Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten gerade unsere Stellungnahme zum nationalen Bildungsbericht im Kabinett.
Wie immer: Licht und Schatten. Aber vor allen Dingen gibt es einen Riesenauftrag an uns alle: Unser Bildungssystem braucht ein Update.
Bei der Forschung stehen wir besser da. Wir sind die größte Forschungsnation Europas. Dieses Niveau müssen wir halten. Vor allem bei Transfer und
Innovation müssen wir aber besser werden. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen so vieles ins Wanken gerät, müssen wir Forschung und Bildung die Aufmerksamkeit
schenken, die sie gerade jetzt verdienen, und das macht diese Bundesregierung. Bildung und Forschung haben bei uns Priorität, auch in der Krise.
Vor allen Dingen vollziehen wir in dieser Zeit wichtige Trendwenden. Am Anfang haben wir darauf bestanden, dass die Schulen offen bleiben, und jetzt
sorgen wir dafür, dass sie, sollte das Gas knapp werden, vorrangig beliefert werden, damit die Klassenräume so warm wie möglich sind.
Die Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen sind einbezogen in die Soforthilfe Gas und bei der Gas- und Strompreisbremse. Für die
außeruniversitäre Forschung gibt es einen extra Härtefallfonds, damit wissenschaftliche Arbeit gerade in diesen Zeiten auch weitergeht.
Wir haben uns für die Studierenden starkgemacht. Die hohen Energiekosten treffen sie besonders hart. Ergebnis: 200 Euro Einmalzahlung für
3,5 Millionen Studierende und Fachschülerinnen und Fachschüler. BAföG-Empfänger profitieren zusätzlich vom Heizkostenzuschuss I und II. Das sind 230 und
345 Euro. Junge Menschen dürfen nicht noch einmal zu kurz kommen wie während der Pandemie. Das ist eine der Trendwenden, die wir vollziehen. Wir nehmen die
Belange der jungen Menschen ernst.
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Dafür steht auch die BAföG-Reform. Der neue Fördersatz und der erhöhte Wohnkostenzuschlag führen zu einer Erhöhung von mehr als 8 Prozent. Es können
wieder mehr Menschen vom BAföG profitieren. Auch ältere bis zu einem Alter von 45 Jahren erhalten ihn. Das ist eine Trendwende, wie vereinbart, und das ist erst
der Anfang.
Dazu kommen Durchbrüche in den Bund-Länder-Gesprächen. Bei der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz konnten wir erreichen, dass wir den Zukunftsvertrag
„Studium und Lehre stärken“ – dieser ist sehr wichtig für die Hochschulen – dynamisieren. Wir entwickeln das Professorinnenprogramm weiter. Wir weiten die
Exzellenzstrategie aus.
Wir bündeln unsere Kräfte in der Forschung. Unsere Zukunftsstrategie befindet sich in der Ressortabstimmung. Unsere Bilanz nach einem Jahr ist eine
starke Bilanz, meine Damen und Herren.
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Wir haben auch einen Haushalt vorgefunden, den wir zum Teil erst mal wieder solide und ehrlich machen mussten. Wir haben hier eine Trendwende
korrigiert, nämlich die Trendwende zu einem Minus für Bildung und Forschung. Wir haben daraus wieder ein Plus gemacht: 3 Milliarden Euro mehr für Bildung und
Forschung in dieser Legislaturperiode, 3 Milliarden Euro mehr für Zukunft.
Und: Wir arbeiten zielgenau. Die Riesenbaustelle bei der Bildung sind die ungleichen Bildungschancen. Deshalb kämpfen wir für das
Startchancen-Programm. Es soll da ansetzen, wo es am nötigsten ist: in Schulen mit vielen Kindern und Jugendlichen, die sozial benachteiligt sind. Auch hier ist
das Ziel eine Trendwende, um das Aufstiegsversprechen zu erneuern. Nur mit bester Bildung hat jede und jeder Einzelne die Chance. Nur mit bester Bildung bleibt
Deutschland erfolgreich.
Ich möchte auch die Exzellenzinitiative Berufliche Bildung erwähnen. Sie wird in der nächsten Woche vorgestellt. Denn wir brauchen mehr junge
Menschen, die in die berufliche Ausbildung gehen, damit sie die Zukunftsfragen mit uns lösen und vor allen Dingen auch die Technologien mit uns entwickeln und
verbauen. Wir brauchen ein Umdenken in den Köpfen. Auch hier brauchen wir eine Trendwende Richtung Zukunft.
Lassen Sie mich noch sagen, dass wir natürlich mit Blick auf die großen Disruptionen Klimawandel, digitaler Wandel und demografischer Wandel jede und
jeden brauchen, der mit anpackt und mehr Optimismus, Mut und Offenheit einbringt, sodass wir diese Zeitenwende auch zur Trendwende machen. Das kann die
Wissenschaft. Viele Ideen liegen in den Schubladen der Hochschulen. Sie müssen jetzt dort raus und rein ins Leben. Das ist ein Kernanliegen der Bundesregierung.
Deswegen bringen wir die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation auf den Weg. Mit der DATI schaffen wir eine Neuheit in der Förderlandschaft. Daneben gibt
es die SprinD, die Bundesagentur für Sprunginnovation. Sie soll mehr Beinfreiheit erhalten. Denn Patente von gestern sichern nicht die Zukunft von morgen.
Technologieoffenheit ist das, was uns in dieser Koalition treibt. Offen sein für wirklich Neues, frei denken – das ist der Markenkern eben auch in der
Wissenschaft und in der Wissenschaftspolitik.
Wir sind derzeit dran am Hochlauf der Wasserstofftechnologie. Die Forschung räumt die letzten Hürden aus. Ich war im Sommer in Greifswald und habe mir
Wendelstein 7-X angeschaut. Die Fusionsforschung ist eine große Chance für uns. Wenn uns der Durchbruch hier gelingt, dann haben wir die Energiefrage ein großes
Stück gelöst. Deswegen ist ganz klar: Wir dürfen keine Chance ungenutzt lassen. Echte Trendwenden brauchen echte Technologieoffenheit.
Ich freue mich jetzt auf Ihre Fragen. Ich freue mich jetzt auf die Diskussion mit Ihnen, meine Damen und Herren.
({2})
Vielen Dank. – Wir beginnen die Regierungsbefragung zu den einleitenden Ausführungen der Bundesministerin Frau Bettina Stark-Watzinger und zum
Geschäftsbereich sowie zu den vorangegangenen Kabinettssitzungen und mit allgemeinen Fragen.
Das Wort hat zuerst aus der CDU/CSU-Fraktion Thomas Jarzombek.
Frau Bundesministerin, Sie haben uns heute nicht viel Neues erzählt. Wir haben in der letzten Zeit erfahren, dass 23,8 Prozent der Kinder laut
ifo-Gutachten keine Basiskompetenzen beim Abgang aus der Schule haben. Schlimmer noch beschreibt es der IQB-Bildungstrend. Diese Studie besagt, dass sogar jedes
dritte Kind nicht richtig Rechtschreibung beherrscht. Was wollen Sie tun, um das Problem zu lösen?
Sie haben gerade zwei erfolgreiche Programme gestoppt: Das Programm „Aufholen nach Corona“ – es wurde mit 2 Milliarden Euro gefördert – ist gestoppt.
Das Programm „Sprach-Kitas“ in der frühkindlichen Bildung wird gestoppt. Sie haben gesagt, Sie wollen das Startchancen-Programm bringen, doch wir sehen jetzt in
Ihrem Konzept, dass es laut Kabinettsbeschluss erst in der ersten Hälfte 2024 kommen wird.
Was tun Sie im Jahr 2023, um den benachteiligten Kindern zu helfen? Wann kommt Ihr Konzept für das Startchancen-Programm? Wann beginnen die ersten
Schulen mit dem Startchancen-Programm? Und wie wollen Sie den Verteilungsmechanismus organisieren – nach Königsteiner Schlüssel oder nach Bedürftigkeit?
Frau Ministerin.
Sehr geehrter Herr Kollege Jarzombek, Sie sprechen ein Thema an, das nicht erst seit gestern – leider – Realität in Deutschland ist. Die Kompetenzen
unserer Schülerinnen und Schüler am Ende der Grundschule sinken seit 2011. Wir müssen hier gegensteuern. Es sind Lebenschancen; es sind natürlich aber auch die
klugen Köpfe, die wir für die Zukunft brauchen. Insofern haben wir gesehen, dass wir jetzt eine Trendwende einleiten müssen, indem wir gezielt dort fördern, wo
die Förderung nicht stattfindet, und zwar durch das Startchancen-Programm.
Sie haben das Programm „Aufholen nach Corona“ erwähnt. Es war gut, in einer Krisensituation auch so etwas auf den Weg zu bringen; aber keiner von uns
weiß wirklich, welchen Effekt das Programm hatte. Deswegen nehmen wir das an, was die Wissenschaft uns sagt, was die Ständige Wissenschaftliche Kommission der
KMK sagt: dass wir uns wissenschaftlich begleiten lassen müssen, dass wir immer prüfen lassen müssen, ob auch die Wirkung eintritt, die wir in der Bildung haben
wollen, nämlich die Bildungsgerechtigkeit. Das machen wir mit dem Startchancen-Programm. Wir arbeiten mit den Ländern derzeit am Konzept, damit es in die
Umsetzung geht, und deswegen wird es 2024 kommen.
Sie dürfen eine Nachfrage stellen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, Sie haben meine Frage, wann das Konzept kommt, nicht beantwortet. Ich frage erneut nach. Zum
Zweiten haben Sie gerade von Evaluation gesprochen. Ich möchte wissen, ob Sie dafür das Grundgesetz verändern möchten, was ja die Voraussetzung wäre, um das zu
machen.
Und dann noch die Frage nach dem Budget. Sie haben bei Lanz gesagt, das wären 1 bis 2 Milliarden Euro. Soll das für ein Jahr gelten, oder wird das auf
die zehn Jahre verteilt? Und wie hoch wird der Anteil der Länder sein?
Das Konzept ist ja derzeit in der Abstimmung mit den Ländern. Es geht auch genau um die Fragen, die Sie eben angesprochen haben: Nach welchem
Schlüssel wird das Geld verteilt? Da sind die Länder auch untereinander noch in der Diskussion. Geht es nach Bedürftigkeit, oder geht es nach dem Königsteiner
Schlüssel, der ja ein bekanntes Instrument ist? Das ist auch etwas, was die Länder mitentscheiden müssen; denn die Länder sind ja im föderalen System bei uns in
Deutschland diejenigen, die für Bildung verantwortlich sind. Deswegen: Dieses Konzept wird natürlich rechtzeitig kommen, sodass wir auch für die Beratungen des
Haushalts 2024 die Mittel beantragen können.
Die genannte Höhe ist natürlich pro Jahr gewesen. Aber die genaue Höhe, wie es aussieht, hängt von der Ausgestaltung ab. Auch die Länder werden ihren
Anteil dazu beitragen müssen, und deswegen ist das immer noch in der Diskussion.
({0})
Gibt es Nachfragen zum gleichen Thema? – Aus der FDP-Fraktion Ria Schröder.
Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben gerade schon zum Thema Startchancen-Programm ausgeführt. Sie wollen damit denjenigen helfen, die bisher in
unserem Bildungssystem nicht genug Hilfe bekommen, und damit ja auch das Aufstiegsversprechen wieder mit Leben füllen.
Sie haben den Königsteiner Schlüssel, die Verteilung der Gelder, angesprochen. Ein Teil der Gelder soll ja auch für ein Chancenbudget für die Schulen
zur Verfügung stehen, die Schulautonomie stärken. Warum ist Ihnen das wichtig, und welche Rolle wird das im Startchancen-Programm am Ende spielen?
Vielen Dank. – Es ist wichtig, dass wir auch noch mal über die Ausgestaltung des Startchancen-Programms sprechen, weil es eben etwas Neues ist. Es
ist auch eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen den Ländern und dem Bund.
Es wird drei Säulen geben: Erstens, dass eine Infrastruktur vorhanden ist, die auch ermöglicht, dass zusätzliche Förderung, zusätzliche Angebote
geschaffen werden. Die zweite Säule ist das Chancenbudget, damit die Schulen selbstständig vor Ort entscheiden können, was die Schülerinnen und Schüler
brauchen, seien es Zusatzangebote in der Breite oder sei es eben auch noch mal eine spezielle Förderung. Deswegen sind die Schulen auch selbstständiger; das
heißt, sie können eigene Entscheidungen treffen. Das motiviert auch die Schulgemeinde, zu gestalten. Die dritte Säule, auch ganz wichtig, in diesem Gesamtpaket
ist die Schulsozialarbeit, sodass wir auch wirklich jedes einzelne Kind fördern können, damit jedes einzelne Kind die Chance hat, sich zu entwickeln.
Frau Schröder, Sie dürfen eine Nachfrage stellen, müssen aber nicht.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich würde sehr gerne eine Nachfrage stellen. – Es gibt viele tolle Konzepte an Schulen, auch heute schon. Aber leider
findet bisher wenig Austausch zwischen den Schulen statt, und deswegen können gute Ideen häufig nicht in der Fläche ausgerollt werden. Meine Frage geht in diese
Richtung: Wie soll das sichergestellt werden, dass zwischen den Schulen, die am Startchancen-Programm teilnehmen, aber auch den Schulen, die nicht teilnehmen,
ein Wissenstransfer stattfindet, sodass alle Schulen von den guten Erkenntnissen aus diesem Programm dann am Ende profitieren können?
Das Startchancen-Programm soll ja ein Stück weit strukturverändernd sein und Modellcharakter haben. Wir bauen natürlich auf dem auf, was teilweise
in den Ländern auch schon vorhanden ist, und heben es zusammen noch mal auf eine neue Stufe. Deswegen: Das, was der Bund macht, soll ja nicht das Ende der
Förderung sein, sondern es soll ja dann auch sozusagen in die Fläche ausgeweitet werden. Deswegen haben wir uns für den Bildungsgipfel, der im nächsten Jahr
stattfindet und der auch im Koalitionsvertrag verankert ist, auch das Thema Aufstiegsversprechen, also dass eben nicht die Größe der Bücher, die Länge der
Bücherregale darüber entscheidet, welchen Bildungsweg ein Kind geht, als gemeinsames Thema gesetzt. Wir werden gleichzeitig auch an der Wirksamkeit unserer
Maßnahmen arbeiten; denn es langt nicht, dass wir Geld im Haushalt stehen haben, sondern es muss sich wirklich in Kompetenzen bei den Schülerinnen und Schülern
niederschlagen.
({0})
Vielen Dank. – Ich habe jetzt noch drei weitere Nachfragen zu diesem Thema. Dann binde ich ab, weil wir in der Fragestellerrunde weitergehen. Sonst
schaffen wir das wieder nicht in dieser einen Stunde.
Jetzt hat aus der CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Ludwig eine Nachfrage.
Frau Präsidentin, vielen Dank. – Frau Ministerin, wir wissen aus dem IQB-Bildungsmonitor, dass ungefähr 24 Prozent der Grundschüler die
Grundfähigkeiten, die sie brauchen, um die Grundschule dann in Richtung weiterführende Schulen zu verlassen, nicht erreichen. Wir wissen auch, dass das
vermutlich Zahlen sind, die sich noch erhöhen werden. Mit Ihrem Startchancen-Programm, das wir dem Grunde nach durchaus nicht verkehrt finden, erreichen Sie
aber nur 10 Prozent der Schüler. Für uns stellt sich schon die Frage: Wie schließen Sie diese Lücke, die ja noch größer wird?
Ich will auch ganz klar sagen: Nur Problemschulen zu erreichen, wird für einen flächendeckenden gleichen Bildungsstandard tatsächlich nicht
ausreichen. Deshalb noch mal ganz klar: Wie schließen Sie die Lücke zwischen den 10 Prozent der Schulen, die Sie mit dem Startchancen-Programm erreichen, und
den 24 Prozent, Tendenz steigend, die die Grundfähigkeiten nicht erreichen?
Der Bund unterstützt ja in vielen Bereichen, nicht nur mit dem Startchancen-Programm: Wir haben das Gute-KiTa-Gesetz jetzt auf den Weg gebracht und
auch, was eben angesprochen wurde, die Finanzierung zwischen dem Auslaufen der Sprach-Kitas und dem Anlaufen des Gute-KiTa-Gesetzes. Auch hier hat der Bund die
Finanzierung zur Verfügung gestellt. Wir unterstützen beim Ausbau des Ganztagsangebotes. Auch das ist ein wichtiger Punkt; denn Ganztag meint nicht nur, dass
die Kinder betreut werden und Familie und Beruf miteinander vereinbart werden können, sondern der Ganztag hat auch was mit Bildungschancen zu tun.
Wir unterstützen durch die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“, weil natürlich immer noch der Mensch im Klassenraum einen entscheidenden Unterschied
macht. Wir haben jetzt Kompetenzzentren für digitales Unterrichten auf den Weg gebracht, weil nicht nur die Infrastruktur dastehen muss, sondern sie muss auch
eingesetzt werden, damit differenzierter Unterricht stattfinden kann.
Also, der Bund unterstützt hier in einer ganzen Bandbreite. Aber es ist klar: Wenn die Länder im föderalen System die Verantwortung haben, dann wollen
wir einen Mehrwert bieten. Wir wollen nicht ersetzen, sondern der Bund bietet einen Mehrwert, um dieses Ziel zu erreichen, das wir uns setzen: das
Aufstiegsversprechen zu erneuern.
({0})
Keine Nachfrage mehr? – Dann habe ich als nächste Fragestellerin zum gleichen Thema aus der AfD-Fraktion die Frau Höchst.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, „Startchancen-Programm“, „Gute-KiTa-Gesetz“, das klingt unwahrscheinlich gut, setzt spät an. Das
Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ – diese Kitas haben gut abgeschnitten in ihren Bemühungen, Deutsch als Sprache für Nichtmuttersprachler oder Kinder mit
Schwierigkeiten im sprachlichen Bereich zu etablieren und wirkliche Chancen zu eröffnen – lassen Sie auslaufen. Dabei ist doch ganz klar, dass ohne Deutsch an
Schulen keine Bildungschancen bestehen.
Meine Frage ist: Bekennt sich die Bundesregierung zu Deutsch als Bildungssprache in Deutschland, und, wenn ja, wie möchten Sie das sicherstellen, mit
welchem Fachpersonal, wo wir doch ohnehin schon einen Mangel an gut ausgebildeten pädagogischen Fachkräften im Kitabereich und erst recht an Schulen haben? –
Danke.
Sehr geehrte Frau Abgeordnete, ich habe selbst einmal im Ausland gelebt, und ich weiß natürlich selbst, dass es auch für meine Kinder wichtig war,
dass sie dort die Sprache gelernt haben. Das ist ein Teil, sich auch in der Lebenswelt zurechtzufinden. Deswegen ist es natürlich auch für die Kinder wichtig,
die vielleicht eine andere Muttersprache haben, dass sie die Sprache lernen, damit sie dann in der Schule eben ihren Weg gehen können. Insofern ist es gut, dass
jetzt die Überführung der Sprach-Kitas in ein neues Gute-KiTa-Gesetz stattfindet, damit die Sprachförderung dann auch weiterhin geschieht.
Ja, es sollte möglichst in allen Bundesländern geschaut werden, ob die Sprachkompetenzen da sind, damit man frühzeitig auch noch mal unterstützen
kann, wo zusätzlich gelernt werden muss. Insofern ist das ein Thema, das wir als Bundesregierung auch mit unterstützen, weil der Bildungserfolg jedes Einzelnen
in unserem Land für uns etwas Wichtiges ist.
Sie dürfen eine Nachfrage stellen.
Ich würde gerne nachfassen, Frau Ministerin, woher das Fachpersonal kommt, das diese gutgemeinten Gesetzesinitiativen unterstützt. Wir haben das
beim Gute-KiTa-Gesetz schon gesehen: Wir hatten in der Fläche in Rheinland-Pfalz nicht die Leute, die zur Verfügung standen, um all diesen Segen in die Kitas zu
bringen. Bei einem Lehrermangel, der in den Zigtausenden figuriert, würde ich gerne Ausführungen aus Ihrem Hause, von Ihnen dazu hören, wie Sie das stemmen
wollen.
Ich mache natürlich nicht sehr gerne Verträge zulasten Dritter; die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern und Erzieherinnen und Erziehern ist nicht
auf Bundesebene angesiedelt. Aber natürlich ist es eine gemeinsame Aufgabe, der wir uns auch gemeinsam stellen, Bund und Länder und auch die Kommunen zusammen.
Insofern: Fachkräfte fehlen überall. Da muss man pragmatisch sein. Es müssen jetzt mehr Lehrerinnen und Lehrer in Ausbildung kommen, mehr Studienplätze an den
Universitäten geschaffen werden. Wir müssen Quereinsteiger besser vorbereiten und gut integrieren, damit der aktuelle Mangel abgemildert werden kann.
Darüber hinaus werden wir ja auch mit der Fachkräftestrategie und mit der Fachkräftezuwanderung weitere Maßnahmen schaffen, damit wir beim
Fachkräftemangel, der uns in unserem Land in der ganzen Breite, sowohl in der Gesellschaft als auch in der Wirtschaft, trifft, ein Stück weit Abhilfe schaffen
können.
Nächste Nachfrage zum Thema stellt die Kollegin Staffler aus der CDU/CSU-Fraktion.
Besten Dank. – Das Aufholen nach Corona für unsere Kinder und Jugendlichen ist ein dringliches Thema, ein dringend nötiges Thema, und zwar nicht
erst in einem halben Jahr, nicht erst in einem Jahr – die Kollegen haben darauf hingewiesen –, und auch nicht nur für 10 Prozent der Kinder, sondern für alle
Kinder. Deswegen nochmals die Nachfrage, weil wir dazu bislang noch keine klare Antwort gehört haben: Wann kommt das Konzept zum Startchancen-Programm? Wie
wollen Sie die Lücke zwischen den 10 Prozent der Kinder, für die dieses Programm vorgesehen ist, und allen Kindern schließen? Und die dritte Nachfrage – auch
die ist nicht beantwortet –: Planen Sie zum Thema Evaluation eine Grundgesetzänderung?
Das Programm „Aufholen nach Corona“ ist in einer Zeit ins Leben gerufen und auf den Weg gebracht worden, in der es eine Ausnahmesituation in unserem
Land gab. Jetzt muss man sich aber anschauen – das hat auch die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK gesagt –, ob das Programm in der ganzen Breite
effizient war. Warum? Weil es teilweise Sommerkurse waren, teilweise ein freiwilliges Angebot. Wir wissen gar nicht, ob wir die Schülerinnen oder Schüler
erreicht haben, die wirklich Unterstützung brauchen. Ich möchte aber auch sagen: Ich habe tolle Sachen gesehen, die im Rahmen des Aufholprogramms passiert sind.
Insofern möchte ich das nicht schwarzzeichnen, sondern ich möchte da ein gemischtes Bild zeichnen.
Deswegen nehmen wir das ernst, was die Wissenschaftler sagen: Die Förderung muss nachhaltig sein; ein Sommerkurs ist nicht ausreichend. Deswegen
committen wir uns auch, deswegen gehen wir den Weg, dass der Bund dieses Startchancen-Programm im ersten Durchlauf finanziert, zehn Jahre. Das heißt, das
Konzept kommt rechtzeitig zu den Beratungen des Haushalts für 2024; denn man braucht ein Konzept, um es in die Haushaltsberatungen einbringen zu können. Die
Ausgestaltung, in welcher Form, auf welcher Basis wir zusammenarbeiten, das wird sich dann auch je nachdem, wie das Chancenbudget und andere Maßnahmen
ausgestaltet werden, abzeichnen. Aber dass man sich wissenschaftlich begleiten lässt, das ist möglich, und das müssen wir auch tun.
Sie dürfen eine Nachfrage stellen.
Danke schön. – Ich möchte zurückkommen auf die Frage nach der Evaluation: Planen Sie eine Grundgesetzänderung?
Das Angebot, dass wir eine neue Form der Zusammenarbeit wählen, steht. Das tun wir auch schon, indem wir dieses Programm auf den Weg bringen. Das
tun wir, indem ich viel öfter zur KMK gehe und wir jetzt auch einen viel engeren Austausch haben. Das Angebot steht, aber es muss eben zielführend sein. Und vor
allen Dingen muss es so sein, dass alle das wollen. Denn wir können uns natürlich in Debatten verstricken, aber wir müssen ja jetzt schon anfangen, auch
wirklich Programme auf den Weg zu bringen.
Ich fahre fort in der Liste der angemeldeten Fragesteller/-innen. Als Nächstes hat das Wort Ye-One Rhie aus der SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Frau Ministerin, im Haushaltsverfahren hat der Deutsche Bundestag erste Mittel für die Pilotphase der
DATI bewilligt. Da wäre meine Frage: In welcher Form ist mit dem Beginn der Pilotphase im Jahr 2023 zu rechnen? Und welche Ziele sollen beim weiteren
Gründungsprozess der DATI verfolgt werden, auf den ja sehr viele Menschen und auch Akteure bereits warten? Vielleicht können Sie auch noch darauf eingehen, was
die DATI aus Ihrer Sicht und aus der Sicht des Hauses für eine Rolle im Rahmen der Transfer- und Innovationsförderung spielen soll. – Vielen Dank.
Ganz herzlichen Dank, liebe Kollegin, für die Frage. – Die DATI ist ja auch eine Neuerung im Innovations- und im Transferbereich. Der Innovations-
und Transferbegriff ist ja sehr weit; aber mit der DATI adressieren wir eben gerade die Hochschulen für angewandte Wissenschaften, weil dort wirklich sehr, sehr
viel angewandte Forschung stattfindet. Wir wollen die Ökosysteme vor Ort aufbauen, wo schon Kompetenzen bestehen, wo es schon eine Grundlage gibt, aber auch
neue Ideen. Aber es soll eben aus dem System heraus geschehen. Wir beschränken das nicht nur auf technologische Innovationen, sondern auch auf soziale
Innovationen – das ist uns ganz wichtig. Der Buchdruck war ja auch eine soziale Innovation. Also insofern diese Breite.
Wir haben ganz früh einen Stakeholder-Prozess ins Leben gerufen, weil uns auch wichtig ist, in der Zusammenarbeit mit den Beteiligten, mit dem
Feedback und der Rückmeldung, die wir bekommen, das Konzept dann so aufzusetzen, dass es richtig ist. Es gibt auch eine Onlinebeteiligung. Wir wollen auch im
Bereich Transfer wirklich etwas in der Breite bewegen.
Ich bin sehr froh, dass der Haushaltsausschuss jetzt die ersten Mittel freigegeben hat, damit wir starten können. Es werden jetzt die rechtlichen
Grundlagen geschaffen, damit wir Anfang nächsten Jahres die Gründung vollziehen können und dann auch die ersten Projekte durchführen können.
Sie dürfen eine Nachfrage stellen.
Vielen Dank. – Vielen Dank für die Antwort. – Sie haben gerade selber noch mal die Ökosysteme genannt. Das ist neben der besonderen Beteiligung der
HAWs ja noch mal etwas, was auch die DATI berücksichtigen soll, nämlich dass möglichst viele Akteure bei Innovationen zusammenarbeiten sollen. Da wurde anfangs
ja auch ganz häufig der Begriff der Region verwendet. Vielleicht können Sie noch mal darauf eingehen, wie sich dieser Regionsbegriff im Konzept bzw. in den
Planungen des BMBF niederschlägt und warum es so wichtig ist, gerade die Regionen mitzunehmen.
Der Regionsbegriff darf natürlich nicht so verstanden werden, als dass Sie mit einem Zirkel einen Kreis ziehen, und das ist dann das, was geschehen
darf, sondern es geht um die Vernetzung der Akteure. Es geht darum, dass die Hochschulen für angewandte Wissenschaften der Nukleus sein sollen, es geht aber
auch um die Zusammenarbeit mit Universitäten, mit außeruniversitären Forschungsinstituten, aber – ganz wichtig – auch mit der Zivilgesellschaft, mit der
Wirtschaft vor Ort.
Warum ist uns das so wichtig? Natürlich sprechen wir in diesen Tagen sehr viel über technologische Notwendigkeiten, durch die Krisen zu kommen, aber
wir brauchen gleichzeitig natürlich auch immer die gesellschaftlichen Aspekte, die mitberücksichtigt werden. Deswegen: Diese Breite, dieses Ökosystem
mitzunehmen, ist immens wichtig – das sehen wir in Reallaboren –, weil nur so die Umsetzung von neuen Ideen auch wirklich funktionieren kann.
Mir liegen jetzt zu diesem spannenden Thema sechs Nachfragen vor. Diese lasse ich zu, und dann gehe ich weiter in der Liste; nur schon mal als kurze
Vorankündigung.
Wir beginnen mit dem Kollegen Seiter aus der FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Ministerin, ich habe eine Nachfrage zum Thema DATI. DATI soll ja letztendlich den Transfer in die Wirtschaft, in die Gesellschaft
voranbringen, das berühmte Tal des Todes überwinden. Sie haben das Thema „soziale Innovationen“ angeführt. Bei sozialen Innovationen geht es um die Verbesserung
von sozialen Prozessen. Könnten Sie uns an der Stelle noch etwas mehr Einblick in potenzielle Ziele geben und vor allem die Frage klären, wie Sie die Community,
zum Beispiel Kommunen etc., in dieses Thema einbinden? Die sind es bisher ja nicht so gewohnt, in den Innovationsprozess, weil er sich ja häufig auf
technologische Dinge bezieht, involviert zu werden. – Vielen Dank.
Ganz herzlichen Dank auch noch mal für die Chance, ein Stück weit mehr zu konkretisieren, was mit der DATI auf den Weg gebracht werden soll. – Ich
fange vielleicht noch mal mit einem Satz an: Die DATI ist nicht ein riesiges Gebäude aus Stein und Mörtel, in dem Hunderte von Bürokraten sitzen, sondern die
DATI soll etwas sein, was in den Kommunen mit den HAWs, mit den wissenschaftlichen Einrichtungen, mit der Zivilgesellschaft und mit der Wirtschaft entwickelt
wird. Insofern findet dieser Transfer von Anfang an statt; deswegen ja auch der Fokus auf die Hochschulen für angewandte Wissenschaften.
Sie sind übrigens vor Ort oft auch ein Faktor dafür, dass Fachkräfte dort bleiben, weil schon eine enge Zusammenarbeit mit der Wirtschaft vor Ort,
aber auch mit der Verwaltung vor Ort stattfindet, damit die Fachkräfte dort ausgebildet werden können. Deswegen also diese Entwicklung vor Ort, dieser Fokus auf
den angewandten Bereich als Teilbereich des Innovationsprozesses und des Transferprozesses, den wir gestalten müssen.
Sie dürfen eine Nachfrage stellen.
Vielen Dank. – Eine Nachfrage. Jetzt haben Sie gesagt: Das ist der zweite Teil des Transferprozesses. – Davor liegt aber die Grundlagenforschung.
Könnten Sie uns erklären, wie sich die Regierung vorstellt von der Grundlagenforschung hin zur DATI zu kommen? – Vielen Dank.
Die Grundlagenforschung, die neugiergetriebene Forschung, hat uns ja sehr stark gemacht. Wir als Bund fördern die Grundlagenforschung zusätzlich zu
den Ländern in ihrer ganzen Breite mit um die 10 Milliarden Euro im Jahr, damit diese neugiergetriebene Forschung auch stattfindet, weil wir ja die neuen
Herausforderungen nicht bewältigen können, indem wir Wege gehen, die wir schon gegangen sind. Deswegen ist es wichtig, dass zwischen den Hochschulen für
angewandte Wissenschaften und den außeruniversitären Forschungsinstituten, wo eben auch Grundlagenforschung stattfindet, Brücken gebaut werden.
Aber ich möchte auch noch mal sagen: Die DATI ist ein Teil des Transfersystems. Wir werden in der Bundesregierung auch die Transferbrücken für
Ausgründungen aus der Universität noch mal verstärken. Die Ausgründungen sind ein Teil der Start-up-Strategie der Bundesregierung. Wir haben mit der SprinD ja
den disruptiven Bereich abgedeckt, sodass also die ganze Bandbreite an Innovation und Transfer, die wir brauchen, über verschiedene Instrumente abgebildet
werden kann.
Die nächste Nachfrage zum Thema stellt aus der AfD-Fraktion Herr Kaufmann.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Frau Ministerin Stark-Watzinger, der Grundgedanke der DATI wird von den Hochschulen für angewandte
Wissenschaften, von den HAWs, positiv gesehen. Gleichzeitig gibt es erhebliche Kritik an der geplanten Ausgestaltung. Insbesondere gibt es die Befürchtung, dass
die HAWs zu wenig Einfluss auf eigene Projekte haben. Inwiefern ist das BMBF geneigt, die Forderungen der HAWs, insbesondere im Hinblick auf die
Konsortialführerschaft der HAWs bei durch die DATI geförderten Projekten, zu berücksichtigen?
Wir haben in unserem Land durch die verschiedenen Akteure eine tolle Forschungslandschaft: durch die Universitäten, durch die Hochschulen für
angewandte Wissenschaften, durch die außeruniversitären Forschungsinstitute. Die HAWs, also die Hochschulen für angewandte Wissenschaften, sind bisher in dem
Bereich Transfer und auch in der Förderung ein Stück weit weniger berücksichtigt. Deswegen legen wir jetzt den Fokus auf die Hochschulen für angewandte
Wissenschaften. Sie sollen dort diejenigen sein, die diese Ökosysteme als federführend – wenn man es so bezeichnen möchte – verantworten.
Insofern ist es auch etwas, wo wir im engen Austausch mit den Hochschulen für angewandte Wissenschaften sind und das, was an Anregungen kam, damit es
umsetzbar ist, dort auch miteinbeziehen. Deswegen ja dieser breite Stakeholder-Prozess, deswegen „erst mit den Leuten sprechen, bevor wir gründen“ und deswegen
die Runden, die Workshops und jetzt der Onlineprozess. Ich glaube, so viel Partizipation gab es vorher noch nicht; das ist aber auch richtig so. In einer
komplexen Welt brauchen wir die Meinung und die Anregung von allen, die sich beteiligen.
Sie dürfen eine Nachfrage stellen.
Ja, die Botschaft höre ich, aber wann werden denn dazu konkrete Pläne vorgelegt? Wann erfahren wir, wie die konkrete Ausgestaltung aussehen
wird?
Im Rahmen der Anregungen, die wir bekommen haben, wird jetzt das finale Konzept erarbeitet. Wir haben durch die Entsperrung der Finanzmittel im
Haushalt 2022 die Möglichkeit, uns juristisches Wissen dazu zu holen, damit wir zu Beginn nächsten Jahres gründen können. Dann liegt natürlich auch das Konzept
vor, und dann werden mit dem Konzept auch die Mittel für die ersten Ökosysteme freigesetzt werden. Dann wird es starten, und ich freue mich darauf.
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Nächste Frage zum Thema stellt aus der Fraktion Die Linke Frau Sitte.
Besten Dank. – Frau Ministerin, also ein Kollege von mir hat mal gesagt: Agentur für Sprunginnovationen und Agentur für Innovation. Bei der für
Sprunginnovationen müssen Sie nacharbeiten. Bei der Agentur für Transfer und Innovation hakt es, und es soll also erst im Sommer alles rauskommen. Fassen Sie es
doch zusammen, und nennen Sie es einfach „Späti“.
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Nichtsdestotrotz hat der Haushaltsausschuss die Mittel gesperrt. Sie haben also nur Mittel freigegeben bekommen, um die DATI konzeptionell
aufzustellen. Bis zum letzten Jahr hat es aber im Haushalt eine Summe von 75 Millionen Euro für Forschungsprojekte der Fachhochschulen gegeben. Diese
75 Millionen Euro sind in den Titel gegangen, in dem sich jetzt die DATI befindet, aber natürlich nicht vollständig. Es sind nur 65 Millionen Euro, die da
reingegangen sind.
Ich frage Sie: Jetzt haben wir das Jahr 2022. Sofern die Mittel gesperrt bleiben: Wie kommen denn dann Hochschulen an das Geld dieses alten Titels aus
einem Haushaltstitel, der insgesamt aber für diese DATI-Mittel gesperrt ist? Wie überbrücken Sie das? Wie kommen die Hochschulen an dieses ihnen ja eigentlich
versprochene Geld?
Liebe Kollegin Sitte, wir begehen ja mit beiden Agenturen neue Wege – Novum. Warum? Auch eine Agentur für Sprunginnovationen, die ja schon in der
letzten Legislatur ins Leben gerufen wurde, entspricht natürlich nicht dem, was eine Bundeshaushaltsordnung vielleicht als Logik hat. Aber das ist ja gerade das
Ziel, dass beide Agenturen eben möglichst politikfern sind. Sie sollen ja wissenschaftsgetrieben bzw. von den Akteuren aus der Zivilgesellschaft, der
Verwaltung, der Wirtschaft, also in diesem Ökosystem getrieben sein. Und das müssen wir natürlich mit dem, was wir als Haushaltsrecht haben und was ich auch für
sinnvoll erachte – ich war mal im Haushaltsausschuss; ich weiß: wir geben Steuergelder aus –, in Einklang bringen. Deswegen ist das natürlich ein
komplizierterer Prozess.
Zur Sperre. Wir haben die Titel zusammengeführt, damit man auch insgesamt mal sieht, was in dem Bereich passiert, damit es auch im Haushalt eine
Klarheit gibt. Aber die Sperre bezieht sich natürlich speziell auf die DATI. Das müssen die Haushälter dann entscheiden.
Sie dürfen eine Nachfrage stellen.
Danke schön. – Also, das heißt: Fachhochschule oder Hochschule für angewandte Wissenschaften XY kann, bezogen auf dieses alte Programm, jetzt nicht
in dieser Titelgruppe bei Ihnen, also themenoffen, einen Antrag auf Zugang zu Mitteln stellen. Der zweite Teil dieser Nachfrage: Wann kommt denn jetzt mal die
Kohle an? Was ist Ihre Zielstellung, damit die Fachhochschulen vor Ort gemeinsam mit anderen Akteuren tatsächlich an das Geld kommen?
Auch wenn die einzelnen Titel in dieser Titelgruppe, wie es so schön heißt, zusammengefasst werden, werden die Programme weitergeführt. Wir haben ja
jetzt deswegen nicht Programme eingestellt. Und insofern ist natürlich ein Antragsverfahren in den bestehenden Programmen, so wie es vorgesehen ist,
möglich.
Speziell auf die DATI bezogen haben wir ja gesagt: Gründung Anfang nächsten Jahres und dann natürlich auch zügig das Bewerben um die ersten
Projekte.
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Nur zur Erklärung an die beiden Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion, die etwas später reingekommen sind. Ich habe gesagt: Ich lasse sechs Nachfragen
zu. – Deswegen habe ich gerade den Kopf geschüttelt.
Aber jetzt kommt aus der CDU/CSU-Fraktion von Herrn Albani die nächste Frage zum Thema.
Herzlichen Dank. – Sie sehen mich ganz ruhig, was das Drankommen anbelangt, aber in keiner Weise ruhig, was die DATI anbelangt.
Das erste Papier war für März dieses Jahres angekündigt. Und das war schon das konkreteste Datum, das wir je bekommen haben. Heute ist es wieder noch
etwas nebulöser geworden. Und wenn man sich den Zeitraum anguckt, in dem wir jetzt schon über die DATI diskutieren, mag man durchaus die Sorgen, die hier zum
Ausdruck kommen, was mit den Geldern passiert und was mit der Struktur passiert, teilen.
Damit ich hier jetzt gar nicht auf mich selber und meine Sorgen eingehe, möchte ich einen ehemaligen Staatssekretär Ihres Hauses zitieren, der vor
Kurzem bei Twitter schrieb:
Bei #DATI gibt’s nichts gesund zu beten: 70 % gesperrt & @BMBF an Kandare ... Wahrscheinlichkeit, dass aus DATI Miniaturfigur wird und HAWs bei
Anwendungsorientierter Forschung i. d. Röhre gucken, extrem hoch
Das sind die Sorgen, mit denen wir Sie seit einem halben Jahr konfrontieren. Sie sagen: „Wir sind in einem euphorischen Prozess“ und: „Die DATI ist
Teil unserer Infrastruktur.“ Sie könnte es sein, wenn man diese Probleme lösen könnte. Warum lösen Sie sie nicht?
Ja, sehr geehrter Herr Kollege Albani, ich hätte mir ja gewünscht, dass in den letzten 16 Jahren
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das Transfersystem in seiner ganzen Breite schon mal
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so aufgestellt worden wäre. Und wenn ich mir den Prozess zum Ins-Leben-Rufen der Agentur für Sprunginnovationen anschaue, wenn ich sehe, wie der
Leiter der Agentur für Sprunginnovationen erst mal um E‑Mail-Adressen kämpfen musste, dann würde ich sagen: Wir sind doch gut unterwegs.
Aber ich nehme das Thema natürlich ernst; denn es geht ja wirklich darum, Innovation und Transfer in unserem Land voranzubringen. Deswegen haben wir
alle mit Hochdruck daran gearbeitet und arbeiten auch noch mit Hochdruck daran. Aber ich wiederhole es noch mal: Es geht darum, dass wir den Gründungsprozess so
schaffen, dass wir nicht nachsteuern müssen wie bei der Agentur für Sprunginnovationen, wozu wir jetzt ein Freiheitsgesetz auf den Weg bringen müssen, sondern
dass wir die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation von Anfang an so aufstellen, dass sie ihrem Auftrag gerecht wird und sich möglichst viele dort
bewerben und möglichst viele Ökosysteme ins Leben gerufen werden. Anfang nächsten Jahres ist unser Ziel. Alle in der Koalition arbeiten daran. Deswegen freue
ich mich, wenn das nächste Jahr startet.
Sie dürfen eine Nachfrage stellen.
Herzlichen Dank. – Der Hinweis auf die letzten 16 Jahre ist so einfallslos
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wie unkorrekt.
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Ich kann Ihnen als Wissenschaftler, der in die Politik gegangen ist, sagen: In den letzten 16 Jahren ist in der Wissenschaft eine Menge geschehen.
Insofern ist es jetzt auch wichtig, zu kritisieren und die Dinge einzufordern, die jetzt geschehen müssen. Das sind Dinge, die Sie jetzt verantworten.
