Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bringen heute das Gesetzespaket zur Gaspreisbremse und Strompreisbremse ein. Die
Menschen und Unternehmen in diesem Land können sich auf die Ampel verlassen.
({0})
Putin hat diesen Kontinent und unser Land durch eine Kombination von absichtlich in die Höhe getriebenen Preisen für fossile Energien
({1})
und einer Desinformationskampagne, daran seien gar nicht die Fossilen oder Putin schuld, sondern wahrscheinlich die Erneuerbaren oder der Klimaschutz,
in eine sehr schwierige Lage gebracht.
({2})
Ja, dass Sie vom ganz rechten Rand jetzt hier möppern, ist sehr bezeichnend. Denn Sie sind diejenigen – und damit sind Sie die Einzigen –, die Putins
Desinformationskampagne sogar hier unterstützen Das fügt diesem Land wirklich schweren Schaden zu.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können die Folgen von Putins Angriff nicht ausradieren, aber wir können sie sehr wohl mildern.
({4})
Wir können dafür sorgen, dass unsere Gesellschaft nicht daran zerbricht, dass der oder die Einzelne nicht alleingelassen wird und unsere Wirtschaft
stabilisiert wird. Ich möchte mich ganz zuvorderst beim Wirtschafts- und Energieministerium bedanken, dessen Mitarbeiter in wirklich grandioser, sehr harter
Arbeit diese Entwürfe erarbeitet haben. Ich finde, sie enthalten eine ganze Reihe sehr guter Aspekte.
Erstens. Die Entlastung kommt automatisch. Niemand muss Anträge stellen. Niemand muss Formulare ausfüllen. Nein, das Geld kommt automatisch bei Ihnen
zu Hause an.
Zweitens. Wer Gas und Strom spart, spart auch weiterhin Geld. Ja, auch das ist wichtig. Denn damit wir mit dem knappen Gas gut durch diesen und den
nächsten Winter kommen, ist es weiterhin wichtig, dass wir alle gemeinsam aus Solidarität Gas und Strom sparen. Ich sage es noch mal, weil es hier ständig
falsch unterstellt wird: Nicht die Leute mit wenig Geld müssen sparen, weil sie kein Geld haben, sondern wir alle als Gesellschaft, auch gerade die Reichen,
müssen aus Solidarität Gas und Strom sparen.
({5})
Deswegen ist es richtig und wichtig, dass in diesem Entwurf dafür gesorgt wird, dass diejenigen, die das tun, auch tatsächlich bares Geld
behalten.
({6})
Drittens. Ich finde es sehr gut, dass mit diesem Gesetz alle entlastet werden: Menschen, Unternehmen, Kommunen, und zwar ohne eine komplizierte
Unterscheidung, wer zu welcher Gruppe gehört. Nein, wir gucken lediglich: Was ist die Gruppe mit hohem Verbrauch, was ist die mit niedrigem Verbrauch? Ich halte
diesen Ansatz für sehr intelligent und sehr effizient. Er sorgt für klare Kommunikation und macht die Umsetzung in so kurzer Zeit überhaupt erst möglich.
Wichtig ist uns auch, dass die Subvention bei den Reichen besteuert wird, ja, dass besonders viel Geld bei denen ankommt, die wenig davon haben, dass
besonders viel dort ankommt, wo es am dringendsten benötigt wird.
({7})
Wir werden uns darüber hinaus im parlamentarischen Verfahren dafür einsetzen, dass auch die Unternehmen, die sehr große Unterstützung bekommen, in
dieser Zeit keine Boni und Dividenden ausschütten dürfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetzespaket organisiert Solidarität. Dazu gehört auch, dass diejenigen, die durch die hohen Energiepreise
sehr hohe Gewinne gemacht haben, ihren Beitrag leisten. In einem anderen Gesetzentwurf, über den wir jetzt nicht hier diskutieren, geht es um die Gewinne der
Ölkonzerne. Hier und heute geht es um die Gewinne im Strombereich.
Dort werden alle relevanten Stromerzeugungstechnologien abgeschöpft, bei denen es etwas abzuschöpfen gibt. Ja, das sind nicht Gas und Steinkohle. Gas
ist es ganz evident deshalb nicht, weil wir wegen der Gaskraftwerke und des teuren Gases überhaupt dieses ganze Problem haben. Da ist nichts abzuschöpfen. Aber
auch bei der Steinkohle wäre sehr wenig zu holen. Und würden wir dieses wenige holen, bestünde die ernste Gefahr, dass tatsächlich wieder viel mehr
Gaskraftwerke statt der Kohlekraftwerke laufen, dass wir viel mehr Gas verbrauchen und dadurch in eine Mangellage rauschen. Das wäre kritisch.
Es wird mitunter behauptet, wir würden am meisten bei den Erneuerbaren holen.
({8})
Nein, wir schöpfen nicht explizit bei den Erneuerbaren ab. Wir schöpfen bei allen Stromerzeugungstechnologien ab, wo es geht. Aber ja, die
Erneuerbaren liefern tatsächlich am meisten, weil die Erneuerbaren den größten Anteil an der Stromversorgung stellen und weil sie bei Weitem am
kostengünstigsten sind.
({9})
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind zwei sehr gute Nachrichten.
({10})
Sie zeigen auch, wie dringend wir die Erneuerbaren brauchen für die Zukunft, für günstige Preise, für die Versorgungssicherheit, für den Klimaschutz.
Deswegen legen wir großen Wert darauf, mit diesem Gesetzespaket auch gute Bedingungen für Investitionen in die Erneuerbaren in der Zukunft zu schaffen. Hier
wird nichts abgeschöpft. Wir haben gute Sicherheitsmargen festgelegt. Das kann man vielleicht schon daran sehen, dass wir von geschätzten 90 Milliarden Euro
Zufallsgewinnen 20 Milliarden Euro abschöpfen. Ja, wir brauchen die Erneuerbaren. Wichtig ist vor allem, dass wir gute Investitionsbedingungen für die Zukunft
schaffen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird auch manchmal gefragt: Warum gibt es zwei unterschiedliche Werte für Braunkohle? – Das gucken wir uns an,
genau wie die Werte für Atom. Ich sage nur schon mal: Diejenigen, die sich beschweren, dass andere mehr kriegen, können den Kohleausstieg auf 2030 vorziehen.
Dann bekommen sie auch den höheren Wert.
({11})
Ich komme zum Schluss. Dieses Gesetz kann nicht perfekt sein. Würden wir auf das perfekte Gesetz warten, würden wir gar nichts beschließen und die
Menschen und Unternehmen in diesem Land alleinlassen. Das Gesetz kann nicht perfekt sein. Aber es macht diese Regierung aus, dass sie trotzdem handelt, wo
Handeln notwendig ist. Das ist ein großes Glück für unser Land in dieser Zeit.
Putin hat sich das anders gedacht. Er hat gehofft, dass unsere Demokratie schon in diesem Winter zusammenbricht. Aber die Menschen in diesem Land sind
bereit für Solidarität. Unser Land ist stark. Die Ampel ist bereit, die notwendige Unterstützung zu organisieren.
Herzlichen Dank.
({12})
Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Andreas Jung.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Energiepreise sind explodiert, vor allem weil Putin Energie als Waffe gegen uns einsetzt. Dem
müssen wir die Stirn bieten. Deshalb ist es richtig und notwendig, zu begrenzen, zu deckeln, zu bremsen. Als Union fordern wir seit Monaten diese
Preisbremsen.
({0})
Soweit sie umgesetzt werden, unterstützen wir das, drängen wir darauf, dass sie beschleunigt umgesetzt werden, und darauf, dass es klare Regelungen
gibt. Insoweit haben Sie unsere Unterstützung.
Aber die Art und Weise, wie Sie die Bremsen umsetzen, Herr Finanzminister, wirft viele Fragen auf.
({1})
Wir in Deutschland machen es komplizierter als alle anderen in Europa.
({2})
Es ist ein gemeinsames europäisches Vorhaben, Preise zu begrenzen; wir machen es aber komplizierter als alle anderen. Wenn Sie es so umsetzen, dann
werden wir zum Europameister für bürokratische Umsetzung. Das kann nicht sein.
({3})
Deshalb muss da nachgebessert werden; deshalb müssen die Regelungen klarer werden.
Herr Lindner, Sie machen diese komplizierten Regelungen; Sie sind doch der Finanzminister.
({4})
– Doch, Sie sind zuständig für die Mehrwertsteuer. Ich frage mich: Warum, Herr Lindner, geben Sie nicht ein ganz klares Signal: Die Mehrwertsteuer
wird gesenkt – für alle.
({5})
Und nicht nur beim Gas und bei der Fernwärme, aber beim Strom wiederum nicht und beim Öl auch nicht. Für eine klare Botschaft sind Sie zuständig.
({6})
Setzen Sie es um: Mehrwertsteuer runter für alle Energieträger! Das wäre ein wichtiger und richtiger Schritt.
({7})
Wir unterstützen die Strompreisbremse, wir unterstützen die Gaspreisbremse, aber wir sind gegen die Erneuerbarenbremse, die vorgelegt wird. Was Sie
hier machen – Ingrid Nestle hat gerade von Investitionssicherheit gesprochen –, das beschädigt das Vertrauen in Investitionen in erneuerbare Energien, und sie
werden jetzt schon zurückgestellt. Es ist so, dass Erneuerbare in diesem Paket schlechter behandelt werden als die Fossilen und die Kernenergie. Nirgends soll
so wie bei den erneuerbaren Energien abgeschöpft werden, und das darf nicht sein.
({8})
Herr Habeck und die Ampel wollten mit dem Osterpaket doch den Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigen. Das wird in diesem Winter eingerissen.
Es wird Vertrauen beschädigt. Deshalb muss man da noch mal ran, und ich will Ihnen sagen, in welchen Punkten. Gerade ist gesagt worden, dass wir Gewinne
abschöpfen. Nein, das ist nicht richtig. Bei den großen Mineralöl- und Gaskonzernen werden Gewinne abgeschöpft, aber sonst werden Erträge abgeschöpft. Es werden
fiktive Erträge abgeschöpft, was vermutlich verfassungswidrig ist. Es ist jedenfalls in der Sache falsch, weil damit Geld abgeschöpft wird, das es in vielen
Fällen gar nicht gibt.
Nehmen Sie die Bioenergie: Sie nehmen die CO2-ausstoßende Steinkohle aus, aber die Einkünfte aus nachhaltiger Bioenergie werden so gedeckelt, dass die
Grundlage für den Weiterbetrieb infrage gestellt ist. Deshalb müssen Sie da noch mal ran. Wir brauchen eine tragfähige Grundlage für die Bioenergie. Das, was da
nachgebessert wurde, reicht bei Weitem nicht. Wir haben Kostensteigerungen in ganz erheblichem Umfang. Das muss berücksichtigt werden. Gehen Sie da noch mal
ran! Wir brauchen die Grundlage für einen beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren und keine Deckelung bei den erneuerbaren Energien.
({9})
Dasselbe gilt für die Kraft-Wärme-Kopplung. Die Kraft-Wärme-Kopplung ist der verlässliche Partner für volatile erneuerbare Energien. Sie entziehen ihr
rückwirkend die Grundlage dadurch, dass die Erzeuger die Netzentgelte, die sie bisher nicht bezahlen müssen, jetzt bezahlen sollen. Damit werden vermutlich
viele dieser Anlagen abgestellt werden und ausfallen – in einer Situation, in der wir sie gerade brauchen. Bessern Sie da nach! Wir brauchen hier
Verlässlichkeit. Wir brauchen Vertrauen. Und wir brauchen im Übrigen parlamentarische Entscheidungen und nicht die Delegation wichtiger Entscheidungen an diese
Regierung.
Sie legen hier den Entwurf eines Gesetzes vor, in dem Sie die Bundesregierung ermächtigen wollen, zu entscheiden, ob das, was Sie zur Abschöpfung
vorsehen, über 7 Monate oder 17 Monate abgeschöpft werden soll. 7 Monate oder 17 Monate! Meine sehr geehrten Damen und Herren, da ist doch der Kern
parlamentarischer Bestimmung gefragt. Ich appelliere an Ihr Selbstverständnis als Abgeordnete: Nehmen Sie hier parlamentarische Rechte wahr! Es kann nicht sein,
dass Herr Lindner, Herr Habeck und Olaf Scholz in der Suppenküche der Bundesregierung darüber entscheiden, ob über 7 oder 17 Monate bei erneuerbaren Energien
abgeschöpft wird. Das muss hier entschieden werden. Hier schlägt das Herz der Demokratie. Das ist eine parlamentarische Entscheidung.
({10})
Deshalb: Im Grundsatz sind Strom- und Gaspreisbremse richtig. Falsch ist, dass Sie ganze Gruppen, etwa bei Pellets und beim Öl, ausschließen. Da muss
was gemacht werden; insbesondere da müssen Sie noch mal ran. Wir brauchen hier Verlässlichkeit; wir brauchen Vertrauen. Das ist entscheidend.
({11})
Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dr. Matthias Miersch.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Jung, es ist richtig, dass die Opposition Dinge auch anmerkt.
({0})
Aber von „Suppenküche“ etc. zu reden:
({1})
Wenn ich mir die Konzepte der letzten Monate von CDU und CSU in diesem Haus, was die Bewältigung dieser Krise anbelangt, einmal angucke, dann muss ich
sagen: Ich wäre an Ihrer Stelle ein bisschen vorsichtiger.
({2})
Das Erste, was diese Regierung und diese Koalition geleistet hat, ist, dass wir Versorgungssicherheit sichergestellt haben. Und das ist ein ganz
wesentlicher Schritt.
({3})
Was für eine Chuzpe, Herr Merz – schön, dass Sie jetzt auch da sind –:
({4})
Sie kritisieren die Gaslieferungen aus Katar. Wären wir im März Ihrem Vorschlag gefolgt, ein Gasembargo zu verhängen, wären wir jetzt in einer
katastrophalen Gasmangellage. Sie hätten das Land an die Wand gefahren.
({5})
Da wir das Thema Versorgungssicherheit jetzt so gut wie möglich geregelt haben, machen wir heute den Aufschlag, um den zweiten wichtigen Punkt zur
Bewältigung dieser Krise zu bewerkstelligen, nämlich beim Thema Bezahlbarkeit. Und ja, Andreas Jung, da sind wir selbstbewusste Parlamentarier; wir gucken uns
diesen Gesetzentwurf einschließlich der Bremsen und der damit verbundenen Problematiken jetzt an. Aber was man hier sagen muss, ist, dass Sie, als es hier um
die Finanzierung dieser Bremsen ging, nicht zugestimmt haben.
({6})
Mit Ihnen hätten wir überhaupt kein Geld, um diese Bremsen jetzt zu organisieren. Sie waren gegen die 200 Milliarden Euro.
({7})
Deswegen kann ich nur sagen: Neben den Entlastungspaketen im Umfang von 100 Milliarden Euro war es unserer Fraktion sehr, sehr wichtig, jetzt einen
systemischen Eingriff in die Preisbildung vorzunehmen. Damit schaffen wir Sicherheit für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie für weite Teile der Wirtschaft.
Aber zur Wahrheit gehört auch: Wir bremsen auf ein Niveau, auf dem immer noch das Doppelte an Kosten im Vergleich zum Vorkriegszeitraum zu stemmen ist. Insofern
ist das Thema „Einsparung von Energie“ nach wie vor eines, das uns alle angeht. Aber das Zentrale ist, dass wir ein System haben, mit dem die Kosten bis April
2024 kalkulierbar sind.
Klar ist – ich weiß, dass Dietmar Bartsch mit Sicherheit auch darauf hinweisen wird –: Es wird bei einem solchen Gesetz keine Einzelfallgerechtigkeit
geben. Aber unser Anspruch ist schon, zu versuchen, dieses Gesetz so gut und so zielgenau wie möglich zu formulieren.
({8})
Deswegen will ich hier ein paar Punkte benennen:
Ja, augenblicklich – das entspricht der zentralen Aufgabe der Kommission – richten wir uns an Gaskunden. Aber wir wissen, dass es auch Härten im
Bereich von Öl, Pellets und Flüssiggas gibt. Insofern wollen wir auch eine Regelung für die Abfederung in diesen Bereichen kreieren. Das wird die Aufgabe der
nächsten 14 Tage für die Parlamentarier in diesem Raum sein.
({9})
Der zweite wichtige Punkt ist: Die Versorger haben in der Kommission sehr deutlich gemacht, dass sie nicht wissen, wer sich hinter einem Anschluss
verbirgt. Es ist die große Herausforderung, so zielgenau wie möglich zu sein. Deswegen nehmen wir uns auch vor, bis April 2024 zu überlegen, welche Daten wir
brauchen, um dann zielgenau zu steuern und auch zu unterstützen. Wenn wir das jetzt nicht ganz schnell, für diesen Winter, schaffen, dann ist zumindest der
Herbst und der Winter 2023/2024 der Zeitpunkt, wo wir noch zielgenauer, noch gerechter, noch besser werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({10})
Zudem geht es, Andreas Jung – weil nun gerade ausgerechnet die CDU/CSU die Erneuerbaren entdeckt hat;
({11})
okay, man lernt dazu –, natürlich darum, dass wir hier nicht Investitionen im Bereich der Erneuerbaren abwürgen. Deswegen ist das Thema Biogas eines,
das wir uns in den nächsten zwei Wochen auch noch mal vornehmen werden, um hier keine Fehlsteuerung zu produzieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({12})
Für diese Koalition ist somit entscheidend, dass wir die Krise bewältigen, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit sicherstellen. Aber den dritten
Punkt dürfen wir nicht vernachlässigen, und wir vernachlässigen ihn auch nicht: In dieser Krise muss dem Neuen gleichzeitig massiv zum Durchbruch verholfen
werden. Insofern ist der massive Ausbau der erneuerbaren Energien der Punkt, den wir genauso auf diese Tagesordnung setzen.
({13})
Dann wird die Krise mit einer Zukunftsausrichtung bewältigt; darauf kommt es an.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Steffen Kotré.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Besucher! Liebe Zuschauer im Land! Frau Dr. Nestle, Herr Miersch, ich muss
einfach mal ein bisschen Wasser in den propagandistischen Wein gießen:
({0})
Heute Morgen hatten wir 61 Gigawatt Leistung, und zwar von den fossilen, und lediglich 5 Gigawatt, die aus erneuerbaren Quellen stammten.
({1})
So viel zum Thema, die Erneuerbaren könnten unser Land mit Strom versorgen. Übrigens: Von den 61 Gigawatt stammten 20 Gigawatt aus Gas; so viel auch
zum Thema, dass man die Kernkraftwerke nicht anstellen möchte.
({2})
Die Gesetze zu den Preisbremsen sind eine Volksverdummung, wie wir sie seit Erich Honecker nicht mehr hatten. Die Ampelkoalition zerstört erst die
Gas- und Stromversorgung, macht Strom und Gas so teuer wie nie und wie sonst nirgends. Dann stiehlt sie uns 200 Milliarden Euro aus den Steuergeldern für die
Finanzierung, um den Brand einzudämmen, den sie selbst gelegt hat.
({3})
Aber, liebe Zuschauer, lassen Sie sich da nicht an der Nase herumführen: Die 200 Milliarden Euro könnten für Soziales, für Schulen, für
Zukunftstechnologie ausgegeben werden.
({4})
Aber mit dieser Ampelkoalition haben wir ein Abrissunternehmen, und mit dieser Regierung haben wir eine links-grüne Trümmertruppe, die Deutschland
leider Schritt für Schritt abschafft, meine Damen und Herren.
({5})
Zum Vergleich: In der Schweiz liegt der Strompreis 2023 bei rund 25 Cent pro Kilowattstunde; bei uns beträgt er 45 bis 60 Cent, also das Doppelte. Die
Inflationsrate beträgt in der Schweiz 3,5 Prozent, bei uns mit 10 Prozent ungefähr das Dreifache.
({6})
Woran liegt das? Die Schweiz hat eine Regierung, die der Bevölkerung verpflichtet ist. Im Übrigen hat sie auch direkte Demokratie. Wir haben eine
Regierung,
({7})
die den USA, China, dem Internationalen Währungsfonds, der EU, Marokko oder anderen verpflichtet ist. Die USA und China bekommen gerade von uns ganze
Industriezweige geschenkt, weil deutsche Unternehmen zu preiswerten Energiestandorten wechseln.
({8})
Der IWF bekommt zig Milliarden für sinnlose Klimamaßnahmen, um diese dann in der ganzen Welt zu verteilen. In der EU zahlen wir für den Green Deal und
die Wirtschafts- und Gesellschaftstransformation, die uns Planwirtschaft und Bevormundung bescheren. In Marokko wird gerade das Finanzsystem reformiert, und wir
Steuerzahler dürfen uns an den Kosten beteiligen.
Vaterlandsliebe, meine Damen und Herren, findet augenscheinlich nun die gesamte Ampelkoalition zum Kotzen,
({9})
und den Ministern ist es egal, was die Wähler denken.
({10})
Bis 2060 werden wir und unsere Nachkommen für den infantilen „Doppel-Wumms“, also den „Doppel-Dumm-Wumms“, wenn man so will,
({11})
noch bezahlen müssen. Die Verpflichtung Deutschlands mit jetzt schon mehr als 14 Billionen Euro ist ohnehin nicht mehr ohne entschädigungslose
Enteignungen, durch Inflation oder Diebstahl rückzahlbar.
({12})
Wir drohen, Zustände wie in Diktaturen zu bekommen, wo also Stabilität, Eigentum, Freiheit, wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeit nichts mehr zählen,
meine Damen und Herren.
({13})
Am jetzt ausgehandelten Gasdeal mit Katar lässt sich das ganze Versagen und die ganze Veruntreuungspolitik der links-grünen Trümmertruppe festmachen:
Obwohl sich Abwicklungs-, Abwirtschaftsminister Habeck vor dem Scheich fast auf den Boden geworfen hat, werden wir nur magere 2 Prozent unserer Versorgungslücke
damit schließen können, und das auch erst ab 2026.
({14})
Russisches Gas verweigern, aber keine Alternative haben – das ist das Niveau meines zweijährigen Sohnes, der also seinen Nuckel wegschmeißt
({15})
und sich dann wundert, dass er nicht mehr nuckeln kann.
({16})
Willkür und Chaos überall: Die Erstattung der vermiedenen Netzentgelte wird abgeschafft. Aber mit dieser Erstattung kalkulierten kleinere dezentrale
Stromerzeuger, die Stadtwerke zum Beispiel, die nun einen Teil ihrer Investitionen nicht mehr abdecken können.
({17})
Mit dieser unvorhergesehenen Streichung nimmt man natürlich auch ein Stück Rechtssicherheit hier in Deutschland weg.
Wie lange wird dieses zusammengeschusterte Konglomerat an Regelungen halten, bevor das Bundesverfassungsgericht es wieder kassiert? Wenn das dann so
kommt, dann stehen die Menschen hier in unserem Land leider im Regen und die soziale Schieflage ist vorprogrammiert, meine Damen und Herren.
Nein, die Lösung ist ganz einfach: Ausdehnung des künstlich verknappten Angebotes und damit Senkung der Preise – das spart Geld, anstatt es den
Steuerzahlern wegzunehmen –, alle Kohle- und Kernkraftwerke ans Netz, Nord Stream 2 muss für Gasimporte geöffnet werden. Ganz einfach, meine Damen und
Herren.
({18})
Die Ampelkoalition ist ein Abrissunternehmen und Deutschland leider das Opfer; aber das wird den Menschen nicht lange verborgen bleiben. Nach
Abwicklung der links-grünen Politik, nach Beendigung der Politik der verbrannten Erde bauen wir Deutschland wieder auf.
({19})
Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Dr. Lukas Köhler.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege, Sie sind ja gerade in Ihre Rede eingestiegen, indem Sie gesagt haben, dass
wir zu viel Kohle im Netz haben, und ausgestiegen sind Sie damit, dass wir nicht genug Kohle im Netz haben.
({0})
Ich glaube, das Einzige, das Sie sich mit Ihrer Rede gerade verdient haben, ist das Fleißbienchen aus Moskau, aber sonst gar nichts.
({1})
Es tut mir leid.
Was Sie gerade aufgezählt haben, ist doch absurd. Ja, es ist richtig, wir haben gerade sehr viel mehr Kohle im Stromsystem. Warum? Damit wir für eine
ausreichende Versorgungssicherheit sorgen.
({2})
Natürlich argumentieren wir und gehen wir davon aus, dass wir zu jeder Zeit, zu jeder Stunde, an jedem Tag ausreichend Strom brauchen.
({3})
Deswegen ist dieser Energiekrieg, den Putin gegen Deutschland und Europa führt, das, was uns zu all den Maßnahmen, die wir jetzt angehen, zwingt.
({4})
Wir machen das doch nicht, weil wir denken: „Mensch, super. Lasst uns mehr Kohle aus der Reserve holen!“, oder: „Lasst uns einfach insgesamt
300 Milliarden Euro an die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes geben“. Nein, wir sind zu diesen Maßnahmen gezwungen, damit die Menschen mit den Preisen
klarkommen, die durch den Energiekrieg gestiegen sind.
({5})
Wir sind dazu gezwungen, diese Maßnahmen umsetzen, und zwar, weil es einen Krieg in der Ukraine gibt und weil es einen Krieg auf der Energie- und
Wirtschaftsseite gegen dieses Land durch Wladimir Putin gibt.
Ja, wir helfen den Ukrainern, und, ja, die Ukraine wird gewinnen, und, ja, wir werden durch diesen Winter kommen, und zwar dadurch, dass wir den
Menschen, dass wir der Industrie, dass wir der Wirtschaft helfen, dass wir dafür sorgen, dass Gas und Kohle günstig genug bleiben.
({6})
Kollege Köhler, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung von Herrn Farle?
Nein, danke. – Wir haben uns auf der Angebotsseite vorgenommen, dafür zu sorgen, dass das da ist, was nötig ist. Die Speicher sind voll, die
Kohlekraftwerke gehen wieder ans Netz, die Kernkraftwerke laufen bis in den April und versorgen uns mit ausreichend Strom.
Wir müssen aber natürlich auch an die Preisseite denken. Ja, es gibt eine Menge Härten, und deswegen ist es richtig, dass wir uns dafür entschieden
haben, zwei Instrumente zu wählen, die einfach, wirksam und unbürokratisch sind. Und ja, damit kann man nicht immer zielgenau sein. Ja, da gibt es Probleme und
Fehler. Aber ich bin Robert Habeck sehr dankbar, dass er diesen Vorschlag zur Strompreisbremse, zur Gaspreisbremse hier vorlegt, weil es richtig und wichtig
ist, dass wir diese Maßnahmen jetzt einführen, dass die Menschen unterstützt werden, dass die Unternehmen und die Industrie weiterlaufen können, dass die
ökonomische Fähigkeit dieses Landes erhalten wird. Deswegen ist es gut, dass wir diese Maßnahmen haben. Zudem bringen sie die Sparanreize, die wir brauchen.
Denn wir müssen über diesen Winter kommen, und wir müssen für den nächsten Winter vorbereitet sein. Deshalb ist es gut und richtig, dass wir mit der
Gaspreisbremse ein Instrument gefunden haben, das die Kosten so senkt, dass wir vorwärts kommen.
({0})
Es ist auch wichtig, dass wir uns jetzt im parlamentarischen Verfahren sehr intensiv ansehen, was bei der Strompreisbremse passiert. Das BMWK hat
einen Vorschlag vorgelegt, mit dem man sehr gut arbeiten kann. Ich glaube, es gibt eine Reihe von technischen Fragen, die wir klären müssen, sowohl auf der
Seite des Auszahlungsmechanismus, aber vor allen Dingen auf der Seite des Abschöpfungsmechanismus. Es ist klar, dass das ein ganz neues Instrument ist, und neue
Instrumente in der Politik sind fehleranfällig; das ist ganz normal. Es gibt Probleme und Herausforderungen, wenn wir Dinge sehr schnell, sehr zielgerichtet
machen müssen. Und ja, wir müssen darüber nachdenken, zum Beispiel neue Anlagen von der Abschöpfung auszunehmen; denn wir dürfen mit der Preisbremse keine
Investitionsbremse schaffen. Wir dürfen nicht dafür sorgen, dass im nächsten Jahr nicht in neue Technologien, in neue Anlagen investiert wird. Deswegen glaube
ich, dass wir da viel machen müssen. Und ja, auch im Bereich der Bioenergie kann man noch einiges machen. Aber man muss dazusagen: Die europäische Ebene zwingt
uns dazu, eine ganze Reihe von Dingen zu tun.
({1})
Deswegen: Wir müssen und können dafür sorgen, an den richtigen Stellen Entlastung zu schaffen. Aber wir brauchen natürlich auch Einnahmen; das gewährt
uns dieses Instrument der Abschöpfung. Es gewährt uns die Möglichkeit, gezielt zu handeln, die Preise zu senken und dafür zu sorgen, dass das Geld an der
richtigen Stelle ankommt.
Wir werden diesen Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren noch besser machen. Wir werden die technischen Fragen klären. Wir werden dafür sorgen,
dass richtige Investitionsanreize an der richtigen Stelle gesetzt werden. Ich freue mich auf die weiteren Verhandlungen.
Vielen Dank.
({2})
Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, hat das Wort zu einer Kurzintervention der Abgeordnete Farle.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich will dem Vorredner nur sagen: Ihnen müsste doch bekannt sein, dass Herr Habeck vor sechs Jahren gefordert hat,
keinerlei Gas und andere Rohstoffe mehr aus Russland zu holen. Es gibt Videos, die seine Äußerungen aufgezeichnet haben. Jetzt müssten Sie doch glücklich sein,
weil Herr Habeck geschafft hat, was er erreichen wollte. Und dann faseln Sie hier davon, dass Putin Gas als Druckmittel nutzt? Ihre grünen Vorstellungen sind
doch alle falsch.
({0})
– Ja, die FDP von heute ist doch nichts anderes als der Wurmfortsatz dieser grünen Partei.
({1})
Sie faseln hier von dem Krieg Moskaus, der unser Gas erreicht. Ihre Träume werden doch verwirklicht. Sie verschleudern das Geld der Menschen. Und
damit komme ich auch schon zum Schluss. Erzählen Sie den Leuten doch nicht so einen Unsinn! Die Krise, die wir in der Energiepolitik haben, haben Sie als
Ampelkoalition selbst herbeigeführt.
Vielen Dank.
Herr Dr. Köhler, Sie dürfen antworten.
({0})
Herr Kollege, mir fehlen die Worte dazu, mehr zu sagen als: Das Niveau der Verschwörungstheorien in diesem Haus wird immer schlimmer. Es tut mir
leid. Mehr brauche ich dazu nicht zu sagen.
({0})
Jetzt kann ich den nächsten Redner aufrufen: für die Fraktion Die Linke Dr. Dietmar Bartsch.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Nestle, Sie haben hier gesagt: „grandios“ und „Umsetzung in so kurzer Zeit“. Das kann ich, ehrlich
gesagt, so nicht ganz nachvollziehen. Noch im Sommer hat diese Regierung eine Gasumlage angekündigt. Während andere Länder in Europa schon lange die
Energiepreise gedeckelt und sich auf den Winter vorbereitet haben, haben Sie noch über höhere Preise schwadroniert. Das ist doch die Wahrheit.
({0})
Deswegen muss sich Herr Habeck doch die Frage gefallen lassen: Warum erst jetzt? Warum reden wir heute zum ersten Mal über dieses Thema, neun Monate
nach Beginn des fürchterlichen Krieges? Die Wahrheit ist doch: spät, später, Habeck – so, wie Sie auch heute zu spät gekommen sind. Das ist die Wahrheit, meine
Damen und Herren.
({1})
Beides, Strom- und Gaspreisbremse, hätte schon lange da sein müssen. Die Menschen und die Unternehmen in Deutschland zahlen letztlich für Ihre
Zu-spät-Politik einen höheren Preis.
Natürlich ist völlig unbestritten, dass Gas- und Strompreisbremse geeignete Maßnahmen sind, die explodierenden Energiepreise einzudämmen. Es ist auch
richtig, dass entsprechende Mittel dafür bereitgestellt werden; das ist völlig unstrittig. Aber das geschieht eben nicht nur viel später, es ist auch
mangelhaft. Ihre Bremsen würde kein TÜV in Deutschland anerkennen.
({2})
Denn erstens sind die Bremsen zu hoch, zweitens sind sie eine Einladung zum Abkassieren, drittens sind sie sozial zutiefst ungerecht und viertens sind
sie Schmieröl für die Gewinne der Energiekonzerne.
Ich will mit dem Ersten beginnen. Eine Deckelung von 40 Cent pro Kilowattstunde beim Strom ist natürlich deutlich zu hoch angesetzt. Das ist im Moment
erst mal überhaupt keine Bremse, sondern ein Gaspedal, zumindest bei den Strompreisen. Real gebremst wurde in Österreich. Da liegt der Strompreisdeckel bei
10 Cent pro Kilowattstunde für das Haushaltskontingent. Das wäre eine Bremse: 10 Cent pro Kilowattstunde, mein Damen und Herren.
({3})
Zweitens. Wenn die Strompreisbremse bei 40 Cent pro Kilowattstunde ansetzt, dann ist doch logisch, dass kein Versorger darunterbleibt. Warum
kontrollieren Sie nicht die Preise?
({4})
Wenn Sie bei Strompreisen über 40 Cent pro Kilowattstunde die Rechnung übernehmen, müssen Sie sich doch von den Versorgern erklären lassen, wieso der
eine 53 Cent und der andere 66 Cent nimmt. Das kann doch nicht wahr sein. Ohne staatliche Preiskontrollen sind Strom- und Gaspreisbremse eine Einladung zum
Abkassieren, meine Damen und Herren. Das ist die Wahrheit.
({5})
Drittens. Lieber Matthias Miersch, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen: Das Hauptproblem ist die soziale Ungerechtigkeit. Wir alle hier und alle
anderen Gutverdiener profitieren am meisten von den Bremsen – das ist die Wahrheit –, mehr als die übrige Bevölkerung. Das kann doch nicht wahr sein. Ich will
den Wirtschaftsminister zitieren, der gesagt hat:
Gerecht wäre, dass die, die besonders bedürftig sind, besonders viel bekommen.
Aber das Gegenteil ist doch der Fall.
({6})
Wer in diesem Jahr gespart hat oder sparen musste, weil er gar nicht anders konnte, der bekommt so gut wie gar nichts. Je höher der Verbrauch, desto
höher die Entlastung – das ist doch die Wahrheit. Das bedeutet, wer eine Villa hat oder im Spätherbst vielleicht noch ein paar Bahnen im Außenpool schwimmt, der
bekommt viel mehr. Das ist sozialpolitischer Wahnsinn.
({7})
Ihre Gas- und Strompreisbremse bedeutet eine Umverteilung von unten nach oben. Sie ist ein Katalysator für soziale Ungerechtigkeit. Das ist die
Wahrheit, meine Damen und Herren. Manche können einfach nicht mehr sparen.
({8})
Wir haben mit dem Bürgerkontingent eine Alternative vorgeschlagen. Ich muss das jetzt aber sehr abkürzen, weil ich noch eine Bemerkung zu den
Energiekonzernen machen will.
Viertens. Sie haben angekündigt, die Gewinne abzuschöpfen. Ja, Investitionen müssen geschützt werden; das ist alles unbestritten. Aber, ehrlich
gesagt, auch da kommt viel weniger: Auf einmal soll das erst ab Dezember gelten. Das war doch mal anders vorgesehen. 50 Milliarden Euro wurden den Stromkunden
in diesem Jahr aus der Tasche gezogen. Warum wird das denn nicht zurückverteilt? Holen Sie sich das Geld zurück!
({9})
Bei der Ampel läuft zum Thema Übergewinnsteuer der Thriller „Wer hat Angst vor Christian Lindner?“ real weiter. Das ist die Wahrheit. Immer wenn dort
blockiert wird, haben Sie keinen Mut mehr.
Deswegen: Reparieren Sie Ihre Bremsen! Nehmen Sie unsere Vorschläge auf: niedrige Deckel, festes Kontingent, Preiskontrollen und eine ordentliche
Übergewinnsteuer.
Herzlichen Dank.
({10})
Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dieter Janecek.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Am 21. Oktober haben SPD, Grüne und FDP hier gemeinsam den Abwehrschirm in Höhe von 200 Milliarden Euro mit Gas- und
Strompreisbremse beschlossen. Wer, Herr Merz, wer, Herr Jung, hat dagegengestimmt? Es war die Union. In den Haushaltsberatungen haben Sie keine alternativen
Finanzierungsvorschläge unterbreitet. Sie sind kein verlässlicher Partner für die Unternehmen und die Menschen im Land, was Sicherheit angeht. Sie haben in
dieser historischen Situation versagt.
({0})
Die Preisbremsen sind das richtige wirtschaftspolitische Instrument, um den Energieangriff Russlands abzuwehren. Militär- und Wirtschaftshilfen in
Richtung Ukraine sind das richtige Instrument, um zu helfen, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt und Russland diesen Krieg verliert. Auch das ist in unserem
Interesse.
({1})
Unternehmen bekommen mit diesen Preisbremsen schnell und unbürokratisch finanzielle Unterstützung. Es sind keine Anträge nötig; die Energieversorger
reduzieren direkt die Rechnung. Ganz wichtig: Wir behalten die Energieeinsparanreize bei, und zwar ab der ersten Kilowattstunde. Die Preisbremsen sind klug
konzipiert. Die finanzielle Unterstützung erfolgt als eine Art Gutschrift, die praktisch unabhängig vom Verbrauch ist. Und deshalb gilt weiterhin: Einsparen
lohnt sich. Es ist auch sehr wichtig, dass eingespart wird, nicht nur für die Versorgungssicherheit in diesem Land, sondern auch, damit wir die Preise
runterkriegen. Das geht nur, indem wir in diesem und auch im kommenden Winter mehr einsparen.
({2})
Ganz wichtig ist: Wir schaffen jetzt Planungs- und Investitionssicherheit. Das ist wichtig für den Bäcker in München-Pasing oder die Bürgerin in
Traunstein, die jetzt eine Wärmepumpe installieren lassen will. Ganz wichtig ist aber auch: Im kommenden Jahr werden wir massiv in den Ausbau der erneuerbaren
Energien investieren, diesen forcieren und uns auf Energieeffizienz und ‑einsparung konzentrieren. Heute Morgen hatte ich eine Gesprächsrunde mit Kolleginnen
und Kollegen zum Inflation Reduction Act der Amerikaner. Dort ist im Prinzip ein Open-End-Investitionsprogramm vorgesehen, mit einem Volumen von 800 Milliarden
Euro. Das heißt, das Race to the Top beginnt jetzt erst weltweit. Wer den Ausbau der erneuerbaren Energien stärkt, der stärkt auch die Wettbewerbsfähigkeit in
Deutschland. Darum geht es jetzt ganz zentral.
({3})
Zu den Rahmenbedingungen der Energie-, Gas- und Strompreisbremse. Der Weiterverkauf von Gas bleibt möglich. Das ist auch wichtig für Wirtschaft und
Arbeitnehmer/-innen; denn so erreichen wir die höchsten Effizienzen. Wir haben eine Arbeitsplatzerhaltungspflicht im Gesetzentwurf verankert. Die Ausgestaltung
werden wir noch mal prüfen. Es ist wichtig, dass die Menschen darauf vertrauen können: Wenn Unternehmen profitieren, bleiben Arbeitsplätze erhalten.
({4})
Wichtig ist auch: Keiner soll übermäßig von den Bremsen profitieren. Deswegen stellen Höchstgrenzen sicher, dass nur Unternehmen, die besonders hart
betroffen sind und Hilfen wirklich benötigen, diese Hilfen erhalten. Die Bremsen müssen auch europäisch abgestimmt sein. Das heißt, die europäischen Partner
dürfen wir nicht vergessen. Wir haben volle Gasspeicher – das ist gut –; aber wir sind in einem europäischen Verbund. Das heißt, es wird in den kommenden Wochen
und Monaten auch zentral darauf ankommen, europäisch zu handeln.
Wir handeln hier jetzt sehr entschlossen, schaffen Sicherheit, helfen den Unternehmen. Im nächsten Jahr werden wir die Wettbewerbsbedingungen für die
Industrie, für die Wirtschaft mit erneuerbaren Energien und Energieeffizienz zentral voranbringen. Darauf kommt es jetzt an.
Ich danke Ihnen.
({5})
Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Lars Rohwer.
({0})
Glück auf, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit vielen Monaten wissen Bürgerinnen und Bürger, dass schwierige Zeiten auf sie
zukommen und dass sie, gerade wenn sie mit einem kleinen oder mittleren Einkommen ausgestattet sind, vor großen finanziellen Herausforderungen stehen. Aber die
Bundesregierung blieb aus unserer Sicht viel zu lange untätig. Es brauchte mehrere Entlastungspakete, um alle hilfsbedürftigen Bevölkerungsgruppen zu
erkennen.
Auf der Suche nach vergessenen Bevölkerungsgruppen erspähte die Bundesregierung in ihrem Elfenbeinturm am 4. September die Studierenden und Rentner
durch ihr Fernrohr und kündigte eine Einmalzahlung von 200 Euro auch für Studierende an. Es brauchte über zwei Monate, bis das Kabinett dies beschlossen hatte,
und es wird zwei Monate dauern, bis diese Regelung in Kraft tritt. Es wird aber weitere Monate brauchen, bis dieses Geld bei den Studis ankommt, weil Sie gar
keine digitale Plattform haben.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wir begrüßen die Einmalzahlung von 200 Euro sehr. Aber bei den Hilfen für die Studis fehlte immer irgendwas.
Erst war es die Energiepreispauschale, die es nur mit Minijob gibt. Der Heizkostenzuschuss erreichte nur gut 10 Prozent der Studierenden. Ich erinnere an das
Durcheinander beim 9‑Euro-Ticket und bei den Mensagutscheinen. – Sie haben sich drei Monate lang einfach vertüdelt.
({0})
Zudem ist der Gesetzentwurf auch nicht vollständig. Gestern kam bei der Regierungsbefragung heraus: Die Meisterschüler haben Sie einfach
vergessen.
({1})
Das ist an dieser Stelle absolut unverständlich.
Wir glauben aber auch, dass das Gesetz gänzlich unnötig ist. Sie wollen mit diesem Gesetz nur die Verantwortung auf die Länder übertragen,
({2})
damit, wenn das Geld nicht rechtzeitig ankommt, Sie das den Ländern in die Schuhe schieben können. Deshalb beantragen wir heute hier im Plenum, dass
endlich Schluss ist mit dem Verhandeln und der Bund selbst die Plattform aufbaut, und zwar in den nächsten 14 Tagen. Sie werden aber wahrscheinlich
weiterwurschteln. Wir werden uns nicht gegen die Studierenden stellen, aber wollen, dass Schluss ist mit dieser Regelung über die Länder.
Nach Ihrem Gesetzentwurf erlassen Sie ein Leistungsgesetz mit einer Verordnungsermächtigung
({3})
zur späteren Festlegung des konkreten Verfahrens. Dieses Vorgehen ist aus unserer Sicht völlig planlos und entbehrt jeder föderalen
Zusammenarbeit.
Auch gestern, in der Regierungsbefragung, gab es wenig Konkretes, wenig Abrechenbares von Ministerin Stark-Watzinger. Bei Antworten auf unsere
konkreten Fragen verloren Sie sich im ungefähren Klein-Klein.
({4})
Das war viel „Wir wollen, wir werden“, aber viel zu wenig „Wir machen, wir tun“. Frau Stark-Watzinger, Sie bezeichnen Ihr Ministerium selbst als
Chancenministerium. Ich möchte Sie bitten, nicht weiter die Ministerin der vertanen Chancen zu sein.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Andreas Mehltretter.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind immer noch in der Krise, und trotzdem hat sich das Konjunkturbarometer des Deutschen
Instituts für Wirtschaftsforschung im November erholt. Die Gründe sind, so das DIW, die Sicherstellung der Gasversorgung und die bisherigen und die geplanten
Entlastungspakete der Ampel. Unsere Politik wirkt. Das zeigt das Konjunkturbarometer.
({0})
Es zeigt aber auch, dass wir noch weit weg vom Normalzustand sind. Steigende Preise, labile Lieferketten und die weiterhin unsichere Lage belasten
Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft. Sie brauchen weiterhin Unterstützung. Deswegen bringen wir heute die Preisbremsen für Gas, Wärme und Strom in den
Bundestag ein. Wir als Ampel sorgen für genau diese Unterstützung.
({1})
Meine Damen und Herren, es ist zu Beginn der parlamentarischen Beratungen hilfreich, noch mal einen Schritt zurückzutreten und sich den
Abschlussbericht der Unabhängigen ExpertInnen-Kommission anzuschauen. Dieser Bericht enthält nicht nur einzelne Maßnahmen. Er enthält ein ökonomisch ziemlich
schlaues Gesamtkonzept. Das Ziel sind schnelle Entlastungen und ein wirksamer Schutz vor Überforderung. Aber es geht natürlich auch darum, die Volkswirtschaft
und die Preise zu stabilisieren. Und es geht darum, weitere Einsparanreize zu setzen.
Es ist schlau, dort anzusetzen, wo die Ursache für die aktuelle Situation liegt. Es sind die steigenden Gas- und Strompreise, die die Inflation
ausgelöst haben. Es sind die steigenden Gas- und Strompreise, die die Liquidität der Betriebe und die Kaufkraft bis in die Mittelschicht hinein auffressen.
Genau dagegen helfen die Preisbremsen.
({2})
Es ist auch schlau, dass wir mit den Bremsen die vollen Anreize zum Einsparen erhalten. Wie Kollege Janecek schon gesagt hat, richtet sich die
Entlastung nach dem prognostizierten Verbrauch und ist dementsprechend fix. Wer Gas und Strom spart, spart mit jeder Kilowattstunde bares Geld. Und es ist
schlau,
({3})
dass wir uns das Geld dort zurückholen, wo mit der aktuellen Energiekrise große Gewinne gemacht werden. Wir beschließen morgen, Übergewinne der
Mineralölkonzerne extra zu besteuern, und wir schöpfen unerwartet hohe Erlöse von Stromerzeugern ab. So geht solidarische Politik in Krisenzeiten, meine Damen
und Herren.
({4})
Gerade die Erlösabschöpfung am Strommarkt ist eine hochkomplexe Angelegenheit. Wir greifen damit tief in den Markt ein, aber so zielgerichtet, dass
wir keinerlei zusätzlichen Anreiz für die Verstromung von Gas geben. Das wollen wir nicht; das müssen wir vermeiden, um Gas einzusparen. Gleichzeitig gibt es
noch wichtige Punkte, die wir prüfen müssen. Dazu gehört die Frage, wie sich die Abschöpfung am Strommarkt auf den Ausbau der erneuerbaren Energien
auswirkt.
({5})
Es ist richtig, zumindest einen Teil der Preisbremsen aus den Übergewinnen der Energieerzeuger zu finanzieren. Wir brauchen aber auch mehr Tempo und
Planungssicherheit beim Ausbau der Erneuerbaren. Investitionen in Erneuerbare müssen weiterhin attraktiv bleiben. Auch das müssen und werden wir
sicherstellen.
({6})
Meine Damen und Herren, um 2 Prozentpunkte können wir die Inflation durch die Preisbremsen senken, sagen Ökonomen von Deutsche Bank Research. Genau
das brauchen die Menschen und die Unternehmen in unserem Land. Ich betone das noch mal ganz bewusst mit Blick auf Sie, meine Damen und Herren von der Union. Ihr
Fraktionsvorsitzender hat ja bereits angekündigt, die Preisbremsen im Bundesrat aufhalten zu wollen.
({7})
Sie wollen die Entlastungen verzögern, auf die die Menschen dringend warten. Soll das verantwortungsvolle Opposition sein? Ich glaube, nicht.
({8})
Wir machen verantwortungsvolle Regierungsarbeit. Wir sorgen mit den Preisbremsen für die notwendige Entlastung in dieser schwierigen Zeit. So geht
schlaue und solidarische Politik.
Vielen Dank.
({9})
Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Dr. Götz Frömming.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Ich finde es, ehrlich gesagt, unerträglich, wie sich die Ampel hier heute selbst lobt. Wofür denn eigentlich? Für
das Herumpfuschen an den Symptomen einer Krankheit, die Sie doch selbst mit Ihrer Politik erst herbeigeführt haben, meine Damen und Herren.
({0})
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch ein Wort sagen
({1})
zu dem hier mit debattierten Vorschlag, eine Energiepreispauschale für Studenten auszuzahlen. Das ist in der Tat notwendig; denn mehr als ein Drittel
der Studenten sind armutsgefährdet. Viele haben die Temperaturen in ihren Wohnungen auf 16 Grad im Durchschnitt herabgesenkt. Da finde ich es, ehrlich gesagt,
schon zynisch, wenn eine Abgeordnete der Grünen sich auf Twitter beklagt, dass es hier im Bundestag zu kalt sei und sie einen Schal anziehen und heißen Tee
trinken müsse. Meine Damen und Herren, wenn einer kein Recht hat, sich über kühlere Temperaturen zu beklagen, dann sind das die Grünen.
({2})
Vielleicht auch noch ein Wort zu den Anträgen der Union. Liebe Kollegen, es ist ja schon ein kleines Kuckucksei, das Sie hier der Ampel ins Nest legen
wollen. Sie schlagen vor, dass der Bund und nicht die Länder dafür zuständig sein sollte, die 200 Euro möglichst schnell auszuzahlen. Glauben Sie eigentlich im
Ernst, dass der Bund das in der notwendigen Zeit hinbekommt? Ich erinnere nur mal daran, wie lange wir auf die Umsetzung des DigitalPakts Schule gewartet haben.
2019 beschlossen, und immer noch warten viele Schulen darauf, dass die simpelsten Vorhaben wie die Einrichtung eines Breitbandanschlusses oder die Ausstattung
mit funktionierenden Laptops ankommen. Schon da hat der Bund versagt.
Der Bund versagt in zentralen Dingen. Deshalb wäre es wesentlich besser und zielführender, Sie würden für eine vernünftige Politik sorgen, die Energie
bezahlbar macht, und alles andere denen überlassen, die etwas davon verstehen, nämlich den Ländern vor Ort. Die können die Probleme an den Schulen selbst viel
besser beheben.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
({3})
Nächste Rednerin: für die Bundesregierung die Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hier geht es heute um mehr als ein paar Grad Celsius in Räumen. Hier geht es heute um
mehr als nur um das Geld. Wir schützen heute unsere Zukunftschancen. Dafür haben wir zusammen gekämpft – und zwar erfolgreich. Dafür, dass Forschung und
Wissenschaft einbezogen sind bei den Entlastungen, dass sie gut durch die Energiekrise kommen. Nehmen wir die Teilchenbeschleuniger an den Helmholtz-Instituten.
Die Strahlzeiten sind monatelang im Voraus ausgebucht. Ohne Strom aber kein Betrieb, keine Forschung – im Worst Case bleiben Hunderte Qualifizierungsarbeiten
auf der Strecke, Tausende Erkenntnisse. Oder nehmen wir eine Biobank. Wenn die Abluft- und Filtersysteme bei den Krankheitserregern nicht mehr betrieben werden
können, war jahrelange Arbeit umsonst. Wir setzen uns heute für Wissenschaft und Forschung ein, damit wir morgen überhaupt noch die Basis für Wissenschaft und
Forschung haben, meine Damen und Herren.
({0})
Wir entlasten dreifach: Alle wissenschaftlichen Einrichtungen, egal wie groß, erhalten die Dezembersoforthilfe. Außerdem greift die Gas- und
Strompreisbremse für Kitas, Schulen, Hochschulen und die großen Forschungseinrichtungen. Und ein Härtefallfonds bringt die energieintensive Forschung durch die
Krise, die großen Anlagen, die viel Strom brauchen, vom Teilchenbeschleuniger bis zum Höchstleistungsrechner. Damit ist die außeruniversitäre Forschung
abgedeckt, dank Härtefallfonds. Damit erhalten wir die Wettbewerbsfähigkeit unseres Wissenschaftssystems und vor allen Dingen –
Frau Ministerin, Entschuldigung, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung vom Kollegen Jarzombek?
– am Ende kann er gerne eine Kurzintervention machen – unsere Reaktionsfähigkeit auf Krisen. Der Klimawandel macht ja keine Pause, nur weil wir
gerade ein Energieproblem haben. Unsere Wettbewerber halten nicht inne, nur weil wir unsere Versorgung mit Gas und Öl neu regeln müssen. Wenn wir weiter gut
leben wollen, dann müssen Wissenschaft und Forschung weiterarbeiten können, auch in der Krise, meine Damen und Herren.
({0})
Mit bis zu 2 Milliarden Euro unterstützen wir die Bildungs- und Forschungseinrichtungen. Damit leistet der Bund einen großen Beitrag in schwierigen
Zeiten. Fakt ist allerdings auch: Die Länder stehen fiskalisch besser da als der Bund. Es ist also recht und billig, wenn sich auch die Länder an den Mehrkosten
ihrer Hochschulen beteiligen.
({1})
Der Bund sieht sich klar als Anwalt von Wissenschaft und Forschung. Dazu gehört das Werben um starke Allianzen; denn wir sind nur erfolgreich, wenn
wir gemeinsam arbeiten.
Das gilt auch für die Entlastung der Studierenden, Fachschülerinnen und Fachschüler. Die 200-Euro-Pauschale zahlt der Bund. Aber für die Auszahlung
brauchen wir die Länder. Wir haben geprüft: Gibt es einen zentralen Weg, wie das Geld auf die Konten kommt? Familienkassen, Krankenkassen, Finanzämter? Das
funktioniert nicht. KfW? Geht auch nicht. Wir reden über 3,5 Millionen Studierende und Fachschülerinnen und Fachschüler an Tausenden Hochschulen und Schulen.
Wer wo eingeschrieben ist, das wissen nur die Länder. Dort ist es bekannt. Für die 200-Euro-Pauschale wird es eine zentrale Onlineplattform geben für ein
möglichst schlankes Verfahren. Der Bund bezahlt die Plattform. Sachsen-Anhalt, unser Partner auf der Länderseite, hat die Weichen schon gestellt. Wir haben den
Zug aufs Gleis gesetzt.
({2})
Wir handeln nach der Devise: Der Bund macht alles, was möglich ist. Die Länder kommen dazu, wo es nötig ist. Ich gehe auch davon aus, dass die Länder
ein Interesse daran haben, die jungen Menschen zu entlasten.
Liebe Freunde von der Union, liebe Frau Ludwig, mir ist ein Satz von Ihnen aus der letzten Debatte im Ohr geblieben. Sie haben gesagt – ich zitiere –:
Ministerium im Tiefschlaf. – Wenn Sie mich angreifen, in Ordnung. Wir sind politische Akteurinnen, wir sind im Wettstreit. Aber wenn Sie Vorurteile gegen Beamte
und Angestellte im Ministerium schüren, dann ist das billig.
({3})
Sie haben 16 Jahre dieses Ministerium geführt. Sie kennen die Menschen, die dort arbeiten, die unter Hochdruck alles geben für gute Bildung in unserem
Land, für gute Forschung. Ihr Parteivorsitzender hat sich vor Kurzem über den politischen Stil in der Auseinandersetzung beschwert. Ich würde sagen: Bitte
nehmen Sie sich das zu Herzen! Das geht auch anders.
({4})
Wir haben zusammen viel auf die Beine gestellt, alleine jetzt in der Energiekrise. Der 200-Euro-Pauschale ging die dreifache Entlastung der
BAföG-Empfänger voraus: durch die BAföG-Reform, den Heizkostenzuschuss I, den Heizkostenzuschuss II. Eine dreifache Entlastung ist jetzt auch für die
wissenschaftlichen Einrichtungen vorgesehen, für die Zukunft unseres Landes. Denn: Wissenschaft löst jeden Tag ein neues Rätsel. Wir brauchen sie.
Vielen Dank.
({5})
Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, hat das Wort zu einer Kurzintervention der Kollege Jarzombek aus der CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Bundesministerin, Sie haben sich gerade beklagt, wir hätten Ihr Haus als sich im Tiefschlaf befindend
bezeichnet. Das, Frau Ministerin, bezieht sich nur auf die Führungsebene, darauf, dass wir hören, dass ganz viele Beamtinnen und Beamte mit ihren Anliegen nicht
durchdringen.
({0})
Meine Kurzintervention bezieht sich auf den Härtefallfonds, zu dem wir Sie übrigens durch eine Bundestagsdebatte getrieben haben. Am Tag der Debatte
unseres Antrages haben Sie den Härtefallfonds angekündigt. Sie wussten zu dem Zeitpunkt aber nicht einmal, wie groß er ist und für wen er gilt. Jetzt wissen
wir: Er gilt nur für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Sie haben vorhin ausgeführt, es gehe bei diesem Härtefallfonds um die energieintensive
Forschung, und von Teilchenbeschleunigern und Rechenzentren gesprochen. Gestern in der Anhörung im Bildungsausschuss hat Professor Wörner für die TU Darmstadt
dargelegt, dass genau diese Einrichtungen an seiner Uni vorhanden sind. Aber die Hochschulen sind ausgeschlossen. Ich frage Sie an dieser Stelle: Warum haben
Sie die Hochschulen ausgenommen? Es wäre allemal notwendig, die TU 9, die Technischen Universitäten, in diesem Härtefallfonds zu berücksichtigen. Dieser gilt –
jedenfalls nach alledem, was hier gerade kolportiert wird – ausschließlich für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen.
({1})
Frau Ministerin.
Herr Kollege Jarzombek, ich empfehle Ihnen das Lesen unseres Grundgesetzes und das Studieren des Aufbaus der föderalen Struktur.
({0})
Die Hochschulen sind in der Verantwortung der Länder. Wir entziehen uns der Verantwortung aber in keiner Weise: Zukunftsvertrag „Studium und Lehre
stärken“, Professorinnenprogramm und viele gemeinsame Programme, und jetzt die 2 Milliarden Euro für die Energiepreisbremsen. Der Bund ist da, und wir arbeiten
mit den Ländern zusammen.
({1})
Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Nina Stahr.
({0})
Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Herr Minister! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Es ist gut, dass
wir heute die Strom- und Gaspreisbremsen auf den Weg bringen und damit unmittelbar spürbare Entlastungen für jeden Privathaushalt schaffen.
Sie gelten aber nicht nur für die Privathaushalte. Ich möchte daher noch einmal – wie es die Ministerin auch schon getan hat – den Blick auf die
Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen lenken. Ganz herzlichen Dank auch an Minister Habeck und das ganze Team des BMWK, dass bei diesem Paket
Bildung und Forschung von Anfang an mitgedacht wurden.
({0})
Bildung und Forschung sind so elementar wichtig für unsere Gesellschaft. Sie dürfen nicht noch einmal in einer Krise hinten runterfallen. Es ist gut,
dass wir als Ampel in dieser Krise dafür Sorge tragen.
({1})
Zusätzlich zu den Preisbremsen unterstützen wir außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, die besonders energieintensive Forschung betreiben, mit
einem Härtefallfonds in Höhe von 500 Millionen Euro. Das BMBF arbeitet mit Hochdruck an der Umsetzung. Herzlichen Dank auch dafür!
({2})
Herr Jarzombek, weil Sie sich Sorgen um die Hochschulen machen: Natürlich leisten auch die Länder einen Beitrag. Als Berlinerin freue ich mich ganz
besonders, dass Berlin beispielsweise 180 Millionen Euro Energiehilfen unter anderem zur Unterstützung der Hochschulen zur Verfügung stellt.
({3})
Weitere 13 Millionen Euro sind im Nachtragshaushalt für das Studierendenwerk reserviert. Herzlichen Dank dafür an die zuständigen Kolleginnen und
Kollegen in Berlin!
({4})
Wir entlasten aber nicht nur die Bildungsinstitutionen, wir unterstützen auch Studierende, Auszubildende und Schülerinnen und Schüler ganz direkt.
Heute werden wir nämlich auch die 200-Euro-Einmalzahlung für alle Studierenden beschließen. Im parlamentarischen Verfahren haben wir durchgesetzt, dass das auch
für Promotionsstudierende gilt. Es ist auch gut, dass alle ausländischen Studierenden, die hier wohnen, diese 200 Euro bekommen.
Ausnahmsweise haben Sie einmal etwas richtig verstanden, Herr Frömming. Die 200 Euro fangen nicht die gesamten Kosten auf. Wir haben deshalb
zusätzlich ein ganzes Paket an Maßnahmen auf den Weg gebracht: zwei Heizkostenzuschüsse, Energiepreispauschale, Kindergelderhöhung, massive Ausweitung des
Kreises der BAföG-Bezugsberechtigten und vieles mehr. Damit unterstützen wir Studierende, Fachschülerinnen und Fachschüler, Auszubildende, und wir denken auch
an unsere Bildungs- und Forschungseinrichtungen und machen damit Deutschland zukunftsfest.
Herzlichen Dank.
({5})
Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Thomas Gebhart.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Viele Menschen in unserem Land machen sich in diesen Tagen Sorgen. Beinahe täglich werde ich
von Bürgern gefragt: Wie können wir noch unsere Rechnungen für Strom und Gas und Öl und Holz bezahlen? – Unternehmen schildern mir, dass die hohen Preise ihre
Wettbewerbsfähigkeit massiv gefährden. Tatsächlich stehen einige vor dem Aus.
In dieser Situation muss der Staat finanziell unterstützen. Das ist, denke ich, keine Frage. Wir sind uns hier im Deutschen Bundestag in dieser Frage
auch grundsätzlich einig, dass wir Menschen und Unternehmen schnell unter die Arme greifen; das sagen wir seit Wochen und Monaten. Aber was ist geschehen? Es
gab ein Hü-und-hott in der Bundesregierung. Bis in den September hinein haben Sie sich zunächst an die gescheiterte Gasumlage geklammert und sich dann erst auf
den Weg hin zu einer Energiepreisbremse gemacht. Bei dieser Vorgeschichte ist es kein Wunder, dass diese Energiepreisbremse auf den allerletzten Drücker kommt.
Und sie ist unausgegoren. Ich will es an drei Punkten deutlich machen:
Erster Punkt. Die Vorschläge der Bundesregierung sind viel zu bürokratisch, die Fachleute sagen uns: in Teilen gar nicht verständlich, nicht
umsetzbar. Mich würde es nicht wundern, wenn wir in den nächsten Wochen in der Umsetzung dieser Gas-und Strompreisbremse ein Chaos erleben würden.
Zweiter Punkt. Die Preisbremse ist ungerecht. Sie ist ungerecht, weil Sie die Millionen von Menschen vergessen, die mit Öl oder mit Holz heizen
müssen. Auch diese erleben enorme Preissteigerungen. Aber die Bundesregierung gibt darauf überhaupt gar keine Antwort. Sie reden nur über Gas. Das ist nicht in
Ordnung. Das ist ein Schlag ins Gesicht für den ländlichen Raum, wo besonders viele zum Heizen auf Öl und Holz angewiesen sind.
({0})
Dritter Punkt. Sie wollen bei den erneuerbaren Energien abschöpfen. Wir wollen doch, dass in Deutschland mehr in erneuerbare Energien investiert wird.
Aber Sie riskieren mit Ihrem Vorschlag genau das Gegenteil, nämlich dass weniger investiert wird. Wenn Sie das so umsetzen, dann wird aus Ihrer Preisbremse in
Wahrheit eine Investitionsbremse. Das ist das Letzte, was Deutschland im Moment gebrauchen kann.
({1})
Bei der Bioenergie hat allein die Ankündigung des Gesetzes Schaden angerichtet. Sie würgen die Bioenergie ab. Das ist fatal, ist doch die Bioenergie
eine verlässliche, eine regelbare und eine heimische Energieform, die wir brauchen, meine Damen und Herren. An die Bundesregierung gerichtet: Verstärken Sie
nicht noch weiter die ohnehin bestehende Energieknappheit!
Deutschland macht jetzt sehr, sehr viele Schulden, um für ein gutes Jahr die hohen Preise teilweise abzufedern. Aber ich frage: Was kommt eigentlich
danach? Wie ermöglichen wir, dass Unternehmen auch über diese Zeit hinaus wettbewerbsfähig bleiben? Wie ermöglichen wir, dass die Bürgerinnen und Bürger in
diesem Land auch über diese Zeit hinaus ihre Strom-, Gas- und Holzrechnungen bezahlen können? Meine Damen und Herren, hohe Preise sind immer Ausdruck von
Knappheit. Energie ist knapp. Deswegen ist es doch jetzt das Gebot der Stunde, dass wir alles dafür tun, das Angebot zu erhöhen. Wir müssen investieren. Wir
müssen für die notwendige Infrastruktur sorgen. Ich will nur einen Punkt nennen: Wir müssen jetzt bei der Wasserstofftechnologie Vollgas geben. Wir brauchen
doch auch dann verlässliche Energie, wenn Wind und Sonne nicht zur Verfügung stehen. Wasserstoff ist ein Schlüssel dazu.
({2})
Nach dem Wegfall des russischen Gases gilt umso nachdrücklicher: Wir haben hier überhaupt keine Zeit zu verlieren. Ich kann nicht verstehen, dass die
Bundesregierung jetzt in diesen Tagen gerade ihr Konzept zur Wasserstoffnetzentwicklung um ein ganzes Jahr verschoben hat.
({3})
Das können wir uns nicht leisten. Machen Sie dieses Konzept! Sorgen Sie dafür, dass Deutschland schnell Wasserstoffland Nummer eins wird!
({4})
Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Sebastian Roloff.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute nichts weniger als eine der größten Entlastungen für Bürgerinnen
und Bürger seit Bestehen der Bundesrepublik. Ich bin sehr froh, dass die Ampel Handlungsfähigkeit bewiesen hat und wir dieses Finanzvolumen von 200 Milliarden
Euro heute auf den Weg bringen. Es ist wichtig, dass wir es möglichst schnell in sinnvolle, wirksame und natürlich möglichst zielgenaue – wo das aus technischen
Gründen möglich ist – Konzepte gießen.
({0})
Dementsprechend haben wir heute mit diesen Beratungen einen großen Fortschritt gemacht. Aber auch die ersten drei Entlastungspakete der Ampel waren
weitreichende Unterstützungen, allen voran zum Beispiel die Übernahme des Dezemberabschlages, die in diesen Wochen zu wirken beginnt. Sie ist eine erste
wichtige Überbrückungshilfe, die viele Sorgen von Bürgerinnen und Bürgern auf der einen und von Unternehmen auf der anderen Seite ernst nimmt.
({1})
Heute sprechen wir über das noch größere Paket: Die Gaspreisbremse wird zusammen mit den unterschiedlich konzipierten Härtefallfonds bis ins Jahr 2024
hinein Sicherheit geben. Niemand wird in Deutschland frieren müssen, weil die Rechnung nicht mehr bezahlbar ist. Das muss unser gemeinsames Anliegen sein.
({2})
Natürlich ist klar, dass diese Bremse teuer ist. Aber nicht zu handeln, wäre noch teurer.
({3})
Es gäbe ganz gravierende Verwerfungen, Deindustrialisierung, Arbeitsplatzverluste. Dementsprechend ist es wichtig, jetzt hier staatlich regelnd
einzugreifen. Klar ist aber auch – das haben wir bei der Konzeption bedacht –, dass wir natürlich auch Sparanreize schaffen müssen.
({4})
Das ist in dem Konzept vorgesehen.
Ich freue mich ganz besonders, weil ich es mir, als ich das letzte Mal an dieser Stelle stand, fast gewünscht habe, dass wir eine rückwirkende
Entlastung ab Januar hinbekommen. Das hat in den Gesprächen Gott sei Dank funktioniert. Auch das ist genau das richtige Signal an die Unternehmen in diesem
Land.
({5})
Es ist jetzt richtig, dass Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen konkret planen können: Wann kommt welche Belastung? Wann kommen welche Preisbremsen?
Wann können wir kalkulieren? Es ist unsere Aufgabe als Politik, ergänzend zu schauen, dass wir auch die Liquidität von Unternehmen sicherstellen, weil, auch
wenn es rückwirkend gilt, bis März ein gewisser Zeitraum zu überbrücken ist.
Darüber hinaus ist die Gaspreisbremse auch volkswirtschaftlich richtig. Wir haben es heute schon gehört: Sie wird inflationsdämpfend wirken. Es wird
auch diesbezüglich eine spürbare Entlastung sein. Dementsprechend ist das genau der richtige Weg, den wir gehen.
Zum Abschluss darf ich ganz ausdrücklich, auch seitens der SPD-Fraktion, feststellen, dass wir die Diskussionen über ein Gesundschrumpfen der
Industrie oder der deutschen Wirtschaft etwas fehlgeleitet finden. Wir stehen an der Seite der Beschäftigten. Es geht nicht um Deindustrialisierung, es geht um
Transformation. Hier braucht es mutige Schritte.
({6})
Wir werden die Weichen so stellen, dass wir langfristig erfolgreich sind: konkurrenzfähiger Industriestrompreis ebenso wie eine Reform des
Merit-Order-Prinzips und natürlich auch der Ausbau der erneuerbaren Energien.
Ich darf zum Abschluss sagen: Ich bin außerordentlich stolz, dass wir diese Gesetze heute auf den Weg bringen.
Vielen Dank.
({7})
Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Andreas Lenz.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns mit der Ampel einig, dass wir
Entlastungen brauchen. Das war es dann aber auch schon mit der Einigkeit. Die Entlastungen kommen zu spät. Sie sind zu bürokratisch, und sie sind auch noch
ungerecht. Unsere Vorschläge liegen seit Anfang des Jahres auf dem Tisch. Sie haben es versäumt, den Sommer über ein tragfähiges Konzept zu entwickeln, und
stattdessen haben Sie lieber über die Gasumlage gestritten, die nicht nur Unsinn, sondern auch verfassungswidrig gewesen wäre.
({0})
Sie machen gleich weiter. Zuerst wollten Sie die von Ihnen als Zufallsgewinne titulierten Erträge aus Erneuerbaren rückwirkend bis März abschöpfen –
verfassungsrechtlich auch zweifelhaft –, dann ab September, jetzt ab Dezember. Das schafft kein Klima für Investitionen in Erneuerbare. Das Gegenteil wird damit
erzeugt. Ein Grün-geführtes Ministerium verunsichert beim Ausbau der Erneuerbaren – das muss man sich erst einmal vorstellen, meine Damen und Herren.
({1})
Bei den Preisbremsen schaffen Sie neue bürokratische Monster.
({2})
„Die vorliegenden Vorschläge sind so nicht verständlich und daher nicht umsetzbar.“
Das sage nicht ich, das sagt Frau Andreae vom BDEW, die Sie sehr gut kennen müssten, und zwar sagte sie es noch letzte Woche und diese Woche. Schaffen
Sie endlich Klarheit und Umsetzbarkeit, meine Damen und Herren.
({3})
Biogas muss anders behandelt werden als PV und Wind. Hier wurde oft genau das gemacht, was wir brauchen und was wir wollen. Hier wurde flexibilisiert,
hier wurde investiert, um für das Gesamtsystem entsprechend bei den Nachfragespitzen systemdienlich zu sein. Diejenigen, die hier investiert haben, dürfen nicht
dafür bestraft werden, meine Damen und Herren. Dafür stehen wir als Union.
Die Ampel will sogenannte Zufallsgewinne bei Biogas, PV und Wind abschöpfen, bei Steinkohlekraftwerken aber nicht, weil die laut Ministerium notwendig
sind, um Erdgas beim Verstromen zu sparen. Kernkraftwerke zur Stromerzeugung will man aber stilllegen. So kann man das zusammenfassen. Ihre Energiepolitik passt
doch hinten und vorne nicht zusammen, meine Damen und Herren.
({4})
Sie haben immer noch keine hinreichende Lösung, wie sie Bürger mit Holzpellet-, mit Holz-, mit Heizölheizungen entlasten wollen. Auch hier brauchen
wir entsprechende Lösungen und nicht den Gang zum Jobcenter. Natürlich, 200 Milliarden Euro ist ein wuchtiges Paket. Wir müssen aber auch berücksichtigen: Das
Geld wird nicht investiert, es wird nichts gebaut, es wird nichts modernisiert, es wird nichts erneuert, es wird lediglich konsumiert. Darauf ist die Ampel
entsprechend spezialisiert.
In den USA wird gleichzeitig ein sogenannter Inflation Reduction Act mit einem Volumen von fast 500 Milliarden Dollar ins Leben gerufen. Dort wird
investiert. Wir müssen in Deutschland auch wieder investieren. Es droht nichts weniger als die Deindustrialisierung des Landes. Wir müssen alles, aber auch
wirklich alles daransetzen, dass wir in Deutschland und Europa auch zukünftig wettbewerbsfähig sind, dass der Mittelstand, das produzierende Gewerbe, die
Industrie auch hier Perspektive haben. Die Chemieindustrie erwartet, mehr oder weniger unbeachtet von der Öffentlichkeit, 2022 einen Produktionsrückgang von
8,5 Prozent. Durch die 70-Prozent-Grenze bei der Gaspreisbremse werden Anreize gesetzt, weniger Gas zu verbrauchen. Das stimmt. Aber es werden auch Anreize
gesetzt, weniger zu produzieren. Wenn die Industrie aber weg ist, dann gibt es auch nichts mehr zu transformieren. Dann gibt es auch keinen Weg hin zur
CO2-Neutralität und keine Arbeitsplätze in Deutschland.
Wir brauchen also einen Mittelstand. Wir brauchen einen Industriestromtarif. Wir brauchen CO2-neutrale Geschäftsmodelle und keine Überregulierung. Wir
brauchen insgesamt mehr Perspektiven für den Wirtschaftsstandort und auch für den Industriestandort Deutschland.
Herzlichen Dank.
({5})
Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Dr. Lina Seitzl.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kollege Jarzombek, ich möchte noch einmal daran
erinnern, dass in der gestrigen Anhörung im Ausschuss für Bildung und Forschung alle Sachverständigen, und zwar von der Hochschulrektorenkonferenz bis zu den
außeruniversitären Forschungseinrichtungen, gesagt haben, dass sie von den Maßnahmen sehr profitieren, die die Bundesregierung in den letzten Wochen und Monaten
in Kraft gesetzt hat, und natürlich auch von den Energiepreisbremsen, über die wir hier gerade sprechen.
({0})
Der Deutsche Ethikrat hat vor ein paar Tagen eine Ad-hoc-Empfehlung zum besseren Schutz der jungen Generation veröffentlicht. Er geht darin auf die
psychischen Belastungen ein, mit denen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in den letzten knapp drei Jahren umgehen mussten. Ich will mit Erlaubnis der
Präsidentin gerne dessen Vorsitzende, Alena Buyx, zitieren, die gesagt hat:
Wir schulden als Gesellschaft Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht nur Dank und Respekt, sondern konkretes Handeln.
Die Zeit der Coronapandemie wurde von jungen Menschen als große emotionale, in vielen Fällen auch existenzielle Krise wahrgenommen und warf sie in
eine nicht zuvor gekannte Belastungssituation. Dann kam der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und die damit verbundenen
Preissteigerungen, die zum Beispiel für Studierende, die gerade von zu Hause ausgezogen sind und sowieso wenig Geld in der Tasche haben, besonders zu spüren
sind. Über all dem liegt natürlich auch die Sorge vor dem Klimawandel, dessen Auswirkungen insbesondere die junge Generation zu spüren bekommen wird, wenn wir
ihn nicht in den Griff bekommen.
Diese Überlagerung von Ausnahmezuständen für junge Menschen darf nicht übersehen werden. Sie haben sich in den letzten Jahren solidarisch gezeigt und
Einschränkungen hingenommen. Deshalb schulden wir dieser Generation als Gesellschaft Solidarität und Unterstützung. Für uns als Politik bedeutet das dann auch,
neben Worten der Anerkennung Taten folgen zu lassen, wie von Alena Buyx gefordert.
Deshalb bin ich wirklich sehr froh, dass wir heute den Gesetzentwurf zur Energiepreispauschale für Studierende und für Fachschülerinnen und
Fachschüler verabschieden. Diese Gruppe ist nicht nur mehrfach krisenbelastet, sondern darüber hinaus in besonderen Maße von Armut gefährdet. Deshalb bedeuten
diese 200 Euro auch eine wirkliche Unterstützung bei den stark gestiegenen Energiepreisen.
({1})
Damit ist es nicht getan. Ich habe das hier immer wieder betont, und die Ministerin, Frau Stark-Watzinger, hat es gerade auch noch einmal aufgeführt:
Wir haben bereits eine Kette von Maßnahmen verabschiedet: die Erhöhung und Öffnung des BAföG, die Verankerung des Nothilfemechanismus, Anhebung des Mindestlohns
und der Minijobgrenze usw. usf. Natürlich profitiert diese Gruppe von Menschen auch von den Energiepreisbremsen, über die wir gerade auch beraten und die wir
dann im Dezember verabschieden werden.
Sie sehen, das ist ein bemerkenswertes Paket an Maßnahmen, das wir hier in den letzten Monaten beschlossen haben. Aber die besten Beschlüsse nutzen
natürlich nichts, wenn sie dann erst sehr spät ankommen. Wir haben jetzt den Weg parlamentarisch frei gemacht für eine schnelle Auszahlung der 200 Euro. Jetzt
liegt es an dem Bundesministerium und auch an den Ländern, die tatsächliche Zahlung zügig rauszugeben.
Ich möchte zum Schluss noch einmal eindringlich dafür werben, dass auch in dieser Energiekrise Schulen und Hochschulen unbedingt offen bleiben müssen,
damit steigende Kosten nicht noch weiter an diese Gruppe abgeschoben werden und damit nach fast drei Jahren der pandemiebedingten Einschränkung der Austausch
und die Begegnung junger Menschen gefördert statt beschränkt werden kann.
Vielen Dank.
({2})
Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Jessica Rosenthal.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute in erster Lesung den Gesetzentwurf zur Einführung einer Gas-
und Strompreisbremse. Damit bringen wir, wie schon vielfach unterstrichen, wichtige Entlastungen auf den Weg. Gerade einkommensschwache Haushalte trifft diese
Krise besonders hart; denn die einkommensschwächsten 20 Prozent wenden 62 Prozent ihres Konsums für Nahrungsmittel, Wohnen und Energie auf. Das bedeutet, dass
sie in dieser Krise bis zu fünfmal so stark belastet sind wie alle anderen.
Gerade deshalb ist es auch so wichtig, dass wir heute, hier und jetzt in zweiter und dritter Lesung die Energiepreispauschale für Studierende und
Fachschüler/-innen beraten.
({0})
Denn wer sind die einkommensschwachen Gruppen? Es sind Studierende und Azubis. Azubis haben oft ein sehr kleines Einkommen. Sie müssen dies für die
Kosten für eine eigene Wohnung aufwenden, für Lebensmittel, müssen davon auch noch die Energiepreise bezahlen. Im ersten Lehrjahr verdient eine Auszubildende im
Friseurhandwerk 585 Euro, im Fleischereihandwerk sind es dann schon 736 Euro. Aber mal ehrlich: Wer soll in dieser Zeit davon leben können? Deshalb ist es gut
und richtig, dass wir mit der Reform des BAföG auch die Berufsausbildungsbeihilfe reformiert haben, damit mehr bei den Auszubildenden ankommt, dass wir den
Heizkostenzuschuss auf den Weg gebracht haben, dass wir jetzt das Programm „Junges Wohnen“ auf den Weg bringen, um das Wohnen bezahlbar zu machen, und dass wir
die 300 Euro auch für Auszubildende auf den Weg gebracht haben.
({1})
Aber von diesen 300 Euro haben eben nicht alle Auszubildenden profitiert. Gerade diejenigen, die im schulischen Bereich eine Ausbildung machen – und
das sind viele junge Menschen in diesem Land – haben davon nicht profitiert. Wir reden dabei von den Erziehungs- und Gesundheitsberufen: von
Notfallsanitäterinnen und ‑sanitätern, Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und ‑pflegern, von Heilerziehungspflegerinnen und ‑pflegern, von Erzieherinnen und
Erziehern. Das sind die Berufe, die gerade in der Coronapandemie für uns alle so viel gestemmt haben.
({2})
Deshalb müssen jetzt gerade auch die Menschen in diesen Ausbildungsberufen die 200 Euro bekommen. Das ist eine Frage des Respekts. Genau deshalb
bringen wir das jetzt auf den Weg. 200 Euro für Fachschülerinnen und ‑schüler, das muss kommen. Bitte stimmen Sie zu.
Vielen Dank.
({3})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mit unserem Antrag „Keine Erbschaftsteuererhöhung durch die Hintertür“ wollen wir sicherstellen,
dass es auch zukünftig eine vernünftige Balance bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer gibt; denn mit der im Jahressteuergesetz der Ampel vorgesehenen
Veränderung beim Bewertungsgesetz stehen wir vor einer empfindlichen Erhöhung bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer bei Wohnungen, Häusern und Grundstücken.
Die steuerliche Neubewertung wird dazu führen, dass die seit 2009 unverändert gebliebenen Freibeträge bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer in vielen Fällen
nicht mehr ausreichen werden, um das Familienheim steuerbefreit in der Familie weiterzugeben.
Eine gerechte Erbschaftsteuer ist in einer sozialen Marktwirtschaft ein ganz wesentlicher Faktor.
({0})
Dabei ist es von großer Bedeutung, dass wir hier Maß und Mitte halten. Nicht umsonst ist in Artikel 14 des Grundgesetzes nicht nur das Eigentum
garantiert, sondern auch die Vermögensnachfolge, der Generationentransfer über das Erbrecht.
({1})
Die Möglichkeit, bereits voll versteuertes Vermögen innerhalb der Familie auf die nächste Generation zu übertragen, ist ein ganz wesentlicher
Treibstoff in unserer sozialen Marktwirtschaft. Das treibt die soziale Marktwirtschaft an. Denn wer baut als Privater ein Haus, wenn er es später nicht in der
Familie weitergeben kann?
({2})
Wir brauchen also eine Erbschaft- und Schenkungsteuer, die Leistung nicht erstickt. Wir päppeln den Wohnungsbau mit viel Steuergeld in vielen
Bereichen, weil wir zusätzlichen Wohnraum brauchen. Wenn aber die Erben wegen überhöhter Besteuerung zum Verkauf des erschaffenen Wohnraums genötigt werden,
dann stimmt doch irgendetwas nicht. Das muss man doch insgesamt sehen. Auch das ist Nachhaltigkeit.
({3})
Wenn wir den Menschen die Möglichkeit nehmen, das teilweise über Generationen hinweg Aufgebaute und Erschaffene auf die nächste Generation zu
übertragen, dann nehmen wir Anreize für wirtschaftliche Betätigung. In einer sozialen Marktwirtschaft muss sich Leistung lohnen. Wenn der Staat den Menschen zu
viel wegbesteuert, dann erstickt er die Leistungsbereitschaft, dann erstickt er den Leistungswillen der Menschen. Das gilt bei Ertragsteuern genauso wie bei der
Erbschaftsteuer, die eine Substanzsteuer ist. Viele Menschen arbeiten, sie sparen, sie gründen, sie erhalten Vermögen, gerade um es später ihren Kindern zu
übergeben.
Ich glaube, wir werden in dieser Debatte noch einiges hören. Ich weiß jetzt schon: Nachher wird wieder die Mär vom Erbe als leistungsloses Einkommen
kommen. Diese Mär ist in den meisten Fällen falsch.
({4})
Unser Steuerrecht beruht auf dem Grundsatz der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit. Die Weitergabe von bereits versteuertem Vermögen
innerhalb einer Familie verändert die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dieser Familie überhaupt nicht.
({5})
Die Weitergabe von aufgebauten Vermögenswerten an die nächste Generation ist kein leistungsloses Einkommen. Es ist in einer Familie kein
Windfall-Profit, den man wegbesteuern müsste, sondern es ist die Erhaltung
({6})
von Leistungsanreizen.
Die Geschichte vom leistungslosen Einkommen mag vielleicht bei Erbschaften im Bereich der Steuerklasse III gelten, beispielsweise bei einer Erbschaft
vom Großcousin aus den USA oder dem Vermächtnis der guten Freundin. In diesen Fällen haben wir ganz bewusst einen ganz niedrigen Freibetrag. Wir besteuern in
diesen Fällen das Erbe mit einem Steuersatz von bis zu 50 Prozent. Das ist in diesem Bereich völlig in Ordnung.
Wir sprechen aber hier bei unserem Antrag über den allerengsten Familienkreis. Es geht um Ehepartner, es geht um Kinder, es geht um die Enkel.
({7})
In diesem engen Bereich der Familie hat sich der Staat so weit wie möglich herauszuhalten, und das gilt auch für den Fiskus.
({8})
Wenn die Ampel jetzt mit dem FDP-geführten Finanzministerium die steuerliche Bewertung von Immobilien erhöht, dann müssen zum Schutz dieses engen
Familienverbundes gleichzeitig die Freibeträge entsprechend angehoben werden.
({9})
Seit über einem Jahrzehnt wurden die Freibeträge nicht mehr angepasst. Wenn jetzt vom Finanzminister zusätzlich an der Bewertungsschraube gedreht
wird, dann ist es zwingend, unserem Antrag zu folgen und die entsprechenden Freibeträge anzuheben.
({10})
Wir fordern neben der Möglichkeit zur Regionalisierung die Anhebung der Freibeträge bei Ehegatten von 500 000 auf 825 000 Euro, für Kinder von 400 000
auf 600 000 Euro, bei Enkeln von 200 000 auf 300 000 Euro und bei Eltern und Großeltern auf 165 000 Euro. Bei allen anderen Personen halten wir eine moderate
Anpassung von 20 000 auf 33 000 Euro für richtig.
({11})
Noch mal: Uns geht es vor allem um die Familie. Uns geht es darum, dass das Elternhaus in einer Familie weiterhin steuerfrei vererbt werden kann. Das
gebietet im Übrigen auch der Respekt vor der Leistung der Aufbaugeneration, und diese Aufbaugeneration ist wichtig.
({12})
Sie reden immer von Respekt. Zeigen Sie ihn hier! Wer das ebenso sieht, der sollte unserem Antrag heute zustimmen.
Vielen Dank.
({13})
Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Tim Klüssendorf.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich bin ja eigentlich froh, dass die Union heute diesen Antrag eingebracht
hat; denn es wäre wirklich schade gewesen, wenn ich morgen meine dreiminütige Rede zum Jahressteuergesetz hätte missbrauchen müssen, um hierüber zu sprechen.
Denn die öffentliche Berichterstattung dazu war zuletzt so breit, dass es auf jeden Fall ein bisschen Aufklärungsarbeit braucht. Daher bin ich froh, dass ich
heute sieben Minuten von Ihnen bekomme, um dazu Stellung zu nehmen.
({0})
Was beschließen wir wirklich? Ich will erst mal ein bisschen Aufklärungsarbeit leisten, weil die aus meiner Sicht in der Rede eben ein bisschen zu
kurz gekommen ist. Die Grundlage dessen, was wir momentan tun, ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2006. Das hat festgestellt, dass Vermögenswerte
in der Besteuerung von Erbschaften gleich behandelt werden müssen. Das ist momentan nicht der Fall; deswegen verändern wir jetzt auch die
Immobilienwertermittlungsverordnung.
({1})
Das ist übrigens kein Thema, das dem Bundesfinanzminister zu verdanken ist oder bei dem man ihm Schuld zuschieben kann. Eingeleitet hat dieses
Verfahren der Bundesinnenminister Horst Seehofer von der CSU 2019. Das ist, glaube ich, noch mal ganz wichtig zu betonen, um hier eine sachliche Richtigstellung
vorzunehmen.
({2})
Dazu kommt: Sie vermitteln immer wieder den Eindruck, dass wir die Erbschaftsteuer selbst erhöhen würden. Das tun Sie, indem Sie ein bisschen damit
kokettieren, indem Sie Dinge miteinander vermischen. Ich will noch mal ganz klar sagen: Wir erhöhen die Erbschaftsteuer nicht. Wir ändern die
Bewertungskriterien, passen sie an das an, was das Bundesverfassungsgericht vorgeschrieben hat. Wir setzen geltendes Recht um. Das ist seriöse und gebotene
Regierungspolitik, und um ehrlich zu sein, ist sie auch ziemlich alternativlos. Das zeigt sich auch daran, dass Ihr eigener CSU-Minister das vor zwei Jahren
eingeleitet hat.
({3})
Es ist dennoch wichtig, noch mal zu betonen, was es heute bereits für Privilegien und Freibeträge gibt; denn die wurden eben auch ein bisschen
ausgespart. Die Freibeträge sind 500 000 Euro für Ehepartner, also eine halbe Million, 400 000 Euro für Kinder, 200 000 Euro für Enkel. Dazu kommt – gerade bei
Wohnimmobilien wichtig –, dass wir natürlich auch keine Grunderwerbsteuer neu verlangen. Das ist ein elementarer Wettbewerbsvorteil gegenüber all diejenigen,
die nicht erben können. Die müssen nämlich Grunderwerbsteuer zahlen. Das wird häufig vergessen. Das ist noch mal ein ganz wichtiger Punkt.
({4})
Ein Punkt, der eben auch nicht erwähnt worden ist, weil immer mit Omas Häuschen argumentiert wird: Die Übertragung selbstgenutzter Immobilien bis
200 Quadratmeter Wohnfläche ist sowieso steuerfrei.
({5})
Die Immobilie kann 2,5 Millionen Euro kosten. Ich kann die, wenn ich da selber einziehe, steuerfrei übernehmen. Wo ist da Ihre Gerechtigkeitslücke?
Das ist bereits gerecht und wird ausreichend vom Gesetz berücksichtigt.
({6})
Jetzt kommen wir zum Thema Vermietung, weil das auch erwähnt wird: Bereits da gelten ein verminderter Wertansatz von 90 Prozent und die Möglichkeit
der Stundung über zehn Jahre. Man kann also wirklich nicht davon sprechen, dass hier ein übergriffiges Finanzamt agiert, das irgendwie ungerecht Gelder
wegnimmt,
({7})
sondern es gibt eine ganze Reihe von Privilegien, die schon genutzt werden.
Ich will über die Gestaltungsmöglichkeiten gar nicht sprechen: alle zehn Jahre Schenkungen vornehmen, Versteckoptionen im betrieblichen Vermögen,
Stiftungen. Wer sich da noch mal informieren will, kann sich gerne an die Finanzausschussmitglieder der CDU/CSU wenden; denn die sind im Hauptberuf häufig noch
als Steuerberater oder Fachanwälte für Erbschaftsrecht tätig. Also: Da wird man sicherlich gute Beratung bekommen.
({8})
Sie schüren Ängste, um Interessen durchzusetzen, und das tun Sie ganz bewusst. Niemand hier will Omas Häuschen wegnehmen.
({9})
Wir schützen das hart erarbeitete Wohneigentum, wir schützen kleine und mittlere Vermögen, wir schützen Omas Häuschen. Wir wollen aber Gerechtigkeit
und Chancengleichheit. Dafür steht die Sozialdemokratie.
({10})
Ich möchte auch noch auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2016 abheben – das darf ich kurz zitieren –:
Die Erbschaftsteuer ist ein Beitrag zur Herstellung sozialer Chancengleichheit, die sich in einer freien Ordnung nicht von selbst herstellt. … Sie
wirkt … der Gefahr entgegen, dass durch eine zunehmende Ungleichverteilung von Mitteln die Chancen auf gesellschaftliche wie politische Teilhabe
auseinanderdriften und sich so letztlich Einfluss und Macht zunehmend unabhängig von individueller Leistung verfestigen und an Herkunft gebunden sind.
Das zu verhindern, ist die Kernaufgabe der Erbschaftsteuer, und deswegen ist sie auch weiterhin gerecht und muss auch von uns aufrechterhalten
werden
({11})
und eigentlich sogar noch verschärft werden.
({12})
Dazu komme ich aber gleich.
Jetzt komme ich zum Vergleich mit der Diskussion zum Bürgergeld. Zum Bürgergeld haben nämlich Sie, Herr Friedrich Merz, gesagt: „Der Grundsatz, dass
man in Deutschland mit Arbeit mehr Geld verdient als ohne, muss ohne Wenn und Aber auch heute und für die Zukunft gelten.“
({13})
Unabhängig davon, dass das beim Bürgergeld stimmt und dass wir auch immer wieder betont haben, dass das richtig ist: Was sagen Sie im Kontext der
Erbschaftsteuer dazu? Ich habe nicht dafür gearbeitet, wenn ich von meinen Eltern ein Haus erbe.
({14})
Dafür haben meine Eltern gearbeitet.
({15})
Für mich ist das leistungsloses Einkommen, und deswegen ist es auch gerecht, dass der Staat das besteuert.
({16})
Es lohnt sich in der Gesamtbetrachtung auch, die Zahlen aufzuführen. Wir haben 2021 in Deutschland Erbschaften und Schenkungen im Wert von rund
400 Milliarden Euro zu verzeichnen. Darauf werden rund 11 Milliarden Euro Steuern festgesetzt. Das ist ein durchschnittlicher Steuersatz von 2,7 Prozent im
Verhältnis zum Gesamtvolumen.
({17})
Zum Vergleich: Das mittlere Arbeitseinkommen – ungefähr 50 000 Euro brutto im Jahr – wird im Durchschnitt mit 23 Prozent besteuert. Wir können also
wirklich nicht davon reden, dass Erbschaften deutlich stärker oder gar ungerecht besteuert werden. Wer in dieser Gesellschaft hart arbeitet, der muss Steuern
zahlen – aber nicht die reichen Erben, die müssen keine Steuern zahlen.
({18})
Die obersten 10 Prozent erhalten übrigens auch die Hälfte aller Erbschaften und Schenkungen. Es ist nicht so, dass das ein breites gesellschaftliches
Phänomen ist. Über die Hälfte bekommt gar keine Erbschaften. Das ist, glaube ich, auch noch mal ganz wichtig zu betonen, um das ins Verhältnis zu setzen.
Und, Herr Merz, ich freue mich ja, dass Sie der Debatte beiwohnen.
({19})
Ich habe mir die Mühe gemacht, noch mal nach Zitaten zu suchen, die Sie bisher zu dem Thema geäußert haben. Da gibt es nicht so viel zu finden, aber
ein doch ganz interessantes Zitat gibt es, das, glaube ich, den meisten gar nicht bekannt ist. Sie haben im Vorfeld der Bundestagswahl als Experte des Teams
Laschet für Wirtschaft und Finanzen Folgendes gesagt:
In der Folge einer Reihe von Verfassungsgerichtsurteilen muss das sogenannte Familiengebrauchsvermögen erbschaftssteuerfrei bleiben.
Ich habe es erwähnt: Es bleibt auch steuerfrei; das selbstgenutzte Wohneigentum ist steuerfrei.
({20})
Das ist das Familiengebrauchsvermögen.
Wenn das darüber hinausgehende Vermögen mit niedrigen Steuersätzen breiter besteuert werden soll, kann man darüber reden.
({21})
Das ist ja ganz interessant. Das ist übrigens unter der Headline „Friedrich Merz offen für höhere Erbschaftsteuer“ publiziert worden. Und heute kommen
Sie mit dem Antrag um die Ecke! Ich muss sagen: Das ist eine interessante Wandlung, die Sie hier vorgenommen haben.
({22})
Aus unserer Sicht ist hier also eine ganzheitliche Reform notwendig. Ganz wichtig: Wir müssen endlich die Privilegien der betrieblichen Vermögen
entziehen. Wir müssen endlich dafür sorgen, dass die, die wirklich Kohle haben in dieser Gesellschaft, ordentlich besteuert werden.
({23})
Wir müssen die Schenkungsfristen verändern, und dann können wir auch darüber reden, ob man die Freibeträge anhebt.
({24})
Ansonsten ist das mit uns nicht zu machen. Wir lehnen diesen Antrag ab.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({25})
Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Albrecht Glaser.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Erbschaft- und die Schenkungsteuer war immer prekär. Sie knüpft nicht an eine erwerbswirtschaftliche
Tätigkeit oder an den Konsum an, sondern greift in die Vermögenssubstanz ein. Sie stellt eine legalisierte Enteignung dar.
({0})
Da das Sterben typischerweise für Menschen eine schmerzliche Angelegenheit ist und das Schenken als ethisch positiv und sozial wertvoll angesehen
wird, erstaunt immer wieder, dass diese Ereignisse bzw. Verhaltensweisen zum Anlass genommen werden für eine extrem invasive fiskalische Intervention.
({1})
Im wirklichen Leben hatten wir zum Beispiel im Jahr 1997 das Oderhochwasser. Viele persönliche und berufliche Existenzen waren bedroht. Es gab große
Hilfsbereitschaft, etwa gegenüber Handwerkern, die gerade auf die Füße gekommen waren. Verwandte, Freunde und Berufskollegen haben sich ökonomisch engagiert.
Wenn durch solche Initiativen etwa für die Neuausstattung einer Werkstatt Gegenstände im Wert von 300 000 Euro schenkweise zugewendet wurden, wurde eine solche
Aktion mit 84 000 Euro Schenkungsteuer belegt, sofort zu entrichten durch den Beschenkten.
Bei der Erbschaftsteuer kommen die Besonderheit des Eingriffs in den Familienverband hinzu und das Problem der Zerschlagung von Unternehmen, und zwar
speziell im Mittelstand, weil bei Steuersätzen von 20 Prozent, 30 Prozent oder 40 Prozent, bezogen auf die Verkehrswerte solcher Unternehmen, solche
Steuerlasten nicht getragen werden können. Dieses Problem beschäftigt das Verfassungsgericht – der Kollege hat eine Entscheidung genannt; es gibt aber mehrere
zu dieser Frage – und die Gesetzgebung seit vielen Jahren unablässig. Allein zwischen 2008 und heute hat es beim Bewertungsgesetz und beim Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetz jeweils über hundert Änderungen gegeben. So wird hier herumgewurschtelt!
Im derzeit behandelten Jahressteuergesetz wird erneut das Bewertungsgesetz, unter anderem in den §§ 187 und 188, geändert. Es geht dabei um Parameter
der Bewertung bebauter Grundstücke. Die beabsichtigte Änderung bedeutet Werterhöhungen gegenüber dem bisherigen Bewertungsverfahren. Dies geschieht vor dem
Hintergrund seit Jahren explodierender Immobilienpreise und betrifft Millionen von Bürgern. Diese Verböserung des Rechtes ist daher abzulehnen.
({2})
Die Verteuerung von Eigentumswohnungen betrug in den letzten zehn Jahren 130 Prozent. Der Häuserpreisindex ist von 82 im Jahr 2008 auf 154 im Jahr
2021 gestiegen, also um 90 Prozent. Erstaunlicherweise gibt es darauf keine Reaktion der Bundesregierung und der Ampelkoalition. Die Wertverhältnisse haben sich
seit über zehn Jahren, als die heutigen Freibeträge und Wertgrenzen festgelegt wurden, so drastisch verändert, dass vergleichbar zur Einkommensteuer das
Festhalten an nominalen Werten der Vergangenheit eine Verfälschung des seinerzeitigen gesetzgeberischen Willens darstellt.
({3})
Es müssen also nicht nur die Freibeträge, sondern auch die Werte der progressiven Steuertarife in den drei Steuerklassen in § 19 Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetz angepasst werden, und dies aus verfassungsrechtlichen Gründen.
({4})
Erstaunlicherweise nimmt der CDU/CSU-Antrag nur die Freibeträge in den Blick, was ich nicht verstehe. Stattdessen ist eine sofortige Anpassung der
Wertgrenzen, aus denen sich die Tarifbelastung ergibt, und der Höhe der Freibeträge vorzunehmen – das eine tun, und das andere auch. Wir brauchen, zumal bei den
obwaltenden Inflationsschüben, eine automatische Indexierung, wie wir sie auch in der Einkommensteuer anstreben und sogar seit ein paar Jahren einigermaßen
ordentlich hinbekommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mehr Rechtsstaat braucht das Land!
Herzlichen Dank.
({5})
Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Katharina Beck.
({0})
Verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Sie hier im Raum wissen alle, dass mir Konstruktivität am Herzen
liegt. Aber dieser Antrag ist leider nicht konstruktiv. Anstatt sich Gedanken darüber zu machen, wie wir die Krise in diesem Land angehen und den Unternehmen
und Menschen helfen können, die es wirklich dringend brauchen, kommt die CDU/CSU jetzt mit einem Antrag zur Erhöhung der Freibeträge bei Erbschaften. Das
erkennt die aktuelle Problematik in unserem Land überhaupt nicht an und ist auch verfassungsrechtlich ein – sagen wir mal vorsichtig – mutiger Move.
Zum aktuellen Kontext. Es sind eine die Grundfesten unserer Industrie und unseres sozialen Wertversprechens erschütternde Krise und Inflation.
Unternehmen leiden unter den hohen Energiepreisen. Die von Ihnen als CDU/CSU maßgeblich mitverursachte Klumpenabhängigkeit von russischem Gas in Höhe von
55 Prozent führt zu dramatischen Konsequenzen für unsere Wirtschaft.
({0})
Wir als moderne Wirtschaftskoalition machen dieses Land nun mit einer Diversifikationsstrategie in nie dagewesenem Tempo und Dynamik zukunftsfest.
({1})
Zu den Menschen. Etwa 40 Prozent der Menschen in unserem Land haben praktisch kein eigenes Vermögen.
({2})
Die Inflation trifft die untere Mitte am härtesten. Noch dazu lebt jedes fünfte Kind in Kinderarmut. Auch das ist alles leider Ihr politisches Erbe,
mit dem wir jetzt umgehen müssen.
({3})
Und noch viel mehr Menschen, etwa 70 Prozent, erben überhaupt gar nicht. Ihr Antrag bezieht sich ganz klar auf die Menschen, die in dieser Krise
stärkere Schultern haben und die in großer Mehrzahl auch sehr solidarisch ihre starken Schultern gerne für unsere Gesellschaft zur Verfügung stellen. Dafür bin
ich sehr dankbar.
({4})
Die Haushaltsmittel, die wir aktuell einsetzen und einsetzen müssen, müssen wir fokussieren auf die Unternehmen und auf die Menschen, die es wirklich
brauchen. Das sind nicht die 30 Prozent Erbenden, sondern das sind genau die vielen Millionen Menschen und Unternehmen, die nicht wissen, wie sie ihre
Energierechnungen bezahlen können.
({5})
Ich kann ganz klar sagen, dass wir das in der Regierung mit nie dagewesenen und möglichst zielgenauen Entlastungspaketen, mit Preisbremsen und
strategischer Energiepolitik vor allem im Bereich der Freiheitsenergien beherzt in die Tat umsetzen.
({6})
Stattdessen versuchen Sie heute, hier eine Stellvertreterdebatte aufzumachen, um davon abzulenken, dass Sie eben keinen guten Plan für Deutschland
haben.
({7})
Sie wollen sich als Freunde von Omas Häuschen aufspielen.
({8})
Dabei sind Erbschaften und Schenkungen in Deutschland sowie auch das Vermögen an sich sehr ungleich und nur auf wenige verteilt. Die meisten Omas
haben überhaupt kein Häuschen.
({9})
Wie gesagt: Etwa 70 Prozent der Menschen erben gar nicht, und zwei Drittel der Erbschaften und Schenkungen gehen nur an die 20 Prozent der
vermögendsten Menschen in Deutschland.
({10})
Erbinnen und Erben in Deutschland gehören laut einer DIW-Studie meist ohnehin zu den Privilegiertesten, vor allem in Westdeutschland, mit ohnehin
schon hohem Vermögen und hohem Einkommen.
In meiner Rede zur Ungleichverteilung in Deutschland habe ich in der vorletzten Sitzungswoche einen mir sehr wichtigen Punkt angesprochen. Vermögen –
also schlicht gesagt: Geld – ist vor allem ein Mittel zur Erfüllung von Bedürfnissen und im Endeffekt für Freiheit und Teilhabemöglichkeit. Zur Erinnerung:
Diese Freiheiten sind leider sehr ungleich verteilt.
({11})
Das vermögendste 1 Prozent der Erwachsenen besitzt etwa 35 Prozent des Gesamtvermögens und damit sogar etwas mehr als 90 Prozent der gesamten
Erwachsenen in unserem Land. Nur Vermögen kann vererbt werden. Erbschaften und Schenkungen sind leider ein großer Treiber für die Zementierung der hohen
Ungleichheit in Deutschland.
({12})
Mir ist beim Thema Erben vor allem der Leistungsgedanke wichtig. Inzwischen wird das meiste private Vermögen durch Erbschaften oder Schenkungen
generiert und nicht durch die eigene Arbeit. Effektiv muss man aber auf das völlig leistungslose Erben mit durchschnittlich circa 2 Prozent circa 20‑mal weniger
Steuern und Abgaben zahlen als auf das Ergebnis der eigenen Hände Arbeit.
