen Sie jetzt um. ({8}) Eine späte Erkenntnis, aber auch in Ordnung! Was aber natürlich nicht dabei ist: die Beseitigung der künftigen Doppelbesteuerung bei den Renten – Sie haben immer angekündigt, das zu tun –, die Modernisierung der Unternehmensbesteuerung und das Vorziehen des Abbaus der kalten Progression auf 2022. ({9}) Deswegen können wir diesem Gesetz nicht zustimmen. Wir lehnen dieses Gesetz ab. Sie machen als Ampel die Menschen in unserem Land Tag für Tag ärmer. ({10}) Dagegen wehren wir uns mit aller Entschiedenheit. Herzlichen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Stefan Schmidt hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen, mit Mikro sogar; er muss gar nicht weiter dazwischenrufen. ({0})

Stefan Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004877, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich rede ja schon die ganze Zeit. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Massiv gestiegene Energiepreise, hohe Inflation, ein unstillbarer Durst nach Öl und Gas – Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine wirft lange Schatten. Mit dem Jahressteuergesetz nehmen wir die Krisen ganz gezielt in den Fokus. Wir entlasten nicht nur die breite Bevölkerung, die Unternehmen, die Kommunen. Wir geben auch erneuerbaren Energien noch mal einen kräftigen Schub. Ich behaupte: Wir haben das Jahressteuergesetz zu einem echten Entlastungspaket IV gemacht. ({0}) Besonders freue ich mich über unsere Beschlüsse zur Photovoltaik; es wurde an anderer Stelle schon angesprochen. Menschen mit Photovoltaikanlagen auf dem Dach leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Energiesicherheit und Energiewende. Deswegen ist es längst an der Zeit, dass wir sie von steuerlichen und bürokratischen Hürden entlasten und befreien. Wer eine Anlage auf dem Dach hat, muss dafür keine Einkommensteuer, keine Gewerbesteuer, keine Umsatzsteuer bezahlen. Und wir Grüne haben erreicht, dass die Erträge sogar rückwirkend für dieses Jahr von der Steuer befreit werden. ({1}) Es profitieren also alle: die, die sich in der Vergangenheit für eine Photovoltaikanlage entschieden haben, und alle, die diesem Vorbild nun folgen. So werden eigene Anlagen auf dem Dach noch attraktiver. Das ist ein wichtiger Schritt, um uns von der fossilen Abhängigkeit zu befreien. Mit dem Jahressteuergesetz unterstützen wir auch viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beim mobilen Arbeiten, und zwar auch diejenigen, die kein separates Arbeitszimmer zu Hause haben. Wir entfristen die Homeoffice-Pauschale. Wir machen es steuerlich attraktiv, auf das tägliche Pendeln ins Büro zu verzichten. Damit passen wir das Steuerrecht an die moderne Arbeitswelt an und entlasten auch hier die Menschen. ({2}) Auch für die Kommunen und den öffentlichen Sektor haben wir etwas rausgeholt. Unsere Städte und Gemeinden, auch die Forschungslandschaft, sie leiden extrem unter der aktuellen Krise. Deshalb haben wir entschieden, die Übergangsregelung zu § 2b des Umsatzsteuergesetzes zu verlängern. Das heißt im Klartext: Wir befreien Dienstleistungen der öffentlichen Hand für zwei weitere Jahre – bis Ende 2024 – von der Umsatzsteuer. Damit verschaffen wir uns Zeit, um rechtliche Unklarheiten zu beseitigen, und geben den Machern vor Ort die steuerliche und bürokratische Atempause, die sie jetzt brauchen. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben aus einem guten Gesetzentwurf ein echtes Entlastungspaket IV gemacht. Wir entlasten die breite Masse, die Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmen, die Kommunen. Wir schieben die Energiewende an. Mit den Beratungen zum Jahressteuergesetz haben wir als Fortschrittskoalition wieder mal gezeigt: Wir haben den Mut, um wichtige Weichen zu stellen und das Land erfolgreich aus der Krise zu führen. Dafür herzlichen Dank. Herzlichen Dank für die guten Beratungen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Stefan Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004877, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke an die Kolleginnen und Kollegen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und das Bundesministerium der Finanzen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Und Ihnen auch vielen Dank für die Rede. ({0})

Stefan Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004877, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Tim Klüssendorf hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Tim Klüssendorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005109, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich mich dem Dank anschließen. Das waren wirklich aufreibende Verhandlungsrunden. Wir haben 18 Stück an der Zahl miteinander verbringen dürfen. Wir haben, glaube ich, eine Menge an wichtigen Themen diskutiert, und das Ergebnis kann sich heute sehen lassen. Also: Vielen Dank noch mal an die beiden anderen Ampelfraktionen und an meine Co-Berichterstatterin! ({0}) Der Kollege Daldrup hat es schon angekündigt: Ich darf heute noch was zu den PV‑Anlagen sagen, habe das auch in meiner letzten Rede schon getan. Wäre ich jetzt der Kollege Lindner, würde ich sagen: Wir entfesseln die Freiheitsenergien. ({1}) Ich begnüge mich aber damit, zu sagen, dass wir PV‑Anlagen einfach attraktiver machen. Drei Punkte dazu: Der erste Punkt ist: Wir machen Anlagen bis 30 kWp ertragsteuerfrei. Das ist, glaube ich, ganz wichtig, weil wir bisher Anlagen mit durchschnittlich 7 bis 15 kWp haben. Der Grenzwert war bisher bei 10 kWp. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, um dort für Entlastung zu sorgen. Der zweite Punkt ist der Nullsteuersatz in der Umsatzsteuer, der, glaube ich, ganz viele Menschen von der Bürokratie befreit. Bisher stehen sie vor der Entscheidung: Entweder sie nutzen bei der Solarenergie die Kleinunternehmerregelung, bekommen aber die Umsatzsteuer nicht zurück – das ist besonders bei der Anschaffung ein Nachteil; denn so eine Anlage kostet gut und gerne mal 30 000 Euro; dann auf 6 000 Euro einfach zu verzichten, wäre besonders schade –, oder sie melden die Umsatzsteuer an, bekommen sie bei der Anschaffung zurück, aber müssen dann alle zwei Monate die Umsatzsteuer anmelden. Das ist besonders viel Bürokratie. Hier sorgen wir für Anreize, ohne finanzielle Nachteile in die Kleinunternehmerregelung zu wechseln. Das ist auch ein ganz wichtiger Punkt. ({2}) Der dritte Punkt ist, dass wir den Lohnsteuerhilfevereinen erlauben, bei dem Thema zu beraten. Das ist, glaube ich, auch noch mal eine Abrundung der ganzen Angelegenheit. So wird es deutlich attraktiver und einfacher für Menschen, sich eine PV‑Anlage aufs Dach zu setzen. ({3}) Dennoch möchte ich jetzt auch noch was zur Union sagen, weil mich das in der Debatte doch sehr geärgert hat. Herr Brehm hat davon gesprochen, dass wir in unserem Gesetz unstimmig sind. ({4}) Ich hatte eher den Eindruck, dass Sie in Ihrer Argumentation unstimmig sind. Frau Tillmann hat als Erstes gesprochen und hat die ganze Zeit davon gesprochen, wir würden entlasten und würden die Schuldenbremse gefährden. Die Hälfte ihrer Redezeit ging darüber, dass das eine Gefahr für die Schuldenbremse sei. ({5}) Sie haben paar Minuten später davon gesprochen, dass wir die Steuern exorbitant erhöhen, ({6}) dass wir viel mehr Einnahmen haben, dass der Staat da in die Taschen greift. Sie müssen sich schon entscheiden, welche Strategie Sie hier in Ihren Reden anwenden! Denn es wäre deutlich plausibler, wenn das einen Sinn ergeben würde. ({7}) Ein letzter Punkt noch. Wir haben die Diskussion ja gestern schon geführt, und anscheinend reicht Ihnen das immer noch nicht. Die Immobilienwertermittlungsverordnung wurde von Ihrem eigenen CSU-Minister Seehofer in die Wege geleitet. Das ist noch mal ganz wichtig zu betonen. ({8}) Es ist keine Erhöhung der Erbschaftsteuer. Das wäre schön, ist aber mit der FDP nicht zu machen. ({9}) Darüber können wir noch mal diskutieren. Wir können gerne über die Freibeträge reden, aber nur dann, wenn wir die betrieblichen Vermögen endlich anpacken und nicht mehr weiter zusehen, wie hier Milliarden Euro an Erbschaftsteuer jedes Jahr am Staat vorbeigehen. Das ist die wirkliche Gerechtigkeitslücke, und dafür werden wir uns weiterhin einsetzen. Ich bitte um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. ({10})

Wilfried Oellers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004365, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Wegen Verzögerungen im Betriebsablauf“ – geübte Bahnfahrerinnen und Bahnfahrer unter Ihnen wissen, was jetzt kommt. ({0}) Wer mit der Bahn unterwegs ist, braucht oft viel Zeit und Geduld. Davon wissen nicht nur diejenigen, die in diesen Wochen die Strecke zwischen Berlin und Hannover bewältigen müssen, ein Liedchen zu singen. ({1}) Viel Zeit und Geduld mitbringen: Für viele Menschen mit Behinderungen ist dies nicht nur ein temporäres Problem, sondern gehört zum Alltag, nicht nur im Bahnverkehr, wenn der gewünschte Zielbahnhof keinen Fahrstuhl hat, das Servicepersonal nur bis zum frühen Abend im Einsatz ist oder der Rollstuhlplatz im ICE schon ausgebucht ist. Genauso ist es, wenn die Produktinformation im Einkaufsregal für sehbehinderte Menschen nicht lesbar ist oder die Suche nach der Facharztpraxis mit höhenverstellbaren Untersuchungsgeräten oder Informationen in leichter Sprache zum zeitraubenden Unterfangen wird. Manchmal können Zeit und Geduld auch zur Lebensgefahr werden, so wie 2021 in Sinzig, als Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen nicht rechtzeitig gewarnt wurden und in den Fluten ertranken. Diese wenigen Beispiele zeigen: Der Weg hin zu einer barrierefreien Gesellschaft, an der Menschen mit und ohne Behinderung in allen Lebensbereichen teilhaben können, von der aber auch Eltern mit Kinderwagen oder ältere Menschen profitieren, ist kein leichter, auch wenn wir in den letzten Jahren viel geschafft haben und erdacht haben. Ich denke hier an die Erweiterung des Behindertengleichstellungsgesetzes, das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, viele weitere gesetzlichen Maßnahmen und die InitiativeSozialraumInklusiv des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und der Bundesfachstelle Barrierefreiheit. Letztere Initiative, aber vor allem viele Begegnungen mit Menschen mit Behinderungen und anderen Akteuren haben uns als Unionsfraktionen gute Anregungen geliefert für ein ausführliches Zehn-Punkte-Papier für einen inklusiven Sozialraum, dessen Lektüre ich sehr empfehle, ({2}) und für den Antrag, den wir Ihnen heute vorlegen. Es ist das erste Mal, dass wir in dieser Legislaturperiode hier im Plenum über Barrierefreiheit diskutieren, ({3}) was durchaus erstaunt, wenn man in den Koalitionsvertrag der Ampel schaut. Doch von den dort genannten ambitionierten Vorhaben hat bislang keines den Bundestag erreicht. Immerhin: Aus dem ursprünglich angekündigten Bundesprogramm Barrierefreiheit wird zwar erst mal nichts, aber gerade noch rechtzeitig vor dem morgigen Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung hat die Bundesregierung am Mittwoch eine Bundesinitiative Barrierefreiheit verabschiedet. Löblich und gut, was darin angekündigt wird, aber schon das Papier des Koalitionsvertrags war bisher recht geduldig. Eins zumindest eint die Bundesinitiative und unseren Antrag: Barrierefreiheit ist ein Querschnittsthema. Mobilität, Bauen und Wohnen, Gesundheit, Digitalisierung, Katastrophenschutz, aber auch Produktentwicklung und politische Partizipation – das sind längst nicht alle, aber einige wichtige Lebensbereiche, die wir uns herausgegriffen haben. Hier wollen wir fördern und fordern: mehr Förderung, eine Aufstockung des KfW-Programms „Altersgerecht Umbauen“, weitere KfW-Programme, unter anderem für den Gesundheitsbereich und barrierefreie Produktentwicklung. Verbunden mit einer Übergangsfrist von fünf Jahren und einer Überforderungsklausel fordern wir die rechtliche Verankerung von angemessenen Vorkehrungen auch im Privatbereich. Es muss endlich eine Bestandsaufnahme und danach die umfassende barrierefreie Umgestaltung aller öffentlich zugänglichen Bundesbauten geben. Übrigens, gerade die Gebäude des Deutschen Bundestages dürfen gerne mit gutem Beispiel vorangehen. ({4}) Mehr rechtliche Verbindlichkeit brauchen wir für die Barrierefreiheit im ÖPNV. Wir machen konkrete Vorschläge für mehr Tempo bei der Barrierefreiheit im Bahnverkehr, im Taxiwesen und bei der barrierefreien Ladeinfrastruktur. Mehr bundesweite Einheitlichkeit brauchen wir auch in Regelungen zur Barrierefreiheit im Bauordnungsrecht. Wir fordern auch eine Stärkung der Barrierefreiheit in der Aus- und Weiterbildung von Architekten und Ingenieuren, bis hin zu einem eigenen Studiengang. Wir brauchen ein träger- und ebenenübergreifendes Beratungs- und Unterstützungsnetz für Assistenz- und Pflegeangebote. Weitere Beispiele finden sich in unserem Antrag. Zu diesen und weiteren Bereichen machen wir Ihnen heute Vorschläge und bringen Gedanken ein in die Diskussion. Gut ist: Wir beginnen bei allem nicht bei null. Viele gute Beispiele machen Mut: ob inklusives Wohnen und Unterstützungsangebote der Hamburger Stiftung Alsterdorf, ein Gebärdensprach-Avatar, der den Beipackzettel von Medikamenten erläutert, oder die Regionalbahnstrecke in meinem Wahlkreis, an der mittlerweile alle Bahnhöfe barrierefrei umgebaut sind. Lassen Sie uns gemeinsam an einer barrierefreien Gesellschaft in allen Lebensbereichen arbeiten; denn weitere Verzögerungen im Betriebsablauf sollten wir uns nicht leisten. Und herzliche Grüße an Gerald Huber! Danke schön. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Takis Mehmet Ali hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Takis Mehmet Ali (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005148, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Union trägt den Titel „Mehr Tempo für Barrierefreiheit und einen inklusiven Sozialraum“. Wenn man dann mal so den Antrag durchliest, erfährt man, bevor die ganze Aufzählung kommt, die Ampel sei schon seit einem Jahr dran und habe noch nicht geliefert. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir waren schon sehr lange zusammen in einer Koalition. Da hätten wir 12 Jahre, 16 Jahre gemeinsam liefern können, ({1}) und das ist von Ihnen geblockt worden. Ich glaube, die einzige Blockade in diesem Land ist die Unionsfraktion! ({2}) – An uns ist es ja nicht gescheitert; an der Sozialdemokratie sind die ganzen Vorhaben nicht gescheitert. Unsere jetzigen Koalitionspartner, die FDP und die Grünen, haben zu Recht all das gefordert, was wir jetzt im Koalitionsvertrag verankert haben. Das ist möglich, weil wir jetzt eine progressive Regierung haben. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage aus der CDU/CSU-Fraktion zulassen?

Takis Mehmet Ali (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005148, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, hatte ich noch nie. Gerne. Auf den Kollegen kann man ja nicht sauer sein.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Na, ich weiß nicht. Das werden wir ja sehen. Ich könnte sauer sein, wenn er zu lange spricht.

Wilfried Oellers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004365, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich werde mich kurzfassen. – Sehr geehrter Kollege Mehmet Ali, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Da Sie jetzt auf die Regierungszeiten der letzten Wahlperioden zu sprechen kommen und Sie noch neu im Bundestag sind, ({0}) will ich fragen, ob Sie zur Kenntnis nehmen, dass wir gerade in der letzten Legislaturperiode – ich habe es eben in meiner Rede erwähnt – schon mehrere große Gesetzgebungsvorhaben auf den Weg gebracht haben. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz war ein Beispiel und das Behindertengleichstellungsgesetz das andere. Der Hinweis sei mal erlaubt: In der letzten Legislaturperiode war das erste Gesetz, das wir im Ausschuss für Arbeit und Soziales hier im Deutschen Bundestag beschlossen haben, ein Gesetz, das gerade Menschen mit Behinderung betraf, und zwar ging es um die Barrierefreiheit von öffentlichen Stellen und Behörden. Das haben wir damals beschlossen. Das war das erste Gesetz, und es sind noch zwei große Gesetzesvorhaben gefolgt. Deswegen bitte ich Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.

Takis Mehmet Ali (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005148, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Oellers, vielen Dank. – Das ist mir natürlich bewusst. Mir ist auch bewusst, dass wir es mit Ihnen geschafft haben, 2016 das großartige Bundesteilhabegesetz zu beschließen, das wirklich einen riesengroßen Schritt zu einer inklusiven Welt gebracht hat. Aber letztendlich kommen wir nur einen riesengroßen Schritt weiter, wenn wir dafür auch die finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, und das ist mit Ihnen einfach nicht möglich gewesen. ({0}) Das wird aber in dieser Koalition möglich sein, indem wir vieles, was wir im Bereich des inklusiven Wohnungsbaus und in der Mobilität vor uns haben, auch umsetzen werden. Ohne Geld geht da gar nichts. Das haben Sie auch blockiert; da ist nichts möglich gewesen. Das werden wir jetzt machen. Im Übrigen: Wir haben jetzt die ersten Eckpunkte für die Bundesinitiative Barrierefreiheit zur Verfügung gestellt. Das ist ja nur der Anfang. Wir werden ein riesengroßes Bundesprogramm auflegen, nämlich für ein vollumfänglich und ganzheitlich barrierefreies Deutschland. Das war leider vorher mit Ihnen nicht möglich. Das muss man auch ganz klar sagen. ({1}) Aber wenn ich weitermachen darf: Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie haben auch geschrieben, dass wir mehr Tempo im Wohnungsbau brauchen. Ich erinnere mich noch an 2009 – ich persönlich war damals erst 17, 18 Jahre alt –, als die UN-Behindertenkonvention ratifiziert wurde. Ich kann mich erinnern, dass es ein Bundesland unter CDU-Führung gab, Baden-Württemberg nämlich, das im selben Jahr der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention die Landesheimbauverordnung verabschiedet hat, den Bau von 24er-Wohnheimen. Während die UN-Behindertenrechtskonvention gefordert hat, dass mehr selbstbestimmtes Wohnen, dass mehr personenzentriertes Wohnen gefördert werden soll, machte Baden-Württemberg nichts anderes, als 24er-Wohnheime für Menschen mit Behinderung zu fördern und Mittel dafür zur Verfügung zu stellen und zudem noch Mittel der Ausgleichsabgabe, die für den inklusiven Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt werden sollten, für den Bau dieser 24er-Wohnheime zu verwenden. Ich habe noch heute einen Leistungsbescheid von 2018 aus dem KVJS, der ausdrücklich ausweist, dass Mittel der Ausgleichsabgabe für 24er-Wohnheime verwendet werden. Und das werden wir verbieten, nämlich mit dem Antrag zur inklusiven Arbeitswelt, der Anfang nächsten Jahres hier beraten werden wird. Mit ihm werden wir verbieten, dass Mittel der Ausgleichsabgabe für solche 24er-Wohnheime genutzt werden können, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({2}) Ergänzend noch: Tempo bei der barrierefreien Mobilität. – Zwölf Jahre unionsgeführtes Verkehrsministerium: Ramsauer, Dobrindt, Scheuer. Im Antrag fordern Sie eine vollumfängliche barrierefreie Mobilität. Ich frage mich aber auch hier, nachdem wir das auch gemeinsam in den letzten Jahren hätten machen können: Warum kommt das alles erst jetzt? Herr Oellers, Sie wissen, ich mag Sie als Person. Sie sind ein kompetenter Kollege. Aber das hätten wir doch wirklich gemeinsam auch in der GroKo in den letzten Jahren machen können. Warum haben wir das nicht gemacht? Das ist für mich eine riesengroße Frage. Deshalb freue ich mich, dass wir das jetzt in der Ampel werden umsetzen können. ({3}) Zum Schluss: Sie haben im 20. Punkt Ihres Antrags den § 78 Absatz 5 SGB IX erwähnt. Da geht es um das Ehrenamt und um die Assistenzleistungen. ({4}) Das ist ein Problem, das tatsächlich auch ich sehe. Deshalb haben wir auch die Evaluation des Bundesteilhabegesetzes im Koalitionsvertrag verankert. Aber ich sage Ihnen eins: Wenn wir es schaffen, dass das Bundesteilhabegesetz in den Ländern so ausgeführt wird, wie wir das gemeinsam beschlossen haben, dann wird sich dieses Problem von selbst erledigen. Wir müssen es aber auch schaffen, dass jeder Mensch mit Behinderung zu seinem Recht kommt, so wie wir das im SGB IX verankert haben. Dann, glaube ich, können wir wirklich auch zu einer inklusiven Gemeinschaft kommen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich trotzdem auf die gemeinsame Zusammenarbeit, und ich freue mich insbesondere, wenn Sie zukünftig unseren Anträgen zustimmen. Vielen Dank. ({5})

Hannes Gnauck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005066, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Unionsfraktion beklagt völlig zu Recht, dass die selbsternannte Fortschrittskoalition zu wenig für Menschen mit Behinderung macht, und legt mit diesem Antrag ein umfassendes Maßnahmepaket vor. Die Bewusstseinsbildung für das Thema der Barrierefreiheit insbesondere in der Architekten- und Ingenieursausbildung soll gestärkt werden. Sogar barrierefreie Taxiangebote, ein großes Problem im ländlichen Raum, werden thematisiert, und auch ein bundesweites Förderprogramm zum Aufbau barrierefreier digitaler Infrastruktur und digitaler Kompetenzen in außerbetrieblichen Ausbildungsstätten, aber auch in den Werkstätten für behinderte Menschen wird angestrebt. Ihr Antrag beinhaltet tatsächlich sehr gute Ansätze; das muss man Ihnen lassen. Aber so ein Antrag ist natürlich der blanke Hohn, wenn er ausgerechnet von der CDU/CSU kommt. Ich weiß, Sie wollen es nicht mehr hören, aber man darf einfach nicht vergessen, dass Sie es waren, die dieses Land nicht nur die letzten 16 Jahre, sondern einen Großteil der Zeit seit Bestehen der Bundesrepublik regiert, geprägt und moralisch wie materiell verwahrlost haben. ({0}) Werte Kollegen von der Union, auch der Zustand des Sozialwesens fällt zu einem nicht geringen Anteil in Ihre Verantwortung. Warum fordern Sie diese Verbesserungen also erst dann, wenn Sie mit der Umsetzung nichts mehr zu tun haben müssen? In Ihren Reihen sitzen ja offenbar bewusste Sozialpolitiker. Aber warum konnten sich diese in den letzten Jahrzehnten nicht mal darum kümmern, dass diese Dinge umgesetzt werden? Warum spielen Sie sich gerade jetzt als soziale Stimme der Menschen mit Behinderung auf? Entweder bestand nie der Wille, sich wirklich um die Belange von Menschen mit Behinderung zu kümmern, oder es ist jetzt ganz plötzlich als taktisches Kalkül für Ihre Oppositionsdarstellung interessant geworden. ({1}) Sie versuchen offenbar, mit diesem Thema das soziale Profil Ihrer Partei aufzubessern, was, wenn wir mal ehrlich sind, historisch nicht gerade zur Eigenart der Christdemokratie gehörte. Und so kann man auch erkennen, wo Sie in Ihrem Antrag dann etwas auf die Bremse treten; denn der große Blindfleck in Ihrem Antrag und der Debatte im Allgemeinen sind die Schwerbehinderten. Zum Jahresende 2021 lebten rund 7,8 Millionen schwerbehinderte Menschen in Deutschland. Das sind fast 10 Prozent der gesamten Bevölkerung. Meine Damen und Herren, für diese Menschen ist es zumeist sehr schwer, eine Festanstellung zu erwerben und zu halten, nicht zuletzt, weil sich die Unternehmen von der Quote einfach freikaufen können, und das, meine Damen und Herren, ist eine Ungerechtigkeit, die es endlich zu beseitigen gilt. ({2}) Um das zu schaffen, wäre eine komplett neu konzipierte Ausgleichsabgabe für Arbeitgeber vonnöten, die sich auf dem Niveau eines monatlichen Durchschnittsgehalts eines Vollzeitbeschäftigten im Betrieb bewegt. Damit wäre endlich ein realistischer Anreiz für Privatunternehmer und öffentliche Arbeitgeber gegeben, um das gesetzliche 5‑Prozent-Ziel in mittlerer Frist zu erreichen. Die hierdurch erzielten Mehreinnahmen erweitern die finanziellen Mittel des Integrationsamtes, die eine intensivere Begleitung von Arbeitnehmern mit Behinderung ermöglichen. ({3}) Warum fordern Sie nicht endlich die notwendigen Schritte, damit endlich mehr Schwerbehinderte in Lohn und Brot kommen und sich die Unternehmen nicht länger billig freikaufen können? Das, liebe Kollegen von der Union, würde doch mal echte Inklusion bedeuten; denn das ist ein notwendiger Teil eines tatsächlich sozialen Maßnahmenpakets, und die AfD-Fraktion wird sich darum kümmern. Vielen Dank. ({4})

Stephanie Aeffner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005004, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich danke der Union ausdrücklich, dass sie uns mit ihrem Antrag heute Gelegenheit gibt, über dieses wichtige Thema „Barrierfreiheit und inklusiver Sozialraum“ zu reden. 13 Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland können Menschen mit Behinderung zu Recht erwarten, dass wir dafür Sorge tragen, dass sie in allen Lebensbereichen gleichberechtigt teilhaben können. ({0}) Barrierefreiheit ist dafür Grundvoraussetzung. Und es war eine rot-grüne Bundesregierung, die 2002 das Behindertengleichstellungsgesetz verabschiedet und damit wirklich einen Meilenstein geschaffen hat. ({1}) Wir haben den Bund zur Barrierefreiheit verpflichtet, und in der Folge sind auch in vielen Landesbehindertengleichstellungsgesetzen eben solche Verpflichtungen aufgenommen. Eine Sache fehlt aber bis heute: die Verpflichtung zur Herstellung von Barrierefreiheit im privaten Bereich; und auch im öffentlichen Bereich werden Vorgaben oft nicht umgesetzt. Und genau das gehen wir jetzt endlich gemeinsam an. ({2}) Am Mittwoch sind die Eckpunkte der Bundesinitiative Barrierefreiheit verabschiedet worden. Wir haben uns viel vorgenommen. Wir wollen Private endlich zum Abbau von Barrieren verpflichten. Wir wollen Schwerpunkte setzen in den Bereichen Mobilität, Wohnen, Gesundheit und Digitalisierung. Sie, liebe Union, fordern jetzt mehr Tempo bei der Barrierefreiheit. 16 Jahre lang gab es in Ihren Koalitionsverträgen vor allen Dingen vage Absichtserklärungen. Sie wollten zum Beispiel prüfen, ob man Private zu angemessenen Vorkehrungen verpflichten kann, zuallererst im Gesundheitssektor. Dass wir sage und schreibe nur 26 Prozent barrierefreie Arztpraxen haben, erzählt uns irgendwie, dass das nicht besonders erfolgreich war und da noch viel Luft nach oben ist. ({3}) Jetzt wollen Sie angemessene Vorkehrungen einführen. Das begrüßen wir ausdrücklich. Aber die Verpflichtung zum Abbau von Barrieren versehen Sie wieder nur mit einem Prüfauftrag und sagen: Schauen wir uns doch mal das Gesetz in Österreich an. Ich sage Ihnen: Wir arbeiten gerne mit Ihnen an der Erarbeitung der Verpflichtung zur Schaffung angemessener Vorkehrungen zusammen, aber haben Sie keine Angst vor der Verpflichtung zum Abbau von Barrieren. Der Americans with Disabilities Act 1990, das österreichische Behindertengleichstellungsgesetz 2016 oder in England 2010 – in all diesen Ländern sind die Verpflichtungen Realität, und die Privatwirtschaft ist nicht kollabiert. Im Gegenteil: Genau damit sorgen wir dafür, dass die Privatwirtschaft auch morgen noch Kunden hat – in Zeiten zunehmender Verlagerung in den Onlinehandel und des demografischen Wandels. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit an dieser Stelle. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Matthias W. Birkwald für die Fraktion Die Linke. ({0})

Matthias W. Birkwald (Unbekannt)

Politiker ID: 11004012

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Unionsfraktion hat ein neues Level an übermütiger Selbstbeweihräucherung und politischer Vergesslichkeit erreicht. ({0}) Während Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, ganze 16 Jahre – ich kann es Ihnen nicht ersparen – die Bundesregierung geführt haben, sind die durchaus vorhandenen Verbesserungen in dieser Zeit doch sehr überschaubar. Noch immer scheitern zahlreiche Menschen mit Behinderungen beispielsweise an Barrieren im Kino, beim Einkaufen, beim Sport, im Straßenverkehr, in und mit Behörden oder im Gesundheitswesen. Dass Sie in Ihrer Zeit als Regierungsfraktion jedoch vollkommen beratungsresistent waren, zeigt sich an Ihrem Abstimmungsverhalten in der Vergangenheit. 2020 hatte die Linksfraktion zehn Anträge für eine bessere Barrierefreiheit eingebracht. Die haben Sie alle abgelehnt. ({1}) Stattdessen mussten wir uns anhören: Machen wir, ist gemacht, wird gemacht, haben wir längst erledigt. – Unsinn; denn Ihre Bilanz ist verheerend: Barrierefreier Wohnraum ist in Deutschland Goldstaub und in der Realität leider völlig unbezahlbar. Das Statistische Bundesamt beziffert den Anteil an barrierefreien Wohnungen auf nur 1,5 Prozent. Die gleiche verheerende Bilanz auf dem Arbeitsmarkt: Der Anteil der langzeitarbeitsuchenden Menschen mit Behinderungen stieg von 41,2 Prozent vor der Pandemie auf 46,5 Prozent danach. Und auch die Kritik der Monitoring-Stelle der UN-Behindertenrechtskonvention zum Gesundheitswesen ist eindeutig: Sie stellt erhebliche Defizite fest – Zitat –: Infolge der knappen Ressourcen in der Pandemie haben die Barrieren und Benachteiligungen für diese Personen – für Menschen mit Behinderungen – noch zugenommen. Konkret heißt das, dass lediglich jede vierte Arztpraxis auch für Menschen mit Behinderungen zugänglich ist. Und das ist völlig inakzeptabel. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, bei all Ihrem oppositionellen, freundlichen Optimismus: Diese Zahlen sind Ihre Zahlen des Scheiterns für die Politik Ihrer Regierungszeit seit 2005; und daran ändern auch einige gute Vorschläge in Ihrem Antrag nichts. Etwas erfreulicher ist allerdings, dass Ihre damalige Juniorpartnerin, die SPD, nach langen Jahren des Nichtstuns und Abstreitens ({3}) das Problem zumindest erkannt hat und diese Woche ein Eckpunktepapier für mehr Barrierefreiheit vorgestellt hat. Gut so! ({4}) Integraler Bestandteil dieses Konzeptes ist ein noch zu gründender Beirat für die „Bundesinitiative Barrierefreiheit“, der bis 2025 ein Papier vorlegen möge. Das ist unambitioniert, meine Damen und Herren; denn das bedeutet für die Betroffenen, dass sie vor dem Jahre 2030 sicherlich wenig an Umsetzung und realer Verbesserung zu erwarten haben; und das ist schlecht. Das Konstrukt eines solchen Beirates darf nicht zu einer weiteren Verschleppung von mehr Barrierefreiheit führen. Als Linker sage ich – letzter Satz –: Wir brauchen unverzüglich mehr Barrierefreiheit. Also, liebe Ampelkoalition, kommen Sie in die Gänge, und zeigen Sie der Union, dass Sie es besser können! Die Menschen mit Behinderungen würden es Ihnen danken. Und ich danke Ihnen. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Jens Beeck das Wort. ({0})

