Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! In wenigen Tagen beginnt die Adventszeit, eine Zeit
der Besinnung und der Vorfreude. Gespannt öffnen die Kinder jeden Tag ein Türchen des Adventskalenders, und es gipfelt dann im Weihnachtsfest, heutzutage auch
ein Fest der Geschenke.
In diesem Jahr ist aber vieles anders; denn für die meisten wird es wohl deutlich weniger unter dem Weihnachtsbaum geben. Die explodierenden Gas- und
Lebensmittelpreise betreffen jeden in allen Bereichen, jeden einzelnen Haushalt, jede Familie, und zwar nicht nur bei den Geschenken, sondern auch bei den ganz
existenziellen Sachen: Strom, Gas, Miete, Lebensmittel. Es geht schlicht bei vielen Menschen darum, ob sie frieren und ob sie sich noch gesundes Essen leisten
können.
({0})
Schaut man sich allerdings den Haushaltsplan unserer Bundesregierung an, könnte man durchaus meinen: Alles ist wie immer, nein, sogar besser. Der
Gabentisch ist reich gefüllt, und die Wünsche der Koalitionäre finden da auch ihren Platz. Dabei, so könnte man meinen, ist die frohe Botschaft der Ampel: Dem
weihnachtlichen Koalitionsfrieden steht nichts entgegen. Wie gesagt, die Wünsche werden erfüllt bis hin zu den Millionen für das Rettungsschiff des Partners von
Frau Katrin Göring-Eckardt.
({1})
Dabei ist die Lage, wenn man ehrlich ist, doch eine andere. Wir haben es unter diesem Finanzminister in diesem Jahr geschafft – natürlich verteilt auf
mehrere Haushalte; clever gemacht –, fast 550 Milliarden Euro neue Schulden anzuvisieren. Im vorliegenden Bundeshaushalt für nächstes Jahr sind es
45,6 Milliarden Euro Neuverschuldung. Die Schuldenobergrenze wird bis an die Grenze ausgereizt in einer Situation, wo jeder Bürger, jeder Haushalt, jedes
Unternehmen gucken muss, sparen muss, umschichten muss, Prioritäten setzen muss.
Es ist nicht so, dass wir dieses Hilfspaket und auch die 200 Milliarden Euro zum Überbrücken in der Sache nicht unterstützen. Wir haben schon
frühzeitig – ich glaube, im März und im Juni – im Plenum Anträge für eine Gas- und Strompreisbremse gestellt.
({2})
Da haben Sie noch monatelang nichts getan. Aber es ist doch klar: Es ist eine Überbrückung. Wir können auf Dauer nicht einfach nur ganz große
Milliardenbeträge in den Raum stellen und glauben, dass das das Problem löst.
({3})
Es ist also wichtig: Schwerpunkte setzen statt Gießkanne, verantwortliches langfristiges Planen statt Koalitionsfrieden, Sparen statt Angst vor
Auseinandersetzung und – das ist und bleibt entscheidend; man kann es nicht oft genug sagen – nicht nur Symptombehandlung, sondern auch Ursachenbekämpfung. Wir
müssen das Energieangebot erhöhen – ideologieoffen. Wir haben keine andere Wahl.
({4})
Von einem ernsthaften Bemühen, Prioritäten zu setzen, kann ich jetzt hier bei dem Einzelplan nicht ausgehen, auch beim Gesamtetat nicht. Im Gegenteil:
Insgesamt schafft die Ampel in ihrem ersten Jahr über 10 000 zusätzliche Stellen für ihre Ministerien und Behörden. Und ganz ehrlich, dieses Angebot, jetzt 1,5,
1,6 Prozent der Stellen zu streichen, gleicht diese über 10 000 zum Teil teuren Stellen nicht ansatzweise aus. In dieser Zeit, wo jeder sparen muss, über 10 000
zusätzliche Stellen!