({13})
Das ist einfach krachend ungerecht für das Leistungsversprechen
({14})
und die Möglichkeit, sich selbst etwas aufzubauen in diesem Land, ohne in die entsprechenden Familien hineingeboren zu sein.
Natürlich kann man auch über die Lohnnebenkosten reden.
({15})
Aber der viel größere Bedarf besteht doch darin, darüber zu sprechen, wie wir mit der Zementierung von sehr ungerechten Vermögensverhältnissen in
Deutschland und mit der Erosion des Leistungsversprechens und damit auch der Demokratie und der sozialen Marktwirtschaft umgehen, die durch das nahezu
kostenfreie Erben leider auch mit verursacht wird.
({16})
Wir müssen bei der Erbschaftsteuer wie beim Thema Ungleichheit die Debatte aus der Tabuecke in eine positive Gestaltungsdiskussion für unser Land
bringen.
({17})
Nun zum Verfassungsrechtlichen. Die Wertanpassungen, die wir im Jahressteuergesetz vornehmen, sind verfassungsmäßig vorgegeben. Aber auf eine Art
haben Sie als Union völlig recht:
({18})
Sehr wahrscheinlich besteht auch verfassungsrechtlich noch weiterer Reformbedarf, um die Erbschaftsteuer im Einklang mit unserem Grundgesetz zu
halten. Aber wenn man das ändern würde, dann müsste man die Erbschaftsteuer eben grundsätzlich angehen.
Zuletzt 2014 erklärte das Bundesverfassungsgericht – nach 2006 aufs Neue –, dass das Erbschaftsteuerrecht verfassungswidrig sei. Der Grund: Das Ausmaß
und die Ausgestaltung der Steuerbefreiungen waren mit dem Grundrecht der steuerlichen Belastungsgleichheit nicht vereinbar. Und wir alle hier wissen, dass das,
was 2016 dann als Reform beschlossen wurde, eher ein Reformversuch war, der die eigentlich bemängelten Probleme eben nicht tatsächlich behoben hat. Beispiel
Verschonungsbedarfsprüfung: Sie bedeutet im Endeffekt, dass besonders reiche Erben und Erbinnen im Zweifel mit nicht allzu komplizierten Mitteln im Endeffekt
dann überhaupt nichts bezahlen müssen.
Die vom Verfassungsgericht bemängelten Probleme sind augenscheinlich nicht wirklich gelöst, und auch im Immobilienbereich gibt es eine fast schon
skurrile Ausnahme für die Verschonung von Wohnimmobilien, die normalerweise nicht als steuerbefreites Betriebsvermögen zählen können. Wenn hingegen 300 oder
mehr Wohneinheiten vererbt werden, handelt es sich um ein Wohnungsunternehmen, das dann auch von der Steuer befreit ist. Diese Regel hat der Bundesfinanzhof
bereits bemängelt.
Ihr Antrag, liebe Union, ist leider ein billiger Versuch, zu spalten und Ängste zu schüren.
({19})
Dieses Land hält aber zusammen. Darauf bin ich stolz.
({20})
Wenn es Ihnen ernsthaft um mehr Leistungs- und Chancengerechtigkeit geht, bin ich aber sofort bereit, mit Ihnen grundlegend über eine Reform der
Erbschaftsteuer zu sprechen.
({21})
Vielen Dank.
({22})
Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Christian Görke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Donnerwetter, da haben Sie als Union ja einen Antrag hervorgebracht, der hier einen
regelrechten Sturm im Wasserglas hervorruft:
({0})
Denn die Überschrift Ihres Antrags lautet: „Keine Erbschaftsteuererhöhung durch die Hintertür“. Aber die Realität ist: Bisher hatten wir nur
Erbschaftsteuersenkungen durch die Hintertür. Diese Tür, meine Damen und Herren, wird jetzt geschlossen, weil durch das Gesetz Immobilien und Grundstücke
endlich mit dem aktuellen Marktwert bei der Erbschaftsteuer berücksichtigt werden. Das heißt, wer in Zukunft erbt, muss dann auch den aktuellen Marktwert seiner
geerbten Immobilie versteuern, abzüglich natürlich der durchaus beachtenswerten Freibeträge. Das ist nur fair, meine Damen und Herren. Schließlich werden
Aktien, Kunstgemälde und Ersparnisse hier auch zum Marktwert versteuert.
({1})
Und das ist, glaube ich, auch nur gerecht;
({2})
denn betroffen ist kaum „Oma ihr klein Häuschen“, das zur Eigennutzung bestimmt ist, sondern es geht wirklich – das wissen wir doch alle – um die
Luxusbuden und um die Erbschaften von gleich mehreren Immobilien, die jetzt adressiert werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, manchmal denke ich,
Sie nutzen gerade „Oma ihr klein Häuschen“ als Abwehrschild, damit Sie die Interessen von Multimillionärserben hier so ein bisschen argumentativ verstecken
können.
({3})
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Union, die Erbschaftsteuer gerechter machen wollen, dann schaffen Sie doch die Schlupflöcher und Privilegien
ab.
({4})
Wenn zum Beispiel ein geerbter Bestand von 300 Wohnungen, der mit Tricks zum Betriebsvermögen klassifiziert wird und damit quasi fast steuerfrei
übergeben wird, dagegen aber die Erbin von zwei Wohnungen ordentlich zahlt, dann hat das nichts mit Maß und Mitte zu tun, Herr Gutting; eher ist das für die,
die dann zahlen, eine Dummensteuer. Es kommt noch hinzu: Je größer das Erbe, desto niedriger der Steuersatz. Meine Damen und Herren, 2019 haben in Deutschland
allein 40 Multimillionärserben ein Vermögen von insgesamt 9,4 Milliarden Euro geerbt. An Steuern zahlten sie 172 Millionen Euro. Das macht im Schnitt einen
Ministeuersatz von 2 Prozent aus, während bei den kleinen und niedrigen Erbschaften in Deutschland im Schnitt 9 Prozent zu zahlen waren. Diese Ungerechtigkeit
steht im Mittelpunkt, und an diese Ungerechtigkeit müssen wir ran.
({5})
Wo ist denn da, meine Damen und Herren von der Union, Ihr Vorschlag? Sie reden tagein, tagaus hier vom Leistungsprinzip und gönnen den Menschen beim
Bürgergeld nicht mal das Schwarze unter den Fingernägeln, aber gängeln sie mit Sanktionen. Aber wenn die Millionen- und Milliardenerben hier nahezu steuerfrei
durchlaufen, dann habe ich den Eindruck, Herr Gutting, dass Sie auf beiden Augen nicht sehend sind. Und das hat mit harter Maloche kaum etwas zu tun.
Wenn Sie noch ein Beispiel brauchen, dann nehmen wir doch mal Susanne Klatten, die gerade aus der Schule kam und mit einem Mal zur BMW-Großaktionärin
wurde. Meine Damen und Herren von der Union, das ist ein leistungsloses Grundeinkommen.
({6})
Meine Damen und Herren, Herr Merz, das ist ein leistungsloses Grundeinkommen, das hier gewährt wird.
({7})
Und zum Schluss. Herr Gutting, ich schätze Sie ja sehr, aber es war natürlich heute ein bisschen schwierig für Sie. Denn die CDU/CSU und damals der
Innenminister Horst Seehofer haben ja die neuen Bewertungsregeln für Immobilien unter Umgehung des Deutschen Bundestages als Verordnung auf den Weg gebracht.
Insofern habe ich den Eindruck: Sie agieren momentan nach dem Motto „Was schert mich mein Geschwätz von gestern?“.
Wir lehnen Ihren Antrag ab.
({8})
Nächste Rednerin: für die FDP-Fraktion Claudia Raffelhüschen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Oft war in den vergangenen Wochen zu hören, dass die Erbschaftsteuer erhöht werde.
Das ist natürlich totaler Quatsch. Eine höhere Erbschaftsbesteuerung von Immobilien ist nicht geplant.
Die aktuelle Anpassung des Bewertungsgesetzes über das Jahressteuergesetz beruht auf einer 2021 umgesetzten Anpassung der
Immobilienwertermittlungsverordnung, die damals insbesondere von der Union vorangetrieben wurde. Sie war notwendig, da das Bundesverfassungsgericht zweimal –
erst 2006 und dann erneut 2018 – anmahnte, dass alles, was vererbt wird, gleichermaßen zu bewerten ist, egal ob es ein Sparbuch ist, ein Aktiendepot oder eben
auch eine Immobilie.
Nun sind in den vergangenen Jahren die Immobilienpreise kontinuierlich und deutlich angestiegen. Der Immobilienbesitzer und spätere Erblasser hat also
auch tatsächlich ein höheres Vermögen, sodass auch ein höherer Nachlass vererbt wird. Die angestrebte Gerechtigkeit in der Immobilienbewertung und späteren
Erbschaftsbesteuerung ist aber schon lange nicht mehr gegeben. Nach den bisherigen Bewertungsprinzipien kann es vorkommen, dass der Verkehrswert deutlich
unterschritten wird. Hier entsteht also eine Grauzone, die laut Verfassungsgericht nun geschlossen werden muss.
Durch die angestrebten Neuregelungen stellen wir nun sicher, dass die Grundbesitzbewertung zu einer realistischeren Wertermittlung führt.
({0})
Diese Anpassungen dienen dazu, die realen Wertverhältnisse am Immobilienmarkt abzubilden. Unangetastet bleibt zum Beispiel die Möglichkeit für den
Erben, den Nachweis eines niedrigeren Verkehrswerts durch ein Gutachten zu erbringen. Auch bleibt es bei den bisherigen Regelungen, dass ein Familienheim im
Falle des Todes steuerfrei auf den Ehepartner oder die Kinder vererbt werden kann. Denn klar ist: Wer sich etwas aufbaut, für seine Familie vorsorgt, dessen
Erben dürfen dafür nicht bestraft werden.
({1})
Aus diesem Grund, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ist es weder gerecht noch fair, solche Grauzonen nun einfach zu dulden; denn es ist
weder verfassungskonform noch bürokratisch sinnvoll. Außerdem war es auch Ihnen in 16 Jahren Regierungszeit durchaus bekannt, dass die Immobilienpreise massiv
ansteigen, dass die aktuellen Bewertungsregelungen verfassungsrechtlich fragwürdig sind und eine Neuregelung unausweichlich ist. Das hätte auch dem damaligen
Bauminister Seehofer aus Ihren Reihen bekannt sein müssen.
Die nun plötzlich in Ihrem Antrag formulierte Forderung nach einer Erhöhung der Freibeträge wirkt also wenig glaubwürdig. Sie hätten es bis vor gut
einem Jahr selbst umsetzen können, haben die Freibeträge aber seit 2009 nicht angetastet.
({2})
Das sind 13 Jahre. Wir regieren seit einem Jahr und schließen nun erst mal die von Ihnen hinterlassenen Steuerschlupflöcher.
({3})
Und es war – das will ich in aller Deutlichkeit sagen – unser Fraktionsvorsitzender Christian Dürr, der kürzlich genau diese Debatte um die Erhöhung
der Freibeträge öffentlich angestoßen hat.
({4})
Auch koalitionsintern diskutieren wir das und werden unsere liberalen Überzeugungen selbstbewusst in die Debatte einfließen lassen; das verspreche ich
Ihnen.
({5})
Wie bei der kalten Progression im Einkommensteuerrecht sollte auch die Erbschaftsteuer an die Inflation angepasst werden, um reale Steuererhöhungen,
die nicht parlamentarisch legitimiert sind, zu vermeiden.
({6})
Wenn man nun eine Erhöhung der Freibeträge anstrebt – was wir durchaus unterstützen –, müssen wir uns fragen, ob das nicht zu kurz greift. Müssten wir
nicht auch über einen vollständig indexierten Steuertarif in allen Erbschaftsteuerstufen sprechen?
({7})
Denn nur so kann der inflationären Erhöhung der realen Besteuerung entgegengewirkt werden.
({8})
Ganz wichtig ist uns, dass eine solch komplexe Entscheidung nicht übers Knie gebrochen wird. In der Koalition stehen wir für konstruktive
({9})
und vor allem legitime Lösungen und nicht für Schnellschüsse. Daher lehnen wir Ihren Antrag ab.
({10})
Und ganz nebenbei bemerkt: Eine Erhöhung der Freibeträge führt auf der anderen Seite natürlich in den Ländern zu Steuermindereinnahmen.
({11})
Da wir hier, wie auch in anderen Bereichen, keinerlei Kompromissbereitschaft im Bundesrat sehen, wäre ein Gesetzentwurf nicht mehr als heiße Luft. Das
wäre eine reine Schaufensterdebatte. Zeigen Sie, liebe CDU/CSU, doch einen wirklichen Lösungswillen auch im Bundesrat, in dem Sie die Mehrheit haben! Wir hoffen
in Zukunft auf eine ehrlichere Oppositionsarbeit.
Vielen Dank.
({12})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun Sebastian Brehm.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drei Fakten. Erster Fakt: Die Ampel hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der
unzweifelhaft in sehr vielen Fällen zu einer deutlich höheren Erbschaft- und Schenkungsteuer führen wird.
({0})
Zweiter Fakt: Die Ampel erhöht dabei nicht die Erbschaft- und Schenkungsteuer direkt, sondern sie ändert die steuerlichen Bewertungsmaßstäbe.
({1})
Dadurch werden Häuser und Wohnungen steuerlich wesentlich wertvoller eingeschätzt.
({2})
Bei einem unveränderten Steuersatz kommt es hierdurch zu einer deutlichen Erhöhung der Erbschaft- und Schenkungsteuer, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
({3})
In den Ballungsräumen kann es bei der Berechnung sogar zu einer Verfünffachung der Erbschaft- und Schenkungsteuer kommen, wenn man die Freibeträge
nicht anpasst.
Die neuen Bewertungsmaßstäbe – es wurde angesprochen – mögen verfassungsrechtlich geboten sein,
({4})
aber es steht nirgends, dass es verfassungsrechtlich in diesem Jahr umgesetzt werden muss. Wenn Sie das Argument anführen, dass die Häuser und
Wohnungen im Preis zugelegt haben, dann müssen Sie zwingend das Argument auch dafür gelten lassen, die Freibeträge in gleichem Maße zu erhöhen, liebe
Kolleginnen und Kollegen,
({5})
und das tun Sie nicht, auch Sie von der FDP nicht, auch wenn Sie es hier in der Rede, als Oppositionsrede sozusagen, vortragen.
Dritter Fakt: Der Gesetzentwurf zum Jahressteuergesetz 2022 ist nicht aus dem damaligen Innenministerium gekommen. Das ist die glatte Unwahrheit und
verdreht alle Tatsachen; Sie haben es auch heute wieder behauptet. Nein, der Gesetzentwurf kommt aus dem FDP-geführten Finanzministerium.
({6})
Er kommt von Christian Lindner. Christian Lindner und die FDP greifen in die Taschen der Erben. Das ist die Wahrheit, liebe Kolleginnen und Kollegen,
und das muss hier auch mal gesagt werden.
({7})
Der Gesetzentwurf kommt von einer Partei, die im Wahlkampf noch gesagt hat – übrigens zu Recht –: „Steuererhöhungen sind Sabotage am Aufschwung.“
({8})
Er kommt von einer Partei, deren Chef vor vier Tagen – lieber Herr Lindner, vor vier Tagen, am 28. November – beim Zentralverband des Deutschen
Handwerks gesagt hat – ich zitiere – :
Wir sind in der Vorweihnachtszeit: Fürchtet euch nicht. Mit dieser Koalition und diesem Bundesfinanzminister wird es keine Steuererhöhungen geben.
({9})
Sie zwingt keiner, von dieser Haltung Abstand zu nehmen, lieber Kollege Lindner.
({10})
Wenn Sie eine Erhöhung der Immobilienbewertung durchsetzen müssen, dann erhöhen Sie bitte auch die Freibeträge in gleichem Maße. Dabei helfen wir
heute mit unserem Antrag.
({11})
Sie machen die Menschen in unserem Land bewusst wieder ärmer.
({12})
Sie nehmen den Menschen in unserem Land ihr hart erspartes Geld einfach weg.
Kollege Brehm.
Ja, bitte?
Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Schmidt?
Selbstverständlich, gerne.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Brehm, vielen Dank, Frau Präsidentin, für das Gestatten der Zwischenfrage. – Herr Brehm, Sie sagen, wir würden die
Menschen in Deutschland ärmer machen. Ich kann das Argument verstehen, dass durch die steigende Inflationsrate die Wertsteigerungen tatsächlich ein bisschen
knapper ankommen als von uns erwartet oder erwünscht. Nichtsdestoweniger müsste man sich jetzt aber doch auch die Wertentwicklung anschauen, die Immobilien im
Vergleich zur Inflationsrate erfahren haben. Ist Ihnen klar, dass die Inflationsrate in den letzten Jahren Pi mal Daumen immer zwischen 0,5 und 2 Prozent lag
und aktuell bei 8 Prozent liegt, die Immobilienpreise sich aber in den letzten zehn Jahren um 65 Prozent gesteigert haben? Ist es da nicht nur fair und richtig,
diese enormen Wertsteigerungen der Immobilien entsprechend moderat zu besteuern, wie es bei der Erbschaftsteuer weiterhin der Fall ist?
({0})
Lieber Herr Kollege Schmidt, fair und richtig wäre, wenn man diese 65 Prozent Wertsteigerung, die Sie erwähnen, auch im Freibetrag abbilden
würde.
({0})
Ich sage Ihnen eins: Nehmen wir mal den Großraum Nürnberg. Ein normales kleines Reihenhaus liegt inzwischen bei einem Wert von 750 000 bis
800 000 Euro.
({1})
Es soll vielleicht vererbt werden von einer Generation, die hart gearbeitet hat, die keinen Urlaub gemacht hat, die sich das abgespart hat, weil es
der nächsten Generation besser gehen soll.
({2})
Die vererben das jetzt an die nächste Generation und sagen, die Familie soll einziehen. Aber vielleicht muss diese beruflich bedingt wieder umziehen.
Und dann greifen Sie den Menschen in die Tasche und nehmen ihnen das hart Ersparte weg.
({3})
Übrigens sind es wahrscheinlich auch Ihre Wähler, denen man das Geld wegnimmt.
Insofern sehe ich es nicht so wie Sie. Ich glaube, wenn Sie eine Erhöhung der Immobilienwerte im Gesetz abbilden wollen, dann müssen Sie auch zwingend
eine Erhöhung der Freibeträge vornehmen. Ansonsten machen Sie die Menschen einfach ärmer.
({4})
Liebe Kollegen, die Frage ist, warum es nicht im Gesetz umgesetzt ist, obwohl der Finanzminister angekündigt hat, die Freibeträge zu erhöhen. Auch die
FDP hat gesagt, sie ist dafür. Warum ist es nicht umgesetzt worden?
Kollege Brehm, Sie sind sehr gefragt.
Ja.
Lassen Sie auch eine Frage oder Bemerkung aus der SPD-Fraktion zu?
Ja, freilich. – Oh, der Herr Kollege Schrodi.
Herr Brehm, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Es geht darum, dass Sie Behauptungen aufgestellt und eine Rechnung aufgemacht haben, die zu
hinterfragen sind. Ich komme übrigens auch aus Bayern, aus der Nähe von München, und ich weiß, dass die Wertsteigerungen dort sehr hoch sind.
Nehmen wir an, es gibt, wie Sie gesagt haben, ein Reiheneckhaus. In den letzten zehn Jahren hat sich dessen Wert verdoppelt. Er lag bei vielleicht
500 000 Euro, als es gekauft wurde, jetzt ist es 1 Million oder 1,2 Millionen Euro wert. Jetzt haben wir die Situation: Die Eltern sterben, und es kommt zum
Erbfall. Es gibt zwei Kinder. Es gibt aber – und das lassen Sie unerwähnt, Herr Brehm – die Möglichkeit, über Schenkungen alle zehn Jahre pro Kind und
Elternteil 400 000 Euro steuerfrei weiterzugeben.
({0})
Innerhalb eines Jahres könnte der komplette Wert eines solchen Hauses weiterverschenkt werden, ohne dass Steuer anfällt. Genau so ist das im
Erbschaftsfall bei zwei Kindern und zwei Elternteilen.
({1})
Das heißt, Herr Brehm – wenn ich Ihre Rechnung richtig verstehe –, dass auch das Haus in Nürnberg, das Sie angeführt haben, schon mit den heutigen
Freibeträgen bei zwei Kindern vollständig steuerfrei auf sie übergehen kann – ganz abgesehen von der Tatsache, dass eine selbst bewohnte Immobilie mit bis zu
200 Quadratmetern Wohnfläche vollkommen steuerfrei an die Kinder übergeht. Wo bitte schön ist da der Skandal? Sie wollen hier einen Skandal hochziehen, den es
gar nicht gibt.
({2})
Schauen Sie, Herr Schrodi, Ihre Rechnung geht nicht auf.
({0})
Das ist eine sozialdemokratische Rechnung der Umverteilung.
({1})
Nehmen wir das Haus in München, das Sie als Beispiel angeführt haben. Wenn zwei Kinder dieses Haus erben, dann werden sie es verkaufen müssen, um die
Erbschaftsteuer zahlen zu können.
({2})
– Doch, das ist Fakt. Ich kann Ihnen aus der Realität berichten, in der Sie leider nicht immer zu Hause sind, dass das Fakt ist, lieber Herr
Kollege.
({3})
Sie fordern die Menschen auf, ihr Erspartes schon jetzt an die Kinder zu übertragen.
({4})
Aber überlegen Sie mal: Manche wollen ihr Erspartes, auch ihr Häuschen, ein Stück weit zurückbehalten für den Fall, dass sie pflegebedürftig werden
oder im Rentenalter Geld brauchen; daher wollen sie es jetzt noch nicht vererben. Deswegen ist Ihre Rechnung falsch.
Beachten Sie auch eines: Damit das bis zu 200 Quadratmeter große selbstgenutzte Wohneigentum steuerfrei bleibt, muss man zehn Jahre darin wohnen. In
der heutigen Arbeitswelt kann es passieren, dass man zum Beispiel von München nach Hamburg geht, Frau Kollegin Beck, und dann ist die Erbschaftsteuer zu zahlen.
Dann muss man den Umzug bezahlen und die Erbschaftsteuer, und dann muss man das Haus verkaufen.
({5})
Das ist die Realität in Deutschland, und die können Sie nicht leugnen.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Frage ist ja: Der Finanzminister hat gefordert, die Freibeträge anzupassen. Ist es Absicht, dass das nicht im
Gesetzentwurf steht, oder ist das rot-grüne Umverteilung? Wir haben in der letzten Sitzungswoche ja auch über Vermögensabgabe und Lastenausgleich gesprochen;
das haben Sie befürwortet. Also, Sie wollen erst 50 Prozent des Vermögens wegnehmen und es dann auch noch über die Erbschaftsteuer besteuern. Das ist Ihr
eigentlicher Plan. Sie wollen, dass die Menschen in unserem Land kein Vermögen mehr haben.
({7})
Sie sprechen im Wahlkampf von Respekt. Die Menschen, die hart arbeiten, die früh aufstehen, die sich was ersparen, die nicht in den Urlaub fahren,
diejenigen, die was für die nächste Generation schaffen wollen, denen nehmen Sie das Vermögen weg.
({8})
Das ist respektlos gegenüber den Menschen, die hart arbeiten. Das ist respektlos!
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die höhere Steuer wird doch dazu führen, dass Erben ihr Elternhaus verkaufen müssen, um die höhere Erbschaftsteuer zu
bezahlen.
({10})
Sie wird dazu führen, dass Einheimische an Investoren verkaufen oder an gewerbliche Interessenten.
({11})
Und sie wird zu drastischen Mieterhöhungen führen. Damit sind Sie die Mieterhöhungspartei Nummer eins in Deutschland.
({12})
Das gilt für Rot, Grün und Gelb, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist unsozial, was da passiert.
({13})
Die Freibeträge wurden seit 13 Jahren nicht angepasst. Wenn wir die neuen Bewertungsmaßstäbe ansetzen, dann brauchen wir auch höhere Freibeträge.
Wir bringen noch einen weiteren Aspekt ein, über den seit Jahren diskutiert wird und der richtig ist. Wir wollen eine Regionalisierung der
Erbschaftsteuer prüfen,
({14})
weil so die unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten in den unterschiedlichen Bundesländern abgebildet werden können. Herr Kollege Lindner, Sie haben
gesagt, die Initiative solle von den Ländern kommen. Jetzt kommt die Initiative von den Ländern im Bundesrat.
({15})
Dann erwarte ich aber auch Ihre Zustimmung zu diesem Gesetz.
Ich erwarte übrigens auch heute Ihre Zustimmung. Es wird sich zeigen, ob Sie es ernst meinen, liebe Frau Kollegin Raffelhüschen. Wenn Sie hier sagen:
„Es muss eine Erhöhung der Werte geben“, dann stimmen Sie unserem Antrag zu!
({16})
Ansonsten zeigen Sie den Menschen da draußen, dass Ihnen egal ist, was Sie gestern, vorgestern oder vor vier Tagen gesagt haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Jahressteuergesetz, über das wir morgen abstimmen, ist eine Enteignung der Fleißigen und eine bewusste Verarmung
der Vermögenden.
({17})
Deswegen lehnen wir es ab. Stimmen Sie heute unserem Antrag zu!
Herzlichen Dank.
({18})
Das Wort hat der Kollege Lennard Oehl für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon grotesk: Immer wenn es hier um Änderungen bei der Erbschaftsteuer geht,
wenden Sie als Gegner dieser Steuer verlässlich dieselben Kommunikationsstrategien an. Der Bevölkerung wird suggeriert, dass bei Erbschaften künftig viel höhere
Steuern anfallen. Das wird unterfüttert mit den allerschlimmsten, dramatischsten Horrorszenarien: Enkel müssen das von Oma geerbte Haus verkaufen, weil die
Steuerlast so stark steigt; Familienbetriebe werden an Hedgefonds verkauft, damit die Erben die Steuerzahlung leisten können. – Es sollen sich möglichst viele
Menschen angesprochen fühlen, auch diejenigen, die vielleicht ein relativ normales Erbe erwarten oder eventuell auch gar nichts erben. Frei nach dem Motto
„Vorsicht, der Staat will euch was wegnehmen“.
({0})
Diese Strategie konnten wir zum Beispiel 2016 in voller Blüte beobachten, als wir die Erbschaftsteuer nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
das letzte Mal reformiert haben bzw. reformieren wollten. Es gab damals nämlich eine sehr aggressive Lobbykampagne, die in Ihrer Fraktion auf offene Ohren
stieß. Dadurch wurde der gute Vorschlag, mit dem das Steuerprivileg für Erben von Betriebsvermögen reformiert werden sollte, am Ende total verwässert.
({1})
Gerade das ist ja am Ende die große Ungerechtigkeit. Bei hohen Erbschaften handelt es sich in der Regel um hohe Unternehmensanteile. Wer
beispielsweise mehr als 20 Millionen Euro erbt, zahlt im Durchschnitt weniger als 2 Prozent Erbschaftsteuer, wer hingegen weniger als 500 000 Euro erbt, das
klassische Eigenheim etwa, muss im Durchschnitt über 10 Prozent Erbschaftsteuer zahlen. Das ist nicht Maß, das ist nicht Mitte, das ist die eigentliche
Ungerechtigkeit im Erbschaftsteuersystem.
({2})
Aufgrund Ihrer bekannten Kommunikationsstrategie ist die Erbschaftsteuer so unbeliebt. Befragungen zeigen, dass sich etwa 70 Prozent gegen die
Erbschaftsteuer aussprechen. Dabei erbt die Mehrheit der Deutschen überhaupt nichts. Tatsächlich erben weniger als 40 Prozent der Bevölkerung in Deutschland
etwas. Diejenigen, die frühmorgens aufstehen und hart arbeiten, erarbeiten sich ihr Vermögen durch Lohnarbeit und nicht durch das Erben von höheren
Vermögenswerten und Immobilien.
({3})
Insgesamt ist auch die Höhe der Erbschaften sehr ungleich verteilt. Zwei Drittel aller Erbschaften gehen an die 20 Prozent der Menschen mit den
höchsten Vermögen. Dabei geht es um richtig viel Geld. Circa 300 Milliarden Euro werden pro Jahr vererbt. Dagegen ist das Aufkommen der Erbschaftsteuer mit
knapp 10 Milliarden Euro eher gering. Das zeigt, wie klein das Problem, das Sie in Ihrem Antrag hochschreiben, eigentlich ist.
Es ist ja auch nicht so, dass alle Erbschaften voll versteuert werden. Die Freibeträge sind angesprochen worden: 500 000 Euro für Ehepartnerinnen und
Ehepartner, bis zu 400 000 Euro für Kinder, 200 000 Euro für Enkel. Der selbstgenutzte Wohnraum muss von den benannten Personengruppen überhaupt nicht
versteuert werden, jedenfalls nicht, wenn der Erblasser zuvor in der Immobilie gewohnt hat und die Erben mindestens zehn Jahre weiter darin wohnen.
({4})
Wer also das berühmte normale Haus von Oma und Opa erbt, um darin zu wohnen, der wird in Deutschland keine Erbschaftsteuer zahlen. Sie machen aus
einer Mücke einen Elefanten. Das muss man hier mal deutlich machen.
({5})
Was ist der Anlass für diese Debatte? Das Bundesverfassungsgericht hat uns einen Auftrag gegeben: Wir müssen dafür sorgen, dass bei der Berechnung der
Erbschaftsteuer der tatsächliche Wert der Immobilien, also der Verkehrswert, verwendet wird. Das ist fair und richtig. Bei anderen Vermögenswerten wird schon
der tatsächliche Wert berücksichtigt; bei Immobilienwerten ist das noch nicht der Fall. In diesem Zusammenhang – das haben Sie schon gesagt – ist die
Immobilienwertermittlungsverordnung geändert worden. Und zwar von wem? Vom Bundesinnenministerium. Damaliger Innenminister war? Richtig, Horst Seehofer von der
CSU.
Die geänderte Verordnung soll nun auf das Bewertungsgesetz und damit auf die Erbschaftsteuer übertragen werden. Es ist richtig, das kommt vom
Bundesfinanzministerium. Es war aber von allen zu erwarten. Das war nichts Überraschendes.
({6})
Es hat keine Hintertür, keine Tricks gegeben, wie Sie es hier zu suggerieren versuchen.
({7})
– Nee.
Die neue Berechnungsgrundlage führt natürlich dazu, dass eine Immobilie höher bewertet werden kann. Das liegt daran, dass der Wert einer Immobilie
steigt; das haben Sie eben gut beschrieben. Es kann aber auch das genaue Gegenteil der Fall sein. Werte von Immobilien sind unterschiedlich und ändern sich. Wie
bereits erwähnt, wird in den allermeisten Fällen aufgrund der Freibeträge und des selbstgenutzten Wohneigentums gar keine Erbschaftsteuer fällig werden.
({8})
Obwohl die Union diese Änderung 2021 selbst eingeleitet hat, sind Sie sich heute nicht zu schade, wieder eine klassische Angstkampagne zu führen.
Flankiert wird diese Kampagne dann meistens von den einschlägigen Lobbyverbänden, Anwaltskanzleien, Notaren,
({9})
die natürlich fleißig daran mitverdienen. Dazu kommen dann die wildesten Rechenbeispiele. Diese kursieren zuerst in den sozialen Medien und werden
dann von der Tagespresse nachgeplappert. Sie senden eigentlich die Botschaft: Die Ampel will abkassieren, wenn du Wohneigentum erbst.
({10})
Das soll heimlich, still und leise eingeführt werden.
Kollege Oehl, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Stefinger?
Bitte.
Vielen Dank, Herr Kollege, vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben gerade Lobbyverbände angesprochen. Herr Kollege,
ich möchte Sie fragen, wie Sie denn die Aussagen des Mietervereins München beurteilen, der sagt, die Erbschaftsteuer führe gerade in Ballungsräumen wie
beispielsweise München zu steigenden Mieten.
({0})
Ich bin sicher, dass es bei diesem Thema nicht um links oder rechts geht.
({1})
Mietervereine und Eigentümerverbände sind sich einig,
({2})
dass die Erbschaftsteuer ein Miettreiber in Ballungsräumen ist. Ich darf darauf hinweisen, dass ich aus München komme. In dieser Stadt befinden sich
80 Prozent der Mietwohnungen in Privateigentum. Hier wird bei den Mieten eine drastische Veränderung eintreten, weil sich nämlich viele Erben die
Erbschaftsteuer gar nicht mehr leisten können. Sie können diese nicht zahlen, es sei denn, sie erhöhen die Mieten drastisch, weil sie nur dann ein Bankdarlehen
bekommen,
({3})
oder sie verkaufen an Investoren, die dann nicht mehr 9 oder 10 Euro für den Quadratmeter verlangen, sondern 15 oder 20 Euro oder sogar noch mehr in
Innenstadtlagen.
({4})
– Doch, das stimmt. Ich lade Sie herzlich nach München ein.
({5})
Ich meine, dass gerade die SPD, auf deren Plakaten im Wahlkampf es auch um Respekt vor Mietern ging, hier eine entsprechende Rolle zu spielen hat. Ich
lade Sie herzlich ein. Vielleicht unterhalten Sie sich auch mal mit dem Münchener Oberbürgermeister, SPD, über dieses Thema.
({6})
Denn genau diese Erbschaftsteuer und diese Bewertungsregeln führen dazu, dass Mietwohnungen verkauft werden.
Würden Sie das bitte anerkennen? Ich stelle in dieser Debatte fest, dass weder die Linken noch die SPD –
({7})
Kollege.
– noch die Grünen irgendwas für günstige Mieten machen. Von daher möchte ich Sie hier um Ihre Bewertung bitten.
({0})
Herr Kollege, ich gehe gerne darauf ein. Das, was Sie beschreiben, ist ja das Problem, das man in Bayern hat, nämlich dass der Wohnraum, der mal in
öffentlicher Hand war, privatisiert wurde. Das ist ja das eigentliche Problem
({0})
in der Wohnraum- und in der Mietpreisdebatte. Das ist nicht nur ein bayerisches Problem, das ist auch ein hessisches Problem. Da wurde das Tafelsilber
verscherbelt. Ich komme aus der Rhein-Main-Region. Ich weiß sehr gut, wovon Sie reden. Aber – ich habe es eben angesprochen – es gibt Freibeträge, gerade für
die unmittelbaren Erben, für die Kinder. Meine Eltern haben ein Haus im Rhein-Main-Gebiet, und meine Brüder und ich werden es wahrscheinlich irgendwann mal
erben. Aber mit diesen Freibeträgen, glaube ich, wird es weiterhin eine gute Lösung geben. Wie gesagt, das Problem, das Sie ansprechen, besteht darin, dass zu
viel Wohnraum in privater Hand ist und damals von der öffentlichen Hand verkauft wurde.
({1})
Ich fahre fort. Die Union nutzt jetzt natürlich diese selbstinitiierte Debatte, um höhere Freibeträge zu fordern. Ich bin der Meinung: Die aktuellen
Freibeträge und Regelungen reichen aus, damit in den meisten Fällen für selbstgenutztes Wohneigentum gar keine Erbschaftsteuer anfällt. Wenn eine Villa im Wert
von mehreren Millionen Euro vererbt wird, dann muss dafür Erbschaftsteuer gezahlt werden. Das ist richtig und wichtig so.
({2})
Darüber, dass Sie jetzt in dem Antrag eine regionale Anpassung der Freibeträge fordern, musste ich ein bisschen schmunzeln; denn diese Forderung kam
ja aus Bayern, kam von Markus Söder. Das geerbte Haus am Starnberger See ist natürlich stärker im Wert gestiegen als beispielsweise ein Haus in der Uckermark.
Aber wieso für dieses Haus ein höherer Freibetrag gelten soll als für ein ebenso wertvolles Haus in Hessen, in Mecklenburg-Vorpommern oder in Brandenburg, das
erschließt sich mir überhaupt nicht. Das ist am Ende weder Maß noch Mitte. Das ist am Ende wieder bayerische Klientelpolitik.
({3})
Ich rate den Bürgerinnen und Bürgern Folgendes: Bleiben Sie cool!
({4})
Befassen Sie sich in Ruhe mit den Fakten! Dann stellen Sie am Ende fest, dass sich für Sie in den meisten Fällen gar nichts ändert. Den Kolleginnen
und Kollegen rate ich: Lehnen Sie diesen Antrag ab!
Vielen Dank.
({5})
Für die AfD-Fraktion hat nun der Abgeordnete Kay Gottschalk das Wort.
({0})
Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das lässt einen wirklich sprachlos zurück, was die Kollegen der SPD hier so verzapfen. Das ist
unglaublich. Dass Sie, so wie Ihr Wirtschaftsminister, von Wirtschaft und sozialer Marktwirtschaft und Wertschöpfung keine Ahnung haben, haben Sie, Herr Oehl
und Herr Klüssendorf, in Ihren Reden und Sie, Herr Schrodi, in Ihrem Beitrag wunderbar bewiesen. Wann wollen Sie eigentlich den volkseigenen Betrieb in
Deutschland wieder installieren? Setzen Sie sich doch gleich zu den Linken, die hier diese Gleichmacherfantasien absondern!
({0})
Kommen wir aber zum Antrag der CDU/CSU. Da muss ich sagen – das ist ähnlich wie beim Tarif auf Rädern –: Sie bewegen sich auf uns zu. Aber ich muss
leider auch sagen: Gut gemeint ist nicht unbedingt gut gemacht. Sie haben die Möglichkeit, beim Antrag des Kollegen Glaser, den wir einbringen werden – er hat
es ja eben auch in seiner Rede angesprochen –, den ganzen Sprung zu machen; denn dann vollziehen Sie hier die richtigen Initiativen. Insoweit können wir uns zu
Ihrem Vorschlag nur enthalten.
Aber kommen wir noch mal zu einigen Punkten. Haben Sie, die schon länger hier sitzen, eigentlich alle Ihre katastrophale Geldpolitik vergessen?
Nullzins, Negativzins, da haben Sie Menschen ja geradezu gezielt – und das ist eigentlich auch gut so, weil wir die geringste Eigentumsquote haben – in
Immobilien getrieben, weil man fürs Geld nichts mehr bekommen hat. Jetzt wollen Sie sozusagen – und das ist ein Husarenstreich – diese Menschen, die das getan
haben, doppelt bestrafen, meine Damen und Herren. Übrigens kleine Anmerkung: Die zahlen auch Steuern. Die haben das aus zu versteuerndem Einkommen gemacht, wenn
es nicht gerade die Leute sind, die Sie alle mit haben laufen lassen, weil Sie ein Transparenzregister und andere Dinge vergessen haben.
Das ist wirklich sozialer Klassenkampf, den Sie hier machen. Das ist eine Neidgesellschaft, aber keine Wohlstandsgesellschaft, die wir brauchen, um
die Zukunftsaufgaben zusammen hier zu bewältigen, meine Damen und Herren.
({1})
Nehmen wir aber mal ein Beispiel. Sie reden hier immer so großspurig: 8 Millionen Euro, ja, das ist gemein usw. – Ein Beispiel aus dem „Münchner
Merkur“ vom November. Wenn Sie Erbe einer Immobilie in München – Herr Schrodi, spitzen Sie die Ohren! – im Wert von 8 Millionen Euro sind, dann, wie gesagt, ist
diese Immobilie schon mal, wenn Sie den Erblasser sehen, aus versteuertem Einkommen bezahlt worden. Jetzt kommt Folgendes: 8 Millionen Euro klingt nach viel,
aber die Wohnungen werden von diesem Vermieter sozial vermietet. Was bedeutet das also? Das klang hier in der – man muss es fast so nennen – Kurzintervention
schon an. Das heißt, der Erbe wird und muss, wenn er erben will, natürlich entsprechend die Mieten erhöhen. Oder er muss Kredite aufnehmen; auch dann wird er
die Mieten erhöhen.
Weiteres Beispiel für die Lernunwilligen der SPD. Nehmen wir eine Wertsteigerung – so steht es im vdp-Immobilienpreisindex – von 80 Prozent seit 2010
an. Hätte also 2010 ein Ehegatte eine Immobilie im Wert von 550 000 Euro nach Abzug des Freibetrages geerbt, wäre er in der entsprechenden Steuerklasse bei
3 500 Euro gewesen. Ja, in Ordnung. Würde er nach Ihren Maßnahmen jetzt erben – wir gehen von 80 Prozent Wertsteigerung aus –, dann sind es heute 990 000 Euro;
das ist auch in Ordnung so, weil die Leute eben aus dem Geld rausgegangen sind, weil es schwach ist. Er müsste aber heute 73 500 Euro zahlen bzw. als Kredit
aufnehmen. Sie treiben die Menschen, die Altersvorsorge betrieben haben, aus der Immobilie. Schämen Sie sich, meine Damen und Herren von der Fraktion der
SPD!
({2})
Sie sind überhaupt nicht die Partei der kleinen Männer oder Frauen, was auch immer.
({3})
– Hören Sie auf, das wissen die Leute doch schon! In Bayern sind Sie doch eine 9-Prozent-Partei, und hier zitieren Sie dann immer Bayern.
Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss.
Diesem Murks stimmen wir nicht zu.
Wir enthalten uns bei Ihrem guten Vorschlag. Machen Sie den ganzen Sprung, und stimmen Sie in ein paar Wochen unserem Vorschlag zu! Dann haben wir
nämlich auch die Progression mit drin, und dann sind wir, glaube ich, hier auf einem guten Weg zusammen mit den bürgerlichen Parteien.
Danke.
({0})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Dr. Sebastian Schäfer das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon erstaunlich, mit welch einem inhaltlich extrem dünnen Antrag die
Union hier versucht, ein Süppchen für Millionäre und ihre Erben zu kochen.
({0})
Von wegen Leberkäs-Etage, für die gerade Sie von der CSU angeblich Politik machen wollen: In diesem Antrag geht es wieder einmal nur um die, die im
Käfer-Zelt Champagner trinken.
({1})
Sie argumentieren, dass aufgrund der deutlich gestiegenen Immobilienpreise jetzt auch die Freibeträge beim Schenken und Erben entsprechend steigen
müssten.
({2})
Dabei geht es lediglich darum, dass wir die Verfassungsmäßigkeit herstellen und Immobilien nach ihrem tatsächlichen Wert bemessen. Die Grundlage dafür
hat richtigerweise die GroKo gelegt, die im Jahr 2021 im Baurecht die Immobilienwertermittlungsverordnung entsprechend angepasst hat. Jetzt geht es lediglich
darum, diese Grundlage auch auf die steuerliche Bewertung zu übertragen.
Freibeträge bei Schenkungen und Erbschaften gelten ja gar nicht nur für Immobilien, wie Sie das in Ihrem Antrag suggerieren wollen, sondern für alle
Vermögenswerte. Davon würde der Erbe einer Aktionärin, die in den letzten Jahren deutlich steigende Kurswerte erleben konnte, oder ein von ihr Beschenkter
genauso profitieren. Aber Sie tun in Ihrem Antrag so, als wäre davon nur das sprichwörtliche kleine Häuschen der Großmutter betroffen.
Und Sie wissen doch ganz genau, dass für eine Immobilie, die nach dem Tod eines Elternteils von einem Kind übernommen und bewohnt wird, überhaupt
keine Erbschaftsteuer anfällt, zumindest wenn die Immobilie nicht größer als 200 Quadratmeter ist.
({3})
Selbst wenn dieses Haus am Tegernsee oder am Bodensee steht und 3 Millionen Euro wert ist, fällt kein einziger Cent an Erbschaft- und Schenkungsteuer
an.
({4})
Und selbst wenn die Immobilie größer ist, muss sie schon extrem wertvoll sein, damit der Freibetrag überschritten und dann tatsächlich ein wenig
Erbschaftsteuer fällig wird. Bleiben wir bei unserem Haus am Tegernsee oder am Bodensee, lassen wir es diesmal 250 Quadratmeter groß sein, und gehen wir jetzt
von einem Wert von 4 Millionen Euro aus – Herr Merz würde sagen: gehobene Mittelschicht –:
({5})
Wenn ein Kind dieses Haus erbt und es nutzt, werden 45 000 Euro Steuern fällig, also ungefähr 1 Prozent des Wertes. Und wenn die Immobilie zur
Entrichtung der Steuer veräußert werden müsste, dann kann die Steuer sogar für bis zu zehn Jahre gestundet werden. Ich bin mir sicher: Diese Sorgen hätten viele
Menschen gerne. Die allermeisten Menschen erben gar nichts oder Beträge, die nicht annähernd an die Freibeträge heranreichen.
({6})
Frau Connemann aus Ihrer Fraktion ist wirklich schamlos, wenn sie in der Presse davon spricht, dass Wohneigentum für Erben jetzt zur Armutsfalle
werden könne. Sie verhöhnt damit auch die soziale Marktwirtschaft, über die Sie so gerne in Ihren Sonntagsreden sprechen. Sie wissen auch ganz genau, dass in
vielen Fällen Schenkungen oder Kettenschenkungen – Schenkungen alle zehn Jahre, um die Freibeträge auszunutzen – so gestaltet werden, dass gar keine Steuer
fällig wird.
({7})
Wir sehen ja gerade, was bei den Notaren los ist. Da geht es nur um Schenkungen. Im Zweifel wird durch Nießbrauch der Preis gedrückt und die Steuer
gespart.
In Ihrem Antrag ist auch die Rede von einer Regionalisierung der Freibeträge. Ich will das mal übersetzen: Die Wertentwicklung der Grundstücke in
Deutschland war im vergangenen Jahrzehnt höchst unterschiedlich. Bayern und Baden-Württemberg sind sicherlich Bundesländer, die in großen Teilen hohe
Immobilienpreise haben. Aber dies rechtfertigt doch keine höheren Freibeträge als anderswo. Warum sollte jemand in Thüringen bei Erhalt eines hohen Barvermögens
mehr Steuern bezahlen als jemand in Stuttgart oder München, der denselben Wert in Form einer Immobilie, zum Beispiel eines Zinshauses, erhält?
Mit Ihrer Politik für die Champagner-Etage spalten Sie unser Land.
({8})
Deshalb kann ich für diesen Antrag, für diese dünne Suppe nur Ablehnung empfehlen.
({9})
Für die FDP-Fraktion spricht nun Maximilian Mordhorst.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2006, 2014, 2016 und 2018 – all diese Jahre haben gemeinsam, dass in ihnen das
Bundesverfassungsgericht Urteile zur Erbschaftsteuer gefällt hat. Diese Jahre haben auch gemeinsam, dass die Union regiert hat und dort wenig bis gar nichts
verändert wurde, sodass wir jetzt vor dieser ärgerlichen Situation stehen.
Das hat auch zur Folge, liebe Union, dass Sie nicht nur Belastungen aus Ihrer Regierungszeit in die Zukunft weitergegeben haben, zum Beispiel die
Energieabhängigkeit von Russland. Nein, Sie haben es jetzt sogar geschafft, eine Belastung über Ihre Regierungszeit hinaus an uns weiterzugeben,
({0})
indem Sie aus dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat heraus – damals unter Horst Seehofer – die Wertermittlungsverordnung so geändert
haben, dass die Werte für Immobilien an einigen Stellen steigen und, ohne dass die Sätze der Erbschaftsteuer steigen, einige Gefahr laufen, eine höhere
Erbschaftsteuer zahlen zu müssen. Das ist schon beeindruckend. Es würde mich freuen, wenn die Union, wie es eigentlich in ihrem Antrag steht, mehr für
Entlastungen arbeiten und nicht nur darüber reden würde, anstatt Belastungen in die Zukunft zu verlagern.
({1})
Deswegen haben wir angesichts dieser ärgerlichen Situation, die ich ja eingestehe, vorgeschlagen, die Freibeträge zu erhöhen. Das wäre gut und richtig
gewesen, und ich hätte mich gefreut, wenn wir das gemeinsam hinbekommen hätten. Ich hoffe, dass wir das in Zukunft hinbekommen; denn Wohneigentum ist etwas
Wichtiges und Richtiges. Wir sehen an ganz vielen Stellen, dass Wohnungen dort, wo sie in staatlicher Hand sind – das hat man schon am Anfang der Nullerjahre
gesehen –, verfallen, ihr Zustand sich verschlechtert und Sanierungen dann nach der Privatisierung gemacht werden, nur damit 10, 15 Jahre später wieder darüber
gesprochen wird, dass man sie verstaatlichen müsste und alles so unsozial sei. Das ist nicht unser Weg. Unser Weg ist nicht, Substanzsteuern immer weiter zu
erhöhen; unser Weg ist nicht, Vermögen immer weiter zu schwächen. Nein, wir müssen Vermögen stärken. Und das bedeutet auch, dass wir privates Wohneigentum
unterstützen.
({2})
Wir können bei dieser Debatte – das hat mich an einigen Stellen gestört – nicht immer nur über die Superreichen, vielleicht in München oder Kampen auf
Sylt, sprechen, sondern wir müssen uns doch an der breiten Mitte der Gesellschaft orientieren.
({3})
Natürlich wird sie Probleme haben, wenn wir bei den Substanzsteuern immer weiter anziehen. Das haben wir schon bei der Grundsteuer erlebt; das erleben
wir jetzt ein kleines bisschen bei der Erbschaftsteuer. Das ist ein Warnsignal für uns alle – ich bin froh, dass wir das im Koalitionsvertrag festgehalten
haben –, dass wir keine weiteren Substanzsteuern und Abgaben einführen sollten. Das bedeutet für uns: keine Vermögensteuer, keine Vermögensabgabe. Dafür stehen
wir, und das ist richtig so.
({4})
Wir sollten generell einmal darüber sprechen, welche Probleme Substanzsteuern eigentlich verursachen. Wir haben es bei der Grundsteuer erlebt.
({5})
Da hatten wir viele Debatten, gerade in den Ländern. Wir erleben es jetzt bei der Erbschaftsteuer, und wir hätten es auch bei der Vermögensteuer
erlebt. Vielleicht ist der richtige Weg nicht, Vermögen immer weiter zu reduzieren und Gruppen gegeneinander auszuspielen, sondern vielleicht ist der richtige
Weg, Vermögen in Deutschland an vielen Stellen zu fördern.
({6})
Wenn man sich nämlich die großen Aufgaben anschaut, die wir haben, stellt man fest: Sie werden zu einem großen Teil private Investitionen erfordern.
Das wird der Staat nicht alleine machen können.
({7})
Wir haben kaum einen fähigen Kapitalmarkt, zumindest im internationalen Vergleich und im Vergleich zu unserer Wirtschaftskraft. Das bedeutet für uns:
Wir müssen den Kapitalmarkt stärken; deswegen bringen wir das Zukunftsfinanzierungsgesetz auf den Weg. Wir müssen private Investitionen unterstützen, die nicht
nur von Superreichen kommen dürfen. Vielmehr muss es auch für die Mitte der Gesellschaft, für den Mittelstand und die Mittelschicht, attraktiv sein, zu
investieren und daraus etwas zu machen. Das ist eine wichtige, eine richtige Maßgabe.
Deswegen freue ich mich, wenn wir auf breiter Front die Menschen unterstützen, die Vermögen schaffen wollen, die sich etwas aufbauen wollen und die
etwas aus sich machen wollen, egal ob sie Erben sind oder nicht, und uns nicht nur an einigen wenigen orientieren, die hier immer als Beispiele genannt werden.
Das ist nicht die große und breite Mitte der Gesellschaft. Wir stehen für diese große und breite Mitte der Gesellschaft und werden deswegen auch für ein
angemessenes und faires Steuersystem sorgen.
({8})
Das Wort hat der Kollege Fritz Güntzler für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lieber Max Mordhorst, ich frage mich gerade, ob Sie dem
Antrag nun zustimmen werden; denn das haben Sie nicht gesagt.
({0})
Die Argumentation war schlüssig. Ich bedanke mich für die klaren Worte. Von daher: Stimmen Sie gleich entsprechend ab!
Als Redner ziemlich am Ende der Tagesordnung
({1})
hat man ja den Vorteil, dass man sich vorher schon mal alles anhören durfte. Und ich finde es schon spannend, wie da die Argumentationslinien
laufen.
Ich muss Ihnen von FDP, SPD und Grünen ganz ehrlich sagen: Sie kommen mir so ein bisschen vor wie meine Söhne. Ich kenne das von zu Hause: Wenn ich
meine Söhne ertappe, dass sie irgendwas gemacht haben, was ich nicht sehen sollte, dann reagieren sie ähnlich wie Sie, nämlich völlig hektisch, planlos und
aufgeregt.
({2})
Wo haben Sie das denn untergebracht? Sie haben versucht – oder haben es sogar gemacht; morgen soll es ja beschlossen werden –, das im
Jahressteuergesetz unterzubringen, das über mehrere Hundert Seiten geht. Dort haben Sie das hinten so ganz klein reingeschrieben, damit das möglichst nicht
gesehen wird. Aber da haben Sie nicht mit uns als Opposition gerechnet.
({3})
Wir sehen so was nämlich, weil wir eine aufmerksame Opposition sind, meine Damen und Herren.
({4})
– Ich sehe ja schon wieder die Aufregung. Ich finde das gut. Es sind natürlich verschiedene Gründe, die Sie so aufregen.
Zum einen die FDP – der Kollege Brehm hat das ja schon zitiert –: Vor drei Tagen, am Montag, hat Bundesminister Lindner gesagt – das ist so schön; das
muss man noch mal zitieren –:
Fürchtet euch nicht. Mit dieser Koalition und diesem Bundesfinanzminister wird es keine Steuererhöhungen geben.
({5})
Nun machen wir mal den Faktencheck, wie das so schön neudeutsch heißt. Wir reden ja bei der Steuererhöhung nicht nur über die Erbschaftsteuer. Das
erste Steuergesetz dieser Ampelkoalition war eine Erhöhung der Steuern bei den Landwirten, als die Vorsteuerpauschalierungssätze geändert worden sind.
({6})
Morgen beschließen wir im Jahressteuergesetz die nächste Steuererhöhung, die sogenannte Übergewinnsteuer.
({7})
Die heißt bei Ihnen „Energiekrisenbeitrag“;
({8})
aber letztendlich machen Sie damit die nächste Steuerhöhung.
Wenn Sie das auf Europa schieben wollen, Herr Bundesfinanzminister, dann frage ich mich, wieso Sie dennoch am Montag so eine Aussage treffen konnten,
weil Sie ja wussten, dass die Aussage gar nicht richtig sein kann, weil Sie die Steuern erhöhen. Es ist auch egal, warum Sie sie erhöht haben. Sie erhöhen hier
permanent Steuern und handeln gegen Ihr Wahlversprechen und gegen Ihre klaren Aussagen. Das werden wir immer wieder anmerken.
({9})
Man hat ja die Chance, ein paar Dinge richtigzurücken. Richtig ist, dass es die Immobilienwertermittlungsverordnung gibt, die auch auf die Bewertung
übertragen werden sollte; das war immer so angelegt. Aber richtig ist auch, dass die entscheidenden Parameter – das sind die Liegenschaftszinsen – völlig frei
durch das Bundesfinanzministerium gewählt worden sind.
({10})
Sie sind erheblich gesenkt worden.
Wenn man sich mit Kapitalisierung auskennt, weiß man, dass die Senkung des Liegenschaftszinses von über 30 Prozent dazu führt, dass die
Immobilienwerte um 30 Prozent steigen.
({11})
Das wäre nicht nötig gewesen. Das hat dieses Bundesfinanzministerium gemacht, und dadurch wird es auch zu hohen Werten kommen.
({12})
Schließlich ist es – das ist mehrfach angesprochen worden –, glaube ich, auch reine Logik, dass, wenn der Wert steigt – das wäre nicht ganz zu
vermeiden gewesen; das gebe ich auch zu –, man dann den Freibetrag anheben muss, damit man zum gleichen steuerlichen Ergebnis kommt. Ansonsten ist es eine
Steuererhöhung; denn eine Steuererhöhung ist nicht nur eine Erhöhung des Tarifs, sondern auch eine der Bemessungsgrundlage, meine Damen und Herren.
({13})
Es ist auch angesprochen worden, wann die Freibeträge zuletzt angepasst worden sind: Das war mit der Erbschaftsteuerreform zum 1. Januar 2009. Damals
sind die Werte von 307 000 Euro auf 500 000 Euro gestiegen bzw. für Kinder von 205 000 Euro auf 400 000 Euro. Und wer war damals Bundesfinanzminister? Peer
Steinbrück. Das will ich nur mal für die SPD erwähnen. Und in die Gesetzesbegründung hat Peer Steinbrück damals reingeschrieben – weil er schon der Meinung war:
wenn Werte steigen, müssen auch die Freibeträge steigen; ich zitiere aus der Gesetzesbegründung –:
Die Freistellung des Familiengebrauchsvermögens orientiert sich am Wert durchschnittlicher Einfamilienhäuser.
({14})
Was damals richtig war, ist heute auch richtig; von daher müssen die Freibeträge hoch. Darum hatte Friedrich Merz völlig recht, als er dies vor der
Wahl geäußert hat.
({15})
Außerdem möchte ich sagen: Das ist kein Geschenk des Gesetzgebers, wenn wir Freibeträge erhöhen. Sie alle erwähnen hier
Bundesverfassungsgerichtsurteile; leider haben Sie den Beschluss vom 22. Juni 1995 vergessen.
({16})
Ich darf den Leitsatz gerne zitieren:
Der Spielraum für den steuerlichen Zugriff auf den Erwerb von Todes wegen findet seine Grenze dort, wo die Steuerpflicht den Erwerber übermäßig
belastet und die ihm zugewachsenen Vermögenswerte grundlegend beeinträchtigt ...
Auch diesen Verfassungsgrundsatz müssen wir berücksichtigen, der zwingend zur Erhöhung der Freibeträge führen müsste.
({17})
Noch mal auf den Punkt gebracht: Wer die Bewertung erhöht, muss meines Erachtens auch die Freibeträge erhöhen. Von daher ist es völlig unverständlich,
dass Sie das nicht machen, und die Folgen sehen Sie ja. Das Ganze ist zurzeit ein Konjunkturprogramm für Notare.
({18})
In den Kanzleien der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer und bei den Anwälten häufen sich jetzt die Fragen, weil die Menschen nervös werden, weil sie
Sorge haben, zu übertragen.
({19})
Da kommen Sie immer mit Ihrem Familienheim; ich kann Ihnen sogar den Paragrafen nennen: § 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstaben a bis c
Erbschaftsteuergesetz. Es ist nicht so, dass sie ein Familienheim einfach übertragen können – Sie müssen es mindestens zehn Jahre nachnutzen –, und bei Kindern
ist es auch bei Schenkung nicht zulässig, nur noch beim Erwerb von Todes wegen.
Die Lebenswirklichkeit ist doch heute so: Selbst wenn Sie es schaffen, unmittelbar in das Elternhaus zu ziehen, was ja allen zu wünschen ist, kann es
doch sein, dass Sie innerhalb der zehn Jahre beruflich vom Ort A in den Ort B ziehen müssen. Dann fällt die komplette Erbschaftsteuer rückwirkend an.
({20})
Das ist ein Fehler im System. Wir sollten mal gemeinsam darüber nachdenken, ob wir da wenigstens eine Pro-rata-Betrachtung hinbekommen; denn so
einfach, wie Sie sich das vorstellen, funktioniert das nämlich nicht.
({21})
Von daher gibt es viel zu tun.
Ich gucke noch mal in die Reihen der FDP. Mein guter Kollege aus dem Niedersächsischen Landtag, Christian Dürr, hat ja gesagt: Das geht alles schnell
und unbürokratisch. – Da hat er völlig recht. Morgen steht das Jahressteuergesetz an. Entweder nehmen Sie die Bewertungsfragen da raus, oder Sie erhöhen die
Freibeträge. Das wäre schnell und unbürokratisch, ganz im Sinne der Familien in Deutschland, –
Herr Kollege.
– ganz im Sinne der Vermögenden in Deutschland, die nur ein Familienheim übertragen wollen. Wir haben hier nicht über die gesamte Erbschaftsteuer
diskutiert, wie es hier versucht wurde.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat Frauke Heiligenstadt für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Güntzler, Sie sind nicht der letzte
Redner in der Debatte gewesen.
({0})
Ich bin die letzte Rednerin in der Debatte, und deswegen mache ich jetzt mal den Faktencheck zu dem, was Sie und Ihre Kollegen hier gerade so schön an
Falschbehauptungen aufgestellt haben.
Faktencheck Nummer 1. Sie behaupten, wir würden die Erbschaftsteuer erhöhen.
({1})
Fakt ist: Wir nehmen lediglich eine Anpassung der Bewertung von Immobilien vor.
({2})
Das ist dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes geschuldet. Das hat uns nämlich aufgegeben, Vermögen tatsächlich gerecht zu bewerten und keine
Schlupflöcher bei der Bewertung von Vermögen zu lassen, meine Damen und Herren.
({3})
Wir nehmen also keine Erbschaftsteuererhöhung vor, sondern wir passen die Bewertung des Vermögens schlicht und ergreifend an.
({4})
Faktencheck Nummer 2. Sie behaupten, dass zukünftig bereits kleine Wohnhäuser nicht mehr ohne Erbschaftsteuer vererbt werden können. Richtig ist
dagegen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Es bleibt dabei: Ein Haus mit bis zu 200 Quadratmetern Wohnfläche kann in direkter Linie bei Eigennutzung ohne
Erbschaftsteuer vererbt werden – unabhängig vom Wert der Immobilie. Also, auch bei diesem Faktencheck sind Sie durchgefallen.
({5})
Faktencheck Nummer 3. Sie sprechen von unzähligen Erbfällen, die nun versteuert werden müssten. Fakt ist: Nicht einmal die Hälfte unserer Bevölkerung
erbt überhaupt Immobilienvermögen. Und selbst bei den wenigen, die Immobilienvermögen erben, fällt nur zu einem ganz kleinen Anteil Erbschaftsteuer an.
({6})
Also auch hier: Falschbehauptung!
({7})
Ich sage mal: Im Faktencheck bei „Hart aber Fair“ wären Sie locker durchgefallen.
Da fragt man sich allerdings: Warum machen Sie das eigentlich? Warum stellen Sie so viele Falschbehauptungen auf?
({8})
Der Grund könnte ja vielleicht sein, dass Sie mit diesen Falschbehauptungen eigentlich von dem guten Ergebnis zum Jahressteuergesetz ablenken
wollen.
({9})
Sie machen zum Beispiel mit diesen Falschbehauptungen den Menschen Angst, weil Sie vielleicht nicht wollen, dass wir über die gute Entwicklung bei der
Homeoffice-Pauschale reden, dass wir über die gute Entwicklung bei der Besteuerung der Photovoltaik reden, dass wir über die Erhöhung des
Arbeitnehmerpauschbetrages reden
({10})
oder vielleicht auch über die erhöhte Abschreibung für Wohnungsbauinvestitionen.
Wir von der Ampel machen Politik für die Menschen in diesem Land.
({11})
Ohne den Bremsklotz Union haben wir in der Ampel in einem Jahr mehr Sozialreformen durchgesetzt als in acht Jahren Großer Koalition, meine sehr
verehrten Damen und Herren.
({12})
Sie stellen nicht nur Falschbehauptungen auf, sondern Sie garnieren das Ganze ja auch noch mit Emotionen, mit Angst, indem Sie suggerieren, dass Omas
kleines Häuschen nicht mehr vererbt werden kann.
({13})
Aber eigentlich geht es Ihnen gar nicht um die Eigennutzung dieses Gebäudes von Oma, sondern Ihnen geht es um die Menschen, die diese Wohnungen und
Häuser, die geerbten Immobilien, anschließend vermieten wollen. Das wird insbesondere daran deutlich, dass Sie in Ihrem Antrag vorschlagen, eine Erhöhung der
Freibeträge für Ehegatten auf 825 000 Euro, für Kinder auf 660 000 Euro vorzusehen – Freibeträge, das heißt eine Verschonung von der Erbschaftsteuer.
Das letzte Mal, als wir hier an diesem Pult über Schonvermögen gesprochen haben, ging es um das Schonvermögen von Menschen, die zukünftig Bürgergeld
bekommen sollen.
({14})
Ich finde es, ehrlich gesagt, sehr beschämend, dass Sie nur wenige Tage nach der unsäglichen Debatte darüber, dass für diese Menschen ein
Schonvermögen von 60 000 Euro einschließlich einer Immobilie zu hoch sei, nun vorschlagen, die Freibeträge für Reiche von 400 000 Euro auf 825 000 Euro zu
erhöhen.
({15})
Ich sage nur: Klientelpolitik für Reiche pur.
({16})
Statt Ihrer Klientelanträge brauchen wir eine sachliche Debatte darüber, wie wir mit der steigenden Ungleichheit von Vermögen und von Chancen durch
Erbschaften umgehen und möglichst vielen Menschen Teilhabe ermöglichen.
({17})
Wenn Sie also ernsthaft Interesse an einer sachlichen Debatte zeigen, dann können wir uns gerne mit Ihren Vorschlägen auseinandersetzen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage, schon gar nicht von der AfD-Fraktion.
({0})
Aber der Antrag der CDU/CSU-Fraktion, dieser Zusatzpunkt, das war heute Morgen ein echter Rohrkrepierer bei Ihnen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern war ein großartiger Tag. Wir als Koalition leiten ein neues Kapitel in der
Handelspolitik ein – ein Kapitel, das Klimaschutz und Nachhaltigkeit endlich in den Mittelpunkt der Handelspolitik stellt und nicht, wie es in der Vergangenheit
passiert ist, als Anhang betrachtet.
({0})
Deshalb war es so wichtig, dass das Bundeskabinett gestern entschieden hat, aus dem Energiecharta-Vertrag auszusteigen; das ist ein historischer
Schritt. Deutschland kündigt den klimaschädlichsten Handelsvertrag auf, den die Europäische Union jemals abgeschlossen hat.
({1})
Es war völlig absurd, dass deutsche Unternehmen die Niederlande vor einem internationalen Schiedsgericht verklagen konnten, weil die Niederlande den
Kohleausstieg beschlossen haben. Es ist völlig absurd gewesen, dass Vattenfall vor einem internationalen Schiedsgericht gegen den deutschen Atomausstieg klagen
konnte. Damit ist in Zukunft Schluss.
({2})
Wir haben uns in der Koalition auf eine umfassende Neuausrichtung der Handelspolitik geeinigt.
({3})
In Richtung der Union – weil ich mir ungefähr vorstellen kann, was Frau Klöckner, die gleich nach mir spricht, sagen wird –: Das geht, wenn man sich
zuhört. Das geht, wenn man die Argumente gegenseitig ernst nimmt und nicht stur mit dem Kopf durch die Wand will, wie die Union das in den letzten Jahren
praktiziert hat.
({4})
Sie haben in der Handelspolitik in den letzten Jahren nämlich einfach gar nichts hingekriegt.
({5})
Mit der Ampel geht es jetzt voran. Wir haben uns darauf verständigt, auf europäischer Ebene zuzustimmen, als die Kommission den Vorschlag gemacht hat,
dass künftig Klimaschutz und Nachhaltigkeit mit einklagbaren Standards versehen werden.
({6})
Das ist etwas, was vor einigen Jahren nur die Grünen und die Umweltbewegung in Deutschland gefordert haben. Jetzt wird das gemeinsame europäische
Realität.
Dass man solche Handelsabkommen vereinbaren kann, hat die Europäische Union vor Kurzem mit Neuseeland gezeigt. Es ist richtig und es ist gut, dass die
Kommission das Abkommen mit Neuseeland zum Goldstandard ihrer Handelspolitik erklärt hat.
({7})
Wir haben auf der anderen Seite auch klar gesagt: Mit dem alten System der Schiedsgerichte ist Schluss. Deswegen haben wir uns darauf verständigt,
Investitionsschutzabkommen in Zukunft nur noch dann ratifizieren zu wollen, wenn sie sich auf die beiden Paragrafen konzentrieren, die für Unternehmen wirklich
relevant sind, nämlich direkte Enteignung und Diskriminierung aufgrund der Tatsache, dass man ein ausländisches Unternehmen ist.
({8})
Mit den anderen beiden Paragrafen, die missbräuchlich angewendet wurden, die Grundlage für viele Klagen waren, ist in Zukunft aufgrund unserer
Handelsagenda Schluss.
({9})
Und ja, wir zeigen auch bei CETA, was geht, wenn man sich einig ist, was geht, wenn man einander zuhört. Wir haben es geschafft, gemeinsam mit der
Europäischen Kommission, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten der EU und gemeinsam mit Kanada einen Vorschlag zu machen, genau diese beiden missbrauchsanfälligen
und gefährlichsten Standards der Investitionsschutzverträge zu reformieren, einzuschränken, klarzumachen, was in Zukunft alles nicht gemeint ist.
({10})
Damit werden missbräuchliche Klagen gegen Klimaschutz und gegen Nachhaltigkeit in Zukunft Geschichte sein.
({11})
Ein letzter Punkt, weil ich ja aus der Union höre, dass Sie von einem neuen TTIP träumen.
({12})
Ich frage mich immer wieder, ob Sie eigentlich eine Politik ohne jeglichen Bezug zur Realität machen.
({13})
Denn: Wo sind denn die USA, über die Sie da reden?
({14})
Wo sind denn die USA, die bereit wären, ein solches Abkommen mit uns zu verhandeln? Die existieren heute nicht, und die haben auch in der
Vergangenheit nicht existiert. TTIP ist gescheitert, schon unter Obama – nicht aufgrund der europäischen Umweltschutzbewegung. Ich hätte mich gefreut, wenn ich
mich hier hätte hinstellen und sagen können: Das war unser Erfolg. – Tatsächlich war es das Ergebnis von nicht übereinzubringenden Interessen ökonomischer Art
zwischen der EU auf der einen Seite und den USA auf der anderen Seite. Diese Differenzen existieren heute in noch größerem Maße.
Deswegen ist Teil einer realistischen Handelspolitik, dass man sich anschaut, was geht, dass man nicht von gigantischen Monsterverträgen träumt, die
sich gegenseitig blockieren und die zu Recht von den Menschen infrage gestellt werden,
({15})
sondern dass man sagt: Lasst uns kleinere Regeln finden! Lasst uns da vorangehen, wo es pragmatisch auch sinnvoll ist! Lasst uns Gremien nutzen, wie
den transatlantischen Trade and Technology Council, wo wir eh schon miteinander über Standards sprechen! Da kann man realistisch vorankommen. Lasst uns über
Umweltschutzgüter sprechen! Lasst uns mal Ernst machen damit, dass die EU und die USA ein großer gemeinsamer Wirtschaftsraum für Nachhaltigkeit sind, so wie es
die amerikanische Regierung auch verkündet hat! Da liegen Chancen.
({16})
Wer immer in der Vergangenheit hängen bleibt, der kann die Zukunft nicht gestalten. Das ist vielleicht eine Lehre für Sie als Union.
({17})
Das Wort hat die Kollegin Julia Klöckner für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Wirtschaft muss unabhängiger werden von Autarkien.
({0})
Wer Diversifizierung, also eine breitere Aufstellung, will, unabhängiger werden will, der muss natürlich für Freihandel sein – Freihandel mit
möglichst vielen strategischen Partnern und Freunden in der Welt. Alleine schon für die angestrebte Transformation, für die sogenannte Energiewende, sind wir
auf wichtige Rohstoffe von anderen Kontinenten angewiesen, Rohstoffe wie Nickel, Kupfer oder auch Lithium.
Aber viel zu oft wird Freihandel in der öffentlichen Debatte als etwas Negatives dargestellt, angeheizt von den Grünen. Sie haben in der vergangenen
Legislaturperiode alle Globalisierungskritiker auf die Bäume getrieben. Und jetzt erzählen Sie das Märchen von der Interpretationserklärung und, dass Sie das
Ruder herumgerissen hätten, damit die, die auf den Bäumen sind, jetzt endlich wieder herunterkommen. Das ist Ihr Problem.
({1})
Kein anderes außereuropäisches Land steht uns bei allen grundlegenden Werten und der inneren Ordnung näher als Kanada. Und die Grünen haben eben nicht
nur eine Moral, sie haben gleich zwei davon. Bundesminister Habeck sagte in Richtung Kanada: „Wir richten unsere Handelspolitik konsequent am Klimaschutz aus.“
Und in Richtung Katar sagte er: nichts. Vielmehr verneigte er sich vor dem Emir. In Richtung USA wiederum lehnen Sie einen neuen Anlauf für ein
Freihandelsabkommen ab. Ich frage Sie, liebe Grüne: Wo ist Ihr Kompass in dieser Frage geblieben?
({2})
Wenn wir die Standards und die Hürden an jeder Stelle so hoch schrauben, dann wird es ziemlich einsam um uns. Wenn wir selbst mit den demokratischen
Staaten nicht mehr schnell zusammenfinden, dann haben wir gar keine Partner mehr.
({3})
– Ja, „wir beschließen das“: Jetzt wird es da drüben richtig goldig. – Noch vor der Wahl haben die Grünen erklärt, „CETA keinesfalls“ zu ratifizieren.
Und noch am 7. Juli sagte der Kollege Audretsch von den Grünen – ich zitiere –: „… und deswegen werden wir CETA nachverhandeln.“ Was haben Sie gemacht? Sie
haben gar nichts nachverhandelt.
({4})
Sie haben unrealistische Erwartungen geschürt. Nachverhandelt haben Sie gar nichts.
({5})
Vielmehr werden wir heute gemeinsam – wir werden zustimmen – ein Gesetz verabschieden, das wortgleich mit dem unsrigen ist, das wir bereits im März
vorgelegt haben.
({6})
Das heißt, Sie haben elfmal unseren Gesetzentwurf blockiert, von der Tagesordnung genommen, weil Sie eben nicht erkannt haben, dass man mit Partnern
rasch eine Entscheidung trifft. Vielmehr haben Sie lange auf Zeit gespielt.
({7})
Wenn das bei Kanada schon so ist, wie soll das erst mit anderen Ländern werden?
({8})
Diese Hinhaltetaktik ist ganz interessant. Das muss ich natürlich deshalb sagen, weil der Kollege Cronenberg von der FDP noch am 7. Juli im Plenum
sagte:
Die Kanadier sind … irritiert. Sie verstehen nicht, warum Deutschland so lange braucht.
({9})
– Nein, nein, nein. Ach, wie goldig! Jetzt zeigt der Fraktionsvorsitzende der FDP auf die Union und verweist auf die 16 Jahre. Wissen Sie, das
Interessante ist ja, liebe FDP: Sie sagen etwas anderes, als Sie tun.
({10})
Es wurde im Koalitionsvertrag immer darauf verwiesen: Sobald das Bundesverfassungsgerichtsurteil da ist, wird entschieden.
({11})
Wann kam denn das Bundesverfassungsgerichtsurteil?
({12})
Das war im März.
({13})
Und drei Tage nach diesem Gerichtsurteil haben wir einen Gesetzentwurf vorgelegt. Sie haben Monate gebraucht, um jetzt einen wortgleichen
Gesetzentwurf vorzulegen. Also, liebe FDP, peinlich ist das Ganze dann schon.
({14})
Zur Wundertüte „Interpretationserklärung“. Ich möchte etwas aus der entsprechenden Anhörung wiedergeben. Da wurde ja Ihre sogenannte
Interpretationserklärung zerpflückt. Professor Hindelang sagte: „Wenn man nun auf die Erklärung schaut, wird hier eigentlich nichts getan, außer offene
Rechtsbegriffe mit weiteren offenen Rechtsbegriffen zu erklären.“ Es ist eine Beruhigungspille für die Grünen. Sogar der SPD-Kollege sagte gestern im Ausschuss
sinngemäß – ich kann es nicht wörtlich wiedergeben, weil das hier nicht erlaubt ist –, diese Interpretationserklärung sei überflüssig.
({15})
Dieser Meinung sind wir auch. Das hat viel Zeit gekostet.
Nun werden wir ein Gesetz beschließen, das die Ratifizierung von CETA jetzt voranbringt. Aber, sehr geehrte Frau Kollegin Dröge, Fraktionsvorsitzende
der Grünen, Sie sollten dann auch Ihre Homepage etwas aktualisieren. Dort heißt es heute bei Ihnen noch, CETA sei politisch falsch
({16})
und – Zitat –: „Ich will CETA im Bundestag verhindern“. Ich hoffe, das haben Sie nicht vor.
({17})
In Zeiten zunehmender Unsicherheiten will ich sehr klar sagen: CETA darf nicht das Ende sein. Jetzt kommt Mercosur, auch Chile, Mexiko, Australien.
Wir brauchen Partner, die unsere Werte teilen, und wir brauchen eine Bundesregierung, die entscheidet und nicht hinhält.
({18})
Herzlichen Dank.
({19})
Ich erteile dem Kollegen Andreas Audretsch das Wort zu einer Kurzintervention.
Liebe Frau Klöckner, Ihnen ist da was entgangen, glaube ich. Wenn Sie mal bei Twitter schauen, dann sehen Sie: Gestern Abend hat sich da die
Vizepremierministerin von Kanada, Frau Freeland, zu Wort gemeldet, hat sich dafür bedankt, dass wir diesen Weg gehen, und hat ganz klar gesagt, dass wir in
diesen Verhandlungen, die wir innerhalb der Europäischen Union und mit Kanada geführt haben, einen großen Schritt gemacht haben, indem wir sie wirklich
angegangen sind und Lösungen gesucht und gefunden haben.
({0})
Das ist das, was Sie in den letzten Jahren nicht geschafft haben. Sie haben eben keine Lösung gefunden. Das macht den Unterschied: Sie finden keine
Lösung, wir finden eine Lösung.
Es gibt einen zweiten Punkt. Wir haben mittlerweile – das zeigt auch, wie wichtig es war, Schritte nach vorne zu machen – viel bessere Abkommen.
Deswegen gehen wir bei allen alten Abkommen in Review-Prozesse, um sie zu verbessern. Wir haben aber mit dem Abkommen mit Neuseeland einen neuen Standard
gesetzt, weil Sozialstandards drin sind, weil Klimaschutzstandards drin sind. Jacinda Ardern hat sich vor einigen Tagen bei einer Pressekonferenz in dem Sinne
geäußert, dass das der Standard der Handelsabkommen der Zukunft sein muss, dass sie sich freut, mit Europa genau auf der Basis dieser Standards in Austausch zu
treten.
Da merkt man eines: Sie haben es in der vergangenen Legislaturperiode nicht hingekriegt, und Sie sind noch immer nicht auf dem Stand der Debatte.
({1})
Das zeigt sich in ganz vielen Feldern. Sie führen Debatten aus den letzten Jahrzehnten. Die Ampel bringt die Handelspolitik jetzt ins
21. Jahrhundert.
({2})
Dafür braucht es offensichtlich eine Zeit, in der die CDU nicht Teil der Bundesregierung ist, und das ist gut so.
({3})
Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Danke schön. – Man merkt ja, wie Sie mental unter Druck sind, weil Sie jetzt Ihren Leuten da draußen erklären müssen, warum Sie heute CETA
zustimmen, obwohl Sie vor der Wahl noch damit geworben haben, dass Sie es ablehnen werden, weil das Abkommen als solches ganz schwierig sei. Ich verstehe das
ja. Das war ja eine Rede von Ihnen an die eigenen Leute.
Aber wir wollen ja im Parlament ein bisschen seriös sein.
({0})
Es geht am Ende darum: Teile von CETA sind ja jetzt seit Jahren schon in Kraft. Die EU-Kommission hat Zahlen präsentiert, wie sich das Handelsvolumen,
der Handel miteinander, entwickelt hat – sehr positiv! Und Sie wollen jetzt uns alle glauben machen, dass dieses CETA mit einer Interpretationserklärung der
Grünen komplett neu aufgesetzt wurde. Unter uns: Ich habe Sinn für Humor, aber das ist eine Art von Humor, der die Leute etwas im Nebel hält. – Ich bin jetzt
freundlich, weil wir ja im Parlament sind.
Ich freue mich, mit Ihnen die Debatten der Zukunft zu führen, weil ja jetzt alles anders wird, wie Sie sagen. Da ist das Mercosur-Abkommen ziemlich
bald dran. Wir legen einen Entwurf vor.
({1})
Zu einer Erklärung zur Aussprache erhält der Kollege Carlo Cronenberg das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Verehrte Kollegin Klöckner, Sie haben mich korrekt zitiert.
({0})
Sie wissen, dass wir als Freie Demokraten immer für eine schnelle Ratifizierung von CETA eingetreten sind.
({1})
Sie haben in Ihrer Rede Ihrer Verwunderung Ausdruck verliehen, dass wir als Ampel vielleicht lange gebraucht hätten. Ich darf daran erinnern, dass die
Freien Demokraten von der konstituierenden Sitzung der Wahlperiode im Jahr 2017 bis zur Vorlage eines Gesetzentwurfs, der CETA ratifizieren sollte, vier Monate
gebraucht haben. Und seitdem, also seit vier Jahren, warten wir darauf, dass die Union ratifiziert. Das haben Sie nicht getan. Sie hatten nicht die politische
Kraft,
({2})
rechtzeitig dieses wichtige Freihandelsabkommen abzuschließen und zum Erfolg zu führen.
({3})
Stattdessen haben Sie sich auf das Bundesverfassungsgericht zurückgezogen, und das Bundesverfassungsgerichtsurteil lag im März vor, ja.
Wir haben uns vor der parlamentarischen Sommerpause darauf geeinigt, welchen Weg wir einschlagen, um die Ratifizierung im Herbst zu erreichen. Herr
Kollege Spahn, der Herbst läuft noch.
({4})
– Bis zum 21. Dezember haben wir Herbst. – Wir haben uns innerhalb von drei Monaten darauf geeinigt, welchen Weg wir einschlagen, um die breite
Zustimmung hier im Bundestag sicherzustellen; und das ist gelungen. Das ist nicht langsam, das ist schnell,
({5})
sehr viel schneller als das, was Sie in der Vergangenheit gemacht haben. Ich frage mich überhaupt, warum CETA seit Beginn dieses Jahrhunderts das
erste Freihandelsabkommen ist, das wir überhaupt ratifizieren können.
({6})
Also von daher: Kein Vorwurf an die Freien Demokraten, kein Vorwurf an die Ampel!
({7})
Ich erkläre gleich auch mal unseren Zuhörerinnen und Zuhörern: Das eine war eine Kurzintervention; da ist es möglich, darauf zu erwidern.
Der Beitrag von Herrn Cronenberg war eine Erklärung zur Aussprache nach § 30 unserer Geschäftsordnung. Darauf gibt es keine Erwiderung.
({0})
– Kollegin Klöckner, wir können gerne gelegentlich mal über die Geschäftsordnung miteinander reden.
({1})
Wir fahren jetzt in der Debatte fort. Das Wort hat die Kollegin Verena Hubertz für die SPD-Fraktion.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! 2009, 2016, 2022 – und heute ist es endlich so weit; denn wir ratifizieren CETA, das Freihandelsabkommen zwischen
Kanada und der EU und ihren Mitgliedstaaten. Ich habe nicht umsonst die Jahreszahlen genannt: Es geht hier nicht um Weltmeistertitel, sondern das waren die
Meilensteine, die uns auf dem Weg zu diesem Vertrag begleitet haben. Denn 2009 haben wir die Verhandlungen gestartet; 2016 waren sie abgeschlossen, ein Jahr
später ist der Vertrag vorläufig in Kraft getreten; und heute, 2022, ratifizieren wir ihn im Deutschen Bundestag. Damit ist es noch nicht geschafft, denn es
fehlen noch elf weitere Mitgliedstaaten. Aber wir sind optimistisch, dass jetzt, wo wir vorangehen, auch weitere Länder ganz schnell folgen.
Aber natürlich – und das wurde zu Recht gesagt – hat das viel zu lange gedauert und ging viel zu langsam voran in einer globalisierten Welt, die sich
schnell dreht. Und die Frage ist: Warum hat das so lange gedauert? Das lag ja nicht an unserer Gemütlichkeit, sondern wir haben auf ein
Bundesverfassungsgerichtsurteil gewartet. Und das Abkommen umfasst auch 1 300 Seiten. Wer sich damit mal intensiv beschäftigt, weiß, dass es darin um mehr geht
als um Zölle. Es geht nämlich auch jetzt schon um Nachhaltigkeit, um soziale Standards.
Aber wir haben auch noch einmal Bedenken ausgeräumt, und die sind sehr relevant, nämlich dass wir diese Schiedsgerichte, wo sich Konzerne mit Geld den
Richter einfach aussuchen können, hinter uns lassen
({0})
und jetzt internationale, bilaterale, multilaterale öffentliche Gerichtshöfe schaffen. Denn da gehört das Recht hin, auch im internationalen Handel,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Und ja, in dieser Welt reicht es nicht nur, mit Kanada Verträge zu schließen. Natürlich müssen wir gerade jetzt diversifizieren. Wir brauchen mehr
Partner anstatt weniger. Wir müssen da ankoppeln. Wir müssen aber auch mit Bedacht auf Verbindungen gucken, wo wir uns in der Vergangenheit in Abhängigkeiten
begeben haben, also da entkoppeln, wo es nötig ist. Wir gehen dabei strategisch vor. Wir haben jetzt eine Agenda aufgesetzt und festgelegt, dass wir uns jetzt
auch noch einmal ganz genau mit Mexiko, mit Australien, Neuseeland, Chile, Brasilien – wo sich nach der gewonnenen Wahl auch neue Türen öffnen – beschäftigen
werden.
Und vor allen Dingen lassen wir veraltete Verträge zurück, nämlich die, bei denen unserer Ansicht nach keine Reform mehr möglich ist, zum Beispiel den
Energiecharta-Vertrag. Das tun wir nicht losgelöst; vielmehr ist unser Handeln in ein Gesamtkonzept eingebettet. Genau das tut diese Ampelregierung.
({2})
Ja, wir müssen uns auch mal ehrlich machen: Zu dieser Welt gehört auch, dass nicht jeder eins zu eins unsere Werte wird teilen können. Aber ich bin
davon überzeugt: Kein Abkommen ist auch keine Lösung,
({3})
wenn es darum geht, unseren Wohlstand zu erhalten und für unsere Werte in dieser Welt einzustehen.
({4})
Natürlich haben wir auch einen Plan für die Zukunft. In den USA gibt es den Inflation Reduction Act; darauf müssen wir eine europäische Antwort
finden. Ich bin sehr optimistisch, dass wir diese auch schnell finden werden. Und natürlich müssen wir offen bleiben für Gespräche, für Kooperationen mit allen
Partnern, die unsere Werte teilen. Wir fangen heute damit an: mit einer neuen Generation von Handelsverträgen, mit mehr Handel und vor allen Dingen mit einer
sehr, sehr wichtigen Brücke über den Atlantik zu unseren Freundinnen und Freunden nach Kanada. Daher werbe ich um Ihre Zustimmung zu diesem wichtigen
Gesetz.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Bernd Schattner für die AfD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 200 000 Menschen demonstrierten im September 2016 in ganz Deutschland gegen CETA und TTIP. Vorneweg damals
auch die heutige grüne Außenministerin Annalena Baerbock. Sie und ihre Mitstreiter brachten Angela Merkel und ihren damaligen Vizekanzler und
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel von der SPD dazu, das 2017 von der EU-Kommission unterzeichnete Abkommen im Bundestag über die gesamte Legislatur nicht zu
ratifizieren. Zu heftig schien damals der gesellschaftliche Gegenwind.
Dass nun ausgerechnet die Ampelmehrheit mit Frau Baerbock als Außenministerin die Ratifizierung vollzieht, ist ein bemerkenswerter Vorgang. Die
Tatsache, dass die Verhandlungen zwischen Kanada und der EU sieben Jahre und die Ratifizierung durch die Bundesregierung jetzt weitere sechs Jahre, also
insgesamt 13 Jahre, angedauert haben, zeigt, dass dieses Abkommen nicht nur Fürsprecher hat, sondern nach wie vor höchst umstritten ist.
Bisher kann man anhand der Zahlen festhalten, dass Kanada 2021 laut UN Comtrade Waren im Wert von 488,5 Milliarden US-Dollar importierte. Davon
stammten lediglich 3,1 Prozent aus Deutschland. Destatis zufolge lag das Land auf Rang 27 der wichtigsten deutschen Absatzmärke. Kanada exportierte hingegen
2021 Waren im Wert von 500,9 Milliarden US-Dollar. Rund 1 Prozent davon ging nach Deutschland. Laut Destatis lag Kanada damit auf Rang 36 der wichtigsten
deutschen Bezugsmärkte.
({0})
Also, das kann es nicht sein, was den Handel mit dem zweitgrößten Flächenland der Erde so attraktiv macht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit den eben hier vorgetragenen Zahlen, Daten und Fakten habe ich jedoch nur den Istzustand beschrieben. Die
Frage ist jedoch: Wie lange wird dieser noch Bestand haben? Denn der Inhalt des aktuellen Abkommens muss nicht auch für die Zukunft gelten. Fakt ist, dass mit
der Verabschiedung dieses Abkommens die gemeinsamen Ausschüsse ermächtigt werden, das Abkommen nachträglich auch noch zu verändern, und zwar – man höre und
staune – ohne eine weitere Befassung des Deutschen Bundestages. Einer solchen Aushebelung des Parlaments werden wir von der AfD definitiv nicht zustimmen
können.
({1})
Warum will die Bundesregierung trotz allem auf Teufel komm raus dieses Abkommen? Könnte es vielleicht daran liegen, dass Kanada mit fast
200 Milliarden Kubikmetern Erdgasproduktion jährlich die fünftgrößte Menge weltweit fördert? Demnach muss man doch sehr stark annehmen, dass das CETA-Abkommen
nur die verschleierte Überschrift ist für ein zukünftiges Gas- und Ölabkommen zwischen Deutschland und Kanada. Aber wie passt diese Farce mit der ach so
umweltfreundlichen Rückschrittskoalition eigentlich zusammen? Wie wir meinen, gar nicht. Denn während rund 71 Prozent des Gases in Kanada durch Fracking
gefördert wird, ist dies in Deutschland seit 2017 verboten, und das aus gutem Grund. Hier zeigt sich einmal mehr die Doppelmoral der ruinösen links-grünen
Politik.
({2})
Allein schon der Transport von Gas bzw. Öl von Kanada nach Deutschland wäre um ein Vielfaches teurer, als wenn wir die diplomatischen Verhandlungen
mit Russland suchen und damit weiterhin die Energie- und Versorgungssicherheit der deutschen Bevölkerung sichern würden.
({3})
Wenn ich mir jetzt zum Schluss noch den Antrag der Union ansehe, dann habe ich den ganz bösen Verdacht, dass das Ziel der Union eigentlich nur die
Zerstörung der deutschen Landwirtschaft sein kann. Nicht anders ist es nämlich zu erklären, dass die ehemalige selbsternannte Bauernpartei die Ratifizierung des
Mercosur-Abkommens fordert und damit Millionen Tonnen an südamerikanischem Billigfleisch nach Deutschland importieren will und damit die Landwirte auf dem Altar
des Freihandels opfert. Dazu können wir als AfD nur sagen: Mit uns wird auch dieses Abkommen so nicht zu machen sein.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Christian Dürr für die FDP-Fraktion.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Deutschland ist die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Wir sind eine
Exportnation, und wir haben eine Handelstradition. Ich denke an die Hansestädte; der Begriff „Freihandel“ ist da sozusagen schon historisch im Namen verankert.
Wir sind ein Land, das immer auf Freihandel ausgerichtet war.
Als Demokratie in Europa wollen wir mehr Freihandel mit den Demokratien der Welt. Denn: Wir befinden uns in einem Systemwettbewerb, und wir haben
angesichts der furchtbaren geopolitischen Krise, die wir zur Zeit erleben, festgestellt, dass Abhängigkeiten bestehen, die uns teilweise gefährlich geworden
sind, die teilweise unseren Wohlstand bedrohen, insbesondere Energieabhängigkeiten, aber natürlich auch systemische Abhängigkeiten, wenn ich beispielsweise an
die Volksrepublik China denke. Deswegen muss die Antwort sein, dass wir mehr Freihandelsabkommen mit den Demokratien der Welt haben wollen, liebe Kolleginnen
und Kollegen. Das ist das Ziel dieser Koalition, um das am Anfang deutlich zu sagen.
({0})
Deswegen werden wir heute das Freihandelsabkommen CETA durch den Deutschen Bundestag bringen und ratifizieren. Mit dieser modernen Handelsagenda
setzen wir ein wichtiges Zeichen.
Da ja die Kollegin Klöckner sehr auf die Vergangenheit rekurrierte und ihr offensichtlich nicht bewusst ist, dass CETA während der Regierungszeit der
Union über viele Jahre eben nicht ratifiziert worden ist, will ich noch mal eins in Erinnerung rufen: Wir schaffen jetzt nach nur einem Jahr
Regierungsverantwortung ein erstes wichtiges großes Freihandelsabkommen.
({1})
Was war denn zur Zeit der unionsgeführten Bundesregierung? Sie haben während Ihrer gesamten Regierungszeit ein einziges Freihandelsabkommen auf den
Weg gebracht, und das war mit Südkorea. Es war am Ende des Tages übrigens erfolgreich. Der Anstieg des Handelsvolumens von über 70 Prozent im Vergleich zum Jahr
2011 spricht an der Stelle Bände.
({2})
Das Handelsabkommen mit Südkorea ist im Jahr 2011 geschlossen worden, als Sie mit den Freien Demokraten regiert haben. Es liegt doch offensichtlich
vor allem auch an der Union, dass es in den vergangenen Jahren mit besserer Handelspolitik und einer neuen Handelsagenda für Deutschland nicht geklappt hat.
({3})
Nach wenigen Monaten bringen wir CETA bereits auf den Weg, und wir machen an der Stelle nicht halt, sondern wir wollen die Handelsabkommen mit Chile
und Mexiko zum Abschluss bringen und schnellstmöglich auch das Mercosur-Abkommen mit Südamerika, meine Damen und Herren.
({4})
Und: Wir wollen einen Schritt weitergehen mit der Handelsagenda, die wir heute mehrheitlich im Deutschen Bundestag beschließen. Ich bin sehr gespannt,
wie Sie unsere Entschließung am Ende nicht nur finden, sondern wie Sie dazu votieren.
Wir haben uns als Ampelkoalition auch fest vorgenommen, mit einem Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika einen neuen Anlauf zu
nehmen,
({5})
einer westlichen Demokratie. Wir stärken damit ein transatlantisches Bündnis, Herr Kollege Spahn. Das ist die Position dieser Koalition. Wir wollen
mit den Demokratien der Welt Handel treiben
({6})
im gegenseitigen bzw. beiderseitigen Interesse, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({7})
Die Vereinigten Staaten investieren in der Europäischen Union viermal so viel wie in ganz Asien, die Europäische Union zehnmal so viel in den
Vereinigten Staaten von Amerika im Vergleich mit China und Indien zusammen. Die transatlantischen Beziehungen sind ein Schlüssel in der globalen Wirtschaft. Und
wir werden damit auch unsere Wettbewerbsfähigkeit auf neue Füße stellen, meine Damen und Herren.
Wenn wir uns die Frage stellen: „Was sind die Jobs von morgen?“, müssen wir gleichzeitig die Frage stellen, wo diese Jobs entstehen. Sie entstehen
dort, wo es attraktive Investitionsbedingungen gibt. Sie entstehen dort, wo es Know-how, Technologie und Wissen gibt, das exportiert werden kann. Und sie
entstehen dort, wo die attraktivsten Bedingungen für Fachkräfte aller Art bestehen, meine Damen und Herren. Wir werden hier weitermachen.
CETA ist ein erster wichtiger großer Schritt, der von der alten Regierung über viele Jahre nicht gegangen wurde. CETA ist ein erster Schritt, meine
Damen und Herren, aber wir machen an dieser Stelle nicht Halt. Wenn wir es schaffen, ein Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika auf den Weg
zu bringen, dann vereinen wir den Welthandel: Ein Drittel des Welthandels wird dann liberalisiert sein und 60 Prozent des Welt-Bruttoinlandsprodukts werden wir
in einer gemeinsamen Wirtschaftszone haben. Das Ziel und die Antwort auf den Systemwettbewerb, den wir derzeit global erleben, lautet: Wir brauchen mehr
Freihandel mit den Demokratien der Welt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Und das bringt die Ampelkoalition nach vorne. Der Union ist das in all den Jahren nicht
gelungen, um das in aller Deutlichkeit zu sagen.
({8})
700 000 Jobs sind durch das vorläufige Inkrafttreten von CETA bereits in der Europäischen Union entstanden, bereits jetzt ist das ein Erfolgsmodell.
Das zeigt doch eines: Lassen Sie uns auf diesem Weg weitergehen!
Kollege Dürr, ich habe die Uhr angehalten. Der Kollege Kuban wünscht, eine Frage oder Bemerkung einzubringen.
Ja, gerne. Ich freue mich sehr darüber.
({0})
Herr Kollege Dürr, Sie haben ja gerade so sehr für ein Freihandelsabkommen mit den USA plädiert. Wir haben eben auch die Rede von Frau Dröge gehört,
in der sie die Aussage getroffen hat, dass es kein Freihandelsabkommen mit den USA braucht. Weiß sie schon von dem, was Sie da gerade erzählt haben?
Nein, Frau Kollegin Dröge hat richtigerweise von hier vorne auf das gescheiterte Freihandelsabkommen TTIP rekurriert. Die Union war ja damals auch
in der Bundesregierung, als es am Ende des Tages gescheitert ist.
({0})
Ich bedauere das in der Sache, aber verstehe den Anlass sehr gut, weil damals die Dinge schlecht ausgehandelt waren.
Ich will Ihnen das ganz klar sagen, Herr Kollege Kuban: Sie reden immer – auch jetzt in der Opposition –, aber Sie machen nichts. In der letzten
Haushaltswoche – ich will das hier mal erwähnen – ist ganz viel von der Union an Rhetorik gekommen, aber nichts an Handeln.
({1})
In der Vergangenheit ist ganz viel an Rhetorik gekommen beim Thema Freihandelsabkommen und mehr Handelsabkommen, aber es ist nichts durchgebracht
worden. Der Unterschied ist doch in Wahrheit, dass wir machen und nicht nur schnacken – wir sind beide Niedersachsen –; das ist der Unterschied an dieser
Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Man kann hier also lange philosophieren. Man kann lange versuchen, politisch zu taktieren. Ich empfehle der größten Oppositionspartei im Deutschen
Bundestag, diesen Weg einer neuen Handelsagenda, die sich diese Regierungsmehrheit vorgenommen hat, mit uns gemeinsam zu gehen, damit wir den wirtschaftlichen
Erfolg Deutschlands auch in Zukunft gewährleisten.
Ich danke Ihnen.
({3})
Zu einer Erklärung zur Aussprache erhält die Kollegin Klöckner das Wort.
({0})
Eine Erklärung zur Aussprache ist ja dann möglich, wenn man falsch wiedergegeben worden ist; das haben wir gerade eben gelernt. Deshalb nehmen wir
das gerne in Anspruch.
Der Kollege Dürr hat eben gesagt, dass die Unionsfraktion CETA in der vergangenen Legislatur immer blockiert hätte. Das ist falsch.
Erstens ist nämlich sehr klar: Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir als CDU/CSU die absolute Mehrheit gehabt hätten.
({0})
Zweitens war es die SPD-Bundestagsfraktion, die gegen CETA mit folgenden Gründen gestimmt hat: Solange es kein Verfassungsgerichtsurteil gibt, würde
man nicht zustimmen.
({1})
Dann, sehr geehrter Herr Kollege Dürr, haben Sie selbst – selbst Sie! – als FDP einem Koalitionsvertrag zugestimmt, in dem stand, erst dann, wenn das
Verfassungsgerichtsurteil vorliegt, werden Sie sich CETA annehmen.
({2})
Insofern muss ich sagen: Das hätte im März passieren können. Jetzt haben wir Dezember.
({3})
Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen, die dafür sorgen, dass auch diejenigen, die uns heute zuhören und zuschauen, die Geschichte dieses
Tagesordnungspunktes, der heute zu einer entsprechenden Abstimmung kommen wird, nachvollziehen können,
({0})
weil uns das Thema ja in der Tat schon über mehrere Legislaturperioden begleitet.
Ich gehe jetzt davon aus, dass allen die Möglichkeiten der Geschäftsordnung klar sind, aber wir auch alle das Ziel haben, am Ende dieser Debatte
tatsächlich abzustimmen und auch unsere weitere anspruchsvolle Tagesordnung des heutigen Tages noch zu bearbeiten.
Deshalb fahren wir jetzt in der Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Bernd Riexinger für die Fraktion Die Linke.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Freihandelsabkommen CETA endgültig zu ratifizieren, ist ein großer Fehler.
({0})
Hunderttausende haben gegen CETA demonstriert. Umweltverbände, Gewerkschaften und Sozialverbände warnen vor den Folgen. Ihre Stimmen bleiben ein
weiteres Mal von dieser Regierung ungehört.
Um was geht es? 2017 ist CETA, das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada, zu großen Teilen in Kraft getreten. Es wurde von der Großen Koalition
nicht vollständig ratifiziert. Das geschieht nun ausgerechnet unter der Führung eines grünen Wirtschaftsministers. Ich erinnere mich gut an die große
Demonstration 2016 in Berlin mit 250 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Auf der Rednerbühne stand neben mir Anton Hofreiter, der laut und deutlich dazu
aufrief, CETA zu stoppen.
({1})
Übrigens hat er damals recht gehabt, aber heute gelten ja andere Kriterien.
Damals gab es den Konsens, dass wir eine andere Form des Welthandels wollen. Ein Regierungsjahr später soll mit Ihrer Zustimmung CETA ratifiziert
werden.
({2})
Und das, obwohl Sie genau wissen, dass der CETA-Investitionsschutz, der nun vollständig wirksam werden soll, Demokratie-, Klima- und Sozialstandards
gefährden wird! Und machen Sie sich doch nichts vor: Ihre Interpretationserklärung, mit der Sie sich CETA schönreden, ist rechtlich nichts wert.
({3})
Am rechtlichen Rahmen von CETA, den insbesondere die Grünen zu Recht massiv kritisiert haben, hat sich nichts, aber auch gar nichts geändert.
({4})
Mit der endgültigen Ratifizierung machen Sie den Weg frei für weitere Sonderrechte für Konzerne. Gegen Gesetze, zum Beispiel für höhere soziale
Standards oder für Klima- und Umweltschutz, die hier demokratisch beschlossen werden, kann so von international agierenden Konzernen vor einer
Sondergerichtsbarkeit, also einer auf Konzerninteressen abgestimmten Paralleljustiz, geklagt werden.
Der Energiekonzern Uniper verklagt gerade den niederländischen Staat vor einem Schiedsgericht. Der Konzern fordert knapp 1 Milliarde Euro,
({5})
weil die Regierung in den Niederlanden bis 2030 aus der Kohle aussteigen will.
({6})
– Natürlich. Ich sage ja nur, dass es diese Klagen gibt. Die werden weiterhin möglich sein. Weiterhin gibt es Sondergerichte. Ich weiß gar nicht, wie
Sie darauf kommen, dass diese Klagen nicht mehr möglich sein sollen.
Laut Greenpeace würden mindestens 360 kanadische Unternehmen durch CETA Sonderklagerechte gegen Deutschland bekommen. Dazu kommen noch US-Konzerne
über ihre kanadischen Tochtergesellschaften. Schon jetzt ist klar, dass Sie offensichtlich den Weg des ungebremsten Freihandels weitergehen wollen. Auch das
Abkommen mit den USA wird von Ihnen wieder aus der Mottenkiste hervorgeholt. Das haben wir ja gerade gehört. Die Ratifizierung des Mercosur-Abkommens steht kurz
bevor. Die Grünen haben ihren Widerstand gegen den neoliberalen Freihandel offensichtlich vollends aufgegeben.
Wir Linke lehnen derartige Abkommen weiterhin konsequent ab.
({7})
Wir stehen für eine Neuausrichtung der EU-Handelspolitik.
({8})
Arbeitnehmer-, Klima- und Verbraucherschutz müssen Vorfahrt haben. Einen weiteren Ausverkauf sowie eine auf Konzerninteressen zugeschnittene
Paralleljustiz darf es nicht geben.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Franziska Brantner.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute ist ein besonderer Tag.
({0})
Wir wenden uns der Welt zu, und gleichzeitig stärken wir den Klimaschutz.
Frau Klöckner, Sie haben gesagt, wir hätten keinen Kompass und wären zu langsam. Nach 16 Jahren Merkel
({1})
haben wir Abhängigkeiten in nicht vorstellbarer Höhe von Putin und Xi Jinping. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, die wir jetzt versuchen rückgängig
zu machen.