Deswegen noch einmal: Die DATI ist als eine Institution insbesondere für die HAWs auf den Weg gebracht worden, und als solche wird sie auch von der
Community erwartet. Im Laufe der Zeit wurde dann der Kreis derer, die sich daran beteiligen, erweitert. Aber das Geld, das da reingeflossen ist, ist bisher aus
den originären Titeln der HAWs. „Forschung an Fachhochschulen“ heißt dieser eine Titel. Wie können Sie verantworten, auf der einen Seite Gelder dort
hineinzubringen und auf der anderen Seite den Hochschulen nicht klar zu sagen, wer hierbei am Ende partizipieren wird?
Sehr geehrter Herr Kollege Albani, ich nehme Kritik immer ernst, aber vielleicht nehmen Sie Kritik auch ernst, Stichwort „Agentur für
Sprunginnovationen“ im Bereich „Innovation und Transfer“. Und eine DATI habe ich bisher noch nicht gesehen.
Es ist so, dass dafür zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden. Dem, was Sie gesagt haben, widerspreche ich also. Und es handelt sich
natürlich um die Aufbauphase einer Agentur. Was nützt es uns, zu Beginn des Haushaltsjahres viele Mittel – der DATI-Haushalt wächst ja auf – drinstehen zu
haben? Wir müssen jetzt in die Umsetzung kommen. Das ist unser Ziel. Dazu sind wir im engen Austausch mit den HAWs und haben das Gefühl, dass wir die
Kommunikation dazu gut und auf Augenhöhe führen und dass die HAWs immer im Bild sind, wie unser Stand in dem Prozess ist.
Die nächste Frage zu diesem Thema stellt aus der FDP-Fraktion Frau Schröder.
Danke, Frau Präsidentin. – Liebe Frau Ministerin, Sie haben eben neben dem Thema „technologische Innovationen“ auch das Thema „soziale Innovationen“
angesprochen. Jetzt haben Sie in diesem Jahr sogar extra eine Beauftragte für das Thema ins Ministerium geholt, die erfahrene Sozialunternehmerin Zarah Bruhn.
Ich glaube, viele Menschen haben vielleicht noch gar keine richtige Vorstellung davon: Was heißt das eigentlich, soziale Innovationen? Wie verhält sich das zu
technologischen Innovationen? Und warum ist es überhaupt etwas, was man fördern sollte? Deswegen meine Frage an Sie: Wie werden soziale Innovationen aus dem
BMBF heraus gefördert, und warum tun Sie das überhaupt?
Ganz herzlichen Dank, Frau Kollegin Schröder. – Es ist ein Herzensanliegen von dieser Koalition gewesen, dass wir dem Thema „soziale Innovationen“
zusätzlichen Raum geben. Soziale Innovationen, das ist nicht etwas sehr Abstraktes. In den letzten Wochen und Monaten haben wir gesehen, dass junge Unternehmen,
die in dem Bereich „soziale Innovationen“ tätig sind, Flüchtlinge, die aus der Ukraine zu uns gekommen sind, mit unterstützt haben, zum Beispiel bei der
Wohnungsvermittlung, aber auch bei der Vermittlung in den Arbeitsmarkt. Dort haben wir gesehen, dass es immens wichtig ist, durch diese guten Ideen
unkomplizierte Lösungen für soziale und gesellschaftliche Herausforderungen zu finden.
Deswegen haben wir diesem Thema ein Gesicht gegeben. Unsere Beauftragte Frau Bruhn hat die Bausteine ihrer Strategie, die dazu gehören, ausgearbeitet
und wird sie vorstellen. Ein konkretes Beispiel, damit das nicht im luftleeren Raum bleibt, ist, dass dann auch Förderlinien für soziale Innovationen geöffnet
werden. Ich habe schon mal gesagt: Wenn Sie an den Buchdruck oder die Hardenberg’schen Reformen zurückdenken – die liegen zwar schon ein bisschen zurück –, das
waren disruptive Dinge und Veränderungen, die im Bereich „soziale Innovationen“ liegen.
Sie dürfen eine Nachfrage stellen.
Sie haben eben in dem Zusammenhang auch das Thema Ausgründungen angesprochen. Ich kenne aus meinem Wahlkreis das Startup Dock von der TU
Hamburg-Harburg, wo das eine ganz große Rolle spielt. Wie können sich denn soziale Innovationen im Bereich der Ausgründung aus Universitäten und auch in der
Start-up-Strategie der Bundesregierung wiederfinden, und wie greift das mit der Strategie, die Sie gerade angesprochen haben, im Bereich „soziale Innovationen“
zusammen?
Das Thema Ausgründungen ist ein wichtiges Thema in verschiedenen Ministerien der Bundesregierung. Deswegen ist es gut, wenn wir bei der
Zukunftsstrategie Forschung und Innovation – da sollen ja auch Instrumente für Transfer und Ausgründungen mit ein Teil sein – auch hier ressortübergreifend
denken; denn wir brauchen diese Ausgründungen in ihrer ganzen Breite. Ich finde, wenn Sie mal landauf, landab in den Hochschulen, in den Universitäten unterwegs
sind, sehen Sie, dass dort wirklich Elan zu finden ist, auch in der Gründerszene im Bereich „soziale Innovationen“. Ich habe eben schon Beispiele genannt: Wie
betreut man Flüchtlinge? Aber auch: Wie löst man Probleme in der Coronapandemie? Wie kann man älteren Menschen dann noch eine Versorgung ermöglichen? An diesen
Ideen, aber auch dann, wenn es um die Bekämpfung des Klimawandels geht, sieht man ja, dass hier unheimlich viel Motivation vorhanden ist, diese Probleme
zusammen zu lösen. Deswegen werden die Ausgründungen in Teilen dieser Innovationsstrategie eine große Rolle spielen.
Letzter Fragesteller zu diesem Thema: aus der CDU/CSU-Fraktion Herr Jarzombek.
Frau Präsidentin! Frau Ministerin, Sie sind ja mit dem Versprechen angetreten, Forschungstechnologie besser in die Fabriken und auf die Straße zu
bringen. Wenn wir jetzt mal konkret gucken: Wir haben aktuell das Thema der Energiekrise. Fraunhofer hat Solarzellen entwickelt, die dreimal so effizient sind
wie heutige. Wenn die jetzt tatsächlich vom Labor in die Fabrik und dann auf die Dächer kommen würden, dann würde ab morgen auf jedem neuen Haus dreimal so viel
Solarstrom erzeugt. Immer noch werden aber veraltete Solarzellen auf Häuserdächer gebaut, weil die Entwicklungen irgendwie nicht aus Fraunhofer rauskommen.
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Jetzt machen Sie diese Transferagentur. Erklären Sie uns doch mal, warum diese DATI oder „Späti“ – oder wie auch immer das Ding heißen soll – genau so
ein Vorhaben nicht fördert, warum Fraunhofer ausgeschlossen ist, Helmholtz ausgeschlossen ist, die exzellenten technischen Universitäten ausgeschlossen
sind.
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Wie soll denn Hightechtransfer stattfinden, wenn Sie die besten Akteure ausgeschlossen haben?
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Sehr geehrter Herr Jarzombek, Sie müssten es eigentlich besser wissen. Ich habe es eben schon mal gesagt: Die DATI ist nicht alles, was im Bereich
Transfer passiert. Sie ist ein ganz spezielles Instrument, das ein Potenzial hebt, das wir in unserem Land bisher nicht gehoben haben. Es geht ja nicht darum,
ein einzelnes Produkt auf den Markt zu bringen – das ist immens wichtig; aber das ist nicht Sinn der DATI –; dafür gibt es andere Förderlinien. Die DATI soll
den Innovationsprozess erst mal befördern.
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Insofern ist Ihre Frage viel zu kurz gegriffen, wenn es um die DATI geht.
Sie dürfen eine Nachfrage stellen.
Vielen Dank. – Frau Ministerin, dann erklären Sie uns doch mal, wie Sie das jetzt machen. Die dreimal so effizienten Solarzellen bei Fraunhofer sind
da; die sind fast fertig. Es gibt auch viermal so effiziente Windräder. Was tun Sie jetzt, um das in die Fabrik zu bringen?
Herr Jarzombek, auch das wissen Sie aus der Zeit, in der Sie in der Bundesregierung waren, aber ich erkläre Ihnen das noch mal gerne: Die
außeruniversitären Forschungsinstitute haben selbst schon Transferprogramme. Es gibt zum Beispiel bei außeruniversitären Forschungsinstituten Fonds, die genau
das finanzieren: dass die Innovation den Markthochlauf schaffen kann. Es gibt in Zusammenarbeit mit dem BMWK auch Förderprogramme, die neue innovative
Technologien in die Breite bringen können. Es gibt im BMBF auch KMU-innovativ. Es gibt also zusätzlich Förderprogramme, die Möglichkeiten schaffen, Innovationen
zu finanzieren.
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Ich gehe weiter in den angemeldeten Fragen. Als Nächstes stellt eine Frage Frau Höchst aus der AfD-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, der Fachkräftemangel ist in so vielerlei Hinsicht über die letzten Jahrzehnte selbstgemacht, dass
mir jetzt die Zeit fehlt, das alles darzustellen. Deswegen liegt mein Fokus auf zwei Problemen, mit denen unser duales Ausbildungssystem kämpft.
Erstens. Ein Studium ist gerade bei Schulabsolventen immer noch gesellschaftlich attraktiver als eine duale Ausbildung.
Zweitens. Stark mit öffentlicher Wertschätzung aufgeladene Berufe, wie zum Beispiel Klimamanager oder Gleichstellungsbeauftragte, werden sehr viel
häufiger angestrebt als Berufe, bei denen man sich körperlich sehr anstrengen muss oder sich womöglich sogar die Hände schmutzig macht.
Gibt es irgendeine Idee oder einen Maßnahmenkatalog, wie Sie diesem Problem zu Leibe rücken wollen, oder ist das für Sie gar kein Problem?
Der Fachkräftemangel ist etwas, das unsere Wirtschaft und unseren Wohlstand stark belastet. Wir haben heute schon 2 Millionen unbesetzte Stellen.
Das nimmt in Zukunft zu. Wir brauchen kluge Köpfe und auch die fleißigen Hände aus der beruflichen Bildung. Deswegen haben wir uns auf den Weg gemacht und von
Anfang an gesagt: Die Wege in der akademischen Ausbildung und in der beruflichen Ausbildung sind unterschiedlich, aber sie sind gleichwertig. Wir brauchen ein
Umdenken; denn bei uns ist eine berufliche Ausbildung der Ausgangspunkt für eine wunderbare berufliche Karriere. Was man bei uns in der beruflichen Ausbildung
lernt, das muss man in anderen Ländern studieren. Hinzu kommt bei uns noch der Praxisbezug. Die jungen Menschen wollen ja auch etwas verändern.
Was machen wir jetzt als Bundesregierung? Wir haben die Fachkräftestrategie auf den Weg gebracht. Das ist ein Bündel von verschiedenen Maßnahmen. Zwei
will ich einmal exemplarisch vorstellen.
Das eine ist natürlich die Berufsorientierung, die sicherstellt, dass die Schülerinnen und Schüler aller Schulformen überhaupt wissen: Was gibt es
eigentlich für Berufsmöglichkeiten, und was kann ich damit bewirken? Ich kann zum Beispiel die Technologien verbauen, die den Klimawandel bekämpfen.
Die Berufsorientierung und – zweites Beispiel – die Exzellenzinitiative Berufliche Bildung werden wir noch mal stärken, um den Stellenwert zu
unterstreichen, den die berufliche Bildung bei uns hat; denn in diesem Bereich sind die Macher von morgen. Das ist unsere Wirtschaft von morgen.
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Sie dürfen eine Nachfrage stellen.
Vielen Dank. Das möchte ich gerne. – Frau Ministerin; Sie sind mir noch eine Antwort auf meine Frage von vorhin schuldig, ob sich die
Bundesregierung zu Deutsch als Bildungssprache in Deutschland bekennt.
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In den Klassenzimmern herrscht immer häufiger Englisch als Lingua franca vor, weil so viele Kinder mit nichtdeutschem muttersprachlichem Hintergrund
in diesen Klassen sind,
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dass ein Unterricht in deutscher Sprache vielfach nicht mehr möglich ist. Holen Sie es bitte nach, zu erläutern, wie Sie das sehen.
Wenn Sie es so sehen, dass Deutsch die Unterrichtssprache in Deutschland sein soll, dann möchte ich Sie bitten, darzustellen, wie dieses Bekenntnis
mit Leben gefüllt werden kann. Denn wie der Lehrerpräsident Meidinger – frei zitiert – schon sagte: Viele Migranten in den Klassen sind ursächlich für
schlechtere Schulleistungen, und das liegt nicht an den Migranten, sondern ist in der Sprachkompetenz begründet. – Wie wollen Sie dem begegnen? – Vielen
Dank.
Frau Abgeordnete Höchst, ich habe es eben schon gesagt: Ich habe auch mal im Ausland gelebt. Sie betonen die deutsche Sprache, aber es geht nicht um
Deutsch als solches, sondern es geht darum, dass man versucht, die Sprache eines Landes zu erwerben, damit man sich zurechtfinden kann. Das ist die Grundlage
von allem.
Natürlich ist es so, dass dies in den Schulen und auch schon in den Kitas – deswegen ja auch das Gute-KiTa-Gesetz – die Grundlage sein soll. Aber ich
möchte eines zurückweisen, was Sie eben gesagt haben, nämlich dass der Grund dafür, dass Schulen heute vor dieser Herausforderung stehen, die Zuwanderung ist.
Das Problem ist, dass wir nicht genug Lehrinnen und Lehrer haben, die die jungen Menschen, die zu uns kommen, auf dem Weg, hier die Sprache zu lernen,
unterstützen. Deswegen möchte ich das von der Konnotation her wirklich noch mal anders darstellen.
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Jetzt möchte ich noch ein Letztes sagen. Ich halte es für immens wichtig, dass wir zum Beispiel in den Universtäten auch Englisch als Sprache haben;
denn wir wollen als Land international sein. Wir wollen auch, dass international kluge Köpfe zu uns kommen. Deswegen müssen wir hier auch die Offenheit haben,
und deswegen kann man nicht eins gegen das andere ausspielen. Deswegen darf man Ursache und Wirkung in dieser Diskussion nicht verwechseln; sonst führt man das
auf eine schiefe Ebene, die niemandem hilft.
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Ich bitte alle Beteiligten, auf den roten Balken zu achten. Er bedeutet: Die Zeit ist abgelaufen, sowohl für die, die Fragen stellen, als auch für
die, die antworten, Frau Ministerin.
Jetzt habe ich eine ganz andere große Herausforderung zu lösen. Ich habe zu diesem Thema jetzt nämlich mindestens schon – soweit ich das gesehen
habe – neun Nachfragen.
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– Auch die Union hat sich gemeldet.
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– Ja. Ich habe aber auch noch drei Fraktionen, die offiziell Fragestellungen angemeldet haben. Auch diese muss ich für die Zeit, die uns noch bleibt –
nämlich eigentlich 15 Minuten – berücksichtigen. Möglicherweise werde ich wieder verlängern müssen; das werde ich dann gleich meiner Ablösung mitteilen.
Aber ich will eins sagen: Ich habe drei Meldungen aus der FDP-Fraktion. Ich würde darum bitten, dass man sich vielleicht auf einen Kollegen
konzentriert. Aus der SPD-Fraktion habe ich auch mehrere gesehen; auch da würde ich darum bitten, sich vielleicht auf einen Kollegen oder eine Kollegin zu
konzentrieren, wenn das geht. Von den Kolleginnen und Kollegen der Grünen haben wir zwei Meldungen. Auch da wäre es nett, wenn man sich auf eine konzentrieren
könnte.
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Dann hätten wir nämlich bei den Nachfragen, die ich jetzt hier aufgeschrieben habe, aus jeder Fraktion jeweils eine Kollegin oder einen Kollegen. –
Ich sehe allgemeines Nicken. Ich wäre wirklich sehr dankbar, wenn wir das so kollegial lösen könnten.
Dann würde ich beginnen mit dem Kollegen der FDP-Fraktion, der jetzt die erste Nachfrage zum Thema stellt.
Ganz herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, wir haben ja mit dem Problem der Fachkräftesicherung ein weiteres Problem, das Sie
übernommen haben. In den letzten Jahren hat man viel darüber gesprochen; man hat aber nichts getan, um da wirklich voranzukommen.
Sie gehen ja jetzt in mehreren Schritten voran, zum Beispiel mit der Exzellenzinitiative Berufliche Bildung. Dazu gehört auch, dass wir uns gegenüber
der Erwerbsmigration sehr offen zeigen. Auf diesem Gebiet haben Sie ja heute, glaube ich, einen richtig großen Schritt getan. Mich würde mal interessieren, wie
weit Sie da gekommen sind, welche Erfolge wir da vermelden können und was wir in den nächsten Jahren machen werden.
Ganz herzlichen Dank für die Frage. – Wir setzen im Rahmen der Fachkräftestrategie und der Nationalen Weiterbildungsstrategie natürlich alles daran,
auch die Menschen im Inland, die noch nicht im Erwerbsleben sind, zu motivieren oder auch zu befähigen, einer Arbeit nachzugehen – durch Weiterbildung, durch
Anerkennung von Qualifikationen oder eben auch durch die Gestaltung des Übergangs, wenn kein Schulabschluss erworben werden konnte.
Aber das wird nicht langen. Wir brauchen die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt. Deswegen bin ich froh, dass wir heute etwas beschlossen haben, was
längst überfällig war, was schon viel früher hätte passieren müssen, nämlich dass wir eine klare Regelung bekommen, wie in den Arbeitsmarkt zugewandert wird.
Das betrifft nicht nur Akademiker; denn wir sehen, dass auch die Gaststätten Probleme haben, offen zu bleiben. Wir sehen, dass kleine Betriebe tageweise
schließen müssen, weil sie die Arbeitskräfte nicht mehr haben.
Deswegen gibt es drei Säulen, wie man in unser Land, in den Arbeitsmarkt einwandern kann: Es bleibt natürlich die Fachkräftesäule. Es gibt die
Erfahrungssäule: Wenn jemand schon eine Ausbildung im Ausland hatte, kann er hier einwandern und Arbeit finden; die Anerkennung der Qualifikation kann später
erfolgen. Dann gibt es die Potenzialsäule, ein Punktesystem nach kanadischem Modell, damit wir wirklich die ganze Bandbreite der Hände bekommen, die wir
brauchen.
Herr Boginski, Sie können eine Nachfrage stellen.
Ganz herzlichen Dank. – Frau Ministerin, das können Sie ja nicht allein machen, sondern – das finde ich auch richtig gut – da müssen mehrere
Ministerien zusammenarbeiten. Wie ist da der Stand der Dinge?
Wir haben heute unter der Federführung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zusammen die Eckpunkte für ein modernes Einwanderungsgesetz
auf den Weg gebracht – in Zusammenarbeit mit der Bundesinnenministerin, mit dem Bundeswirtschaftsminister und eben auch mit dem BMBF; das Auswärtige Amt ist für
die Erteilung der Aufenthaltsgenehmigungen natürlich auch mit dabei.
Insofern ist das ein gutes Beispiel dafür, dass eine hervorragende Zusammenarbeit auch schnell Ergebnisse liefern kann. Dies innerhalb eines Jahres
auf den Weg gebracht zu haben, ist wichtig; denn es ist in der Vergangenheit schon zu viel Zeit verloren worden, und wir müssen jetzt dringend handeln.
Die nächste Nachfrage zum Thema stellt aus der Fraktion Die Linke Frau Gohlke.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, ich will gerne auf den Zustand der Berufsschulen zu sprechen kommen. Mittlerweile sind ja wirklich
flächendeckend in ganz vielen Bildungseinrichtungen – in den Schulen, in den Hochschulen – ganz gravierende Mängel vorhanden: Klos sind unbenutzbar, Fenster
lassen sich nicht öffnen usw. Auch in den Berufsschulen beläuft sich der Sanierungsstau auf mindestens 5 Milliarden Euro, und da sind die Modernisierungen, die
es natürlich ganz dringend bräuchte, um die Azubis auf die technologischen Herausforderungen vorzubereiten, noch gar nicht einberechnet.
Die Ampelkoalition hat sich verpflichtet, gemeinsam mit den Ländern und Kommunen einen Pakt für berufsbildende Schulen ins Leben zu rufen. Aber man
muss einfach konstatieren: Auch nach einem Jahr liegt nichts auf dem Tisch. Auch im Haushalt findet sich nicht mal eine Andeutung dazu.
Deswegen jetzt meine Frage: Wann geht es los? Können Sie uns irgendetwas Konkretes zur Ausgestaltung sagen? Bei den Schulen und Hochschulen hat man
immer das Gefühl: Sie machen sich so ein bisschen einen schlanken Fuß. Da wird dann gerne auf die Länder und die Kommunen verwiesen, die doch irgendwie aktiv
werden sollen. – Hier verhält es sich – hoffentlich zumindest – anders. Wann werden Sie aktiv?
Ich darf es noch einmal sagen: Sie dürfen das jetzt beantworten; aber eigentlich sind wir immer noch im Bereich der Nachfragen zur
Ursprungsfrage.
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Ich will nur noch einmal darauf hinweisen.
Sehr geehrte Frau Abgeordnete Gohlke, ich weise zurück, dass sich der Bund hier einen schlanken Fuß macht. Gerade vor der Herausforderung, dass die
Hochschulen und die Schulen durch die hohen Energiepreise sehr stark belastet sind, hat sich der Bund sehr stark eingebracht: Mit circa 2 Milliarden Euro werden
sie von den Paketen, die der Bund für die Entlastung im Bereich Strom- und Gaspreis auf den Weg gebracht hat, profitieren.
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Damit entlasten wir auch die Länder. Ich möchte also zurückweisen, dass wir uns als Bundesregierung einen schlanken Fuß machen.
Konkret zu Ihrer Frage: Man kann natürlich nicht die Menschen, die unsere Zukunft gestalten sollen, in Bildungsorte der Vergangenheit stecken. Dieser
Pakt für berufliche Schulen umfasst natürlich verschiedene Maßnahmen. Die Länder werden ihren Teil einbringen, und wir werden unseren Teil einbringen. Und
deswegen ist das jetzt auf den Weg gebracht. Das wird auch mit allen anderen Maßnahmen zusammenhängen, die wir im Bereich „berufliche Bildung“ auf den Weg
bringen. Deswegen wird jetzt der Dialog mit den Ländern in Angriff genommen.
Sie haben es ja gesagt: Es gibt eine Arbeitsteilung in unserem Land. Und wenn ich auf die Hochschulen schaue, so wollten die Länder ja die
Verantwortung für den Hochschulbau haben und haben dafür auch Entflechtungsmittel bekommen. Das heißt, die Arbeitsaufteilung ist klar, weil dahinter natürlich
auch Finanzströme stehen. Aber es ist klar, dass wir alle das gemeinsame Ziel haben, dass die Ausbildungsstätten gerade in der beruflichen Bildung auch dem
aktuellen Standard entsprechen und zukunftsweisend sind.
Sie dürfen eine Nachfrage stellen.
Vielen Dank. – Also, ich habe jetzt eigentlich gar nichts Konkretes zur Ausgestaltung des Paktes für berufsbildende Schulen gehört. Deswegen würde
ich jetzt einfach nachfragen, was Sie dann konkret einbringen werden. Was sind sozusagen Ihre Stellschrauben, Ihre Momente, die Sie als Ministerin in diese
Verhandlungen einbringen wollen? Ich denke mal an solche Sachen wie kostenfreies Azubiticket, Förderung von Wohnheimen für Azubis, verbesserte
Lernmittelfreiheit für Bücher, aber natürlich auch für digitale Endgeräte, zum Beispiel aber auch Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die
Berufsschullehrerinnen und ‑lehrer, weil es an dem Punkt ja auch krankt. Das alles wären Stellschrauben, um die Attraktivität der beruflichen Bildung wirklich
nach vorne zu bringen. Was sind Ihre Punkte, die Sie als Ministerin in die Verhandlungen einbringen werden?
Sehr geehrte Frau Abgeordnete Gohlke, ich bitte Sie, doch auch unser Grundgesetz in dieser ganzen Diskussion zu berücksichtigen. Der Bund hat zum
Beispiel über den DigitalPakt – darunter fallen auch die beruflichen Schulen – schon einen Beitrag geleistet, um die Schulen zu modernisieren. Ebenso leistet er
Beiträge über die Qualitätsoffensive Lehrerbildung, jetzt auch über die Kompetenzzentren für digitale Lehre. Es geht ja nicht nur darum, Geräte in einen Raum zu
stellen, sondern es geht auch darum, dass digitale Möglichkeiten Einzug halten. All das sind Dinge, die wir im Augenblick schon machen.
Wir beginnen jetzt die Diskussion über den Pakt; dann werden die Länder ihren Beitrag leisten, und der Bund wird seinen Beitrag leisten. Aber das
diskutieren wir erst mit den Ländern und dann im Parlament.
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Rosenthal.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Frau Ministerin, ich bin sehr dankbar, dass Sie gerade das Feld der Berufsorientierung und auch die Qualität
von Ausbildung noch einmal stark unterstrichen haben; es ist ja gerade ein Teil der Attraktivität von Ausbildung, dass es auch danach noch weitergehen kann,
also die Verzahnung von Weiterbildung und Ausbildung. Auch hier haben wir uns als Koalition mit Blick auf das Aufstiegs-BAföG einiges vorgenommen. Mich würde
einmal interessieren, wie Ihre Perspektive auf die großen Reformen ist, die wir uns da vorgestellt haben, und wie der Stand seitens Ihres Hauses da ist.
Liebe Frau Kollegin Rosenthal, eine Minute ist immer zu kurz, um alles zu beantworten. In der Tat ist es so, dass die berufliche Ausbildung erst
einmal ein Start ist. Durch den DQR, also den Deutschen Qualifikationsrahmen, gibt es die Möglichkeit, hinterher auch noch andere Wege einzuschlagen. Das ist
immens wichtig, und das müssen wir jetzt auch mehr mit Leben füllen.
Mit Blick auf die Frage, wie es danach weitergeht, wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist es so, dass wir insgesamt Berufsbilder mit Ausbildung
attraktiver machen wollen, indem wir internationale Mobilität ermöglichen, indem wir das Aufstiegs-BAföG – das war auch eines Ihrer Kernanliegen – reformieren.
Mit den Änderungen beim BAföG sind jetzt schon die Rahmenbedingungen verbessert worden.
Beim Aufstiegs-BAföG ist heute schon mehr möglich, als manchmal in der öffentlichen Wahrnehmung angenommen wird. Ich rate jedem, der sich dafür
interessiert, sich wirklich mal damit auseinanderzusetzen, damit man vielleicht Überlegungen zum Beispiel zu Teilzeitausbildungen und Ähnlichem anstellt. Das
sind Themen, denen man sich nähern muss, immer natürlich in der Abwägung zu der sozialen Unterstützung, die geleistet wird. Aber insofern ist diese
Modernisierung zum Teil jetzt schon möglich, und wir werden weitere Schritte mit der nächsten BAföG-Reform gehen.
Die nächste Nachfrage stellt der Abgeordnete Frömming.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Frau Ministerin, ich komme noch mal auf die Ausgangsfrage zurück. Sie haben in Ihrem Eingangsstatement
den Nationalen Bildungsbericht erwähnt, ein wichtiger Indikator auch für uns. Ich finde dort auf der Seite 80 eine interessante Angabe; da geht es nämlich um
den Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund und Bildungsstand bzw. Bildungsabschluss. Dort ist zu lesen, dass 32 Prozent der bei uns lebenden jungen
Erwachsenen – 19 Jahre und älter – mit einem solchen Hintergrund über keinerlei Bildungsabschluss oder beruflichen Abschluss verfügen. In der Gesamtbevölkerung
beträgt dieser Anteil nur 8 Prozent.
32 Prozent, das ist ein Riesenproblem; denn wer keinen Berufsabschluss hat, hat natürlich auch ein Problem, einen Beruf zu finden. Was sind Ihre
Ideen, was sind die Strategien der Bundesregierung, um von diesen 32 Prozent herunterzukommen?
Dass ein junger Mensch die Schule ohne Abschluss verlässt, kann vielfältige Gründe haben. Wenn man zum Beispiel in unser Land zugereist ist, kann
der Grund sein, dass man relativ spät in ein Bildungssystem gekommen ist. Jeder Mensch muss dann noch die Möglichkeit haben, sich weiterzuentwickeln. Deswegen
ist es ganz wichtig, dass wir die Übergangsphase gestalten. An der Schnittstelle sind wir zusammen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales tätig,
damit eben der Übergang in Ausbildung, die Nachqualifikation möglich ist.
Es ist aber auch immens wichtig, dass wir Kompetenzen, die erworben wurden, auch wenn dies vielleicht nicht in einer formalen Ausbildung stattgefunden
hat, feststellen; denn wenn jemand schon eine Weile arbeitet, dann entwickelt und erwirbt er auch Kompetenzen. Wir haben zum Beispiel das Programm ValiKom, in
dem man eben genau das validieren kann, damit man hinterher, wenn man auf Arbeitsplatzsuche ist, auch zeigen kann, dass man etwas kann. Das ist immens
wichtig.
Das eine ist, dass im Bereich Schule die Zahl derjenigen, die die Schule ohne Abschluss verlassen, sinkt, das andere, dass wir denjenigen, die die
Schule leider ohne Abschluss verlassen haben, die Brücke bauen in die Arbeitswelt und in den langen beruflichen Lebensweg.
Die Kollegin Reinalter stellt die nächste Nachfrage.
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– Entschuldigung; das habe ich jetzt nicht gesehen. – Herr Frömming.
Wir haben uns jetzt den Status quo angeguckt; wir müssen aber auch in die Zukunft blicken. Deutschland hat extrem hohe Steuern im internationalen
Vergleich, bis fast 50 Prozent. Wir haben teilweise leider auch eine marode Infrastruktur, marode Schulen, teilweise sind die Innenstädte nicht mehr sicher.
Was macht Sie denn so sicher, dass ausgerechnet Erleichterungen bei der Zuwanderung und Erleichterungen beim Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft
echte Fachkräfte, die wir also wirklich brauchen, motivieren könnten, nun ausgerechnet nach Deutschland zu kommen? Ist das wirklich das entscheidende
Kriterium?
Wir haben jetzt mit den Eckpunkten eben Klarheit geschaffen, wie Einwanderung in unseren Arbeitsmarkt, wie Fachkräftezuwanderung geschehen kann. Das
war in der Vergangenheit sehr begrenzt, und das war falsch.
Wenn wir jetzt darüber sprechen, dass wir Fachkräftezuwanderung in der Breite brauchen, dann geht es natürlich auch darum, dass wir es Menschen, die
schon eine bestimmte Erfahrung haben, schon einen Berufsabschluss in ihrem Land erworben haben, erleichtern, sich das hier anerkennen zu lassen, weil wir eben
diese Personen brauchen. Wir haben die offenen Stellen, und da haben Menschen, die kommen, schon eine Erfahrung.
Genauso in der dritten Säule, in der Potenzialsäule: Beim Punktesystem geht es darum, welche Kompetenzen ich mitbringe, um in einem Land dann auch
Arbeit zu finden. Insofern ist es ganz gewiss ein Schritt zur Integration in den Arbeitsmarkt. Wir setzen sogar noch einen Anreiz, die Berufe anerkennen zu
lassen, indem die Menschen, die das tun und diese Anerkennung hier nachholen – wir wollen sie ja langfristig im Arbeitsmarkt halten –, dann auch schneller den
Aufenthalt genehmigt bekommen, nachdem sie eben die Anerkennung durchlaufen haben. Insofern ist es ein wichtiger Schritt, um Klarheit zu schaffen, welche
Möglichkeiten es gibt, bei uns Arbeit zu finden und die Zukunft unseres Landes mitzugestalten.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Frau Ministerin, zurück zum Fachkräftemangel: lange gewarnt, lange ignoriert und verschlafen, heute
Realität und in Zukunft sicher eines der größten innenpolitischen Probleme, die wir zu bewältigen haben. Gefährdet ist unsere Wirtschaft, unser Wohlstand,
unsere Energiewende etc. Wir sind uns einig, dass Bildung ein Schlüssel ist, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, und wir sind uns auch einig, dass wir mehr
Master sowie mehr Meister und Meisterinnen brauchen. Was kann die Regierung tun, um die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung
herzustellen?
Vielen Dank. – Das ist ein Thema, das uns in der Breite beschäftigt. War es vielleicht vor 30 Jahren so, dass das Pendel auf der Seite war, dass zu
wenige sich für die akademische Ausbildung entschieden haben, ist es jetzt leider andersherum. Das heißt, wir alle, die wir Verantwortung tragen, müssen ein
Umdenken befördern und immer wieder darauf hinweisen, dass unsere berufliche Ausbildung wirklich exzellent ist.
Es gibt ja auch Artikel und Studien dazu, dass die Einkommenschancen hinterher zum Teil höher sind als im akademischen Bereich. Aber es geht ja um den
Stellenwert in unserer Gesellschaft. Deswegen wollen wir mit der Exzellenzinitiative Berufliche Bildung, die ein Teil der Fachkräftestrategie sein wird, diesen
Stellenwert auch noch mal herausheben und unseren Respekt vor den Menschen zeigen, die dafür sorgen, dass wir in Häusern wohnen können und dass unsere Autos
noch fahren.
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Bei der Exzellenzinitiative geht es also darum, einzelne Talente zu fördern, gleichzeitig aber auch Ausbildungsstätten und Mobilität. Und wir müssen
in den Schulen dafür werben. Ich habe schon gesagt: Berufsorientierung ist dafür essenziell. – Jetzt muss ich leider aufhören; es gäbe noch viel mehr.
Sie haben eine Nachfrage, nehme ich an.
Genau, eine Nachfrage. – 2021 wurde im Handel und in der Industrie nur jeder dritte Ausbildungsvertrag von Frauen geschlossen. Im Handwerk sah es
noch schlechter aus, da war es nur jeder fünfte Ausbildungsvertrag. Was tut die Bundesregierung dafür, die Frauenausbildungsquote in diesen Bereichen und auch
die Frauenerwerbsquote zu erhöhen?
Ich durfte neulich bei einer Meisterfeier dabei sein. Es wurden 155 Meisterbriefe an junge Meister und Meisterinnen überreicht. Es waren tolle
Menschen, aber leider viel zu wenig Frauen dabei. Deswegen müssen wir früh anfangen. Wir tun das, indem wir die MINT-Bildung stärken, weil natürlich viele
Ausbildungsberufe etwas mit Mathematik, aber auch mit technischen Dingen oder Physik zu tun haben. Insofern müssen wir die MINT-Bildung stärken, in der
frühkindlichen Bildung – das tun wir zum Beispiel mit der Stiftung „Haus der kleinen Forscher“ –, in den Schulen, aber auch an außerschulischen Lernorten, sowie
die Schulen für die Gesellschaft und das Gewerbe um sie herum öffnen und die Berufsorientierung fördern.
Man sieht in Studien – die Männer mögen es mir jetzt verzeihen; aber das sagen die Studien –, dass Frauen den Willen haben, etwas zu verbessern.
Deswegen muss man ihnen immer wieder zeigen: Mit dem, was ihr in diesen tollen Berufen macht, helft ihr wirklich ein Stück weit, die Probleme zu lösen. Also:
Man muss den Stellenwert und die tollen Möglichkeiten dieser Berufe darstellen.
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Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Staffler.
Vielen Dank. – Sie haben gerade noch mal darauf hingewiesen, wie wichtig Ihnen die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung ist.
Das ist ein Thema, das uns immer schon ein ganz großes Anliegen war. Deswegen an der Stelle die Nachfrage: Sie planen gerade, einen 200-Euro-Zuschuss für
Studenten und Fachschüler auszubezahlen. Nicht aber davon profitieren sollen, wie wir hören, Vollzeitschüler auf Meisterschulen. Wo ist hier die
Gleichwertigkeit?
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Sehr geehrte Frau Staffler, zur Frage der Einmalzahlung an Studierende und Fachschülerinnen und Fachschüler: Dass Fachschülerinnen und Fachschüler
in einem Vollzeitschulgang überhaupt berücksichtigt sind, ist etwas, das es bisher noch nicht gab. Wir haben uns gesagt, dass wir das in der ganzen Breite
ermöglichen möchten. Es ist ja so, dass es nicht das einzige Entlastungsinstrument ist, das wir haben – es gibt natürlich noch das BAföG; aber das haben Sie
nicht angesprochen –; es gibt auch die Einmalzahlungen für diejenigen, die einen Arbeitsvertrag oder einen Minijob haben. Insofern ist das eine ganze Bandbreite
an Fördermaßnahmen jenseits dessen, dass jetzt natürlich auch die Gaspreisbremse und andere Entlastungspakete auf den Weg gebracht werden.
Sie haben das Wort zur Nachfrage.
Sie sagen, es gebe die Möglichkeit, auf anderem Wege zusätzliche Entlastungsinstrumente zu nutzen. Das gilt aber auch für Studenten. Auch Studenten
können, wenn sie einen Nebenjob haben, von den 300 Euro Entlastung profitieren und nicht nur von dem 200-Euro-Zuschuss. Das heißt, es gibt hier, wenn ich Sie
richtig verstehe – das wäre meine Nachfrage –, de facto keine Gleichwertigkeit zwischen Studierenden und denjenigen, die auf den Meisterschulen sind.
Sehr geehrte Frau Staffler, ich möchte diese Interpretation korrigieren. Zum einen ist es so, dass Studierende über einen längeren Zeitraum entweder
von ihren Eltern unterstützt werden, kein eigenes Einkommen haben oder aber im BAföG-Bezug sind; und das ist keine sehr auskömmliche Situation. Insofern ist
auch die Frage, welche Programme man mit Blick auf Pragmatismus und Umsetzbarkeit wie strickt. Übrigens ist es so, dass jemand, der einen Meisterlehrgang macht,
auch vom Aufstiegs-BAföG profitieren kann. Insofern ist es so, dass wir durchaus Gleichwertigkeit sehen. Also, das BAföG an sich ist ja nicht nur auf
Studierende beschränkt.
Damit kommen wir zur nächsten Frage. Herr Gehring hat das Wort.
Vielen Dank. – Ich würde von der Bildungsinnenpolitik noch ein bisschen den Blick auf die Bildungs- und Forschungsaußenpolitik weiten. Die
Internationalisierung und die Kooperation bei Bildung, Wissenschaft und Forschung ist eine ganz wichtige Aufgabe unserer Bundesregierung. Ich würde Sie als
Ministerin gerne zur Internationalisierungsstrategie befragen. Wir haben es jetzt im parlamentarischen Verfahren geschafft, dass die Mittlerorganisationen der
auswärtigen Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik finanziell erheblich gestärkt worden sind. Das ist eine sehr gute Grundlage, um jetzt auch die
Internationalisierungsstrategie in der Vorhabenplanung für das nächste Jahr neu aufzulegen.
Die erste Frage dazu wäre, wie Sie eigentlich mit dazu beitragen wollen, dass unserem zentralen Wert der Wissenschaftsfreiheit international mehr
Geltung verschafft wird, und wie wir es hinbekommen, bei Bildung und Forschung mehr mit Wertepartnerschaften zu kooperieren.
Herr Kollege Gehring, das ist eine ganz wichtige Frage. Ich möchte aber vorwegschicken, dass die wissenschaftlichen Einrichtungen in ihrer ganzen
Breite gerade in dieser Krisensituation, im Ukrainekrieg, gezeigt haben, wie Wissenschaft Hand in Hand arbeitet, und den Kolleginnen und Kollegen, die fliehen
mussten, auch den Studierenden, die hierherkommen mussten, pragmatisch Hilfe angeboten haben. Wir haben alle zusammen daran gearbeitet, dass Stipendien möglich
sind, dass auch der BAföG-Zugang möglich ist. Das ist immens wichtig und das zeigt, dass Wissenschaft Brücken bauen kann.
Aber Sie haben ein anderes wichtiges Thema angesprochen, nämlich die Wissenschaftsfreiheit. Das ist ein hohes Gut; wir brauchen sie. Das zeigt sich
übrigens auch daran, dass die besten Innovationen wie ein toller Impfstoff in Ländern, in der die Wissenschaft frei ist, entwickelt wurden. Deswegen ist ganz
klar, dass wir mit Blick auf Länder, die diese Werte nicht teilen, auch die richtigen Maßnahmen ergreifen müssen. Zum Beispiel haben wir die
Forschungskooperationen mit Russland eingefroren bzw. gestoppt. Mit Blick auf China ist es so, dass wir in ganz begrenzten Räumen das Wissen über China
verbessern müssen, damit eine Einflussnahme auf unsere Wissenschaft von Ländern, die autoritär sind, nicht möglich ist.
Sie haben das Wort zur Nachfrage.
Vielen Dank. – Sie haben jetzt China schon angesprochen. Für uns ist natürlich spannend, wie die China-Strategie in der Federführung des Auswärtigen
Amtes mit der Internationalisierungsstrategie bei Bildung, Wissenschaft und Forschung in der Federführung des Bildungs- und Forschungsministeriums verzahnt sein
wird.
Und wenn Sie vielleicht noch den einen oder anderen Hinweis geben können, wie Sie bei der Internationalisierungsstrategie die Stakeholder-Beteiligung
organisieren wollen; denn es wollen ja viele – vom DAAD bis zum Goethe-Institut – daran mitwirken.
Wieder lässt eine Minute nicht zu, alles darzustellen, was passiert. – Es ist absolut richtig: Die Internationalisierungsstrategie zielt zum einen
darauf ab, dass wir den europäischen Forschungsraum, die europäische Zusammenarbeit stärken, indem wir das, was wir an Räumen der Zusammenarbeit haben, schon
einmal nutzen und weiterentwickeln. Das Zweite ist, dass wir auch bilateral Partnerschaften mit anderen Ländern schließen. Wir haben ja auch immer
Kooperationsvereinbarungen. Deswegen reisen wir insbesondere in die Länder, die Wertepartner für uns sind und wo wir viele Kooperationsmöglichkeiten im Bereich
Forschung sehen.
Uns ist es ganz wichtig, die Einrichtungen, die Sie angesprochen haben, in diesen Prozess einzubinden, so wie wir das in allen Prozessen machen. Dazu
gehören auch zum Beispiel die Alexander-von-Humboldt-Stiftung, die eine Brücke baut, und der DAAD, der immens wichtige Arbeit leistet.
Frau Ministerin, ich bitte Sie wirklich, auf die Zeit zu achten.
Das heißt, der Stakeholder-Prozess wird auch hier greifen, und sie werden in die Entwicklung der Strategie entsprechend eingebunden.