In dieser Situation wurde das Bürgergeld hier mehrheitlich beschlossen. Wir alle suchen händeringend Leute, egal wo: Gastro, Handwerk, Verkauf,
Pflege. Also, man müsste Anreize setzen und zeigen: Mehr Arbeit lohnt sich. Mehr Menschen in Arbeit, das wäre das Richtige. Was machen wir? Das Bürgergeld. Das
Gegenteil wurde hier mehrheitlich beschlossen: Im ersten halben Jahr fast keine Sanktionen, bei einer Familie bis 150 000 Euro Schonvermögen. Das wäre ein
völlig falsches Signal.
({5})
Zum Glück, sage ich mal, haben die unionsregierten Länder das im Bundesrat gestoppt. Es sind ja auch die Grünen in Regierungen dabei. Offensichtlich
ist man da näher an den Menschen und stellt sich die Frage: Wie müssen das die Menschen empfinden, die das alles finanzieren und die auch nicht viel mehr haben,
die sich abrackern und die auch Kinder erziehen nebenher und die auch oft am Limit sind und die auch ihre Gesundheit riskieren? Das zu bedenken, ist auch zur
Wahrung des gesamtgesellschaftlichen Friedens wichtig. An diese Menschen haben Sie nämlich nicht gedacht. Deshalb ist der Kompromiss jetzt da. Zum Glück kommt
natürlich ein inflationsbedingter Ausgleich für die Hartz‑IV-Empfänger; das ist völlig richtig. Aber klar ist auch, dass es beim Grundsatz „Fördern und Fordern“
bleiben muss. Das Schlimmste wurde zum Glück verhindert.
({6})
Wie gesagt, es muss mehr Anreize geben, in Arbeit zu gehen. Die Menschen müssen motiviert werden – wir haben in der Bereinigungssitzung zahlreiche
Anträge dazu eingebracht –, zum Beispiel durch attraktivere Arbeitsbedingungen für ältere Beschäftigte, um sie länger im Betrieb zu halten, den Ausbau digitaler
Angebote, um die Ausbildungsplätze, gerade für die jungen Leute, besser zu koordinieren und natürlich auch durch ein inklusives Digitalpaket für berufliche
Bildung. Auch Menschen mit Handicap sind wertvoll. Sie können super Onlinejobs machen und unseren Arbeitsmarkt bereichern.
({7})
Das alles geht. Wir haben gesagt: Wir wollen eine wöchentliche Höchstarbeitszeit; denn auch da bremsen wir die Leute aus, die mehr leisten wollen.
Darum gibt es das Signal: Wir können aus dieser Krise raus. Wir können unseren Wohlstand auch erhalten. Aber jedem muss klar sein: Das geht nur, wenn
wir anpacken, die Ärmel hochkrempeln, bereit sind, mehr zu arbeiten. Wir dürfen den Leuten nicht suggerieren: Ja, ja, wir zahlen schon für euren Nachteil. –
Diese Rechnung wird nicht aufgehen.
({8})
Viele Menschen in diesem Land werden ihren Lieben dieses Jahr zu Weihnachten weniger schenken können. Bitte, liebe Vertreter der Ampelkoalition,
treffen auch Sie zumindest im nächsten Haushalt – für diesen ist es schon zu spät – die richtige Wahl beim Bestücken des Gabentisches: nicht nur
Symptombehandlung, sondern Ursachenbekämpfung, Angebot erhöhen, ideologieoffen. Nichts anderes hilft, und von diesem Geschenk haben die Menschen wirklich länger
etwas.
({9})
Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Kathrin Michel.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister Hubertus Heil! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Česćeni knjenje a knježa! Wir befinden uns
in herausfordernden Zeiten. Komplexe Krisen, die sich global überlappen, stellen unsere Gesellschaft vor immense Herausforderungen. Umso mehr ist dieser
Haushalt ein echter Erfolg.
({0})
Mein Dank gilt allen Beteiligten, Mitarbeitenden und ganz besonders der parlamentarischen Staatssekretärin Kerstin Griese. Sie hat in den letzten
Wochen quasi 24/7 für uns Berichterstattende bereitgestanden. Sie war jederzeit ansprechbar, und das wollte ich heute nicht unerwähnt lassen.