({2})
Zweitens haben Sie 16 Jahre lang Handel gegen Klimaschutz ausgespielt. Sie haben es intellektuell und fachlich nicht geschafft, Handel und Klimaschutz
zusammenzubringen,
({3})
und deswegen unser ganzes Land gespalten. Wenn wir es heute schaffen, dann ist es deswegen, weil die Ampel die Kraft hat, das „Und“ nicht nur zu
denken, sondern auch umzusetzen.
({4})
Wir wollen und wir müssen diversifizieren. Wir wollen unsere Abhängigkeiten reduzieren, Partnerschaften eingehen, und zwar nicht von oben herab,
sondern auf Augenhöhe. Wir wollen das Angebot machen, weltweit mit uns die grünen Wertschöpfungsketten der Zukunft aufzubauen. Das ist eine große Aufgabe, die
es sich lohnt anzugehen mit Partnerländern wie Chile, wie Mexiko, wie den Mercosur-Staaten, aber so, dass wir am Ende die grünen Wertschöpfungsketten stärken
und das Klima schützen.
({5})
Herr Riexinger, Sie haben gerade Uniper und die Niederlande angesprochen. Erstens. Wegen der Übernahme wird genau diese Klage zurückgezogen. Zweitens.
Die Grundlage, auf der diese Klage basiert, ist nicht CETA, sondern der Energiecharta-Vertrag. Aus dem sind wir ja jetzt ausgetreten.
({6})
Deswegen, Herr Riexinger, sollten Sie das an der Stelle einmal erwähnen, dass wir aus dem Energiecharta-Vertrag aussteigen.
Herr Riexinger, Sie können hier nicht sagen, die Entscheidung des Gemeinsamen Ausschusses ist nichts wert und nicht rechtlich bindend, und in der
gleichen Rede behaupten, aufgrund dieses Gemeinsamen Ausschusses endet die Demokratie hier bei der parlamentarischen Kontrolle. Sie müssen sich schon
entscheiden: Entweder hat dieser Ausschuss nichts zu sagen, oder er ist das Ende der Demokratie.
({7})
Aber in einer Rede beides zu behaupten, das ist schon echt sehr frech.
Es ist nicht das Ende der Demokratie, aber rechtlich bindend für die Schiedsgerichte und deswegen macht es einen Unterschied, einen richtigen und
wichtigen. Diesen Schritt wollen wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnerinnen und Partnern gehen, und wir wollen die anderen Verträge noch präzisieren
und voranbringen. Das ist gut für unsere Wirtschaft, für unseren Wohlstand und für das Klima bei uns und weltweit.
Ich danke für die Zusammenarbeit mit den Fraktionen. Das war eine große Freude. Herzlichen Dank.
({8})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Jens Spahn das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Staatssekretärin Brantner, ich weiß nicht, ob Sie jetzt über etwas anderes abstimmen als wir.
Aber was sich bei dem CETA-Abkommen in Sachen Klimaschutz in den letzten Jahren oder auch in den letzten Tagen noch verändert hat, das müssen Sie mir noch
erklären.
Übrigens, Herr Kollege Audretsch, im Gegensatz zu dem gerade Gesagten und im Gegensatz zu Twitter: Kanada hat bis jetzt der Interpretationserklärung
noch nicht zugestimmt. Sie werden CETA, das rechtlich nichts anderes ist als das, was seit sechs Jahren vorliegt, heute zustimmen. Es ist gut, dass Sie
zustimmen. Aber reden Sie sich nicht etwas anderes ein, wenn es um die Frage geht, was heute hier zur Abstimmung steht.
({0})
Das Entscheidende ist, dass CETA, das Abkommen mit Kanada, erst der Anfang und nicht der Endpunkt der Handelspolitik ist. Herr Kollege Dürr, ich weiß
nicht, ob Sie Frau Kollegin Dröge zugehört haben. Sie hat gesagt: Ein Handelsabkommen, Freihandel mit den USA wären irreal. Wer davon träume, der wäre in einer
falschen Welt. – Wenn Sie das angehen wollen, was Sie gesagt haben, Herr Kollege Dürr – Freihandel mit den USA, mit Mercosur, mit all den anderen Ländern, die
Sie aufgezählt haben –, dann haben Sie uns bei einer solchen Handelspolitik zu jeder Zeit an Ihrer Seite. Die Frage ist – auch nach dem, was wir hier in den
Gesichtern gesehen haben –: Haben Sie in der Koalition eigentlich eine gemeinsame Position zu der Frage, wie diese Handelspolitik aussehen soll?
({1})
Am Anfang einer Handelsstrategie, übrigens auch einer China-Strategie, muss eine Deutschland-Strategie stehen; denn wir sind als Partner für andere
nur attraktiv und haben einen Hebel, um bestimmte Dinge umzusetzen, wenn wir selbst wirtschaftlich stark sind. Deswegen braucht man, um Industriestandort zu
bleiben und Technologieführer in vielen Bereichen zu sein, am Ende einen attraktiven Partner, der die Resilienz stärkt. Man muss möglichst viele Handelsverträge
mit unterschiedlichen Partnern schließen, um nicht zu abhängig von Einzelnen zu sein. Das stärkt die eigene Relevanz, weil man dadurch selbst als Partner
wirtschaftlich stark ist. Deswegen muss jeder Startpunkt einer Handelsstrategie, auch einer China-Strategie, eine Deutschland-Strategie sein.
Zu dieser Strategie gehört es auch, realpolitisch pragmatisch zu sein, Handelsverträge nicht zu überfrachten mit allen möglichen Themen. Wie schnell
man sich sonst in seinem eigenen Moralgarten verirren kann, haben wir in den letzten zwei Wochen gesehen. Erst ein Knicks vor dem Emir, sechs Wochen später
heißt es, man würde selber doch mit der One-Love-Binde auf dem Spielfeld auflaufen, nur um dann eine Woche später einen 15-Jahres-Vertrag mit Katar super zu
finden. Weniger konsequent kann sogenannte wertegebundene Außenpolitik nicht sein. Das haben wir in den letzten Wochen gesehen.
({2})
Die Lehre daraus ist doch, dass wir als Exportnation aufpassen müssen, dass wir nicht unsere gesamte Außen- und Handelspolitik moralisieren. Das
sollten wir für künftige Handelsverträge und für die Debatten in der Handelspolitik beachten. Gewisse Standards, ja, natürlich auch Klima- und
Arbeitsschutzstandards, aber versuchen Sie nicht, jeden Handelsvertrag zum Instrument Ihrer Moral zu machen.
Das haben wir doch gerade wieder gehört, Frau Kollegin Brantner. Wenn es darum geht, Partnerschaft auf Augenhöhe zu machen, dann sollte man mit diesen
Ländern auch tatsächlich auf Augenhöhe verhandeln. Wenn andere Aspekte mit hineinkommen, dann geht das meistens schief, siehe Katar. Im Mittelpunkt von
Handelspolitik sollte Handel stehen, und das sollte auch im Mittelpunkt von Handelsverträgen stehen.
({3})
Damit komme ich zurück zum Anfang. Relevanz und Resilienz entspringen aus eigener Stärke. Jede Handelsstrategie braucht vorneweg eine
Deutschland-Strategie; denn nur dann haben wir überhaupt auch den Hebel, gewisse Werte und Rechtsvorstellungen als attraktiver Partner in entsprechenden
Verträgen umzusetzen. In diesem Kontext ist CETA, das Abkommen, das wir heute ratifizieren, ein erster, ein wichtiger Schritt, auch wenn er erst sehr spät
gegangen wird – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Deswegen werden wir zustimmen.
({4})
Das Wort hat der Kollege Markus Töns für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich muss erst einmal ein Lob loswerden. Es geht an die
Präsidentin, weil sie versucht hat, auch Sie auf der Tribüne bei dieser Debatte mitzunehmen. Manch einem Kollegen hier fällt es schwer, die Fakten
beieinanderzuhalten. Vielleicht ist es daher dann auch schwer, zu verstehen, worüber wir hier eigentlich debattieren.
({0})
Ich will auf den Punkt kommen und das erklären. Machen wir dazu einen kleinen Faktencheck. Handelspolitik liegt einzig und allein in der Kompetenz der
Europäischen Union. Einzig und allein! Dort wird so etwas auch verhandelt. Wir als Bundesrepublik Deutschland geben in der Handelspolitik der Kommission ein
Mandat. Im Europäischen Rat muss zugestimmt werden, und zwar einstimmig von allen 27 Mitgliedstaaten. Das ist passiert.
Worum geht es jetzt? Wir reden über CETA und nicht über andere Handelsverträge. Wir sagen auch, dass wir eine moderne Handelspolitik wollen. Das ist
unser Punkt. CETA ist 2016 abgeschlossen worden. Es konnte abgeschlossen werden, weil Sigmar Gabriel und Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Europa es
unter anderem geschafft haben, eines der modernsten Investitionsschutzkapitel zu formulieren.
({1})
Das machte es erst zustimmungsfähig, Herr Riexinger.
Seit 2017 ist dieses Abkommen übrigens in der vorläufigen Anwendung. Zuvor hatte es eine Ratifizierung im Europäischen Rat und im Europäischen
Parlament gegeben. Ich will dazusagen: Das ist völkerrechtlich übrigens vollkommen normal. Selbst der Westfälische Friede wurde vorläufig angewendet, und der
ist ja nun auch schon ein paar Jahre her.
({2})
Das wollte ich an dieser Stelle erklären.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben einen Investitionsgerichtshof geschaffen im Zusammenhang mit CETA. Das ist ein richtiges Gericht im Sinne
des Völkerrechts. Es gibt Richterinnen und Richtern mit der nötigen Befähigung zum Richteramt. Es wird transparent verhandelt. Es gibt die Möglichkeit zur
Weiterentwicklung; das ist schon angelegt. Denn die Kommission in Brüssel verhandelt mittlerweile mit 40 Staaten darüber, ihn zu einem multilateralen
Investitionsgerichtshof zu entwickeln. Das ist wirklich wichtig.
({3})
Ja, ich bin auch – das ist durchaus richtig – der Meinung, dass wir nicht unbedingt eine Interpretationserklärung gebraucht hätten.
({4})
Aber ich bin der Meinung, dass diese Interpretationserklärung – hören Sie gut zu, Frau Klöckner, da können Sie noch etwas lernen – dann richtig ist,
wenn man es damit hinbekommt, zu erklären, dass die Dinge, die bei den Demonstrationen kritisch gesehen wurden, im Vertrag enthalten sind, dass sie den
Standards entsprechen, die wir als Werte haben. Dafür ist diese Interpretationserklärung richtig.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will, weil diese in diesem Zusammenhang gerne genannt werden, mit einigen Mythen aufräumen:
Right to Regulate. Also, es wird immer behauptet, dass wir als Bundestag oder dass das Europäische Parlament nicht mehr entscheiden, keine Gesetze
mehr erlassen könnten, weil uns Unternehmen ja verklagen könnten. Das ist definitiv falsch. Das Right to Regulate, wie es heißt, ist im Vertrag enthalten.
Angebliches Sonderklagerecht für Unternehmen. Das ist wirklich der größte Blödsinn, wenn ich das mal so sagen darf. Das gibt es nicht.
({6})
Wenn wir keinen Investitionsschutz machen, wie wir ihn jetzt verhandeln, dann fallen wir auf WTO-Recht zurück. Ich will das nur einmal erklären. Das
heißt: Dann kommt dieses Sonderklagerecht zur Anwendung; das gibt es schon längst. Und wissen Sie, wo dann geklagt wird? Vor intransparenten Schiedsgerichten.
Das passiert, wenn Sie das ablehnen. Sie sollten einmal darüber nachdenken, ob Sie einem modernen Investitionsschutz nicht doch zustimmen wollen.
Schutz der Daseinsvorsorge. Auch das wird häufig angesprochen. Dieser ist übrigens im Vertrag von Lissabon und im Grundgesetz geregelt und kann durch
keinen Vertrag aufgehoben werden.
Zum Abschluss will ich noch etwas Wichtiges sagen – das ist übrigens nicht nur für diesen Vertrag, sondern auch für künftige Verträge grundsätzlich
wichtig –, nämlich zur Rolle und zur Beteiligung des Deutschen Bundestages. Es gibt Berichtspflichten der Bundesregierung – das haben wir übrigens in der
Entschließung noch einmal deutlich formuliert –, die im EUZBBG – die Kolleginnen und Kollegen müssten das eigentlich kennen, die Zuhörerinnen und Zuhörer nicht
unbedingt – und auch im AEUV sowie in Artikel 23 des Grundgesetzes geregelt sind. Dieser Artikel gibt uns als Bundestag alle Mitwirkungsmöglichkeiten, die wir
brauchen. Damit werden wir unserer Verpflichtung nachkommen.
({7})
Ganz zum Schluss. Es ist die Verpflichtung zur Einstimmigkeit im Gemischten Ausschuss und in den Ausschüssen in diesem Vertrag festgelegt. Ich will an
dieser Stelle noch einmal sagen: Ich hätte mir gewünscht, dass die Union zugestimmt hätte, einen Unterausschusses zu bilden. Damit kämen wir unserer
Verpflichtung gegenüber dem Bundesverfassungsgericht nach.
({8})
– Sie können gerne noch einmal darüber nachdenken.
Ich kann nur sagen: Es ist ein guter Tag für dieses Parlament. Es ist ein guter Tag für diesen Vertrag. Ich freue mich darauf, dass wir gleich CETA
abschließen und ratifizieren werden.
({9})
Glück auf!
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Malte Kaufmann für die AfD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch wir als AfD sehen natürlich, dass ein funktionierender internationaler Handel für Deutschland
notwendig und wohlstandsfördernd ist – jedenfalls dann, wenn man ihn richtig organisiert.
({0})
– Genau, nur dann.
({1})
Und genau hier liegen eben bei CETA die Bedenken unserer Bürgerpartei – Bedenken, die von der Regierungskoalition nicht ausgeräumt werden konnten.
Mein Kollege Bernd Schattner hat in seiner Rede bereits wichtige Punkte dargelegt.
Hinweisen möchte ich noch einmal auf die unseres Erachtens nicht zufriedenstellend geklärte Frage, welche Befugnisse der Gemeinsame Ausschuss der
CETA-Mitgliedstaaten eigentlich haben wird. Mittlerweile ist sogar von einer Fortentwicklung des Abkommens durch diesen Ausschuss die Rede. Das aber ist die
Aufgabe der nationalen Parlamente. Eine Aushöhlung des Parlamentsvorbehalts wäre ein Verstoß gegen ein zentrales demokratisches Prinzip.
({2})
Auch die Kompetenzen dieses Ausschusses beim strittigen Thema Investitionsschutz sind in unseren Augen nicht hinreichend geklärt. Genau dieses Thema
wird uns aber garantiert auf die Füße fallen; denn dieser Investitionsschutz hat das Potenzial, für Deutschland sehr teuer zu werden, auch wenn dies seitens der
Ampel stets kleingeredet wird, auch heute wieder. Übrigens ist das genau das gleiche Muster wie auf anderen Politikfeldern, wo man unsere Bedenken zunächst
einfach so weggewischt hat und dann später feststellt, dass wir mit unseren Analysen exakt recht hatten; Stichworte: Migrationspolitik, Energiewende,
Eurorettung und jetzt auch Coronapolitik.
({3})
Zurück zu CETA und den möglicherweise sehr teuren Problemen. Die kommen nämlich dann auf uns als Steuerzahler zu, wenn Deutschland in intransparenten
Schiedsgerichtsverfahren zu hohen Entschädigungszahlungen für ausländische Investoren verurteilt wird. Bedenken rund um diesen Investitionsschutz scheint man
bei der Bundesregierung nicht wirklich ernst zu nehmen. Sie wurden auch nicht ausgeräumt, weder im Ausschuss noch bei unserer Anhörung kürzlich. Das, meine
Damen und Herren, ist verantwortungslos gegenüber den Bürgern unseres Landes.
Wir können also trotz unserer Befürwortung von internationalem Handel – das möchte ich noch einmal ausdrücklich betonen – dem Abkommen in dieser Form
aufgrund der von uns ausgemachten Mängel nicht zustimmen.
Vielen herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat Dr. Lukas Köhler für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Riexinger hat eben gesagt, dass wir für ungebremsten Freihandel stehen
würden und uns dafür einsetzen würden. Das klang so, als ob das was Schlechtes wäre. Nein, im Gegenteil: Es ist es genau das Richtige. Es ist genau das, was wir
jetzt brauchen.
({0})
Mehr Freihandel, mehr internationale Zusammenarbeit, mehr wirtschaftliche Entwicklung – ja, mit den richtigen Freunden, mit Kanada.
Ich möchte noch mal in Erinnerung rufen: Wir reden heute über Kanada, ein Land, das nicht gerade besonders undemokratisch oder von autoritären
Führungsstrukturen geprägt ist – im Gegensatz zu den Ländern, die sich die AfD anscheinend vorstellt. Ich bin mir nicht ganz sicher ist, was Sie sich
vorstellen, weil das nicht so klar geworden ist. Mehr Freihandel und Handel mit Russland scheint der Weg zu sein, den Sie gehen wollen, aber nicht sinnvoller
Freihandel wie durch dieses Abkommen mit Kanada.
({1})
Unser Land ist nach der Debatte um TTIP in einen handelspolitischen Tiefschlaf gefallen. Die Union hat diesen Tiefschlaf ganz besonders mit angeführt;
denn es kam in den letzten Jahren einfach nichts. Jetzt lehnen Sie – wir haben es gerade gehört – auch noch einen Unterausschuss für Handel ab. Ich frage mich
da, was die handelspolitische Agenda der Union ist. Wichtig ist doch, dass wir ein Abkommen wie CETA jetzt vollumfänglich ratifizieren. Der Punkt kann ja nicht
die SPD gewesen sein, sonst würden Sie es jetzt ablehnen; sonst wären Sie jetzt dagegen.
({2})
Ich glaube, man sieht – das haben die Verhandlungen ganz eindeutig gezeigt –, dass wir gemeinsam Dinge schaffen können und dass wir gemeinsam dafür
sorgen können, dass es mehr Freihandel und mehr Möglichkeiten gibt, diese Welt gemeinsam zu gestalten. Deswegen ist heute ein guter Tag. Es ist ein Tag der
Zeitenwende, weil wir zeigen, dass die richtigen Partner an der richtigen Stelle mit uns zusammenarbeiten.
Ich glaube aber, das war genug der Geschichtsaufarbeitung; davon haben wir genug gehört. Wir müssen jetzt über die Zukunft reden. Klar ist doch: Wir
brauchen eine Antwort auf den Inflation Reduction Act der USA. Aber diese Antwort darf doch nicht sein, dass wir jetzt in handelspolitische Streitigkeiten
geraten. Die Antwort darf nicht sein, dass wir uns darüber aufregen, dass die USA in Zukunftstechnologien investieren, dass die USA sagen: Ja, wir wollen
mehr. – Wir müssen dafür sorgen, dass wir über Freihandel, über ein neues Abkommen mit den USA darum kämpfen, dass unsere Unternehmen an dieser globalen
Entwicklung in Richtung von mehr Zukunftstechnologien, in Richtung von mehr wirtschaftlichem Wachstum, in Richtung von mehr Prosperität teilhaben. Das ist der
Punkt, und das ist die Idee dahinter.
({3})
Natürlich haben wir in unserer Handelsagenda neben dem Freihandelsabkommen CETA noch weitere Punkte aufgegriffen. Wir reden über einen
transatlantischen Wirtschaftsraum. Wir reden darüber, mit Chile und Mexiko gemeinsam zu arbeiten, darüber, dass die Abkommen mit diesen jetzt ratifiziert werden
können. Wir reden darüber, dass wir nicht nur mit den USA in ein neues Freihandelsabkommen eintreten, sondern dass wir jetzt auch die Gespräche mit den
Mercosur-Ländern beginnen, weil die Wahl in Brasilien gerade gezeigt hat, dass das Fenster für diese Möglichkeit jetzt offen ist. Das sind die nächsten großen
Schritte.
({4})
Die Diskussion in den nächsten Wochen und Monaten wird darum gehen: Wie kommen wir schnell vorwärts? Diversifizierung in Bezug auf unsere Partner darf
nicht weniger Handel bedeuten. Die neue China-Strategie darf nicht weniger Handel mit China bedeuten, sondern sie muss mehr Handel mit anderen Partnern, mit
neuen Partnern bedeuten. Das ist der Ansatz, den wir verfolgen. Das ist der Ansatz dieser Ampel. Das ist das, was Deutschland und unsere Wirtschaft
brauchen.
({5})
Wir sprechen über und wir sorgen für Investitionsschutz. Deutschland hat 147 Investitionsschutzabkommen binationaler Art. Wir kommen jetzt in dieser
Krise, in dieser Phase in eine neue Bewegung, in eine neue Zeit, in der wir dafür sorgen, dass die Unternehmen, die unter dem Energiecharta-Vertrag investiert
haben, auch noch 20 Jahre lang weiterhin Investitionsschutz haben werden. Aber: Wir müssen darüber nachdenken, wie der Investitionsschutz in Zukunft aussieht.
Er wird als etwas Schlechtes dargestellt. Nein! Investitionsschutz bedeutet, dass Unternehmen, die bei uns investieren, oder unsere Unternehmen, die in anderen
Ländern investieren, geschützt sind, dass für sie Recht und Gesetz nach klaren Regeln und politischen Ideen gilt. Aber er bedeutet vor allem, dass wir gemeinsam
wachsen. Das ist die Handelsagenda dieser Bundesregierung. Das ist die Handelsagenda dieses Parlamentes, das dies heute beschließen wird. Ich freue mich
darauf.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Bernd Westphal für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einigen geht das mit CETA nicht schnell genug. Aber manchmal ist das so wie
Weihnachten – ich habe das gestern schon im Wirtschaftsausschuss gesagt –: Die Spannung steigt, und alle können es kaum erwarten; aber wenn Weihnachten dann da
ist, wird alles gut, und alle freuen sich. Und so ist das heute.
({0})
Am heutigen 1. Dezember 2022 werden wir hier im Bundestag mit einer großen Mehrheit CETA auf den Weg bringen. Das ist ein guter Tag für unsere
Wirtschaft.
({1})
Die Frage ist ja immer: Was schreibt man in solche Verträge rein? Die haben einen riesigen Umfang; sie sind kompliziert und komplex. Deshalb ist es
auch manchmal schwierig, das in der gesellschaftlichen Debatte zu erklären. Uns als Sozialdemokraten ist es wichtig, nicht nur Zölle, Tarife, Standards zu
entwickeln und dementsprechend auch die Anzahl an Formularen und den großen administrativen Aufwand bei den Zöllen zu reduzieren, sondern uns kommt es darauf
an, dass wir in dem Nachhaltigkeitskapitel eines fortschrittlichen Freihandelsabkommens auch die Werte, die uns sozial und ökologisch in Europa verbinden, mit
verankern.
({2})
Das ist in diesem Vertrag wunderbar gelungen. Deshalb ist es ein gutes Abkommen, für das wir heute den Weg frei machen.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Wirtschaft ist zum großen Teil exportorientiert. Deshalb betrifft das Abkommen die Beschäftigten, die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in diesen Branchen arbeiten. Es betrifft nicht nur die große Industrie, sondern auch den Mittelstand, der mit seinen
innovativen Produkten Zugang zum Weltmarkt haben muss. Diesen unterstützen wir heute. Es geht um genau diese Arbeitsplätze, die in Deutschland abgesichert
werden, indem der Zugang zu Märkten frei ist. Deshalb ist dieses Handelsabkommen wichtig für unseren Wirtschaftsstandort.
Was wir aber mit vereinbaren, ist, dass der Handel nicht nur frei ist, sondern auch fair. Wir haben immer gesagt: Das muss in den Kriterien eine Rolle
spielen. – Deshalb war es auch richtig, dass wir auf den letzten Metern gesagt haben, dass gerade dann, wenn es um den Schutz von Investoren geht, auch dann,
wenn es Streitigkeiten gibt, nicht hinter verschlossenen Türen, sondern in öffentlichen Gerichtssälen verhandelt wird. Das ist ein Fortschritt, zu dem man sagen
kann: CETA hat in dem Bereich wirklich einen Benchmark gesetzt, an dem wir uns auch in zukünftigen Handelsverträgen orientieren können. Diese
Handelsgerichtshöfe sorgen für Transparenz und zeigen der Gesellschaft in ihrer ganzen Breite, dass solche Handelsverträge keine Bedrohung sind, sondern
wirklich ein Fortschritt.
Als Letztes will ich sagen: Wir hatten eine schwierige Debatte, was TTIP angeht, und in dieser Zeit fanden auch die Verhandlungen mit Kanada zu CETA
statt. Aber ich will allen danken, die dazu beigetragen haben. Ich glaube, es gibt einen großen Konsens hier im Parlament. Auch die Union, die ihren Antrag
zurückgezogen und als erledigt erklärt hat, wird sicherlich heute zustimmen. Ich finde, in diesen Zeiten der geopolitischen Veränderungen ist es gut, dass eine
breite parlamentarische Mehrheit für diese Rahmenbedingungen sorgt. Dafür herzlichen Dank.
Glück auf!
({4})
Das Wort hat der Kollege Stefan Rouenhoff für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist so weit: Endlich, die Ampel ratifiziert CETA. Eigentlich selbstverständlich,
müsste man meinen. Aber die Grünen brauchen für solche Erkenntnisse ja immer ein bisschen länger.
({0})
Wenn ich mir die Reden der Koalition und insbesondere der Grünen heute anhöre, dann glaubt man wirklich, man ist hier in der Märchenstunde.
Als im Jahr 2016 die Entscheidung zur vorläufigen Anwendung von CETA auf der Brüsseler Tagesordnung stand, sind viele führende Politiker der Grünen in
Berlin und Brüssel gegen das Abkommen auf die Straße gegangen – das haben wir vorhin schon gehört –: Annalena Baerbock, Toni Hofreiter. Anton Hofreiter, der
frühere Fraktionsvorsitzende der Grünen, polterte, dass CETA mit – Zitat – „massive[n] Eingriffe[n] in Demokratie und kommunale Selbstverwaltung“ verbunden
sei.
Katharina Dröge, hier heute sitzend als Fraktionsvorsitzende der Grünen, bezeichnete CETA als „schlechtes Abkommen“, und sie erklärte weiter –
Zitat –: „Zu viele Punkte des Abkommens sind nachteilig für Verbraucher*innen genauso wie für Kommunen, für unsere Demokratie und unsere Standards. Die oft
kritisierten Klageprivilegien sind dabei nur ein Punkt.“
2016 erklärten die Grünen in ihrem Bundestagsantrag gegen CETA, es sei sogar ein „gefährliches Abkommen“. Meine Damen und Herren, der grüne Populismus
in der Handelspolitik hat die Menschen in unserem Land in hohem Maße verunsichert, auf die Bäume getrieben, zu Protesten gegen CETA und andere Handelsabkommen
bewegt.
({1})
Und jetzt, wo die Menschen auf den Bäumen sind und Sie in Regierungsverantwortung, müssen Sie die Menschen wieder von den Bäumen runterholen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie wollen den Menschen in Deutschland heute tatsächlich die Geschichte erzählen, aus einem – ich
verwende Ihre Wortwahl – „gefährlichen Abkommen“ nun ein faires, gutes Abkommen gemacht zu haben, mithilfe der von Ihnen forcierten Interpretationserklärung zum
CETA-Vertragstext.
({2})
Diese Selbstdarstellung ist, gelinde gesagt, schon sehr, sehr mutig.
({3})
Fangen wir mal mit dem ersten Punkt an. Auch wenn Ihnen die kanadische Regierung positive Signale gegeben haben sollte, ist Ihre
Interpretationserklärung noch nicht im Gemischten CETA-Ausschuss behandelt worden, und sie steht nach unserer Kenntnis auch nicht auf der Tagesordnung der
morgigen Sitzung des Gemischten CETA-Ausschusses.
Zweiter Punkt. Interpretationserklärungen zum Handelsabkommen scheinen bei den Grünen – zumindest bis zur Übernahme von Regierungsverantwortung –
keinen Mehrwert zu haben. Die damalige grüne Handelsexpertin und jetzige Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge erklärte in der Bundestagsdebatte am 22. September
2016 zu den damals verabschiedeten Protokollerklärungen zu CETA – Zitat:
Protokollerklärungen … sind Interpretationen dessen, was schon im Vertrag steht, mehr nicht.
({4})
Und genau so ist es, liebe Kolleginnen und Kollegen!
({5})
Die vorliegende Interpretationserklärung wiederholt in anderer Form nur noch einmal das, was ohnehin schon im Vertragstext enthalten ist. Das haben ja
die Sozialdemokraten gestern im Ausschuss gesagt, und das hat die FDP auch gesagt. Damit ist die Erklärung also de facto überflüssig, vielleicht nicht für die
Grünen-Wähler, aber in der Sache.
({6})
Um dem Ganzen noch einen draufzusetzen: Die Grünen wollten die von ihnen vorangetriebene Interpretationserklärung nun ausgerechnet im Gemischten
CETA-Ausschuss, also in jenem Gremium verabschieden, welchem sie 2016 in ihrem Bundestagsantrag gegen CETA – Zitat – „keine ausreichende demokratische
Legitimation“ attestierten. Das ist schon ganz schön starker Tobak!
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Meine Damen und Herren, heute ist nicht der Tag des Überschwangs und der Selbstbeweihräucherung, sondern ein Tag der Demut. Wir können froh sein,
dass die Kanadier die parteipolitischen Spielchen der deutschen Grünen mitgemacht haben.
Danke schön.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne! Einen schönen guten Tag von meiner Seite! Wir fahren in der
Debatte fort, und der nächste Redner ist für Bündnis 90/Die Grünen Jürgen Trittin.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist das Schicksal der Opposition, schmutzige Lieder singen zu müssen, wenn sie, wie es heute passieren
wird, der Regierung zustimmt.
({0})
Dass Sie dafür aber so einen Aufwand betreiben, das überrascht dann schon.
({1})
Ich möchte eine Bemerkung vielleicht jenseits der reinen Handelspolitik machen; der Kollege Riexinger hat das auch angesprochen. Handelsabkommen haben auch eine
geostrategische Bedeutung. Deswegen die Frage – und das ist bei CETA eine bedeutende Frage –: Was war CETA? CETA ist abgeschlossen worden in einer Situation, in
der Kanada durch die USA massiv erpresst wurde. Es gab nämlich ein ungleichgewichtiges Handelsabkommen, damals noch mit dem Namen NAFTA, das benutzt worden ist,
um die Kanadier in einer Weise zu erpressen, die überhaupt nicht mehr schön war. Und in dieser geostrategischen Situation hat Europa gesagt: Wir wollen den
Handel mit Kanada stärken. – Das ist übrigens im Grundsatz von uns immer als richtig angesehen worden.
({2})
Jetzt haben wir sechs Jahre Praxis seit der Unterzeichnung von CETA, und nach sechs Jahren kommen jetzt zwei Dinge hinzu: Es treten die Regelungen in
Kraft, die den Arbeitsmarkt betreffen, also Schutzregeln, und es treten die veränderten Regeln in Kraft, was die Anwendung von außergerichtlichen
Schiedsverfahren angeht.
({3})
Das ist der Kern dessen, worüber wir heute abstimmen.
({4})
Nun will ich aber noch einen weiteren Punkt nennen. Hier ist die Vereinbarung genannt worden, dass die EU sondieren soll, ob aufseiten der USA die
Bereitschaft zu neuen Verhandlungen und einem fairen Handel besteht. Da steht nicht drin: „Das kommt“, sondern da steht drin: „Wir sondieren das“. Da geht es
darum, Marktzugangsbarrieren für Zukunftstechnologien besonders bei Dekarbonisierung und anderen abzubauen. Da sind wir jetzt an einem Punkt, wo wir als
Deutschland und als Europäische Union, wie ich glaube, vor einer ernsten Herausforderung stehen.
Ich habe es sehr begrüßt, dass die Biden-Administration dieses Paket zum Klimaschutz in den USA auf den Weg gebracht hat. Das umfasst das größte
Investitionsprogramm in der Geschichte der USA, was erneuerbare Energien, Klimaschutztechnologie und Wasserstoff angeht. 400 Milliarden Dollar! Aber es
beinhaltet auch Marktzugangsbeschränkungen, die aufgrund blanker Industriepolitik – man kann auch sagen: „Buy American“ – bestehen. Das ist die Herausforderung,
vor der wir hier in Europa stehen.
({5})
All denjenigen, die jetzt locker davon reden, dass man da morgen mal eben ein Handelsabkommen hat, sage ich: Wir werden zu solchen Vereinbarungen nur
kommen, wenn wir uns gleichzeitig in die Lage versetzen, da auf Augenhöhe mitzuspielen. Was ist also bei uns in Europa mit einem European Sovereignty Fund, mit
dem wir gegen diese Regeln tatsächlich ein Gegengewicht bilden können?
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich sage Ihnen: An dieser Diskussion werden wir nicht vorbeikommen, und wahrscheinlich werden wir genau da landen, wo auch die USA gelandet sind,
als es um die Frage der Finanzierung dieses Pakets ging, –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– nämlich zu 100 Prozent kreditfinanziert.
({0})
Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag erteile ich das Wort dem Kollegen Alexander Bartz, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich bin erst seit wenigen Wochen
Abgeordneter dieses Hauses, und bis vor wenigen Wochen habe ich die CETA-Diskussion daher auch nur von der Besucherbank aus verfolgen können. Aus dieser Sicht
hat es mich, ehrlich gesagt, häufig ein wenig gewundert, warum wir bei diesem Abkommen jahrelang so gespalten waren.
Denn blickt man einmal zurück: Es gab auch Zeiten – lange ist es her –, da wurde CETA noch nicht kritisch hinterfragt. Erst als der damalige
amerikanische Präsident Barack Obama und die Große Koalition dann anfingen, TTIP zu diskutieren, wurde plötzlich alles anders: CETA wurde mit TTIP
gleichgestellt. Ab diesem Moment standen dann nicht mehr die nüchternen Interessen an dem Handelsabkommen im Vordergrund – nein, das Chlorhühnchen wurde zum
Synonym eines unzulänglichen Handelssystems.
({0})
Die Emotionalität dieser Zeit ließ keine weitere wirklich offene Diskussion mehr zu.
Diese Voraussetzungen haben sich heute zum Glück geändert, und ich bin froh, dass wir nach langen und ausgiebigen Diskussionen mit der heutigen
Zustimmung endlich einen richtigen und wichtigen Schritt für einen wertebasierten Handel machen können.
({1})
Der Großteil des CETA-Handelsvertrages mit Kanada wird bereits seit 2017 vorläufig angewendet und ist quasi schon gängige Praxis. Die zuvor lange
herbeigeredeten negativen Folgen für die Wirtschaft, den Verbraucher und die Umwelt sind bis jetzt ausgeblieben. Wenn ich hierzu beispielsweise die heimische
Landwirtschaft in meinem Wahlkreis Cloppenburg – Vechta betrachte,
({2})
so sehe ich: Es ist durch die bilateralen Abkommen mit Japan und eben dem betrachteten CETA-Abkommen mit Kanada nicht zu einer Überschwemmung mit
Produkten aus diesen Ländern in unseren heimischen Supermärkten und auf unseren heimischen Märkten gekommen.
({3})
Sowohl in Japan als auch in Kanada herrschen vergleichsweise hohe Standards, und es entstehen durch die Verträge gute Absatzmöglichkeiten für eine
Vielzahl von wirtschaftlichen Produkten.
({4})
Die Ratifizierung von CETA ist ein wichtiger Schritt für vielfältige Investitions- und Handelsbeziehungen zwischen der EU und Kanada. Es ist wichtig,
dass wir diese ausbauen und weiter festigen. Seit CETA angewendet wird, konnten das Güterhandelsvolumen um rund 20 Prozent gesteigert und 98 Prozent der
Industriezölle abgeschafft werden. Das bedeutet, dass seitdem jährlich 590 Millionen Euro an kanadischen Zollgebühren wegfallen.
Wir ratifizieren heute das CETA-Freihandelsabkommen mit Kanada. 16 Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben das bereits getan, und erst dann, wenn
alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben, kann das Abkommen vollständig in Kraft treten. Wir haben heute also die Chance, ein wichtiges Signal in Richtung Europa
und für den diversifizierten Freihandel zu senden.
Vielen Dank.
({5})
Für die Unionsfraktion hat das Wort Bernhard Loos.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Endlich, endlich, endlich! Man glaubt es kaum und kann es leider auch nicht oft genug
wiederholen. Endlich, nach Monaten der bewussten Verschleppung, kommt die Ampel zur richtigen Einsicht, ja, Erleuchtung, möchte man sagen! Endlich, nach
jahrelangen verfassungsrechtlichen Vorbehalten der SPD, die wir als Union in der Großen Koalition hinnehmen mussten!
({0})
Endlich, nach einer bisher grundsätzlichen Ablehnung des Freihandels durch die Grünen, wollen Sie als Ampel jetzt den Durchbruch geschafft haben!
Aber die Wahrheit ist doch: Wer eine jahrelange, ideologisch geprägte Blockade endlich aufgibt, der ist noch lange kein Held des Freihandels.
({1})
Ich verstehe ja, dass vor allem für die grüne Basis noch ein Placebo in Form von angeblich substanziellen Vertragsverbesserungen durch eine
Protokollerklärung gefunden werden musste, aber in Wahrheit ist es doch nur weiße Salbe; wenn es denn überhaupt so kommt.
Deutschland war und ist eine große Exportnation, daher ist der freie Handel für unser Land von herausragender Bedeutung. Wir als Union stehen aus
voller Überzeugung seit jeher für multilateralen Handel und Freihandelsabkommen. Wenn wir heute den multilateralen Handel durch die Schaffung von geopolitischen
Einflusssphären gefährdet sehen, dann sind Freihandelsabkommen umso wichtiger.
Hätten die Grünen nicht TTIP so diskreditiert und CETA bisher aus ideologischen Gründen verhindert, dann stünden Deutschland und die EU heute viel
besser abgesichert da –
({2})
auch vor dem Hintergrund des neuen US-Inflationsbekämpfungsgesetzes, das ja unter dem Deckmantel der Klimapolitik stark protektionistische Züge trägt.
Aber unsere Antwort darauf kann nicht sein, selbst in Protektionismus zu verfallen; nein, wir müssen mit den USA weiter und noch intensiver ins Gespräch
kommen.
Die transatlantischen Beziehungen sind für uns als CDU/CSU in vieler Hinsicht besonders bedeutend; denn wir teilen mit den USA die westlichen
Grundüberzeugungen von der Freiheit des Individuums, der Freiheit des Denkens, der Freiheit der Gesellschaft und der Freiheit der Wirtschaft und des Handels.
Das eine kann es nicht ohne das andere geben.
Nun gilt es, mit der Biden-Regierung Schwung in die EU-US-Wirtschaftsbeziehungen zu bringen. Dazu listet unser Antrag eine Vielzahl konkreter
Forderungen und Möglichkeiten auf. Wir wollen auf EU-Ebene mit den USA eine positive Agenda voranbringen, die die großen Chancen in der Digital- und
Wettbewerbspolitik, bei Technologiefragen sowie im Energie- und Klimabereich verdeutlicht.
({3})
Wir wollen den Handels- und Technologierat TTC erfolgreich entwickeln, auch unter einer möglichen Einbeziehung Japans, und einen Neustart von
Verhandlungen über Handels-, Wirtschafts- und Investitionsabkommen, welche auch klimapolitisch Maßstäbe setzen.
({4})
Eine Stärkung des regelbasierten Handels ist entscheidend wichtig. Die WTO muss durch eine umfassende Reform und einen funktionierenden
Streitbeilegungsmechanismus wieder an Bedeutung gewinnen. Aber lassen Sie mich auch unterstreichen: Wir als Union wollen die Handelspolitik klar wirtschafts-
und handelspolitisch ausrichten
({5})
und sie nicht mit sachfremden Themen überfrachten.
Offene Märkte und freier, regelbasierter Handel sind die Fundamente für dauerhaftes Wachstum, für sichere Beschäftigung und steigenden Wohlstand
weltweit.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort Andreas Larem.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich eine außenpolitische Sichtweise
auf CETA, das Freihandelsabkommen mit Kanada, einnehmen. Das Abkommen soll die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen der Europäischen Union und Kanada
vertiefen. Gerade vor dem Hintergrund des brutalen russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der damit verbundenen Zeitenwende müssen wir unsere
Beziehungen mit unseren internationalen Partnern verstärken.
In diesem Sinne begrüße ich es, dass wir heute die Ratifizierung des Abkommens diskutieren und abstimmen; denn Kanada ist für uns ein wichtiger
Partner für fairen und freien Handel. Mit Kanada teilen wir die Werte der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und einer offenen und fairen Gesellschaft. Deshalb
ist es gerade jetzt ein wichtiges Zeichen, wenn wir als Europäische Union den Handel mit unseren engsten Verbündeten und verlässlichen Partnern intensivieren.
Denn Zeitenwende heißt auch, dass wir unsere demokratischen Allianzen auf politischer und auf wirtschaftlicher Ebene stärken.
Dabei freue ich mich besonders, dass die maßgeblichen Veränderungen, die im Rahmen der Nachverhandlungen zu CETA erreicht wurden, eine deutliche
sozialdemokratische Handschrift tragen.
({0})
Dazu zählen zum einen eine öffentlich-rechtliche Investitionsgerichtsbarkeit, die mit unabhängigen Richterinnen und Richtern ausgestattet ist, und zum
anderen der besondere Schutz der Daseinsvorsorge vor Privatisierung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit CETA schaffen wir nun die Grundlage für die notwendige Diversifizierung unserer Wirtschaft; denn wir müssen
unsere wirtschaftlichen Beziehungen breiter aufstellen und politische Abhängigkeiten von einzelnen Staaten reduzieren. Deshalb setzen wir uns auch für einen
zügigen Abschluss der Verhandlungen über die Handelsverträge der EU mit Chile und Mexiko ein. Wir wollen in Zukunft unsere Handelsbeziehungen grundsätzlich
ausbauen, auch mit den USA. So gibt es für das Mercosur-Abkommen nach den Wahlen in Brasilien eine neue Möglichkeit, ein neues Verhandlungsfenster.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Da ich Anfang des Monats gerade in Südostasien war, kann ich Ihnen bestätigen: Auch dort gibt es große Interessen.
Herr Larem, kommen Sie bitte zum Schluss.
Angesichts der multiplen Herausforderungen und Krisen ist ein Mehr an Zusammenarbeit das Gebot der Stunde. Das ist gut, klug und richtig.
Herzlichen Dank.
({0})
Der letzte Redner in der Debatte ist Josip Juratovic.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach fünf Jahren der vorläufigen Anwendung bin ich froh, dass wir heute endlich
politische Klarheit zu CETA schaffen. In dieser Zeit haben sich die Welt und unsere Prioritäten grundlegend verändert. Der neoliberale Irrglaube von Wohlstand
und wirtschaftlicher Stabilität durch immer mehr Deregulierung ist endgültig gescheitert. Die Pandemie hat globale Lieferketten langfristig gestört, und schon
droht in China die nächste Krise. Der russische Angriffskrieg hat uns unsere kritischen Abhängigkeiten schmerzhaft vor Augen geführt, und zunehmende
Extremwetterereignisse machen uns deutlich, dass ohne Klimaschutz und Nachhaltigkeit als politische Prioritäten unsere Versorgungssicherheit und unser
zivilisatorisches Überleben akut gefährdet sind.
Kolleginnen und Kollegen, der Markt regelt sich eben nicht von allein. Industrie und Handel brauchen für den langfristigen Erfolg einen Kompass durch
klare politische Prioritätensetzung und Leitplanken. Es hat dabei nun eine gewisse Ironie, dass ausgerechnet ein Freihandelsabkommen einen wichtigen Schritt hin
zu diesem Paradigmenwechsel darstellt. CETA bedeutet genau das.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stärken damit nicht nur unsere Verbindungen zu Kanada als wichtigem und verlässlichem Handelspartner in einer
instabilen Welt. Kanada ist das europäischste Land außerhalb Europas, meint mein Kollege Bernd Rützel. Wir zeichnen damit vor allem eine Blaupause für eine neue
Generation von Handelsabkommen. So konnten wir im heute vorliegenden Entwurf grundlegende Verbesserungen beim schwierigen Thema des Investitionsschutzes
erreichen.
Mit der Review-Klausel steht darüber hinaus das Fenster offen für grundsätzliche Fortschritte. So könnten wir beispielweise die Kernarbeitsnormen der
ILO, das Pariser Klimaabkommen oder künftig auch die Biodiversitätsabkommen nicht nur als Standards fest verankern, sondern sie auch durch handfeste
Sanktionsmöglichkeiten durchsetzen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Kolleginnen und Kollegen, diese Chance gilt es jetzt zu ergreifen. Ich bitte um Ihre Zustimmung.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Damit schließe ich die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Diese Regierung versucht, wie schon viele Regierungen vor ihr, erfolglos, Kinderarmut
zu bekämpfen; wobei der Begriff „Kinderarmut“ in die Irre führt; denn Kinderarmut ist Familienarmut, und deshalb müssen Familien unterstützt werden. Passiert
ist in den letzten Jahrzehnten viel zu wenig. Ständig steigen die Zahlen von Kindern, die in Armut leben. Elternsein erhöht das Risiko, arm zu sein, und Eltern
sind unfreiwillig arm, meine Damen und Herren.
({0})
Auch deshalb sind die Geburtenraten historisch niedrig, deshalb werden Kinderwünsche nicht erfüllt.
Statt das Armutsrisiko durch Kinder zu senken, handelt die Politik konträr: Sie kassiert bei Eltern ab. Seit einem halben Jahrhundert leistet sich
Deutschland eine der weltweit niedrigsten Geburtenraten. Die Folgen der demografischen Katastrophe werden immer offensichtlicher: Sozialsysteme kollabieren,
Fachkräftemangel lähmt Industrie und Handwerk.
Der Auftrag einer jeden Bundesregierung ist es, für den Bestand des Staatsvolkes und damit für die Zukunft des Staates Sorge zu tragen. Anstatt auf
eine aktivierende Familienpolitik setzt unsere Regierung aber auf Massenmigration. Über 2 Millionen Menschen sind in den letzten sechs Jahren über das
Asylsystem eingewandert. 60 Milliarden Euro kostet uns diese verfehlte Politik der Bundesregierung nach offiziellen Angaben, Geld, meine Damen und Herren, das
Familien fehlt, Geld, das in Familien nachhaltig angelegt wäre und das jetzt endlich angelegt werden muss.
({1})
Mit unseren beiden Anträgen wollen wir Familien gerade in der heutigen Situation von Inflation und steigenden Energiekosten, aber auch langfristig
entlasten. Mit dem Antrag zum Familiensplitting wollen wir Familien stärken, die arbeiten und Steuern zahlen. Mit der Senkung der Mehrwertsteuer auf 7 Prozent
für Artikel des Kinder- und Familienbedarfs entlasten wir die Familien direkt an der Kasse. Die AfD will als einzige Fraktion in diesem Hause einen wirklichen
Paradigmenwechsel. Wir wollen Familien in den Mittelpunkt der Politik stellen.
({2})
Mit dem von uns geforderten Familiensplitting wird Familien endlich Steuergerechtigkeit zuteil, ein Familiensplitting, bei dem die Anzahl der Kinder
in der Einkommensteuer gewichtet wird, ein Familiensplitting, bei dem Familien mit ein bis zwei Kindern spürbar entlastet werden und eine durchschnittliche
Familie mit drei Kindern keine Steuern mehr zahlt.
({3})
Das Kindergeld soll darüber hinaus ohne Günstigerprüfung weitergezahlt werden. Denn wir brauchen starke Familien, die sich trauen, Ja zu Kindern zu
sagen. Das ist nicht, wie das hier einige Fraktionen im linken Bereich meinen, rückwärtsgewandt, sondern zutiefst modern und ein Bekenntnis zur Zukunft
Deutschlands.
({4})
Unsere Forderung, die Mehrwertsteuer für Produkte des Kinder- und Familienbedarfs zu senken, haben wir bereits in der letzten Legislatur gestellt.
Gerade in Zeiten hoher Inflation werden besonders Familien mit mittlerem und geringem Einkommen überproportional belastet; denn sie decken im Wesentlichen
vielfach ihre Grundbedürfnisse.
Mit der Senkung der Mehrwertsteuer werden alle Familien direkt entlastet. Jeder, der Kinder hat, kennt die Kosten: Windeln, Schul- und Bastelmaterial,
Bekleidung, Schuhe usw. usw. Allein bei der Erstausstattung für Neugeborene und der Kinderkleidung für das Neugeborene sparen Familien im ersten Jahr
450 Euro.
Kinder, meine Damen und Herren, sind eben nicht politisch verfügbar. Kinder sind nicht rechts oder links, sie sind einfach Kinder. Darum muss in
diesem Hohen Hause eine Koalition aller Parteien entstehen mit dem Ziel, die Kinderarmut wirksam zu bekämpfen.
Vielen Dank.
({5})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort Michael Schrodi.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die AfD-Fraktion stellt zwei Anträge. Einen davon hat sie vor eineinhalb Jahren
schon einmal gestellt. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, ein Gesetz zum Familiensplitting vorzulegen. Der Antrag, der jetzt eingebracht wird, ist
nahezu identisch. Es gab damals keinen Grund, dafür zu sein. Dieser Antrag ist sogar noch mal schlechter geworden. Insofern gibt es keinen Grund, dem
zuzustimmen. Anders als Sie es hier behauptet haben, tut dieser Antrag nichts gegen Kinderarmut. Das ist auch gar nicht Ihr Anliegen. Deshalb lehnen wir den
Antrag ab.
({0})
Worum geht es Ihnen tatsächlich? Wenn wir über Familienförderung, über die Förderung von Kindern sprechen, dann denken wir beispielsweise daran, dass
es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht, dass es um gesellschaftliche Teilhabe von Männern und Frauen geht, dass es um ein sorgenfreies Aufwachsen
von Kindern geht, dass es um Chancengleichheit für unsere Kinder geht. Tatsächlich wäre das, was Sie hier vorlegen, ein Paradigmenwechsel, nämlich eine Rolle
rückwärts ins letzte Jahrtausend der Familienpolitik. Diesen Paradigmenwechsel werden wir sicher nicht mitmachen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({1})
Die AfD denkt an die Alleinverdienerehe, sie denkt an die Frau im Haushalt, und sie denkt vor allem – das ist ein zentraler Punkt in diesem Antrag –
an das Geburtendefizit. Sie haben sogar richtig zitiert aus Ihrem Grundsatzprogramm: Die AfD fürchtet, wie sie schreibt, die „Schrumpfung unserer angestammten
Bevölkerung“. Deshalb sei der „Erhalt des eigenen Staatsvolks … vorrangige Aufgabe der Politik“.
({2})
Das heißt also: Die Frau wird reduziert auf die Rolle der Mutter, der Hausfrau, der Gebärenden – eine Rolle rückwärts! Das, was Sie hier vortragen,
ist keine Familienpolitik, sondern krude, nationalistische Bevölkerungsideologie, meine sehr geehrten Damen und Herren!
({3})
Mit unserer Familienpolitik wollen wir erreichen, dass Kinder kein Armutsrisiko sind, dass Kinder nicht in Armut aufwachsen müssen. Wir haben da noch
etwas vor uns.
({4})
Das ist uns bekannt. Wir wollen, dass finanziell schwächere Familien ein gutes Leben führen können, dass auch Kinder aus finanziell schwächeren
Familien Chancen haben.
Der AfD-Antrag macht genau das Gegenteil. Er fördert vor allen Dingen Besserverdienende, Familien mit hohem Einkommen. Warum ist das so?
({5})
Sie wollen diejenigen besonders fördern, die drei oder mehr Kinder haben.
({6})
Schon daran wird klar: Es geht nicht darum, Familien zu fördern, sondern darum, mehr Geburten zu fördern. Aber es geht auch – das haben Sie in Ihrem
Antrag formuliert – um die Förderung von Menschen mit höchsten Einkommen. Warum? Sie wollen, dass Familien ab dem dritten Kind bis zu einem Jahreseinkommen von
100 000 Euro völlig oder nahezu von der Einkommensteuer freigestellt werden.
({7})
Ich glaube, Sie wissen gar nicht, was das hinsichtlich der Einkommensverteilung bedeuten würde, bis wohin Sie entlasten wollen. Das beträfe sogar die
obersten 5 Prozent, die Bezieher höchster Einkommen.
({8})
Die Spitzenverdiener in diesem Land wollen Sie vollkommen von der Steuer befreien.
({9})
Die unteren 20 Prozent, die Familien mit dem geringsten Einkommen, würden davon gar nicht profitieren,
({10})
weil sie unter dem Grundfreibetrag liegen. Deswegen würden sie gar nicht von dieser Maßnahme profitieren. Das heißt, Sie entlasten die
Spitzenverdiener.
({11})
Familien mit einem kleinen Einkommen, die dringend Entlastung bräuchten, entlasten Sie überhaupt nicht. Sie machen Umverteilung von unten nach oben.
Auch das werden wir nicht mitmachen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({12})
In Ihrem Antrag vom 21. April des letzten Jahres waren Sie zumindest ein bisschen ehrlicher, weil Sie da reingeschrieben haben, was das eigentlich
kosten würde – bis zu 67 Milliarden Euro jährlich würde dieses Geschenk für Superreiche bedeuten –,
({13})
allerdings ohne zu sagen, wie Sie das gegenfinanzieren wollen. Das ist Finanzvoodoo, aber keine Finanzpolitik mit Augenmaß, und natürlich zielt sie in
die falsche Richtung.
({14})
Deswegen lehnen wir diesen Antrag ab.
Der Antrag hilft nicht, er verschärft Probleme. Ihr Antrag setzt Anreize für Frauen, zu Hause zu bleiben. Er degradiert Frauen in die Rolle der
Hausfrau und Mutter.
({15})
Herr Schrodi, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Nein, aus der AfD-Fraktion nicht. – Der Antrag hilft Familien nicht, er schadet.
({0})
Die Ampelkoalition hat sich vorgenommen, etwas für Familien zu tun, Kindern zu helfen, und sie hat das auch schon umgesetzt. Mit dem Gute-KiTa-Gesetz
haben wir schon in der Großen Koalition die Infrastruktur verbessert, mit dem KiTa-Qualitätsgesetz werden wir jetzt das Betreuungsangebot verbessern.
({1})
Das hilft Familien beispielsweise dabei, Familie und Beruf zusammenzubringen. Das hilft Frauen, eine Arbeit anzunehmen. Was Sie in Ihrem Antrag
vorschlagen, dass Frauen zu Hause bleiben, bedeutet Altersarmut der Zukunft.
({2})
Denn wenn die Frauen nicht arbeiten gehen, dann zahlen sie auch nicht in die Rentenversicherung ein. Die Folge wäre Altersarmut von Frauen. Da wollen
Sie die Frauen haben. Da wollen wir sie nicht haben, wir wollen sie gleichberechtigt in unserer Gesellschaft, in unserer Mitte haben, meine sehr geehrten Damen
und Herren.
({3})
Wir haben den Kinderfreibetrag erhöht. Wir haben den Alleinerziehendenfreibetrag jetzt im Jahressteuergesetz erhöht. Wir haben das Kindergeld so stark
erhöht wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Und wir werden – das ist vereinbart in dieser Koalition – die Kindergrundsicherung auf den
Weg bringen, die helfen wird, Kinder aus der Armut zu bringen. Sie wird, anders als Sie das wollen, dazu beitragen, finanziell schwächere Familien, Familien,
die Hilfe brauchen, finanziell zu stärken, finanziell zu entlasten. Diejenigen, die die Hilfe nicht brauchen, bekommen sie eben nicht.
Das heißt, wir machen sozial gerechte Politik für die Familien in diesem Land. Das werden wir weiterhin tun und Ihren Antrag natürlich ablehnen.
({4})
Der nächste Redner in der Debatte ist Johannes Steiniger für die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Ich weiß nicht, ob Sie das alle gehört haben. Ich finde es unmöglich, wie hier
reingeblökt wird von den Kolleginnen und Kollegen der AfD. Hier wird der Kollege Schrodi als „vaterlandsloser Geselle“ beleidigt. Ich finde das eine
Unverschämtheit!
({0})
Unpatriotisch in diesem Land ist Ihre Fraktion, die sich vor wenigen Wochen noch gewünscht hat, dass es mit Deutschland bergab geht, damit Sie Ihr
braunes Süppchen hier kochen können. Von daher lassen Sie bitte diese Zurufe!
({1})
Die Präsidentin hat zu Beginn der Debatte darauf hingewiesen, dass wir eine Tagesordnung bis 3 Uhr heute Nacht haben und wir uns alle an unsere
Redezeiten halten sollen. Eigentlich hätte man sich diese Debatte sparen können,
({2})
weil wir den Antrag zum Familiensplitting und den Antrag zur Umsatzsteuer genau so vor anderthalb Jahren hier im Deutschen Bundestag schon mal
diskutiert haben. Ich habe mir gerade die Rednerliste angeschaut und sie mit dem Protokoll verglichen. Wir sprechen alle wieder, jedenfalls die, die damals mit
dabei waren.
({3})
Das Ergebnis wird am Schluss nicht anders sein: Wir lehnen diesen Antrag ab.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kollegen der AfD, Sie haben letztlich kein wirkliches Interesse an der inhaltlichen Arbeit, an der
Kärrnerarbeit, die zur Arbeit hier im Deutschen Bundestag dazugehört,
({4})
dass man sich mal mit Experten zusammensetzt, dass man mal die Fachliteratur liest, dass man auch mal durchrechnet, was es im Einzelnen bedeutet. Das
sieht man daran, dass Sie uns hier einfach diesen Copy-and-paste-Antrag vorlegen. So geht es nicht. Das ist unseriös.
({5})
Ich frage mich auch, wo Sie die letzten Wochen waren. Wir haben doch das Thema Kinderfreibetrag gerade erst vor wenigen Wochen diskutiert. In der
Debatte über das Inflationsausgleichsgesetz hätten Sie doch zum Beispiel den Änderungsantrag über eine Erhöhung des Kinderfreibetrages auf die Höhe des
Grundfreibetrages einbringen können. Das haben Sie nicht gemacht.
({6})
In der letzten Woche war Haushaltswoche. Wo waren eigentlich Ihre Anträge, Ihre Vorschläge, das Ganze hier zu finanzieren? Die haben wir auch nicht
gesehen.
({7})
Insofern: kein Interesse an inhaltlicher Arbeit. Es ist unseriös, wie Sie hier agieren.
({8})
Bei einem weiteren Punkt hat der Kollege Schrodi recht: Wenn man die beiden Anträge vergleicht, dann fällt auf, dass es einen großen Unterschied gibt:
Sie haben nämlich diesmal nicht reingeschrieben, was Ihr Vorhaben eigentlich kostet. Das kostet 67,3 Milliarden Euro.
({9})
Wenn man das Kindergeld noch dazunimmt, sind wir wahrscheinlich bei 70 Milliarden Euro, die diese Maßnahme kostet.
({10})
Da ist es ja nochmals völlig unseriös, wenn Sie sagen: Na ja, dann sollen die Ministerien mal eine Prioritätenliste von Platz eins bis Platz zehn
machen, und dann gucken wir, was wir rausstreichen. Also, Leute, der Haushaltsgesetzgeber, das sind doch wir! Der Haushalt wird in diesem Plenarsaal
verabschiedet. Da müssen Sie doch mal selber Vorschläge machen, wie Sie die 67 Milliarden Euro zusammenkriegen.
({11})
Also auch hier: unseriös.
({12})
Dann stellt sich ja tatsächlich auch die Frage: Ist es am Ende des Tages wirklich so monokausal, dass die Entscheidung für Kinder nur am Steuerrecht
hängt? Das glaube ich nicht.
({13})
Es gibt sehr viele andere Aspekte, beispielsweise die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Da haben wir, glaube ich, einiges zu tun.
({14})
Es geht auch um den Bereich der Kitas. Wir haben viel zu wenige Erzieherinnen und Erzieher in Deutschland.
({15})
Wir hatten vor wenigen Tagen Vorlesetag; viele von Ihnen werden auch in Ihren Kitas gewesen sein und vorgelesen haben. Ich habe mit den Kollegen vor
Ort gesprochen: Wir haben zu wenig. Da sind die Bundesländer absolut gefragt, hier endlich mal mehr zu tun.
({16})
Ich sage das auch als Rheinland-Pfälzer. Da wurde in einem Gesetz – Kita-Zukunftsgesetz hat sich das genannt – mehr Leistung versprochen. Es wurden
aber nicht mehr Erzieherinnen eingestellt, die den Bedarf ja auch abdecken müssen. Die Erzieherinnen in Deutschland sind am Limit. Die Eltern sind auf der
Straße und demonstrieren. Deswegen rufen wir auch den Bundesländern zu: Macht da endlich mehr!
Das gilt aber auch da, wo wir gefragt sind, hier im Deutschen Bundestag. Manche Programme für Kitas haben wir ja auch verabschiedet – Thema
Sprach-Kitas. Das Programm wollten Sie zuerst überhaupt nicht verlängern. Jetzt ist es in den Haushaltsverhandlungen noch bis Mitte des nächsten Jahres
verlängert worden.
({17})
Viele Sprachförderkräfte sind mittlerweile aus den Kitas abgewandert; das berichten uns die Fachkräfte aus der Praxis. Das war sehr schlecht, was die
Ampel an dieser Stelle gemacht hat.
({18})
Dann hören wir, dass Politikfelder an verschiedenen Stellen feministisch durchdekliniert werden: Von feministischer Außenpolitik, feministischer
Wirtschaftspolitik und Steuerpolitik haben wir letztens gehört. Jetzt haben wir gesehen, dass die Familienministerin Paus den Vaterschaftsurlaub nach der
Geburt, der ja eine bessere Verteilung zwischen Vater und Mutter ermöglichen soll, jetzt noch mal schiebt. Der kommt jetzt nicht 2023, wie von der EU gefordert,
sondern erst ab 2024.
({19})
So geht es nicht. Wo ist da eigentlich die feministische Familienpolitik dieser Ampel? Ich sehe sie nicht.
Letzter Punkt. Bei der Frage, sich für eine Familie zu entscheiden, ist ein ganz wichtiger Punkt auch das Thema Wohneigentum. Die beim Wohneigentum
jetzt schon absehbare Bilanz der Ampel für die nächsten Jahre ist desaströs.
({20})
Sie wollten jedes Jahr 400 000 neue Wohnungen schaffen.
({21})
Dieses Jahr sind es 250 000, nächstes Jahr wahrscheinlich nur 200 000. Für 2024 werden weniger als 200 000 prognostiziert. Das heißt, eines der
zentralen Versprechen von Kanzler Olaf Scholz wird jetzt schon gebrochen. Das ist die Politik der Ampel.
({22})
Ganz zum Schluss: Wir lehnen diesen Antrag natürlich ab.
({23})
Er enthält nichts Neues. Wir freuen uns auf die Diskussion im Finanzausschuss.
({24})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Richtig ist: Familien leiden besonders unter der aktuellen
Situation, unter den hohen Inflationsraten. Deswegen reagieren die Bundesregierung und wir als Ampelfraktionen darauf und entlasten die Familien in der Krise
gezielt durch die Anhebung des Kindergeldes auf 250 Euro für alle kindergeldberechtigten Kinder ab dem kommenden Jahr, durch die ebenfalls im
Inflationsausgleichsgesetz angepassten Kinderfreibeträge rückwirkend ab 2022, durch den Kinderbonus in Höhe von 100 Euro in diesem Jahr, durch 20 Euro im Monat
für von Armut betroffene Kinder als Kindersofortzuschlag und auch durch im Zuge der Einführung des Bürgergeldes gestiegene Regelsätze für Kinder.
Ganz aktuell: Im Jahressteuergesetz steht morgen die Anhebung des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende um 252 Euro auf 4 260 Euro zur
Abstimmung.
({0})
Parallel arbeiten wir an einer Steuergutschrift für diesen Personenkreis. Rund 20 Prozent der Kinder in Deutschland werden bei Alleinerziehenden groß;
das ist also gewiss kein Nischenthema. Wir werden diese Eltern in die Lage versetzen, ihre Familien zu ernähren.
({1})
Das sind Entlastungen, die wir schon auf den Weg gebracht haben und auf den Weg bringen werden. Das sind Entlastungen, die gebraucht werden. Das sind
Entlastungen, die ankommen und die schließlich helfen.
Jetzt kommt die AfD mit dem Antrag zum Familiensplitting und will uns ein Familiensplitting im Einkommensteuertarif unterjubeln, als Maßnahme, um
Familien zu unterstützen bzw., wie ich im Antrag lese, wohl auch, um die Geburtenrate zu erhöhen. Also, die Zahl der Geburten in Deutschland in den letzten
Jahren liegt laut Statistischem Bundesamt konstant bei über 700 000 Geburten im Jahr und ist eher gestiegen – aber gut.
({2})
– Auf diesen Zwischenruf habe ich gewartet. Danke. Er zeigt Ihr Menschenbild.
Was genau würde so ein Familiensplitting denn bewirken? Wer profitiert davon? Ist das eine Maßnahme, die Familien zielgerichtet entlasten soll? Das
DIW hat dazu schon 2013 festgestellt, dass die hohen Kosten einer solchen Maßnahme in keinem Verhältnis zum geringen Nutzen für die Familien, die von dieser
Maßnahme profitieren sollen, und zu den politischen Zielen stehen. Das gilt auch heute noch.
Die Kindergrundsicherung, die unsere Fortschrittskoalition auf den Weg bringen wird, ist die eindeutig effektivere Maßnahme, um Kindern aus Familien
mit geringen Einkommen zu besseren Startchancen und mehr Chancengleichheit zu verhelfen. So viele Jahre haben wir dafür gekämpft. Ich freue mich darauf.
({3})
Hinzu kommt: Das Familiensplitting folgt dem Ehegattensplitting. Damit kann diese Debatte auch nicht geführt werden, ohne darauf hinzuweisen, dass die
Idee des Ehegattensplittings auf dem aus der Zeit gefallenen Leitbild der klassischen Alleinverdienerehe basiert, da so die traditionelle Arbeitsteilung und
innerfamiliäre Rollenzuweisung steuerlich subventioniert werden.
({4})
Seit vielen Jahren setzt sich meine Fraktion dafür ein, dass das Ehegattensplitting für künftige neugeschlossene Ehen zugunsten einer
Individualbesteuerung mit übertragbarem Freibetrag entfallen soll Das würde der heutigen Lebenswirklichkeit viel besser entsprechen und Menschen deutlich mehr
Freiheiten in Bezug auf ihr gewünschtes Lebensmodell geben.
({5})
Im Koalitionsvertrag konnten wir uns leider noch nicht auf diese grundlegende Reform einigen. Ich glaube, die Zeit dafür wäre reif. Was wir aber in
dieser Koalition angehen werden und was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, ist, dass wir für den Lohnsteuerabzug die Steuerklassen III und V in das
Faktorverfahren der Steuerklasse IV überführen werden. Das hebt die starke Benachteiligung gerade von Frauen bei Lohnersatzleistungen auf. Eigenständige
Existenzsicherung als Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben von Frauen und Männern ist noch ein entferntes Ziel, das diese Koalition mit ihrer
Gleichstellungsstrategie aber angeht.
Familien brauchen viel mehr als nur Geld. Sie brauchen unter anderem flexible Arbeitszeitmodelle. Auch ich denke, dass wir dahin kommen müssen, dass
beispielsweise eine 30-Stunden-Woche irgendwann in der nicht allzu fernen Zukunft für Eltern von Kleinkindern ein Leitbild wird und für kein Elternteil als
Karrierehindernis gilt. Mehr als 60 Stunden bezahlte und unbezahlte Arbeit verrichten die Eltern kleiner Kinder jüngsten Erhebungen zufolge. Das zeigt, dass
diese Idee einer kürzeren Erwerbsarbeitszeit pro Woche nicht nur Utopie sein darf.
({6})
Und ja, das sagt sich leicht am Redepult dieses Hohen Hauses, und diese Forderung klingt angesichts der Realität in der Politik, die nun wirklich
keine familienfreundlichen Arbeitszeiten kennt und von diesem Leitbild sehr weit entfernt ist, aus dem Mund eines Abgeordneten zugegebenermaßen auch ein Stück
weit paradox. Auch uns Politikerinnen und Politikern täte ein Perspektivwechsel hier wirklich gut.
({7})
Was noch nötig ist, ist, das Caresystem massiv auszubauen. Dazu gehört eine gute und flächendeckend verfügbare Kinderbetreuung. Leider hat gerade mein
Bundesland Bayern hier erheblichen Nachholbedarf. Die Bertelsmann-Stiftung hat erst vor wenigen Wochen ihren Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme 2022
veröffentlicht, und sie kommt darin zu dem Schluss, dass insbesondere in Bayern erheblicher Handlungsbedarf besteht. Die Zahlen sind alarmierend. Es müssten
demzufolge 61 900 Plätze geschaffen werden, um den Rechtsanspruch für alle Kinder, deren Eltern einen Betreuungsbedarf haben, erfüllen zu können. Und laut dem
aktuellen Fachkräfte-Radar für KiTa und Grundschule der Stiftung sieht es für das Ganztagsangebot an Grundschulen auch nicht gerade gut aus. Hier rechnet sie
mit einer erheblichen Fachkräftelücke bei der Kinderbetreuung. Das erfordert dringend einen Perspektivwechsel. Hier müssen wir einfach besser werden.
Noch einmal: Nicht alle Menschen haben die gleichen Bedürfnisse; aber Familien in all ihrer Unterschiedlichkeit verdienen unseren Respekt und unsere
Unterstützung.
Zurück zum Antrag der AfD. Er greift zu kurz, er ist nicht finanzierbar, er setzt auf ein untaugliches Instrument, und vor allem atmet er den Geist
eines überholten Familienbildes. Wir werden diesen Antrag ablehnen.
({8})
Für die Fraktion Die Linke hat Janine Wissler das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die AfD fordert ein Familiensplitting im Steuerrecht, angeblich, um die Kinderarmut zu bekämpfen. Das ist
natürlich ein ziemlicher Unsinn; denn durch das Splitting profitieren in erster Linie Besserverdienende, es profitieren nicht Menschen, die zu Niedriglöhnen
arbeiten oder die so wenig verdienen, dass sie unter den Grundfreibetrag fallen. Sie zahlen nämlich sehr wenige Steuern oder gar keine Steuern, wenn ihr
Einkommen unter dem Grundfreibetrag liegt. Das heißt, sie würden dann auch nicht von Entlastungen profitieren. Die Menschen im Sozialleistungsbezug profitieren
natürlich erst recht nicht.
({0})
Ich will das Prinzip des Splittings und seine Verteilungswirkungen kurz erläutern: Beim Ehegattensplitting werden die Einkünfte der Ehepartner
zusammengerechnet und gemeinsam besteuert. Wenn ein Partner gar kein Einkommen hat und der andere 30 000 Euro im Jahr verdient, dann werden also beide so
besteuert, als würden sie jeweils 15 000 Euro jährlich verdienen.
({1})
Die Lohnsteuer für beide zusammen beträgt dann ungefähr 110 Euro pro Jahr. Ohne den Splittingvorteil würde der eine Partner aber gar keine und der
verdienende Partner über 3 000 Euro Lohnsteuer zahlen.
({2})
Das heißt, die Ehepartner sparen durch das Splitting etwa 3 000 Euro Steuern pro Jahr. Und das kann man bei einem Jahreseinkommen von 30 000 Euro auch
ganz gut gebrauchen.
({3})
Ungerecht wird es aber eben dann, wenn der eine Partner wenig oder gar nichts verdient und der andere ein Spitzeneinkommen hat.
({4})
Denn ein solches Ehepaar spart eben nicht 3 000 Euro, sondern bis zu 17 700 Euro Steuern.
({5})
Das ist alles andere als gerecht. Das ist schlicht die Verschwendung von Steuergeld; denn ein Konzernchef und seine nichtverdienende Ehefrau brauchen
diese Steuerersparnis nicht, meine Damen und Herren.
({6})
Es gibt auch gar keinen vernünftigen Grund, Menschen steuerlich zu fördern, nur weil sie geheiratet haben. Und es gibt erst recht keinen vernünftigen
Grund, ein Lebensmodell steuerlich zu fördern, bei dem der Mann sehr viel und die Frau wenig oder nichts verdient, weil sie nicht arbeiten geht und sie von
ihrem Mann immer wieder erklärt kriegt, sie solle auch nicht arbeiten gehen, weil sich das aufgrund des Splittings sowieso nicht lohne.
({7})
Das programmiert Altersarmut vor, das schafft ökonomische Abhängigkeiten. Deshalb sehen wir das Ehegattensplitting grundsätzlich als Problem, meine
Damen und Herren.
({8})
Der AfD gefällt es natürlich, weil die Alleinverdienerehe zu ihrem reaktionären Frauen- und Familienbild passt.
({9})
Die Ungerechtigkeiten, die damit verbunden sind, wollen Sie jetzt weiter ausbauen, indem Sie reiche Familien steuerlich noch stärker entlasten.
({10})
Mit dem Kampf gegen Armut und erst recht mit dem Kampf gegen Kinderarmut hat das, was Sie hier machen, überhaupt nichts zu tun.
({11})
Das Familiensplitting ist der völlig falsche Weg im Kampf gegen Armut. Was wir brauchen, sind doch keine weiteren Steuererleichterungen für
Besserverdiener; was wir brauchen, ist eine Kindergrundsicherung. Das ist der richtige Weg.
({12})
Die Förderung von Kindern hat im Steuerrecht doch überhaupt nichts verloren. Sonst bleibt es ewig bei dem Prinzip, dass Kinder reicher Familien
steuerlich mehr gefördert werden als Kinder in armen Familien. Und die Kindergrundsicherung funktioniert genau so nicht. Deswegen fordern Sozialverbände,
Gewerkschaften, andere gesellschaftliche Akteure und wir als Linke eine eigenständige Kindergrundsicherung. Das hat ja auch Eingang in den Koalitionsvertrag
gefunden und harrt noch seiner Umsetzung.
({13})
Nötig ist genau das, nämlich ein deutliches höheres Kindergeld von etwa 330 Euro pro Monat und darüber hinaus für ärmere Familien eine Erhöhung dieses
Betrags auf 630 Euro.
({14})
Damit wären die Kinder auch endlich raus aus diesem ganzen Hartz‑IV-Drangsalierungssystem, das ab nächstem Jahr „Bürgergeld“ heißt.
Meine Damen und Herren, Kinder und Familien brauchen eine gesicherte finanzielle Basis. Sie brauchen aber auch Kitas und Schulen, wo nicht ein Viertel
der Betreuung ausfällt, weil es an Personal fehlt. Armut bekämpft man durch Tariftreue, durch höhere Mindestlöhne und durch höhere Sozialleistungen.
({15})
Was Familien brauchen, ist Arbeitszeitverkürzung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
({16})
durch den Ausbau von Ganztagsschulen und Kitabetreuung – alles Dinge, gegen die die AfD immer gestimmt hat, meine Damen und Herren.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Mein letzter Satz, Frau Präsidentin. – Es geht der AfD eben nicht um Armutsbekämpfung; es geht ihr um die Rückkehr zu einem Familien- und Frauenbild
aus den 50er-Jahren und seine Zementierung.
Vielen Dank.
({0})
Der nächste Redner in der Debatte ist Markus Herbrand, FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit den vorliegenden Anträgen – es handelt sich ja um
zwei Anträge – beweist die AfD wieder einmal ihr besonderes Interesse an sehr wohlklingenden Forderungen. Alles wird der schnellen Schlagzeile untergeordnet.
Dabei hätten Sie vor allem beim zweiten Antrag im Hinblick auf die Mehrwertsteuersenkung auch die Möglichkeit gehabt, sich einmal mit konkreten Vorschlägen in
die politische Diskussion einzubringen.
({0})
Stattdessen wird in beiden Anträgen monokausal auf den Kostenfaktor Kind verwiesen:
({1})
Kinder seien ein finanzielles Risiko, das sich niemand mehr leisten könne, und in der Folge sinke die Geburtenrate in unserem Land. Worum es Ihnen
eigentlich geht, haben Ihr Redebeitrag hier und auch die Begründungen in beiden Anträgen noch einmal gezeigt: Sie wollten mal wieder die Migration
thematisieren
({2})
und auch Ihre kruden Thesen zu irgendwelchen Reproduktionsraten loswerden.
({3})
Unser Menschenbild ist ein völlig anderes:
({4})
Kinder werden nicht aus finanziellen Gründen geboren, sondern weil Mann und Frau sich wünschen, ihre gemeinsame Liebe an ein oder mehrere Kinder
weitergeben zu wollen. Es sind Liebe, Verantwortungsbewusstsein und die Zuversicht auf eine tolle gemeinsame Zeit, die den Kinderwunsch nähren, und nicht ein
Kontostand.
({5})
Selbstverständlich gehört zu dieser Verantwortung aber auch, dass man die finanziellen Belastungen beachtet. Kinder kosten Geld, Kinder kosten sogar
viel Geld.
({6})
Diese Erkenntnis ist aber nicht neu. Das festzustellen, dafür bedarf es der Anträge der AfD nun wirklich nicht. Ebenso klar wie die Tatsache, dass
Kinder Geld kosten, ist aber auch, dass wir in unserem Land massive Anstrengungen unternehmen, um sowohl die finanziellen als auch sonstige Belastungen für
Eltern bestmöglich abzufedern.
({7})
Aus der langen Liste staatlicher Leistungen auf Bundes- und Landesebene seien jetzt nur exemplarisch die kostenlose Mitversicherung im
Gesundheitswesen, die an die Einkommensverhältnisse angepassten oder zum Teil gänzlich abgeschafften Kitagebühren und das Kindergeld genannt. Es wurde schon
erwähnt, dass wir dessen deutliche Erhöhung gerade erst beschlossen haben. Ab Januar 2023 steigt das Kindergeld so stark wie noch nie, auf einheitlich 250 Euro
pro Monat und Kind.
({8})
Diese und andere Aufwendungen in Milliardenhöhe mögen manchem zu gering erscheinen. Allerdings ist die Ausfinanzierung beliebig vieler Kinder auch
nicht unbedingt Aufgabe des Staates und der Gesellschaft. Wir müssen und wollen in den Fällen unterstützen, in denen Hilfe notwendig ist, um Kindern und Eltern
ein chancenreiches und freies Leben zu ermöglichen; denn bei allem Unsinn, den die AfD in ihren Anträgen schreibt, hat sie doch in einer Sache recht: Kinder und
uns nachfolgende Generationen sind die Zukunft unseres Landes. Sie sind der unverzichtbare Eckpfeiler für die Tragfähigkeit unserer Sozialsysteme, von der Rente
bis zur Gesundheitsversorgung.
({9})
Staat und Gesellschaft müssen daher unbedingt dafür Sorge tragen, dass die Kinder Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten erhalten und am Ende einen
Beitrag zum Fortbestand unseres Landes leisten können.
({10})
Diesem Anspruch werden Bund, Länder und Kommunen bei aller Kritik an den bestehenden Strukturen seit Jahrzehnten bereits gerecht.
({11})
Aber gesellschaftliche Rahmenbedingungen verändern sich, und deshalb muss der Staat reagieren. Deswegen hat die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag
vereinbart, eine Kindergrundsicherung auf den Weg zu bringen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter zu erleichtern. Unter anderem werden wir die
Steuerklasse 5 abschaffen.
({12})
Zum zweiten Antrag, zur von der AfD geforderten Mehrwertsteuersenkung für Kinderartikel, kann ich jetzt nicht mit einem sinnvollen Gegenentwurf der
Ampel dienen, und zwar deswegen, weil dieser Vorschlag wirklich jenseits von Gut und Böse ist. Schon die Frage der Abgrenzung, was unter „‚Artikel des
Kinderbedarfsʼ und diesbezügliche Dienstleistungen“ fällt, ist maximal herausfordernd. Ist die Kinderschokolade schon dabei?
({13})
Kann der Geigenunterricht auch von Erwachsenen wahrgenommen werden?
({14})
Ab welcher Größe sind T-Shirts nur für Kinder nutzbar, und wann wird es auch noch für modebewusste Erwachsene interessant?
({15})
Speziell die zweite Initiative hätten Sie wirklich besser in Ihren prallgefüllten Peinlichkeitenordner einsortieren sollen.
({16})
Der Antrag zum Familiensplitting ist weder ausgereift, noch wird er dem gerecht, was in Deutschland schon geschieht. Über das hinaus, was wir heute
schon für Familien leisten, werden wir als Ampel weitere Dinge aus dem Koalitionsvertrag umsetzen, –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– damit die Modernität in unserer Gesellschaft und in der Verwaltung bei den Familien noch besser ankommt. Diese Anträge sind selbstverständlich
abzulehnen.
Herzlichen Dank.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Und vor allem: Liebe Familien! Vorab erst mal: Liebe SPD, lieber Herr Schrodi, seit 100 Jahren
regiert die SPD in diesem Land mit, und das Ergebnis ist, dass jedes fünfte Kind in Armut lebt.
({0})
Schreiben Sie sich das mal hinter die Ohren!
Deutschlands Wirtschaft hat sich in den letzten 60 bis 80 Jahren an ständige Zuwanderung gewöhnt. Zuerst kamen 14 Millionen Deutsche als
Kriegsflüchtlinge aus dem Osten. Dann sorgte die DDR bis 1961 für ständigen Zustrom gut ausgebildeter Leute. Nach dem Mauerbau war damit Schluss, und man
begann, bei anderen Völkern nach Arbeitskräften zu suchen. Italiener, Spanier, Griechen, Türken, Jugoslawen und viele andere kamen.
({1})
Nach der Maueröffnung ging das Ganze mit den Osteuropäern weiter, und es wurden alle, die mal irgendeinen Deutschen im Stammbaum hatten, ins Land
geholt.
({2})
Ab 2015 hat man die Staatsgrenzen aufgegeben und Syrer, Afghanen und Nordafrikaner in Massen hereingelassen.
({3})
In der Tendenz wurden die Zuwanderer immer kulturferner. In dieser langen Zeit haben die Deutschen verlernt, genügend eigene Kinder zu bekommen und
aufwachsen zu lassen.
({4})
Heute haben fast 40 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund. Eine Gesellschaft, die so viel Zuwanderung zulässt, entwickelt sich nicht mehr.
Nein, sie wird von außen verändert.
({5})
Die propagierte Lösung der alten Parteien besteht darin, einfach weiter alle reinzulassen und dann zu hoffen, dass die benötigten Fachkräfte unter den
massenhaft Zugewanderten sind.
({6})
Wir sollen also einfach die Kinder und Jugend von anderen Völkern wegnehmen, damit diese für uns arbeiten. Wir nehmen also anderen Ländern die
Fachkräfte aus völlig egoistischen Gründen weg.
({7})
Diese Politik ist – man muss es so sagen – parasitär. Fakt ist: Es kommen mehrheitlich keine Fachkräfte, sondern Profiteure unseres Sozialstaates.
({8})
Eine Frage wurde fast nie gestellt: Warum haben wir in Deutschland eigentlich zu wenig Kinder?
({9})
Das ist ganz einfach zu erklären: Kinder sind in einer industriellen Eigentumsgesellschaft für den Erwerb von Eigentum und Geld eher hinderlich, da
für sie Geld, Zeit und andere Ressourcen benötigt werden. Kinder sind in einem Sozialstaat mit Rentenversicherung, a) eine Einkommensquelle für die
transferabhängige Unterschicht, b) ein finanzielles Risiko für die Mittelschicht und c) kein Problem für die Oberschicht. In der Unterschicht haben wir
inzwischen Hartz-IV-Dynastien mit vielen Kindern, die Mittelschicht verzichtet häufig aus finanziellen Gründen auf ein zweites und drittes Kind, und die
Oberschicht bekommt so viele Kinder, wie sie möchte.
({10})
Die Lösung der Alternative für Deutschland ist eine humane Alternative zum parasitären Menschendiebstahl der alten Parteien.
({11})
Die Lösung heißt: mehr Kinder. Daher wollen wir mit unseren Anträgen zum Familiensplitting Familien mit zwei und drei Kindern finanziell
besserstellen –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– als die Lebensmodelle „Single“ und „zwei Verdiener ohne Kinder“.
Herr König, kommen Sie bitte zum Schluss. Letzter Satz.
Ich komme zum Schluss. – Wenn uns in der Familienpolitik keine Kehrtwende gelingt, dann hat Thilo Sarrazin recht gehabt, und Deutschland schafft
sich ab.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort Leni Breymaier.
({0})
Danke. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer drei Kinder hat und 100 000 Euro im Jahr bekommt, zahlt keine Steuern mehr. – Hört
sich nett an, ist aber hinterhältig.
({0})
Die AfD missbraucht den Begriff „Familie“, um die Gleichberechtigung zu untergraben.
({1})
Sie will das Ehegattensplitting erweitern und nennt dies wohlklingend „Familiensplitting“. Neu ist das nicht wirklich. Es folgt natürlich, ohne
irgendeine Nähe zu vermuten, total zufällig der nationalsozialistischen Ideologie, mithilfe von Steuerpolitik Frauen aus dem Erwerbsleben fernzuhalten.
({2})
Die Worte, die Sie in Ihren Reden benutzen, unterstreichen das auch. Das kommt aus der rechten Ecke alle paar Jahre hoch wie das Ungeheuer von Loch
Ness – von ganz unten.
({3})
Mit Berücksichtigung der wechselseitigen Unterhaltsverpflichtung wollen wir das Ehegattensplitting abschaffen, weil es die Partnerin – in aller
Regel – mit geringerem Einkommen geradezu motiviert, keiner bezahlten und sozialversicherten Erwerbsarbeit nachzugehen. Es unterstützt das überholte
Familienbild: Die Frau kümmert sich um Kinder, Küche und manchmal auch noch um Kirche.
Frau Breymaier, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gottschalk aus der AfD-Fraktion?
Nein.
({0})
Da viele Leute keine Einkommen- bzw. Lohnsteuer zahlen, weil sie schlicht zu wenig Lohn haben, würde ihnen eine weitere Steuersenkung durch ein
Familiensplitting eben nicht helfen. Für hohe Einkommen wäre es aber eine deutliche und spürbare Steuersenkung. Allerdings würde sich der fiskalische Effekt,
also Steuermindereinnahmen, mit dem dann fehlenden Geld für Betreuung – Krippe, Kita, Schulen usw. – kreuzen. Wir haben es gehört: Über 67 Milliarden würden
dafür fehlen. Und am Ende würde noch verstärkt, was jedenfalls wir nicht wollen: Kinder und Frauen bleiben zu Hause. Das ist der eigentliche Hintergrund des
AfD-Antrags. Das ist alles ziemlich durchschaubar.
In Deutschland werden Ehepaare derzeit gemeinsam besteuert. Dadurch entsteht ein Splittingvorteil, der umso größer ist, je weiter die Einkommen
auseinanderliegen. Ich war letzte Woche bei einem Vortrag von Professor Marcel Fratzscher beim Deutschen Frauenrat. Er hat glasklar dargestellt, wie sich die
Elemente der gemeinsamen Besteuerung, also auch unser Ehegattensplitting,
({1})
in den Einkommensteuergesetzen von 17 europäischen Ländern und auch der USA auswirken: Je mehr gemeinsam besteuert wird, desto weniger
Erwerbsarbeitsstunden haben die Frauen. Das sind zum Beispiel in Belgien 339 Stunden und in Deutschland 279 Stunden weniger im Jahr. In Ländern, die kein oder
wenig Splitting haben, sieht es hingegen anders aus: In Norwegen sind es 38 Stunden und in Schweden null Stunden. Alleine durch das Ehegattensplitting arbeiten
die Frauen hierzulande fast 280 Stunden weniger im Jahr.
({2})
Was das für den Arbeitsmarkt, für den Fachkräftemangel, für den Arbeitskräftemangel heißt, muss ich hier wohl nicht erklären.
({3})
Aber was ich schon erklären will, ist, was das für die Renten der Frauen heißt: In Estland beträgt die Rentenlücke von Frauen und Männern 2 Prozent,
in Dänemark 7 Prozent, in Großbritannien 34 Prozent und in Deutschland 37 Prozent.
({4})
Das sind auch Auswirkungen dieser Steuersplittinggesetzgebung.
({5})
Deshalb können wir froh sein, wenn wir hier ein paar Zuwanderinnen und Zuwanderer haben,
({6})
die auch mal unsere Renten zahlen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. Es bringt uns hier nicht weiter, Reiche zu bevorzugen. Wir sind auf dem
richtigen Weg mit dem Recht auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule, mit der Erhöhung des Kindergeldes, mit der Beibehaltung der Kinderfreibeträge, mit der
Kindergrundsicherung. Das sind die Themen, an denen wir arbeiten. Das sind die Themen, die Familien vorwärtsbringen.
({7})
Familiensplitting, das hört sich nett an. Aber nett ist halt doch nur die kleine Schwester von … Sie wissen schon.
({8})
Wir wollen mit dem Steuerrecht Einkommen möglichst gerecht besteuern und nicht Rollen verteilen. Es ist also klar, dass wir den Antrag ablehnen, wie
letztes Mal. Künftig können wir die Reden von der AfD aus dem letzten Protokoll kopieren und einfügen. Dann könnten wir uns viel Zeit ersparen.
({9})
Zu einer kurzen Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Kay Gottschalk.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Breymaier, wenn ich den Begriff aus Ihrer Rede aufnehmen darf: Ihre Rede war nett. Aber Lesen bildet; das gilt
auch für die Sozialdemokraten. Wo steht in diesem Antrag, bei dem wir von einem Splitting bzw. einer Zusammenveranlagung von Eheleuten ausgehen, dass wir nicht
wollen, dass Frauen arbeiten gehen? Wir wollen natürlich, dass Frauen arbeiten gehen.
({0})
Aber wir wollen – und das ist der Punkt –, dass sich Menschen, die beide erwerbstätig sind, noch Kinder leisten können.
Bei Ihrer Klientel in Baden-Württemberg liegt das Durchschnittseinkommen bei etwa 49 000 Euro im Jahr. Würden Sie sagen, das ist reich? Und ist jemand
wirklich reich, wenn er drei Kinder hat? Wir haben gesagt – das haben Sie auch weggelassen –: Ab dem dritten Kind sind 100 000 Euro zu versteuerndes Einkommen
freizustellen. Das haben wir gesagt, nichts anderes. Wissen Sie, was bei mir in NRW für Familien oder Menschen, die sie bezogen auf ihr Durchschnittseinkommen
als reich bezeichnen, ein Kitaplatz kostet? 431 Euro im Monat. Das kostet ein Kitaplatz durchschnittlich für Menschen, die arbeiten. Das sind mehr als
8 000 Euro im Jahr.
Eigentlich sind Sie hier die Spalter. Sie wollen wahrscheinlich in Wirklichkeit gar keine Kinder von Menschen, die arbeiten gehen.
({1})
Und die Selbstständigen, die Steuern zahlen und Ihrer Klientel – die, als deren Vertreter Sie sich so gerne gerieren, was Sie gar nicht mehr sind –
Arbeitsplätze anbieten, sind auch Menschen, die Erwerbseinkommen erzielen, wenn auch eine andere Einkommensart.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Gottschalk.
Ich glaube, das haben Sie vergessen. Und Sie haben auch vergessen, dass wir nach dem neuesten OECD-Bericht die höchste Steuer- und Abgabenlast
haben.
({0})
Da ist es an der Zeit, mal die Menschen zu entlasten, die zur Arbeit gehen, verdammt noch mal, damit sie sich – mein Kollege hat es gesagt – auch
Kinder leisten können. Und das hat nichts, verehrte Kollegin, –
Herr Gottschalk, kommen Sie bitte zum Schluss.
– mit dem zu tun, was Sie hier fabuliert haben. Insoweit bleibe ich dabei: Ihr Vortrag war nett, das war es aber auch.
({0})
Frau Breymaier, Sie haben die Möglichkeit, zu antworten.
Herr Gottschalk, es ist schon blöd, wenn man von seiner Fraktion keine Redezeit bekommt und dann Kurzinterventionen nutzen muss, um das
rauszublasen, was man die ganze Zeit sagen wollte.
({0})
Aber was ich Ihnen sagen will, ist: Steuern steuern. Was wir mit der Steuergesetzgebung machen, hat nicht nur Auswirkungen auf die Geldbeutel der
Menschen,
({1})
sondern auch Auswirkungen darauf, wie die Menschen ihr Leben gestalten, in welcher Form sie erwerbstätig sind, mit wie viel Stunden sie erwerbstätig
sind.
({2})
Das Ehegattensplitting führt doch dazu – und das von Ihnen vorgeschlagene Familiensplitting würde noch mehr dazu führen –, dass der Mann mit seinem
höheren Einkommen in Vollzeit arbeiten geht und die Frau nicht.
({3})
Steuern steuern. Die Frauen verdienen nicht mehr als die Männer, jedenfalls nicht im Schnitt. Der Gender Pay Gap liegt bei uns immer noch bei
18 Prozent.
Den Rest beim nächsten Mal. Ich mache hier mit Ihnen keine Nebendebatte auf.
({4})
Für die Unionsfraktion hat das Wort der Kollege Sebastian Brehm.
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für uns ist die Familie, bestehend aus Eltern und Kindern, aber auch alleinerziehenden
Müttern und Vätern, die wichtigste Grundlage unserer Gesellschaft und die Voraussetzung für das Gelingen unserer Zivilgesellschaft.
({0})
Deswegen legen wir als CDU und CSU nicht umsonst besonderen Wert auf eine christliche Prägung der Politik, die Familie als Kern ansieht.
Liebe Kollegen von der SPD, Michael Schrodi, Frau Breymaier, oder auch von den Grünen, Sascha Müller, es steht uns, glaube ich, nicht zu,
vorzuschreiben, wie die Familien entscheiden,
({1})
oder despektierlich darüber zu sprechen, wenn eine Mutter Hausfrau ist.
({2})
Die Familien müssen immer noch eine eigene Entscheidung treffen können,
({3})
wie sie ihr Miteinander in der Familie, die Arbeitsaufteilung und auch die Einkommensaufteilung gestalten.
({4})
Deswegen: Keine klaren politischen Vorgaben, was zu tun ist! Das ist die Freiheit der Familien. Da kann man nicht sagen: Das ist ein althergebrachtes
Modell, das ist ein Old-Fashion-Modell.
({5})
Die Familien entscheiden, und das ist richtig. Wichtig ist, dass die Kinder gut aufwachsen. Das ist das Ziel.
Im AfD-Antrag steht ja, Kinder seien ein Kostenfaktor. Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen: Kinder sind ein wunderbares Geschenk, ein wahrer
Luxus und kein Kostenfaktor.
({6})
Das ist eine falsche Betrachtungsweise. Wir müssen uns darum kümmern und alle Wege, die die Familien beschreiten, unterstützen, damit Kinder
aufwachsen, Bildung haben und gut in die Gesellschaft kommen.
Während ich auf die Zusendung dieses Antrags gewartet habe, habe ich im Drucksachenarchiv mal nach einem ähnlichen Antrag der AfD gesucht.
({7})
Ich musste feststellen: Täglich grüßt das Murmeltier. So wie Die Linke immer den Antrag zur Vermögensteuer stellt,
({8})
so kommen Sie immer wieder mit dem Antrag zum Familiensplitting.
({9})
Doch beide Anträge werden durch permanente Wiederholung nicht unbedingt besser.
({10})
Es ist übrigens auch nicht viel substanziell Neues dazugekommen. Sie haben ein Gutachten aus dem Jahr 2013 als Studie herangezogen. Es gibt also keine
neuen Fakten, die es wert wären, über das Thema, was durchaus interessant ist, zu sprechen.
In Deutschland haben wir ein funktionierendes System aus Ehegattensplitting, Grundfreibetrag, Kinderfreibetrag und Kindergeld. Wenn man sich Ihren
Antrag zum Familiensplittingmodell näher anguckt, stellt man fest, dass Sie es ein Stück weit mit Frankreich vergleichen. In Frankreich wird für die ersten zwei
Kinder ein Splittingfaktor von 0,5 angesetzt. Eine vierköpfige Familie hat also einen Splittingfaktor von 3. Und für jedes weitere Kind wächst der
Splittingfaktor um 1. Schaut man aber in die Statistik und vergleicht die Entlastungen in Frankreich und Deutschland, dann sieht man, dass unser System,
bestehend aus Ehegattensplitting, Grundfreibetrag, Kinderfreibetrag und Kindergeld, mehr Entlastung bringt als das System in Frankreich.
({11})
Deswegen bleiben wir auch bei diesem System.
({12})
Sie implizieren trotzdem, dass Ihr Splittingmodell besser wäre. So, wie Sie es anlegen, entlastet es nicht die alleinerziehende Mutter, aber auch
nicht die Familie mit niedrigem Einkommen und vielen Kindern, sondern setzt einen Fehlanreiz.
({13})
Wenn wir also darüber diskutieren, dann müssen wir schauen, dass wir gerade Familien mit vielen Kindern und niedrigen Einkommen entlasten.
Wir haben übrigens für das Jahressteuergesetz 2022 einen wesentlich höheren Entlastungsbetrag für Alleinerziehende gefordert, als die Ampelfraktion
jetzt umsetzt.
({14})
Wir hätten den Entlastungsbetrag gerne auf 5 000 Euro angehoben, aber das haben Sie abgelehnt.
({15})
Wenn Sie von Entlastungen sprechen, dann sollten Sie das auch umsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel.
Die Ampel hat ja angekündigt, dass das Ehegattensplitting bald Geschichte sein wird; so steht es zumindest im Koalitionsvertrag. Nach den Reden heute
habe ich ein bisschen Bedenken, dass Sie trotzdem politische Vorgaben machen, wie Familie zu gestalten ist, und das darf nicht sein.
({16})
Ich kann nur wiederholen: Die Familien sollen die Freiheit haben, zu entscheiden, wie sie ihr Leben gestalten. Alle Wege sind die richtigen Wege.
Deswegen sollten wir da keine politischen Vorgaben machen.
Vielleicht ein letzter Aspekt zu dem Antrag auf Senkung der Mehrwertsteuer auf Kinderartikel usw. auf 7 Prozent. Wir brauchen – Kollege Güntzler hat
es schon bei Umsatzsteuerreden richtigerweise immer wieder erwähnt – eine ehrliche Diskussion darüber, wie der Flickenteppich bei der Mehrwertsteuer gestaltet
werden kann, wie wir hier eine klare Linie reinbringen. Wenn wir Familien weiter entlasten wollen, dann können wir das mit dem bestehenden Steuersystem
konsequenter machen. Wir haben Stellschrauben, die die Ampel leider nicht in der Weise nutzt. Zum Beispiel hätten wir die kalte Progression schon im Jahr 2022
abmildern können; das hat die Ampel leider nicht vorgenommen. Wir hätten eine weitere Abflachung des Steuertarifs durch Abbau des Mittelstandsbauchs vornehmen
können; das haben Sie nicht vorgenommen. Auch bei der Debatte um den Alleinerziehendenfreibetrag – ich habe es gerade erwähnt – haben Sie keine Erhöhung
vorgenommen.
Wenn wir für Familien mit Kindern etwas tun wollen, dann haben wir dafür genug Möglichkeiten. Wir können das gerne angehen. Ich freue mich auf eine
Diskussion im Finanzausschuss über die verschiedenen Möglichkeiten. Wir müssen die Familien mit Kindern weiter voll im Blick haben; denn die Kinder sind die
Zukunft unseres Landes und brauchen unsere Unterstützung. Wir brauchen Freiheit für die Familien, zu entscheiden, wie sie es umsetzen. Ich freue mich auf die
Diskussionen.
Die Anträge lehnen wir aus den genannten Gründen ab.
({17})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Brehm, es gibt in Deutschland eine große Vielfalt an
Familienformen – sehr bunt, sehr vielfältig –, und das ist supergut.
({0})
Es ist auch richtig, dass Eltern, Väter und Mütter, entscheiden, ob sie arbeiten und wie viel sie arbeiten. Die Freiheit sollen und müssen sie haben.
Das entspricht genau unserem Menschenbild.
({1})
Ich glaube, das eint fast alle Fraktionen hier im Bundestag. Da gibt es keinen Unterschied, Herr Brehm.
({2})
Wir setzen auf die Freiheit der Eltern.
Wo es aber einen Unterschied gibt – das ist der zentrale Punkt –, ist: Wir wollen nicht einseitig bestimmte Familienbilder finanziell fördern.
Deswegen wollen wir Grüne im Gegensatz zur Union das System des Familienleistungsausgleichs – Sie haben es beschrieben – mit Ehegattensplitting, Kindergeld und
Kinderfreibeträgen grundlegend ändern. Deswegen steht bei uns nach wie vor auf der Agenda, dass wir das Ehegattensplitting durch eine Individualbesteuerung
ersetzen wollen. Durch das Ehegattensplitting werden hohe Einkommen bevorzugt. Das ist ungerecht. Es ist eben nicht unabhängig vom Familientyp. Wir wollen eine
Förderung, die unabhängig vom Familienstatus der Eltern ist. Das Ehegattensplitting setzt zudem falsche Anreize für Frauen. Deswegen wollen wir das
Ehegattensplitting gerne abschaffen.
({3})
Was die Anreize betrifft, wird die Ampel einen Schritt gehen und die Lohnsteuerklasse V abschaffen. Das ist ein wichtiger Schritt, um negative
Arbeitsanreize für Frauen zu beseitigen und mehr Gleichstellung zwischen Männern und Frauen hinzukriegen.
({4})
Die Ampel wird da aktiv werden.
({5})
Vor allen Dingen werden wir als Ampel eine Kindergrundsicherung einführen,
({6})
und das nicht irgendwann. Wir haben schon Schritte unternommen. Wir haben den Kindersofortzuschlag eingeführt: 20 Euro mehr für Familien mit geringem
Einkommen. Wir haben beschlossen, das Kindergeld ab 1. Januar auf 250 Euro zu erhöhen. Das ist die größte Kindergelderhöhung, die es je gab, und ein großer
Schritt zu dem Garantiebetrag der im Koalitionsvertrag verabredeten Kindergrundsicherung. Diesen Garantiebetrag sollen alle Kinder unabhängig vom Einkommen
ihrer Eltern erhalten.
Im Koalitionsvertrag steht das Ziel, „künftig allein durch den Garantiebetrag den verfassungsrechtlichen Vorgaben nach Freistellung des kindlichen
Existenzminimums bei der Besteuerung des Elterneinkommens zu entsprechen“. Dieses Ziel ist noch nicht erreicht. Noch immer bekommen Eltern, die ein hohes
Einkommen haben, also ein Einkommen wie Bundestagsabgeordnete oder ein noch höheres Einkommen, mehr für ihre Kinder als Eltern mit mittlerem Einkommen. Das
halten wir für ein großes Gerechtigkeitsproblem. Aber mit der Anhebung des Kindergeldes auf 250 Euro haben wir diese Gerechtigkeitslücke verringert.
Wir Grünen würden da gerne noch weiter gehen.
({7})
Darüber werden wir in der Koalition im Rahmen der Diskussionen um die Kindergrundsicherung noch reden. Da gibt es zwei Stellschrauben: einen noch
höheren Garantiebetrag oder eine Änderung beim BEA-Freibetrag, von dem vor allen Dingen die Reicheren profitieren. Da wäre eine Möglichkeit, dass Menschen mit
hohem Einkommen eine geringere Förderung für ihre Kinder kriegen. Auch das wäre ein gerechter Schritt. Darüber werden wir mit dem Finanzminister und auch mit
dem Koalitionspartner SPD noch mal zu diskutieren haben. Das wäre für uns aber ein wichtiger Punkt.
Neben dem Garantiebetrag gibt es einen zweiten Baustein der Kindergrundsicherung, den Zusatzbetrag für Kinder von Eltern mit geringem Einkommen. Da
sind für uns zwei Punkte besonders wichtig:
Erstens ist wichtig, dass es im Gegensatz zum jetzigen „System“ eine automatische bzw. weitgehend automatische Auszahlung gibt. Jetzt haben wir ja das
Phänomen, dass viele Leistungen gar nicht in Anspruch genommen werden, weil die bürokratischen Hürden zu groß sind, weil die Leute gar nicht wissen, dass sie
diese Leistungen bekommen können. Deswegen ist wichtig, dass nicht die Menschen zu den Leistungen gehen, sondern die Leistungen zu den Menschen kommen und sie
die Leistungen, die ihnen zustehen, ohne große Bürokratie in Anspruch nehmen können. Die automatische Auszahlung ist ein ganz zentraler Punkt der
Kindergrundsicherung.