({0})
Wir kommen in ein relativ großes Zeitproblem. Ich bitte wirklich, daran zu denken: Für die erste Frage und Antwort gibt es jeweils eine Minute. Für
die nächste Frage und Antwort sind es jeweils 30 Sekunden, die man auch selbstständig feststellen kann, solange wir das hier nicht optisch anzeigen können.
Eine Nachfrage stellt die Kollegin Dr. Gräßle.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, Sie haben heute zum ersten Mal das Forschungsrahmenprogramm erwähnt, das größte Rahmenprogramm
weltweit für Forschung. Was tun Sie denn, um unseren Forschungseinrichtungen in diesem Programm zu ermöglichen, die Energiekostensteigerung rechtssicher
abzurechnen? Da ist bis jetzt nichts passiert. – Danke für eine Antwort.
Sehr geehrte Kollegin Gräßle, Sie können mir, ehrlich gesagt, gerne noch eine Nachfrage stellen. Aber wir haben natürlich mit der Gaspreisbremse und
der Strompreisbremse und der Soforthilfe für die deutschen Hochschulen Rahmen gesetzt und Verlässlichkeit geschaffen – das ist jetzt im
Gesetzgebungsverfahren –, damit eben die Entlastung stattfindet. Das kann gerne von den Ländern flankiert werden; ich sehe auch, dass das in einigen Ländern
schon passiert. Insofern gibt es dort Sicherheit.
Wir stehen auch im Austausch mit der Bundesnetzagentur und haben uns auch mit der Allianz der Wissenschaftsorganisationen zusammengesetzt und haben
geklärt, dass Hochschulen geschützte Einrichtungen sind und dass gerade auch die Infrastrukturen, entweder Labore, wo Gefahr im Verzug ist, oder Orte, wo
wichtige Sammlungen aufbewahrt werden, geschützt sind. Insofern haben wir hier die Sicherheit geschaffen, dass die Hochschulen eben nicht von den hohen
Energiekosten in dem Maße getroffen werden, wie es ursprünglich aussah.
({0})
30 Sekunden zur Nachfrage.
Sie haben die Frage jetzt wirklich nicht beantwortet: Was tun Sie, damit die Forschungseinrichtungen im EU-Forschungsrahmenprogramm die
Energiekostensteigerungen in Brüssel abrechnen können? – Danke.
Ich habe jetzt verstanden: Sie wollen, dass wir auf europäischer Ebene auch noch ein Programm schaffen, das die Energiekosten trägt? Habe ich das
richtig verstanden?
Das Programm gibt es.
Das weiß ich, dass es das Programm gibt.
So, wir sind jetzt nicht im Zwiegespräch. Ich bitte um Frage und Antwort.
Es ist ja so, dass die Verantwortung für die Hochschulen erst mal bei den Ländern liegt. Aber natürlich sind im Rahmen der Programme auch immer
Overhead-Kosten möglich. Die Frage ist, ob diese angepasst werden müssen. Das ist ein Verhandlungsprozess auf europäischer Ebene.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, ich will noch mal auf die berufliche Bildung zu sprechen kommen. Sie kennen die Zahlen selbst:
2,3 Millionen junge Menschen unter 35 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung, 200 000 Menschen, die in einem intransparenten Übergangssystem festhängen.
Und auf der anderen Seite gibt es dann zwei Millionen nicht besetzte Arbeitsstellen, 69 000 nicht besetzte Ausbildungsplätze.
Ich denke, wir müssen uns schon ernsthaft Sorgen darum machen, dass man die Ausbildungsplatzverluste wie damals bei der Finanzkrise 2008 vielleicht
schon nicht mehr ausgleichen kann. Es braucht wirkungsvollere Instrumente als bisher. Der DGB hat gerade noch mal bekräftigt, dass es höchste Zeit sei für eine
umlagefinanzierte Ausbildungsgarantie und ohne diese tatsächlich ein Substanzverlust drohe. Mein Eindruck ist – den könnten Sie jetzt natürlich gerne
ausräumen –, dass Sie sich bisher wirklich sehr gegen eine Umlagefinanzierung sträuben. Ich frage Sie ganz persönlich, warum Sie nicht die Auffassung teilen,
dass man die Kosten der Ausbildung gerecht zwischen Branchen und auch zwischen großen und kleinen Betrieben verteilt.
Sehr geehrte Frau Abgeordnete Gohlke, wir haben derzeit die Situation, dass es zu viele offene Ausbildungsstellen gibt. Das heißt, es gibt
eigentlich mehr Stellen, als es Nachfrage nach den Stellen gibt. Das hängt zum Teil auch von regionalen Strukturen ab. Aber im Augenblick ist das Problem, dass
wir nicht genug junge Menschen haben, die in Ausbildung gehen.
Konkret zur Ausbildungsumlage. Wir haben in unserem Land eine Sozialpartnerschaft. Es ist auch sehr richtig, dass das zwischen den Sozialpartnern
ausgehandelt wird. Es gibt auch Modelle für bestimmte Zeiträume, die in dieser Partnerschaft entwickelt werden. Das ist gut, und deswegen ist das auch der Weg,
der weiter beschritten werden soll.
Sie haben die Chance zu 30 Sekunden Nachfrage.
Ein Problem ist natürlich auch die schlechte Ausbildungsqualität in einigen Branchen. Da ist es manchmal nicht verwunderlich, dass dort niemand
hingehen will. Ich frage Sie: Ziehen Sie eine Novellierung des Berufsbildungsgesetzes in Betracht? Was tun Sie ganz konkret, um die Ausbildungsqualität zu
verbessern, aber eben auch, um die Mitbestimmungs- und Schutzrechte der Auszubildenden zu stärken? Was sind da Ihre Maßnahmen?
Sehr geehrte Frau Abgeordnete Gohlke, erst mal möchte ich diesem Eindruck widersprechen, dass die Ausbildungsqualität in unserem Land nicht gut ist.
Das ist nicht die Realität. Sie ist exzellent.
({0})
Die Entwicklung von Berufsbildern und die Festlegung von Standards und Kompetenzen für moderne Berufsbilder macht natürlich auch das BIBB. Es
erarbeitet zusammen mit den Sozialpartnern entsprechende Berufsbilder und setzt auch die Standards. Richtig und gut ist es also, den Weg der fachlichen
Orientierung zu beschreiten. In der Allianz für Aus- und Weiterbildung, die es auch auf Bundesebene gibt – mit allen Sozialpartnern –, werden diese Themen
natürlich auch adressiert, weil im Augenblick wirklich die Notwendigkeit besteht, Möglichkeiten anzubieten, um junge Menschen in Arbeit zu bringen. Da verfolgen
wir alle die gleichen Ziele.
Vielen Dank. Ich beende die Befragung.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieses Jahr scheint das Jahr der leeren weißen Blätter zu werden. Damit demonstrierten in Russland
Menschen gegen Putins Angriffskrieg, und jetzt sind sie das Symbol jener mutigen Chinesinnen und Chinesen, die sich nicht weiter mit der repressiven
Covid-Politik von Xi abfinden wollen. Ich finde, dieser Mut, dieses Selbstbewusstsein verdienen unsere Unterstützung, unseren Respekt.
({0})
Kurz nach dem pompösen 20. Parteitag steht die KP Chinas offensichtlich vor einem riesigen Legitimationsproblem; denn es gab Vorboten für diese
Demonstrationen. Da gab es jene Schanghaier Nachbarn, die losgezogen sind, nachdem sie monatelang ohne Essen eingesperrt waren, um ihre benachbarte KP-Zelle zu
verprügeln. Da gab es jene Arbeiterinnen und Arbeiter, die, nachdem sie wochenlang bei Foxconn, dem Apple-Fertiger, in der Fabrik gefangen waren und produzieren
mussten, in den Streik getreten sind und dafür von Sicherheitskräften angegriffen wurden.
Ja, die KP hat vor Kurzem mit leichten Lockerungen darauf geantwortet, aber dies beseitigt nicht die Ursache der Unzufriedenheit; denn die liegt viel
tiefer. Wir müssen heute feststellen: Chinas Zero-Covid-Politik ist gescheitert. Es sind zu wenige Menschen geimpft,
({1})
und gegen Omikron hilft es eben nicht, wegzusperren und Lockdowns zu verhängen.
({2})
Die Coronakrise ist nicht das einzige Problem. In China ist eine riesige Immobilienblase geplatzt. Das heißt, Millionen Menschen drohen um ihr
Erspartes gebracht zu werden, weil die Wohnungen, für die sie bezahlt haben, nicht gebaut werden. Inzwischen sind einige dazu übergegangen, ihre eigenen
Wohnungen zu besetzen, die nicht fertig gebaut sind. Die Folgen für China sind: Millionen Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter sind arbeitslos geworden und
zurück in ihre Dörfer vertrieben worden. Ein Fünftel der Jugendlichen – sie sind oft hochqualifiziert und haben im Ausland studiert – ist arbeitslos. Die
Lieferketten sind und bleiben gestört. China hat das geringste Wachstum in Asien und ist Schlusslicht geworden, mit verheerenden Folgen auch für unsere
Wirtschaft; denn die Lieferketten bleiben gestört.
In dieser Sackgasse beschließt die chinesische Führung, nicht zu ändern, sondern Vollgas zu geben. Dagegen wird zu Recht aufbegehrt, und dagegen
brauchen wir eine neue China-Politik. Selbstverständlich: Wir in Europa können nicht ohne China. Aber wir sollten gerade vor dem Hintergrund dieser Vorgänge
auch ganz ruhig feststellen: China kann auch nicht ohne Europa.
Ja, es stimmt, das alte Dogma – ob man das nun Schröder oder Merkel zuschreibt – „Wandel durch Handel“ ist gescheitert.
({3})
Wir müssen uns klarmachen, und zwar nicht nur der Staat, auch die Wirtschaft, dass Chinas Markt auf Dauer eben kein verlässlicher Markt mehr ist. Das
müssen wir in unserer Strategie berücksichtigen.
({4})
Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass wir souveräner, dass wir resilienter werden. Deshalb ist es klug, wenn viele Unternehmen sagen: Wir wollen
diversifizieren, wir wollen auch Produktionen zurückverlagern. Wir werden dafür auch selber Geld in die Hand nehmen müssen, weil wir in Europa die
Chip-Produktion brauchen, weil wir die Pharmaindustrie und die Photovoltaikindustrie, die mal eine schwarz-gelbe Regierung nach China vertrieben hat,
({5})
rückverlagern müssen.
Es ist aber eben auch unklug, wie es vier große Unternehmen gemacht haben, die dafür alleine verantwortlich sind, die eigene Abhängigkeit von China
durch steigende deutsche Direktinvestitionen in China mitten in der Coronakrise zu erhöhen. Es ist nicht klug, auch wenn man Schwierigkeiten hat, zu
diversifizieren, die eigene Abhängigkeit noch weiter zu vergrößern. Das ist der Grund, warum diese Regierung gesagt hat: Ihr tut das künftig auf eigene
Rechnung. Diese Investitionen garantieren wir euch nicht mehr, wenn ihr sie beispielsweise in Xinjiang tätigt. Das tut ihr auf eigene Rechnung. – Ich finde, so
geht eine menschenrechtsbasierte Außenwirtschaftspolitik.
({6})
Und schließlich: Wir brauchen ein Lieferkettengesetz. Wir brauchen ein gesetzliches Verbot des Imports von Produkten aus Zwangsarbeit. Das muss unsere
Antwort auf Xi Jinpings angedrohte Repressionswelle sein.
Ich will dazu noch eine Bemerkung machen: Wer unbedingt unter dem Weihnachtsbaum ein neues iPhone aus der Fabrik von Foxconn haben möchte, dem sage
ich auch: Apple ist der Konzern, der dieser Tage seine AirDrop-Funktion für China eingeschränkt hat. Mit dieser AirDrop-Funktion konnten Menschen Inhalte –
beispielsweise Videos von Demonstrationen – in öffentlichen Verkehrsmitteln an andere weitergeben. Diese Einschränkung gibt es nur in China.
Kollege.
Ich sage Ihnen allen: Wer über den chinesischen Polizeistaat schimpft, der darf über Apple in diesem Zusammenhang nicht schweigen.
({0})
Das Wort hat Dr. Johann Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Vielen Dank – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir erneut miteinander über die Lage in China diskutieren. Ich weiß
jetzt nicht ganz, ob ein Bewusstseinswandel bei der Ampelkoalition der Grund dafür ist oder ob Hintergrund eher die taktische Überlegung ist, dass man die
Aktuelle Stunde zu Ihrer Einbürgerungspolitik, die wir beantragt haben, auf den morgigen Tag vertagen wollte.
({0})
Wie dem auch sei: Wir nehmen das Angebot wahr und diskutieren, Herr Kollege Trittin, mit Ihnen gerne wieder über die China-Politik, natürlich auch vor
dem Hintergrund dieser bemerkenswerten Proteste, die Sie eingehend beschrieben haben und die ja in einem wirklich frappierenden Gegensatz zu den Entscheidungen
der KP Chinas stehen, die gerade einige Tage zuvor für einen Machtzuwachs in der Person von Präsident Xi gesorgt haben, wie wir ihn seit Mao Tse-tung in diesem
Land nicht gesehen haben.
Dass dieses Regime dennoch auf tönernen Füßen steht, haben die Proteste gezeigt, und Sie, Herr Kollege Trittin – da will ich Ihnen auch gar nicht
widersprechen –, haben das gerade eben noch einmal nachgezeichnet. Das zeigt, dieses Regime ist vulnerabel, zumindest für einen Moment, und das bedeutet, dass
wir uns positionieren können und müssen und dass wir hier auch eine Möglichkeit zum Einwirken haben.
Voraussetzung dafür ist nur, dass wir – und das ist auch der Titel Ihrer Aktuellen Stunde – eine kohärente China-Politik der Bundesregierung haben,
und die sehen wir nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen; denn die Rede, Herr Kollege Trittin, die Sie hier gehalten haben, würde der Bundeskanzler hier nie so
halten. Der steht offensichtlich für eine ganz andere China-Politik; das hat seine Reise noch mal sehr eindrücklich gezeigt: eine Reise der verpassten Chancen,
eine Reise des Weiter-so, eine Reise des Business as usual.
Und das muss ich in dieser Situation schon sagen: Wer in der jetzigen Situation verkennt, dass China sich massiv verändert, dass China sich immer mehr
von einem autoritären zu einem diktatorischen System wandelt, das internationale Regeln nicht achtet, sondern eine sinozentrische Weltordnung errichten will,
und dass sich Deutschland gemeinsam mit europäischen Partnern dazu positionieren muss, der erkennt die Zeichen der Zeit nicht, und das gilt für den
Bundeskanzler.
({1})
Insofern war die Kritik der Bundesaußenministerin bemerkenswert, die gesagt hat: Der Bundeskanzler hat den Zeitpunkt der Reise entschieden. Jetzt sind
die Botschaften entscheidend, die wir gemeinsam im Koalitionsvertrag festgelegt haben, die Botschaften, die auch ich hier mit nach Zentralasien gebracht habe,
um die auch in China deutlich zu machen. – So Annalena Baerbock! Davon, von all den Botschaften, hat der Bundeskanzler überhaupt nichts gesagt.
Das merkt man dann auch sehr konkret in der Politik, die diese Bundesregierung macht. Herr Kollege Trittin, das, was Sie gerade eben angemahnt haben,
geschieht eben alles nicht: das Zurückverlagern, was Sie gefordert haben, das Unabhängigmachen. Nein, man geht tiefer in eine Abhängigkeit von China rein, und
das hat keine Entscheidung so deutlich gemacht wie die Entscheidung, dass man eine Beteiligung von COSCO, wenn auch eine Minderheitsbeteiligung, an kritischer
Infrastruktur im Hamburger Hafen zugelassen hat.
({2})
Frau Stark-Watzinger, die Bundesforschungsministerin, hat das kritisiert und hat gesagt: Das darf man nicht machen. Omid Nouripour von den Grünen hat
gesagt: Das darf man nicht machen.
({3})
Und dennoch hat der Bundeskanzler das gemacht. Das zeigt: Am Ende – das ist genauso wie bei den Panzerlieferungen in die Ukraine, die nicht
stattfinden – spielen Grüne und FDP in der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland keine Rolle. Der Bundeskanzler entscheidet das alleine, und er macht an
dieser Stelle eine verkehrte Außenpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Weil ich hier die geschätzte Kollegin Gyde Jensen sehe: Sie haben gemeinsam mit der FDP-Fraktion – Herr Graf Lambsdorff wird sich auch entsinnen – in
der letzten Legislaturperiode Wert darauf gelegt, dass wir gegenüber China eine klarere Politik machen,
({5})
und sogar gefordert, dass der EU-China-Gipfel abgesagt wird. So sind Sie aufgetreten und auch Ihr Parteivorsitzender Christian Lindner.
({6})
Nun haben Sie mit einem Kabinettsposten in der Bundesregierung jeden Anspruch aufgegeben, eine solche internationale Politik zu machen. Das sieht man
jetzt auch ganz praktisch: Von Ihrem Anspruch, eine deutsche China-Politik zu machen, die diese Kritik deutlich rüberbringt, ist nichts übrig geblieben.
Deswegen gibt es jeden Anlass, eine kohärente deutsche China-Politik zu formulieren, die deutlich macht: China ist ein systemischer Rivale, dem wir uns
gemeinsam mit unseren europäischen Partnern entgegenstellen.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Dagmar Schmidt für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünschte, es gäbe heute einen schöneren Grund, um
über China zu reden. Aber es ist gut, dass wir das tun, um unsere Solidarität mit den Protestierenden und unser Mitgefühl mit den vielen Menschen, die unter den
radikalen Maßnahmen leiden, zum Ausdruck zu bringen.
Am vergangenen Wochenende haben so viele Menschen in China protestiert wie seit 1989 nicht mehr. Sie protestieren gegen eine Coronapolitik, die keine
Exit-Strategie hat, die die Menschen einsperrt, überwacht, drangsaliert und immer öfter zu Elend und Tod führt, weil die Grundversorgung mit Nahrung, weil
medizinische Hilfe und persönlicher Kontakt fehlen, weil Arbeit und Einkommen nicht mehr gesichert sind, weil Menschen in ihren Fabriken, Wohnungen oder
Universitäten festsitzen, weil Schulen geschlossen, Kinder von ihren Eltern getrennt werden und weil der versperrte Weg zum Krankenhaus oder die versperrte
Zufahrt für die Feuerwehr wie in Ürümqi Leben kostet. Wir fühlen mit ihnen und stehen an ihrer Seite.
({0})
Schon früh zu Beginn der Coronapandemie wurde die Systemfrage gestellt und diskutiert: Kann eine Demokratie oder kann eine Autokratie besser mit einer
solchen Pandemie umgehen? In China wurden, nachdem das Virus nicht mehr zu leugnen war, rigorose Maßnahmen ergriffen. Selbst die WHO attestierte seinerzeit,
dass diese Eindämmungsmaßnahmen in China effektiv seien. Im Land erzählte man, wie erfolgreich die eigene Strategie im Vergleich zu denen im Westen sei, wo man
im Chaos versinke. Gleichzeitig verschärfte die Regierung Kontrollen und Überwachung.
An der Überlegenheitserzählung der Null-Covid-Strategie wurde auch noch festgehalten, als man feststellen musste, dass das Virus mutiert und die
ansteckendere Omikron-Variante neue Herausforderungen mit sich bringt, als man feststellen musste, dass die eigenen Impfstoffe schlechter als die
mRNA-Impfstoffe vor schweren Krankheitsverläufen schützen
({1})
und dass die Priorisierung der Impfkampagne, die Junge statt Ältere adressierte, falsch war und die Impflücke zu groß ist, um das Gesundheitssystem
vor Überlastung zu schützen. Man hat den Ausstieg aus der Null-Covid-Strategie verpasst, weil sie eben längst keine Strategie mehr war, sondern ein Dogma.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland hat eines der besten Gesundheitssysteme der Welt;
({2})
dennoch haben auch wir erlebt, wie schwierig die pandemische Situation zu beherrschen ist, dass auch wir nicht immer wissen konnten, was genau
geschehen wird und was der beste Umgang mit der Pandemie ist. Aber wir haben das Privileg, in einer Demokratie zu leben. Alle können offen ihre Meinung sagen,
gegen das Impfen protestieren und auf die Straße gehen. All das hält eine funktionierende Demokratie aus.
({3})
Gleichzeitig diskutieren wir Probleme wissensorientiert und lösen sie. Wir diskutieren, wägen ab, korrigieren Fehler und passen unsere Politik an,
wenn es neue Erkenntnisse oder sich verändernde Lagen gibt, seien es Mutationen, Fortschritte beim Impfen oder neue Medikamente.
Wir waren und sind weiß Gott nicht immer einer Meinung; aber Wissenschaft und Politik haben argumentiert, diskutiert, Studien gewälzt, gute
Kompromisse gefunden und damit offen und nachvollziehbar gehandelt. Wir haben zusammengehalten. Darauf können wir stolz sein.
({4})
Noch ist die Pandemie nicht vorbei. Alle Regierungen der Welt stehen nach wie vor vor schwierigen Entscheidungen. Aber während wir uns hierzulande auf
den Weg in die Normalität machen, steht China noch vor grundsätzlichen Entscheidungen. China steckt in einem Dilemma. Drei Jahre Null-Covid-Strategie haben eine
relativ geringe Zahl von Todesfällen und Infektionen gebracht, aber das zu hohen Kosten. Ein Weg hin zur Normalität ist noch nicht in Sicht.
China selbst hat einen 20-Punkte-Plan vorgestellt, mit dem die Coronapolitik angepasst werden soll. Vieles darin, wie die neue Impfstrategie, ist
richtig. Es ist aber im Kern eine Abkehr von der Null-Covid-Strategie und die Umsetzung daher noch offen und fragwürdig.
Viele in China hatten aber gehofft, dass sich nach dem Parteitag etwas ändert. Weiterhin verfolgen die Behörden jedoch ihre rigorosen Maßnahmen; ein
Ende ist immer noch nicht in Sicht. Das führt bei einem ohnehin pandemiemüden Volk zu zusätzlicher Verunsicherung und Wut. Die Überlegenheitserzählung der
chinesischen Null-Covid-Strategie funktioniert nicht mehr.
Wir können ermessen, wie unerträglich die Situation für viele Menschen in China sein muss – so unerträglich, dass sie trotz der Gefahren protestieren
und damit ihre Freiheit, ihre Gesundheit und ihr Leben riskieren. Diese Ereignisse in China dürfen uns nicht unberührt lassen. Wir hoffen auf kluge
Entscheidungen, auf einen friedlichen Umgang mit dem friedlichen Protest und einen Weg zu mehr Freiheit für die Menschen in China.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Jürgen Braun für die AfD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Völlig gesunde Bürger werden unter Androhung drakonischer Strafmaßnahmen
eingeschüchtert. Unter dem Beifall der Staatsmedien werden Wasserwerfer gegen friedliche Demonstranten eingesetzt. Bei Demonstrationsteilnehmern werden
Hausdurchsuchungen vorgenommen, Handys beschlagnahmt. Im Internet gibt es Zensur und Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Die Menschenrechtslage ist so
verheerend, dass sich die UNO einschaltet. – Das ist nicht nur die gegenwärtige Lage in der Volksrepublik China; das war bis letztes Jahr auch Teil der Lage in
Deutschland.
({0})
Die Bundesregierungen haben sich selbst so verhalten, wie es die Kommunistische Partei Chinas nach wie vor tut.
({1})
Auch hier bei uns galt: Besuch von Verwandten in einem anderen Bundesland: Verboten! Allein auf einer Parkbank ein Buch lesen: Verboten! Schlitten
fahren mit der Familie an der frischen Luft: Verboten! Denunzianten: Gefördert!
({2})
Sie beklagen sich jetzt zu Recht über Zensur in China. Aber was haben Sie selbst bis vor Kurzem gefördert? Im Staatsfernsehen tagtäglich Beschallung
mit irrelevanten Zahlen, die nur ein Ziel hatten: Die Verbreitung von Angst – wie beim Televisor aus Orwells „1984“.
({3})
Zeitgleich wurden Kritiker dieser Zustände diffamiert und bekämpft,
({4})
freiheitsliebende Spaziergänger als „Aluhüte“ und „Rechtsextremisten“ beschimpft und aus Restaurants, Schwimmbädern und Fitnessstudios verbannt –
unter Androhung von Beugehaft und Rentenkürzungen.
Ein SPD-Oberbürgermeister bei Stuttgart erlaubte gar, Schusswaffen gegen Spaziergänger einzusetzen. Polizeigewalt in Deutschland: so massiv wie seit
über 30 Jahren, seit dem Ende des SED-Regimes, nicht mehr, so massiv, dass sich der UNO-Sonderberichterstatter für Folter einschaltete; Polizeigewalt, wie wir
sie zu Recht in China beklagen, auch hier bei uns.
({5})
Und nahezu alle von Ihnen haben mitgemacht. Herr Trittin, Sie haben die Impfpflicht für alle gefordert. Jetzt können Sie viel über Freiheit in China
reden; Herr Lauterbauch ist ja passenderweise gar nicht da.
({6})
Wogegen sich jetzt mutige Chinesen wenden, wurde hier jahrelang praktiziert.
({7})
Die totalitäre Zero-Covid-Petition wurde von den führenden Figuren des Mainstreams unterzeichnet – Zero-Covid –:
({8})
Klimahüpferin Luisa Neubauer, der staatsfinanzierte Georg Restle; sogar der vom Stasimann zum Berliner Staatssekretär aufgestiegene Andrej Holm war
mit von der Partie.
({9})
– Hören Sie zu, Herr Lambsdorff!
({10})
Die Wahrheit wollen Sie nicht hören; das weiß ich. Ist mir klar.
({11})
Auch Christian Drosten hat in der Fachzeitschrift „The Lancet“ zum bedingungslosen Einsperren der Bürger aufgerufen.
Herr Abgeordneter Braun, ich bitte, zum Thema der Aktuellen Stunde zu sprechen.
({0})
Und der Gesundheitsminister Lauterbach erst!
({0})
Das ist chinesische Null-Covid-Ideologie in Reinform.
Jetzt will der politisch-mediale Komplex all das plötzlich vergessen machen. Angesichts der brutal unterdrückten Proteste in China an diesem
Wochenende lügen sich deutsche Staatsmedien mal wieder um Kopf und Kragen. In der „Tagesschau“ heißt es – ich zitiere –:
Große Impfkampagnen gibt es in dem Land mit 1,4 Milliarden Einwohnern nicht. Stattdessen leben die Menschen in China seit knapp drei Jahren mit immer
wiederkehrenden Lockdowns, Massentests, Ausgangs- und Reisebeschränkungen.
Dabei hat die Volksrepublik China eine Impfquote von 89 Prozent, eine der höchsten der Welt.
Aber keine noch so hohe Impfquote hat zum Einknicken der deutschen Regierung in Sachen Null-Covid geführt. Nein, es waren hartnäckige Bürgerproteste
allein, denen wir das zu verdanken haben.
({1})
Die chinesische Strategie der Einschüchterung und Einsperrung, die hier und heute zu Recht einhellig verurteilt wird, war deutsche Staatsräson, und
sie wäre Staatsräson geblieben, wenn nicht die wahre Zivilgesellschaft aufgestanden wäre: über ganz Deutschland verteilt friedliche Spaziergänge, um dieser
skandalösen Politik endlich Einhalt zu gebieten.
({2})
Zur Verteidigung der jetzigen Regierung ist zu sagen, dass sie nur weitergeführt hat, was schon unter der Merkel-Regierung begonnen hatte. In den
Expertenrat des Innenministeriums berief sie einen Mann, der nicht nur erklärter Fan von Mao Tse-tung ist, sondern auch Geld von der Kommunistischen Partei
Chinas bekam: Der Linguist Otto Kölbl war der Verfasser des propagandistischen Angstpapiers mit dem verräterischen Titel „Von Wuhan lernen“ – ausgerechnet
Wuhan, wo das neue Coronavirus entstanden ist. Ich sage Ihnen, was man von Wuhan lernen kann: wie man ein Virus gentechnisch so manipuliert, dass es
hochvirulent wird und man damit eine weltweite Massenpanik auslösen kann.
({3})
Sie wollten auch noch das chinesische Gesellschaftsmodell imitieren, aber der deutsche Sonderweg kam, Gott sei Dank, zu einem Ende. Wenn jetzt noch
die Maskenpflicht komplett fällt, dann haben wir endlich unsere Freiheit wieder. Und das wünsche ich auch den mutigen Menschen in China.
({4})
Das Wort in der Aktuellen Stunde zur Situation in China hat der Kollege Alexander Graf Lambsdorff aus der FDP-Fraktion.
({0})
Hier war so ein leichter Schwefelduft. Ich musste den vertreiben. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir alle sehen die Bilder aus China:
Demonstranten mit weißen Blättern. Wir sehen die Ausbrüche aus den abgeriegelten Wohnvierteln. Wir hören – das ist wirklich eine neue Qualität – auch die
politischen Forderungen der Demonstrantinnen und Demonstranten.
Nun war es so, dass in der „China Daily“, dem Blatt der Kommunistischen Partei, kürzlich zu lesen war – ich zitiere –: Die Unannehmlichkeiten der
Bevölkerung im Kampf gegen das Virus sollten im Kontext eines größeren Bildes betrachtet werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich kurz dieses „größere Bild“ skizzieren; lassen Sie uns gemeinsam betrachten, wovon „China Daily“ spricht: Nach
dem Schulterschluss mit Xi Jinping hat Wladimir Putin die Ukraine angegriffen. Chinas Drohgebärden gegenüber Taiwan waren nie so offensiv wie in diesem Jahr. Im
Iran warfen Tausende von Frauen den Hidschab ab; seitdem erschüttern Demonstrationen das gesamte Land.
Wo stehen wir also heute, im November 2022, im Kontext eines größeren Bildes? Putin sieht sich schweren innenpolitischen Verwerfungen, einer massiven
internationalen Isolation und einem militärisch-strategischen Fehlschlag gegenüber. Das Mullah-Regime im Iran bekämpft den Aufstand einer breiten iranischen
Öffentlichkeit, der sich an der Brutalität des Regimes entzündet hat. Und Xi Jinping erntet die Früchte seiner Coronapolitik. Das Volk hat nach Jahren einer
exzessiven, repressiven Zero-Covid-Strategie zurückgeschlagen und verbindet dies mit politischen Forderungen. Wer wollte ihm das verdenken?
({0})
Totale Lockdowns über mehr als zwei Monate, eingesperrte Menschen, ohne genug zu essen, kranke Kinder, die von ihren Eltern getrennt wurden, ganze
Wohnviertel, die abgesperrt wurden, staatliche Desinfektionskampagnen in Abertausenden von Privatwohnungen:
({1})
Zahl und Intensität der staatlichen Willküreingriffe in China sind genauso erschreckend wie die hartnäckige Weigerung der Machthaber in Peking,
endlich westliche Impfstoffe ins Land zu lassen. Diese aber braucht es, wenn das Land über die nächsten Monate zu einem Anschein von Normalität zurückkehren
will. Stattdessen beharrt die Führung der Kommunistischen Partei auf Sinovac, einem minderwertigen Impfstoff, für den die Impfquote vollkommen unerheblich
ist.
({2})
Meine Damen und Herren, noch einmal der Kontext eines größeren Bildes: Am Ende dieses Jahres zeigt sich überdeutlich, dass nationalistische,
islamistische und kommunistische Diktaturen scheitern. Sie scheitern an ihrem Anspruch, ihren Bürgerinnen und Bürgern ein besseres Leben in Freiheit, Wohlstand
und Würde zu garantieren als der von ihnen so oft geschmähte und angeblich verachtete Westen. Aber am Verhalten der Menschen in exakt diesen Ländern, in diesen
Diktaturen sieht man, wie verlogen die Politik der Machthaber in Wahrheit ist. Die Demonstranten wollen ihren Landsleuten nicht etwa eine westliche Lebensweise
aufzwingen; das hat mit West und Ost, Nord und Süd überhaupt nichts zu tun. Nein, was wir im Kontext eines größeren Bildes sehen, ist die ureigene Sehnsucht des
Menschen nach einem Leben in Freiheit und Würde, und das ist eine Sehnsucht, die auch die Menschen in China haben: frei reisen, frei glauben, frei lieben.
Paradoxerweise sind die universellen Menschenrechte ja gerade deswegen so erfolgreich, so wirkmächtig,
({3})
weil sie in höchstem Maße individuell sind. Dazu zählt auch: frei publizieren, frei demonstrieren und frei wählen. In der Geschichte der Menschheit
gibt es kein Gesellschaftsmodell, das die Unverletzbarkeit der menschlichen Würde in so hohem Maß gewährleistet wie die freiheitliche Demokratie.
Der vielleicht wichtigste Unterschied zwischen den liberalen und den illiberalen Gesellschaften besteht darin, dass erstere Kritik zulassen und
letztere sie mit allen Mitteln zu unterdrücken suchen. Das Jahr 2022 hat uns diesen Unterschied auf mannigfaltige Weise gezeigt – eben zuletzt in China. Viele,
die in Russland, im Iran oder auch in China auf Missstände hinweisen, riskieren damit lange Haftstrafen, Umerziehungslager oder unterschreiben sogar ihr
Todesurteil.
Ihr Mut, meine Damen und Herren, ist uns Beispiel. Wir verneigen uns vor ihnen. Wir verneigen uns vor den Menschen, die sich für Freiheit,
Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat im Iran, in Russland und jetzt auch im China von Xi Jinping einsetzen.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Sevim Dağdelen für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gegen repressive Covid-Maßnahmen zu demonstrieren, ist ein Menschenrecht, unabhängig davon, ob es in
China, Kanada, Deutschland oder anderswo in der Welt ausgeübt wird.
({0})
Wer aber die Universalität der Menschenrechte verteidigt, der darf nicht in unterschiedlichen Ländern völlig andere Maßstäbe gelten lassen. Für Ihr
Herangehen gilt in besonderem Maße der Satz aus der Bergpredigt – ich zitiere –:
Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?
– Matthäus, Kapitel 7, Vers 3.
({1})
Denn eines geht nicht, meine Damen und Herren: hier in Deutschland nach Lockdowns, Ausgangssperren, Schulschließung und Impfpflichten zu rufen und die
Proteste dagegen unisono als „rechts“ oder „Covidioten“ oder als „Schwurbler“ zu denunzieren und all diejenigen, die in China gegen die Maßnahmen der
Zero-Covid-Politik gerechtfertigterweise demonstrieren, zu Freiheitskämpfern zu erheben.
({2})
Ich hoffe, dass Ihnen das irgendwann auffallen wird; denn Sie haben bereits jetzt international mit Ihren doppelten Standards, was die Glaubwürdigkeit
der deutschen Politik insgesamt angeht, schweren Schaden angerichtet.
({3})
Vom wirtschaftlichen Abstieg begleitet, für den allein diese Bundesregierung die Verantwortung trägt, ist Deutschland dabei, in einem ganz anderen
Bereich eine Spitzenposition zu erobern: im Bereich der Moral oder, genauer gesagt, im Bereich der Doppelmoral.
({4})
Ich kann nur davor warnen, diese Doppelmoral auch in puncto China an den Tag zu legen.
Ich möchte Ihnen auch Beispiele Ihrer Doppelmoral hier geben: Heute Morgen haben wir die Bundesregierung im Auswärtigen Ausschuss gefragt, ob sie den
Angriff des NATO-Partners Türkei auf Syrien als Völkerrechtsbruch ansieht.
({5})
Diese Bundesregierung hat geantwortet, dass sie die Bombardierungen durch die Türkei völkerrechtlich nicht bewerten kann; es fehlten ihr genügend
Hinweise für diese Bewertung.
({6})
Und wissen Sie, was noch dazukommt? Das Auswärtige Amt konnte am Vormittag ja noch nicht einmal beantworten, wie die Bundesregierung den Krieg der USA
und der Koalition der Willigen 2003 gegen den Irak völkerrechtlich bewertet, und will die Antwort nachreichen.
({7})
Wir sind gespannt, ob auch hier, weil es sich um einen NATO-Partner handelt, der Bundesregierung selbst 19 Jahre nach dem US-Angriffskrieg nicht
genügend Hinweise vorliegen, um eine völkerrechtliche Bewertung vorzunehmen. Ich hoffe, Sie warten nicht darauf, dass diese vermeintlichen
Massenvernichtungswaffen im Irak noch gefunden werden, damit Sie uns antworten können.
International kommen Sie mit diesen Nebelkerzen nicht durch, meine Damen und Herren. Wer lediglich bei der Doppelmoral weltmeisterlich ist, der
verspielt jede Glaubwürdigkeit, um global für Menschenrechte und die Einhaltung des Völkerrechtes einzustehen.
({8})
Ich will Ihnen noch ein Beispiel geben: Katar. Auf der einen Seite legen Sie sich die Regenbogenarmbinde um, und auf der anderen Seite liefern Sie
Waffen an dieses Land und schließen einen Deal über die Lieferung von Flüssiggas ab.
({9})
Auf der einen Seite erklärt die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, man dürfe sich nie wieder abhängig machen von einem Land, das unsere Werte
nicht teilt,
({10})
auf der anderen Seite versuchen Sie, russisches Gas über Deals mit den Diktatoren am Golf zu ersetzen.
({11})
Oder sagen Sie mir: Ist es jetzt so weit, dass Sie uns weismachen wollen, dass Katar und Saudi-Arabien unsere Werte teilen?
Kollegin Dağdelen, ich bitte auch Sie, zur Sache zu reden.
Ich finde, wir müssen weg von dieser Politik der Doppelmoral, auch hinsichtlich China.
({0})
Was wir dringend brauchen, ist eine vernünftige Realpolitik, die auf Diplomatie und Ausgleich setzt
({1})
anstatt auf ideologiegetriebene Blockkonfrontation im Dienste einer vermeintlich höheren Moral.
({2})
Ich möchte Ihnen auch noch eins sagen: Hören Sie auf, Deutschland mit Ihrem Gerede von systemischer Rivalität in die Blockkonfrontation der USA mit
China zu treiben! China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner, zentraler Rohstofflieferant und einer der wichtigsten Innovations- und Technologiebetreiber
weltweit.
({3})
Eine Entkoppelung von China hätte für die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland katastrophale Folgen.
({4})
Wer weniger Abhängigkeit fordert, muss auch ehrlich sagen:
({5})
Abhängigkeit ist die Grundlage unseres Wohlstandes. Weniger Abhängigkeit bedeutet weniger Wohlstand; das müssen Sie einfach mal ehrlich sagen.
({6})
Schon Ihr erster Wirtschaftskrieg ist ein Bumerang, den die Bürgerinnen und Bürger hier in Deutschland teuer bezahlen. Wir brauchen wahrlich nicht
noch einen zweiten, der Deutschland dann vollends ruinieren wird.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat Dr. Nils Schmid für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie tief muss man sinken, liebe Kollegin Dağdelen,
({0})
um bei einer Rede über die chinesische Coronapolitik nur eine darauf bezogene Aussage zu treffen: nämlich sie mit den deutschen restriktiven Maßnahmen
zu der Zeit zu vergleichen, als wir Corona bekämpft haben?
({1})
Wie tief muss man sinken? Und wie erbärmlich ist es, dass Sie über alles andere reden, bloß nicht über die Unterdrückung der Menschenrechte in China?
Wie erbärmlich ist das?
({2})
Ich sage Ihnen eins: Dass kaum jemand von Ihrer Fraktion bei Ihrer Rede noch anwesend war und dass Sie Applaus von rechtsaußen bekommen haben,
({3})
zeigt an, auf welche rutschige, schiefe Bahn sich die Linkspartei in der Außenpolitik inzwischen begeben hat.
({4})
Ich hätte mir schon gewünscht, dass Sie angesichts der dystopischen Bilder, die uns aus China seit Jahren erreichen, ein paar Worte des Mitgefühls für
die Abertausenden, ja, Millionen von Menschen gefunden hätten, die seit Jahren weggesperrt worden sind, in deren Land Säuglinge von ihren Eltern getrennt
werden, wo massenhaft Infizierte interniert werden. Das ist doch das, was uns aus China erreicht. Das hat mit den restriktiven Maßnahmen, die in demokratischen
Gesellschaften im Zuge der Coronabekämpfung getroffen worden sind, nichts, aber überhaupt nichts zu tun. Deshalb verwahre ich mich gegen jede Vermischung in
dieser Debatte.
({5})
Ich will aber auch sagen: Es gibt ermutigende Bilder aus China – das ist ja auch der Anlass der Debatte –: Menschen, die aufstehen und sagen, sie
lassen sich das nicht mehr länger bieten. Graf Lambsdorff hat zu Recht darauf hingewiesen: Der Wunsch nach Freiheit, nach persönlicher Entfaltung ist
universell. Er ist nicht an Kulturen gebunden. Er darf nicht relativiert werden mit dem Verweis auf vermeintliche asiatische Werte, chinesische Traditionen,
afrikanische Werte oder was auch immer. Er ist universell, und das sollte uns Mut machen, auch im Falle von China.
Die Gesellschaft in China wird sich weiterentwickeln. Ich sehe nicht, Herr Wadephul, dass das Regime schon auf tönernen Füßen stünde. Aber die Kraft
der Freiheit wird sich früher oder später auch in China durchsetzen und Bahn brechen. Die Menschen in China werden über den Weg, den sie in ihrem Leben
beschreiten wollen, individuell entscheiden können. Das wollen wir nach Kräften von außen befördern und unterstützen; denn wir teilen mit diesen Chinesinnen und
Chinesen den Wunsch nach Freiheit.
({6})
In der Bekämpfung des Coronavirus ist die Systemrivalität zwischen autoritären und demokratischen Systemen deutlich zutage getreten. Der Streit um die
beste Lösung ist in Demokratien möglich. Das Ringen um bessere Lösungen, das Auswerten von nicht so erfolgreichen Lösungsansätzen, das ständige Verbessern der
Politik ist bei uns im Streit im Parlament und außerhalb des Parlamentes, auf der Straße, in den Medien möglich, während es in China nicht möglich ist. Deshalb
ist Präsident Xi jetzt in der Sackgasse, aus der er nicht herauskommt.