({1})
Dem heute vorgelegten Haushalt 2023 gingen sehr intensive Verhandlungen voraus. Eins war uns Haushälterinnen und Haushältern wichtig, nämlich
darzustellen, wie wichtig und wie kraftvoll das parlamentarische Verfahren ist und was wir Abgeordnete letztendlich bewirken können.
({2})
Es gibt sie wirklich, die Abgeordneten, die mit Herzblut, die mit Sachverstand und viel Verantwortung bis an das Ende ihrer Kräfte oft streiten und
verhandeln. Und es gibt die anderen.
({3})
Mit großem Verantwortungsbewusstsein haben wir einen Haushalt aufgestellt, der sich wirklich sehen lassen kann. Der Einzelplan 11, quasi das
Mutterschiff des Haushalts, bildet auch 2023 mit 166,2 Milliarden Euro den größten Einzeletat und macht etwa ein Drittel des Gesamthaushalts aus.
Es ist uns gelungen, den Regierungsentwurf im parlamentarischen Verfahren durch Anpassen von Pflichtleistungen aufgrund der Wirtschaftsprognosen noch
einmal um 2,9 Milliarden Euro zu erhöhen. So sorgen wir auch im kommenden Jahr für einen gut ausgestatteten und starken Sozialstaat, auf den sich die Menschen
verlassen können.
({4})
Zusammenhalt in der Zeitenwende bedeutet, dass wir gerade in Krisenzeiten in den Sozialstaat investieren und wohlüberlegte Ausgaben für soziale
Sicherung und einen stabilen Arbeitsmarkt tätigen. Gegenüber dem Regierungsentwurf zum Haushalt 2023 stellen wir den Jobcentern zusätzlich 500 Millionen Euro
für Eingliederungsleistungen und die Verwaltung zur Verfügung. Das ist ein bedeutendes Plus, von dem viele Menschen in unserem Land profitieren werden.
({5})
Weiterhin ist es uns gelungen, die Regelung zur Inanspruchnahme von Ausgaberesten beim Eingliederungstitel in Höhe von bis zu 600 Millionen Euro zu
verstetigen. Mit den insgesamt 10,3 Milliarden Euro sind die Jobcenter fürs kommende Jahr gut aufgestellt. Das gibt Perspektive; das gibt Planungssicherheit in
unsicheren Zeiten, und das ist ein wesentlicher Beitrag zur Umsetzung des Bürgergelds.
({6})
Mit den 10,3 Milliarden Euro ermöglichen wir genau den Paradigmenwechsel, für den wir als SPD schon so lange gekämpft haben. Diejenigen in unserer
Gesellschaft, die aus unterschiedlichen Gründen nicht in der Lage sind, eigenständig auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, werden durch Support der Jobcenter
dabei unterstützt, einen Berufsabschluss zu machen, und bekommen so die Chance, langfristig und nachhaltig auf dem Arbeitsmarkt bestehen zu können.
({7})
Das, liebe Union, ist das wirkliche Herzstück der Bürgergeldreform.
({8})
Die 10,3 Milliarden Euro sind gut investiert und helfen unserer Volkswirtschaft, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Wir müssen den veränderten
Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt Rechnung tragen; alles andere wäre kurzsichtig und schlicht unverantwortlich.
Unverantwortlich ist leider auch das Bild, das Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen der Union, in den vergangenen Wochen mit Blick auf
die Menschen bemühen, die Leistungen aus dem SGB II beziehen,
({9})
sei es der von Ihnen gesetzte Fokus auf Sanktionsmechanismen – rund 97 Prozent der Leistungsberechtigten bleiben davon unberührt; das wissen wir
alle – oder aber, schlimmer noch, diese unsägliche Neiddebatte, die vorhin Kollegin Launert noch mal bedient hat, eine Neiddebatte, in der Sie Geringverdienende
gegen Arbeitslose ausspielen. Das ist schäbig, und das passt in meinen Augen so gar nicht in das Bild einer christlichen Partei.
({10})
Wir gehen mit dem Bürgergeld den zugewandten Weg. Wir schenken Vertrauen und sorgen so dafür, dass Anstrengung belohnt wird. Der Kompromissvorschlag
aus dem Vermittlungsausschuss, der morgen zur Abstimmung steht, behält den Kern unserer Bürgergeldreform – einen echten Kulturwandel in der
Arbeitsmarktpolitik – bei. Er ist ein Erfolg für uns. Ab 1. Januar 2023 kommt das neue Bürgergeld.