({8})
Der zweite Punkt ist: Im Koalitionsvertrag steht, dass wir das Existenzminimum neu definieren wollen. Die 20 Euro Sofortzuschlag sind für uns noch
nicht ausreichend. Da würden wir gerne drauflegen. Da ist das BMAS gefordert, im Rahmen der Diskussionen einen Vorschlag vorzulegen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Das wird auch ein wichtiger Punkt werden, weil die bisherigen Leistungen für Menschen mit geringem Einkommen nicht ausreichen. Da brauchen wir
mehr.
({0})
Herr Strengmann-Kuhn, letzter Satz, bitte.
Man sieht: Die Ampel ist tatkräftig dabei, den Familienleistungsausgleich vom Kopf auf die Füße zu stellen, ein Existenzminimum für Menschen mit
geringem Einkommen zu garantieren und Menschen mit mittlerem Einkommen finanziell zu unterstützen.
Vielen Dank.
({0})
Für die FDP-Fraktion Maximilian Mordhorst.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein schlechter Antrag der AfD ist hier mehrfach zur Sprache gekommen. Drei krude
Reden haben wir gehört. Die Leistungsbilanz der Herren König, Reichardt und Gottschalk ist das beste Argument dafür, dass es in diesen Zeiten vollkommen in
Ordnung ist, dass auch der Mann mal zu Hause bleibt und die Carearbeit erledigt,
({0})
dass wir moderner werden. Denn es gibt, zumindest im Regelfall, keinen qualitativen Unterschied zwischen Männern und Frauen, erst recht nicht nur
wegen ihres Geschlechtes. Wir sind deswegen auf genau dem richtigen Weg, das Steuersystem in diesem Bereich zu modernisieren, leistungsgerecht zu machen und
nicht Anreize zu setzen, dass eines der beiden Geschlechter zu Hause bleibt, sondern dafür zu sorgen, dass man selbst entscheidet, wer das machen möchte.
({1})
Zweitens. Wir haben ein großes Problem damit, dass in Ihren Reden die Menschen, die hierzulande arbeiten und einheimisch sind, die deutsche
Staatsbürger sind, gegen Einwanderer ausgespielt werden. Das ist genau der falsche Weg. Ich bin jedem dankbar, der sich entscheidet, hier eine Familie zu
gründen, genauso wie ich jedem dankbar bin, der hierherkommt, um sich etwas aufzubauen, die Sprache lernt, sich an die Regeln hält. Das ist genau der richtige
Weg.
({2})
Deswegen bin ich froh, dass wir ein Einwanderungsgesetz auf den Weg bringen, auch gegen Ihre kruden Stimmen.
Drittens. Bei der Mehrwertsteuer sehen wir schon im bisherigen System Unregelmäßigkeiten, die zu komischen Ergebnissen führen. Wir sollten dort eher
auf Vereinheitlichung setzen, statt mit einem komischen Begriff wie „Artikel des Kinderbedarfs“ – Kollege Herbrand hat darauf hingewiesen – noch mehr
Unregelmäßigkeiten in das System zu bringen.
Viertens. Das für heute angepeilte Sitzungsende ist 3.25 Uhr. Deswegen schenke ich Ihnen die letzten zwei Minuten Redezeit. Ich hoffe, dass andere
meinem Beispiel folgen.
({3})
Für die Unionsfraktion hat das Wort Dr. Hermann-Josef Tebroke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor allem: Liebe Familien! „Familien entlasten“ und „Keine Familie darf
auf der Strecke bleiben“, so sind die beiden Anträge, die hier vorliegen, überschrieben. Ich kann sagen: Wer will das nicht? Ich gehe fest davon aus, dass
darüber Einigkeit hier im Plenum besteht: Alle wollen dafür sorgen, dass Familien entlastet werden und keine Familie auf der Strecke bleibt.
({0})
Aber ist das auch das vorrangige Motiv der Antragsteller?
({1})
Im Antrag ist erstens davon die Rede, dass man den Gründen entgegenwirken möge, weswegen Menschen sich gegen Kinder entscheiden. Wenn ich die
Wortbeiträge aus der Debatte höre, habe ich erhebliche Zweifel, ob das das vorrangige Motiv ist. Zum Zweiten wird im Antrag deutlich gemacht, es gehe darum, die
finanzielle Armut in Familien zu bekämpfen. Ich sehe aber, dass Instrumente in einer Variante vorgeschlagen werden, durch die gerade nicht die belasteten
Familien in besonderer Weise berücksichtigt werden, sondern diejenigen, die einkommensstärker sind.
({2})
Darum meine Zweifel an der aufrichtigen Motivation der Antragsteller.
({3})
Meine Damen und Herren, positiv zu werten ist an dieser Stelle: Ich bin froh und dankbar darüber, dass wir eine Debatte zur Familienpolitik hier heute
Nachmittag führen können. Es ist wichtig, dass wir diese Gelegenheit auch nutzen, den Familien mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung zukommen zu lassen. Wir
brauchen ein wertschätzendes Umfeld; wir brauchen eine Willkommenskultur. Familien brauchen Infrastruktur, sie brauchen Zeit füreinander, und sie brauchen
finanziellen Spielraum.
Darauf stellt der Antrag zumindest im Wortsinn ab. Das ist auch das, was ich in der Sache ansprechen möchte. Familiensplitting: Welche Variante? Sie
haben sich offensichtlich für die Familientarifsplitting-Variante entschieden. Warum nicht die Realsplitting-Variante? Dazu sagt der Antrag nichts. Ich hätte
auch gerne mehr darüber erfahren, wie Sie die Zählung der Kinder für den Divisor vornehmen: 0,5 oder 1,0; das ist gerade schon diskutiert worden.
({4})
Einige Berechnungen, die Sie durch die Bundesregierung haben anstellen lassen, kommen auf einen Divisor von 3,0, wenn man 100 000 Euro steuerfrei
stellen will. In jedem Fall aber – und das ist der wichtige Punkt – profitieren insbesondere einkommensstarke Familien von diesem Modell, und das ist angesichts
des erklärten Motivs etwas problematisch.
Man könnte Obergrenzen einführen, was die steuerlichen Effekte angeht. Darüber sagen Sie gar nichts. Das wäre dann intransparenter und vielleicht
schwieriger zu kommunizieren. Erstaunlich ist: Sie halten am Kindergeld fest. In welcher Höhe? 250 Euro, 300 Euro? Man könnte auch argumentieren: in Höhe der
maximalen Entlastung, die aus einem Kinderfreibetrag – Sie gehen auf einen Grundfreibetrag – resultieren könnte. Ist das so, damit jeder etwas davon hat?
({5})
Jedenfalls findet eine Günstigerprüfung nicht statt. Das begünstigt natürlich wieder insbesondere die einkommensstärkeren Gruppen. Warum das?
({6})
Meine Damen und Herren, last, but not least. Die Kosten, die mit einem solchen Projekt verbunden sind, werden nicht expliziert; darauf haben meine
Vorrednerinnen und Vorredner bereits hingewiesen. 30 Milliarden bis 40 Milliarden Euro, sagen erste Schätzungen, andere Schätzungen gehen auf 70 Milliarden
Euro. Das hängt natürlich davon ab, wie diese Variante des Familiensplittingmodells genau ausgestaltet wird. Darüber haben wir eben noch viel zu wenig
erfahren.
Ist das denn am Ende gerecht gegenüber allen Familien, was Sie da vorhaben? Ist es am Ende wirksam und vor allem effizient? Ich habe Familien mit
jüngeren Kindern, aber ich habe auch junge Erwachsene vor Augen, die sagen: Das ist ja alles gut und schön, wenn ihr euch solche Schaufensterprojekte ausdenkt;
aber ist denn sichergestellt, dass die Gegenfinanzierung funktioniert? Es wird immer gesagt, man spare an anderer Stelle. Oder ist das am Ende des Tages nicht
doch wieder eine Neuverschuldung? Wer zahlt denn die Kapitaldienste dieser neuen Verschuldung von, sagen wir mal, 70 Milliarden Euro pro Jahr? Das sind doch
wieder wir.
({7})
Wenn diese Fragen nicht abschließend geklärt sind, ist es dann familien- und kinderfreundlich, solche großartigen Projekte hier aufzublasen? Ich
finde, die jungen Menschen haben recht.
({8})
Meine Damen und Herren, wir haben als Union sehr wohl die Auffassung, dass man auch steuerpolitisch agieren muss, wenn man familienpolitisch aktiv
sein will. Da widerspreche ich Ihnen, Frau Wissler, Sie haben eine andere Auffassung vertreten. Familienpolitik ist eben nicht nur Sozialpolitik, auch
Sozialpolitik, aber auch Steuerpolitik. Darum sind wir als Union – auch in der Oppositionszeit – intensiv im Austausch mit Familienverbänden, die sehr genau
aufzeigen können, was für die Familien gerade in belasteten Situationen vielleicht gut oder weniger gut ist.
Über die Umsatzsteuer hat mein Kollege schon einiges gesagt; denn der Antrag ist fast deckungsgleich mit dem alten Antrag. Die Argumente sind
ausgetauscht worden, auch angesichts des Antrags der Linken seinerzeit. Dazu brauche ich nicht mehr zu sagen.
Wir sind als Union nicht nur steuerpolitisch für Familien unterwegs; vielmehr haben wir auch im Bereich der Familiensozialleistungen Vorstellungen
geäußert und weiterentwickelt, wie diese zusammengeführt werden sollen und können. Es ist unser gemeinsames Ziel, sollte es jedenfalls sein, den Familien im
Bedarfsfalle den Zugang zu den notwendigen Leistungen zu erschließen.
Herr Schrodi, sooft Sie das Projekt „Kindergrundsicherung“ aufrufen, desto mehr sind meine Zweifel, ob das jemals etwas wird.
({9})
Das ist wie so ein Zauberwort, wie eine Beruhigungsformel: Irgendwann kommt die Kindergrundsicherung,
({10})
dann werdet ihr alle staunen, was sie kann. – Ich mache mir große Sorgen, dass bis dahin die Familien, die Hilfe brauchen, längst schon in die Röhre
schauen.
Meine Damen und Herren, Kinder sollen kein Armutsrisiko sein und sollen auch nicht darauf beschränkt werden. Kinder sind willkommen in der
Gesellschaft. Sie sind ein Gewinn, auch, aber nicht nur für ihre Eltern. „Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf“, hat jemand einmal gesagt, aber
nicht ein Füllhorn, das unüberlegt ausgeschüttet wird. Darum müssen wir die beiden vorliegenden Anträge ablehnen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Für die SPD-Fraktion als letzte Rednerin in der Debatte: Melanie Wegling.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die AfD meint, Familien entlasten zu wollen. Hört! Hört! Doch was sich dahinter
verbirgt, ist ein Vehikel für ein reaktionäres Familien- und Frauenbild. Wenn ich mir das durchlese, bekomme ich ehrlicherweise eine Gänsehaut.
Dann lassen Sie uns mal genau hinsehen. Wer profitiert denn eigentlich von einer Verschärfung des aktuellen Splittings? Das sind vor allem – wir haben
es heute schon gehört – Familien mit höherem Einkommen und zugleich die Familien, wo der Einkommensunterschied zwischen den beiden Verdienenden besonders groß
ist.
({0})
Was fördert ein solches Splitting also? Traditionelle Rollenbilder: Mann ist Alleinverdiener, Frau bleibt zu Hause, bekommt möglichst viele
Kinder.
({1})
Da also soll ein antiquiertes Bild einer traditionellen Familie mit einem männlichen Alleinverdiener steuerlich zementiert werden, das Frauen
abhängiger und womöglich im Alter ärmer macht.
Doch genug zu diesem aufgewärmten Antrag aus der AfD-Mottenkiste. Hin zu dem, was Familien in all ihrer Vielfalt tatsächlich befähigt und was unserer
gesellschaftlichen Realität im 21. Jahrhundert entspricht: Was wir brauchen, ist eine Politik, die Familien unterstützt, sodass beide arbeiten gehen können,
sodass Frauen finanziell unabhängig und beruflich ausgefüllt sind und wir so dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Wir können es uns doch gar nicht mehr leisten,
dass ein Elternteil zu Hause bleibt oder nur mit wenigen Stunden arbeitet.
({2})
Wir brauchen gerade auch die oftmals gut ausgebildeten und hochqualifizierten Frauen auf einem Arbeitsmarkt, der händeringend Fachkräfte sucht. Doch
noch immer ist die Erwerbsquote von Frauen in Deutschland deutlich niedriger als die der Männer. Vor allem sind sie viel häufiger als Männer in Teilzeit und
geringfügiger Beschäftigung tätig.
({3})
Mehr als die Hälfte der Frauen arbeitet in Teilzeit. In 75 Prozent aller Haushalte sind Frauen die schlechter Verdienenden – 75 Prozent!
({4})
Was sorgt für diese 75 Prozent? Was lässt die Frauen zu Hause bleiben? Das sind fehlende Kitaplätze, das sind ungeeignete Elternzeit- und
Minijobregelungen, und das ist auch ganz maßgeblich unser Steuersystem, namentlich das Ehegattensplitting, das negative Arbeitsanreize für Frauen setzt und das
die AfD nun auch noch ausbauen möchte.
Zum Glück sieht die Ampel im Koalitionsvertrag weitaus vernünftigere familienpolitische Maßnahmen vor. Einige wurden schon umgesetzt: Wir bekämpfen
Kinderarmut und sichern Familien durch die jüngst beschlossene Kindergelderhöhung finanziell besser ab;
({5})
die ersten Schritte hin zu einer modernen Kindergrundsicherung wurden unternommen. Wir unterstützen Eltern dabei, die Erwerbs- und Sorgearbeit
gerechter untereinander aufzuteilen. Dazu stärken wir Schulen und Kitas, nicht zuletzt mit dem KiTa-Qualitätsgesetz, über das wir am Freitag abstimmen
werden.
({6})
Die Partnermonate beim Elterngeld werden erweitert, Alleinerziehende, Selbstständige und auch Pflegeeltern besser berücksichtigt.
({7})
Und wir wollen – das ist mir persönlich ganz wichtig – mit einem gerechteren Steuersystem für eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen sorgen.
({8})
Das ist nicht nur ein Gebot des Arbeitsmarktes – den weithin verbreiteten Fachkräftemangel habe ich erwähnt –; es ist schlicht ein Gebot der
wirtschaftlichen Vernunft. Frauen sind oft besser ausgebildet und wollen oft mehr arbeiten. Dieses Potenzial darf nicht ungenutzt bleiben. Das ist auch ein
Gebot der Gerechtigkeit. Besser ausgebildet, aber schlechter bezahlt – das ist schlichtweg ungerecht.
Für jede einzelne Frau ist es eine ganz konkrete Frage der gesellschaftlichen Teilhabe, der Chancengleichheit und der Gleichberechtigung. Frauen
müssen finanziell und in ihrer Lebensführung unabhängig sein können. Sie müssen arbeiten gehen können und gerecht bezahlt werden, um auch eine gute Rente zu
bekommen.
({9})
Die Wirtschaftsweisen und auch das DIW analysieren ganz klar: Eine höhere Erwerbstätigkeit von Frauen bedeutet mehr verfügbare Fachkräfte, sorgt damit
für Wachstumsimpulse, reduziert weibliche Altersarmut und entlastet auch die gesetzliche Rentenversicherung durch höhere Beiträge. Folglich raten Ökonomen zu
einer Reform des Ehegattensplittings, die stärkere Arbeitsanreize für die eine unterbeschäftigte Hälfte der Ehegemeinschaft setzt.
({10})
Die Vorstellungen der AfD würden genau das Gegenteil bewirken. Wir brauchen vielmehr eine Reform der Steuerklassen, sodass nicht mehr ein antiquiertes
Familienmodell
({11})
und eine fatale Frauenrolle steuerlich gefördert werden, sondern eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und damit auch eine gerechtere Aufteilung
der Erwerbs- und der Sorgearbeit.
({12})
Was wir hier im Bundestag als großen Rahmen steuer- und familienpolitisch umsetzen können, das ist die eine Seite. Die andere Seite zeigt für mich das
inspirierende Beispiel des Female Finance Forums, das sich die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen auf die Fahnen geschrieben hat. Seine Gründerin, die
Ökonomin Claudia Müller, habe ich vor Kurzem kennengelernt. Sie bietet Workshops und Weiterbildungen exklusiv für Frauen
({13})
zu den Fragestellungen an: Welche Rolle spielen Finanzen bei der Gleichberechtigung? Wie sichere ich mich finanziell für die Familienplanung, das
Alter oder im Falle von Scheidung oder Unfall ab? Dieses Angebot aus der Zivilgesellschaft deckt einen wichtigen Bedarf. Es deckt diesen Bedarf aber vor allem,
weil unsere Finanz-, Familien- und Arbeitsmarktpolitik Frauen noch viel zu stark benachteiligen. Als Finanzpolitikerin ist es mir ein Anliegen, das zu
ändern.
Dabei spielt ein gerechteres Steuersystem eine maßgebende Rolle. Das aktuelle, aus den 1950er-Jahren stammende Ehegattensplitting schafft finanzielle
Abhängigkeit und damit Ungerechtigkeit. Der AfD-Vorschlag würde diese toxischen Effekte noch weiter verstärken.
({14})
Die darin erwähnten Maßnahmen sind nicht nur familienfeindlich und reaktionär, sondern verfestigen das Armutsrisiko der Frauen und wirken sogar
wachstumshemmend. Eine vernünftige Finanzpolitik für unsere Welt von heute stärkt dagegen die finanzielle Unabhängigkeit der Frauen und damit unsere Familien,
unsere Wirtschaft und unsere gesamte Gesellschaft.
Vielen Dank.
({15})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Als ehemalige, zeitweilige Vorsitzende kennen Sie das Procedere im Petitionsausschuss. Wir stimmen jede Woche am
Donnerstagnachmittag über Sammelübersichten ab. Wenn wir ganz ehrlich sind, dann ist uns nicht immer klar, was dahintersteckt. Ich möchte an einer Stelle im
Namen des gesamten Petitionsausschusses für Licht sorgen und das Ganze ein Stück weit mit Leben füllen. Petenten wenden sich an unseren Ausschuss, weil sie
Anliegen haben, weil sie Schicksale leben, weil sie konkrete Vorschläge an uns, das Parlament, weitergeben wollen, wie man Gesetzgebung weiterentwickeln kann.
Das sind in etwa die Punkte, mit denen wir im Ausschuss konfrontiert sind.
Für alle Mitglieder des Petitionsausschusses stehen die Petenten im Mittelpunkt. Er steht nicht im Mittelpunkt, ob wir regieren oder ob wir gerade in
der Opposition sind. Wir versuchen, Lösungen zu erarbeiten. Wir versuchen, Antworten zu geben. Wir versuchen, den Menschen, die sich an uns wenden,
weiterzuhelfen. Insofern stehe ich hier nicht als Mitglied meiner Fraktion, sondern als Mitglied des Petitionsausschusses.
Worum geht es? Wir haben eine Petition mit einem sehr, sehr hohen Votum versehen, weil wir diesem Petenten gerne dabei helfen wollen, dass sein
Anliegen tatsächlich realisiert wird, dass die Bundesregierung sich tatsächlich dieses Anliegens so annimmt, dass am Ende eine Lösung steht. Ich sage Ihnen
einmal, worum es geht.
Der Petent fordert vor dem Hintergrund der hohen Anzahl von Sepsiserkrankten – da geht es um Blutvergiftungen; diesen Begriff kennen wahrscheinlich
mehr Leute – sowie Todesfällen, der Resolution der Weltgesundheitsorganisation, die 2017 verabschiedet worden ist, zu folgen. Dafür soll es einen nationalen
Sepsisplan zur Förderung von Aufklärung, Prävention sowie Diagnose und Behandlung der Erkrankung geben. Dieser sollte mit bestehenden Programmen zur
Verhinderung von Antibiotikaresistenzen gekoppelt werden.
({0})
– Vielen Dank, hier versteht jemand anscheinend, worum es geht.
Wir im Petitionsausschuss sind nicht alle Fachpolitiker und Fachpolitikerinnen. Ich muss ganz ehrlich sagen: Mir war die Dimension des Problems vorher
nicht klar. Wir haben jährlich über 150 000 Erkrankte. Wir haben jedes Jahr 56 000 Menschen, die an Sepsis versterben. Das heißt, das ist die dritthäufigste
Todesursache in Deutschland. Das ist kein Randthema, sondern es ist ein ganz wesentliches Thema. Deutschland steht im internationalen Vergleich zu allen anderen
Industriestaaten deutlich hinten. Ja, die Sepsis-Stiftung hat darauf hingewiesen, dass es einen Mangel an Aufklärung gibt. Die Ärzte wissen nicht genau, nach
welchen Maßgaben sie zu arbeiten haben. Zeitgleich sterben jedes Jahr 56 000 Menschen. Das Problem, wie diese Resolution umgesetzt werden kann, wie wir als
Bundesrepublik zu einem einheitlichen Plan kommen, wird seit 2017 regelmäßig zwischen Bund und Ländern hin- und hergeschoben.
Wir sagen jetzt: Wir wollen, dass der Bund Verantwortung übernimmt, und die Länder können sich daran orientieren, das regional anpassen. Ich hoffe und
bitte darum, dass die Bundesregierung jetzt unverzüglich tätig wird, damit nicht jährlich 56 000 Menschen unnötig sterben.
Danke.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Anfang dieser Woche hat die Bundesregierung ein
weiteres Kapitel ihres Buches mit dem Titel „Unabgestimmte Alleingänge in der Ampel“ aufgeschlagen. Frau Faeser und Herr Scholz haben ihre Pläne für eine Reform
des Staatsangehörigkeitsrechtes vorgestellt, und prompt kam Widerspruch von der FDP.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, bei einem so wichtigen Thema sollte man verantwortungsvoller, sensibler und
professioneller vorgehen; denn wir wissen doch, welche Debatten zu diesem Thema schon in diesem Hause geführt wurden und wie sensibel auch die Bevölkerung zu
Recht bei diesen Themen reagiert. Die Staatsbürgerschaft ist das zentrale rechtliche Band, das den Bürger mit seinem Staat und ein Stück weit auch mit uns allen
verbindet.
({1})
Aber nun zur Sache. Künftig will die Ampel also die doppelte Staatsangehörigkeit generell ermöglichen. Mir ist zunächst Folgendes wichtig: Wir von der
Union freuen uns grundsätzlich über jeden, der seit längerer Zeit in unserem Land lebt, der sich erfolgreich integriert hat, der hier eine Heimat gefunden hat
und der dann auch Deutscher werden möchte.
({2})
Ich bin aber der Überzeugung, dass jemand, der Staatsbürger unseres Landes werden will, in der Regel seine alte Staatsbürgerschaft abgeben sollte. Nur
in begründeten Fällen – das ist die geltende Rechtslage – soll es davon Ausnahmen geben. Das gilt etwa für Staatsangehörige aus EU-Ländern, weil wir mit ihnen
eine gemeinsame Werte- und Rechtsordnung teilen. Und es gibt auch andere europäische Länder, die dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis kennen.
({3})
Die generelle doppelte Staatsbürgerschaft führt auch zu Loyalitätskonflikten. Ich will Ihnen nur zwei Beispiele nennen. Finden Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Ampel, es wirklich gut, wenn zum Beispiel deutsche Doppelstaatler Kriegsdienst für ein anderes Land leisten?
({4})
Ist es nicht besser, wenn Staatsbürger aus autokratisch regierten Staaten ihre Staatsbürgerschaft aufgeben und sich damit auch ganz klar für unser
demokratisches System entscheiden müssen?
({5})
Ich glaube nicht, dass die doppelte Staatsbürgerschaft die zentrale Lösung unseres Arbeitskräftemangels darstellt. Es braucht dafür andere Lösungen.
Es braucht gute Strukturen in unserem Land. Es braucht finanzielle Anreize. Ein generelles Zulassen der doppelten Staatsbürgerschaft wird den gesellschaftlichen
Zusammenhalt in unserem Land nicht stärken, sondern schwächen.
({6})
Genau das gilt auch für den zweiten zentralen Punkt Ihrer Staatsbürgerschaftsreform. Sie wollen die Fristen, wie lange jemand in Deutschland vor der
Einbürgerung gelebt haben muss, nahezu halbieren.
({7})
Ausländer sollen künftig statt nach acht Jahren schon nach fünf Jahren eingebürgert werden und bei besonderen Integrationsleistungen statt nach sechs
Jahren schon nach drei Jahren. So kurze Fristen widersprechen aus unserer Sicht dem Prinzip, dass die Einbürgerung das erfolgreiche Ende eines
Integrationsprozesses sein sollte und nicht an dessen Anfang stehen darf. Und Sie verletzen das Prinzip von Fördern und Fordern.
({8})
Integration braucht Zeit, und sie sollte nachhaltig sein. Sie sollte am Ende mit der Einbürgerung belohnt werden.
({9})
Selbst Schweden, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampelkoalition, das Sie uns jahrelang als modernes und fortschrittliches Land in der
Einwanderungs- und Einbürgerungspolitik als Vorbild verkauft haben, genau dieses Land ist restriktiver geworden bei seiner Einwanderungspolitik. Als Antwort auf
erhebliche gesellschaftliche Spannungen prüft dort nun eine Regierungskommission, die Einbürgerungsfrist von bislang fünf auf mindestens acht Jahre zu
verlängern.
({10})
An dieser Stelle sollte man genau nach Schweden schauen, wenn man hier in Deutschland weitere Vorschläge unterbreitet.
Wir sollten in diesen Zeiten vorsichtig sein. Wir sollten unser Land und die Menschen nicht überfordern.
({11})
Ihren Gesetzentwurf werden wir, wenn er dann vorliegt, genau prüfen, genau analysieren; denn es gibt noch viel mehr Punkte zu klären als die beiden
von mir angesprochenen. Allein schon die Halbierung der Aufenthaltszeiten ist kein Punkt, bei dem wir so mitgehen können. Wir werden Ihren Antrag und Ihren
Gesetzentwurf, wenn Sie sich denn einig werden, ganz genau prüfen und dann dazu auch noch einmal Stellung beziehen.
Vielen Dank.
({12})
Für die Bundesregierung hat das Wort die Staatsministerin Reem Alabali-Radovan.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gut, dass es diese Aktuelle Stunde gibt. Dann können wir einmal aufräumen, liebe
Union, mit Ihren Märchen und Mythen, die richtig gefährlich für unseren Zusammenhalt sind, erst recht in diesen Zeiten.
({0})
Ihre Worte von der Union: „verramschen“, „mit dem Pass um sich werfen“, „Black-Friday-Sonderangebot“, „Sozialtourismus“. Was ist das für eine Sprache!
Unsere Agenda: Respekt für Lebensleistungen, Zugehörigkeit zu unserem Land und endlich besser, schneller und mehr einbürgern. Darum geht es, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
({1})
Der Kanzler und ich haben am Montag einige der Menschen getroffen, um die es geht, die sich eingebürgert haben, die das jetzt vorhaben oder andere
dabei unterstützen. Wir trafen Frauen und Männer, die unser Land voranbringen und deren Eltern und Großeltern das auch schon getan haben. Auch dank ihnen sind
wir ein starkes Land in der Mitte Europas. Denken Sie eigentlich auch an diese Menschen, wenn Sie mit diesen Worten um sich schmeißen?
({2})
Das ist ein Schlag in die Gesichter von 22 Millionen Menschen mit familiärer Einwanderungsgeschichte, die hier ihre Heimat haben, mehr als die Hälfte
davon mit doppeltem Pass, darunter auch so viele Kolleginnen und Kollegen dieses Hohen Hauses, die ebenfalls eingebürgert sind, auch in Ihrer Fraktion, liebe
Union, die interessanterweise bei dieser Debatte nicht dabei sind.
({3})
Wie so viele mussten auch meine Eltern lange und hart dafür kämpfen. Ich sage sehr bewusst an dieser Stelle: Stoppen Sie die Respektlosigkeit! Kommen
Sie in der Lebensrealität unseres Landes an!
({4})
Denn seien wir doch ehrlich: Die deutsche Integrationspolitik hatte immer Verspätung, beim Einbürgern, beim Teilhaben. Vieles hätten wir schon vor
Jahrzehnten gebrauchen können.
({5})
Aber jetzt packen wir das endlich an. Wir bringen unser Einwanderungsland auf die Höhe der Zeit: mit einer Koalition des Aufbruchs und des
Fortschritts, mit einer Mehrheit in diesem Hause, mit einer Bundesregierung, die es ernst meint.
({6})
Drei Punkte, worum es uns bei der Reform geht:
Erstens: mehr Respekt. Wir wollen Lebens- und Integrationsleistungen anerkennen, mit kürzeren Fristen, mit weniger Hürden und mit der Hinnahme von
Mehrstaatlichkeit. Warum sollte nicht jemand Deutsche oder Deutscher sein, der hier fünf Jahre rechtmäßig lebt, seinen Lebensunterhalt sichert, die Sprache
spricht und sich zum Grundgesetz bekennt?
({7})
Hier wird von einigen so getan, als sei das im Vergleich viel zu kurz. Dabei ist das in vielen Ländern längst Normalität. Warum sollten wir Menschen
so viel länger hinhalten als in Kanada, Frankreich oder den USA?
({8})
Das war und ist nicht klug. Einbürgern, das ist kein Gnadenakt, kein Verramschen, kein Pull-Faktor.
({9})
Einbürgern, das ist das gute Recht von Menschen, die sich hier einbringen. Wir wollen das modernste Einbürgerungsrecht der Welt. Dafür steht diese
Reform, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Zweitens: mehr Demokratie. Wer viele Jahre hier lebt, der soll neben allen Pflichten auch alle Rechte haben. Unsere Demokratie lebt von der
Möglichkeit, mitzubestimmen, zu wählen und gewählt zu werden. Es ist nicht gut, wenn Einwohnerschaft und Wahlvolk immer weiter auseinanderfallen.
({10})
Es kann uns nicht zufriedenstellen, dass wir im letzten Jahr mit 132 000 Einbürgerungen nur 2,5 Prozent des Einbürgerungspotenzials ausgeschöpft
haben. Darum verbessern wir jetzt den Weg zur Einbürgerung. Wir wollen stärker um die Menschen werben. Darum werde ich auch eine Einbürgerungskampagne auf den
Weg bringen.
({11})
Drittens: mehr Fachkräfte für mehr Wohlstand.
({12})
Es geht um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Deutschland muss sich anstrengen im Wettbewerb um die klügsten Köpfe. Es ist ein Mythos, dass alle
Schlange stehen und darauf warten, hierherzukommen.
({13})
In Delhi, Dakar und Dallas wird unser Debattenklima sehr aufmerksam verfolgt. „Verramschen“ kommt da gar nicht gut an, weder hier noch dort.
({14})
Nein, wir müssen hart dafür arbeiten, dass Fachkräfte zu uns einwandern und bleiben. Wir brauchen sie.
Dafür haben wir gestern im Kabinett die Eckpunkte für ein modernes Einwanderungsrecht beschlossen. Klar ist: Wer kommt, der soll sein Talent voll
einbringen, unsere Wirtschaft voranbringen und auch Deutsche oder Deutscher werden, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. Das ist eine Bleibekultur, die wir
brauchen. Das gehen wir jetzt gemeinsam in der Ampelkoalition an.
Vielen Dank.
({15})
Dr. Gottfried Curio hat das Wort für die AfD.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Voraussetzungen für den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft werden komplett geschleift.
Integrationsanforderungen: Runter! Sprachbeherrschung: Runter! Staatsbürgerliche Grundkenntnisse: Runter! Fristen: Fast halbiert! Dabei ist die gemeinte
Zielgruppe weder ökonomisch noch kulturell irgendwie integriert. Gerade das ist aber leider der Grund, die Anforderungen für den Aufenthalt, für die
Staatsbürgerschaft immer wieder abzusenken. Überproportional vertreten beim Sozialhilfeempfang, bei Kriminalität, beim Bildungsversagen: All diese Probleme der
Zuwanderer sollen mit einem Handstreich vertuscht werden, indem deren Zahlen in die deutsche Gesamtbevölkerung eingemeindet werden. Dabei wollen laut einer
Umfrage zwei Drittel der Deutschen keine Vereinfachung der Einbürgerung. Aber mit Brecht fragt sich die Regierung: Wäre es nicht am einfachsten, man löste das
Volk auf und wählte ein anderes?
({0})
Die Ampel macht damit jetzt ernst. Sie will endgültig Fakten schaffen und mit den seit 2015 importierten und alimentierten Ausländern endlich auch
ihre Wahlen steuern. Schon nach fünf oder gar drei Jahren bekommen sie die Staatsbürgerschaft. Der Sprach- und Einbürgerungstest wird für die, die schon lange
da sind, mit deren Deutschkenntnissen man offenbar lieber nicht rechnen möchte, einfach gestrichen. Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse? Kein Thema
mehr. Islamische Vielehe? Kein Problem. Aber eine Islamisierung findet nicht statt. Armes Deutschland, meine Damen und Herren!
({1})
Merkel hat 2015 gesät. Jetzt ist Erntezeit.
({2})
Wenn genügend Neubürger geschaffen worden sind, nimmt die Entmündigung der Deutschen Fahrt auf. Die deutsche Wahlbevölkerung soll durch ein Heer
ausländischer Sozialhilfeempfänger gesteuert werden. Erst wird die halbe Welt durch überhöhte Sozialleistungen hergelockt – hier auf der Tränendrüsenschiene
„Flucht“ verkauft –, dann bekommen alle Unberechtigten die Aufenthaltserlaubnis als „Chance“, dann rein per Zeitablauf den deutschen Pass. Das Ganze ist ein
Staatsstreich in der Wählerdemografie, meine Damen und Herren.
({3})
Ministerin Faeser gibt vor: Wer den Pass wolle, gebe ein starkes Bekenntnis zu Deutschland ab, sage Ja zu freiheitlicher Gesellschaft, Grundgesetz und
Gleichberechtigung. Nein, sagt er nicht! Er nimmt vielmehr das Wahlrecht, um das Land zu verändern.
({4})
Und als Zeichen, dass ausführliche Integration gerade keine Voraussetzung mehr ist, dass das Wahlrecht vielmehr schlicht kurzfristig ersessen werden
kann, ist das Ganze förmlich ein Antiintegrationsgesetz.
({5})
Dabei sollte, wer mit dem Wahlrecht die Steuerung des Landes in die Hand bekommt, eigentlich ein Demokratieprofi sein; aber die Leute kommen aus einem
politkulturellen Umfeld, dem unsere Vorstellungen völlig fremd sind. Die werden diese Ideen ganz sicher nicht in fünf oder gar drei Jahren verinnerlichen, wenn
überhaupt.
({6})
In Wahrheit muss es doch umgekehrt sein: Erst muss eine wirkliche Integration erfolgen, auch als Bemühung um die Staatsbürgerschaft, nicht
umgekehrt.
({7})
Ohne Schweiß kein Preis. Sie verschleudern den Pass an ungenügend Integrierte. Das ist ein Aufbauprogramm für Parallelgesellschaften, meine Damen und
Herren.
({8})
Dementsprechend können irgendwelche Gründe für einen schnelleren Erwerb der Staatsbürgerschaft auch überhaupt nicht benannt werden. Jetzt schnell
einfach alle Deutsche nennen zu wollen, zeugt nur von Missachtung des eigenen Volkes. Von Identifikation mit der Nation, ihren Werten, Geschichte, Kultur kein
Wort. Im Koa-Vertrag will man mit einer Kampagne den Erwerb der Staatsbürgerschaft extra bewerben. Offenbar ist das Bedürfnis aufseiten der Koa-Parteien größer
als bei den eigentlichen Adressaten. Es geht um vermutete Wählerstimmen für die eigene Partei. Dafür soll das Schicksal Deutschlands verramscht werden.
Vaterlandslose Gesellen, wie sie im Buche stehen, meine Damen und Herren!
({9})
Der Kanzler klagt: 9 Millionen Bürger leben und arbeiten hier ohne die Staatsbürgerschaft. – Die Wahrheit: Von knapp 12 Millionen arbeiten
4,5 Millionen. Aber nicht nur die Quantität geht fehl, auch die Qualität. Eingebürgert werden sollte doch der, der über eine Identifikation mit Deutschland
verfügt.
({10})
Was tut man dafür? Man macht den Doppelpass zur Regel, das glatte Gegenteil. Das meinte das Grundgesetz nicht mit dem Staatsvolk allererst als
Ursprung und Träger der Staatlichkeit der Nation. Diese Pläne sind schlicht verfassungswidrig.
({11})
Die FDP – im Umfragetief –, die das im Koa-Vertrag schon abgenickt hat, simuliert jetzt plötzlich Bauchschmerzen. Aber nur der Zeitpunkt passe nicht;
den Inhalt finden die okay. Meine Damen und Herren, seit 2005 haben wir eine Nettoauswanderung der Deutschen, aber für Zuwanderung wird getrommelt.
Bevölkerungsaustausch pur! Der häufigste Kommentar unter Artikeln zur Einbürgerungsoffensive ist: Ich wandere aus. – Kein Wunder, wenn einem das Land unter den
Füßen weggezogen werden soll.
Aber der Kanzler weiß: Zum Berührendsten, was er erlebt habe, gehörte die Einbürgerungsfeier. Bar aller Argumente in der Sache verfällt man auf so
eine Schmonzette. Es wird einem übel, wenn man von so viel Ergriffenheit hört, was es bedeutet habe, einen Brief vom Bürgermeister zu bekommen: Sie sollen sich
überlegen, die deutsche Staatsbürgerschaft zu wählen. – Er meint natürlich: die SPD zu wählen.
({12})
Fakt ist: Je mehr Ausländer einwandern und eingebürgert werden, desto mehr Deutsche wandern aus, weil die Steuern zu hoch sind, den Spaß zu
finanzieren. Das Ganze ist ein einziges Fachkräftevertreibungsgesetz. Das ist die Ampel für Ausländer. Aber keiner muss sie wählen; denn es gibt ja noch die
Alternative für Deutsche.
Ich danke Ihnen.
({13})
Der Kollege Omid Nouripour hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob sich noch jemand an den Vertrag von Aachen erinnert. Da ging es um die Vertiefung der
deutsch-französischen Freundschaft. Die AfD hat uns damals erzählt, dadurch werde sich Deutschland auflösen.
({0})
Ich weiß nicht, ob sich jemand an den Global Compact for Migration erinnert. „Wir werden alle sterben“, haben Sie gesagt.
({1})
Nichts davon ist passiert. Jetzt kommt die nächste Geschichte. Sie reden einfach den Weltuntergang herbei, wollen die Leute verunsichern. Ich kann
Ihnen versichern: Die Deutschen sind zu schlau, um auf diesen Schwachsinn reinzufallen.
({2})
Dass das die AfD macht, ist nicht neu. Was aber neu und – ich gebe zu ‑befremdlich ist, ist, dass eine Klaviatur, die ein bisschen ähnlich klingt –
ich hoffe, dass sie nur so klingt –, jetzt von der Union an dieser Stelle auftaucht. Ich verstehe es nicht. Wir erinnern uns alle – zumindest wir Älteren
erinnern uns – an das Sommermärchen 2006 in Deutschland. So viele Klischees über unser Land sind beseitigt worden, und zwar im Bild dieses Landes draußen in der
Welt. Wir waren gastfreundlich, wir waren modern, wir waren weltoffen. So ist dieses Land, und so wird dieses Land auch draußen gesehen.
({3})
Ich kann nur davor warnen, mit diesem Bild zu spielen; das wäre nicht verantwortlich.
({4})
Aber es geht nicht nur um das Bild, sondern es geht auch um gesellschaftlichen Zusammenhalt, und es geht um unsere Wirtschaft. Ich verstehe ernsthaft
nicht, was hier passiert. Sie reden ja auch mit der Wirtschaft. Wir reden viel mit Unternehmerinnen und Unternehmern. Ich hab das Gefühl, dass da Ihrerseits
vielleicht auch mal zugehört werden sollte.
({5})
Wenn man mit ihnen redet, dann sagen sie: Es gibt drei Stellen, wo der Schuh drückt. Der Schuh drückt bei den Energiepreisen. – Ja, die
kostengünstigen Erneuerbaren sind von der Union in den letzten Jahren nicht ausgebaut, sondern blockiert worden. Wir bauen sie gerade aus. – Er drückt bei
Rohstoffen und Lieferketten. Wir sind einseitig abhängig. Wir diversifizieren gerade mit großer Geschwindigkeit. – Und er drückt bei Arbeitskräften. Es fehlen
an ganz vielen Orten Arbeitskräfte. Deshalb hat diese Koalition das Fachkräfteeinwanderungsgesetz auf den Weg gebracht. Das ist nicht die einzige Lösung. Das
wissen wir, aber das ist nicht das Thema. Wir machen ein Chancen-Aufenthaltsrecht, damit es auf dem Arbeitsmarkt vorangeht,
({6})
und wir schaffen Perspektiven für die besten Köpfe, die im internationalen Wettbewerb schauen, wo sie hinwollen. Das ist doch besser für Deutschland.
Das ist das, was wir hier gerade veranstalten. Die Bluecard ist auch deswegen nicht vorangekommen, weil es diese Perspektive nicht gegeben hat.
({7})
Sie machen Identitätspolitik, wir machen Wirtschaftspolitik. Sie machen Populismus, wir machen Integrationsarbeit. So ist die Arbeitsteilung in diesen
Zeiten, und das ist bedauerlich.
({8})
Die Lautstärke lässt vermuten, dass es eigentlich um die Zerrissenheit im Umgang mit dem Erbe von Angela Merkel geht.
({9})
Dafür kann das Land aber nichts. Daher: Setzen Sie sich zusammen, und überlegen Sie, was Sie machen wollen! Ich bin dankbar und froh über diejenigen,
die uns zustimmen wollen, und weiß, dass das mutig ist. Ich habe selber auch schon mal gegen meine eigene Fraktion gestimmt. Aber wenn man schaut, wie viele
Leute aus Ihrer Fraktion, die nicht irgendwelche Leute sind, im Kabinett Merkel gesessen haben oder auch andere gewichtige Positionen in der Union innehatten
und jetzt für unser Chancen-Aufenthaltsrecht stimmen wollen, dann sieht man doch, dass es eigentlich um die inneren Zerwürfnisse der Union geht.
({10})
Dabei müssen Sie gar nicht auf uns hören. Rita Süssmuth hat damals die Kommission geleitet, die gesagt hat: Wir brauchen ein Punktesystem. – Der
Baustein „Einwanderung“ ist ein Asset des Standorts Deutschland. Hören Sie doch auf den BDI, die BDA, den DIHK oder die Wirtschaftsweisen; die werden Ihnen alle
dasselbe sagen.
Aber ich will noch eine Sache wirklich versuchen zu verstehen. Ich verstehe, ehrlich gesagt, schlicht und einfach nicht, wenn hier beispielsweise vom
„Verramschen“ gesprochen wird in Bezug auf Leute, die überhaupt nur zu uns kommen können, wenn sie ihren Lebensaufenthalt selber verdienen können. Ich frage
mich das als einer, der hier heute nicht stehen könnte, wenn es die Mehrstaatigkeit in Härtefällen in diesem Land nicht geben würde,
({11})
eine Gesetzgebung, von der Sie heute sagen: „Die wird doch reichen“, die Sie damals im Übrigen komplett bekämpft haben. Ich frage mich: Warum haben
Leute weniger Rechte, wenn andere mehr Rechte haben? Das ist doch das, was Sie hier suggerieren.
({12})
Sie führen hier eine Neiddebatte. Das macht aber überhaupt keinen Sinn. Die einzige Möglichkeit, wie ich mir das erklären kann, ist eine
Loyalitätsparanoia. Aber dahinter ist halt einfach nichts. Diese Loyalitätsparanoia braucht es nicht.
({13})
Ich bitte wirklich flehentlich darum: Lassen Sie diese Debatten sein! Die Krisen sind zu groß. Dieses Land steht vor immensen Herausforderungen. Wir
müssen an dieser Stelle zusammenstehen und alles dafür tun, um nicht noch weiter zu spalten.
({14})
Das ist so dringend notwendig!
({15})
Wir strecken die Hand aus, um solche Debatten normal, sachlich und rational miteinander zu führen, beispielsweise zur Frage: Was ist gut für den
Arbeitsmarkt? Das sollten wir zusammen tun zum Wohle unseres Landes.
Herzlichen Dank.
({16})
Die nächste Rednerin ist Janine Wissler für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Deutschland sind über 10 Millionen erwachsene Menschen nicht wahlberechtigt. Viele von ihnen sind hier
geboren. Sie leben und arbeiten hier. Sie sind Teil der Gesellschaft, aber eben nicht vollständig. Sie dürfen nicht wählen und nicht zu Wahlen antreten, weil
sie keine deutsche Staatsbürgerschaft haben. Ihr Leben wird bestimmt durch politische Entscheidungen, an denen sie nicht durch Wahlen mitwirken können.
Vor 60 Jahren kamen die ersten Gastarbeiter nach Deutschland. Ihnen wurde das Wahlrecht vorenthalten, genauso wie die Anerkennung ihrer
Lebensleistung. Deutschland ist ein Einwanderungsland, und diese Realität muss sich endlich auch im Wahl- und im Staatsbürgerschaftsrecht widerspiegeln.
({0})
Im Jahr 1972 lag der Anteil der Wahlberechtigten an der Gesamtbevölkerung bei 91 Prozent. Seitdem sinkt der Anteil stetig; 2021 lag er nur noch bei
73 Prozent. Das ist ein Problem für die Demokratie. Und hinter diesen Zahlen stehen Menschen, die ausgegrenzt werden als Einwohner zweiter Klasse. Die
Einbürgerungsquote ist im europäischen Vergleich niedrig; denn eine Einbürgerung ist mit vielen Hürden, Kosten und Zeitaufwand verbunden. Das schreckt viele
Menschen ab, überhaupt einen Antrag zu stellen. Deshalb begrüßen wir, dass die Bundesinnenministerin eine Erleichterung von Einbürgerungen angekündigt hat, wie
auch im Koalitionsvertrag der Ampel versprochen wurde.
({1})
Wer schon viele Jahre In Deutschland lebt, der soll nach fünf statt bisher nach acht Jahren eingebürgert werden können, und die doppelte
Staatsbürgerschaft soll einfacher werden. Gut so!
({2})
Diese Reform ist lange überfällig, um allen dauerhaft hier lebenden Menschen Partizipation zu ermöglichen, meine Damen und Herren.
Und was macht die Union? Sie erklärt, die deutsche Staatsbürgerschaft werde entwertet und verramscht, wenn sie ohne Leistung vergeben werde. Was ist
das denn für eine bekloppte Argumentation!
({3})
Wie kann denn etwas verramscht werden, was Hunderttausende Menschen jedes Jahr ohne jede Leistung und ohne eigenes Zutun bekommen, nämlich nur durch
Geburt, weil ihre Eltern zufällig Deutsche sind?
({4})
Was haben Sie denn für den deutschen Pass geleistet, Herr Merz?
({5})
Genauso viel wie ich: nämlich gar nichts, genauso wie die meisten Deutschen!
({6})
Es ist reiner Zufall. Es ist Spermienlotterie, in welchem Land und in welche Familie man geboren wird.
({7})
Warum sollte man also dieses Dokument und die damit verbundenen Rechte so vielen Menschen vorenthalten, die genauso hier geboren wurden, die genauso
hier leben und arbeiten wie alle anderen?
CDU und CSU spalten die Menschen, und sie spielen sie gegeneinander aus. Als würde auch nur irgendein Deutscher irgendetwas dadurch verlieren, dass
jemand anders eingebürgert wird.
({8})
Der Pass wird ja deshalb niemandem weggenommen. Nicht der Pass wird entwertet – Sie entwerten Menschen durch solche Debatten, meine Damen und
Herren!
({9})
Ich erinnere mich gut an 1999, an Roland Koch, an die Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, als Menschen zum CDU-Wahlkampfstand gekommen sind und
gefragt haben, wo sie gegen Ausländer unterschreiben können. Die CDU hat damals ganz bewusst rassistische Vorurteile geschürt.
({10})
Sie haben mit dieser Kampagne großen Schaden angerichtet. Sie haben das Klima vergiftet und viele Menschen zutiefst verletzt.
({11})
So bereitet man den Nährboden für Hass und Gewalt auf Kosten derer, die alltäglich von Rassismus betroffen sind. Und die Gefahr von rechts wächst
doch: die Morde des NSU, Halle, Hanau, der Mord an Walter Lübcke. Alle paar Tage brennt eine Flüchtlingsunterkunft. Wer in einer solchen Situation gegen
Einwanderer polemisiert und Stimmung macht, der weiß doch ganz genau, was er tut.
({12})
Sie sprechen, ganz im AfD-Slang, von der Einwanderung in Sozialsysteme, von Sozialtourismus und einer inflationären Vergabe von Pässen.
({13})
Das ist ein gefährlicher Unsinn, und es ist ein Schlag ins Gesicht der vielen Menschen, die in den letzten Jahrzehnten einen wichtigen Beitrag zum
Wohlstand dieses Landes geleistet haben
({14})
und an den hohen Einbürgerungshürden gescheitert sind, meine Damen und Herren.
({15})
Ich fordere die CDU und die CSU, insbesondere die Hessen-CDU,
({16})
dringend auf, nicht erneut eine rassistische Kampagne zur Staatsbürgerschaft zu führen!
Obwohl sie bekanntermaßen Teil der Ampelkoalition ist, distanziert sich die FDP jetzt auch von der geplanten Reform.
({17})
Wie schon beim Bürgergeld fungiert die FDP als Verstärker von Merz und Söder
({18})
auf Kosten der Menschen, die ausgegrenzt und diskriminiert werden, ob aufgrund von Armut oder ihrer Migrationsgeschichte oder aufgrund von beidem. Die
angekündigten Erleichterungen müssen schnell umgesetzt werden, sie müssen barrierefrei sein und unabhängig vom sozialen Status. Die zuständigen Behörden müssen
entsprechend ausgestattet werden. Und wir werden alle Schritte unterstützen, die Menschen demokratische Teilhabe ermöglichen.
({19})
Lassen Sie mich zum Schluss kurz aus den „Flüchtlingsgesprächen“ von Bertolt Brecht zitieren:
Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande
kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch so gut
sein kann und doch nicht anerkannt wird.
({20})
Für uns zählt der Mensch!
({21})
Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Kollege Konstantin Kuhle.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man sich auch nur fünf Minuten in unserem Land umsieht, wenn man mit Arbeitgebern, wenn man mit
Unternehmen spricht, dann merkt man sofort: Der Mangel an Arbeitskräften ist mit Händen zu greifen. Wir werden als alternde Gesellschaft diesen Mangel an
Arbeitskräften nur in den Griff bekommen, wenn wir auf Einwanderung setzen.
({0})
Das sagen Ihnen alle Experten, und das sagt Ihnen auch die Wirtschaft selbst. Ich will mal vortragen, was der Deutsche Industrie- und Handelskammertag
an diesem Montag – in dieser Woche, in der wir diese Debatte hier führen – gegenüber der Deutschen Presse-Agentur gesagt hat – ich zitiere –:
Viele Unternehmen setzen daher darauf, dass der Zuzug von Fachkräften aus Drittstaaten weiter erleichtert wird.
Auch in der aktuellen Krise ist der Fachkräftemangel für die Unternehmen nach den Energiekosten das zweitgrößte Geschäftsrisiko.
Ich will Ihnen etwas sagen: Es ist ganz normal, dass sich in einer Koalition mit so unterschiedlichen Partnern wie Grünen und SPD und FDP die Leute
auch mal in die Wolle kriegen. Aber wenn wir eine Verantwortung haben, nachdem nach 16 Jahren die Union nicht mehr den Innenminister stellt,
({1})
dann die, den Mehltau in der deutschen Einwanderungspolitik zu beseitigen und ein Einwanderungsgesetz zu beschließen, das diese Erwartungen erfüllt,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Dabei sind wir doch auf einem guten Weg.
({3})
Wir haben gestern im Kabinett Eckpunkte zur Einwanderung aus Drittstaaten in den Arbeitsmarkt beschlossen, Erleichterungen für Menschen mit
praktischen Berufserfahrungen, eine Ausdehnung der Bluecard, eine Ausdehnung der Westbalkan-Regelung und die Einführung einer Chancenkarte mit Punktesystem nach
dem Vorbild erfolgreicher Einwanderungsländer wie Kanada. Dieses Gesetz werden wir beschließen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union.
({4})
Sie werden es bekämpfen.
({5})
Das können Sie machen, aber dann seien Sie auch so offen und sagen, dass Sie damit Politik gegen die Interessen der deutschen Volkswirtschaft und
gegen die Sicherung des deutschen Wohlstandes machen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union.
({6})
Wir Freie Demokraten sind davon überzeugt, dass dieses Einwanderungsgesetz eines der zentralen Reformprojekte der Ampelkoalition ist. Deswegen muss
dieses Einwanderungsgesetz auch zügig beschlossen werden. Deswegen wäre es verfehlt, das Thema Einwanderung bereits jetzt mit dem Thema Einbürgerung zu
vermengen;
({7})
denn unser Einwanderungsgesetz muss in ein migrationspolitisches Gesamtkonzept eingebettet sein.
({8})
Dieses migrationspolitische Gesamtkonzept lässt sich zusammenfassen mit der Formel: mehr reguläre Migration, weniger irreguläre Migration.
({9})
Wenn wir in der Gesellschaft dauerhaft die Akzeptanz für Migration und auch für das neue Einwanderungsgesetz erhalten wollen, dann muss Einwanderung
geordnet und regelbasiert erfolgen. Wir haben in der Koalition dazu verschiedene Maßnahmen vereinbart,
({10})
unter anderem die Beschleunigung von Asylverfahren und Asylgerichtsverfahren, die wir schon an diesem Freitag beschließen werden.
Es steht aber noch mehr im Koalitionsvertrag, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es steht auch eine Rückführungsoffensive im Koalitionsvertrag, und es
steht der Abschluss von Migrationsabkommen mit den Hauptherkunftsstaaten im Koalitionsvertrag.
({11})
Hier sage ich ganz deutlich an die Adresse der Bundesregierung: Es muss mehr passieren, damit wir gesamtgesellschaftlich auch die Akzeptanz für
Migrationspolitik erhalten werden.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Teil des migrationspolitischen Gesamtkonzepts der Ampelkoalition ist auch eine Reform des
Staatsangehörigkeitsrechts;
({13})
denn wir wollen, dass Menschen, die sich in Deutschland integrieren, schneller deutsche Staatsangehörige werden können. Zu den Kriterien für eine
Einbürgerung gehört schon heute, dass die Menschen ihren eigenen Lebensunterhalt sichern können. Und an dieser Stelle darf und wird es auch keinen Rabatt auf
die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit geben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Aber es wäre doch absurd, wenn diese Generation politischer Verantwortungsträger die Fehler wiederholt, die im Umgang mit den Gastarbeitern in
Deutschland gemacht worden sind. Ich finde es würdelos, ich finde es daneben, dass die dritte Generation der Gastarbeiternachkommen, die seit drei Generationen
in diesem Land Steuern zahlen, immer noch keine deutschen Staatsangehörigen sind. Das werden wir ändern, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({14})
Schon heute behalten übrigens 60 Prozent der Menschen, die eingebürgert werden, ihren ursprünglichen Pass. Wir haben also bereits eine Hinwendung zur
Mehrstaatigkeit. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass in traditionellen, erfolgreichen Einwanderungsländern wie Kanada und Australien Menschen schon innerhalb
kürzester Zeit, nach wenigen Generationen nicht mehr Mexikaner, nicht mehr Briten, nicht mehr Inder sind, sondern ausschließlich Australier und Kanadier.
({15})
Deswegen werbe ich bei der Opposition und auch innerhalb der Koalition dafür, dass wir uns damit beschäftigen, wie sich auch die Einbürgerung in ein
Gesamtkonzept der Migrationspolitik einbetten kann und wie Einwanderung und Einbürgerung zusammen gedacht werden können. Hier braucht es vor allen Dingen die
richtige Reihenfolge, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({16})
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss und will einmal sagen – viele wissen es ja –, dass ich aus Niedersachsen komme. Wir hatten in
Niedersachsen mal einen tollen Ministerpräsidenten namens David McAllister. David McAllister war nicht nur deutscher Staatsbürger, David McAllister war auch
britischer Staatsbürger. Ich frage mich: Was hat die CDU/CSU-Fraktion eigentlich gegen David McAllister?
Herr Kollege, Sie kommen zum Ende, bitte.
Ich finde, dass er ein toller Ministerpräsident war, und ich finde, dass das nichts mit seiner Staatsangehörigkeit zu tun hat.
({0})
Herr Kollege.
Deswegen sage ich an die Adresse der Union: Ich wünsche mir mehr David McAllister und weniger Roland Koch.
Herzlichen Dank.
({0})
Thorsten Frei hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich finde, die Debatte hat keinen guten Ton.
({0})
– Ja, diese Bemerkung habe ich an exakt diejenigen gerichtet, die jetzt so applaudieren. Denn wissen Sie, wenn Sie eine grundlegende Veränderung,
einen Paradigmenwechsel im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht dadurch wollen,
({1})
dass Sie die Mehrstaatigkeit generell annehmen und hinnehmen,
({2})
dann können Sie das nicht machen, ohne dass eine öffentliche Debatte geführt wird, dann können Sie nicht glauben, dass wir darüber nicht reden
wollen.
({3})
Sie führen eine Debatte, Sie machen Vorschläge,
({4})
die 60, 70 Prozent der Menschen in unserem Land nicht wollen. Wenn das so ist, dann müssen Sie diese Debatte mit uns führen,
({5})
und Sie dürfen sie nicht so führen, dass Sie jeden, der anderer Meinung ist als Sie, als spalterisch, als populistisch, als rassistisch oder was auch
immer abtun.
({6})
Das ist keine ehrliche Debatte, und, um ehrlich zu sein, das ist auch unterhalb Ihres Niveaus.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, man muss einfach auch der Klarheit wegen sagen: Wenn Sie grundsätzlich die Mehrstaatigkeit im
Staatsangehörigkeitsrecht hinnehmen möchten, dann hat das weitreichende Änderungen nicht nur für die Zusammensetzung des Staatsvolkes, dann hat es auch
weitreichende Änderungen beispielsweise für die Aufenthaltstitel und das System dort insgesamt zur Folge.
Denn wenn es nach fünf Jahren die deutsche Staatsangehörigkeit geben soll, dann hat das natürlich Auswirkungen beispielsweise auf die Frage: Wann wird
ein Daueraufenthaltsrecht gegeben, wann werden andere Aufenthaltstitel erteilt? Das hat weitreichende Konsequenzen,
({7})
und darüber muss man miteinander diskutieren.
Sie haben beispielsweise Vorschläge zu einem Chancen-Einwanderungsgesetz gemacht, bei dem es letztlich darum geht, dass Menschen, die abgelehnte
Asylbewerber sind, die seit Jahren nicht aus unserem Land ausreisen, auch noch dafür prämiert werden, wenn sie nicht dazu beitragen, über ihre Identität
Auskunft zu geben.
({8})
Also, es geht am Ende des Tages auch darum, dass der Rechtsstaat sich selber ernst nimmt.
Lassen Sie mich eines noch mal ganz klar sagen: Natürlich ist Deutschland ein Einwanderungsland.
({9})
Deswegen, finde ich, darf man die Dinge auch nicht durcheinanderbringen.
Wir werben um Frauen und Männer aus allen Teilen der Welt, die unsere Werte teilen, die hier gemeinsame Ziele mit uns verwirklichen möchten, die hier
arbeiten möchten und ihr Glück finden möchten. Es ist übrigens nicht so, dass Sie die Voraussetzungen dafür erfunden hätten. 2019 haben wir ein
Fachkräfteeinwanderungsgesetz gemacht.
({10})
Wenn Sie mal ehrlich sind: Die Probleme dieses Gesetzes sind nicht das Gesetz selbst, sondern das Problem im Bereich der Fachkräfteeinwanderung ist
beispielsweise, dass zum einen unsere Konsularabteilungen teilweise ein Jahr brauchen, bis Termine genehmigt werden, und zum anderen auch die Anerkennung von
Berufsabschlüssen nicht so funktioniert, wie wir uns das vorstellen könnten. Das sind die tatsächlichen Probleme, die man dabei lösen muss.
({11})
Und lassen Sie mich zum Staatsangehörigkeitsrecht eines sagen: Die Staatsangehörigkeit führt letztlich dazu, dass Bürger untereinander in einer ganz
besonderen Verbindung stehen. Das hat was mit Identifikation zu tun; darüber haben wir gesprochen. Und jetzt ist es so: Die Staatsangehörigkeit führt zu
Rechten, und das führt auch zu Verpflichtungen.
({12})
Und eine Staatsangehörigkeit zu haben, ist eine relativ einfache Angelegenheit, wenn der Staat im Gewand eines Sozialstaates daherkommt, im Gewand
eines demokratischen Rechtsstaates, wenn er bei Konsularangelegenheiten im Ausland hilft. Aber der Staat kommt auch, um von den Bürgern beispielsweise zu
fordern
({13})
– nicht nur, dass Steuern gezahlt werden –, dass Eigentum zur Verfügung gestellt werden muss, dass er mit Menschenleben verteidigt werden muss.
Deshalb ist es immer eine Gesamtbetrachtung, die man hier anstellen muss.
Ich will Ihnen eines sagen: Es ist richtig, die Einbürgerungsquote in Deutschland ist nicht hoch.
({14})
Aber so zu tun, als ob die Tatsache, dass nicht jeder die doppelte Staatsbürgerschaft haben kann, heute das Hindernis wäre, ist schlicht falsch.
({15})
Schauen Sie sich mal in Europa um!
({16})
In den Niederlanden haben wir eine vier- bis fünfmal höhere Einbürgerungsquote. Tatsächlich gibt es dort aber faktisch die doppelte Staatsbürgerschaft
nicht. Die gibt es übrigens auch in Ländern wie Dänemark und Österreich nicht
({17})
und auch in Litauen nicht. Und das führt dazu: Diese Länder haben keine Integrationsprobleme.
({18})
Wer hat Integrationsprobleme? Länder wie Großbritannien, Frankreich und Schweden,
({19})
die Länder, die die doppelte Staatsbürgerschaft haben. Das eine hängt mit dem anderen zusammen.
({20})
Sie bauen einen Popanz auf. Das ist nicht richtig. Und eines müssen Sie sich gefallen lassen: Man kann in der Demokratie alle Meinungen vertreten.
Aber Sie lassen andere Positionen nicht zu.
({21})
Sie sind noch nicht mal bereit, –
Herr Frei, kommen Sie bitte zum Schluss.
– darüber ernsthaft zu reden, ohne hier mit Polemik um sich zu werfen.
({0})
Für die Bundesregierung hat das Wort der Parlamentarische Staatssekretär Mahmut Özdemir.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist gut, zur Halbzeit nach dieser Rede befördern zu wollen, in der
anstehenden Diskussion um die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts auf einer Sach- und Fachebene zu bleiben und uns auf Basis der Fakten weiter zu
unterhalten.
({0})
Aber eine Mahnung kann ich mir nicht ersparen: Im Zusammenhang mit dem Staatsangehörigkeitsrecht, also dem, was unser Staatsvolk definiert, Wertungen
wie „verramschen“ und ähnliche Bilder zu verwenden, halte ich für schändlich.
({1})
Es kommt aus der gleichen Schublade wie „Sozialtourismus“, und diese Schublade sollte man zu lassen.
({2})
Die Fakten: Wir verlangen weiterhin ein qualifiziertes Aufenthaltsrecht. Es sind ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung des
Grundgesetzes und eine Loyalitätserklärung abzugeben. Identität und bestehende Staatsangehörigkeit müssen geklärt sein. Der Lebensunterhalt muss gesichert sein.
Mündliche und schriftliche Deutschkenntnisse müssen durch eine Sprachprüfung belegt sein. Nur hier machen wir eine gezielte Ausnahme, zu der ich gleich noch mal
kommen werde. Es müssen Kenntnisse der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung nachgewiesen sein, und auch künftig darf eine Einbürgerung bei Bestehen einer
Mehrehe nicht vollzogen werden und auch dann nicht, wenn die Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht akzeptiert wird. Wir ersetzen damit den unklaren Begriff
der „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“ durch klare Kriterien.
({3})
Deutschland ist längst ein Einwanderungsland geworden. Ende 2021 – da helfe ich gerne mit Fakten – lebten rund 72,4 Millionen Menschen mit deutscher
und rund 10,7 Millionen mit ausländischer Staatsangehörigkeit in Deutschland, von denen sich rund 5,7 Millionen Menschen bereits seit mindestens zehn Jahren in
Deutschland aufhielten. Dies hat zur Folge, dass ein zahlenmäßig bedeutender Bevölkerungsteil, der auf Dauer in Deutschland lebt und hier seine Heimat gefunden
hat, von Rechten und Pflichten eines Bürgers gegenüber dem Staat ausgeschlossen bleibt. Für den Zusammenhalt in Deutschland ist aber entscheidend, dass auch
diejenigen, die längst Teil unserer Gesellschaft geworden sind, mitgestalten und mitentscheiden dürfen. Dazu gehört vor allen Dingen die politische Teilhabe
durch das aktive und passive Wahlrecht; Rechte, die mir persönlich, trotz meiner Geburt in Deutschland, ohne eine Einbürgerung verwehrt geblieben wären.
({4})
Fakt ist, dass Deutschland bei den Einbürgerungen im Vergleich zu anderen europäischen Staaten nicht gut dasteht. Die durchschnittliche
Einbürgerungsrate liegt nach der letzten Erhebung von Eurostat deutlich unter dem Durchschnitt der Europäischen Union.
Unser Ziel ist es, die Missstände zu beseitigen, die sich teilweise schon über Jahrzehnte aufgestaut haben, teilweise auch unter einer sehr
fragwürdigen BMI-Führung. Wir können nicht an Rahmenbedingungen für die Einbürgerung festhalten, die heute in der Mehrheit gesellschaftlich und politisch keine
Billigung mehr finden. Das hat die Bundestagswahl sehr deutlich gezeigt.
({5})
– Das ist das Ergebnis der Bundestagswahl. Sie müssen gesellschaftliche und politische Realitäten irgendwann auch mal akzeptieren.
({6})
Ich sehe den Phantomschmerz, aber da kann ich Ihnen auch nicht mehr helfen.
Der Erwerb und die Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit ist das stärkste Bekenntnis zu Deutschland. Denn wer deutscher Staatsbürger werden will,
sagt Ja zu einem Leben in einer freiheitlichen Gesellschaft, zur Achtung des Grundgesetzes, zur Rechtsstaatlichkeit und zur Gleichberechtigung von Frauen und
Männern.
({7})
Dieses Bekenntnis ist wichtiger als die Frage, ob jemand eine oder mehrere Staatsangehörigkeiten besitzt. Insofern verweise ich darauf, dass es
Mehrstaatigkeit heißt und nicht doppelte Staatsbürgerschaft.
({8})
Die Verpflichtung zur Aufgabe ihrer Herkunftsstaatsangehörigkeit stellt für viele Einbürgerungsinteressierte ein Hindernis dar. Sie fühlen sich
Deutschland zugehörig, wollen aber den Bezug zu ihrem Herkunftsland nicht völlig verlieren. Der Grundsatz der Vermeidung der Mehrstaatigkeit entspricht schon
seit Langem nicht mehr der tatsächlichen Einbürgerungspraxis. Im Jahr 2021 hat die Mehrstaaterquote bei den Einbürgerungen schon 69 Prozent erreicht. Der
Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit ist schon lange nicht mehr die Norm, sondern die Ausnahme. Das sind die Fakten.
({9})
Wir werden Mehrstaatigkeit daher künftig generell zulassen. Merken Sie sich bitte diesen Begriff! Mit anderen Begriffen haben Sie ja eher
Probleme.
({10})
Dadurch wird auch die Optionsregelung beim Geburtserwerb vollständig entfallen. Künftig werden alle in Deutschland geborenen Kinder ausländischer
Eltern, bei denen mindestens ein Elternteil seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig und mit unbefristetem Aufenthaltsrecht in Deutschland lebt, die deutsche
Staatsangehörigkeit und die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern erhalten und vor allem dauerhaft behalten. Sie müssen sich nicht mehr für oder gegen einen Teil
ihrer Identität entscheiden, und das ist längst überfällig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({11})
Eine schnellere Möglichkeit zur Einbürgerung ist ein wesentliches Element einer guten Einbürgerungskultur, die Teilhabe an Entscheidungen schafft.
Menschen mit Einwanderungsgeschichte, die ein qualifiziertes Aufenthaltsrecht haben, sollen daher bereits nach fünf Jahren die Möglichkeit haben, eingebürgert
zu werden. Warum sollten diejenigen, die hier bereits verwurzelt sind und alle Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllen, auch weiter warten müssen? Wer zusätzliche
Leistungen erbringt, kann die Voraufenthaltsdauer auch noch erheblich verkürzen.
Bei der Modernisierung unseres Staatsangehörigkeitsrechtes soll auch die Lebensleistung der Angehörigen der sogenannten Gastarbeitergeneration
berücksichtigt werden. Das ist die Generation, die wir bis heute auf die Stuben der Ausländerämter verweisen, wenn sie einen neuen Pass beantragen und ihre
Aufenthaltserlaubnis übertragen lassen müssen. Wir schicken sie zu Ausländerämtern und lassen sie wochenlang, monatelang darauf warten, dass sie eine
Staatsleistung bekommen, die ihnen eigentlich schon längst hätte angediehen werden müssen.
({12})
Es ist auch eine Frage des notwendigen Respektes, den wir diesen Menschen mit diesem Gesetz zollen. Sie haben in der Vergangenheit keine oder nur
wenige Teilhabeangebote erhalten. Deshalb werden wir für sie bei der Einbürgerung Erleichterungen beim Sprachnachweis schaffen und auf den Einbürgerungstest
verzichten. Diese Einbürgerungserleichterungen sollen für alle Personen gelten, die das gesetzliche Renteneintrittsalter erreicht, also das 67. Lebensjahr
vollendet haben, damit auch sie eine realistische Möglichkeit zur Einbürgerung haben.
Mit der Hinnahme der Mehrstaatigkeit werden wir einen Paradigmenwechsel einleiten, der längst überfällig ist. Zugleich werden wir mit der
Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechtes die Einbürgerung einfacher und attraktiver machen. Dies sind aber nicht die einzigen Gründe, warum wir ein
moderneres Staatsangehörigkeitsrecht schaffen wollen.
Wir müssen das Staatsangehörigkeitsrecht auch reformieren, um Deutschland zukunftsfest zu machen. Wir haben es gerade in der Debatte teilweise gehört:
Die Wirtschaft mahnt immer wieder an, dass der Fachkräftemangel ein wesentliches Hemmnis für das weitere Wirtschaftswachstum ist und damit den Wohlstand in
Deutschland gefährden könnte.
({13})
Dann ist es doch gut und vor allen Dingen richtig, Deutschland für ausländische Fachkräfte attraktiver zu machen.
Wir haben bereits ein Mosaikbild vorgezeichnet. Einzelne Mosaiksteine haben wir bereits eingesetzt. Das Chancen-Aufenthaltsrecht kommt. Wir werden mit
dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, dem Familiennachzug und dem Staatsangehörigkeitsrecht weitere Mosaiksteine in dieses Bild einsetzen. Ich sage auch allen
Kolleginnen und Kollegen hier im Haus: Ein Mosaikbild muss durch schnelle Vervollständigung der kleinen Steine, die da hineingehören, durch die vielen kleinen
Diskussionen über die einzelnen Gesetze am Ende des Tages zu einem stimmigen Gesamtbild führen. Dieses Gesamtbild werden wir als Regierung sehr schnell
herausarbeiten.
({14})
Der schnelle und vor allem schnellere Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit und damit eine sichere Perspektive in Deutschland kann ein weiterer
wichtiger Baustein sein, um Fachkräfte zu motivieren, nach Deutschland zu kommen bzw. dauerhaft hierzubleiben. Eine Debatte über das Staatsangehörigkeitsrecht
allerdings, die von Ressentiments und Stimmungsmache geprägt ist, wird einem modernen Einwanderungsland nicht gerecht und entspricht auch nicht der Meinung der
politischen und gesellschaftlichen Mehrheit.
({15})
Die Reform unseres Staatsangehörigkeitsrechtes ist eine große Chance, unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Um es etwas poetisch zu
sagen – ich zitiere Victor Hugo –: „Nichts ist stärker als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“ Mittlerweile gibt es auch die entsprechenden Mehrheiten im
Deutschen Bundestag dazu.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({16})
Die Kollegin Dr. Irene Mihalic hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es ist allerhöchste Zeit, dass Deutschland ein neues, modernes
Staatsbürgerschaftsrecht bekommt, ein Staatsbürgerschaftsrecht, das Menschen eine bessere und verbindlichere Integrationsperspektive eröffnet, den
demografischen Erfordernissen Rechnung trägt und auch gut für unsere Wirtschaft ist. Wir haben einen strukturellen Fachkräftemangel, der unseren Wohlstand und
die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bedroht. All das müssen wir dringend angehen.
({0})
Die Welt verändert sich, aber die Merz-Union – das konnten wir in den Beiträgen gerade wieder eindrucksvoll hören – irrlichtert irgendwo zwischen
Identitätspolitik, Vorurteilen und zündelnden Narrativen hin und her. Damit schaden Sie dem Image Deutschlands ganz massiv.
({1})
Da wird der deutschen Pass als „Ramschware“ bezeichnet, vor einem Black Friday wird gewarnt, und Sie, lieber Thorsten Frei, haben zwar nicht in Ihrer
Rede eben, aber in einem Interview im ZDF gesagt, die deutsche Staatsbürgerschaft dürfe nicht – ich zitiere – „ohne weitere Leistung“ verliehen werden.
({2})
Nun, Herr Frei: Was war eigentlich genau Ihre Leistung, die Sie zum deutschen Staatsbürger befähigt hat?
({3})
Das mag sich für Sie vollkommen absurd anhören, aber die gleiche Frage stellen Sie in diesen Debatten Menschen, die genau wie Sie hier geboren und
aufgewachsen sind.
({4})
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie merken es vielleicht selber: Bei Staatsbürgerschaft geht es nicht um Leistung. Es geht um bestimmte
Voraussetzungen – ja, das ist richtig; Mahmut Özdemir hat gerade eindrucksvoll dargestellt, wohin die Reise gehen soll –, und vor allem geht es um die
Möglichkeit, gleichberechtigt zum Erfolg unseres Gemeinwesens beizutragen, und in diesem Geist werden wir das Staatsbürgerschaftsrecht novellieren.
({5})
Wir führen diese Debatten, wer dazugehört und wer nicht, schon seit Jahrzehnten, und es ist, ehrlich gesagt, unerträglich, dass Menschen, die keinen
deutschen Pass haben, sich hier ständig beweisen und erklären müssen,
({6})
oder dass Menschen mit zwei Staatsangehörigkeiten die Loyalität zu unserem Land abgesprochen wird.
({7})
Auch die Union war in ihrer Integrationspolitik schon einmal weiter. Auch Sie haben etliche Leute in Ihren eigenen Reihen, die eingebürgert
wurden.
({8})
Man fragt sich, wo die heute eigentlich alle sind.
({9})
Wahrscheinlich ertragen sie es nicht, Ihnen hier zuzuhören.
({10})
Jetzt führen Sie die Debatte im Stil der 90er-Jahre, wie bei Koch und Kanther. Wie erklären Sie das eigentlich Ihren eigenen Leuten?
({11})
Daran merkt man einfach, dass Sie nach 16 Jahren Angela Merkel noch gar keine Ahnung haben, wohin Ihre Reise eigentlich gehen soll. Da ist es
natürlich sehr bequem für Sie, mit einer ordentlichen Portion Populismus Ihre eigene Orientierungslosigkeit zu überdecken.
({12})
Genau deshalb bin ich sehr gespannt, was Sie morgen bei der Abstimmung machen werden, wenn es um das Chancen-Aufenthaltsrecht geht.
({13})
Da können Sie ja mal zeigen, ob Sie auf die Wirtschaft hören und den dauerhaften Aufenthalt von dringend gebrauchten Fachkräften ermöglichen wollen
oder ob Sie lieber, so wie in dieser Debatte, rechts abbiegen.
({14})
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden hier dauernd über amtliche Dokumente; aber dabei geht es um Menschen, meine Damen und Herren.
({15})
Es sind Menschen mit ihren persönlichen Biografien, mit ihren Familien, mit ihren individuellen Plänen, ihr Leben zu gestalten. Herr Merz hat gestern
im „Morgenmagazin“ gesagt, dass die, die wir hier haben wollen, leider nicht kommen. Tja, da kann man sich ja mal fragen, woran das liegt. Herr Frei hat sich ja
eben auch darüber beklagt, dass die Debatte hier keinen guten Ton hat. Das teile ich ausdrücklich. Wenn diese Menschen mitbekommen, wie hier die Debatte geführt
wird, und Worte wie „Ramschware“ hören, dann ist das ein Schlag ins Gesicht,
({16})
dann fühlen sie sich hier schlicht und ergreifend unerwünscht.
({17})
Ich mache das jetzt mal ganz persönlich: Auch ich wurde eingebürgert, als junger Mensch am 3. Oktober im Jahr 1983, als Kind von Eltern aus dem
ehemaligen Jugoslawien, die in den 60er-Jahren nach Deutschland gekommen sind und hier ihr Leben lang gearbeitet haben. Wenn mein Vater, der als Rohrschlosser
angestellt war, am Abend in die Kneipe gehen wollte, war er sehr vertraut damit, wenn es hieß: Gastarbeiter sind hier unerwünscht. – Genau genommen war er noch
nicht einmal Gastarbeiter, sondern er hatte ein ganz anderes Anstellungsverhältnis. Aber das spielt hier gar keine Rolle; denn es geht um das, was
dahintersteckt. Wenn ich heute an seine Erzählungen zurückdenke, dann versetzt mir das immer noch einen Stich ins Herz.
Es muss endlich Schluss sein damit, Begriffe zu verwenden, die auf verletzende Weise andere Menschen diskriminieren, nur weil sie eben nicht seit
Generationen hier in Deutschland leben.
({18})
Da Sie von der Union immer so gerne über Leistung sprechen: Ich wünsche mir, dass Sie explizit mal die Lebensleistung gerade der älteren Generation
würdigen, die wesentlich dazu beitragen hat, unser Land nach der dunkelsten Zeit unserer Geschichte wieder aufzubauen. Die diskriminierende Denkweise sollten
wir mit einem neuen Staatsbürgerschaftsrecht endlich hinter uns lassen. Deutschland ist ein Einwanderungsland, und es wird Zeit, dass das Recht dieser Tatsache
Rechnung trägt.
Ganz herzlichen Dank.
({19})
Stephan Thomae hat das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Pläne der Bundesregierung für eine schnellere Einbürgerung sind Teil eines
Gesamtkonzepts, eines Gesamtkunstwerks. Morgen wird der Deutsche Bundestag ein Gesetz zur Beschleunigung der Asyl- und Asylgerichtsverfahren beschließen, weil
wir der Meinung sind, dass diese zu lange dauern. Sie dauern im Schnitt zurzeit über 26 Monate. Das ist zu lang, das wollen wir beschleunigen.
({0})
Wir werden morgen im Bundestag auch ein Gesetz zum Chancen-Aufenthaltsrecht beschließen, weil wir das Problem aus der Vergangenheit lösen wollen, dass
viele Menschen hier jahrelang geduldet sind und wegen dieses Duldungsstatus lange Zeit im Sozialsystem kleben bleiben, nicht richtig vorankommen und nicht in
unser Arbeitsmarktsystem integriert werden. Damit entgehen diesem Land viele Chancen, viel zu viele Chancen. Auch das wollen wir ändern, meine Damen und Herren.
Das wird morgen geschehen.
({1})
Gestern hat das Bundeskabinett Eckpunkte für ein Gesetz zur Arbeitskräfteeinwanderung mit einem Punktesystem beschlossen, wie es Kanada, Australien
und Neuseeland kennen.
({2})
Wir wollen, dass zukünftig Einwanderung gezielt und kontrolliert stattfinden kann. Auch das ist ein Teil unseres migrationspolitischen Konzepts, meine
Damen und Herren.
({3})
Ein weiteres Projekt wird es sein, dass wir Arbeitskräfte und deren Familien besser bei uns integrieren. Auch das ist Teil des Gesamtkonzeptes.
Natürlich – auch das ist Teil der Wahrheit – können nicht alle kommen, und es können halt auch nicht alle bleiben. Integrationsförderung ist das eine,
was wir wollen und was wir brauchen, Migrationskontrolle ist natürlich das andere. Man muss sich da ehrlich machen.
({4})
Nicht alle, die bei uns Asyl beantragen, haben einen validen Asylgrund. Nicht alle, die gerne bei uns arbeiten würden, bringen die Voraussetzungen
dafür mit. Deswegen brauchen wir auch Migrationskontrolle, und deswegen brauchen wir auch eine konsequentere Rückführung.
({5})
Aber wenn eine individuelle, eine persönliche Einwanderungsgeschichte gelingt, wenn jemand sich wirtschaftlich, rechtlich, sprachlich, kulturell gut
bei uns integriert und Teil unserer Gesellschaft – auf Dauer – werden will, dann ist das doch eine positive, eine gute Botschaft am Ende eines solchen
Weges.
({6})
Deswegen geht es nicht darum, deutsche Pässe zu verramschen, sondern es geht darum, Anreize zu setzen, um sich bei uns zu integrieren, um Teil unserer
Gesellschaft, unseres Landes werden zu wollen.
({7})
Dafür geben wir allen, die es durch eigene Leistung in diesem Land zu etwas bringen wollen, ein Aufstiegsversprechen. Und wir zeigen: Wir honorieren
das, wir wertschätzen das, wir würdigen das, indem wir schneller eine Einbürgerungschance gewähren. – Das ist unser Gesamtplan, meine Damen und Herren.
({8})
Je mehr jemand beiträgt, desto schneller kann er bei uns eingebürgert werden.
Wir wollen auch eine großzügigere Mehrstaatigkeitsregelung; denn es kann gute Gründe geben, weshalb jemand die alte Staatsbürgerschaft nicht gleich
ablegen kann oder will, weshalb jemand nicht alle Bande zur alten Heimat durchtrennen möchte. Vielleicht, weil ein Teil der Familie hier lebt, ein anderer Teil
aber noch in der alten Heimat lebt oder weil eine Ausbürgerung erbrechtliche oder andere Nachteile hätte.
({9})
Wir wollen aber, dass wir uns genau anschauen, welche Konsequenzen es haben kann, wenn sich die Mehrstaatigkeit über Generationen vererbt. Wir müssen
schauen, ob irgendwann nicht doch ein Generationsschnitt angebracht ist.
Wir machen ein echtes Einbürgerungsangebot für alle, die bei uns bleiben und leben wollen. Wir verlangen aber auch eine gewisse
Integrationsleistung.
({10})
Das ist ein Geben und Nehmen, und das halte ich für angemessen und angebracht.
({11})
Das sind die Pläne der Bundesregierung zur Einbürgerung, meine Damen und Herren.
({12})
Der nächste Redner ist Dr. Stefan Heck für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute in dieser Aktuellen Stunde erneut über das wichtige Thema
Migrationspolitik, ein Politikfeld, das nicht nur uns hier im Deutschen Bundestag regelmäßig beschäftigt, sondern auch viele Bürgerinnen und Bürger in unserem
Land.
Die Entscheidungen, die wir hierzu als Parlament treffen, unterscheiden sich in einem ganz wesentlichen Punkt von vielen anderen Beschlüssen, die wir
hier fassen: Fehlentscheidungen in diesem Bereich können meist nicht mehr rückgängig gemacht werden. Und wenn Rechtssetzung und Verwaltungshandeln in diesem
Bereich Erfolg haben sollen, dann müssen sie von drei Elementen geprägt sein: erstens einem notwendigen Maß an Offenheit, zweitens der Fähigkeit zur
tiefgründigen Differenzierung, also unterschiedliche Sachverhalte auch unterschiedlich zu behandeln, und drittens der erforderlichen Konsequenz und auch Härte
bei der Durchsetzung rechtsstaatlich getroffener Entscheidungen.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Bilanz Ihrer Regierung bei dem gesamten Thema Migrationspolitik ist nach knapp einem Jahr im Amt verheerend.
Die von Ihnen angekündigte und eben noch mal angesprochene europäische Initiative zur Flüchtlingsverteilung ist schon nach wenigen Wochen komplett
gescheitert.
({1})
Der Zustrom an Schutzsuchenden ist heute so groß wie nie zuvor, und Sie lassen Bürgermeister und Landräte im Regen stehen.
({2})
Stattdessen wollen Sie morgen im Deutschen Bundestag ein Gesetz beschließen,
({3})
das nun auch denjenigen Ausländern ein Aufenthaltsrecht zukommen lässt, die ihre Identität bewusst verschleiern.
Von der versprochenen Abschiebeinitiative – wir haben es ja heute wieder gehört – ist bislang nichts übrig geblieben. Die Stelle des
Abschiebebeauftragten – die FDP mahnt das immer wieder an –
({4})
ist immer noch unbesetzt. Noch immer sind rund 300 000 Ausreisepflichtige in unserem Land, darunter auch Gefährder und Straftäter.
Als wäre das nicht genug, wollen Sie nun auch noch die Axt an unser bewährtes Staatsangehörigkeitsrecht legen.
({5})
Danach soll der Doppelpass nicht länger die Ausnahme bleiben, sondern zur Regel werden. Wir sind fest überzeugt: Das ist ein fataler Irrweg, und das
ist sozialer Sprengstoff für unser Land.
({6})
Für uns als Union ist klar: Wer sich hier gut integriert hat, wer die deutsche Sprache erlernt hat und die nötige Wartezeit erfüllt hat, der kann die
deutsche Staatsangehörigkeit beantragen. Dabei sollte es auch weiterhin bleiben. Wir freuen uns über jeden, der sich zu unserem Land bekennt und das mit einer
Einbürgerung auch besiegeln will.
({7})
Für uns ist aber auch klar, meine Damen und Herren: Der deutsche Pass ist mehr als ein Stück Papier. Er steht am Ende und nicht am Anfang der
Integration.
({8})
Staatsbürgerliche Loyalität kann man nicht einfach aufteilen zwischen zwei Ländern. In guten Zeiten mag das kein Problem sein.
({9})
In schweren Zeiten kann es aber zu einer ganz erheblichen Belastung für unsere Gesellschaft werden.
({10})
Wir haben eben schon über den Konflikt im Bereich des Wehrdienstes gesprochen. Aber so weit müssen wir ja gar nicht gehen: Denken wir zurück an die
großangelegten türkischen Demonstrationen zur Unterstützung des türkischen Präsidenten Erdogan in Köln und anderen deutschen Städten.
({11})
Da waren Menschen auf den Straßen, die sprichwörtlich mit der einen Hand ihren deutschen Pass hochgehalten haben,
({12})
um sich auf die Versammlungsfreiheit – ein Grundrecht, das erst einmal nur für Deutsche gilt – zu berufen, und mit der anderen Hand türkische Fahnen
geschwenkt und für das Regime von Erdogan geworben haben, ein Regime, das all diese Rechte, die wir hier haben, ignoriert und mit Füßen tritt.
({13})
Es verwundert deshalb nicht, dass die ganz überragende Mehrheit der Deutschen diese Doppelpasspläne ablehnt.
({14})
Aber es macht auch deutlich: Ihre Pläne vom Doppelpass sind falsch, gefährlich, und sie müssen dringend gestoppt werden.
({15})
Darüber hinaus hat die Bundesregierung vor, die Aufenthaltsdauer in Deutschland bis zur Einbürgerung drastisch zu verkürzen. Wir sehen nicht, warum es
einer solchen Änderung bedarf.
({16})
Handlungsbedarf gibt es gleichwohl, und zwar nicht in der Gesetzgebung, sondern im Verwaltungshandeln vor Ort.
({17})
Deshalb wäre es gut gewesen – Herr Nouripour, ich spreche Sie mal als Frankfurter Abgeordneten an –, wenn Sie als Verantwortliche der Ampelkoalition
vor diesen vollmundigen Ankündigungen, die wir hier hören, mit Ihren kommunalen Vertretern vor Ort gesprochen hätten.
({18})
In Frankfurt, der größten Stadt meines Heimatbundeslandes Hessen, der fünftgrößten Stadt in Deutschland, regieren seit September SPD, Grüne und FDP.
Gestern war in der „Frankfurter Neue Presse“ zu lesen, dass in der dortigen Ausländerbehörde seit etlichen Monaten sage und schreibe 15 000 schriftliche
Anfragen einfach unbeantwortet geblieben sind.
({19})
Seit Monaten, teilweise seit Jahren, warten mehrere Tausend tüchtige Menschen darauf, dass die Verlängerung ihres Visums oder ihrer Arbeitserlaubnis
vorgenommen wird.
({20})
Eine große deutsche Bank hat letzte Woche einen hochrangigen Mitarbeiter freistellen müssen, da trotz zahlreicher Nachfragen keine Entscheidung der
Frankfurter Ausländerbehörde erfolgte.
({21})
Daraufhin hat die Bank Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die gesamte Ausländerbehörde eingelegt – ein bis dahin wohl einmaliger Vorgang. Das sind
Vorgänge, die in Ihrer Verantwortung in Frankfurt – Ampel – stattfinden, meine Damen und Herren!
({22})
Und ich frage mich schon: Was muss in diesen vielen Tausend Menschen vorgehen, die in Frankfurt darauf warten, dass sie endlich einen Termin bei ihrer
Ausländerbehörde bekommen, die seit Monaten, teilweise seit Jahren darauf warten, und jetzt, Herr Nouripour, von Ihnen hier hören müssen, dass Sie die Wartezeit
gesetzlich verkürzen wollen?
({23})
Das muss doch wie blanker Hohn klingen für diese Menschen.
({24})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluss. – Wir kennen bislang nur die Eckpunkte dieses Gesetzes.
Herr Kollege.
Aber die genügen schon, um zu erkennen, dass das in die völlig falsche Richtung geht. Die Pläne sind spalterisch, gefährlich für unseren
gesellschaftlichen Zusammenhang.
({0})
Herr Kollege, Sie sollten zum Schluss gekommen sein.
Sie sollten davon Abstand nehmen. Noch ist es nicht zu spät.
Herzlichen Dank.
({0})
Vielleicht noch mal zur Erklärung: Kurzinterventionen gibt es bei einer Aktuellen Stunde nicht. – Das Wort hat der Kollege Hakan Demir für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute den Satz gehört, dass wir uns um einen guten Ton bemühen sollten. Das will
ich tun, will aber auch ganz offen sagen: Die, die jetzt hier sitzen, müssen doch irgendwann das Ziel gehabt haben, nach dieser Legislatur in den Spiegel zu
gucken und zu sich selber sagen zu können: Wir haben diese Gesellschaft in den letzten vier Jahren stärker zusammengebracht. – Ich frage mich, ob die CDU/CSU
das spätestens nach dieser Debatte, die ich heute gehört habe, überhaupt noch so sagen kann.
({0})
Noch eine Sache – die Frage stelle ich mir wirklich –: Sie haben bei Ihnen ja auch Politikerinnen und Politiker mit doppelter Staatsbürgerschaft,
Politikerinnen und Politiker, die eingebürgert worden sind. Es gibt wahrscheinlich auch Menschen, die eingebürgert worden sind und Sie gewählt haben. Aber
spätestens nach dieser Debatte müsste man sich doch die Frage stellen: Kann man diese Partei noch wählen, oder müsste man nicht sogar aus dieser Partei
austreten, nach all dem, was Sie heute gesagt haben?
({1})
Und zur Differenzierung: Ja, wir sind für Differenzierung. Sie haben aber hier noch nichts differenziert. Sie könnten ja sagen: Wir möchten nicht nach
5 Jahren einbürgern, sondern – wie in San Marino – nach 25 Jahren. – Aber das bringen Sie ja nicht ein, sondern Sie führen die gleichen Debatten wie vor
20 Jahren. Das ist offenbar das Verständnis von Konservativsein.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist gut, dass wir heute über das Staatsangehörigkeitsgesetz sprechen. Es wurde schon heute häufiger genannt, und
ich verstehe den Punkt nicht, zu sagen: Wir vertrauen den Menschen vielleicht ein bisschen weniger, weil sie die doppelte Staatsbürgerschaft haben. – 69 Prozent
der hier eingebürgerten Menschen hatten im letzten Jahr die doppelte Staatsbürgerschaft,
({3})
und das funktioniert gut. Diese Debatte, die wir heute führen, führen wir bei diesen 69 Prozent nicht. Warum sollten wir sie bei den restlichen
31 Prozent führen, liebe Freundinnen und Freunde?
({4})
Heute geht es nicht nur darum, dass wir sagen: Die Voraufenthaltszeit wird von acht auf fünf Jahre gesenkt. – Es geht nicht nur um die doppelte
Staatsbürgerschaft, sondern es geht auch darum: Wie können wir die Demokratie im Land stärken? Wollen wir, dass Menschen früher mitbestimmen können, gewählt
werden können, selber wählen, oder wollen wir, dass das erst später funktioniert? Ich glaube, als Demokratinnen und Demokraten muss uns doch klar sein: Wenn wir
die Chance haben, dass Menschen früher mitbestimmen dürfen und können, dann sollten wir sie auch nutzen, liebe Freundinnen und Freunde.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, 1999 haben meine Familie und ich zusammen die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Einige Jahre später konnten
meine Eltern zum ersten Mal wählen. Ich kann mich noch daran erinnern, wie glücklich sie waren, und ich kann mich noch daran erinnern, dass meine Mutter am
Infostand der SPD eine Rose bekommen hat, dass sie sich gesehen und anerkannt gefühlt hat. Das kann natürlich ein Dorn in Ihren Augen sein, wenn Menschen andere
Parteien wählen, als Sie das möchten. Aber das gehört auch zu deren Recht.
Wir gehen mit dieser neuen Reform diesen Weg weiter. Ich hoffe, dass wir alle hier nach der Legislatur in den Spiegel schauen können und sagen können:
Wir haben es gemeinsam geschafft, dass dieses Land nach diesen vier Jahren näher zusammengerückt ist. – Das ist auf jeden Fall unser Ziel, und ich würde mich
freuen, wenn auch Sie dieses Ziel haben.
Danke schön.
({6})
Matthias Helferich hat das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bundeskanzler Scholz hat recht, wenn er feststellt – ich zitiere –:
Eine Demokratie aber lebt von der Möglichkeit, mitzubestimmen. So entsteht Legitimität, und so wächst auch die Akzeptanz für staatliche
Entscheidungen.
Es ist demokratietheoretisch ein Unding, dass Millionen Menschen in Deutschland leben, die nicht demokratisch partizipieren können. Die gebotene
Antwort ist es aber nun gerade nicht, diese Menschen mit der deutschen Staatsbürgerschaft auszustatten, sondern ist, Deutschland endlich vor dem Austausch
seines Souveräns zu schützen.
({0})
Es bedeutet den Abschied von uns selbst, wenn Sie die deutsche Staatsbürgerschaft zum reinen Berechtigungsschein diskreditieren, wie es der
Staatsrechtler Peter Graf Kielmansegg erklärte. Die Demokratie benötigt, wie Ernst Fraenkel klarstellte, die gemeinsame Sprache, Kulturbewusstsein, Tradition,
Abstammung,
({1})
gleiche Verfassungsvorstellungen als Gedeihensvoraussetzungen.
({2})
Ihr Angriff auf unser Staatsbürgerschaftsrecht, die Herabwürdigung unseres Volkes auf ein Nebeneinander von Parallelgesellschaften,
({3})
die Negierung des Volkes als Schicksalsgemeinschaft wird einst selbst von Historikern als demokratiefeindlich bewertet werden.
({4})
Es ist ja zu begrüßen, wenn Migranten in der deutschen Kultur aufgehen.
({5})
Aber seien wir doch mal ehrlich: Wer will den Millionen türkischen Doppelpassinhabern eigentlich verübeln, sich weiter als Türken in unserem Land zu
fühlen? Das Volk als organische Einheit braucht identitätsstiftende Werte und auch einen Mythos. Pubertätsblocker für Kinder,
({6})
Regenbogenfahnen,
({7})
Gratismut und morbide Selbstauflösungsromantik sind eben nicht attraktiv.
Die Aufweichung unseres Staatsbürgerschaftsrechts, die Auflösung unserer Identität als Land der Deutschen sind ja im Kontext Ihrer Agenda konsequent.
Das ist ja alles konsequent und folgt einem großen Plan.
({8})
Für all jene, die aber treu zu unserer Verfassung stehen, ist es ebenso konsequent, gegen Ihre Ersetzungsmigration, den großen Austausch des
Souveräns, aufzubegehren.
({9})
Der zentrale Begriff der Demokratie ist eben das Volk und nicht die Menschheit.
({10})
Folgen Sie lieber Carl Schmitt, und stimmen Sie gegen jede weitere Liberalisierung des Staatsbürgerschaftsrechts!
Vielen Dank.
({11})
Gülistan Yüksel hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Tribünen! Können Sie sich vorstellen,
bei der Abstimmung zum neuen Staatsangehörigkeitsrecht nicht mitstimmen zu dürfen? Ich weiß, wie sich das anfühlt; denn ich war viele Jahre von demokratischen
Wahlen ausgeschlossen.
Als ich das erste Mal in meinem Leben wählen durfte, war ich schon Mitte 30. Zu diesem Zeitpunkt habe ich bereits 28 Jahre in Deutschland gelebt, hier
gearbeitet und mich auch ehrenamtlich engagiert. Deutschland war längst zu meiner Heimat geworden. Aber ohne die deutsche Staatsangehörigkeit gehörte ich
rechtlich nicht dazu. – Können Sie auf der rechten Seite zuhören? Vielleicht können Sie auch noch mal was dazulernen.
({0})
– Dann gehen Sie raus! Das ist vielleicht viel besser.
({1})
Das zeigte sich auch im Alltag; denn die Wohnungssuche scheiterte immer wieder.
({2})
– Ich darf alles sagen, was ich möchte, weil ich deutsche Staatsbürgerin bin, genauso wie viele andere. Also, halten Sie einfach mal den Mund!
({3})
Also: Das zeigte sich auch im Alltag; denn die Wohnungssuche scheiterte immer wieder. Ich hatte sogar Probleme, eine Kfz-Versicherung zu finden. Nicht
einmal an Bürgerentscheiden durfte ich teilnehmen.
Es war daher ein sehr emotionaler Moment, ein unbeschreibliches Gefühl, das erste Mal meinen deutschen Pass in den Händen zu halten, das erste Mal zu
wählen und mitentscheiden zu dürfen, das Gefühl zu haben, Teil dieses Landes zu sein.
Es wird daher Zeit, dass wir die Rahmenbedingungen endlich an die Lebenswirklichkeiten anpassen.
({4})
Wir als Ampelkoalition packen das mit dem neuen Staatsangehörigkeitsgesetz an. Wir erleichtern den Weg zur deutschen Staatsbürgerschaft, gerade auch
für die Menschen, die schon längst selbstverständlich Teil dieser Gesellschaft sind.
Dazu verhelfen wir nicht nur zu einer schnelleren Einbürgerung und damit zur schnelleren Integration; wir ermöglichen auch die Mehrstaatigkeit. Für
bestimmte Herkunftsländer ist das in Deutschland übrigens heute schon der Normalfall, aber eben nicht für alle. So können aktuell Bürgerinnen und Bürger aus der
EU oder aus der Schweiz ihren Pass behalten, während zum Beispiel eine Bürgerin oder ein Bürger aus der Türkei ihn abgeben muss.
Nach unserer Reform wird die Mehrstaatigkeit außerdem für Deutsche gelten, die nach Erwerb einer weiteren Staatsangehörigkeit im Ausland ihren Pass
nicht mehr verlieren werden. Bei Einbürgerung im EU-Ausland dürfen Deutsche übrigens schon jetzt ihren Pass behalten. Viele dieser ausgewanderten Deutschen
werden sicher verstehen, dass ein Pass eben nicht nur ein Stück Papier ist, sondern mit einem Gefühl und einer Identität verbunden ist.
Das neue Staatsangehörigkeitsrecht wird auch die Hürden für die Einbürgerung der Gastarbeitergeneration senken; denn die Gastarbeiterinnen und
Gastarbeiter haben Deutschland zum Wohlstand verholfen. Ihre Lebensleistung wollen wir hiermit wertschätzen und anerkennen.
({5})
Meine sehr geehrten Damen und Herren der Union, entgegen Ihrer Darstellung bleiben die zentralen Einbürgerungskriterien natürlich weiterhin erhalten,
wie etwa der Sprachnachweis oder die Sicherung des Lebensunterhaltes.
({6})
Wenn Sie von der CDU/CSU jetzt trotzdem davon sprechen, dass die Staatsangehörigkeit verramscht oder entwertet würde, dann ist das wirklich
verletzend.
({7})
Ist Ihre deutsche Identität weniger wert, seitdem auch ich den deutschen Pass besitze, oder wird Ihr Pass zur Ramschware, wenn ich Ihnen sage, dass
ich die doppelte Staatsbürgerschaft habe?
({8})
Mit Ihrer Wortwahl legen Sie genau das nahe, und das ist einfach unerträglich.
({9})
Wie wichtig Ihnen diese Debatte ist, zeigt übrigens ein Blick in Ihre Reihen. Sie haben diese Aktuelle Stunde beantragt. Schauen Sie einmal, wie viele
von Ihren Kolleginnen und Kollegen dort sitzen!
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, der deutsche Pass ist wertvoll.
({11})
Wer könnte das besser wissen als die Menschen, die ihn nicht per Geburt, sondern per Einbürgerung erhalten haben? Aber nicht nur der deutsche Pass ist
wertvoll; auch die Menschen, die sich um den Pass bemühen, sind es.
Wertvoll für unser Land sind zum Beispiel die türkeistämmigen BioNTech-Gründer Ugur Sahin und Özlem Türeci. Wertvoll für dieses Land war mein Vater,
der mit so vielen Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern das Wirtschaftswunder in diesem Land erst möglich machte. Wertvoll sind die Migrantinnen und Migranten,
die auch heute zusammen mit ihren deutschen Kolleginnen und Kollegen den Laden am Laufen halten – ob an der Supermarktkasse, als Lehrkraft oder am
Krankenbett.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir können froh sein, wenn sich möglichst viele von ihnen für die Einbürgerung
entscheiden und aktiv das gesellschaftliche Zusammenleben in unserem Land, in Deutschland, mitgestalten können.
Herzlichen Dank.
({13})
Dirk Wiese hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Meine Rede am Schluss dieser Debatte gibt mir die gute Möglichkeit, noch einmal
zusammenzufassen. Ich glaube, wir haben hier heute zwei klare Alternativen gesehen: Wir haben eine Ampelkoalition, die Fortschritt für dieses Land will, die
dieses Land voranbringen will, die gerade im Bereich der Einwanderungspolitik die Fenster aufmachen und frischen Wind hereinlassen will, die Lebensrealitäten
anerkennen will. Und wir haben eine CDU/CSU-Fraktion, die mit Friedrich Merz zurück in die 50er-Jahre will.
({0})
Das ist die klare Alternative, die sich hier heute in dieser Debatte gezeigt hat.
({1})
Wenn ich mir die Debatte von Beginn des letzten Wochenendes bis jetzt vor Augen führe, muss ich schon sagen: Die Union hat gemerkt, dass sie
möglicherweise ein Thema erkannt hat; sie wollte polemisieren, sie wollte dieses Thema nutzen,
({2})
vielleicht zum parteipolitischen Vorteil. Und was passiert in dieser Woche? Innerhalb der Union wird diskutiert. 26 oder 24 Kolleginnen und Kollegen
der Union sagen beim Chancen-Aufenthaltsrecht: Na ja, das, was die Ampel da vorschlägt, ist doch gar keine so schlechte Idee.
({3})
Wir schreiben mal in einem offenen Brief: Das ist gut. Zustimmen wollen wir noch nicht; aber wir enthalten uns. – Das ist ja auch schon ein Zeichen an
sich. Das ist der eine Punkt.