Jens Beeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Hochverehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Oellers, ich habe es beim letzten Mal gemacht, ich mache es nicht schon wieder. Ich finde es jedoch wirklich bemerkenswert, dass in Ihrem wiederum genau 20 Punkte umfassenden Papier wieder 12 Punkte aus dem Koalitionsvertrag und dem aktuellen Eckpunktepapier kommen ({0}) und sich ganz vieles andere an die Länder richtet. Aber wir sind im Advent, und deswegen will ich den Schwerpunkt nicht so sehr wie der Kollege Birkwald darauf legen, was in der Vergangenheit alles nicht funktioniert hat, sondern ich will ihn darauf legen, dass es tatsächlich nur mit einer breiten Mehrheit in diesem Hause und in den Ländern möglich sein wird, die von Ihnen hier adressierten offenen Baustellen wirklich anzugehen. Das will ich im Einzelnen einmal machen: Das unter Ziffer 1 Geforderte – verbesserte Programme für mehr Barrierefreiheit, gefördert durch KfW und andere – hatte einen haushalterischen Höhepunkt im Jahr 2013 unter Schwarz-Gelb. Danach sind die Mittel allerdings weniger geworden. Jetzt wachsen sie wieder deutlich auf. Den gemeinsamen Appell haben wir in den Haushaltsberatungen also umgesetzt. Sie fordern dann die Verpflichtung Privater mit einer Übergangsfrist von fünf Jahren. Das freut mich sehr; denn die Koalitionsfraktionen, die damals in der Opposition waren, hatten Ihnen – Sie erinnern sich – bei der Umsetzung der EU‑Richtlinie – unserem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – vorgeworfen, dass Sie 2025 zum Teil, aber in der Masse eigentlich 2040 reingeschrieben haben. ({1}) Die berühmten Bankautomaten, um das noch mal zu sagen, müssen in Deutschland nach dem, was Sie in der letzten Wahlperiode, vor wenigen Jahren, beschlossen haben, erst 2040 barrierefrei sein, und dann übrigens nicht mal barrierefrei aufgestellt; sie können also 2040 zwar barrierefrei sein, aber hinter einer Treppe stehen. Das werden wir ändern. Das haben wir im Koalitionsvertrag auch schon adressiert. Ich freue mich aber, dass wir das jetzt gemeinsam machen. ({2}) Sie fordern dann, den öffentlichen Raum des Bundes noch mal zu untersuchen, um eine Liste aufzustellen und diese dann abzuarbeiten. Da sind wir ein Stück weiter, sowohl im Koalitionsvertrag als auch im Eckpunktepapier der Bundesregierung. Wir wollen bauen und Barrierefreiheit herstellen; das steht sehr klar drin. Auch da freuen wir uns über Ihre Unterstützung, wenn es um die haushalterischen Mittel geht. Sie reden dann – das hat mich besonders überrascht – vom Personenbeförderungsgesetz und dem Abweichen vom Standard der Barrierefreiheit in der Mobilität. Das hätten Sie eigentlich noch besser wissen müssen als ich; denn 2011 hat Schwarz-Gelb § 8 Absatz 3 Satz 3 Personenbeförderungsgesetz geändert und gesagt: Zum 1. Januar 2022 erreichen wir im Regelfall die Barrierefreiheit. ({3}) – Ja, Sie haben zugehört. – Allerdings reden Sie in Ihrem Antrag von einer Frist, die abgelaufen ist. Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag sehr deutlich gesagt: Wir wollen jetzt nicht noch weitere Ausnahmetatbestände schaffen, sondern wir wollen alle Ausnahmetatbestände bis 2026 beenden. Dafür wollen wir die gesetzlichen Voraussetzungen in dieser Wahlperiode schaffen. Ich bin sehr beruhigt, dass uns ein führender Vertreter der Union dabei hilft, die Länder davon zu überzeugen, dass das der einzig richtige Weg ist. Machen wir das, Herr Oellers, zusammen! ({4}) Sie fordern dann an verschiedenen Punkten zu Recht, dass wir auch im Fernverkehr und im Regionalverkehr – übrigens der Deutschen Bahn – auf Barrierefreiheit setzen. Auch da erinnern Sie sich vielleicht daran, dass wir hier in den Jahren 2020 und 2021 eine Auseinandersetzung darüber hatten, dass unter Ihren Verkehrsministern die Deutsche Bahn Bestellungen für Fahrzeuge ausgelöst hat – die vermutlich nicht einmal in dieser Wahlperiode geliefert werden, aber dann 20, 30, 40 Jahre auf der Schiene sind –, bei denen von Barrierefreiheit überhaupt nicht die Rede sein kann. ({5}) Im Regionalverkehr bei mir im Wahlkreis, in ganz Niedersachsen, aber auch im Rest der Republik ist es so, dass es die privaten Bahnen durchaus schaffen, im Regionalverkehr Verkehrsmittel einzusetzen, in die ich beispielsweise auch in einem Rollstuhl eigenständig einsteigen und meinen Sitzplatz erreichen kann. Die Regionalzüge der Bahn, die bei mir fahren, erlauben mir zwar auch den Einstieg. Aber dann stehe ich nur noch vor zwei steilen Treppen – einer nach oben und einer nach unten. Solche Fahrzeuge haben Sie erneut bestellt. Wir haben sehr klar adressiert, dass wir diese Praxis nicht nur gesetzgeberisch, sondern auch als Eigentümer der Bahn beenden werden. Ich freue mich sehr, dass der Niederflur-ICE des spanischen Unternehmens Talgo alles, was Sie hier aufschreiben, bereits erfüllt. Umso unerfreulicher ist es, dass er nicht ausgeliefert wird, weil es mit den Produktions- und Lieferketten an der Stelle Probleme gibt. Er wird kommen. Ich bin sehr fest davon überzeugt, dass wir diese technischen Geräte auch in deutlich größeren Mengen bestellen werden. Dann haben wir auch hier einen gemeinsamen Punkt. Ein letzter Satz zu den Assistenzhunden. Wir haben darauf hingewiesen, dass Sie im letzten Jahr den Zutritt geregelt haben. Tatsächlich aber funktioniert er nicht. Ganz herzlichen Dank an das BMAS, Frau Kollegin Kramme, dass wir die Assistenzhundeverordnung mit der einheitlichen Kennzeichnungspflicht noch in diesem Jahr veröffentlichen werden. Dann können wir das, was Sie auch schon gesetzgeberisch wollten, endlich umsetzen. Dass wir außerdem Haushaltsmittel haben, um 100 Mensch-Tier-Paare zu fördern, ist ein weiterer sehr guter Punkt. Also, wir sind auf einem gemeinsamen guten Weg. Adventliche Stimmung: Lassen Sie es uns zusammen machen! Frau Präsidentin, herzlichen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Angelika Glöckner das Wort. ({0})

Angelika Glöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ja, morgen ist der 3. Dezember, der Internationale Tag der Menschen mit Behinderungen. Es ist ein Aktionstag, an dem alljährlich in der Öffentlichkeit versucht wird, das Bewusstsein zu erneuern und zu schärfen, dass sich Menschen mit Behinderungen im Alltag noch immer zu vielen Barrieren gegenübersehen: sei es die Treppe im Eigenheim, der viel zu klein geschriebene Beipackzettel, die fehlende Gebärdensprache oder auch ein hoher Bordstein im öffentlichen Raum. Trotz vieler Fortschritte: Es gibt noch viele Barrieren zu beseitigen. Das ist und bleibt eine wichtige Aufgabe. ({0}) Die CDU/CSU hat beantragt, mehr Tempo zu machen beim Ausbau der Barrierefreiheit. Die Überschrift des Antrags hört sich sehr ambitioniert an, doch wenn man den Antrag liest, dann merkt man schnell: Sie stehen noch immer auf der Bremse. Ich will das mal an einem Punkt aufzeigen, den Sie aufgeschrieben haben. Sie fordern schnellere Änderungen beim Personenbeförderungsgesetz, mehr Barrierefreiheit im ÖPNV. Abgesehen davon, dass wir das Thema bereits auf dem Schirm haben: Dieses Gesetz haben wir in der gemeinsamen Koalition zuletzt im Jahr 2021 geändert. Ich muss Sie schon mal ganz ehrlich fragen: Warum haben Sie diese Änderungen nicht schon damals eingepflegt, wenn es Ihnen jetzt nicht schnell genug geht? Erst auf der Bremse stehen, jetzt Tempo machen – das passt nicht zusammen, das wirkt einfach unglaubwürdig. ({1}) Weiterhin fordern Sie mehr Personal beim Service an den Fernbahnhöfen. Ich will für meine Fraktion, die SPD, ganz klar sagen: Wir wollen, dass Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt reisen können; das ist überhaupt kein Thema. Aber dieser Punkt in Ihrem Antrag ist nicht durchdacht, vor allen Dingen nicht bis zum Ende. Sie wissen schon, dass die Bahn auch ein Fachkräfteproblem hat. ({2}) Was sind denn eigentlich die Lösungen, die Sie anbieten? Wir arbeiten an Lösungen, und wir legen konkrete Beschlüsse auf den Tisch: heute Morgen das Chancen-Aufenthaltsgesetz, das Bürgergeld-Gesetz. Wir setzen das Fachkräfteeinwanderungsgesetz aufs Gleis. Wir tun alles für zusätzliche Fachkräfte. Und Sie? Sie blockieren. ({3}) – Ja, aber mit vielen Umwegen, Herr Oellers; das müssen Sie auch schon sagen. Ich will auch noch mal darauf hinweisen: Demnächst werden wir in diesem Haus auch einen Gesetzentwurf beraten, der eine erhöhte Ausgleichsabgabe vorsieht. Dies ist auch unbedingt und dringend notwendig; denn noch immer gibt es sehr viele Unternehmerinnen und Unternehmer, die trotz Beschäftigungspflicht niemanden, der eine Behinderung hat, in ihrem Haus beschäftigen wollen. Das ist doch ein Punkt, auf den Sie in Ihrem Antrag überhaupt nicht zu sprechen kommen. Aber ohne eine höhere Ausgleichsabgabe werden wir die Barrieren für Menschen mit Behinderungen hin zum allgemeinen Arbeitsmarkt nicht überwinden können. Deswegen bin ich froh, dass wir das jetzt aufs Gleis setzen. ({4}) Die Bundesregierung hat auch die Bundesinitiative Barrierefreiheit aufs Gleis gesetzt und ein Eckpunktepapier beschlossen. In allen Bereichen – das wurde mehrfach erwähnt – werden wir das Thema Barrierefreiheit anpacken, gemeinsam mit Ländern und Kommunen und selbstverständlich auch unter Mitwirkung der Menschen mit Behinderungen, was in Ihrem Antrag überhaupt nicht erwähnt wird. Ich fasse zusammen. Nach gut einem Jahr Regierungszeit haben wir ein gutes Paket vorgelegt, um Barrierefreiheit zu schaffen. Es ist ein umfassendes Paket. Ihr Unionsantrag ist meines Erachtens nicht bis zum Ende gedacht. Er ist nicht konkret genug, er wird nicht wirken. Nach heutigem Stand ist er aus meiner Sicht nicht zustimmungsfähig. Ich freue mich aber dennoch auf die weiteren Beratungen. Herzlichen Dank und ein schönes Wochenende. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. Stefan Nacke das Wort. ({0})

Dr. Stefan Nacke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005163, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mehr Tempo fordern wir in unserem heutigen Antrag „Mehr Tempo für Barrierefreiheit und einen inklusiven Sozialraum“. Mehr Tempo fordern aber auch diejenigen, die wir mit unserem Antrag in den Blick nehmen. Beim Thema Inklusion denken viele zuerst an Menschen mit Behinderungen. Dabei geht es um viel mehr. Es geht auch um die Mutter, die mit ihrem Kinderwagen nicht durch den Kassenbereich eines Supermarktes kommt. Es geht auch um den Großvater, der seinen Enkel in einer anderen Stadt besuchen will, aber den ICE verpasst, weil niemand da ist, der ihm beim Einsteigen hilft. Auch diese beiden wünschen sich von der Politik mehr Tempo. ({0}) Für sie ginge es im Alltag viel schneller, wenn man auch an ihre Bedürfnisse gedacht hätte. Als Sozialethiker habe ich in meinem Studium gelernt, dass man sich Politik und insbesondere Ordnungspolitik spieltheoretisch vorstellen kann. Zwei Seiten müssen zusammenwirken: Spielregeln auf der einen, Spielzüge auf der anderen Seite. Grundsätzliche ethische gesellschaftspolitische Ziele und Vorstellungen müssen auf der Ebene der Spielregeln etabliert werden. So können sie als Rahmenbedingungen für das Handeln des Einzelnen Anreize entfalten. Mit Blick auf unsere heutige Debatte glaube ich, dass dieses zweidimensionale Modell zu kurz gedacht ist. Es fehlt eine dritte Dimension. Um im Bild zu bleiben: Wir müssen auch das Spielbrett mitdenken. Ich meine damit einen Spielraum, der nicht einfach da ist, sondern immer erst geschaffen und gestaltet werden muss. Nur so können Menschen zu Mitspielern werden. Also: Spielregeln, Spielzüge und Spielraum. Erst diese dritte Dimension bringt Ordnung in die Politik. Demnach ist Inklusionspolitik nicht noch etwas Hinzukommendes, ein schönes Extra oder so, sondern nichts mehr oder weniger als Ordnungspolitik. ({1}) Morgen ist Internationaler Tag der Menschen mit Behinderungen. Deshalb haben wir mit unserem Antrag der Ampel einen Merkzettel aufgeschrieben für eine smartere Gesellschaft, deren Programme, Regeln, Strukturen und urbane Hardware vom Nutzer her gedacht werden müssen. Es geht um Bauliches, um Mobilität, um Digitalisierung, um politische Beteiligung, um Katastrophenschutz und um vieles mehr. Eine unserer Anregungen möchte ich aber besonders herausgreifen; denn sie birgt großes Potenzial. Es geht um das Thema „Design für Alle“. „Design für Alle“ ist ein Konzept für die Planung und Gestaltung von Produkten, Dienstleistungen und Infrastrukturen. Damit sind Lösungen gemeint, die besonders gebrauchsfreundlich sind und individuellen Anforderungen begegnen. Das Ziel: Allen Menschen soll eine Nutzung ohne individuelle Anpassung oder besondere Assistenz möglich sein. So wird niemand stigmatisiert. Ich wünsche mir, dass möglichst viele von dieser Idee angeregt werden. Es gibt bisher nur zwei Orte in Deutschland, an denen dieser Ansatz in die Ausbildung zukünftiger Gestalter integriert ist. Einer davon liegt in meinem Wahlkreis, die Akademie für Gestaltung der Handwerkskammer Münster. Dort werden nach Auskunft ihres Leiters Manfred Heilemann als Teil des gemeinnützigen Kompetenznetzwerks EDAD in drei Jahrgängen 90 bis 120 Studierende erfahrungsbasiert zu Multiplikatoren für „Design für Alle“ ausgebildet. So was muss in Deutschland Schule machen. ({2}) „Design für Alle“ realisiert die Idee einer Ordnungspolitik, die inklusiv ist. Vor fast genau einem Jahr haben Sie sich das Bundesprogramm Barrierefreiheit in Ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Seitdem ist nichts passiert. Das ist ein unfaires Spiel. Es wird Zeit, liebe Ampel, etwas mehr für Barrierefreiheit und einen inklusiven Sozialraum zu tun. Seien Sie keine Spielverderber! Machen Sie endlich Tempo! ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Corinna Rüffer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Hochverehrte Präsidentin! Liebe Demokratinnen und Demokraten! Ich nehme jetzt mal den letzten Redebeitrag als Versprechen und möchte in ähnlicher Weise grundsätzlich beginnen. Morgen ist der Internationale Tag der Menschen mit Behinderungen. Ich habe gestern – wir hatten ja einen langen Abend hier im Haus – die Gelegenheit genutzt, noch mal zu recherchieren, woher dieser Tag historisch eigentlich kommt. Der Ursprung fällt in eine Zeit in Deutschland, in der Gerichte solche Urteile gefällt haben: Auch die Anwesenheit einer Gruppe von jedenfalls 25 geistig und körperlich Schwerbehinderten stellt einen zur Minderung des Reisepreises berechtigenden Mangel dar ... Daß es Leid auf der Welt gibt, ist nicht zu ändern; aber es kann der Klägerin nicht verwehrt werden – – es handelt sich um eine 64-jährige alte Dame, die in Griechenland Urlaub gemacht hat, damals, im Jahr 1980 – wenn sie es jedenfalls während des Urlaubs nicht sehen will. „Dieses Leid“! Ist das nicht fürchterlich? Es ist noch gar nicht so lange her, dass Gerichte solche Urteile gefällt haben. Und ich möchte Ihnen ehrlich sagen: Es ist heute noch so, dass im Prinzip viele Leute so denken. Deswegen müssen wir daran arbeiten, dass dieses Denken endlich beendet wird. ({0}) An dem 8. Mai, nachdem das Urteil gefällt worden ist, gab es in Frankfurt die größte Demonstration behinderter Menschen – ich glaube sogar, bis heute. ({1}) Die Frankfurter und die Menschen in dieser Republik haben noch nie so viele behinderte Menschen auf den Straßen gesehen. Damals hat der Kampf um die Rechte behinderter Menschen begonnen. Diesen Kampf, den führen wir heute weiter, den müssen wir heute als Parlament weiterführen. ({2}) Wir sind heute auch gesetzlich dazu verpflichtet, weil wir die UN‑Menschenrechtskonvention ratifiziert haben; das ist ganz eindeutig. Es geht um Selbstbestimmung. Es geht um Inklusion als Strukturprinzip. Es geht nicht um ein Randthema für ein paar Menschen, sondern es geht darum, dass wir unsere Strukturen so gestalten, dass zukünftig alle Menschen daran teilhaben können. ({3}) Wenn ich hier mal in die Reihen blicke, dann sehe ich, dass da viele sitzen, die der Babyboomergeneration angehören. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Leute, die vielleicht irgendwann mal behindert und auf Pflege angewiesen sein werden, in dieser Lebensphase auf ihre Selbstbestimmung verzichten möchten. Deswegen empfehle ich all diesen Menschen, die hier sitzen, jetzt dafür zu sorgen, dass wir barrierefrei bauen, damit sie am Ende des Tages auch zu Hause wohnen können, dass wir ambulante Dienste anbieten, dass wir den Zugang zu Leistungen vereinfachen. Das sind die Themen, über die wir reden, und sie sind so gewaltig, dass wir unsere Zeit nicht mehr darauf verschwenden können, über die letzten 16 Jahre zu reden. Vielmehr müssen wir jetzt die Ärmel hochkrempeln, damit dieses Land auch in dieser Hinsicht zukunftsfähig wird. Insofern, liebe Union, bin ich Ihnen dankbar für das Angebot, dass wir jetzt gemeinsam streiten – für eine inklusive Gesellschaft, die barrierefrei ist und allen Menschen die Teilhabe vollumfänglich ermöglicht. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Rasha Nasr für die SPD-Fraktion. ({0})

Rasha Nasr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005165, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehren Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Als Fortschrittskoalition wollen wir Deutschland zu einem Fortschrittsland machen; dazu gehört auch der flächendeckende Ausbau der Barrierefreiheit. Denn Barrierefreiheit ist ein Qualitätsstandard für ein modernes Land, wie wir es sein wollen. Aber Barrierefreiheit und die Politik der Union passen leider nicht so richtig zusammen. ({0}) In Ihrem Antrag schmücken Sie sich damit, dass in 16 Jahren unionsgeführter Regierung angeblich – Zitat – „... bereits viele Wegmarken für mehr Barrierefreiheit in unserem Land gesetzt“ wurden. So schnell scheinen Sie zu vergessen, dass Sie es waren, ({1}) die in den letzten Jahren bei jedem noch so kleinen sozialen Schritt auf der Bremse standen. ({2}) Wer sich um das Thema Inklusion gekümmert hat, das war die SPD. Vier Beispiele. Erweiterung des Behindertengleichstellungsgesetzes; das war das BMAS. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz; das war auch das BMAS. Zutrittsrechte für Halter von Assistenzhunden im Privatbereich: hat das BMAS geregelt. Und: Das BMAS hat die InitiativeSozialraumInklusiv initiiert. Sie schmücken sich für die lange Zeit der Großen Koalition in dreister Weise mit fremden Federn. ({3}) Sie ziehen jetzt ein lange von Ihnen vernachlässigtes Thema hoch. Sie schreiben im Koalitionsvertrag der Ampel ab, um uns gleichzeitig vorzuwerfen, zu wenig zu tun. ({4}) Das ist schon ein bisschen billig; das müssen Sie sich jetzt anhören. Während Sie also Lobhudelei für gesetzliche Verbesserung der letzten Jahre für sich beanspruchen, ({5}) für die Sie sachlich kaum etwas beigetragen haben, benennen wir es ampelklar: Es gibt noch etliche Lücken, die jetzt mit unserer Bundesinitiative Barrierefreiheit angegangen werden. ({6}) Es steht ja auch klar im Eckpunktepapier. So sind nur rund 1,5 Prozent der Wohnungen in Deutschland barrierefrei oder barrierearm, nur circa 26 Prozent der Haus- und Facharztpraxen barrierefrei. Bei staatlichen Webseiten sehen wir, dass sie teils nicht barrierefrei sind. Und in einer Umfrage der Aktion Mensch geben ein Drittel der Befragten mit Beeinträchtigung an, nicht selbstständig im öffentlichen Verkehr unterwegs sein zu können, weil sie die zahlreichen Barrieren eben nicht selbstständig überwinden können. Das sind nur ein paar Beispiele, an denen sich zeigt, dass diese Bundesregierung eben nicht davor zurückschreckt, Probleme klar zu benennen und dann auch klar anzugehen. Das machen wir jetzt mit dieser Bundesinitiative. ({7}) Natürlich, Herr Oellers, ärgert es Sie, dass jetzt in einer SPD-geführten Regierung Dinge zum Fliegen kommen, die unter Ihren CDU-geführten Regierungen nie zum Fliegen kamen. ({8}) Zu wenig, zu spät, CDU. ({9}) Obendrauf kommt, dass Ihr Antrag mit den vorgestern beschlossenen Eckpunkten erledigt ist. Während die Union nur abschreibt und gleichzeitig von Versäumnissen der Vergangenheit ablenken will, geht diese Koalition voran, setzt den Koalitionsvertrag weiter fleißig um und geht mit der Bundesinitiative weiter, als es opportune Forderungen tun. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen und danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute vorgelegten Krankenhauspflegeentlastungsgesetz beginnt nichts Geringeres als eine Revolution – in der Art und Weise, wie wir Krankenhausplanung gestalten und wie die Versorgung in Krankenhäusern stattfinden soll. ({0}) Worum geht es? Wir haben das Gleichgewicht zwischen Medizin und Ökonomie verloren. Es wird derzeit im Krankenhaussektor in Deutschland zu viel durch die Belange der Ökonomie bestimmt. Die medizinischen Aspekte sind in den Hintergrund gerückt. Dieses Gleichgewicht muss neu justiert werden. Insbesondere müssen wir auch darüber nachdenken, wie das System der Fallpauschalen überwunden werden kann. Denn durch die Fallpauschalen wird eine Qualität, die minderwertig ist, genauso bezahlt wie eine besonders hochwertige Qualität. Die Pauschale ist immer gleich hoch. Es gibt auch einen massiven Anreiz, viele Pauschalen abzurechnen. ({1}) Dieses System betont die Kriterien „billig“ und „Menge“ statt „Qualität“ und „Angemessenheit“. Das muss neu justiert werden. Wir können im Krankenhaussektor nicht nach den gleichen Regeln vorgehen, nach denen zum Beispiel Lidl Lebensmittel verkauft. Hier müssen die Qualität und die medizinischen Aspekte wieder in den Vordergrund rücken. Diese Revolution beginnt mit dem heutigen Gesetz. ({2}) Wenn ein solches Fallpauschalensystem so eingeführt wird, wie wir es gemacht haben, nämlich als 100-Prozent-Ansatz, dann bleiben die Bereiche zurück, wo man keine Gewinne machen kann. Das gilt insbesondere für die Pflege, das gilt zum Beispiel für die Kinderheilkunde, das gilt aber auch für die Geburtshilfe. Daher fangen wir in diesen Bereichen an, um dort sozusagen ein neues Gleichgewicht aufzubauen. Es darf nicht länger sein, dass auf dem Rücken von Kindern, Pflegekräften und Hebammen Gewinne gemacht werden und dass das Medizinische zurückgedrängt wird. Das wollen wir nicht weiter hinnehmen. ({3}) Daher hat dieses Gesetz fünf Schwerpunkte im Bereich Krankenhaus: Zum Ersten die Pflege. Dort wird dokumentiert: Wie ist eigentlich die Pflegesituation auf den Stationen? Wo es eine Unterdeckung gibt, können und müssen mehr Pflegekräfte eingestellt werden und die Arbeit übernehmen. Der zweite Punkt ist aus meiner Sicht eigentlich fast der wichtigste: In den Kinderkliniken haben wir eine enorme Not. Das war mir schon klar, bevor ich überhaupt Minister wurde. Daher war es eine meiner ersten Initiativen, dass wir die Fallpauschalen in der Kinderheilkunde stark zurücknehmen. In einem Korridor von 80 bis 100 Prozent bekommen die Kinderkliniken jetzt das gleiche Geld, egal wie viele Fälle sie abrechnen, sodass dieser Hamsterradeffekt da sofort herausgenommen wird. Stellen wir uns vor, wir hätten das nicht gemacht! Wir beschließen heute dieses Gesetz; wir haben Monate daran gearbeitet. Es war und es ist jetzt dringend notwendig. Wir brauchen das Geld. Unmittelbar ab dem 1. Januar 2023 gibt es 300 Millionen Euro als Soforthilfe für die Kinderkliniken, sodass sie aus diesem Hamsterrad herauskommen. Ich möchte mich an dieser Stelle auch ausdrücklich bei den Pflegekräften und den Ärztinnen und Ärzten bedanken, die jetzt Fälle der schweren RSV-Epidemie in Deutschland behandeln. Sie leisten Großartiges. Sie können sich unserer Unterstützung hier völlig sicher sein. Wir werden alles tun, um sie durch diese schwierige Krise zu bringen. Das schulden wir den Pflegekräften und den Ärztinnen und Ärzten, aber in allererster Linie den Kindern. ({4}) Wir werden nichts unterlassen, was wir den Kindern bieten können. Wir sind hier in der Pflicht. Dritter Punkt. Genauso gehen wir auch bei der Geburtshilfe vor. Es wird dort Zuschläge geben. Und was auch wichtig ist: Kosten für Hebammen werden zu 100 Prozent außerhalb des Budgets erstattet. Jede Hebamme, die im Krankenhaus arbeitet, wird voll finanziert. ({5}) Sie werden da den Pflegekräften gleichgestellt. Auch dort müssen wir mehr investieren. Vierter Punkt. Dazu kommen tagesstationäre Versorgungsangebote durch Hybrid-DRGs, damit mehr ambulant gemacht werden kann. Mehr ambulante Versorgung ist auch für die Pflege wichtig. Denn jede Leistung, die ambulant gemacht werden kann, setzt Pflegekräfte frei; jede Übernachtung, die entfallen kann, weil sie nicht notwendig ist, setzt Kapazitäten bei Nachtdiensten und Schichten frei. Das heißt, auch diese Maßnahmen sind zentral, um eine verbesserte Versorgung in der Pflege hinzubekommen. Daher ist es ein großes Gesetz. Dieses Gesetz schafft fünftens auch noch ein paar Grundlagen für die Digitalisierung. Das werden meine Kolleginnen und Kollegen nachher erläutern; ich muss mich hier kurzfassen. Wir setzen damit auch einen Prozess dafür in Gang, dass die elektronische Patientenakte in Deutschland genutzt werden kann. – Im Großen und Ganzen ist es ein wichtiges Gesetz. Bereits in der nächsten Woche werden wir dann mit der Expertenkommission Krankenhaus der Bundesregierung die nächsten Schritte vorstellen. Wir arbeiten hier mit hoher Taktzahl, mit großem Tempo. Daher möchte ich allen Abgeordneten, die diese schnelle Taktzahl mitgehen, aber auch den Mitarbeitern im Haus ganz herzlich danken. Ich weiß, dass ich Ihnen viel abverlange. Wir sind mit hohem Tempo unterwegs; ({6}) aber es wird eine gute Qualität geliefert. Das ist aus meiner Sicht eine gute Zeit für die Entwicklung des Krankenhauses. Ich danke Ihnen für die Zusammenarbeit und für die Unterstützung. Bitte stimmen Sie diesem wichtigen Gesetz heute zu! ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Tino Sorge das Wort. ({0})

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Grunde ist das, was im Gesetz steht, ja wirklich viele Debatten wert, sehr viele Debatten sogar. Aber ich will genau das machen, was der Minister auch gemacht hat: Ich will über das reden – das ist sehr interessant –, was eben nicht im Gesetz steht. Das haben Sie, lieber Herr Minister, genau gemacht: nämlich darüber zu reden, was nicht im Gesetz steht. ({0}) Wir haben hier ein Riesenproblem. Wir haben ein Problem, das Tausende von Menschen im Land wirklich umtreibt, das Kliniken umtreibt, das Einrichtungen umtreibt, worüber wirklich seit Monaten alle sprechen und worüber Sie kein Wort verloren haben. Es ist quasi der Elefant, der hier im Raum steht, oder das Mammut im Plenarsaal: Es geht um die Energiehilfen. Wir haben Kliniken, wir haben Einrichtungen, wir haben Pflegeinstitutionen, die auf diese Energiepreishilfen, auf den Inflationsausgleich warten. ({1}) Die wissen nicht, wie sie jetzt im Dezember die Löhne bezahlen sollen. Die wissen nicht, wie sie das Weihnachtsgeld bezahlen sollen. Kein Wort davon, wie das bezahlt wird! Da hätten wir mehr erwartet, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Jetzt will ich auch auf das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz eingehen. ({3}) Es ist ja schön und gut, wenn Sie sagen, Sie wollen mit diesem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz die Pflege entlasten, auch in den Häusern. Das Problem ist nur: Sie tun genau das Gegenteil. Es ist ein Krankenhauspflegebelastungsgesetz. Und ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch, warum. Dieses Gesetz wird die Krankenhäuser nicht entlasten. Das Gesetz bringt vor allem Unklarheit und neue Belastungen. Ich mache Ihnen das auch ganz konkret an Beispielen fest: Beispiel eins, Pflegepersonalbemessung, Personalbedarfsermittlung. Das klingt ja alles ganz gut. ({4}) Aber erstens. Es kommt im Jahr 2025 viel zu spät. ({5}) Zweitens. Genau mit diesen starren Pflegepersonalbemessungskriterien setzen Sie neue Daumenschrauben an, neue Daumenschrauben für die Kolleginnen und Kollegen, die in der Pflege arbeiten – also im Grunde nichts, was vor Ort hilft, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Beispiel zwei, die Tagesbehandlung. Das hört sich natürlich alles sehr romantisch an, wenn man sagt: Wir machen jetzt Tagesbehandlungen. – Dann kann man als Patient nach der Behandlung abends nach Hause gehen, was man ja erst mal gar nicht schlecht findet. Aber die Fragen, die damit zusammenhängen, also die Frage der Haftung, die Frage der Umsetzung, die Frage der Mobilität – was ist mit Patientinnen und Patienten, die zu Hause Komplikationen haben? –, sind überhaupt nicht geklärt. Das ist genau das, was Ihnen die Krankenhäuser und was Ihnen die Einrichtungen sagen. Kein Wort darüber im Gesetz! ({7}) Beispiel drei. Das ist ja das Bemerkenswerte: Der Minister hat sich hier wieder hingestellt und hat gesagt, er wolle das DRG, das System der Fallpauschalen, überwinden. Dann hätte ich mir zumindest gewünscht, dass er hier ganz konkret sagt, wie die Alternative aussieht. Das hat er nicht getan. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns doch an diesem System arbeiten! Es ist ja im Grunde das Skurrile, dass der Vater der Fallpauschalen, also derjenige, der sie mitentwickelt hat – Rot-Grün hat diese Fallpauschalen ins Leben gerufen –, sich jetzt hinstellt und sagt: Na ja, ist dumm gelaufen. Das ist nicht mehr in Ordnung. Wir machen was Neues. – Insofern: Sagen Sie, was Sie Neues machen wollen, arbeiten Sie mit uns daran, dass wir nachjustieren, dass wir mit höheren Vorhaltekosten arbeiten, dass wir Fallpauschalen, die nicht auskömmlich sind, vielleicht auch nachjustieren. ({8}) Oder sagen Sie, welche Alternative Sie möchten. Aber nein, Sie haben keinen Plan A, Sie haben keinen Plan B, und das, was hier vorgestellt wird, ist überhaupt nichts. ({9}) Unterm Strich ist dieses Gesetz kein Krankenhausentlastungsgesetz, es ist ein Krankenhausbelastungsgesetz. Wir werden diesem Gesetz deshalb nicht zustimmen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Vogler?

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, selbstverständlich.