({11})
Mit dem heute debattierten Haushalt setzen wir weitere wichtige Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag um. Wir starten das Bundesprogramm
Barrierefreiheit, um unsere Vorhaben für mehr Inklusion und Teilhabe im Alltag voranzutreiben. Wir bauen die erfolgreiche Beratungsarbeit der Bundesfachstelle
Barrierefreiheit und der Überwachungsstelle barrierefreie IT aus und stellen dem Partizipationsfonds zur Förderung von Selbstvertretungsorganisationen von
Menschen mit Behinderung rund 40 Prozent mehr Mittel zur Verfügung.
Und wir haben die Errichtung einer Stiftung zur Umsetzung des Härtefallfonds auf den Weg gebracht – endlich! –, buchstäblich in letzter Sekunde und
gerade noch rechtzeitig.
({12})
Nun können wir den betroffenen Menschen, denen unter anderem vor dem Hintergrund der Rentenüberleitung erhebliche Nachteile entstanden sind und die
gleichzeitig eine sehr niedrige Rente beziehen, eine finanzielle Kompensation zukommen lassen.
({13})
Ich appelliere an dieser Stelle erneut und nachdrücklich an die Länder und ganz besonders auch an mein Bundesland Sachsen: Folgen Sie dem guten
Beispiel des Bundes! Folgen Sie dem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern! Treten Sie der Stiftung bei, und verdoppeln Sie den Beitrag des Bundes für die in Ihrem
Land lebenden Betroffenen! Zeigen Sie endlich Respekt!
Herzlichen Dank und Glück auf!
({14})
Nächste Rednerin: für die AfD-Fraktion Ulrike Schielke-Ziesing.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Verehrte Bürger! Eins vorweg: Es ist gerade einmal zwei Wochen her, da standen wir hier und debattierten über das
sogenannte Bürgergeld. Ich war geradezu entsetzt über diesen Tiefpunkt der Debattenkultur. Solche Beschimpfungen, mit denen Sie die Einwände der Opposition
abgebügelt haben, gehören nicht hierhin.
({0})
Aber diese Dünnhäutigkeit zeigte auch: Mit der massiven Kritik, die ja nicht nur von den Verbänden und dem Bundesrechnungshof kam, sondern auch von
der Basis Ihrer Parteien, haben Sie nicht gerechnet. Nur so ist die Erleichterung zu erklären, mit der Sie sich gezwungenermaßen von einigen der gröbsten
Schnitzer verabschieden dürfen.
Doch das, was übrig bleibt, ist leider kaum besser. Es bleibt dabei: Das Bürgergeld ist kontraproduktiv; es lädt zu Missbrauch ein, und es ist ein
Schlag ins Gesicht derjenigen, die jeden Morgen aufstehen, um sich ihr Einkommen selbst zu erarbeiten.
({1})
Noch schlimmer: Es erhöht die Gefahr drastisch, dass Menschen in der Langzeitarbeitslosigkeit landen und dort bleiben. Wer das bestreitet, hat lange
nicht mehr mit Mitarbeitern in den Jobcentern gesprochen, und das in einer Zeit, in der es kaum etwas Wichtigeres gibt, als so viele Menschen wie möglich in
Arbeit zu bringen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute sprechen wir aber darüber, was das alles kostet und wie das finanziert werden soll. Und siehe da: Wo im
Gesetzentwurf für Einzelplan 11 noch 4,8 Milliarden Euro veranschlagt werden, finden sich jetzt nur noch rund 3 Milliarden Euro. Schon die Heizkosten müssen Sie
aus dem 60er finanzieren, und das im ersten Jahr der Einführung. Was kommt danach? Schaffen Sie das Bürgergeld dann wieder ab, wenn die Einnahmen wegbrechen,
wie das jetzt absehbar ist?