({4})
Dann hält Stefan Heck gerade hier am Pult eine Rede, die ich, lieber Kollege Heck, vorsichtig formuliert, für etwas fragwürdig halte. In dem Moment,
wo Sie diese Rede hier halten, äußert sich der hessische Ministerpräsident auf dem Ticker. Der hessische Ministerpräsident kritisiert die eigene Partei für
beleidigende und verunglimpfende Rhetorik und ruft seine eigene Partei zur Mäßigung auf.
({5})
Stefan Heck: nichts davon mitbekommen am heutigen Tag.
Sehen wir die Debatte einmal so: Die Union verlangt diese Aktuelle Stunde und möchte damit natürlich auch die Ampelkoalition vorführen. Das gibt es
manchmal im politischen Berlin, ist aber, um es vorsichtig auszudrücken, etwas schiefgegangen.
({6})
Friedrich Merz erkennt dies selber und hat vor ungefähr einer halben Stunde die Debatte verlassen. Das ist die CDU/CSU-Bundestagsfraktion im
21. Jahrhundert.
({7})
Jetzt will ich mal ein paar Punkte ansprechen. Ich meine, das muss man sich mal vor Augen führen: Da wird jahrelang darüber geredet, dass es innerhalb
der CDU/CSU einen Andenpakt gibt. Ich habe gesehen, dass da viele ältere Herrschaften der Union drin sind; ich habe gedacht: Den gibt es gar nicht mehr. – Diese
Woche erwacht der Andenpakt wieder zum Leben. Und wenn Sie die Woche richtig gut abschließen wollen, dann benennen Sie Roland Koch wahrscheinlich noch zum
Migrationsbeauftragten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
({8})
Jetzt will ich mal auf die Punkte eingehen, worüber wir reden. Wir reden über migrationspolitische Vorhaben der Ampel, die Lebensrealitäten in diesem
Land anzuerkennen. Ich sage das auch mal ganz deutlich: Da sind wir weiter als Sie – und übrigens auch hier im Deutschen Bundestag. Es gibt so viele tolle
Kolleginnen und Kollegen in den Fraktionen hier, die die doppelte Staatsbürgerschaft haben, die bereichernd sind für dieses Land.
({9})
Und das gibt es auch draußen in den Wahlkreisen.
Wir brauchen doch auch gerade Fachkräfte; wir brauchen Arbeitskräfte.
({10})
Wir brauchen Zuwanderung. Das ist doch das, was uns die Wirtschaftsunternehmen immer wieder sagen. Ihre Rhetorik, die Sie über Jahre genutzt haben,
hat mit dazu geführt, dass Fachkräfte um die Bundesrepublik Deutschland einen Bogen machen.
({11})
Wir sind unattraktiv für Fachkräfte.
({12})
Ich sage Ihnen auch mal, woran das liegt. Das liegt an einem Jürgen Rüttgers. „Kinder statt Inder“: Formulierungen wie diese sind bei Ihnen aktuell
wieder auf der Tagesordnung. Ganz zu schweigen – es ist angesprochen worden – von der Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft in Hessen! Und mich würde
es nicht überraschen, wenn irgendeiner aus Ihren Reihen jetzt auch hier wieder auf die Idee kommen würde, das voranzubringen.
Ich sage das mal ganz deutlich: Das, was wir vorhaben, eine Fachkräfteeinwanderungsstrategie, die wir gestern vorgelegt haben, ist gut und
richtig,
({13})
und wir brauchen das auch. Die Fachkräftezuwanderung muss geregelt werden. Das, was wir bisher haben, reicht jedenfalls nicht aus, um die Fachkräfte-
und die Arbeitskräftelücke bei uns im Land zu schließen. Das werden wir auf den Weg bringen.
Genauso gut werden wir morgen das Chancen-Aufenthaltsrecht auf den Weg bringen. Es kann doch nicht sein, dass Menschen, die jahrelang bei uns sind,
hier einen Duldungsstatus haben, oftmals direkt von ihrem Arbeitsplatz aus abgeschoben werden; die Kinder werden aus der Schule geholt. Diesen Menschen müssen
wir doch eine Perspektive geben.
({14})
Dass wir ihnen diese Perspektive morgen mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht ermöglichen, ist richtig und eine gute Entscheidung dieser
Ampelkoalition.
Damit komme ich noch mal zur Staatsbürgerschaft. Kollege Kuhle, ich habe diese Woche ein Interview im Deutschlandfunk gehört und war ein bisschen
erstaunt, wer da redet.
({15})
Es war der Kollege Dürr, und ich bin froh, dass wir heute die Kurve gekriegt haben.
({16})
Zu dem Staatsbürgerschaftsrecht will ich mal sagen: Dass wir die Anerkennung der doppelten Staatsbürgerschaft möglich machen und auch die
Lebensleistung der Gastarbeitergeneration, die dieses Land mit aufgebaut hat, anerkennen, ist doch richtig. Die doppelte Staatsbürgerschaft ist auch schon
Alltag in vielen Ländern Europas und bei vielen Menschen bei uns im Land. Darum werden wir das gemeinsam voranbringen.
Wir als Ampelkoalition wollen Fortschritt in diesem Land. Das werden wir schaffen, das werden wir umsetzen, und das tut der Bundesrepublik Deutschland
im 21. Jahrhundert gut.
Vielen Dank.
({17})
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die schnelle und auch kompromisslose
Durchsetzung der europäischen Sanktionen gegen die Unterstützerinnen und die Unterstützer von Putin ist ein wichtiger Baustein im Kampf gegen die
Eroberungsfantasien des russischen Diktators. Wir müssen Putins Freunde dort treffen, wo es ihnen wirklich wehtut: bei ihrem Kontostand, bei ihren Villen und
bei ihren Luxusspielzeugen, von der Jacht bis zum Rennpferd. Nur wenn die eigene Kosten-Nutzen-Relation ins Negative kippt, werden sich immer mehr Günstlinge
mit ihren Möglichkeiten für eine Ära nach Wladimir Putin auseinandersetzen.
Mit dem zweiten Sanktionsdurchsetzungsgesetz beschleunigen wir diese Überlegungen und stärken wir auch die Absetzbewegungen des russischen Geldadels.
So schaffen wir mit der Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung erstmals eine eigene Verwaltungseinheit, die sich mit der Analyse möglicher Sanktionsverstöße
beschäftigt. Das Aufspüren sanktionierter Vermögenswerte in globalisierten Zeiten ist eben nicht einfach mit einer Google-Suche vergleichbar, sondern bedarf
schon des Einsatzes geschulter Spezialisten; denn viele Vermögenswerte sind in komplexen Unternehmens- und auch Rechtsstrukturen versteckt, deren Aufdeckung die
Bündelung und tiefe Analyse vorhandener Daten erfordert. Mit der Zentralstelle vereinen wir die dafür notwendigen Werkzeuge erstmals unter einem Dach.
({0})
Von den IT-Spezialisten über die Datenzugriffe bis hin zur Verbesserung des vor sich hindümpelnden Transparenzregisters wird die Zentralstelle alle
Möglichkeiten nutzen, um die Sanktionen durchzusetzen. Dabei ist gerade die Ertüchtigung des Transparenzregisters ein wichtiger Meilenstein. Dessen
Durchschlagskraft war jahrelang begrenzt, da sich Unternehmer hinter sogenannten Mitteilungsfiktionen verstecken konnten. In der Folge war die oder der
tatsächlich wirtschaftlich Berechtigte in vielen Fällen nicht bekannt. Es ist gut, dass die Ampelkoalition dieses Versteckspiel beendet und endlich
Möglichkeiten schafft, um hinter die Kulissen zu blicken.
({1})
Die Union hat hier in Zeiten der Großen Koalition beharrlich gemauert und der Geldwäschebekämpfung damit meines Erachtens einen Bärendienst erwiesen.
Wir korrigieren diesen Fehler nun zu Recht.
({2})
Zudem erhöhen wir durch die geplante Verknüpfung dieses Transparenzregisters mit einer Immobilientransaktionsdatenbank die Nachverfolgbarkeit
finanzieller Transaktionen weiter. Konsequenterweise gehört hierzu auch das vereinbarte Barzahlungsverbot bei Immobilienkäufen, das wirklich mehr als überfällig
war.
({3})
Auch hier berichtigt die Ampel Fehler.
An dieser Stelle kann und will ich mir auch einige Sätze zum Antrag der Union nicht verkneifen. Den Zustand, den Sie zu ändern beantragen, haben nun
wirklich Sie selbst am meisten zu verantworten. Sie waren es, die unser Land in den vergangenen 16 Jahren regiert haben. Ihre Versuche, sich dieser
Verantwortung zu entziehen, sind sehr durchschaubar.
({4})
Wir werden nun rasch und konsequent die Strukturen aufbauen, die wir zur Erreichung dieser Ziele benötigen. Ich danke auch dem Bundesfinanzminister
Christian Lindner für sein Engagement in der Sache. Schon nach wenigen Monaten seiner Amtszeit hat sich bei der strukturellen Bekämpfung der Finanzkriminalität
mehr getan als in vielen Jahren zuvor.
({5})
Eine weitere Maßnahme: Zukünftig wird es möglich sein, über eine eigens eingerichtete Hinweisannahmestelle Verdachtsfälle zu Sanktionsverstößen direkt
an kompetente Ansprechpartner zu melden. Die mitunter frustrierende Suche nach passenden Ansprechpartnern im deutschen Behördendschungel fällt damit weg. Wir
achten dabei selbstverständlich auch darauf, dass das rechtsstaatlich und sauber gemacht wird. Damit neidgetriebene Anzeigen gegen den missliebigen Nachbarn
oder die unsympathische Kollegin überhaupt nicht erst in den Kreislauf der Ermittlungsbehörden geraten, werden die bei der Annahmestelle eingehenden Meldungen
selbstverständlich zunächst auf ihre Werthaltigkeit überprüft und erst dann, wenn ein Anfangsverdacht auf Sanktionsverstöße besteht, für die Tätigkeiten von
Zentralstelle und Ermittlungsbehörden überführt.
Für das ganze Verfahren ist wichtig: Wenn verdächtige Personen ihre Mitwirkung an der Suche nach Vermögen nach objektivierbaren Kriterien konsequent
verweigern, dann sollen diese Mitwirkungsverweigerer ebenso konsequent auch die Antwort des Rechtsstaates erhalten. Und daran werden wir auch in Zukunft
weiterarbeiten.
({6})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir stellen mit dem vorliegenden Gesetz auch die richtigen Weichen für die erfolgreiche Geldwäschebekämpfung.
Indem die Zentralstelle als eigene Verwaltungsbehörde aufgebaut wird, ist die spätere Eingliederung in das geplante Bundesfinanzkriminalamt reibungslos
möglich.
Kurzum: Wir sind auf dem absolut richtigen Weg, und daher kann es nur Zustimmung zu diesem vorliegenden Gesetz geben.
Herr Kollege.
Ich bin am Ende meiner Ausführungen, möchte mich aber noch bei den Berichterstatterkolleginnen und ‑kollegen der Koalitionsfraktionen bedanken.
Herzlichen Dank.
({0})
Herr Kollege, es ist natürlich immer sehr erfreulich, sich zu bedanken. Trotzdem: Wir sind gerade bei einer Schlusszeit von halb drei. – Ich sage
das nur für die Letzten, die dann hier noch Dienste tun, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Deswegen: Nehmen Sie es mir nicht persönlich, aber ich werde
sehr streng darauf achten, dass die Redezeiten eingehalten werden.
Matthias Hauer hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sanktionen – zum Beispiel gegen russische Kriegsprofiteure – müssen auch in Deutschland
endlich konsequent umgesetzt werden. Dieses Ziel verfehlen SPD, Grüne und FDP mit ihrem Gesetz leider, und sie handeln gegen die einhelligen Ratschläge der
Fachleute. Als – Zitat – „unausgegoren, untauglich, halbherzig und behäbig“ bewertet es zum Beispiel die Gewerkschaft der Polizei. Das Gesetz ist ein
Totalausfall mit Ansage.
({0})
Die Ampel blockiert Nutzungsverbote weiter, lässt also die sanktionierten Oligarchen, die Kollege Herbrand gerade erwähnt hat, weiter unbehelligt in
ihren Villen wohnen und Luxusautos fahren. Keine Fortschritte gibt es auch bei den Vermögen unklarer Herkunft. Bei der Transparenz im Geschäftsverkehr begnügen
Sie sich leider mit einer Minimallösung.
Herzstück des Gesetzes ist aber die neue Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung. Die soll erst einmal bei der Generalzolldirektion angesiedelt
werden, aber auch das nur vorübergehend – also eine Übergangslösung nach der anderen. Die Ampel schafft ein Zuständigkeitswirrwarr und eine neue zahnlose
Behörde ohne klare Kompetenzen.
({1})
Wir als Unionsfraktion schlagen stattdessen vor, die Zuständigkeiten bei einer Zollpolizei zu bündeln und sie mit angemessenen Befugnissen
auszustatten. Damit könnten Vermögen aufgespürt werden: sanktioniertes Vermögen, verdächtiges Vermögen und auch Vermögen unklarer Herkunft. Das wäre ein großer
Schritt bei der Sanktionsdurchsetzung und bei der Geldwäschebekämpfung.
({2})
Und das bestätigen auch die Sachverständigen. Auf die Sachverständigen will die Ampel aber bekanntlich nicht hören. Als Sie das Gesetz geschrieben
haben, spielten die ja auch keine Rolle. Gewerkschaften und Berufsverbände hatten damals 45 Stunden Zeit von der Ampel bekommen, um diesen knapp 100-seitigen
Referentenentwurf zu bewerten.
({3})
Damit haben Sie die Beteiligung zu einer Farce gemacht.
Als die Sachverständigen dann endlich zu Wort gekommen sind – in der öffentlichen Anhörung im Finanzausschuss –, da haben die Sachverständigen kein
gutes Haar an der von der Ampel vorgesehenen Struktur gelassen.
({4})
Das hat zum Beispiel auch der SPD-Kollege Fiedler zutreffend vor wenigen Tagen bei einer öffentlichen Veranstaltung bei Transparency International
festgestellt. Komisch, dass ich ihn heute auf der Rednerliste gar nicht finde; dazu hätten mich seine Ausführungen doch interessiert.
Trotz all dieser einhelligen Ratschläge der Sachverständigen ziehen SPD, Grüne und FDP diesen Totalausfall weiter durch. Sie ignorieren den fachlichen
Rat der Profis. Und weil die Ampel ihr Gesetz im Finanzausschuss über den grünen Klee gelobt hat – mein Folgeredner, Dr. Zimmermann, wird das gleich auch tun;
da bin ich sicher –, möchte ich mal die Sachverständigen in dieser Debatte zu Wort kommen lassen. Dafür stelle ich gerne die Hälfte meiner Redezeit zur
Verfügung.
Die Gewerkschaft der Polizei – Bezirksgruppe Zoll – hat in der Anhörung gesagt: Die GdP „rät von diesem Konstrukt insgesamt ab“. Wenn diese „Behörde …
keinen Unterbau“ hat, dann ist sie „vor Ort … vollkommen zahnlos“.
({5})
„Die … Aufgaben können alle in bereits bestehenden Strukturen wahrgenommen werden.“
Der Bund Deutscher Kriminalbeamter äußerte sich in der Anhörung in genau die gleiche Richtung – Zitat –: Unser Vorschlag ist, dass wir „die
bestehenden Kompetenzen … nutzen“. – Der BDK sagte, dass wir es uns nicht leisten können – Zitat –, noch „Jahre auf den Aufbau und die Strukturierung einer
Behörde zu verwenden“.
Auch das Netzwerk Steuergerechtigkeit hat sich der Kritik in der Anhörung angeschlossen – Zitat –: Wir haben auch mit der GdP und dem BDK „relativ
ähnliche Vorstellungen …, wie das in bestehende Strukturen einsortiert werden soll“.
({6})
Genau die gleiche Kritik kam in der Anhörung auch von der Wissenschaft. Der Strafrechtler Professor Wegner sagte – Zitat –, dass es „sinnvoller wäre,
die bestehenden Strukturen … aufzuwerten“. Und auch er kritisierte die von der Ampel geplante Zentralstelle – Zitat –: „Auf keinen Fall wird es funktionieren,
sich auf eine intellektuelle Kopfbehörde und deren Amtshilfeersuchen zu verlassen“.
({7})
Der Wirtschaftswissenschaftler Professor Winkler fasste zusammen – Zitat –: „In vielerlei Hinsicht enttäuscht dieser Entwurf uns alle, die wir im
Sanktionsbereich arbeiten, massiv.“
Auch das Presseecho der Anhörung war eindeutig – Zitat –: „Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung stößt auf Ablehnung“, um nur ein Beispiel zu
nennen.
Breite Ablehnung also für Ihre Strukturvorschläge. Es gab dann doch eine einzige Sachverständige, die das Gesetz nicht verbal zerrissen hat, nämlich
die von der Generalzolldirektion. Zufällig genau die Stelle, bei der die Ampel diese Zentralstelle zunächst ansiedeln will.
({8})
Und sogar diese Generalzolldirektion baut für den Fall des Scheiterns schon einmal vor. Ihre Vertreterin sagte – Zitat –:
Allerdings sehen wir Schwierigkeiten aufgrund des relativ kurzfristigen Zeitpunktes, zu dem die Arbeitsfähigkeit gesichert sein soll.
Weiter führt sie aus – Zitat –:
Für diese Aufgabe existiert kein speziell ausgebildetes Personal …, da diese Aufgabe ja vollständig neu ist.
Also selbst diejenigen, die die Aufgabe nach Wunsch der Ampel übernehmen sollen, schrauben die Erwartungen schon einmal nach ganz, ganz unten. Mit der
Sanktionsdurchsetzung geht es mit der Ampel jedenfalls nicht voran.
Die Ampel weiß eigentlich selbst, dass ihr Gesetz schlecht ist. Sie hat seitenweise Protokollerklärungen verlesen, was alles noch fehlt im Gesetz.
Nach dem schlechten SDG I haben Sie ein zweites angekündigt, nach dem zweiten schlechten kündigen Sie jetzt ein drittes an. Sie verbrennen bis dahin viel
Steuergeld, Sie verlieren Zeit, Sie schaffen Doppelstrukturen, und das Ganze bringt keinerlei Vorteile.
Schaffen Sie stattdessen jetzt eine Zollpolizei, mit der die Durchsetzung der Sanktionen sofort funktioniert und bestehende Strukturen gestärkt
werden! Dazu können Sie gerne unserem Antrag folgen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dr. Jens Zimmermann.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Hintermänner und Organisationen des russischen Präsidenten dürfen sich in
Deutschland finanziell nicht mehr sicher fühlen. Deshalb werden wir heute mit den Stimmen der Ampel das zweite Sanktionsdurchsetzungsgesetz beschließen .
({0})
Damit suchen wir auch den Schulterschluss mit unseren europäischen Partnern als Reaktion auf den brutalen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine.
Es ist eben wichtig, die Finanzierung des Krieges zu erschweren, Zulieferungen auch von Kriegsmaterial zu unterbinden und den verantwortlichen russischen
politischen Eliten finanziell zu schaden. Deswegen braucht es auch diese Sanktionen.
Doch Sanktionen können nur Wirkung entfalten, wenn sie auch entschlossen durchgesetzt werden, und zwar indem Vermögenswerte ermittelt und
sanktionierten Personen am Ende auch zugeordnet werden können, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Wie wichtig das ist, sehen wir ja dieser Tage. Die Rechercheergebnisse zu einem durchaus bekannteren Landmaschinenhersteller aus Deutschland, die in
der aktuellen Ausgabe der „Zeit“ zu sehen sind, zeigen, dass es nach wie vor Versuche gibt, jegliche Formen von Sanktionen zu umgehen,
({2})
und dass eben auch auf dieser finanziellen Ebene dieser Krieg weiter tobt. Deswegen ist es sehr, sehr wichtig, dass wir hier in Deutschland Strukturen
schaffen, die das am Ende erschweren und am besten auch verhindern, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Dazu – das haben wir vor allem auch den Ländern zugesagt – schaffen wir eine Bundeszuständigkeit und eine Bundesbehörde. Ich will schon mal ganz klar
sagen: Wir haben aktuell eine fragmentierte Zuständigkeit von 16 Bundesländern, wo sich am Ende keiner wirklich so sicher ist, ob da momentan überhaupt
irgendetwas durchgesetzt wird.
({3})
Deswegen schaffen wir hier eine Behörde auf Bundesebene mit über 100 Stellen.
({4})
Zu sagen, dass das nicht effektiv ist, Herr Kollege, das muss man erst mal hinkriegen.
({5})
– Ja, wir schaffen eine neue, zusätzliche Behörde.
({6})
Genau das tun wir, und genau das ist an dieser Stelle angezeigt. Denn man muss ja eins sagen: Sie haben zwar sehr viele Zitate gebracht; es wäre aber
mal interessant gewesen, von Ihnen selbst etwas zu hören, statt dass Sie immer nur andere für sich sprechen lassen.
({7})
Ich habe das auf jeden Fall notiert, dass Sie jetzt ein großer Fan der Gewerkschaften sind, dass Sie jetzt ein großer Fan von Transparency
International sind.
({8})
Ich werde Sie bei passender Gelegenheit daran erinnern, Herr Kollege; denn das ist doch verräterisch, wen Sie hier angeführt haben.
({9})
Schauen wir uns an, was darüber hinaus alles passieren wird. Die Länder werden entlastet. Das ist eine klare Verabredung, die wir getroffen haben.
({10})
Es ist sehr, sehr wichtig, dass wir klare Verwaltungsverfahren haben, was den Zugriff auf die Register angeht. Und wir schaffen es in diesem zweiten
Sanktionsdurchsetzungsgesetz endlich, ein Bargeldverbot für den Erwerb von Immobilien einzuführen. Das ist ein großer Schritt, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
({11})
Ich muss da auch mal sagen: Es kommen häufig Expertinnen und Experten und viele andere Menschen und fragen: Warum eigentlich erst jetzt? Warum konnte
ich denn bisher mit einem Geldkoffer eine Immobilie hier in Berlin kaufen? Warum haben Sie das in acht Jahren Großer Koalition eigentlich nicht hinbekommen? Na
ja, da hätten Sie mal lieber auf Transparency International gehört, Herr Kollege; aber da war das irgendwie gerade nicht opportun.
({12})
Darüber hinaus werden wir einführen, dass endlich Mitteilungspflichten von Gesellschaften aus dem Ausland kommen; denn auch das ist wichtig. In
Zukunft gibt es in diesem Bereich nicht nur das Verbot von Barzahlungen, sondern es ist auch nicht möglich, hier mit Gold zu bezahlen. Und ja, wir haben in der
Protokollerklärung außerdem aufgeführt, dass das auch mit Silber und Kupfer nicht geschehen soll. Wenn Sie das stört, finde ich das nicht schlimm. Ich finde es
aber trotzdem sinnvoll, lieber Herr Kollege.
({13})
Wichtig ist aber auch: Das kann nur der Auftakt sein. Deswegen hat sich die Ampel auch zu weitergehenden Maßnahmen verpflichtet. Wir wollen eine
digitale Immobilientransaktionsdatenbank gemeinsam mit den Notarinnen und Notaren aufbauen, um transparent zu machen, welcher Immobilienbesitz eigentlich von
wem an wen wechselt.
Lassen Sie mich auch sagen – wir haben das auch in unserer Entschließung noch mal aufgeführt, obwohl es das eigentlich nicht braucht –: Wir wollen,
dass die Länder bei der Digitalisierung der Grundbücher endlich eine Schippe drauflegen.
({14})
Es kann nicht sein, dass wir immer wieder daran scheitern, dass wir nicht mit den Seiten arbeiten können, weil die noch in Sütterlin geschrieben sind.
Wir nehmen den Ländern durch diese neue Behörde viel Arbeit ab. Deswegen wünsche ich mir, dass es bei der Digitalisierung der Grundbücher vorangeht.
Datenbanken sind in diesem Themenfeld natürlich wichtig. Deswegen – auch das sagen wir – müssen wir dafür sorgen, dass wir vorhandene Daten
datenschutzkonform besser zusammenführen können. Denn wenn wir wüssten, was wir alles wissen, dann würden wir vielen Oligarchen, die wir treffen wollen, viel
besser auf die Schliche kommen, meine Damen und Herren.
Ich fasse zusammen. Wir leisten hier nicht nur einen Beitrag für mehr Gerechtigkeit in unserem Land, sondern wir unterstützen auch die Ukraine bei
ihrem Kampf um Selbstbestimmung und Freiheit.
({15})
Genau deswegen ist es richtig, dass wir das Sanktionsdurchsetzungsgesetz II heute und hier verabschieden werden.
Herzlichen Dank.
({16})
Der nächste Redner ist Kay Gottschalk für die AfD.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst mal danke an Matthias Hauer! Er hat, glaube ich, sehr gut die
Dysfunktionalität dieses Gesetzes – für die Insider: die FIU lässt grüßen! – dargestellt. Und dass Sie von den Grünen nicht mehr die Partei der Bürgerrechte
sind, werde ich im Folgenden darlegen.
Bevor ich auf das eigentliche Gesetz zu sprechen komme, möchte ich aber kurz auf den Antrag der CDU/CSU eingehen. Grundsätzlich könnten wir nämlich
bei den meisten Punkten mitgehen. Punkt 5 des Antrages allerdings halten wir für grundfalsch. Sie wollen – ich zitiere mit der Erlaubnis der Präsidentin –,
dass
die Grundlage dafür geschaffen wird, gemäß § 18 des Sanktionsdurchsetzungsgesetzes … eingezogenes Vermögen zu verwerten und den Erlös für den
Wiederaufbau der Ukraine zu verwenden …
({0})
Es bedarf also zunächst mal zweier Gesetze, die mit einem riesigen Personal- und Geldaufwand verbunden sind, um die Sanktionen überhaupt umsetzbar zu
machen; Sie haben es eben dargestellt. Und dann sollen die Erlöse sozusagen auch noch weitergegeben werden, wahrscheinlich zusätzlich zu den bereits bestehenden
Hilfen. Mit Blick auf die aktuellen Krisen lehnen wir das ab. Der Zweck heiligt eben nicht jedes Mittel, meine lieben Kollegen der CDU/CSU.
({1})
Kommen wir aber zum eigentlichen Sanktionsdurchsetzungsgesetz bzw. zum Entmündigungs-und-vollständige-Transparenz-und-gläserner-Bürger-Gesetz;
({2})
so müsste man das eigentlich nennen.
({3})
Wir verstehen den Sinn der Änderung. Es ist schon ziemlich klar, was Sie hier planen: Da, wo Sanktionen erlassen werden – egal wie sinnvoll diese
Sanktionen sind und gegen wen sie sich richten –, müssen sie – na klar! – durchgesetzt werden. Dafür – Sie haben es erwähnt – soll eine Zentralstelle, die
genauso dysfunktional wie die FIU ist, etabliert werden: mit viel Geld, allerdings mit noch fehlendem Know-how. Wir alle kennen ja das Sprichwort, das in etwa
lautet: Der Weg in die Hölle ist immer mit guten Absichten gepflastert. – Und so, meine Damen und Herren, ist es auch hier. Warum?
Ab wann ist man denn Oligarch, liebe Kollegen der SPD? Ab welchem Vermögen? Bis wann muss man Herrn Putin, seine Partei oder Russland unterstützt oder
toleriert haben? Bis zum 24. Februar 2022? Und eine Frage direkt an Sie, Herr Schrodi: Was machen Sie denn mit dem Genossen der Bosse, mit Herrn Schröder? Muss
der sein Haus in Hannover auch abgeben, weil er ziemlich lange zu Herrn Putin gehalten hat und bei Gazprom für gute Geschäfte gesorgt hat? Wollen Sie auch Herrn
Schröder auf die Oligarchenliste setzen? Das zeigt doch, wie demokratiefeindlich Ihr Gesetz ist. Lassen Sie es an der Stelle, oder nehmen Sie Herrn Schröder
gleich mit auf!
({4})
Meine sehr geehrten Damen und Herren der Ampelregierung, ein so scharfes Schwert – jetzt kommt etwas Allgemeines –, dank dem irgendeine Kommission
festlegt, wer auf diese Liste kommt, wie ich es eben aufgezeigt habe, gehört nicht in Ihre Hände. Beispiele gefällig? Sie verwehren der AfD-Fraktion hier im
Hohen Hause bis heute den ihr zustehenden Posten des Vizepräsidenten.
({5})
In den Ausschüssen wählen Sie die uns zustehenden Vorsitzenden nicht. Sie missbrauchen den Verfassungsschutz als Regierungsschutz.
({6})
Auch hier dehnen Sie die Gesetze so weit, dass sich die Balken biegen. Die der AfD nahestehende Parteistiftung bekommt bis heute kein Geld,
({7})
während Sie Ihren Stiftungen die Taschen voll machen.
({8})
– Ja, das trifft Sie wie geschlagene Hunde; ich weiß. – Sie missbrauchen – das werden wir morgen im Jahressteuergesetz diskutieren – den
Artikel 122 AEUV, die Energienotverordnung, um eine Übergewinnsteuer aufzubringen.
({9})
Da haben die Verfassungsrechtler gesagt: Wir haben große Bedenken. – Und Herr Haldenwang – das zeigt, wie Sie sind – erklärt Straßenkleber zu
Heiligen, während Coronakritiker, die gegen Ihre Maßnahmen auf die Straße gehen und friedlich demonstrieren,
({10})
zu Staatsfeinden erklärt wurden, meine Damen und Herren.
({11})
Sie sehen also: Dieser Ampelregierung fehlt es an Anstand, Moral als auch an der politischen Reife, ein solches Sanktionsdurchsetzungsgesetz II
überhaupt in ihre Hände zu bekommen, meine Damen und Herren. Mit diesem Gesetz – gerade in Ihren Händen – wird dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Ich möchte
Sie alle heute genau davor warnen, damit niemand, meine Damen und Herren auf den Tribünen, in ein paar Jahren sagen kann:
({12})
Oh, von diesem Missbrauch haben wir ja gar nichts geahnt.
Herr Kollege.
Das Lastenausgleichsgesetz wird kommen; das lässt hiermit auch grüßen. Und aus dieser demokratischen Veranstaltung – –
Herr Kollege!
Ja, was denn?
Sie sind bereits weit über der Redezeit.
({0})
Weit über der Zeit? 19 Sekunden! Das würde ich mir bei anderen auch wünschen.
({0})
Wir werden dieses Gesetz mit Recht ablehnen.
Danke.
({1})
Bruno Hönel hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lange Zeit galt: Sanktionen verhängen ist das eine, Sanktionen durchsetzen das
andere. Man muss es so deutlich sagen: Deutschland war ein Paradies für Oligarchenvermögen und schmutziges Geld aus aller Welt.
({0})
Die Zahlen zeigen aber, dass sich dies nun langsam ändert. 18,9 Milliarden Euro russische Vermögenswerte wurden in der EU laut Kommission bereits
eingefroren, davon 2,2 Milliarden Euro in Deutschland. Das ist gut.
({1})
Es ist jetzt unsere Pflicht, in Solidarität mit der Ukraine die gezielten Sanktionen umzusetzen und unseren Beitrag zu leisten, um Putins Regime
wirtschaftlich zu schwächen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Zur Wahrheit gehört auch, dass Sie von der Union es waren, die Deutschland erst zu diesem Geldwäscheparadies haben werden lassen.
({3})
Sie haben Geldwäsche und Co jahrelang als Kavaliersdelikt behandelt und eben keine wirksamen Maßnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche ergriffen.
Deswegen ist Ihre Kritik gerade vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Untätigkeit auch so unglaubwürdig, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union.
({4})
Vieles von dem, was wir im SDG II zur effektiven Durchsetzung von Sanktionen beschließen, hätten Sie bereits vor Jahren umsetzen müssen – haben Sie
aber nicht. Es brauchte hier eine Ampelkoalition, um endlich voranzukommen.
({5})
Deswegen bin ich froh, dass wir die effektive Durchsetzung von Sanktionen jetzt endlich angehen und gleichzeitig über unsere Entschließung noch mal
klarmachen, dass wir im kommenden Jahr – schon in der ersten Jahreshälfte – ein Paket zur Bekämpfung von Geldwäsche verabschieden werden.
({6})
Und da werden wir den FATF-Empfehlungen Rechnung tragen und klarmachen, dass Geldwäsche und Co eben keine Kavaliersdelikte, sondern Straftaten sind
und dass wir sie genauso behandeln und konsequent verfolgen werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({7})
Wir bündeln nun endlich die Maßnahmen zur Sanktionsdurchsetzung in einem eigenen Gesetz. Konkret schaffen wir neue Instrumente und verschärfen
bestehende Mechanismen.
In der Vergangenheit konnten weder öffentliche Stellen noch Ermittler in vielen Fällen sagen, wer der wahre Eigentümer einer Immobilie in Deutschland
ist. Das ändert sich jetzt. Wir legen den Grundstein für ein Immobilienregister, indem wir Immobiliendaten mit dem Transparenzregister verknüpfen.
Wir führen endlich ein Barzahlungsverbot ein, das wir auch auf Edelmetalle erweitert haben.
Und wir verpflichten alle ausländischen Gesellschaften, die aktuell in Deutschland Immobilien haben, ihre wahren Eigentümer anzugeben. Das ist ein
riesiger, längst überfälliger Schritt für mehr Transparenz auf dem Immobilienmarkt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({8})
Und auch an der Verschleierung mittels juristischer Gesellschaften und Briefkastenfirmen sind wir dran. Gegen den Missbrauch sogenannter fiktiver
wirtschaftlich Berechtigter wird jetzt entschieden vorgegangen.
({9})
Sie sehen: Wir haben nicht nur ein klares Ziel und einen konkreten Plan, sondern wir zeigen auch mit den entsprechenden Gesetzen, dass mit dem
Geldwäscheparadies Deutschland endlich Schluss sein muss. Und dafür legen wir mit dieser gesetzlichen Grundlage den entsprechenden Grundstein.
({10})
Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({11})
Pascal Meiser hat das Wort für Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vorweg: Herr Gottschalk, Sie haben heute wieder eindrücklich bewiesen, warum die AfD wirklich
die einzig wahre Alternative für Oligarchen und Geldwäscher in diesem Hause ist.
({0})
Das haben Sie wieder deutlich gemacht.
({1})
Aber zum Gesetzentwurf, über den wir heute hier abschließend beraten. Damit wollte die Bundesregierung endlich für die dringend notwendigen
Verbesserungen im Kampf gegen Geldwäsche und bei der Durchsetzung von Sanktionen gegen russische Oligarchen sorgen. Doch selbst dringliche Probleme werden damit
leider nicht gelöst.
Weiterhin drücken Sie sich davor, die private Nutzung von sanktioniertem Vermögen zu untersagen. Ich wiederhole mich hier gerne: Es ist und bleibt
niemandem zu vermitteln, dass es einem sanktionierten Oligarchen in Deutschland zwar untersagt ist, seine Viertvilla in Berlin-Zehlendorf oder am Starnberger
See zu vermieten, er sie aber weiterhin uneingeschränkt und ganz legal selbst privat nutzen darf, meine Damen und Herren.
({2})
Hinzu kommt, dass nach Auskunft der Bundesbank Vermögen, das ein sanktionierter Oligarch in einzelnen Unternehmen geparkt hat, im Regelfall nicht
eingefroren ist. Auch hier trauen Sie sich nicht ran. Aber auf diesem Wege bleibt es so ein Leichtes, die eigentlich bestehenden Vermögenssanktionen zu umgehen.
Auch das ist doch niemandem zu vermitteln, meine Damen und Herren!
({3})
Aber es ist ja gut, dass die Ampelkoalition zumindest erkannt hat, dass die Probleme tiefer liegen. Es ist klar, dass die Versäumnisse der vergangenen
Jahre bei der Geldwäschebekämpfung nicht innerhalb weniger Monate vollständig aufzuarbeiten sind. Man muss dazu an dieser Stelle vielleicht aber auch noch
einmal daran erinnern, dass sich noch 2019 der damalige Bundesfinanzminister, ein gewisser Olaf Scholz, mit Händen und Füßen gegen ein Bargeldverbot bei
Immobilienkäufen gewehrt hat.
({4})
Gut, dass sich das jetzt endlich ändert!
({5})
Und ja, Sie wollen endlich auch für mehr Transparenz sorgen, wenn es darum geht, wem eigentlich ein Unternehmen gehört. Gut so! Aber ich prophezeie
Ihnen: Sie werden scheitern, wenn Sie nicht schnell auch dafür sorgen, dass falsche Einträge ins Transparenzregister systematisch identifiziert werden. Ein
Blick nach Österreich verrät, wie es besser geht: Im dortigen Transparenzregister liegt die Eintragungsquote bei fast 100 Prozent, und das mit minimalem
personellem Aufwand.
({6})
Wer dort falsche oder unzureichende Angaben macht, begeht nach österreichischem Recht sogar eine Straftat. Von all dem sind wir hierzulande noch immer
weit entfernt. Das ist doch die Realität, meine Damen und Herren!
Warum greifen Sie hier nicht zumindest den Vorschlag des Bundesrates auf, ein Geschäftsverbot für diejenigen Unternehmen auszusprechen, die über
verschachtelte Firmenkonstruktionen ihre wahren Eigentümer verschleiern?
({7})
Und wenn Sie wirklich an die Wurzel des Problems wollen, dann müssen Sie jetzt schnell eine Rechtsgrundlage dafür schaffen, um verdächtige
Großvermögen ungeklärter Herkunft einzufrieren und als Ultima Ratio auch beschlagnahmen zu können. Fehlt es trotz behördlicher Aufforderung an einer plausiblen
Erklärung, woher verdächtiges Vermögen stammt, ist es einzuziehen – Punkt! –,
({8})
so wie dies zum Beispiel Großbritannien mit der Unexplained Wealth Order versucht.
Ich komme zum Schluss. Leider machen Sie es Drogenbossen, Waffenhändlern, Steuerbetrügern und nicht zuletzt russischen Oligarchen noch immer viel zu
einfach, ihre Geschäfte und Vermögen zu verschleiern. Das ist schlecht, auch wenn Ihr Bemühen durchaus erkennbar ist. Hören Sie also auf den Rat der Praktiker!
Wischen Sie die zahlreichen Vorschläge der Bundesländer nicht beiseite! Nehmen Sie schnellstens einen neuen Anlauf, damit künftig tatsächlich konsequent gegen
verdächtiges Vermögen vorgegangen werden kann.
Vielen Dank.
({9})
Carlos Kasper ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Deutschland ist noch ein Geldwäscheparadies, und es setzt auch ungenügend die
Sanktionen gegen russische Oligarchen und andere gelistete Personen um. Aber warum ist denn das so, Herr Hauer?
({0})
Weil wir die letzten 16 Jahre leider mit Ihnen regiert haben und Sie sich jedes Mal vor Geldwäscher und andere geworfen haben, um diese Leute zu
schützen.
({1})
Die Fortschrittskoalition macht sich jetzt auf den Weg, das zu ändern. Bei dieser Materie ist das enorm schwierig. Wir brauchen hier viele kleine und
große Bausteine, um endlich voranzukommen.
({2})
Das Sanktionsdurchsetzungsgesetz II, das wir heute beschließen werden, ist so ein großer Baustein, um gegen Geldwäsche endlich vorzugehen und die
Sanktionen effizient durchzusetzen.
({3})
Aber warum sind wir denn so schlecht?
Punkt eins. Wir haben zu wenige Daten über Vermögen. Das kann man ganz gut bei Immobilien erklären; denn in den Grundbüchern stehen zwar die
Eigentümerinnen und Eigentümer, aber eben nicht, wer über die Gesellschaften oder die GmbHs verfügt und damit auch über die Immobilien. Das wollen wir ändern.
Wir verpflichten hier die Notare, endlich Immobiliendaten an das Transparenzregister zu melden. Damit gewinnen wir erstmals einen Überblick darüber, wem welche
Immobilie in Deutschland gehört, und haben gleichzeitig im Transparenzregister die Verknüpfung, wer über diese Immobilien verfügt.
({4})
Punkt zwei. In Deutschland konnte man bisher alles, aber auch wirklich alles mit Bargeld bezahlen. Man konnte teure Autos, Schmuck, Uhren kaufen und
eben auch Immobilien. Das verhindern wir jetzt. Wir setzen ein Bargeldverbot bei Immobilienkäufen ein. Im parlamentarischen Verfahren konnten wir dieses
Bargeldverbot nochmals verschärfen. Zusätzlich ist es jetzt verboten, Immobilien auch mit Gold, mit Platin oder mit Edelsteinen zu kaufen. Ja, die SPD hätte
sich da auch noch mehr gewünscht; das gehört zur Wahrheit dazu. Wir hätten gerne ein generelles Bargeldverbot ab 10 000 Euro gehabt. Aber leider war das jetzt
noch nicht möglich.
({5})
Das wird aber demnächst auf europäischer Ebene umgesetzt.
Punkt drei. Wir hatten bisher leider noch keine wirkliche Behörde, die für die Sanktionsdurchsetzung originär zuständig war. Im
Sanktionsdurchsetzungsgesetz I hatten wir deswegen noch mal klargestellt, dass hier eigentlich die Länder in der Verantwortung sind. Mit dieser Klarstellung war
aber eben auch ein Versprechen verbunden, das Versprechen, dass wir das in Bundeszuständigkeit übernehmen. Dieses Gesetz erklärt nun, dass wir eine
Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung einführen werden. Diese neue Behörde wird in der Generalzolldirektion gegründet werden.
Ja, es gab Kritik.
({6})
– Es gab nicht nur Kritik,
({7})
aber es gab Kritik. Und die Öffentlichkeit hat jetzt den Anspruch, dass Christian Lindner und das Bundesfinanzministerium dafür sorgen, dass diese
Zentralstelle wirklich die Sanktionen durchsetzen wird.
({8})
Diese drei Punkte – die verbesserten Immobiliendaten, ein Bargeldverbot bei Immobilienkäufen und ebendiese Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung –
sind große Bausteine. Mit vielen weiteren kleinen Bausteinen, die wir jetzt auf den Weg bringen, gehen wir wichtige Schritte hin zu einer besseren
Geldwäschebekämpfung und zu einer besseren Sanktionsdurchsetzung. Aber uns ist auch klar, dass wir noch weitere Schritte gehen müssen. Deswegen legen wir heute
auch noch eine Entschließung vor. Diese sieht vor, dass wir eine Immobilientransaktionsdatenbank einführen. Wir machen Druck bei der Digitalisierung der
Grundbücher und verknüpfen auch weiterhin Register. Ja, ich bin stolz, dass wir uns für ein Instrument aussprechen, das es ermöglicht, Vermögen unklarer
Herkunft einzuziehen und gegebenenfalls auch zu verwerten, wenn eben der Eigentümer nicht erklären kann, woher dieses Vermögen kommt.
({9})
Sie sehen: Die Fortschrittskoalition ist gewillt, effizient gegen Geldwäsche vorzugehen und die Sanktionen durchzusetzen.
({10})
Wir legen Stein für Stein, um eben kein Paradies für Geldwäsche mehr zu sein.
Vielen Dank.
({11})
Die nächste Rednerin ist Susanne Hierl für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Willen der Ampel soll das Sanktionsdurchsetzungsgesetz II strukturelle
Verbesserungen bei der Sanktionsdurchsetzung und der Bekämpfung der Geldwäsche bringen.
Es ist vorgesehen, eine Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung auf Bundesebene im Geschäftsbereich des Bundesfinanzministeriums einzurichten. So
sollen Synergieeffekte bei der Sanktionsdurchsetzung und der Geldwäsche erreicht werden. Bei der Zentralstelle geht es – wohlgemerkt; das haben wir heute schon
öfter gehört – um eine neue Behörde, die noch einzurichten wäre. Damit ignoriert die Ampel die Ausführungen der Experten.
Mehrere Sachverständige, darunter der Bund Deutscher Kriminalbeamter oder die Gewerkschaft der Polizei, haben aufgezeigt, dass die Schaffung einer
völlig neuen Behörde weder notwendig noch praktikabel oder zielführend sei.
({0})
Sie empfehlen vielmehr, auf die bestehenden Strukturen und die Erfahrung des Zolls zurückzugreifen und diese Strukturen zu verbessern. Unserer Ansicht
nach sollte das schlussendlich in einer Bundeszollpolizei münden.
({1})
Der Zoll könnte im Gegensatz zu einer völlig neuen Behörde außerdem sofort mit der Suche nach sanktioniertem Vermögen beginnen; es würde keine weitere
wertvolle Zeit vergeudet. So könnten Sie die Synergien erreichen, von welchen Sie in Ihrer Gesetzesbegründung sprechen.
In Ihrem Koalitionsvertrag formulieren Sie das hehre Ziel, die Praxis und die betroffenen Kreise der Gesellschaft in die Gesetzgebung mit
einzubeziehen, und dabei nehmen Sie in diesem Fall nicht einmal die Anregungen der Sachverständigen auf. In Ihrem Koalitionsvertrag haben Sie sich eigentlich
auch vorgenommen, den Zoll moderner aufzustellen, damit er die Finanzkriminalität besser verfolgen kann. Weiter wollen Sie den Zoll im Rahmen der Bekämpfung der
Geldwäsche stärken. Mit diesem Gesetz hätte es die Möglichkeit dazu gegeben. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel, der Aufbau einer neuen Behörde, die noch
dazu auf die Verfolgung von sanktioniertem Vermögen beschränkt bleibt, spricht da eine andere Sprache.
({2})
Halten wir also fest: Sie halten sich nicht an Ihre Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag und vergeuden dazu noch wertvolle Zeit und Steuergelder.
({3})
Im Übrigen wäre es sinnvoll gewesen, alle Regelungen, die sich auf die Sanktionen und Geldwäsche beziehen, in einem Gesetz kompakt und übersichtlich
mit gleicher Terminologie zusammenzufassen, statt Änderungen in 20 Gesetzen vorzunehmen.
({4})
Das bringt mich zu einem weiteren Thema. Wenn Sie schon die Regelungen nicht vereinheitlichen und Sie daher 20 Gesetze ändern müssen, dann sollten Sie
wenigstens Ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einlösen und Ihren Gesetzentwürfen Synopsen beilegen. Das würde uns allen das Arbeiten sehr
erleichtern.
({5})
Sinnvoll wäre es auch gewesen, eine Beweislastumkehr bei Vermögen mit ungeklärter Herkunft einzuführen. Damit müsste der Eigentümer eines solchen
Vermögens dessen Herkunft nachweisen. Kann er das nicht, wird das Vermögen eingefroren.
Auch ist nicht nachvollziehbar, wieso Sie kein Nutzungsverbot für eingefrorene Vermögensgegenstände aussprechen. Über eingefrorenes Geld auf dem Konto
kann der Sanktionierte nicht mehr verfügen; seine Villa am Starnberger See oder die Jacht kann er demgegenüber weiterhin benutzen. Diese unterschiedliche
Behandlung ist nicht gerechtfertigt und auch nicht verständlich.
({6})
Auch auf die Frage, was eigentlich mit den eingefrorenen Vermögensgegenständen geschieht, geben Sie keine Antwort in Ihrem Gesetzentwurf. Wir sind der
Meinung, dass es verfassungskonformer Regelungen bedarf, die die Einziehung und Verwertung des sanktionierten Vermögens möglich machen können.
({7})
Im besten Fall kann dieses Vermögen zum Wiederaufbau in der Ukraine verwendet werden.
({8})
Dazu bedarf es aber gesonderter Regelungen.
Mein Fazit zum vorliegenden Gesetzentwurf: zu umständlich, zu zaghaft und nicht zu Ende gedacht.
({9})
Daher bleibt uns trotz einiger guter Ansätze nur die Ablehnung.
Herzlichen Dank.
({10})
Der nächste Redner ist Marcel Emmerich für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich möchte zum Abschluss der Debatte noch mal drei aus meiner
Sicht wesentliche Punkte deutlich machen:
Erstens. Wir können an dieser Stelle erfreut feststellen, dass durch die Auseinandersetzung mit Oligarchentum und Sanktionsdurchsetzung eine sehr
große Dynamik in den Kampf gegen Organisierte Kriminalität, gegen Geldwäsche und gegen Finanzkriminalität generell gekommen ist. Das ist ein längst überfälliges
Zeichen.
({0})
Seit Langem lag zum Beispiel die Idee eines Bargeldverbots bei Immobilienkäufen auf dem Tisch. Viele Menschen können sich übrigens überhaupt nicht
vorstellen, wie es ist, eine Immobilie zu kaufen, weil sie gar nicht die finanziellen Möglichkeiten haben; auch das muss mal am Rande gesagt werden. Wenn man
mit Menschen auf der Straße spricht und ihnen erzählt, dass es bisher möglich war, mit Bargeld in einem Umschlag, in einer Tüte oder einem Koffer
({1})
ein Haus zu kaufen, dann erntet man irritierte, ja, schockierte Blicke. Damit ist jetzt Schluss. Deutschland darf nicht die Waschmaschine Europas
sein. Wir sorgen für echte Geldwäschebekämpfung.
({2})
Ein zweiter wichtiger Punkt, den ich noch anmerken möchte und der in der Debatte noch gar nicht vorkam: Den Entwurf, den das BMF vorgelegt hatte,
haben wir im parlamentarischen Verfahren gerade im Hinblick auf den Datenschutz noch mal verbessert. Wir haben die Stellungnahme des BfDI berücksichtigt und
hier, gerade was die Regelungen bezüglich des Registers betrifft, eine Präzisierung vorgenommen. Auch das will ich an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen.
({3})
– Danke, Kollege Herbrand.
Dann möchte ich als dritten Punkt noch etwas zu der Strukturdebatte sagen, die hier jetzt sehr zentral war. Zunächst muss man noch mal schauen: Was
ist gerade überhaupt auf dem Tisch? Worüber wird debattiert? Da ging es ja auch in der Anhörung hin und her. Wir schaffen jetzt eine Zentralstelle zur
Durchsetzung der Sanktionen. Man kann das noch weiterdenken; der Vorschlag von Bundesfinanzminister Lindner hinsichtlich eines sogenannten
Bundesfinanzkriminalamtes liegt auf dem Tisch. Ich kann für meine Fraktion nur sagen, dass wir die Vorschläge, dass wir die Kritik, die in der Anhörung auch
daran geübt wurde, auch im weiteren Verlauf nicht unter den Tisch fallen lassen. Die Strukturdebatte ist mitnichten heute beendet; sie geht gewissermaßen gerade
erst los.
({4})
Das heißt, all die Fragen hinsichtlich BKA, ZKA und BFKA liegen auf dem Tisch. Wir schauen uns das genau an, wir diskutieren das. Und dass die neue
Behörde dann auch wirklich schnell kommt, haben wir mit einer Entschließung im Finanzausschuss noch mal festgezurrt. Das heißt, wir als Fraktion sind da
hinterher, das Zuständigkeitswirrwarr aufzulösen, um kriminellen Strukturen das Handwerk zu legen, ihnen das Geld zu entziehen – egal ob es um Putins Clique
geht oder um andere kriminelle finanzielle Machenschaften in diesem Land.
Vielen Dank.
({5})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wer alles auf eine Karte setzt, setzt alles aufs Spiel. Bis zum Jahr 2045 will
Deutschland Klimaneutralität erreichen. Dafür setzen wir uns mit unserem Antrag ein. Als CDU/CSU sind wir überzeugt: Nur mit einem gelungenen Maßnahmenmix wird
die Mammutaufgabe Wärmewende erfolgreich. Die für die Klimaneutralität nötige Wärmewende muss Versorgungssicherheit garantieren, nachhaltig und bezahlbar
sein.
({0})
Aktuell heizen zum Beispiel 40 Millionen Menschen, also jeder zweite Haushalt, mit Gas. Die energetische Gebäudesanierung kommt kaum über 1 Prozent
hinaus. Es sieht schlecht aus. Darum fordern wir als Union, die Wärmewende pragmatisch anzugehen. Das heißt, keine Beschränkung auf nur eine Karte, auf nur eine
Technologie, auf nur eine Lösung. Die Wärmewende braucht viele Ideen und viele Hände, und sie braucht das Gespräch mit allen Akteuren.
({1})
Was passiert, wenn man nur auf eine Karte setzt, und sei es auch mit bester Absicht, erleben wir alle seit dem Ausbleiben der russischen
Gaslieferungen. Leider nannte der Bundeskanzler in seiner Haushaltsrede nur Sonne, Wind und Wasserstoff als Energiequellen. Es gibt aber zwischen Himmel und
Erdkern noch viel mehr Optionen als die, an die sich der Kanzler erinnern kann. Dazu gehören unter anderem Abwärme, Geothermie, Kraft-Wärme-Kopplung, Biogas,
Lüftungstechnologie, die Wärme zurückgewinnt, usw. Wir sind ein Volk von Ingenieuren und Tüftlern, und das müssen wir unbedingt weiterhin nutzen, damit die
Wärmewende gelingt.
({2})
Doch statt alle Kräfte zur Erreichung der Wärmewende zu bündeln, wird gerade eine ganze Branche der alternativen Energie- und Wärmeerzeugung zerstört.
In Deutschland gibt es 9 600 Biogasanlagen. Theoretisch könnten sie bereits heute ein Drittel des Gasbedarfs decken. Sie können Strom zu den Zeiten erzeugen, zu
denen Wind und Sonne nicht ausreichend liefern. Mit der schlecht gemachten Erlösabschöpfung der Ampel wird den Biogasanlagen gerade ihr Grab geschaufelt;
({3})
denn Erlösabschöpfung ist nicht gleich Übergewinnabschöpfung.
({4})
Die Kosten für Biomasse sind sehr gestiegen. Gewinn ist bekanntlich das, was nach Abzug aller Kosten vom Erlös übrig bleibt. Und wer, wie Sie, Erlös
und Gewinn nicht voneinander unterscheiden kann, hat sich eigentlich für die weitere energiepolitische Debatte völlig disqualifiziert.
({5})
Die Ampel zwingt die Betreiber von Biogasanlagen durch die Erlösabschöpfung in die Insolvenz. Darüber hinaus werden Arbeitsplätze in der herstellenden
Industrie vernichtet, das Vertrauen der Investoren und Unternehmer missbraucht. Ihr Umgang mit der Biogasbranche schwächt die Investitionsbereitschaft in
innovative Technologien. Mut muss sich aber lohnen, wenn wir die Wärmewende schaffen wollen.
({6})
Hinzu kommt: Die von Ihnen favorisierten Wärmepumpen allein machen noch keine Wärmewende; denn sie kosten für ein Einfamilienhaus bereits mehrere
Zehntausend Euro. Die meist zusätzlich nötige Wärmedämmung liegt auch im fünfstelligen Bereich. Das mag sich ein Großteil der grünen Klientel leisten können.
Das Rentnerpaar in Rostock oder die Familie mit Kindern, die ihr Haus in Hagen noch abbezahlt, können sich das nicht leisten.
Nicht nur der Preis, nicht nur die Tatsache, dass wir nicht genügend Strom für so viele Wärmepumpen haben, sind ein Problem. Aktuell sind nach
Schätzungen des Zentralverbandes Sanitär Heizung Klima nur etwa 30 Prozent der Installateurbetriebe überhaupt in der Lage, Wärmepumpen einzubauen und in Betrieb
zu nehmen. Gleichzeitig fehlen dieser Branche 60 000 Mitarbeiter. Der Teilemangel bei den Herstellern führt zudem zu langen Wartezeiten. Und so wird aus der
Wärmepumpe schnell eine Wartepumpe. Das alles löst man auch nicht zentral par ordre du Habeck. Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Zu glauben, es gäbe eine
einzige, allein selig machende Lösung und wir hätten sie schon, und deshalb alles auf eine Karte zu setzen, ist grundfalsch und brandgefährlich.
({7})
Es gibt viel zu tun. Wir müssen alle unsere Trümpfe ausspielen. Darum sehr geehrte Damen und Herren, bitte ich Sie schon jetzt: Stimmen Sie unserem
Antrag zu. Die Wärmewende braucht viele Hände.
({8})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort Timon Gremmels.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Wärmewende ist eines der wichtigsten Themen, die in dieser Wahlperiode auf der
Tagesordnung stehen. Deshalb finde ich es gut, dass die CDU/CSU sich mit den letzten 16 Jahren beschäftigt, auch kritisch beschäftigt, als sie für diese Themen
Verantwortung hatte. Frau König, Sie haben eine schöne Bestandsaufnahme gemacht über das, was Sie in den letzten 16 Jahren nicht hinbekommen haben, und über
das, was wir jetzt aufräumen müssen. Das tun wir sehr gerne.
Was mich dann aber schon wundert, ist, dass dann, wenn Sie dieses Thema hier so prominent als Ihren Antrag auf den Weg bringen, keine zehn Abgeordnete
der CDU/CSU hier sind. Das zeigt, wie wenig interessant das Thema für Sie ist.
({0})
Ich möchte jetzt einmal Ihren PGF bitten, einen Rundruf zu machen, damit gleich ein paar Leute mehr anwesend sind; denn die Beteiligung an der Debatte
über den Tagesordnungspunkt, den die CDU/CSU selbst beantragt hat, ist Ihrerseits sehr schlecht, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({1})
Ich möchte mich aber auch inhaltlich mit dem Thema beschäftigen. Wir als Ampelkoalition sind hier die Fortschrittskoalition. Wir bringen die
Wärmewende nun wirklich voran. Wir haben ein Ausbauprogramm für die Wärmepumpen auf den Weg gebracht. Wir wollen ab dem Jahre 2024 500 000 Wärmepumpen pro Jahr
hinzubauen.
({2})
Das ist ein sehr ambitioniertes Ziel, meine sehr verehrten Damen und Herren, und es ist auch sehr wichtig, dass wir dies tun, damit wir die Wärmewende
voranbringen.
({3})
In der vorletzten Woche hatte ich das Vergnügen, einen Tag lang mit einem Handwerker aus der Sanitär-, Heizungs- und Klimabranche unterwegs zu sein,
um mir anzugucken, wo er schon Wärmepumpen verbaut hat, wo er Kundenberatungsgespräche geführt hat, wo er informiert hat. Es ist auch in einem Bestandsgebäude,
in einem Einfamilienhaus möglich, eine Wärmepumpe einzubauen
({4})
und das auch wirtschaftlich zu betreiben. Es ist kein Entweder-oder, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Union. Informieren Sie sich einmal.
Es macht auch Sinn, Hybridsysteme einzubauen. Man kann auch die bestehende Heizungsanlage ergänzen. Das ist auch wichtig. Genau das funktioniert bei der
Wärmepumpe. Insofern ist das eine gute Technologie, die wir brauchen. Gerade die Wärmepumpe mit dem Eigenstrom von einer Photovoltaikanlage auf dem eigenen Dach
zu betreiben, ist etwas Effizientes, ist etwas Kostensparendes und ist der richtige Weg.
({5})
Aber ich sage Ihnen an dieser Stelle auch: Es ist nicht die eierlegende Wollmilchsau. Die Wärmepumpe allein wird die Wärmewende nicht voranbringen. Da
bin ich ja bei Ihnen, Frau König. Deswegen müssen wir auch gucken, wo es weitere Möglichkeiten gibt, zum Beispiel bei der Fernwärme.
({6})
In einer Großstadt würde ich jedem raten, wenn er die Wahl hat, auch zu prüfen, inwiefern ein Fernwärmeanschluss eine Möglichkeit ist. Es gibt auch
neue Wärmequellen. In Frankfurt zum Beispiel wird die Abwärme der Rechenzentren genutzt, was durch den dortigen Planungsdezernenten Mike Josef auf den Weg
gebracht wurde. Ich finde es einen sehr richtigen, sehr zukunftsgewandten Ansatz, die Abwärme der Rechenzentren, die wie Pilze aus dem Boden schießen, zu
nutzen, um unsere Wärmeversorgung voranzubringen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Wir müssen gucken, dass man die verschiedenen Varianten bei der Frage, für welches Heizungssystem man sich entscheidet, gleichberechtigt prüft, dass
man auch da technologieoffen ist. Deswegen wäre es schön, wenn die beiden sehr erfolgreichen Wärmepumpengipfel hin zu Wärmegipfeln weiterentwickelt werden,
meine sehr verehrten Damen und Herren, um diesen Punkt umfassend zu begehen.
Und wir müssen sicherstellen, dass wir auch im Falle einer Havarie, wenn man im Winter einen Ausfall der bestehenden fossilen Heizung hat, kurzfristig
helfen können; denn die derzeitige Beschaffung von Wärmepumpen unterliegt Lieferzeiten von bis zu sechs Monaten, wenn nicht sogar länger. So lange möchte keiner
im Kalten sitzen. Deswegen müssen wir gucken: Gibt es Leasingmodelle? Gibt es Möglichkeiten, kurzfristig zu unterstützen, damit der Mangel an Wärmepumpen nicht
dazu führt, dass man sich wieder eine Ölheizung oder eine Gasheizung einbaut. Wir müssen dafür sorgen, dass wir die Dinge auf den Weg bringen, die das
miteinander verbinden und die auch solche Hybridsysteme zulassen.
Wichtig ist, dass wir, wenn wir so etwas planen, das auch im Rahmen von Quartierskonzepten, von kommunaler Wärmeplanung machen. Das ist ganz
entscheidend. Wichtig ist aber, dass die Wärmewende wie auch die Energiewende dezentral angelegt sind, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({7})
Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Wir müssen auch bei diesem Thema hinein in die Aus- und Fortbildung, in die Qualifizierung auch des Handwerkes.
({8})
Die Menschen im Handwerk, die Menschen im SHK-Handwerk sind bereit dazu, wollen sich auf diese Technologien einlassen. Dann müssen wir aber auch
gemeinsam mit dem Handwerk die Ausbildung erneuern, weiterbringen, modernisieren. Wir müssen sie dabei unterstützen.
Unser Ziel ist: Wenn wir das Thema Wärmepumpen in den Mittelpunkt der Politik stellen, möchte ich, möchte die Sozialdemokratie als die Partei des
industriellen Fortschrittes und der regionalen Wertschöpfung, dass möglichst viele Wärmepumpen auch in Deutschland produziert werden.
({9})
Wir wollen hier nicht unbedingt Wärmepumpen aus Asien einbauen,
({10})
sondern wir möchten, dass auch die deutschen Anbieter – von denen wir ja viele haben in den verschiedenen Regionen; ich möchte hier jetzt keine Namen
nennen – eine Chance bekommen, ihre guten Hightechprodukte in den Heizungskellern der Menschen zu installieren. Deswegen ist es bei der Wärmewende wie bei der
Energiewende ganz entscheidend, dass wir die regionale Wertschöpfung berücksichtigen, dass wir Industriepolitik machen, dass wir die Produktion hier ausbauen,
unterstützen, und da ist diese Ampel eine Fortschrittskoalition. Wir gehen voran.
Ich sehe, der PGF der Union war erfolgreich: Mittlerweile sind bei der Union zwölf Personen anwesend; herzlichen Glückwunsch.
Danke.
({11})
Für die AfD-Fraktion hat das Wort Karsten Hilse.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Landsleute! Es wendet mal wieder in Ihrem Entwurf, werte Kollegen der Union, und wie: Allein das
Wort „Wärmewende“ kommt zehnmal in Ihrem Antrag vor. Nach Energiewende, Agrarwende, Verkehrswende/Mobilitätswende soll nun auch die Wärme gewendet werden.
({0})
Eine Fraktion voller Wendehälse – wenige Abgeordnete ausdrücklich ausgenommen –, laut Wiki Personen, die ihre Gesinnung stets der aktuellen
politischen Lage ohne eigene Überzeugung anpassen.
Doch wohin wenden Sie? Nach 16 Jahren Regierungsverantwortung unter der verantwortungslosen, skrupellosen und nunmehr glücklicherweise Ex-Kanzlerin
und zahllosen Wenden haben Sie immer noch nicht begriffen, dass alle Ihre Wenden allesamt im Nichts enden,
({1})
voran die Mutter aller Wenden, die Energiewende – die „Energiewende ins Nichts“, wie es Professor Hans-Werner Sinn unlängst so treffend formulierte.
Sie haben immer noch nicht begriffen, dass Ihre Wenden allesamt nur eines erreichen, nämlich alles, was dieses Land stark und wohlhabend gemacht hat, zu
verteuern, zu verbieten, zu vernichten, alles, was die Bürger mit ihrem Fleiß, ihrer Intelligenz, ihrer Kompetenz, ihrer Schaffenskraft erbaut haben, auf dem
Altar der grünen Klimareligion zu opfern. Alle Ihre Wenden fußen auf der absurden Annahme – der von Tausenden Wissenschaftlern widersprochen wird –, dass die
menschengemachten CO2-Emissionen das Klima maßgeblich beeinflussen.
Und es wird ja noch absurder: Selbst wenn man diesen unwissenschaftlichen Unsinn glaubte, ist der Einfluss Deutschlands marginal. Selbst unter den
schlimmsten Annahmen – also der höchsten angenommenen Klimasensitivität von CO2 und der längsten Verweildauer in der Atmosphäre – würde Deutschland, wenn es von
heute auf morgen kein einziges Gramm CO2 mehr ausstoßen würde, die hypothetische Erderwärmung um 0,000562 Grad verringern.
Ich weiß, für die Spezialisten auf der linken Seite sind solche Fachbegriffe wie „Klimasensitivität“ und „Verweildauer in der Atmosphäre“ eher
verwirrend.
({2})
Deswegen wende ich mich an die CDU/CSU; da ist zumindest ein höheres geistiges Niveau zu vermuten. Allerdings haben Sie es in diesem Antrag
verstanden, dieses vermutete Niveau nicht abzurufen.
({3})
Da ist im Antrag davon die Rede – oder sollte man besser sagen: „da wird geschwollen geschwafelt“? –, dass stromgetriebene Wärmepumpen sozusagen aus
dem Nichts die Wärmeversorgung übernehmen sollen – mit Strom, den wir, auch dank Ihrer Politik, bald nicht mehr haben bzw. der, wenn wir ihn dann bekommen, für
Otto Normalverbraucher unbezahlbar ist.
({4})
Da wird ein Luftschloss nach dem anderen gebaut, zum Beispiel wenn Sie davon schwafeln, „Wärmewende-Reallabore“ einzurichten oder „Energiespeicher im
großen Umfang vorzuhalten“ – die aber leider noch erfunden werden müssen; denn die vorhandenen Energiespeicher wie Kohle, Öl, Gas oder Uran lehnen Sie ja
schlussendlich ab
({5})
und wollen, so wie die grünen Kommunisten, alsbald aus ihnen aussteigen.
Was also soll das? Entweder Sie haben ausgereifte, erprobte Produkte und Verfahren, die besser und möglichst auch billiger sind als die bestehenden,
und führen die auf breiter Front ein – dann geht jede Wende von selbst –, oder – und das ist Ihr Weg und der Weg des gesamten Hauses – Sie haben sie nicht.
Stattdessen bauen Sie ein Luftschloss nach dem anderen, nennen es „Reallabore“, „Grünen Wasserstoff“ oder einfach „erneuerbare Energien“ – Hauptsache, es klingt
gut.
Dazu füttern Sie dann noch die Erbauer von Vogelschreddern und die Märchenerzähler in den Medien mit teuren Subventionen, erzählen den Menschen: „Im
Himmel ist Jahrmarkt“, vernichten parallel, aber konsequent die gesamte vorhandene, noch funktionierende wertschöpfende Infrastruktur Deutschlands und mit ihr
Millionen von Arbeitsplätzen.
({6})
Ihr Antrag dient der Zerstörung Deutschlands, er soll sie beschleunigen.
({7})
Sie wollen gemeinsam mit den grünen Kommunisten unser Land auf dem Altar der Klimareligion opfern. Dazu werden wir weder Ihnen noch sonst jemandem
jemals unsere Stimme geben, sondern wir werden Sie mit Ihrer Klimaschutzideologie auf jede demokratische und legale Art und Weise bekämpfen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort der Kollege Bernhard Herrmann.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer die Energiewende nutzt, merkt, welchen Nutzen er davon hat:
({0})
für den Klimaschutz wie für den eigenen Geldbeutel Entlastung. Das wollen Sie von der AfD den Menschen nicht gönnen, das ist schon klar.
({1})
Aber nun zu Ihnen von der Union. Manchmal müssen Parteien erst in die Opposition rücken, um wieder offen für gewisse Erkenntnisse zu werden; so ist es
jedenfalls mein Eindruck nach Sichtung des Antrags der CDU/CSU. Sie wollen eine Wärmewende. Sie wollen fossile Brennstoffe endlich ersetzen. Sie sehen im Ausbau
der Erneuerbaren ein „enormes nationales Beschäftigungs- und Wertschöpfungspotenzial“. Ich freue mich, dass wir endlich auf demselben Level angekommen sind und
miteinander kommunizieren können, und das findet auch statt, in der Tat.
Dass die Lage unserer Gebäude dramatisch ist, ist keine neue Erkenntnis, die erst mit dem 24. Februar 2022 eingetreten ist. Aber dass Sie den Ausbau
der Erneuerbaren verschleppt und unser Land schlecht vorbereitet haben, dass Sie von der CDU/CSU sich um eine Wärmewende bisher wenig geschert haben und dass
für Sie billiges russisches Gas mehr zählte als die Verbesserung des Zustands unserer Gebäude und die Bekämpfung der Klimakrise, all das ist seit dem
24. Februar für alle in diesem Land einfach nur sichtbarer geworden; es war aber zuvor schon da.
({2})
Die prekäre Lage, in der wir uns befinden, ist das Erbe Ihrer Untätigkeit.
({3})
Sie fordern in Ihrem Antrag einen „Fahrplan für die Wärmewende“. Dieser Fahrplan liegt doch seit einem Jahr vor; gucken Sie bitte mal in den
Koalitionsvertrag rein!
({4})
Wir haben in diesem Jahr mit dem Osterpaket die größte energiepolitische Gesetzesnovelle seit Jahrzehnten verabschiedet. Wir haben das
Wind-an-Land-Gesetz beschlossen. Ein Bundesgesetz für kommunale Wärmeplanung ist in der Mache. Wir bereiten derzeit den ordnungspolitischen Rahmen vor, um
unsere Heizungssysteme langfristig auf Erneuerbare umzustellen. Die gesetzliche Regelung dazu kommt in den nächsten Monaten und greift mit ausreichend
notwendiger Vorlaufzeit Anfang 2024.
({5})
Damit gibt es Planungs- und Investitionssicherheit für Bürgerinnen und Bürger und die ganze Branche.
Wie Sie in Ihrem Antrag richtig ausführen, liegt das Durchschnittsalter von Heizungsanlagen in Deutschland bei 17 Jahren, im Osten noch deutlich
darüber. Wir haben bereits jetzt ganz viel zu tun: Zu über 75 Prozent sind das nach wie vor noch Gas- und Ölheizungen. Das ist wahrlich eine Herkulesaufgabe,
vor der wir stehen.
Umso erfreulicher ist es aber – und darüber wird zurzeit etwas zu wenig berichtet –, dass die Umstellung längst begonnen hat. Schon in diesem Jahr
werden nämlich 230 000 neue Wärmepumpen installiert. Das hätte Anfang März niemand gedacht. Sie werden, wenn Sie mit der Handwerkerschaft reden, staunen, wer
alles Lust hat, das einzubauen. Der Markt wirkt, er aktiviert ganz viele Kapazitäten. Ich bin da zuversichtlich, und zwar nicht etwa träumerisch, sondern sehr
gut begründet. Unsere breite Kommunikation, der Wärmepumpengipfel und die Erkenntnis der Menschen, dass es kein Zurück zu den Fossilen gibt, wirken, und mit
Sicherheit werden mit viel Wind und viel Sonne die Preise auch deutlich sinken.
Wenn Ihnen von der CDU/CSU die Wärmewende wirklich ein Herzensanliegen ist, dann sorgen Sie – gerade auch Sie, liebe CDU aus Sachsen, aus meinem
Heimatland – dafür, dass auch der nötige Antriebsstoff dafür da ist. Treiben Sie den Ausbau von Windkraft und Solarenergie mit an! Herr Rohwer, mit Verlaub
gesagt, in aktuellster Zeit wird das schon wieder behindert; Sie werden wissen, was ich meine. Das können wir uns nicht mehr leisten. Das darf genau aus den
genannten Gründen nicht sein!
({6})
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Machen Sie sich in den Kommunen für kommunale Wärmepläne stark. Und hören Sie endlich auf, den Menschen zu erzählen, dass wir die Wärmewende vor
allem mit Wasserstoff und Holz schaffen – das geht nicht.
Vielen Dank.
({0})
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort Klaus Ernst.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine kleine Vorbemerkung zur CDU/CSU: Ich habe mich über diesen Antrag sehr gefreut. Er
spricht absolut richtige Punkte an. Auch die Technologieoffenheit bei diesen Fragen würde ich voll unterstützen.
Ich frage mich aber, warum Ihnen solche Dinge, vor allem das Wort „sozial“ in der Überschrift, immer erst dann einfallen, wenn Sie in der Opposition
sind. Ich verfolge das jetzt im 17./18. Jahr hier im Bundestag; von daher ist mir das aufgefallen. Es war ja nicht immer so, dass Sie sich dem Sozialen
zugewandt haben. Aber es freut mich natürlich, dass Sie es machen.
Ich stimme Ihnen vollkommen zu, dass wir auch im Heizbereich so schnell wie möglich Klimaneutralität erreichen müssen. Dabei muss aber genau dieser
soziale Aspekt im Vordergrund stehen. Es war von einem Durchschnittsalter der Heizungen in Bestandsbauten von 17 Jahren die Rede. Wenn Sie sich anschauen, wie
hoch das Volumen ist, das an Förderung fließen muss, damit ein Heizungsaustausch bei den Leuten, die in diesen Wohnungen leben – darunter sind viele, die wenig
verdienen –, einigermaßen vernünftig über die Bühne gehen kann, dann wird deutlich, dass wir dort sehr, sehr, sehr viel Arbeit vor uns haben und wir sehr viel
Geld in die Hand nehmen müssen, um unsere Ziele zu erreichen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN]
Insofern ist es ja richtig, was Sie wollen; aber das muss uns klar sein. Mich freut auch, dass Sie das Soziale durchaus auf dem Schirm haben.
Das Problem ist allerdings, dass sich zurzeit nicht alle im Land für unsere Vorschläge zur Wärmewende interessieren, weil sie sich eher dafür
interessieren, ob sie in ihrer Wohnung überhaupt noch eine warme Wand haben,
({0})
weil sie sich die Preise, die wir gegenwärtig haben, nicht mehr leisten können; darüber haben wir schon diskutiert.
({1})
Die Hälfte der Haushalte in Deutschland heizt mit Erdgas, ein weiteres Viertel heizt mit Öl. Der Preis für Heizöl ist allein seit Jahresbeginn um fast
60 Prozent gestiegen, der für Erdgas hat sich verdreifacht. Das Problem ist – und das möchte ich insbesondere den Grünen mal sagen –:
({2})
Es ist ja nun relativ klar, dass es die Preissteigerungen nicht nur deshalb gibt, weil Putin nicht mehr liefern will, sondern weil wir Sanktionen
verhängen; das ist doch wohl unbestritten. Wenn man sich das vorher überlegt hätte, hätte man es vielleicht anders gemacht. Genau das ist das Problem.
Durch die gestiegenen Preise haben Sie jetzt natürlich einen Zielkonflikt. Sie können das, was wir umweltpolitisch machen wollen, nicht mehr richtig
finanzieren, weil den Leuten das Geld fehlt. Hätten wir vernünftige Preise, hätten wir nicht eine Abschöpfung der Kaufkraft durch die hohen Energiepreise, die
Sie selbst mit verursacht haben, dann hätten wir eine andere Lage.
({3})
Das gilt nicht nur für diesen Bereich, sondern das gilt natürlich auch für den Ausstoß von CO2. Dass wir weg vom Gas – selbst verursacht – und hin zu
mehr Kohle und anderen Energieträgern gehen, ist, was den CO2-Ausstoß angeht, ein Killer. Das nehmen Sie in Kauf, und das finde ich nicht in Ordnung.
({4})
Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Konrad Stockmeier.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen, insbesondere der CDU! Sie führen in Ihrem Antrag einige richtige Dinge ins Feld,
beispielsweise erstens, dass der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Putins auf Russland
({0})
zu einer erheblichen Erschwerung der Energie- und Wärmeversorgung bei uns geführt hat und dass zweitens die Wärmewende eine Aufgabe ist, die weit über
unseren aktuellen Winter hinausreichen wird und einen wichtigen Beitrag zur Dekarbonisierung in Deutschland leisten muss.
Dabei ist aber auch klar, dass die flächendeckende Dekarbonisierung der Wärme- und Kälteversorgung wirklich nicht über Nacht passieren kann. Und die
Bemerkung sei gestattet: Was über Jahre nur unzureichend gesät worden ist, das kann jetzt auch nicht über Nacht geerntet werden. Seien Sie versichert, dass die
Ampelkoalition alles unternimmt, damit mehr gesät und geerntet werden kann.
({1})
Dazu gehört übrigens auch, dass Regierungen von Ländern und Kommunen unter Ihrer Führung herzlich eingeladen sind, sich daran im Rahmen ihrer
Kompetenzen und Gestaltungsmöglichkeiten zu beteiligen.
Aus Sicht der Freien Demokraten sind für das Gelingen der Wärmewende besonders die Technologieoffenheit und wirklich auch der Mut, neue Technologien
zum Einsatz zu bringen, die entscheidenden Hebel. Ein wichtiger Baustein kann dabei die kommunale Wärmeplanung sein. Aus unserer Sicht sind selbstverständlich
vor Ort die besten Kenntnisse darüber vorhanden, wo die Wärmpumpe eine gute Lösung ist, wo Biomasse am besten zum Einsatz kommt, wo beispielsweise Geothermie
oder auch Flusswärme sehr vielversprechende Wärmequellen sind. Es liegt doch völlig auf der Hand, dass beispielsweise im Bayerischen Wald andere Lösungen
anzustreben sind als bei mir zu Hause in Mannheim.
({2})
Daraus ergibt sich, dass sich der Bund aus meiner Sicht mit sehr strikten Vorgaben für die kommunale Wärmeplanung sehr zurückhalten sollte und
übrigens auch den Immobilieneigentümern vor Ort eine möglichst große Bandbreite an Technologien zur Auswahl zur Verfügung stehen sollte. Kollege Gremmels hat
eben schon erwähnt – und dieser Ansicht schließe ich mich an –, dass die flächendeckende Dekarbonisierung mithilfe der Wärmepumpe sicherlich nicht die Lösung
ist. Dazu haben wir ausreichend andere Technologien im Köcher.
({3})
Sie stellen beispielsweise richtig fest, welche Potenziale es im Bereich der Geothermie zu heben gibt. Da kann ich nur sagen: Dort, wo Sie
Verantwortung tragen, sieht es damit ein bisschen mau aus. In Unterhaching gibt es eine Anlage, die seit 20 Jahren in Nutzung ist. Daran sind 27 000 Haushalte
angeschlossen. Gemessen daran, dass Wissenschaftler der TU München festgestellt haben, dass man den gesamten Großraum München mit geothermischer Wärme versorgen
könnte, ist da noch ein bisschen Luft nach oben. Also lade ich die Bayerische Staatsregierung und die Verantwortlichen vor Ort herzlich dazu ein, dabei einfach
mal in die Pötte zu kommen.
({4})
Sie fordern die Bundesregierung außerdem dazu auf, bei der Dekarbonisierung bestehender Fern- und Nahwärmenetze voranzukommen und dort zu investieren.
Da kann ich auch nur darauf verweisen: Zu solchen Investitionen kommt es doch längst in so und so vielen Bereichen des Landes. Ich weiß, ich verweise hier
manchmal ein bisschen zu oft auf meinen Heimatwahlkreis Mannheim; aber er bietet einfach so viele tolle Beispiele. Dort ist der örtliche Versorger längst dabei,
die Fernwärmeversorgung von 100 000 Haushalten Schritt für Schritt mit Geothermie, mit Flusswärme, mit Abwärme aus industriellen Prozessen und auch aus
Müllverbrennung zu dekarbonisieren. Also: Was Sie fordern, passiert längst da und dort im Land. Sprechen Sie einfach mal mit Bürgermeistern und Geschäftsführern
der Stadtwerke vor Ort! Die sind nicht nur gedanklich, sondern in der praktischen Umsetzung manchmal einen Tacken weiter, als Sie es in Ihrem Antrag
formulieren.
({5})
Übrigens freue ich mich als Freier Demokrat auch, dass Ingenieurinnen und Entwickler in diesem Lande längstens dabei sind, jetzt in diesen Zeiten auch
marktgängige Lösungen für eine klimaneutrale Wärmeversorgung zu entwickeln. Wir sollten die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass das für Deutschland ein
Exportschlager wird und somit auch zu unserem Wohlstand beitragen kann.
Ich sehe jetzt gerade: Die Zeit reicht nicht, noch einige motivierende Beispiele anzubringen. Dazu an dieser Stelle gerne mehr bei nächster
Gelegenheit. Es gibt derer Beispiele nämlich viele.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({6})
Für die Unionsfraktion hat das Wort der Kollege Lars Rohwer.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wohnungseigentümer und Kirchengemeinden, Sportvereine und Jugendherbergen – um einige
exemplarisch zu nennen – fragen uns seit geraumer Zeit: Wie heizen wir morgen? Der Wärmesektor spielt in der Tat eine Schlüsselrolle in der Energiewende;
vielleicht spielt er sogar die wichtigste. Mindestens ein Drittel unseres Energieendverbrauches entfällt auf den Wärmesektor. Bei der Wärme gilt, was auch im
Strombereich gilt: Die Zukunft im Energiebereich wird nicht nur aus Erzeugern und Verbrauchern bestehen, sondern aus dem Dreiklang Erzeuger, Speicher und
Verbraucher.
Wenn Sie die Wärmewende in der Ampel nicht vorantreiben, bleibt die gesamte Energiewende auf Dauer auf der Strecke, und die Klimaziele werden nicht
erreicht. Die Bundesregierung hat bis heute aus meiner Sicht kein schlüssiges und umfassendes Konzept vorgelegt, um das Klimaschutzgesetz einzuhalten. Deswegen
freue ich mich, dass wir hier bis hierher eine sehr sachliche Debatte geführt haben. Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben heute einen umfassenden Vorschlag
auf den Tisch gelegt und wollen ihn mit Ihnen in den Ausschüssen diskutieren, damit die Umsetzung der Wärmewende im Gebäudesektor vorankommen kann.
({0})
Denn gemessen an selbstgesteckten Zielen hin zur Klimaneutralität ist Deutschland nicht mal annähernd auf dem richtigen Pfad. Die Umsetzungslücke ist
einfach zu groß. Dabei bietet gerade der Gebäudesektor enorme Einsparpotenziale. Wir brauchen jetzt eine bezahlbare Energiewende.
Zurzeit sind in Deutschland 1 Million Wärmepumpen installiert. Wir müssen aber noch 20 Millionen Heizungen sanieren. Eine Komplettumrüstung aller
Haushalte auf Wärmepumpen ist auf absehbare Zeit nicht zu leisten, und sie wäre wahrscheinlich auch gar nicht so sinnvoll. Es gibt also keine
One-fits-all-Lösung, keinen simplen Problemlöser. Die Gebäudestruktur, die Nutzer und die Prozesse sind viel zu vielseitig, als dass eine einzige technologische
Lösung alle Anforderungen erfüllen kann.
Wir müssen breit und technologieoffen denken, forschen und arbeiten. Dabei müssen auch regionale Wärmenetze eine größere Bedeutung erhalten. Ich habe
mir gerade dieses Jahr im Ahrtal angeschaut, wie dort eine wunderbare Lösung auf Genossenschaftsbasis umgesetzt wird.
({1})
Gerade in den ländlichen Räumen kann man nicht nur auf ein Energiesystem setzen. Die Menschen wollen mehrere Optionen. Es braucht eine umfassende
Strategie zur Wärmewende, die alle Technologien einschließt: nachhaltige Holzenergie, Geothermie, Wärmepumpen, regionale quartiersbasierte Wärmenetze, Ausbau
der Gasnetze für die H2-Versorgung, Potenziale von KWK-Anlagen. Darauf abgestimmt, brauchen wir entsprechende Förderprogramme und Maßnahmen. Beenden Sie deshalb
das baupolitische Förderchaos, beenden Sie dieses Stop-and-go in der Ampel! Schaffen Sie Förderprogramme und Rahmenbedingungen, damit die Menschen das für ihr
Gebäude bestmögliche Heizsystem einbauen können, und schaffen Sie vor allen Dingen Vertrauen für langfristige Investitionsentscheidungen!
({2})
In Ihrem Koalitionsvertrag haben Sie eine Investitionsprämie für den Klimaschutz in Form von „Superabschreibungen“ versprochen. Es ist höchste Zeit,
diese einzusetzen. Der weitere Ausbau erneuerbarer Energien wird ganz stark von zur Verfügung stehenden Energiespeichern abhängen. Nur so können wir, wenn keine
Energie gewonnen werden kann, auch in diesen Flauten ausreichend Strom zur Verfügung stellen. Und das gilt auch für den Wärmemarkt.
Die Gesetzgebung muss deshalb dringend angepasst werden. Es ist höchste Zeit, dem Wärmesektor eine Schlüsselrolle in der Energiewende einzuräumen.
Ohne die Fokussierung auf den Wärmesektor werden wir weder die baupolitischen Ziele noch diese Klimaziele erreichen.
Ich freue mich auf die Debatte in den Ausschüssen, auf die angenehme fachliche Diskussion. Sorgen wir mit einer erfolgreichen Wärmewende dafür, dass
auch zukünftig unsere Wohnungen und Gotteshäuser im Sommer angenehm kühl sind und im Winter warm.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Und für die SPD-Fraktion hat das Wort Timo Schisanowski.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Guten Abend, werte Kolleginnen und Kollegen! Für die Union wohl besser: Guten Morgen! Sind Sie doch endlich
aufgewacht aus Ihrem Tiefschlaf beim Thema Wärmewende, und das auch noch eher schlecht als recht. Wer Ihren CDU-Antrag liest, der muss im Kern zwei Dinge
feststellen:
Erstens. Klima- und energiepolitisch fordern Sie jetzt in der Opposition viel, doch geliefert haben Sie hierzu in den letzten 16 Jahren wenig.
({0})
Zweitens. Selbst in der historisch größten Krise unseres Landes reden Sie die richtigen und weitreichenden Maßnahmen der Ampel schlecht – aus reiner Parteitaktik
und ohne eine eigene konkrete Lösungsstrategie zu präsentieren. Der vorliegende Antrag ist so weit gefasst, dass man sich darunter alles und eben nichts
vorstellen kann.
({1})
Gleichwohl ist es eine gute Gelegenheit, hier und heute im Deutschen Bundestag die dringend notwendige Wärmewende in den Fokus zu nehmen; denn alleine
die Wärmeerzeugung macht mehr als die Hälfte unseres Energieendverbrauches aus. Daher ist die Wärmewende ein unverzichtbarer Baustein auf unserem Weg zur
Klimaneutralität.
({2})
Im Rahmen eines Gesamtkonzeptes gilt es hierbei insbesondere, Folgendes mitzudenken und auf den Weg zu bringen: Die Städte und Gemeinden gehören durch
eine einheitliche kommunale Wärmeplanung befähigt, die Wärmewende auch umzusetzen. Die Bestandssanierung gehört beschleunigt, und – ganz wichtig – alle Akteure
vor Ort gehören mit einbezogen: die Hausbesitzer, die Bau- und Wohnungswirtschaft sowie nicht zuletzt die Kommunen und ihre Stadtwerke. Nur so kann die
Wärmewende in den Quartieren erfolgreich gelingen.
({3})
Vor meiner Zeit als Bundestagsabgeordneter habe ich selbst in der Wohnungswirtschaft gearbeitet und war auch Aufsichtsratsvorsitzender eines kommunalen
Wohnungsunternehmens in meiner Heimatstadt Hagen.
({4})
Dort bin ich bis heute auch Aufsichtsratsmitglied bei unserem heimischen Energieversorger, der Enervie-Südwestfalen. Wie wichtig es ist, Wohnen und
Energie auf kommunaler Ebene zusammenzudenken und zusammenzubringen, das kann ich nur mit Nachdruck unterstreichen. Die Kommunen sind es, die in der
Klimapolitik und besonders bei der Umsetzung der Wärmewende eine Schlüsselrolle einnehmen.
({5})
Niemand sonst kennt die örtlichen Gegebenheiten in Fragen der Energie- und Wärmeversorgung so gut wie unsere Städte und Gemeinden.
Genau deshalb ist es richtig, dass unsere Ampelparteien sich im Koalitionsvertrag auf eine flächendeckende kommunale Wärmeplanung und den Ausbau der
Wärmenetze verständigt haben. Für die kommunale Wärmeplanung brauchen wir einen verbindlichen Rahmen. Das dazugehörige Gesetz ist in Arbeit und wird im nächsten
Jahr hier im Deutschen Bundestag Gegenstand unserer weiteren Beratungen sein.
({6})
Als Mitglied im Ausschuss Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen möchte ich herausstellen, dass bereits jetzt das Förderprogramm Energetische
Stadtsanierung des Bundesbauministeriums die Kommunen bei der Wärmeplanung unterstützt. Wir fördern damit quartiersbezogene Ansätze von Städten und Gemeinden
für ein soziales und klimagerechtes Wohnen.
({7})
Auch im Rahmen unserer allgemeinen Städtebauförderung können bereits jetzt investive Maßnahmen zur Dekarbonisierung des Wärmesektors gefördert werden,
zum Beispiel die energetische Sanierung von Gebäuden.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, für all das brauchen wir mehr und dringender denn je handlungsfähige Kommunen und innovative Projekte vor Ort. Wie
das konkret ausschauen kann, zeigt zum Beispiel das Pilotprojekt „klimakommune.digital“ in meiner Heimatstadt Hagen. Im Rahmen dieses Projekts werden über drei
Jahre 4 Millionen Euro in die Digitalisierung klimarelevanter Datenerhebung investiert. Mit dieser Grundlage haben die Stadt und ihre Akteure die Instrumente
zur Umsetzung der Wärmewende in ihrer eigenen Hand.
Ein weiteres gutes, innovatives Beispiel ist die Siedlung Eichkamp hier in Berlin. Hier wurde in den vergangenen Jahren ein integriertes
Quartierskonzept durch das Bundesprogramm Energetische Stadtsanierung gezielt gefördert, und daraus entsteht zurzeit sogar eine Bürgerenergiegenossenschaft. Es
ist geplant, auf diese Initialzündung hin dann auch die zukünftige Förderung für effiziente Wärmeerzeugung aufzusetzen, die sogenannten Wärmenetze 4.0.
Zum Schluss meiner Rede lassen Sie mich deshalb festhalten: Für das Gelingen der Wärmewende ist ein umfassender Umbau des gesamten Wärmesektors
notwendig, allen voran mithilfe der kommunalen Wärmeplanung, und das Ganze auf Grundlage eines gesamtstrategischen Ansatzes, den der vorliegende CDU-Antrag
deutlich vermissen lässt.
({8})
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({9})
Und der letzte Redner in dieser Debatte ist für Bündnis 90/Die Grünen Kassem Taher Saleh.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben uns als Bündnisgrüne jahrelang gefragt – und haben dazu in den letzten
Legislaturperioden auch verschiedene Anträge eingebracht –, wie wir die Union von der Wärmewende überzeugen können. Spätestens mit diesem Antrag ist klar: Nur
Krieg und akute Krisen rütteln diese Fraktion hier auf.
Ja, wir erreichen die Klimaziele im Gebäudesektor aktuell nicht. Ja, wir müssen den Energiebedarf auch im Gebäudesektor reduzieren. Ja, wir werden die
Menschen vor Armut schützen. Und schließlich: Ja, diese Wärmewende darf nicht am Fachkräftemangel scheitern.
({0})
Liebe Union, für unsere Abhängigkeit vom Gas, den aktuell hohen Energieverbrauch und viele andere Probleme, sind Sie mitverantwortlich, und dafür
müssen Sie sich verantworten.
({1})
Deshalb habe ich kein Vertrauen in Ihre Vorschläge zur Wärmewende mit der dazugehörenden Technologieoffenheit oder zum Gasnetzausbau.
({2})
– Ich erkläre es Ihnen. – Wie schaffen wir die Wärmewende und die Durchsetzung der Steigerung der Energieeffizienz wirklich?
({3})
Indem wir als Ampel erstens Fördergelder gezielt in den Gebäudebestand und in die energetisch schlechtesten Gebäude fließen lassen.
({4})
Indem wir zweitens – hören Sie zu, Lars Rohwer! – ab dem nächsten Jahr die serielle Sanierung in der Gebäudeförderung pushen.
({5})
Indem wir drittens im Ordnungsrecht die Energieeffizienzstandards verschärfen und indem wir uns viertens mit unseren europäischen Partnern in Brüssel
auf ambitionierte Sanierungsziele einigen.
({6})
Wofür tun wir all das? Weil die ärmsten Menschen in unserem Land häufig in den energetisch schlechtesten Gebäuden wohnen und damit doppelt und
dreifach von der aktuellen Energiekrise betroffen sind. Ökologisch gedämmte, mit erneuerbaren Energien geheizte Wohnungen – das heißt Mieterschutz; das heißt,
keine Angst zu haben vor dem nächsten Winter, und das heißt auch, gewappnet zu sein für die nächsten Energiekrisen.
({7})
Einen letzten Punkt noch, meine Damen und Herren: Für eine schnelle Wärmewende braucht es Menschen, die unter anderem nachwachsende Dämmstoffe
anbauen, die Wärmepumpen oder neue Fenster einbauen. Haben Sie mal gehört, wie viele unterschiedliche Sprachen auf den deutschen Baustellen gesprochen
werden?
({8})
– Haben Sie das wirklich mal gehört? – Das glaube ich nicht; sonst würden Ihre Aussagen, liebe Union, in der aktuellen Einwanderungspolitik nicht so
abscheulich, unmenschlich und schlichtweg falsch ausfallen.
({9})
Meine Damen und Herren, Fachkräftemangel und Sanierungsprobleme –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– lassen sich nicht von heute auf morgen lösen, in der Zeitspanne, in der die Union an der Macht war, allerdings schon: Dieser Antrag kommt zehn
Jahre zu spät.
Vielen Dank.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mitbestimmung ist in den letzten Jahrzehnten in Deutschland drastisch zurückgegangen.
Dem muss entgegengewirkt werden. Wir als Gesetzgeber können dem nicht weiter zuschauen, wie hier Mitbestimmung umgangen und am Ende sogar ignoriert wird.
({0})
Mitbestimmung ist ein wichtiger Pfeiler unserer Demokratie, einer sozialen Demokratie, einer solidarischen Gesellschaft. Je stärker Mitbestimmung ist,
umso besser kann man durch Krisen kommen. Das sehen wir an der aktuellen Krise, und das ist genauso wichtig in zukünftigen Krisen. Kolleginnen und Kollegen, die
in mitbestimmten Unternehmen im Aufsichtsrat vertreten sind, können mit ihren Eigentümern auf Augenhöhe die Probleme besprechen und lösen. Das ist effizient für
die Wirtschaft und genauso für ein solidarisches Zusammenleben.
({1})
Umso mehr freue ich mich, dass wir heute hier im Bundestag in der 20. Legislatur das erste Mal ein Mitbestimmungsgesetz beraten und beschließen.
({2})
Die europäische Umwandlungsrichtlinie soll Regelungen für Unternehmen treffen, die sich nach Deutschland hinein umwandeln. Dazu muss man sagen, dass
das Gesetz kompliziert ist, sehr wohl. Aber das Gesetz ist gut gelungen im Bereich der Mitbestimmung. Denn es hilft den Unternehmen genauso wie den
Gewerkschaften. Die unternehmerische Freiheit im Hinblick auf einen Umzug nach Deutschland wird gewahrt ohne die Aushöhlung der Arbeitnehmerschutzrechte.
Besonders gut ist, dass zum ersten Mal eine dynamische Regelung hineinkommt, und zwar die Vier-Fünftel-Regelung. Damit zeigen wir, dass wir aus den
Fehlern beim SE-Beteiligungsgesetz gelernt haben; denn gerade in Unternehmen der SE-Form sind Unternehmensgremien nicht paritätisch besetzt, obwohl die Zahl der
Arbeitnehmer vier Fünfteln des Schwellenwertes von 2 000 Kolleginnen und Kollegen entspricht. Davon sind 2 Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betroffen.
So ein Einfrieren, wie es bei der SE möglich ist, ist in diesem Gesetz von uns unterbunden worden.
Den Umsetzungsspielraum, der uns gesetzlich gegeben ist, haben wir in der Tat genutzt; denn wir möchten, dass Gewerkschaften stärker und vor allem
frühzeitiger in Verhandlungen eingebunden werden.
({3})
In diesem Zusammenhang müssen wir natürlich auch die Regelungen sehen, in denen es um Unternehmen geht, die sich aus Deutschland hinaus wandeln. Auch
da müssen wir darauf achten, dass die Mitbestimmungspflicht nicht umgangen wird, und das stellen wir auch sicher. Die unternehmerische Freiheit und der faire
Wettbewerb der EU müssen immer mit hohen sozialen Standards verbunden sein.
Jede Option zur grenzüberschreitenden Mobilität birgt auch die Gefahr der Vermeidungsmodelle. Diese Vermeidungsmodelle bezüglich der Mitbestimmung
müssen verhindert werden. Es darf keine Gefährdung der Arbeitnehmerrechte durch die europäische Niederlassungsfreiheit geben; denn wenn wir das zulassen, gibt
dies den Menschen das Momentum, den Glauben an die EU zu verlieren. Das dürfen wir nicht zulassen.
({4})
Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass wir mehr Mitbestimmung wagen. Wir wollen gemeinsam zukünftig die Lücken schließen, damit wir die
Mitbestimmung stärken. Mit diesem Gesetz machen wir den ersten Schritt in die richtige Richtung. Ich hoffe, Sie können diesem Gesetz so zustimmen und geben uns
die Zustimmung.
Danke.
({5})
Für die Unionsfraktion hat das Wort der Kollege Axel Knoerig.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hunderttausenden von Beschäftigten in
Deutschland wird die Mitbestimmung, wie sie eigentlich angedacht ist, vorenthalten. Es gibt, und das hat gerade der Kollege auch angesprochen, über 60 große
Unternehmen hierzulande, in deren Aufsichtsräten die Arbeitnehmer nicht ausreichend vertreten sind.
Grund dafür sind die grenzüberschreitenden Umwandlungen von Kapitalgesellschaften. Das bedeutet, dass Kapitalgesellschaften ihre Rechtsformen ändern,
zum Beispiel von einer Gesellschaft nach französischem Recht in eine Gesellschaft nach deutschem Recht. Um hier die Mitbestimmung zu sichern, haben wir schon in
der letzten Wahlperiode diese EU-Richtlinie mit auf den Weg gebracht, und die unionsgeführte Bundesregierung hat bereits 2019 die Grundlagen für dieses neue
Gesetz beschlossen.
({0})
Nicht nur, weil wir damit begonnen haben, sondern auch, weil es eine gute Sache ist, stimmen wir dem Entwurf heute zu.
({1})
Damit wird die EU-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt. Es wird ein einheitlicher Rahmen für Verschmelzung und Spaltung von Gesellschaften auf dem
EU-Binnenmarkt geschaffen. So werden auch die Mitbestimmungsrechte geschützt, wenn ein ausländisches Unternehmen durch Umwandlung den Sitz nach Deutschland
verlegt.
Experten haben bestätigt, dass das Gesetz mehr Rechtssicherheit schafft, und insbesondere die sogenannte Verhandlungslösung gelobt. Danach verhandeln
Arbeitgeber und Arbeitnehmer ab bestimmten Mitarbeiterzahlen in einem Gremium gemeinsam über die Mitbestimmung. Damit sichert das Gesetz das bestehende
Mitbestimmungsniveau in Deutschland ab, und im europäischen Vergleich liegt das bei uns ganz hoch.
Wir blicken somit auf eine erfolgreiche Tradition zurück, was die Mitbestimmung angeht. Mit dem gemeinsamen europäischen Binnenmarkt haben wir uns
auch für Partner geöffnet, bei denen eine solche Tradition nicht gelebt wird. Daher ist das Gesetz ein wichtiger Baustein. Aber es gibt noch mehr zu tun. So
müssen an anderen Stellen schlichtweg Schlupflöcher geschlossen werden.
({2})
Das gilt insbesondere für die Rechtsform der Europäischen Gesellschaften. Hier haben vier von fünf Unternehmen mit über 2 000 Mitarbeitern keine
paritätische Mitbestimmung.
Darauf weisen Sie, werte Kolleginnen und Kollegen der Ampel, hin. Sie haben es gerade auch erwähnt: Im Koalitionsvertrag steht, Sie wollen die
vollständige Vermeidung von Mitbestimmung bei den Europäischen Gesellschaften unterbinden. – Auch das ist ein richtiges Ziel. Es muss aber handwerklich
ordentlich gemacht werden.
({3})
Meine Damen und Herren, faire Mitbestimmung, selbstbewusste Betriebsräte und eine hohe Tarifbindung, das sind die Kernelemente der sozialen
Marktwirtschaft. Wir müssen jetzt Konzepte für die Zukunft weiterentwickeln, und mit Blick auf die Mitbestimmung müssen wir uns fragen: Wie erreichen wir es,
dass noch mehr Unternehmen ihre Mitarbeiter auf Augenhöhe beteiligen?
({4})
Dabei ist deutlich zu machen: Mitbestimmung ist nicht nur für die Arbeitnehmer, sondern auch für die Arbeitgeber eine Bereicherung.
({5})
In den letzten zwei Jahren hat sich dies besonders gezeigt: Unternehmen mit starker betrieblicher Mitbestimmung sind weitaus besser durch die Pandemie
gekommen. Sie konnten sich viel, viel schneller an Situationen anpassen, weil die Belegschaft schlichtweg gut mitgezogen hat.
({6})
Das belegen auch etliche Studien.
Insbesondere zum Thema Homeoffice sage ich: Viele Unternehmen haben mit ihren Betriebsräten gute Lösungen entwickelt. Das macht deutlich: Die
Sozialpartner sind gut darin, gemeinsam den betrieblichen Alltag zu regeln. Es reicht, wenn der Staat den Rahmen vorgibt. Es bedarf keiner weiteren Eingriffe.
Tatsächlich würde man so die Sozialpartnerschaft nur schwächen; denn je mehr der Staat vorgibt, desto weniger Gestaltungsspielraum haben die Sozialpartner.
Kanzler Scholz hat es kürzlich selbst gesagt: Die Betriebsräte wissen oft am besten, was vor Ort funktioniert und was den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am
Arbeitsplatz wirklich hilft. – Wahre Worte, aber warum hören Sie nicht auf ihn? Damit Sie, werte Kolleginnen und Kollegen, überall Vorschriften machen, so wie
Sie sie beim Homeoffice in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben haben?
Sie unterstellen immer gleich negative Absichten. So wollen Sie zum Beispiel mit der Stärkung der Mitbestimmung auch neue, sogenannte Offizialdelikte
einführen. Damit werden Verstöße direkt von der Staatsanwaltschaft verfolgt. Da muss ich schon sagen: Das ist wirklich ein scharfes Schwert. Auch bei diesem
Gesetz fällt auf, wie oft das Wort „Missbrauch“ verwendet wird. Dabei ist es doch gar nicht nötig, so scharf zu formulieren. Ich meine, dass die Regelungen, die
dahinterstehen, an sich gut sind.
Nicht immer steckt die Absicht dahinter, die Mitbestimmung zu umgehen, wenn ein Unternehmen eine Umwandlung vornimmt. Nicht immer liegt Missbrauch
vor, wenn nach einer solchen Umwandlung das Personal aufgestockt wird. Es ist klar: Es gibt schwarze Schafe. Aber wir müssen deutlich positiver über
Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft sprechen; denn das sind die Stärken des Standortes Deutschland.
({7})
Das Signal an jede Kapitalgesellschaft und an jede europäische Gesellschaft, die sich bei uns niederlassen will, muss sein: Wer hierher kommt, hat
seine Mitarbeiter angemessen zu beteiligen. Das liegt auch im eigenen Interesse.
Mein Appell an Sie, lieber Herr Minister Heil – in Gedanken sind Sie bei uns –: Unterstellen Sie den Unternehmern nicht immer gleich Missbrauch, haben
Sie mehr Vertrauen in die bewährte Sozialpartnerschaft!