Kathrin Vogler (Unbekannt)

Politiker ID: 11004181

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie meine Frage bzw. Zwischenbemerkung zulassen. Zum einen frage ich mich ja, welcher Prinz das Dornröschen Union bei der Umsetzung der PPR 2.0 wachgeküsst hat ({0}) und warum Sie in den letzten Jahren an dieser Stelle geschlafen haben; denn das Instrument ist ja schon vor langer Zeit entwickelt worden, und wir als Linke haben immer wieder darauf gedrängt, es möglichst schnell umzusetzen, um die Beschäftigten in den Krankenhäusern zu entlasten und die Patientinnen und Patienten besser zu versorgen. Als Zweites möchte ich einen Punkt ansprechen, den Sie in Ihrer Rede noch nicht angesprochen haben, und das ist dieses fatale Einvernehmen, das seitens des Gesundheitsministeriums mit dem Finanzministerium hergestellt werden muss, um das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz in den Krankenhäusern überhaupt umzusetzen. Denn allen ist klar: Das wird Geld erfordern. Wenn aber Herr Lindner da sozusagen auf der Leitung steht, wird es schwer sein, dieses Geld zuzuführen. Wir haben das als Linke sehr früh kritisiert und schon vor vier Wochen einen entsprechenden Änderungsantrag in den Ausschuss eingebracht. Dem hätten Sie ja zustimmen können. Denn überraschenderweise ging uns am Dienstagnachmittag um 15.15 Uhr, also nicht einmal 24 Stunden vor der Ausschusssitzung, ein gleichlautender Änderungsantrag der Unionsfraktion zu, dem wir natürlich zugestimmt haben. Aber warum haben Sie den überhaupt eingebracht? Sie hätten doch einfach dem Änderungsantrag, den Die Linke im Ausschuss eingebracht hat, zustimmen können; ({1}) dann hätten wir das gemeinsam voranbringen können. Da hätten Sie sich die Mühe dieses Plagiats überhaupt nicht zu machen brauchen. ({2})

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Kollegin Vogler, vielen Dank für die Frage. – Das gibt mir die Möglichkeit, darauf hinzuweisen, dass unser Antrag nicht nur besser war, ({0}) sondern dass er auch weitergehend war. Deshalb haben wir einen eigenen Antrag gestellt und diesem natürlich auch zugestimmt. Das gibt mir auch die Möglichkeit, noch mal darauf hinzuweisen, dass Oppositionsarbeit wirkt, auch Oppositionsarbeit von Ihnen. Wenn ich da beispielsweise an die Hebammen denke: Wir haben ja bei den Hebammen das Problem gehabt, dass ihre Bezahlung eben aus dem Pflegebudget ausgegliedert werden sollte. Insofern haben wir da Anträge gestellt; da haben wir auch ständig Rabatz gemacht. Darum hat sich die Kollegin Emmi Zeulner aus meiner Fraktion federführend gekümmert, und es hat ja auch gewirkt. Ich weiß jetzt nicht, ob es an den 1,6 Millionen Menschen, die eine Petition unterschrieben haben, gelegen hat oder an unseren Anträgen. Man sieht: Opposition wirkt. Weil Sie hier im Märchenduktus sprechen: Ich meine, wir hätten uns auch gewünscht, dass der Frosch, der ständig geküsst wird – ob das jetzt Christian Lindner oder wer auch immer ist –, mal zu einem Froschkönig oder zu einem Prinzen wird; aber es ist leider nicht passiert. ({1}) Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich darauf hinweisen: Dieses Gesetz wird diesem Anspruch überhaupt nicht gerecht. Das ist das, was wir kritisieren; das ist auch das, was Sie kritisieren. Insofern sind wir uns ja in der Opposition einig, ({2}) genauso wie mit den meisten Akteuren im System. Diese Kritik kommt nicht nur von uns als Opposition, sondern diese Kritik kommt ja von nahezu allen Akteuren: Das sind die Kliniken, das sind die Pflegeeinrichtungen, das sind viele andere Einrichtungen. Nehmen Sie diese Kritik ernst! Wischen Sie die nicht vom Tisch, und arbeiten Sie konstruktiv mit uns an Lösungen, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({3}) Da wir ja am Sonntag den zweiten Advent haben, will ich nur noch mal darauf hinweisen: Das lateinische Wort „adventus“ bedeutet „Ankunft“. In diesem Sinne erwarten wir als Union die Ankunft Ihrer Gesetze, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel, aber Gesetze, die echte Entlastung für die Kliniken, die echte Entlastung für das Pflegepersonal bringen. Also: Bleiben Sie am Ball! Schlagen Sie was vor, sonst brennt hier nämlich bald der Baum! Und das will keiner. Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Dr. Janosch Dahmen das Wort. ({0})

Dr. Janosch Dahmen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004962, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Sehr verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich will keine schrägen Märchenmetaphern erzählen, und ich möchte auch nicht über Dinge reden, die nicht im Gesetz oder nicht auf der Tagesordnung stehen, ({0}) sondern ich möchte mich auf den vorliegenden Gesetzentwurf beziehen. Ich glaube, wenn wir uns die aktuelle Situation beispielsweise in den Kinderkliniken anschauen, sehen wir, dass die Situation zu ernst ist, um über schräge Vergleiche zu reden oder irgendwelche Witze zu machen, sondern dass es Zeit ist, zu handeln. Das tun wir mit diesem Gesetz, und zwar auf der vollen Breite der Gesundheitsversorgung, indem wir sehr wichtige Reformen auf den Weg bringen. ({1}) Der Reihe nach. Erstens ist es so, dass wir im Bereich der Kinderkliniken, die jetzt so unter Druck stehen, wichtige Reformen auf den Weg bringen, die einerseits die Finanzierung verbessern, indem wir pro Jahr 300 Millionen Euro zusätzlich in die Finanzierung der Kinderkliniken stecken, und die andererseits eine wichtige Budgetgarantie schaffen, die die auskömmliche Finanzierung der stationären Kinderheilversorgung in Deutschland sicherstellt. ({2}) Zweitens sorgen wir mit diesem Gesetz durch die Einführung spezieller Personalbemessungsinstrumente in der Kinderkrankenpflege, und nicht nur dort – dazu wird meine Kollegin Kordula Schulz-Asche gleich noch mehr sagen –, genau dafür, dass mehr Pflegepersonal in der Kinderkrankenpflege, aber auch auf den Intensivstationen der Kinderkliniken zur Verfügung stehen wird. Das ist ein wichtiger Schritt, der die Versorgungssituation verbessert. Drittens. Wir führen unter anderem im Bereich der Kinderheilkunde, aber auch in anderen Bereichen eine Verbesserung der telemedizinischen bzw. telekonsiliarischen Versorgung ein. Die Zusammenarbeit zwischen spezialisierten Kinderkliniken und Kliniken der Grundversorgung wird verbessert. Forderungen, die diese Woche noch von den Intensivmedizinern erhoben wurden, werden heute hier im Deutschen Bundestag bereits umgesetzt. ({3}) Im Bereich der Geburtshilfe sorgen wir dafür, dass nicht nur eine bessere Finanzierung da ist, sondern dass Hebammen, wie bereits angesprochen, vollständig aus dem Pflegebudget finanziert werden und – das sei bereits angekündigt – auch kurzfristig vollständig auf die Personaluntergrenzen der nach- und vorgeburtlichen Stationen in den Krankenhäusern anrechnungsfähig sind. Das war eine große Forderung der Verbände. Im Übrigen ist das ein Hinweis, der aus der Union kam, den wir nicht beiseitegeschoben haben, dem wir zugehört haben, den wir heute beschließen und umsetzen, wodurch die Versorgung verbessert wird. ({4}) Der vierte wichtige Aspekt im Bereich der Krankenhausversorgung – Dinge, die über Jahre nur in Sonntagsreden genannt wurden –: Die Ambulantisierung stationärer Versorgung wird in zwei wichtigen Bereichen mit der Tagesbehandlung und den sogenannten Hybrid-DRGs auf den Weg gebracht. Das sorgt dafür, dass dort, wo Übernachtung nicht notwendig ist, aber die Strukturen eines Krankenhauses für Versorgung sinnvoll sind, endlich diese Behandlungsart möglich ist. Die Mutter kann mit ihrem Kind nach der Behandlung am Tag, sowohl pflegerisch als auch ärztlich, abends nach Hause gehen und muss nicht im Mehrbettzimmer mit anderen Kindern und anderen Eltern übernachten, was der Genesung zuträglich ist. Dies ist beispielsweise ein wichtiger Baustein in der Versorgung, der uns nach vorne bringt. ({5}) Die Metallentfernung nach einem komplizierten Bruch muss nicht mehr im Krankenhaus, sondern kann bei gleicher Vergütung zukünftig möglicherweise ambulant zu besserer Qualität mit niedrigen Risiken durchgeführt werden. Das ist nicht mehr nur angekündigt; das wird auf diesem Weg umgesetzt – ein wichtiger Reformschritt, den wir heute mit diesem Gesetz nach vorne machen. Lassen Sie mich neben diesen wichtigen Reformen in der Krankenhausversorgung auch noch etwas zum Digitalisierungsbereich sagen. Im Unterschied zu Dingen, die in der vergangenen Legislatur immer wieder im Mittelpunkt standen, wo mit vielen Einzelreformen in einem wilden Durcheinander immer Digitalisierung propagiert, aber in der Praxis oft Chaos erzeugt wurde, sorgen wir mit einer Digitalstrategie, die zurzeit mit allen Stakeholdern entwickelt wird, für einen strukturierten Prozess ({6}) und bringen mit dem heutigen Gesetz vereinfachte Zugangsvoraussetzungen zur elektronischen Patientenakte und zu anderen wichtigen Strukturen der Telematikinfrastruktur auf den Weg, ({7}) wie beim elektronischen Personalausweis und anderen Dingen. Das sind alles Dinge, die längst hätten passieren müssen, um Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzubringen. ({8}) Auch das sei gesagt: Es ist so, dass wir im Bereich der Pflege maßgeblich durch Einführung der Personalbemessung endlich das umsetzen, was von den Pflegeverbänden über Jahre eingefordert wurde: eine Personalbemessung, die mit Sanktionen verknüpft ist, deswegen Wirkung entfaltet und die Arbeitsbedingungen von Pflegenden verbessert und nicht nur Luftbuchungen erzeugt, die am Ende in der Versorgung keinen Unterschied machen. Also: Hören Sie auf, über Märchen zu reden!

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege.

Dr. Janosch Dahmen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004962, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Stimmen Sie diesem wichtigen Gesetz zu! Es ist ein gutes Gesetz. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Thomas Dietz für die AfD-Fraktion. ({0})

Thomas Dietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005042, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Krankenhauspflege in Deutschland steht derzeit vor dem erschreckenden Ergebnis der jahrelangen Ignoranz der herrschenden Politik gegenüber diesem fundamentalen Bereich einer sozialen Gesellschaft. Bereits jetzt können notwendige Pflegemaßnahmen oft nicht mit dem gebotenen Aufwand durchgeführt werden, weil es an Zeit, an Personal oder der entsprechenden Ausbildung mangelt. Es kommt zu einer impliziten Rationierung; die Pflege am Patienten, die Überwachung der Patienten, Gespräche mit Angehörigen und eine korrekte Dokumentation sind kaum noch angemessen umzusetzen. Die eigentliche Pflegearbeit wird zunehmend ausgehöhlt, auch weil unsere hoch qualifizierten und gut ausgebildeten Pflegekräfte Aufgaben übernehmen müssen, die auch durch anderes Personal gewährleistet werden könnten. Die Krankenschwester muss sich um den Kranken kümmern und darf nicht als Hol- und Bringedienst, als Reinigungskraft oder hauptberufliche Dokumentationskraft dienen. ({0}) Die daraus resultierende Unzufriedenheit mündet immer wieder in der Flucht qualifizierter Kräfte in andere Berufe. Das mehr als ungerechte Corona-Pflegebonusgesetz, bei dem viele Mitarbeiter leer ausgingen, hat zu weiterem Unmut im Pflege- und Krankenhausbereich geführt – ein Teufelskreis also, der nicht durchbrochen werden kann, wenn Sie die Frage nicht beantworten können, wie Sie mehr Personal akquirieren wollen. Bei der Diskussion zum Gesetzentwurf kam es im Ausschuss bei meinem Vortrag zu einem der üblichen Zurufe vom links-grünen Block: „Und mehr Zuwanderung!“ Das heißt: Um die Probleme in der Krankenhauspflege zu lösen, brauchen wir nach Ansicht von Rot und Grün weitere Zuwanderung. ({1}) Aber das genau ist Ihr psychologisches Problem, werte Kollegen: Sie glauben, mit Zuwanderung all die Probleme lösen zu können, die sich in Deutschland in den letzten Jahrzehnten inzwischen zu einem Kilimandscharo aufgetürmt haben. Deutschland ist längst kein attraktives Zuwanderungsland für ausländische Fachkräfte mehr. ({2}) – Jetzt rede ich. ({3}) Dafür sind die Steuern und Abgaben hier im Land viel zu hoch und die Arbeitsbedingungen zu schlecht. ({4}) Aber Deutschland ist inzwischen das attraktivste Zuwanderungsland für Sozialflüchtlinge. ({5}) Unsere europäischen Nachbarn und Freunde füllen inzwischen Sonderzüge, um diese Menschen frei Haus zu bringen. Nun mussten wir feststellen, dass wir aus diesem Potenzial von 2 bis 3 Millionen Zuwanderern der letzten Jahre ({6}) noch nicht einmal genügend Fachkräfte für die Sortierung der Koffer an den Flughäfen gewinnen konnten, geschweige denn ausgebildete Pflegekräfte mit den absolut unverzichtbaren Sprachkenntnissen, die dazugehören. Ich möchte hier explizit die bundesweite Studie „Ich pflege wieder, wenn …“ der Arbeitnehmerkammer Bremen vom April 2022 mit mehr als 12 000 Befragten erwähnen. ({7}) Diese besagt: Mindestens 300 000 Vollzeitpflegekräfte stünden in Deutschland durch Rückkehr in den Beruf oder Aufstockung der Arbeitszeit zusätzlich zur Verfügung, sofern sich die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern würden. – Sie haben es geschafft, in einer Zeit, in der es ohnehin schon an Personal mangelt, Tausende durch die einrichtungsbezogene Impfpflicht aus dem Beruf zu nötigen und andere abzuschrecken, in diesem Bereich tätig zu werden. ({8}) Weiterhin besteht ein Einstellungsstau, weil die rechtswidrige einrichtungsbezogene Impfpflicht noch bis Ende des Jahres läuft und nicht vorher ausgesetzt wurde. Wenn Sie jetzt nicht das Gesundheits- und Pflegewesen als eine der Kernaufgaben des Staates begreifen, werden wir unausweichlich in die Pflegekatastrophe schlittern, und man wird Sie fragen, wer dafür verantwortlich ist, dass ein einst so vorbildliches Gesundheitswesen wie das in Deutschland so schwer beschädigt werden konnte. Werden Sie deshalb Ihrer Aufgabe gerecht, tragen Sie Verantwortung, und nehmen Sie mehr Geld für unser Gesundheitssystem in die Hand. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Nicole Westig für die FDP-Fraktion. ({0})

Nicole Westig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004931, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dietz, Sie haben hier wunderbar die AfD-Ideologie abgearbeitet; aber ich habe keinen einzigen Lösungsvorschlag gehört. ({0}) Heute ist ein guter Tag für die Pflege in Deutschland; denn mit diesem Gesetz senden wir das lang ersehnte Signal für bessere Arbeitsbedingungen in unseren Kliniken. Wir bringen die PPR 2.0 endlich auf den Weg. ({1}) Als lernendes System soll sie uns zeigen, wie die Personalausstattung aussehen soll, um eine optimale Patientenversorgung zu erreichen. Dabei stellen wir die Begleitung durch die Pflegewissenschaft sicher. Mittelfristig soll dies auch für die Intensivstationen und die Notfallambulanzen gelten. Die Ausnahmeklausel für Unikliniken mit Entlastungstarifverträgen ist gestrichen, sodass nun die Pflegenden in allen Häusern von den Verbesserungen profitieren werden. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stärken die Pflege, wir stärken aber auch die Geburtshilfe. Hebammen sind weiterhin im Pflegebudget enthalten. Wir korrigieren damit einen Fehler. Künftig können die Hebammen sogar voll angerechnet werden, sodass die Kliniken sie flexibel einsetzen können. Außerdem erhalten die Länder zusätzliche Gelder, damit die Kliniken ihre Vorhaltekosten für die Geburtshilfe abfedern können. Ich bin den Hebammenverbänden sehr dankbar, dass sie öffentlich ihre Stimme erhoben haben. Und ich danke Michelle Franco und begrüße sie ganz herzlich hier auf der Tribüne. Sie ist die Initiatorin der Petition, die inzwischen 1,6 Millionen Unterschriften hat. – Vielen Dank, Frau Franco. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fortschrittskoalition will die Sektorengrenzen überwinden und mehr Ambulantisierung. Der Grundsatz „ambulant vor stationär“ muss wieder mit Leben erfüllt werden. Aus Sicht der Freien Demokraten ist es richtig, dass die Selbstverwaltung die Chance bekommt, den zugehörigen Leistungskatalog bis zum Frühjahr selbst zu vereinbaren. Wir machen aber deutlich, dass die Vergütung sich nur auf die Krankenhausleistung bezieht. Wahlärztliche Leistungen von Arzt und Krankenhaus bleiben daneben abrechenbar. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Gesundheitsversorgung der Zukunft geht nicht ohne digitale Transformation. Wir erleichtern den Zugang zur Telematikinfrastruktur. Die Hürden hierfür waren bislang derartig hoch, dass kaum jemand die elektronische Patientenakte nutzte. Wir sorgen dafür, dass Versicherte künftig eigenverantwortlich über ihre Daten entscheiden können und die e‑PA endlich Fahrt aufnehmen kann. ({5}) Wir Freien Demokraten stehen auch weiterhin für den Datenschutz; das ist klar. Er darf jedoch nicht jeglichen Fortschritt blockieren. Fortschritt sichern wir nur dann, wenn digitale Lösungen auch von den Menschen genutzt werden können. Die Fortschrittskoalition sichert mit diesem Gesetz den Datenschutz. Anders als bislang stellen wir dabei die Nutzerfreundlichkeit jedoch nicht mehr hintenan. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch das grassierende RS-Virus erleben wir aktuell dramatische Situationen auf den Kinderstationen; der Minister hat es beschrieben. Nun rächt sich, dass die Politik die Pädiatrie jahrelang so sträflich vernachlässigt hat. ({7}) Auch die Kinderklinik Sankt Augustin in meinem Wahlkreis muss immer wieder um ihr Überleben kämpfen, obwohl sie für die pädiatrische Versorgung über unsere Region hinaus hoch geschätzt wird. Ob Coronaimpfung für Kinder oder die Versorgung junger ukrainischer Kriegsopfer: Die großartige Arbeit konnte ich bei einem Praktikum im Sommer selbst kennenlernen. Ich habe allerdings auch die Schwierigkeiten gesehen, mit denen unsere Kinderkliniken zu kämpfen haben. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir hier nun endlich entgegenwirken. ({8}) Wir müssen das weiter im Blick behalten; denn Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Sie brauchen unsere besondere Fürsorge. Wir werden weiterhin die Kinderkliniken zielgenau unterstützen. Mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz geht die Ampel ein entscheidendes Problem in der Pflege an. Doch nicht nur dort: Geburtshilfe, Pädiatrie, Digitalisierung, Ambulantisierung – wir machen uns auf den Weg. Unterstützen Sie uns dabei, und stimmen Sie diesem Gesetz zu. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Ates Gürpinar für Die Linke. ({0})

Ates Gürpinar (Unbekannt)

Politiker ID: 11005073

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe es in Ihrer Rede gehört, Herr Lauterbach, Sie sprechen tatsächlich von einer Revolution. Ich finde schon spannend, dass die Union es schafft, innerhalb von zwei Tagen einen Entschließungsantrag vorzulegen, der Sie und Ihre Revolution links überholt. ({0}) Entweder ist mein politischer Kompass völlig falsch ausgerichtet, oder das ist ein ganz sanftes Reförmchen, das Sie hier durchsetzen wollen. ({1}) Warum? Weil Sie Ihre eigenen Versprechen nicht einhalten, Herr Lauterbach. ({2}) Die Pflegepersonal-Regelung 2.0 wurde im Koalitionsvertrag versprochen: eine gute Idee, um die Pflegekräfte nicht mehr einem so großen Stress auszusetzen und um den Menschen in den Krankenhäusern endlich eine gute Pflege zuteilwerden zu lassen. Erdacht und erprobt von Verdi, DKG und dem Deutschen Pflegerat. Aber das wird mit diesem von Ihnen vorgelegten Gesetz eben nicht eingeführt. ({3}) Sie verschieben die Zuständigkeit für die genaue Umsetzung einer Personalbemessung ins Ministerium. Und darauf kann man nicht wirklich vertrauen. Entschuldigen Sie, Herr Kollege, Herr Staatssekretär Franke, aber Sie selbst haben gesagt, dass die PPR 2.0 eben nicht gewollt ist. Ich gebe Ihnen noch eine Chance: Sie haben heute die Möglichkeit, unserem Antrag zuzustimmen, der die genaue Umsetzung der Pflegepersonal-Regelung 2.0 einfordert. Wenn Sie unserem Antrag heute zustimmen, dann kann ich Ihnen Glauben schenken. Ansonsten glaube ich Ihnen nicht, dass die Pflegepersonal-Regelung 2.0 eingeführt wird. ({4}) Und noch absurder ist, dass die Umsetzung unter dem Vorbehalt des Finanzministers steht. Sie reden von Revolution, und Herr Lindner ist der Steuermann. Das ist doch lächerlich, liebe Koalition. Das ist doch wirklich lächerlich. ({5}) Die Konservativen und wir haben im Ausschuss den Antrag gestellt, dass das aus dem Gesetz gestrichen wird, und Sie haben das verhindert. Das ist doch absurd: absurd für die Pflegekräfte und absurd für die Patientinnen und Patienten. Sie haben im Koalitionsvertrag eine kurzfristige, auskömmliche Finanzierung der Kinder- und Jugendmedizin versprochen. Herr Lauterbach behauptet, die Fallpauschalen zu überwinden. Das Versprechen ist gebrochen; ({6}) die DRGs bleiben vollständig in Kraft. Die zusätzlichen Erlöse – es sind ein bisschen mehr als 10 Prozent – werden anhand der Fallpauschalen nach dem Gießkannenprinzip vor allem über Spezialkliniken ausgeschüttet. Daraus entstehen Nachteile für die Grundversorger, obwohl die gerade in den letzten Tagen Alarm geschlagen haben. Sie haben im Koalitionsvertrag eine kurzfristige, auskömmliche Finanzierung der Geburtshilfe versprochen. Versprechen gebrochen. Warum? Weil die erste Version des Antrags vorsah, dass weniger als 10 Prozent aller Kreißsäle von diesem Zuschuss profitieren sollten. Nun haben Sie die Geldmenge nicht erhöht, verteilen sie aber auf alle Kreißsäle. Ich glaube, man muss den Dreisatz nicht allzu gut können, um zu verstehen, dass das wohl nicht ausreichen wird. ({7}) Aber es gibt einen Lichtblick in dem Gesetz, sehr geehrte Damen und Herren: die Herausnahme der Hebammen aus der Fallpauschalenregelung. ({8}) Das ist bedarfsgerecht. Aber das war nicht Ihr Plan. Im Gegenteil: Sie hatten die Hebammen zunächst aus dem Pflegebudget rausgenommen. Dem Druck der Berufsgruppe, dem Druck der Petentin, die heute hier ist, ist es zu verdanken, dass sie sich wieder reinkämpfen konnten. ({9}) Das sollten wir uns als Beispiel nehmen; denn Revolutionen entstehen eben nicht in den Palästen, sondern sie entstehen da draußen. Wenn die anderen Berufsgruppen ausreichenden Druck aufbauen, dann wird auch dies entsprechende Folgen haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege.

Ates Gürpinar (Unbekannt)

Politiker ID: 11005073

Wenn wir auch die anderen Berufsgruppen aus den Fallpauschalen herausnehmen – ich komme zum Schluss –, dann wird es ein richtiger Erfolg. Ich wünsche uns allen viel Erfolg, die Pflege wirklich zu verbessern. Die Koalition hat das nicht geschafft. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat Dr. Christos Pantazis das Wort. ({0})

Dr. Christos Pantazis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005174, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Tat, heute ist ein guter Tag für die Pflege; denn mit dem hier vorliegenden Krankenhauspflegeentlastungsgesetz werden wir dem Kern nach die Pflegekräfte in Krankenhäusern durch ein Personalbemessungsinstrument nachhaltig entlassen. Heute ist allerdings auch ein guter Tag für unsere Krankenhäuser. Schließlich stellen wir heute nach acht Berichterstattergesprächen und insgesamt 32 Änderungsanträgen auch die ersten Weichen für eine stabile, moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung. Damit setzen wir ein zentrales Versprechen unseres Koalitionsvertrages um, kurzfristig für eine auskömmliche, bedarfsgerechte Finanzierung der Pädiatrie und Geburtshilfe zu sorgen. Wir werden mehr Fortschritt wagen. ({0}) Mit diesem Gesetz leiten wir längst überfällige Strukturreformen ein. Die Folgen dieses Versäumnisses können wir heute – die Kollegen haben es vorhin auch gesagt – täglich in unseren Kliniken sehen. Damit greifen wir auf die Empfehlungen der Regierungskommission zurück. Im Bereich der Pädiatrie stellen wir Krankenhäusern in den kommenden zwei Jahren zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen zusätzliche Mittel in Höhe von 300 Millionen Euro zur Verfügung, wobei diese im Rahmen einer Sonderregelung für besondere Einrichtungen einen Zuschlag erhalten werden. Auch im Bereich der Geburtshilfe werden wir in den kommenden zwei Jahren mit zusätzlichen Mitteln in Höhe von insgesamt 240 Millionen Euro, die über den Königsteiner Schlüssel an die Bundesländer verteilt werden, für eine kurzfristige Stabilisierung sorgen. Dabei knüpfen wir die Förderung an Voraussetzungen wie die Vorhaltung einer Pädiatrie, einer Neonatologie, eine bestimmte Geburtenzahl und Anzahl vaginaler Geburten sowie eine Hebammenpraxisausbildung. Als Vater junger Zwillinge weiß ich um die wertvolle Arbeit von Hebammen. Mit dem hier vorliegenden Gesetz tragen wir dieser auch Rechnung, indem ihre Refinanzierung über das Pflegebudget für die stationäre Versorgung auch über das Jahr 2025 hinaus gesichert ist. ({1}) Die Fortschrittskoalition will die Ambulantisierung bislang unnötig stationär erbrachter Leistungen fördern und wird mit diesem Gesetz neben der neuen tagesstationären Behandlungsform ab April kommenden Jahres auch eine sektorengleiche Vergütung für geeignete Leistungen durch sogenannte Hybrid-DRGs umsetzen. ({2}) Mit der tagesstationären Behandlung entlasten wir Pflegekräfte durch den Wegfall nicht notwendiger Übernachtungen. Im Leitsatz der deutschen Gesundheitspolitik „ambulant vor stationär“ sehen wir ein erhebliches Konsolidierungspotenzial und wollen diesen Prozess entschieden weiter vorantreiben. ({3}) Entsprechend den Vorgaben des GBA werden wir dabei Transportkosten erstatten; denn Reformmaßnahmen dürfen nicht auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen werden. Ich fasse daher als Berichterstatter meiner Fraktion abschließend zusammen. Mit dem heutigen Tag leiten wir den überfälligen strukturellen Reformprozess im Gesundheitssektor ein und sind entschlossen, das Jahr 2023 zum Reformjahr für den Krankenhaussektor zu machen. ({4}) Sie sehen: Als Fortschrittskoalition kündigen wir den Fortschritt nicht nur an. Wir wagen ihn und leiten ihn hier und heute mit diesem Gesetz entschieden ein. Herzlichen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Stephan Pilsinger für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Stephan Pilsinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004853, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Lauterbach, wer nicht komplett realitätsfremd ist, bekommt von den Beschäftigten im Krankenhaus zu Ihrem Gesetz gesagt: Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht; denn das Problem wird damit in der Praxis einfach nicht gelöst. ({0}) Das grundsätzliche Problem ist eigentlich allen klar: Wir haben zu wenige Pflegekräfte in Deutschland. Aktuell fehlen uns etwa 200 000 Pflegekräfte, und 2030 könnten es schon etwa 500 000 Pflegekräfte sein. ({1}) Wenn wir nicht umgehend handeln und unsere Pflegekräfte entlasten, dann fahren wir unser Gesundheitssystem in absehbarer Zeit komplett gegen die Wand. ({2}) Deshalb müssen wir die Pflegepersonal-Regelung 2.0, die von der Deutschen Krankenhausgesellschaft, von Verdi und vom Deutschen Pflegerat entwickelt und hinreichend erprobt worden ist, jetzt einführen. Was wir nicht brauchen, ist eine ewige Neuerprobung mit ziellosen Diskussionen. ({3}) Wir benötigen auch eine auskömmliche Finanzierung der Pflege. Es kann doch nicht sein, dass ein neues Pflegepersonalbemessungsinstrument, das zukünftig entscheidet, wie viel Personal in den einzelnen Fachabteilungen eingesetzt werden muss, nur mit Zustimmung des Bundesfinanzministeriums eingeführt werden darf. Jeder vernünftige Mensch fragt sich doch da: Was versteht eigentlich Christian Lindner davon, wie viel Personal auf einer Intensivstation eingesetzt werden soll? Das ist doch völlig absurd; das ist Pflege nach Kassenlage. ({4}) Auch der von Ihnen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion eingeführte Änderungsantrag, der die Bezahlung bei privat und gesetzlich Versicherten angleicht, führt dazu, dass nun ein Großteil der Ärzte sagt: Das ist der Einstieg in die Bürgerversicherung. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, dass Sie das mitmachen, ist wirklich schlimm. ({6}) Entweder Sie verstehen einfach nicht, was Sie heute hier beschließen, oder Sie haben Ihre letzten gesundheitspolitischen Grundsätze komplett über Bord geworfen. Deshalb stellen wir in unserem Entschließungsantrag klare Forderungen. Wir wollen das Pflegepersonal entlasten, und zwar durch eine sofortige Einführung der hinreichend erprobten Pflegepersonal-Regelung 2.0. ({7}) Was wir nicht wollen, sind eine endlose Neuerprobung und nie endende Diskussionen. Das bringt am Ende niemanden weiter. Wir wollen die auskömmliche Finanzierung einer hochwertigen Pflege und nicht eine Pflege nach Lindners Gnaden. ({8}) Und wir wollen Freiberuflichkeit und keine reine Staatsmedizin durch einen Einstieg in die Bürgerversicherung durch die Hintertür. ({9}) Mit unseren Maßnahmen helfen wir dem Pflegepersonal praktisch und nicht nur theoretisch. Deshalb bitte ich Sie heute um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag. Vielen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Kordula Schulz-Asche das Wort. ({0})

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für die professionelle Pflege in Deutschland, und ein langer Kampf findet seinen Abschluss. ({0}) Ich danke ausdrücklich Verdi, dem Deutschen Pflegerat und der Deutschen Krankenhausgesellschaft für die Entwicklung dieses Instruments, der PPR 2.0, ({1}) der Regelung zur Pflegepersonalbemessung im Krankenhaus, die wir jetzt schnell einführen, während wir gleichzeitig damit beginnen, sie wissenschaftlich weiterzuentwickeln, weil die bisherige Form nicht detailliert genug ist. Wir werden uns daranmachen, ein vernünftiges Instrument zu entwickeln, um die professionelle Pflege im Krankenhaus abzubilden, meine Damen und Herren. ({2}) Und wir werden endlich der besonderen Schutzbedürftigkeit von Kindern gerecht. Es wird auch eine Personalbemessung für die Pflege von Kindern geben. Das ist längst überfällig; das haben Sie in den Jahrzehnten Ihrer Verantwortung versäumt. ({3}) Wir werden auf den Intensivstationen das Instrument INPULS einführen und weiterentwickeln. Auch das ist längst überfällig; denn wir wissen, welche prekären Situationen auf den Intensivstationen herrschen. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin, ich habe die Uhr angehalten und stelle Ihnen die Frage, ob Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Gürpinar gestatten.

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Selbstverständlich.