Ich habe die Vermutung, dass es schon lange nicht mehr nur um den richtigen Weg der Coronabekämpfung geht, sondern letzten Endes erleben wir gerade
ein gesellschaftliches Großexperiment in China darüber, wie lange eine Gesellschaft es sich bieten lässt, dass ein ganzes Volk weggesperrt wird; denn Chinas
Politik der letzten Jahre zielt ja auch auf eine allgemeine Abschottung von der Weltgesellschaft und vom Austausch mit anderen Gesellschaften in der Welt.
Deshalb ist es auch so verständlich, dass die Chinesinnen und Chinesen sich das nicht länger bieten lassen.
Wir wissen aber auch: Die Repressionsmittel sind groß und stark. Deshalb können wir nicht darauf setzen, dass sich Demokratie und Freiheit mit einem
Schlag durchsetzen. Aber wir können aus meiner Sicht drei Punkte sehr deutlich machen:
Erstens. Das Recht auf friedliche Proteste, auf freie Meinungsäußerung auf der Straße muss auch in China gelten.
Zweitens. Berichterstattung über solche Proteste muss möglich sein für Journalisten aus dem In- und Ausland. Es darf nicht sein, dass Journalisten
weggesperrt, festgenommen, ja, misshandelt werden.
Drittens. Bei aller Systemrivalität und allem Wettbewerb, den wir in Wirtschafts- und Technologiefragen mit China austragen: Es gibt auch ein Angebot
zur Kooperation. Es gibt Impfstoffe westlicher Provenienz, die selbstverständlich auch der chinesischen Regierung angeboten werden. Wir sind bereit, Europa ist
bereit, Impfstoffe mit Chinesinnen und Chinesen zu teilen, damit sie einen besseren Impfschutz erreichen können. Auch dieses Angebot steht; und das sollten wir
deutlich aussprechen gegenüber den Menschen in China, die diese Hilfe im Kampf gegen das Coronavirus dringend brauchen könnten.
Herzlichen Dank.
({7})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Nicolas Zippelius das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Protest kennt viele Formen: still, laut, einsam oder in Massen. Der Kollege
Trittin hat es gerade schon angesprochen: In China ist es derzeit ein weißes Blatt Papier, es sind aber auch Blumensträuße oder eine Tierrasse, deren Name bei
richtiger Aussprache auch eine gewisse Kritik an der Parteiführung ausdrücken kann.
Für die Bilder, die wir aus China erhalten, gibt es Gründe: langfristige Gründe, nämlich die Zero-Covid-Politik, welche die Kommunistische Partei nun
seit fast drei Jahren rigoros durchsetzt, und kurzfristige Gründe, in dem Fall der Lockdown in Xinjiang, infolge dessen zehn Personen zu Tode gekommen waren –
zu Tode gekommen, weil sie das Gebäude nicht verlassen konnten, da sie eingesperrt waren. Meine Damen und Herren, es wurde vom Herrn Kollegen Schmid schon
angesprochen und ist richtig: Die Proteste haben ihren Ursprung in einem ureigenen Streben des Menschen, und zwar in dem Streben nach Freiheit.
Was aber ist an diesen Protesten anders? Landesweite Proteste zum gleichen Thema sind in China extrem selten. Wir müssen diesbezüglich genauer
hinsehen; denn hier demonstriert ein Querschnitt der Bevölkerung: Alt und Jung, Intellektuelle, Arbeiter, Landwirte, Studenten, Han-Chinesen und andere Ethnien.
Daraus gilt es die richtigen Schlüsse zu ziehen. Die Proteste zeigen die Unzufriedenheit der Bürger mit der Zero-Covid-Politik.
Die Zero-Covid-Politik sollte ursprünglich die Überlegenheit des eigenen Systems gegenüber dem Westen zeigen. Die anfänglichen Erfolge haben sich
inzwischen aber zerschlagen. Wir sehen daran sehr genau: Autoritäre Systeme sind eben keine Antwort auf die großen Herausforderungen unserer Zeit.
Hier kommen wir aber – der Titel der Aktuellen Stunde sagt es schon – zur deutschen China-Politik. Und diese kann nicht ganz ohne Kritik bleiben.
Bislang fehlen Worte der Außenministerin zu den Geschehnissen in China. Bislang ist sie absolut stumm, obwohl wir wissen, dass zum Beispiel laut Artikel 35 der
chinesischen Verfassung die Rede- und Versammlungsfreiheit geschützt ist. Wir erwarten, dass das Außenministerium und die Außenministerin da eine klare
Botschaft übersenden.
({0})
So komme ich auch zur China-Politik und auf die China-Strategie zu sprechen; denn die China-Politik der Bundesregierung steht sinnbildlich für das
Handeln der Ampelkoalition im vergangenen Jahr. Entgegen der ersten Ankündigung hängt sie dem Zeitplan hinterher. Sie bleibt weit hinter den Erwartungen zurück,
und eine Einigkeit ist überhaupt nicht ersichtlich. Viel schlimmer noch: Der Streit bezüglich der China-Strategie und der China-Politik wird in der Koalition
ganz offen auf offener Bühne ausgetragen. Man fragt sich dann schon, wo der wertegeleitete Ansatz, den die Außenministerin propagiert, enden soll; denn dieser
wertegeleitete Ansatz bröckelt. Er bröckelt nicht auf internationaler Bühne, nein, er zerbröckelt am Widerstand im 400 Meter von hier entfernten
Bundeskanzleramt, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({1})
Wir als Unionsfraktion beschäftigen uns intensiv mit der China-Politik der Bundesregierung. Aus meinem Büro stammen mehrere schriftliche Anfragen. Wir
haben eine Kleine Anfrage zur China-Strategie der Bundesregierung mit 57 konkreten Fragen gestellt – 57 konkrete Fragen! –, unter anderem zum Beispiel, wie
konkret die Leitlinie zum Indo-Pazifik der Bundesregierung aus dem Jahr 2021 in die China-Strategie der Bundesregierung eingearbeitet wird. Ein Drittel – ein
Drittel! – dieser Fragen wurde mit einer standardisierten Antwort beantwortet.
({2})
Wenn zeitgleich Journalisten hier im Regierungsviertel bereits über den ersten Entwurf der China-Strategie verfügen, dann kann man an dieser Stelle
nur sagen: Die Nichtbeantwortung unserer Kleinen Anfrage, während gleichzeitig aus dem Außenministerium an Journalisten durchgestochen wird,
({3})
ist eine Form der Missachtung des Parlaments, die überhaupt nicht geht, meine Damen und Herren.
({4})
– Das stimmt.
({5})
Apropos Entwurf der China-Strategie der Bundesregierung. In diesem kommt das Wort „Diaspora“ zum Beispiel kein einziges Mal vor. Wenn wir allerdings
wissen, welche Bedeutung Auslandschinesen für die chinesische Führung haben, ist dieser blinde Fleck in der Ausarbeitung des Außenministeriums geradezu fatal.
Und das zieht sich durch: Die Außenministerin will nach außen Härte projizieren, und gleichzeitig trifft sich der Bundeskanzler unter vier Augen in China mit Xi
Jinping und spricht danach von „Verlässlichkeit und Vertrauen“.
Bei der China-Politik, liebe Koalition, müssen Sie sich immer wieder darüber im Klaren werden, was sie für ein Zeichen nach außen gibt. Der
renommierte französische China-Experte François Godement äußerte über das Statement des Bundeskanzlers zu Verlässlichkeit und Vertrauen pures Entsetzen.
Ich komme zum Schluss. Wir müssen an dieser Stelle bemerken: Die Kompetenz bezüglich der Außenpolitik liegt mit Sicherheit nicht im
Außenministerium.
Kollege.
Sie liegt bei Bundeskanzler Scholz und bei seinem wichtigsten Berater Herrn Plötner, von dem es heißt, dass er die Außenpolitik deutlicher gestalten
wird, als die Außenministerin es in dieser Legislatur jemals können wird.
Herzlichen Dank.
({0})
Ein kleiner Hinweis, Herr Kollege: Die Ankündigung des Schlusspunktes ersetzt diesen nicht.
Das Wort hat der Staatsminister Dr. Tobias Lindner.
({0})
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der tragische Tod von zehn Menschen bei einem
Wohnhausbrand in der nordwestchinesischen Stadt Ürümqi, die mutmaßlich starben, weil zur besseren Covid-Kontrolle wichtige Notausgänge verschlossen waren, hat
eine Welle von Protestkundgebungen in China ausgelöst. Die Unzufriedenheit mit der Null-Covid-Politik der chinesischen Führung ist so groß, dass viele Menschen
bereit sind, enorme Risiken auf sich zu nehmen, um ihre Meinung öffentlich zu äußern. Das zeigen die friedlichen Proteste in Peking, in Schanghai, in Wuhan und
in vielen anderen chinesischen Städten seit dem vergangenen Wochenende.
Die Menschen in China, darunter viele junge Frauen, machen mit ihren Protesten von ihrem Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch, einem
Recht, das wir in freien Gesellschaften wie der unsrigen oft als selbstverständlich erachten und zu dem sich China in seiner Verfassung – es ist bereits erwähnt
worden – ebenfalls verpflichtet hat. Die Ereignisse der letzten Tage zeigen, dass die immer willkürlicher werdende Durchsetzung der sogenannten
Null-Covid-Politik nicht mehr von der Bevölkerung akzeptiert wird. Und sie zeigen auch, meine Damen und Herren, dass es den Menschen in China eben nicht egal
ist, was in Xinjiang passiert. Die Solidarisierung zwischen Chinesinnen und Chinesen und den in Xinjiang unterdrückten Uiguren hat sich damit zum ersten Mal
innerhalb Chinas öffentlich und für jeden sichtbar manifestiert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ganz besonders sticht mir dabei ins Auge, dass die Forderungen nach Lockerungen der Covid-Politik vielfach auch mit
Forderungen nach politischem Wandel verbunden werden. Wir sehen einmal mehr, dass es in einer Gesellschaft eben nicht möglich ist, jede abweichende Meinung
dauerhaft zu unterdrücken. Der Mut der Menschen in China, die es wagen, sich der allgegenwärtigen Überwachung, der Unterdrückung und den
Einschüchterungsversuchen durch staatliche Stellen offen entgegenzustellen, verdient unseren Respekt und unsere Hochachtung.
({0})
Wie leider zu erwarten war, hat die chinesische Führung mit repressiven Maßnahmen, mit Ausweitung der Internetzensur und mit massiver Einschüchterung
der Bevölkerung auf diese Proteste reagiert. Wir appellieren daher an die chinesische Regierung, den Wunsch und das Recht der eigenen Bevölkerung nach freier
Meinungsäußerung zu achten und sich mit ihren berechtigten Anliegen auseinanderzusetzen. Wir appellieren ferner an die chinesische Regierung, mehr zu tun, um
die Freiheit der Presse zu schützen.
({1})
Die kurzzeitige Inhaftierung und Misshandlung eines Journalisten der BBC im Zusammenhang mit seiner Berichterstattung zu den Protesten in Schanghai
sendet ein besorgniserregendes Zeichen in alle Welt.
({2})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich hoffen wir, dass die chinesische Regierung auf die Anliegen der
Protestierenden eingehen wird. Wir sehen erste Zeichen für gewisse, sehr vorsichtige Schritte in eine richtige Richtung bei der Anwendung der
Null-Covid-Politik. So wurden beispielsweise bestehende bezirksweite Lockdowns in Kanton aufgehoben. Es soll dort keine weiteren Massentests mehr geben. Aber
lassen Sie mich klar betonen: Es bleibt abzuwarten, ob dies von Dauer sein wird.
Die chinesische Regierung steht angesichts neuer Varianten, die ansteckender sind als die bisherigen, und stark zunehmender Fallzahlen vor einem
Dilemma. Es fällt ihr immer schwerer, ihre gesundheitspolitischen Maßnahmen und die Belange ihrer Bevölkerung und der Wirtschaft in einen vernünftigen Ausgleich
zu bringen. Und in diesem Kontext hat unser von Bundeskanzler Scholz gemachtes Angebot zur Zusammenarbeit bei mRNA-Impfungen in China eine herausragende
Bedeutung. Die Bundesregierung bekennt sich zu diesem Angebot, und wir hoffen, dass China zügig auf unsere Vorschläge eingehen wird.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie wissen: Die Bundesregierung arbeitet unter der Federführung des Auswärtigen Amtes derzeit an einer
umfassenden Strategie zum zukünftigen Umgang mit China. Wir wollen eine enger koordinierte, mehr an unseren und europäischen Werten und Interessen ausgerichtete
China-Politik. Diese Werte und Interessen wollen wir effektiver als bisher verteidigen. Wir müssen daher unsere einseitigen Abhängigkeiten von China reduzieren
und somit auch weniger verwundbar werden. Deswegen wollen wir unsere Instrumente der Außenwirtschaftsförderung konkret als Anreiz für Firmen einsetzen, um dort
Diversifikation voranzutreiben. Wir schauen auch sehr genau bei ausländischen Investitionen hier in Deutschland hin.
Lassen Sie es mich klar sagen: Deutschland ist eine offene Marktwirtschaft, die Investitionen wünscht und fördert. Aber diese dürfen nicht unsere
öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden. Wir haben vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine bitter lernen müssen, welche Folgen
einseitige Abhängigkeiten für unsere Volkswirtschaft haben können. Meine Damen und Herren, wir werden unsere Lehren daraus ziehen, und wir werden diesen Fehler
kein zweites Mal mehr begehen.
({3})
Gleichzeitig wollen wir uns nicht von China entkoppeln. Wo Dialog und Zusammenarbeit möglich sind, wollen wir diese fortsetzen, sei es in Politik und
Wirtschaft, sei es in Wissenschaft und Kultur. Die Europäische Union definiert ihre Beziehungen zu China in einem Dreiklang: Partner, Konkurrent, systemischer
Rivale. Wir müssen leider feststellen, dass die systemische Rivalität aktuell immer mehr Raum einnimmt, dass sie zum dominierenden Faktor wird. Vor diesem
Hintergrund müssen wir dort, wo Partnerschaft richtig und wichtig ist, Partnerschaft auch entsprechend denken.
Wir sehen aktuell, dass es kein monolithisches China gibt, wie es uns chinesische Staatsmedien glauben machen wollen. Wir tun deshalb in unserer
Strategie gut daran, auch weiterhin den Austausch mit chinesischen Partnerinnen und Partnern zu suchen. Lassen Sie mich betonen: Wir müssen uns mit dem China
auseinandersetzen, wie wir es tatsächlich vorfinden, nicht mit dem, wie wir es uns wünschen oder wie wir es gerne hätten. Um den Bundeskanzler zu zitieren: „…
wenn sich China verändert, muss sich auch unser Umgang mit China verändern.“
Klar ist: Wir wollen trotz aller Differenzen dort, wo wir China brauchen, in Zukunft zusammenarbeiten. Dabei geht es nicht nur um wirtschaftliche
Fragen. Dabei geht es um globale Fragen wie die Klimakrise, wie den Erhalt von Frieden und Sicherheit, wie den Schutz von natürlichen Lebensgrundlagen, wie die
Nahrungsmittelsicherheit oder globale Gesundheitsfragen. Diese Herausforderungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir nicht ohne das bevölkerungsreichste
Land der Erde als verantwortungsvollen Partner bewältigen können.
({4})
Ich möchte hier noch einmal das Ergebnis der COP 27 in Erinnerung rufen. Es ist uns dort gelungen, eine Einigung bei dem schwierigen Thema „Loss and
Damage“ zu erreichen,
({5})
eine Einigung, die auch und gerade China als den mit Abstand größten Emittenten von CO2 verpflichtet, für die Bewältigung von Klimaschäden
aufzukommen. Diese treffen oft die ärmsten und damit verletzlichsten Länder am stärksten. Deshalb ist es wichtig, dass die größten Verursacher auch in der
Verantwortung stehen, die Folgen zu bekämpfen.
({6})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Zusammenarbeit mit China ist somit weiterhin wichtig. Aber lassen Sie mich in
aller Deutlichkeit sagen: Wir wollen eine Zusammenarbeit nach den Spielregeln und den Grundsätzen der internationalen regelbasierten Ordnung im Einklang mit
unseren Interessen und unseren Werten.
({7})
Und es entspricht unseren Werten, dass Kritik an der Regierung und das Recht auf freie Meinungsäußerung möglich sein müssen.
({8})
Deshalb stehen wir heute solidarisch an der Seite aller Menschen, die ihre elementaren Grundrechte, auch und gerade das Recht auf freie
Meinungsäußerung, wahrnehmen wollen – in China und weltweit.
Ich danke Ihnen.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne, einen schönen guten Nachmittag von meiner Seite!
Wir fahren jetzt in der Aktuellen Stunde fort mit der nächsten Rednerin: für die FDP-Fraktion Gyde Jensen.
({0})
Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Das ist der
erste Satz des ersten Artikels der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, und jedes Wort dieses Satzes ist elementar. Aber es steckt ein Wort darin, das
besonders Autokraten in der Welt riesige Angst macht: Alle Menschen sind frei geboren, egal ob Russinnen und Russen, US-Amerikaner/-innen, Belarussinnen und
Belarussen, Iraner/-innen oder eben Chinesinnen und Chinesen. Alle Menschen tragen diesen Wunsch nach Freiheit, nach Selbstbestimmung in sich. Es gibt keine
chinesischen Menschenrechte. Chinesen wollen nicht weniger frei oder weniger selbstbestimmt sein. Es ist die Kommunistische Partei Chinas, die will, dass die
Menschen in China unfrei und weniger selbstbestimmt leben.
Auf der ganzen Welt nutzen Autokraten wie die Kommunistische Partei Chinas, wie Xi Jinping – wir beobachten das gerade – ein ganz bestimmtes Narrativ,
um ihr unterdrückerisches Regime immer wieder zu rechtfertigen: „Unsere Kultur ist eine andere“, sagen sie, Menschenrechte seien ein „westliches Konstrukt“.
Diese Proteste – genau wie die Proteste im Iran – entlarven diese Erzählungen aber mehr denn je als große, als mutwillige, als menschenverachtende Lüge. Meine
Damen und Herren, Menschenrechte sind kein westliches Konstrukt. Menschenrechte sind ein menschliches Konstrukt.
({0})
Die Kommunistische Partei Chinas hat die chinesische Zivilgesellschaft systematisch zerstört; aber an die bürgerliche Haltung jedes einzelnen
Chinesen, jeder einzelnen Chinesin kommt die Kommunistische Partei nicht heran, auch wenn das mit einem immer größer werdenden totalitären Überwachungsstaat
immer wieder versucht wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was wir in den letzten Tagen in China sehen, sind aus meiner Wahrnehmung nicht unbedingt nur Proteste gegen die
drakonische Zero-Covid-Politik von Präsident Xi. Es geht da um mehr. Die Menschen rufen: „Nieder mit Xi Jinping!“, sie rufen: „Nieder mit der Kommunistischen
Partei!“, sie fordern Transparenz. Sie riskieren dafür ihre Freiheit; denn in China erfasst jede Kamera dein Gesicht, wenn du protestieren gehst, und
anschließend ruft die Kommunistische Partei bei dir zu Hause an und droht dir, deiner Familie, deinen Freunden ganz unverhohlen mit Konsequenzen. Und wenn du
nicht verprügelt wirst oder ins Gefängnis gesteckt wirst, dann bekommst du vielleicht keine eigene Wohnung, dann verlierst du deinen Job, den Anspruch auf
Kinderbetreuung, weil das Social-Credit-System, weil das System es so will.
Wie groß muss eigentlich die Überzeugung sein, wie groß muss der Druck sein, um in einem Land wie China zu demonstrieren? Den Menschen in diesem Land
ist es ernst, liebe Kolleginnen und Kollegen. Und wenn wir jetzt nicht mehr so viel über die Proteste hören wie noch am Wochenende, dann liegt das vor allen
Dingen daran, dass der Überwachungsapparat, dass der Zensurapparat noch stärker ins Laufen gekommen ist und wirkt. Deshalb ist besonders auch internationaler
Journalismus, ist die Debatte, die wir hier führen, sind Öffentlichkeit und die Aufmerksamkeit für dieses Thema elementar.
({1})
Genau deshalb haben wir als Koalition diese Aktuelle Stunde hier heute auf die Tagesordnung gesetzt, Herr Wadephul,
({2})
nicht zuletzt, um ein Zeichen an China zu senden: Wir sehen euch. Wir wissen, dass es euch ernst ist
({3})
und dass diese Proteste nicht klein bleiben werden.
({4})
Das weiß im Übrigen auch die Kommunistische Partei. Deshalb fährt sie alles auf, was der Unterdrückungsapparat zu bieten hat.
Wir müssen uns hier darüber verständigen, was wir bei weiteren Eskalationen tun, wie wir damit umgehen. Genau dafür brauchen wir einen Plan.
({5})
Und an diesem Punkt – Herr Wadephul, Sie haben in Ihrer Rede ja schon ein bisschen darauf rekurriert –
({6})
holen uns die Versäumnisse der letzten Bundesregierung ein.
({7})
– Nein, das sage ich nicht, Herr Merz. Als wir hier vor zwei Jahren gestanden haben – da saßen Sie noch in der Mitte, da, wo wir jetzt Gott sei Dank
sitzen –, als gerade das Nationale Sicherheitsgesetz in Hongkong verabschiedet worden ist,
({8})
und wir gesagt haben: „Wir müssen den EU-China-Gipfel absagen, weil wir auf dieser Grundlage nicht weitermachen können wie vorher“,
({9})
da lagen Sie, der Kollege Wadephul und andere Kolleginnen und Kollegen, fast unterm Tisch vor Lachen und vor Verächtlichkeit dieser Forderung
gegenüber.
({10})
Wir holen jetzt das nach, was Sie die letzten Jahre versäumt haben.
({11})
Es wäre wichtig gewesen, dieses Problembewusstsein zu erkennen. Es wäre wichtig gewesen,
({12})
eine aktive Analyse der Abhängigkeiten, der notwendigen Resilienz vorzunehmen.
({13})
Stattdessen haben Sie nichts gemacht.
({14})
Wir werden eine ressortübergreifende China-Strategie vorlegen, und wir werden dafür sorgen, dass die Fehler, die im Grunde durch die Nichtakzeptanz
der Realität begangen wurden –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss –, nicht mehr gemacht werden.
({0})
Der Freiheitsdrang eines jeden Individuums ist stärker als jede Ideologie, –
Frau Jensen, letzter Satz, bitte.
– und ich glaube, deswegen sind die Reden, die wir hier halten, unglaublich wichtig für die Menschen, die sie nicht frei halten können.
Herzlichen Dank.
({0})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Alexander Radwan.
({0})
Meine Damen und Herren! Jeder Redner, so auch ich, betont die Unterstützung der Protestierenden in China.
({0})
– Lassen wir mal einen Teil weg. – Die Proteste nehmen zu. Unabhängig davon sollten wir wissen, dass das, was wir hier vortragen, natürlich mehr oder
weniger zu Propagandazwecken genutzt wird, zu der Aussage, dass alles vom Ausland gesteuert werde. Darum konzentriere ich mich jetzt auf den zweiten Teil des
Themas dieser Aktuellen Stunde, die China-Politik.
({1})
Wir erleben momentan dynamische Entwicklungen in China bei den Protestierenden. Es kann auch außenpolitische Dynamik geben. Wir wissen, wie Xi Jinping
sich geäußert hat, wie er sich in seinen Reden selber positioniert hat. Darum müssen wir in unserer China-Politik das Undenkbare denken; eine Dynamik kann
jederzeit auftreten. Daher teile ich die Ansicht, dass Diversifizieren wichtig ist, aber Diversifizieren, ohne gleichzeitig einen Bruch vorzunehmen. Ansonsten
können wir die Energie- und Mobilitätswende von einem auf den anderen Tag einstampfen.
Risiko reduzieren heißt, Alternativen zu schaffen. Wenn wir jetzt Glück haben, werden wir in dieser Woche im, ich glaube, zwölften Anlauf CETA
ratifizieren können. Was verstehen wir unter Diversifizieren? Das heißt, dass wir neue Partner finden. Was heißt das konkret mit Blick auf Mercosur? Als
Nächstes müssten wir das Mercosur-Abkommen entsprechend vorantreiben und ratifizieren.
({2})
Heute rächt es sich, dass manchen in der Ampel das Chlorhühnchen wichtiger war als eine Vereinbarung mit den USA. Der Inflation Reduction Act ist in
der jetzigen Phase ein Riesenproblem für unsere Wirtschaft.
({3})
Reziprozität sollte man nicht nur als Begriff im Mund führen. China kann in den Hafen in Hamburg investieren, aber umgekehrt ist das nicht möglich.
Die Rechte der chinesischen Unternehmen hier sind stärker geschützt als die der deutschen Unternehmen in China. Da besteht dringender Handlungsbedarf.
Meine Damen und Herren, Alternativen zu schaffen bedeutet, andere Partner in der Welt zu finden. Meine beiden Kollegen haben angedeutet, dass die
bisherige China-Strategie über die Medien kommuniziert wurde und da die Themen Menschenrechte und Klima an erster Stelle standen. Jetzt versuche ich mal, das
zusammenzukriegen:
({4})
Gestern haben wir eine Vereinbarung mit Katar erzielt. Ihr Bundeswirtschaftsminister hat das gefeiert und sogar gesagt: Die Zeitspanne ist zu kurz. –
Ich stimme ihm ausdrücklich zu. Aber wie kriegen Sie das dann mit der Kritik der Außenministerin in Scharm al-Scheich bei der COP 27 an China und den
Golfstaaten zusammen? Das ist genau das Gegenteil zum richtigen Handeln des Wirtschaftsministers, der das unterstützt. Aber Sie in Ihrer Fraktion boykottieren
das.
({5})
Im Dezember findet in Riad eine Konferenz der Golfstaaten mit China, von Saudi-Arabien mit China und der arabischen Welt mit China statt. Dort werden
diese Staaten ihre Interessen vertreten. Ich wäre dankbar, Herr Staatsminister, wenn es ein Stück weit in die deutsche Außenpolitik eindringen würde, dass wir
unsere Interessen in der Welt vertreten müssen und nicht nur missionarisch unterwegs sein sollten.
({6})
Die beste China-Politik – das hat keiner angesprochen, auch Sie nicht, Herr Trittin – ist ein starkes Deutschland in der Welt, und zwar
wirtschaftlich, innovativ und militärisch. Das, was bisher vonseiten der Bundesregierung passiert ist, lässt sehr zu wünschen übrig.
Mehrfach wurde im Zusammenhang mit der Pharmaindustrie die Rückverlagerung der Pharmaproduktion aus China nach Europa angesprochen. Ich wäre froh,
wenn sich diese Forderung nicht nur auf das, was bisher abgewandert ist, bezöge, sondern wenn wir in Deutschland darauf setzen würden, auch innovative
Technologie zurückzuholen oder hier entsprechend zu fördern, Stichwort „Gentechnik“. Ich habe einen Bericht bekommen, der besagt, dass ein Bundesminister der
Grünen über ein Medikament auf gentechnischer Basis, das in den USA gerade zur Heilung von Parkinson zugelassen wird, gesagt hat: Ein solches Medikament wollen
wir nicht in Europa. – Das ist der falsche Ansatz für eine gute Außenpolitik, eine starke Außenpolitik in Deutschland.
({7})
Meine Damen und Herren, ich muss Ihnen sagen: In der jetzigen Phase weiß ich nicht, ob das größte Problem der deutschen Wirtschaft die Energiekrise
ist oder der Bundeswirtschaftsminister. Bei dem Bundeswirtschaftsminister habe ich momentan größte Bedenken, ob er überhaupt in der Lage ist, uns in dieser
Phase entsprechend zu steuern.
({8})
Besten Dank.
({9})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort Frank Schwabe.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Wir leben in der Tat in einer Welt – das ist, glaube ich, auch in dieser Debatte deutlich geworden –,
die sich neu sortiert. Bei allem Schrecklichen, das wir gerade in der Welt erleben, gibt es aber auch Hoffnungsschimmer, mit denen man vielleicht gar nicht
gerechnet hat. Und ich finde, diese Proteste in China gehören dazu.
Wir haben in den letzten Jahren nicht nur den Eindruck gehabt, dass sich die Lage für Menschenrechte, Demokratie und Freiheit in vielen Ländern der
Welt verschlechtert, sondern das geben auch die Daten her. Aber wir haben jetzt diese Entwicklungen in China und im Iran, wir hatten sie auch – und haben sie
vielleicht noch – in Belarus und nordafrikanischen Staaten, und wir haben sie – hoffentlich wird das demnächst noch mehr – auch in Russland. Das heißt, es gibt
diesen Willen zu Freiheit und Menschenrechten. Das ist nichts, was vom Westen gesteuert wird, sondern kommt von den Menschen selbst, kommt aus den
Gesellschaften. Das verdient unsere volle Sympathie, unseren Respekt und unsere volle Unterstützung.
({0})
Das ist auch in der Debatte deutlich geworden: Es geht nicht nur um die Coronamaßnahmen, sondern es kulminiert in den Coronamaßnahmen. Es liegt an der
Allmachtsfantasie in China, einem totalitären Staat, der glaubt, alles regeln zu können und mit den Menschen machen zu können, was er will. Es ist schon
wirklich infam und böswillig, dies mit Coronamaßnahmen in einem demokratischen Staat zu vergleichen, wo man alles behaupten und alles entsprechend diskutieren
kann.
({1})
Es gibt diese Repressalien, diese Unterdrückung der Menschen im Inland, und es gibt, damit gepaart – das erleben wir nicht nur in China, sondern in
vielen anderen Ländern auf der Welt –, auch eine Aggressivität nach außen. Das war bei China lange anders, aber das ist mittlerweile leider auch dort der Fall.
Deswegen ist es richtig, dass wir die China-Politik gemeinsam neu justieren, dass es eine entsprechende China-Strategie gibt. Ob da etwas durchgestochen wird
oder nicht, am Ende – da seien Sie mal sicher – wird es eine gemeinsame China-Strategie dieser Bundesregierung geben. Ich glaube, das ist heute in der Debatte
deutlich geworden.
({2})
Parallel zum Plenum – einige der Menschenrechtspolitikerinnen und ‑politiker mussten rüberkommen – findet nur ein paar Meter weiter eine Anhörung zum
Thema „Systemischer Wettbewerb – Menschenrechte als integraler Bestandteil der Weltordnung“ statt. Da will ich – ganz frisch – Professor Heiner Bielefeldt
zitieren, der das sehr überzeugend deutlich gemacht und gesagt hat: Die Attraktivität der Menschenrechtsidee ist ungebrochen. – Im Moment symbolisieren weiße
Blätter in China diese ungebrochene Attraktivität der Menschenrechte.
({3})
China verletzt Menschenrechte wirklich in epochaler und multipler Art und Weise. Auch das ist gerade schon gesagt worden: Es ist falsch in der
Entwicklungspolitik, die Entwicklung eines Landes gegen Menschenrechte in Stellung zu bringen. Es ist falsch, Werte als westliche Werte zu diffamieren; denn
diejenigen, die dort auf der Straße stehen, die Chinesinnen und Chinesen, die dort protestieren, meinen genau die universellen Menschenrechte, die wir hier –
jedenfalls die meisten von uns – auch meinen.
Wenn man über China und Menschenrechtsverletzungen redet, dann könnte man viele Beispiele aufzählen: Hongkong, Tibet und vieles andere. Aber es
kulminiert in der Tat in Xinjiang. Deswegen ist es fast schon symbolisch, dass es die zehn Toten in Ürümqi waren, die bei einem Feuer ums Leben gekommen sind,
die am Ende diese Proteste in Xinjiang ausgelöst haben, wo wir Verbrechen gegen die Menschlichkeit in einer Art und Weise erleben, wie man sich das in einer
modernen Welt eigentlich nicht vorstellen kann, wo wir Masseninhaftierungen von bis zu 1 Million Menschen sehen, wo wir Folter sehen und die kulturelle
Verfolgung von Uiguren und anderen turkstämmigen Muslimen.
Wichtig im Umgang mit China – das ist bei allen Schwierigkeiten, die wir sonst noch so haben, wahrscheinlich der schwierigste Partner in der Welt –
ist, dass wir einen unverstellten und klaren Blick auf die Lage haben und dass wir eine klare Unterstützung geben – das sollte jedenfalls in der Breite des
Hauses gelten – für die Freiheitsliebenden in China. Wir wollen keinen Handel abbrechen, aber wir wollen diversifizieren, und wir wollen, dass
menschenrechtliche Regeln, zum Beispiel im Rahmen von Lieferkettengesetzen, in den Handelsbeziehungen mit China angewendet werden.
Wir brauchen – ich glaube, das ist die Lehre dieser Proteste – einen selbstbewussten Umgang mit universellen Menschenrechten. Es war eine Schande,
dass sich China im UN-Menschenrechtsrat durchgesetzt hat, nicht über Xinjiang reden zu müssen. Gleichzeitig haben wir aber gesehen, dass es im Zusammenhang mit
dem Iran mit deutlicher Mehrheit gelungen ist, dort tätig zu werden. Wir haben auch gesehen, dass die UN-Generalversammlung zu Russland eine klare Mehrheit
hat.
Ich glaube, das macht Hoffnung auf eine Welt, in der Menschenrechte, Freiheit und Demokratie eine Rolle spielen und wichtig sind. Es gibt sie, diese
Menschen, die sich nach Freiheit und Menschenrechten sehnen, und in China sehen wir sie jetzt auch. Das verdient unseren vollen Respekt und unsere volle
Unterstützung.
({4})
Letzte Rednerin in der Aktuellen Stunde ist für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Agnieszka Brugger.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Zeichen des Protests genügt in China heute mittlerweile ein weißes Blatt Papier.
„Mehr gibt es nicht zu sagen“, so bringen es die Protestierenden dort auf den Punkt. Wir erleben dieser Tage eine sehr mutige und beeindruckende Bewegung in
inzwischen zahlreichen Großstädten, die größte seit den Protesten 1989 im Land, die im Tiananmen-Massaker blutig niedergeschlagen wurden. Vor dem Hintergrund
der Proteste 1989, der Demokratiebewegung in Hongkong, den krassen Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren und in Tibet sollte von dieser Debatte die
Botschaft an die Menschen dort ausgehen: Wir haben euch nicht vergessen.
({0})
Bei all diesen Entwicklungen, auch bei den aktuellen Protesten kennt die chinesische Regierung nur eine Antwort: Menschenrechtsverletzungen, massive
Polizeipräsenz, Festnahme und Einschüchterung, Zensur und Unterdrückung. Die chinesische Bevölkerung leidet unter einer gescheiterten Impfstrategie und unter
der Blockade von modernen mRNA-Impfstoffen. Die großflächigen und teilweise wochenlangen harten Lockdowns helfen eben nicht gegen Omikron. Sie führen vielmehr
zu gesundheitlicher und sozialer Not mit extremen ökonomischen und sozialen Folgeschäden, Produktionsausfällen und gestörten Lieferketten, die dann wiederum zur
niedrigsten Wachstumsrate seit Jahren führen.
({1})
– Ich komme gleich zu Ihnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein tragischer Brand mit zehn Todesopfern, bei dem die Löscharbeiten durch den rigiden Lockdown erschwert wurden, war
der konkrete Auslöser der Proteste. Es geht den Protestierenden aber nicht allein um eine harte, unverhältnismäßige Lockdown-Politik. Vielmehr haben die
Bürger/-innen in China gespürt, dass die chinesische Führung unter dem Vorwand der Pandemiebekämpfung ihre Möglichkeiten zur Kontrolle bis in den privatesten
Bereich weiter ausgebaut hat.
({2})
Es muss endlich aufhören, dass immer wieder auch westliche Konzerne der chinesischen Führung die Möglichkeit lassen oder sie ihr gar geben, ihren
umfassenden Überwachungsapparat immer weiter auszubauen.
({3})
Es ist die Unzufriedenheit über die wirtschaftlichen Probleme, über die Jugendarbeitslosigkeit, über die Immobilien- und Bankenkrise, es ist der
Wunsch nach Freiheit, nach Offenheit, den die Menschen aus ihren Herzen und Köpfen auf die Straße tragen. Diese Sehnsucht, die verstehen wir, die sehen wir, und
die unterstützen wir.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind gerade die rechtsextremen politischen Kräfte, die so gerne die Autokraten hofieren und verehren und zugleich –
sehr erfolglos übrigens – versuchen, eine wertegeleitete und menschenrechtsorientierte Politik ins Lächerliche zu ziehen.
({5})
Wenn Sie nun den Mut und die Motivation der Menschen in China missbrauchen, damit es in Ihre Pandemie-Verschwörungsmythen-Propaganda passt, dann ist
das nicht nur zutiefst zynisch und dumm, sondern eine infame Instrumentalisierung dieser mutigen Menschen.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich an die Debatten aus der Anfangszeit der Pandemie denke und an all die Besserwisser, die vorhersagten, dass
autokratische Regime in der Pandemie handlungsfähiger seien, dann kann man nur sagen: Sie haben sich getäuscht. Nicht erst die aktuellen Proteste in China
machen deutlich: Regime, die ihren Bürgerinnen und Bürgern Menschenrechte und Freiheiten verwehren, sind nur vermeintlich stabil. Autokratien sind eben nicht
besser geeignet, um Lösungen zu finden. Sie leben in einer permanenten Angst vor der eigenen Bevölkerung. Repression und Unterdrückung sind Ausdruck von Angst;
sie sind kein Zeichen der Stärke.
({7})
Wie viele Autokratien handelt China aber nicht nur innenpolitisch zunehmend äußerst repressiv, auch in der Außenpolitik kennt die Kommunistische
Partei vor allem eine Richtung. Die militärischen Drohungen gegenüber den Menschen in Taiwan werden immer aggressiver.
({8})
Die Lage im Südchinesischen Meer wird schwieriger und gefährlicher. Wir haben es in den letzten Jahren mehr als einmal deutlich erlebt – ob bei der
Klimakrise, der Pandemie oder den zahlreichen Kriegen –: Es betrifft auch unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft und unseren Alltag, wenn die regelbasierte
internationale Ordnung geschwächt wird und ihre grundlegenden Werte verletzt werden.
({9})
Auch deshalb dürfen uns die zunehmenden Sorgen der Menschen in Taiwan nicht egal sein.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere außenpolitische Antwort auf die komplizierte Situation im Indo-Pazifik sollte nicht eine des Gegeneinanders
sein, sondern eine des Miteinanders und der Zusammenarbeit. Deshalb wollen wir die Zusammenarbeit mit Staaten wie Japan, Australien oder Neuseeland und den
vielen Partnerinnen und Partnern in Südostasien stärken. Das wird auch die China-Strategie der Bundesregierung, die Annalena Baerbock gerade erstellt,
beschreiben, –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– genauso wie sie Schluss machen wird mit einem Weiter-so der Vergangenheit. Sie wird die Grundlage bilden für eine China-Politik, in der Werte und
Interessen nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern in der sie Hand und Hand zusammenlaufen.
Vielen Dank.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuhörende! Wir beraten heute den Neunten Staatenbericht zum Übereinkommen der Vereinten
Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, kurz CEDAW oder einfach UN-Frauenrechtskonvention genannt.
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ So steht es in Artikel 3 Absatz 2 unseres Grundgesetzes. Wozu brauchen wir also zusätzlich noch eine
Frauenrechtskonvention?
Zum einen ist sie das völkerrechtlich wichtigste Abkommen für die Rechte von Frauen. Ihr Auftrag ist unsere Pflicht, auch weil diese Rechte in weiten
Teilen der Welt massiv unter Druck stehen. Denken wir zum Beispiel an die Frauen im Iran, die unser aller Solidarität verdient haben.
({0})
Zum anderen: Die Frauenrechtskonvention unterstreicht, dass die Diskriminierung von Frauen ein Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse ist.
Vielleicht formuliert sie das noch stärker als unser eigenes Grundgesetz. Sie verpflichtet uns, tatsächliche Gleichstellung aktiv zu fördern. Das heißt,
Bundesregierung, Bundestag, Länder, Kommunen und Justiz, alle sind gefordert; denn sie hat in Deutschland den Rang eines Bundesgesetzes.
Im Mai 2021 hat die damalige Regierung diesen Neunten Staatenbericht verabschiedet – eine Bilanz, was gleichstellungspolitisch in den vier Jahren
zuvor erreicht wurde, also Licht und Schatten. Im Mai kommenden Jahres stehen wir in der mündlichen Anhörung in Genf dazu Rede und Antwort, unter den kritischen
Augen der Zivilgesellschaft. Wir nehmen diesen Prozess sehr ernst. Wir haben uns als Ampelkoalition für diese Legislaturperiode viel vorgenommen; einiges davon
haben wir auch bereits erreicht.
({1})
Ich nenne zwei Beispiele. Erstens haben ungewollt schwangere Frauen mit der Abschaffung des § 219a endlich Zugang zu wichtigen medizinischen
Informationen zum Abbruch. Zweitens signalisieren wir mit der jetzt vorbehaltlosen Umsetzung der Istanbul-Konvention auch international, dass wir Gewalt gegen
Frauen entschlossen bekämpfen. Vorher gab es Vorbehalte gegen einzelne Paragrafen. Wir haben das aufgelöst.
({2})
Der Deutsche Bundestag befasst sich heute zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder mit der Frauenrechtskonvention. Für mich ist sie politischer
Auftrag und Richtschnur unseres Handelns.
({3})
Diese Bundesregierung ist übrigens die erste, die die Frauenrechtskonvention auch in ihrem Koalitionsvertrag verankert hat. Darum fördert mein Haus ab
dem 1. Januar 2023 auch die zivilgesellschaftliche CEDAW-Allianz Deutschland, damit die Frauenrechtskonvention noch bekannter wird und ihre Umsetzung noch
erfolgreicher.
({4})
Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen – für Gleichstellung und gegen die Diskriminierung von Frauen.
Herzlichen Dank.
({5})
Für die CDU/CSU hat das Wort die Kollegin Dr. Katja Leikert.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute – die Frau Ministerin hat es gesagt – über die Umsetzung der
UN-Frauenrechtskonvention. Das ist ein knapp 50-seitiger Bericht, eine Bestandsaufnahme aus fast allen Bereichen, in denen Frauen heute noch strukturelle
Benachteiligung erfahren. Von Gleichstellung bis Kinderbetreuung sind das natürlich alles wichtige Themen. Ich möchte meine Redezeit aber nutzen, um auf einen
Bereich zu zeigen, in dem Frauen mitten in Deutschland eklatante Menschenrechtsverletzungen erfahren.