Wir stehen bekanntlich am Anfang einer schweren Rezession und einer Welle von Firmeninsolvenzen. Viele Menschen werden ihre Arbeit verlieren. Die
Inflation steigt weiter und damit auch die Kosten für die Lebenshaltung. Wer das nicht mehr stemmen kann, landet bald im Sozialsystem. Das alles muss in Zukunft
auch bezahlt werden. Ich frage mich allmählich: Wovon?
Die Ampel regiert nach dem Motto „Pi mal Daumen – nach Kassenlage“ und hofft mit geschlossenen Augen auf das Beste. All das erinnert an die
Grundrente. Dort wurde ja auch ein eigentlich richtiges Anliegen, nämlich die Erhöhung der Mittel für sozial Bedürftige, ideologisch überfrachtet und entgegen
aller Vernunft ins Gegenteil verkehrt.
({2})
Auch die Grundrente war ein Prestigeobjekt von Herrn Heil. Aber, um Herrn Habeck zu zitieren, es ist ja „nur Geld“. Diese geradezu metaphysische
Einstellung erklärt, mit welcher Großzügigkeit mit dem Geld der Steuerzahler umgegangen wird.
Die Ampel hat sich bereits im ersten Jahr ihrer Regierung mit rund 550 Milliarden Euro verschuldet. Nicht genug: Im Schatten daneben türmen sich rund
28 kreativ betitelte Sondervermögen für dies und das in Milliardenhöhe – Schulden, die nicht im Bundeshaushalt auftauchen, die aber zurückgezahlt werden müssen
von unseren Kindern und Enkeln –, seit Neuestem auch für die Aktienrente. Grundsätzlich ist es richtig, über eine langfristige Ergänzung der Umlagefinanzierung
in der Rentenversicherung nachzudenken. Aber so zu tun, als ob man mit einem Anschub von 10 Milliarden Euro die Rentenversicherung demografiefest machen könnte,
ist lächerlich.
Zum Vergleich: Das Volumen der gesetzlichen Rentenversicherung beträgt schon heute rund 330 Milliarden Euro pro Jahr; ein Drittel davon sind
Steuerzuschüsse. Daran gemessen ist die Summe, um die es hier geht, nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein. Für einen nennenswerten Effekt müsste man also
einen weit höheren Betrag als feste Ausgabe einplanen, und zwar jährlich – wenn man das Geld denn hätte. Stattdessen muss sogar der Anschub von 10 Milliarden
Euro auf Kredit finanziert werden. Herr Lindner zockt also mit der Erwartung, dass die Erträge dieser Kapitalanlagen langfristig die Kosten übersteigen, die er
wegen steigender Zinsen dafür zahlen muss. Das ist gefährlich.
({3})
Die Alternative ist dagegen unbequem: Umsteuern und sparen, was das Zeug hält. Sämtliche Ausgaben müssen auf den Prüfstand unter der Vorgabe: Was ist
wirklich notwendig und sinnvoll? Was brauchen wir, um die wirtschaftlichen Grundlagen des Landes zu sichern? Wovon müssen wir uns verabschieden?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nichts davon ist zu erkennen, nichts davon ist gewollt. Das ist beängstigend; denn es schadet unserem Land
dauerhaft.
({4})
So werden weiterhin Milliarden für ideologischen Unsinn versenkt, während am anderen Ende das Geld fehlt, zum Beispiel für die angemessene Ausstattung
des Härtefallfonds. Das betrifft Hunderttausende Ostrentner, die vielfach in Armut leben, weil ihnen bekanntlich durch Verfahrensfehler bei der Überleitung ins
westdeutsche Rentenrecht ein Teil ihrer Rente genommen wurde.
Die angedachte Lösung bleibt finanziell weit hinter den berechtigten Erwartungen zurück. Sogar Ihr SPD-Kollege Dulig bezeichnete sie als – Zitat –
„politischen Kompromiss auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner“. Das ist zu wenig, das hilft nicht, und das ist den Menschen, die so lange auf Unterstützung
warten, nicht angemessen. Deshalb appelliere ich an Sie: Vergrößern Sie diesen gemeinsamen Nenner! Tun Sie, was richtig ist! Für andere Dinge ist ja anscheinend
auch Geld da.