Ates Gürpinar (Unbekannt)

Politiker ID: 11005073

Das freut mich sehr, dass Sie das als selbstverständlich ansehen, Frau Schulz-Asche. – Vielen Dank für die Zulassung der Frage, Frau Präsidentin. – Ich könnte jetzt fragen, was „kurzfristig“ und „schnell“ bei der Einführung der PPR 2.0 bedeuten, wenn 2025 dahintersteht. Das wäre sozusagen die kurzfristige Umsetzung des Koalitionsvertrages, was jetzt auch ein Jahr gedauert hat seit Beginn der Legislatur. ({0}) Ich stelle aber eine andere Frage: Die Union und wir als Linke haben gemeinsam einen Antrag gestellt, der auf das Veto des Finanzministers Lindner hinweist. Ich habe ihn vorhin als Steuermann der Revolution beschrieben. Jetzt wollte ich Sie tatsächlich mal fragen – weil niemand der Koalitionskolleginnen und ‑kollegen darauf bisher eingegangen ist –: Wieso haben Sie denn den Antrag von unseren beiden Fraktionen abgelehnt? Es kann in unseren Augen nicht sein, dass die Pflegepersonal-Regelung 2.0 damit, mit dem Vetorecht, eingeführt werden kann. ({1})

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Erstens haben wir noch gar nicht abgestimmt. ({0}) Zweitens haben Sie den nicht gemeinsam gestellt, sondern es gibt zwei unterschiedliche Anträge. Also, ich sortiere erst einmal vor. ({1}) Aber ich möchte auf Ihren Einwand eingehen, weil der Punkt tatsächlich zu Irritationen führt. Ich denke, wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass in einer Regierung alle Ressorts an bestimmten Entscheidungen beteiligt werden und nicht nur ein Ressort. Ich gehe davon aus, dass es auch in Zukunft so sein wird, dass alle Ressorts, die betroffen sind, einbezogen werden, nicht nur das Finanzministerium. Ich möchte außerdem darauf hinweisen, dass das Krankenpflegepersonal in Deutschland von den Krankenkassen und nicht aus dem Bundeshaushalt bezahlt wird. ({2}) – Nein, das ist überhaupt kein Argument! Was soll denn der Einspruch bedeuten? ({3}) Wie gesagt, ich finde, man hätte auf diese Formulierung verzichten können, aber sie steht drin, und sie wird keine Auswirkungen auf die Pflegepersonalbemessung haben, die wir brauchen. ({4}) Darauf hat das Finanzministerium keinen Einfluss; denn die Finanzierung des Pflegepersonals erfolgt nicht über den Bundeshaushalt, und das ist auch gut so! ({5}) Außerdem möchte ich Ihnen noch sagen, welche Begleitmaßnahmen notwendig sind. Es kann ja sein, dass durch die Einführung erst einmal deutlich wird, dass wir zu wenig Personal haben. Deswegen werden wir eine ganze Reihe von Maßnahmen umsetzen, zum Beispiel die Stärkung des Deutschen Pflegerats im Gemeinsamen Bundesausschuss. Denn wir werden sehr viel mehr qualifizierte Pflegekräfte brauchen. Dazu brauchen wir eine gemeinsame gesellschaftliche Anstrengung. Ich würde mich freuen, wenn Sie uns dabei helfen und unterstützen würden. Ich glaube, mit diesem Gesetz sind wir dazu auf einem guten Weg. – Danke schön. ({6}) Wir legen heute mit diesem Gesetz den Grundstein für die längst überfällige Aufwertung der professionellen Pflege in der stationären Versorgung in Deutschland. Das ist gut für den Beruf, das ist aber vor allem auch im Interesse der Menschen in Deutschland, die ins Krankenhaus kommen, der kranken Menschen, die es verdient haben, dass wir in Zukunft gute Versorgung sicherstellen, und zwar gemeinsam als Gesellschaft, aber eben auch als Professionelle, die in diesem Bereich arbeiten. Die Menschen haben es verdient. Sie brauchen diese gute Pflege, und die Aufwertung ist längst überfällig nach so vielen Jahren des Versagens und des Ausbleibens dieser deutlichen Zeichen für eine qualitative Verbesserung der professionellen Pflege. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen. Ich habe den Eindruck, dass auch die Oppositionsparteien bereit sind, mitzuwirken, und von daher freue ich mich auf die Zusammenarbeit. ({7}) Jetzt ist meine Redezeit leider zu Ende. Ich hätte gerne noch die Frage des Kollegen Sorge zugelassen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das ahnte ich. Aber ich bin auch gehalten, dafür zu sorgen, dass wir wenigstens noch ein Stückchen in der verabredeten Debattenzeit bleiben und nicht die Redezeit, die Ihnen die Fraktion gewährt hat, verdreifachen. ({0}) – Ach, Kollege Sorge. ({1}) Das Wort hat der Kollege Axel Müller für die CDU/CSU-Fraktion. ({2})

Axel Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Minister Lauterbach! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es freut mich, dass die Tonlage etwas versöhnlicher geworden ist. ({0}) Wir haben in der Tat aktuell eine sehr dramatische Situation auf den Intensivstationen der Kinderkliniken; der Minister hat darauf hingewiesen. Und es ist schon fast beschämend, dass wir von 607 Intensivbetten gegenwärtig nur 367 betreiben können, weil vielerorts einfach das Personal fehlt. Es kann nicht sein, dass die Schwächsten einer Gesellschaft, die unserer Hilfe bedürfen, diese Hilfe nicht erfahren können, obwohl wir so viel Geld ausgeben, das aber vielfach verpufft. Die Gesamtausgaben im Gesundheitswesen in der Bundesrepublik Deutschland belaufen sich auf über 440 Milliarden Euro jährlich, das entspricht fast dem gesamten Bundeshaushalt. ({1}) Zusammengefasst muss man sagen: Wir nutzen unsere Potenziale nicht wirklich effizient. Wir haben zu viele Häuser, auf die sich das wenige Personal verteilt, bei enorm gestiegenen Sach- und Energiekosten und teilweise auch erheblichem Investitionsstau, wofür die Länder verantwortlich sind. ({2}) Zur Optimierung soll das hier zur Debatte stehende Gesetz zur Pflegepersonalbemessung beitragen. Ich habe da so meine Zweifel. Meine Kollegen von der Unionsfraktion haben unsere Zweifel bereits vorgetragen. Deshalb will ich es dabei zunächst einmal bewenden lassen. Im Gesetzespaket finden sich auch weitere Änderungen, und zwar zur Vergütung der Krankenhäuser. Darauf möchte ich kurz eingehen. Ich bin jetzt seit über zwölf Jahren im Kreistag von Ravensburg. Wir haben insgesamt sechs Krankenhäuser gehabt. Wir haben jetzt noch zwei, vier haben wir geschlossen, um unser System zu optimieren. Dennoch haben wir gegenwärtig ein zweistelliges Millionendefizit. Eine nicht unwesentliche Ursache dafür ist einfach die Vergütung nach dem Krankenhausentgeltgesetz. Drei Punkte in aller Kürze: Erstens. Der Katalog ambulanter Leistungen nimmt stetig zu; das ist hier bereits ausgeführt worden. Die Sektorengrenzen fallen, und die Krankenhäuser bieten jetzt auch immer mehr ambulant und stationär an, also hybrid. Die damit einhergehenden Verluste an stationären Fällen müssen jedoch durch die Hybrid-DRGs angemessen ausgeglichen werden. Und das scheint gegenwärtig nicht der Fall zu sein. Das gilt aber auch für die hier in diesem Gesetzespaket mit enthaltenen Tagesbehandlungen. Es ist nicht klar und nicht eindeutig, wie diese auskömmlich finanziert werden sollen. Unser Änderungsantrag greift das deshalb auf. Zweitens. Die Grundlage für die Vergütung ist der Basisfallwert. Er wird einmal im Jahr festgelegt. Kommt es zu Kostensteigerungen, wie gegenwärtig, hält er damit nicht mehr Schritt. Es muss eine Möglichkeit geschaffen werden, dass unter dem Jahr nachverhandelt werden kann, insbesondere in Krisenzeiten. Drittens. Betriebswirtschaftliche Grundsätze werden nicht berücksichtigt. Wenn hohe Fallzahlen in einem Bereich zu weniger Fixkosten führen und somit ein Fixkostendegressionsabschlag erfolgt, dann müssen umgekehrt weniger Fallzahlen mindestens zu einer Reduzierung des Abschlags führen. Auch da lässt der Gesetzentwurf nichts erkennen. Zum Schluss noch ein Satz zu dem Sonderzuschuss in Höhe von 6 Milliarden Euro für die Häuser, die da angekündigt sind. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist schön, und dem Vernehmen nach ist eine Aufteilung von 4,5 Milliarden Euro für die Energiekosten und 1,5 Milliarden Euro für die Sachkosten beabsichtigt. Es ist aber genau andersherum: Die Häuser weisen jetzt schon darauf hin, dass die Sachkosten das Problem sind. Dafür sieht Ihr Vorschlag keine Lösung vor. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege.

Axel Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Er enthält auch nicht, wann das Geld denn kommen soll und wie konkret es denn verteilt werden soll. Löblich – letzter Satz – ist selbstverständlich der Aufwuchs bei den Zuwendungen für Geburtshilfe und Pädiatrie.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie müssen zum Schluss kommen, bitte.

Axel Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber so, wie es jetzt ausgestaltet ist, müssen weitere Verteilungskriterien nachgearbeitet werden. Auch das sieht unser Änderungsantrag vor. Ich bitte um Zustimmung. Danke schön. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Heike Baehrens für die SPD-Fraktion. ({0})

Heike Baehrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Versprochen, gehalten! Die Pflegepersonal-Regelung 2.0 kommt. Sie ist ein wichtiges Instrument zur Stärkung der Pflege im Krankenhaus und wurde von einem breiten Bündnis aus der Pflege mit allem Nachdruck eingefordert. Die Expertinnen und Experten vom Deutschen Pflegerat, von Verdi und von der Deutschen Krankenhausgesellschaft erwarten von diesem Bedarfsermittlungsverfahren entscheidende Verbesserungen für die Versorgungsqualität im Krankenhaus und für die Arbeitszufriedenheit der Pflegepersonen. Darum sorgen wir heute dafür, dass die PPR 2.0 starten kann. Denn wir wissen: Gute Pflege braucht Zeit und damit auch mehr Personal, als aktuell vorhanden ist. ({0}) Wie viel Personal es auf den verschiedenen Stationen eines Krankenhauses konkret braucht, das genau wird mit dem Verfahren nun ermittelt, und zwar vom Pflegefachpersonal selbst. Es sind die Praktiker/-innen, die uns davon überzeugt haben, dass mit der PPR 2.0 ein bürokratiearmes Instrument zum Einsatz kommt, das an die vertrauten Pflegepersonalrichtlinien von früher anknüpft und deshalb einfach umzusetzen ist. Und deshalb, Herr Sorge, stimmt es nicht, dass dieses Gesetz die Beschäftigten belastet. Nein, es entlastet. ({1}) – Nein, genau das hat heute der Deutsche Pflegerat in seiner Pressemitteilung auch so öffentlich verkündet. ({2}) Gemeinsam mit unserem Gesundheitsminister Karl Lauterbach haben wir den guten Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren noch besser gemacht. Wir sorgen nämlich dafür, dass die PPR 2.0 zukünftig in einem strukturierten wissenschaftlichen Prozess weiterentwickelt wird. Denn es ist uns wichtig, dass die neue Personalbemessung auch in der Intensivmedizin für Kinder und Erwachsene und in den Notaufnahmen angewandt sowie der notwendige Qualifikationsmix mit abgebildet wird. ({3}) Heute sorgen wir mit der PPR 2.0 für eine am Bedarf orientierte Pflege in unseren Krankenhäusern. Wir gestalten diesen Prozess ganz bewusst gemeinsam mit denen, die Tag für Tag eine gute Versorgung der Patientinnen und Patienten gewährleisten. ({4}) Gleichzeitig wissen wir, dass wir weiter vor größten Herausforderungen stehen, qualifiziertes Personal für unsere Krankenhäuser zu gewinnen; das zeigt die aktuelle Krise in den Kinderkliniken auf dramatische Weise. Wir haben keinen Bettenmangel, wir haben einen gravierenden Fachkräftemangel. Daher arbeiten wir parallel mit allem Nachdruck daran, die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern und ganz konkret das umzusetzen, was nötig ist, damit mehr Menschen für diese wertvollen Berufe in der Pflege begeistert werden, den Arbeitsalltag und die Lohnbedingungen weiter zu verbessern und Pflegekräfte, die ihren Beruf verlassen haben, zurückzugewinnen. ({5}) Als Koalition des Fortschritts werden wir diesen Weg entschlossen weitergehen, und für uns als SPD kann ich versprechen: Wir werden weiter alles tun, um die Pflege zu stärken. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Christian Görke (Unbekannt)

Politiker ID: 11005067

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 27. Februar hatte der Bundeskanzler hier im Bundestag die „Zeitenwende“ ausgerufen. Aus dieser Zeitenwende folgte unter anderem eine fragwürdige Mega-Aufrüstung, aber auch eine von uns begrüßte zaghafte Aufweichung der Schuldenbremse. Wo es in dieser Bundesrepublik Deutschland aber gar keine Zeitenwende gab und gibt, ist in einer gerechten Steuerpolitik, und da liegt die Richtlinienkompetenz allem Anschein nach bei Christian Lindner. Dementsprechend wurde mit dem Inflationsausgleichsgesetz die Steuererleichterung vor allen Dingen bei Gut- und Besserverdienenden verortet. Das war angesichts der sozialen Verwerfungen in diesem Land in der größten Krise, die wir erleben, nicht zu erklären. ({0}) Während hier die Ampel, meine Damen und Herren, steuerpolitisch auf Durchzug stellt, gab es woanders eine steuerpolitische Zeitenwende. ({1}) Wenn wir heute schon bei dem Begriff „Revolution“ sind – das kann man schon als revolutionär bezeichnen –, dann muss ich feststellen: Die gab es bei den Wirtschaftsweisen. Ehrlich gesagt: Das hat mich schon überrascht. Allen Zuschauerinnen und Zuschauern an den Bildschirmen und den Gästen hier im Saal sei kurz erklärt: Bei den Wirtschaftsweisen handelt es sich um einen Sachverständigenrat der Bundesregierung. Diesen Sachverständigenrat, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, haben Sie berufen und nicht irgendeine Vorfeldorganisation der Linken. ({2}) Diese Wirtschaftsweisen, meine Damen und Herren, Herr Güntzler – das hat mich wirklich beeindruckt –, schlagen vor, ({3}) um die Krise solidarisch bewältigen zu können, dass es derzeit keine Steuerentlastungen für Reiche und Vermögende in diesem Land geben soll; ({4}) außerdem soll zeitlich befristet ein sogenannter Energiesoli eingeführt werden. Nun haben Sie, meine Damen und Herren von SPD, Grünen und FDP, im Rahmen des Spitzenverdienerentlastungsgesetzes beschlossen, diese Gutverdienenden überproportional zu entlasten. Deshalb wird die zweite Forderung der Wirtschaftsweisen, einen Energiesoli einzuführen, umso wichtiger. Diesen fordern wir mit unserem Antrag ein. ({5}) Deshalb noch einmal zur Klarstellung, wer diesen Energiesoli überhaupt zahlen müsste: Wenn man ihn so ausgestalten würde wie den Soli, dann wären zum Beispiel Singleeinkommen beginnend ab 80 000 Euro brutto betroffen. Im Land Brandenburg wären es zum Beispiel 75 000 Personen von 1,22 Millionen Steuerpflichtigen. Das ist eine überschaubare Zahl. Bezogen auf ganz Deutschland würden nur die oberen 10 Prozent der Gutverdienenden bedacht. DAX-Manager mit den Boni, aber auch Ampelministerinnen und ‑minister würden zur Kasse gebeten werden. ({6}) Meine Damen und Herren, vor allen Dingen hätten wir Einnahmen in Höhe von circa 10 Milliarden Euro. Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Angesichts dieser größten Krise mit schuldenfinanzierten Rettungspaketen in nie dagewesener Höhe sind wir schon dafür, einen zeitlich befristeten Soli einzuführen. Ich freue mich schon auf die Debatte. Danke. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Zorn das Wort. ({0})

Armand Zorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005267, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Görke, lieber Christian, ich muss sagen, ich bin enttäuscht, ({0}) weil Sie sich hier mehr und mehr demaskieren. Es wird immer deutlicher, dass es Ihnen gar nicht um konstruktive Oppositionsarbeit geht. Eine Woche nach der anderen holen Sie einen Parteitagsbeschluss der SPD nach dem anderen heraus oder das, was die Wirtschaftsweisen gesagt haben, und bringen das hier als Antrag ein. Es geht Ihnen gar nicht darum, inhaltlich darüber zu diskutieren, sondern es geht Ihnen vielmehr darum, zu zeigen, dass es innerhalb der Ampel zwischen SPD, Grünen und FDP unterschiedliche Vorstellungen gibt. Diesen Stil sollten wir uns, ehrlich gesagt, nicht angewöhnen. ({1}) Ich schätze Sie sehr, aber so können wir nicht weiter Politik machen. Die Menschen erwarten in diesen Zeiten viel mehr von uns als nur diese symbolischen Anträge. Das kann nicht unser Politikstil sein. ({2}) Lieber Herr Görke, ich will inhaltlich zu dem Antrag reden. Es ist ja nicht so, dass wir uns der Debatte nicht stellen. Sie wissen, dass wir ihm gegenüber sehr offen sind. ({3}) Wir haben uns diesbezüglich geäußert. Wir sind tatsächlich der Meinung, dass der Energiesoli jetzt in der Krise eine von verschiedenen Maßnahmen sein könnte, ({4}) die dafür sorgen könnte, dass wir bei den Leistungspaketen mehr Zielgenauigkeit erzielen. ({5}) Wenn Sie den Jahresbericht der Wirtschaftsweisen gelesen haben, dann haben Sie auch festgestellt, dass viele verschiedene Entlastungsmaßnahmen, die wir auf den Weg gebracht haben, gelobt wurden. Uns ist es auf der Angebotsseite gelungen, die Angebote zu erweitern, und wir können temporär für mehr Energie sorgen. Das ist gut. Auch dass wir auf der Nachfrageseite massiv Geld in die Hand genommen haben, um Menschen zu unterstützen, halten die Wirtschaftsweisen für gut. ({6}) Aber eine Kritik müssen wir uns gefallen lassen. Sie hängt damit zusammen, dass wir kaum Maßnahmen haben, um Direkttransfers zu tätigen. Das haben wir schmerzhaft gelernt, und das Wirtschaftsministerium arbeitet mit Hochdruck daran, damit wir zukünftig bei den verschiedenen Entlastungspaketen, die vielleicht noch kommen werden, viel zielgenauer sein können. Herr Görke, ich will noch einmal sagen: Wenn es um diese Themen geht, wenn es um mehr Steuergerechtigkeit, wenn es um mehr gesellschaftliche und soziale Gerechtigkeit geht, ({7}) dann können Sie immer mit unserer Partei, meiner Fraktion, unserer Fraktion als Partner rechnen. ({8}) Was aber nicht geht, ist, Woche für Woche einen Antrag nach dem anderen vorzulegen ({9}) und uns dafür zu kritisieren, dass wir in der Sache bei Ihnen sind, aber dem nicht zustimmen können. Das ist nicht unsere Vorstellung von Politik. Liebe FDP – das ist vielleicht das, was uns unterscheidet –, wir haben zwar unterschiedliche Meinungen, wenn es beispielsweise in der Steuerpolitik darum geht, wen wir in diesen Zeiten entlasten müssen, ({10}) aber wir diskutieren hart in der Sache, und am Ende finden wir eine Lösung, womit das ganze Land leben kann. Das zeichnet diese Ampelkoalition aus. ({11}) Ich will noch zwei, drei Sätze sagen, warum ich das grundsätzlich auch gut finde. In der jetzigen Situation müssen wir nicht nur die Krise bewältigen – das wollen wir solidarisch machen, deswegen haben wir auch die verschiedenen Entlastungspakete auf den Weg gebracht –, sondern wir wollen auch zeitgleich in die Transformation investieren, und auch das kostet viel Geld. Dafür haben wir im letzten Haushalt sehr viel Schulden aufgenommen. Das ist richtig. Schulden sind nicht per se schlecht oder gut. Es kommt stets darauf an, wofür sie verwendet werden. Liebe FDP, das ist auch mein Appell an Sie: Was sich nicht empfiehlt, ist, Schulden aufzunehmen, um für mehr Umverteilung zu sorgen. Das empfiehlt sich nicht. ({12}) Wenn es darum geht, für mehr Solidarität zu sorgen, wenn es darum geht, insbesondere diejenigen zu unterstützen, die jetzt in diesen Zeiten am stärksten betroffen sind, sollten wir steuerpolitisch etwas machen. Wir haben mit der Erbschaftsteuer, wir haben mit der einmaligen Vermögensabgabe, wir haben aber auch mit dem Energiesoli Möglichkeiten, dies zu tun. Das würde auch dafür sorgen, dass wir mehr Gerechtigkeit schaffen. ({13}) Deswegen freue ich mich auch auf die weiteren Diskussionen. Ich möchte noch einmal den Aspekt von vorhin aufzugreifen, dass wir mehr Zielgenauigkeit wollen. Wir haben es doch erlebt – das kann sicherlich fast jeder Abgeordnete aus diesem Hause bezeugen –, dass viele Menschen auf uns zugekommen sind und gesagt haben: Ich verdiene schon so viel Geld, dass ich gar keinen Energiezuschlag mehr brauche; ich verdiene schon so viel Geld, dass ich nicht von den Maßnahmen profitieren muss; ich verstehe das nicht. – Nun können wir das nicht kurzfristig lösen, weil wir nicht so spezifisch vorgehen können. Wir können aber beispielsweise mit einem Energiesoli dafür sorgen, dass insbesondere diejenigen, die am meisten Geld haben und jetzt noch zusätzlich unterstützt werden, weil wir diese Direkttransfers nicht machen können, ihren Beitrag leisten. Das könnte für mehr Ausgleich sorgen. Deswegen begrüßen wir diese Maßnahme. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir lehnen den Antrag der Fraktion Die Linke ab. Das soll aber keine inhaltliche Kritik sein, sondern es geht um die Art und Weise, wie wir miteinander hier Politik machen wollen. ({14}) – Nein, nein. Dazu will ich noch einen Satz sagen: In der Bundesrepublik ist es nun einmal so, dass wir ein System haben, wo verschiedene Parteien Wahlkampf machen, basierend auf unterschiedlichen Vorstellungen. Am Ende gibt es ein Ergebnis, und dann müssen die Parteien zusammenkommen und miteinander ringen. Am Ende vereinbaren sie in einem Koalitionsvertrag, wie sie die nächsten vier Jahr regieren wollen. Was natürlich nicht geht, ist, eigenständig eine Entscheidung anders treffen zu wollen, nur weil man sie selbst gut findet. Für die Stabilität des Landes, insbesondere in Krisenzeiten, ist es sehr, sehr wichtig, dass die Koalition hart diskutiert, ({15}) aber in der Sache dafür sorgt, dass das Land regierungsfähig bleibt. Insbesondere in diesen Krisenzeiten ist das mehr denn je wichtig. Vielen Dank. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Olav Gutting für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht nur die Ampel kann Steuern erhöhen und neue Steuern einführen, nein, auch Die Linke beglückt uns heute wieder mit einem neuen Antrag zur Umverteilung. ({0}) Gefühlt werden Sie da bei der Linken in der Vorweihnachtszeit immer besonders kreativ. ({1}) Ich erinnere mich noch gut an Ihren Antrag von 2018 zur Einführung eines Kinderweihnachtsgeldes. Mit Ihrem aktuellen, heute vorliegenden Antrag zur Einführung eines Energiesolis knüpfen Sie nahtlos an den Unsinn der letzten Jahre an. Sie suggerieren hier mit Ihrem Antrag, dass Gutverdienende über die Energieentlastungspakete der Regierung mehr Entlastungen erhielten als Personen mit kleinem Einkommen. Das stimmt aber schon gar nicht. Dass die Entlastungen der Dezemberhilfe und die Gaspreisbremse sozial einigermaßen ausgewogen sind, dafür hat die Bundesregierung tatsächlich gesorgt, ({2}) allerdings – darauf muss man hinweisen – mit einem Missbrauch des Steuerrechts, mit großer Rechtsunsicherheit, mit einem wahnsinnigen Bürokratieaufwand, mit erheblichen zusätzlichen Belastungen für Bürger, Stadtwerke, Unternehmen. Daraus entstehen natürlich wieder neue Ungerechtigkeiten. Aber das ist tatsächlich eine andere Geschichte. In Ihrem Antrag machen Sie sich eine Aussage aus dem Jahresgutachten der sogenannten Wirtschaftsweisen zu eigen: die Einführung eines zeitlich befristeten Energiesolidaritätszuschlages, der so lange gelten könnte, wie die Gaspreisbremse greift. Natürlich blenden Sie beim Herauspicken dieser Rosine alle anderen Aussagen des Sachverständigenrats aus. ({3}) Diese passen natürlich nicht ins Konzept, deswegen blicken Sie nur auf diesen einen Teil. Nachdem Sie ja in der Vergangenheit immer wieder Anträge zur Vermögensabgabe, zur Vermögensteuer, einmal für Millionäre, dann für Milliardäre, gestellt haben – der Kollege Christian von Stetten hat mal nachgezählt: in den letzten Jahren haben Sie diesen Antrag schon 20‑mal gestellt und sind jedes Mal gescheitert –, ({4}) finden Sie jetzt einen neuen Grund, den Bürgern in die Tasche zu greifen, und der heißt jetzt Energiesoli. Da über 90 Prozent der Bevölkerung unter einer CDU-geführten Bundesregierung von der Zahlung des Solidaritätszuschlages entlastet wurden, stürzt man sich jetzt bei den Linken auf den kleinen verbliebenen Teil, der noch Solidaritätszuschlag zahlt, und will dem zusätzlich einen Energiesoli obendrauf setzen. Es sind die oberen 10 Prozent der Einkommensteuerzahler, die jetzt schon 95 Prozent des Solidaritätszuschlages zahlen ({5}) und für die Hälfte des Gesamtaufkommens bei der Einkommensteuer aufkommen. Das sind nicht nur die DAX-Manager und die Minister, die Sie ja in Ihrem ursprünglichen Antrag oben in der Headline hatten – die Fußballer haben Sie noch vergessen, die es nach dem Spiel gestern vielleicht auch verdient hätten –, sondern tatsächlich auch Selbstständige, Handwerker, kleine Unternehmer, Menschen, die hart für ihr Einkommen arbeiten und unter den Folgen des Angriffskrieges von Russland gegen die Ukraine, den steigenden Energiepreisen und der Inflation genauso leiden wie alle anderen auch. ({6}) Es ist ein hehres Ziel, den Staat immer wieder auch auf der Einnahmeseite zu stärken und Gegenfinanzierungen zu finden. Aber – und diesen Teil des Gutachtens der Wirtschaftsweisen lassen Sie weg – Vorschläge wie zum Beispiel ein Energiesoli führen zu zusätzlichen Belastungen für Haushalte und Unternehmen und wirken sich – das sagen auch die Wirtschaftsweisen – wachstumsdämpfend aus. Jeder vernünftige Ökonom würde doch in einer wirtschaftlich unsicheren Situation alles tun, um zusätzliche Belastungen zu vermeiden. Wir müssen alles tun, damit wir Arbeitsplätze am Wirtschaftsstandort Deutschland erhalten können. Steuererhöhungen gehören da ganz sicher nicht dazu. Deswegen: Ab in die Mottenkiste mit dem Energiesoli! ({7}) Im Übrigen bin ich der Meinung, dass der Solidaritätszuschlag insgesamt und für alle abgeschafft werden sollte. ({8}) Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun der Kollege Sascha Müller. ({0})

Sascha Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005162, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich den Tagesordnungspunkt gesehen habe, der zunächst unter dem Titel „Energiesoli – Dax-Manager und Minister zur Kasse“ aufgesetzt war, habe ich einen Schreck bekommen. Wie populistisch ist das denn bitte? Jetzt bin ich zumindest beruhigt darüber, dass der Antrag am Ende rhetorisch relativ moderat „Energiesoli für Spitzenverdienende – Vorschlag der Wirtschaftsweisen umsetzen“ überschrieben ist. Der Antrag selber ist ja auch recht kurz gehalten. Sie wollen die Bundesregierung auffordern, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der einen neuen Energiesolidaritätszuschlag gemäß Artikel 106 Absatz 1 Nummer 6 des Grundgesetzes vorsieht und sich am Vorbild des derzeitigen Solidaritätszuschlages für die oberen 10 Prozent orientieren soll. ({0}) Nun erinnern wir uns mal an das Inflationsausgleichsgesetz, um das wir hier – das ist ja bekannt – lange mühsam gerungen haben. Über eines waren wir uns in der Koalition bei diesem Gesetz immer einig: dass die Eckwerte im Einkommensteuertarif bei der sogenannten Reichensteuer diesmal nicht angepasst werden. Damit haben wir, um in der Logik der Befürworter des Ausgleichs der kalten Progression zu bleiben, für diesen Personenkreis eine reale Steuererhöhung hingenommen. Es ließe sich also argumentieren, dass wir das Kernanliegen des Antrags eigentlich ein Stück weit schon erfüllt haben. ({1}) Sie merken schon, dass wir dem Antrag nicht folgen werden. Aber mit dem Hinweis auf den neuesten Bericht des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung haben Sie natürlich einen wichtigen Punkt angesprochen. Die Frage danach, ob den starken Schultern in der Krise mehr zuzumuten wäre und, wenn ja, wie das geschehen sollte, ist natürlich berechtigt. Unser vordringliches Ziel als Ampel ist es natürlich zunächst, dass Menschen und Unternehmen gut durch den Winter kommen. Ich bin mittlerweile optimistisch, dass uns das gelingt, vor allem besser gelingen wird, als so mancher auch hier gehofft hat, der schon von einem heißen Protestherbst geträumt hat, der ja dann ausgeblieben ist. Hier zeigt sich: Unsere tatkräftige Regierung, diese Fortschrittskoalition, gehört zu den Machern, zu den Mutmachern. Andere hier verlegen sich dagegen ausschließlich auf das Miesmachen, wünschen sich sogar – es ist ja auf Video dokumentiert – aus parteipolitischen Motiven ein Scheitern und dass hier alles den Bach runtergeht. Das wird aber nicht passieren. Dass hier ganz rechts und – leider, muss ich sagen – in Teilen auch auf der anderen Seite des Hauses dieses üble Spiel gespielt wird, ist das eine und nicht anders zu erwarten. Dass wir aber von den Vorsitzenden von CDU und CSU im Sommer immer wieder von einem Blackout in diesem Winter gehört haben, dass sie diese Ängste geschürt haben, war auch nicht hilfreich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in dieser so schwierigen Zeit. ({2}) Was machen wir aber? Nun, wir handeln. Wir schützen die Menschen und die Unternehmen. Wir lassen die Menschen nicht alleine. ({3}) Und wie machen wir das? Pragmatisch und entschlossen. Schon die Ankündigung der Strom- und Gaspreisbremse hat zu einer Beruhigung der Märkte geführt. Jetzt geht es hier im parlamentarischen Verfahren um die Details. Und natürlich kommt es hier bei einem so starken Markteingriff, den wir uns selber vor nicht allzu langer Zeit so gar nicht vorstellen konnten, sehr auf Gründlichkeit an. Bei alldem müssen wir natürlich darauf achten, dass es gerecht zugeht. Darauf haben wir bei unseren Entlastungsmaßnahmen geachtet. Ich könnte jetzt den Rest meiner Redezeit damit füllen, die Maßnahmen mehrerer milliardenschwerer Entlastungspakete erneut aufzuzählen; aber ich beschränke mich – denn wir reden ja von den starken Schultern – auf den Hinweis, dass wir vorhin mit dem Jahressteuergesetz – es ist erst wenige Minuten her – den Energiekrisenbeitrag beschlossen haben. ({4}) Zufallsgewinne von Energiekonzernen können wir nun zu 33 Prozent abschöpfen. Damit können bis zu 3 Milliarden Euro in den Bundeshaushalt zurückgeführt werden. Wir beteiligen Krisengewinnler an der Finanzierung der umfassenden Entlastungspakete der letzten Monate. Damit große Konzerne hier nicht einfach die Besteuerung umgehen können, haben wir uns im parlamentarischen Verfahren für Nachschärfungen eingesetzt. ({5}) Und ja, wenn dieses Land, auch dank unserer Regierung, durch die Energiekrise und die damit verbundene Inflation gekommen ist, wird sicherlich die Frage auftauchen, ob es weitere Krisengewinner gibt, die vielleicht auch einen erhöhten Beitrag leisten können. Und die Vermögensungleichheit in Deutschland, gerade im europäischen Vergleich, besteht weiterhin. Gesellschaftliche und politische Diskussionen darüber sind legitim, und wir brauchen diese Debatten. Im Moment liegt das Hauptaugenmerk der Regierung aber auf der Krisenbewältigung, und angesichts der Vielzahl der Herausforderungen haben wir gut zu tun. Daran arbeiten wir gemeinsam als Ampelparteien, und das sehr erfolgreich. Die Menschen in Deutschland können sich glücklich schätzen, dass sie sich angesichts dieser herausfordernden Zeiten im letzten Jahr für diese Koalition entschieden haben, für diese Fortschrittskoalition, die einerseits die Krisen gut managt und andererseits die richtigen Weichenstellungen für die Zukunft vornimmt. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Ich grüße Sie alle zur Schlussschicht, so hoffe ich. Jetzt erhält das Wort für die AfD-Fraktion Jan Wenzel Schmidt. ({0})

Jan Wenzel Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005210, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Schon wieder haben die Linken ihre immer gleichen Bücher gewälzt. Das Ergebnis war natürlich das Gleiche. Egal welches Problem: Staatliche Umverteilung ist Ihre Lösung. Im heute vorliegenden Antrag wollen die SED-Nachfolger ({0}) mit einem Energiesoli vermeintlich Besserverdienende zur Kasse bitten. Die Einführung des ursprünglichen Solidaritätszuschlags war damals jedoch notwendig, weil die ehemalige DDR durch die linke Wirtschaftspolitik heruntergewirtschaftet wurde. ({1}) Diese Wirtschaftsweisheit ist das wacklige Fundament Ihres Antrages. Sie wollen mit Ihrem Antrag das Blut des Bürgers vor Neid auf Besserverdienende zum Kochen bringen. Ihr perfides Ziel ist es, so auf Wählerfang zu gehen. ({2}) Dabei gehören nicht wenige Linke auch zu den Besserverdienern. Ein Blick in die Reihen der linken Schickeria ist aufschlussreich. Ein Fraktionsvorsitzender Ihrer Fraktion erhält monatlich rund 20 000 Euro. ({3}) Ihre Fraktion gönnt sich mit Dr. Dietmar Bartsch und Frau Amira Mohamed Ali gleich zwei Vorsitzende, die beide diesen Antrag unterzeichnet haben. 40 000 Euro im Monat für zwei ineffektive Frontfiguren! ({4}) Das entspricht im Übrigen nahezu einem durchschnittlichen Jahresgehalt in Deutschland, während der Wähler schuften darf, um die höheren Energiekosten zu stemmen. In Thüringen stellen die Linken sogar den Ministerpräsidenten. Gerade da sollten eigentlich linke Spitzenpolitiker als Vorbild für Bescheidenheit gelten. Jedoch hat zum Beispiel Ihr Landtagskollege André Blechschmidt ein paar nennenswerte Nebeneinkünfte vorzuweisen. Neben seiner Diät, die ohnehin schon mit satten 7 745 Euro monatlich vergütet wird, erhält er für seine Anwesenheit in drei Aufsichtsräten noch einmal 11 325 Euro. ({5}) Das ist kein Einzelfall. Die Linken-Abgeordnete Lena Güngör bessert ihr Mandat mit einem Aufsichtsratsposten um knapp 10 000 Euro auf. ({6}) Auch in Ihrer linkspolitischen Stiftung quillt das Steuergeld nur so aus jeder Fuge: Die Rosa-Luxemburg-Stiftung wird jährlich mit über 64 Millionen Euro gefördert. Ein Aktivposten in Ihrer Stiftung ist Hermann Klenner. Er dürfte das letzte lebende ehemalige NSDAP-Mitglied sein, das in der Politik noch ein Amt bekleidet. ({7}) Ja, dieser Herr hat den Weg von der braunen sozialistischen Partei in die rote gefunden. ({8}) Währenddessen müssen immer mehr Familien mit weniger auskommen: weniger Geschenke zu Weihnachten, weniger Wärme zu Hause, weniger vollwertige Mahlzeiten. Wegen der ideologischen Selbstbeschneidung Ihres Horizontes geht Ihr Antrag wieder vollständig am Problem vorbei. Das Problem sind die hohen Kosten für Energie und Gas. Diese werden verursacht von der katastrophalen Energie- und Sanktionspolitik der Ampelkoalition. Die Lösung ist also ganz einfach: nicht Umverteilung, sondern Umsicht. Die Sanktionen müssen sofort beendet werden. ({9}) Gleichzeitig können wir uns von Russland unabhängiger machen, wenn wir in den Neubau modernster Kernkraftwerke investieren. Diese würden den Strom unfassbar günstig machen, so günstig, dass man damit sogar heizen könnte, und wäre für die Klimakleber auch noch CO2-neutral. ({10}) Werte Kollegen, wir benötigen keinen Energiesoli, wie ihn die Linken fordern. Wir brauchen maximal einen Soli für linke Doppelmoral. Dann würde die Staatskasse ordentlich gefüllt werden. Wir lehnen Ihren Antrag ab. ({11})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für eine Kurzintervention erhält jetzt das Wort Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Unbekannt)