Ich spreche von Hunderttausenden Frauen in der Prostitution, für die es zum Alltag geworden ist, von organisierten Banden Tag für Tag dutzende Male
verkauft zu werden. Das sind schwerste Körperverletzungen, sexuelle Misshandlungen und Freiheitsberaubung, die für eine überwältigende Mehrheit der
Prostituierten in Deutschland leider ganz normal geworden sind. Diese Frauen bleiben in dem Bericht und auch in dem, was Sie gesagt haben, Frau Paus, weitgehend
unsichtbar. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen dringend den Blick auf diese Situation richten.
({0})
Wo stehen wir da in Deutschland? Nach der Anerkennung von Prostitution als Dienstleistung von Rot-Grün vor 20 Jahren haben wir mit mehreren Gesetzen
versucht – vergeblich versucht –, die Bedingungen für Frauen erträglicher zu machen, zuletzt mit dem sogenannten Prostituiertenschutzgesetz. Fälschlicherweise
unterstellt das Gesetz, dass die Frauen als selbstständige Unternehmerinnen in diesem Bereich tätig sind, und das, obwohl längst bekannt ist, dass Deutschland
das Bordell Europas geworden ist. Es sind nach dem Gesetz gerade einmal 24 000 Frauen gemeldet, während manche Experten die tatsächliche Zahl in Deutschland
alleine auf bis zu 700 000 Frauen schätzen.
Im gesamten Ampelkoalitionsvertrag – insbesondere liebe Kolleginnen, schauen Sie da mal rein – kommt auf 144 Seiten das Wort „Prostitution“ nicht ein
einziges Mal vor.
({1})
Entweder haben Sie sich mit der prekären Situation abgefunden, oder es passt nicht in das linke pseudoliberale Weltbild, dass die überwiegende
Mehrheit der Frauen der Prostitution nur unter Zwang nachgeht und nicht etwa aus Selbstbestimmung.
({2})
– Ich behaupte das nicht, Herr Kollege. Unterhalten Sie sich einfach mal mit den Kriminalbeamten. Gehen Sie einfach mal raus, und schauen Sie sich die
Situation an.
Gutes Regieren heißt, ideologische Denkweisen auch mal abzulegen. Lassen Sie die Frauen bitte nicht länger warten, sondern schützen Sie diese wirksam.
Schauen Sie einfach mal über Ihren Tellerrand hinaus. In fast keinem Land in Europa sind Prostitution und der damit verbundene Menschenhandel so ausgeprägt wie
bei uns in Deutschland. Es gibt zahlreiche Länder, darunter Schweden – das ist den meisten bekannt –, Norwegen, Finnland, aber auch Frankreich, die sich beim
Schutz von Frauen in diesem Bereich für das sogenannte Nordische Modell entschieden haben. Dieses Modell nimmt die Freier in die Pflicht, schützt Prostituierte
und fördert gleichzeitig Ausstiegsmöglichkeiten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel, in Ihrem Koalitionsvertrag verweisen Sie gerne auf fortschrittliche skandinavische Vorbilder.
Verschaffen Sie doch mal in dem Bereich, in dem Frauen immer noch als Ware gesehen werden, dem Begriff der „Fortschrittskoalition“ wirklich die Ehre.
Im Hinblick auf die Entwicklungen vor Ort in den vergangenen Jahren würde ich Sie wirklich auffordern: Gehen Sie mal in Berlin in die
Kurfürstenstraße – wir waren vor Kurzem da und haben uns das angeschaut – oder auch in Frankfurt ins Bahnhofsviertel. Es kommt einem schier das Grauen, und das
können Sie wirklich nicht wegdiskutieren.
({3})
Seien Sie ehrlich zu sich selbst! Auch die gutgemeintesten Verbesserungen, beispielsweise im Rahmen des Prostituiertenschutzgesetzes, helfen wenig in
einem Bereich, in dem strukturelle Gewalt und die organisierte Ausbeutung von Frauen zum schrecklichen Alltag geworden sind.
Liebe Frau Paus, liebe Kolleginnen und Kollegen, Hunderttausende Frauen warten darauf, dass im nächsten Bericht in drei Jahren gute Fortschritte zum
heutigen Status quo erkennbar sein werden. Dazu haben Sie jetzt die Chance. Ergreifen Sie diese.
Vielen Dank.
({4})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Ariane Fäscher.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Frau Ministerin! Liebe Feministinnen und Feministen! Mehr als 40 Jahre Beitritt zur UN-Frauenrechtskonvention
und Deutschland ist in Sachen Gleichstellung immer noch auf Platz 24 von 27 in Europa. Wir lassen uns die patriarchale Idee der männlichen Überlegenheit
weiterhin viel kosten. Allein partnerschaftliche Gewalt schlägt jedes Jahr mit 2,75 Milliarden Euro für Polizei, Krankenhaus, Beratungs- und Schutzstellen zu
Buche. Es gibt bundesweit 350 Frauenhäuser, 100 Schutzwohnungen und etwa 600 Beratungsstellen. Das Unterstützungsangebot ist aber bei Weitem nicht ausreichend,
und es gibt große regionale Unterschiede. Die Schutzstruktur müsste etwa viermal so umfangreich sein und vor allem barrierefrei ausgebaut werden, so mahnt es
der GREVIO-Bericht an. Das wären 11 Milliarden Euro jedes Jahr, plus Baukosten und ohne die Kosten durch Arbeitsausfälle oder langfristige Therapien.
In Deutschland wird immer noch jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer oder sexualisierter Gewalt – in allen sozialen
Schichten. Neun von zehn Frauen mit Behinderungen erleben körperliche Gewalt und sexuelle Übergriffe. Jeden dritten Tag stirbt eine Frau, weil sie eine Frau
ist, durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners. Die Zahlen des Bundeskriminalamtes zeigen: Partnerschaftsgewalt in Deutschland bleibt auf hohem Niveau.
2021 wurden 143 604 Opfer partnerschaftlicher Gewalt polizeilich erfasst. In vier von fünf Fällen ist das Opfer eine Frau und der Täter ein Mann. Nur ein
Bruchteil der Taten kommt aber überhaupt zur Anzeige.
62 Prozent der Minijobber sind Frauen. Weit mehr als die Hälfte der Frauen arbeitet in Teilzeit. Frauen verdienen über ein Erwerbsleben betrachtet
über 40 Prozent weniger als Männer und sind doppelt so oft von Altersarmut betroffen. Dass Frauen dadurch auch ökonomisch nach wie vor in hoher Abhängigkeit
stehen, schwächt ihre Rolle in Partnerschaften weiter.
Wir haben uns in der Ampel in diesen Fragen die Latte hoch gehängt; Frau Ministerin hat schon darauf hingewiesen. Wir haben uns im Koalitionsvertrag
die Absicherung des Schutzes jeder Frau vorgenommen. Nichts weniger als das ist unser Anspruch.
({0})
Die Bundesregierung plant eine Dunkelfeldstudie sowie eine bundesgesetzliche Regelung für Schutz und Beratung. Sie arbeitet daran gemeinsam mit den
Ländern und Kommunen am Runden Tisch „Gemeinsam gegen sexuelle Gewalt“, gerade gestern wieder; wir als Bundestagsabgeordnete durften dabei sein.
Vor einem Monat wurde die unabhängige Berichterstattungsstelle zu geschlechtsspezifischer Gewalt am Deutschen Institut für Menschenrechte
eingerichtet. Diese Maßnahmen lobt auch der Europäische Rat. Jedoch mahnt er eine Koordinierungsstelle auf Bundesebene und die Entwicklung einer langfristigen
Gesamtstrategie an. Dringend müssen wir das Umgangsrecht mit Rücksicht auf die Interessen von Gewaltopfern reformieren.
({1})
Gesellschaftliche Ungleichheit entsteht genau wie Partnerschaftsgewalt aus Rollenbildern übersteigerter Männlichkeit. Es gilt als männlich, stark,
beschützend und Ernährer der Familie zu sein. Dazu gehört es, dominant und überlegen, mithin abwertend, mutig und auch machtbezogen zu agieren. Mann nimmt sich,
was Mann will. Oft gehen diese Bilder damit einher, keine Strategien für den Umgang mit Krisen, mit eigener Schwäche und Unterlegenheit oder mit Zurückweisung
gelernt zu haben.
({2})
Wie geht man ganz generell mit Gefühlen um? „Ein echter Junge weint nicht!“, ist nur eine dieser Rollenformeln, die uns die Familien und die
Gesellschaft mit auf den Lebensweg geben.
({3})
Wer glaubt, in jedem Fall der Stärkere sein zu müssen, wird das schlussendlich womöglich mit Fäusten durchsetzen. Fast alle Männer, die als Erwachsene
Gewalt anwenden, haben als Kind Gewalt erlebt. Boris von Heesen beziffert die Kosten toxischer Männlichkeit
({4})
mit 65,5 Milliarden Euro jährlich.
({5})
Zum Beispiel sitzen in Gefängnissen 94 Prozent Männer. Männer verursachen rund 50 Prozent mehr schwere Verkehrsunfälle. Ihre Sucht kostet
44 Milliarden Euro.
Herr Merz möchte für die Wirtschaft vorhandene Fachkräftepotenziale heben, habe ich heute Morgen gelesen. Das ist eine gute Nachricht. Denn das
Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat ausgerechnet, dass die gerechte Verteilung von Carearbeit in den Familien für Frauen eine gleichberechtigte
Teilhabe im Erwerbsleben ermöglichen würde.
({6})
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja. – Das würde 900 000 Arbeits- und Fachkräfte verfügbar machen.
({0})
Gleichberechtigte Männer hätten ein erfüllteres Leben und eine bessere Gesundheit sowie höhere Lebenserwartung.
({1})
Frau Fäscher, letzter Satz bitte, sonst ziehe ich das Ihren Kolleginnen ab.
Gleichstellung rechnet sich: volkswirtschaftlich und gesellschaftlich. Uijuijui, wenn das einer spitzkriegt.
({0})
Für die AfD-Fraktion hat das Wort Mariana Harder-Kühnel.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fußball-WM in Katar führt uns die Bigotterie des deutschen Establishments
eindrucksvoll vor Augen. Nimmt man in einem arabischen Land keine Rücksicht auf islamische Sitten, gilt man plötzlich als weltoffen. Wendet man sich hingegen im
eigenen Land gegen Verschleierung und importierte Gewalt gegen Frau, gilt man als Rechtsextremist.
({0})
Das ist eben der Unterschied zwischen der AfD auf der einen und den Kartellparteien auf der anderen Seite. Wir respektieren andere Kulturen, wollen
aber unsere eigene Kultur bewahren. Sie hingegen opfern im eigenen Land unsere Kultur zugunsten von anderen Kulturen, auf die Sie dann aber im Ausland gar keine
Rücksicht nehmen. Ihre Position ist falsch, unsere Position ist richtig. Es ist immer noch unser Land, und in unserem Land gelten unsere Regeln.
({1})
– Unser Land.
Dass es Frauen hierzulande oft sehr schlecht geht, ist die Folge dieser mangelnden kulturellen Selbstbehauptung. Das scheint politisch von Ihnen so
gewollt. So belehren Sie die Bürger, es sei kultursensibel, kein Schweinefleisch mehr in Kitas anzubieten oder Kruzifixe abzuhängen. Gleichzeitig gehen Sie aber
konservativen Gesellschaften im Ausland mit der Regenbogenflagge auf die Nerven.
({2})
Sie schaden damit den Bürgern im Inland und blamieren uns im Ausland.
({3})
Eine Kultur, die sich selbst nicht respektiert, wird eben auch von anderen Kulturen nicht respektiert. Eine solche Kultur ist dem Untergang
geweiht.
Sie öffnen die Grenzen für jeden, Sie verramschen die deutsche Staatsbürgerschaft, Sie lassen den Sozialstaat ausplündern. Vor allem machen Sie die
eigenen Frauen zu Freiwild. Die Frauenhäuser platzen aus allen Nähten. Fast 70 Prozent der Bewohnerinnen haben Migrationshintergrund.
({4})
Gegen Frauen gerichtete Gewalt wird überproportional häufig von Ausländern begangen. Bei einem Ausländeranteil von nur 12 Prozent sind 33 Prozent der
Gewalttäter Ausländer.
({5})
Genitalverstümmelungen, Zwangsehen, Ehrenmorde – all das ist auf dem Vormarsch, all das wird von Ihnen totgeschwiegen. Denn im vorliegenden Bericht
zur „Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau“ findet sich zu alledem – genau! – gar nichts, null, nada. In diesem Bericht taucht das Wort „Islam“
nicht ein einziges Mal auf,
({6})
dafür das Wort „Gender“ 81‑mal auf 54 Seiten.
Entsprechend irre ist auch Ihre linke Politik in der Praxis. So gibt die Stadt München für die Umstellung ihrer IT in gendergerechte Sprache satte
4 Millionen Euro aus – 4 Millionen Euro für Genderquatsch, die dann den völlig überfüllten Frauenhäusern fehlen. Es klingt brutal, aber es ist die Wahrheit: Die
Verhunzung der deutschen Sprache ist Ihnen wichtiger als der Schutz von Frauen vor brutalen Schlägern.
({7})
Auch hier im Bundestag kürzt man die Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen um 10 Millionen Euro. Frauenhäuser sind bundesweit nicht
ausreichend vorhanden, und jede vierte schutzsuchende Frau musste 2021 ihren Aufenthalt dort ganz oder teilweise selber bezahlen. Gerade die, die es sich nicht
leisten können, sind so der Gewalt weiterhin ausgeliefert, mit ihren Kindern. Was für eine politische Bankrotterklärung!
({8})
Nachts in den Parks, tagsüber in den Schwimmbädern – dort findet die wirkliche Diskriminierung von Frauen statt, weil sie sich dort nicht mehr
hintrauen, weil sie dort oft als verfügbare Schlampen behandelt werden,
({9})
weil sie dort häufig als Menschen zweiter Klasse gelten. Das ist importierte Frauengewalt. Hiergegen ist anzukämpfen, und zwar in Deutschland und
nicht in Katar.
({10})
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ausgerechnet in den Ländern, die Sie so gerne kritisieren, geht es den Frauen viel besser. In Polen und Ungarn werden Frauen seltener Opfer
körperlicher Gewalt.
({0})
Frau Harder-Kühnel, letzter Satz, bitte.
Der Anteil von Frauen in Führungspositionen beträgt in Deutschland mickrige 29 Prozent, im angeblich so konservativen Polen satte 43 Prozent, –
Frau Harder-Kühnel, ich entziehe Ihnen gleich das Wort, wenn Sie jetzt nicht zum Schluss kommen.
– ganz ohne Gleichstellungspolitik, ganz ohne Gendergedöns. Hören Sie also endlich auf, mit dem moralischen Finger auf andere zu zeigen. Es deuten
immer drei Finger auf Sie.
Vielen Dank.
({0})
Für die FDP-Fraktion hat das Wort die Kollegin Nicole Bauer.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Ministerin Paus! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich sage es in aller Klarheit: Frauenrechte sind
Menschenrechte, und sie sind unverhandelbar.
({0})
Und doch sehen wir aktuell in der Welt die Unterdrückung von Frauen, die Bedrohung von Leben und die Verachtung von Freiheit durch brutale Regime.
Tapfere Menschen gehen unter Einsatz ihres Lebens auf die Straße, um für ihre Rechte und gegen ihre Unterdrücker zu kämpfen. Wir alle stehen gerade in diesen
Tagen an der Seite der Menschen im Iran.
({1})
Wir Freie Demokraten treten für eine Welt ein, in der Frauen frei, sicher und selbstbestimmt leben können, ohne dass sie von patriarchischen
Strukturen unterdrückt werden. Das gilt natürlich auch für die Frauen auf der Flucht. Frauen und Kinder aus der Ukraine suchen aktuell Schutz bei uns, weil sie
in den letzten Monaten mitunter schlimmste Gewalterfahrungen machen mussten. Wenn wir also Diskriminierung ernst nehmen, dann müssen wir Gewalt gegen Frauen
ganz oben auf die Agenda setzen.
({2})
Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass es auch hierzulande Gewalt gegen Frauen gibt, in unserer Nachbarschaft, in Familien und am Arbeitsplatz. Die
Kriminalstatistik zur Partnerschaftsgewalt aus der vergangenen Woche spiegelt das wider: 2021 gab es allein 143 000 Fälle von Gewalt in Partnerschaften,
80 Prozent der Opfer waren weiblich. Fast jeden Tag stirbt hierzulande eine Frau durch die Gewalt ihres Partners oder Ex-Partners. Die Dunkelziffer ist noch
weit höher, als die Expertinnen und Experten das in den Statistiken ausweisen können. Die Lockdowns während der Coronapandemie waren lediglich ein
Brandbeschleuniger.
Also, meine Damen und Herren: Gewalt darf in keiner Form Platz in unserer Gesellschaft haben.
({3})
Sie beginnt nicht erst bei körperlicher Gewalt. Auch toxische Beziehungen, digitale Gewalt oder Cybermobbing sind ein massives Problem. Alle Menschen,
die Gewalt erfahren, brauchen unseren Schutz, im Ausland wie im Inland.
({4})
Genau aus diesem Grund wollen wir die Istanbul-Konvention möglichst rasch umsetzen. Wir brauchen eine nationale Strategie zur Umsetzung dieser
Konvention. Aus meiner Sicht sind dabei drei Punkte besonders wichtig: erstens eine bessere Koordination der Akteure in Bund und Ländern, zweitens eine sichere
Finanzierung von Frauenhäusern und mehr Plätze – diese müssen aber barrierefrei sein –, drittens eine Präventions- und Täterarbeit, die ausgebaut werden muss,
ebenso mehr Sensibilisierungs- und Aufklärungskampagnen.
Einen extrem wichtigen Schritt hat an dieser Stelle unser Bundesjustizminister Marco Buschmann bereits gemacht: § 46 des Strafgesetzbuchs soll
geändert werden und geschlechterspezifische Gewalt künftig stärker bestraft werden.
({5})
Meine Damen und Herren, Diskriminierung von Frauen findet nicht nur in Form von geschlechterspezifischer Gewalt statt. Seit der Ratifizierung des
CEDAW-Abkommens im Jahr 1985 ist sicherlich viel passiert; aber es gibt eben noch viel zu viel zu tun. Denn um echte, gelebte Chancengleichheit von Männern und
Frauen in unserem Land zu erreichen, ist noch viel zu tun. Es sind sicherlich schon einige Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt, wie beispielsweise die
Abschaffung des § 219a StGB. Damit ist ein sehr wichtiger Meilenstein gelungen. Aber es werden auch noch weitere Meilensteine folgen, beispielsweise bei der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf, einem Herzensthema von mir. Wir diskutieren aktuell ein Paket für mehr Partnerschaftlichkeit. Was wir uns für dieses Paket
vorstellen, geht weit über die Anpassungen zur Umsetzung der Vereinbarkeitsrichtlinie hinaus. Für mich ist dabei besonders wichtig – und das sage ich bewusst
als eine frischgebackene Mutter –:
({6})
ein flexibler, zweiwöchiger Partnerschutz nach der Geburt. Mutterschutz muss auch für Selbstständige möglich sein. Elterngeld und Elternzeit müssen
endlich flexibilisiert und entbürokratisiert werden.
({7})
Also, meine Damen und Herren, treten wir gemeinsam dafür ein, dass mehr Chancengleichheit zur Lebensrealität aller Menschen wird, deutschlandweit und
weltweit, ganz im Sinne von „Frauen, Freiheit, Menschenrechte“.
({8})
Herzlichen Glückwunsch zum Nachwuchs, liebe Frau Bauer!
({0})
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort Heidi Reichinnek.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am letzten Freitag, dem Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen, haben zahlreiche
Abgeordnete kämpferische Fotos in den sozialen Medien gepostet oder Orange getragen, um auf die Bedeutung dieses Tages aufmerksam zu machen. Aus den Reihen der
Koalitionsfraktionen hieß es im Rahmen der Haushaltsberatungen auch, jetzt brauche es mehr als Symbolpolitik, es müssten endlich Taten folgen. Das ist absolut
richtig.
({0})
Denn: Jede dritte Frau in Deutschland erfährt im Laufe ihres Lebens körperliche oder sexualisierte Gewalt. Bei Frauen mit Behinderungen ist das Risiko
dreimal höher. Noch immer wird jeden zweiten bis dritten Tag eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet. Das Schockierendste an diesen Zahlen ist,
dass sie sich nicht ändern, dass nichts passiert.
Der CEDAW-Bericht sagt auch ziemlich deutlich, woran das liegt. Er kritisiert nämlich, dass Deutschland immer noch keine umfassende
Präventionsstrategie im Kampf gegen Gewalt an Frauen hat. Nun ist dieser Bericht schon vom letzten Jahr, damals hatten wir noch keine Ampelregierung, sondern
eine Große Koalition, und die hat dann zu diesem Vorwurf gesagt: Doch, die haben wir. Schließlich sei die Istanbul-Konvention 2018 in Kraft getreten, und das
sei ja nach deutschem Verfassungsrecht nur möglich, wenn die Anforderungen der Konvention im nationalen Recht bereits erfüllt seien. Kontrolliert werde dies von
der GREVIO-Kommission; wir haben es gerade schon gehört. – Thema erledigt für die GroKo!
Jetzt hat die GREVIO-Kommission aber gerade einen neuen Bericht veröffentlicht, und darin sagt sie – Überraschung! –: Deutschland erfüllt die
Anforderungen eben nicht. – Das hat die neue Koalition auch erkannt und sich in ihren Koalitionsvertrag geschrieben, dass sie die Istanbul-Konvention
„vorbehaltlos” und „wirksam” umsetzen will. Die Vorbehalte werden zum Februar zurückgezogen. Das ist zu begrüßen, kostet aber auch nichts. „Wirksam“ würde
hingegen bedeuten, dass Mittel in die Hand genommen werden müssten, um notwendige Strukturen zu schaffen. Davon haben wir im Haushalt leider nichts gesehen – im
Gegenteil!
Die Koalition schreibt in ihrem Koalitionsvertrag:
Wir berücksichtigen die Bedarfe vulnerabler Gruppen wie Frauen mit Behinderung …
Die Konsequenz sehen wir: Das Bundesprogramm zum Ausbau von Frauenhäusern und Beratungsplätzen wurde von 30 Millionen auf 20 Millionen Euro gekürzt –
eine Kürzung um 30 Prozent genau in dem Programm, mit dem diese Angebote für Frauen mit Behinderung zugänglich gemacht werden sollen. Dabei ist die Ampel sonst
bei Mitteln für den Ausbau von Gebäuden gar nicht so knickerig. In den Ausbau des Bundeskanzleramts pumpt sie schließlich 770 Millionen Euro.
({1})
Weil nach über einem Jahr immer noch viel zu wenig passiert ist, legen wir heute einen Antrag vor, der die Bundesregierung dazu auffordert, endlich zu
handeln. Wir brauchen einen nationalen Aktionsplan, eine Koordinierungsstelle mit angemessenen finanziellen und personellen Ressourcen und einen Gesetzentwurf,
der dafür sorgt, dass die fehlenden 14 000 Frauenhausplätze – ich sage es noch mal: über 14 000 Frauenhausplätze fehlen in diesem Land – endlich aufgebaut
werden.
({2})
Bilder in den sozialen Medien schaffen vielleicht Aufmerksamkeit, aber sie lösen nicht die strukturellen Probleme. Um diese strukturellen Probleme zu
lösen, sind wir eigentlich hier. Deswegen: Nehmen Sie Geld in die Hand, machen Sie das, was Sie fordern, nämlich etwas anderes als Symbolpolitik, und
unterstützen Sie unseren Antrag!
({3})
Der CEDAW-Bericht zeigt: Es wird Zeit. Stürzen wir das Patriarchat!
({4})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Denise Loop.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon vor über 36 Jahren hat Deutschland die Menschenrechtskonvention CEDAW
ratifiziert. Sie widmet sich der Beseitigung aller Formen von Diskriminierung gegen Frauen. Sie verpflichtet die Vertragsstaaten zur rechtlichen und faktischen
Gleichstellung in allen Lebensbereichen. Dieser Verpflichtung ist Deutschland bisher allerdings nicht ausreichend nachgekommen. Das wurde schon 2017 durch die
UN-Frauenrechtskommission festgestellt. Auf zwei zentrale Kritikpunkte möchte ich hier besonders eingehen.
Erstens: die deutsche Regelung zum Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch. Sie bedeutet, dass ungewollt Schwangere immer noch kriminalisiert,
stigmatisiert und in ihrer körperlichen Selbstbestimmung eingeschränkt werden. Auch die damit verbundene Pflichtberatung, die Tatsache, dass die
Krankenversicherungen die Kosten für einen Abbruch nicht übernehmen, und die prekäre Versorgungslage sind Folgen dieser Kriminalisierung. Aus dem aktuellen
Bericht – ich möchte hier auf meine Kollegin Frau Leikert eingehen: das ist ein Bericht der letzten Regierung – wird deutlich, dass die Vorgängerregierung
nichts unternommen hat, um das Recht auf einen selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch zu gewährleisten.
({0})
Die Kritik des Frauenrechtsausschusses der UN, die Forderungen der WHO, die Verpflichtungen aus dem ratifizierten Abkommen wurden einfach ignoriert,
der so notwendige und wichtige Fortschritt bei reproduktiver Selbstbestimmung verschlafen. Doch damit ist jetzt endlich Schluss.
({1})
Wir als Ampelkoalition gehen die vielen überfälligen gleichstellungspolitischen Vorhaben an. Das hat unsere Gleichstellungsministerin Lisa Paus vorhin
schon deutlich gemacht.
({2})
Ein erster Erfolg ist die Streichung des § 219a aus dem Strafgesetzbuch. Wir haben den Zugang zu Informationen zum Schwangerschaftsabbruch und die
rechtliche Lage von Ärztinnen und Ärzten endlich verbessert. Doch dabei dürfen wir nicht stehen bleiben. Als nächster Schritt muss die Kommission zu
reproduktiven Rechten und Fortpflanzungsmedizin eingesetzt werden. Unser Ziel ist es, dass Frauen endlich selbstbestimmt über ihren Körper und ihr Leben
entscheiden können.
({3})
Ein zweiter zentraler Kritikpunkt des CEDAW-Ausschusses betrifft den Schutz vor Gewalt für alle Frauen. Auch diese Verpflichtung wurde von der
Vorgängerregierung nur mangelhaft umgesetzt. Aber wir haben endlich wesentliche Schritte eingeleitet. Wir haben eine staatliche Koordinierungsstelle im
Gleichstellungsministerium eingerichtet, die eine ressortübergreifende nationale Strategie für Gewaltschutz erarbeitet. Auch die unabhängige
Berichterstattungsstelle gegen geschlechtsspezifische Gewalt im Deutschen Institut für Menschenrechte hat ihre Arbeit aufgenommen und wird überprüfen, ob
Deutschland die internationalen Vorgaben wirklich effektiv umsetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Beseitigung aller Formen von Diskriminierung gegen Frauen, zu der sich Deutschland mit dem Unterzeichnen von CEDAW
verpflichtet hat, können wir nur erreichen, wenn Frauen endlich auch in ihrem Recht auf reproduktive Selbstbestimmung gestärkt werden und ein Leben frei von
Gewalt führen können. Hier werden wir als Ampelkoalition zügig vorangehen.
Vielen Dank.
({4})
Für die Unionsfraktion hat das Wort die Kollegin Mareike Lotte Wulf.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In diesen Tagen läuft die Fußball-WM in Katar. Vor ein paar Tagen rannte ein
Mann während des Spiels Portugal gegen Uruguay auf das Spielfeld. Auf seinem T‑Shirt stand: „Respect for Iranian Woman“. Frauen stehen derzeit im Mittelpunkt
einer politischen Bewegung im Iran, die sich gegen ein Terrorregime auflehnt, ein Regime, das Frauen seit über 40 Jahren im Namen der Religion unterdrückt, mit
martialischen Strafen und sexualisierter Folter belegt oder wie im Falle von Jina Mahsa Amini tötet. Kein Beispiel macht deutlicher – da gebe ich Ihnen recht,
liebe Frau Bauer –: Frauenrechte sind Menschenrechte, und wir als demokratische Gesellschaften müssen uns immer an der Umsetzung der Rechte der Frauen messen
lassen.
({0})
Der CEDAW-Bericht zur Umsetzung der UN-Konvention zum Verbot der Diskriminierung von Frauen ist Ausdruck davon. Die letzte Bundesregierung hat diesen
Auftrag ernst genommen. In den letzten fünf Jahren wurden unter anderem umgesetzt: eine ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie, die Einrichtung einer
Bundesstiftung Gleichstellung und, besonders wichtig, die Aufwertung der sozialen Berufe. Das, was die UN von der Bundesregierung will, kommt auch in Artikel 3
Absatz 2 Grundgesetz – die Ministerin hat ihn schon erwähnt – zum Ausdruck. Man könnte auch sagen: Walk the talk! Es ist ein Bericht, der den tatsächlichen
Fortschritt der Umsetzung der Gleichstellung von Frauen dokumentiert. Dass das sehr viel Arbeit ist, ist, glaube ich, unumstritten. Deshalb möchte ich allen
beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ministerium für diese mühevolle Arbeit danken.
({1})
Speziell möchte ich auf den Bereich „Bildung und Arbeit“ eingehen. Die gute Nachricht ist – das ist auch keine neue Nachricht –: Der Zugang zum
Bildungssystem in Deutschland ist für Frauen nicht nur im gleichen Maße gewährleistet; sie schneiden sogar leicht besser ab. Seit 1992 haben jährlich mehr
Mädchen als Jungen die Schule mit dem Abitur verlassen. 2020 waren über 50 Prozent der Studienberechtigten weiblich. In dem Bericht fehlt mir persönlich, dass
kein Schlaglicht auf die duale Berufsausbildung geworfen wurde. Ich möchte diejenigen, die den Bericht erstellen, bitten, genau dieses Thema stärker in den
Fokus zu rücken; denn es ist eine Besonderheit des deutschsprachigen Bildungssystems, das eben ganz stark zur Bildungsgerechtigkeit beiträgt. Das müssen wir aus
meiner Sicht gerade international immer wieder betonen, weil natürlich nicht so explizit danach gefragt wird.
({2})
Während der Zugang zu Bildung unumstritten gewährleistet ist, haben wir große Unterschiede bei der geschlechtsspezifischen Berufswahl. Deshalb ist es
aus meiner Sicht gut, dass die vergangene Bundesregierung einen großen Schwerpunkt auf die sogenannten Frauenberufe gelegt hat. Wir wissen, dass in der Pflege
der Anteil der Frauen zum Teil bis zu 95 Prozent beträgt. Das Pflegeberufereformgesetz, die Konzertierte Aktion Pflege, die Ausbildungsoffensive Pflege – das
alles waren Initiativen, die auf den Weg gebracht wurden und die zu Recht positiv bewertet werden.
Aber was passiert jetzt? Mit Verlaub, Frau Ministerin: Seit die Grünen das Ministerium übernommen haben, fehlt uns jegliche frauenpolitische
Initiative. Sie ist nicht mehr zu beobachten.
({3})
Dabei haben Sie einen ganz klaren Auftrag: jetzt für die Frauen in der Krise in Deutschland einzutreten. Gerade in den sogenannten Frauenberufen misst
diese Regierung mit zweierlei Maß. Der Pflegebonus wird eben nicht an alle Frauen ausgezahlt, die auf einer Pflegestation im medizinischen Bereich arbeiten.
Warum haben Sie sich nicht dafür starkgemacht, dass auch die Hebammen oder die Pflegeassistenzen einen Pflegebonus bekommen? Warum sind die einfach ausgenommen?
Das versteht im Krankenhaus wirklich niemand, und es gefährdet auch den innerbetrieblichen Frieden in diesen Einrichtungen.
({4})
Auch in der aktuellen Energiekrise sind Frauen ganz besonders betroffen. Deshalb würde ich mir mehr Aktion von Ihnen wünschen, Frau Paus. Unseren
Antrag zur Verbesserung der Situation von Alleinerziehenden haben Sie einfach abgelehnt.
({5})
Ich habe mit Alleinerziehenden gesprochen, die mir gesagt haben, sie überlegen, ihre Berufstätigkeit in Teilzeit jetzt aufzugeben, weil dann die
Energiekosten und auch der Nachhilfeunterricht übernommen werden. – Das können wir doch nicht akzeptieren.
Wenn Sie mir jetzt sagen: „Na ja, das dritte Entlastungspaket hat Verbesserungen gebracht“, dann muss ich leider das DIW zitieren. Das sind ja nun
nicht immer nur unsere Freunde, aber das DIW sagt ganz klar: Alleinerziehende Normalverdiener haben am wenigsten von diesem Entlastungspaket profitiert.
Liebe Frau Paus, meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie Frauen in dieser Krise nicht allein! Es trifft sie sonst mit doppelter Wucht, und
auf diesen Doppel-Wumms wollen Frauen in diesem Land nun wirklich verzichten.
Vielen Dank.
({6})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort Josephine Ortleb.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die UN-Frauenrechtskonvention, kurz CEDAW, steht für viele
Gesichter: für die Rentnerin, die von Altersarmut betroffen ist, obwohl sie ihr Leben lang gearbeitet hat; für die Frau im Rollstuhl, die nicht ins Frauenhaus
kann, weil das nicht barrierefrei ist; und für die alleinerziehende Kassiererin, die nicht arbeiten kann, weil die Öffnungszeiten der Kita nicht zu den
Öffnungszeiten des Supermarktes passen. Diese Beispiele zeigen: Wir müssen unseren Anspruch an eine gleichberechtigte Gesellschaft endlich mit der Realität
zusammenbringen.
({0})
CEDAW ist da auch ganz klar: Gleiche Rechte reichen dabei nicht. Was zählt, ist die Lebensrealität und damit die tatsächlichen Verbesserungen für das
Leben von Frauen. Wir wollen Fakten schaffen; denn es kommt auf das Endergebnis an. Das ist mein Anspruch, und das ist unser Anspruch als SPD-Fraktion.
({1})
Der neunte Staatenbericht spricht für sich. Wir konnten in der letzten Legislaturperiode mit einem SPD-geführten Frauenministerium viele gute Projekte
anstoßen, und das trotz der Union. Trotz der Union haben wir das Führungspositionen-Gesetz erweitert, trotz der Union haben wir Verbesserungen in der
Kinderbetreuung durch das Gute-KiTa-Gesetz hinbekommen, und trotz der Union haben wir die Grundrente geschaffen, die mehrheitlich Frauen hilft.
({2})
In der Ampel können wir jetzt endlich weitergehen, und es ist noch mehr möglich. Wir werden die Istanbul-Konvention vorbehaltlos umsetzen, die
Antidiskriminierungsarbeit stärken, die Besteuerung geschlechtergerecht gestalten, Verhütung für viel mehr Frauen kostenfrei zugänglich machen und einen
Gleichstellungscheck einführen. Das sind echte Verbesserungen für die Lebensrealitäten von Frauen.
({3})
Die UN-Frauenrechtskonvention hat aber nicht nur ein weibliches Gesicht, sondern auch ein männliches: zum Beispiel den Vater, der sich für eine
Vollzeitstelle entscheidet, obwohl er lieber weniger arbeiten würde, oder den jungen Mann, der sich vorstellen könnte, Erzieher zu werden, sich aber dafür
entscheidet, die Ausbildung zum Industriemechaniker zu machen.
Hinter diesen Entscheidungen stehen natürlich finanzielle Anreize, aber leider auch immer noch viel zu oft stehen dahinter Stereotype und
Geschlechterklischees. CEDAW ist auch hier sehr deutlich. Wenn wir Geschlechtergerechtigkeit erreichen wollen, müssen wir diese überkommenen Rollenmuster
endlich aufbrechen.
({4})
Die UN-Frauenrechtskonvention hat aber auch viele internationale Gesichter. Eines dieser Gesichter – wir haben den Namen schon gehört – ist Jina Mahsa
Amini. An ihrem Schicksal sehen wir ganz deutlich, was es bedeutet, wenn Frauenrechte nicht anerkannt werden. Der Iran ist eines der wenigen Länder weltweit,
das CEDAW nicht beigetreten ist.
Deutschland muss sich in den geeigneten Gremien der UN für die Menschen, für die Frauen im Iran einsetzen. Deswegen bin ich froh, dass der
UN-Menschenrechtsrat auf Initiative von Deutschland eine unabhängige Untersuchung der Gewalt im Iran beschlossen hat. Die Frauen im Iran zeigen mit ihren
Protesten, dass Frauenrechte Menschenrechte sind. Sie zeigen, dass die Freiheit einer Gesellschaft erst durch die Freiheit von Frauen erreichbar wird. Die
Frauen im Iran verteidigen gerade die Rechte von Frauen weltweit.
({5})
Was wir tun können, ist, für sie laut zu sein, mit unseren Stimmen ihren Mut in die Welt zu tragen. Für mich ist klar: Wenn wir Frauen zusammenstehen,
wird die Welt eine bessere.
Vielen Dank.
({6})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort Heike Engelhardt.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin Paus! Liebe Kolleginnen und Kollegen und liebe Schüler/-innen heute hier im Haus! Noch immer werden
Frauen strukturell benachteiligt, diskriminiert, ausgegrenzt,
({0})
sind von geschlechtsbezogener Gewalt betroffen. Wir haben schon viele Anstrengungen unternommen, dies zu beseitigen, aber wir müssen besser werden.
Das schulden wir allen Frauen in unserem Land.
Es ist wichtig, dass ein gleichstellungspolitischer Plan in einen europäischen und internationalen Rahmen eingebettet ist. Deutschland sollte in
diesem Bereich als Vorbild handeln können. Aber um international für Frauenrechte einstehen zu können, müssen wir erst hier Ungerechtigkeiten und
Diskriminierung beseitigen. Deswegen ist es richtig, dass wir in unserem Koalitionsvertrag die Umsetzung der Istanbul-Konvention festgeschrieben haben und dass
wir auch heute hier im Plenum darüber sprechen.
({1})
Ich bin froh über Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen, und gleichzeitig brauchen wir Maßnahmen für gleichberechtigte Beteiligung. Wir haben jetzt die
Gelegenheit, international Standards zu setzen. Auch in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates setzen sich die demokratischen Fraktionen für mehr
Frauenrechte ein: Zum Beispiel wurde im Oktober auf die hohe Diskriminierung von Frauen im Sport hingewiesen. Frauen haben im Sport schlechte
Zugangsvoraussetzungen, verdienen als Sportlerinnen weniger als Männer, sind sexueller Gewalt ausgesetzt und sind in den Verbänden oft nicht angemessen
vertreten. Gerade jetzt im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft müssen wir wieder auf Frauenrechte hinweisen. Denn am Ende zählt: Frauenrechte sind
Menschenrechte.
Vielen Dank.
({2})
Damit schließe ich die Aussprache.
Frau Präsidentin! Herr Minister Schulze aus Sachsen-Anhalt! Frau Staatssekretärin! Kolleginnen und Kollegen! Wir stellen Ihnen heute einen Antrag zu
einer nationalen Kraftanstrengung für einen besseren Waldbrandschutz vor. Ich glaube, dies ist ein Antrag, der uns in Summe hier im Haus vereint. Wir alle
wissen nämlich, dass der Wald eines der ökologischen Systeme ist, das für uns jetzt am wichtigsten ist: für den Klimaschutz, für das ökologische Gleichgewicht,
übrigens auch für die Bewirtschaftung und auch als großer CO2-Speicher, den wir allumfassend hier im Land und überall brauchen.
Sie wissen vielleicht, dass wir in 2019 einen Rekord an Waldbränden hatten, was uns nicht gutgetan hat. Die Vegetationszeit, die es braucht, bis so
ein verbranntes Gebiet, bis eine verbrannte Strecke wiederaufgeforstet werden kann, kann Jahrzehnte dauern, bei Kiefernmonokulturen, die wir uns ohnehin nicht
wünschen, aber bis zu 100 Jahre.
Meine Damen und Herren, deswegen wollen wir Sie jetzt animieren und dafür werben, dass Sie diesem Antrag beitreten, indem wir darum bitten, dass wir
die Dinge einmal kurz betrachten. Wir haben eine Feuergefährdung durch den Menschen. Im Übrigen ist die Brandstiftung eine der Hauptursachen dafür, dass es
überhaupt zu einem Waldbrand kommt, sei sie fahrlässig oder vorsätzlich veranlasst.
Wir haben feuerbegünstigende Faktoren: Dazu gehört Totholz. Wälder mit Totholz haben unter anderem auch eine hemmende Wirkung bei der
Waldbrandbekämpfung. Wir haben vergraste Waldbestände. Und wir haben durch Schädlingsbefall – wir wissen, dass dieser in diesen Zeiten immer heftiger wird –
eine enorme Gefährdung, weil auch dadurch diese feuerbegünstigenden Faktoren entstehen.
Gleichzeitig haben wir brandbekämpfungserschwerende Faktoren. Das sind, wie ich schon sagte, der massive Totholzbestand, aber auch unzugängliche
Flächen: weil wir Wege haben, die für die Feuerwehren nicht zugänglich sind, weil sich unsere Feuerwehren dem Brand nicht nähern können und damit die Bekämpfung
eines Brandes, wenn er denn entstanden ist, und seine Eindämmung umso schwerer werden. Auch hier müssen wir ran.
Das Gleiche gilt für die Munitionsbelastung, die wir übrigens hauptsächlich hier in den Wäldern rund um Berlin und in Brandenburg immer noch haben,
und insgesamt geografische Unzulänglichkeiten, die ich Ihnen aus dem Alpenrand genau so schildern kann, in gebirgigen Gegenden. All dies hat uns veranlasst,
heute zu sagen: Wir müssen gemeinsam ein bisschen mehr helfen, statt uns nur auf die Kommunen mit ihren Freiwilligen zu verlassen.
Wir wissen: Die freiwilligen Feuerwehren sind dabei derzeit unser Rückgrat, sodass wir bei der Brandbekämpfung keine großen Schwierigkeiten haben.
Aber wenn der Brand größer wird, dann kommen die Feuerwehren nicht näher als 500 Meter ran. Dann geht es um eine andere Art von Bekämpfung. Dafür brauchen wir
Löschflugzeuge, Drohnen – zur Beobachtung, aber auch zur Bekämpfung – und entsprechende Löschhubschrauber. Meine Damen und Herren, hier können wir die Kommunen
und die Länder nicht alleinlassen. Hier müssen wir gemeinsam handeln. Hier ist jetzt der Bund gefragt.