({8})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Beate Müller-Gemmeke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Bei dem heute vorliegenden Gesetzentwurf geht es um die Unternehmensmitbestimmung, und die
ist wichtig. Mitbestimmte Unternehmen kommen besser durch Krisen, sie planen langfristiger, sie investieren mehr, und – anders als bei Unternehmen ohne
Mitbestimmung – die Arbeitsplätze dort sind sicherer, und diese Unternehmen bilden auch mehr aus; Herr Knoerig, da sind wir uns vollkommen einig. Außerdem ist
die Mitbestimmung gelebte Demokratie. Diese Demokratie in den Unternehmen gehört zu einer funktionierenden sozialen Marktwirtschaft. Deshalb ist es gut, dass
wir heute die Unternehmensmitbestimmung weiter stärken.
({0})
Mit dem Gesetz setzen wir eine EU-Richtlinie fristgerecht um. Das Gesetz ist gut; das haben auch die Sachverständigen in der Anhörung bestätigt. Mit
dem Gesetz wird die Mitbestimmung abgesichert, wenn die Unternehmen ihren Sitz nach Deutschland verlagern. Das schafft, trotz Veränderungen, Vertrauen bei den
Beschäftigten. So gehen wir auch den nächsten Schritt beim sozialen Europa, und das ist gut so.
({1})
Über 10 Millionen Beschäftigte profitieren von der Unternehmensmitbestimmung, aber über 2 Millionen Beschäftigte eben nicht. Diese weißen Flecken gibt
es, weil Rechtslücken strategisch und auch bewusst genutzt werden, um Mitbestimmung zu vermeiden. Hier besteht also Handlungsbedarf; denn solche Rechtslücken
darf es einfach nicht geben.
({2})
Bei den Europäischen Aktiengesellschaften gibt es beispielsweise den sogenannten Einfriereffekt. Unternehmen können hier die paritätische
Mitbestimmung vermeiden, obwohl sie den Schwellenwert erreicht haben. Der Antrag der Fraktion der Linken macht genau auf dieses Problem aufmerksam. Diese
Gesetzeslücke haben wir aber auch in unserem Koalitionsvertrag konkret benannt, und diese Lücke werden wir schließen.
({3})
Ja, und dann gibt es auch Unternehmen, die die Mitbestimmung einfach ignorieren. Die können das machen, weil das ohne Sanktionen möglich ist. So
entstehen rechtsfreie Räume. Auch damit werden wir uns beschäftigen müssen; denn das ist einfach nicht akzeptabel.
({4})
Bei der Mitbestimmung müssen für alle Unternehmen die gleichen Rahmenbedingungen gelten und für alle Beschäftigten die gleichen Mitbestimmungsrechte.
Wichtig ist deshalb, dass wir bestehende Lücken schließen und gleichzeitig, wie heute, die Mitbestimmung weiterentwickeln. Mit der Verabschiedung des
Gesetzentwurfs heute gehen wir einen ersten guten Schritt, weitere werden ganz sicher folgen.
Vielen Dank.
({5})
Für die AfD-Fraktion hat das Wort Hannes Gnauck.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ampelregierung beabsichtigt, die sogenannte Umwandlungsrichtlinie der EU in innerstaatliches deutsches
Recht umzusetzen. Dabei geht es zentral um die betriebliche Mitbestimmung bei grenzüberschreitenden Umwandlungen von Kapitalgesellschaften innerhalb des
Binnenmarktes. Das Ziel soll sein, die Ausübung der Niederlassungsfreiheit für Unternehmen zu erleichtern und zugleich Gesellschafter, Gläubiger und
Arbeitnehmer besser zu schützen. Der Schutz deutscher Arbeitnehmer ist selbstverständlich wichtig, doch bei dem hier vorgelegten Entwurf besteht bereits das
Problem, dass Haftungsfonds für die betriebliche Pensionsvorsorge durch die grenzüberschreitende Umwandlung entfallen könnten. Hier muss noch dringend
nachgebessert werden.
({0})
Zu Recht steht ja in Ihrem Koalitionsvertrag – Zitat –:
Auch bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen von Gesellschaften müssen nationale Beteiligungsrechte respektiert und
gesichert werden.
Das ist eine Selbstverständlichkeit für eine Regierung eines Nationalstaates. Es gibt bei uns diesbezüglich bereits ein innerstaatliches Gesetz,
nämlich das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung, kurz das MgVG. Wenn aber Regelungslücken identifiziert
wurden: Warum ist die deutsche Regierung dann nicht selbstständig aktiv geworden? Warum übernehmen Sie nicht beispielsweise im Wege einer Rechtsanalogie die
bestehenden Regelungen des MgVG und wenden sie auf die entsprechenden Sachverhalte an? Wie immer sind Sie passiv und lassen Brüssel sich in innere deutsche
Angelegenheiten einmischen. Meine Damen und Herren, das bloße Nachvollziehen von Rechtsakten der EU ist keine souveräne Politik im Interesse unserer
Arbeitnehmer.
({1})
Aus gewerkschaftlicher Sicht wird der vorgelegte Gesetzentwurf in dieser Hinsicht obendrein als unzureichend bewertet. Laut Stellungnahme des DGB
umfasse dieser Ansatz keinesfalls die im Koalitionsvertrag vereinbarten Regelungen zum Schutz vor einer missbräuchlichen Umgehung. Mit Stand 2020 würden sich
nach Angaben der Hans-Böckler-Stiftung mindestens 307 Unternehmen mit zusammen mindestens 2,1 Millionen Beschäftigten der paritätischen Mitbestimmung im
Aufsichtsrat entziehen oder gesetzeswidrig ihre Anwendung ignorieren. Handlungsbedarf bestehe also definitiv. Darauf zielt der beigestellte Antrag der
Linksfraktion ab, der allerdings, wie immer, ein bisschen übers Ziel hinausschießt.
({2})
Und noch ein Wort dazu. Die Stärkung der Mitbestimmung im Unternehmen und eine Gleichbehandlungsregelung für verschiedene Rechtsformen sind natürlich
sinnvoll, aber Neuregelungen für Tendenzbetriebe sind in dieser Krisenlage vielleicht doch etwas zu viel, werte Herren und Damen Genossen.
Natürlich müssen Betriebsräte und die Interessen deutscher Arbeitnehmer geschützt werden. Es kann einfach nicht sein, dass Unternehmen nur zwecks
Umgehung ins Ausland abwandern. Hier muss der Staat im nationalen Interesse eingreifen. Für eine geregelte Stärkung der Arbeitnehmermitbestimmung bedarf es aber
keiner EU-Richtlinien. Der politische Einsatz für die Interessen deutscher Arbeitnehmer ist eine nationale Verpflichtung, welche unter Hoheit dieses Hauses
gestaltet werden muss und nicht aus Brüssel vorgelegt werden darf.
({3})
Als AfD-Fraktion verfolgen wir das Prinzip eines solidarischen Patriotismus und keinen Globalismus. Gerade in Krisenzeiten, wo die Existenz unserer
gesamten Volkswirtschaft auf dem Spiel steht, die USA unsere Industrie abwerben und EU-Bürokratiemonster Kleinunternehmer drangsalieren, ist doch jede Regelung
zum Schutz unserer Arbeitnehmer begrüßenswert. Meine Damen und Herren, Solidarität beginnt gerade in Krisen auf nationaler Ebene, von der Sie sich ja alle
bereits entfernt haben. Deshalb werden Sie auch die sozialen Probleme Deutschlands niemals lösen. Brüssel ist nicht Berlin und wird es auch niemals sein.
Vielen Dank.
({4})
Für die FDP-Fraktion hat das Wort Carl-Julius Cronenberg.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa wächst zusammen. Wir erleben das tagtäglich. Unser Alltag in Gesellschaft und
Betrieb wird europäischer, und das ist gut so.
({0})
Mehr Europa bedingt, dass grenzüberschreitende Sachverhalte auch grenzüberschreitend geregelt und organisiert werden müssen. Deshalb ist es richtig,
dass das Europäische Parlament 2019 eine Richtlinie verabschiedet hat, die den Rahmen für die Mitbestimmung regelt, wenn Unternehmen in Europa ihre Rechtsform
wechseln, sich aufspalten oder verschmelzen. Diese Umwandlungsrichtlinie setzen wir heute in deutsches Recht um. Europa wächst ein kleines Stück weiter
zusammen, und auch das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist gut so.
({1})
Was gut für Deutschland und Europa ist, ist komplex und im Detail knifflig für Juristen und Ministerialbeamte. Es geht darum, wichtige
Arbeitnehmerrechte im vorgegebenen europarechtlichen Rahmen zu schützen. Ich kann das Ergebnis vorwegnehmen: Dem BMAS ist die Lösung dieser schweren Aufgabe gut
gelungen. Sie haben sich eng an der Richtlinie orientiert und gleichzeitig sichergestellt, dass das derzeitige Mitbestimmungsniveau erhalten bleibt; auch das
ist gut so. Für die Fraktion der Freien Demokraten sage ich Danke für eine Eins-zu-eins-Umsetzung.
Komplex und knifflig war die Aufgabe auch deshalb, weil Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten aus einem ganz eigenen Mitbestimmungsumfeld nach
Deutschland hereinumwandeln. Manche Länder kennen Mitbestimmung analog zu unserer Drittelbeteiligung. Andere kennen gar kein Recht auf Mitbestimmung in der
Unternehmenslenkung. Und niemand außerhalb Deutschlands kennt die paritätische Mitbestimmung, die immer ein deutscher Sonderweg geblieben ist. Deutsche
Beschäftigte wiederum dürfen nach der Umwandlung nicht weniger Mitbestimmungsrechte haben als vor der Umwandlung; das ist klar. Mit einer Kombination aus dem
Vorher-nachher-Prinzip aus der europäischen SE-Mitbestimmung einerseits und der Verhandlungslösung andererseits gelingt dieser Ausgleich, und auch das ist gut,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
Es geht aber nicht um Arbeitnehmerrechte allein. Es geht auch darum, den europäischen Binnenmarkt zu stärken, und zwar dadurch zu stärken, dass
zukünftig grenzüberschreitende Restrukturierungen von Unternehmen leichter und mit mehr Rechtssicherheit vollzogen werden können. Vergessen wir nicht: Weder die
USA noch China haben 27 unterschiedliche Rechtssysteme, die bei Umstrukturierungen zu beachten sind. Deshalb gilt: Wer die globale Wettbewerbsfähigkeit der
Unternehmen in Europa stärken will, der muss den Binnenmarkt nicht nur für Waren und Dienstleistungen vollenden, sondern eben auch für Rechtsformenwechsel
infolge von Wachstum oder veränderter Strukturen.
({2})
Der einheitliche Rechtsrahmen, den wir heute umsetzen, stellt sicher, dass gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen auf globalen Märkten
gestärkt wird und Arbeitnehmermitbestimmungsrechte geschützt werden. Das ist ebenfalls gut.
({3})
Der einheitliche Rechtsrahmen schafft auch Rechts- und Planungssicherheit für Unternehmen, die europäischer werden wollen. Das ist eine gute Botschaft
für den deutschen Mittelstand, eine gute Botschaft für unsere mehr als 1 500 Hidden Champions, die nach ihrer Unternehmenskultur eben nicht mehr allein deutsche
Champions sein wollen, sondern immer häufiger auch europäische Champions. Gerade diesen Unternehmen fällt es oft genug schwer, sich in fremdes Recht
einzuarbeiten und hohe Beraterhonorare aufzuwenden, um international rechtskonform zu agieren. Deshalb ist ein einheitlicher europäischer Rechtsrahmen ein
Fortschritt, insbesondere für den Mittelstand, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine Klarstellung: Es ist gut, dass der Gesetzentwurf in § 36 ein Missbrauchsverbot vorsieht, und es ist richtig,
dass nachlaufende Strukturveränderungen eine Missbrauchsvermutung auslösen und gegebenenfalls über Mitbestimmung neu verhandelt werden muss. Es ist aber auch
richtig, dass nur erfolgreiche Unternehmen wachsen und neue Jobs schaffen.
({4})
Deshalb ist es völlig klar, dass die Schaffung neuer Jobs, dass die Einstellung neuer Mitarbeiter, die zu einem Überschreiten von Schwellenwerten
führt, für sich allein kein Missbrauch von Mitbestimmungsvorschriften sein kann, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Erfolg bringt Investitionen, Steuern und neue Jobs, und das ist erwünscht und kein Missbrauch.
({6})
Die Umwandlungsrichtlinie stärkt die europäische Wirtschaft, achtet die Subsidiarität und schützt Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten. Der
vorliegende Gesetzentwurf setzt die Richtlinie in geeigneter Form um. Sie können guten Gewissens zustimmen.
({7})
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort Pascal Meiser.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die grenzüberschreitende Mobilität von Unternehmen in Europa droht leider immer wieder auch
schwer erkämpfte Arbeitnehmerrechte auszuhebeln. Das gilt weiterhin auch für die wirtschaftliche Mitbestimmung von Beschäftigten und ihren Gewerkschaften in
großen Unternehmen. Insofern besteht hier in der Tat großer Handlungsbedarf.
Das Erfreuliche vorweg: In dem von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf ist nichts Falsches geregelt.
({0})
Es ist gut, klare Verfahren bei der Unternehmensumwandlung von ausländischen Rechtsformen in deutsche Rechtsformen zu haben und klarzustellen, dass im
Zweifel als Rückfalllinie das deutsche Unternehmensmitbestimmungsrecht gilt.
Aber wir alle wissen auch: Ein Meilenstein auf dem Weg zum Schutz der deutschen Unternehmensmitbestimmung ist das beileibe nicht. Die wahren Probleme
liegen in der Realität ganz woanders. Da geht es nicht darum, dass ausländische Unternehmen sich in deutsche Unternehmensrechtsformen flüchten, sondern darum,
dass deutsche Unternehmen aus ebendiesen Rechtsformen flüchten und damit aus der Unternehmensmitbestimmung.
Weil immer wieder behauptet wird, es handle sich hier um Einzelfälle, habe ich mal ein paar Beispiele mitgebracht: Nehmen wir die Meyer Werft aus
Niedersachsen. Die wurde 2015 in eine Europäische Aktiengesellschaft, SE, umgewandelt, und das mit dem erklärten Ziel, einen Aufsichtsrat und die Mitbestimmung
der Beschäftigten dauerhaft zu umgehen;
({1})
denn bei der Umwandlung in die SE wird das bestehende Mitbestimmungsniveau auf dem Status quo eingefroren, in diesem Fall auf null, und das auf Dauer.
Das ist kein Einzelfall. Prominente Beispiele wie Deichmann, Zalando und auch die Tesla Manufacturing Brandenburg SE tun es ihr gleich. Damit muss endlich
Schluss gemacht werden, meine Damen und Herren, und das so schnell wie möglich.
({2})
Oder nehmen wir die ALBA Group, immerhin das drittgrößte Entsorgungs- und Recyclingunternehmen Deutschlands. Sie wurde 2011 in eine britische Limited
umgewandelt, obwohl das Unternehmen rund 8 000 Beschäftigte hat, der Verwaltungssitz in Berlin ist und die wirtschaftliche Kerntätigkeit in Deutschland liegt.
Die ALBA Group umgeht so seitdem jegliche Mitbestimmung der Beschäftigten im Aufsichtsrat. – Alles keine Einzelfälle. Es handelt sich um einen systematischen
Entzug aus der deutschen Unternehmensmitbestimmung. Dieser Praxis muss endlich ein Riegel vorgeschoben werden, und die entsprechenden Gesetzeslücken müssen
komplett geschlossen werden.
({3})
Wenn Sie das auch so sehen, dann stimmen Sie heute nicht nur dem Gesetzentwurf zu, sondern auch dem von der Fraktion Die Linke hier heute vorgelegten
Antrag, und beauftragen Sie damit die Bundesregierung, ein echtes Mitbestimmungserstreckungsgesetz vorzulegen, wie es auch der Deutsche Gewerkschaftsbund
fordert.
({4})
Für uns als Linke ist klar: Die Flucht aus der Unternehmensmitbestimmung muss gestoppt werden. Dafür braucht es endlich handfeste Verbesserungen mit
Blick auf die Schlupflöcher bei der grenzüberschreitenden Mobilität europäischer Unternehmen, mit Blick auf die darüber hinaus im deutschen
Unternehmensmitbestimmungsrecht bestehenden Gesetzeslücken und mit Blick auf klare und effektive Sanktionen bei Nichtanwendung der Mitbestimmungsgesetze. Es
kann nicht sein, dass die Anwendung der Gesetze in diesem Bereich weiter nach Gutdünken der Unternehmen erfolgt. Hier muss gehandelt werden.
Vielen Dank.
({5})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort Jan Dieren.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete in den demokratischen Fraktionen! Liebe Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben und Unternehmen!
Wir schauen in diesen Tagen zu Recht genauer hin, wenn Menschen anderswo nicht frei über sich und ihr Leben bestimmen können, wenn im Iran nicht die Menschen
selbst, sondern die Mullahs entscheiden, wer wen lieben und wie Frauen das Haus verlassen dürfen, wenn Migrantinnen und Migranten in Katar unter unfreien und
unmenschlichen Bedingungen arbeiten müssen, wenn in Russland Demonstrantinnen und Demonstranten drangsaliert und eingesperrt werden. Demokratie heißt, dass
gesellschaftliche Entscheidungen von den Menschen selbst und nicht über ihre Köpfe hinweg getroffen werden. An diesem Maßstab messen wir, was in der Welt
passiert.
({0})
Es lohnt sich, diesen Maßstab auch hier in Deutschland anzulegen, zum Beispiel, wenn Beschäftigten in deutschen Unternehmen ihr demokratisches Recht
auf Mitbestimmung verwehrt wird, wenn bei einem großen deutschen Supermarkt die Gründung des Betriebsrats wegen Tumulten abgebrochen werden muss, wenn sich ein
Unternehmen künstlich aufteilt, um die paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat zu umgehen, wenn Kolleginnen und Kollegen in einem Betrieb damit abgespeist
werden, sie sollten sich, statt einen Betriebsrat zu gründen, mit ihren Problemen lieber vertrauensvoll an die Unternehmensleitung wenden. Es ist gerade einmal
drei Wochen her, da hat mir ein Betriebsleiter hier in Berlin erzählt, dass er grundsätzlich gar nichts gegen die Mitbestimmung habe. Nur, der Betriebsrat, den
er jetzt habe, der sei erstens ständig anderer Meinung und sorge zweitens auch noch für Unruhe im Betrieb. So was könne er nicht gebrauchen.
Was zeigt uns das? Die Mitbestimmung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist kein Geschenk, keine Gabe, die die Unternehmensleitung den Beschäftigten
gewährt, weil sie sich ordentlich verhalten. Die Mitbestimmung ist ein demokratisches Recht, das arbeitende Menschen hart erkämpfen mussten.
({1})
Sie ist ein demokratisches Recht, für das Menschen auf die Straßen gegangen sind, für das Menschen ihr Leben gelassen haben. Die Mitbestimmung ist ein
demokratisches Recht, für das wir auch heute immer und immer wieder kämpfen müssen.
({2})
Gerade deswegen ist die Mitbestimmung das Mindeste, was die Beschäftigten erwarten können.
Mitbestimmung heißt, dass die Entscheidungen in den Betrieben und Unternehmen nicht über die Köpfe derjenigen hinweg getroffen werden, die dort
arbeiten. Mitbestimmung heißt, dass diejenigen, die Tag für Tag – in den Betrieben und Unternehmen und damit in unserer Gesellschaft – den Laden am Laufen
halten, ein Wörtchen dabei mitzureden haben, wie die Dinge hier laufen.
Deshalb haben sich SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag bei der Mitbestimmung auf drei Punkte verständigt: Erstens geht es darum, Angriffe
auf die Mitbestimmung und die Umgehung der Mitbestimmung zu bekämpfen, zweitens, den Mitbestimmungsrechten ein Update zu geben – insbesondere im Hinblick auf
die Digitalisierung und den Wandel der Arbeitswelt – und drittens, die Mitbestimmung auch inhaltlich weiterzuentwickeln.
Dem ersten Ziel dient dieses Gesetz, über das wir hier gerade sprechen. Wir setzen damit eine Richtlinie der Europäischen Union um, die es Unternehmen
erschweren soll, unterschiedliche Gesetze in den europäischen Ländern auszunutzen, um Mitbestimmung zu umgehen. Genau genommen sind es zwei Gesetze: Ein Gesetz
für den Fall, dass Unternehmen sich aus einer deutschen in eine ausländische Rechtsform herausverwandeln, und ein Gesetz für die, die sich in eine deutsche
Unternehmensform hineinverwandeln. Ob rein oder raus: In beiden Gesetzen geht es uns darum, das demokratische Recht der Beschäftigten zu wahren, in ihren
Unternehmen mitzubestimmen. Denn das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Voraussetzung dafür, dass nicht über den Kopf der Kolleginnen und Kollegen hinweg
entschieden wird. Das ist die Grundlage, damit die Menschen, damit wir darüber entscheiden, wie der Laden läuft. Genau daran werden wir weiter arbeiten. Stimmen
Sie deshalb unserem Gesetzentwurf zu!
Vielen Dank.
({3})
Für die Unionsfraktion hat das Wort Peter Aumer.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Mitbestimmung in Unternehmen ist neben der Sozialpartnerschaft und der
Tarifautonomie Grundlage unserer Wirtschafts- und Sozialordnung. Sie ist Kernbestandteil unserer sozialen Marktwirtschaft. Mitbestimmungsrechte tragen zur
Stärkung des sozialen Friedens in unserem Land bei.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das steht ganz im Gegensatz zu dem, wie Sie in der Ampel im Moment Ihre Ideologien umsetzen – wir haben es in
den letzten Wochen gehört –:
({0})
Die Debatten zur geplanten Vermögensumlage, zum Bürgergeld
({1})
und heute die Änderungen der Immobilienbewertung und die Nichtanpassung der Freibeträge zeigen immer deutlicher, welch ideologische Politik Sie
betreiben.
({2})
Immerhin, meine sehr geehrten Damen und Herren der Ampelregierung, setzen Sie aber gerade noch rechtzeitig die EU-Richtlinie zur Mitbestimmung der
Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen in nationales Recht um. Sehr geehrter Herr Gnauck, Sie hätten vielleicht
einmal den Titel und den Inhalt des Gesetzentwurfes lesen sollen, bevor Sie Ihre Rede geschrieben haben. Denn wenn nicht hier, wo dann sollte die EU Regelungen
zu internationalen Beziehungen auf den Weg bringen?
({3})
Es ist Kernbestandteil der Europäischen Union, dass das Wirtschaften über die Grenzen hinausgehen soll. Das hat nichts mit Sozialpatriotismus zu tun,
sondern mit Pragmatismus. Den haben Sie leider nicht.
({4})
Der bisherige Rechtsrahmen reicht nicht aus, um grenzüberschreitende Umwandlungen gerade auch für Unternehmen rechtssicher auszugestalten. Die
Umsetzung ist daher eine wichtige Weichenstellung und eine wichtige Weiterentwicklung; darin waren sich die Experten in der Anhörung einig. Es müssen aber
weitere Anpassungen erfolgen. Lücken, beispielsweise bei der Mitbestimmung,
({5})
müssen geschlossen werden – ich nenne hier nur das Drittelbeteiligungsgesetz –,
({6})
und neu entstehende Fallkonstellationen müssen beachtet werden.
({7})
Leider hat es die Bundesregierung in Teilen verpasst, klare Definitionen zu schaffen. Die Verlängerung des Betrachtungszeitraums von einem auf vier
Jahre ist für Unternehmen beispielsweise nicht praxistauglich. In einer globalen und schnelllebigen Wirtschaft, die sich immer wieder europäischen und
internationalen Krisen ausgesetzt sieht, müssen maßvolle Erhöhungen vorgenommen werden. Diese wären sicherlich wünschenswerter gewesen als die vier Jahre, die
jetzt im Gesetz stehen.
Insgesamt setzt die Ampel die EU-Richtlinie zwar nicht eins zu eins um, schafft aber trotzdem – ich habe die Einschränkungen genannt – ein Zeichen,
sowohl für Unternehmen als auch für Arbeitnehmer, für eine rechtssichere Mitbestimmung bei grenzüberschreitenden europäischen Umwandlungen. Wir stimmen diesem
Gesetz zu, werden die notwendigen Weiterentwicklungen jedoch im Auge behalten.
Ein Wort noch in den verbleibenden Sekunden zum Antrag der Linken. Zu diesem gibt es wenig zu sagen außer: Das Gesetz der Ampel macht das europäische
Wirtschaftsleben einfacher und unkomplizierter. Der Antrag der Linksfraktion versucht, diese fortschrittliche Entwicklung durch neue Vorgaben und Richtlinien
wieder einzubremsen.
({8})
Deswegen lehnen wir diesen Antrag ab.
Herzlichen Dank.
({9})
Für Bündnis 90/Die Grünen erteile ich das Wort Frank Bsirske.
({0})
Frau Präsidentin! Abgeordnete! Es klang bereits an: Im Koalitionsvertrag der Ampel haben wir vereinbart, die missbräuchliche Umgehung geltenden
Mitbestimmungsrechts zu verhindern und dafür zu sorgen, dass auch bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen von Unternehmen
nationale Beteiligungsrechte gesichert werden. Mit dem heute zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf machen wir einen wichtigen Schritt zur Sicherung der
Mitbestimmung, und ich kann Ihnen versprechen: Weitere werden folgen.
({0})
Der nun vorliegende Gesetzentwurf enthält Regelungen zum Schutz der Mitbestimmung bei der Herein-Umwandlung von Gesellschaften aus dem Ausland nach
Deutschland. Damit setzen wir die EU-Richtlinie um, die das Ziel hat, die Niederlassungsfreiheit von Unternehmen im EU-Binnenmarkt in einen angemessenen
Ausgleich mit den Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum Schutz ihrer Mitbestimmungsrechte zu bringen. Insbesondere sieht der Gesetzentwurf
Verhandlungen zwischen Unternehmen und einem besonderen Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer/-innen über die Mitbestimmungsrechte bereits dann vor, wenn eine
beteiligte Gesellschaft eine Zahl von Arbeitnehmern beschäftigt, die mindestens vier Fünfteln des deutschen Mitbestimmungsschwellenwerts entspricht. Mit solcher
Art antizipierender Betrachtung wird der missbräuchlichen Umgehung von Mitbestimmungsrechten entgegengewirkt. Gut so!
({1})
Voraussichtlich in der kommenden Sitzungswoche werden wir dann im Plenum einen weiteren Gesetzentwurf zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie in
deutsches Recht beraten. Dabei geht es um die Verhinderung missbräuchlicher Umgehungen des geltenden Mitbestimmungsrechts bei der sogenannten Heraus-Umwandlung
von deutschen Unternehmen und Gesellschaften ins europäische Ausland. Dieser Teil der EU-Richtlinie wird vom Justizministerium umgesetzt. Bei der
Heraus-Umwandlung von deutschen Unternehmen werden die deutschen Registergerichte künftig prüfen, ob ein Unternehmen die grenzüberschreitende Umwandlung zu
missbräuchlichen Zwecken durchführt, und hierzu gehört, lieber Axel Knoerig, auch insbesondere die Umgehung der deutschen Mitbestimmung. Kein Unternehmen soll
sich durch billige Tricks zulasten der Beschäftigten der Mitbestimmung entziehen können. Das ist unsere Position.
({2})
Nun sind die Registergerichte bisher ja nicht mit Fragen der Unternehmensmitbestimmung befasst. Umso wichtiger ist es daher, den gesetzlichen
Prüfauftrag mit klaren Anhaltspunkten zu versehen, die für die missbräuchliche Umgehung der deutschen Mitbestimmungsrechte sprechen, zum Beispiel, wenn im
Zielland keine Wertschöpfung erbracht wird oder der Verwaltungssitz in Deutschland verbleibt.
Es ist erklärtes Ziel der EU-Richtlinie und muss in der Folge auch Ziel des Umsetzungsgesetzes hier sein, ein Absenken des Status quo bei der
Mitbestimmung gegen den Willen der Arbeitnehmer/-innen auszuschließen. Genau das wird die Maxime unseres Handelns sein.
({3})
Für die SPD-Fraktion hat als letzte Rednerin das Wort Dr. Zanda Martens.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Wir können echt stolz sein auf unsere Demokratie, auch in
Betrieben und Unternehmen, auf unsere deutsche Mitbestimmung, bei aller berechtigten Kritik wegen zu vieler Schlupflöcher oder Ver- und Behinderung von
Betriebsratswahlen. Wir können noch besser werden, sicherlich. Aber wir sollten uns auch dessen bewusst sein, dass wir ein Vorbild für Europa sind.
Ich darf das hier heute als lettische Staatsbürgerin sagen. Ja, ich habe zwei Staatsbürgerschaften, und das soll auch so bleiben.
({0})
Ich bin in Lettland geboren, habe dort studiert und bei den Gewerkschaften gearbeitet. In Deutschland habe ich mich, wie ich finde, gut
integriert,
({1})
und ich lernte zu schätzen, was es im lettischen Recht bis heute überhaupt nicht gibt: die Mitbestimmung im Betrieb und im Unternehmen durch
demokratisch gewählte Betriebsräte und Aufsichtsräte. Und weil das eben keine Selbstverständlichkeit ist, müssen wir alles daransetzen, damit es in der EU, im
gemeinsamen Binnenmarkt mit der Niederlassungsfreiheit der Unternehmen über alle 27 Mitgliedstaaten hinweg nicht dazu kommt, dass schlechtere Arbeitsbedingungen
und weniger Mitbestimmung zum Wettbewerbsvorteil werden können und Unternehmen diesen vermeintlichen Vorteil dann asozial ausnutzen.
({2})
Ich freue mich zwar über jedes Unternehmen, das sich entscheidet, in Lettland sein Geschäft zu betreiben. Wir müssen aber verhindern, dass sie es nur
deshalb tun, weil sie sich der vermeintlich lästigen deutschen Mitbestimmung entledigen wollen durch Mitbestimmungsflucht. Wenn die Unternehmen genauso wie die
Menschen überall in der EU ihren Sitz anmelden und ihre Geschäfte betreiben können, müssen auch die Rechte der Beschäftigten und ihre Mitbestimmung
grenzüberschreitend mitziehen können.
({3})
Denn die Mitbestimmung ist ein unschätzbarer Vorteil für die Beschäftigten und für die Arbeitgeber. Eine funktionierende Mitbestimmung ist kein
Hemmnis, sondern ein kultureller Standortvorteil für Deutschland.
Wir müssen nicht nur unsere deutsche Mitbestimmungskultur schützen und absichern. Wir haben ein riesiges und auch egoistisches Interesse daran, durch
europäische Regelungen und Zusammenarbeit unter den Gewerkschaften europaweit dafür Sorge zu tragen, dass sie auch in anderen europäischen Ländern realisiert
wird. Das ist keine deutsche Hochnäsigkeit oder Besserwisserei. Als Lettin kann ich Ihnen ehrlich versichern: Wir werden für unsere deutsche Mitbestimmung
beneidet, vielleicht sogar mehr, als wir es verdient haben. Sei’s drum! Wir sollten uns sowohl hier im Bundestag als auch in der EU dafür einsetzen, dass wir
möglichst hohe einheitliche demokratische Mitbestimmungsstandards sichern, mindestens auf unserem deutschen Niveau.
Vielen Dank.
({4})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Damen! Meine Herren! Die Coronapandemie hat einen gefährlichen Trend verstärkt.
Sie hat massive Auswirkungen auf das Gesundheitsverhalten unserer Gesellschaft gehabt. Zu viele bewegen sich zu wenig, zu viele haben durchschnittlich an
Gewicht zugelegt.
Wo stehen wir aktuell? Jedes sechste Kind ist seit Beginn der Coronapandemie dicker geworden. 13 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind von
Übergewicht betroffen, 8 Prozent der Kinder sogar von Adipositas. Die Zahl der Typ‑2-Diabetes-Neuerkrankungen bei Jugendlichen hat sich in den letzten Jahren
verfünffacht. Etwa 32 500 Kinder und Jugendliche sind von Typ‑1-Diabetes betroffen. Bei Erwachsenen sind die Zahlen weitaus dramatischer. Rund zwei Drittel der
Männer – 67 Prozent – und etwa die Hälfte der Frauen in Deutschland sind übergewichtig. Ein Viertel der Erwachsenen, Männer und Frauen, sind stark adipös.
Insgesamt sind in Deutschland mehr als 10 Millionen Menschen von Diabetes betroffen; pro Jahr kommen 600 000 Neuerkrankungen hinzu. Das bedeutet nicht nur
erhebliche körperliche, psychische und soziale Belastungen für die Betroffenen. Es stellt vor allem eine enorme Herausforderung für unser Gesundheitssystem
dar.
Wir als CDU/CSU-Fraktion wollen und werden diese Entwicklung nicht hinnehmen.
({0})
Wir haben einen Fraktionskongress mit hochrangigen Experten aus den Bereichen Sport und Gesundheit durchgeführt. Dabei konnten zahlreiche
Handlungsempfehlungen erarbeitet werden, die wir in diesem Antrag formuliert haben. Auf die sportpolitischen Ansätze wie auch auf die Auswirkungen der
Energiekrise auf den Sport wird mein Kollege Stephan Mayer im weiteren Verlauf der Debatte eingehen. Ich möchte hier insbesondere die Vorschläge aus dem Bereich
der Gesundheit vorstellen.
Meine Damen und Herren, es bedarf einer Weiterentwicklung des Präventionsgesetzes; denn neben der guten Versorgung im Krankheitsfall ist es ebenso
wichtig, Krankheiten möglichst zu vermeiden und die Gesundheit der Bevölkerung zu stärken. Gezielte Gesundheitsförderung und Prävention sind gerade in einer
älter werdenden Gesellschaft von entscheidender Bedeutung.
({1})
Wir brauchen ein Nationales Gesundheitsziel „Bewegungsförderung“. Wir wollen die Menschen dabei unterstützen, ihr eigener Gesundheitsmanager zu
werden, beginnend mit der Kita, mit einem intensiven Schwerpunkt während der Schulzeit – wir halten ein Schulfach „Sport, Gesundheit und Ernährung“ für absolut
notwendig, und eine Bewegungsstunde pro Tag muss das Ziel sein –, auch im Studium, in den beruflichen Lebenswelten und bis ins hohe Alter.
({2})
– Auch im Bundestag. – Dies könnte dazu beitragen, dass Krankheiten erst gar nicht entstehen oder in ihrem Verlauf positiv beeinflusst werden, dass
Menschen gesünder älter werden und dass die Lebensqualität steigt. Richtig war, meine Damen und Herren, dass im Koalitionsvertrag die Weiterentwicklung des
Präventionsgesetzes aufgegriffen worden ist. Aber diese Herausforderung hat diese Bundesregierung nicht angenommen. Auch hier handelt sie nicht, auch hier duckt
sie sich einfach weg.
({3})
Die in der 19. Wahlperiode beschlossene Nationale Diabetes-Strategie muss umgesetzt und weiterentwickelt werden. Wir haben hier wiederholt gemahnt.
Vor dem Hintergrund der dramatischen Entwicklung brauchen wir eine Nationale Adipositas-Strategie. Nur wenn es gelingt, die Prävention und Versorgung der
Volkskrankheiten Diabetes und Adipositas besser zu strukturieren, werden wir hier erfolgreich sein. Dann ist der Gesundheitssektor in der Lage, persönliches
Leid zu mindern.
Meine Damen und Herren, es bedarf weiterhin einer Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Alle vulnerablen Gruppen müssen in ihren Lebenswelten
gezielt angesprochen und unterstützt werden. Prävention wird bei sich ändernden gesellschaftlichen Bedingungen nur gelingen, nur auf der Höhe des Zeitgeistes
liegen, wenn die Forschung und Entwicklung in diesem Bereich massiv gestärkt wird. Es müssen Programme entwickelt werden, die Menschen aus allen sozialen
Schichten ansprechen und dazu motivieren, Sport zu treiben und sich gesund zu ernähren.
({4})
Die gesundheitliche Ungleichheit in Deutschland darf sich nicht weiter verschärfen. Es kann nicht sein, dass nur wer es sich leisten kann, sich gesund
ernährt, sich richtig und ausreichend bewegt. Dies gilt auch für Menschen mit Behinderungen. Die Förderprogramme müssen ihren besonderen Bedürfnissen angepasst
werden.
Unser Antrag enthält ganz konkrete Vorschläge, um die Menschen für mehr Bewegung zu gewinnen, um Menschen zu motivieren, sich richtig zu ernähren, um
der Bevölkerung, vor allem auch den Kindern und Jugendlichen, noch vor der Entstehung von Krankheiten wie zum Beispiel Diabetes und Adipositas,
Präventionsangebote zu unterbreiten, um damit die hohen Kosten, mit denen sich die Gesellschaft zunehmend konfrontiert sieht, möglichst zu vermeiden.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Meine Damen und Herren, wenn Ihnen die Gesundheit unserer Bürgerinnen und Bürger wichtig ist, dann unterstützen Sie unseren Antrag.
Herzlichen Dank.
({0})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort Sabine Poschmann.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wundere mich schon sehr über die Inhalte der beiden Unionsanträge, jetzt, im
Dezember, wo bereits alles im Fluss ist. Dies gibt mir aber die Möglichkeit, auch von dieser Stelle die Öffentlichkeit noch einmal mitzunehmen.
Diese Regierung hat sich die Neuausrichtung der Sportpolitik auf die Fahne geschrieben, und zwar im Bereich des Breiten- und des Spitzensports. Im
Bereich Breitensport erfolgt bereits in diesem Jahr als Auftakt der Bewegungsgipfel. Hier sollen alle Akteure aus Verbänden, Politik, Gesellschaft ihre Impulse
zur Stärkung des Sports und der Bewegung einfließen lassen. Mit diesem Input soll im weiteren Verfahren der Entwicklungsplan Sport erarbeitet werden. Dies ist
eine Chance für unsere Gesellschaft, nachhaltig fit zu werden.
({0})
Das Zweite ist die eigentliche Aufgabe des Bundes, der Spitzensport. Hier liegt bereits ein Grobkonzept für eine Spitzensportreform vor, die sogar ein
eigenes Sportfördergesetz vorsieht. Sie sehen also, wie wir beide Bereiche zusammendenken;
({1})
denn sowohl Breiten- als auch Spitzensport sind wichtig für unsere Gesellschaft.
Wichtig bei beiden Konzepten ist, dass die Akteure mitgenommen werden und Konzepte nicht nur, wie vormals, auf dem Papier stehen, sondern zeitnah
umgesetzt werden.
({2})
Deshalb gibt es einen ambitionierten Zeitplan bis Ende 2023. Wir müssen im nächsten Jahr gemeinsam aus den Startblöcken kommen. Beide Ansätze zeigen,
welch hohen Stellenwert der Sport in dieser Regierung hat.
({3})
Wir lassen den Sport auch in der Krise nicht allein. Die Message des Kanzlers lautete: „You’ll never walk alone“. Gerade als Dortmunderin geht mir
diese Zeile ans Herz; denn bei uns wird dieser Spruch gelebt: in guten wie in schlechten Zeiten füreinander da sein.
({4})
Deswegen war es für die SPD-Fraktion ganz klar, dass wir dem Sport in der Coronazeit unter die Arme greifen und ihn mit dem
25-Millionen-Euro-ReStart-Programm stützen.
({5})
Auch beim Thema Energiekrise war für uns klar, dass Sportanlagen geöffnet bleiben; das war wichtig. Durch verschiedene Maßnahmen hat es die Regierung
geschafft, eine Gasmangellage zu vermeiden. Flächendeckende Schließungen von Sportstätten stehen deshalb heute nicht zur Debatte.
({6})
Auch bei den Kosten springen wir den Vereinen zur Seite. Von Anfang an war es das Ziel, alle Letztverbraucher von hohen Gas- und Stromkosten zu
entlasten – und „alle“ heißt auch alle.
Zusätzlich unterstützen wir die Kommunen und Vereine mit einem Sanierungsprogramm für Sportstätten. Der Schwerpunkt liegt auf der Verbesserung der
Energieeffizienz, um langfristig klimaneutrale Sportstätten zu schaffen. Dies nutzt der Umwelt und der finanziellen Situation der Sportvereine und der
Kommunen.
Insgesamt wird 2023 ein Jahr des Sports,
({7})
sowohl des Breiten- als auch das Spitzensports. Gelingen wird das nur gemeinsam. Daher freue ich mich, dass der DOSB und auch der DBS bereit sind,
noch einmal durchzustarten, und auch Athleten Deutschland seinen Fachverstand einbringt.
Herzlichen Dank.
({8})
Für die AfD-Fraktion hat das Wort Edgar Naujok.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen Abgeordnete! Liebe Gäste und Zuschauer! Sport ist ein zentraler Bestandteil unserer Gesellschaft.
Er betrifft die Freizeitgestaltung genauso wie die Gesundheitsförderung und den Wettbewerb. Er vereint sämtliche Generationen und dient der Stärkung des
Zusammenhalts sowie der Integration.
Das alles dürfen wir jetzt nicht sehenden Auges preisgeben. Die in den Sportvereinen vorherrschende Ungewissheit hat konkrete Ursachen: Die
Belastungen aufgrund der Energiekrise sind immens. Teuerungen können aufgrund der anhaltenden Inflation auch nicht durch eine Erhöhung der Mitgliedsbeiträge
ausgeglichen werden. Hinzu kommt, dass die Vereine wegen ihrer Gemeinnützigkeit in der Vergangenheit kaum Rücklagen bilden konnten. Sponsoren entfallen
zunehmend. Nun ist die Planungssicherheit für die Vereine, wie es die Unionsfraktion in ihrem Antrag richtig darlegt, nahezu null.
Dieser Istzustand kann einzig und allein auf die grobfahrlässige Passivhaltung dieser Bundesregierung zurückgeführt werden. In den vorgelegten
Entlastungspaketen war von Sport zunächst keine Rede, dafür aber von Kultur, die, wie wir ja alle wissen, längst links-grün dominiert ist.
({0})
Der von der Bundesregierung mittlerweile vorgelegte Abwehrschirm soll nun auch die Sportvereine mit einschließen. Das erfolgt aber offensichtlich nur
halbherzig und ist so auch nicht ausreichend. Die Preisspiralen drehen sich weiter und betreffen, wie wir alle wissen, nicht Strom und Gas allein. Hinzu kommen
zum Beispiel dringend benötigte Sanierungen der Sportstätten. Ein zielgenauer und unbürokratischer Härtefallfonds wäre deshalb das Gebot der Stunde.
({1})
Nun will ich mich an die Antragsteller von CDU und CSU wenden. In nahezu allen Punkten kann ich Ihnen recht geben. Sie haben die Lage und die
Bedürfnisse richtig erkannt. Doch braucht es jetzt wirklich noch neue, zusätzliche Energiesparkonzepte? Ich meine, bislang mussten die Sportvereine ihren
Energieverbrauch schon selbst massiv senken. Der DOSB hat überdies schon längst dahin gehende Empfehlungen ausgegeben. Da kann man jetzt nicht noch weiter
zurückschrauben. Oder wollen wir jetzt etwa Schwimmer im Winter zu Eisbadern umerziehen?
In meinem Wahlkreis bin ich im engen Austausch mit dem Kreissportbund. Genauso wie bei den Landessportbünden fragt man dort nicht nach neuen
Einsparkonzepten. Was dort verlangt wird, ist endlich schnelles und passgenaues Handeln. Die Vereine wollen wissen, auf welche Mittel sie im Härtefall wann und
wie zurückgreifen können. Unsere Sportlandschaft hat keine neuen Vorschriften, Einschränkungen oder Existenzgefährdungen, sondern schlichtweg mehr Wertschätzung
verdient – und das nicht nur zu internationalen Wettkämpfen.
({2})
Wohlmeinende Worte haben wir hier schon oft gehört. Die Unionsfraktion liegt mit ihrem Antrag jetzt aber auf der Zielgeraden. Dem wollen wir uns als
AfD-Fraktion anschließen, und wir hoffen, dass dafür auch bei der Ampel ein grünes Licht aufblinkt.
({3})
Es geht um das Engagement, die Gesundheit aller sowie um Deutschland als Sportnation. Genau dafür braucht es eine möglichst unbürokratische und
effektive Kraftanstrengung.
In diesem Sinne: Sport frei!
({4})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Marcel Emmerich.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat unser
ganzes Land im Griff. Er hat einschneidende Konsequenzen für die Bürgerinnen und Bürger. Privathaushalte drehen gerade daheim die Heizung runter. Betriebe
suchen nach jedem Mittel, um Energie zu sparen. Daheim duschen die Menschen kürzer und/oder kälter.
({0})
Wir lassen die Menschen dabei nicht im Stich. Wir unterstützen sie so massiv wie noch nie, und das auch im Bereich des Sports. Natürlich ist die Krise
auch für die Vereine eine große Herausforderung; hier und da ist sie wirklich eine erhebliche Problematik. Hallen und Bäder müssen beheizt werden,
Wintersportanlagen müssen gekühlt werden. Das bedeutet hohe Kosten, die auf die Kommunen, auf die Vereine zugekommen sind. Aber – ich will es in aller
Deutlichkeit sagen – wir helfen ihnen; denn die Preisgrenzen helfen auch dem Sport.
({1})
In diesem Zusammenhang möchte ich deutlich machen, dass diese Maßnahmen der Regierung, der Koalition auch ausdrücklich vom DOSB und der deutschen
Sportminister/-innenkonferenz begrüßt worden sind. Das gibt uns Rückhalt. Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Das nehmen wir in der Krise mit, und
wir schauen genau hin.
({2})
Wir hatten ja schon im Ausschuss das Thema, dass wir als Bund nicht die Einzigen sind, die gefragt sind. Ganz entscheidend ist auch, dass die Länder
die Kommunen unterstützen, dass sie schauen, was sie machen können. Wir als Bund sind dafür eigentlich gar nicht zuständig. Deswegen fordern wir als Bund die
Länder noch mal dezidiert dazu auf.
({3})
Die Vereine machen aber selber auch schon sehr viel. Zum Beispiel hat die Deutsche Eishockey Liga ein Nachhaltigkeitskonzept vorgelegt. Durch
Maßnahmen wie Solaranlagen auf Dächern, Anpassung des Eisfeldes oder dünnere Eisschichten wird bereits jetzt Energie gespart. Das ist ein guter Beitrag, den ich
an dieser Stelle ausdrücklich würdigen möchte.
Jetzt noch ein Punkt zum Thema Prävention. Ich möchte ausdrücklich sagen, dass wir, gerade was die Situation von Jugendlichen und Kindern, die sich
nicht bewegen, anbetrifft, was machen. Der Bewegungsgipfel steht an. Da wird viel in dieser Richtung passieren. Die Themen Prävention und Gesundheit haben wir
da fest im Blick. Man muss auch mal sagen, dass es in der Vergangenheit unter dem Vorgänger Seehofer so etwas wie einen Bewegungsgipfel nicht gab. Das heißt,
hier sorgen wir für einen sehr großen Fortschritt.
Die Sportpolitik ist in den Händen der Ampel gut aufgehoben. Wir haben die Vereine im Blick. Wir haben die Athletinnen und Athleten im Blick, die
Sportlerinnen und Sportler, Spitzensport und Breitensport. Die Ampel unterstützt. Da können Sie sich auf uns verlassen.
Vielen Dank.
({4})
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort Dr. André Hahn.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Respekt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union: Gleich zwei Anträge zur Sportpolitik legen Sie für
die heutige 39-minütige Debatte im Plenum vor.
({0})
Ihre Anträge strahlen in der Tat den Geist einer Oppositionsfraktion aus. Sie reflektieren kritisch die Verhältnisse der vergangenen Jahre.
({1})
Sie beleuchten das schwache Agieren der Ampelkoalition und legen den Finger in real vorhandene Wunden. Sie machen sogar konstruktive Vorschläge für
eine wirksamere Sportpolitik des Bundes.
In Ihrem ersten Antrag fordern CDU und CSU in zwölf Punkten, den organisierten Sport im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel in der
Energiekrise zu unterstützen, die Schließung von Sportstätten möglichst zu vermeiden und die energetische Sanierung von Sportstätten voranzutreiben. Diese
Forderungen unterstützt Die Linke. Deshalb werden wir dem Antrag auch zustimmen.
({2})
Mehrfach hatten wir bereits zuvor angesichts der dramatisch gestiegenen Energiepreise kurzfristige Hilfen von Bund und Ländern für den organisierten
Sport gefordert. Dabei geht es um kommunale ebenso wie vereinseigene Sportstätten. Letztere werden meist in den Förderprogrammen ausgeklammert. Auch konkrete
Vorschläge zur energetischen Sanierung von Sportstätten und Schwimmbädern hat Die Linke bereits in den vergangenen Wahlperioden vorgelegt. Leider wurden sie
alle von der damaligen Koalition aus CDU/CSU und SPD abgelehnt.
Von der Energiekrise betroffen ist aber auch der Sport in Kitas, Schulen, in anderen Bildungseinrichtungen, der Gesundheits- und Rehasport,
Sportangebote für Menschen mit Beeinträchtigungen sowie Sport in kommerziell betriebenen Einrichtungen, zum Beispiel in Fitnessstudios. Diese Aspekte kommen im
vorliegenden Antrag leider zu kurz. Auch hier sollte der Bund helfen.
({3})
Mit großem Interesse habe ich auch den Unionsantrag „Sport als Prävention“ zur Kenntnis genommen. Mit den 17 Punkten, die ich größtenteils
unterstütze, haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, eine 180-Grad-Wende gegenüber der Seehofer’schen Sportpolitik vollzogen.
({4})
Chapeau!
Sport braucht in der Tat einen anderen Stellenwert in unserer Gesellschaft. Deshalb brauchen wir jetzt einen wirklichen Bewegungsgipfel. Ich befürchte
allerdings, dass die Veranstaltung am 13. Dezember eher ein Bewegungszipfel mit viel Symbolik wird, weswegen auch Bundeskanzler Scholz gar nicht erst
beabsichtigt, an dieser eigentlich wichtigen und überfälligen Veranstaltung teilzunehmen. Für die Autolobby hat er immer Zeit. Angesichts der Bedeutung des
Sports ist sein Fehlen aus Sicht der Linken völlig inakzeptabel.
({5})
Ich würde es begrüßen, wenn als Ergebnis des Treffens, das übrigens ohne die Mitglieder des Sportausschusses stattfinden soll, Bund, Länder, alle
Fraktionen und der organisierte Sport dafür votieren, dass der Sport so bald wie möglich als Staatsziel in Artikel 20a des Grundgesetzes verankert wird.
Nicht zuletzt braucht der Sport auch einen anderen Platz in der Bundesregierung, nicht weiter im Bundesinnenministerium, sondern wie die Kultur im
Kanzleramt mit einer eigenen Staatsministerin bzw. einem Staatsminister oder Staatssekretärin bzw. Staatssekretär oder aber in einem eigenen Ministerium. Das
würde der Bedeutung des Sports gerecht werden.
({6})
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Letzter Satz, Frau Präsidentin. – Wir brauchen natürlich ein Sportfördergesetz, aber nicht nur für den Spitzensport, sondern auch für den
Breitensport in unserem Land.
Herzlichen Dank.
({0})
Für die FDP-Fraktion erteile ich das Wort dem Kollegen Philipp Hartewig.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Weltgesundheitsorganisation warnt in ihrem diesjährigen Globalen Bericht zur
körperlichen Aktivität dringlich vor den Folgen von Bewegungsmangel. Demnach müsste fast die Hälfte der deutschen Erwachsenen aktiver werden, um das empfohlene
Minimum von zweieinhalb Stunden moderater Bewegung pro Woche zu erreichen. Für Kinder und Jugendliche wird eine Stunde intensive Bewegung pro Tag empfohlen. Das
schafft gerade mal jedes fünfte Kind. Das sind alarmierende Zahlen. Und es ist nur konsequent, dass wir uns als Ampelkoalition dieses Themas angenommen haben.
Kollegin Poschmann hat schon einiges genannt. Ich möchte noch auf die gemeinsame Ausschusssitzung vom Gesundheits- und Sportausschuss verweisen. Und noch in
diesem Jahr werden wir auch auf dem mehrfach angesprochenen Bewegungsgipfel dazu beraten.
Deutschland braucht definitiv eine Bewegungsoffensive. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, aber auch psychische Erkrankungen werden ohne eine
solche Bewegungsoffensive weiter zunehmen; denn ein wichtiger Baustein der Prävention ist Bewegung, und die Visitenkarte der Zukunft heißt Prävention, Fitness
und Gesundheit.
({0})
Dazu gibt es viele Möglichkeiten: im Individualsport oder im Mannschaftssport, in den organisierten Sportvereinen, in den Fitnessstudios oder auf den
öffentlichen Spiel- und Sportplätzen. Sport- und Bewegungsangebote bieten für jede und jeden etwas und bringen Gleichgesinnte zusammen. Für alle Generationen
gilt: Jede Minute Bewegung zählt und zahlt ein auf die Gesundheit.
Angefangen bei den Jüngsten, ist eine der wichtigsten Grundlagen – da möchte ich auch auf die Länder schauen – der regelmäßig stattfindende
Sportunterricht. Es muss Selbstverständnis des Staates sein, die ihm täglich für viele Stunden anvertrauten Kinder in den Schulen in Bewegung zu halten. Wenn in
den Unterrichtsplänen einzelner Bundesländer zuerst bei den Sportstunden gekürzt wird, dann muss man dem Einhalt gebieten und auch dort den Blick der
Verantwortlichen schärfen.
({1})
Für viele Kinder und Jugendliche ist der Sportunterricht noch die einzige Gelegenheit für intensives Training und körperliche Bewegung. Auch das muss
sich ändern; denn vielseitige Bewegung wirkt sich positiv auf die Entwicklung jedes Kindes aus.
({2})
In Bewegung kommen die Menschen, wenn sie genügend Sportangebote vorfinden und Freude daran entwickeln. Die letzten von Corona geprägten Jahre haben
beide Möglichkeiten arg eingebremst. Wir haben als Bund deshalb gesetzlich ausgeschlossen, dass es noch einmal zu solch zuvor beispiellosen coronabedingten
Einschränkungen für den Sport kommt. Dieser Anspruch muss auch für diesen Energiewinter gelten.
Die aktuelle Situation ist auch für den Sport ernst. Wir können noch nicht wissen, ob oder wie sehr sich die Energiesituation verschärfen wird.
Oberste Priorität bei der Unterstützung des Sports hat auf jeden Fall das Aufrechterhalten aller Sportmöglichkeiten. Wichtig für alle Sportlerinnen und
Sportler, die Fitnessunternehmen und die Sportvereine: Auch der Sport wird bei den Preisbremsen berücksichtigt. Bei den energieintensiven Sportstätten sind vor
allem die Schwimmbäder unersetzlich. Schwimmen können ist lebenswichtig, und jedes Kind sollte die Möglichkeit haben, eine Schwimmausbildung zu erhalten.
({3})
Wir wissen um die Bedeutung der Schwimmhallen für den Alltags- und den Schulsport. Sie haben einen großen Energiebedarf und liegen oftmals in
kommunaler Hand. Für viele Kommunen ist der uneingeschränkte Weiterbetrieb der Schwimmhallen eine ernste Herausforderung. Gerade weil Schwimmsport so wichtig
ist, kommt es darauf an, dass die von der Bundesregierung angekündigten Instrumente hier ihre Wirkung entfalten.
Wir unterstützen die zuständigen Länder und Kommunen auch in anderen Bereichen. So bin ich beispielsweise froh, dass wir den Kommunen mit dem
Bundeshaushalt 2023 zusätzliche 400 Millionen Euro zum bisherigen Fördertopf von 476 Millionen Euro für die Sanierung kommunaler Einrichtungen, das heißt
insbesondere für Sportstätten, bereitstellen. Das sind echte Zukunftsinvestitionen.
({4})
150 Minuten moderate Bewegung pro Woche, das ist die WHO-Empfehlung für ein gesünderes Leben. Lassen Sie uns auch politisch alles dafür tun, damit
dieses Pensum für möglichst viele Menschen in unserem Land selbstverständlich werden kann.
Vielen Dank.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich grüße Sie alle herzlich an diesem Abend. Ich freue mich, wenn Sie die Redezeiten an diesem Abend einhalten; denn
wir liegen bei 2.12 Uhr mit dem Ende des Plenums. Deswegen werde ich jetzt sehr genau darauf achten.
Als Nächstes erhält das Wort der Abgeordnete Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wir debattieren heute zwei Anträge der CDU/CSU zum Sport, die auf
den ersten Blick vielleicht nichts miteinander zu tun haben. Aber da trügt der Schein. Beide Anträge haben eines zum Ziel, nämlich die Menschen stärker zum
Sport, zur Bewegung zu bringen und insbesondere den 87 000 Sportvereinen in Deutschland in dieser schwierigen, krisenhaften Situation stärker unter die Arme zu
greifen.
Ein Positives hat der Antrag zur Bewegung schon gebracht: Nur durch diesen Antrag ist die Bundesregierung endlich aus den Puschen gekommen und hat den
Bewegungsgipfel auf den 13. Dezember terminiert.
({0})
Das wäre nicht der Fall gewesen, wenn wir nicht auf die Tube gedrückt hätten.
Nur ist es leider so: Erstens, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, kommt dieser Bewegungsgipfel zu spät. Zweitens – da gebe ich dem
Kollegen Hahn recht – ist er vollkommen falsch konzipiert. Das wird eine elitäre Veranstaltung der Bundesregierung. Ich empfinde es als wirklich unerträglich,
dass wir als Parlament außen vor sind. Die jeweiligen fachpolitischen Sprecher sowohl aus dem Sportausschuss als auch aus dem Gesundheitsausschuss werden zu
diesem Bewegungsgipfel nicht hinzugeladen. Aber nicht nur das: Auch der organisierte Sport, die Sportvereine, die ihre Anliegen, ihre Bedürfnisse, ihre Wünsche,
ihre Forderungen vorbringen wollen, sind bei diesem Bewegungsgipfel vollkommen ausgeschlossen.
({1})
Das ist eine elitäre, bundesregierungsinterne Veranstaltung, und damit ist der Gipfel nicht wert, wofür er gedacht ist.
Drittens, meine sehr verehrten Damen und Herren, erfüllt der Bewegungsgipfel nicht die Ziele, die damit verbunden werden. Läppische 25 Millionen Euro
ist die Bundesregierung bereit den Sportvereinen an Unterstützung zu geben, um aus der Coronapandemie herauszukommen. Alleine mein Heimatbundesland Bayern
bietet den Sportvereinen in diesem Jahr – genauso aber auch im kommenden Jahr – 40 Millionen Euro, um durch die schwierige Coronapandemie bzw. die Energiekrise
zu kommen. Auch das kleine Bundesland Schleswig-Holstein bietet den eigenen Sportvereinen allein 9 Millionen Euro an Unterstützung in der Energiekrise an.
Dagegen nehmen sich die 25 Millionen Euro des Bundes außerordentlich bescheiden aus.
({2})
Erschwerend kommt hinzu: Erstens wird zu wenig Geld zur Verfügung gestellt, zweitens ist vieles unklar. Die Bundesregierung hat es wirklich
verstanden, den Sport nicht zur berücksichtigen. Es war ein Kunststück, dass der Sport in drei Entlastungspaketen, die geschnürt wurden, kein einziges Mal
erwähnt wurde. Erst jetzt bei der Gas- und Strompreisbremse wird der Sport lapidar mit erwähnt. Außerdem sind die Sportvereine außen vor bei der
Härtefallregelung.
Zusammengefasst: Erstens. Dreimal ist der Sport bei den Entlastungspaketen vernachlässigt worden. Zweitens: keine Berücksichtigung des Sports in der
Härtefallklausel. Und drittens. Die Kommunen – Herr Kollege Hartewig, Sie haben gerade zu Recht darauf hingewiesen – sind häufig Träger von Sportstätten, sei es
von Hallenbädern oder von Turnhallen, und sind leider auch nicht antragsberechtigt, was den Sport anbelangt. Die lapidare Begründung: Eine Kommune, eine
Gemeinde kann nicht pleitegehen, die kann nicht insolvent gehen; deswegen müssen wir als Bund sie auch nicht unterstützen.
({3})
Da hat die Bundesregierung klar danebengegriffen. Meines Erachtens wird eines deutlich: Der Sport hat in der Bundesregierung keine Lobby. Der Sport
wird stiefmütterlich behandelt.
({4})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir bräuchten hier wirklich eine starke Unterstützung. Ich erlebe es, glaube ich, genauso wie Sie: Es
gibt eine riesige Verunsicherung in den Sportvereinen. Täglich erreichen mich Hilferufe, Schreiben von Sportvereinen, die nicht wissen, wie es weitergehen
soll.
In einer Umfrage des DOSB unter den Sportvereinen in Deutschland kam als Ergebnis heraus: 40 Prozent der Sportvereine befürchten im Zuge der Energie-
und Strompreiskrise starke Benachteiligungen, und 6 Prozent erwarten sogar existenzielle Folgen für ihren Sportverein. Das ist deutlich mehr als in der
Coronapandemie. Da hatten nämlich nur 26 Prozent starke Auswirkungen und nur 2 Prozent existenzielle Auswirkungen erwartet. Eines ist klar: Die Dimension der
Energie- und Strompreiskrise für den organisierten Sport ist weitaus dramatischer als Auswirkungen der Coronapandemie. Die Bundesregierung handelt hier nicht
bzw. zu zögerlich und greift dem Sport nicht ausreichend unter die Arme.
Ich sage aber auch ganz offen: Wir dürfen in dem ganzen Spiel natürlich nicht die Länder aus der Verantwortung nehmen.
({5})
Deswegen möchte ich eines dazusagen: Es gibt Länder wie Bayern, die den Sport vorbildlich unterstützen. Wichtig ist zum Beispiel aber auch die dritte
Sportstunde. Wir müssen mehr Bewegung in Deutschland initiieren.
({6})
Der letzte Kinder- und Jugendsportbericht, der vor zwei Jahren veröffentlicht wurde, hat zutage gefördert, dass nur 16 Prozent der 14- bis 17-jährigen
männlichen Jugendlichen und nur 8 Prozent der Mädchen die heute schon erwähnten WHO-Empfehlungen zum Sporttreiben erfüllen.
Es muss unser Ziel sein, dass wir die Leute in Deutschland, unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger stärker zum Sport und zur sportlichen Bewegung
animieren. Deswegen haben wir uns – Herr Kollege Monstadt hat auf unsere Forderungen bereits hingewiesen – neben dem Thema „Unterstützung der Sportvereine in
der Energiepreiskrise“ auch sehr stark der Themen „Sport und Gesundheit“ und „Sport und Bewegung“ angenommen.
Ich gehe davon aus – ich bin froh darüber –, dass Die Linke unseren Anträgen zustimmt.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich gehe auch davon aus: Die Regierungskoalition wird sich dem nicht anschließen können. Ich möchte aber eines versprechen:
Kommen Sie jetzt bitte zum Schluss.
Wir werden dieses Thema weiterhin nachhaltig bearbeiten.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Nächster Redner in dieser Debatte ist Dr. Herbert Wollmann für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Mayer, reine Polemik, was Sie hier abgelassen haben.
({0})
Ich habe auch keinen Bock, darauf im Einzelnen einzugehen.
({1})
Aber es gab keine Bundesregierung und keinen Sportausschuss, die sich jemals so um Sport gekümmert haben. Sie sehen allein an dem Vorsitzenden des
Sportausschusses, dass wir den Leistungssport, aber auch den Breitensport ganz nach vorne bringen wollen und auch bringen.
({2})
„Sport als Prävention“ und „Mehr Bewegung für ein gesünderes Leben“ sind wichtige Themen; aber es ist erneut ein überflüssiger Antrag. Nichts, was Sie
in den 17 Punkten des Antrages erwähnen, ist neu. Es ist alles bekannt, es ist alles bearbeitet bzw. in Arbeit. Sie nennen es „konzertierte Aktion“. Wir haben
es schon längst; wir nennen es „Bewegungsgipfel“.
({3})
Der Bewegungsgipfel ist keine Erfindung der Union. Der Bewegungsgipfel resultiert aus einer Verabredung des Sportministeriums mit dem DOSB vom Sommer
dieses Jahres.
({4})
Der Bewegungsgipfel ist – das muss ich Ihnen sagen, Herr Hahn – kein Zipfel und keine Showveranstaltung.
({5})
– Das stimmt nicht. – Es ist auch keine 90‑Minuten-Show, wie Sie uns in Ihrem Antrag weismachen wollen, sondern eine ganztägige Veranstaltung mit
mehreren Workshops, mit mehreren Aktionen aus allen Bereichen des Sports und der Sportpolitik.
({6})
– Es wird noch genug Einladungen geben. Es gibt auch für Sie genug Möglichkeiten, sich an dem Sportgipfel konstruktiv zu beteiligen. So wird es sein,
und so ist es.
({7})
Eigentlich wollte ich eine sachliche Rede halten, ich wollte noch zu Gesundheit und Sport kommen; das tue ich jetzt auch. Wir reden immer über
Bewegung und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Der Sport hat aber noch ganz andere Prämissen bzw. Möglichkeiten: Bei psychischen Erkrankungen ist der Sport
heutzutage eine wichtige Therapiesäule, bei depressiven Episoden, bei onkologischen Erkrankungen. Bei Krebserkrankungen weiß jeder, was eine Chemotherapie ist,
was eine OP ist, was eine Bestrahlung ist. Aber dass der Sport fundamental dazu beiträgt, dass diese Krankheit überwunden werden kann, dass man die
Nebenwirkungen der Therapien besser übersteht, das ist ein Forschungsprojekt der Charité, übrigens von dem bekannten Olympiaarzt Professor Bernd Wolfarth, den
ich kürzlich besucht habe. Also, auf diesen Gebieten sind wir aktiv, kümmern uns, holen uns neueste Informationen ein.
({8})
Ein Punkt noch am Rande: Auch Sport und Demenz ist mittlerweile ein Thema in vielen wissenschaftlichen Arbeiten.
({9})
Auch darüber sollte man mal nachdenken: Bewegung, Bewegung, Bewegung, auch bei diesen Nebenwirkungen und Krankheiten.
Ich fasse zusammen. Jeder von uns weiß: Sport, betrieben, fördert die Gesundheit. Darum hat die Ampel vorgelegt; Frau Poschmann hat diverse Programme
aufgezeigt.
({10})
Wenn Sie sie nicht wahrnehmen wollen, dann müssen wir uns damit eben abfinden.
Zum Schluss möchte ich auf den Punkt 13 in Ihrem Antrag zurückkommen, ich kann hier nicht alle 17 Punkte abhandeln. Sie fordern eine „Nationale
Adipositas-Strategie“. Kommen Sie zu mir in den Gesundheitsausschuss! Helfen Sie mir dabei, das Disease-Management-Programm Adipositas in die Wege zu leiten.
Dann haben wir mit einem Handschlag das ganze Problem gelöst und brauchen keinen nationalen Plan für die Adipositas. Diese können wir auch anders in den Griff
bekommen.
Sie sehen: Das Thema „Bewegung, Sport, Gesundheit“ ist bei der Ampel in den besten Händen. Gehen wir mit gutem Beispiel voran: Treppe statt Fahrstuhl,
Fahrrad statt Fahrdienst, Bewegen statt Fernsehen.
Danke.
({11})
Nächster Redner ist Dr. Armin Grau für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den demokratischen Parteien!
({0})
Deutschland bewegt sich zu wenig. Sie haben recht, wenn Sie von der Union auf diese Fehlentwicklungen hinweisen. Bewegungsmangel gehört neben
ungesunder Ernährung, dem Rauchen, Diabetes mellitus und Bluthochdruck zu den Hauptrisikofaktoren für Herzinfarkt, Schlaganfall und andere Volkskrankheiten.
Aber wenn man Ihre Therapie und Ihre Vorschläge durchsieht, dann ist man doch auch ein bisschen ernüchtert. Sie fordern eine konzertierte Aktion,
wollen im Sport, dass der Bund sich bei den Ländern für mehr Schulsport einsetzt, für den Einsatz ausgebildeter Sportlehrer, für Sportgroßveranstaltungen zur
Motivation Jugendlicher. Aber viele Aspekte fehlen in Ihren Vorschlägen. Bewegung ist in allen Lebensbereichen wichtig, auch auf dem Weg zu Arbeit und Schule.
Das Fahrrad muss neben Schusters Rappen Verkehrsträger Nummer eins bei Strecken unter 5 Kilometern sein – aus gesundheitlichen und ökologischen Gründen.
({1})
Dieser Aspekt fehlt in Ihren Vorschlägen völlig, und die CSU-Verkehrsminister sind in den letzten Jahren mehr als PS-Minister denn als große
Verfechter des Radverkehrs aufgefallen.
Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen, dass Menschen mit niedrigem sozioökonomischen Status weniger Sport treiben. In einer Studie zum Thema
Schlaganfall hat meine frühere Arbeitsgruppe diesen Zusammenhang auch gefunden. Umso mehr müssen wir mit Prävention und Gesundheitsförderung bei benachteiligten
Gruppen ansetzen. Genau das machen wir in der Ampel, etwa mit dem Projekt der Gesundheitskioske, die vor allem in Quartieren und Regionen mit hohem Förderbedarf
ansetzen und Beratung und Vermittlung auch zu Bewegung und Ernährung anbieten.
({2})
Im Übrigen haben wir im Haushalt einen nationalen Präventionsplan verankert. Die Posten für Gesundheitsförderung erhöhen sich im Millionenbereich, und
das Präventionsgesetz wird überarbeitet. Wer depressiv ist, bewegt sich weniger, und Bewegung wiederum schützt vor und hilft bei Depression, einer weiteren
Volkskrankheit. Wer seinen Job verloren hat, langzeitarbeitslos ist, in einer Lebenskrise steckt, in Grundsicherung fällt und oft zu Depressivität neigt,
braucht unsere Unterstützung durch ausreichende Regelsätze, um sich zum Beispiel den Beitrag zum Sportverein leisten zu können,
({3})
aber auch durch Vertrauen, etwa in Form einer Vertrauenszeit, und nicht etwa entwürdigende Sanktionen.
Das sind Zusammenhänge, die Sie von der Union in Ihrer Politik nicht zur Kenntnis nehmen. Wir brauchen gerade jetzt in der Coronapandemie vermehrte
Anstrengungen für mehr Bewegung, insbesondere für Kinder und Jugendliche. Das tun wir mit unserem millionenstarken Neustartprogramm für den Sport nach der
Coronapandemie und mit dem Bewegungsgipfel im Dezember.
Deutschland hat sich tatsächlich in den letzten 16 Jahren an allen Ecken und Enden zu wenig bewegt. Aber die Ampel ist jetzt auf dem richtigen
Weg.
({4})
Lassen Sie uns Sport-, Gesundheits- und Sozialpolitiker gerne weiter im Austausch bleiben. Ich freue mich darauf.
Vielen Dank.
({5})
Letzter Redner in dieser Debatte ist Robin Mesarosch für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wissen Sie, was Geschäftsführer aus der Industrie mir diesen Sommer gesagt haben? Einige,
nicht alle, haben gesagt: Schließen Sie die Schwimmbäder! Machen Sie die Sporthallen zu! Machen Sie nichts am Gaspreis! Wir brauchen jede Kilowattstunde Gas bei
uns in der Industrie. Die Leute müssen alles sparen, was geht.
Das haben einige diesen Sommer gesagt. Das war ein Sommer, in dem viele Angst vor dem Winter hatten: Angst, dass es dunkel wird, Angst, dass es kalt
wird, Angst, dass die Industrie nicht mehr arbeiten kann. Und in diesem Sommer stand auch die Frage im Raum: Wollen wir Sport machen? Wollen unsere Kinder in
den Vereinen Sport machen, die in den Coronajahren auf ganz viel verzichten mussten? Oder wollen wir Arbeitsplätze und Produktion in der Industrie sichern?
Auf diese Entweder-oder-Frage haben wir mit einem entschiedenen Sowohl-als-auch geantwortet. Wir haben gesagt: Beides ist wichtig! Wir haben dafür
gesorgt, dass wir beides schaffen können, was Sie und viele uns nicht zugetraut haben. Wir haben auf der ganzen Welt Gas für 15 Milliarden Euro eingekauft. Wir
haben Flüssiggasterminals an der Küste gebaut und bauen diese weiter. Wir haben es geschafft, leere Gasspeicher zu 100 Prozent zu füllen.
({0})
Dadurch haben wir es geschafft, dass wir in diesem Winter in der Lage sind, Sport zu machen, dass unsere Kinder in den Vereinen Sport machen können
und dass unsere Industrie arbeiten kann.
({1})
Was ich sage, heißt nicht, dass wir in einer heilen Welt leben.
({2})
Wir leben in einer Welt, in der Putin die Ukraine beschießt und uns kein Gas liefert. Und wir leben in einer Welt, in der es Sportvereine gibt, die
große Probleme haben.
({3})
Diese Probleme sind kleiner, als wenn Bomben auf das eigene Land fallen. Aber nur weil Probleme kleiner sind, heißt das nie, dass sie klein sind. Wir
nehmen sie als große Probleme wahr, und wir nehmen sie sehr ernst.
Ich will auch nicht sagen, dass die Bundesregierung nur tolle Dinge macht. Es sind gerade die Sportvereine, die sparen. Der Turngau Hollenzollern bei
uns legt Trainingsstunden in eine Halle zusammen, um Hallenzeiten zu sparen. Man spart am Licht, man spart an der Temperatur, stellt sie aber so ein, dass Sport
noch möglich ist. Viele Vereine sparen auch beim Duschen. Ob das immer so eine gute Idee ist, weiß ich nicht. Robert Habeck gefällt das – gut.
Was wir tun und was ganz wichtig ist: 476 Millionen Euro dieses Jahr für Sportstätten, nächstes Jahr 400 Millionen Euro.
({4})
Das ist fast 1 Milliarde Euro,
({5})
um unsere Sportstätten zu sanieren. Das ist eine ganz nachhaltige und langfristige Maßnahme, sodass unsere Sportvereine Geld sparen können und sehr
gute Sportanlagen haben. Genau da hilft der Bund.
Der Bund hilft mit dem ReStart-Programm, um Sportvereinen zu helfen, Übungsleiterinnen und Übungsleiter zu finden. Das sind Aufgaben, die eigentlich
nicht Aufgaben des Bundes sind, aber die wir machen, weil wir sehen, wie sich die Sportvereine reinhängen, weil wir das wichtig finden und weil wir für Lösungen
sorgen.
({6})
Das ist das, was wir tun.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Andere gibt es auch noch: Das sind die Länder. Ihnen rufen wir zu: Helfen Sie mit! Wir können vom Mannschaftssport lernen! Wenn alle mithelfen, kann
man ganz viel erreichen. Da sind wir gerade auf einem guten Weg, wie ich finde.
({0})
Vielen Dank.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beenden heute mit der Verabschiedung des vorliegenden
Gesetzentwurfs einen Prozess, der vor ziemlich genau vier Jahren ins Rollen gekommen war. Unsere damalige Justizministerin Katarina Barley verkündete damals, ab
2022 solle das Bundesgesetzblatt nur noch elektronisch verfügbar sein. Immerhin: Wir kommen im anvisierten Jahr zu einer Einigung.
({0})
Was in vielen europäischen Ländern und auch einigen Bundesländern bereits praktiziert wird, ist fortan auch auf Bundesebene Standard. Wir werden in
einem neuen Stammgesetz, dem Verkündungs- und Bekanntmachungsgesetz, regeln, dass alle Gesetze und Rechtsverordnungen des Bundes im Bundesgesetzblatt künftig
nur noch elektronisch, unentgeltlich und barrierefrei verkündet werden. Unser Verkündungs- und Bekanntmachungswesen kommt damit endlich im 21. Jahrhundert an.
Unser Staatswesen wird moderner und digitaler, meine Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Das ist ein bedeutsamer Schritt, um Recht und Verwaltung in unserem Land zu vereinfachen und die Gesetzgebung für jedermann transparenter zu machen.
Wir erreichen dadurch eine schnellere Verkündung von Gesetzen und Verordnungen.
Es ist auch ein ökologisches Gesetz, das wir hier verabschieden; denn durch den Wegfall von Druck und Transport sparen wir Energie,
Treibhausgasemissionen und jede Menge Papier. Justizminister Buschmann hat es dankenswerterweise einmal hochrechnen lassen und die Zahl im Rahmen der ersten
Beratung genannt: Das Bundesgesetzblatt hat jedes Jahr einen Papierberg von 2,5 Kilometern Höhe erzeugt. Dieser fällt künftig weg. Das ist Digitalisierung –
auch im Sinne der Nachhaltigkeit ein Kurs, den diese Koalition ganz bewusst eingeschlagen hat und konsequent hält, meine Damen und Herren, werte Kolleginnen und
Kollegen.
({2})
Was das schwäbische Herz besonders erwärmt: Das Gesetz steht auch finanziell auf sicheren Füßen. Nach einmaligen Ausgaben für den
Digitalisierungsvorgang werden Bund und Länder in Zukunft jährlich 800 000 Euro durch wegfallende Abonnementkosten bei Gerichten, Behörden und Bibliotheken
einsparen. Und wir erleichtern den Zugang für Menschen und Unternehmen in unserem Land. Niemand muss ab nächstem Jahr noch in eine Bibliothek gehen oder
Gebühren zahlen, um die amtliche Fassung von Gesetzen einsehen zu können.
Mit dem vorliegenden Gesetz legen wir die Veröffentlichung von Gesetzen wieder in die Hände des Bundes und treffen Regelungen hinsichtlich der
garantierten Echtheit. Ein entsprechendes qualifiziertes elektronisches Siegel wird Nutzerinnen und Nutzern der neuen Verkündungsplattform versichern, dass das
Dokument tatsächlich von der amtlichen Verkündungsstelle erstellt wurde und nicht verfälscht worden ist.
Ein Aspekt, der uns als SPD-Fraktion besonders wichtig war, ist, dass dieser Gesetzentwurf sich auch klar zur Frage der Maschinenlesbarkeit im Sinne
von Open Data positioniert. Ja, es gibt da derzeit noch technische Hürden. Der Gesetzentwurf zeigt aber einen klaren Fahrplan auf, der am Ende ein Dateiformat
für die Veröffentlichung vorsieht, welches maschinenlesbar und automatisiert auswertbar sowie verarbeitbar sein wird.
Zwei weitere Punkte aus den Verhandlungen, bei denen wir uns erfolgreich geeinigt haben, seien noch kurz erwähnt. Es ist gut, dass in der nun
vorliegenden Fassung des Verkündungs- und Bekanntmachungsgesetzes das Änderungsverbot aus § 6 Absatz 1 präzisiert wird. Es bezieht sich ausschließlich auf die
gesiegelten, amtlichen Fassungen, die auf den Veröffentlichungsplattformen nicht mehr geändert werden dürfen. Zudem wird im erreichten Verhandlungsergebnis
klargestellt, dass sowohl die einzelnen Ausgaben des Bundesgesetzblattes als auch das elektronisch publizierte Bundesgesetzblatt in seiner Gesamtheit frei
verwertbar sind. Das schafft Rechtssicherheit für den Umgang zivilgesellschaftlicher Akteure mit den Veröffentlichungen, und das ist sehr zu begrüßen, meine
Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen.
({3})
Wir schaffen parallel zu diesem Gesetz auch die verfassungsrechtliche Grundlage zur Modernisierung des Verkündungswesens, indem wir in Artikel 82
Absatz 1 des Grundgesetzes einen neuen Satz 3 einfügen, der einen ausdrücklichen Ausgestaltungsvorbehalt für den Gesetzgeber formuliert. Das klingt sehr
abstrakt, bedeutet aber im Kern, dass wir von der Papierform auf ein digitales Format wechseln können. Für diese Grundgesetzänderung benötigt es eine
Zweidrittelmehrheit, und ich bin froh, dass wir diese heute erzielen werden.
Meine Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen, ich danke allen am gesetzgeberischen Verfahren Beteiligten für die intensive und konstruktive
Arbeit an diesem Gesetz – auf dass es eines der letzten ist, das wir im dicken Ledereinband einer Bibliotheksausgabe wiederfinden!
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Vielen Dank. – Jetzt dürfen Sie auch: Nächster Redner ist Philipp Amthor für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst will ich für meine Bundestagsfraktion sagen: Wir nehmen den Dank der Ampelkoalition gerne
an; denn wenn Sie sinnvolle Vorschläge machen, wenn Sie in Verhandlungen auf uns eingehen, dann stimmen wir Ihren Vorschlägen auch zu. So machen wir das heute
bei der Änderung von Artikel 82 des Grundgesetzes, der Digitalisierung des Bundesgesetzblattes. Da verhelfen wir Ihnen zur verfassungsändernden Mehrheit. Es ist
ein sinnvoller Vorschlag, und konstruktive Opposition heißt auch, Sinnvolles mitzumachen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Natürlich kann jetzt mancher sagen: Namentliche Abstimmung, Verfassungsänderung – das ist doch eigentlich ein Mikrothema, so eine Kleinigkeit; das
betrifft schließlich das Verkündungs- und Bekanntmachungswesen. – Zugegebenermaßen: Es betrifft vielleicht nur eine kleine Zahl von Menschen in ihrer
Lebensrealität. Die allerwenigsten werden die Wochenenden mit dem Studium des papiergebundenen Bundesgesetzblattes verbringen. Die müssen jetzt im Zweifel auf
das iPad ausweichen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will Ihnen schon klar sagen: Im Verfassungsrecht gibt es keine Belanglosigkeiten, da gibt es
keine Petitessen, da gibt es von der Opposition aber auch keine Geschenke.
({1})
Deshalb ist es gut, dass Sie heute auf unsere Wünsche eingehen. Konstruktivität ist bei einer jeden Verfassungsänderung sinnvoll.
Ich will es in der Sache kurz machen. Eine Digitalisierung des Bundesgesetzblattes ist sinnvoll, ist angebracht. Dagegen kann man eigentlich nichts
haben. Das haben wir deutlich gemacht. Um dieses Ziel zweifelsfrei, klar umgrenzt zu erreichen, war es wichtig, dass wir uns explizit darauf festgelegt haben,
im Text des Grundgesetzes die elektronische Form zu fixieren. Dafür haben wir im parlamentarischen Verfahren auf Wunsch meiner Bundestagsfraktion Artikel 82
Absatz 1 Satz 2 neu in das Grundgesetz eingefügt. Zugegebenermaßen führt das dazu, dass man bei fortschreitender technischer Entwicklung das Grundgesetz
vielleicht in 10, 20, 30 Jahren noch einmal ändern muss. Aber ich sage Ihnen, das ist besser als eine Blankoermächtigung für den einfachen Gesetzgeber. Wir
jedenfalls finden: Der verfassungsändernde Gesetzgeber muss jederzeit bereit sein, auf technische Änderungen zu reagieren. Deswegen keine zu weite Ermächtigung.
Sie sind uns da entgegengekommen, und das ist auch gut so, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Ich will bei dieser Gelegenheit aber ein grundsätzliches Wort sagen. Auch wenn wir heute über eine kleine Verfassungsänderung reden: Meine
Bundestagsfraktion ist davon überzeugt, dass die Verfassung sich nicht einfach im Lichte des Zeitgeistes ändern darf, sondern die Verfassung ändert sich
dadurch, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber, dass wir mit Zweidrittelmehrheit Änderungen beschließen. Wir wollen keine Living Constitution. Wir wollen
keine Veränderung in der Verfassung, ohne dass der verfassungsändernde Gesetzgeber entscheidet.
({3})
Deswegen war es richtig, dass wir keinen zu weiten Ausgestaltungsvorbehalt gemacht haben, sondern dass wir in Zukunft wieder mit Zweidrittelmehrheit
gefragt sind. Wir wünschen uns, dass Sie diesen Grundgedanken auch bei künftigen Verfassungsänderungen berücksichtigen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Aber ehe Sie jetzt in zu großer Sorge sind, dass wir nur in Staatstheorie abgleiten und zu viel Lob für die Ampel übrig bleibt, will ich einige
politikpraktische Bemerkungen loswerden. Auch wenn wir heute Artikel 82 des Grundgesetzes in der Neufassung zustimmen, bleibt das ganze Verfahren mit mindestens
zwei Schönheitsfehlern behaftet:
Erstens. Sie haben sich für eine Mikroverfassungsänderung im Verkündungs- und Bekanntmachungswesen entschieden. Wir hätten es stattdessen besser
gefunden, wenn Sie mit uns durchaus offen Gesamtverhandlungen über die verschiedenen Verfassungsänderungen geführt hätten, die derzeit auf dem Tisch liegen und
die Sie wollen: aktive Cyberabwehr, Kinderrechte ins Grundgesetz, Fragen des Wahlrechts, der Staatsorganisation. Da gibt es unterschiedliche Fragen, und es wäre
besser gewesen, nicht dieses Mikromanagement zu machen, sondern ein Gesamtpaket zu verhandeln. Wir hätten dafür zur Verfügung gestanden, und einer
selbsterklärten Fortschrittskoalition hätte das auch gut zu Gesicht gestanden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Der zweite und letzte Schönheitsfehler. Sie digitalisieren sozusagen die Verkündung von Gesetzen, den Digitalisierungsprozess im
Gesetzgebungsverfahren selbst bleiben Sie aber schuldig. In der Frage der Geschäftsordnung entscheiden Sie sich für ein kleines Reförmchen. Da macht die Ampel
einen Alleingang ohne uns. Bei der Frage des Digitalchecks große Ankündigungen, wenig Umsetzung! Das ist zu wenig. Das ist Rosinenpickerei.
Ich sage Ihnen am Ende: Das kann nur der Anfang sein. Artikel 82 stimmen wir zu. Im Großen und Ganzen wäre von Ihnen mehr zu erwarten gewesen. Ich
sage: Digitalisierte Gesetze allein helfen nicht. Ein schlechtes Gesetz, das digital verkündet ist, –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– bleibt ein schlechtes Gesetz. Deswegen muss das Ziel sein, gute Gesetze zu machen, und dafür stehen wir zur Verfügung.
Herzlichen Dank.
({0})
Nächster Redner ist für Bündnis 90/Die Grünen Dr. Till Steffen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Amthor, ich kann Ihnen versprechen: Wir werden Sie nicht enttäuschen. Wir werden
auf Sie zukommen, was weitere Grundgesetzänderungen betrifft. Insbesondere wollen wir mit Ihnen über die Änderung des Wahlalters für die Bundestagswahl
sprechen. Wahlalter 16 ist ein Thema, das wir uns vorgenommen haben, das wir auch intensiv beraten haben. Ich bin mir tatsächlich auch sicher, dass wir zu einem
guten gemeinsamen Ergebnis kommen werden.
({0})
Insoweit, glaube ich, haben wir genug Stoff, über viele Dinge bezüglich der Änderung des Grundgesetzes zu sprechen. Zum Beispiel wollen wir bei den
Kinderrechten und an einigen anderen Stellen etwas tun. Wir werden viel Stoff haben, gemeinsam über Grundgesetzänderungen zu reden. Wenn wir in dem sehr
vertrauensvollen Ton reden, wie wir das bei diesem Gesetz getan haben, und so gemeinsam Ergebnisse erzielen, kann es für diese Themen einfach nur gut sein.
Wir sind bei dem Thema der Verkündung. Hier denken die meisten vielleicht an Weihnachten. Es geht nicht darum, was die Engel demnächst tun werden,
sondern es geht hier um die spannende Frage, die die Kollegen Karaahmetoğlu und Amthor bereits ausgebreitet haben: Wie werden Gesetze in die Welt gesetzt? Wie
wird das, was wir hier täglich in stundenlanger Arbeit tun, den Normen unterworfenen Bürgerinnen und Bürgern so zur Kenntnis gegeben, dass sie wissen: „Ja, das
ist wirklich ein Gesetz, daran muss ich mich halten“? Hier gibt es eine Besonderheit, die den meisten gar nicht so geläufig ist. Es reicht nicht aus, in das
Gesetz zu gucken – Papierausgaben, die man früher kaufen konnte, oder Sammlungen im Internet, wie es heutzutage der Fall ist –, sondern es gibt das eine
Original. Das ist maßgeblich, und das steht bislang im Gesetzblatt. Das Gesetzblatt heißt so, weil es aus Papier ist. Dieser Begriff steht im Grundgesetz. Weil
dieser Begriff dort steht und man sich das 1949 gar nicht anders vorstellen konnte, müssen wir das jetzt ändern, wenn wir das anders machen wollen. Aktuell ist
es so. Fast alle Leute, die wissen wollen, was im aktuellen Gesetz steht, schauen im Internet an geeigneter Stelle, was verkündet worden ist. Aber auch das
Gesetzblatt, das jetzt im Internet steht, ist nur eine Wiedergabe des Originals, das auf dem Papier steht. Damit wir diesen Weg nicht mehr gehen müssen, ändern
wir das Grundgesetz und auch das entsprechende Gesetz. Darum geht es im Kern.
Ich finde, das ist auch ein schönes Beispiel dafür, was wir machen, wenn wir in Deutschland von Digitalisierung reden. Wir reden immer von
Digitalisierung. In Wahrheit machen wir meistens Schritte, die absolute No-Brainer sind, nämlich einen Vorgang, der herkömmlich auf Papier erfolgte, auf einen
elektronischen Weg zu übertragen. Das ist aber zu kurz gesprungen, wenn wir sagen, dass wir damit die Digitalisierung geschafft haben. Natürlich ist
Digitalisierung viel mehr, etwas ganz anderes, nämlich eine Veränderung unseres Zusammenlebens und der Art, zu arbeiten, zu leben, miteinander zu interagieren,
weil diese Wege ganz andere Möglichkeiten bieten. Auch als Gesetzgeber machen wir bestimmte Prozesse genauso. Herr Amthor, da haben Sie Recht. Verwaltungen
arbeiten so. Unternehmen arbeiten herkömmlich mit Hierarchien, weil Papier tatsächlich bestimmte physische Eigenschaften hat. Das muss man nicht mehr machen.
Das führen uns viele Unternehmen vor, die mit digitalen Anwendungen erfolgreich sind. Wenn wir das nutzen wollen, dann müssen wir Digitalisierung
weiterdenken.
({1})
Das ist das, was wir leisten müssen. Das ist angesprochen worden. Die Maschinenlesbarkeit ist die Voraussetzung dafür, dass digitale Anwendungen im
Rückgriff auf die aktuelle Gesetzesfassung interessante Optionen anbieten können. Deswegen ist es so irre, dass wir uns hier zunächst, genauso wie an vielen
anderen Stellen, bei der Digitalisierung darauf beschränken, PDFs ins Internet zu stellen. Wer sich ein bisschen damit beschäftigt, weiß, wie wenig das ist. Da
müssen wir wesentlich weiterkommen. Es ist gut, dass auch dieser Prozess jetzt entsprechend voranschreitet.
({2})
Etwas anderes ist ganz wichtig. Es geht um den Zugang zum Recht. Es ist ganz interessant, dass wir tatsächlich – das hat sich sukzessive geändert –
vor einigen Jahren der Meinung waren: Derjenige, der wissen wollte, was wirklich im Gesetz steht, und die Originalfassung haben wollte, muss das
Bundesgesetzblatt für Geld abonnieren, zunächst in Papierform. – So war es zunächst auch bei den Internetfassungen. Man muss Geld aufwenden, um herauszufinden,
welchen Regeln man sich jetzt fügen muss, welche Regeln gelten. Das ist natürlich ein Missstand; denn wir machen die Regeln für alle. Sie gehören nicht dem
Staat, sondern den Bürgerinnen und Bürgern. Für sie machen wir das. Deswegen ist es natürlich richtig und gut, dass wir diesen Schritt gehen, dass es künftig
selbstverständlich kostenlos zur Verfügung steht. Regeln, die für alle gelten, müssen auch alle lesen können.
({3})
Ich wünsche mir, dass wir diesen Weg noch ein Stückchen weitergehen. Wir haben in Deutschland den interessanten Kniff, dass wir in einer ganzen Reihe
von Gesetzen auf den Stand der Technik verweisen. Man muss sich von Gesetzes wegen an den Stand der Technik halten. Das ist in VDI-Richtlinien und DIN-Normen
niedergelegt. Wenn man die lesen möchte, muss man Geld ausgeben. Das, was für einen gilt, erfährt man nur, wenn man Geld ausgibt. Diesen Missstand sollten wir
als Nächstes angehen. Das wäre konsequent, um hier den Zugang zum Recht zu ermöglichen.
({4})
Ich wünsche mir, dass wir nicht sagen: Wow, wir haben es endlich geschafft. – Herr Karaahmetoğlu hat gesagt, wie lange das gedauert hat. Ich finde,
die Digitalisierung in Deutschland ist ganz schön langsam. Ich wünsche mir, dass wir Digitalisierung künftig anders verstehen und dass wir schneller werden;
sonst werden wir den Rückstand bei der Digitalisierung, den wir in Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten haben, nicht aufholen.
({5})
Wenn wir das tatsächlich als Resultat aus diesen gemeinsamen Beratungen mitnehmen, dann war es tatsächlich ein großer Gewinn, dass wir dieses Gesetz
heute verabschieden.
Vielen Dank.
({6})
Als Nächster erhält das Wort für die AfD-Fraktion Dr. Christian Wirth.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Dem Anliegen, Bundesgesetze künftig elektronisch zu verkünden, verschließen wir uns grundsätzlich nicht. Eine
elektronische Verkündung hat viele Vorteile – wir haben es gehört –: Sie geht schneller vonstatten, sie ist ressourcenschonender und verbessert den Zugang für
die Bürger. Dennoch sind wir der Ansicht, dass eine schriftliche Verkündung parallel in Papierform erfolgen sollte; denn die Ausfertigung von Gesetzen ist ein
Akt der Verfassung – und wir ändern heute die Verfassung –, und die Verkündung in Papierform bietet ein höheres Maß an Fälschungssicherheit und stellt gerade in
Zeiten drohender Blackouts die Verkündung dauerhaft sicher.
Zwar sieht der Entwurf eine Ausnahmeregelung zur Verkündung in Papierform vor. Aus unserer Sicht soll sie aber grundsätzlich parallel erfolgen.
Insbesondere zur Archivierung wäre dies geboten. Eine rein digitale Archivierung, wie der Gesetzentwurf sie vorsieht, birgt die Gefahr eines Datenverlustes,
etwa durch physische Angriffe auf die digitale Infrastruktur, beispielsweise durch Sabotage. Wir alle haben erst kürzlich bei den Sprengungen der Gaspipelines
Nord Stream 1 und 2 oder den Anschlägen auf den Betriebsfunk der Deutschen Bahn schmerzlich erfahren müssen, wie fragil unsere Infrastruktur bei solchen
Anschlägen ist.
Neben physischen Angriffen sind selbstverständlich auch Cyberangriffe denkbar. Es ist zwar zu begrüßen, dass der Gesetzentwurf eine Aktualisierung der
kryptografischen Standards der elektronischen Signatur vorsieht. Aber wir wissen nicht sicher, ob diese der künftigen technologischen Entwicklung standhalten.
Gerade die Möglichkeiten im Bereich des Quantencomputing könnten Gefahren für die Datensicherheit mit sich bringen. Man stelle sich das Ausmaß des Schadens vor,
sollten wirklich größere Datenmengen verloren gehen. Allein die Rekonstruktion der Arbeit einer Legislative wäre bereits eine Mammutaufgabe. Die Archivierung
sollte deswegen unbedingt sowohl digital als auch in Papierform erfolgen.
({0})
Dem Gesetz zur Modernisierung des Verkündungs- und Bekanntmachungswesens können wir aus den genannten Gründen in vorliegender Form nicht zustimmen.
Bezüglich der Grundgesetzänderung, die eine Führung des Bundesgesetzblattes in elektronischer Form ermöglicht, enthalten wir uns.
Trotzdem mahnen wir an, dass der Pakt für den digitalen Rechtsstaat zusammen mit den Ländern vorangebracht werden muss. So oft, wie in der letzten
Legislatur das Wort „Digitalisierung“ durch die Koalitionäre im Mund geführt wurde, so bescheiden ist das Ergebnis der Ampelkoalition bis heute.
Meine restliche Redezeit schenke ich und wünsche uns und der deutschen Nationalmannschaft weiterhin einen erfolgreichen Abend.
Glück auf!
({1})
Übriggebliebene Redezeit zu schenken, ist grundsätzlich eine gute Idee; das möchte ich einfach nur noch einmal sagen.
Katrin Helling-Plahr erhält jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der digitale Rechtsstaat ist unser Ziel; denn die Lebensrealität so vieler Menschen in diesem
Land ist längst digital, und der Rechtsstaat muss den Menschen dienen.
Beharrlich, unermüdlich und unaufhaltsam, immer weiter arbeiten wir daran, unser Ziel zu erreichen, Schritt für Schritt. Die Einführung des
elektronischen Bundesgesetzblattes ist ein überfälliger und wichtiger Schritt. Es ist kaum zu glauben, dass es für die amtliche Verkündung von Gesetzen und
Verordnungen des Bundes bis heute noch Papier braucht. Das ändern wir jetzt. Künftig erfolgt die amtliche elektronische Veröffentlichung des Bundesgesetzblattes
auf einer vom Bundesamt für Justiz betriebenen Internetplattform. So werden wir schneller, transparenter und ressourcenschonender:
Schneller: Bisher werden mehrere Veröffentlichungsgegenstände regelmäßig – aus drucktechnischen Gründen und um Ressourcen zu sparen – zu einer Ausgabe
des Bundesgesetzblattes gebündelt. Das ist künftig nicht mehr erforderlich. Wir stellen auf das System der Einzelverkündung um. Eilfälle sind damit kein Problem
mehr.
Transparenter: Bislang muss die gedruckte verbindliche amtliche Fassung entweder gegen Bezahlung abonniert oder in Bibliotheken eingesehen werden.
Frei online zu finden sind nur elektronische Kopien mit eingeschränkter Funktionalität. Das neue elektronische Bundesgesetzblatt wird für jedermann barrierefrei
und kostenfrei zugänglich sein. Es kann ohne Einschränkungen gespeichert und genutzt werden. Ziel ist es, dass die Veröffentlichung längerfristig in einem
gängigen maschinenlesbaren, automatisiert auswert- und verarbeitbaren, strukturierten Dateiformat erfolgt.
({0})
Ressourcenschonender: Durch den Wegfall der Papierausgaben des Bundesgesetzblattes können jedes Jahr bis zu 2,5 Kilometer Papier eingespart werden.
Meine Damen und Herren, das ist die Strecke von hier bis zur anderen Seite des Tiergartens. Es ist doch Wahnsinn, dass niemand früher darauf gekommen ist. Danke
an unseren Justizminister, der endlich entschlossen ans Werk gegangen ist!
({1})
Aber er wird sicher nicht ruhen, wir als Freie Demokraten werden nicht ruhen, und auch die Ampelkoalition wird nicht ruhen, Schritt für Schritt weiter
Richtung digitaler Rechtsstaat. Wir werden die Voraussetzungen für virtuelle Rechtsantragstellen schaffen. Anträge und Erklärungen zu Protokoll der
Geschäftsstelle können dann per Video gegenüber der Geschäftsstelle abgegeben werden. Wer beispielsweise einen Beratungshilfeschein benötigt, muss dann keine
weiten Wege und Fahrtkosten mehr auf sich nehmen.
Wir machen Videoverhandlungen zum Alltag. Gerichte sollen sie künftig nicht mehr nur gestatten, sondern auch anordnen können. Wenn die Parteien das
gemeinsam wollen, soll das Gericht künftig dem Wunsch entsprechen. Abweichende Entscheidungen sind zu begründen und können angefochten werden. Wenn Tag für Tag
weniger Parteien, Anwälte, Zeugen und Sachverständige quer durch die Republik reisen müssen, spart das Ressourcen und Zeit bei den Betroffenen, macht die
Terminierung einfacher und Verfahren schneller.
Das Projekt der Erprobung eines vollumfänglich digitalen zivilgerichtlichen Onlineverfahrens für geringe Streitwerte ist bereits gestartet. Solche
Verfahren werden den Zugang zum Recht niederschwelliger machen und Menschen, denen der Aufwand zur Geltendmachung ihrer berechtigten Ansprüche sonst
unverhältnismäßig erscheint, wieder an den Rechtsstaat glauben lassen.
Strafverfahren machen wir gerechter. Richter, Staatsanwälte und Anwälte machen sich heute in einer erstinstanzlichen Hauptverhandlung vor einem Land-
oder Oberlandesgericht ihre eigenen Notizen. Eine objektive, zuverlässige Dokumentation des Inhalts der Hauptverhandlung gibt es nicht. Mit der Einführung der
audiovisuellen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung werden die Aussagen künftig automatisch transkribiert, damit auch im Nachgang jeder sicher
weiß, was gesagt worden ist – Schritt für Schritt weiter Richtung digitaler Rechtsstaat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin sehr dankbar, dass es heute zur Einführung des elektronischen Bundesgesetzblattes und zu der dazu
erforderlichen Grundgesetzänderung wohl eine breite Mehrheit geben wird. Aber auch für den weiteren Weg gilt: Gehen Sie mit!
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für Die Linke Clara Bünger.
({0})
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In vielen anderen Mitgliedstaaten der EU ist die elektronische Verkündung von Gesetzen
schon längst gängige Praxis. Herr Amthor, Sie sprachen hier von Reförmchen. Sie hatten eigentlich 16 Jahre Zeit,
({0})
größere Pakete zu beschließen, und haben das nicht geschafft.
({1})
Wir begrüßen diese Initiative. Von uns bekommen Sie auch die Unterstützung für die Zweidrittelmehrheit zur Änderung des Grundgesetzes.
Wie so oft aber, wenn es um das Thema Digitalisierung geht, gibt es nicht unberechtigte Einwände. Noch immer gibt es Menschen in diesem Land, die
keinen Internetzugang haben. Diese Menschen müssen wir genauso berücksichtigen.
({2})
Menschen ohne Internetzugang können natürlich auch Rechner in öffentlichen Bibliotheken nutzen, um Kenntnisse über den Inhalt des Bundesgesetzblattes
zu erlangen. Aber auch da sind ja gewisse Hürden vorhanden.
Natürlich sehen auch wir weitere Vorteile des Gesetzentwurfs – das hat der Kollege Karaahmetoğlu gesagt –: Es spart enorm Papier. Das finden wir
natürlich auch sehr gut und begrüßen dies. Aber aus unserer Sicht muss staatliches Handeln für alle Bürgerinnen und Bürger transparent sein.
({3})
Der Zugang zu allen amtlichen Informationen muss möglichst umfassend, in jedem Fall unmittelbar kosten- und barrierefrei sein.
Nicht ganz nachvollziehbar ist aus unserer Sicht deshalb, dass für das Bundesgesetzblatt zwar das Bundesamt für Justiz als ausgebende Stelle benannt
wird, aber beim Bundesanzeiger lediglich vom Betreiber des Bundesanzeigers die Rede ist. Seit 2006 ist der Bundesanzeiger Verlag vollständig privatisiert
worden. Er gehört ganz allein der Mediengruppe DuMont an, die sich dank der Veröffentlichungspflicht für Kapitalgesellschaften dumm und dämlich daran verdient.
Dafür haben wir kein Verständnis.
({4})
Vermutlich soll deshalb der amtliche Teil des Bundesanzeigers im Gegensatz zum Bundesgesetzblatt nicht frei verwertbar sein. Aus unserer Sicht
widerspricht die in § 4 Absatz 2 enthaltene Regelung der angekündigten Open-Data-Strategie der Bundesregierung diesem Punkt. Die Gesetzesbegründung schweigt
hierzu auch noch. Herr Steffen, Sie könnten sich das ja mal zu Herzen nehmen. Hätten Sie das in der Gesetzesbegründung reingeschrieben, würden wir unser Votum
für das Gesetz eventuell ändern. Es ist wirklich bedauerlich, dass das privatwirtschaftliche Interesse offensichtlich mehr wiegt als eine konsequente Nutzung
der technischen Möglichkeiten der Digitalisierung für die Bürgerinnen und Bürger.
({5})
Dabei wäre doch gerade die Umstellung auf die elektronische Veröffentlichungspflicht eine gute Gelegenheit, diese Aufgabe wieder komplett in die
öffentliche Hand zu übergeben.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich bin gleich fertig.
Die für den Gesetzentwurf vorgesehene Grundgesetzänderung wird von vielen Stimmen als notwendig betrachtet und ist, um eventuellen
Rechtsunsicherheiten bei der Auslegung der im Bundesgesetzblatt verkündeten Begriffe vorzubeugen, auch zu begrüßen. Den Änderungsantrag der CDU/CSU halten wir
allerdings für überflüssig.
Vielen Dank.