Politiker ID: 11003584

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Mir geht es darum, hier Falschbehauptungen richtigzustellen. Richtig ist, dass wir zwei Fraktionsvorsitzende haben; aber sie bekommen keine doppelten, sondern anderthalbfache Diäten. ({0}) Das ist ein parlamentarischer Brauch. Und ich glaube, dass dies durch diese verantwortungsvolle Tätigkeit auch gerechtfertigt ist. Aber der entscheidende Punkt ist doch: Es wird alles voll versteuert. ({1}) Und alle Steuererhöhungsvorschläge, die wir machen und die auch zu unseren Lasten gehen würden, machen wir aus voller Überzeugung, weil wir sagen: Starke Schultern müssen mehr tragen. Wir brauchen Steuergerechtigkeit in diesem Land. Vielen Dank. ({2})

Jan Wenzel Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005210, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Danke auch für die Kurzintervention. Ich helfe Ihnen gerne beim Nachrechnen: 10 000 Euro Grundentschädigung plus noch mal die Hälfte – das macht 15 000 Euro – plus die steuerfreie Kostenpauschale sind im Monat rund 20 000 Euro Steuergeld. Sie gönnen sich zwei Fraktionsvorsitzende, somit sind es 40 000 Euro Steuergeld. ({0}) Sie sollten sich vielleicht mal am Leistungsprinzip orientieren. Ihre beiden Fraktionsvorsitzenden schaffen es ja auch laut den neuesten Umfragewerten nicht, Sie über 5 Prozent zu bekommen. Wir machen das. Wir halten uns an das Leistungsprinzip ({1}) und sind dabei sogar steuerlich sehr effektiv: Unsere Fraktionsvorsitzenden haben uns wieder 15 Prozent in den Umfragen eingebracht. Und wir erhöhen trotzdem nicht die Zulagen. ({2})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Wir fahren jetzt in der Debatte fort. Als Nächstes erhält das Wort Maximilian Mordhorst für die FDP-Fraktion. ({0})

Maximilian Mordhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005158, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man könnte ja auch mal ausrechnen, was die gesamte AfD-Fraktion den Steuerzahler so kostet, ({0}) und beim nächsten Wahlkampf dafür sorgen, dass sie ein bisschen kleiner wird. ({1}) Dann hätte man auch das ein oder andere Steuergeld gespart. ({2}) Ich komme zu dem, was Die Linke beantragt hat. Ich habe überlegt, ob ich einfach die Rede von letzter Woche noch mal vortrage; die ist auf jeden Fall passend zu Ihrem Antrag. Ich habe mich dagegen entschieden, weil Sie sich in diesem Fall ja wirklich konkret auf den Sachverständigenrat beziehen und sagen, der Sachverständigenrat wolle das jetzt – was übrigens eine Falschdarstellung ist; er zieht es an bestimmten Stellen in Erwägung. Was Sie als Linkspartei auch immer gerne machen, ist, dass Sie alles andere ausblenden, was der Sachverständigenrat zu Recht fordert oder unterstützt. Lassen Sie mich das einmal vortragen. Der Sachverständigenrat fordert, dass nicht zu viel Geld ins System gegeben wird, und freut sich, dass die Schuldenbremse im nächsten Jahr wieder eingehalten wird. Ist das Politik der Linkspartei? Ist das Politik, die Sie unterstützen wollen? Nein, es ist unsere Politik. Es ist Politik, die nachfolgende Generationen vor Überschuldung schützt. Der Sachverständigenrat fordert in Bezug auf den Spitzensteuersatz, dieser solle unbedingt später einsetzen. Mittlerweile zahlen 3,8 Millionen Bürger den Spitzensteuersatz. Beim 1,4-Fachen des Durchschnittslohns fängt der Spitzensteuersatz an. ({3}) Wir haben mit dem Inflationsausgleichsgesetz dafür gesorgt, dass er später einsetzt. ({4}) Insbesondere in diesen inflationären Zeiten ist das ein extrem wichtiges Signal für die Mitte der Gesellschaft. Der Sachverständigenrat begrüßt auch die Aktienrente. Der Sachverständigenrat sagt, dass insbesondere durch linke Politik in den letzten Jahrzehnten dafür gesorgt wurde, dass die Rente nicht zukunftsfähig ist, und dass viele Menschen gerade meiner Generation sich große Sorgen machen, ob sie von der staatlichen Rente überhaupt noch was haben. Deswegen ist es genau richtig, dass wir jetzt in die Aktienrente einsteigen. Der Sachverständigenrat fordert, da sogar noch weiter zu gehen. ({5}) Wir können also – kurz zusammengefasst – sagen: Sie zitieren, was Ihnen passt, aber lassen die anderen, viel wichtigeren Dinge gerne aus. Für uns ist klar: Gerade in diesen Zeiten, in denen insbesondere die arbeitende Mitte der Gesellschaft sehr leidet und sich um die Energieversorgung und die wirtschaftliche Zukunft große Sorgen machen muss, ist das klare Signal der Ampelkoalition, einerseits keine Steuererhöhung vorzunehmen, und andererseits haben wir in diesem Jahr sogar massive Steuerentlastungen auf den Weg gebracht. ({6}) Das ist genau der richtige Weg. ({7}) Eine Forderung zum Soli, die in Bezug auf die Vorsorge gerade bei kleinen und mittleren Einkommen sehr problematisch ist, höre ich immer wieder. Der Solidaritätszuschlag wird immer noch auf Kapitalerträge gezahlt. Wir haben jetzt den Sparerpauschbetrag erhöht – das ist ein kleiner Schritt –; aber wer über diesem Sparerpauschbetrag liegt – das werden jetzt bald 1 000 Euro im Jahr sein –, der wird weiterhin Solidaritätszuschlag zahlen. Arbeiten Sie doch mal mit uns daran – dazu habe ich von der Linkspartei noch nie etwas gehört –, dass Bezieher von kleinen Einkommen wieder die Möglichkeit haben, Vermögen aufzubauen, dass diejenigen in der Mitte der Gesellschaft wieder die Chance haben, vielleicht einmal ein Eigenheim zu erwerben und es dann auch zu vererben! ({8}) Ich freue mich, wenn die Linkspartei mit uns daran arbeitet, dass gerade Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen wieder Vermögen aufbauen können. Das ist die viel größere soziale Verantwortung, die wir gemeinsam haben. Ich würde mich sehr freuen, wenn die Linkspartei uns da in Zukunft stärker unterstützt. Insofern: Nicht mal neuer Wein in weiterhin alten Schläuchen. Wir werden Ihren Antrag ablehnen. Der Koalitionsvertrag ist klar, die FDP-Fraktion ist klar: Mit uns wird es keine Steuererhöhung in Deutschland geben. ({9}) Das ist gerade in diesen Zeiten genau das richtige Signal. Vielen Dank. ({10})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächster Redner ist Sebastian Brehm für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute den Antrag der Fraktion Die Linke „Energiesoli für Spitzenverdienende – Vorschlag der Wirtschaftsweisen umsetzen“. Ich habe mich schon sehnlichst danach verzehrt, lieber Herr Kollege Görke: Endlich mal wieder eine Debatte über höhere Steuern! Das hatten wir schon lange nicht mehr. Letzte Woche ging es um Vermögensabgabe und Lastenausgleich; Sie von Rot und Grün haben da fröhlich mitgestimmt. ({0}) – Zumindest zugestimmt. – Und heute Morgen haben Sie von der Ampel – lieber Herr Kollege Mordhorst, da Sie gerade gesagt haben, die FDP mache das nicht – eine drastische Erhöhung der Erbschaft- und Schenkungsteuer mit Zustimmung der FDP beschlossen. ({1}) Sie müssen übrigens aufpassen, dass überhaupt noch was da ist, was man umverteilen und wegnehmen kann. ({2}) Aber ich will fachlich auf den Antrag eingehen. ({3}) Zunächst mal ist es verfassungsrechtlich unzulässig, eine durch einen besonderen, konkreten Mittelbedarf des Bundes begründete Ergänzungsabgabe zum allgemeinen Zweck des sozialen Ausgleichs zu instrumentalisieren. Die Ergänzungsabgabe darf in ihrer sozialen Verträglichkeit zwar fair ausgestaltet sein, aber der Grund für die Einführung darf nicht ideologisch sein. Sie haben das schlau gemacht ({4}) – ja, das muss ich jetzt mal sagen, Herr Kollege Görke –, weil Sie Ihren Grundgedanken der Umverteilung nicht direkt in den Antrag geschrieben haben, sondern den Antrag mit der Krise begründen und damit sozusagen auf den Sachverständigenrat eingehen. Wenn man aber sieht, wie der Antrag ursprünglich lautete, nämlich „Energiesoli – Dax-Manager und Minister zur Kasse“, dann sieht man den wahren Hintergrund, den Umverteilungsgedanken der Linken. Das ist Ihr politischer Fußabdruck; das ist okay. Aber dass SPD und Grüne grundsätzlich der Meinung sind, dass man mehr wegnehmen muss, ist schwierig. Also, man sieht, wes Geistes Kind das ist. ({5}) Ich will auf den Gedanken der Wirtschaftsweisen zurückkommen. – Es war ja ein netter Versuch, davon abzulenken. – Wenn man eine Ergänzungsabgabe einführen würde, dann müsste man besondere und kostenintensive Herausforderungen abfedern, ohne neue Schulden aufzunehmen. Das ist der Hintergrund. Man muss aber sehen, dass der Bund bereits 540 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen hat. Diese Regierung hat in einem Jahr mehr Schulden aufgenommen als 16 Jahre Helmut Kohl und 16 Jahre Angela Merkel zusammen, und das zulasten der nächsten Generationen. Also, wenn man über die Einführung einer Ergänzungsabgabe nachdenkt, dann darf es keine neuen Schulden geben. Das hat die Regierung anders gemacht. Ich will noch was sagen: Wenn Sie von den bestverdienenden 10 Prozent reden, müssen Sie beachten, dass das bei 3 400 Euro netto anfängt. Wollen Sie diese Leute als Millionäre und Milliardäre, als Manager hinstellen? Das ist die ganz normale Familie mit zwei Einkommen. Das ist der Handwerker, das ist der Mittelständler. ({6}) Wenn Sie an diese mittleren Einkommen, an diese Betriebe die Axt anlegen, dann werden Sie Arbeitsplätze vernichten, und dann wird das bei den Facharbeitern dazu führen, dass sie nicht mehr arbeiten wollen, sondern vielleicht eher ins Bürgergeld gehen. ({7}) Sie nehmen den Menschen die Motivation, wenn Sie ihnen hier in die Tasche greifen. Das haben Sie schon heute früh genug getan mit dem Jahressteuergesetz 2022. ({8}) Und, lieber Kollege Mordhorst, wenn Sie das Einsetzen des Spitzensteuersatzes verschieben wollen, dann tun Sie es doch einfach. Sie sind ja jetzt in der Regierung. Wir würden da zustimmen. ({9}) Ein weiterer Gedanke zur Ergänzungsabgabe. In den einschlägigen rechtswissenschaftlichen Gutachten und in der Literatur ist die Frage noch strittig, ob die Teilabschaffung des Solis überhaupt verfassungsgemäß ist. Hier läuft eine Klage der FDP gegen das – jetzt – FDP-Finanzministerium. Ich bin gespannt auf die Prozessführung. ({10}) Aber es ist natürlich interessant, wie dieser Prozess ausgeht. Ich bin persönlich auch der Meinung, dass eine Teilabschaffung des Solidaritätszuschlags nicht geht und dass der Solidaritätszuschlag gänzlich abgeschafft werden muss. Aber warten wir das Verfahren ab. Es gibt hier unterschiedliche Urteile vom Bundesverfassungsgericht und vom Bundesfinanzhof. Es gibt Argumente dafür, aber auch viele Argumente dagegen, insbesondere den allgemeinen Gleichheitssatz nach Artikel 3 Grundgesetz. Ich kann an dieser Stelle nur sagen: Herzlichen Glückwunsch zum nächsten ideologischen Antrag der Linken! Wir diskutieren nächste Woche gerne wieder einen. Interessant ist eigentlich nur die Reaktion der Ampel. Wenn Sie sagen, Sie setzen nicht an Steuern an, nachdem zwei Stunden vorher die Steuern drastisch erhöht wurden, dann ist das ein spannendes Spiel. ({11}) Ich freue mich auf die nächsten Beratungen und danke herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist Nadine Heselhaus für die SPD-Fraktion. ({0})

Nadine Heselhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005084, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dieser wunderbaren Geschichte unseres Kollegen Herrn Brehm kommen wir zum Ende der Debatte noch einmal zum Inhalt des Antrags. Es ist tatsächlich bemerkenswert, dass es sich bei dem Jahresgutachten des Sachverständigenrats, auf das sich dieser Antrag bezieht, um ein einstimmiges wirtschaftswissenschaftliches Plädoyer für eine solidarische Krisenbewältigung handelt. ({0}) Der Ruf nach einer stärkeren Berücksichtigung der Verteilungswirkung auf untere und mittlere Einkommen kommt also auch von jenen Sachverständigen, die grundsätzlich arbeitgebernah argumentieren, und das ist doch wirklich spannend. ({1}) Tatsache ist: Die hohen Energiepreise schmälern die Kaufkraft und senken den Konsum der Privathaushalte. Die Verteilungseffekte durch die Preissteigerungen sind deutlich. Haushalte mit niedrigem Einkommen sind am stärksten belastet, weil sie weniger zur Verfügung haben und deshalb ihr Geld häufig vollständig ausgeben müssen. Die Ampel hat hierauf reagiert und circa 200 Milliarden Euro für Entlastungen zur Verfügung gestellt. In den vergangenen Wochen haben wir auch darüber diskutiert, wie zielgenau diese Entlastungsmaßnahmen sind und überhaupt sein können. Die Wirtschaftsweisen drängen darauf, sich nur auf untere und mittlere Einkommen zu konzentrieren; denn das Ziel muss ihnen zufolge sein, möglichst nur diejenigen Haushalte zu entlasten, die die hohen Energiepreise nicht verkraften können. Als SPD sehen wir uns durch diese Aussagen stark in unserer Ausrichtung bestätigt. ({2}) Das Gutachten besagt auch, dass sich eine zielgenaue Unterstützung niedriger Einkommen – und das ist jetzt wichtig – inflationsmindernd auswirkt. ({3}) Das ist eine neue Erkenntnis für all diejenigen, die auch in Bezug auf den Mindestlohn gerne von Lohn-Preis-Spiralen sprechen, während sie für Steuersenkungen plädieren, die insbesondere Besserverdienenden zugutekommen. ({4}) Jetzt gibt es allerdings folgende Schwierigkeit: Unser derzeitiges System lässt leider keine direkte Zuwendung an diese bestimmte Personengruppe zu; das ist Ihnen allen bekannt. Deshalb haben auch die lautesten Kritiker unter Ihnen hierzu noch keine Alternative aufzeigen können. Es gibt sie nämlich bisher nicht. Genau daran arbeiten wir. Wir haben heute mit dem Jahressteuergesetz eine Rechtsgrundlage geschaffen, um Direktzahlungen auf das Bankkonto zu ermöglichen, weil wir wegwollen von zu viel Komplexität. ({5}) Und ja, wir wollen die Menschen entlasten, die das wirklich brauchen. Wir wollen zukünftig einkommensabhängige Zahlungen ermöglichen, damit sie zielgenau wirken. Das wollen wir unbürokratisch und kosteneffizient ausgestalten. Meine Damen und Herren, in der Energiekrise fallen hohe zusätzliche Ausgaben an, die refinanziert werden müssen. Finanzieller Spielraum ist notwendig, wenn man gestalten möchte. Wir wollen in eine soziale und ökologische Zukunft investieren, mit Mut zur Veränderung. Zur Finanzierung der erhöhten Ausgaben in der Krise schlägt der Sachverständigenrat eine befristete Erhöhung des Spitzensteuersatzes oder eben die Einführung eines Energie-Solidaritätszuschlags für Besserverdienende vor. Dies würde auch dazu beitragen, die Zielgenauigkeit des Gesamtpakets zu erhöhen; denn Entlastungen im Energiebereich für diejenigen, die es eigentlich gar nicht brauchen, würden so wieder ausgeglichen. Gleichzeitig wäre dies ein Signal, dass die Energiekrise solidarisch bewältigt werden muss. Der Antrag der Linken greift mit dem Energiesoli jedoch lediglich einen einzelnen Vorschlag aus dem Jahresgutachten des Sachverständigenrates heraus. Ich finde, im Gutachten stehen noch mehr wichtige Punkte, über die es sich zu diskutieren lohnt. Die Bundesregierung wird sich im Rahmen des Jahreswirtschaftsberichts zum Gutachten äußern. Ich freue mich auf die Debatte hierzu. Vielen Dank. ({6})

Lisa Paus (Minister:in)

Politiker ID: 11004127

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Liebe Eltern! Liebe Erzieher/-innen! Kitas sind ein wahrer Job- und Zukunftsmotor auf dem Arbeitsmarkt. Im Jahr 2021 waren mehr als 860 000 Menschen in Kitas und in der Kindertagespflege tätig, mehr Menschen als in der deutschen Automobilindustrie. Die Zahl der Erzieher/-innen hat sich in den letzten 15 Jahren verdoppelt. Allein der Teilarbeitsmarkt zur frühkindlichen Bildung ist dreimal so stark gewachsen wie der gesamte deutsche Arbeitsmarkt. Und in derselben Zeit stieg die Zahl der Kinder, die bis zu ihrer Einschulung in Kitas betreut werden, um mehr als 30 Prozent auf 3,4 Millionen. Es gab also noch nie so viele Beschäftigte und noch nie so viele Kitaplätze wie heute. Wir haben wirklich viel erreicht. ({0}) Jetzt investieren wir in die Qualität; denn jenseits ihrer Familien lernen kleine Kinder an keinem anderen Ort so viel wie am Bildungsort Kita. Am Bildungsort Kita wird das Fundament gelegt für frühkindliche Bildung, für die Sprachentwicklung, für die gesunde Entwicklung insgesamt, für Chancengerechtigkeit für jedes Kind also. ({1}) In Kitas entscheidet sich im Übrigen auch, ob sich Eltern, Alleinerziehende, vor allem Frauen darauf verlassen können, dass sie Job und Familie vereinbaren können. Wie wichtig das ist, bestätigen uns immer mehr Unternehmen. Darum investieren wir in die Qualität für die Bildungsorte Kita und Kindertagespflege. Uns allen muss das viel wert sein, Bund, Ländern und Kommunen. ({2}) Darum stellt der Bund den Ländern in den nächsten zwei Jahren rund 4 Milliarden Euro zur Verfügung, damit sie überwiegend in sieben zentrale Bereiche der frühkindlichen Bildung investieren. Und darum bereiten wir schon jetzt den nächsten Schritt vor: bundesweite Standards durch das Qualitätsentwicklungsgesetz. Denn genau da wollen wir hin: dass Kitakinder bundesweit die gleiche hohe Qualität erleben, egal ob sie eine Kita in Cuxhaven, am Tegernsee, in Anklam oder im Erzgebirge besuchen. ({3}) Das gehört dazu, wenn wir über gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland sprechen, meine Damen und Herren. Fest steht ebenso: Gute frühkindliche Bildung braucht qualifizierte Fachkräfte. ({4}) Darum verankern wir im KiTa-Qualitätsgesetz die Gewinnung von Fachkräften und entwickeln gemeinsam mit den Ländern, Kommunen und weiteren Akteuren eine Gesamtstrategie für die Fachkräftesicherung in den Erziehungsberufen. ({5}) Denn wir brauchen den Schulterschluss mit allen beteiligten Akteuren. Wir müssen alle Möglichkeiten in den Blick nehmen, gutes Personal zu bekommen: durch Aus- und Weiterbildung, durch gute Arbeitsbedingungen, durch Integration von Zugewanderten. Ich zähle auf Ihre Unterstützung. Herzlichen Dank. ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als Nächstes folgt für die CDU/CSU-Fraktion Dorothee Bär. ({0})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Gesetz, das heute hier als Entwurf vorliegt, soll die Kindertagesbetreuung verbessert werden, sagen Sie. ({0}) Ich frage: Wirklich? Der Evaluationsbericht zum sogenannten Gute-KiTa-Gesetz I mag Reformbedarf bescheinigt haben. Dass dieses Ziel aber mit dem KiTa-Qualitätsgesetz, über das wir heute beraten, tatsächlich erreicht wird, bezweifle ich nicht nur, sondern ich bin fest davon überzeugt, dass es so nicht funktionieren wird, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil es der Ampel nämlich nicht um das geht, was sie in den Titel des Gesetzentwurfs geschrieben hat, um Qualität, weil dieser Gesetzentwurf eine Mogelpackung, Etikettenschwindel ist. Warum das so ist, werde ich Ihnen erläutern. Sie legen einen Gesetzentwurf vor, in dem es vor allem um eines geht, nämlich um Beitragsentlastung, schreiben aber „Qualität“ drauf. Das ist wirklich fatal, liebe Kolleginnen und Kollegen, ({1}) das ist unehrlich. Das Gesetz ist ungerecht, es sorgt nicht für mehr Qualität, und es sorgt auch nicht für mehr Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen, wie es unsere Verfassung vorgibt. Ich möchte mich schon auch mal an die Familien und die Erzieherinnen und Erzieher da draußen wenden. Ich glaube nicht, dass Sie es hinbekommen, allen glaubhaft zu machen, dass die Bundesmittel, die Sie hier für die Finanzierung einer angeblichen Qualität in die Hand nehmen, auch wirklich dazu dienen. Die Mittel werden am Ende nur zu Beitragsentlastungen genutzt. ({2}) In manchen Bundesländern führt das bis zur völligen Beitragsfreiheit für Eltern, und das auch noch unabhängig vom Einkommen. Das kann doch nicht wirklich Ihr Ernst sein, liebe Ampel. ({3}) Laut Ihrem Gesetzentwurf ist es nämlich so, dass Bundesländer, in denen bislang noch keine Mittel aus dem Gute-KiTa-Gesetz für die Senkung der Elternbeiträge eingesetzt wurden, beispielsweise Baden-Württemberg, künftig von dieser Option ausgeschlossen werden, auch dann, wenn sie schon ein Top-Qualitätsniveau haben. Und wo gibt es schon jetzt ein Top-Qualitätsniveau? Beispielsweise in Bayern; ich weiß, dass Sie das an dieser Stelle wieder triggern wird. Im Gegensatz dazu dürfen aber Länder wie zum Beispiel Mecklenburg-Vorpommern, das den schlechtesten Personalschlüssel aller Bundesländer aufweist – mal überlegen, wer da regiert –, ({4}) weiterhin die Bundesmittel für Beitragsentlastungen ausgeben. Das ist nicht richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich sage nur: Finde den Fehler! ({5}) Dann schauen Sie sich einmal den Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme an. Dort können Sie es nachlesen – das gilt auch für die SPD und die Grünen –: Bayern ist wieder ganz vorne. Wen wundert es? Schlusslichter sind natürlich Bremen und Berlin. Das ist nicht verwunderlich, wenn man weiß, wer in diesen Ländern regiert. Spätestens wenn wir dann noch sehen, wie wertvolle Qualitätsmaßnahmen wie die Sprach-Kitas, das Bundesprogramm „Fachkräfteoffensive Erzieherinnen und Erzieher“ oder auch unser Bundesprogramm „ProKindertagespflege“ von Ihnen ohne Not plattgemacht werden, kauft dieser gesamten Regierung niemand mehr ab, dass Ihnen frühkindliche Bildung am Herzen liegt. ({6}) Frühkindliche Bildung – das können Sie ruhig zugeben – ist Ihnen lästig. Sie nehmen doch offen in Kauf, dass sich die Qualität verschlechtert, und Ihnen ist völlig egal, ob diese Bundesmittel in die Qualität oder in die Beiträge gehen. Aber sich dann als Heilsbringer für Qualität hierhinzustellen, das ist wirklich infam. ({7}) Ich darf einen großen Mann dieses Hauses zitieren. Matthias Seestern-Pauly ({8}) hat als Ihr Koalitionspartner schon in der zweiten und dritten Lesung das Gute-KiTa-Gesetz I wegen der Regelungen zur Beitragsentlastung als „Verpasste-Chancen-Gesetz“ bezeichnet. Ich finde, wo Herr Seestern-Pauly recht hat, hat er einfach recht. ({9}) Ich werde das noch erweitern, Herr Seestern-Pauly. Das, was Sie hier vorlegen, ist nicht nur ein „Verpasste-Chancen-Gesetz“, sondern ein „Rolle-rückwärts-Gesetz“. Wir als Union lehnen eine Finanzierung von Beitragsentlastungen bis hin zur völligen Beitragsfreiheit aus Bundesmitteln, die für ein KiTa-Qualitätsgesetz gedacht sind, ab, noch dazu, wenn das unabhängig vom Einkommen der Eltern erfolgen soll. Für uns kommt Qualität vor Beitragsentlastung. Deswegen kann ich Sie nur auffordern, unserem Antrag zuzustimmen. Wenn Ihnen die Kinder wirklich am Herzen liegen und das nicht nur Lippenbekenntnisse sind, wäre es sehr traurig, wenn Sie hier nicht mitmachten. Ganz herzlichen Dank. ({10})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Es folgt für die SPD-Fraktion Sönke Rix. ({0})

Sönke Rix (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003830, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Bär, ich weiß nicht, ob Sie den Gesetzentwurf tatsächlich gelesen haben, ({0}) und ich weiß auch nicht, ob Sie ihn wirklich mit der bisherigen Gesetzeslage verglichen haben. ({1}) Denn – das sage ich als Sozialdemokrat, der Beitragsfreiheit nach wie vor für ein richtiges Instrument hält – wir haben genau das Gegenteil von dem getan, was Sie gerade beschrieben haben. ({2}) Im Gegensatz zu dem Gesetz, das damals von der CDU/CSU und der SPD auf den Weg gebracht worden ist, schränken wir die Möglichkeit der Beitragsfreiheit mit diesem Gesetzentwurf ein. Wir fahren es zurück. Wir gehen mehr in die Qualität und weniger in die Beitragsentlastung. Das ist der Unterschied zwischen dem Gesetz, das wir beide gemeinsam beschlossen haben, und dem Ampelgesetz. Das müssen Sie einfach anerkennen. Das sind Fakten, Frau Bär. ({3}) Sie haben von verpassten Chancen gesprochen; auch ich kann mich daran erinnern, dass Herr Seestern-Pauly das gesagt hat. Ich finde, Sie haben Ihre Chance vertan, etwas zum aktuellen Gesetzentwurf zu sagen. ({4}) Das wundert mich; denn als ich damals die Verhandlungen mit der Union geführt habe, war es die Union, die uns für die Beitragsfreiheit kritisiert hat. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie jetzt zumindest anerkannt hätten, dass die Ampelkoalition den Weg verlassen hat, der damals eingeschlagen worden ist. ({5}) Das hätten Sie ruhig tun können; denn wir setzen jetzt weniger auf Beitragsstabilität und mehr auf Qualität. Sie haben nach der Verbesserung in der aktuellen Situation gefragt. Wir haben als Bund in der Vergangenheit über 9 Milliarden Euro zur Verbesserung der Qualität in Kindertagesstätten in die Hand genommen, und wir werden zukünftig für die nächsten Jahren noch einmal 2 Milliarden und 1,9 Milliarden Euro ({6}) – 1,89 Milliarden – in die Hand nehmen. Wir werden also zusätzliches Geld für die Aufgabe der Länder bereitstellen. Das führt zu einer Verbesserung der Situation vor Ort. ({7}) Wir gehen den Weg konsequent weiter, den die Jugendministerkonferenz 2014 auf Initiative von Manuela Schwesig im Dialog mit Wirtschaft und Fachverbänden gegangen ist. ({8}) Aufgrund der Tatsache, dass wir uns als Bund dafür zuständig fühlen, gleiche Lebensverhältnisse bundesweit auszubauen, nehmen wir dieses Geld in die Hand. Ich will noch einmal sagen: Gerade angesichts der aktuellen Zeiten muss man anerkennen, dass es leider keine Selbstverständlichkeit ist – das zeigt sich auch in anderen Debatten –, dass wir diese Mittel für Kindertagesstätten zur Verfügung stellen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({9}) Mit diesem wirklich großen Gesetz setzen wir das fort, was wir in der Vergangenheit begonnen haben. In der nächsten Zeit geht es weiter mit dem Start-Chancenprogramm, mit der weiteren Reform des BAföG und mit der Kindergrundsicherung. Wir werden für bessere Chancen für Kinder sorgen. Das macht die Ampel, das macht die Fortschrittskoalition. Danke schön. ({10})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächste Rednerin ist für die AfD-Fraktion Nicole Höchst.