({0})
Deswegen, Kolleginnen und Kollegen, darf ich noch mal dafür werben, dass wir hier gemeinsam beim Katastrophenschutz nicht sparen, bei unseren THWen,
die wir brauchen, nicht sparen, bei der Bundeswehr, die auch national gebraucht wird, nicht sparen, sodass insgesamt koordiniert werden kann, dass wir
Brandflächen schnell eindämmen können.
Und natürlich brauchen wir eine entsprechende Prävention. Dafür bedarf es der Zusammenarbeit zwischen den Staatswäldern, aber auch mit den privaten
Waldbesitzern; denn es ist ganz wesentlich, dass auch sie ihre Wälder schützen, aber auch die Bewirtschaftung entsprechend aufstellen. Ich denke da an die
Beendigung der Monokulturen und den Aufbau einer Plenterwaldwirtschaft, damit die Wälder resilienter gegen die Ausbreitung von Bränden sind.
Meine Damen und Herren, ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns hier zusammenraufen und den Antrag gemeinsam in diesem Hause verabschieden könnten.
Letztendlich will, glaube ich, keiner von uns von Waldbränden lesen, sondern lieber seinen Adventskranz sehen und einen kleinen Weihnachtsbaum, möglicherweise
einen gut duftenden aus eigenen Wäldern, haben. Vor allen Dingen suchen die Menschen in den Wäldern Erholung, die Tiere, die dort leben, suchen Schutz, und die
vielfältige Natur, die sich dort ausbreitet, braucht ebenfalls Schutz. Deswegen darf ich Sie herzlich bitten, unserem Antrag zuzustimmen.
Vielen Dank.
({1})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort Ingo Schäfer.
({0})
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Gäste! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe den Eindruck, dass wir alle das Problem erkannt haben.
Wenn sowohl die Unionsfraktion als auch die Die Linke Anträge zum Thema „Waldbrände in Deutschland“ einbringen, scheint angekommen zu sein, dass dies ein
wichtiges Thema ist.
In den Jahren 2018 und 2019 brannten insgesamt rund 5 000 Hektar Wald in Deutschland. Wir alle sehen jedes Jahr, was das Umweltbundesamt anhand von
Statistiken feststellt: Die Waldbrandgefahr steigt. Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung verzeichnete für das Jahr 2021 bundesweit 548 Waldbrände,
mehr als die Hälfte mit unbekannter Ursache. Von März bis Oktober brannte in Deutschland immer irgendwo ein Stück Wald. Die Waldbrandgefahr besteht also nahezu
ganzjährig, und kaum ein Bundesland bleibt verschont.
Wir können auch feststellen: Ohne die Amtshilfe des Bundes sind die schweren Waldbrände nicht zu löschen. Bundeswehr und Bundespolizei haben im
vergangenen Jahr in Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Sachsen geholfen, Waldbrände zu löschen. Bei jedem größeren Waldbrand sind neben den Feuerwehren auch
die Helferinnen und Helfer des THW im Einsatz.
({0})
Sie sind eine notwendige Ergänzung des Katastrophenschutzes der Länder. Hinzu kommen die Fähigkeiten von Bundespolizei und Bundeswehr.
Zwar waren die Polizeihubschrauber des Landes NRW beim Waldbrand im Sauerland im Sommer im Einsatz. Aber es reichte offenbar nicht aus. Der
Katastrophenschutz in Deutschland ist auf die Bundespolizei und auf die Bundeswehr angewiesen. Die Bundeswehr verfügt über 159 Hubschrauber, die für
Löscharbeiten aus der Luft infrage kommen. Die Bundespolizei unterhält fast 80 Hubschrauber. Allerdings ist die Tragfähigkeit der leichten Transporthubschrauber
sehr beschränkt.
Deshalb ist es ausdrücklich zu begrüßen, dass Innenministerin Nancy Faeser sehr frühzeitig in ihrer Amtszeit entschieden hat, die neu zu beschaffenden
44 Transporthubschrauber für die Bundespolizei mit Winden für die Personenrettung und der Aufnahmemöglichkeit für Löschwasser-Außenlastbehälter auszustatten.
Der Doppelnutzen ist offensichtlich: Sie dienen den Aufgaben der Bundespolizei, und sie können im Notfall zur Menschenrettung und für die Bekämpfung von Wald-
und Wiesenbränden eingesetzt werden.
({1})
Wichtig ist mir, dass die Bundesregierung in Zukunft eine Bereitschaft für den Bevölkerungsschutz einrichtet, die im Rahmen der Amtshilfe des Bundes
in der Not sofort verfügbar ist, zum Beispiel zur Bekämpfung von Waldbränden oder bei Flutkatastrophen wie im Ahrtal; diese Tragödie darf sich nicht
wiederholen. Die Fähigkeiten müssen verfügbar sein, und es muss klar sein, wer über ihren Einsatz entscheidet.
Schließlich muss es ein schnelles Entscheidungsverfahren geben. In der Not können wir nicht stundenlang warten, bis der Antrag einer Kommune über die
Bezirksregierung und das Landesministerium zur Bundesregierung und wieder zurück gelaufen ist. Also noch mal: Ohne die Amtshilfe des Bundes geht es nicht.
Ein weiteres gutes Beispiel für den Doppelnutzen sind die Löschflugzeuge, die die Bundesregierung nun beschafft. Im Sommer brauchten wir
Löschflugzeuge aus Italien, um im Harz Waldbrände aus der Luft bekämpfen zu können. Die Europäische Union finanziert Löschhubschrauber und Löschflugzeuge über
ihre Katastrophenschutzverfahren. Die bisherigen Innenminister haben sich bei diesem Programm nicht beteiligt. Auch das hat unsere Innenministerin Nancy Faeser
zusammen mit ihrem Innenministerkollegen aus Niedersachsen Boris Pistorius geändert.
({2})
Deutschland wird sich am EU-Programm mit zwei Löschflugzeugen beteiligen. Das ist gut für die europäische Solidarität, und es ist gut für unser Land,
wenn wieder mal großflächige Waldbrände entstehen. Der Doppelnutzen für unsere EU-Politik und den Bevölkerungsschutz liegt auf der Hand.
Sehr geehrte Damen und Herren, wir sind politisch verantwortlich dafür, bestmöglich vorzusorgen. Wir sind aber auch verantwortlich dafür, dass viele
Tausend Helferinnen und Helfer in den nächsten Notsituationen besser ausgerüstet und vorbereitet sind. Und wir sind verantwortlich dafür, aus den Fehlern der
Vergangenheit zu lernen.
Bevölkerungsschutz bedeutet, dass wir uns auf alle Eventualitäten bestmöglich vorbereiten, und das wird die Ampelkoalition auch in der
nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr leisten. In den vergangenen zwei Jahren haben wir kräftig in den Bevölkerungsschutz investiert. Gemeinsam mit den Ländern
haben wir das Gemeinsame Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz aufgebaut. Das GeKoB ist die Keimzelle dafür, dass Bund und Länder in Zukunft gemeinsam den Schutz
der Bevölkerung gewährleisten können. Das GeKoB wird sich um ein effizientes Ressourcenmanagement kümmern. Wenn ich von „wir“ spreche, dann meine ich Bund und
Länder. Wir haben beim Bevölkerungsschutz eine geteilte Kompetenz – so will es das Grundgesetz –: Bund und Länder sind beide verantwortlich. Sie müssen ihre
Fähigkeiten bündeln, auch um Kosten zu teilen und zu verringern.
Am Beispiel Waldbrand können wir zeigen, wie guter Bevölkerungsschutz aussieht. Das Szenario ist klar: ein großer Waldbrand, der von den
Einsatzkräften der Feuerwehr nicht in den Griff zu kriegen ist. Wir definieren in diesem Fall ein Schutzziel: der Schutz von Menschen, Umwelt und Wirtschaft vor
massiven Waldbränden. Anhand des Schutzziels und des Szenarios bewerten wir die vorhandenen Fähigkeiten. Wir sehen schnell, dass wir Schwachstellen haben, zum
Beispiel bei Hubschraubern und Löschflugzeugen, aber auch bei Vorsorge und Früherkennung durch Drohnen. Bund und Länder ergänzen ihre Ausstattung im
gegenseitigen Einvernehmen, um die Mängel schnellstmöglich zu beheben. Soweit Mängel auch bei den Zuständigkeiten, den Meldewegen und anderen Strukturen
bestehen, werden auch diese behoben. Am Ende steht der gute Bevölkerungsschutz für das Szenario Waldbrand.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Ampelkoalition wird auch im Bevölkerungsschutz gemeinsam mit den willigen Bundesländern mehr Fortschritt wagen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Wir haben die Zeitenwende im Bevölkerungsschutz eingeleitet und werden sie konsequent verwirklichen. Wir übernehmen politische Verantwortung und
werden den Erwartungen der Menschen gerecht.
Vielen Dank.
({0})
Für die AfD-Fraktion hat das Wort Steffen Janich.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Jahr 2022 hat uns Deutschen schmerzhaft die Gefahr durch Waldbrände vor Augen
geführt. Im Harz, in Brandenburg sowie in meiner Heimat, der Sächsischen Schweiz, kam es zu wochenlangen Bränden, welche riesige Waldflächen buchstäblich in
Asche legten. Wir – und ich hoffe, ich kann da im Namen aller Abgeordneten in diesem Hause sprechen – danken allen Helfern für den Fleiß, ihren Mut und ihre
unerschütterliche Opferbereitschaft im Kampf gegen die Flammen.
({0})
Es ist deswegen erforderlich, dass wir die Themen „Brandbekämpfung“ und „präventiver Waldbrandschutz“ in den Mittelpunkt rücken. Die
Kompetenzverteilung des Grundgesetzes sieht jedoch für die allgemeine Gefahrenabwehr grundsätzlich eine Zuständigkeit der Länder vor. Hierzu zählt auch der
Brandschutz. Eine Ausstattung des Bundes im Bereich des Brandschutzes kann den Katastrophenschutz der Länder nur ergänzen, aber nicht ersetzen. Eine Nutzung der
bundeseigenen Fahrzeuge und Geräte im Bereich der allgemeinen Gefahrenabwehr, also unterhalb der Schwelle zur Katastrophe, sieht das Gesetz bisher nicht vor,
sondern wird vom Bund lediglich geduldet.
Solange sich an der Zuständigkeitsverteilung zwischen Katastrophenschutz und Zivilschutz im Zusammenspiel mit den Ländern nichts ändert, ist es völlig
unzweckmäßig, den Bund zum Hauptprotagonisten der Waldbrandbekämpfung zu küren. Der Antrag der CDU/CSU tut aber genau das.
Ein moderner Bevölkerungsschutz darf den Katastrophenschutz und den Zivilschutz nicht länger trennen. Beide sind eine Einheit, und die Parlamente
müssen hierfür die Grundlage schaffen.
({1})
Im Wortlaut Ihres Antrags fordern Sie von der CDU/CSU die Bundesregierung auf, „das Mindeststrafmaß für vorsätzliche Brandstiftung auf zwei Jahre zu
erhöhen“. Die Strafbarkeit der Brandstiftung ergibt sich jedoch aus dem Strafgesetzbuch, also einem Parlamentsgesetz.
Die CDU ist seit nunmehr 70 Jahren hier im Bundestag vertreten. Offenbar müssen wir von der AfD Ihnen noch erklären, dass formelle Gesetze
grundgesetzkonform nur vom Bundestag selbst und nicht von der Regierung geändert werden können. Wenn es Ihnen mit der Forderung ernst ist, legen Sie doch bitte
einen Gesetzentwurf vor.
({2})
Zu dem Antrag der Linken bleibt festzustellen, dass er ähnlich dem Antrag von der CDU/CSU-Fraktion völlig außer Acht lässt, dass die länderoffene
Arbeitsgruppe Nationaler Waldbrandschutz bereits verschiedene Konzepte zur Brandbekämpfung erörtert hat. Die fachlich zuständigen Experten haben sich entgegen
Ihrer Antragsforderung einhellig gegen den Einsatz von Löschflugzeugen ausgesprochen.
Diese Erkenntnis finden Sie nunmehr auch im parlamentarischen „Dokumentations- und Informationssystem“, wenn Sie mit der gebotenen Sorgfalt zu diesem
Thema recherchieren. Diesen Umstand können auch Sie nicht einfach ignorieren. Im Innenausschuss haben Sie aber die Möglichkeit, Ihre Fehler im Änderungsantrag
auszubessern.
In dieser Form sind beide Anträge leider nicht zustimmungsfähig.
({3})
Eine Sache kann der Bund aber heute schon tun. Meine Anfrage zu dieser Thematik hat ergeben, dass der Bund den Ländern im Rahmen der ergänzenden
Ausstattung für den Katastrophenschutz in den letzten 15 Jahren 592 Löschgruppenfahrzeuge und 135 Schlauchwagen bereitgestellt hat. Der Stadtstaat Hamburg hat
vom Bund mehr Katastrophenschutzfahrzeuge erhalten als die waldreichen Flächenländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt zusammen. Ich werbe
dafür, dass bei der ergänzenden Ausstattung des Bundes künftig die vorhandene Waldfläche der Empfängerländer stärker Berücksichtigung findet. Das würde der
Verteilungsgerechtigkeit beim Katastrophenschutz wesentlich mehr entsprechen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Niklas Wagener.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Folgen der Klimakrise für den Wald sind auch in diesem Jahr durch zahlreiche
Waldbrände wieder sehr deutlich geworden. Eine Fläche von 660 000 Hektar Wald ist in Europa in diesem Sommer verbrannt. Auch in Deutschland musste eine nie
dagewesene Waldfläche dem Feuer weichen.
Zunächst möchte ich allen Einsatzkräften von der Feuerwehr über Polizei und Bundeswehr bis hin zu unseren Försterinnen und Förstern sehr für ihren
engagierten Einsatz auch in diesem Sommer danken.
({0})
Erst vergangene Woche war ich gemeinsam mit meinem Kollegen Eckert im Grunewald. Gemeinsam mit dem Berliner Landeskommando der Bundeswehr, der
Landespolizei und den Berliner Forsten haben wir uns über die Schäden des Waldbrandes informiert und auch über Lehren aus diesem Brandereignis gesprochen.
Während die genaue Brandursache auf dem Sprengplatz im Grunewald noch von einer Fachgutachterin ermittelt wird, steht sie in zahlreichen anderen Fällen längst
fest: Brandstiftung, eine unachtsame Zigarette oder das im Wald geparkte Auto mit heißem Motor. So banal es klingt: Der beste Schutz gegen Waldbrände bleiben
Achtsamkeit im Wald und das Bewusstsein in den Köpfen der Menschen, dass oft der kleinste Funke ausreicht, um einen Flächenbrand zu verursachen.
({1})
Als ich kürzlich mit dem renommierten Freiburger Feuerökologen Professor Goldammer zusammensaß, appellierte er noch mal an mich, dass wir 90 Prozent
unserer Anstrengungen in die Prävention investieren müssen. Auch wenn der durchaus richtige Ruf nach mehr Löschhubschraubern und Löschflugzeugen, auf den mein
Kollege Eckert gleich noch mal eingehen wird, politisch greifbarer und verlockender erscheint, dürfen wir nicht vergessen, wo der eigentliche Schwerpunkt
unserer Politik liegen muss, nämlich in der Bekämpfung der Brandursachen.
Als Ampelkoalition stellen wir 900 Millionen Euro für klimaangepasstes Waldmanagement zur Verfügung. Wer seinen Wald so bewirtschaftet, dass der
Waldumbau hin zu mehr standortheimischen Laubbäumen vorangetrieben wird, dass Entwässerungsstrukturen zurückgebaut werden, dass Artenvielfalt im Wald
vorangetrieben wird, erhält eine Bundesförderung; denn es sind die Kiefernreinbestände, die besonders gut brennen. Je naturnäher und artenreicher ein Wald
bewirtschaftet wird, umso besser ist er für die Herausforderungen der Klimakrise gewappnet. Wir müssen also alle Anstrengungen investieren, um den Waldumbau in
Deutschland zügig voranzutreiben und dadurch aktive Waldbrandprävention zu betreiben.
({2})
Der beste Waldbrandschutz bleibt am Ende des Tages der Klimaschutz. Wer nur auf Hubschrauber setzt, hat die Ursache nicht verstanden. Wir tun also das
eine, ohne das andere zu lassen.
Herzlichen Dank.
({3})
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort Dr. André Hahn.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Union fordert in ihrem Antrag durchaus viel Richtiges. Das meiste ist aus Sicht der Linken also im
Prinzip unterstützenswert, und wir sollten darüber in der gebotenen Gründlichkeit in den zuständigen Fachausschüssen diskutieren.
Was das Löschen von Bränden aus der Luft angeht, bleibt der Antrag aber leider viel zu zaghaft.
({0})
Sie beantragen lediglich, dass Bund und Länder die Beschaffung von Löschhubschraubern und ‑flugzeugen prüfen sollen.
({1})
Auch auf der EU-Ebene sprechen Sie beim rescEU-Mechanismus von aktiver Unterstützung, ohne wirklich konkreter zu werden. Das klingt für mich wenig
ambitioniert und setzt eigentlich nur den Kurs fort, der im unionsgeführten Innenministerium und im zivilen Bevölkerungs- und Katastrophenschutz der letzten
Jahre bedauerlicherweise Standard gewesen ist.
({2})
Als Abgeordneter aus der Sächsischen Schweiz bin ich davon überzeugt: Die Folgen solcher Zaghaftigkeit werden Menschen schlimmstenfalls schon in der
nächsten Waldbrandsaison ausbaden müssen. Deshalb müssen wir jetzt gegensteuern.
({3})
Dazu gehört auch, die jahrelange Diskussion über die Anschaffung von Löschflugzeugen möglichst schnell zu beenden und endlich Nägel mit Köpfen zu
machen, also die für die Brandbekämpfung erforderliche Technik vorzuhalten;
({4})
denn der Bedarf ist zweifelsfrei da, und die Einsatzszenarien sind es auch, in der Sächsischen Schweiz wie auch am Brocken – und ich mag mir gar nicht
ausmalen, in welchen Gebieten in Deutschland vielleicht schon in naher Zukunft.
Meine Damen und Herren, wir dürfen nicht abwarten, bis wir allein hier in Deutschland mehr Waldbrandeinsätze haben, als die vorhandenen EU-weiten
Kapazitäten abdecken können. Der Betrieb der Löschflugzeugstaffeln sollte auch nicht allein den Bundesländern oder europäischen Partnern auferlegt sein.
Waldbrandbekämpfung aus der Luft, das muss ein hoheitlicher und vor allem bundesweiter Auftrag sein.
({5})
Da irritiert es schon, dass SPD und Grüne sich laut Presseberichten dieser Tage für eine aus EU-, Bundes- und Landesmitteln finanzierte
niedersächsische Einheit von Löschflugzeugen einsetzen wollen. Wir brauchen aber keine regionalen Alleingänge, sondern eine bundesweite Lösung, und ich hätte im
Übrigen einige Ideen, wo diese Flugzeugstaffel auch in Ostdeutschland einen geeigneten Standort finden könnte.
({6})
Wenn Bundeskanzler Scholz im Rahmen der sogenannten Zeitenwende im militärischen Bereich ein 100-Milliarden-Euro-Aufrüstungspaket verkündet, dann
stellt sich die Frage, warum nicht auch im Bereich des zivilen Katastrophenschutzes ein halbwegs vergleichbares Engagement gezeigt wird; denn bundesweit waren
im nun ablaufenden Jahr wieder häufig die überwiegend ehrenamtlichen Feuerwehreinheiten gefordert. Ich will auch für meine Fraktion an dieser Stelle den
Einsatzkräften für ihr herausragendes Engagement noch einmal ganz herzlich danken.
({7})
Wir als Parlament müssen aber auch dringend dafür Sorge tragen, dass ihnen wirksame und effektive Einsatzmittel zur Verfügung stehen. Die Linke
fordert deshalb in einem eigenen Antrag die Bundesregierung dazu auf, eine Brandbekämpfungseinheit aufzustellen, die bei Waldbränden in Deutschland und in
Europa zum Einsatz gebracht werden kann. Dazu gehören unabdingbar auch Löschflugzeuge, die dann sowohl national als auch bei Bedarf im europäischen Bereich
eingesetzt werden.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Das mache ich, Frau Präsidentin. – Diskutiert haben wir lange genug. Jetzt gilt es, zu handeln.
({0})
Für die FDP-Fraktion hat das Wort die Kollegin Sandra Bubendorfer-Licht.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union! Ich habe Ihren Antrag aufmerksam gelesen, und
ich muss sagen: Ich stimme Ihnen in den meisten Punkten inhaltlich auch zu.
Dann komme ich aber zu dem Punkt, wo ich mich doch frage: Wieso haben wir in Deutschland nicht schon längst eine umfassende Waldbrandprävention?
Weshalb haben wir im Jahre 2022 noch kein umfassendes Monitoring in Sachen Waldbrände, das nun endlich auch im Rahmen der Resilienzstrategie der
Fortschrittskoalition aufgebaut wird?
({0})
Warum berichten mir bayerische Brandräte, dass sie im Falle eines flächendeckenden Waldbrandes lieber nicht da wären, weil man da so schlecht
aufgestellt sei?
Sie hatten 16 Jahre lang die Verantwortung im Bundesinnenministerium
({1})
und ebenso in den Ländern.
({2})
Bereits im Jahre 2018, als wir einen der heißesten Sommer seit Wetteraufzeichnung hatten, haben wir auf die Problematik und die enorme Gefahr von
Waldbränden und Dürreperioden hingewiesen. Als Antwort kamen dünne bis keine Auskünfte, nicht vorhandene Daten und große Fragezeichen.
Lobend erwähnen möchte ich jedoch Ihre Forderungen nach Drohnen und digitalen Präventionsmaßnahmen; da rennen Sie bei uns offene Türen ein. Genau das
gehen wir jetzt an. Das alles hätten wir aber auch gerne schon früher initiiert und auf den Weg gebracht gesehen. Deshalb war es richtig, dass wir uns als
Fortschrittskoalition dem europäischen Programm rescEU noch stärker verpflichtet haben. Aus diesem Programm ruft nun das Bundesland Niedersachsen zwei
Löschflugzeuge ab. Außerdem beschafft der Bund aktuell 44 neue Löschhubschrauber für die Bundepolizei.
Auch dieser Sommer hat gezeigt: Waldbrände und Dürreperioden werden aufgrund des Klimawandels stetig zunehmen. Uns wurde deutlich vor Augen geführt,
wie viele Regionen mittlerweile in Gefahr geraten, Waldbrandgebiet zu werden. Gut, dass hier die Fortschrittskoalition nun endlich anpackt.
({3})
Im Rahmen der im Juli verabschiedeten Resilienzstrategie werden wir als Bund unterstützend die Widerstandsfähigkeit des Waldes bei der Bewirtschaftung
und dem Umbau in den Blick nehmen. Schadensdaten werden dabei ebenenübergreifend und im Austausch mit der Wissenschaft aufbereitet. Ebenso werden die
Erfahrungen und Bewältigungsmaßnahmen vergangener Ereignisse ausgewertet und Handlungsempfehlungen in Kooperation mit der Forschung erstellt. Wichtiger,
grundlegender Ansatz dabei: Wir implementieren einen ressort- und ebenenübergreifenden Gesamtblick, um den dynamischen Anforderungen auch gerecht zu werden.
Die Fortschrittskoalition wirkt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir werden die Kompetenzen und Kapazitäten des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und
Katastrophenhilfe auch bei Waldbränden kontinuierlich ausbauen. Wir werden das 360-Grad-Lagebild im Gemeinsamen Melde- und Lagezentrum weiter ausbauen. Wir
werden ebenfalls den engen Austausch mit den Ländern und den Lagebildzentren vor Ort intensivieren. Sie sehen: Wir packen an, und das auch in Ihrem Sinne.
Lassen Sie mich Ihnen noch einen Gedanken mitgeben. Sie legen in Ihrem Antrag abschließend den Fokus auf die Erhöhung der Strafen. Bei vorsätzlicher
Brandstiftung bin ich vollkommen bei Ihnen. Aber ich bin der Ansicht, dass wir doch zunächst einmal die Menschen dafür sensibilisieren müssen, dass der Faktor
Mensch eben ein enorm großes Gefahrenpotenzial bei Waldbränden darstellt.
({4})
Wir müssen doch den Fokus auf Prävention und Vermeidung legen statt auf Bestrafung, nachdem ein Waldbrand Natur, Tier und Mensch gefährdet hat.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, packen wir gemeinsam im Bund, in den Ländern und in den Kommunen an, zum Wohle unserer wunderbaren Landschaft, unserer
Natur, unser aller Sicherheit. Ich freue mich über die konstruktive Unterstützung und Begleitung seitens der Union. Gemeinsam packen wir das!
Herzlichen Dank.
({6})
Für den Bundesrat hat das Wort Minister Sven Schulze.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich, heute hier auch als Vertreter der Länder
sprechen zu dürfen; denn es ist schon ein Thema, das uns in den Ländern sehr beschäftigt.
Wir hatten im Harz – das ist meine Heimat; da komme ich her – in diesem Jahr zwei große Waldbrände. Gerade bei dem letzten war ich tagtäglich mit der
Kollegin Heike Brehmer vor Ort, deren Wahlkreis das ist. Wir haben einmal mehr gesehen, welch wichtiges Thema das ist. Deswegen: Vielen Dank, dass Sie heute
darüber diskutieren. Allein in Sachsen-Anhalt hatten wir in den letzten drei Jahren über 500 Waldbrände. Nicht jeder dieser Waldbrände war in den Medien zu
sehen. Das zeigt trotzdem, wie wichtig es ist, auf dieses Thema hinzuweisen. Sachsen und Brandenburg haben ähnliche Erfahrungen machen müssen; das ist also ein
Thema für ganz Deutschland.
Wie wollen wir den Wald zukünftig besser schützen? Zuständigkeiten wurden schon benannt. Wir brauchen Waldbrandpräventionsmaßnahmen mit
Zuständigkeiten sowohl der privaten Waldbesitzer als auch des Staates. Da ist es umso wichtiger, dass wir eng zusammenarbeiten. Im Harz machen wir das gerade
ganz intensiv. Der Nationalpark arbeitet eng mit mir als Landesvertreter zusammen, aber auch mit dem Bürgermeister der Stadt Wernigerode und mit dem Landrat.
Parteiübergreifend arbeiten wir da intensiv zusammen. Das zeigt auch: Es geht nicht darum, aufeinander einzuschlagen, sondern es geht darum, einfach zu schauen:
Wie können wir die besten Lösungen finden?
({0})
Waldbrandbekämpfung mit Zuständigkeit von Ländern und Kommunen, das ist grundsätzlich richtig. Aber ich als zuständiger Minister möchte hier auch ganz
explizit den Bund für den Katastrophenschutz loben. Wir hatten Bundeswehr und Bundespolizei vor Ort. Ich vermute übrigens, dass die Hubschrauber nicht in den
letzten Monaten angeschafft wurden, sondern irgendwann in den letzten 16 Jahren. Ich erwähne das, weil hier immer gesagt wird, es wurde nur gespart.
({1})
Ich habe schon vernommen – und das wundert mich schon ein bisschen –, dass man jetzt über Kürzungen im Haushalt für Zivil- und Katastrophenschutz
diskutiert. Schauen Sie sich an, was im Harz los war! Da sollte auf keinen Fall gekürzt werden.
({2})
Ich möchte auch – das sage ich als ehemaliger Abgeordneter des Europäischen Parlaments – die rescEU-Staffel loben. Wir hatten italienische Flugzeuge
bei uns. Ohne diese Flugzeuge hätten wir den Brand nicht bekämpfen können. Umso trauriger ist es, dass eines dieser Flugzeuge wenige Wochen später abgestürzt
ist und die Mannschaft ums Leben gekommen ist. Das hat uns sehr bedrückt. Deswegen gilt mein Dank noch mal allen Kameradinnen und Kameraden, die uns in den
letzten Jahren in ganz Deutschland geholfen haben, egal ob sie von der Feuerwehr oder vom THW waren. Sie haben vieles geleistet.
({3})
Ich als Ländervertreter komme aber nicht ohne Forderungen; das können Sie sich vorstellen. Wir müssen auch mal das Thema Kosten diskutieren.
({4})
Der letzte Brand im Harz hat den Landkreis 1 Million Euro pro Tag gekostet. Das überfordert einen Landkreis; das überfordert jede Kommune; das
überfordert irgendwann auch die einzelnen Länder. Ich will nicht, dass man aus dem Bundeshaushalt Gelder zur Verfügung stellt; aber ich will zumindest mal
anregen, auch Richtung Bundesregierung, über einen nationalen Waldbrandfonds zu diskutieren, in den wir Gelder einstellen könnten, die in solchen Fällen dann
zur Verfügung stehen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Da werden in den nächsten Jahren, glaube ich, auf der Kostenseite große Herausforderungen auf uns
zukommen. Das muss weiter diskutiert werden.
Herr Minister Schulze, erlauben Sie eine Zwischenfrage eines Kollegen aus der FDP-Fraktion?
Wenn das nicht von meiner Redezeit abgeht, gern.
Nein, Ihre Redezeit wird angehalten.
Dann aber gern.
Sie haben sogar zwei Minuten für die Antwort. – Herr Kollege, Sie haben das Wort.
({0})
– Ich bitte um Ruhe, sodass wir jetzt die Frage hören können.
Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben jetzt angefangen, Forderungen Richtung Bund zu stellen. Meine erste Frage an Sie: Wie
weit sind Sie in Ihren Präventionsbestrebungen? Wie viele Wasservorräte haben Sie in der Fläche? Das Hauptproblem ist nämlich, dass all diese Reservoirs nicht
da sind. Ich glaube, daran müssen wir arbeiten, und das ist eindeutig Länderaufgabe.
Meine zweite Teilfrage an Sie: Sie haben sehr viel Totholz im Wald herumstehen. Das ist eine Riesenbrandlast. Wie gehen Sie damit um?
Da muss ich Ihnen sagen: Es wäre schön gewesen, wenn Sie noch eine Minute gewartet hätten; dann wäre ich auch auf das Thema Totholz eingegangen.
({0})
Auch das Thema Wasserreservoir ist ein wichtiger Punkt, wenn es um den Nationalpark Harz geht. – Ich darf jetzt zwei Minuten antworten; das ziehen Sie
mir nicht ab, nicht wahr?
({1})
Dann kann ich dazu mal ausführen.
Der Nationalpark Harz ist der einzige länderübergreifende Nationalpark – von Sachsen-Anhalt und Niedersachsen –, ein gemeinschaftliches Projekt. Der
Brocken ist das Symbol schlechthin für die deutsche Teilung bei uns in der Region. Wir haben es über Jahre hinweg nicht hinbekommen, im Nationalpark
entsprechend Wasser zur Verfügung zu stellen. Das lag möglicherweise auch an der zuständigen Ministerin in Sachsen-Anhalt; Frau Kollegin Dalbert von den Grünen
war da nicht immer die Kooperativste. Das muss man ehrlicherweise auch mal sagen, auch wenn das nicht jedem gefallen wird. Das ist ein Riesenthema. Punkt eins.
Sie haben es zu Recht angesprochen: Das ist unsere Aufgabe, Ländersache. Das müssen wir umsetzen, und das machen wir auch bei uns in Sachsen-Anhalt.
Auf das Thema Totholz gehe ich gleich noch sehr intensiv, aber auch kurz und knapp ein.
Ich möchte noch einen Satz sagen.
Ihre Redezeit läuft jetzt wieder.
Selbstverständlich. Zwei Minuten habe ich noch. – Ich habe es schon gesagt: Ich freue mich ganz ehrlich, dass sich Deutschland jetzt endlich an der
rescEU-Staffel beteiligen wird. Aber – ein Stück weit weg vom Jubel – ich habe es als EU-Abgeordneter vor einigen Jahren erlebt – Inge Gräßle sitzt dahinten;
sie war mit dabei –, wie es war, als sich Deutschland schon mal hätte beteiligen können. Da hat man in Brüssel gesagt: Das ist den Deutschen zu teuer. – Man
weiß auch, wer damals, in der letzten Legislatur, die Verantwortung für Finanzen gehabt hat. Also bitte ich einfach darum, nicht immer zu sagen: Jetzt
funktioniert es; damals hat es nicht funktioniert.
({0})
Das sollte man immer auch bedenken. Deshalb: Absolut unterstützenswert.
Zum Thema Totholz. Wir werden beispielsweise den gesamten Nationalpark Harz nicht von Totholz befreien können; das will niemand machen. Aber es geht
um ein ganz wichtiges Thema: Gebietsschutz. Das heißt, an einzelnen Stellen Totholz zu entnehmen, beispielsweise um Wohnbebauung zu schützen, um Brandschneisen
zu schlagen, damit die Feuerwehrleute besser an Brandherde kommen, den Nationalpark Harz entsprechend besser vorzubereiten, falls es wieder brennt.
Genau das haben wir jetzt gemacht. Insgesamt, wenn ich es mal hochrechne, 0,1 Prozent des Nationalparks will ich auf dem Gebiet von Sachsen-Anhalt von
Totholz befreien. Und was passiert? Es gibt einen Umweltverband, der dagegen klagt und sagt: Das darf so nicht sein. – Ich sage Ihnen ganz ehrlich, auch in
Richtung Umweltverbände: Das versteht von den Menschen dort niemand mehr, und das hilft uns am Ende in der Debatte nicht.
({1})
Ich möchte noch ein ganz wichtiges Thema ansprechen. Das erlaube ich mir jetzt mal, Frau Präsidentin. Ich bin hier zwar als Mitglied des Bundesrates,
ich bin aber gleichzeitig auch Vorsitzender der Agrarministerkonferenz der Länder, zumindest noch bis Ende dieses Jahres. Ich habe als Vorsitzender der
Agrarministerkonferenz eine eigene Agrarministerkonferenz zum Thema Wald ins Leben gerufen, und da haben wir viele dieser Themen diskutiert. Wir haben im
September auf der Agrarministerkonferenz von Cem Özdemir gehört, er wäre zukünftig bereit, einmal im Monat mit uns Agrarministern zu verschiedenen Themen ins
Gespräch zu gehen – zu verschiedenen Themen, auch zum Thema Wald. Lieber Kollege Kellner – wir kennen uns gut –, bitte mal die Rückmeldung an Cem Özdemir: Es
ist mittlerweile Ende November, und wir haben uns noch nicht getroffen. – Wenn man uns zusagt, einmal im Monat miteinander zu reden, auch zu solchen Themen,
sollte man das auch einhalten. Wir brauchen als Länder hier eine bessere Diskussionskultur in der Zusammenarbeit mit der Bundesregierung. Das funktioniert noch
nicht.
({2})
Vielen Dank für die Möglichkeit, hier zu sprechen. Ich habe meine Redezeit eingehalten.
Herzlichen Dank.
({3})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort Dunja Kreiser.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Schulze! Die nationale
Kraftanstrengung für einen besseren Waldbrandschutz ist ein sehr wichtiges Thema, gerade in meiner Region in Niedersachsen; denn der Harz hat in diesem Jahr
einen langanhaltenden Waldbrand rund um den Brocken erfahren.
Im Nationalpark im Nachbarbundesland Sachsen-Anhalt ist eine meiner beliebtesten Laufstrecken im Harz, die ich gerne nutze. Glauben Sie mir, ich habe
die enormen Schäden auch immer noch vor Augen. Wenn ich, 45 Kilometer entfernt, aus meinem Wohnzimmerfenster Richtung Süden geschaut habe, waren die
Rauchschwaden deutlich zu erkennen. Das bedrückte schon sehr. Gerade die jungen, nachwachsenden Pflanzen zwischen den abgestorbenen Bäumen, die schon durch
Rotwildverbiss gefährdet waren, fielen nun den Flammen zum Opfer. Das ist sehr beklemmend.
Frau Wittmann, in diesem Jahr fiel es den Niedersächsischen Landesforsten und dem Auswahlkomitee schwer, einen geeigneten Weihnachtsbaum für den
Bundestag zu finden; im Harz gibt es nämlich nicht mehr viele geeignete Fichten: 25 Meter hoch, ungefähr 60 Jahre alt. Der Borkenkäfer, die Trockenheit und
Stürme haben da ihren Tribut gezollt. Nun wurde sie aber gefunden, die Tanne aus dem Altenauer Kellerwasser, und kann wie jedes Jahr vor dem Westportal des
Reichstagsgebäudes bewundert werden. Ich hoffe – ich glaube, das tut auch meine Kollegin Frauke Heiligenstadt –, das ist auch im nächsten Jahr möglich.
Der Waldbrand im Harz war aber nicht der einzige dieses Jahr, verehrte Damen und Herren; auch im Landkreis Gifhorn standen einige große Flächen
Unterholz in Flammen und erinnerten die Bürgerinnen und Bürger an den Heidebrand in den 70er-Jahren. Es brannte in Brandenburg, in der Sächsischen Schweiz – das
wurde hier schon genannt – und in vielen anderen Bereichen auch.
Das verdeutlicht, dass wir nicht nur die Folgeschäden, sondern auch den Auslöser und die Ursache von Waldbrand effektiv bekämpfen müssen, nämlich den
Klimawandel. An dieser Stelle muss ich Ihnen sagen, dass Sie, meine Damen und Herren von der Union, bei der Ursprungsbekämpfung in den letzten Jahren leider
nicht viel bewegt haben; denn Waldbrandschutz beginnt nicht erst, wenn die Krise eingetreten ist. Die Vorbereitung, Bewältigung und Nachbereitung müssen
gleichranging in den Blick genommen werden, länderübergreifend.
Ich kann Ihnen aber versichern, dass wir andere Prioritäten setzen. In unserem Koalitionsvertrag haben wir festgeschrieben, dass wir bundesweite
Präventions- und Bekämpfungsstrategien erarbeiten und die Waldbrandbekämpfungsmöglichkeiten am Boden und in der Luft ausbauen. Weiterhin werden wir eine
bodenschonende Waldbearbeitung fördern, zum Beispiel mit den 900 Millionen Euro aus dem Förderprogramm „Klimaangepasstes Waldmanagement“; mein Kollege Wagener
hat das gerade erwähnt.
Klar ist, dass wir unser Land krisenfester machen müssen. Das machen wir, indem wir insgesamt etwa 639 Millionen Euro im Haushalt 2023 für
Katastrophen-, Zivil- und Bevölkerungsschutz zur Verfügung stellen und über 36 Millionen Euro in die Warnung der Bevölkerung investieren. Außerdem stellen wir
als Bund für die Beschaffung weiterer Löschfahrzeuge für den Katastrophenschutz in den Ländern zusätzlich 5 Millionen Euro bereit. Wir haben nicht gespart.
Die nationale Strategie zur Waldbrandbekämpfung muss die Folgen des Klimawandels abwehren. Wir müssen die nötige Technik einsetzen. Das kann aus der
Luft erfolgen oder mit künstlicher Intelligenz. Ich selbst habe mir die Brandbekämpfung vor Ort angesehen und bin sehr dankbar für die italienische
Flugunterstützung. Sie zeigt, dass wir in Europa gut zusammenarbeiten und vernetzt sind auf Innenministerseite und auf kommunaler Seite. Die beiden Landräte aus
Goslar und aus dem Landkreis Harz standen Schulter an Schulter, und auch der niedersächsische Innenminister war – mit Ihnen zusammen, Herr Schulze – schnell vor
Ort, um die Herausforderung anzugehen.
Aber, sehr geehrte Damen und Herren, es gibt ihn nicht, den Nachhaltigkeitsbaum. Mischwald, das muss unser Konzept sein. Nicht zu viele vertikale
Schneisen im Wald ziehen, Wiedervernässung und Biodiversität, das ist unser Weg – und bitte keine aufgeräumten Wälder. Dennoch müssen die nötigen
Sicherheitszonen im Brandfall geschaffen werden. Konzepte sind, wie gerade eben erfahren, in Arbeit.
Totholz bindet Feuchtigkeit und liefert Substrat für den Aufwuchs, schützt den Boden vor Sonneneinstrahlung und hält vor allen Dingen die Insekten am
Leben. Neben dem Verlust an Fluginsekten ist insbesondere der große Verlust an Bodeninsekten eines der größeren Probleme.
Monokultur muss der Vergangenheit angehören. Nachhaltiger Waldbau und umweltschonender Tourismus nehmen die Bevölkerung mit.
Zum Ende möchte ich kurz von meiner Mutter sprechen, die in ihren jungen Jahren Krieg, Flucht und Verfolgung erlebt hat und im Landkreis Wolfenbüttel,
in Dettum, ihre Heimat gefunden hat. Für alle Menschen, die ihre Heimat bei uns gefunden haben, ist neben dem nachhaltigen Umgang mit unserer Umwelt vor allem
Respekt, Akzeptanz und das Willkommensein wichtig.
Frau Präsidentin, ich komme zum letzten Satz. – Das neue Staatsangehörigkeitsrecht ist der entscheidende Schritt dahin und hilft nicht nur bei der
Frage der Fachkräftegewinnung, –
Reden Sie bitte zum Thema.
– sondern auch bei der Stärkung des Ehrenamts, dem es an Nachwuchs fehlt.
Und: Meiner Mutter –
Kommen Sie jetzt bitte zum Schluss.
– wünsche ich heute alles Liebe zum 85. Geburtstag.
({0})
Der letzte Redner in der Debatte ist Leon Eckert für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Deutschland ist Waldbrandland; das zeigt die
letzte Waldbrandsaison. Wir sind mitten in der Klimakrise angekommen. Ich glaube, wir sind uns mit den Antragstellern einig über die zentrale Bedeutung unserer
Wälder; alle Vorredner haben es auch gesagt. Deswegen werde ich – im Antrag sind viele gute Sachen drin – auf die Punkte eingehen, wo wir, glaube ich, in die
Diskussion gehen müssen, um den besten Weg zu finden.
Das ist einmal die Zuständigkeitsfrage: Katastrophenschutz, Zivilschutz. Wir haben es schon gesagt. In eine Zivilschutzkonzeption gehört kein
Waldbrand, weil der Zivilschutz da ist, wenn wir angegriffen werden, wenn Raketen fliegen, wenn wir unsere Bevölkerung schützen müssen. Wälder sind in so einer
Ausnahmesituation nachrangige Schutzziele; deswegen gehören in Zivilschutzausrüstungen eigentlich keine Hilfsmittel zum Löschen eines Vegetationsbrandes. Dessen
muss man sich bewusst werden. Wenn man Zivilschutz fordert, dann wird man keine Vegetationsbrandbekämpfung bekommen. Das ist Katastrophenschutz, und
Katastrophenschutz ist reine Ländersache.