Vielen Dank.
({5})
Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Markus Kurth.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Dr. Launert, liebe Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, gerne hätte ich hier von dieser
Stelle aus über die Höhe des Eingliederungstitels zur Förderung von Langzeitarbeitslosen gesprochen und darüber diskutiert, ob er ausreicht oder nicht.
({0})
Wir haben ja immerhin 500 Millionen Euro wieder reingeholt. Gerne hätte ich auch über Zahlen zur berufsbezogenen Sprachförderung und dergleichen
diskutiert.
Aber was muss ich mir hier stattdessen anhören? Wieder werden Langzeitarbeitslose oder Menschen, die etwa, weil sie alleinerziehend sind und deswegen
im Arbeitslosengeld-II-Bezug landen,
({1})
diffamiert und als Projektionsfläche für Ressentiments, Neid und Missgunst missbraucht.
({2})
Wieder muss ich mir hier anhören, wie Sie Mindestlohnbeziehende instrumentalisieren – denn nichts anderes tun Sie –, um Differenzen herzustellen.
({3})
Sie werden den Arbeitenden in diesem Bereich damit überhaupt nicht gerecht; denn Arbeit ist mehr als Geld. Arbeit bedeutet Teilhabe, Austausch und
soziale und auch gesundheitliche Stabilität.
({4})
Wenn es nur um das finanzielle Kalkül ginge, dürfte es ja gar keine arbeitenden Menschen geben, die auf einen Anspruch auf ergänzendes
Arbeitslosengeld II verzichten, die sogenannte verdeckte Armut. Dass es sie gibt, zeigt doch, wie viele Menschen stolz sind, dass sie ihre Arbeit haben, die gar
nicht auf das Jobcenter angewiesen sein wollen. Auf Kosten dieser Menschen Politik zu machen, ist unerhört!
({5})
Wenn Sie den Mindestlohnbeziehenden und den Geringverdienenden wirklich gerecht werden wollen, dann tun Sie etwas zur Stärkung von Tarifbindung und
Tariftreue. Das wäre der ehrliche Ansatz an der Stelle.
({6})
Stattdessen arbeiten Sie mit falschen Zahlen, was Sie am Ende auch zugegeben haben. Der Kollege Jens Spahn wird von der „taz“ am 19. November
interviewt. Ihm werden die falschen Zahlen vorgehalten. Antwort Jens Spahn: „Standen in der taz noch nie falsche Zahlen?“ Diese Antwort spricht doch wohl für
sich. Aber die Interviewerin gibt Jens Spahn noch eine zweite Chance und stellt die Frage: „Wäre da nicht eine Entschuldigung angesagt?“ Antwort Jens Spahn: „Es
geht um die Frage, ob sich Arbeiten lohnt oder nicht. Diese Debatte müssen wir führen.“
({7})
Das finde ich wirklich unerhört.
({8})
– Da klatschen Sie auch noch!
({9})
Es ist von Jens Spahn an der Stelle ja noch nicht mal der Versuch unternommen worden, zu verhehlen, dass falsche Zahlen zur Kampagnenführung verwendet
worden sind.
({10})
Wenn man daneben die Äußerung des bayerischen Ministerpräsidenten legt, der gesagt hat: „Wer wie Diogenes faul in der Tonne liegt, der kriegt keine
Leistungen“ – das Ganze hat er vor einem grölenden Publikum im Bierzelt von sich gegeben –,
({11})
dann sieht man, dass dieser Ansatz die Spaltung als politisches Geschäftsmodell hat.
({12})
Welche Geister Sie wecken, konnten Sie gerade in der Rede von Frau Schielke-Ziesing hören und in vielen anderen Beiträgen nachlesen. Bevor Sie aus der
Union sich so aufregen, sage ich Ihnen: Ich will diese Spaltung nicht. Ich möchte das bewusst nicht.
({13})
Nein. Deswegen werde ich Sie auch nicht pauschal verteufeln oder gar in die Nähe der AfD stellen.