Nicole Höchst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004753, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Werte Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte beleuchten, was wieder keiner sieht. Sie beweisen mit diesem wohlklingenden KiTa-Qualitätsgesetz eine Realitätsferne und einen mangelnden Weitblick, die zusammen größer nicht sein könnten. Geld an sich ist keine Verbesserung der Situation, Herr Rix. In der letzten Legislatur war das Gute-KiTa-Gesetz von Frau Giffey aus dem damals SPD-geführten Ministerium, das selbst nach Einschätzung der GEW bereits an der Realität gescheitert ist, keine Verbesserung. Trotz häufigen Hissens des Regenbogens wollte das Gesetz nicht die angepriesenen Effekte erzielen. Im Gegenteil: Die Attraktivität pädagogischer Arbeit in Kitas sank ins Bodenlose. ({0}) Die Überforderung der Beschäftigten durch unbesetzte Stellen, Bürokratiemonster und organisatorische Klimmzüge stieg. Geeignetes Personal? Fehlanzeige! Vertretungen von Ausfallzeiten? Unmöglich! Es folgten Reduzierungen der Angebote und Einschränkungen bei den Öffnungszeiten. Gute Kita geht anders, meine Damen und Herren. ({1}) Das Ziel des neuen wohlklingenden Gesetzes, nämlich qualitativ hochwertige Betreuung zu gewährleisten für Familien, die dieses Angebot nutzen wollen oder nutzen müssen, ist ein wichtiger Schritt. Allerdings boykottieren Sie dieses Ziel selbst, weil Sie sich nicht mit den Konsequenzen Ihrer Politik der letzten Jahrzehnte auseinandersetzen wollen. ({2}) Sie wollen nicht hören, wenn Ihnen Fachleute die Folgen Ihrer Politik sichtbar machen. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, bespricht den IQB-„Bildungsabwärtstrend“ in Deutschland pessimistisch. Er spricht schonungslos an, was Sie, meine Damen und Herren, hier im Parlament von meiner Fraktion seit Jahren gesagt bekommen, aber in Ihrer ideologischen Verblendung nicht hören wollen. ({3}) Die Lernleistungen von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund klaffen sichtbar auseinander. Ihre Resettlement-and-Replacement-Politik sowie andauernde Massenzuwanderung nach Deutschland vergrößern dieses Problem stetig. ({4}) Pädagogischer Unsinn, gescheiterte Integrations- und Inklusionspolitik plus ungebremste Zuwanderung besiegeln den Absturz Deutschlands als Bildungsnation bereits in der Kita. Resettlement bedeutet Umsiedlung, Replacement bedeutet Ersetzung oder Ersatzmigration – eine Politik, die jede Fraktion hier im Bundestag mitträgt, außer der AfD-Fraktion, meine Damen und Herren. ({5}) Bereits heute werden vielerorts fast hälftig und eben schon überhälftig nicht deutschmuttersprachliche Kinder in Kitas betreut. Diese babylonischen Zustände kommen unweigerlich im deutschen Schulsystem an. Dass Sie von der Ampelregierung die gut etablierten Sprach-Kitas nicht fortführen wollen, passt zur mangelnden Bereitschaft, Frau Ministerin Stark-Watzinger, das Bekenntnis zu Deutsch als Unterrichtssprache unseres Landes abzugeben. Dabei ist Deutsch in Deutschland der Schlüssel zur Integration. Diese Weigerung ist ein deutliches Signal und auch entlarvend für die Weichenstellung dieser und vergangener Bundesregierungen. Die Hauptleidtragenden sind alle Kinder. Wie sehen die Ampellösungen aus? Sie kleben zukünftig das Etikett „Deutsch“ auf alles Fremde und erreichen damit, dass zukünftig die Zuwanderung in Bildungsvergleichstests, in Bildungsberichten und Bildungstrends nicht mehr sichtbar ist. Damit zementieren Sie Ihr buntes Weltbild und gleichzeitig eine Art Integrationsanarchie der Kultur der jeweils vor Ort stärksten Sprechergruppe. ({6}) Gewährleisten Sie, dass deutschmuttersprachliche Kinder zukünftig in Deutschland die Mehrheit und nicht die Minderheit sind. Ohne diesen wichtigen Schritt wird der deutsche Turm zu Babel fallen, egal wie wohlklingend Ihre Kitagesetze sein mögen. ({7}) Zum Schluss. Wenn Sie alle miteinander so weitermachen, folgt die deutsche Bildungsnation dem Trend der deutschen Fußballnation. Wir fliegen raus aus dem weltweiten Wettbewerb. Vielen Dank. ({8})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Jetzt folgt der bereits angesprochene Matthias Seestern-Pauly für die FDP-Fraktion. ({0})

Matthias Seestern-Pauly (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004890, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, nach bestimmten Reden muss man ein bisschen was einsortieren. Also: Wir haben eine Finanzplanung der alten unionsgeführten Bundesregierung übernommen, in der weder für die Fortsetzung des Gute-KiTa-Gesetzes noch für die Fachkräfteoffensive oder für die Sprach-Kitas Gelder eingeplant waren. ({0}) Hinzu kommt, dass das bisherige Gute-KiTa-Gesetz es den Ländern ermöglicht hat, die Bundesgelder ausschließlich in pauschale Beitragsabschaffungen zu stecken, anstatt in wirkliche Qualitätsmaßnahmen zu investieren. Man muss sagen: Das wurde leider viel zu häufig genutzt. ({1}) Man kann also festhalten: Mit dem alten Kitagesetz hat es die letzte Regierung versäumt, den Fokus auf wirkliche Qualitätsverbesserungen zu legen und diese obendrein auch noch finanziell abzusichern. Das war die Ausgangssituation, vor der wir standen. Deshalb haben wir uns als FDP und als Ampel fest vorgenommen, die Qualität der frühkindlichen Bildung in dieser Wahlperiode verbindlich zu stärken. Genau das tun wir mit dem KiTa-Qualitätsgesetz, indem wir wesentliche Verbesserungen vornehmen und die Länder in den nächsten zwei Jahren mit rund 4 Milliarden Euro unterstützen, und das trotz der aktuell sehr schwierigen finanziellen Rahmenbedingungen. Was bedeutet das konkret? Das bedeutet – ich möchte das noch einmal ausführen, weil Vorrednerinnen den Gesetzentwurf augenscheinlich nicht gelesen haben –, dass zukünftig keine neuen Maßnahmen für pauschale Beitragsabschaffung auf Kosten der Qualität mehr finanziert werden. Es bedeutet, dass die Länder nun überwiegend, das heißt mehr als 50 Prozent der Mittel, in die vorrangigen Handlungsfelder investieren müssen. Das wiederum eröffnet den Ländern die Möglichkeit, mehr für Fachkräfte, die sprachliche Bildung, die Kindertagespflege oder eine starke Kitaleitung zu tun. Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Chance sollten die Länder dringend nutzen, vor allem mit Blick auf die aktuelle Fachkräftesituation. Der Fachkräftemangel, über den wir schon lange reden, kommt an. Es ist keine theoretische Debatte mehr, sondern er wird vor Ort spürbar. Immer mehr Familien stehen vor dem Problem der größer werdenden Betreuungslücke, wenn Kitas in den Notbetrieb gehen müssen, Familien keinen Kitaplatz mehr bekommen oder einige Kitas sogar zeitweise schließen müssen. Deshalb müssen Bund und Länder den Fachkräftemangel als absolute Priorität behandeln, was wir als Bund auch tun. ({2}) Denn der Fachkräftemangel führt langfristig dazu, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sich drastisch verschlechtert und die Chancengerechtigkeit für unsere Kinder sinkt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, zusammenfassend kann ich sagen, dass wir heute einen ersten großen Schritt hin zu deutlich mehr Qualität in der frühkindlichen Bildung gehen. Es ist ein gutes Gesetz, dem wir als Freie Demokraten sehr gerne zustimmen. Vielen Dank. ({3})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke Heidi Reichinnek. ({0})

Heidi Reichinnek (Unbekannt)

Politiker ID: 11005186

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich mal vor, Sie betreuen Kinder in einer Kita, und irgendwie werden es in Ihrer Gruppe immer mehr Kinder, doch Sie haben immer weniger Kolleginnen und Kollegen, massig Überstunden und trotzdem eingeschränkte Betreuungszeiten oder sogar Schließungen, dadurch gestresste, schlecht gelaunte Eltern und gestresste, schlecht gelaunte Kinder. Das ist Alltag in Kitas im ganzen Land. Und was tut die Bundesregierung jetzt? Na, die sagt: Augen zu und durch! – In dem vorliegenden Entwurf für ein KiTa-Qualitätsgesetz fehlt eine langfristige Strategie und ganz einfach Geld. Das ist kein Qualitätsgesetz, das ist ein Kürzungsgesetz. Sie streichen nicht nur das Geld für die Sprach-Kitas, Sie ignorieren auch die massive Inflation von über 10 Prozent und fallen damit hinter das Niveau des Gute-KiTa-Gesetzes zurück. Als Linke haben wir deshalb einen Entschließungsantrag vorgelegt, ({0}) der endlich für eine Trendwende im vernachlässigten und kaputtgesparten Kitabereich sorgen würde. Wir sagen: Nicht 4 Milliarden Euro für zwei Jahre, sondern 6 Milliarden Euro pro Jahr müssen zur Verfügung gestellt werden, ({1}) um Qualität endlich Realität werden zu lassen. Dazu brauchen wir 2 Milliarden Euro on top, um den Investitionsstau der Kitas wenigstens anzugehen. Und nein, das ist nicht utopisch. Das Geld ist da. ({2}) Dieses Parlament – Sie – haben gerade erst 10 Milliarden Euro für eine Aktienrente rausgeworfen, davor ein 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen zusätzlich für Aufrüstung, obwohl die Verteidigungsministerin dafür eh schon über 50 Milliarden Euro im Jahr kriegt. „Wo ist das Sondervermögen für Kitas?“, frage ich Sie. ({3}) Warum finden Sie Mittel und Wege, um die Interessen der Superreichen durchzusetzen, aber nicht die der Kinder? Warum lassen wir Milliarden Euro an Krisengewinnen der Großkonzerne unangetastet, aber für Kinder ist nichts da? ({4}) Nun ist es so, dass uns Geld allein nicht aus der Kitakrise rettet. Es muss auch sinnvoll investiert werden – also nicht so wie bei der Bundeswehr. Die Bundesregierung hat aber nach wie vor keinerlei Konzept gegen den Fachkräftemangel. Der hat Gründe: Die Fachkräfte werden aktuell nicht nur bescheiden bezahlt, ({5}) die gehen auch auf dem Zahnfleisch, weil sie mit immer mehr Aufgaben überhäuft werden. Erzieher/-innen hängen ihren Job an den Nagel, weil sie nicht mehr können. ({6}) – Herr Seestern-Pauly, stellen Sie eine Zwischenfrage, wenn Sie Fragen haben. ({7}) Das muss man erst mal packen, das Nervenkostüm von Menschen, die sich den ganzen Tag mit Kleinkindern beschäftigen, so zu überlasten.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Soll das jetzt der Versuch sein, eine Zwischenfrage zu stellen, Herr Seestern-Pauly? ({0}) Sie müssen sich schon dafür melden. – Okay, es wird wohl zugelassen. Bitte schön.

Matthias Seestern-Pauly (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004890, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Kollegin, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich finde es sehr beeindruckend, dass seitens der Linken hier im Deutschen Bundestag immer darauf verwiesen wird, dass es von allem mehr – und viel schneller – geben soll. Es gibt bei der frühkindlichen Bildung auch eine gewisse Zuständigkeit der Länder, und da gibt es ein Bundesland, nämlich Thüringen, wo Sie den Ministerpräsidenten stellen, den zuständigen Kultusminister und die Sozialministerin, ({0}) das heißt wirklich alle, die im Bereich der frühkindlichen Bildung Einfluss nehmen könnten. Da werden Tagesmütter mit 2,53 Euro pro Kind pro Stunde abgespeist. Das heißt, bei der maximalen Anzahl von fünf Kindern sind sie bei 12,65 Euro – also knapp über dem Mindestlohn –, bei vier Kindern sogar darunter. In diesem Zusammenhang würde mich mal interessieren: Sprechen Sie eigentlich mit Ihren Kollegen vor Ort, oder sind das alles Sonntagsreden, die Sie hier ausschließlich im Bundestag halten? ({1})

Heidi Reichinnek (Unbekannt)

Politiker ID: 11005186

Vielen Dank für die Zwischenfrage. – Ich freue mich sehr, dass Bodo Ramelow Ministerpräsident in Thüringen ist. Das wurde ja nicht durch Sie ermöglicht. ({0}) Sie hatten da andere Prioritäten und andere Unterstützung. Ja, wir sprechen miteinander. Morgen wird es da ein Gespräch zwischen unserem Fraktionsvorsitzenden hier im Bundestag und unseren Ländern geben. Da werden wir auch dieses Thema ansprechen, nämlich das KiTa-Qualitätsgesetz. ({1}) Zu genau solchen Fragen und genau zu diesem Thema sind wir auch in Kontakt. Sie haben total recht: Da ist viel zu tun. Aber das ist nicht nur in Thüringen so, sondern in vielen Ländern. Ich glaube, wir sind uns doch sogar einig, dass wir wegmüssen vom Kooperationsverbot und hin zu einem Kooperationsgebot; das können wir zumindest in den Diskussionen immer wieder feststellen. Ich denke, da sollten wir an einem Strang ziehen. Der Bund ist dafür verantwortlich – das wurde vorhin auch von der SPD gesagt –, für gleiche Lebensverhältnisse zu sorgen. Also schieben Sie das nicht immer auf die Länder ab, ({2}) sondern machen Sie das, was hier möglich ist. Das wäre, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen. ({3}) Deswegen: Was müssen wir gegen den Fachkräftemangel machen? Natürlich Ausbildungsplätze schaffen, Leute zurückholen, die entnervt aufgegeben haben, und Quereinsteiger/-innen fortbilden. Natürlich geht das nicht von jetzt auf gleich; aber wir müssen doch wenigstens endlich mal anfangen. Deswegen brauchen wir jetzt einen Beteiligungsprozess, bei dem Sie endlich mal auf Leute hören, die wissen, wovon sie reden, auf meine Kolleginnen und Kollegen nämlich, die den Job machen und die das umsetzen müssen, was Sie hier beschließen, damit das nächste KiTa-Gesetz nicht wieder so ein Ist-ja-besser-als-nichts-Gesetz wird. Zusammengefasst: Unter der GroKo gab es für die Kitas kaum Geld und keinen Plan. Mit der Ampel gibt es kaum Geld, keinen Plan und totales Chaos in der Umsetzung. Wenn Sie als Fortschrittskoalition zur Abwechslung mal fortschrittliche Politik machen wollen, dann stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu! Vielen Dank. ({4})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächste Rednerin in dieser Debatte ist Nina Stahr für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Nina Stahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005227, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Vor Kurzem habe ich mich mit einer Grundschullehrerin unterhalten, die eine erste Klasse unterrichtet. Sie erzählte: Nicht erst seit Corona, aber seitdem verstärkt kommen viele Kinder in die erste Klasse, die kaum eine Schere halten können, die nicht zählen können, die selten in einem Buch geblättert haben. – Sie tut, was sie kann. Sie möchte jedem Kind die Chance geben, all seine Potenziale zu nutzen, und doch: Vieles kann man in der Schule nicht mehr aufholen. Wenn wir Chancengerechtigkeit wollen, dann müssen wir viel früher ansetzen. Deshalb, meine Damen und Herren, ist jetzt die Zeit, um in Kitaqualität zu investieren. Das machen wir mit dem KiTa-Qualitätsgesetz. ({0}) Deshalb überweisen wir in den nächsten beiden Jahren knapp 4 Milliarden Euro an die Länder, legen dabei aber fest: In Zukunft müssen alle Länder den überwiegenden Teil der Mittel in Qualität investieren. ({1}) Diese Priorität auf Qualität ist die entscheidende Weiterentwicklung im Vergleich zum Gute-KiTa-Gesetz. ({2}) Ebenso wichtig ist: Die Länder können die Mittel für die Sprachförderung nutzen, die eine so wichtige Säule für die Entwicklung unserer Kinder ist. ({3}) Wir haben den Gesetzentwurf in den letzten Wochen intensiv debattiert und zwei Änderungen vorgenommen. Zum einen werden wir als Bund die Sprach-Kitas letztmalig für ein halbes Jahr finanzieren. So schaffen wir die Voraussetzungen, dass die Länder die Sprach-Kitas weiterführen können. Denn es liegt in ihrer Verantwortung, und ich kann es nur noch einmal wiederholen: Bitte sprechen Sie alle mit Ihren Kolleginnen und Kollegen in den Ländern, dass sie diese Chance auch nutzen. ({4}) Zum anderen streichen wir die verpflichtende Staffelung der Elternbeiträge. Ich gebe ehrlich zu: Als Fachpolitikerin fällt mir dieser Schritt nicht leicht; denn ich bin sicher, die Einkommensstaffelung ist eigentlich das zielgenaue Instrument, um Familien mit geringem Einkommen zu entlasten. Ich habe in den letzten Wochen genau das auch von vielen Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern gehört. Jedoch halten sie eine bundesgesetzlich einheitliche Regelung nicht für zielführend. Klar ist: Ohne Kompromisse kommen wir nicht weiter. Deshalb gehen wir hier auf die Länder zu. Frau Bär, vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass ich heute bis hierhin nicht einmal das Wort „Bayern“ erwähnt habe. ({5}) Denn ich glaube ernsthaft, es hilft nicht, wenn wir damit weitermachen, die Schuld immer zwischen Bund und Ländern hin- und herzuschieben. ({6}) Beide Seiten müssen hier ihren Beitrag leisten zum Wohl der Kinder in diesem Land. Mit den vorgenommenen Anpassungen sind wir einen großen Schritt auf die Länder zugegangen. Nun liegt der Ball bei den Ländern. Sie können und sie sollten am 16. Dezember dem vorliegenden Gesetzentwurf im Bundesrat zustimmen. Ich danke der Bundesfamilienministerin für diesen sehr guten Gesetzentwurf, mit dem wir die Weichen für mehr Chancengerechtigkeit in der frühkindlichen Bildung stellen. Das ist der erste Schritt. Im nächsten werden wir zusammen mit den Ländern das KiTa-Qualitätsgesetz noch weiterentwickeln hin zu einem KiTa-Gesetz mit bundesweiten Qualitätsstandards. Denn jetzt ist die Zeit, um in die Kitaqualität zu investieren. Herzlichen Dank. ({7})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächste Rednerin ist Anne Janssen für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Anne Janssen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005093, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedes Jahr im Spätsommer freuen sich bundesweit Hunderttausende Kindergartenkinder auf ihren ersten Schultag. Als Grundschullehrerin hatte ich die Ehre, viele kleine ABC-Schützen in der ersten Klasse zu begrüßen. Neben der Freude, dem Stolz und der Aufregung war oft auch ein bisschen Angst zu spüren – Angst vor den fremden Kindern, vor fremden Räumen und auch vor den fremden Erwachsenen, die auf einmal da waren. Der Schulstart ist ein Meilenstein im Leben der Kinder und auf allen Seiten mit großen Erwartungen verbunden. Darum ist es nicht nur für die schulische, sondern auch für die ganz persönliche Entwicklung extrem wichtig, hier besonders gut vorbereitet zu sein. Bedauerlicherweise steigt aber in den letzten Jahren neben der Zahl der Zurückstellungen von der Einschulung auch die Zahl der Entwicklungsdefizite – wir hörten das gerade. Hinzu kommen Förderrückstände durch Corona und immer mehr Kinder mit anderen Muttersprachen. Aus ganz persönlicher Erfahrung als Grundschullehrerin kann ich Ihnen sagen: Chancengleichheit sieht wirklich anders aus. Meine Damen und Herren, ich spreche für eine ganze Berufsgruppe, wenn ich sage: Wir Lehrerinnen und Lehrer können das in der Grundschule nicht mehr aufholen; es ist zu spät. Aus diesem Grund bildet die frühkindliche Bildung ein wichtiges Fundament. Auch ich war einige Stunden in der Woche zur individuellen Sprachbildung der Kleinsten in den Kindertagestätten unterwegs. Der Förderbedarf ist enorm, und er wächst weiter. Darum war Ihr Vorhaben, in den nächsten zwei Jahren 4 Milliarden Euro in die Qualität der frühkindlichen Bildung zu investieren, Musik in meinen Ohren, jedenfalls so lange, bis ich Ihren Gesetzentwurf gelesen habe. Sie wollen Kindertagespflege stärken, lassen dann aber das Programm „ProKindertagespflege“ einfach auslaufen. ({0}) Sie wollen die Qualität auf Basis der Evaluationsergebnisse des Gute-KiTa-Gesetzes weiterentwickeln, schließen aber die Beitragsfreiheit nicht aus. Sie wollen gleichwertige Lebensbedingungen für das Aufwachsen von Kindern im Bundesgebiet herstellen, fördern aber zugleich schwarz auf weiß die bestehenden Unterschiede. Letztlich – das ist der Punkt, um den es immer wieder geht – stufen Sie den Schwerpunkt der sprachlichen Bildung als vorrangig ein, lassen dann aber 6 600 Einrichtungen mit Sprachförderung im Regen stehen. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es zu viel erwartet, dass mehr als 50 Prozent der Mittel eines Qualitätsgesetzes auch für Qualitätsförderung ausgegeben werden, vielleicht ganze 100 Prozent? Offensichtlich. Gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht. Bedauerlicherweise sind die aufgezeigten Widersprüche in Ihrem Wollen und in Ihrem Handeln zu groß für unsere Zustimmung. In unserem Entschließungsantrag stellen wir ausdrücklich dar, unter welchen Bedingungen wir Ihrem Vorhaben gern zugestimmt hätten. Doch leider waren Sie wenig offen für diese wertvollen Hinweise, weder für die von unserer Seite noch für die von der Seite der Sachverständigen. Es bleibt zu hoffen, dass wir mit Ihrem politischen Hin und Her zum Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ nicht bereits zu viel von unserer wertvollsten Ressource, nämlich den Fachkräften, verloren haben und dass das Engagement unserer Erzieherinnen und Erzieher in den Einrichtungen vor Ort Ihren Einsatz hier um ein Vielfaches übertrifft. Vielen Dank. ({2})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für die SPD-Fraktion folgt Erik von Malottki. ({0})

Erik Malottki (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005139, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! „In der Qualität der Kindertagesbetreuung spiegelt sich die Verantwortung unserer Gesellschaft für unsere Zukunft wider. Diese Verantwortung wird sichtbar in qualitativen Anforderungen und finanziellem Engagement.“ Das ist ein Auszug aus dem von meinem Kollegen Sönke Rix angesprochenen Kommuniqué zwischen Bund und Ländern vom 6. November 2014. In dieser wichtigen Übereinkunft waren sich Bund und Länder einig, dass sie zusammen in die frühkindliche Bildung investieren wollen. Seit diesem Kommuniqué ist viel auf den Weg gebracht worden. Wir haben 2016 das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ geschaffen, und wir haben mit dem Gute-KiTa-Gesetz und der Unterstützung des Bundes den Einstieg in die Grundfinanzierung der frühkindlichen Bildung begonnen. Wir haben mit 500 Millionen Euro im Jahr 2019 angefangen und 2021 das Niveau von 2 Milliarden Euro erreicht. Mit unserem heutigen Gesetzentwurf gehen wir einen weiteren Zwischenschritt in der Umsetzung dieses Kommuniqués. Wir stellen für die nächsten beiden Jahre jeweils circa 2 Milliarden Euro zur Verfügung und stabilisieren damit dieses Niveau. Und wir sorgen dafür – das ist in Ihrer Rede nicht ganz deutlich geworden, Frau Bär –, dass ein Großteil dieser Mittel überwiegend in die frühkindliche Bildung und Qualität fließen. ({0}) Ich will Ihnen mal sagen, was das für die Erzieherinnen und Erzieher in meinem Bundesland, in Mecklenburg-Vorpommern, bedeutet: kleinere Gruppen im Kindergarten, einen Mindestpersonalschlüssel, der von der Praxis schon sehr lange gefordert wird, und eine eigene Fachkräfteoffensive – durch die Mittel, die wir heute zur Verfügung stellen. ({1}) – Ich weiß ganz genau, dass das so ist, Frau Bär. – Der Höhepunkt soll aus meiner Sicht – daran wird gerade gearbeitet – ein Bundesqualitätsentwicklungsgesetz zum 1. Januar 2025 sein, genau zehn Jahre nach Erscheinen des Kommuniqués. Also könnte man sagen: Alles gut im Bereich der frühkindlichen Bildung. – Die letzten Wochen und Monate haben eher eine andere Sprache gesprochen. Was wir erlebt haben, ist ein Verantwortungspingpong zum Thema Sprach-Kitas. ({2}) Der Bund sagt: Die Länder sind für das Thema zuständig. Die Länder sagen: Wir haben nicht die finanziellen Mittel dafür. Der Bund verweist auf das höhere Steueraufkommen der Länder. Die Länder sagen, sie haben in der Coronazeit viel investiert und eine härtere Schuldenbremse. Ich könnte ewig so weitermachen. Worum geht es in dieser Debatte eigentlich nicht? Um unsere Kinder und die Zukunft unserer Gesellschaft. Deswegen ist meine Forderung, meine Bitte: Lassen Sie uns weg vom Verantwortungspingpong hin zu einer Verantwortungsgemeinschaft zwischen Bund und Ländern kommen! ({3}) Wir gehen heute mit diesem Gesetzentwurf einen wichtigen Weg. Für sechs Monate verlängern wir das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“. Die Verstetigung der Sprach-Kitas ist aus meiner Sicht der Lackmustest für diese Verantwortungsgemeinschaft. Ich höre aus vielen Bundesländern sehr gute Nachrichten. Aus NRW, aus Niedersachsen, aus Mecklenburg-Vorpommern sagen mir die Erzieherinnen und Erzieher: Es ist eine gute Lösung. Wir haben eine Sicherheit. Die Länder übernehmen das Programm. – Es gibt einige wenige Länder, in denen das nicht so ist; eines davon ist Bayern. Was ich dort erlebe, ist Angst, Unsicherheit, und ich höre dort: Wir wissen nicht, wie es weitergeht. – Deswegen ist mein Appell an alle Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträger aus Bayern: Bitte, erhalten Sie die Sprach-Kitas! ({4}) Erhalten Sie die Strukturen! Sichern Sie das Wissen der Fachkräfte in den Sprach-Kitas! ({5}) Was wir brauchen, ist eine Verantwortungsgemeinschaft, eine Rückkehr zum Geist des Kommuniqués von 2014. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns nach den Diskussionen der letzten Monate heute einen Neustart wagen! Lassen Sie uns zeigen, dass wir eines verstanden haben: Die Qualität der frühkindlichen Bildung ist Ausdruck unserer Verantwortung für die Zukunft unserer Gesellschaft. Danke schön. ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächste Rednerin ist für die FDP-Fraktion Katja Adler. ({0})

Katja Adler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kitaqualität bedeutet Zukunft, und das sollte sich nicht so wie bisher überwiegend auf kostenfreie Kitaplätze beschränken. Da dies wenig mit Qualität oder qualitativ anspruchsvoller Betreuung gemein hat, war eine Reform und Weiterentwicklung des Gute-KiTa-Gesetzes unumgänglich. Kitaqualität bedeutet daher ausreichend gutes und gut ausgebildetes Fachpersonal in den Einrichtungen. Kitaqualität bedeutet eine starke Leitung, die sich auf ihre pädagogischen Kernaufgaben konzentrieren kann, befreit von den vielen administrativen Notwendigkeiten. Kitaqualität bedeutet, sich in der Pädagogik an der kindlichen Entwicklung zu orientieren und eine gesunde, abwechslungsreiche, frisch gekochte Ernährung, ausreichend Bewegung sowie den Schutz des Kindes sicherzustellen. ({0}) Kitaqualität bedeutet aber auch eine pädagogisch starke Kindertagespflege. Ausgeschlossen ist nun endlich, dass mehr als die Hälfte der Mittel – wie zum Beispiel in Bayern, liebe Frau Bär, geschehen – allein für den dort gesetzten Schwerpunkt „weniger Gebühren“ ausgegeben werden. ({1}) Die Coronapandemie hat massive Auswirkungen. Dies in den Handlungsfeldern zu berücksichtigen, ist nur konsequent. Den gestiegenen Förderbedarfen in den verschiedenen Bildungsbereichen, den Problemen in der sprachlichen, motorischen und sozio-emotionalen Entwicklung sowie der Häufung psychischer Auffälligkeiten wird im KiTa-Qualitätsgesetz Rechnung getragen. ({2}) Mit jeweils 2 Milliarden Euro in den nächsten zwei Jahren machen wir einen wichtigen und richtigen Schritt hin zu mehr Qualität in der Kindertagesbetreuung. Weitere Schritte, wie zum Beispiel bundesweite Standards zu verankern, müssen und werden nun folgen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir unseren Kindern schuldig. Herzlichen Dank. ({3})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Zum Abschluss dieser Debatte folgt Jasmina Hostert für die SPD-Fraktion. ({0})

Jasmina Hostert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005088, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns hier vorzuwerfen, dass Qualität nicht das entscheidende Element in diesem Gesetz ist, ist echt schäbig, liebe Union. ({0}) Sie haben sich anscheinend nicht die sieben Handlungsfelder angeschaut, in denen wir investieren wollen. ({1}) Ich kann sie Ihnen sehr gerne hier vorlesen: bedarfsgerechtes Angebot, Fachkraft-Kind-Schlüssel, Gewinnung und Sicherung von qualifizierten Fachkräften, starke Leitung, sprachliche Bildung, Maßnahmen zur kindlichen Entwicklung, Gesundheit, Ernährung und Bewegung, Stärkung der Kindestagespflege. Ich finde, hier steckt sehr viel Qualität drin. Also hören Sie auf, falsche Infos zu verbreiten! ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, das KiTa-Qualitätsgesetz kann sich wirklich sehen lassen. Wir nehmen in den nächsten zwei Jahren circa 4 Milliarden Euro in die Hand, weil uns wichtig ist, dass jedes Kind frühkindliche Bildung erfährt, weil uns unsere Erzieherinnen und Erzieher wichtig sind und weil wir wollen, dass sich Eltern auf eine gute Kinderbetreuung verlassen können. Dabei überlassen wir nichts dem Zufall. Wir sorgen dafür, dass überall, ob bei mir in Böblingen oder hier in Berlin, die gleichen Qualitätsstandards und Rahmenbedingungen gelten, damit alle Kinder die gleichen Startchancen bekommen. ({3}) Eben wurde gesagt, dass überall, in allen Kitas, die Erzieherinnen und auch die Kinder gestresst sind. Ich kann gerade genau das Gegenteil berichten: Ich habe vor zwei Wochen mit meinem Sohn die Eingewöhnungsphase in der Kita angefangen. Und dort ist eine sehr gute Stimmung, auch wenn ich natürlich sehe, dass der Arbeitsaufwand, den die Erzieherinnen und Erzieher leisten, enorm ist. Aber ich habe den allergrößten Respekt davor, was unsere Erzieherinnen und Erzieher leisten: ({4}) Sie bespaßen die Kinder, sie trösten die Kinder, sie organisieren alles nebenbei und haben immer auch noch die Bedürfnisse von jedem einzelnen Kind im Blick. Das ist wirklich ein Kraftakt. Die Erzieherinnen und Erzieher verdienen unsere größte Anerkennung und auch unsere größte Unterstützung. Diese bekommen sie jetzt auch durch das KiTa-Qualitätsgesetz. ({5}) Zum Schluss möchte ich noch eines erwähnen, weil wir so oft und so viel auch über den Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel reden: Für die Eltern ist die Kinderbetreuung essenziell, vor allem für Frauen, da sie nach wie vor entweder zu Hause sind, in Minijobs oder in Teilzeit arbeiten. Wir brauchen die Frauen dringend auf dem Arbeitsmarkt, und auch dafür wollen wir mit diesem Qualitätsgesetz sorgen. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute ist ein guter Tag. Wir setzen ein zentrales Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag um. Mit dem KiTa-Qualitätsgesetz stärken wir die frühkindliche Bildung. Ich freue mich. Vielen Dank. ({7})

Martin Hess (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004749, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Unsere Gesellschaft und unsere Demokratie sind in akuter Gefahr. ({0}) Klimaextremisten greifen unsere Art, zu leben, frontal an und wollen als radikale Minderheit uns allen mit Gewalt ihre Ideologie aufzwingen. Sie proklamieren als Ziel den Wohlstand des Weniger und meinen damit doch nichts anderes als eine massive Wohlstandsvernichtung und damit eine tiefgreifende, negative Veränderung unserer Gesellschaft. ({1}) Die Klimachaoten geben vor, das Klima retten zu wollen, verbinden sich zu diesem Zweck mit Linksextremisten und bedienen sich dabei immer radikalerer Methoden. Sie begehen dabei unter dem Deckmantel des zivilen Ungehorsams schwerste Straftaten und gefährden dadurch das Leben und die Gesundheit von Menschen. Zuletzt haben diese Klimaextremisten sogar den Flugverkehr massiv gefährdet und gestört. Lassen Sie es mich klar und deutlich sagen: Wir dürfen uns solche Angriffe auf unseren Rechtsstaat nicht bieten lassen, sondern müssen uns dem entschlossen entgegenstellen. ({2}) Wer zur Durchsetzung seiner Ideologie vorsätzlich und fortgesetzt schwerste Straftaten begeht und dabei auch schwere Gesundheitsschäden oder den Tod von Menschen in Kauf nimmt, der belegt damit die massive Missachtung unseres Rechtsstaates und grundgesetzlich geschützter Rechtsgüter. Bei „Markus Lanz“ sagte Luisa Neubauer, das bekannteste Sprachrohr von Fridays for Future, auf die Frage des ehemaligen Innenministers de Maizière, welche Lösungswege sie denn habe, um die Ziele der Klimaprotestler mit demokratischen Mitteln zu erreichen, wörtlich – Zitat –: „Herr de Maizière, die Wahl zwischen Zeit und Demokratie haben wir nicht.“ ({3}) Sie gibt damit in aller Öffentlich klar und deutlich zu verstehen, dass sogar Fridays for Future zur Erreichung seiner Ziele auf unsere Demokratie keine Rücksicht nimmt. Das ist ein Bekenntnis zur Demokratiefeindlichkeit, wie es klarer nicht sein könnte. ({4}) Alle Demokraten wissen: Wenn wir es ernst meinen mit unserer wehrhaften Demokratie, dann müssen wir gegen diese Klimafanatiker mit aller Härte und Konsequenz zurückschlagen. ({5}) Aber genau das Gegenteil passiert: Diese Ampelregierung verharmlost und relativiert diesen Klimaextremismus nicht nur. ({6}) Nein, sie leugnet sogar, dass es sich um Extremismus handelt. Damit haben wir erstmals seit 1945 – das ist eine völlig neue Qualität – eine Regierung, die sich weigert, eine ernstzunehmende Sicherheitsgefahr für unser Land überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Hier handelt es sich im Ergebnis um eine bewusste und gewollte Weigerung der Ampelkoalition, essenzielle Aufgaben für den Schutz und die Sicherheit der Bürger wahrzunehmen. Das können und dürfen wir als überzeugte Demokraten und Verfechter unseres Rechtsstaates nicht hinnehmen. ({7}) Und nicht nur das: Auch Herr Haldenwang als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, dessen Aufgabe es eigentlich ist, uns vor Extremisten zu schützen, will die Gefahr des Klimaextremismus nicht wahrhaben. ({8}) Aber er geht sogar noch weit darüber hinaus: Er stellt dem Klimaextremismus einen Persilschein aus. ({9}) Er sagte bei einer SWR-Gesprächsrunde Mitte November wörtlich – Zitat –: Die sagen: Hey Regierung, ihr habt so lange geschlafen. Ihr ... müsst jetzt endlich mal was tun. Anders kann man gar nicht ausdrücken, wie sehr man dieses System eigentlich respektiert ... Diese Aussage des Präsidenten des BfV ist ein unfassbarer Skandal! ({10}) Man kommt nicht umhin, festzustellen, dass an der Spitze unseres Inlandsgeheimdienstes offensichtlich kein professionell agierender Verfassungsschützer sitzt, ({11}) sondern ein links-grün-rotes Sprachrohr der Klimaextremisten. ({12}) Und ob das nun auf Dilettantismus, auf Inkompetenz oder auf politische Beeinflussung seitens der Ampelregierung zurückzuführen ist, kann dahingestellt bleiben. ({13}) Fakt ist: Dieser Mann hat sich mit dieser Aussage mit Extremisten gemein gemacht und ist auf diesem Posten deshalb völlig untragbar und sofort abzulösen. ({14}) Wir müssen jetzt verhindern, dass sich dieser Klimaextremismus immer weiter radikalisiert und sich dann in einen Klimaterrorismus auswächst, und dazu hat der Staat alle erforderlichen Maßnahmen sofort umzusetzen. „Null Toleranz statt Kuschelkurs“ muss dabei oberste Leitlinie sein. Das bedeutet, dass man die Akteure nicht als Aktivisten verharmlost, sondern klar als Extremisten benennt und sie direkt in das Visier unserer Sicherheitsbehörden nimmt. Um Störungen der öffentlichen Sicherheit effektiv zu unterbinden, müssen sowohl strafprozessuale Maßnahmen als auch Präventiv- und Beseitigungsgewahrsam zur Anwendung kommen. Die bisherige Zurückhaltung der Polizei ist völlig fehl am Platz. Sie ist durch einen robusten Zwangsmitteleinsatz zu ersetzen. ({15}) Natürlich sind auch harte Strafen nach einem Gerichtsverfahren zwingend erforderlich; denn Strafen müssen abschreckende Wirkung haben, sonst taugen sie nichts. Meine sehr verehrten Kollegen, wir müssen jetzt handeln, wenn wir eine Klima-RAF verhindern wollen, sonst wird es irgendwann zu spät sein. ({16})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Es folgt Peggy Schierenbeck für die SPD-Fraktion. ({0})