Das sieht man auch im Antrag: Man verwischt immer mal wieder die Spuren – was ist Zivilschutz? was ist Katastrophenschutz? –, weil wir ja alle was
machen wollen. Dann kommen wir eben immer mal wieder in so einen Graubereich. Das sehen wir am GeKoB. Im GeKoB sind die Länder freiwillig versammelt, um sich
abzustimmen, um sich zu koordinieren.
Zur Waldbrandkoordination haben die Länder Niedersachsen, NRW und Bayern jetzt ein einheitliches Einsatzkontingent für Vegetationsbrand gebildet – 3
von 16. Ist das unser Anspruch, dass 3 von 16 das ist, was aus der Zusammenarbeit von Bund und Ländern entsteht? Ich glaube, nicht.
({0})
Sachsen-Anhalt ist leider – das kann ich vielleicht als Appell mitgeben – ja noch nicht mal im GeKoB ständig vertreten. Das wäre eine Bitte. Ich
glaube, das GeKoB wird dann stark, wenn alle 16 Bundesländer auch dauerhaft da sind, um dann bei einer Katastrophe die Synergie zu aktivieren, schnell Einheiten
zu verlegen, schnell Nachforderungen zu stellen und dann auch solche Konzepte zu harmonisieren, von den Einsatzkontingenten bis zur Dachkennzeichnung. Nur NRW
hat eine Regelung für Dachkennzeichnungen für Vegetationsbrandeinheiten. Das wäre doch ein Projekt, bei dem man sich unter den 16 Bundesländern mal einig werden
könnte. Machen wir das doch gemeinsam, damit nicht jedes Fahrzeug je nach Bundesland anders gekennzeichnet ist.
({1})
Zweiter Punkt: Löschflugzeuge. Löschflugzeuge helfen in manchen Extremsituationen, bei flächigen Bränden sicher. Aber sie sind nicht der Heilsbringer;
sie sind ein kleiner Baustein. Ein Waldbrand, ein Vegetationsbrand wird am Boden durch unsere Bodentruppen entschieden. Die Kommunen und die Länder müssen es
schaffen, unsere Feuerwehren umzurüsten: andere PSA, geländegängige Fahrzeuge. Wir brauchen Übungen und Konzepte auf Landkreisebene, um in die Fläche zu kommen.
Ganz viele Landkreise sind dabei, aber manche Länder müssen da auch Hausaufgaben machen.
({2})
Förderung für ein bayerisches Tanklöschfahrzeug: 60 000 Euro für ein Halbe-Million-Fahrzeug. Das wird sich kaum ein Landkreis leisten können.
Der dritte Punkt: Verschärfung von Strafen. Da bin ich skeptisch, weil viele Brände unabsichtlich passieren. Ich glaube vielmehr, dass wir die
Prävention stärken müssen: viel breitere Kampagnen, die die weggeschnippte Kippe, das unachtsam abgestellte Fahrzeug verhindern können.
Wir haben viel zu tun. Lassen Sie es uns gemeinsam angehen!
({3})
Frau Präsidentin! Lieber Herr Botschafter Makejew! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Hungertod eines Menschen verläuft in den immer gleichen
Phasen: In der ersten Phase verbraucht der Körper seine Glukosevorräte. Ein extremes Hungergefühl setzt ein, dazu ständige Gedanken an Essen. In der zweiten
Phase, die mehrere Wochen andauern kann, beginnt der Körper, sein Fett zu verbrennen. Der Organismus wird dramatisch geschwächt. In der dritten Phase verbraucht
der Körper sein eigenes Eiweiß, zehrt Gewebe und Muskeln auf. Die Haut wird dünner, die Augen werden größer, der Hals wirkt länger, Beine und Bauch schwellen
an. Kleinste Bewegungen erfordern große Kraftanstrengungen. Verschiedenste Begleiterkrankungen beschleunigen den Tod: Skorbut, Typhus, Diphtherie. Dies, meine
Damen und Herren, ist keine Theorie; dies ist das Schicksal von Millionen Ukrainerinnen und Ukrainern, die 1932/1933 an mörderischem Hunger gestorben sind. Das
sind die Opfer, derer wir heute gedenken.
Das sind die Schilderungen, die uns die Historikerinnen überliefern. Das sind die Bilder, die der aus dem heutigen Lwiw stammende polnisch-jüdische
Jurist Raphael Lemkin auch vor Augen hatte, als er den Begriff des Genozids, des Völkermords prägte. Bilder von Kindern, die im Klassenzimmer sitzend
zusammenbrachen und verstarben, deren Körper anschwollen, deren Haut wegen massivster Unterernährung durchsichtig wurde, deren Haut riss; Erzählungen über
Mütter, die die Hoffnung auf das Überleben ihrer Kinder verloren, die Söhne und Töchter präventiv töteten, damit diese den Hunger nicht länger aushalten
mussten, damit sie das wenige Brot nicht teilen mussten. Das ist der Horror, der sich hinter dem Begriff „Holodomor“ verbirgt, dem Mord durch Hunger.
Dieser Horror hatte seine Ursache nicht etwa in einer Naturgewalt, nicht in schicksalhaften Missernten auf dem fruchtbaren Boden der Ukraine. Dieser
Horror hatte seine Ursache im Kreml. Dort traf ein Diktator die grausame Entscheidung, die Kollektivierung mit Gewalt durchzudrücken und den Hunger zu
verursachen. Die Tötung durch Hunger hatte auch die politische Unterdrückung des ukrainischen Nationalbewusstseins, der ukrainischen Kultur und Sprache zum
Ziel.
Meine Damen und Herren, die Parallelen zur heutigen Zeit sind unübersehbar. Wieder versucht ein Diktator im Kreml, die Ukraine zu unterwerfen, sie zu
vernichten. Heute nutzt Putin dafür nicht allein die grausame Gewalt seiner Söldner und Soldaten, er nutzt nicht allein den Terror von Drohnen und Raketen. Er
nutzt auch die gezielte Geschichtsfälschung als Handlungsgrundlage seines Krieges gegen die Ukraine.
Schon in der Sowjetunion wurde der Holodomor systematisch verleugnet und tabuisiert. Wir wissen heute, dass die russischen Besatzer das Mahnmal zum
Gedenken an den Hungermord in Mariupol zerstört haben. Für die Verbrechen Stalins gibt es keinen Platz in der ideologisierten Geschichtspolitik Wladimir Putins.
Deswegen verbietet er Organisationen wie zum Beispiel Memorial.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gegen diese Politik des Kremls helfen vor allem Aufklärung und Bildung. Die Schrecken des Holodomors genau wie die
deutschen Verbrechen gegen die Sowjetunion und viele andere Kapitel der wechselvollen Geschichte der Ukraine und Osteuropas gehören prominenter in die
Geschichtsbücher und Schulen; denn Wissen schafft nicht nur Empathie. Wissen schafft Widerstandsfähigkeit gegen Propaganda und Geschichtsklitterung.
Mit unserem Antrag setzen wir uns mit der brutalen Wahrheit stalinistischer Gewalt auseinander – nicht um die deutschen Verbrechen in der Sowjetunion
zu relativieren, sondern um aus der historischen Wahrheit zu lernen. Interfraktionell eint uns der Wunsch, zu erinnern, zu gedenken, zu mahnen. Darum mein Dank
an alle Beteiligten in den Fraktionen, die diesen Antrag gemeinsam getragen haben.
({0})
Unser Mahnen muss auch den Blick auf die Realität in der Ukraine heute beinhalten, am 280. Tag seit Russlands Vollinvasion. Wenn wir uns der Wahrheit
nicht verschließen wollen, dann dürfen wir die Augen vor den heutigen Opfern nicht verschließen. Zu diesen Opfern gehört Serhij. Serhij wurde heute vor genau
einer Woche getötet, durch russische Raketen. Serhij wurde gerade von seiner Mutter gestillt und zum Schlafen in die Wiege gelegt. Kurz danach schlugen
russische Raketen in der Entbindungsklinik ein. Serhijs Mutter durchlebte neun Monate einer Schwangerschaft in der Zeit des Terrors, des Krieges. Serhij wurde
vergangene Woche getötet. Er wurde 48 Stunden alt.
Putins Wunsch bleibt die vollständige Unterwerfung der Ukraine und ihrer Menschen. Russisches Staatsziel ist die Vernichtung der Ukraine als
eigenständiger Staat. Es macht mich nicht zum Kriegstreiber, Bellizisten oder Russenhasser, wenn ich Kindern wie Serhij ein Leben und ein Überleben ermöglichen
möchte, wenn ich mich dafür einsetze, dass wir unser starkes Engagement für die Ukraine noch weiter stärken,
({1})
und, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir es gemeinsam schaffen, uns diesem Vernichtungskrieg entgegenzustellen.
Die politisch-historische Einordnung des Holodomors als Völkermord ist darum nicht nur Mahnung, sondern auch Auftrag an uns alle. Es ist unsere
Pflicht, diesen Wahnsinn zu stoppen.
Diesen Appell richte ich nicht nur an uns Parlamentarierinnen und Parlamentarier; ich richte ihn an uns alle und damit auch an die Russinnen und
Russen in Deutschland, im Ausland, in Russland: Ostanawítje etot užas! – Stoppen Sie diesen Horror! – Ostanawítje etu wojnu! – Stoppen Sie diesen Krieg! –
Ostanawítje Putina! – Stoppen Sie Putin!
Vielen Dank.
({2})
Der Kollege Michael Brand hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Botschafter! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Sie sollten sterben, weil sie Ukrainer
sind. Ein ganzes Volk sollte sterben.“ – So hat es gestern Abend bei einer besonderen Gedenkveranstaltung im Berliner Dom der ukrainische Bischof Bohdan
Dzyurakh formuliert.
Der Deutsche Bundestag wird heute anerkennen, dass die Ukraine von der sowjetischen Führung in Moskau zum Opfer eines Völkermords gemacht wurde. Dabei
wurden Millionen ermordet, und Hunger wurde zur tödlichen Waffe gemacht. Es wurde systematisch selektiert, um Träger der ukrainischen Kultur, Wissenschaft und
Geschichte zu verfolgen, zu ermorden. Ja, es sollte das ukrainische Volk vernichtet werden – nichts weniger.
Es spricht Bände, historisch und politisch, dass der Massenmörder Stalin, dessen Denkmäler unter Gorbatschow und Jelzin weniger wurden und
verschwanden, von Wladimir Putin wieder zu einer Ikone Russlands gemacht wurde. Es war kein Zufall, dass bei der Besetzung Mariupols durch die Truppen Putins
das Denkmal für die Opfer des Holodomors gezielt und propagandistisch vernichtet worden ist.
Wenn sich manche heute fragen, warum wir von der Brutalität und dem Vernichtungswillen eines Putin überrascht wurden, dann müssen sie sich auch
fragen, warum sie die Zeichen an der Wand nicht gesehen haben, warum die Restauration eines der größten Menschheitsverbrecher durch Putin sie nicht viel früher
aufgeschreckt hat. Und für uns alle muss heute gelten, was Lehre der eigenen deutschen Geschichte ist: Nie wieder darf, weder im deutschen noch im russischen
Namen, geschehen, was durch den Holodomor und die Nazis an Massenmord in der Ukraine begangen wurde.
({0})
Einer der renommiertesten Kenner der Geschichte der Ukraine, Timothy Snyder, hat darauf hingewiesen, dass die schlimmste Phase des Holocausts mit den
deutschen Massenmorden in der Ukraine begann. Er hat auch darauf hingewiesen, dass in der gesamten Sowjetunion die Ukraine und nicht Russland die prozentual und
auch nominal mit Abstand höchste Zahl an Opfern durch den deutschen Vernichtungskrieg zu beklagen hat. Noch immer – das wollen wir heute ein Stück verändern –
wird ausgerechnet in Deutschland dieses enorme Leiden der Ukrainer – sowohl unter Stalin als auch später unter Nazideutschland – nicht hinreichend erinnert,
nicht genügend respektiert und nicht in der deutschen Haltung gegenüber der Ukraine berücksichtigt. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss sich ändern, und
zwar gründlich.
({1})
So kommen wir heute dazu, zwar später als andere, endlich den Völkermord an den Ukrainern durch Moskau als einen solchen auch anzuerkennen. Gerade wir
Deutschen stehen hier in einer besonderen historischen Schuld und Verantwortung gegenüber der Ukraine. Und es war nicht richtig, dass unsere Initiativen im
Parlament früher, vor dem 90. Jahrestag, auch mit Verweis auf Russland nie mitgetragen wurden. Es ist schlicht nicht fair gegenüber den Opfern dieses
Völkermords. Und ich sage auch das: Ich hätte mir gewünscht, dass auch die erste Reihe des Bundeskabinetts heute an dieser Debatte teilnimmt. – Kein einziger
Bundesminister!
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir verneigen uns vor den Opfern. Für uns heißt „Nie wieder!“ heute: Wir dürfen nicht noch einmal schuldig werden.
Wenn wir der Ukraine nicht endlich mit allem helfen, was wir tun können, werden wir ein zweites Mal schuldig.
Slawa Ukrajini!
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Gabriela Heinrich hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Botschafter! Sehr geehrter Herr stellvertretender Außenminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es gibt Debatten, bei denen Parteipolitik und Abgrenzung voneinander schlichtweg unangemessen sind. Und es gibt Anträge, die erst dann Gewicht entfalten, wenn
eine breite Mehrheit des politischen Spektrums dahintersteht. Ich bin deshalb froh, dass wir zum Holodomor heute gemeinsam agieren. Danke dafür, vielen
herzlichen Dank!
({0})
Danke schön auch gerade deswegen, weil wir aus Deutschlands eigener Vergangenheit eine besondere Verantwortung ableiten, innerhalb der internationalen
Gemeinschaft Menschenrechtsverbrechen kenntlich zu machen und aufzuarbeiten.
Auch wenn es bei meinen Vorrednern schon anklang: Ich glaube, wir sollten uns die Fakten noch mal vor Augen führen. Die nackten Zahlen: Schon am Ende
der 1920er-Jahre waren Lebensmittel in der Sowjetunion knapp. Hunderttausende verhungerten im Winter 1931/1932. Am 14. Dezember 1932 unterschrieb Stalin den
Beschluss mit dem Titel „Über die Getreidebeschaffung in der Ukraine, im Nordkaukasus und in der Westregion“. Im darauffolgenden Winter verhungerten in der
Ukraine 3 bis 3,5 Millionen Menschen, und das ist nur eine Schätzung. Auch in Kasachstan waren es 2 Millionen Menschen. Weitere Hunderttausende verhungerten in
der Kuban-Region und entlang der Flüsse Wolga und Don.
Wie gesagt: Diese Zahlen sind Schätzungen. Aber jede dieser Zahlen schildert das Ausmaß der unvorstellbaren Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Hinter all diesen Millionen stehen Menschen, die qualvoll an Unterernährung starben. Die wenigen zeitgenössischen Berichte beschreiben grausame Szenen
verhungernder Kinder mit aufgeblähten Bäuchen. Und um das noch mal deutlich zu machen: Es waren geplante, ungeheure Verbrechen! Diese Katastrophe beruhte nicht
auf Missernten. Die Ernte im gesamten Land wurde kollektiviert und der Bevölkerung das Essen einfach weggenommen.
Der Hunger wurde als Waffe und als Mittel stalinistischer Säuberungen eingesetzt. Der Zentralstaat zielte damit auch auf die Unterdrückung des
ukrainischen Nationalbewusstseins ab. Angehörige der ukrainischen Eliten wurden verfolgt, sie wurden inhaftiert, und sie wurden ermordet, wenn sie nicht schon
verhungert waren. Von alldem betroffen war die gesamte Ukraine, nicht nur die Regionen, die als Kornkammer gelten.
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, der Historiker Gerhard Simon bezeichnete das Verschweigen als den letzten Akt dieser Verbrechen. Ein halbes
Jahrhundert lang sei der Holodomor zum Tabu, zum Nichtgeschehen geworden. Nicht einmal in geheimen Dokumenten der sowjetischen Führung sind die Hungertoten
erwähnt worden. Nur in den Familien und unter Freunden sei das Wissen um das Grauen dieser Jahre erhalten geblieben, so Simon. – Aus politisch-historischer
Sicht heute ein Völkermord.
Erst seit 1998 gibt es in der Ukraine den offiziellen „Tag der Erinnerung an die Opfer des Holodomor“, immer am vierten Samstag im November. Dieser
Tag ist bedeutend. Traumata, die nicht aufgearbeitet werden, belasten nicht nur die Überlebenden und die Zeitzeugen. Mit all den Folgen, die wir heute aus der
Traumaforschung kennen, vererben sie sich auch an die nächsten Generationen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Holodomor war eine gewollte und geplante Hungersnot, um die Ukraine gefügig zu machen, um sie dem sowjetischen
System einzuverleiben. Die Ukraine hat das nicht vergessen, und auch wir werden es nicht vergessen.
({1})
Was passiert also jetzt, wenn ein Wladimir Putin sagt, die Ukraine sei ein unveräußerlicher Teil der russischen Geschichte, Kultur und Religion? Was
passiert jetzt bei der sinnlosen Zerstörung der Infrastruktur? Was passiert angesichts der vielen Opfer, der vielen Toten und Verwundeten? Was passiert
angesichts eines Krieges, der darauf angelegt ist, die Ukraine zu vernichten, wieder zu vernichten?
Womit Putin nicht gerechnet hat: dass auch die Erinnerung an den Holodomor die Ukrainerinnen und Ukrainer zusammenschweißt. Der Holodomor hat sich
tief im nationalen Gedächtnis der Ukraine eingegraben. Und dass wir heute gemeinsam diesen Antrag verabschieden, das schweißt uns vielleicht noch einmal mehr
mit der Ukraine zusammen. Das Unrecht von damals muss als solches benannt und aufgearbeitet werden. Und das heißt für unsere Politik heute: Lassen Sie uns die
Ukraine, wie es im Antrag steht, als Opfer der imperialistischen Politik Wladimir Putins weiterhin politisch, finanziell, humanitär und militärisch
unterstützen!
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat Dr. Marc Jongen für die AfD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Holodomor – ukrainisch für „Massenmord durch Hunger“ – ist eines der großen Menschheitsverbrechen des
20. Jahrhunderts. Lenin hatte es 1922 bereits angekündigt: Wir werden noch den Terror, einschließlich des wirtschaftlichen Terrors, verwenden. – Den exekutierte
dann Stalin in unfassbarer Brutalität. Die zwangskollektivierten Kulaken, also die den Kommunisten verhassten selbstständigen Bauern, wurden 1932/1933 in der
ganzen Sowjetunion zu unerfüllbar hohen Abgaben verpflichtet. Wer sich nicht fügte, dem nahmen bewaffnete Kommandos die gesamte Ernte und sämtliche
Lebensmittelvorräte weg. Die Ukraine, ausgerechnet die Kornkammer Europas, traf es besonders hart, auch weil Stalin das dortige Nationalbewusstsein eliminieren
wollte. Das Land wurde abgeriegelt, Bahnfahrten waren nicht mehr erlaubt. Bis zu 4 Millionen Menschen wurden dem sicheren Hungertod ausgeliefert.
Wenn wir heute an dieses monströse Verbrechen erinnern, dann muss die Lehre doch vor allem eine sein: Die sozialistische Ideologie mit ihrem Hass auf
Individualität und Freiheit, mit ihrem Gleichmachungsterror und ihrem Wahn, einen neuen Menschen schaffen zu können, ist abzulehnen und zu bekämpfen, wo immer
sie in neuer Verkleidung ihr scheußliches Haupt erhebt.
({0})
Das gilt für die national-sozialistische Variante, aber es gilt eben auch für die internationale Variante, die sich hinter so wohlklingenden Parolen
wie „Gerechtigkeit“ oder „Fortschritt“ versteckt.
Die AfD-Fraktion hat bereits vor drei Jahren über den Holodomor hier im Deutschen Bundestag informiert. Damals hat es kaum jemanden interessiert. Bei
Verbrechen im kommunistischen Machtbereich hat unser linkslastiges politisches Establishment jahrzehntelang lieber weggeschaut. Man kommt ja auch beim Gedenken
an die SED-Verbrechen nicht recht voran; das Mahnmal ist noch immer nicht gebaut, der engagierte Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen wurde elegant
abserviert usw.
Warum ist den gleichen politischen Kräften die Erinnerung an den Holodomor jetzt plötzlich so wichtig? Wir fürchten, aus schiefen Gründen. In Ihren
Reden hier und auch in den sonstigen Verlautbarungen findet eine starke Parallelisierung und teils ja schon fast eine Ineinssetzung der historischen Ereignisse
mit dem heutigen Krieg Russlands gegen die Ukraine statt. Die Heidelberger Historikerin Tanja Penter spricht im „Spiegel“ sehr zu Recht von einer „unglücklichen
Verflechtung separater historischer Kontexte“ in Ihrem Antrag, und die Genozidforscherin Kristin Platt warnt im Deutschlandfunk Kultur: Mit dem Begriff des
Genozids oder Völkermords muss man sehr vorsichtig umgehen; denn gerade im Krieg wird er häufig strategisch und auch propagandistisch eingesetzt. – Übrigens hat
Wladimir Putin die Ukraine des Völkermords an den Russen in den Ostprovinzen bezichtigt. Wir sollten die Maßlosigkeit solcher Vorwürfe hier im Westen nicht
spiegeln, meine Damen und Herren.
({1})
Aber die deutsche Politik berauscht sich wie üblich am Hochgefühl ihrer moralischen Überlegenheit. Außenministerin Baerbock spricht mit Blick auf
Russlands Kriegsführung, die bisher laut UN-Statistik rund 6 500 zivile Opfer gefordert hat, jetzt sogar von einem Zivilisationsbruch – ein Ausdruck, der sonst
dem Holocaust vorbehalten ist. Frau Baerbock – wo immer Sie heute sind –, eine weise Staatsführung zeigt sich gerade in einer Krise nicht in maximaler
rhetorischer Eskalation, sondern in Maß und Umsicht mit Blick auf den Frieden, den Sie im Auge behalten sollten. Beides lassen Sie eklatant vermissen.
({2})
Und noch einen Irrtum von Ihnen möchte ich zum Abschluss korrigieren: Die Ukrainer, die jetzt mit der Waffe in der Hand und vielleicht mit der
Erinnerung an den Holodomor im Herzen ihre Heimat verteidigen, sie tun es nicht für die Werte des internationalen Regenbogens, für Diversity, Toleranz und
Gleichstellung.
({3})
Sie tun es für die Souveränität ihres Landes, für den Erhalt ihres Volkes und ihrer Kultur. Darin haben sie unsere Solidarität. An den Holodomor ist
auch zu erinnern, –
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.
– aber die Instrumentalisierung der Geschichte, die Sie betreiben, lehnen wir ab.
({0})
Vielen Dank.
({1})
Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Ulrich Lechte.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Exzellenzen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dietmar Nietan, Robin Wagener und Knut Abraham meinen Dank für den
exzellenten Antrag! Wir wollen im Deutschen Bundestag heute erinnern, mahnen und des grausamen Verbrechens des Holodomors gedenken. Damit geben wir einer der
größten humanitären Katastrophen des 20. Jahrhunderts die Öffentlichkeit, die sie verdient. Der von Stalin geplante und begangene Massenmord in der Ukraine ist
ein Menschheitsverbrechen, das bis in die späten 80er-Jahre von Russland bestritten und vor der Weltgemeinschaft verborgen wurde. Ausgerechnet heute wird es
dort erneut geleugnet.
Über 3 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer sind dem Holodomor in den Jahren 1932 und 1933 zum Opfer gefallen. Davon betroffen waren nicht nur Bauern
aus den getreideproduzierenden Regionen, sondern jede Familie in der gesamten Ukraine war davon betroffen. Es war eine unvorstellbare Strafe für den Widerstand
der Ukrainer gegen die sowjetische Zwangskollektivierung und für ihre Ablehnung der sowjetischen Herrschaft. Mit der Vernichtung der ukrainischen Kultur,
Sprache und Traditionen sollte der Völkermord letztlich vollzogen werden.
Gemäß der Definition handelt es sich bei einem Völkermord um einen gezielten Versuch, eine Nation zumindest teilweise zu eliminieren. Im Falle des
Holodomors ergibt sich die Tötungsabsicht eindeutig aus der Beschlagnahmung von Nahrungsmitteln und der bewussten Blockade der Hungergebiete. Menschen wurden
erschossen, weil sie Lebensmittel besaßen. Insofern möchten wir hier und heute die Gelegenheit nutzen und nochmals klar betonen: Aus historisch-politischer
Perspektive handelt es sich beim Holodomor um Völkermord.
({0})
Es war ein menschenverachtendes Verbrechen, das von Stalin und seinen Schergen politisch gewollt, künstlich herbeigeführt und systematisch
durchgeführt wurde.
Die Beschäftigung mit der Vergangenheit macht einen fassungslos und lässt Tränen fließen. Und erneut ist die Ukraine Ziel unglaublicher Verbrechen.
Denn während 1932 respektive 1933 nur wenig nach außen drang, sind wir als Weltöffentlichkeit gegenwärtig Zeuge der russischen Kriegsverbrechen und des erneuten
Terrors gegen die ukrainische Zivilbevölkerung. Die aktuelle Kriegsführung Russlands zeigt gewisse Parallelen zur Vergangenheit, liebe Kolleginnen und Kollegen;
denn erneut wird Hunger als Waffe eingesetzt. Wie Sie sich sicherlich erinnern, wurde zu Beginn des russischen Angriffskriegs vielfach Getreide aus der Ukraine
gestohlen. Es wurden gezielt Versorgungsketten unterbrochen und Fluchtkorridore für die Zivilbevölkerung bombardiert.
Mittlerweile nutzt Putin vermehrt Kälte und Dunkelheit als Kriegsmittel, um unseren europäischen Partner, die Ukraine, pausenlos unter Druck zu
setzen, und in den russisch besetzten Gebieten wird erneut auch Hunger als Mittel gegen die dortige Bevölkerung eingesetzt – all dies, um die russische Mär von
der Entnazifizierung der Ukraine aufrechtzuerhalten, die ukrainische Bevölkerung zu brechen und ihr ihre staatliche Souveränität zu nehmen. Doch damit, meine
Damen und Herren, ist schon Stalin vor 90 Jahren gescheitert, und für mich steht zweifelsfrei fest, dass auch Putin scheitern wird.
({1})
Die Ukraine wird diesen Krieg nicht verlieren. Die Ukraine wird als Nation fortbestehen, als unabhängiger demokratischer Staat. Das ist nicht
verhandelbar. Dabei werden wir sie auch weiterhin mit allen Möglichkeiten unterstützen; das habe ich dem ukrainischen Botschafter in einem persönlichen Gespräch
versichert.
Mit dem von uns eingebrachten Antrag werden der Völkermord und das damit verbundene massenhafte ukrainische Leid anerkannt. Gleichzeitig wollen wir
mit dem Antrag zum historischen Verständnis beitragen und den russischen Geschichtsrevisionismus im Keim ersticken.
Vor dem Hintergrund des völkerrechtswidrigen russischen Bombenterrors gegen unschuldige Zivilisten und zivile Infrastruktur ist jetzt die Zeit, Farbe
zu bekennen für die Ukraine, die auch für unser aller Freiheit kämpft. Putins Ansinnen, die Ukraine von der Landkarte zu tilgen, wird scheitern. Sein Angriff
gegen die Freiheit und Demokratie unseres Westens wird definitiv scheitern. Putin muss scheitern!
Wir, die Parteien der Mitte im Deutschen Bundestag, stehen an der Seite der Ukraine. Die unfassbaren Verbrechen gegen die Menschlichkeit des
20. Jahrhunderts dürfen sich im 21. Jahrhundert nicht wiederholen. Gerade wir Deutschen stehen hier wie kein anderes Volk auf dieser Welt in der Pflicht!
({2})
Für die Fraktion Die Linke gebe ich das Wort dem Kollegen Dr. Gregor Gysi.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister! Herr Botschafter! Lenin hat Marx völlig falsch an einer Stelle korrigiert: Marx war
der Auffassung, dass der Kapitalismus für die Industrialisierung zuständig ist und man den ersten sozialistischen Versuch nur in dem entwickeltsten
kapitalistischen Land unternehmen könne. Lenin meinte aber, es ginge auch in Russland – völlig unterentwickelt diesbezüglich.
({0})
Stalin griff dann zur terroristischen Industrialisierung und Zwangskollektivierung und brachte Millionen Menschen durch Hunger ums Leben – ein
schlimmes Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
({1})
Es ist gut, daran zu erinnern.
Aber was stört mich am Antrag? Sie gehen davon aus, dass es ein Genozid, ein Völkermord war, sich also die sowjetische Führung aus rassistischen und
ethnischen Motiven gegen die Ukrainerinnen und Ukrainer stellte und sie aushungerte. In Wirklichkeit stellte sich Stalin aus politischen Gründen gegen alle, die
die terroristische Industrialisierung und Zwangskollektivierung ablehnten, unabhängig von ihrer Nationalität oder Ethnie. Ihm fielen Millionen Menschen in der
Ukraine, dem Nordkaukasus, der Wolgaregion, dem Süduralgebiet, in Westsibirien und Kasachstan zum Opfer.
Der Petitionsausschuss des Bundestages stellte 2017 zum Holodomor fest:
Eine abschließende Bewertung, ob sie als Opfer eines Genozids im Sinne der späteren Völkermordkonvention der Vereinten Nationen zu verstehen sind,
steht noch aus. Dennoch spricht einiges dagegen.
Auch der Europarat verurteilte das Menschlichkeitsverbrechen, lehnte aber die Bezeichnung als Genozid ab.
Wenn man den Antrag liest, hat man auch den Eindruck der Gleichstellung von Hitler und Stalin. Stalin war schlimm, sehr schlimm, aber kein Hitler. Wir
dürfen nie vergessen: Hitler, und nicht Stalin, hat den Zweiten Weltkrieg geführt. Vor allem aber hat Hitler die industrielle Vernichtung von Millionen
Menschen, zum Beispiel in Auschwitz, zu verantworten, ohne dass ihn überhaupt interessierte, ob diese Menschen für oder gegen ihn seien. 6 Millionen Jüdinnen
und Juden wurden nur wegen ihres Judentums ermordet. Alle in Deutschland müssen die Suche nach einem zweiten Hitler und einem zweiten Auschwitz aufgeben. Beides
gab es nur einmal.
({2})
Joschka Fischer sprach 1999 in Bezug auf das Kosovo davon, er wolle kein zweites Auschwitz. Heute hält die Außenministerin Baerbock Russland einen
„Zivilisationsbruch“ vor – ein Begriff, der bisher ausschließlich für die Shoah angewandt wurde. Beides mehr als bedenklich.
Ferner: Die Sowjetunion hat einen entscheidenden Beitrag zur Zerschlagung des Hitlerfaschismus geleistet; das darf man nie vergessen. Beim
Hitler-Stalin-Pakt vergessen Sie, zu erwähnen, dass die sowjetische Führung vorher versuchte, ein Zusammengehen mit Großbritannien und Frankreich zu erreichen,
was insbesondere Großbritannien ablehnte. Deshalb wandte sich Stalin an Hitler, um mit dem zu erwartenden Krieg möglichst wenig zu tun zu haben – was aber nur
vorübergehend gelang.
({3})
Sie wollen weiter die Ukraine militärisch unterstützen.
Herr Kollege.
Ich teile nicht die Auffassung der Regierung, dass die Ukraine Russland besiegen kann. In Übereinstimmung mit der US-amerikanischen Militärführung
glaube ich, dass weder die Ukraine –
Herr Kollege!
– ich bin gleich fertig – noch Russland in diesem Krieg wird siegen können.
({0})
Deshalb bin ich für einen sehr schnellen Waffenstillstand.
Herr Kollege!
Deutschland darf an Kriegen nach dem Zweiten Weltkrieg und der Verantwortung für den schlimmsten Krieg der Menschheitsgeschichte nie verdienen,
macht es aber.
({0})
Herr Kollege!
Ich sage nur noch den letzten Satz, Frau Präsidentin.
({0})
Nein!
Wir verurteilen das Verbrechen, deshalb können wir nicht gegen den Antrag stimmen.
Herr Kollege!
Aber wir haben auch Kritik, deshalb können wir nicht für den Antrag stimmen und werden uns enthalten.
({0})
Herr Kollege, Ihre Redezeit war zu Ende. – Dietmar Nietan hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Exzellenzen! Der Holodomor ist in der Geschichte des ukrainischen Volkes ein zentraler
Erinnerungsort, ein Tiefpunkt seiner leidvollen Geschichte. Nehmen wir den heutigen Tag zum Anlass – anders als der Redner der AfD-Fraktion –, in erster Linie
der Millionen unschuldiger Opfer des Holodomors zu gedenken und an ihr Schicksal zu erinnern.
({0})
Vor ihnen, den Opfern, wollen wir uns heute verneigen und ihnen versichern, dass wir sie niemals vergessen werden.
Es darf auch kein Vergessen geben; denn der Holodomor ist ein unauslöschbarer Teil der europäischen Geschichte, auch wenn es politische Kräfte gibt,
die das negieren wollen. Vor allen Dingen ist er aber auch die Geschichte menschenverachtender Totalitarismen. Die Gefahren und Verbrechen dieser Totalitarismen
stärker im kollektiven Bewusstsein von Gesellschaften zu verankern, verhindert einen falschen Umgang mit der Geschichte. Wir müssen dafür kämpfen, dass wir mit
einem offenen und transparenten Umgang mit der Geschichte die offenen Gesellschaften stärken, damit sie widerstehen gegenüber denen, die Geschichte verbiegen
und verleugnen wollen.
({1})
Deshalb ist es völlig richtig und überfällig, dass das Parlament heute den Holodomor aus politisch-historischer Sicht als Völkermord einordnet.
({2})
Das ist die gemeinsame Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten; denn diese Klarheit ist wichtig, um Geschichtsfälschung und Geschichtsrevisionismus
entgegenzutreten.
({3})
An dieser Stelle möchte ich den Dank, den Ulrich Lechte an die Kolleginnen und Kollegen verteilt hat, gerne zurückgeben: Es war gut, dass wir über
Fraktionsgrenzen hinweg sehr vertrauensvoll an diesem Antrag zusammengearbeitet haben.
Sehr geehrter Herr Botschafter Makejew, auch Ihnen möchte ich ganz herzlich danken. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie sich mit uns Abgeordneten in
vertraulichen und persönlichen Gesprächen sehr offen und konstruktiv ausgetauscht haben, und nicht über Twitter.
({4})
Die heutige Debatte und der darauffolgende Beschluss zum Holodomor sind nicht nur wichtig, um als Parlament die Opfer dieses Verbrechens zu ehren. Sie
sind auch dringend geboten, weil wir erleben, dass in Europa Geschichte leider immer noch als Instrument oder gar Waffe eingesetzt wird. Die Versuche, einen
multiperspektivischen Blick auf die Geschichte durch Renationalisierung einzudampfen, finden wir nicht nur im Kreml, sondern auch bei rechtspopulistischen
Regierungen in der Europäischen Union. Dem müssen wir uns entschieden entgegenstellen. Der Holodomor sollte uns allen eine Mahnung sein, gerade aber auch im
Umgang mit totalitären Staaten.
Seinen verbrecherischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Wladimir Putin nicht nur militärisch vorbereitet. Die Fälschung der geschichtlichen
Tatsachen inklusive der versuchten Rehabilitierung des Massenmörders Stalin, die geschichtliche Herleitung der Rechtfertigung für eine Negierung der Existenz
der ukrainischen Nation – das waren keine Zufälle. Geschichtsrevisionismus gehört zum Kampf der Totalitären gegen offene Gesellschaften, und dagegen müssen wir
alle vorgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Unser Holodomor-Antrag hat aber auch angesichts der gezielten Tötung ukrainischer Zivilistinnen und Zivilisten im jetzigen Krieg durch Russland, der
Bombardierung ziviler ukrainischer Infrastruktur, um das Land zu terrorisieren, um die Menschen frieren und erfrieren zu lassen, der Verschleppung von
Hunderttausenden Ukrainerinnen und Ukrainern und der bewussten russischen Inkaufnahme, dass ukrainisches Getreide nicht in die ärmsten Länder der Welt
exportiert werden kann, einen erschreckenden Bezug zur Gegenwart; und den sollte niemand relativieren oder leugnen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({6})
Deshalb sage ich: Jeder Schritt, der zur Aufklärung von Menschheitsverbrechen beiträgt, ist ein wichtiger Schritt, den es zu unterstützen gilt. Mit
diesem Antrag können wir dazu beitragen, dass die Erinnerung an den Holodomor aufrechterhalten und weiterverbreitet wird; denn Versöhnung und Frieden kann es
nur auf der Grundlage geschichtlicher Wahrheiten geben.
Vielen Dank.
({7})
Knut Abraham spricht jetzt zu uns für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Gysi, ich weiß wirklich nicht, welchen Antrag Sie gelesen haben.
Ganz sicherlich nicht unseren.
({0})
In diesem Antrag gibt es kein Wort der Gleichsetzung der Verbrechen von Hitler und Stalin. Das steht da nicht drin. Sondern Sie haben hier den
Vergleich in diese Debatte eingeführt,
({1})
und zwar aus einem sehr bösen Grund, um nämlich die Schuld der sowjetischen Führung zu relativieren, und haben andere Dinge, die später in der
Geschichte geschehen sind, hier eingeführt. Nein, das ist wirklich inakzeptabel! Das hat unserem Antrag und dem gemeinsamen Anliegen – so habe ich das im ganzen
Parlament verstanden, auch in der bisherigen Debatte – wirklich keinen guten Dienst erwiesen.
({2})
In der Ukraine gibt es keine Familie, die nicht vom Holodomor betroffen war. Millionen Menschen verhungerten binnen weniger Monate. Wir haben das
gehört, und wir wissen, warum.
Dass wir heute hier im Plenum des Deutschen Bundestages diesen interfraktionellen Antrag beraten und beschließen, in dem der Holodomor als Völkermord
eingeordnet wird, erfüllt mich mit Erleichterung und Dankbarkeit. Erleichterung, weil wir endlich diesen Weg gegangen sind, und Dankbarkeit – das ist schon
angeklungen – an die Co-Berichterstatter Robin Wagener, Ulrich Lechte und Dietmar Nietan. Das war eine ebenso verantwortungsvolle wie vertrauensvolle
Zusammenarbeit, die unsere Beratungen ausgemacht hat.
Unser gemeinsamer Antrag hat fünf Anliegen.
Zum einen: Trauer, Respekt und ehrendes Andenken an die rund 4 Millionen Opfer.
Zum anderen auch die klare Benennung der Täter. Es ist übrigens höchste Zeit, dass die entsprechenden Verantwortlichkeiten auch in Russland
aufgearbeitet werden.
Zum Dritten geht es in unserem Antrag darum, das Wissen über den Holodomor in Deutschland zu verbreiten und darüber hinaus die Kenntnis der Geschichte
des östlichen Teils unseres Kontinents zu verbessern. Das Ausmaß dieses Verbrechens steht nämlich in einem starken Gegensatz zu dessen geringer Bekanntheit im
Westen Europas. Sich in diesem historischen Moment dieser europäischen Geschichte nicht bewusst zu sein, hat dramatische Folgen. Es ist die Unwissenheit über
den Holodomor und Stalins Verbrechen in der Ukraine sowie das jahrzehntelange Verdrängen, die zu den Fehleinschätzungen Putins und seiner revisionistischen
Geschichtspolitik geführt haben.
({3})
Diese Fehleinschätzungen beruhen auf dem Unwissen über die Geschichte des Holodomor und der gesamten Region.
Mit dem Antrag wollen wir – viertens – klarmachen, dass die Ukraine im Gegensatz zu damals heute nicht alleine steht. Die Ukraine ist Teil der
europäischen Familie. Der Holodomor war daher auch ein Verbrechen an unseren ukrainischen Familienmitgliedern, das uns alle angeht, uns alle betrifft.
Aber der wichtigste Aspekt ist natürlich die Gegenwart; denn wir sehen heute denselben Willen zum Völkermord – heute durch Kälte und Erfrieren. Warum
schießen die Russen Raketen in die zivile Wärme- und Stromversorgung? Nicht um Krieg zu führen, sondern um Terror gegen die Zivilbevölkerung auszuüben. Warum?
Weil sie Ukrainer sind, weil sie nicht bereit sind, ihre Identität und ihren Staat aufzugeben, und weil Putin wie einst Stalin versucht, das ukrainische
Nationalbewusstsein zu brechen.
Meine Damen und Herren, ich verneige mich vor den Opfern des Holodomor und bitte Sie alle sehr herzlich, unserem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Vielen Dank.
({4})
Robert Farle hat jetzt das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Resolution in dem Antrag, den Sie von der Ampel und der CDU/CSU vorgelegt haben,
hat drei Bestandteile.
Den ersten Teil unterstütze ich voll und ganz, jeden Satz, jede Zeile: die Anerkennung dieses Holodomor als Verbrechen an der Menschheit und die
Verurteilung der Stalin’schen Vernichtungspolitik, die natürlich auch in Russland aufzuarbeiten ist.
Der zweite Teil ist die Einordnung in die Periode, in der große Menschheitsverbrechen stattgefunden haben. Das wird von mir genauso gesehen. Der
Faschismus darf nirgendwo mehr hochkommen. Und der Hitlerfaschismus war die Periode, in der Millionen von Menschen – unter ihnen jüdische Mitbürgerinnen und
Mitbürger – vernichtet wurden. Diesen Faschismus habe ich in meinem ganzen Leben stets bekämpft und dies auch öffentlich kundgetan.
Ich komme aber zum letzten Absatz des dritten Teils dieses Antrags. Ich teile voll und ganz, was der Kollege Marc Jongen gesagt hat. Ich teile aber
auch, was Herr Gysi hier gesagt hat.
({0})
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ja, dann ganz kurz: Militärische Unterstützung können wir in dieser Form nicht zusagen. Unser Grundgesetz –
Herr Kollege!
– verbietet nämlich jede Teilnahme an einem Krieg, –
Ihre Redezeit ist zu Ende.
– der ein Angriffskrieg werden kann. Herr Selenskyj hat einen atomaren Erstschlag gefordert –
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende!
– und viele Dinge gemacht, die nicht gehen und die ich nicht unterstützen kann. Darum werde ich dem Antrag so nicht zustimmen.
({0})
Danke.
Dr. Volker Ullrich hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was muss das damals mit den Menschen gemacht haben? Auf den Besitz von Nahrung stand die
Todesstrafe. Eltern mussten entscheiden, welches Kind verhungert und welches das letzte Stück Brot erhält.