({0})
Nächste Rednerin ist Anna Kassautzki für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Sehr geehrte Damen und Herren! In der Schule lernen wir
auf mehr oder minder spannende Art und Weise, wie eigentlich Gesetze entstehen. Für einige hier vielleicht noch mal zur Auffrischung: Ein Gesetz wird von uns
als Bundestag und vom Bundesrat beschlossen, vom Kanzler und von den zuständigen Ministerinnen und Ministern gezeichnet und vom Bundespräsidenten ausgefertigt.
Dann wird es im Bundesgesetzblatt veröffentlicht; so viel haben wir heute schon gehört. Erst dann kann es in Kraft treten. Der Bundesanzeiger und das
Bundesgesetzblatt existieren bereits jetzt online und werden dort dauerhaft bereitgehalten.
Warum reden wir heute also darüber? Ist doch schon online! Was ändern wir eigentlich am E-Verkündungsgesetz? Wir stellen das Bundesgesetzblatt doch
schon als PDF-Datei zur Verfügung. Genau das ist der Punkt: als PDF. Und das ändern wir jetzt.
({0})
Wir gehen mit dieser Änderung einen gigantischen Schritt in Richtung Transparenz und Open Data. Wir veröffentlichen Gesetze fortan als Open Data:
offen, maschinenlesbar, zugänglich, auffindbar und interoperabel. Offen und zugänglich heißt, dass die Daten nicht hinter einer Paywall, einem Log-in oder
grundsätzlich hinter einem Zugang versteckt sind, den man beantragen müsste. Sie stehen einfach, offen und ohne Zugangsbarrieren allen zur Verfügung.
Maschinenlesbar bedeutet, dass wir die Daten in standardisierten Formaten ablegen. Texte, Formate und Metadaten müssen aus den Dokumenten herausgezogen werden
können, also auch durchsuchbar sein, und möglichst über APIs zur Verfügung gestellt werden.
Fotos, Scans und PDFs sind im Gegensatz dazu oft nicht einfach so maschinenlesbar. Die Auffindbarkeit von Daten bedeutet, dass man sie mithilfe von
Suchmaschinen finden kann. Das hängt mit der Maschinenlesbarkeit zusammen: Wenn Daten nicht durchsuchbar sind, wird sie auch keine Suchmaschine der Welt finden.
Sie sind im Netz sozusagen unsichtbar.
Als letzten Punkt haben wir die Interoperabilität von Daten. Man könnte aus Lego-Steinen kein Haus bauen, wenn die Klötze nicht aufeinanderpassen
würden. Das Gleiche haben wir bei Daten. Durch standardisierte Formate kann man Daten verschiedenen Ursprungs verknüpfen, zueinander in Kontext setzen und
dadurch ein Mehrwissen generieren. Das ist ein Meilenstein. Wir schaffen Open Data im Recht, und das ist ein großer Schritt auf dem Weg zum Recht auf Open
Data.
({1})
Ob nun § 7 Datennutzungsgesetz, 5‑Star-Linked-Open-Data oder Daten, die nach den FAIR-Prinzipien zur Verfügung gestellt werden, sie alle verfolgen
dasselbe Ziel: Daten in standardisierten Formaten einer breiten Öffentlichkeit maschinenlesbar zur Nachnutzung zur Verfügung zu stellen.
Jetzt stellen wir aber auch mal die große Frage: Warum wollen wir überhaupt ein Recht auf Open Data? Zwei Punkte will ich dabei hervorheben. Das sind
zum einen Vertrauen und zum anderen Modernisierung.
Zunächst mal das Vertrauen. Wir sind auf das Vertrauen der Menschen angewiesen, die uns gewählt haben: Vertrauen in uns, Vertrauen in den Staat,
Vertrauen in die parlamentarische Demokratie. Dieses Vertrauen schaffen wir tagtäglich, indem wir kommunizieren: mit unseren Wählerinnen und Wählern in den
Wahlkreisen, mit unseren Followerinnen und Followern im Netz, mit der Presse, mit Vereinen, mit Verbänden. Wir erzählen von unserer Arbeit – Arbeit, die auf
Daten, Studien und Entwürfen beruht, die dem größten Teil der Menschen nicht zugänglich sind. Wenn die Grundlage unserer Entscheidung, nämlich genau diese
Daten, nicht einsehbar sind, müssen wir uns nicht wundern, wenn manche von unseren Entscheidungen für viele schwer nachvollziehbar sind.
Frau Kollegin, warten Sie mal kurz. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist gleich eine namentliche Abstimmung – völlig klar –, alle kommen. Aber
es wird immer lauter. Man kann die Abgeordnete wirklich kaum noch hören. Geben Sie ihr doch einfach die Chance, in Ruhe ihre Rede zu halten, indem Sie zuhören
oder für die Gespräche noch mal rausgehen. Sie haben genug Zeit. Ich werde die namentliche Abstimmung ankündigen. Danke schön.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Wenn wir diese Grundlage als Open Data zur Verfügung stellen, versetzen wir Menschen in die Lage, sich auf genau
der gleichen Basis eine Meinung zu bilden, wie wir das tun, und unsere Entscheidung besser nachzuvollziehen. Damit stärken wir Vertrauen in diese
Entscheidungen, in uns als Parlamentarier/-innen, in den Staat und in unsere Demokratie.
Ich sage nicht, dass wir alle Dokumente offen zur Verfügung stellen müssen, die hier kursieren; auch das kam schon zur Sprache. Es gibt Dokumente, die
beispielsweise personenbezogene Daten enthalten, die besonders schützenswert sind, oder eben sicherheitsrelevante Dokumente, die man besser nicht als Open Data
zur Verfügung stellen sollte. Aber wir werden eine Diskussion darüber beginnen, wo wir aufhören müssen, als Staat wie der Drache auf dem Datenschatz zu sitzen,
und wo wir anfangen müssen, Wissen bereitzustellen und zu teilen.
Mein zweiter großer Punkt ist die Modernisierung. Ein beliebtes Gegenargument zu Open Data ist nämlich, dass es zu aufwendig und teuer sei, so viele
Informationen öffentlich zur Verfügung zu stellen. Von Open Data profitieren aber alle, sowohl die Zivilgesellschaft als auch der Staat. Ein Recht auf Open Data
mit der entsprechenden Infrastruktur ist auch ein riesiges Verwaltungsmodernisierungsprogramm. Wenn wir Daten für die Öffentlichkeit zugänglich machen, machen
wir sie auch für Ministerien, Behörden und andere öffentliche Stellen zugänglich. Damit ersparen wir uns langwierige Abstimmungsprozesse, in denen Menschen im
schlimmsten Fall die Informationen aus dem einen Dokument händisch in ein anderes eintragen. Wir beenden diese Datensilos.
Wenn wir Daten maschinenlesbar und auffindbar für die Öffentlichkeit machen, sind sie auch auffindbar in Behörden und über Behörden hinweg. Durch
diese Interoperabilität können wir Prozesse auch automatisieren, genau diese Prozesse beschleunigen und damit die Verwaltung entlasten. Das hilft im Übrigen
auch gegen den Fachkräftemangel.
({0})
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Das bedeutet ein Recht auf Open Data. Da möchten wir hin: zu besseren evidenz- und datenbasierten Entscheidungen, nachvollziehbarer und
transparenter für alle.
Wir gehen mit Open Data im Recht heute einen wichtigen Schritt zum Recht auf Open Data. Ich freue mich darauf.
Herzlichen Dank.
({0})
Letzter Redner in dieser Debatte ist Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Änderung des Grundgesetzes ist keine alltägliche gesetzgeberische Arbeit. In einer
laufenden Legislaturperiode werden allenfalls eine Handvoll Grundgesetzänderungen vorgenommen. Deswegen haben wir jede Änderung mit Sorgfalt abzuwägen und
intensiv zu diskutieren.
Diese Änderung des Grundgesetzes steht im Zusammenhang mit dem Gesetzgebungsverfahren. Das Gesetzgebungsverfahren im Rechtsstaat muss materiell über
jeden Zweifel erhaben sein, aber auch die Form muss gewahrt werden. Artikel 82 des Grundgesetzes sagt, dass der Bundespräsident das Gesetz ausfertigt, indem er
es unterzeichnet, und der zuständige Fachminister zeichnet es gegen. Dann wird das Gesetz im Bundesgesetzblatt verkündet, und erst dann kann es in Kraft
treten.
Mit der heutigen Änderung des Grundgesetzes geben wir der Digitalisierung eine Chance bei allen drei Schritten. Ich will das noch mal betonen: Auch
die Ausfertigung durch den Bundespräsidenten und die Gegenzeichnung können zukünftig elektronisch erfolgen. Ich finde, das ist ein guter Schritt hin zu mehr
Digitalisierung, auch bei der Gesetzgebung.
({0})
Wenn wir uns ansehen, wie in den letzten Jahren Grundgesetzänderungen vonstattengegangen sind, dann geht auch ein Stück weit Selbstkritik an uns. Der
jetzige Verfassungsrichter Heinrich Wolff hat es mal so formuliert: Er erwarte von Grundgesetzänderungen „Schlichtheit im Ausdruck, Ästhetik, Lesbarkeit und die
Offenheit seiner Rahmen setzenden Ordnung“. Wir haben aber in vielen Bereichen gerade zum Bund-Länder-Verhältnis in den letzten Jahren eher Verwaltungsrecht ins
Grundgesetz geschrieben, mit ellenlangen Absätzen. Umso erfrischender ist, dass heute die Grundgesetzänderung klein, aber dennoch wirksam ausfällt.
An dieser Stelle möchte ich Dieter Grimm zitieren, der gesagt hat: „Je detaillierter die Verfassung, desto höher die Änderungsanfälligkeit“. Oder
anders ausgedrückt: „Wir haben das Recht auf Leben mit einem einfachen Gesetzesvorbehalt“. Das macht der Gesetzentwurf, indem er nämlich die Fragen der
Ausfertigung und der Gegenzeichnung in ein Gesetz delegiert und gleichzeitig feststellt, dass die Verkündung auf elektronischem Weg erfolgen kann. Ich glaube,
das ist ein gutes Signal, um uns gemeinsam auf den Weg zu machen, die Digitalisierung im Recht stärker voranzubringen.
Herr Kollege, ganz kurz nur. – Es ist wirklich eine Fraktion, die hier ganz besonders laut ist, und das ist auf der rechten Seite dieses Hauses. Es
ist wirklich auffällig, ich muss es sagen.
({0})
Es sind nur noch zwei Minuten; das schaffen wir noch. Einmal zuhören, bitte. – Danke.
Ich habe ohnehin nur noch zwei Bemerkungen. Zum einen: Dass die Fraktion, die gerade besonders laut ist, sich nicht immer mit besonderer
Grundgesetztreue hier hervorgetan hat, ist ohnehin offenkundig.
({0})
Zum Zweiten: Wenn wir diese Grundgesetzänderung heute beschließen, dann müssen wir trotzdem dafür Sorge tragen, dass jenseits der Verkündung von
Gesetzen die Digitalisierung im Recht vorankommt. Es geht auch um die Bauakten im Bauamt. Es geht um die Frage der Akten bei Gericht. Es geht um die Frage der
ordnungsgemäßen Personalausstattung. Deswegen auch mein Appell noch mal: Bringen Sie den Digitalpakt auch für den Rechtsstaat auf die Reihe, damit Bund und
Länder gemeinsam genügend Geld haben, um dieser Aufgabe Herr zu werden! Für heute empfehle ich die Änderung des Grundgesetzes.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Deutschland träumen 75 Prozent der Mieter von den eigenen vier Wänden. Aber nur den wenigsten gelingt
es, diesen Traum auch tatsächlich zu realisieren; denn laut EZB sind die Deutschen die Ärmsten im Euroraum. So ist das Vermögen einer durchschnittlichen
griechischen Familie doppelt so hoch wie das einer deutschen Familie, in Spanien und Italien sogar viermal so hoch wie bei uns. Auch beim Rentenniveau liegt
Deutschland mit gerade mal 48 Prozent weit hinten. Spanien hat beispielsweise 83 Prozent, Österreich 89 Prozent und Italien sogar 91 Prozent.
Wir haben die höchsten Energiepreise der Welt, und wir haben mit gerade mal 45 Prozent die niedrigste Wohneigentumsquote in der EU. Hier in Berlin
sind es sogar nur 15 Prozent, während in Frankreich 64 Prozent, in Italien 72 Prozent, in Griechenland 76 Prozent, in Tschechien 80 Prozent und in der Slowakei
sogar 92 Prozent in den eigenen vier Wänden leben. Der europäische Schnitt liegt also deutlich über 70 Prozent. Wir haben also nicht nur die höchsten
Energiepreise, das geringste Haushaltsvermögen, mit das niedrigste Rentenniveau, sondern auch die niedrigste Wohneigentumsquote in der EU.
Jetzt frisst die Inflation auch noch den Rest der Ersparnisse der Bürger auf. Deshalb ist es gerade jetzt noch viel, viel wichtiger, möglichst viele
Menschen in die eigenen vier Wände zu bringen.
({0})
Denn diese sind der beste Inflationsschutz, die beste Altersabsicherung und geben in Krisen wie heute den Menschen Stabilität und Sicherheit. Und
deshalb wollen wir Deutschland von einem Land der Mieter zu einem Land der Eigentümer machen.
({1})
Aber warum ist Deutschland denn überhaupt das Schlusslicht bei der Wohneigentumsquote in der EU? Die Deutsche Bundesbank stellt in einer Studie fest,
dass es zum einen insbesondere an den im internationalen Vergleich viel zu hohen Grunderwerbsteuern liegt und zum anderen daran, dass die Hypothekenzinsen,
anders als in vielen anderen Ländern, eben nicht für die selbstgenutzte Wohnung von der Steuer abgesetzt werden können. Aber das war ja auch in Deutschland
schon mal anders, als man in der Regierungszeit von Helmut Kohl – ist schon eine ganze Weile her – auch die Kosten für die eigenen vier Wände von der Steuer
absetzen konnte. Das hat damals vielen Menschen trotz astronomischer Zinsen von deutlich über 10 Prozent die eigenen vier Wände ermöglicht.
Wir fordern in unserem Antrag, dass die Grunderwerbsteuer deutschlandweit auf 3,5 Prozent gesenkt wird, und vor allem, dass der Erwerb der ersten
eigenen vier Wände komplett steuerfrei sein muss.
({2})
Das würde nämlich auch die soziale Ungerechtigkeit, dass große Kapitalgesellschaften praktisch keine Grunderwerbsteuer zahlen, während der
Normalbürger immer für alles zahlen muss, endlich beseitigen.
Zudem muss Wohnen insgesamt wieder für die Menschen bezahlbar werden. Dazu fordern wir die komplette Abschaffung der Grundsteuer. Das allein würde die
Kosten des Wohnens für eine Familie um 400 bis 500 Euro pro Jahr reduzieren. Die CO2-Steuer, die nach Auffassung von Experten angesichts der ohnehin schon
extrem hohen Energiepreise überhaupt keine Lenkungswirkung hat, sondern alles einfach nur noch viel teurer macht, muss endlich vollständig abgeschafft
werden.
({3})
Außerdem müssen auch die Preise für Wohneigentum wieder bezahlbar werden. Dazu müssen die Bauvorschriften und die kostentreibenden Klimavorschriften
reduziert, die Antragsverfahren beschleunigt und der ländliche Raum endlich wieder attraktiver gemacht werden. Denn während in den Ballungszentren 2 Millionen
bezahlbare Wohnungen fehlen, stehen im ländlichen Raum 1,7 Millionen Wohnungen leer.
Machen wir es doch endlich so wie unsere europäischen Nachbarn und wie es die Deutsche Bundesbank empfiehlt: Mit den eigenen vier Wänden erreichen wir
für die Menschen Inflationsschutz, Altersabsicherung, Stabilität und Sicherheit. Machen wir Deutschland von einem Land der Mieter endlich zu einem Land der
Eigentümer!
({4})
Nächster Redner ist für die SPD-Fraktion Brian Nickholz.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! „Es war einmal im Land der Eigentümer“: Die AfD
versucht sich wieder einmal an einer Märchenstunde, und wie in jedem Märchen verstecken sich auch in diesem Antrag lauter Unwahrheiten und allerlei
Kokolores.
({0})
Schauen wir uns doch mal den Antrag genauer an. Natürlich, Steuern abschaffen ist immer die Patentlösung der AfD. Hier kann man aber sehr deutlich das
Märchen von Steuerentlastungen entlarven, die allen zugutekämen. Gerade bei der Grundsteuer ist das der Fall. Deswegen möchte ich mich zu Beginn genau darauf
konzentrieren.
Wir haben gerade gehört, über 400 bis 500 Euro im Jahr könne sich jeder freuen. Aber ist das eigentlich so? Kriegt jeder diese Entlastung? Da ist
nicht nur die Begründung im Antrag fehlerhaft, sondern auch das, was wir soeben gehört haben. Das ist Streusand im Getriebe. Und wer da die Worte „soziale
Gerechtigkeit“ in den Mund nimmt, der sollte sich schämen.
({1})
– Nein, das hat die Fraktion beim Tankrabatt anders diskutiert: dass immer auch kritisch ist, ob das, was wir an Entlastung über Dritte an Bürgerinnen
und Bürger weitergeben, überhaupt eins zu eins ankommt.
({2})
Und hier ist es doch augenfällig, dass das nicht der Fall ist. Seien Sie doch ehrlich und sagen Sie, wer davon garantiert profitiert und wer
nicht!
({3})
Es sind doch die Vermögenden, diejenigen, die schon Eigentum haben, die vor allem davon garantiert entlastet werden, übrigens deutlich mehr als die
400 bis 500 Euro, weil sie viel besitzen, und diejenigen, die es nicht tun, die vielen also, profitieren entweder wenig oder gar nicht. Das ist die
Wahrheit.
({4})
Natürlich, Sie wollen die Wahrheit nicht hören;
({5})
aber das können Sie weiterhin kommentieren, das stört mich nicht.
({6})
Es ist auch absurd, wie Sie in Ihrer Ahnungslosigkeit sagen: „Dann soll der Bund einfach mal 15 Milliarden Euro irgendwie an die Kommunen als
Kompensation geben“, weil Sie damit eigentlich Stadtentwicklung dauerhaft verhindern, weil Sie einen Stand heute festzementieren wollen in diesem Land.
Aber wir wollen Stadtentwicklung, wir wollen eine Selbstverwaltung der kommunalen Familie. Dafür ist die Grundsteuer – das haben Sie als Einziges in
Ihrem Antrag richtig beschrieben – nämlich das wichtigste Instrument, die Haupteinnahmequelle, und die wollen Sie den Kommunen nehmen. Diesen Spielraum wollen
Sie den Kommunen nehmen. Das führt einfach zu einem Abbau an Infrastruktur, einem Abbau an Demokratie vor Ort, und das schwächt unseren Staat. Das können sich
vielleicht Reiche leisten, aber die Mehrheit in diesem Land kann es sich eben nicht leisten.
({7})
Mal eine ganz andere Frage, die vielleicht auch zu stellen ist und die Sie sich auch mal stellen sollten: Will wirklich jeder Eigentum in diesem Land,
will jeder eine Eigentumswohnung, ein eigenes Haus?
({8})
Sie haben selber gesagt, über 25 Prozent wollen das nicht, und das in einer Umfrage, die sehr eigentumsfreundlich ist, was klar wäre, wenn Sie die
Quelle benannt hätten.
Und deswegen: Es gibt immer mehr verschiedene Wohnformen, und das ist zu berücksichtigen. Eine Politik, die auf der Höhe der Zeit ist, berücksichtigt
das. Unsere Bauministerin hat auch schon bei mehreren Anlässen dargestellt, dass wir darauf reagieren, die Vielfältigkeit des Wohnens zu fördern, und das ganz
konkret.
Und deswegen einmal zu ein paar Maßnahmen, die wir hier auf den Weg gebracht haben und noch auf den Weg bringen: 1 Milliarde Euro jährlich für den
sozialen Wohnungsbau; eine neue Wohneigentumsförderung ab nächstes Jahr, 350 Millionen Euro; ein neues Förderprogramm „Klimafreundliches Bauen“ mit
650 Millionen Euro; die Bundesförderung genossenschaftlichen Wohnens ist schon im Oktober gestartet; das KfW-Programm „Altersgerecht Umbauen“ und im nächsten
Jahr das Thema „Neue Wohngemeinnützigkeit“ und ein Programm „Junges Wohnen“, gerade auch mit Blick auf Azubis und Studierende, die sich das Wohnen vielleicht
anders vorstellen als alte Herren hier im Bundestag. Aber es gibt auch viele, die das wissen und die auf die Jungen hören; nur da sitzen sie leider nicht.
({9})
Und all das führt doch immer zu einer Konsequenz: Wir brauchen Wohnraum für alle, und er muss bezahlbar sein. Und genau das ist es, was wir mit dem
Bündnis für bezahlbaren Wohnraum mit über 180 Maßnahmen umsetzen, die wir im Oktober auf den Weg gebracht haben, Maßnahmen, die wir jetzt nach und nach
umsetzen. Zum sozialen Mietrecht, das viele strukturelle Probleme lösen wird, wird der Bundesjustizminister uns bald – da bin ich mir sicher – auch einen
Entwurf vorlegen. Dazu gehört natürlich auch das Wohngeld, das übrigens zu deutlich mehr Entlastung für Familien führt als der Vorschlag, den Sie hier skizziert
haben.
Da hilft es übrigens nicht, wenn wir uns auf allen Ebenen beim Wohngeld gegenseitig mit dem Finger zuweisen, wer jetzt für die Umsetzung der Reform
verantwortlich ist. Klar, es ist gesamtstaatliches Handeln, von der kommunalen Ebene bis zur Landesebene und zum Bund. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten, und
das werden wir auch tun.
Eine solche Debatte zum Thema Wohnen zu führen, ohne über die Leute zu sprechen, denen es vollkommen egal ist, ob es um eine Eigentumswohnung oder
eine Mietwohnung geht, weil sie gar kein Dach über dem Kopf haben, und dann soziale Gerechtigkeit zu propagieren, das ist ein Unding. Wir haben über 300 000
Menschen in Deutschland, die von Wohnungslosigkeit betroffen sind; wir haben noch mehr Menschen, die davon bedroht sind. Die müssen wir im Blick haben, denen
müssen wir helfen. Das machen wir mit dem Nationalen Aktionsplan Wohnungslosigkeit im nächsten Jahr ganz konkret.
({10})
Zum Schluss möchte ich noch mal ganz klar sagen: Wohnen ist ein Menschenrecht, ein Recht, welches noch nicht für alle verwirklicht ist. Deshalb
brauchen wir unsere gesamte Aufmerksamkeit bei diesem Thema und nicht bei solch unsinnigen Anträgen der AfD. Deswegen lehnen wir den Antrag auch entschieden
ab.
Herzlichen Dank.
({11})
Nächste Rednerin in dieser Debatte ist für die CDU/CSU-Fraktion Anne König.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Ab in die Ruine“ ist bekanntlich der Titel einer Fernsehserie. Betrachtet man die
bisherigen Aktionen der Ampel, ist „Ab in die Ruine“ aber leider auch eine treffende Überschrift für Ihre Wohnungsbaupolitik:
({0})
die Bauförderung in Trümmer gelegt, beim Baukindergeld eine lauwarme Ankündigung für den nächsten April und die Neubauquote von 400 000 Wohnungen so
unerreichbar wie der Mond für einen Pottwal. Das sind nur die traurigen Highlights Ihrer fragwürdigen Hitliste.
({1})
Die meisten Menschen träumen von einem Eigenheim mit kleinem Garten oder einer Eigentumswohnung mit Balkon,
({2})
egal ob sie in der Stadt oder auf dem Land leben, allein oder mit einer großen oder kleinen Familie. Eigenheim und Eigentumswohnung stehen für
Selbstverwirklichung und gelebte Freiheit. Sie leisten gleichzeitig einen Beitrag für die Altersvorsorge. Inflationsschutz und das Wissen, sein Eigentum an die
nächste Generation weitergeben zu können, machen Investitionen in Immobilien auch darüber hinaus interessant.
Wir als Union halten es daher für wichtig und vordringlich, Eigentumsbildung auch und gerade für Menschen mit geringen und mittleren Einkommen und
insbesondere für Familien zu ermöglichen.
({3})
Indirekt profitieren auch Mieterinnen und Mieter. Mehr Wohnungsbau und mehr Eigentümer entlasten den Wohnungsmarkt insgesamt.
Aufgabe einer verantwortungsvollen Bundesregierung wäre es darum, den Traum von den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Diese Bundesregierung tut das
allerdings bisher nicht. Ich fordere Sie darum auf: Revidieren Sie Ihre falsche Politik! Und reden wir darüber, welche Impulse zu mehr Wohnungen, klima- und
altersgerechten Sanierungen und einer günstigen und regionalen Entwicklung führen:
Erstens. Die Förderung des ländlichen Raums ist essenziell. Ein großer Teil des Gebäudebestands mit zumeist alten Bewohnern liegt im ländlichen Raum.
Darum fordern wir, den altersgerechten Umbau von Wohnungen weiter zu fördern, damit Menschen möglichst lange in ihren angestammten vier Wänden bleiben können.
Wir wollen, dass der Erwerb von selbstgenutztem Wohneigentum im Bestand mit dem Programm „Jung kauft Alt“ gefördert wird. Dabei müssen notwendige
Investitionsmaßnahmen für klimagerechte Modernisierung und Sanierung berücksichtigt werden. Gemeinsam mit den Kommunen muss eine Initiative zur
Baulandgewinnung, insbesondere auf Brach- und Konversionsflächen, entwickelt werden, um dem Mangel an Bauland entgegenzuwirken.
Verabschieden Sie sich bitte endlich davon, bloß Politik für die Menschen in Großstädten zu machen! Denken Sie endlich auch an die Bürger im
ländlichen und suburbanen Raum! Mit einer klug bemessenen Förderung kann der Entvölkerung und den daraus entstehenden Problemen auch für die Ballungszentren
begegnet werden. Noch ist es dafür früh genug.
Zweitens. Die Klimaneutralität des Gebäudesektors bis 2045 wird nicht gelingen, wenn weiterhin Planungssicherheit für eine verlässliche, auskömmliche
und nachhaltige Förderung von energieeffizientem Neu- und Umbau fehlt. Besonders die Sanierung von Bestandsgebäuden muss schnell und wirkungsvoll gefördert
werden.
({4})
Das Potenzial ist groß und muss zügig angegangen werden.
Drittens. Der bereits länger andauernde Anstieg der Immobilienpreise und die Verschärfungen der Ampelregierung bei der Erbschaftsteuer führen dazu,
dass immer mehr Betroffene ihre Elternhäuser nicht mehr steuerfrei vererben können.
({5})
Dem müssen wir entgegenwirken. Die Verteuerung muss durch eine substanzielle Erhöhung der Freibeträge im Rahmen der Erbschaft- und Schenkungsteuer
ausgeglichen werden. Zudem braucht es eine Regionalisierung der Freibeträge, um örtliche Unterschiede in der Wertentwicklung auszugleichen. Viel zu lange schon
warten wir und die Menschen dieses Landes auf eine Rückkehr zu einer soliden Fördermöglichkeit, wie sie unter der CDU-geführten Bundesregierung
selbstverständlich war.
({6})
Durch das hausgemachte Bauförderchaos der Bundesregierung wurde in den letzten Monaten bereits massiv Vertrauen verspielt.
({7})
Lassen Sie die Bürgerinnen und Bürger nicht weiter warten! Lassen Sie nicht weiter wichtige Zeit verstreichen! Lassen Sie nicht zu, dass das
Klimaschutzpotenzial verschenkt wird! Und stimmen Sie bei der nächsten Lesung für unseren Antrag „Den Traum von den eigenen vier Wänden ermöglichen“!
({8})
Es liegt nur an Ihnen, der Ampel, das Motto „Ab in die Ruine“ für die Wohnungsbaupolitik endlich loszuwerden. Werden Sie endlich Ihrer zentralen Rolle
im Klimaschutz, beim sozialen Frieden und in der Regionalentwicklung gerecht!
Vielen Dank.
({9})
Falls ein Mitglied des Hauses seine Stimme noch nicht abgegeben hat, wäre jetzt die letzte Chance dazu. – Jetzt folgt als nächste Rednerin Hanna
Steinmüller für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Es ist auch noch eine Schulklasse da, wie schön!
Ursprünglich wollte die AfD zu diesem Tagesordnungspunkt einen anderen Antrag debattieren. Er hieß: „Flutopfer von 2021 nicht im Stich lassen“. Die AfD hat
diesen Antrag aber zurückgezogen und stattdessen durch einen komplett anderen ersetzt, der das exakte Gegenteil davon bedeutet. In dem vorliegenden Antrag
schlägt die AfD nämlich vor, das Bundes-Klimaschutzgesetz außer Kraft zu setzen, also das Gesetz, das dafür sorgt, dass Deutschland die Klimakrise nicht weiter
anheizt, damit Katastrophen wie im Ahrtal nicht zum traurigen Alltag in Deutschland werden. Ehrlich gesagt: Ich glaube, Sie haben den Schuss nicht gehört.
({0})
Wissen Sie, was Menschen, die Opfer einer Flutkatastrophe geworden sind, neben der Wiederaufbauhilfe wirklich hilft? Es ist Klimaschutz, der
verheerende Naturkatastrophen wie diese eben nicht zu täglichen Begleitern werden lässt.
({1})
Dieser Antrag und, ehrlich gesagt, auch alle Ihre Reaktionen gerade zeigen: Sie haben weder Weitsicht, noch haben Sie Anstand.
({2})
Zum Glück haben wir eine Regierungskoalition, die Klimaschutz ernst nimmt. Wir müssen bis spätestens 2045 klimaneutral sein. Und da ist es, ehrlich
gesagt, komplett egal, ob wir Land der Mieterinnen und Mieter oder Land der Eigentümer sind. Momentan sind wir vor allen Dingen eines: Wir sind Land der
Treibhausgasemittentinnen und ‑emittenten im Gebäudebereich, und das müssen wir beenden.
({3})
Um das zu beenden, brauchen wir all diese Gesetze, die Sie abschaffen wollen. Mit dem Klimaschutzgesetz haben wir endlich einen Handlungsauftrag mit
klaren Zielen für alle Sektoren. Deswegen wissen wir auch, dass wir im Gebäudesektor noch besonders viel vor uns haben.
Mit dem Brennstoffemissionshandelsgesetz bekommt CO2 endlich einen Preis, um Anreize zu setzen, auf erneuerbare Energien umzustellen. Mit dem Gesetz
zur Elektroladeinfrastruktur in Gebäuden verknüpfen wir moderne Häuser mit moderner Mobilität; hier geht es sogar um Autos; das müsste Sie doch eigentlich
freuen, wo Sie doch sonst ständig darüber reden. Und mit dem Gebäudeenergiegesetz stärken wir die Effizienz unserer Häuser und Wohnungen und sparen so Energie.
Je weniger Energie wir verbrauchen, desto weniger müssen wir bezahlen. Sie sprechen ständig von hohen Energiepreisen und hohen Energiekosten. Je weniger man
verbraucht, desto leichter lassen sie sich senken. Von daher würde ich sagen: Wir brauchen ein Gebäudeenergiegesetz.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit all diesen Maßnahmen reduzieren wir die Treibhausgasemissionen. Das machen wir nicht abstrakt für das Klima,
sondern das machen wir, um uns und unsere Heimat zu schützen. Das unterscheidet uns von Klimaleugnerinnen und ‑leugnern wie Ihnen, denen ihre Heimat
offensichtlich egal ist.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die AfD möchte heute Abend Deutschland vom Mieter- zum Eigentümerland machen. Ich habe mich
gefragt: Warum eigentlich? Denn es gibt viele Menschen in diesem Land, die freiwillig zur Miete leben – daran ist nichts verwerflich –, und sie haben eine
deutlich engagiertere Mietenpolitik verdient.
({0})
Und ja, andere wollen gerne von Mieterinnen und Mietern zu Eigentümerinnen und Eigentümern werden, aber sie bekommen beispielsweise keinen
Kreditvertrag, weil sie ein befristetes Beschäftigungsverhältnis haben. Oder sie können sich Eigentum schlichtweg nicht mehr leisten, weil nicht nur die Preise
für Mieten, sondern auch die Preise für Eigentum exorbitant gestiegen sind. Der Preisanstieg für Eigenheime in deutschen Großstädten ist im internationalen
Vergleich einzigartig. Wer da nicht erbt – aus der Traum. Das kritisieren auch wir als Linke; denn es macht das Land nicht gerechter.
({1})
Eine zurückhaltende, also falsche Lohnpolitik, eine politisch beförderte Mietenexplosion sorgen dafür, dass heute viele 30, 40, ja vielleicht sogar
50 Prozent des Einkommens für die Miete ausgeben müssen. Wer kann da noch auf ein Eigenheim sparen? Deshalb: Mieten runter, Löhne rauf, und keine Spekulation
auf den Wohnungsmärkten! Das wäre gut für alle.
({2})
Doch was schlägt die AfD vor? Ihr Antrag in Kurzfassung: Steuern auf Immobilien runter und Klimaschutz gänzlich abschaffen, egal ob den Kommunen
dadurch wichtige Einnahmen entgehen, egal ob die Steuergeschenke eben nicht nur Kleineigentümerinnen und ‑eigentümern, sondern auch den Großkonzernen
zugutekommen würden; die profitieren doch jetzt schon beispielsweise davon, dass sie beim Share Deal die Grunderwerbsteuer nicht zahlen müssen, aber jeder
Häuslebauer muss es tun. Das ist ungerecht, aber da wollen Sie als AfD überhaupt nicht ran.
({3})
Wir als Linke sagen: Die steuerbegünstigte Spekulation muss beendet werden. Es braucht eine soziale Wohnungspolitik.
({4})
Klimaschutz hält die AfD gänzlich für überflüssig. Bei der CO2-Steuer, die das Heizen für Mieter/-innen noch teurer macht, aber keine Lenkungswirkung
entfaltet, sage ich: Ja, die kann eigentlich entfallen. Aber ansonsten muss man doch sehen, dass die Klimaschutzziele jetzt schon nicht erreicht werden.
Deswegen: Klimaschutz und eine soziale Wohnungspolitik müssen Hand in Hand gehen. Klimaschutz muss ohne Mieterhöhung möglich sein.
({5})
Von einer sozialen Mietenpolitik habe ich von der AfD übrigens noch nie etwas gehört. Ich erinnere mich nur an einen einzigen Antrag, die Förderung
für den sozialen Wohnungsbau abzuschaffen. Die Hälfte der Deutschen lebt zur Miete, und ihnen allen jetzt zu sagen, sie sollen Eigentümer/-innen werden, das ist
absurd. Wer die Mieten in den Städten nicht mehr bezahlen kann, soll sich offenbar ein Haus bauen. Wer muss da nicht an Marie-Antoinette denken, die sagte: Wenn
die Armen kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen. – Das ist die zynische Logik der AfD. Wir lehnen sie ab.
({6})
Nächster Redner ist für die FDP-Fraktion Daniel Föst.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das ist wirklich eine wichtige Frage, mit der wir uns beschäftigen müssen: Wie
schaffen wir Wohnraum für unsere 84 Millionen Menschen, wie schaffen wir bezahlbaren Wohnraum, und wie erfüllen wir vor allen Dingen den Traum vom Eigenheim,
den Traum vom Eigentum, den die Mehrheit der Deutschen träumt? Das ist eine sehr wichtige Frage, und die Frage ist viel zu wichtig für den Klamauk, den die AfD
daraus macht.
({0})
Das GEG abschaffen? Alter Schwede! Wir können ja darüber diskutieren, das GEG zu vereinfachen. Die Forderung, das GEG abzuschaffen, passt aber wieder
in Ihre Logik: Den Klimawandel gibt es nicht, der Gebäudesektor muss nicht liefern, es löst sich alles von allein. – Das ist Klamauk und keine Politik.
({1})
Das gilt übrigens genauso für Ihre Erzählung: Wir setzen die Grundsteuer komplett aus. – Dass das Geld auf den Bäumen wächst, das höre ich sonst nur
von den Linken. Herzlichen Glückwunsch Ihnen von der AfD! Den Kreis haben Sie geschlossen! Geld wächst nicht auf den Bäumen. Es muss erwirtschaftet werden von
der Gesellschaft, von der Wirtschaft, und wir müssen damit gut umgehen.
({2})
Bei der Frage, wie wir damit gut umgehen, ist meiner Fraktion tatsächlich die Eigentumsförderung sehr wichtig.
({3})
Wir Freie Demokraten wollen Deutschland zu einer Eigentümernation machen, aus drei großen Gründen:
Erstens. Die Vermögensspreizung verringert sich dadurch messbar. Das Vermögen in Deutschland ist gerechter verteilt, wenn mehr Menschen Eigentum
haben.
Zweitens. Das Risiko der Altersarmut wird deutlich geringer mit Wohneigentum, nicht nur für die Generation, die es schafft, sondern auch für die
Folgegenerationen.
({4})
Der dritte Punkt. Wir wissen, dass Viertel, die nicht nur sozial durchmischt sind, sondern auch durchmischt mit Eigentum und Mietwohnungen, deutlich
stabiler sind als einseitige Viertel.
Deswegen müssen wir Deutschland zur Eigentümernation machen.
({5})
Wir haben allerdings – das gehört zur Wahrheit dazu –, Stand heute – ja, die Ampel konnte es noch nicht ändern –, ein System, in dem wir das Bauen und
das Sanieren mit Milliarden subventionieren müssen und trotzdem noch das Wohnen mit Milliarden subventionieren müssen, weil in der Mitte ein hochkomplexes
System ist, in dem nicht günstig gebaut werden kann. Deswegen ist einer der wichtigsten Wege zu mehr Eigentum: schneller bauen, günstiger bauen und mehr
bauen.
({6})
Wir bauen in Europa. Deutschland – das müssen Sie sich mal auf der Zunge zergehen lassen – hat in Europa mit die dicksten Betondecken,
({7})
weil wir schalldichte Räume haben. In Österreich lässt es sich gut leben; in der Schweiz lässt es sich gut leben. Also, wir müssen mal ran an die
Frage, ob unsere Standards noch zeitgemäß sind.
({8})
Wir haben in Deutschland einen Brandschutz, der weit über dem Niveau vergleichbarer Länder liegt, die genauso wenig Brandtote haben wie wir. Da müssen
wir mal drüber reden.
({9})
Und wir haben ein Antrags- und Genehmigungsverfahren mit 20 000 Regeln, Normen, Gesetzen, sodass die Behörde sogar jeden einzelnen Baum und Strauch
auf dem Grundstück prüft. Das ist ein Wahnsinn, der uns Zeit und Geld kostet. Wenn wir günstiger bauen, können wir günstiger wohnen, und das müssen wir
machen.
({10})
Zu dieser grundsätzlichen Problematik kommt die traurige Situation hinzu, dass die Eigentumsquote in Deutschland auf dem zweitniedrigsten Wert in
Europa stagniert. Sie stagniert seit Jahren, obwohl Milliarden Euro in die Hand genommen wurden. Wenn wir Deutschland zur Eigentümernation machen wollen, müssen
wir es grundsätzlich anders machen.
Der einzige Punkt bei der AfD betrifft die Grunderwerbsteuer. Natürlich ist sie nicht, wie Sie es vorschlagen, auf null zu setzen,
({11})
aber sie ist zu liberalisieren, gerne, wie wir es im Koalitionsvertrag festgelegt haben, verbunden mit einer Reform der Share Deals, damit ein Paket
daraus wird. Liebe Union, weil Sie das ja auch wollen, treten Sie bitte mal Ihren Ländern in den Hintern, damit die dann liberalisierte Grunderwerbsteuer durch
einen Freibetrag auch an die Familien weitergegeben wird, die die Entlastung brauchen.
({12})
Ich möchte einen zweiten wichtigen Punkt ansprechen – das haben wir auf den Weg gebracht; Frau Staatssekretärin Kiziltepe ist da –: In der Phase
steigender Zinsen, in der wir jetzt sind, ist es wichtig, für Zinserleichterungen zu sorgen, damit den jungen Familien auf dem Weg zum Eigenheim nicht die Puste
ausgeht.
Der dritte Punkt, den ich für sehr relevant halte: Wir müssen bei der Frage „Wie viel Grundkapital, wie viel Eigenkapital muss ich auf dem Weg zum
Eigentum mitbringen?“ handeln. Ich kann mir da ein Bürgschaftsprogramm vorstellen. Diese 100 000 Euro, die man heutzutage als Startkapital auf dem Weg zum
Eigentum braucht, überfordern viele Familien.
Insgesamt ist das ein sehr wichtiges Thema. Der Klamauk der AfD wird diesem Thema nicht gerecht. Wir müssen nächstes Jahr intensiv darüber
diskutieren, wie wir bei der Eigentums- und bei der Baukostenfrage vorankommen. Wir als Ampelfraktionen freuen uns darauf. Wir laden auch gern die Union ein;
Sie haben manchmal – manchmal! – gute Ideen. Das Baukindergeld war keine, die 10 Milliarden Euro haben nichts gebracht; sei’s drum. Ich freue mich auf die
Debatte nächstes Jahr.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort erhält Franziska Mascheck für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie sagte es Goethe? „Töricht, auf Beßrung der
Toren zu harren!“ Leider habe ich nicht so viel Redezeit, um wieder mal so einen sinnbefreiten Antrag der AfD in seiner Torheit zu enttarnen.
({0})
Deshalb werde ich mich auf die gröbsten Fehlannahmen beschränken.
Vielleicht wollen Sie ja tatsächlich, dass etwas besser wird. Vielleicht wollen Sie, wie Goethe es vom Menschen sagt, vom Dunkeln ins Helle streben,
aber – es tut mir leid – es gelingt Ihnen einfach nicht.
({1})
Wenn das, was in Ihrem Antrag steht, wirklich Realität werden würde, wäre das das Ende für unsere kleinen Kommunen und die vielen Menschen, die dort
leben und arbeiten.
Vielleicht denken Sie ja: Wenn man die Grunderwerbsteuer abschaffen würde, könnte sich plötzlich jeder ein Haus leisten. – Das ist falsch. Denn ob man
ein Haus bezahlen kann und die Bank das genauso sieht, hängt nicht an der Grunderwerbsteuer, die in weniger angespannten Regionen ohnehin nicht so hoch ist,
sondern das hängt am Einkommen. Da würde es schon mal helfen, wenn Sachsen zum Beispiel nicht Billiglohnland bliebe.
({2})
Dann könnte sich nämlich eine kleine oder auch größere Familie, in welcher die Eltern zum Beispiel als Friseur oder Servicekraft oder in ähnlichen
Berufen arbeiten, endlich auch ein eigenes Haus leisten.
({3})
Sehen Sie, deshalb haben wir für den Mindestlohn gekämpft, und den haben wir als Ampel auch umgesetzt. Und dafür sage ich erst mal herzlich Danke!
Jetzt zur Grunderwerbsteuer und zur Grundsteuer. Die wollen Sie streichen. Das klingt gut, hat nur zwei Probleme:
Erstens. Das sind Einnahmen für unsere ohnehin klammen Kommunen, und zwar die einzigen, die auch vollständig da bleiben. Wenn also jemand mit Kindern
in so eine kleine Stadt zieht, dann braucht er eine Schule, einen Fußballverein, die Feuerwehr, die Kita. Was glauben Sie denn, wer das bezahlt?
({4})
Fragen Sie mal den Feuerwehrchef in meinem Dorf, ob er sich über Kürzungen freut, oder den Fußballverein, der vielleicht gerade um eine neue
Lichtanlage oder einen Rasen kämpft. Das fällt dann aus, weil die Kommune nicht mehr zahlungsfähig ist. Erzählt mal euren Wählern in Sachsen, was ihr vorhabt,
und erzählt insbesondere den Familien mit Kindern, dass die euch völlig schnurzpiepegal sind.
({5})
Oder sagt das mal den Seniorinnen und Senioren, die um jedes kleine Angebot in der Kommune ringen, oder dem Handwerker, der dann keine öffentlichen
Aufträge mehr von der Stadt bekommt.
Jetzt das zweite Problem. Sie sagen: Der Bund soll den Kommunen das Geld ersetzen. – Erzählt euren Wählern, erzählt denen, die euch wählen sollen,
dass euch die Bundesaufgaben egal sind, zum Beispiel soziale Unterstützung, Renten, Bahnverbindungen, Autobahnen, Bundesstraßen, schnelles Internet, Förderung
kleiner und mittelständischer Unternehmen, Unterstützung der Kommunen, bezahlbare Energieversorgung, Kitas, Bildung usw.
({6})
Geht raus, seid ehrlich, sagt das den Menschen, zeigt euer Gesicht! Diese Menschen, liebe AfD, sind Ihnen völlig egal!
({7})
Wiederum nicht egal ist Ihnen, die Taschen derer vollzustopfen, die ohnehin schon viel haben. Wenn sich nämlich jemand ein großes Grundstück mit einem
großen Haus kaufen kann, dann muss er eben auch mehr Steuern zahlen. Mit diesem Mehr an Steuern unterstützt er die, die nicht so viel Geld haben und auch in der
Kommune leben. Wer sich ein kleines Haus kauft, der zahlt eben weniger Steuern.
({8})
Liebe AfD, das ist soziale Gerechtigkeit! Aber das, liebe AfD, ist Ihnen völlig egal!
({9})
Und dann noch Ihr Bashing der energetischen Sanierung. Wissen Sie, bei mir im Wahlkreis gibt es einige Familien, die jetzt gerade heilfroh sind, dass
sie ihr Haus mithilfe von Bundesförderung gut gedämmt haben, dass sie nachhaltig gebaut haben, dass sie selbst Strom und Wärme erzeugen. Diese Familien freuen
sich jetzt gerade über niedrige Kosten für Energie. Das macht Eigentum bezahlbar.
({10})
Aber diese Familien sind Ihnen, liebe AfD, offensichtlich total egal.
Im Übrigen arbeiten wir gerade an einem Wohneigentumsprogramm; aber das nur nebenbei.
Sie kommen so scheinheilig daher; aber was Sie wirklich machen, ist, die Leute für dumm verkaufen. Ich sage Ihnen was: Die Leute sind nicht dumm. –
Das würden Sie im Übrigen feststellen, wenn Sie endlich anständige politische Arbeit machen würden.
({11})
Nur, das machen Sie nicht. Das kann ich Ihnen für Regionen in Sachsen bestätigen. Sie sitzen hier und kassieren Hunderttausende Euro Steuergeld, und
Sie rühren nicht einen Finger für die Menschen in Sachsen.
({12})
Ich sage Ihnen: Das ist Verbrennen von Steuergeld. Vielleicht sollten wir dort mal anfangen, zu sparen.
Liebe AfD, mit Ihnen gehen in Deutschlands Kommunen die Lichter aus, und dann wird es in Sachsen richtig dunkel. Um es mit Goethe zu sagen: „Man
möchte rasend werden!“
Vielen Dank und gute Nacht!
({13})
Für die CDU/CSU Fraktion erhält jetzt das Wort Ulrich Lange.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße alle im Deutschen Bundestag und nicht im Sächsischen Landtag. Schön, dass wir heute
Abend hier über Bundespolitik reden! Herzlich willkommen im Deutschen Bundestag!
({0})
Es ist auch ein großer Unterschied – da brauchen Sie sich gar nicht aufzuregen – zwischen seriöser und populistischer Opposition; das werde ich Ihnen
jetzt mal gleich sagen. Und lieber Kollege, 15 Jahre Verantwortung der SPD im Bauministerium seit Helmut Kohl:
({1})
Es war wesentlich Ihre Baupolitik, über die wir da heute diskutieren. Das muss ich Ihnen auch mal am Anfang einer solchen Debatte sagen.
({2})
– War wohl ein Treffer, liebe Frau Kollegin.
Lieber Kollege Föst, dass Sie bei der Baupolitik in der falschen Koalition sitzen, haben Sie mit Ihrer Rede gerade mal wieder bewiesen.
({3})
Die Türen sind offen. Vielleicht bauen Sie dann wirklich mehr.
({4})
Zur Grunderwerbsteuer kann ich nur sagen: Die günstigste Grunderwerbsteuer finden Sie in Bayern.
({5})
Herzlich willkommen im Freistaat und im Freistaat Sachsen! Hier können Sie bei der Grunderwerbsteuer fair behandelt werden.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Abschaffung der Grundsteuer allerdings ist sehr wohl ein Angriff auf die kommunale Selbstverwaltung; das muss ich
an dieser Stelle durchaus unterstreichen. Und da sieht man natürlich, dass die hier ganz rechts außen eben nicht in den Kommunen die Verantwortung für die
Finanzierung innerhalb der kommunalen Familie tragen, und, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist gut so, und das sollte auch so bleiben.
({7})
Es scheint natürlich in der DNA der Antragsteller zu liegen: Klima und Umwelt sind egal. – Das zeigt der Vorschlag, das Gebäudeenergiegesetz und
weitere Gesetze außer Kraft zu setzen.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dann geht es nach dem Motto: Wer sich einen hochwertigen, energetisch guten Bau leisten kann, der bekommt das, und die
anderen bekommen das nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das hat nichts mit Solidarität und auch nichts mit Sozialstaat zu tun, wie wir ihn als
Unionsparteien auch in der Baupolitik verstehen.
Wir sind allerdings auf der anderen Seite auch gegen unrealistische Ziele, gegen unnötige Verteuerungen. Ich sage Ihnen aber ganz offen:
Klimapolitische Ziele deshalb über Bord zu werfen, ist gefährlich und verantwortungslos.
({9})
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Dieser Antrag, der heute Abend vorliegt, ist nur abzulehnen.
Auf der anderen Seite – und das ist an die jetzt gut ein Jahr regierende Koalition gerichtet –:
({10})
Sie sind diejenigen, die wirklich dazu beitragen, dass die Menschen nicht mehr im eigenen Heim leben können.
({11})
Förderchaos seit Januar: Lediglich 350 Millionen Euro für den Neubau von wirklichen Einfamilienhäusern. 10 Milliarden Euro haben wir in den letzten
Jahren – übrigens zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen der SPD – für das Baukindergeld gegeben, einem Programm für mehr als 300 000 junge Familien, um im
eigenen Heim glücklich zu leben, ihren Traum zu erfüllen. Das war unsere Politik, und das trägt weiter die Handschrift der Union. Dazu stehen wir. Das ist
richtig. So was wollen wir fortsetzen. Daran glauben wir.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie jetzt mit der Neubauförderung die Förderung zum Kauf von Bestandsimmobilien nicht möglich machen, dann führt
das letztlich dazu, dass nur das Neubaugebiet auf der grünen Wiese und auf dem Acker für die Familie attraktiv ist. Das kann doch nicht grüne Politik sein, was
Sie uns hier verkaufen wollen. Der Ansatz ist falsch.
({13})
Aber da zeigt sich mal wieder: Klima – Sanierung über Habeck; Eigentumsförderung – Ausfall über das Bauministerium. Der dauerhafte Konkurrenzkampf
dieser Häuser muss enden! Er schadet den Menschen. Er schadet dem Bau. Er schadet den Familien. Deshalb kann ich nur empfehlen: Stimmen Sie unserem Antrag für
das Eigenheim zu!
Danke schön.
({14})
Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist Christina-Johanne Schröder für Bündnis 90/ Die Grünen.
({0})
Guten Abend, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir ist es ganz wichtig, noch mal auf den Beginn der Debatte zurückzukommen; denn
das, was die AfD hier an angeblichen Statistiken vorgetragen hat, ist nirgendwo zu verifizieren.
({0})
Es gibt sehr gute Statistiken wie die von Eurostat. Es gibt lauter Statistiken über das Medianvermögen. Und das ist wesentlich falsch: Dieses
Horrorszenario, was über Deutschland gemalt wurde, stimmt nicht.
({1})
Die AfD macht Politik mit diesen Horrorszenarien.
Was tatsächlich aber passiert ist – Frau König, das wird jetzt unser Hobby, dass ich Sie anspreche und Sie weggucken, wenn ich rede –, ist, dass die
soziale Ungleichheit während der Zeit unter der Union gewachsen ist. Und soziale Ungleichheit führt eben direkt zu einer geringeren Eigentumsquote. Diesen
Zusammenhang kann man einfach nicht leugnen.
({2})
Deswegen ist es gut, dass wir eine umfassende Sozialpolitik machen mit einer Kindergelderhöhung, mit Steuererleichterungen für Alleinerziehende, mit
Wohngeld, von dem ja auch Eigentümer/innen profitieren. All das sorgt dafür, dass Menschen eher eine soziale Sicherung haben und soziale Gleichheit gegeben
ist.
Warum gibt es eigentlich eine relativ geringe Eigentumsquote? Das hat in Deutschland historische Gründe. Da ist eine Ungleichverteilung von Boden, die
übrigens immer noch wächst. Da ist die Zerstörung nach dem Krieg, den – ich möchte Sie nur daran erinnern – Deutschland begonnen hat, der viele Millionen Tote
gekostet hat. Aber es ist auch eine Erbenpolitik. Unser Kollege Kassem Taher Saleh hat in unserem – noch – nichtöffentlichen Ausschuss eine Rechnung aufgemacht,
und die ist doch bemerkenswert: Aktuell kann jemand von beiden Elternteilen alle zehn Jahre je 400 000 Euro steuerfrei erben. Das heißt: Zum 20. Geburtstag kann
man Immobilien im Wert von 2,4 Millionen Euro steuerfrei geerbt haben oder geschenkt bekommen haben. Das sorgt natürlich auch für eine Ungleichheit und eine
geringe Eigentumsquote.
Die Deutsche Bank hat neulich analysiert, warum die Eigentumsquote so gering ist, und sie hat festgestellt: Das liegt auch daran, dass wir die
Investments in Mieten, in den Mietmarkt so attraktiv machen. Der Umkehrschluss ist: Wir müssen dieses Miet-Business eben weniger attraktiv machen. Das kriegen
wir hin, indem wir endlich das Mietrecht stärken.
({3})
Was mir noch wichtig ist: der Klimaschutz. Auch der ist mir ganz wichtig, weil wir erleben – und zwar nicht nur in Deutschland, sondern weltweit –,
dass fehlender Klimaschutz Eigentum und Vermögen zerstört, nicht schafft.
({4})
Dass Ihre Forderung eine Frechheit gegenüber den Kommunen ist, möchte ich an dieser Stelle auch einmal erwähnen, und ich bedanke mich für diese
konstruktive und demokratische Debatte zu einem unsäglichen Antrag.
({5})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! 30 Jahre nach dem ersten Weltnaturgipfel in Rio trifft sich die Weltgemeinschaft ab
der nächsten Woche in Montreal zur 15. Biodiversitätskonferenz. Die Präsidentin hat es gerade schon gesagt: Wir brauchen dort nichts weniger als einen
Paris-Moment für die Natur.
({0})
Für die Initiative und auch für die Arbeit am vorliegenden Antrag bin ich meinem Kollegen Dr. Jan-Niclas Gesenhues überaus dankbar. Krankheitsbedingt
kann er diesen Antrag heute leider nicht selber einbringen. Ich wünsche ihm von dieser Stelle aus gute und baldige Genesung.
({1})
Die Wissenschaft schlägt Alarm. In einer Frankfurter Erklärung heißt es:
Derzeit steuern wir auf … einen Verlust von einer Million Arten bis zum Ende des Jahrhunderts zu.
Das ist eine existenzielle Krise für die gesamte Menschheit, weil wir für saubere Luft, für ausreichend und gutes Trinkwasser, für unser tägliches
Brot funktionierende, intakte Ökosysteme brauchen.
Wie sehr wir uns durch das menschengemachte Artensterben selber gefährden, bringt der Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung,
Klement Tockner, auf den Punkt – ich zitiere –:
Wenn wir jetzt nicht eine grundlegende Veränderung hin zu einer natur-positiven Wirtschaft vollziehen, dann wird ... – das Zeitalter des Menschen –
zur kürzesten Epoche der Erdgeschichte!
Deshalb müssen wir handeln!
({2})
Wir sind auf Biodiversität angewiesen wie der Fisch auf das Wasser. Wir brauchen Biodiversität für die zwingend notwendige Klimaanpassung, und wir
brauchen sie auch für den Klimaschutz; denn ohne den natürlichen Klimaschutz, den wir als Ampelkoalition jetzt anstoßen, werden wir die Klimaziele nicht
erreichen können. Diese naturbasierten Lösungen, die schützen das Klima, sie helfen bei der Anpassung an das Klima, und sie retten auch die Biodiversität.
Eine weitere Erklärung zur COP 15, die Berliner Erklärung, fordert – frei nach Willy Brandt –: „Mehr Natur wagen“. Wir brauchen wirksamen Schutz für
wesentliche Teile der Land- und Meeresökosysteme, und zwar schnell. 30 Prozent bis 2030 sind laut Wissenschaft nötig, um die Naturkatastrophe zu verhindern.
Die Expertinnen und Experten fordern darüber hinaus, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen politisch so zu setzen, dass sich künftig besagtes
natur-positives Wirtschaften lohnt. Dafür seien alle umweltschädlichen Subventionen schnellstmöglich abzubauen; sonst wird alles Notwendige und Gutgemachte an
Regulatorik ihr Ziel verfehlen.
Der grenzenlose Naturverbrauch hat im Übrigen auch die Gefahr immer häufigerer Zoonosen verschärft. Genau diese haben dann das Zeug, zu Pandemien wie
der Covid‑19-Pandemie zu führen.
Naturschutz ist also auch Gesundheitsschutz. Das zeigt sich auch am Beispiel Mittelamerikas, wo der Rückgang von Amphibienarten zu häufigeren
Malariafällen geführt hat. Deshalb ist der One-Health-Ansatz, der im Antrag genannt ist, auch so enorm wichtig.
({3})
Also: Es bedarf einer verbindlichen globalen Vereinbarung historischen Ausmaßes zum Schutz der Natur; die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen.
Ich bin froh, dass die zugesagte Erhöhung des Finanzierungsbeitrags auf 1,5 Milliarden Euro jährlich hier greifen wird und dass wir das in Montreal verkünden
können.
Aber lassen Sie mich zum Ende noch eines sagen: Das Werben Deutschlands für den Tiger- und Elefantenschutz –
Das muss jetzt aber schnell gehen, bitte.
– hat keinen Wert, wenn wir bei uns, sobald der Wolf auftaucht, rufen. Ich bin sehr froh, dass das BMEL aus der dubiosen Jagdorganisation CIC, die
für Trophäenjagd, Jagd auf Elefanten und Nashörner, wirbt, –
Jetzt müssen Sie bitte zum Ende kommen.
– ausgetreten ist. Das ist ein guter Beitrag.
Danke schön.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sehen an Ihrem Antrag, liebe Ampelkoalition, dass Sie zahlreiche Ihrer
Forderungen, beispielsweise jene, 30 Prozent der Land- und Wasserfläche unter Schutz zu stellen, oder jene, den Privatsektor in den Naturschutz einzubeziehen,
schlichtweg aus der Schublade „Wiedervorlage“ von Kanzlerin Merkel und Bundesentwicklungsminister Müller herausgeholt haben.
({0})
Das zeigt uns, liebe Ampel, dass die Handschrift der Union nachhaltig wirkt. 16 Jahre Bundesregierung unter Angela Merkels Führung haben in der
internationalen Klima- und Artenschutzpolitik Zeichen gesetzt.
({1})
Doch Ihr Antrag bleibt gerade bei der zentralen Finanzierungsfrage sehr im Vagen. Bundeskanzler Olaf Scholz – Herr Ebner, Sie haben es angedeutet –
hat zwar ab 2025 jährlich 1,5 Milliarden Euro für den Biodiversitätsschutz zugesagt; das ist sicherlich ein ermutigendes Signal. Doch woher sollen diese Gelder
kommen? Allein der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung schrumpft nämlich bis 2026 um fast 2 Milliarden Euro.
({2})
Sie reden also von mehr Geld, stellen aber weniger im Haushalt bereit. Das passt nicht zusammen, meine Damen und Herren.
({3})
Das Ziel der Vereinten Nationen, den dramatischen Artenverlust zu stoppen, wurde indes trotz aller Anstrengungen nicht erreicht. Insgesamt sind
1 Million Arten vom Aussterben bedroht. Das verdeutlicht uns, dass wir international zügig eine Einigung finden müssen. Und es gibt ja auch Erfolge. Bei der
Konferenz zum Washingtoner Artenschutzübereinkommen wurden 450 weitere Tier- und Pflanzenarten unter Schutz gestellt. Dieser Beitrag sollte für die deutsche
Delegation bei der anstehenden Weltnaturkonferenz in Montreal Ansporn und Motivation sein.
Im vorliegenden Antrag geben Sie nun, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel, der Bundesregierung ein umfassendes Aufgabenheft an die Hand. Die
Absicht Ihres Antrags mag dabei in der Grundausrichtung richtig sein. Deshalb werden wir auch zustimmen. Aber was nützen all Ihre Forderungen, wenn aus Montreal
die Bundesministerinnen Lemke und Schulze mit denselben leeren Händen zurückkommen wie die Ministerinnen Baerbock und Schulze von der Klimakonferenz in Scharm
al-Scheich?
({4})
Weniger Schaufenster und mehr Substanz wären für die internationalen Bemühungen im Artenschutz erfolgreicher.
Vielleicht sollten Sie den Titel Ihres Antrages „Ein Paris-Moment für die Natur“ überdenken; denn die Pariser Klimaschutzziele werden Sie durch Ihre
Verweigerungshaltung bei der AKW-Verlängerung krachend verfehlen. Wer Braunkohle einer klimaneutralen Energieform vorzieht, verabschiedet sich von den Pariser
Klimazielen. Solch einen Paris-Moment wollen wir der Artenvielfalt auf unserem Planeten in jedem Falle nicht auch noch zumuten.
({5})
Ich danke Ihnen.
({6})
Vielen Dank, Herr Kollege Mack. – Sie sehen, die Sitzungsleitung hat gewechselt.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Lina Seitzl, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Pünktlich zum Auftakt der 15. Weltnaturkonferenz in
Montreal bringen wir einen Koalitionsantrag auf den Weg, der wichtige Eckpunkte zum Schutz der weltweiten Artenvielfalt definiert. Warum das so wichtig ist,
wurde an mehreren Stellen schon gesagt. Ich möchte zwei Punkte noch mal betonen.
Intakte und vielfältige Ökosysteme speichern Kohlenstoff und helfen, die Folgen des Klimawandels zu bekämpfen. Besonders Wälder und Moore spielen
hierfür eine wichtige Rolle. Deshalb müssen die Klimakrise und das Artensterben auch immer zusammen adressiert werden.
({0})
Und: Biologische Vielfalt ist für die körperliche, geistige und soziale Gesundheit von Menschen essenziell. Der Schutz der Artenvielfalt ist auch
aktiver Gesundheitsschutz. 75 Prozent der neu auftretenden Infektionskrankheiten wurden ursprünglich von Tieren auf die Menschen übertragen, weil wir die
Lebensräume wilder Tiere und die natürliche Ökosystembalance zerstören.
Nach zwei Jahren pandemiebedingter Verzögerung hat die Weltgemeinschaft jetzt eine einmalige Chance, einen ambitionierten Rahmen zum Schutz der
biologischen Vielfalt zu beschließen. Unser zentrales Ziel ist es, 30 Prozent der Landes- und Meeresfläche unter Schutz zu stellen und zerstörte Ökosysteme
wieder in ihren natürlichen Zustand zu bringen. Das wird uns sowohl beim Arten- als auch beim Klimaschutz helfen.
({1})
Ein Verhandlungserfolg muss aber mehr beinhalten als die Festschreibung des 30-Prozent-Ziels. Damit diese Konferenz eine wirkliche Veränderung
anstoßen kann, braucht es überprüfbare Indikatoren und eine transparente Berichterstattung. Die Qualität der Schutzgebiete spielt dabei eine besondere Rolle.
Das stellt die Akteure vor Ort vor besondere Herausforderungen. 80 Prozent der biologischen Vielfalt befindet sich auf indigenem Land. Das traditionelle Wissen
von indigenen Völkern ist ein wichtiger Baustein für einen nachhaltigen und fairen Naturschutz. Deswegen fordern wir in unserem Antrag auch besondere Rechte für
die indigene Bevölkerung; denn der Artenschutz kann nur in einem Dialog auf Augenhöhe gelingen.
({2})
Der Zugang zu den digitalen Sequenzinformationen muss für Bildungs- und Forschungseinrichtungen offen bleiben. Dabei müssen selbstverständlich die
Länder des Globalen Südens, die über eine große Artenvielfalt verfügen, einen gerechten Vorteilsausgleich für die Nutzung dieses natürlichen Schatzes
bekommen.
Sehr geehrte Damen und Herren, Artenschutz ist eine Frage der internationalen Solidarität. Deutschland ist einer der größten Geber im Bereich des
internationalen Naturschutzes, und ich begrüße ausdrücklich, dass die Bundesregierung ihrer Verantwortung für den Artenschutz im Rahmen der
Entwicklungszusammenarbeit nachkommt. Wir setzen auf langfristige Finanzierungsmodelle und auf die Zusammenarbeit mit privaten Gebern. Leuchtturmprojekte wie
der Weltnaturerbefonds tragen zur Planungssicherheit und Nachhaltigkeit bei. Die Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz, den deutschen Beitrag zur
internationalen Finanzierung der biologischen Vielfalt bis 2025 auf 1,5 Milliarden Euro pro Jahr zu erhöhen, bringt Hoffnung auf einen Verhandlungserfolg in
Montreal.
({3})
Sehr geehrte Damen und Herren, wir leben in einem Zeitalter der Menschen. Dabei bilden die Natur und der Artenschutz unsere Lebensgrundlage. Es ist
deshalb Zeit für eine besondere Art der Gleichberechtigung. Tiere, Pflanzen, Kleinstlebewesen sind nicht dazu da, uns das Leben zu ermöglichen. Es geht darum,
dass alle das Recht darauf haben, auf diesem Planeten zu leben.
Mit dem 30-Prozent-Ziel, mit wirksamen Umsetzungsmechanismen, mit langfristigen Finanzierungsmodellen für den internationalen Artenschutz werden wir
noch mehr Erfolge erreichen. Es ist Zeit für ein Paris-Moment für die Biodiversität.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Die Redner halten alle Ihre Redezeiten ein; das ist erfreulich.
Nächster Redner ist der Kollege Andreas Bleck, AfD-Fraktion.
({0})
Werter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Antragsteller, SPD, Grüne und FDP, fordern ein Paris-Moment für den Schutz der
biologischen Vielfalt. Damit würden die Antragsteller der biologischen Vielfalt jedoch einen Bärendienst erweisen; denn das Pariser Übereinkommen stellt kein
wirksames Klimaschutzkonzept, sondern ein internationales Transferleistungskonzept dar.
({0})
Es verpflichtet die angeblichen Täter zu Transferleistungen an die angeblichen Opfer.
Das Problem: Der größte CO2-Emittent, die Volksrepublik China, kann bis 2030 unbegrenzt CO2 emittieren und weigert sich, Transferleistungen zu zahlen.
Kurz: Das Pariser Übereinkommen ist keine Blaupause für den Schutz der biologischen Vielfalt.
({1})
Das von den Antragstellern geforderte Paris-Moment wäre für die biologische Vielfalt vielmehr ein Waterloo-Moment.
Die Antragsteller werben auch für eine enge Verknüpfung von Klima und biologischer Vielfalt. In Deutschland gibt es beim Klimaschutz und Artenschutz
jedoch Zielkonflikte. So werden knappe und kostbare Flächen für die sogenannte Energiewende genutzt, zulasten von Vögeln, Fledermäusen und Insekten. Frankreich,
die Niederlande und Polen gehen einen anderen Weg. Mit dem Bau und Betrieb von CO2-armen und grundlastfähigen Kernkraftwerken werden knappe und kostbare Flächen
geschont und damit der Klimaschutz, die Versorgungssicherheit und der Artenschutz gestärkt: eine Win-win-win-Situation.
({2})
Die Bundesregierung hat Deutschland mit ihrer ideologischen Verbohrtheit jedoch in eine Lose-lose-lose-Situation gebracht. Das ist die Realität.
({3})
Werte Kolleginnen und Kollegen von SPD, Grünen, FDP, Ihr artenschutzpolitisches Zeugnis ist mangelhaft. Und weil Ihre Politik zum Schutz der
biologischen Vielfalt in der Heimat ein Misserfolg ist, suchen Sie den Erfolg nun in der Ferne. Doch die von Ihnen geforderten Maßnahmen gehen kaum über
Allgemeinplätze, Unklarheiten und vor allem Transferzahlungen hinaus.
({4})
Sie wollen 30 Prozent der Land- und Meeresflächen bis 2030 unter Schutz stellen. Doch der Teufel steckt ja, wie so oft, im Detail; denn eine
Unterschutzstellung bedeutet ja eben nicht automatisch, dass die industrielle sowie die land- und forstwirtschaftliche Nutzung stark eingeschränkt oder
untersagt sind. Das beste Beispiel ist Deutschland; denn bei uns werden Windkraftanlagen in Meeresschutzgebieten gebaut, zulasten von streng geschützten
Meeresvögeln und Meeressäugetieren. Auf so eine Dummheit kommen nur wir.
({5})
Wie wollen Sie, werte Kolleginnen und Kollegen, in der Ferne eigentlich glaubhaft die biologische Vielfalt schützen, wenn Sie die biologische Vielfalt
in der Heimat auf dem Altar der sogenannten Energiewende opfern?
Die Alternative für Deutschland vertritt eine Politik im Interesse unseres Landes und unserer Bürger. Das Geld zum Schutz der biologischen Vielfalt,
das die Antragsteller mit der Gießkanne der Wohltätigkeit über die ganze Welt verteilen wollen, möchten wir in Deutschland einsetzen. Das Geld wird für die
Anpassung an den Klimawandel, kooperative Ansätze beim Artenschutz gemeinsam mit der Land- und Forstwirtschaft sowie bei der Bekämpfung –
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
– von invasiven, gebietsfremden Arten dringend benötigt.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Bleck. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christoph Hoffmann, FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Jetzt zeige ich Ihnen mal was, Herr Bleck. Schauen Sie mal her!
({0})
– Was ist das? Das ist ein Klettband.
({1})
Und wer hat es erfunden? Die Natur, die Evolution. Und das ist Biodiversität, wie wir sie brauchen.
({2})
Die Menschheit hat diese Idee kopiert und sich zunutze gemacht. Und in der Natur liegen noch viele weitere Schätze, nicht nur für die Menschen,
sondern für ganze Ökosysteme. Deshalb brauchen wir diesen Schutz der Biodiversität.
({3})
Der vorliegende Antrag leistet dazu, meine Damen und Herren, gerade auch im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, einen wichtigen Beitrag.
({4})
Die tropischen Regenwälder in Indonesien, im Kongobecken oder in Brasilien sind die genetischen Küchen, aber gleichzeitig auch die genetischen
Tresore. Deshalb bin ich sehr froh, dass Kanzler Scholz auf der COP 27 die Mittel für den globalen Waldschutz noch mal verdoppelt hat. Das ist klug und gut.
({5})
In den Regenwäldern finden Sie auch neue genetische Informationen für Medikamente, die wir via Biotechnologie gewinnen können. Und auch das
berücksichtigt unser Antrag heute.
Wir werden die Biodiversität auch brauchen, um die Welternährung sicherzustellen. Viele Pflanzen und auch deren Eigenschaften kennen wir heute noch
nicht en détail, auch die genetischen Informationen nicht. Aber genau diese Pflanzen bieten das Potenzial, Erträge zu steigern und den Hunger zu besiegen. Das
ist und bleibt unser Ziel, auch in diesem Antrag, der dieses Bemühen flankiert. Der Hunger kann besiegt werden, auch mit Biodiversitätsschutz.
({6})
Um in der Entwicklungszusammenarbeit den Schutz der Biodiversität voranzubringen, werden wir mehr auf die Stimmen der Menschen vor Ort hören müssen;
denn für dieses globale Problem braucht es lokale Lösungen, nicht nur aufseiten der indigenen Bevölkerung. Auch Partnerregierungen haben inzwischen erkannt, wie
wichtig der Schutz und der Erhalt der Artenvielfalt sind. Doch dabei gilt es mehr als bisher, unsere Partner bei der Erarbeitung und vor allem bei der Umsetzung
nationaler Strategien zum Schutz dieses Reichtums zu unterstützen. Aber erfolgreich wird das nur sein, wenn die Landnutzung in den Händen der Menschen vor Ort
bleibt und sie den Schutz der Biodiversität nicht elitär aus Europa vorgeschrieben bekommen;
({7})
denn Menschen in Tansania, in Namibia, in Kenia haben Lösungen: zum Beispiel, indem sie mit nachhaltiger Jagd Wildbestände schützen und nützen. Und
dafür sollten wir dankbar sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Verlust der Artenvielfalt ist dramatisch. Das sehen wir nicht nur an unseren Frontscheiben, die in früheren
Sommern dicht voller Insekten waren und heute kaum mehr mit Insekten belegt sind. Die anstehende Biodiversitäts-COP gibt uns die Möglichkeit, den genetischen
Reichtum der Erde zu bewahren. Lassen Sie uns diese Chance nicht vertun, und kämpfen wir für eine intakte Natur und für ein Paris-Moment auf dieser COP! Stimmen
Sie unserem Antrag zu!
({8})
Vielen Dank, Herr Kollege Hoffmann. – Nächster Redner ist der Kollege Ralph Lenkert, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Deutschland und die EU verfehlen das Ziel, den Artenschwund in Deutschland und Europa zu
stoppen. Viele Pflanzen- und Tierarten verschwinden still, unbemerkt. Der Bundestag fordert zu Recht mehr internationalen Einsatz für Artenschutz, für
Biodiversität.
({0})
Aber wie glaubwürdig ist das, wenn man selbst die Ziele verfehlt?
({1})
Von ursprünglich 105 deutschen Süßwasserfischarten sind 10 ausgestorben, 70 stark bedroht. Der Kampf um den Erhalt von Eisvogel und Fischadler wird
scheitern, wenn die Fische fehlen. Weniger Schadstoffe in Gewässern und eine Renaturierung der Flüsse helfen Äsche, Aal und Adler. Der Ostseedorsch stirbt aus.
Klimaerwärmung stört seine Fortpflanzung, Überfischung dezimiert die Bestände, Schleppnetzfischerei und Baggerarbeiten zerstören seinen Lebensraum.
Die Linke schlägt Naturschutzgebiete ohne Nutzung in der Ostsee vor. Wir fordern, dass Küstenfischer als Rancher und für die Müllbeseitigung bezahlt
werden, mindestens bis die Dorsch- und anderen Fischbestände sich erholt haben.
({2})
Machen wir unsere Hausaufgaben! Das überzeugt andere Länder mehr als reine Appelle.
Geehrte Bürgerinnen und Bürger, viele von Ihnen haben zu Recht Bedenken bei Genmanipulationen an Tieren und Pflanzen. Ich zitiere aus dem Antrag der
Koalition zur Biodiversitätskonferenz:
Der … Bundestag fordert …,
… die Erforschung biotechnologischer Verfahren in allen Anwendungsgebieten zu unterstützen und die Ergebnisse anzuerkennen; …
({3})
Die Unterstützung von Gentechnik in einem Antrag zur Biodiversität zu verstecken, ist dreist.
({4})
Diese Forderung im Antrag, Kolleginnen und Kollegen von SPD, FDP und Grünen, könnte man so interpretieren, als ob Sie genmanipulierte Organismen als
Bestandteil der Biodiversität betrachteten – echt gruselig.
({5})
Die Linke lehnt diesen Antrag daher ab.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank, Herr Kollege Lenkert. – Nächster Redner ist der Kollege Daniel Schneider, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Weltmeere bedecken über 70 Prozent unseres Planeten und
sind für das ökologische Gleichgewicht der Erde sowie unser Überleben von allergrößter Bedeutung. Wenn wir unseren Kindern und Enkelkindern einen lebenswerten
Planeten hinterlassen wollen, dann müssen wir unsere Meere viel besser schützen.
Dank ihrer biologischen Vielfalt bieten unsere Ozeane Milliarden von Menschen eine unverzichtbare Existenzgrundlage. Sie sind Nahrungsquelle und
Energielieferant. Sie sind weltweit größter Sauerstoffproduzent und größter CO2-Speicher. Sie sind unsere wichtigsten natürlichen Verbündeten im Kampf gegen die
Klimakrise.
({0})
Dennoch schützen wir unsere Meere kaum, und der Druck steigt. Wir setzen uns deshalb für effektiven Schutz von mindestens 30 Prozent unserer Weltmeere
bis 2030 ein. Ein Drittel davon – das sind 10 Prozent – müssen wir streng schützen. Das ist ein ambitionierter Plan, quantitativ wie auch qualitativ; denn
bisher schützen wir nur knapp 8 Prozent der Weltmeere und nur etwa 2,8 Prozent streng.
Dabei ist es wichtig, wo die Meeresschutzgebiete entstehen; denn die Biodiversität ist nicht überall gleich verteilt. So gibt es „blaue Wüsten“ in den
Ozeanen, wo sich kaum höhere Lebewesen aufhalten. Andererseits existieren in der marinen Welt auch megadiverse Ökosysteme, etwa Korallenriffe, Unterseegebirge
oder besonders wertvolle Küstenlebensräume, so wie bei uns in der Nordsee das UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer, welches wir gemeinsam mit unseren Partnern in den
Niederlanden und Dänemark ganz besonders schützen müssen.
Zudem ist es wichtig, wie die ausgewiesenen Meeresschutzgebiete geschützt werden; denn häufig existiert der Meeresschutz leider nur auf dem Papier. Um
die wertvolle Flora und Fauna zu schützen, müssen wir die menschlichen Aktivitäten wie Fischerei, insbesondere Grundschleppnetzfischerei, Rohstoffabbau oder
Schifffahrt in den Schutzgebieten teilweise einschränken oder auch untersagen. Ohne die Einrichtung sogenannter No-Take-Zonen werden wir unsere Ziele nicht
erreichen.
Wir brauchen verpflichtende Managementpläne für alle Meeresschutzgebiete und ein lernendes System, um zu schauen, welche Nutzungen mit unseren Zielen
im Einklang stehen oder welche sich generell ausschließen. Dann schaffen wir es übrigens auch, dass sich die Fischbestände nicht nur in den Schutzgebieten,
sondern überall auf der Welt regenerieren. Das ist auch das, was wir wollen.
Von großer Bedeutung ist übrigens auch das geplante BBNJ-Abkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt auf hoher See, also jenseits nationaler
Zuständigkeiten – ein noch fehlendes internationales Rahmenwerk für 43 Prozent der Erdoberfläche.
Auf der diesjährigen UN Ocean Conference sagte Generalsekretär António Guterres in eindringlichen Worten: „We face … an ocean emergency.“
Meine Damen und Herren, wir müssen zum Handeln kommen.
Herzlichen Dank.
({1})
Vielen Dank, Herr Kollege Schneider. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Alexander Engelhard, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir haben die Bedeutung der Biodiversität für
gesunde Ökosysteme längst erkannt. Es war die CDU/CSU-geführte Bundesregierung, die das Ziel, 30 Prozent der Fläche an Land und im Meer in Deutschland unter
Schutz zu stellen, bereits erreicht hat.
({0})
Und es war in vielen Bereichen die Arbeit des CSU-Entwicklungshilfeministers Gerd Müller, auf die Sie aufbauen können. Dessen Handschrift ist in
diesem Antrag klar erkennbar. Es bestehen daher keine Zweifel, dass wir uns zum ambitionierten Schutz der biologischen Vielfalt weltweit bekennen und diesem
Antrag zustimmen werden.
Dennoch handeln Sie nicht konsequent genug. Die grundsätzliche finanzielle Kritik hat mein Kollege Klaus Mack schon angesprochen. So begrüßen Sie in
Ihrem Antrag unter Punkt II.2, dass jährlich 1,5 Milliarden Euro für den Biodiversitätsschutz bereitgestellt werden sollen – interessanterweise erst ab 2025,
also erst dann, wenn Sie nicht mehr regieren.
({1})
Wenn wir schon bei Inkonsequenzen sind: Sie behindern mit Ihrer aktuellen Umwelt- und Landwirtschaftspolitik die Produktion bei uns und provozieren
für geringfügige ökologische Gewinne große Verlagerungseffekte. Egal ob Obst, Gemüse oder Fleisch: Der Verlust an Biodiversität ist in den meisten anderen
Produktionsländern deutlich größer; denn einen entsprechenden Rückgang der Nachfrage kann ich nicht erkennen. Vielmehr verlagert sich durch Ihre Politik
lediglich die Erzeugung in andere Länder.
({2})
Zusätzlich zu diesen Effekten beschreiben Sie in Ihrem Antrag den steigenden Bedarf an Nahrung, Energie und Wohnen durch die wachsende
Weltbevölkerung. Ökologisch betrachtet ist die Produktion an unserem Gunststandort in Mitteleuropa in der globalen Biodiversitätsbilanz deutlich positiver.
Auch Sie als Bundesregierung weisen in Ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage zur EU-Biodiversitätsstrategie darauf hin, dass sich die Erhöhung von
Biodiversität und eine nachhaltige Bewirtschaftung nicht ausschließen. Deshalb müssen wir gemeinsam mit unseren Land- und Forstwirten daran arbeiten, unsere
Produktion zwar nachhaltiger zu machen, dabei aber wettbewerbsfähig zu bleiben. Das schaffen wir jedoch nicht mit zusätzlichem Ordnungsrecht, sondern mit den
richtigen Anreizen und einem ganzheitlichen, kooperativen Ansatz.
({3})
Entscheidend wird sein, wie Sie den Antrag umsetzen.
Viel Erfolg!
({4})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 16 : 0 – das ist nicht das Resultat des heutigen Fußballspiels.
({0})
Nein, das ist das Ergebnis, mit dem der Bundesrat kritisch Stellung zum EU-Vorschlag zur Schaffung eines gemeinsamen Rahmens für Mediendienste im
Binnenmarkt – European Media Freedom Act – bezogen und somit einstimmig eine Subsidiaritätsrüge ausgesprochen hat. Dass dieses Ergebnis mehr als eine Randnotiz
für den Deutschen Bundestag sein sollte, ist für uns als CDU/CSU-Fraktion aufgrund der hier vorliegenden Zuständigkeit der Länder selbstverständlich.
({1})
Wir befürworten und unterstützen das grundsätzliche Anliegen der Kommission, vielfältige und unabhängige Medien in Europa zu gewährleisten. Allerdings
gibt es aus unserer Sicht für den vorliegenden Verordnungsvorschlag keine ausreichende Kompetenzgrundlage. Die Kulturhoheit und damit die Kompetenz für die
Medienregulierung liegt allein bei den Mitgliedstaaten. Der Verordnungsvorschlag greift massiv in den Kernbereich des Rechts der Mitgliedstaaten, im Falle von
Deutschland in die Kulturhoheit der Bundesländer ein.
In den vergangenen Jahrzehnten haben wir in Deutschland ein europaweit einzigartiges System der Medienaufsicht etabliert, welches von Dezentralität,
Subsidiarität und Staatsferne gekennzeichnet ist. Wir sind damit Vorreiter in Europa und der Welt. Der nun vorliegende Entwurf des European Media Freedom Act,
EMFA, würde das etablierte deutsche System vollkommen aushebeln, indem eine zentrale europäische Aufsichtsbehörde geschaffen würde. Dagegen erheben wir als
CDU/CSU-Fraktion gemeinsam mit den zuständigen Bundesländern Widerspruch.
Natürlich betrachten wir die europäische Medienlandschaft mit großem Interesse und kritisieren die Entwicklungen in Polen und Ungarn. Wir sind uns
bewusst, dass es in diesen Ländern Prozesse gibt, die nicht mit unseren gemeinsamen Standards und den Werten der EU vereinbar sind. Wir brauchen eine
pluralistische Medienlandschaft in ganz Europa. Der vorliegende Entwurf birgt jedoch die Gefahr, dass es zu weiteren Zentralisationstendenzen in der
Medienlandschaft kommt.
Da die Binnenmarktregulierung die Rechtsgrundlage für den Vorschlag zum EMFA bildet, nimmt der Vorschlag vor allem die wirtschaftliche
Betrachtungsweise der Medienlandschaft in den Fokus. Dies wird dem Charakter der Medienlandschaft aber nicht gerecht. Daher kommt auch große Kritik am
vorliegenden Entwurf aus der Medienbranche. Gerade kleine Verlage und Medienanbieter würden darunter leiden. Dabei sind sie es, die für die Regionalität und die
flächendeckende Berichterstattung unverzichtbar sind.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Kritik am vorliegenden Entwurf des EMFA ist deutlich. Die Ampel traut sich aber nicht, der EU selbstbewusst
entgegenzutreten, und hat stattdessen einen eigenen Antrag aufgesetzt, der nicht einmal als Feigenblatt dient. Sie macht sich damit unglaubwürdig. Sprechen Sie
eine Subsidiaritätsrüge aus!
Daher fordere ich Sie auf: Stimmen Sie unserem Antrag zu, und zeigen Sie Rückgrat!
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Fans von der AfD sind wieder außer Rand und Band. Ich kann es nicht ändern. Ich danke Ihnen,
Herr Präsident trotzdem, dass Sie diese Nachricht überbracht haben, auch wenn sie unerfreulich ist.
Zu einer Debatte zum Thema „Freiheit und Demokratie inklusive Medienfreiheit“
({0})
gehört es nun einmal leider auch, dass man selber, während freie deutsche Medien über das Spiel des Jahres berichten, die schmerzhafte Unfreiheit hat,
dieses Spiel nicht sehen zu dürfen, sondern hier zum European Media Freedom Act sprechen zu müssen. Das ist der Preis der Freiheit. Gut, dass wir diese Freiheit
genießen können.
({1})
Des Weiteren – das erlaube ich mir auch zu sagen – schätze ich es sehr und finde es ausdrücklich richtig, dass die Union den Schritt empfiehlt, hier
eine Subsidiaritätsrüge auszusprechen. Das ist nicht nur legitim, sondern ein absolut sinnvolles und auch alternatives Mittel zu dem Weg, den wir einschlagen.
Aber die These, dass die Bundesregierung aus Angst vor der Kommission erstarre, halte ich wirklich für gewagt. Die Gefahr sehe ich wahrlich nicht.
({2})
Wir haben eine Bundesregierung, eine Koalition, die mit großem Selbstbewusstsein gegenüber der EU-Kommission auftritt, die aber nicht künstlich Stärke
beweisen muss oder Schwäche zeigt, sondern souverän auftritt,
({3})
übrigens auch gegenüber den Bundesländern.
({4})
Wir, jedenfalls die meisten hier, wünschen uns, denke ich, eine Presse-, eine Medienlandschaft, einen Rundfunk, die frei, unabhängig, selbstbewusst
sind,
({5})
Pressemedien, die uns kontrollieren, die uns nerven, die besonders Sie hoffentlich tagtäglich kontrollieren und nerven; denn Sie haben es nötig, Sie
brauchen diesen Schmerz jeden Tag, und ich hoffe, dass irgendwann die Geschichte über Sie hinweggegangen sein wird.
({6})
Gerade deswegen wollen wir, dass Freiheit und Unabhängigkeit und Pluralismus bei den Medien bestehen. Da teilen wir auch ausdrücklich die Ziele der
Kommission.
({7})
Es ist aber eben nicht immer nur eine Frage der Ziele, sondern wenn wir nach Verhältnismäßigkeit fragen, müssen wir uns auch angucken, was mit den
Mitteln ist: Sind sie legitim und erforderlich, und ist das, was die Mittel bewirken, auch angemessen? Dann müssen wir uns hinsichtlich der Art und Weise, wie
wir damit umgehen, wiederum die Frage stellen: Sind unsere Antworten erforderlich, sind sie geeignet, und sind sie angemessen?
Neben allen guten Zielen müssen wir feststellen, dass wir eine Pluralität der Medienlandschaft und einen sehr kostbaren öffentlich-rechtlichen
Rundfunk haben.
({8})
Ich freue mich, dass das so viele in diesem Moment erkennen; in den letzten Wochen wirkte das teilweise anders. Diese Landschaft ist unbedingt zu
verteidigen. Daher ist es notwendig, die Kommission der EU selbstbewusst darauf hinzuweisen, dass sie zu verteidigen ist, dass alle Instrumente der
Medienaufsicht vom Mediengesetzgeber getrennt sein müssen und dass wir ein kostbares Gut haben, indem wir dies dezentral organisieren.
Deshalb tun wir gerade auch das. Wir als Koalition fordern nämlich die EU in einer Subsidiaritätsrüge der Bundesländer, die für die Medienpolitik in
diesem Land genuin zuständig sind und deshalb die entscheidenden Adressaten sind und die auch in diesem Selbstbewusstsein agieren, auf, die Bundesländer in
ihrer Kompetenz entsprechend zu berücksichtigen. Und wir tun nicht nur das. Wir fordern auch die Bundesregierung auf, das Verhandlungsmandat in dieser Frage, zu
diesem Act an die Bundesländer zu übertragen. Das finde ich einen fundamentalen und sehr klugen Schritt.
({9})
Darüber hinaus machen wir Arbeitsteilung. Wir als Fraktion hätten uns auch sehr gut eine Subsidiaritätsrüge vorstellen können.
({10})
Aber wir sind eine Koalition, in der man solidarisch und fair miteinander umgeht und alle Interessen berücksichtigt.
({11})
Wir achten die Rollenverteilung zwischen Bundesländern, Parlament und Bundesregierung, und wir beachten auch außenpolitische und europapolitische
Aspekte. Wir zittern weder vor der Kommission, noch wollen wir ihr drohen, –
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
– sondern wir handeln souverän aus Überzeugung.
Herr Kollege!
Genau deswegen werden wir uns heute, morgen und übermorgen für den öffentlichen Rundfunk und für die freie Presse einsetzen.
({0})
Wir werden das weiter tun und werden erfolgreich dabei sein.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank, Herr Kollege Lindh. – Nächster Redner ist der Kollege Martin Renner, AfD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegen! Wir sprechen über ein aktuelles Projekt der EU. Aber in Wirklichkeit ist es wieder einmal ein
Hütchenspielertrick. Da werden so hübsche und so schöne Begriffe wie „mehr Demokratie“, „mehr Freiheit“ und „mehr Pluralismus“ vorgezeigt und dann unter einem
Hütchen versteckt.
({0})
Wir sprechen hier über die Verordnung namens „Europäisches Medienfreiheitsgesetz“ – schöne Worte, die dann aber nie wieder zu hören sein werden, weil
sie sich eben nie unter den Hütchen befunden haben. Die EU-Kommission agiert hier ebenso zwielichtig wie so manche Gestalten in unseren Fußgängerzonen.
({1})
Hinter der angeblich angestrebten Medienfreiheit versteckt sich das glatte Gegenteil: weniger Demokratie, weniger Medien- und Pressefreiheit und
weniger Medienpluralismus. Wer unter Aufsicht der EU-Kommission an die regulatorische Kette einer neu eingerichteten suprastaatlichen Kontroll- und
Zensurbehörde gelegt wird, der ist anschließend ja viel freier. Ja klar! Er ist viel freier. Ja: mehr Demokratie durch weniger Pressefreiheit.
({2})
Ja, mehr Meinungsfreiheit durch Plattformstreichungen. – Diese geplante EU-Verordnung ist de facto nichts anderes als ein Angriff auf unsere
nationalstaatliche und rechtsstaatliche Demokratie.
({3})
Aber dieser Irrsinn aus Brüssel und Straßburg hat ja Methode. Wir wissen das, und Sie, meine lieben Kollegen hier im Hause, wissen das auch. Der
Unterschied ist nur: Wir von der AfD bekämpfen das. Sie alle hier wollen und unterstützen das in der Regel. Doch hier handelt die EU plötzlich zu offensichtlich
kompetenzüberschreitend. Hier greift die EU zu offensichtlich in die nationalen Hoheitsrechte ein. Hier werden die Grundsätze der Subsidiarität und der
Verhältnismäßigkeit zu offensichtlich mit den Füßen getreten.
({4})
– Ja, klar.
({5})
Bei diesem vollkommen überzogenen und übergriffigen Projekt kommen Sie hier im Hohen Haus natürlich nicht drumherum,
({6})
ein wenig das Verteidigen unserer nationalstaatlichen Souveränität zu heucheln.
({7})
Die Ampel, ohnehin ein Fan eines föderalen europäischen Bundesstaates, versucht jetzt kleinlaut, den übergriffigen Inhalt dieser EU-Verordnung in eine
EU-Richtlinie überzuleiten und dadurch zu retten. Warum ist das so? Weil der Bundesrat ganz einhellig diese EU-Verordnung missbilligt und rügt.
({8})
Und wir schließen uns dieser Rüge total an.
({9})
Den immer anmaßenderen Ambitionen der EU und dem damit verbundenen Ausverkauf unserer nationalen Souveränität muss ein Riegel vorgeschoben werden, und
zwar endgültig. Es kann doch nicht sein, dass eine neue Wahrheitsbehörde der EU zu bestimmen hat, was wahr ist.
Herr Kollege.
Danke schön.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege. – Der Kollege Erhard Grundl, Bündnis 90/Die Grünen, hat seine Rede zu Protokoll gegeben.
({0})
Nächste Rednerin ist deshalb die Kollegin Dr. Petra Sitte, Fraktion Die Linke.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Pressefreiheit gerät weltweit immer mehr unter Druck. Autokraten beschneiden und beseitigen sie. Wo
Presse privat finanziert ist, steigt der wirtschaftliche Druck, und es kommt zu beunruhigenden Konzentrationsprozessen. Wo sie öffentlich finanziert ist, wird
ihre Legitimation von Rechtsextremen infrage gestellt.
In Ländern wie Ungarn und Polen wurde die Pressefreiheit massiv eingeschränkt. Dass die EU-Kommission nun Vorschläge zum Schutz der Medienfreiheit
vorlegt, ist grundsätzlich zu begrüßen. Inhaltlich ist dabei vieles richtig. Aber die Regelungen beispielsweise im Bereich der Medienkonzentration reichen aus
unserer Sicht nicht aus.
({0})
Und weiter. So notwendig die Stärkung der Medienfreiheit ist, so notwendig EU-Regelungen mit Blick auf Polen und Ungarn sind: Sie dürfen die
Grundsätze bestehender Systeme der Medienregulation in anderen Ländern nicht infrage stellen. Aus guten Gründen gilt in Deutschland das Prinzip, dass nicht nur
die Medien, sondern eben auch die Medienaufsicht staatsfern sein muss. Die Rolle, die sich die Kommission bezüglich der Medienaufsicht nun selbst geben will,
gefährdet aber gerade dieses Prinzip. Insofern ist der Entwurf in dieser Form auch abzulehnen.
Dennoch wäre es natürlich fatal, das ganze Vorhaben aufzugeben. Es muss also so gestaltet sein, dass es auf der einen Seite gegenüber Mitgliedstaaten
wie Ungarn und Polen durchsetzungsstark ist; auf der anderen Seite müssen zugleich Subsidiaritätsfragen geklärt werden. Das heißt, wirksame Maßnahmen anderer
Länder dürfen nicht ausgehebelt werden.
({1})
Das erfordert also einen Balanceakt. Die nunmehr geplante Subsidiaritätsrüge muss sich genau daran messen lassen.
Besten Dank.
({2})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland steht in diesen Minuten mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vor dem Ausscheiden bei der
Weltmeisterschaft. So wie sich die Deutschen nicht haben vorstellen können, dass sie von Costa Rica und Japan – zumindest von einem der beiden – überholt werden
können, so kann sich die Ampel, die ja als Klimakoalition gestartet ist,
({0})
nicht vorstellen, dass auch ihre Klimagesetze durchaus mangelhaft sind.
Für eine erfolgreiche Transformation hin zu Klimaneutralität bis 2045 bedarf es viel, viel mehr als des massiven und natürlich auch massiv zu
beschleunigenden Ausbaus der Stromerzeugung aus Wind und PV. Eine integrierte und erfolgreiche Energiewende unterstützt erst einmal alle erneuerbaren Energien,
auch Bioenergie, auch Geothermie. Selbstverständlich muss eine integrierte Energiewende auch die Netze im Blick haben. Last, but definitely not least brauchen
wir die Sektorenkopplung. Damit sind wir bei dem Kernpunkt dieses Gesetzes, nämlich der Frage: Wie sehen eigentlich der Aufbau und der Hochlauf einer
Wasserstoffwirtschaft aus?
Auch Sie wollen angeblich die Wasserstoffwirtschaft; aber Ihre Taten sprechen eine andere Sprache. Letzte Woche haben Sie hier – gegen unsere
Stimmen – das Energiewirtschaftsgesetz geändert und die Vorlage eines Konzeptes für den weiteren Aufbau der Wasserstoffaufbereitung auf Ende 2023 verschoben.
Das ist sozusagen der erste Bremsklotz. Ich komme gleich darauf, warum ich das für so fatal halte.
Heute sprechen wir also über die Herkunftsnachweise für Gas, Wasserstoff, Kälte und Wärme. In der ersten Lesung habe ich hier an diesem Pult gesagt,
wir könnten uns vorstellen, dass wir zustimmen, weil die Umsetzung der EU-Richtlinie grundsätzlich richtig sei, aber es bedürfe einiger Verbesserungen. Das
haben Sie nur in einem einzigen Punkt getan: Sie berücksichtigen jetzt die Abwärme. Das ist richtig. Aber Sie hören nicht zu, was der Bundesrat sagt. Sie hören
sowieso nicht zu, was die Opposition sagt. Aber Sie hören auch nicht zu, was die Verbände und betroffenen Unternehmen sagen.
({1})
– Ja, aber die Änderungen zu dem Gesetzentwurf, den Sie jetzt vorlegen, gehen eben auf wesentliche Bedenken nicht ein.
Im Wesentlichen geht es darum, dass die Definitionen von erneuerbarem, von kohlenstoffarmem und von dekarbonisiertem Wasserstoff nicht klar sind. Es
ist nicht klar, wie das mit der Beimischung oder dem gemeinsamen Transport von Gas und Wasserstoff in den Erdgasnetzen ist.
({2})
Insbesondere gibt es nach Ihrem Gesetz kein einheitliches Zertifizierungssystem in der EU, sondern es bleiben Unklarheiten.
Das ist deswegen so bedauerlich, weil Sie doch selbst darauf hinweisen, dass sich die Wettbewerbslandschaft seit diesem Herbst verändert hat. Seitdem
es den Inflation Reduction Act in den USA gibt, droht die Wasserstoffwirtschaft von den USA dominiert zu werden. Thierry Breton war vorgestern hier im Deutschen
Bundestag im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und hat gesagt: In diesem Winter, spätestens im Frühsommer wird sich entscheiden, ob ein
Großteil der Investitionen nach Amerika abwandert oder nicht. – Die Antwort dieser Koalition ist dieses bürokratisch verunstaltete Gesetz. Dagegen wehren wir
uns! Das kann doch nicht die Antwort auf diese Frage sein.
({3})
Warum Sie unterschiedlich definieren gegenüber der EU-Richtlinie RED II, kann mir kein Mensch sagen. Es ist aber entscheidend für die Energiewende,
dass wir im Bereich Wasserstoff ein führendes Land und führend in Europa sind. Es ist für ganz Europa schlecht, wenn es wieder einen deutschen Sonderweg gibt,
dessen Nutzen man nicht darstellen kann und den Sie auch in Ihrem Gesetz nicht begründet haben. Deswegen hoffe ich inständig, dass Sie nach der Verabschiedung
dieses Gesetzes bessere Maßnahmen vorlegen, damit wir auf dem internationalen Wasserstoffmarkt reüssieren können und nicht so abschneiden wie die deutsche
Fußballnationalmannschaft gegenwärtig in Katar.
({4})
Vielen Dank.
({5})
Sehr geschätzter Präsident! Werte Kollegen! Die Energiepolitik der Bundesregierung ist nicht nur die dümmste der Welt, nein, sie bewegt sich auch am
Rande des Wahnsinns. Anders ist es nicht zu erklären, dass 18 weitere Planstellen im Ministerium geschaffen werden, die Fantasieluftbuchungen, genannt
Herkunftsnachweise, verwalten sollen. Im Strombereich existieren diese Luft- oder Lügenzertifikate bereits. Dies führt dazu, dass Stromanbieter sich ein kleines
Ökomäntelchen umhängen, obwohl sie de facto Kohlestrom anbieten.
Nun ist Kohlestrom erst einmal überhaupt nicht verkehrt. Er ist verlässlich und volkswirtschaftlich wertvoller als der mit Milliarden
herbeisubventionierte wetterabhängige Zufallsstrom, den die Regierung bevorzugt.
({0})
Die Regierung fördert aber auch mithilfe dieses Ablasshandels die arglistige Verbrauchertäuschung. Am besten wird das am Beispiel Islands deutlich.
Unternehmen werben mit fossilfreiem Energiebezug. Gleichzeitig vergolden die Isländer ihre Stromzertifikate, indem sie diese zur Verbrauchertäuschung in die EU
verkaufen. Ein physikalisches Stromkabel zwischen Island und der EU existiert hingegen nicht. So existiert dieser Strom doppelt: physikalisch vor Ort und als
Zertifikat, um woanders vorsätzlich Kunden zu täuschen und ihnen damit höhere Preise abzuluchsen.
Bleiben wir beim Abluchsen. In § 5 Absatz 6 Ihres Gesetzes wird erklärt, dass Herkunftsnachweise keine Finanzinstrumente sind, aber in § 6 Absatz 1
Ziffer 18 heißt es: Die Regierung kann diese Herkunftsnachweise zu Finanzinstrumenten erklären, wenn sie es denn will. – Besser kann die Regierung auch den
Nachweis wertloser Luftbuchungen nicht erbringen. Wie kann es denn sein, das etwas per Gesetz kein Finanzinstrument ist, doch durch eine willkürliche
Regierungsentscheidung einfach dazu gemacht wird? Komplett absurd!
({1})
Schauen wir nach, wo denn der Strom für Ihren Wasserstoff überhaupt herkommen soll. Seit Montag haben wir eine sehr schlechte Wind- und
Sonnenausbeute. Sie beträgt ungefähr 3,5 Prozent der Nennleistung. In Ihrem Netzentwicklungsplan für 2037, wenn dann der Wasserstoff schon ganz toll laufen
soll, haben sie 576 Gigawatt als Ziel für die sogenannten Erneuerbaren angegeben. Wenn die auch nur mit 3,5 Prozent der Nennleistung liefern, haben Sie round
about 20 Gigawatt an Leistung.
Der Verbrauch für 2037 liegt im Mittel ungefähr bei 120 Gigawatt, weil Sie extrem viel elektrifiziert haben, wie Elektrolyse, E‑Mobilität und so
weiter. Ja, dann fehlen Ihnen immer noch 100 Gigawatt an Leistung. Wo kommen die her? Kohle und Kernkraft soll es ja nicht mehr geben. Also soll es das Gas
richten. Das taucht auch in Ihrem Netzentwicklungsplan auf – mit 38 Gigawatt. Herzlichen Glückwunsch! Es existiert in Ihren Plänen eine Stromversorgungslücke
von satten 62 Gigawatt. Also, mehr als 50 Prozent Ihres geplanten Stromverbrauches in 15 Jahren sind nicht durch zuverlässige Stromerzeugungsleistung
gedeckt.
({2})
Das ist nicht nur eine dumme Energiepolitik; das ist eine Energiepolitik jenseits des Wahnsinns. Deswegen bleibt festzuhalten: Ihr Gesetzentwurf
schützt nicht die Umwelt. Ihr Gesetzentwurf bietet keinerlei Mehrwert für die Nation. Ihr Gesetzentwurf dient der arglistigen Täuschung der Verbraucher. Ihr
Gesetzentwurf ist folgerichtig vollkommen abzulehnen.
({3})
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Konrad Stockmeier, FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt sie in diesen Zeiten, die Gesetzentwürfe, die die Energiewende in diesem
Land entscheidend voranbringen werden, ohne dass sie Milliarden kosten. Warum? Weil in diesen Zeiten selbst große energieintensive Unternehmen das Ziel der
Dekarbonisierung strategisch weiterverfolgen und deswegen die Nachfrage nach Herkunftsnachweisen für Gas, für Wärme, für Kälte aus erneuerbaren Quellen
steigt.
Mit diesem Gesetz räumen wir regulatorische Hürden aus dem Weg, sodass diese Unternehmen bei der Befriedigung dieser Nachfrage eben nicht mehr nach
Norwegen oder Island getrieben werden, sondern sie nun auch zusehends im Inland decken können. Das ist ein gewaltiger Fortschritt, der die deutschen
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler auch überhaupt nicht viel Geld kosten wird.