Peggy Schierenbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005206, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich liebe unseren Planeten, und ich setze mich jeden Tag sowohl als Privatperson als auch als Parlamentarierin für den Schutz unseres Planeten ein. Das tue ich, weil ich mir meiner persönlichen Verantwortung bewusst bin, weil ich alles dafür tun möchte, den Klimawandel aufzuhalten. Schon während meines Wahlkampfes habe ich mich den Schülerinnen und Schülern in Weyhe bei einer Demonstration von Fridays for Future angeschlossen. ({0}) Ich nehme die Sorgen der jungen Menschen ernst und bewundere ihr friedliches Engagement. Ich liebe unseren Planeten. Ich finde es wichtig, dass jede und jeder etwas für unseren Planeten und gegen Klimawandel tut. ({1}) Ich bin der Überzeugung, dass jede und jeder im Rahmen der eigenen Möglichkeiten etwas für die Rettung unseres Klimas, für die Rettung unseres Planeten tun muss. ({2}) Ich handele klimabewusst; ich hinterfrage meine Entscheidungen. ({3}) Ich frage mich, was ich besser machen kann – Tag für Tag. Das tue ich als Privatperson; das tue ich als Parlamentarierin. ({4}) Friedliche Demonstrationen und friedlicher Aktivismus, wie wir ihn schon bei Greta Thunberg gesehen haben, wirken. Friedlicher Aktivismus setzt Zeichen, die gesehen werden, die ich sehe und ich in meinem Tun und Handeln, in meiner Arbeit berücksichtige. ({5}) Die Dringlichkeit des Themas war angekommen. Dann war ich sehr verwundert, als das erste, zum Glück von Glas geschützte Gemälde von der „Letzten Generation“ beschmiert wurde. Die Waffen der Wahl: Tomatensauce, Torte, Kartoffelbrei. Ich war verärgert, als die ersten Hände der „Letzten Generation“ auf dem Asphalt unserer Straßen und Autobahnen klebten. Nun bin ich erschüttert über die jüngste Eskalation: Protestierende der „Letzen Generation“ durchtrennten den Zaun um das Gelände des Flughafens Berlin Brandenburg und drangen auf das Grundstück vor. Als Berichterstatterin für Luftsicherheit innerhalb der SPD-Fraktion möchte ich eines klar sagen: Die Luftsicherheit darf nicht gefährdet werden. ({6}) Menschenleben dürfen nirgendwo und zu keinem Zeitpunkt gefährdet werden. Es liegt mir am Herzen, dass kein Mensch zu Schaden kommt, ob Reisende oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Flughafens. Eine Aktion wie die am Flughafen ist hochgefährlich, und den Protestierenden möchte ich sagen: Das hätte ganz schön nach hinten losgehen können. ({7}) Es gibt doch einen Grund, warum ein Zaun um das Gelände von Flughäfen gezogen wird: Wir schaffen damit Sicherheit. Jetzt ist es wieder passiert: Wir reden wieder über die „Letzte Generation“. Wir reden wieder über die Protagonistinnen und Protagonisten innerhalb dieser Gruppierung. Wir reden wieder über diejenigen, die Gemälde mit Lebensmitteln und Farbe beschmieren, über diejenigen, die sich an Straßen festkleben, und jetzt auch über diejenigen, die auf ein Flughafengelände vordringen. ({8}) Wir reden über Bestrafung, über die Einstufung als extremistische Vereinigung und über die Kritik am Protest. Aber das Problem daran ist: Nur noch wenige reden über die Rettung des Klimas, über die Rettung unseres wunderschönen Planeten, über den Planeten, auf dem sich übrigens die 299 schönsten Wahlkreise Deutschlands befinden. Was die „Letzte Generation“ tut, ist ärgerlich und dem Ziel, die Welt zu retten, nicht zuträglich. Die Aufmerksamkeit verschiebt sich. Nun stehen die Aktivistinnen und Aktivisten im Vordergrund, und nicht mehr der Klimaschutz. So gewinnt man keine Mitstreiter im Kampf gegen den Klimawandel. So bringt man die Menschen, die wir im Kampf gegen den Klimawandel brauchen, gegen sich auf. ({9}) Ich vermute, dass sich kein Fluggast gedacht hat: Oh, was für ein Glück! Die Protestierenden haben meinen Flug verhindert. Denen möchte ich mich jetzt gerne anschließen. – Das wird so wohl nicht gekommen sein. So wird nicht aufgerüttelt; so wird aufgebracht. Diese Aktionen sorgen dafür, wie die Bundesinnenministerin Nancy Faeser schrieb, dass „wichtige gesellschaftliche Akzeptanz für den Kampf gegen den Klimawandel“ zerstört wird. Wir müssen die Taten der „Letzten Generation“ nicht gut finden, aber wir dürfen die Protestbewegung auch nicht verteufeln. ({10}) Das Ziel ist gut, aber die Methoden sind es nicht. Aber diese Methoden machen noch keine Extremisten. ({11}) Der Extremismus lehnt den demokratischen Verfassungsstaat und seine Werte ab, missachtet Menschenwürde ({12}) und Rechtsstaatlichkeit. Extremisten bedrohen die freiheitlich-demokratische Grundordnung; das tut diese Bewegung nicht. ({13}) Ich verstehe, woher der Frust der Protestierenden kommt: Es geht ihnen nicht schnell genug. ({14}) Aber das Engagement für unser Klima, für die Rettung unseres Planeten muss innerhalb unserer Gesetze bleiben. ({15}) Der Protest der „Letzten Generation“ darf nerven, Protest muss auch nerven; aber der Protest der „Letzten Generation“ darf nicht die Sicherheit von anderen Menschen ({16}) und auch nicht die seiner eigenen Anhängerinnen und Anhänger gefährden. Vielen Dank. ({17})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Ingmar Jung erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ingmar Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben seit Wochen mit einem völlig neuen Phänomen von Straftaten zu tun. Wir sehen, wie Kunstschätze vorsätzlich beschädigt werden. Wir sehen, wie Straßen blockiert werden, wie Menschen sich überall festkleben – auf Flughäfen, auf Straßen –, Betriebe stören, den Straßenverkehr blockieren, stundenlange, emissionsstarke Staus verursachen ({0}) – Klimaschutz ist nicht das Thema; ich rede über das Phänomen, das wir die letzten Wochen erleben – und am Ende Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte behindern. Warum tun sie das? Weil sie glauben, das Recht zum sogenannten zivilen Ungehorsam zu haben, weil sie glauben, besser als die, die dafür zuständig sind, zu beurteilen, was man in diesem Staat darf und was nicht und was getan werden müsste, und weil sie glauben, durch das Überschreiten von Grenzen, durch das Brechen von Gesetzen mehr Aufmerksamkeit zu erzielen, und sich dadurch erhoffen, politische Ziele besser durchzusetzen. An dieser Stelle muss aus meiner Sicht eines ganz klar sein: Wer im Rechtsstaat, in dem wir uns gemeinsam Grenzen geben, glaubt, Ziele besser durchzusetzen, indem er die gemeinsam gesetzten Grenzen überschreitet und bewusst Straftaten begeht, darf damit keinen Erfolg haben; sonst schaffen wir ein Massenphänomen und machen uns als Staat auch lächerlich. ({1}) Meine Damen und Herren, wir haben deshalb in der vorletzten Sitzungswoche bereits einen Antrag eingebracht und unterschiedliche Vorschläge zur Änderung des Strafgesetzbuches – § 240 StGB, Nötigung, § 323c StGB, § 315b StGB – gemacht. Der Antrag enthält auch einen Vorschlag zur Beendigung der ständigen Kettenbewährungsstrafen, und wir sind froh, dass wir jetzt im Ausschuss darüber reden. Über all das haben wir schon in der vorletzten Sitzungswoche diskutiert. Ich wäre wirklich dankbar, wenn wir gemeinsam in einem sachlichen Diskurs Lösungen finden, wie wir unsere rechtsstaatliche Ordnung auch dann erhalten, wenn sich das Phänomen noch weiter ausweiten sollte. Ich will auf einen Punkt noch einmal ausdrücklich eingehen, über den wir vorletzte Sitzungswoche zwar auch schon diskutiert haben, der mir aber wichtig ist; denn das verschwimmt in der Debatte leider gelegentlich. In einem freiheitlichen Rechtsstaat sind Freiheitsrechte nur deshalb so viel wert, weil sie völlig diskriminierungsfrei, ohne Ansehung der dahinterstehenden Motivation gewährt werden. ({2}) Sie dürfen in Deutschland Freiheitsrechte aus gutem Grund – das unterscheidet uns von autoritären Regimen – für alles in Anspruch nehmen. Sie dürfen gegen Coronamaßnahmen demonstrieren, Sie dürfen für Klimapolitik demonstrieren, Sie dürfen aber auch für besseres Wetter oder für weiße Weihnachten demonstrieren – völlig egal. Und wir als Politik, wir als Staat haben uns aus der Motivationsfrage herauszuhalten. Das ist der Unterschied: Wir definieren hier gerade nicht – und das verschwimmt in der Debatte –, welches Ziel es wert ist, Freiheitsrechte in Anspruch zu nehmen, und welches nicht. Und wenn Sie diese Diskriminierungsfreiheit ernst nehmen, dann gilt auch umgekehrt: Dann kann es keinen Unterschied machen, wofür jemand eintritt, der die Grenzen überschreitet und Strafgesetze bewusst bricht. Der Betreffende ist ein Straftäter, egal was seine dahinterstehende Motivation ist. ({3}) Das verschwimmt leider zu sehr in der Debatte. Lassen Sie uns darüber sprechen, wie wir unsere Gesetze durchsetzen. Ich lade Sie herzlich ein – der Antrag ist im Ausschuss –, darüber zu sprechen, wie wir die rechtsstaatliche Ordnung erhalten. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Die Lösung der Klimaproblematik ist das Kernthema jeder Politik in den nächsten Jahren. ({4}) Wer glaubt, dort keine Lösung anbieten zu müssen, wird das bei Wahlen spüren. ({5}) Aber gleichwohl darf es bei der Debatte, wie wir mit Menschen umgehen, die bewusst Gesetze brechen, um Ziele durchzusetzen, keine Rolle spielen, worum es ihnen geht. Das gilt übrigens auch umgekehrt: Wenn ich jetzt von den Antragstellern höre, es werde nur über Klima gesprochen, dann ist das der Versuch, eine Bewegung wegen eines Phänomens zu diskriminieren. Sie von der AfD versuchen an dieser Stelle, Ihre kruden Leugnungstheorien hoffähig zu machen, indem Sie dieses Thema als Vehikel benutzen. Damit dürfen Sie keinen Erfolg haben. Das sage ich Ihnen an dieser Stelle auch sehr deutlich. ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Herr Abgeordneter, die Zeit ist um.

Ingmar Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich lade Sie herzlich ein, im Ausschuss darüber zu debattieren. ({0}) Lassen Sie uns gemeinsam vernünftige Lösungen finden. Haben Sie ein schönes Wochenende. Vielen Dank. ({1})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nur noch einmal zur Erinnerung: Sie haben fünf Minuten. Sie dürfen kürzer reden, aber nicht länger. Als Nächstes erhält das Wort Marcel Emmerich für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Marcel Emmerich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004969, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, wes Geistes Kind diese Debatte hier sein soll. Das zeigt schon die Beantragung dieser Aktuellen Stunde durch die AfD. Laut Titel reden wir jetzt über die „Radikalisierung der Klimaproteste“, aber ursprünglich hat die AfD eine Aktuelle Stunde zu „Klimaextremismus als Gefahr für Staat und Gesellschaft“ beantragt. ({0}) Das mussten Sie dann abändern. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal vortragen – denn ich glaube, die AfD hat es noch nicht ganz verstanden –, was der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, genau gesagt hat. Frau Präsidentin, ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis: Extremistisch ist …, wenn der Staat, die Gesellschaft, die freiheitlich-demokratische Grundordnung infrage gestellt wird. Und genau das tun die Leute ja eigentlich nicht. Die sagen: Hey, Regierung, ihr habt so lange geschlafen. Ihr … müsstet jetzt endlich mal was tun! ({1}) Anders könne man gar nicht ausdrücken, wie sehr man dieses System respektiert, wenn man die Funktionsträger zum Handeln auffordert. ({2}) Wie deutlich muss es denn noch sein? ({3}) Und genau deshalb muss von dieser Debatte, von dieser Aktuellen Stunde heute die Botschaft ausgehen, dass wir als Parlament diese Proteste mit Maß und Mitte beurteilen und diese politische Bühne nicht für Populismus und zynische Vergleiche instrumentalisiert wird. ({4}) Doch leider haben nicht alle erkannt, was es für Maß und Mitte braucht. Ich finde, das zeigt auch die Debatte im Vorfeld der Innenministerkonferenz. Viele Innenminister haben ganz klar gesagt: Wir brauchen hier Gesetzesverschärfungen. – Sie wollen ihre Polizeigesetze überarbeiten; sie wollen den Präventivgewahrsam ausweiten. All das wurde in die Debatte eingebracht. Dazu muss ich sagen: Das hat mit seriöser Sicherheitspolitik nichts zu tun, gerade auch mit Blick darauf, dass das Maßnahmen sind, die im Zuge von Antiterrorgesetzen in Polizeigesetze geschrieben wurden. Und diese sollen jetzt gegen Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten angewandt werden. Mir kann doch keiner erzählen, dass es verhältnismäßig ist, dass man 30 Tage ins Gefängnis gehen soll, weil man sich für zwei Stunden auf der Straße angeklebt hat. Das hat nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun. ({5}) Ich möchte einmal ganz nüchtern sagen: Es ist eine durchaus rechtswissenschaftliche Debatte darüber, wie diese Demonstrationen, diese Proteste zu bewerten sind, insbesondere mit Blick auf das Pariser Klimaabkommen, das ein international verbindlicher Vertrag ist, der natürlich auch Auswirkungen auf das Recht hat, und auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Das ist ein umstrittenes Thema. Das sind strittige Fragen. Aber dieser Debatte sollte man sich auch stellen. ({6}) Denn in Wahrheit ist es doch so, dass unsere Welt nicht durch die Blockaden der Klimabewegung in Brand gerät, sondern durch die Klimakrise. Wir müssen mehr über die Blockaden beim Klimaschutz reden und weniger über die Blockaden auf der Straße. ({7}) Und keine Frage – damit wir uns hier nicht falsch verstehen –: ({8}) Die Blockaden nerven und sind teilweise gefährlich. Und es ist natürlich auch vollkommen klar, dass es zeit- und nervenaufreibend sein kann, wenn man dadurch im Stau steht oder seinen Flieger verpasst. Straftaten und Gesetzesverstöße werden geahndet; aber in meinen Augen gehört es zur Demokratie, solch friedlichen Protest auch auszuhalten. ({9}) Ich verstehe ja, dass das einigen hier jetzt sauer aufstößt und dass viele das nicht begreifen können. Die Emotionen kochen hoch, alle wollen ins Wochenende. ({10}) Aber wir haben gute Gesetze und Gerichte. Wissen Sie, was ich nicht verstehe? Warum Sie diesen nicht vertrauen, ({11}) warum Sie den Staatsanwaltschaften nicht vertrauen, warum Sie den Polizistinnen und Polizisten nicht vertrauen, warum Sie den Gerichten nicht vertrauen. ({12}) Wir sind ein handlungsfähiger Staat. Wir haben handlungsfähige Gerichte, die auch zu entsprechenden Urteilen kommen werden. Die Strafen werden nicht ausgesprochen, die Urteile werden nicht gefällt vom Parteivorstand der AfD oder der Union, sondern von Gerichten. ({13}) Wer nur noch von Klima-RAF spricht – da ist ja die spannende Frage, wer hier eigentlich Stichwortgeber von wem ist –, wer nur noch Nulltoleranz fordert und wer nur noch ruft: „Wegsperren!“, der hat mit Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nichts mehr zu tun. ({14}) Ich will an dieser Stelle noch einmal ganz klar sagen: Gewaltenteilung ist etwas sehr Zentrales. Wir setzen uns an dieser Stelle für Rechtsstaatlichkeit, für Demokratie und konsequenten Klimaschutz ein und bringen all das zusammen. ({15}) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({16})

Martina Renner (Unbekannt)

Politiker ID: 11004385

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Und natürlich auch sehr geehrte Damen und Herren, die uns hier zuschauen oder vielleicht sogar an den Fernsehern oder im Rundfunk mithören! Wieder einmal hält die autoritäre und auch extreme Rechte den Stock hin, und wieder einmal springen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Teil über diesen Stock. ({0}) Derzeit scheint es geradezu einen Wettbewerb zu geben, in dem sich alle darin überbieten wollen, die markigsten Forderungen zu stellen oder die schiefsten Vergleiche zu ziehen. Für Alexander Dobrindt scheinen Sitzblockaden auf der Straße so etwas Ähnliches zu sein wie Erschießungen und Bombenanschläge. ({1}) Den Bundeskanzler erinnern Zwischenrufe während seiner Rede an den Terror der nationalsozialistischen SA. Und Andreas Scheuer möchte die Aktivistinnen und Aktivisten einfach wegsperren. ({2}) Meine Damen und Herren, wenn ich so etwas höre und lese, frage ich mich manchmal: Schauen Sie selbst auf sich? Hören Sie sich selbst manchmal zu? ({3}) Es ist infam, mit so durchsichtigen Manövern von der Notwendigkeit eines radikalen Kurswechsels in der Klimapolitik abzulenken, während gleichzeitig Menschen die Folgen des Klimawandels mit dem Verlust ihrer Heimat oder ihres Lebens bezahlen. ({4}) Sie jammern, weil es mal einen Stau gibt oder das Flugzeug vielleicht nicht pünktlich startet. ({5}) Andere Menschen sind der brachialen Gewalt des Klimawandels schutzlos ausgeliefert, und zwar nicht mehr nur im Globalen Süden. In diesem Sommer gab es so viele Hitzetote in Europa wie noch nie. ({6}) Ich habe da keine Empörung vernommen, keine Vergleiche mit Terrorismus gehört und vor allem keine Vorschläge, wie wir sofort und wirksam etwas ändern können. ({7}) Ich kann gut nachvollziehen, dass es nicht angenehm ist, wenn junge Menschen den Finger in die Wunde legen ({8}) und so deutlich auf das politische Versagen hinweisen, das die Klimapolitik der jetzigen, aber auch der vorherigen Bundesregierung auszeichnet. Aber glauben Sie ernsthaft, mit diesem ganzen Geklapper, das wir die letzten Wochen hören mussten, können Sie über dieses Versagen hinwegtäuschen? ({9}) Niemand behauptet, dass die Menschen, die durch Blockadeaktionen im Stau stehen, die Verursacher der Klimakatastrophe sind. Das wissen die Aktivistinnen und Aktivisten der „Letzten Generation“, das weiß ich, und das wissen auch Sie. Aber wir wissen alle, wer die Verursacher der Klimakatastrophe sind, ({10}) Sie vielleicht noch besser als ich; denn bei Ihren Parteitagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU, FDP, SPD und leider auch den Grünen, stehen die Logos der verantwortlichen Konzerne auf den Sponsorenaufstellern am Eingang. ({11}) Zwei Drittel der weltweiten CO2-Belastung werden von nur 100 Großkonzernen verursacht. In Deutschland verursachen die reichsten 10 Prozent einen viermal so hohen CO2-Ausstoß wie die ärmsten 50 Prozent. Und wir verschwenden wirklich unsere Zeit und Energie, hier zu diskutieren, ob ziviler Ungehorsam das Gleiche ist wie Terrorismus? Das ist absurd, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({12}) Statt sie zu verleugnen oder uns von ihnen zu distanzieren, sollten wir uns damit auseinandersetzen, was die Aktivistinnen und Aktivisten der Klimabewegung zu sagen haben. Sie sagen uns drei Dinge: Wir haben die Verursacher der Klimakrise zur Kasse zu bitten. Wir müssen ändern, was und wie wir produzieren; denn diese Welt ist nicht alternativlos, und ihr Ende ist es auch nicht. Vielen Dank. ({13})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als Nächstes erhält das Wort Linda Teuteberg für die FDP-Fraktion. ({0})

Linda Teuteberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004913, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Je mehr in Sonntagsreden über Demokratie, ihre Stärkung und Förderung gesprochen wird, desto mehr muss man offenbar Selbstverständlichkeiten erklären – manchmal sogar Koalitionspartnern. ({0}) Bei der Demokratie geht es nicht darum, für sich selbst die überlegene Gesinnung und Ziele zu reklamieren, sondern es geht auch um Institutionen und Verfahren. „Legitimation durch Verfahren“ ist einer der zentralen Werte der Demokratie. ({1}) Das Gewaltmonopol des Staates bedeutet, dass nur der Staat zwingen darf. Und zwar um demokratisch beschlossene Gesetze durchzusetzen. Parlamente und Parteien sind nach unserem Grundgesetz dazu berufen, politische Willensbildung und politische Entscheidungen herbeizuführen und zu treffen. Wer von Widerstand redet, der ist geschichtsvergessen in einem demokratischen Rechtsstaat, und zwar unabhängig davon, aus welchem politischen Lager er oder sie kommt. ({2}) Wer für sich in Anspruch nimmt, diese Grundsätze nach eigener definierter moralischer Überlegenheit zu verletzen, der öffnet die Büchse der Pandora. In Parlamente und Regierungsgebäude einzudringen, identitätsstiftende Bauwerke zu besetzen, Anschläge auf Parteizentralen zu verüben oder davon zu träumen und es zu inszenieren, Politiker abzuführen, einzusperren oder gar aufzuhängen: Bei der Ethik und Ästhetik, bei den Aktionsformen haben sich die Identitären bei den Autonomen bedient – jetzt tun das auch einige andere –, ({3}) noch unappetitlich garniert durch eine Verhöhnung der Rettungskräfte, die sie für ihre Aktionen instrumentalisieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die gute Nachricht ist: Ob es zu einer weiteren Radikalisierung kommt, ist noch längst nicht entschieden. Die weitere Entwicklung hängt nicht allein vom Verhalten derer, über deren Aktionen wir hier gerade sprechen, ab, sondern auch von Staat und Gesellschaft. ({4}) Wo Gesetze gebrochen werden, da muss dies folgerichtig geahndet werden, konsequent und fair. Unser Strafgesetzbuch bietet da eine Reihe von Möglichkeiten. Es geht insbesondere um den Tatbestand der Nötigung, auch der Sachbeschädigung, der gemeinschädlichen Sachbeschädigung, des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, den Luftverkehr und unter Umständen sogar der fahrlässigen Tötung. ({5}) Sosehr es gilt, zu sagen: „Im Rechtsstaat definieren Gerichte und nicht Politiker, was kriminell ist und was nicht“, ist umso befremdlicher, wie manche immer wieder betonen müssen, dass etwas nicht kriminalisiert werden dürfe. Das dient meistens der Verharmlosung. In Prozessen sollten beschleunigte Verfahren angewendet werden. Und zwar geht es nicht unbedingt um härtere Strafen. Es geht vor allem darum, schnelle, konsequente Urteile zu haben. Damit für alle in unserem Land sichtbar wird, dass in unserem demokratischen Rechtsstaat Recht und Gesetz sich durchsetzen. Ebenso wichtig ist es, dass der Rechtsstaat nicht überreagiert. Radikale Bewegungen provozieren den Staat bewusst, und die darauffolgende Überreaktion ist Teil ihres Kalküls. Kaum etwas radikalisiert ihre Anhänger stärker. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir bei der Gesellschaft und der politischen Debatte. Besonders bei Linken, aber auch bis in die bürgerliche Mitte hinein werden die Aktionen der Klimaaktivisten oftmals verharmlost. Dabei werden Anliegen mit Zielen und Ziele mit Mitteln verwechselt. So wichtig das Anliegen des Klimaschutzes ist: Es ist weder eine Rechtfertigung für Ziele wie Notstandsregime, die Abschaffung der sozialen Marktwirtschaft und anderes, und es ist auch keine Rechtfertigung für illegale Mittel. ({7}) Weder beim Vorgehen der staatlichen Institutionen noch bei der gesellschaftlichen Beurteilung sollte das Anliegen von Klimaaktivisten eine Rolle spielen. Das Gebot der Stunde ist klare, unmissverständliche Distanz. Überreaktion ist genauso schädlich wie Verharmlosung. Der Flirt mit dem Ausnahmezustand ist gefährlich. Am Kern des Problems geht allerdings auch vorbei, wer darauf abstellt, ob die Aktionen jetzt Erfolg oder Misserfolg bringen, wie die Imagewirkung für die Bewegung ist. Würde Militanz etwa besser, wenn sie mit beifälligem Nicken beantwortet würde oder Begeisterung auslöste? ({8}) Alle politischen Lösungsvorschläge müssen sich vor einem wählenden Publikum bewähren. Als Demokratin sage ich: Das ist auch gut so. – Niemand hat das Recht, durch Gewalt, Nötigung, Lautstärke zu erzwingen, was seine Argumente im politischen Diskurs nicht vermögen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Verachtung der Demokratie, ihrer Prozesse und Institutionen wird nur noch übertroffen von der Verachtung des Ökonomischen. Ökonomische Lösungen müssen marktgängig werden können. Schlicht, weil das die Grundlage für Wohlstand und befriedete Verhältnisse ist. Viel voraussetzungsreicher als eine Denkfaulheit, die sich damit zufriedengibt, auf der richtigen Seite zu stehen, ist das Kleinarbeiten der Probleme. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht hier tatsächlich um die Systemfrage, aber anders als diejenigen, die diese Aktionen machen, glauben.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Linda Teuteberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004913, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es geht nämlich um unsere soziale Marktwirtschaft und die freiheitlich-demokratische Grundordnung, die beste Ordnung, die wir je hatten. Wir sollten offensiv für sie einstehen. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächste Rednerin ist Beatrix von Storch für die AfD-Fraktion. ({0})

Beatrix Storch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004905, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine Radfahrerin starb. Der Rettungswagen wurde von der „Letzten Generation“ blockiert. Dazu twittert der Klimaextremist Tadzio Müller: „Shit happens“. Und im Tagesspiegel legt er nach – ich zitiere –: Aber warum muss denn der Protest der „Letzten Generation“ ein Nullrisiko haben … ? Im Straßenverkehr werden ständig Menschen … getötet, eine … akzeptierte Normalität. Weiter Zitat: „Falls im Rahmen der wachsenden Proteste mal ein tragischer Unfall passieren sollte“, werde die Gesellschaft damit umgehen müssen. Und noch mal Zitat: Schon bei den Aktionen von „Ende Gelände“ gegen den Braunkohletagebau war es … Glück, dass niemand ernsthaft verletzt wurde. Es hätte durchaus auch anders kommen können. Ihr Obermoralisten von den Grünen und Frau Schierenbeck insbesondere: Wenn das kein Extremismus ist und wenn das nicht die Vorstufe zu Terror ist, ({0}) was ist dann die Vorstufe von Terror? ({1}) Verantwortlich für alle Schäden und jeden weiteren Toten sind aber nicht nur die Klimaspinner selber, sondern auch die Justiz, die das Strafmaß nicht voll ausschöpft – zehn Jahre Knast für die Idioten vom BER; das wäre mal eine Ansage –, und die Presse, die Stichworte liefert und systematisch verharmlost. ({2}) Das ZDF: eine ganze Sendung für Jan Böhmermann, um die Sorgen der Menschen vor der grünen RAF lächerlich zu machen. „Der Spiegel“: eine Plattform für den Terroristen Andreas Malm, um zur massenhaften Sabotage aufzurufen – unkommentiert. Und im „Tagesspiegel“ kann Tadzio Müller dann die Tötung von Menschen zur akzeptierten Normalität erklären, ohne eine kritische Nachfrage. Den Aktivisten, die in Windeln auf der Straße kleben und millionenteure Kunstwerke in Museen mit Kartoffelbrei bewerfen, rufen wir zu: Wenn ihr das Klima retten wollt, dann fahrt doch nach China und klebt euch ans Mao-Mausoleum! China hat den größten CO2-Ausstoß der Welt – über 30 Prozent –, Deutschland unter 2 Prozent. Da könnt ihr euch mal mit einer kommunistischen Diktatur anlegen, ihr verhätschelten Wohlstandsgören. ({3}) Aber ihr seid nur mutig, wenn ihr es mit der deutschen Kuscheljustiz zu tun habt und mit Gregor Gysi an eurer Seite als Anwalt. ({4}) Diese verkrachten Existenzen und Pseudoakademiker, diese Jammerlappen aus der Elbphilharmonie: Ohne die dicken Gelder im Rücken könnten die gar nichts. Folgen wir mal der Spur des Geldes. Hinter dem Terror der „Letzten Generation“ steckt der Climate Emergency Fund aus den USA. Der finanziert nach eigenen Angaben 94 klimaextremistische Organisationen und rühmt sich, 22 000 Klimafanatiker ausgebildet und trainiert zu haben und zu bezahlen und 1 Million mobilisiert zu haben. ({5}) Der Climate Emergency Fund wurde von Aileen Getty gegründet. Das ist die Enkelin, aber vor allen Dingen die Erbin von Paul Getty, dem einst reichsten Mann der Welt. Ihr Vermögen: eine Dreiviertelmilliarde Dollar. Aileen Getty hatte in ihrem Leben viele Probleme: Magersucht, Selbstverstümmelung, Drogen, Aids. ({6}) Ein Problem hatte sie nie: Morgens früh um sieben Uhr mit einem alten Auto durch den Stau der Stadt bei unbezahlbaren Benzinpreisen zur Arbeit zu fahren und von ihrer eigenen Hände Arbeit leben zu müssen. Das Problem hatte sie nicht. ({7}) Ihr Vermögen stammt aus den Erdölmilliarden ihres Großvaters. ({8}) Ja, die „Letzte Generation“ wird bezahlt aus den Milliardengewinnen aus fossilen Brennstoffen. Die Klimamillionäre sitzen in ihren Luxusvillen in Palm Beach und in Palo Alto oder auch in Blankenese, ({9}) lächelnd mit einem Glas Château Lafite in der Hand, und freuen sich, wenn hart arbeitende Bürger frühmorgens mit dem Auto nicht zur Arbeit kommen oder von der Spätschicht nicht nach Hause. ({10}) Das ist keine Klimarebellion; das ist der Klassenkampf von woken, superreichen Doppelmoralisten ({11}) auf der Sonnenseite des Lebens gegen die arbeitende Bevölkerung. ({12}) Es ist Zeit, dass der Rechtsstaat endlich die Samthandschuhe auszieht, lange Haftstrafen ohne Bewährung verhängt – keine Geldstrafen –, ({13}) dass die Finanzströme hinter der sogenannten Klimabewegung in Gänze offengelegt werden. ({14}) Das wäre mal eine echte Aufgabe für investigative Journalisten. ({15}) Und endlich – das richtet sich an die Politiker dieses Teils des Hauses und an die Presse –: Hören Sie auf, jeden Starkregen zum Vorzeichen des Weltuntergangs zu erklären! Hören Sie auf, mit der Klimaangst Politik zu machen! ({16}) Kommen Sie endlich zur Vernunft! Vielen Dank. ({17})