Holodomor bedeutet, das ukrainische Volk wurde systematisch ausgehungert. Ein Menschheitsverbrechen, welches zu seiner Zeit die Weltöffentlichkeit
nicht wahrnehmen wollte oder konnte. Danach wurde die Wahrheit durch die Sowjetunion und durch Russland unterdrückt. Mit jeder Verleugnung oder Relativierung
ihres Schicksals sind die Opfer ein weiteres Mal gestorben. Das müssen wir verhindern. Wir müssen uns ihrer erinnern.
({0})
Wir müssen uns aber auch ins Gedächtnis rufen, was wirklich geschah. Der Hungertod von Millionen von Menschen wird als Folge der Kollektivierung der
Landwirtschaft dargestellt, auch hier im Plenum. Aber das ist verkürzt, fahrlässig und auch böswillig. Die geschichtliche Wahrheit ist: Ziel war die Auslöschung
des ukrainischen Volkes. Eine bewusste ukrainische Nation und Identität sollte im wirklichen Wortsinn ausgehungert und in ihrer Existenz vernichtet werden. Der
jetzige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine steht in dieser historischen Tradition. Es gibt einen Faden – einen blutroten –, der die Ereignisse des
Holodomor mit dem Angriff auf die Ukraine verbindet. Wer also heute davon spricht, an der Seite der Ukraine zu stehen, der muss ihr auch durch die Anerkennung
der historischen Wahrheit zur Seite stehen. Nicht auch noch die Geschichte darf als Waffe gegen die Ukraine benutzt werden.
({1})
Was geschehen ist, hat der Vater des Völkerstrafrechts, Raphael Lemkin, als Muster für einen „sowjetischen Genozid“ bezeichnet – und wir haben das
heute auch zu tun. Wir müssen sagen, was war: Es war ein Völkermord. Dieser Völkermord relativiert nicht die Singularität des Holocausts und unsere Schuld. Wir
haben aber eine besondere historische Verantwortung für die Ukraine: Zehn Jahre nach den Ereignissen des Holodomor erfolgte der koloniale Vernichtungskrieg
Nazideutschlands auf dem Gebiet der Ukraine. Deswegen haben wir eine besondere Pflicht, heute die Ukraine zu unterstützen – so gut, wie wir nur können.
({2})
Unsere Debatte wird von den Menschen in der Ukraine intensiv verfolgt. Aus dem Gedenken an das Geschehene und der Würdigung der Opfer erwächst für
viele Menschen in der Ukraine die Kraft, den Kampf um die Freiheit weiterzuführen, und unsere Pflicht, sie darin mit vollstem Herzen zu unterstützen.
({3})
Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Olympische und Paralympische Spiele, das ist das Thema der jetzt kommenden Debatte.
Olympische und Paralympische Spiele sind große Sportfeste. Sie zeigen, dass der Sport eine herausgehobene gesellschaftliche Bedeutung hat, weil er eben viele
Menschen aus aller Welt verbindet; sie in ihrer bunten Vielfalt zusammenbringt. Diese Spiele stehen für ein friedliches Miteinander, für Toleranz, für Offenheit
und Respekt.
Was die AfD-Fraktion in den vorliegenden Anträgen fordert – nämlich eine deutsche Olympiabewerbung zum nächstmöglichen Zeitpunkt –, ist nichts Neues.
Schon vor Wochen hat der Deutsche Olympische Sportbund angekündigt, zu seiner Mitgliederversammlung, die am kommenden Samstag stattfinden wird, eine
entsprechende Beschlussempfehlung auszusprechen. Zunächst soll unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger sondiert werden, ob Deutschland eigentlich für
Olympische Spiele bereit ist. Diese Bereitschaft meint nicht nur, dass wir eine Infrastruktur haben und Sportstätten, sondern diese Bereitschaft soll auch den
Willen der Bevölkerung widerspiegeln, diese Ausrichtung mitzutragen und darin eine Chance zu sehen.
({0})
Der DOSB verspricht allen Beteiligten, diesen Prozess ergebnisoffen zu führen. Das ist ein kluges Vorgehen, und ich verlasse mich darauf, dass der
DOSB hier unvoreingenommen auftreten wird.
Die Kritik an den Winterspielen in Beijing, aber auch an anderen Sportgroßereignissen, die in autoritär regierten Staaten stattfinden, nimmt
demokratische Länder wie Deutschland in eine besondere Pflicht. Wenn wir die Werte der olympischen und paralympischen Bewegung wichtig finden, dann müssen wir
auch bereit sein, diese Spiele bei uns auszurichten,
({1})
uns auf den Weg zu einem Bewerbungsverfahren zu machen, und das mit der Unterstützung der Menschen in diesem Land.
({2})
Die Spiele von 1936 in Berlin jähren sich in einigen Jahren zum 100. Mal. 2036 wird gleichzeitig die nächste Möglichkeit für Deutschland sein, sich um
Olympische und Paralympische Sommerspiele zu bewerben. Sollte es am Ende des vom DOSB angestrebten Prozesses tatsächlich eine Bewerbung für dieses Jahr 2036
geben, ist dies eine große Chance, die allerdings auch mit einer großen Verantwortung einhergeht.
Der antragstellenden Fraktion scheint dieser historische Zusammenhang nicht wirklich bewusst zu sein; denn sie erwähnt diesen nicht mit einem Wort.
Sie argumentieren auf den sieben Seiten Ihrer beiden Anträge, dass Deutschland endlich wieder an der Reihe sei, Olympische Spiele auszurichten, weil wir im
historischen Vergleich viel weniger Spiele ausgerichtet hätten als beispielsweise andere Industrienationen.
({3})
Wenn Sie aber genau auf diese deutsche Olympiageschichte schauen, wieso fällt es Ihnen dann eigentlich so schwer, Deutschlands erste Olympische Spiele
als „Nazispiele von 1936“ zu bezeichnen?
({4})
Die Spiele von 1972 in München hingegen erwähnen Sie. Aber dass dort elf israelische Sportler und ein Polizist ums Leben gekommen sind, lassen Sie
ebenso unter den Tisch fallen.
({5})
Dabei gehört genau dieses Attentat zur deutschen Olympiageschichte und geht mit einer großen Verantwortung unsererseits einher.
({6})
Was diese Verantwortung gegenüber der deutschen Geschichte für den Austragungsort Deutschland bedeutet, kann, glaube ich, ein Sowohl-als-auch der
einzig logische Schluss sein:
Einerseits lehren uns Geschichte wie Gegenwart, dass Olympische und Paralympische Spiele nicht in Autokratien oder Diktaturen stattfinden dürfen. Denn
die Hoffnung, dass durch die Ausrichtung von Spielen ein Wandel und ein Mehr an Menschenrechten in den Staaten erreicht werden können, war 1936 genauso naiv,
wie sie es heute ist. Deshalb müssen wir bereit sein, Spiele selbst auszurichten, auch aus Respekt vor Athletinnen und Athleten, vor dem Publikum und vor denen,
die von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind. Denn Menschenrechte dürfen nicht zum Spielball sportpolitischer Propaganda werden.
Andererseits verpflichtet uns gerade auch unsere demokratische Überzeugung zu einem sorgsamen Abwägen. Olympia muss ein gemeinschaftliches Projekt
sein, ein gemeinschaftliches Vorhaben, hinter dem eben nicht nur wir Sportpolitikerinnen und Sportpolitiker oder der organisierte Sport stehen, sondern die
Menschen in diesem Land.
Natürlich haben wir in diesem Land alles, was es als Grundlage braucht, um ein erfolgreiches Sportfest auszurichten: von Sportstätten über die
Infrastruktur hin zu Unterbringungsmöglichkeiten. Dies haben viele Städte und Gemeinden in Deutschland. Wir könnten mal wieder Spiele erfolgreich durchführen,
und das, ohne massiv in Stadien investieren zu müssen, deren Nachnutzung weder ökologisch nachhaltig noch ökonomisch nachhaltig wäre.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das nicht ganz ohne öffentliche Investitionen gehen würde. Gerade deshalb ist es in einer Demokratie wichtig, dass
wir erst diskutieren und streiten, bevor wir uns auf den Weg zu einer Olympiabewerbung machen.
Bürgerinnen und Bürger müssen genauso gehört werden wie Athletenvertreterinnen und ‑vertreter, die Städte, die als Veranstaltungsorte infrage kommen,
oder auch die Spitzenverbände. Wenn, wie gefordert, das Innenministerium gemeinsam mit dem DOSB im Alleingang eine Bewerbung auf den Weg bringen würde, wäre das
aus meiner Überzeugung nicht mehr zeitgemäß.
({7})
Deshalb ist ein ergebnisoffenes Vorgehen, das vom DOSB vorgeschlagen wird, der richtige Weg. Wir lehnen daher die Anträge folglich ab.
Erlauben Sie mir noch eine letzte Bemerkung. Auf sieben Seiten Ihrer beiden Anträge sprechen Sie ausschließlich von den Olympischen Spielen. Was ist
denn mit den Paralympischen Spielen? Wollen Sie die nicht nach Deutschland holen? Aus meiner festen Überzeugung – und ich gehe davon aus, das sieht die Mehrheit
des Hauses auch so – verdienen Sportlerinnen und Sportler mit einer Behinderung die gleiche Aufmerksamkeit, den gleichen Respekt wie jene Sportler ohne
Behinderung.
Vielen Dank.
({8})
Jens Lehmann hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Olympische Spiele sind das Größte, was ein Sportler erreichen kann, und das bedeutendste Sportereignis auf
der Welt. Ich selbst durfte viermal bei Olympia auf dem Podest stehen und habe mich bei Leipzigs Bewerbung um die Spiele 2012 mit Leidenschaft, mit Herz und
Seele im Organisationsteam engagiert. Und ja, ich möchte Olympische Spiele in Deutschland.
({0})
Denn ich weiß, wie überwältigend es für einen Sportler ist, bei Olympia teilzunehmen, aber auch welche Begeisterung die Spiele in den Gastgeberländern
hervorrufen. Wir sind eine Sportnation und können natürlich Großveranstaltungen ausrichten. Das haben die European Championships in München gezeigt. Das werden
die Invictus Games 2023 – der Kartenverkauf hat heute begonnen – zeigen. Das wird die Fußball-EM 2024 zeigen.
Meine Damen und Herren, wenn wir über Olympische Spiele in Deutschland nachdenken, dann müssen wir vor allem mit dem DOSB sprechen. Der DOSB ist
vorrangig für die Bewerbung zuständig. An dieser Stelle möchte ich mich auch einmal beim DOSB und vielen Sportverbänden für die vielen guten Gespräche bedanken,
die wir dazu bereits gemeinsam geführt haben.
Und selbstverständlich müssen wir als Politik für Olympia in Deutschland werben, Rahmenbedingungen schaffen und Mittel dafür bereitstellen. Die
infrastrukturellen Voraussetzungen haben wir von Flensburg bis Garmisch. Überall gibt es hervorragende Sportstätten, die auch nach den Olympischen Spielen
weiter genutzt werden können. Wir würden also gerade in diesem Bereich sehr nachhaltige Olympische Spiele ausrichten.
Und wir müssen uns persönlich engagieren. Ich selbst war mit Kollegen Frank Ullrich im März in Lausanne beim IOC-Präsidenten Thomas Bach zu Besuch.
Gemeinsam sprachen wir über unterschiedlichste Themen rund um Olympia, über die Kritik an den Ausrichterstädten wie beispielsweise Peking, über nachhaltige
Spiele, über Spiele an einem dauerhaften Ort als Zukunftslösung und natürlich auch über eine deutsche Olympiabewerbung. Thomas Bach signalisierte uns, dass er
eine deutsche Bewerbung sehr befürwortet. Deshalb liegt es jetzt an uns, den DOSB dabei zu unterstützen, die bisherigen Bewerbungsprozesse zu analysieren und
daraus die Schlüsse für eine neue Bewerbung zu ziehen. Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse und freue mich, wenn die Strategie am Wochenende auf der
Mitgliederversammlung des DOSB präsentiert wird.
Meine Damen und Herren, eines muss uns klar sein: Wir haben bei den letzten Versuchen, Olympia nach Deutschland zu holen, nicht überzeugt. Das gehört
zur Wahrheit dazu. In München wurde die Bevölkerung nicht mitgenommen, weil viel zu viele Fragen der Bürger nicht beantwortet werden konnten. Dementsprechend
scheiterte der Volksentscheid. In Leipzig stand eine ganze Region hinter der Bewerbung. Leider scheiterte Leipzig dann jedoch international, weil hier
tatsächlich die Unterstützung der deutschen Politik fehlte. Das heißt, dass vor 50 Jahren letztmalig Olympische Spiele in Deutschland stattfanden. Deshalb
müssen wir den DOSB in seinen Plänen unterstützen, ihn ermutigen, einen neuen Anlauf zu unternehmen. Ich denke, die Mehrheit hier im Haus sieht das genauso.
({1})
Unsere Aufgabe als Abgeordnete im Deutschen Bundestag ist es, Interesse für das Projekt „Olympia in Deutschland“ in allen Wahlkreisen zu wecken.
Wecken wir die Begeisterung der Bevölkerung! Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass Olympia in Deutschland eine Chance hat und das ganze Land hinter der
Bewerbung steht. Ich bin mir sicher, dass bei einem Zuschlag eine riesige Begeisterungswelle für Olympische Spiele durch unser Land rollt.
Denken wir nur an die Begeisterung während der Fußball-WM 2006 hier in Deutschland. Solche Bilder möchte ich gerne wieder sehen: das ganze Land in
Schwarz-Rot-Gold. Zusammen mit Zuschauern aus aller Welt feuern wir die Olympioniken an. Lassen Sie uns wieder hochklassigen Sport und ausgelassene Stimmung ins
Land holen! Ich bin mir sicher: Eine solche positive Stimmung tut unserem Land gut.
Jedoch nicht in der Art und Weise des vorgelegten Antrages.
({2})
Diesen lehnen wir selbstverständlich ab.
({3})
Engagieren Sie sich in der Sacharbeit der Verbände;
({4})
aber unterlassen Sie die Profilierung auf Kosten des Sports.
({5})
Denn es sind der DOSB und die Sportverbände, die Sportgroßereignisse nach Deutschland holen, und nicht einzelne Fraktionen im Deutschen Bundestag.
Danke.
({6})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat Tina Winklmann jetzt das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Sportbegeisterte und Athletinnen und Athleten! Der Antrag der AfD liest sich so wie:
Ich will, ich will, ich will, und zwar jetzt. Punkt. – Damit begehen Sie die gleichen Fehler, die laut Ihren Anträgen bei den vergangenen Bewerbungen zu
Olympischen Spielen gemacht wurden. Das ist schon mal Fehler Nummer eins.
Fangen wir aber von vorne an: Wir sind eine Sportnation. Für Athletinnen und Athleten ist es ein Lebenstraum, diesen sportlichen Höhepunkt vor
heimischem Publikum erleben zu dürfen. Damit meine ich jetzt nicht nur die Olympischen Spiele; damit sind auch ganz klar die Paralympischen Spiele gemeint. Die
tauchen in Ihren Anträgen überhaupt nicht auf.
({0})
Der sportliche Gedanke geht nur gemeinsam: die Olympischen und Paralympischen Spiele zusammen. Das ist Ihr Fehler Nummer zwei.
Mit Weitsicht zu planen und alte Denkweisen abzulegen, ist bei Sportgroßveranstaltungen angebracht. Wie wir hier aber alle wissen, ist das nun
überhaupt nicht die Stärke der AfD. Wir müssen raus aus der Regionalität, weg von Hauruckaktionen, raus aus dem Vorgestern. Einbeziehen heißt breiter denken: Um
Ressourcen zu schonen, müssen wir nutzen, was wir haben; Verbesserungen vornehmen, wo sie wirklich gebraucht werden. Das ist die Zukunft: Barrieren, Vorurteile
aufzubrechen und die Menschen wirklich mitzunehmen auf die Reise nach Olympia. Und diese Reise muss inklusiv sein.
({1})
Spiele nach Deutschland holen zu wollen, heißt eben auch, die Spiele in die Moderne zu tragen, mit neuen Konzepten, ausgearbeitet unter dem
Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit, der Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern sowie unter Mitbestimmung der wichtigsten Akteure, nämlich der Athletinnen und
Athleten – gemeinsam und nicht, wie es die AfD gerne hätte, von oben herab. Das ist Ihr Fehler Nummer drei.
({2})
So langsam glaube ich, der AfD fehlt ein bisschen das Verständnis, wie Sportgroßveranstaltungen geplant werden. Sie scheinen zu vergessen, dass wir
nicht nur im Haushalt einen Titel für die Erarbeitung von Konzepten für Sportgroßveranstaltungen haben, sondern auf allen möglichen Ebenen Diskussionen dazu
führen und die Akteure sich vernetzen: im Sportausschuss, beim DBS, beim DOSB, bei den Verbänden, in den Landesparlamenten usw. Genau darum geht es nämlich:
klar zu definieren, Erfahrungen aus anderen Spielen und Bewerbungen einzubauen, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft einzubinden, um den besten Weg zu
finden.
Was ich auch vermisse in Ihrem Antrag, ist der Verweis auf die großartigen Sportgroßveranstaltungen, die in unserem Land erst stattgefunden haben und
die jetzt bevorstehen. Diese Veranstaltungen sind top aufgestellt. Das sind Vorbildfunktionen. Ich sage nur: Die WM in Oberhof steht vor der Tür.
({3})
Das olympische Feuer brennt nicht erst, wenn es entzündet wird. Das Feuer brennt aus Leidenschaft zum Sport immer und trägt Sportlerinnen und Sportler
zu Höchstleistungen
({4})
und uns Fans zum Mitfiebern. Das ist doch unser Antrieb.
Es stellt sich nicht die Frage, ob wir Sportgroßveranstaltungen bei uns in Deutschland haben wollen. Es geht um das Wie: Wie muss sich die Sportwelt
zukünftig aufstellen, damit nachhaltige Spiele überhaupt möglich sind? Wir werden uns so aufstellen, dass wir moderne, bunte Sportgroßveranstaltungen anbieten
können, auch unter Betrachtung der klimatischen Verhältnisse – auch ein großer Punkt, der in Ihrem Antrag fehlt. Und wenn wir eine Bewerbung auf den Weg
bringen, dann mit Erfolgsaussichten, weil fundiert und mitgetragen und nicht: „Ich will, ich will, ich will!“
Dieser Antrag strotzt nur so vor Fehlern und ist von vorgestern – kleinkariert und mit dem Kopf durch die Wand.
({5})
Wir können in Zukunft beweisen, wie man sich erfolgreich bewirbt. Dafür braucht es aber weder diese Anträge noch die AfD.
({6})
Wir lehnen sie auf jeden Fall ab.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat Jörn König für die AfD.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Vor allem liebe Sportler! Ich begrüße Sie recht herzlich zur Woche des Sports im Deutschen
Bundestag. Wir als Alternative für Deutschland haben heute unsere Olympiaanträge im Plenum, und morgen kommt die Union auch mit einem Tagesordnungspunkt zum
Sport ins Plenum. Die Opposition bringt also Sport in den Bundestag. Und was bringt die Regierung? Nichts.
({0})
Das kennen wir ja schon; das ist ein langfristig vertrautes Bild. Der Anteil des Sporthaushaltes am Gesamtetat ist von 1992 bis 2017 um 20 Prozent
gesunken, auf 0,05 Prozent. Das sind jämmerliche 50 Cent von 1 000 Euro. So haben die Regierungen gearbeitet.
({1})
Bei Olympia sind wir von 82 Medaillen 1992 auf 37 Medaillen 2021 in Tokio gefallen, und das war dann der neunte Platz. Und dann sagen Sie hier: Wir
sind eine Sportnation.
Im Jahr 2017 sind wir, die Alternative für Deutschland, in den Deutschen Bundestag gekommen,
({2})
und – oh Wunder! – der Sporthaushalt hat sich innerhalb von fünf Jahren auf 340 Millionen Euro verdoppelt.
({3})
Das ist aber immer noch viel zu wenig; denn die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien – jetzt ist sie nicht mehr da – hat ein Budget
von etwa 2 Milliarden Euro. Der Kulturetat hat sich seit 1992 verfünffacht, der Sportetat nur verdreifacht. Die Sportpolitiker aller Fraktionen haben in diesen
25 Jahren, von 1992 bis 2017, versagt.
({4})
Das zeigt sich auch an einer anderen Tatsache: Erst seit unserem Einzug in den Bundestag reden Sportpolitiker in den Haushaltswochen zum Sportetat.
Das war vorher nicht so.
({5})
25 verlorene Jahre in der Sportpolitik, Niedergang, Pleiten, Pech und Pannen! Was haben wir gelernt? Mit der AfD kam der finanzielle Aufschwung in der
Sportförderung.
({6})
Schon 2018 haben wir in unseren „Sportpolitischen Thesen“ Olympia in Deutschland gefordert.
({7})
Dann ist im Grunde vier Jahre nichts passiert – außer der Expertise zur Nationalen Strategie Sportgroßveranstaltungen.
Die letzten Olympischen Spiele in Deutschland waren vor genau 50 Jahren. In allen anderen G‑7-Staaten fanden in dieser Zeit zum Teil mehrfach
Olympische Spiele statt: USA viermal, Kanada dreimal, Frankreich, Italien und Japan mit den Vergaben, die schon stattgefunden haben, zweimal, Großbritannien
immerhin einmal, im Jahr 2012. Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass deutsche Sportpolitiker jahrzehntelang geschlafen haben?
({8})
Es braucht also mal wieder den sprichwörtlichen Tritt in den Allerwertesten, und hier ist er: unsere beiden sehr fundierten Anträge, Winter- und
Sommerolympia nach Deutschland zu holen. Winterolympia sollte aus unserer Sicht nach München gehen, wegen der natürlichen und infrastrukturellen
Voraussetzungen, die dort heute schon gegeben sind. Dazu kommt die riesige Sportbegeisterung der Münchner: Die European Championships im letzten Jahr waren vor
allem wegen des Publikums ein voller Erfolg. Für Sommerolympia ist das Rennen offen, aber der Bund sollte sich ausdrücklich dazu bekennen, jede ernstzunehmende
Bewerbung einer deutschen Stadt – und es bewerben sich Städte und nicht der DOSB und auch keine Regierung – politisch und organisatorisch in vollem Umfang zu
unterstützen.
({9})
Vor genau einer Woche hatten alle sportpolitischen Sprecher einen kurzfristig anberaumten Termin mit dem Welteishockeyverband, übrigens während des
Fußballspiels von Deutschland gegen Japan. Es ging um die deutsche Bewerbung um die WM 2027. Alle Fraktionen haben sich aus guten Gründen für diese WM
ausgesprochen. Die Herren vom Welteishockeyverband waren positiv geschockt, ja konsterniert, dass in einem Parlament mit sechs Fraktionen alle mit einer Stimme
gesprochen haben.
Sie, liebe Kollegen, haben jetzt und hier und heute die Gelegenheit, das IOC mit seinem deutschen Präsidenten Thomas Bach positiv in den Schockzustand
zu versetzen.
({10})
Stimmen Sie einfach unseren Anträgen zu! Das ist auch ein schönes Signal der Unterstützung an den DOSB, der am Wochenende seine Mitgliederversammlung
durchführen wird.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Olympia in Deutschland – die Welt zu Gast bei Freunden!
Herr Kollege.
Sport frei, und vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Bernd Reuther hat das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin auf der einen Seite erst mal sehr froh, dass wir alle, sowohl wir von den
Koalitionsfraktionen als auch Kollege Lehmann von der Union, uns sehr seriös und positiv mit dem Thema Olympiabewerbung beschäftigen. Verehrter Kollege König
von der AfD, was Sie hier gerade für einen Unsinn verzapft haben, geht wirklich an allem vorbei, worüber wir hier in der Sportpolitik diskutieren.
({0})
Das will ich an dieser Stelle mal ganz deutlich sagen.
({1})
Das einzig Richtige, was Sie gesagt haben, war Ihr Hinweis zur guten Stimmung bei einer tollen Veranstaltung, den European Championships. Andere haben
es auch schon erwähnt: Wir können Großveranstaltungen in diesem Land. Das Sommermärchen 2006 ist angeklungen. 2024 richten wir die Fußballeuropameisterschaft
aus.
Es ist auch unsere Pflicht als große Demokratie im Herzen Europas, sich um Großveranstaltungen zu bewerben. Gerade im Lichte der
Fußballweltmeisterschaft in Katar – Peking und Sotschi sind angeklungen – ist es unsere Pflicht, das auch in Zukunft zu tun. Aber – und das zeigen die
Bemühungen der Vergangenheit – wir müssen die Menschen vor Ort mitnehmen. Ich erinnere an Berlin, an Hamburg, an München. Da geht Ihr Antrag in die vollkommen
falsche Richtung – es ist auch schon bei meinen Vorrednerinnen und Vorrednern angeklungen –: Beschlüsse von oben herab, Bewerbungen ohne Konzept, ohne die
Menschen mitzunehmen – das wird nicht funktionieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Ich bin froh, dass der DOSB jetzt eine Findungskommission startet, das Thema angeht, aber mit dem richtigen Fingerspitzengefühl, mit der richtigen
Behutsamkeit. Es ist nämlich das A und O, in den Regionen, mit den Verbänden, mit den Menschen vor Ort ein Konzept zu definieren, das Erfolg hat. Das ist von
ganz entscheidender Bedeutung.
Ich will noch zwei andere Aspekte anführen – es ist auch schon angeklungen –: Eine Ausrichterstadt oder ‑region profitiert in nachhaltiger Weise von
so einem Ereignis, weil natürlich auch in Infrastruktur, in den öffentlichen Personennahverkehr, in moderne Transportkonzepte – das sage ich als
Verkehrspolitiker hier sehr gerne – investiert wird und das natürlich eine ganze Region nach vorne bringt.
Ein zweiter Aspekt, der zu nennen ist – es ist ebenfalls angeklungen –, ist die Nachhaltigkeit. Wir haben in unserem Land viele hochentwickelte
Sportstätten, die seit vielen Jahren genutzt werden und auch nach so einem Großereignis weiter genutzt werden können. Das ist ganz, ganz wichtig, um vor Ort die
nötige Akzeptanz zu haben. Keiner will nach Olympischen Spielen vor Sportbauruinen stehen, wie es sie in der Vergangenheit häufiger gegeben hat.
Ich will zum Schluss sagen: Ich komme ja – einige von Ihnen wissen es – aus dem Sportland Nummer eins, aus Nordrhein-Westfalen. Da gibt es ganz viele
tolle Sportstätten. Sie haben im Übrigen in Ihrem Antrag sinngemäß geschrieben, Olympische Spiele weit über Nordrhein-Westfalen verteilt gingen nicht, weil die
Ausdehnung zu groß wäre. Da kann ich Ihnen mal sagen: Die Verteilung der Sportstätten bei den Olympischen Spielen in Los Angeles 2028 ist noch größer als die an
Rhein und Ruhr, wenn es denn zu einer Kandidatur kommt. Ich würde mich – das sage ich, weil ich von Herzen Nordrhein-Westfale bin – sehr freuen über Rudern in
Duisburg, Reiten in Aachen, Hockey in Mönchengladbach, Fechten in Köln. Ich könnte die Reihe endlos fortsetzen.
({3})
– Düsseldorf. Ja, ja, jeder kommt jetzt mit Vorschlägen. – Ich könnte, wie gesagt, die Reihe endlos fortsetzen.
Die Freien Demokraten würden sich sehr freuen, die Sportler dieser Welt wieder in Deutschland begrüßen zu dürfen – dafür setzen wir uns ein –, aber
nicht auf die Art und Weise, wie Sie von der AfD es machen.
Herzlichen Dank.
({4})
Der nächste Redner kommt nicht aus Nordrhein-Westfalen.
({0})
Es handelt sich um Dr. André Hahn für die Fraktion Die Linke.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer möchte, dass sich Deutschland nicht bzw. nicht erfolgreich um die Ausrichtung von Olympischen und
Paralympischen Spielen bewirbt, der schreibe solche Anträge, wie sie hier die AfD vorgelegt hat.
({0})
Unstrittig ist, dass große Sportevents viele Menschen begeistern und dass sie auch Brücken zwischen den Völkern bauen können. Olympische sowie
Paralympische Spiele sind etwas Besonderes. Sie sind für viele Athletinnen und Athleten ein, vielleicht der Höhepunkt in ihrem Sportlerleben. Meines Erachtens
ist die olympische Idee noch nicht tot. Daher lohnt es sich, für sie zu kämpfen. Das heißt vor allem, gegen die zunehmende Kommerzialisierung und politische
Vereinnahmung dieser Spiele vorzugehen.
({1})
Es geht um Korruption, Missachtung von Menschenrechten und von ökologischen und sozialen Fragen sowie um Größenwahn und Profitgier. Diese beschädigen
den Sport.
({2})
Das führt letztlich auch dazu, dass ein großer Teil der Bevölkerung in Deutschland wie auch in vielen anderen Staaten derzeit gegen die Ausrichtung
von Sportgroßveranstaltungen in ihrem Land bzw. ihrer Stadt ist. Insofern kann ich No-Olympia-Initiativen ebenso wie die aktuellen Kampagnen gegen die
Fußball-WM in Katar durchaus verstehen, sage aber auch, dass ich persönlich für Dialog statt Boykott stehe.
Ich füge hinzu: Es macht wenig Sinn, darüber zu klagen, dass Olympiaden zunehmend in Diktaturen oder Autokratien stattfinden, wenn sich demokratische
Länder dafür gar nicht erst bewerben. Beispiele dafür gibt es genug. Die letzten vier Bewerbungen Deutschlands sind im Übrigen vor allem daran gescheitert, dass
die Bürgerinnen und Bürger in den betroffenen Regionen nicht ausreichend mitgenommen wurden. Das aber muss eine Grundvoraussetzung sein, wenn man hierzulande
Olympische Spiele austragen will.
({3})
Es gibt auch derzeit wieder umfassende Debatten im organisierten Sport und in der Bundespolitik über Voraussetzungen und Möglichkeiten für erneute
Bewerbungen Deutschlands um die Ausrichtung von Olympischen und Paralympischen Spielen. Da sage ich: Für meine Fraktion ist eine Voraussetzung für eine solche
Bewerbung, dass in Deutschland zuvor die gravierenden Defizite bei der Teilhabe am Sport abgebaut werden. Dazu gehört unter anderem eine ausreichende Zahl von
gut ausgestatteten und barrierefreien Sportstätten sowie Schwimmbädern für den Schul-, Breiten- und Gesundheitssport.
({4})
Solange wir nicht in der Lage sind, den über 30 Milliarden Euro großen Sanierungsstau bei Sportstätten spürbar abzubauen, brauchen wir nicht über die
Schaffung neuer olympiatauglicher Stadien nachzudenken. Und solange Bund, Länder und Kommunen in Deutschland keinen vernünftigen Schulsport und
Schwimmunterricht absichern können, wird sich meine Fraktion nicht für weitere Olympiabewerbungen engagieren.
({5})
Statt also wie in den zurückliegenden Jahren immer wieder mit den Fingern auf andere Länder zu zeigen, sollten wir erst mal unsere eigenen
Hausaufgaben erledigen.
Im Übrigen – es ist gesagt worden – gehört Deutschland schon jetzt zu den Nationen, die die meisten Sportgroßveranstaltungen austragen; das begrüßen
wir auch ausdrücklich. Wir werden zum Beispiel die Special Olympics World Games im kommenden Jahr haben. Das sind sehr gute Entwicklungen. Trotzdem sollten wir
daran denken, dass es gut ist, wenn Sportgroßereignisse –
Herr Kollege.
– ich habe es verstanden, Frau Präsidentin – auch in anderen Kontinenten wie zum Beispiel Afrika ausgetragen werden. Auch die Länder dort verdienen
ihre Chance.
Die Anträge der AfD werden wir ablehnen.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich freue mich immer sehr, wenn ich auf Verständnis stoße. Noch mehr freue ich mich, wenn es Konsequenzen hat. – Der Kollege Christian Schreider hat
jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Olympia in Deutschland, welcher Sportfan würde sich das nicht wünschen?
Wer das Jubiläum von Olympia 1972 im Sommer in München mitgemacht hat wie Staatssekretär Özdemir und ich, der sagt: Dieses Flair, diese Atmosphäre wollen wir
wieder haben. – Aber genau deshalb sage ich: Schnellschüsse wie die Ihren sind das Letzte, was wir jetzt dazu brauchen. Was wir jetzt brauchen, sind nicht
einfach nur Bewerbungen. Was wir brauchen, sind Konzepte – kluge Konzepte, durchdachte Konzepte, Konzepte, die die Menschen mitnehmen.
({0})
Wer die Fußball-WM in Katar verfolgt, wer sie diskutiert, der weiß: Ein Grundgedanke ist ja richtig: Wer große Sportevents in der demokratischen Welt
will, der muss als Gesellschaft auch mal vorangehen, aber eben, wie gesagt, auf dem richtigen Weg, und den haben Sie mit Ihrem Antrag mal wieder verlassen.
Mit ihrem Antrag hat die AfD die Argumente, ihn abzulehnen, auch gleich mitgeliefert. Eine Olympiabewerbung vom Bundestag aus anweisen, von oben herab
anordnen par ordre du mufti, echt jetzt?
({1})
Sie machen ja immer einen auf pseudobürgernah. Das sind Sie natürlich nicht. Das haben Sie mit diesem Antrag einmal mehr eindrücklich bewiesen.
({2})
Noch einmal: Wir müssen die Menschen mitnehmen. Das ist bei den gescheiterten Bewerbungen aus Berlin, Hamburg und München eben gerade nicht
gelungen.
({3})
Daraus müssen wir lernen. Statt kurzsichtiger Schnellschüsse braucht es deshalb kluge Konzepte im engen Schulterschluss mit der Bürgerschaft.
({4})
Auch wenn das nicht die Stärke der AfD ist: Wir alle sollten aus den Fehlern der Vergangenheit lernen
({5})
und es in Zukunft besser machen.
Wenn Sie sich richtig erinnern würden, dann wüssten Sie eben auch: Im September hatten wir den DOSB extra zu einer Anhörung zum Thema Olympia hier im
Bundestag. Im September hat uns der DOSB bei dieser Gelegenheit gesagt, dass er bereits an einer Strategie zum Thema Olympia arbeitet.
({6})
Und im Dezember wird der DOSB diese Strategie auch vorstellen.
({7})
Freuen wir uns doch darauf; der Dezember ist ja bekanntlich lang.
Wenn sich der vorgestellte Ansatz bestätigt, dann wagen wir auch in zwei Jahren eine Olympiabewerbung. Warten wir es ab. Haben wir die Geduld und
gehen dann gemeinsam den sorgfältigen Weg! Stellen wir die Bürgerinnen und Bürger nicht schon am Anfang dieser schönen Idee vor vollendete Tatsachen! Die würden
sich doch berechtigterweise vor den Kopf gestoßen fühlen, gerade in der aktuellen Krisenlage. Meine feste Überzeugung ist: Eine erfolgreiche Olympiabewerbung
kann nur mit dem deutlichen Rückhalt aus der Mitte der Gesellschaft gelingen, so wie andere Sportgroßveranstaltungen auch.
({8})
Die Menschen müssen sich sicher sein können, dass Olympia in Deutschland kein kurzes Spaßevent nur für sportbegeisterte Touristen ist oder dass nicht
nur Geld im Rahmen einer reinen PR-Aktion zum Fenster rausgeworfen wird. Die Menschen müssen sich sicher sein können, dass Deutschland von Olympia auch in
Zukunft noch zehren kann, weil wir die Sportstätten nachhaltig aufstellen und weil wir die Ehrenamtlichen nachhaltig einbinden.
Also: Wir müssen Rückhalt aufbauen; aber wir haben auch Rückenwind. Die Stimmung bei den European Championships in diesem Jahr in München war doch
gigantisch, gigantisch positiv deshalb, weil die Menschen die Spiele zu ihren Spielen gemacht haben. Das muss der Weg sein, den wir gehen. Auf dem Weg liegen
doch auch die Special Olympics in Berlin und die Fußballeuropameisterschaft 2024.
({9})
Die werden erfolgreich, da bin ich mir sicher. Das wird uns zusätzlichen Rückhalt geben. Nutzen wir den geschickt, und nehmen wir dann den
entscheidenden Anlauf!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Sache ist mir noch besonders wichtig. Das letzte Großevent vom Range Olympias in Deutschland war die
Fußballweltmeisterschaft 2006. Wissen Sie noch, was das Motto dieser wunderbaren WM war? „Die Welt zu Gast bei Freunden“. Wenn wir wirklich Olympia in
Deutschland wollen, dann müssen wir uns dieses Motto auch das nächste Mal sehr zu Herzen nehmen.
({10})
Wenn auch die AfD wirklich Olympia in Deutschland will, dann nehmen Sie sich das mal ganz besonders zu Herzen! Dann hören Sie endlich auf mit Ihren
fremdenfeindlichen Parolen!
({11})
Dann seien Sie endlich freundlich zu der Welt! Dann klappt es auch mit Olympia.
Vielen Dank.
({12})
Dieter Stier für die CDU/CSU-Fraktion ist der nächste Redner.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute darüber, wie wir den Weg für die Ausrichtung Olympischer
Spiele in Deutschland ebnen können. Lassen Sie hier auch mich zu Beginn meiner Ausführungen ganz klar sagen: Als Sportpolitiker wünsche ich mir kaum etwas
anderes mehr als Olympische Spiele in Deutschland. Ich glaube, kein Athlet und keine Athletin wünscht sich etwas sehnlicher, als Sport im eigenen Land vor
großer Kulisse auszuüben.
Olympische und Paralympische Spiele sind ein Dekadenprojekt für Investitionen in Sportstätten, in die beteiligten Städte und Regionen. Sie sind damit
auch insgesamt gut für den Sport. Gerade jetzt nach Corona müssen wir die Menschen wieder für den Sport und für mehr Bewegung begeistern. Hier könnte die
aktuelle Bundesregierung, übrigens unabhängig von einer Olympiabewerbung, deutlich mehr machen.
Aber, meine Damen und Herren, Olympische Spiele werden in Deutschland nicht deshalb Realität, weil es die Bundesregierung, wie von Ihnen gefordert,
anweist. Der antragstellenden Fraktion sage ich: Das funktioniert vielleicht bei Ihrem Freund Putin, aber nicht bei uns.
({0})
Zuständig für eine Bewerbung um Olympische Spiele – das haben wir heute schon gehört – ist in erster Linie der organisierte Sport in Autonomie und
damit der DOSB. Da fällt es schon auf, dass Sie nicht auf die Ergebnisse der im Sportausschuss durchgeführten Anhörung zur Zukunft nationaler und
internationaler Sportgroßveranstaltungen eingehen. Wir haben dort nämlich gehört, dass eine Olympiabewerbung für 2030, wie von Ihnen gefordert, überhaupt nicht
mehr realistisch ist.
({1})
Wir alle sind uns einig, dass die Unterstützung der Bevölkerung eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Olympiabewerbung ist. Auch Sie
schreiben in Ihrem Antrag, dass die letzten Bemühungen um Olympische Spiele in Deutschland an diesem Punkt gescheitert sind. Leider haben Sie Ihren Antrag nicht
dazu genutzt, hieraus Schlussfolgerungen zu ziehen und Konzepte anzubieten. Wahrscheinlich haben Sie beim Schreiben Ihrer Anträge diesem Thema weniger Zeit
gewidmet als der Darstellung, wo seit 1972 überall Olympische Spiele stattgefunden haben.
({2})
Sie fordern zwar, dass die Bevölkerung frühzeitiger in den Bewerbungsprozess eingebunden wird. Sie fordern gleichzeitig aber auch, dass sich der DOSB
für die voraussichtlich im nächsten Sommer zu vergebenden Olympischen Winterspiele 2030 bewerben soll. Das passt nicht zusammen, meine Damen und Herren.
Entweder sind Sie so naiv, dass Sie eine aussichtsreiche Einbindung der Bevölkerung für möglich halten, oder Ihnen ist dieses Anliegen doch nicht so wichtig.
Als naiv – es tut mir leid, Herr König, dass ich Ihnen das so sagen muss – bezeichne ich jedenfalls Ihre Behauptung, dass aufgrund der vorhandenen Sportstätten
und der vorliegenden Planungen für München nur noch wenige strittige Punkte geklärt werden müssten. Auch Ihnen dürfte aufgefallen sein, dass aufgrund der
aktuellen Inflation einige dieser Planungen nicht mehr einfach so übernommen werden können.
Ebenso dürften selbst Sie bemerkt haben – wir haben das in vielen Gesprächen bei den European Championships 2022 erfahren dürfen –, dass sich auch die
Anforderungen an Sportstätten, an die Infrastruktur, an Nachhaltigkeit und an vieles mehr seit 1936 und seit 1972 deutlich verändert haben. Das sollten Sie
bitte zur Kenntnis nehmen.
({3})
Dass Sie für die von Ihnen in München geforderten Winterspiele auch eine Beteiligung von Wintersportgebieten in Mitteldeutschland nur als eine
denkbare Notlösung ins Spiel bringen, wenn es in den Regionen Garmisch-Partenkirchen oder Traunstein kein Interesse gibt, stellt für mich als Abgeordneten aus
Sachsen-Anhalt eine grobe Geringschätzung der neuen Länder dar.
({4})
Ich, meine Damen und Herren, halte das Nachdenken über Spiele im Osten unseres Landes für eine gute Möglichkeit, wirtschaftsarme, vom Strukturwandel
besonders betroffene Regionen zu unterstützen. Ich glaube, das würde auch der Zustimmung in der Bevölkerung – wir haben das vom Kollegen Lehmann gehört –
überhaupt nicht abträglich sein.
Sie fordern möglichst schnell viele Bewerbungen. Wir fordern eine Olympiabewerbung mit Qualität anstelle von Quantität. Nur eine Olympiabewerbung,
meine Damen und Herren, welche von den Sportverbänden, den austragenden Regionen und vor allem der Bevölkerung mitgetragen wird, hat auch Aussicht auf Erfolg.
Ihre gewünschte übereilige Bewerbung wäre daher eher kontraproduktiv. Sie bringt uns dem Ziel von erfolgreichen Olympischen Spielen in Deutschland kein bisschen
näher. Ihre Anträge werden deshalb von der Union heute abgelehnt.
Vielen Dank.
({5})