Dazu ist außerdem zu sagen, Kollege Heilmann, dass dieser Gesetzentwurf eben keinen deutschen Sonderweg vorsieht und wir eben nicht irgendwelche
Regelungen, die mit der Richtlinie RED III im kommenden Jahr noch ausgearbeitet werden müssen, vorwegnehmen, sondern wir warten ab, was auf der europäischen
Ebene kommt, um das dann zu implementieren, ohne irgendeine deutsche Sonderschippe obendrauf zu legen. Warum? Weil wir selbstverständlich die Energiewende
dezidiert nicht in einem zu engen deutschen Rahmen denken dürfen, sondern sie mindestens europäisch ausrollen müssen. Dazu bietet dieser Gesetzentwurf auch
erhebliches Potenzial.
Darüber hinaus ist es auch so, dass wir den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft eben nicht auf rein Grüne Wasserstoffe verengen, sondern mehr
Potenziale dahin gehend offenlassen, dass in diesem Gesetzentwurf explizit von „kohlenstoffarmen“ Gasen die Rede ist. Also von der Verengung, die Sie hier
konstatieren, kann überhaupt keine Rede sein.
Mit anderen Worten: Dieser Gesetzentwurf wird dazu beitragen, dass in Deutschland endlich der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft auf vielfältige Art
und Weise gelingen kann. Aus Sicht der Freien Demokraten ist an dieser Stelle auch wieder wichtig, dass er technologieoffen gestaltet ist, dass er keine
Vorgaben macht, in welcher Anwendung der Wasserstoff am besten zum Einsatz kommt. Das überlassen wir Technikerinnen und Entwicklern in den Unternehmen, die
dafür die besten Lösungen entwickeln werden. Dann wird das Kapital dort auch in die Richtung gelenkt, wo es am besten wirkt.
Noch mal: Die europäische Perspektive ist eine ganz wichtige. Wir wahren sie in diesem Gesetzentwurf. Deswegen wird im kommenden Jahr, wenn sich die
Regelungen von RED III abzeichnen, die Arbeit daran auch konstruktiv weitergehen; denn die Energiewende muss in diesem Lande und in Europa gelingen. Es sind
solche Gesetze, die dazu beitragen, dass es auch so kommen wird.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Ampeln regeln bekanntlich den Verkehr an gefährlichen Kreuzungen.
Fallen sie einmal aus, entsteht häufig Chaos, und Menschen werden gefährdet oder nehmen gar Schaden.
Um das im Maßregelvollzug sich abzeichnende Ampelkoalitionschaos zu verhindern, stellte ich an dieser Stelle am 11. Mai 2022 den Gesetzentwurf der
CDU/CSU Fraktion zur Reform des Maßregelvollzugs vor, eng angelehnt an das Ergebnis einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Die Reform ist dringend erforderlich, da
der Maßregelvollzug aus allen Nähten platzt. Wesentlich ursächlich sind eine wenig konkrete Formulierung in § 64 Strafgesetzbuch und Fehlanreize bei der
Möglichkeit zur vorzeitigen Entlassung. Deshalb kann eine zeitnahe Überstellung verurteilter Straftäter in den Maßregelvollzug oftmals nicht stattfinden, und
zahlreiche gemeingefährliche Straftäter kommen auf freien Fuß. Das ist bundesweit so. Zahlen habe ich aus meinem Heimatland Baden-Württemberg. Da war das in
diesem Jahr bereits 33‑mal der Fall.
Nach der ersten Lesung des Gesetzentwurfs wurde dieser in den Rechtsausschuss verwiesen. Am 18. Mai beschloss der Ausschuss, dass eine
Sachverständigenanhörung stattfinden soll. In den Ausschusssitzungen vom 22. Juni, 6. Juli, 21. September, 28. September, 12. Oktober, 19. Oktober und
9. November 2022 haben die Abgeordneten der Ampelkoalition mit ihrer Mehrheit entweder eine Terminierung der Anhörung abgelehnt oder das Thema gleich ganz von
der Tagesordnung nehmen lassen, und zwar mit der immer gleichlautenden Einlassung: Wir werden einen eigenen Gesetzesvorschlag einbringen. – Tatsächlich
existiert bisher ein Referentenentwurf aus dem Ministerium der Justiz, inhaltlich in den wesentlichen Punkten identisch mit unseren Vorschlägen und denen der
Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Nur, den Weg ins Parlament findet er nicht – mal wieder eine Funktionsstörung der Ampel!
Drei Zitatkostproben aus deren Reihen vom 11. Mai. Kollege Fechner, SPD:
Wir haben in der Tat das Problem, dass zu viele Straftäter durch Gerichtsbeschlüsse in Entziehungsanstalten untergebracht werden, die dort eigentlich
gar nicht hingehören ... Wir haben Einrichtungen, die aus allen Nähten platzen ... Das wollen wir ändern.
Kollegin Bayram, Bündnis 90/Die Grünen:
Wir können es nicht riskieren, dass tatsächlich behandlungsbedürftige straffällige Menschen nicht behandelt werden ...
Und schließlich der von mir geschätzte Kollege Thomae, FDP:
Dann haben wir die Situation, dass jemand, von dem das Gericht sagt, er stelle eine Gefahr für die Öffentlichkeit dar, wieder auf freien Fuß
kommt.
Er gesteht sogar zu, dass der Gesetzentwurf der Union „nichts Falsches“ enthalte. Deshalb freue er sich „auf die Beratungen im Ausschuss“.
Meine Damen und Herren, eine wirkliche Beratung hat es nie gegeben, auch nach sechs Monaten nicht. Stattdessen hat die Ampelkoalition gestern im
Rechtsausschuss empfohlen, den Gesetzentwurf der Union abzulehnen. Das ist nicht mehr und auch nicht weniger als eine arrogante Machtdemonstration der Ampel,
die wieder einmal nicht funktioniert und somit ein Sicherheitsrisiko für die Menschen in diesem Land darstellt.
Ich bedanke mich.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf betrifft ein dringendes Problem. Der Maßregelvollzug
ächzt unter der Überlastung durch Fehlbelegungen. Straftäter ohne Therapiebedürftigkeit, Motivation oder Therapiefähigkeit gehören nicht in ein Krankenhaus,
sondern in den Knast.
Der Berliner Maßregelvollzug ist geprägt von unzureichender Infrastruktur, akutem Personalmangel, eingeschmuggelten Drogen und Angriffen auf die
Mitarbeiter. Die Zustände sind für Pfleger und Ärzte genauso wie für die Patienten längst untragbar. Anders gesagt: Krisenmanagement anstatt Therapie.
({0})
Dazu passt ein Schreiben des Landgerichts Berlin, über das der „Tagesspiegel“ vor zwei Tagen berichtet hat. Aktuell befinden sich zwölf Verurteilte
trotz Anspruchs auf Behandlung in Strafhaft. Es geht um die konkrete Befürchtung, dass für die Allgemeinheit gefährliche Straftäter wegen fehlender
Behandlungsplätze wieder entlassen werden müssen, wie schon einmal im September geschehen.
Der Reformbedarf ist unbestritten, und die Vorschläge der von der Justizminister- und Gesundheitsministerkonferenz eingesetzten
Bund-Länder-Arbeitsgruppe liegen seit gut einem Jahr vor. Am 18. März 2022 erhielten wir, alle Mitglieder des Rechts- und vermutlich auch des
Gesundheitsausschusses, einen Brandbrief des ZfP Südwürttemberg. Denn auch im Ländle sind Überbelegung und Personalmangel mittlerweile so katastrophal, dass
keine der von mir angefragten Einrichtungen sich personell in der Lage sah, einen Besuch vor Ort zu ermöglichen.
Die Probleme sind dringend, und eine Lösung liegt auf dem Tisch. Leider hat die Koalition seit dem 18. Mai 2022 die Durchführung einer öffentlichen
Anhörung zum Gesetzentwurf immer wieder vereitelt. Die Begründung war das Warten auf eine große Reform, die in Arbeit sei. Die Wahrheit ist: Wenn man an anderen
Stellschrauben dreht, ja, dann kann sich das auch auf den Maßregelvollzug auswirken. Aber es gibt keine zwingende Verknüpfung zwischen Unterbringung und anderen
Reformen.
Sicherlich lässt sich die vorgeschlagene Lösung noch verbessern. So bezweifle ich, dass die vorgeschlagene Änderung von § 246a StPO wirklich eine
große Entlastung für die Rechtspraxis bewirkt. Solche Dinge zu klären, ist aber gerade der Zweck einer öffentlichen Anhörung, bei der Sachverständige aus
Theorie und Praxis auf Schwachstellen und Verbesserungsmöglichkeiten hinweisen. Man muss es nur zulassen, statt es zu verhindern.
Als Konsequenz wird heute ein dringend notwendiger und inhaltlich beinahe unstreitiger Gesetzentwurf abgelehnt werden – nur weil der Entwurf von der
Opposition und nicht von der Regierung kommt. Ein solches Schmierentheater ist einer Demokratie unwürdig und die pure Arroganz der Macht.
({1})
Und vor allem ist es schäbige Parteipolitik auf dem Rücken der betroffenen Mitarbeiter in den Einrichtungen, denen ich für ihre wichtige Arbeit danke
und die ich heute um Verzeihung dafür bitte, dass der Bundestag sie im Regen stehen lässt.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank, Herr Kollege Seitz. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Linda Heitmann, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Union, in der Problembeschreibung Ihres Gesetzentwurfs – das muss ich ehrlich zugeben – sind wir uns
ja einig. Sie schreiben von dem starken Anstieg der Zahlen im Maßregelvollzug. 2002 waren in Deutschland noch rund 2 000 Menschen im Maßregelvollzug, zuletzt
5 280. Und ja, wir müssen den Maßregelvollzug entlasten. Was auch richtig ist: Der Anteil der Suchtkranken ist in der gleichen Zeit deutlich gestiegen, nämlich
von circa 20 Prozent auf 60 Prozent. Aber ich finde, die Konsequenz kann jetzt nicht sein, dass wir bei der Behandlung von Suchtkranken in Haft die Standards
absenken und auf diese Weise Kosten einsparen wollen.
({0})
Denn – das muss ich ehrlich sagen – im Grundsatz gilt immer noch „Therapie statt Strafe“ für suchtkranke Straftäter/-innen.
({1})
Ich bin in der Begründung Ihres Gesetzentwurfes über diese Kostenaufstellung gestolpert, nach der ein Tag im Maßregelvollzug etwa 320 Euro kostet, im
regulären Vollzug nur 119 Euro. Sie schreiben, es ließen sich doch deutlich Kosten einsparen, wenn die Suchtkranken jetzt statt in den Maßregelvollzug in den
regulären Vollzug kämen. Aber ich finde, das kann wirklich kein Anreiz sein; denn nicht ohne Grund ist die Rückfallquote nach dem Maßregelvollzug bei
Suchtkranken deutlich geringer als nach einer regulären Haft.
({2})
Deshalb müssen wir in der Konsequenz jetzt wirklich das Gesamtsystem „Haft“ betrachten und gucken, was wir im regulären System verbessern können, um
suchtkranken Menschen dort besser gerecht zu werden. Hierzu müssen wir auch eng mit den Ländern zusammenarbeiten; denn es fängt schon damit an, dass es in
Deutschland keine einheitliche Datenlage zu suchtkranken Menschen in Haft gibt. 2018 gab es erstmals eine bundesweite Studie zu dem Thema, aber auch in diese
sind nur Daten aus 12 von 16 Bundesländern eingeflossen.
Die Studie hat aber trotzdem deutlich gemacht: Sucht in Haft ist in Deutschland ein ernsthaftes Problem; denn 44 Prozent aller Gefangenen haben ein
Abhängigkeitsproblem. Rund 20 Prozent sind von Alkohol abhängig, rund 20 Prozent von Opioiden; bei vielen ist auch ein Multipler Substanzgebrauch festzustellen.
Am allerhöchsten sind die Zahlen leider bei den Menschen, die nach Jugendstrafrecht verurteilt wurden. Auch im Bereich Substitution sieht es deutlich schlechter
aus, als es aussehen könnte. Ungefähr 3 350 Menschen werden derzeit in Haft substituiert. Das Statistische Bundesamt geht aber davon aus, dass bis zu 6 000
dafür infrage kommen würden.
Lassen Sie uns hier daran arbeiten, dass die Behandlung von suchtkranken Menschen in Haft wirklich besser wird! Nur in Baden-Württemberg ist es
tatsächlich momentan gesetzlich verankert, dass Menschen in Haft beispielsweise auch mit Diamorphin substituiert werden können. Wir müssen wirklich gemeinsam
daran arbeiten, hier eine bessere Datengrundlage und eine bessere Vereinheitlichung bei der Behandlung von Suchtkranken in Haft hinzukriegen.
({3})
Deshalb ist es uns wirklich wichtig, dass wir hier ein schlüssiges Gesamtkonzept vorlegen. Ja, die Entlastung des Maßregelvollzugs wollen wir auch;
aber sie darf nicht auf Kosten der suchtkranken Menschen in den Haftanstalten unseres Landes gehen.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank, Frau Kollegin Heitmann. – Nächster Redner ist der Kollege Ates Gürpinar, Fraktion Die Linke.
({0})
Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Bei den Entziehungsanstalten – da hat die Kollegin Heitmann recht – wird
uns eine isolierte Betrachtung nicht weiterbringen. Wir hatten bereits in der ersten Lesung des vorliegenden Gesetzentwurfs darauf gedrängt, das Thema
grundsätzlicher anzugehen. Es muss ja darum gehen, eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu erreichen und Rückfälle zu vermeiden.
({0})
Die CDU/CSU hat an ihrem Entwurf jetzt natürlich nichts verändert. Zwischenzeitlich hatte die Koalition, die sich bei dem drängenden Thema ja nun doch
zu viel Zeit gelassen und die Anhörung verhindert hat, einen in diesen Punkten – Kollegin Heitmann, das muss ich Ihnen sagen – identischen Entwurf vorgelegt.
Beide Entwürfe sind mutlos. Sie zielen darauf, das Problem auf die einfachste und nur vermeintlich günstigste Weise zu lösen: Weniger Feststellungen von
Behandlungsbedarf bedeuten weniger Auslastung. Das wird durch eine engere Bestimmung erreicht: Mehr Menschen sollen jetzt in die Vollzugs- und weniger in die
Entzugsanstalten. Aber das wird das Problem nicht lösen und langfristig sogar eher vergrößern.
({1})
Deswegen: Lassen Sie uns über Grundsätzliches reden, etwa über die zu hohen Strafen bei Drogendelikten; denn damit steigt auch die Zahl der
Angeklagten, die über den § 64 StGB eine Reduzierung ihres Konsums versuchen. Auch bei den Justizvollzugsanstalten müsste angesetzt werden. So bräuchte es eine
stärkere Orientierung auf Resozialisierung. Es bräuchte offenen Vollzug, Therapieangebote und Ausbildungen bzw. Arbeit, die gleichwertig zur Arbeit „da draußen“
ist.
({2})
Außerdem, sehr geehrte Damen und Herren, muss darauf hingewiesen werden, was Suchtforscher nicht müde werden zu betonen: Ein zentrales Problem für den
gegenwärtigen Zustand ist der Teufelskreis, der aus Illegalisierung von Konsumierenden und deren Sucht entsteht. Suchtkranke brauchen zunächst einmal Hilfe!
({3})
Und zur Hilfe gehören weder erzwungener kalter Entzug noch Gefängnis. Selbst zur Kosteneinsparung wäre eine Entkriminalisierung weitaus sinnvoller als
der von Ihnen vorgelegte Vorschlag. Das bisherige Prinzip der Entziehungsanstalten hilft dabei gerade nicht.
Stärken Sie doch stattdessen die Behandlungskapazitäten für die vielen Menschen, die Hilfe etwa in der spezialisierten Psychotherapie, in der
Substitutionsbehandlung, in der akzeptierenden Drogenhilfe oder auch in der stationären Behandlung suchen.
Ich komme zum Schluss.
Ja, bitte, Herr Kollege.
Wir brauchen und fordern einen umfassenden Ansatz, der alle Faktoren einbezieht. Nur dann helfen wir sowohl der Gesellschaft als auch den
Verurteilten wirklich.
Vielen, vielen Dank.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte meinen beiden Vorrednern zustimmen: Es ist richtig, dass Suchtkranke Therapie brauchen. Auch wenn
die Grenzen zwischen dem § 64 StGB, der eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer Strafe vorsieht, und dem § 35 BtMG, der diese statt einer
Strafe ermöglicht, verschwimmen, stimmt das. Aber wir sind uns doch in der Analyse einig, dass wir für diejenigen, die die Therapie wirklich brauchen, im Moment
keine Plätze haben. Das liegt daran, dass wir bei der Reform nicht vorankommen.
Wir sind uns doch seit Beginn dieses Jahres, seit die Bund-Länder-Arbeitsgruppe am 13. Januar ihre Ergebnisse vorgelegt und Vorschläge gemacht hat,
einig, dass wir einen Änderungsbedarf haben, dass wir einen Reformbedarf haben, dass wir für diejenigen, die die Plätze brauchen, keine Plätze haben, dass
Straftäter Plätze bekommen, die dort nicht hingehören, und dass wir dringend etwas ändern müssen. Und die Koalition hat bis heute nichts vorgelegt. Meine Damen
und Herren, das kann so wirklich nicht bleiben.
Das, was mein Vorredner gesagt hat, nämlich dass die Koalition jetzt endlich etwas vorgelegt hätte,
({0})
stimmt nach meiner Kenntnis nicht. Es gibt einen Referentenentwurf, der irgendwo rumgeistert, aber weder die Regierung noch die Koalition haben uns
bis heute irgendetwas vorgelegt.
({1})
Das, meine Damen und Herren, ist ein Skandal, und das muss sich jetzt wirklich schnellstmöglich ändern.
({2})
Wir sind uns doch völlig einig – die Bund-Länder-Arbeitsgruppe, wir und, ich glaube, Sie in der Koalition auch –: Wir setzen völlig falsche Anreize.
Nehmen Sie das Beispiel eines Straftäters, der zu acht Jahren verurteilt worden ist. Therapiedauer laut Prognose: drei Jahre. Wenn der Strafvollzug zuerst
erfolgt, ist der ein Jahr in Haft und hat dann drei Jahre Therapie laut Prognose. Mit der Halbstrafenregelung ist er nach vier Jahren draußen. Wenn § 64 StGB
bei seiner Verurteilung nicht angewendet wird, kommt er, weil die Freiheitsstrafe zwei Jahre übersteigt, mit der Zweidrittelregelung frühestens nach fünf Jahren
und vier Monaten raus. Ein Riesenanreiz also, in die Entziehungsanstalt zu kommen.
({3})
Deswegen müssen wir den Tatbestand ändern und die Voraussetzungen dafür schaffen,
({4})
dass diejenigen, die wirklich Hilfe benötigen, in die Entziehungsanstalten kommen und nicht diejenigen, die das nur versuchen auszunutzen. Deswegen
haben wir einen erheblichen Reformbedarf.
Ich habe abschließend eine Bitte. Die Koalition hat seit Mai in jeder Ausschusssitzung – diejenigen, die die Absetzung beantragen, fangen schon jedes
Mal an, zu grinsen – dieses Thema weggeschoben. Ich hätte einfach die Bitte: Wenn Sie einem Gesetzentwurf der CDU/CSU halt nicht zustimmen wollen, dann sorgen
Sie doch bitte dafür, dass Sie jetzt selbst einen auf den Weg bringen – zum Schutz der Bevölkerung auf der einen Seite und damit es Plätze für diejenigen gibt,
die sie wirklich nötig haben, auf der anderen Seite.
Herzlichen Dank.
({5})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bei diesem Debattenpunkt geht es im Kern um zwei Bereiche. Erstens geht es um eine dringend
erforderliche Weiterentwicklung und Optimierung des Schengener Informationssystems. Hierzu werden europarechtliche Vorgaben in nationales Recht umgesetzt.
Dieses SIS der dritten Generation ist aus sicherheitspolitischer Sicht erforderlich und wird von daher auch die Zustimmung meiner Fraktion erhalten.
({0})
Allerdings muss ich eines klar und deutlich sagen: Der Bedarf für diese Änderungen ergab sich spätestens seit der illegalen Massenmigrationswelle
2015. Dass die EU erst im Dezember 2018 eine entsprechende Verordnung erlassen und die nationale Umsetzung noch mal vier Jahre Zeit in Anspruch genommen hat,
beweist, dass die Prozesse innerhalb der Europäischen Union und auch auf nationaler Ebene viel zu lange dauern. Es bedarf aus unserer Sicht hier einer
schnellstmöglichen Effizienzsteigerung und Beschleunigung der entsprechenden Verfahren. Mehr Sicherheit darf niemals an bürokratischen Hürden scheitern.
({1})
Der zweite Bereich betrifft den Artikel 8 des vorliegenden Gesetzentwurfs, der der Umsetzung eines Teilbereichs des von der Regierung beabsichtigten
Chancen-Aufenthaltsrechts dient. Damit konterkariert dieser Artikel 8 den beabsichtigen Sicherheitsgewinn, der durch SIS III eigentlich erzielt werden soll. Das
beste Fahndungs- und Ausschreibungssystem bringt rein gar nichts, wenn das Chancen-Aufenthaltsrecht der Ampelkoalition tatsächlich umgesetzt werden sollte; denn
in Verbindung mit dem Bürgergeld und den beabsichtigten Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht ist es ein sicherheits- und migrationspolitischer Irrweg.
({2})
Dieser Irrweg führt zu mehr illegaler Migration, zu noch mehr Einwanderung in unsere Sozialsysteme und natürlich auch zu einer weiteren
Verschlechterung der Sicherheitslage in unserem Land. Man hat manchmal den Eindruck, dass dieser Ampelkoalition 20 000 Messerdelikte im Jahr, die immer stärkere
Ausbreitung des menschenverachtenden Islamismus, die immer weiter um sich greifende Clankriminalität und der jährliche Import einer Vielzahl aufgrund ihrer
problematischen Sozialisation mit unserer Grund- und Werteordnung inkompatibler Menschen immer noch nicht genug sind. Wir als AfD sagen ganz klar: Es reicht,
und zwar schon lange!
({3})
Wir brauchen genau das Gegenteil von Migrationspolitik: Sach- statt Geldleistungen, effektive Grenzkontrollen und schließlich die Abschiebung all
jener, die in unserem Land Straftaten begehen, unsere Bevölkerung gefährden oder sich beharrlich der Integration verweigern. Wer sich nicht an unsere Regeln
hält, der hat hier schlicht nichts zu suchen.
({4})
Nur so kann die Sicherheitslage in unserem Land verbessert werden. Wer einen anderen Weg wählt, wie dies die Ampelkoalition tut, der missachtet wieder
einmal vitale Sicherheitsinteressen unserer Bürger und stellt damit selbst eine Gefahr für unser Land dar. Aus diesen Gründen ist dieser Artikel 8 für uns nicht
zustimmungsfähig. Für jeden Politiker, der im Sinne und zum Wohle unseres Landes und unserer Bürger handelt, gilt deshalb: Optimierung des Schengener
Informationssystems: Ja; Chancen-Aufenthaltsrecht: Nein.
({5})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist jetzt über ein Jahr her, dass das Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten vom
Bundesverwaltungsgericht gekippt wurde. Seitdem haben zehn Städte eines der wenigen Mittel, das sie hatten, um gegen Spekulationen vorzugehen, verloren.
Schlimmer noch: Die betroffenen Mieter/-innen stehen ohne Schutz vor Spekulation da.
Schon in den ersten neun Monaten nach dem Urteil konnte allein in München bei 42 Häusern mit fast 600 Wohnungen das Vorkaufsrecht nicht gezogen
werden, obwohl es geplant war. In Berlin konnte der geplante Vorkauf von 2 070 Wohnungen nicht getätigt werden. Die tatsächlichen Zahlen sind möglicherweise
noch höher. Hinzu kommt, dass viele soziale Vorgaben, also sogenannte Abwendungsvereinbarungen, jetzt ebenfalls beklagt werden und nachträglich für nichtig
erklärt werden, weil die Gesetzesgrundlage, nämlich das Vorkaufsrecht, nicht mehr besteht. Das ist ein Damoklesschwert für Tausende von Mieterinnen und Mieter,
die von solchen Abwendungsvereinbarungen profitiert haben.
Und die Koalition? Seit einem Jahr schaffen Sie es nicht, ein einziges Gesetz vorzulegen, bei dem nur zwei Paragrafen geändert werden müssen.
({0})
Viele Demonstrationen von Mieterinnen und Mietern auch hier vor dem Reichstag sind Ihnen offenbar egal. Die Proteste vieler Kommunen, die das anwenden
wollen, sind Ihnen egal. Selbst wir als kleinste Oppositionsfraktion haben es geschafft, einen Gesetzentwurf hinzubekommen. Daran haben Sie herumgekrittelt, er
sei nicht gut genug. Wir haben ihn korrigiert. Aber es sind alles nur Ausreden. In Wirklichkeit haben Sie es ein Jahr lang nicht auf die Reihe gekriegt, dieses
Vorkaufsrecht wiederherzustellen. Das muss jetzt dringend passieren.
({1})
Ich weiß, dass SPD und Grüne es mit dieser FDP nicht leicht haben; aber es ist jetzt an der Zeit, sich nicht länger hinter dem Kreuz der FDP zu
verstecken.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Es wird höchste Zeit, das kommunale Vorkaufsrecht wiederherzustellen, und es wird höchste Zeit, dass der selbsternannte Kanzler für bezahlbares
Wohnen das Vorkaufsrecht zur Chefsache erklärt und endlich ein Machtwort spricht im Interesse der Mieterinnen und Mieter. Das Wohnopoly muss beendet werden.
({0})
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Lay, Sie haben zu Recht gesagt: Es ist vor einem Jahr ein Thema gewesen. Es ist
eine Entscheidung, die jetzt über ein Jahr her ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampelkoalition, wir haben uns vorgenommen, Fortschrittskoalition zu
sein,
({0})
um die Probleme der Menschen in diesem Land und natürlich auch in der Stadt Berlin, in der wir tagen, zu lösen.
Wir müssen uns heute in der Tat die Kritik der Opposition zu Herzen nehmen und deutlich darüber nachdenken, was denn in diesem Jahr eigentlich
passiert ist; denn der Entwurf aus dem Hause der Bauministerin Frau Geywitz liegt ja vor. Der wird zurückgehalten. Wir diskutieren in einer Art und Weise, bei
der wir uns zu Recht fragen lassen müssen, warum wir nicht die Mieterinnen und Mieter endlich mit dem versorgen, was sie brauchen, und den Kommunen das
Vorkaufsrecht gewähren, meine Damen und Herren.
({1})
Sie können sich mit den Initiativen in Ihren Wahlkreisen auseinandersetzen. In meinem Wahlkreis Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost
haben sich immer wieder Menschen zusammengetan, um dafür zu sorgen, dass die Häuser gekauft werden, damit sie vor Verdrängung geschützt sind. Die
Immobilienpreise sind so hoch, dass es in der Tat zu einer Art, wie Frau Lay es nennt, Wohnopoly kommt. Wir alle kennen dieses Spiel, in dem es nur um das
Interesse an Geld geht. Hier wird Kapital, hier wird Geld auf dem Rücken der Mieterinnen und Mieter geparkt. Das ist uns als Ampel doch sehr bewusst.
Es muss uns doch klar sein, dass wir nicht dabei zuschauen können, wie Mieterinnen und Mieter enttäuscht davon sind, dass es uns nicht gelingt, ein
solches Gesetz gemeinsam auf den Weg zu bringen. Deswegen will ich gerne zwei Aspekte aufgreifen, die Frau Lay in den Raum gestellt hat.
Das eine ist: Bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Freien Demokraten, geben Sie endlich das Vorkaufsrecht her! Halten Sie dieses Gesetz nicht
zurück!
Und: Lieber Herr Bundeskanzler – er kann das ja im Protokoll nachlesen; aber vielleicht können Sie es ihm auch sagen, Frau Bauministerin –, bitte
setzen Sie sich gegebenenfalls mit der Richtlinienkompetenz dafür ein, dass die Mieterinnen und Mieter durch ein kommunales Vorkaufsrecht endlich geschützt
sind, sodass die Kommunen wieder in der Lage sind, Städtebaupolitik zu betreiben! Die brauchen das Instrument ganz dringend; das haben die uns in der Anhörung
im Bauausschuss ganz deutlich gesagt. Deswegen besteht gar kein Zweifel, dass uns ohne dieses Gesetz täglich Möglichkeiten verloren gehen, wie wir unsere Städte
gestalten, und auch Möglichkeiten verloren gehen, wie wir die Mieterinnen und Mieter schützen könnten.
Deswegen: Lassen Sie uns das gemeinsam angehen! Lassen Sie uns die Aufforderung der Opposition als Ansporn dafür nehmen, endlich das Vorkaufsrecht
wiederherzustellen, meine Damen und Herren!
({2})
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der Kollege Roger Beckamp, AfD-Fraktion.
({0})
Meine Damen und Herren! Ein kommunales Vorkaufsrecht für ein Grundstück im Geltungsbereich einer Erhaltungsverordnung darf von einer Gemeinde nicht
auf der Grundlage der Annahme ausgeübt werden, dass der Käufer in Zukunft Nutzungsabsichten verfolgen werde, die der Erhaltungsverordnung widersprechen.
Entscheidend für das Vorkaufsrecht darf dabei eben keine Prognose für die zukünftige Nutzungsabsicht des Käufers sein, sondern nur die tatsächliche Nutzung zum
Zeitpunkt des Kaufs. Genau das wollen die Linken mit ihrem Antrag ändern.
Das hört sich ziemlich verschwurbelt an. Ich glaube, die meisten werden auch nicht ganz haben folgen können. Mir ginge es, ehrlich gesagt, so ähnlich,
wenn ich es nicht vorher mehrmals durchgelesen hätte. Jedenfalls klingt es für Otto Normalverbraucher nicht so, als ob es ihn in seinem täglichen Leben beträfe,
und so ist es auch. Hier wird viel Lärm um, ich will nicht sagen: nichts, aber um nicht besonders viel gemacht. Die wirklichen Sorgen der Menschen in unserem
Land, ob mit Wohnung oder ohne, auf der Suche oder in der Wohnung selber, liegen ganz woanders.
Aber zuerst noch einmal kurz zur Sache selbst. Zunächst muss es um ein Grundstück im Geltungsbereich einer Verordnung gehen, die dem Schutz – jetzt
wird es interessant – der Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung, in dem Fall aus besonderen städtebaulichen Gründen, dient. So was nennt man
Erhaltungssatzung oder umgangssprachlich Milieuschutzsatzung. Bisher haben Gemeinden in so einem Fall immer wieder ein Vorkaufsrecht ausgeübt, um zumindest aus
ihrer Sicht der Gefahr zu begegnen, dass ein Teil der Wohnbevölkerung aus dem Gebiet verdrängt wird, beispielsweise wenn im Anschluss an die Veräußerung die
Wohnungen aufgewertet und die Mieten erhöht oder in Eigentumswohnungen umgewandelt werden.
Aber was bei dem Antrag der Linken übersehen wird und wohl auch bei den meisten anderen linken Parteien hier, deren Augen immer glänzen, wenn es um
staatliche Eingriffe geht, ist, dass ein solches Vorkaufsrecht gar nicht notwendig ist. Eine Umwandlung in Eigentumswohnungen kann in angespannten
Wohnungsmärkten bereits jetzt unter Genehmigungsvorbehalt gestellt werden. Ebenso haben Kommunen schon jetzt die Möglichkeit, Genehmigungen für Vorhaben zu
versagen, wenn sie eine nachteilige Veränderung bei der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung befürchten. Das meinte ich, wenn ich sagte: Es geht hier um fast
nichts.
Was aber interessant ist: dass sich hier fast alle Sorgen um die Verdrängung der angestammten Wohnbevölkerung machen. Es ist erst mal eine schöne
Nachricht, dass Sie auch über so was nachdenken, wie wir das die ganze Zeit tun. Denn genau das ist der Ausgangspunkt der ganzen Sache, die in § 172
Baugesetzbuch geregelt ist. Darum geht es bei so einem Milieuschutzgebiet.
Tatsächlich geht es Ihnen hier aber in keiner Weise darum, Milieuschutz zu betreiben, also die angestammte Bevölkerung wirklich davor zu schützen,
verdrängt zu werden. Ihnen geht es um Modernisierung und Umwandlung. Aber wer von Ihnen macht sich denn wirklich Sorgen um Verdrängung, wenn es etwa in
Bernkastel-Kues mit 500 Einwohnern in letzter Zeit darum geht, dass über 1 000 Migranten den ganzen Ort beglücken sollen? Was ist dann mit der angestammten
Wohnbevölkerung? Interessiert das jemanden?
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Oder ist das wieder nur Ihre Spekulation mit der Heimat und dem Lebensglück der Menschen?
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.
Ein Beispiel von Tausenden. Das Vorkaufsrecht ist dabei nur eine Fußnote.
Vielen Dank.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, die um diese Uhrzeit noch gut gelaunt sind! Das ist schön.
({0})
Es geht hauptsächlich um die Rentenversicherung, und da ist gute Laune natürlich angesagt. Nichtsdestotrotz müssen wir auch in den nächsten Jahren
immer wieder das Thema Rentenversicherung anpacken. Wir werden, um die Rentenversicherung zukunftsfest zu machen, immer wieder an Stellschrauben drehen
müssen.
Eine Stellschraube ist der flexible Übergang in die Rentenzeit. Am Ende von vielen Reformen hoffe ich, dass wir immer näher an das Ziel kommen, dass
die Menschen selbst entscheiden können, wann sie in Rente gehen, wann es an der Zeit ist, in Rente zu gehen, und dass nicht mehr nur sozusagen Bismarck darüber
entscheidet, wann man in die Rente gehen soll.
Der Weg zu dem flexiblen Übergang in die Rente hat die unionsgeführte Bundesregierung in Deutschland eingeschlagen. Wir haben die Flexirente
beschlossen. Wir haben in Coronazeiten die Hinzuverdienstgrenzen deutlich erhöht: von 6 300 Euro auf 46 060 Euro. Auch deswegen begrüßen wir es, dass die neue
Regierung, die Ampelregierung, diesen Weg jetzt konsequent weitergehen möchte.
Wir begrüßen es, dass sie einen weiteren Schritt geht, indem sie Hinzuverdienstgrenzen für Rentner komplett abschafft. Aufgrund des Fachkräftemangels
ist das in der aktuellen wirtschaftlichen Lage auch angezeigt. Wir haben die Signale aus der Wirtschaft bekommen: Die Leute müssen länger arbeiten, die Leute
sollen länger arbeiten. – Ich glaube, dass wir das richtige Signal an die Leute senden, wenn wir ihnen diesen Hinzuverdienst ermöglichen, wenn wir ihnen
ermöglichen, länger zu arbeiten, mehr zu arbeiten. Deswegen ist diese Entscheidung richtig.
({1})
Liebe Ampelregierung, Sie sollten sich nicht zu früh freuen: Auch mit einem 4 : 2 muss man in der Gruppenphase nicht weiterkommen. Zur Wahrheit gehört
nämlich auch, dass dieses Gesetz über 1 Milliarde Euro an Kosten auslösen kann. Wir hätten uns erhofft, dass man sich, wenn man mit einem Gesetz so hohe Kosten
verursacht, doch noch ein bisschen genauer damit beschäftigt. Das heißt, dass wir uns an dieser Stelle schon noch ein bisschen mehr Umfragen, ein bisschen mehr
Datenlage und vor allem kein „Huckepackgesetz“ gewünscht hätten. Wir hätten gerne die Zeit gehabt, mit Ihnen ausführlich über dieses Thema zu diskutieren
({2})
und über ein weiteres Thema, über ein Gesetz, das wir heute eigentlich beschließen wollen, nämlich das 8. SGB IV-Änderungsgesetz. Wir wollten über
Bürokratieabbau reden, über Digitalisierung. An der Stelle sind wir voll bei Ihnen mit dem, was Sie tun.
Die Anhörung hat aber auch gezeigt, dass noch viel Nachholbedarf besteht,
({3})
dass wir noch einiges tun könnten und dass in diesem Gesetz eben noch nicht alles enthalten ist. Studenten müssen in Deutschland weiterhin ihre
Studienbescheinigung zum Arbeitgeber tragen. Bei den Krankenkassen könnte der Beitragseinzug zentralisiert werden; das Geld landet sowieso in ein und demselben
Topf. Auch die Schriftformerfordernisse – damit haben wir uns ja schon einige Male in dieser Wahlperiode beschäftigt – könnten abgebaut werden.
({4})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich spoilere es: Wir werden dem Gesetzentwurf zustimmen –
({5})
mit einigen Bauchschmerzen. Aber wir hoffen auch, dass wir die vielen offenen Fragen, all die Baustellen, angehen. Wir sind da an Ihrer Seite,
arbeiten gerne mit Ihnen zusammen.
Vielen Dank. Machen Sie es gut!
({6})
Herr Präsident! Werte Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf mit dem komplizierten Titel hat auch einen sehr komplizierten Inhalt. Unter anderem
sollen damit Melde- und Abfragevorgänge digitalisiert und vereinfacht werden. – Das ist toll, hätte aber schon vor 20 Jahren erfolgen können. Etwa so lange
schon erfreuen sich Esten und Litauer einer Vereinfachung der öffentlichen Verwaltungsvorgänge. Ein Onlineunternehmen in Litauen gründet sich in drei Tagen. Die
Abgabe einer Steuererklärung in Estland dauert ganze drei Minuten. Und jetzt glänzen wir damit, dass wir unsere Sozialversicherungsnummer über das Internet
abfragen können. Aber, ehrlich gesagt, wir freuen uns ja, wenn die Ampel mal echte Fortschritte macht.
Ein wenig befremdlich finden wir allerdings, dass in so einen technischen Gesetzentwurf auch eine Regelung hineingemogelt wurde, die Menschen viel
existenzieller betrifft, nämlich der Entfall der Zuverdienstgrenzen bei einem vorzeitigen Renteneintritt und die Heraufsetzung der Zuverdienstgrenzen für
Erwerbsminderungsrentner. Beides sind grundsätzlich sinnvolle Maßnahmen aus Sicht der Arbeitnehmer. Aus Sicht der Beitragszahler sind sie nicht ganz so
sinnvoll, weil Zusatzkosten für die Rentenversicherung entstehen, und diese Mehrkosten sollten nicht den Rentnern aufgebürdet werden, sondern sie sollten vom
Verursacher, nämlich dem Staat, aus seinem Haushalt finanziert werden.
({0})
Genau das tut er natürlich nicht, und wir halten das für Unrecht.
Zudem müssen wir feststellen, dass die Regierung dem Wirrwarr bisheriger Einzelregelungen noch einmal eine hinzugefügt hat: Altersrentner können jetzt
beliebig hinzuverdienen, egal ob sie mit 63 oder mit 65 Jahren in Rente gehen, egal ob sie dies abschlagsfrei oder mit Rentenminderung realisieren können.
Erwerbsminderungsrentner können prinzipiell ebenfalls mehr hinzuverdienen, laufen aber Gefahr, ihre Rente zu verlieren, wenn sie durch den Hinzuverdienst ihre
Arbeitsfähigkeit über die zulässigen Arbeitsstunden hinaus ausdehnen. Wir raten deshalb Erwerbsminderungsrentnern, sich vor der Aufnahme einer Beschäftigung bei
der Rentenversicherungsanstalt ganz ausführlich beraten zu lassen.
Weniger sinnvoll ist die Regelung bei Witwen- und Witwerrenten. Hier wird man bei Zuverdiensten ab 950 Euro bestraft. Wer noch mehr arbeiten will,
muss 40 Prozent seines Zuverdienstes an die Rentenkasse abgeben. Aber warum? Eine Witwe, die anfängt, zu arbeiten, kostet den Staat doch nicht auf einmal mehr.
Im Gegenteil: Sie zahlt zumeist sogar Steuern. Weswegen wollen Sie sie dann vom Arbeitsmarkt vertreiben? Wir fordern die Regierung deshalb auf, arbeitenden
Witwern und Witwen das Leben endlich leichter zu machen, und werden demnächst dazu auch einen Antrag stellen.
({1})
Gänzlich unverständlich finden wir allerdings, dass ausgerechnet Rentner in der Grundsicherung nicht sinnvoll dazuverdienen dürfen. Vom ersten Euro an
werden ihnen 70 Prozent ihres Arbeitseinkommens weggenommen. Warum es bei ihnen keinen Freibetrag gibt, erschließt sich uns nicht.
Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Und erst recht verstehen wir nicht, warum sie deutlich schlechtergestellt werden als Arbeitsuchende in der Grundsicherung.
({0})
Anders als unsere Rentner haben diese häufig noch nie in die Sozialkassen eingezahlt.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja. – Gerade in Zeiten extremer Fachkräfteknappheit macht es doch überhaupt keinen Sinn, arbeitswillige Rentner in der Grundsicherung, –
Frau Kollegin, Sie haben jetzt noch einen Satz.
– die nach allen Regeln der Betrachtung arm sind, vom Arbeitsmarkt zu entfernen. Wir fordern Sie auf: Unterlassen Sie – –
({0})
Frau Kollegin, ich habe Ihnen das Wort entzogen. Sie sind bereits 30 Sekunden über die Zeit.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Pascal Kober, FDP-Fraktion.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hinter „Achtes Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch“ steckt mehr,
als der Name vielleicht vermuten lässt. Die Kurzfassung lautet: Die Ampel bringt die Digitalisierung voran. Konkret: Wir machen den Staat einfacher. Wir machen
den Staat digitaler. Wir machen Verwaltung und Sozialversicherungen einfacher und digitaler und für die Menschen einfach freundlicher.
({0})
Warum ist das wichtig? Liebe Kolleginnen und Kollegen, Digitalisierung ist kein Selbstzweck; sie ist kein Wert an sich. Aber: Digitalisierung bringt
Vorteile. Digitalisierung spart Zeit. 30 Prozent der Arbeitszeit wird laut einer McKinsey-Studie nicht produktiv genutzt, weil Beschäftigte umständlich
Informationen suchen müssen. Die Digitalisierung ermöglicht es, schneller an Informationen zu kommen und Daten auszutauschen. Digitalisierung spart auch Geld.
Beispielsweise durch den Umstieg auf Cloud-Lösungen bei digitalisierten Prozessen lassen sich Betriebskosten um bis zu 90 Prozent senken. Und vor allen Dingen:
Digitalisierung kann Menschen entlasten, kann ihnen Freiräume geben. Und: Digitalisierung hilft auch, die Folgen des Fehlens von Arbeitskräften in Zukunft zu
mildern.
({1})
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf leisten wir jetzt einen ganz konkreten Beitrag zu mehr Digitalisierung.
Was wird also zukünftig möglich sein? Es wird beispielsweise nicht mehr nötig sein, seinen Sozialversicherungsausweis vorzulegen, wenn man einen neuen
Job antritt. Damit machen wir es den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einfacher. Künftig kann der Arbeitgeber die Nummer des Sozialversicherungsausweises
einfach direkt elektronisch bei der Rentenversicherung abrufen. Krankenkassen müssen den Arbeitgeber nicht mehr mit einem Brief, der erst mal ausgedruckt wird,
Porto kostet und zur Post gebracht werden muss, bitten, den Beginn und das Ende der Elternzeit der Versicherten mitzuteilen. Diese Information kann der
Arbeitgeber der Krankenkasse zukünftig elektronisch mitteilen – ohne großen Zeitaufwand, ohne Zeitverzögerung. Das ist ein Fortschritt. Wir machen die Welt
digitaler und einfacher.
({2})
Ähnlich verhält es sich mit der sogenannten Unbedenklichkeitsbescheinigung, ein wichtiges Dokument, mit dem Krankenkassen Arbeitgebern nachweisen,
dass sie ihrer Pflicht zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge nachgekommen sind. Dieses Dokument ist für Unternehmen Voraussetzung etwa für die Teilnahme
an öffentlichen Ausschreibungen. Auch hier erfolgt die Beantragung und Übermittlung meist noch in Papierform. Zukünftig wird sie elektronisch möglich sein.
Und jetzt stelle man sich das mal vor – das ist ganz spannend –: Bei einer Entlastung von 15 Minuten pro Fall und 10 Millionen Fällen im Jahr
erreichen wir – das ist errechnet worden – eine erhebliche Arbeitsentlastung für die Krankenkassen. Sie sehen also: Es sind vermeintlich kleine Schritte, aber
mit großer Wirkung – für alle Seiten, aber auch im Hinblick auf unser großes Ziel, das große Ziel der Ampel, diesen Staat schlanker, einfacher, transparenter
und menschenfreundlicher zu machen.
Vielen Dank.
({3})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im parlamentarischen Prozess haben wir den Entwurf der gesetzlichen Veränderung
für den Braunkohleausstieg im Rheinischen Revier erweitern können. Wir haben das KVBG in § 54 klimapolitisch nachgeschärft und so Grundlagen gelegt, dass auch
wir als Parlament zukünftig handlungsfähig sind. Konkret: In § 54 KVBG findet sich nun die Formulierung, dass nicht nur regelmäßig die „Erreichung der …
Klimaschutzziele“ überprüft werden muss, sondern dass bei drohender Nichterreichung der Klimaschutzziele „Maßnahmen zur Zielerreichung“ vorgeschlagen werden
müssen.
({0})
Frau Kollegin, kann ich Sie einmal ganz kurz unterbrechen? Ich halte die Zeit an; Sie können gleich weitermachen.
Ich bitte jetzt wirklich die Kolleginnen und Kollegen um etwas Ruhe. Das gilt insbesondere für die Kolleginnen und Kollegen aus der Fraktion der
CDU/CSU. Ich meine den Pulk um Herrn Amthor herum.
({0})
– Ich sehe das ja von hier oben – im Gegensatz zu Ihnen.
({1})
– Man mag ihn ja schätzen; aber das kann man auch leise machen. Insofern würde ich darum bitten, der Rednerin zuzuhören. Das gilt auch für die
Mitglieder der SPD-Fraktion.
Frau Kollegin, Sie haben das Wort.
({2})
Diese Maßnahmen sind sehr wichtig, weil unser Ziel weiterhin sein sollte, viel schneller aus der Kohle auszusteigen, weil sie nach wie vor die
klimaschädlichste Form der Energieerzeugung ist. Unser Ziel muss es bleiben, unabhängig und klimagerecht zu werden, mit einer Energieversorgung aus 100 Prozent
Erneuerbaren.
({0})
Das bedeutet:
Erstens. Im Rheinischen Revier müssen wir nachschärfen, und wir brauchen einen schnelleren Ausstieg aus der Braunkohle in den anderen Revieren in
Deutschland.
Zweitens. Bitter nötig ist natürlich auch ein Ausstieg aus der Steinkohle.
({1})
– Sie müssen hier nicht ständig zwischenrufen und herumpöbeln. Das ist sehr unhöflich.
({2})
Bitter nötig ist ein Ausstieg aus der Steinkohle, weil in den Abbauregionen Nordkolumbiens beispielsweise massive Menschenrechtsverletzungen und
Umweltzerstörungen stattfinden.
Vor drei Wochen, im Vorfeld der UN-Klimakonferenz, haben wir hier im Bundestag beschlossen, dass wir eine Klimapartnerschaft mit Kolumbien eingehen
werden. Das werden wir jetzt parlamentarisch weiter begleiten, zusammen mit Parlamentariern in Kolumbien und mit Indigenen-Dachverbänden, weil wir eine
klimagerechte Partnerschaft errichten wollen, mit dem Ziel, dass auch dort Steinkohletagebaue stillgelegt werden.
({3})
Bis das letzte Kohlekraftwerk abgeschaltet wird, dürfen wir niemals aufhören, dafür zu ringen, dass es noch eher vom Netz geht.
({4})
Denn es geht hier nicht nur darum, unsere Klimaziele einzuhalten, sondern auch darum, die Klimakrise aufzuhalten. Dabei müssen wir die Warnungen der
Klimawissenschaft sehr ernst nehmen, weshalb wir auch den Expertenrat für Klimafragen in der Funktion des Überprüfers neu ins Gesetz eingefügt haben.
Unterschiedliche Studien und Gutachten mit Bedacht zu lesen, sehe ich als meine Verantwortung als Abgeordnete. Deswegen: Heute Morgen ist eine neue
Aurora-Studie veröffentlicht worden, die den Erhalt des Dorfes Lützerath als energiewirtschaftlich möglich ansieht, und diese müssen wir jetzt auch sehr genau
prüfen. Aktuell weigert sich der zuständige Bürgermeister von Erkelenz, einer Räumung zuzustimmen.
({5})
Wir sollten diese Gelegenheit nutzen, um innezuhalten – keine Räumung, keine Eskalation, keine Verletzten und keine Traumatisierten.
({6})
Der Kohlekonzern RWE trägt hier die Verantwortung, nicht länger den sozialen Frieden in unserer Region zu gefährden.
({7})
Was wir jetzt brauchen, ist ein Moratorium, mit dem Ziel, Lützerath zu erhalten.
({8})
Ich möchte hoffnungsvoll enden: Noch vor drei Jahren wäre es undenkbar gewesen, den Erhalt all der anderen Dörfer und Höfe am Tagebau Garzweiler
schwarz auf weiß, rechtssicher in einem Gesetz zu finden. Aber das ist jetzt Realität. Noch vor kurzer Zeit wäre es undenkbar gewesen, dass wir aus dem
Energiecharta-Vertrag aussteigen. Aber auch das ist jetzt Realität geworden. Wir können es also schaffen, gemeinsam die Klimakrise aufzuhalten und die
Grundlagen für ein besseres Morgen zu legen.
In der Entschließung begrüßen wir es zudem, dass Menschen das Recht erhalten, jetzt unbürokratisch ihre Häuser und Grundstücke in den Dörfern
zurückzukaufen. All das ist möglich, besonders dank der Menschen in den Dörfern, die sich für den Erhalt engagiert haben, und dank des zivilgesellschaftlichen
Engagements der Klimagerechtigkeitsbewegung.
({9})
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ohne die lebendige und vielfältige Zivilgesellschaft, ohne zivilen Ungehorsam wäre der Erhalt des Hambacher Forstes, aber auch der Erhalt der Dörfer
nicht möglich gewesen.
Frau Kollegin, Sie haben noch einen Satz.
Dafür verdienen sie unseren Dank und unseren Respekt und keine absurden Debatten, die – –
({0})
Frau Kollegin, ich habe Ihnen das Wort entzogen; Sie haben Ihre Redezeit bereits um 35 Sekunden überzogen.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Wilfried Oellers, CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Sehr geehrter Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte über den Entwurf des
Gesetzes zur Beschleunigung des Braunkohleausstiegs im Rheinischen Revier ist für mich eine besondere Debatte, weil der Tagebau Garzweiler II zu großen Teilen
in meinem Wahlkreis verortet ist. Im Kreis Heinsberg waren wir parteiübergreifend nie Freunde, sondern eher Gegner des Tagebaus, weil er mit dem Verlust von
Heimat, von besten landwirtschaftlichen Böden, von Naturraum und, nach den ursprünglichen Planungen, mit dem Verlust von einem Drittel der Fläche des Gebiets
der Stadt Erkelenz verbunden war.
Dieser Verlust reduziert sich jetzt um ein Vielfaches. Allein Lützerath wird dem Tagebau noch weichen. Die Dörfer Keyenberg, Oberwestrich,
Unterwestrich, Kuckum und Berverarth werden nicht abgebaggert. Auch der Ort Holzweiler konnte durch eine vorherige Entscheidung erhalten bleiben. Schöne
historische Höfe, wie der Eggerather Hof, der Roitzerhof und der Weyerhof, bleiben erhalten. Dem Ort Kaulhausen bleibt eine jahrelange Tagebaurandlage erspart.
Darüber freue ich mich als Wahlkreisabgeordneter sehr.
Mir ist es jedoch wichtig, in dieser Debatte auch die Herausforderungen für die Region zu benennen, die nun entstehen und zeitnah bewältigt werden
müssen. Es ist mir auch wichtig, zu betonen, dass natürlich das Land NRW für die Umsetzung zuständig ist. Mit der Entscheidung heute steht aber auch der Bund in
der Verantwortung, den vorgezogenen Ausstieg aus der Braunkohle im Rheinischen Revier in allen Belangen zu unterstützen, auch finanziell. Hierauf gehen wir in
unserem Entschließungsantrag ein.
Wenn der Kohleausstieg um acht Jahre vorverlegt wird, muss der Strukturwandel entsprechend beschleunigt werden. Der ursprüngliche Gedanke, zuerst neue
Arbeitsplätze zu schaffen, bevor bestehende Arbeitsplätze wegfallen, muss weiterhin gelten. Es darf nicht zu einem Strukturbruch kommen. Die entsprechenden
Fördergelder, die wir bereits in der letzten Legislaturperiode unter der unionsgeführten Bundesregierung bereitgestellt haben, müssen jetzt für Projekte,
Infrastruktur und Ansiedlung zur Verfügung gestellt werden.
({0})
Hier steht die Ampelregierung in der Pflicht, und sie muss nun auch handeln.
Die Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen beschleunigt werden.
({1})
Hier kann das Rheinische Revier als Modell zur Erprobung entsprechender Verfahren und Beschleunigungsmaßnahmen dienen.
({2})
Diese Chance muss genutzt werden.
Beim Strukturwandel müssen auch die Belange der kleinen und mittelständischen Unternehmen berücksichtigt werden, die als Zulieferbetriebe in unserer
Region eine große wirtschaftliche Bedeutung haben. Und schließlich muss die Energiesicherheit gewährleistet sein. Gerade die Menschen und die Industrieregion im
Rheinischen Revier mit ihren energieintensiven Betrieben müssen eine verlässliche Energieversorgung haben. Es ist daher richtig, dass in dem Gesetzentwurf für
2023 und 2026 Evaluationszeitpunkte vorgesehen sind.
Sollte es zu einer Verlängerung oder einem Reservebetrieb kommen, so muss dies aus dem jetzt festgelegten Bestand des Tagebaus betrieben werden. Zudem
muss jetzt zeitnah der Bau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken erfolgen, damit diese 3 Gigawatt ab 2030 als Reservekapazität auch zur Verfügung stehen.
Auch die Planungen zur Rekultivierung müssen nun beschleunigt und vorgezogen werden. Fragen wie die Befüllung des Restsees – Stichwort
„Leitungsbau“ –, wasserwirtschaftliche Auswirkungen auf das Grundwasser – Stichwort „Feuchtgebiet Naturpark Schwalm-Nette“ – oder die Restrukturierung der
Region müssen durch mehr Personal beschleunigt beantwortet werden. Die Anrainerkommunen dürfen hier nicht alleingelassen werden.
Die Revitalisierung der fünf Dörfer wird eine ganz besondere Herausforderung; dies gilt für das Organisatorische, insbesondere aber auch für das
Menschliche. Was meine ich damit? Die fünf Dörfer befinden sich seit 2016 in der Umsiedlung. Etwa 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sind bereits in die
neuen Dörfer umgezogen
({3})
oder befinden sich gerade in der Umsiedlungsphase. Das gesellschaftliche Leben und das Vereinsleben finden bereits in den neuen Dörfern statt. Die
allermeisten Gebäude in den Altdörfern stehen bereits seit Langem leer und sind unterwohnt.
Der Bund und das Land NRW müssen hier finanziell helfen, da es für diese Frage bisher kein Budget gibt. Die Stadt Erkelenz braucht zügig
Planungssicherheit, damit sie die Revitalisierung gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern entwickeln kann.
Und hier kommt die menschliche Ebene ins Spiel: Es gilt, sehr behutsam mit den Interessen, Befindlichkeiten und Gefühlen der Menschen umzugehen. Sie
haben viel durchlebt und viel durchlitten. Sie sind umgesiedelt worden, obwohl das nach heutiger Entwicklung nicht nötig gewesen wäre. Manche wollen jetzt, dass
ihr Haus auch abgerissen wird. Manche wollen ihr Haus zurückhaben, obwohl es unterwohnt ist. Manche wollen umsiedeln, obwohl sie bleiben könnten. Manche wollen
bleiben, obwohl viele Menschen – auch ihre Nachbarn – weggezogen sind. Bei dieser Frage ist höchste Sensibilität an den Tag zu legen,
({4})
weil die Erinnerung an die Heimat immer noch da ist. Da müssen die Menschen gerade jetzt ganz besonders mitgenommen werden, so wie es die Stadt
Erkelenz mit Bürgermeister Stephan Muckel plant.
Wer sich immer für die Belange der betroffenen Menschen eingesetzt hat, war Bürgermeister a. D. Peter Jansen, den ich deswegen besonders erwähne, weil
er morgen im Alter von erst 63 Jahren viel zu früh zu Grabe getragen wird. Lieber Peter, ich bin mir sicher, dass du von oben die weitere Entwicklung verfolgen
wirst.
Danke schön.
({5})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Landsleute! Den grünen Deutschlandhassern geht der Niedergang Deutschlands nicht schnell genug. Nun
sollen 3 Gigawatt Kraftwerkskapazität schon 2030 den kranken Ideologen und den Windkraftlobbyisten zum Opfer fallen – und mit ihnen Tausende Arbeitsplätze.
Die Kohlekommission, in der kein einziger Energieexperte, kein einziger Netzexperte saß, dafür aber jede Menge klimareligiöse Fanatiker, empfahl im
Auftrag der damaligen Regierung den Kohleausstieg für 2038 und beschwor gebetsmühlenartig den breiten gesellschaftlichen Konsens zur Vernichtung der
Kohleverstromung. Bis dahin hatten die Ideologen noch gehofft, man könne diese Vernichtung mit wissenschaftlich nicht begründbaren Forderungen, die
CO2-Emissionen zu senken, und der Subventionierung von Vogelschreddern und Insektengräbern erreichen. So äußerte sich im Jahre 2007 Herr Edenhofer vom
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung – Zitat –, die geforderten Emissionssenkungen „sollen rentablen Technologien Klötze ans Bein binden, neuen grünen
Technologien uneinholbare Vorteile verschaffen“.
Da dies nicht schnell genug ging, musste die Kohleverstromung per Kohleausstiegsgesetz verboten werden – ganz im Sinne der grünen Kommunisten, deren
Vollstreckerin, die Kanzlerin, schon damals alle Forderungen der Grünen gegen die konservativen Kräfte in der Union durchpeitschte. Warner aus den eigenen
Reihen entsorgte Merkel wie die Deutschlandfahne am Abend des Wahlsieges 2013 – ein unwürdiges Schauspiel.
({0})
Noch am 31. Januar 2019 rügte Christian Lindner, damals noch in der Scheinopposition, den Kohleausstieg als – ich zitiere – „einen direkten Eingriff
in die wirtschaftliche Freiheit … Planwirtschaft und Bürokratismus“. Heute trägt er diesen direkten Eingriff in die wirtschaftliche Freiheit mit und liegt mit
magentafarbenem Leibchen zu dritt mit grünen Kommunisten und roten Sozialisten im parlamentarischen Bettchen.
({1})
Alle vermeintlichen Stimmen der Vernunft verstummten. Alles Aufbegehren gegen Planwirtschaft und Bürokratismus, jedweder Freiheitsgedanke: erstickt
zwischen den Sesseln der Macht und den Hintern, die auf diesen Sesseln kleben.
({2})
Die Union hat es leider nicht geschafft, sich von den ideologischen Fesseln, die ihr die damalige Kanzlerin angelegt hatte, zu befreien, und wird
zustimmen. Friedrich Merz, der ehemalige Hoffnungsträger der konservativen CDU-Anhänger, ist nicht in der Lage, dieses dunkle Kapitel der CDU abzuschütteln und
endlich wieder konsequent konservative, vernunftgeleitete Politik zu machen.
({3})
Das Erbe der Kanzlerin in Form von roten und grünen Spinnern, die die Kanzlerin etabliert hat, lähmt die Union – sehr zum Ärger der wenigen
Konservativen, die noch übrig geblieben sind; sie müssen mit geballter Faust in der Tasche zuschauen, wie sich die Union weiterhin an der Vernichtung unserer
Lebensgrundlagen beteiligt.
Wir als AfD werden dies nicht tun. Wir fordern stattdessen den Ausstieg aus dem durch kein einziges vernünftiges Argument begründbaren
Kohleausstieg.
Glück auf in die Heimat!
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich melde mich zur Nachtschicht, und wir achten jetzt sehr auf die Redezeit.
Nächster Redner ist Reinhard Houben für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin ja schon froh, dass Wolfgang Kubicki nicht mehr hinter mir sitzt; dann habe ich ja vielleicht noch
20 Sekunden mehr zu sprechen.
Das glaube ich nicht.
({0})
Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verlängern wir die Laufzeiten zweier Kohlekraftwerksblöcke im Rheinischen Revier über das
Jahr 2022 hinaus.
({0})
Damit vergrößern wir in den kommenden Jahren das Stromangebot, was angesichts steigender Energiepreise und hoher Inflation bitter notwendig ist.
Auch in anderen Bereichen hat sich die FDP innerhalb der Bundesregierung erfolgreich für die Vergrößerung des Stromangebotes eingesetzt: Die drei
verbliebenen Atomkraftwerke bleiben länger am Netz. Die Installation von Photovoltaikanlagen wurde vereinfacht. Die Verstromung von Biomasse wird ausgeweitet. –
Das ist angesichts der aktuellen Umstände eine verantwortliche Energiepolitik für Deutschland und Europa.
({1})
Da die Kohlekraftwerke im Rheinischen Revier länger laufen, brauchen wir fürs Erste schlicht mehr Braunkohle, als ursprünglich geplant war. Aus diesem
Grund muss leider auch der Weiler Lützerath dem Tagebau weichen.
Das ist jetzt schon ein interessantes politisches Spiel. Ich finde es ja gut, Kollegin Henneberger, dass Sie selbst in die Bütt gehen, aber Sie müssen
auch die politische Verantwortung der Grünen in Nordrhein-Westfalen sehen. Wir hatten in den Debatten um den Hambacher Forst fast bürgerkriegsähnliche
Verhältnisse in Nordrhein-Westfalen.
({2})
Ich finde, es liegt dann auch in der Verantwortung einer Partei, dafür zu sorgen, dass die Leute, die derartig emotionalisiert worden sind, auch
wieder in die offene politische Debatte eingebunden werden; das ist Ihre Verantwortung.
({3})
Herr Oellers, Sie haben als CDU den politischen Preis gezahlt, damit Ministerpräsident Wüst Ministerpräsident werden konnte, und haben diese
Vereinbarung mit RWE abgeschlossen, zu der schon heute auf den Fluren gesagt wird: Na, ob das wirklich so funktioniert, 2030, da glauben wir alle noch nicht
dran.
({4})
Wenn Sie uns dann – ich möchte sagen – sehr emotional die Probleme der Menschen in den Dörfern, die umgesiedelt werden, darstellen, finde ich das in
hohem Maße politisch unkorrekt; denn die Union hat in Nordrhein-Westfalen bis nach der Landtagswahl eine andere Politik betrieben. Jetzt so zu tun, als ob Sie
der Retter der Dörfer im Kreis Erkelenz sind, das finde ich schon ziemlich unangemessen.
({5})
Meine Damen und Herren, am Ende brauchen wir in Nordrhein-Westfalen eine Befriedung der Energiedebatte. Deswegen fordere ich sowohl die Union als auch
die Grünen auf: Sorgen Sie dafür, dass Lützerath nicht wieder zu einem Thema wird – wie die Debatte um den Hambacher Forst –; denn auch der CDU-Innenminister
Herbert Reul sagt: Es geht eben nicht nur um Kohleverstromung, sondern auch darum, dass demokratische Entscheidungen von Gerichten und Politik friedlich
umgesetzt werden können.
Vielen Dank.
({6})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Deutschland muss zum einen schneller werden bei Planverfahren, und zum
Zweiten müssen wir Geschwindigkeit aufnehmen beim Ausbau der erneuerbaren Energien.
Viele wissen es nicht, aber das Baugesetzbuch ist ein großer Schlüssel, um beides zu erreichen: schneller zu planen und den Ausbau der erneuerbaren
Energien voranzubringen. Das haben wir schon beim Gesetz zum Ausbau der Windenergie an Land gezeigt. Wir haben über das Baugesetzbuch die Windausbauziele in
Deutschland stark gepusht. Und ich habe heute mit Interesse vernommen, dass sogar drei Minister in Bayern am Montag ein einziges Windrad einweihen werden.
Herzlichen Glückwunsch dazu!
({0})
Ich bedanke mich bei den Abgeordneten für die Diskussion des Gesetzentwurfes, der dadurch noch ein bisschen besser geworden ist als der ursprüngliche
Plan. Das eine Thema ist der Ausbau der Windenergie. Wir steigen aus der Braunkohleverstromung aus. Das ist richtig mit Blick auf das Klima, das ist richtig mit
Blick auf die Menschen in diesen Regionen. Aber natürlich müssen wir dann auch in die erneuerbaren Energien einsteigen, gerade in den Bereichen der ehemaligen
Reviere; denn hier sind die Menschen Energieproduktion gewohnt, und wir wollen, dass diese Menschen auch in Zukunft in einer Energieregion leben – aber in einer
Energieregion mit Erneuerbaren.
({1})
Diese Regionen bieten sich an, weil sie durch den Braunkohletagebau schon vorbelastet sind. Das heißt, wir können hier sehr konfliktarm auch neue
Windkraftanlagen und neue Photovoltaikanlagen aufbauen, und das große Thema Leitungsinfrastruktur ist hier schon geklärt. Deswegen wird in diesem Gesetzentwurf
vorgeschlagen, dass die Landesgesetzgeber mit einer einfachen Verordnung ohne aufwendiges Planverfahren ehemalige Tagebauflächen für Erneuerbare nutzen können,
damit diese Regionen Energieregionen bleiben.
({2})
Frau Ministerin, einen Moment! – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen hier jetzt, glaube ich, alle zügig vorankommen. Deswegen bitte ich, die
Gespräche nach außen zu verlagern. Es ist wirklich zu laut.
({0})
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Das zweite große Thema ist der Ausbau der Photovoltaik. Auch hier wollen wir Flächen privilegieren, die ohnehin
schon vorbelastet sind, etwa entlang von Autobahnen und großen Schienenwegen. Hier sollen in Zukunft auch Photovoltaikanlagen ohne Bebauungsplan zulässig
sein.
Das sind Maßnahmen, die man schon vor Jahren hätte ergreifen können und die wir jetzt ergreifen, um die Erneuerbaren zügig auszubauen.
({0})
Ein wichtiger Punkt ist, dass wir in Deutschland für viele Dekarbonisierungsprozesse auch den Wasserstoffhochlauf brauchen. Sie werden es sehen, wenn
Sie durch Deutschland fahren: Manch ein Windrad dreht sich nicht, obwohl der Wind weht, und das ist deshalb so, weil die Netzstabilität es nicht zulässt,
einzuspeisen. Hier haben wir eine ganz einfache Antwort, wir sagen: „An Windparks, an Photovoltaikanlagen gibt es die Möglichkeit, Elektrolyseure aufzustellen“,
damit wir diese Energie nicht nicht nutzen, sondern mit ihr Grünen Wasserstoff produzieren, der in großer Menge gebraucht wird.
({1})
Das sind einzelne Schritte, die dazu führen werden, dass wir ganz deutlich Geschwindigkeit aufnehmen a) bei Planungsprozessen, aber auch b) beim
Ausbau der erneuerbaren Energien.
Ich kündige jetzt schon an, dass wir nächstes Jahr mit Ihnen gemeinsam eine große Baugesetzbuchnovelle machen werden; denn das Baugesetzbuch, das wir
jetzt haben in Deutschland, kommt noch aus den 50er- und 60er-Jahren, als wir den Wiederaufbau planten, als wir auf der grünen Wiese bauten. Wir müssen
verstehen, dass wir unsere Planungsprozesse, das grundlegende Baugesetzbuch ändern müssen, anpassen müssen an die weitere Urbanisierung, aber auch, vor allen
Dingen, an das flächensparende Bauen, Stichwort: Klimaanpassung unserer Städte und Gemeinden.
Ich freue mich auf die Debatte im nächsten Jahr und bitte jetzt um Zustimmung zu dieser wunderbaren kleinen Gesetzesnovelle.
Danke.
({2})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Energiepreise sind explodiert, viele Menschen müssen frieren. Nächste Woche veranstaltet die Regierung
einen bundesweiten Warntag, und das Amt für Katastrophenschutz warnt vor bevorstehenden Blackouts.
Diese regierungsgemachte Energiekrise ist die direkte Folge der Energiewende, nämlich davon, gleichzeitig aus Kohle und Kernenergie auszusteigen.
({0})
Um vom eigenen Versagen abzulenken, erfindet die Regierung jetzt das Märchen vom Wasserstoff, der zusammen mit Wind und Sonne eine der größten
Industrienationen der Welt versorgen soll.
Deshalb wollen Sie 2 Prozent der Fläche Deutschlands für Windindustrieanlagen opfern. Das heißt, zu den heutigen 30 000 kommen noch weitere 90 000
dazu. Und weil kein Mensch weiß, wo denn diese ganzen Kolosse überhaupt noch hingestellt werden sollen, legen Sie in diesem Gesetzentwurf auch gleich fest, dass
die Windindustrieanlagen zukünftig nur wenige Hundert Meter von Wohnhäusern entfernt sein müssen – um dann direkt neben diesen Monsteranlagen Wasserstoff, ein
extrem leicht entzündliches, flüchtiges, technisch problematisches und vor allem extrem teures Gas zu produzieren und dort gleichzeitig noch in großen Mengen zu
lagern.
Zur Erinnerung: Wasserstoff ist ein Störfallstoff. Das bedeutet, für die Erzeugung, den Transport, die Lagerung und die Verarbeitung sind
außerordentlich hohe Sicherheitsmaßnahmen erforderlich, wie zum Beispiel Sicherheitszäune, Werkschutz rund um die Uhr, Messfahrzeuge und Überflugverbote zum
Schutz vor Unfällen, Explosionen, Bränden und Sabotage.
({1})
Zudem ist die Erzeugung einer Kilowattstunde Strom aus Wasserstoff zwölfmal so teuer wie aus Kernenergie. Was Sie hier machen, ist nichts anderes als
eine Energievernichtungskaskade:
({2})
Strom in Wasserstoff verwandeln, Wasserstoff auf minus 252,9 Grad herunterkühlen und auf dieser Temperatur halten, ihn dann wieder erwärmen, um den
Wasserstoff dann wieder in Strom zurückzuverwandeln; bei diesem Vorgang gehen mindestens 75 Prozent der Energie verloren.
({3})
Mit diesem Gesetz vollbringen Sie also die technische Meisterleistung, aus 100 Prozent Strom 25 Prozent zu machen. So machen Sie den Strom für die
Menschen endgültig unbezahlbar!
({4})
Was wir in Deutschland brauchen, ist eine sichere und bezahlbare Energie für jedermann –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– und keine Märchengeschichten, und das geht nur, wenn die Kern- und Kohlekraftwerke weiterlaufen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon 2050 könnten weltweit knapp 10 Millionen Menschen an den Folgen von Antibiotikaresistenzen
sterben, warnt die WHO. Zum Vergleich: Bislang sind ungefähr 6,6 Millionen Menschen weltweit an den Folgen von Covid-19 gestorben. Das Problem ist drastisch,
und wir dürfen es nicht weiter ignorieren.
({0})
Jeder Einsatz von Antibiotika fördert das Risiko zur Resistenzbildung. Darum ist es absolut unverantwortlich, dass gesunden Tieren immer noch mehr
Antibiotika gegeben werden als kranken Menschen. Damit muss dringend Schluss sein!
({1})
Wir bringen heute ein Gesetz zur Änderung des Tierarzneimittelgesetzes auf den Weg, um einen ersten wichtigen Schritt zu tun hin zu einer konsequenten
Reduzierung von Antibiotika in der Tierhaltung. Wir werden einige wichtige Neuerungen auf den Weg bringen: Wir werden mehr Transparenz schaffen. Wir werden ein
neues Benchmarking-System einführen. Wir werden den Vollzug in den Ländern stärken. Und, ganz besonders wichtig, wir werden endlich ein stärkeres Augenmerk auf
die für uns in der Humanmedizin so wichtigen Reserveantibiotika legen.
({2})
Außerdem werden wir das Ziel des European Green Deals – bis 2030 50 Prozent weniger Antibiotikaeinsatz in der Landwirtschaft – gesetzlich verankern.
An diesem Ziel werden wir uns messen lassen müssen. Darum ist es nur richtig, dass wir schon in drei Jahren eine erste Evaluierung der Maßnahmen haben
werden.
({3})
Nichtsdestotrotz muss ich am Ende meiner Rede Folgendes ansprechen: Wir wissen, dass aktuell nur der strukturelle und massive Einsatz von Antibiotika
viele Tierhaltungsbetriebe in Deutschland am Laufen hält.
({4})
Dieses Problem werden wir nur dann nachhaltig lösen, wenn wir uns politisch damit befassen, wie wir endlich den Um- und Abbau der Tierhaltung
voranbringen.
({5})
Dafür werden wir in den nächsten Jahren kämpfen.
Vielen Dank.
({6})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Anbetracht der Uhrzeit, zu welcher dieser Tagesordnungspunkt aufgerufen wird, will
ich selbstverständlich versuchen, meine Redezeit im Sinne aller Beteiligten hier nicht auszunutzen – dies würde zur umfassenden Beurteilung dieses
Gesetzentwurfes auch nicht reichen.
Ich will mir aber wenigstens eine kurze Bemerkung zu diesem Gesetzgebungsverfahren erlauben. Die inhaltliche Kritik unserer Fraktion am vorliegenden
Gesetz zur Änderung des Tierarzneimittelgesetzes können Sie in den Ausschussprotokollen und in der Beschlussempfehlung des Ausschusses nachlesen. Lassen Sie
mich aber eines dann doch noch einmal sagen: Unsere Landwirte und Tierärzte ächzen jetzt schon unter überbordender Bürokratie. Dann erblickt ein Gesetzentwurf
aus dem Hause BMEL das Licht der Welt und wird in Windeseile, mit großer Schnelligkeit, aber eben nicht mit der notwendigen Gründlichkeit in einer
Panik-Sondersitzung des Ausschusses in der Haushaltswoche entgegen allen üblichen Gepflogenheiten des Hauses über die Rampe gehoben.
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf war schon nicht der große Wurf. Er war wieder einmal deutlich mehr als die erforderliche
Eins-zu-eins-Umsetzung von Europarecht. Er ist nach Aussagen aller beteiligten Interessenvertretungen ein Bürokratiemonster. Es gab massive Kritik seitens der
Verbände. Darüber hinaus kam in der öffentlichen Anhörung zu diesem Gesetzesvorhaben überaus große Kritik von den Experten. Und Sie von den regierungstragenden
Fraktionen tun nun so – das ist für mich mindestens genauso bemerkenswert –, als hätte es diese Anhörung überhaupt nicht gegeben,
({0})
und verschlimmbessern den Gesetzentwurf der Regierung mit Ihrem Änderungsantrag danach auch noch.
({1})
Mein Fazit – und dann höre ich auch schon auf –: Sie gefährden durch Ihre Überregulierung die erreichten Erfolge bei der Minimierung des
Antibiotikaeinsatzes. Sie tun auch dem Tierschutz keinen Gefallen. Sie belasten Veterinäre und Landwirte mit Bürokratie und Misstrauen, indem Sie hinter jeden
Kontrolleur noch einen weiteren Kontrolleur stellen.
({2})
– Leider, Frau Künast, kann ich Ihnen diese Kritik auch zu so später Stunde nicht ersparen.
Die Unionsfraktion wird dieses Gesetz deshalb ablehnen. Ich kann Ihnen allen von der Ampel nur raten, das ebenfalls zu tun.
Danke.
({3})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gott zum Gruße! Wir stimmen heute über ein Gesetz ab, über das der Präsident des Bundesverbands
Praktizierender Tierärzte sagt – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:
Man hat den Eindruck, dass die Produktion wertvoller tierischer Lebensmittel in Deutschland durch solche Gesetze … abgeschafft werden soll.
({0})
– Frau Mayer hat ja gerade gesagt, dass man die Tierhaltung abschaffen will.
In der öffentlichen Anhörung haben alle Experten darauf hingewiesen, dass Sie hier ein neues Bürokratiemonster schaffen, welches so in der Praxis gar
nicht umsetzbar ist. Diese Kritik haben Sie vollständig ignoriert. Und als wäre das noch nicht schlimm genug, setzen Sie mit Ihrem Änderungsantrag noch einen
obendrauf und verschärfen das Gesetz noch mal. Beispielsweise wollen Sie jetzt entgegen allen Empfehlungen bestimmte Wirkstoffgruppen pauschal verbieten. Weder
die aktuelle Resistenzsituation noch die Zahlen zum Antibiotikaeinsatz rechtfertigen das. Die Tierärzteschaft warnt uns eindringlich davor, dass bei Annahme
dieser Änderungen die Tiergesundheit und damit der Tierschutz ernsthaft in Gefahr sind.
Liebe Leute, ich erkläre es euch: Die Grünen sind Tierhasser!
({1})
Das zeigen Sie mit diesem Gesetz. Tiergesundheit und Tierschutz sind ernsthaft in Gefahr, meine Damen und Herren!
({2})
Das Ganze ist eigentlich nur damit zu erklären, dass diese Gesetzesänderung für Sie ein weiterer Baustein zur Abschaffung der Nutztierhaltung und zur
Vernichtung der bäuerlichen Betriebe in Deutschland ist.
({3})
Die Grünen machen daraus kein Geheimnis; das ist ganz einfach.
Wie so etwas funktioniert, kann man am Beispiel der Kernenergie sehen. Wie Herr Trittin erst zugegeben hat, wurden die Sicherheitsanforderungen für
Kernkraftwerke gesetzlich so hochgeschraubt, dass sie unrentabel wurden. Das gleiche miese Spiel versuchen Sie jetzt anscheinend auch in der Nutztierhaltung
durchzuziehen: Sie verschärfen die Auflagen und den bürokratischen Aufwand in der Tierhaltung so extrem, bis Sie auch den letzten Tierhalter plattgemacht haben,
dann erst sind Sie glücklich.
({4})
Anders lassen sich Ihre unverhältnismäßigen und völlig praxisfernen Forderungen nicht nachvollziehen.
Den grünen Tierhassern haben wir ja nichts anderes zugetraut.
({5})
Der eigentliche Skandal bei der ganzen Sache ist, dass die FDP dieses bauernfeindliche Spielchen mitspielt. Wo sind sie hin, Ihre ganzen vollmundigen
Versprechungen für die Landwirtschaft aus dem Wahlkampf, Ihr „Wir tun alles“?
({6})
Sie, lieber Kollege Herr Bodtke, haben bei der ersten Lesung hier an diesem Pult gestanden und hoch und heilig versprochen: Die FDP wird alles dafür
tun, dass nur eine Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Vorgaben kommt. – Nein, ganz im Gegenteil: Sie stimmen jetzt sogar noch dem Änderungsantrag zu. Sie brechen ein
Versprechen nach dem anderen. Sie vernichten die deutsche Landwirtschaft mit Ihrer Arbeit.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Eines steht fest:
Kommen Sie bitte sofort zum Schluss!
Tierhaltung, Umweltschutz und Landwirtschaft funktionierten – –
({0})
Wer hat „Lächerlich!“ geschrien? – Herr Rinck, Sie bekommen einen Ordnungsruf.
({0})
– Ja. Das scheint bei Ihnen zur Gewohnheit zu werden.
({1})
Benehmen im Parlament ist auch was Schönes.
({2})
Ingo Bodtke gibt seine Rede zu Protokoll.
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Eines vorweg: Die Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung ist
richtig und wichtig, sowohl für die menschliche als auch für die Tiergesundheit.
Aber zu diesem Gesetzentwurf gab es im Ausschuss eine Anhörung, in der viel Kritik von den Fachverbänden geäußert wurde: nicht leistbare, überbordende
Bürokratie für die Tierärzte und ‑halter und der falsche Schwerpunkt.
Die Bekämpfung des hohen Antibiotikaverbrauchs muss an der Ursache für die Erkrankungen ansetzen. Dabei muss es um die Verbesserung von
Haltungsbedingungen, die Beseitigung von Fütterungsfehlern und schlechten baulichen Voraussetzungen und die Behebung von Mängeln im Betriebsmanagement
gehen.
({0})
Die Verpflichtung oder Intensivierung einer Integrierten Tierärztlichen Bestandsbetreuung wäre zusammen mit der seit Langem geforderten
Tiergesundheitsdatenbank zwingend, um wirklich etwas für die Tiergesundheit zu tun.
({1})
– Ja, aber sie ist noch nicht auf dem Weg. Wenn dies nicht mitgedacht und geregelt ist, bleibt das Reduktionsziel beim Antibiotikaeinsatz ein leerer
Vorsatz.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn wir den Antibiotikaeinsatz in der Tiermedizin weiter reduzieren wollen, dann müssen wir die Nutztierhaltung
tiergerechter machen.
({2})
Hier steht die Koalition nach wie vor auf der Bremse. Geben Sie Gas!
Die meisten Verbände beklagen, dass die vorgeschlagenen Regelungen die Tiermedizin und damit die gesamte Tiergesundheit in der Landwirtschaft auf
lange Sicht schädigen könnten. Das sehen wir genauso. Es geht dabei nicht nur um die medizinische Versorgung von Groß- und Kleintieren, es geht auch um das
öffentliche Veterinärwesen. Es geht um die Tierseuchenbekämpfung, die ordnungsbehördlichen Aufgaben des Tierschutzes, die Gesundheitsüberwachung in
Tierbeständen und die Lebensmittelüberwachung.
Diese Aufgaben sind schon jetzt kaum zu leisten, neue sollen noch hinzukommen. Das ist angesichts des zunehmenden Tierärztemangels kaum zu leisten.
Die Überlastung der einen und die bürokratische Überforderung der anderen können nicht im Sinne einer nachhaltigen Tiermedizin sein.
Vielen Dank.
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es hat ja schon etwas Ironisches, dass wir abends um diese Uhrzeit über die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf sprechen.
({0})
Aber ehrlicherweise ist das auch folgerichtig. Ich weiß, dass da draußen gerade jede Menge Eltern noch am Schreibtisch sitzen, um wenigstens die
allerwichtigsten Mails noch abzuarbeiten, nachdem sie mal wieder mit ihrem kranken Kind den ganzen Tag zu Hause verbracht und Sorgearbeit geleistet haben – all
das unentgeltlich.
Was wäre eigentlich, wenn nicht ständig eine Person kochen, putzen und Kinder großziehen würde, also unentgeltlich Sorgearbeit leisten würde? Laut der
Schätzung des Statistischen Bundesamtes beträgt der Wert der unbezahlten Sorgearbeit in Deutschland 30 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Es ärgert mich, dass
gerade vor diesem Hintergrund die Unterstützung von Familien von vielen immer noch nicht als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe begriffen wird.
({1})
Alle nicken dann immer. Aber fragen Sie doch mal junge Väter, wie der Arbeitgeber, die Kolleginnen und Kollegen oder teilweise sogar die eigenen
Eltern reagieren, wenn junge Väter sagen: Ich möchte Elternzeit nehmen, womöglich sogar mehr als die zwei üblichen Vätermonate. – Deshalb ist es nach wie vor
so, dass gerade für junge Frauen die Familiengründung immer noch das größte Risiko für Altersarmut ist. Erwerbsbiografie und Gehalt knicken für Frauen immer
nach unten ab, sobald sie Kinder bekommen; denn es sind leider immer noch vor allem die Frauen, die ab der Geburt des ersten Kindes zu Hause bleiben und danach
häufiger in Teilzeit arbeiten. Die Folge ist bekannt: Frauen landen häufiger in Altersarmut.
Junge Paare sind da schon viel weiter. Sie wollen sich die Sorgearbeit partnerschaftlich aufteilen. Sie wollen nicht, dass Sorgearbeit zur Falle für
die Frauen wird. Deshalb setzen wir als Ampel beim Knackpunkt Familiengründung an. Wir setzen dazu heute in einem ersten Schritt die EU-Vereinbarkeitsrichtlinie
um und erreichen damit wichtige Verbesserungen für die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Pflege.
({2})
Besonders freue ich mich, dass Eltern sich jetzt auch an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wenden können. Wie wichtig das ist, zeigt eine
Befragung der Antidiskriminierungsstelle: 40 Prozent der Eltern geben an, aufgrund der Tatsache, dass sie beispielsweise für die Kinderbetreuung mal früher nach
Hause gehen müssen, diskriminiert zu werden. Auch das zeigt wieder: Vereinbarkeit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dass Sie als CDU das jetzt nicht
unterstützen wollen, irritiert mich, ehrlich gesagt. Wie kann man denn ernsthaft dagegen sein, diskriminierte Eltern zu unterstützen?
({3})
Aber wir machen hier nicht halt. Wir werden im nächsten Schritt die zweiwöchige Freistellung nach der Geburt für den zweiten Elternteil im
Mutterschutzgesetz verankern. Uns ist wichtig, dass Partner/-innen direkt nach der Geburt zwei Wochen bezahlt von ihrer Arbeit freigestellt werden, damit sie in
den ersten Tagen, die so wichtig sind, zum einen die Mutter voll unterstützen können, aber zum anderen auch eine enge Beziehung zum Kind aufbauen können.
Uns ist wichtig, die vereinbarten Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag für mehr Partnerschaftlichkeit, für mehr Geschlechtergerechtigkeit und damit für
eine progressive Gesellschaft umzusetzen. Aus diesem Grund möchten wir heute für Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf werben. Ich danke ausdrücklich dem
Ministerium für dieses Gesetz und für die Ankündigung der zweiwöchigen Partner/-innenfreistellung für mehr Partnerschaftlichkeit in der Familienarbeit.
({4})
Klar bleibt aber auch: Das sind nur Schritte auf einem insgesamt noch sehr weiten Weg hin zu echter Vereinbarkeit. Diesen Weg kann das
Familienministerium nicht alleine gehen. Echte Vereinbarkeit muss von der gesamten Gesellschaft getragen werden. Arbeitgeber/-innen, Wirtschaftsverbände, wir
alle müssen dafür an einem Strang ziehen. Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Was wäre in dieser Gesellschaft möglich, wenn wir das endlich wirklich als
gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstehen würden?
Vielen Dank.
({5})
Astrid Timmermann-Fechter und Sarah Lahrkamp geben ihre Reden zu Protokoll.
({0})
Als Nächstes folgt Martin Reichardt für die AfD-Fraktion.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute Abend reden wir über einen Gesetzentwurf, der zum Ziel hat, eine EU-Richtlinie
umzusetzen. Die Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Union ist leider grundsätzlich zwingend. Wir aber wollen nicht zum Abnickverein für EU-Vorlagen
werden, vor allem dann nicht, wenn sie Arbeitgeber mit Bürokratie belasten und für Eltern und pflegende Angehörige keine Verbesserung bedeuten.
({0})
Wir lehnen daher diesen Gesetzentwurf ab und steigen nun in den linken Ideologiesumpf hinab und kommen zum Antrag der SED-Nachfolger: „28 Tage
Elternschutz für den zweiten Elternteil ab Geburt des Kindes einführen“. Perverserweise versenkt dieser linke Antrag eine durchaus diskutierbare Grundforderung
im frauenverachtenden und menschenfeindlichen linken Sumpf der Ideologie. Den Linken geht es nicht um Familienpolitik. Die Linken missbrauchen die
Familienpolitik als Vehikel zur Durchsetzung der jede Biologie leugnenden Genderideologie.
({1})
Im Antrag wird unter anderem folgender Unsinn formuliert – ich zitiere –:
Denn wie die Richtlinie feststellt, wirkt es sich auf eine Mutter oder gebärende Personen (im weiteren Mutter genannt) positiv aus …
({2})
Bei so viel Biologieleugnerei ist es natürlich selbstverständlich, dass Frau Nina Stahr von den Grünen diesen Antrag im Ausschuss inhaltlich lobte.
Sie machte damit erneut deutlich, dass die gesamte Ampelkoalition inklusive der FDP diesen ideologischen Unsinn teilt.
({3})
Die Formulierung „gebärende Person (im weiteren Mutter genannt)“ zeigt, dass selbst die Linken beim sprachlichen Umsetzen ihres ideologischen Unsinns
ins Schleudern kommen. Darum möchte ich Ihnen mit dem Sprachgebrauch des Normalbürgers helfen.
({4})
Frauen, die als einziger Teil der Menschheit auf natürlichem Wege gebärfähig sind, haben während der Schwangerschaft einen Babybauch. Auch bei Männern
kann es zwar lebenslang zur Bildung eines Bauches kommen, meine Damen und Herren.
({5})
Dieser wird dann aber im Volksmund aufgrund seines Zustandekommens richtigerweise als „Bierwampe“ oder „Wohlstandsbauch“ bezeichnet.
({6})
Linke und Ampel verleugnen die Existenz von Biologie und Wissenschaft und erfinden immer neue Geschlechter und erniedrigen Frauen zu gebärfähigen
Körpern, meine Damen und Herren.
({7})
Linke und Grüne gefallen sich darin, die Welt über Frauenrechte zu belehren, und erniedrigen die Frauen in Deutschland. Formulierungen wie „schwangere
Personen“ und „gebärfähige Körper“ sind falsche Formulierungen. Jeder Mensch weiß: Nur echte Frauen können auf natürliche Weise Kinder bekommen; –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– solche, deren eingebildetes Frausein aus Plastikbrüsten und Perücken besteht, eben nicht.
({0})
Das war so, das ist so, und das bleibt so, meine Damen und Herren.
({1})
Nicole Bauer gibt ihre Rede zu Protokoll.
Als nächste Rednerin folgt Gökay Akbulut für Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es passt zu den Prioritäten der Bundesregierung, dass die Debatte zur Vereinbarkeit
von Beruf und Privatleben um diese Uhrzeit stattfindet.
({0})
Mit diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll die EU-Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie umgesetzt werden. Die Richtlinie fordert
unter anderem, die Gleichstellung der Geschlechter voranzubringen, und vor allem, Mütter zu entlasten.
Die bezahlte Freistellung des zweiten Elternteils nach der Geburt, die Vaterschaftsfreistellung, soll in Deutschland gesetzlich verankert werden. Alle
Mitgliedstaaten der EU sollten diese Richtlinie bis August dieses Jahres in nationales Recht umgesetzt haben. Die Bundesregierung hat dies jedoch verschlafen
und die Umsetzung nun auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Wir, Die Linke, wollen aber nicht länger warten. Mit unserem Antrag fordern wir, 28 Tage
Elternschutz nach der Geburt für den zweiten Elternteil einzuführen.
({1})
Frankreich und andere EU-Länder haben die Richtlinie bereits umgesetzt und sind hier viel weiter als Deutschland. Die bestehenden Regelungen zur
Elternzeit und das viel zu niedrige Elterngeld sind gerade für Familien mit wenig und mittlerem Einkommen nicht ausreichend. Gerade geringverdienende Väter
haben kaum Möglichkeiten, nach der Geburt mehr Zeit mit Partnerin und Kind zu verbringen. Wenn der Anspruch auf Freistellung nicht eingeführt wird, droht
Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission. Die Bundesregierung hat die Einführung von 14 Tagen Elternschutz für den zweiten Elternteil
immer wieder angekündigt, ist aber erneut zurückgerudert.
Sehr geehrte Frau Familienministerin Paus, wann ist denn endlich der richtige Zeitpunkt für eine konsequente Gleichstellungspolitik? Krisenfreie
Zeiten wird es nicht geben. Wann werden Sie endlich die Maßnahmen ergreifen, um den Elternschutz gesetzlich verpflichtend auszubauen? Wo bleibt überhaupt der
Mutterschutz für Selbstständige? Wann wollen Sie das Elterngeld verbessern? Wann wollen Sie die versprochenen Reformen für pflegende Angehörige umsetzen, um
Familien auch wirklich zu entlasten? Mit diesem Tempo wird das nichts, vor allem nicht im Interesse der Unternehmen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Stimmen Sie also unserem Antrag zu, damit Eltern mehr Zeit füreinander und für das Baby vom ersten Tag an bekommen!
Vielen Dank.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich vor ein paar Wochen gehört habe, dass wir irgendwann Ende November/Anfang
Dezember im Bundestag über das Regionalisierungsgesetz beraten sollen, habe ich mir im ersten Moment gedacht: Was lange währt, wird endlich gut. Schließlich
diskutieren wir seit dem Sommer über die Einführung eines 49‑Euro-Tickets. Wir stellen uns seit dem Sommer die Frage, wann das Ticket kommen kann – geplant
gewesen ist immer der 1. Januar –, und wir hätten eigentlich gedacht, dass es möglich ist, heute, Anfang Dezember, die Debatte darüber zu führen.
Im Nachhinein wissen wir, dass alles anders gekommen ist. Wir konnten der Presse entnehmen, dass das 49‑Euro-Ticket nicht zum 1. Januar 2023
eingeführt wird. Wir konnten der Presse entnehmen, dass auch der Preis fraglich ist; Sie reden mittlerweile vom „Deutschlandticket“, um bewusst diesen Begriff
zu vermeiden. Wir haben festgestellt, dass eine Anhörung im Verkehrsausschuss verschoben worden ist. Wir streiten uns als Bund mit den Ländern darüber, wer die
Mehrkosten eigentlich tragen soll. Und wir konnten der Presse entnehmen, dass sich auch der Bundesverkehrsminister diese Woche im Verkehrsausschuss nicht
unbedingt einer Debatte darüber hat stellen wollen.
Noch mal: Schon am 1. Juni, als das 9‑Euro-Ticket in Deutschland eingeführt worden war, ist formuliert worden, dass wir zum 1. Januar ein
Nachfolgemodell brauchen. Der Bundesverkehrsminister hat gesagt, er kann sich auch einen früheren Zeitpunkt als den 1. April vorstellen. Uns stellt sich die
Frage: Ist es dann der März, ist es der Februar, oder ist es trotzdem der Mai oder der Juni? Denn das Problem ist, dass bislang einfach noch nichts geklärt ist.
Das Einzige, was wir heute beschließen, ist, dass die Regionalisierungsmittel steigen, um die Mehrkosten im Energiebereich abzufedern. Das ist das Einzige. Und
wir dynamisieren die Steigerung der Regionalisierungsmittel um 3 Prozent. Ich wage die Prognose, dass, wenn es nicht gelingt, die Inflation im nächsten Jahr
wirksam zu bekämpfen, diese 3 Prozent nicht ausreichen werden.
Wir haben bislang keine Lösung, wie das 49‑Euro-Ticket kommen soll. Man kann sich darüber streiten, ob es sinnvoll ist oder nicht. Man kann die Frage
aufwerfen, ob es richtig gewesen wäre, erst in den Ausbau des ÖPNV zu investieren und dann das 49‑Euro-Ticket einzuführen. Man kann das gut finden oder nicht.
Das Problem ist: Auf dem Weg dahin darf am Ende kein Chaos entstehen – und genau das passiert gerade.
({0})
Aus diesem Grund werden wir dem Gesetz nicht zustimmen können.
Vielen Dank.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wieder einmal wird mehr Geld für den öffentlichen Nahverkehr gebraucht. Genau das hat Ihnen
die AfD-Fraktion vorhergesagt, als Sie das letzte Mal das Regionalisierungsgesetz geändert haben, um 2,5 Milliarden Euro Steuergeld für das 9‑Euro-Ticket
hinzublättern.
Jetzt ist er also da, der Kater nach der 9‑Euro-Party. Es sind die Energiepolitik und die Sanktionspolitik dieser Regierung, die Strom und Diesel auch
für den Nahverkehr unbezahlbar gemacht haben.
({0})
An vielen Orten fallen deshalb schon Bahnen und Busse aus. Das Geld für das 9‑Euro-Ticket ist jetzt weg, also wird nach neuem Geld gerufen. Und die
Voraussage ist nicht schwer: Genau so wird es auch weitergehen. Geredet wird nämlich schon, diesmal über ein 49‑Euro-Ticket. Ganz gleich, ob die zusätzlichen
Milliarden dafür jetzt noch im Zuge der Ausschussberatungen ins Gesetz kommen oder bald in die nächste Änderung: Wieder wird der Steuerzahler bluten.
({1})
Das Geld für den Nahverkehr muss gezielt eingesetzt werden. Busse und Bahnen müssen für die Bürger gute Leistung anbieten.
({2})
Sie müssen pünktlich fahren, ordentliche Anschlüsse bieten, sicher und sauber sein. Dann kommen die Fahrgäste gerne. Auch die ländlichen Gegenden
dürfen nicht vergessen werden; sonst zahlen die Leute auf dem Land ihre Steuern für den Nahverkehr in den großen Städten.
({3})
Sogar der zuständige Bahnvorstand Berthold Huber sagt, dass das Bahnnetz aus allen Nähten platzt. Setzen wir das Steuergeld also da ein, wo es
wirklich gebraucht wird: für ein gutes Verkehrsnetz und für gute Leistungen!
({4})
Gute Qualität im Nahverkehr braucht unser Land viel dringender als Billigtickets.
Jeden Euro kann man nur einmal ausgeben, und jeder Euro aus der Staatskasse muss erst einmal von den Steuerzahlern erwirtschaftet werden. Alle Kredite
müssen von künftigen Generationen zurückgezahlt werden. Daran muss im Zeitalter von 200-Milliarden-Sondertöpfen dringend erinnert werden.
({5})
Gerade deshalb wird die AfD-Fraktion in der weiteren Beratung dieses Gesetzes konsequent einfordern, dass die Nahverkehrsmilliarden für Qualität und
bessere Netze ausgegeben werden. Wem nichts Besseres einfällt, als Rabatte für diejenigen zu verteilen, die schon einen guten Nahverkehr haben, der ist ein
rot-grüner Populist. Nicht mit uns, meine Damen und Herren!
({6})
Nächste Rednerin ist Nyke Slawik für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Manche haben das Thema nicht so ganz verstanden; denn es geht hier gar nicht
um das Deutschlandticket, sondern allgemein um mehr Geld für den ÖPNV.
({0})
Zu später Stunde debattieren wir hier die Finanzierung des ÖPNV in Deutschland, und so manche Abgeordnete haben sich um diese Zeit vielleicht auch
schon davongeschlichen. Gerade Union und AfD fordern hier im Plenum ja häufig, lieber den Verbrennungsmotor ewig weiterlaufen zu lassen, als ernsthaft über eine
Verkehrswende zu debattieren.
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Aber haben Sie schon mal versucht, nachts um diese Zeit unter der Woche mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause zu kommen? Selbst hier in Berlin
nicht ganz so einfach.
Klar ist: Wir haben uns als Koalition vorgenommen, das Angebot im ÖPNV deutlich zu verbessern. Mehr Züge und Busse sollen in diesem Land fahren, der
ÖPNV insgesamt attraktiver werden. Das ist wichtig für die Einhaltung unserer Klimaziele und für die soziale Gerechtigkeit.
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Wir wollen alle Menschen in diesem Land mobil machen – anders als die Union hier im Hause eben auch die, die kein Auto haben. Dieses Versprechen lösen
wir als Koalition nun endlich ein. Mehr Geld für den Nahverkehr – wir machen es möglich.
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Klar ist auch: Der Bund kommt hiermit seiner Verantwortung nach. Aber ich kann nur eindringlich an die anderen Ebenen appellieren: Wir brauchen auch
von den Ländern und von den Kommunen im Land deutlich mehr finanzielle Zusagen, wenn die Verkehrswende und die Verlagerung vom Auto in den ÖPNV gelingen
sollen.
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Ich freue mich, dass wir uns gemeinsam mit den Ländern nun auf die Erhöhung der Regionalisierungsmittel einigen konnten – ein großer Erfolg.
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Nun muss als nächster Schritt endlich die Einführung des 49‑Euro-Tickets schnell erfolgen – ebenfalls etwas, um das wir hart gerungen haben.
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Das 49‑Euro-Ticket wird viele Menschen in diesem Land massiv entlasten,
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einige Pendler/-innen um mehr als 100 Euro im Monat. Das ist klimafreundliche Sozial- und Verkehrspolitik.
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Lassen Sie mich mit Blick auf die kommenden Monate noch Folgendes anmerken: Unseres Erachtens muss das 49‑Euro-Ticket nun nicht nur schnellstmöglich
eingeführt werden.
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Es sollte auch familienfreundlich sein, meines Erachtens die Mitnahme von Kindern ermöglichen
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und barrierefrei sein, also auch für Menschen ohne Smartphone nutzbar sein. Wir werden perspektivisch auch eine Lösung für diejenigen brauchen, für
die 49 Euro noch immer zu teuer sind: für die Studierenden, für die Leistungsempfänger/-innen, für Rentner/-innen. Darüber werden wir in den kommenden Wochen
sprechen müssen und verhandeln; darauf freue ich mich. Auch mit den Ländern werden wir sprechen müssen.
Die Potenziale im ÖPNV sind noch immer riesig. In diesem Sinne: Freie Fahrt für die Verkehrswende, gute Heimfahrt, liebe Kolleginnen und Kollegen, und
gute Nacht!
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu mitternächtlicher Stunde geht es heute um das Vereinsrecht, konkret um die
virtuelle Teilnahme an Mitgliederversammlungen im Sinne hybrider Versammlungsformen. Vorbild sind die mittlerweile außer Kraft getretenen
Coronasonderregelungen, wobei der Gesetzentwurf des Bundesrates enger gefasst ist und nur eine virtuelle Teilnahme im Wege der Bild- und Tonübertragung
vorsieht.
Auf diese Einschränkung stellt die Bundesregierung ab, die jedwede geeignete elektronische Kommunikation zulassen will. Das wird in einem
Änderungsantrag der Koalition, der bereits dem Ausschuss vorliegt, aufgegriffen, damit auch Telefonkonferenzen, Chats oder Abstimmungen per E‑Mail möglich sein
sollen. Zusätzliche Bedeutung erhalten Gesetzentwurf und Änderungsantrag dadurch, dass die Regelungen für die Mitgliederversammlungen auch für die Vorstände von
Vereinen und Stiftungen gelten. Das hört sich alles gut an, oder?
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Aber braucht es dieses Gesetz wirklich? Die Antwort ist ein klares Nein; denn schon jetzt kann jeder Verein entsprechende Regelungen in seine Satzung
aufnehmen, wenn er diese Flexibilität wünscht.
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Der Gesetzentwurf kehrt nun die Rechtslage um. Wenn die Mitglieder nicht wollen, dass der Vorstand auch eine virtuelle Teilnahme zulassen kann, müssen
sie zukünftig die Satzung ändern, um diese Möglichkeit wieder auszuschließen. Dafür gibt es gute Gründe; denn auch eine nur teilweise virtuelle Versammlung hat
einen anderen Charakter als eine reine Präsenzveranstaltung. Auf anwesende Mitglieder kann in ganz anderer Weise eingewirkt werden als auf passive Teilnehmer am
Bildschirm. Auch wenn es nicht um einen generellen Ausschluss von Präsenzveranstaltungen geht, reden wir doch von einem massiven Eingriff in das
Organisationsgefüge und damit in die Vereinsfreiheit.
Sachlich gibt es für diese Regelung keinen Grund. Die Pandemie ist vorbei und die Durchführung von Präsenzveranstaltungen ohne Einschränkungen
möglich, wenn die Mitglieder es wollen. Wenn es im Gesetzentwurf heißt, dass es entsprechende Wünsche vonseiten der Vereine gebe, stimmt dies so nicht. Es ist
nicht ersichtlich, woher dieses Votum stammen soll. Wenn es existiert, dann ist es das Votum von Funktionären, nicht der Wunsch von Mitgliedern.
Die Entscheidung über Satzungsänderungen ist das originäre Recht der Mitglieder. § 33 BGB schützt den Status quo der Satzung, weil eine qualifizierte
Minderheit mit ihrem Veto eine Änderung verhindern kann. Dieser Minderheitenschutz wird durch den Gesetzentwurf ausgehebelt.
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Denn eine solche Minderheit kann zwar eine Satzungsänderung verhindern, aber niemals erzwingen. Der Umstand, dass § 32 BGB durch die Satzung wieder
abbedungen werden kann, läuft also leer. Die angebliche Förderung ehrenamtlichen Engagements ist also nur eine scheinbare. Tatsächlich werden die Interessen von
Funktionären bedient, während Mitgliederrechte beschnitten werden. Selbstverständlich lehnen wir eine solche Regelung ab.
Ich danke für die Aufmerksamkeit, wünsche Ihnen eine gute Nacht und Glück auf!
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