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es fällt schwer, nach diesen massiven Angriffen von dem rechten Rand hier im Parlament ({0}) sachliche Worte zu finden, die ja wirklich nichts anderes im Schilde führen als eine Kriminalisierung, eine Diffamierung von ({1}) Klimaschutzbewegten ({2}) hier in den Mittelpunkt zu stellen. Das ist das eigentliche Motiv. ({3}) Es geht darum – da sind sich, glaube ich, hier auch alle einig, das ist aber gar nicht Ihr Thema –, dass die Grenzen des Rechtsstaats von nichts, aus welchen Gründen auch immer, überschritten werden dürfen. Das ist die Basis unseres gemeinsamen Wirkens auch hier im Haus. Aber darum geht es Ihnen ja gar nicht. ({4}) Ihnen geht es darum, eine Diffamierung zu inszenieren, eine Diffamierung von Klimaschutzpolitik. ({5}) Genau das gilt es hier auch mal zu unterstreichen und festzustellen, auch für alle hörbar festzustellen, dass das Ihr eigentliches Motiv ist. Deswegen treffen wir uns hier am Nachmittag, nicht um die wichtigen Fragen von Klimaschutz ({6}) oder Rechtsstaatlichkeit zu diskutieren, ({7}) sondern Ihnen geht es nur um Diffamierung. ({8}) Ich möchte aber nun auf die Fragen eingehen, die uns natürlich alle beschäftigen, in Kenntnis dessen, dass sich zurzeit eine Bewegung in einer Art Hilferuf ({9}) Instrumenten bedient, die in der Tat natürlich auch die Gerichte beschäftigen werden, weil hier die Überschreitung von Grenzen in Rede steht. Aber ob es eine Überschreitung von Grenzen ist, das muss je nach Einzelfall, ganz genau nach Einzelfall durch die Gerichte entschieden werden. Das muss durch die Gerichte entschieden werden. ({10}) Das steht uns als Politik nicht zu, diese Rolle zu übernehmen. Uns als Politik ist die Aufgabe in die Hände gelegt, immerzu diese Prozesse zu beobachten, genauestens zu beobachten, ob mit unseren gesetzlichen Rahmenbedingungen ausreichend Antworten gegeben werden können ({11}) und ob wir daraus Handlungsaufträge ableiten können. Das ist unsere Aufgabe, nicht die Bewertung von Einzeltaten. ({12}) Insofern muss hier auch ganz klar gesagt werden: Wir haben mit unseren rechtlichen Rahmenbedingungen eine Vielzahl von Möglichkeiten, als Staat auf rechtswidriges Verhalten zu reagieren, und die Bewertung ist dann, wie gesagt, Aufgabe von Gerichten. Insofern ist es ein Fehl- und ein Trugschluss, an dieser Stelle auf den Gesetzgeber, auf uns zu verweisen, dass wir hier tätig werden müssten. Dies würde die Spirale der Hilflosigkeit letztendlich noch mal nach oben schrauben, ohne zu den eigentlichen Wurzeln der Fragestellung zurückzukommen, die da lauten, dass wir offenbar eine Herausforderung haben im Umgang mit den Klimaschutzfragen. Einerseits müssen wir die Dringlichkeit der Handlungserfordernisse wahrnehmen, ({13}) die offenkundig gegeben ist; die Dringlichkeit, zu handeln, ist unzweifelhaft gegeben, die Dringlichkeit ist da. ({14}) Andererseits: Wenn man die Dringlichkeit missinterpretiert, dann kann sich die Aktion tatsächlich ins Gegenteil verkehren, dann kann daraus tatsächlich eine Art Hilfeschrei werden, ({15}) der auch zu einer Überschreitung von Grenzen führt, die es nicht geben darf. Insofern ist der Appell an die Menschen, die sich diese Wege jetzt suchen und möglicherweise da landen werden, dass die Gerichte es als Straftaten klassifizieren werden, den politischen Willen, den politischen Gestaltungswillen, der die Menschen antreibt, politisch einzubringen. Wir brauchen dieses Gedankengut als Gesellschaft, wir brauchen die politische Motivation dieser Menschen. ({16}) – Nicht die Ausdrucksform, sondern die politische Motivation; Sie müssen schon genau zuhören, was ich hier sage. ({17}) Wir brauchen die politische Motivation dieser Menschen. Wir brauchen sie als Parteiendemokratie in den Parteien. ({18}) Es gibt weltweit keine funktionierende Demokratie, die nicht zugleich eine Parteiendemokratie wäre. Das heißt, dass dieses Gedankengut pro Klimaschutz, das sich mit Hilferufen an die Gesellschaft wendet, ({19}) auch in die Parteien Einzug halten muss und uns hier hilft, nach Umsetzungswegen zu suchen, die Ziele, die wir uns alle gesetzt haben – zur Einhaltung des 1,5‑Grad-Ziels –, ({20}) auch wirklich Realität werden zu lassen. ({21}) Das ist unsere gesellschaftliche Aufgabe, nicht mehr und nicht weniger. Alles andere haben die Gerichte zu klären. Unsere Rechtsstaatlichkeit und unsere Rahmengesetzgebung geben uns genügend Instrumente an die Hand. Vielen Dank. ({22})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächster Redner in dieser Debatte ist Carsten Müller für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vorweg will ich noch mal eines sagen: Die klimapolitische Bilanz dieser Ampelregierung ist durchaus kritikwürdig. ({0}) Denken wir zum Beispiel an sich beharkende Ministerien und das Stocken der sogenannten Verkehrswende. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der klimagerechte Wohnungsneubau komplett zum Erliegen gekommen ist. Sie streichen von einem Tag auf den nächsten Förderprogramme für die energetische Sanierung. Es geht so weiter. – Das ist alles kritikwürdig. Meine Damen und Herren, wenn wir uns über Mittel des Protests und Formen des Protests unterhalten und hier in Sonderheit über Straßenblockaden, dann gibt es eine relativ klare Handhabung. Mit Erlaubnis der Präsidentin zitiere ich aus dem Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. März 2011, 1 BvR 388/05, Randnummer 39 – das ist eigentlich das Leitmotiv, das wir behandeln müssen –: Bei dieser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Zweck-Mittel-Relation sind insbesondere die Art und das Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige Abwägungselemente sind hierbei die Dauer und die Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand. Das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände ist mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ohne dass dem Strafgericht eine Bewertung zusteht, ob es dieses Anliegen als nützlich und wertvoll einschätzt oder es missbilligt. Meine Damen und Herren, dahinter kann man sich versammeln. ({1}) Das heißt, das Versammlungsrecht und das Demonstrationsrecht sind hohe Güter. Aber wenn wir uns die derzeitige Situation anschauen, dann müssen wir doch unzweifelhaft feststellen, dass sich das, was wir als Protest kennengelernt haben – was einige Redner der Grünen und der SPD eben krampfhaft versucht haben, zu rechtfertigen und als einen Hilferuf zu deklarieren –, ({2}) von dem eigentlichen Anliegen, dem Klimaschutz, meilenweit entfernt hat. Ein Angehöriger dieser Organisation „Letzte Generation“ hat vor zwei Jahren ein Praktikum bei mir im Abgeordnetenbüro gemacht. Ich nehme denjenigen zum Teil auch ab, dass sie sich für das Thema Klimaschutz interessieren. Ich nehme es jedoch nicht in der Breite ab und nicht in diesen Ausdrucksformen; diese sind doch eher durch Selbstverliebtheit und eine Ichbezogenheit geprägt. Meine Damen und Herren, die Situation in der Elbphilharmonie in Hamburg ist angesprochen worden; sie ist in der letzten Woche viral gegangen. Glaubt denn jemand in diesem Land, dass diese beiden hilflosen Personen, mit einem ausdruckslosen Gesicht, dem Thema Klimaschutz gedient haben? Nein, das Gegenteil ist der Fall. Sie sind zwar bekannt geworden, aber sie haben das wichtige Thema Klimaschutz banalisiert, und das ist genau das Gegenteil von dem, was anzustreben ist. ({3}) Meine Damen und Herren, ich habe heute Morgen durch einen Zufall mit einem Mitarbeiter der Berufsfeuerwehr Berlin sprechen können; Mittel des Protestes, Umfahrungsmöglichkeiten, ich hatte es Ihnen zitiert. Er hat mir geschildert, dass er selber häufiger im Einsatz war, um diese festgeklebten Personen von der Straße zu entfernen. Er war fassungslos, als man an seinem Arbeitsplatz, die Feuerwache Charlottenburg-Nord, gezielt die Zu- und Abfahrt blockiert hat. Er hat sich sehr für die Themen Demonstrationsfreiheit, Meinungsfreiheit eingesetzt, das war ihm ein Herzensanliegen, und er war auch durchaus klimapolitisch bewegt. Aber was ihn schockiert hat, war, dass die sich festklebenden Personen überhaupt keine Einsicht zeigen wollten, dass sie an der falschen Stelle mit unrichtigen Mitteln demonstriert haben. Das, meine Damen und Herren, dürfen wir so nicht durchgehen lassen! ({4}) Die Redezeit ist begrenzt. Ich stelle folgende provokante Frage nicht: Warum hat es eigentlich noch keine Straßenkleberaktionen beispielsweise auf der Sonnenallee in Berlin-Neukölln gegeben? Wir können am Wochenende alle mal darüber nachdenken. Ich glaube, es gibt darauf eine Antwort. ({5}) Meine Damen und Herren, ich will damit abschließen: Wir von der Union wollen kein Gesinnungsstrafrecht. Wir haben im Übrigen zur Kenntnis genommen, dass diejenigen, die diese Aktuelle Stunde beantragt haben, sich an die sogenannten Spaziergänge – das war ja totaler Quatsch; das war eine irreführende Bezeichnung – von Reichsbürgern, von wirklich verirrten Leuten überhaupt nicht mehr erinnern wollten. Für solche Demonstrationen und solche Blockaden gilt dasselbe. Meine Damen und Herren, Eigensucht und Rücksichtslosigkeit sind mit rechtsstaatlichen Mitteln nicht zu vereinbaren. Klimaschutz funktioniert nur mit rechtsstaatlichen Mitteln. Wir wollen das als Union durchsetzen. Wir nehmen die Sorgen ernst. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als Nächste erhält das Wort: Dr. Julia Verlinden für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Vorredner Carsten Müller hat gerade gesagt, Sie von der Union wollen kein Gesinnungsstrafrecht. Ich glaube, Sie müssen da ein paar Dinge noch intern klären. ({0}) Denn wenn ich höre, dass Stimmen aus der Union fordern, „Klimakriminelle“ wegzusperren, dann läuft es mir echt kalt den Rücken runter. ({1}) „Wir kämpfen den Kampf unseres Lebens“, das stand nicht etwa auf dem T‑Shirt einer Klimaaktivistin, sondern das formulierte António Guterres, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, zu Beginn der Klimakonferenz vor drei Wochen. ({2}) Wenn ein hochrangiger UN-Diplomat solche Worte wählt, ({3}) dann sollte uns das zum Nachdenken bringen. ({4}) Es mag Ihnen nicht gefallen, ({5}) aber radikal, das ist die Klimakrise selbst. Die Radikalität der Klimakrise steckt in der Konsequenz der Naturgesetze. ({6}) Der Meeresspiegel steigt; das ist Physik. Extremwetterlagen nehmen zu, Ernten fallen aus. Die Klimakrise ist das größte Sicherheitsrisiko unserer Zeit. ({7}) Deswegen müssen wir handeln. Ich weiß, darüber möchten Sie heute hier nicht so gerne reden; aber genau darum geht es. Deswegen empfehle ich Ihnen: Nehmen Sie sich mal 90 Minuten Zeit! ({8}) Sprechen Sie mal mit Klimawissenschaftlerinnen und Klimawissenschaftlern, mit denjenigen, die erklären, was wirklich passiert, wenn die Temperatur auf unserem Planeten um 3 Grad steigt! Unsere Welt wird eine komplett andere sein. Ich kann die Verzweiflung und auch die Wut der Menschen verstehen, die sich sorgen, dass ihre Zukunft, dass unsere Zukunft von Dürren, Überschwemmungen, Waldbränden und Hunger für Millionen Menschen bedroht wird. ({9}) Und es ist nicht ganz überraschend, dass die jahrelange Verweigerung echter Klimapolitik, die Verweigerung der Union, Menschen auf die Straße treibt. ({10}) Wir Grüne sind uns der Dringlichkeit der Klimakrise bewusst. ({11}) Es ist verdammt viel nachzuholen nach 16 Jahren Regierung unter der Führung der Union. Seit einem Jahr haben wir als Ampel mit raschem Tempo vieles angeschoben und vieles beschleunigt: für den Klimaschutz, für den Ausbau der Erneuerbaren, für die effiziente und sparsame Nutzung von Energie. ({12}) Um dieser Klimakrise Einhalt zu gebieten, arbeiten wir an der Mobilitätswende, an der Wärmewende, für nachhaltige Landwirtschaft und den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Veränderungen, die Transformation, sind die Voraussetzung für Klimagerechtigkeit. ({13}) Und ja, es ist auch noch viel zu tun. Insbesondere im Verkehrssektor sind noch zahlreiche Maßnahmen umzusetzen, um saubere und sichere Mobilität zu ermöglichen, ({14}) um das Überleben auf diesem Planeten zu sichern und Treibhausgase in ausreichenden Mengen zu reduzieren. Dabei sind wir uns in der Ampel nicht immer auf Anhieb einig. ({15}) Auch das ist Demokratie. ({16}) Oft ringen wir miteinander in der Ampel. ({17}) Wir ringen um das Tempo. Wir ringen um Ambitionen, und das ist anstrengend. ({18}) Aber es ist nötig; denn wir tragen Verantwortung, und wir nehmen diese Verantwortung in der Ampel an. ({19}) Und ja, die Zivilgesellschaft mischt sich ein. Die Zivilgesellschaft fordert uns. Menschen messen uns, die Politik, an unseren eigenen Ankündigungen, messen uns an geltenden Gesetzen und Versprechen, an internationalen Zusagen, fordern Klimagerechtigkeit. Sie fordern, dass die Politik den Rahmen schafft, damit die globale Temperatur auf nicht mehr als 1,5 Grad Celsius steigt. ({20}) Sie fordern uns auf, um jedes Zehntel Grad zu kämpfen. Ich bin überzeugt: Auch so manch kleine klimapolitische Entscheidung der Vorgängerregierung brauchte zum Beispiel den Druck von über 1 Million Schülerinnen und Schülern auf der Straße. ({21}) Vielfach wird diskutiert, welche Protestform der Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten der Sache dient oder nicht. Auch mein Vorredner hat sich daran versucht. ({22}) Aber ich muss sagen: Wer nicht über Klimaschutz sprechen will, wer ablenken will, dem gelingt das sehr lautstark – und egal bei welcher Gelegenheit. ({23}) Sie sind gerade wieder das beste Beispiel dafür. Das haben Sie als Antragsteller dieser Aktuellen Stunde auch wieder sehr deutlich gezeigt. ({24}) Wer sich wünscht, dass die Klimabewegung Ruhe gibt oder wer Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten erst mal ins Gefängnis schicken will – präventiv –, ({25}) der löst das Problem der Klimakrise nicht; denn die Klimakrise wird uns keine Ruhe lassen. Also hören Sie auf, sich der Realität zu verweigern. ({26}) Hören Sie auf, Klimaschutzpolitik zu diskreditieren. ({27})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Konsequente Klimaschutzpolitik ist die notwendige Antwort auf die eskalierende Klimakrise. Vielen Dank. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächster Redner ist Wolfgang Kubicki für die FDP-Fraktion. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001235, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Titel der von der AfD beantragten Aktuellen Stunde lautete ursprünglich – darauf ist hingewiesen worden –: Klima-Extremismus als Gefahr für Staat und Gesellschaft anerkennen und jetzt konsequent und effektiv bekämpfen. – Was für ein Titel! In der vorletzten Sitzungswoche wurde der Antrag der CDU/CSU mit dem Titel „Straßenblockierer und Museumsrandalierer härter bestrafen – Menschen und Kulturgüter vor radikalem Protest schützen“ besprochen. ({0}) Eine ähnliche Stoßrichtung mit einem feinen Unterschied. Frau von Storch, ich weiß, dass Sie das schwer nachvollziehen können. Stellt die Union die Taten in den Vordergrund, also das Blockieren und Randalieren, geht es der AfD um den Klimaextremismus, also die Gesinnung. Während die „Letzte Generation“ glaubt, ihre vermeintlich noble Gesinnung rechtfertige ihr Vorgehen, glaubt die AfD offenbar, diese Gesinnung mache sie erst besonders verdammungswürdig. ({1}) Beides ist Unsinn. ({2}) Aber die innere Haltung bei AfD und „Letzter Generation“ gleicht sich erstaunlich, vielleicht weil auch einige AfD-Abgeordnete schon zu grenzüberschreitenden Protestformen gegriffen haben sollen. ({3}) – Frau von Storch, mir ist nicht bekannt, dass bei Bündnis 90/Die Grünen, FDP oder SPD verurteilte Straftäter in den Reihen sitzen. ({4}) Der Rechtsstaat, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf nur auf die Taten schauen, ungeachtet politischer Verortung, und mit gleicher Konsequenz. Es gibt aber auch eine politische und eine mediale Verantwortung. Keine Talkshow und keine Debatte vergehen, ohne dass sich nicht irgendwer berufen fühlt, die angeblich noblen Motive der Täter relativierend ins Feld zu führen. ({5}) Wenn dann noch ehemalige und aktive Funktionäre der Grünen die „Letzte Generation“ mit dem Protest in der ehemaligen DDR oder heute im Iran vergleichen, ist das nicht nur geschichtsvergessen, sondern geradezu unerhört. ({6}) Denn niemand riskiert hier in Deutschland sein Leben, weil es einen großen Unterschied macht, liebe Kolleginnen und Kollegen, ob man gegen ein Willkürregime auf die Straße geht oder in einem demokratischen Rechtsstaat. Ungeachtet jedweder Motivation muss unsere politische Botschaft sein: Ihr seid nichts Besseres als eure Mitbürgerinnen und Mitbürger, die euretwegen aufgehalten werden, egal ob sie auf dem Weg zur Arbeit, zu ihren Liebsten oder zu einer lebenswichtigen medizinischen Behandlung sind. Ihr setzt euch ins Unrecht. Eure Handlungen richten Schaden an. Wie klein ist die Münze eigentlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es darum geht, das 9‑Euro-Ticket wiederzubeleben oder ein Tempolimit auf Autobahnen einzuführen? Dann enden die Blockaden und die Schmierereien? Die „Letzte Generation“ stellt in Teilen die Demokratie als Staatsform infrage. Das sage ich in allem Ernst: Das ist offensichtlich. Diese sei nicht geeignet, so wird formuliert, die gewünschten Ergebnisse gegen den Klimawandel zu erreichen. Gleichzeitig wird deutlich: Diese Bewegung ist medial auch deutlich überrepräsentiert. Die „Letzte Generation“ ist dabei auch das Resultat einer politischen Kommunikation, die seit Jahren auf der Grundlage von Panikmache versucht, politische Geländegewinne zu erzielen. Wer wirklich glaubt: „Die Welt geht in wenigen Jahren unter“, und in dieser Ansicht aus dem politischen und medialen Raum gespeist wird, der sieht sich legitimiert, Grenzen des Rechtsstaats zu übertreten. ({7}) Wer wirklich glaubt, es gebe nur einen Weg, die Welt zu retten, der muss Demokratie und Rechtsstaat abschaffen. Denn er muss verhindern, dass anders gewählt wird, und er muss verhindern, dass Gerichte Menschen in den Arm fallen. Auch wenn der Vergleich mit der RAF ziemlich überzogen ist: ({8}) In jedem Radikalismus steckt auch ein Eskalationspotenzial. ({9}) Es ist staatliche Aufgabe, schnell eine klare, aber auch besonnene Reaktion auf diese Herausforderungen des Rechtsstaats zu zeigen. Damit meine ich insbesondere auch eine besonnene Reaktion. Wenn der Chef des Verfassungsschutzes erklärt, eigentlich seien die Klimakleber um die Demokratie besorgt, dann kann ich nur sagen: Wir haben in letzter Zeit ziemlich Pech mit unseren Verfassungsschutzpräsidenten. ({10}) Denn die „Letzte Generation“ zeigt doch gerade, dass ihr demokratische Entscheidungsprozesse völlig egal sind. Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, Frau Dr. Scheer: Es wäre Aufgabe der jungen Menschen, sich in den Parteien zu engagieren und für Mehrheiten zu werben, statt zu glauben, sie könnten mit ihren Aktionen gegen Mehrheiten opponieren. ({11}) Ich will nicht unsere Definition von Humanität verschieben und Sterbende und lebensgefährdete Personen als Kollateralschaden einer angeblich höheren Sache ansehen. Wer Menschlichkeit für die eigenen politischen Ziele beiseiteschiebt, hat jegliche gesellschaftliche Solidarität verloren. Es ist nicht mutig, sich in Berlin auf die Stadtautobahn zu kleben und damit den Verlust von Menschenleben in Kauf zu nehmen. Es wäre mutig, bei den eigentlichen Klimasündern für entsprechende Aktionen zu sorgen – in anderen Staaten. Zu glauben, dass wir in Deutschland mit einem 2‑Prozent-Anteil an den CO2-Emissionen den Klimawandel allein bewerkstelligen können, ist ziemlich naiv und zeigt den Realitätsverlust. ({12}) Das Problem für unsere Gesellschaft und unsere Demokratie ist nicht die „Letzte Generation“. Das sind weitgehend Menschen, die Gutes meinen, aber teilweise eben nicht Gutes bewirken. Damit wird der demokratische Rechtsstaat fertig. Das Problem ist, wenn diesen Menschen vonseiten des demokratischen Spektrums aus der Politik, den Medien, der Justiz edle Motive unterstellt werden und Regelbrüche und antihumanistische Aktionen verteidigt werden. Relativierung von Straftaten führt nicht zur De- sondern zur Eskalation. Das bereitet den Boden für Gewalt und untergräbt unsere Verfassung, ist darauf ausgelegt, Interessenkonflikte nicht durch Wahlentscheidung unter rechtsstaatlichen Verfahren auszugleichen, sondern im Zweifel durch Gewalt. Das ist etwas, was wir politisch jedenfalls verdammen müssen. Herzlichen Dank. ({13})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächste Rednerin ist Mechthilde Wittmann für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Mechthilde Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005261, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Frau Staatssekretärin! Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute, wie ursprünglich vorgesehen – Kollege Kubicki hat es angesprochen –, das Wort „Klimaextremismus“ im Titel der Aktuellen Stunde gehabt hätten, dann wäre das schon deswegen am Thema vorbeigegangen, weil ich nicht glaube, dass es denjenigen, die sich auf Straßen festkleben und sonstigen Vandalismus betreiben, wirklich um das Klima geht. Das sind Extremisten, denen es darum geht, den Rechtsstaat zu verhöhnen und vor allen Dingen die Bürger in diesem Rechtsstaat vorzuführen. ({0}) Meine Damen und Herren, es ist bei uns ein hohes Rechtsgut, dass wir unsere Meinung friedlich bei Demonstrationen frei äußern können, übrigens auch bei Demonstrationen, die nicht zwingend vorher angemeldet worden sein müssen. Und wir alle würden uns wünschen, dass dies in allen Ländern der Welt heute so möglich wäre. Das bedeutet aber nicht, dass wir, wenn wir das Grundrecht aus Artikel 8 unseres Grundgesetzes so nutzen, wie es derzeit der Fall ist, die Freiheit haben, die Schranken zu überschreiten dahin, wo Freiheit und Unversehrtheit anderer Menschen und Eigentum verletzt werden. ({1}) Meine Damen und Herren, diese organisierten Kleingruppen mit ihren eventartigen Krawallaktionen definieren selbst ihre Taten als Straftaten, und deswegen müssen sie sich, bitte schön, auch dem Rechtsstaat stellen. ({2}) Sie maßen sich an, selbst Staatsgewalt auszuüben und Zwang gegen andere. Das ist für mich nichts anderes, als die freiheitlich-demokratische Grundordnung infrage zu stellen. ({3}) Das Gleiche gilt, wenn ich sehe, dass vor dem Amtsgericht Tiergarten oder dem Amtsgericht München Verteidiger, die ein unabhängiges Organ der Rechtspflege sind – festgelegt in unseren Gesetzen –, einfach mal so Studenten und befähigte Aktivisten sein sollen, die sich in keiner Form darum scheren, welche Ordnung in unserer Judikative herrscht. Diese ist zu achten. Die Judikative hat Recht gesprochen. Deswegen haben Sie nicht recht, meine Damen und Herren von den Grünen. Diese Taten sind als Straftaten bereits abgeurteilt, ({4}) und sie werden es weiterhin. Ich sage Ihnen noch etwas: Wer sich gegen unsere Grundordnung wendet, der macht Folgendes: Er wendet sich auch gegen unsere soziale Ordnung, und zwar genau mit diesen Taten. Und wer sich gegen die soziale Ordnung wendet, handelt, so die rechtspolitische Philosophie, in anarchistischer Absicht. ({5}) Und ich möchte in unserer Bundesrepublik Deutschland keine Anarchie durch einige wenige erleben, die glauben, sie seien anderen moralisch überlegen, weil sie ein 9‑Euro-Ticket oder ein Tempolimit haben möchten. Ich kann da zitieren, was der Kollege vor mir gesagt hat: Wenn sie wirklich Effekte erreichen wollen würden, würden sie da demonstrieren, wo es einen erheblichen CO2-Ausstoß gibt, ({6}) erheblichen Handlungsbedarf gibt, wo es tatsächlich noch einen großen Hebel gibt und nicht einen Hebel von 0,01 Promille; denn genau den könnten Ihre Themen hier erreichen. Meine Damen und Herren, wenn ich mir überlege, wie hoch allein der CO2-Ausstoß immer dann ist, wenn diese Staus verursacht werden, wenn die Menschen im Stau stehen und den Motor laufen lassen müssen, dann haben sie sich selbst ad absurdum geführt. Lassen Sie mich zu dem Thema kommen, dass dies ein Hilfeschrei sein soll oder politisches Gedankengut, das Einzug halten muss. Nein, das hat keinen Einzug in unser Parlament zu halten. Was ich möchte, ist, dass diese Menschen alle Regeln einhalten, die sie einhalten müssen, um ihre Interessen zu vertreten. Das dürfen sie; dafür sind sie legitimiert. Aber sie sind nicht dafür legitimiert, andere in Gefahr zu bringen, sei es dadurch, dass die Rettungskräfte nicht durchkommen, oder sei es – bitte stellen Sie sich das vor! – durch Abseilen von Autobahnbrücken, wodurch unschuldige Bürger auf einmal mit einem Menschen konfrontiert sind, dem sie vielleicht gar nicht mehr ausweichen können, und dann für ein Leben traumatisiert sind von einem Unfall, den sie selbst niemals verschuldet haben. Das Gleiche gilt für unsere Polizeibeamten, die unsere kritische Infrastruktur, nämlich die Flughäfen, schützen wollen. Wenn heute jemand, teilweise aus Versehen, die Sicherheitsvorkehrungen am Flughafen umgeht, dann lösen wir aus Angst vor terroristischen Angriffen eine Vollblockade aus, und das aus gutem Grund. Diese Menschen machen sich einen Spaß daraus, in diese gesicherten Bereiche vorzudringen und unsere rechtschaffenden Polizisten, die weiß Gott nicht im Wohlstand baden, dazu herauszufordern, eine Entscheidung treffen zu müssen, ob das nun ein terroristischer Akt ist und zu welchen Mitteln der Gegenwehr sie greifen müssen. Davor müssen wir auch unsere Polizistinnen und Polizisten weiß Gott bewahren. ({7}) Wenn Sie, Herr Kollege Emmerich, von politischem Gewahrsam sprechen, dann sage ich Ihnen mal eines: Niemand ist für zwei Stunden Festkleben 30 Tage eingesperrt worden. Es erfolgte eine sofortige Freilassung. Auch hier wird ohne Ansehen des Themas, sondern rein an den rechtsstaatlichen Gegebenheiten gewogen, und wer ankündigt, Straftaten zu begehen – schwere Straftaten! –, den muss man daran hindern, um die Gesellschaft zu schützen. Ich danke Ihnen. ({8})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist Helge Lindh für die SPD-Fraktion. ({0})

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich denke, man kann in dieser Debatte nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen, nachdem wir eine Rede erlebt haben – und ich meine die Rede von Frau von Storch –, ({0}) die sich aus meiner Sicht eindeutig, unzweifelhaft der Rhetorik, wie ich sie aus Reden des Reichspropagandaministeriums im Dritten Reich kenne, bedient. ({1}) Das war eine unerträgliche, eine widerliche, von Antiamerikanismus und auch antisemitischen Klischees durchsetzte Rede. Es ist eine Schande, ({2}) dass hier in diesem Parlament so gesprochen werden kann. Und wer wie sie selbst aus einem elitären Hintergrund kommt und hier elitär privilegiert im Bundestag sitzt, hat sich nicht über Frau Getty oder sonst wen herabzulassen. ({3}) Es ist schändlich. Es ist wirklich nicht zu ertragen, dass so etwas hier möglich ist, und wir müssen alles tun, dass im nächsten Parlament solche Stimmen nicht mehr gehört werden können. ({4}) Zugleich zeigt das aber, wo Rechtspopulismus mündet und dass wir alles tun müssen, um uns in dieser Debatte nicht zu Komplizen von Ihnen zu machen; denn Ihr Manöver und Ihre Absicht sind wirklich durchschaubar. Ansonsten – wenn man das mal außen vor lässt – stelle ich aber bei dem, was man in Social Media, aber auch in Teilen dieser Debatte wahrnimmt, fest, dass der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz erstaunlicherweise mehr Nüchternheit und einen progressiveren Blick auf Protest und auch Formen von zivilem Ungehorsam zeigt ({5}) als manche prominente Mitglieder der politischen Kultur Deutschlands. Das ist eine interessante Erkenntnis. Das macht mir Hoffnung in Bezug auf den Verfassungsschutz; denn er hat recht mit seiner Aussage. ({6}) Es ist eben nicht aus Strafbarkeit automatisch Extremismus zu folgern. Ich verstehe nicht, warum man nicht nüchtern über die Frage der juristischen Beurteilung sprechen kann. Genau das hat Herr Haldenwang gemacht. Er hat eben nicht gesinnungsjuristisch gesprochen, sondern als sachlicher Verfassungsschutzpräsident. ({7}) Deshalb ist er keine Fehlbesetzung; das sehe ich in diesem Fall anders als Herr Kubicki. Wir haben Glück, dass wir einen solchen Verfassungsschutzpräsidenten haben – im Gegensatz zu seinem Vorgänger. ({8}) Ich finde es aber darüber hinaus erstaunlich, wie sich genau die von rechts außen, die immer einen Kult der Empörung und Cancel Culture beklagen, als Großmeister der Empörung offenbaren und eben auch genau diese Cancel Culture betreiben; denn das werden Sie machen. ({9}) Jeder, der versucht, zu analysieren, der auch versucht, nach Gründen zu suchen, warum die „Letzte Generation“ und andere so auftreten, den prangern Sie an als Verteidiger von Gewalt, als Apologeten des Terrorismus. ({10}) Ich habe aber viele Shitstorms erlebt. Deshalb freue ich mich auf Ihr Anprangern, und es kümmert mich nicht die Bohne. Ich kann damit gut leben. ({11}) Außerdem ist es interessant, dass Sie in der Beantragung dieser Aktuellen Stunde die Klimaproteste insgesamt nicht nur als Extremismus, sondern letztlich auch als eine überaus große Gefährdung der Demokratie darstellen. ({12}) Sie selbst, werte AfD, haben zur Demokratie folgendes Verhältnis: rein usurpatorisch, rein utilitaristisch, rein parasitär. Sie nutzen diese Demokratie, höhlen Sie aus, profitieren von ihr, aber Sie tragen nichts zu ihrem Gedeihen bei. ({13}) Darüber hinaus und jenseits all dessen finde ich es aber frustrierend, ja teilweise auch enttäuschend, wie auf Plattformen wie Twitter usw. gesprochen wird und wie diejenigen, die legitimerweise fragen können: „Ist die Demokratie durch Klimaproteste und Klimaaktionen gefährdet oder auch nicht?“, ({14}) dann selbst fordern, diese Leute wegzusperren, und sagen, sie gehörten einfach weg, und dabei Grundprinzipien des demokratischen Rechtsstaats verletzen. Wir haben eine Gewaltenteilung, und im Rechtsstaat richten Richterinnen und Richter und richten nicht wir als Parteien, richtet nicht der inszenierte Mob auf der Straße. Das ist unser Rechtsstaat, das ist unser Prinzip. ({15}) Deshalb ist es – ich komme zum Ende – für mich auch Ausdruck einer gewissen Chuzpe und letztlich eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet Herr Scheuer die Bundesinnenministerin und den Justizminister auffordert, die jungen Aktivisten und Aktivistinnen der „Letzten Generation“ wegzusperren, ({16}) und sagt, sie müssten Konsequenzen spüren. Das sagt jemand, der – übrigens interessanterweise auch noch beim Thema Verkehr – nun wirklich das Nichtübernehmen und Nichtspüren von Konsequenzen und Verantwortung zur Kunstform erklärt hat. ({17}) Zum Abschluss: Ich bitte darum, mal darauf zu achten, wie so eine Debatte auf junge Menschen um uns herum wirkt. ({18}) Das ist doch das Entscheidende: nicht diejenigen, die gewalttätig sind, sondern diejenigen, die sich das angucken.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Für diejenigen ist es zutiefst abschreckend, wenn wir null Gespür und Gefühl für junge Generationen zeigen, aber mit altherrenwitzartigem, bräsigem Auftreten belehrend, paternalistisch agieren. ({0}) So werden wir den Klimaschutz gewiss nicht in seinem Ernst begreifen. Vielen Dank. ({1})