({14})
Ich weiß nämlich, dass es bei Ihnen Menschen gibt, die das besser wissen: Stellvertretend will ich Hermann Gröhe und Karl-Josef Laumann nennen.
Vor einem halben Jahr war ich beim kommunalen Jobcenter Münster. Der Leiter des Jobcenters – CDU-Mitglied – ist mit mir und der Sozialdezernentin den
Koalitionsvertrag durchgegangen und fand ihn – nicht alles, aber überwiegend – vernünftig. Vor allen Dingen fand er den Ansatz vernünftig, eine Vertrauensbasis
aufzubauen, um Motivation und Befähigung zu schaffen. Diesen Grundansatz fand er völlig richtig, und er sagte mir sinngemäß: Das machen wir hier in Münster
sowieso schon.
({15})
Das sind Personen aus der Union, die mir die Hoffnung geben, dass wir zu einem rationalen und vernünftigen Diskurs an der Stelle kommen.
({16})
Es gibt noch Hoffnung. Das ist der Ansatz, den wir im Haushalt abzubilden versuchen. Das ist die Haltung, die sich im morgen zu verabschiedenden
Bürgergeldgesetz wiederfindet, aber eben auch in der finanziellen Hinterlegung, die wir vorgenommen haben.
Wir sehen auch die Vielfalt der Problemlagen, die das Sozialgesetzbuch II oder das Bürgergeld umfassen. Es handelt sich keineswegs überwiegend um
Langzeitarbeitslose, sondern zu einem sehr großen Teil um Kinder und Jugendliche und Alleinerziehende. Es geht um Menschen, die vielleicht aus gesundheitlichen
Gründen Beeinträchtigungen haben.
({17})
Es geht um Aufstocker. Es geht um die ganze Vielfalt des Lebens. Und diese Vielfalt des Lebens muss man im Umgang mit Personen, die auf Unterstützung
angewiesen sind, abbilden. Die Zahlen – das Dürre, was auf dem Papier steht – sind das eine, und das andere ist die Haltung, mit der man diese Zahlen mit Leben
füllt.
({18})
Das ist am Ende auch Wirtschaftspolitik. Wir haben nämlich eine ganz andere Situation als zu der Zeit, als das SGB II – ich war selbst dabei – ins
Leben gerufen wurde. Wir haben jetzt keine Massenarbeitslosigkeit, sondern einen Arbeitskräftemangel; nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern einen
Arbeitskräftemangel.
({19})
Es geht nicht nur aus menschlichen Gründen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen darum, diese großartigen Potenziale zu heben, die wir in diesem
Land mit allen Menschen haben. Es darf niemand verloren gehen. Das ist unser Ansatz.
Vielen Dank.
({20})
Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Dr. Gesine Lötzsch.
({0})
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor 20 Jahren haben SPD und Grüne unter aktiver Mitwirkung von Union und FDP
die Hartz-Gesetze eingeführt. Wir haben damals gesagt: Hartz IV ist Armut per Gesetz. – Das hat sich leider bewahrheitet. Darum brauchen wir einen grundlegenden
Systemwechsel, meine Damen und Herren.
({0})
Ich verstehe, dass die Hartz‑IV-Parteien ihr Hartz‑IV-Image loswerden wollen. Das Bürgergeld enthält einige Verbesserungen. Darum haben wir im
Bundestag das Gesetz auch nicht abgelehnt. Doch das Vermittlungsverfahren hat das Gesetz nicht besser, sondern schlechter gemacht, und das ist schade, meine
Damen und Herren.
({1})
Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, SPD, sagte stolz: Wir haben den größten Niedriglohnsektor Europas geschaffen. – Ich halte das für eine
fatale Aussage. 1 Million Menschen, die einer regelmäßigen Arbeit nachgehen, müssen aufstocken. Welche Demütigung! So darf das nicht weitergehen!
({2})
Was wir brauchen, sind deutlich höhere Löhne und eine effektive Kontrolle der Einhaltung des Mindestlohnes. Alles andere ist Lohndrückerei, meine
Damen und Herren von Union und FDP. Merken Sie sich das!
({3})
Die Erhöhung der Regelsätze ist überfällig. Bei einer Preissteigerung bei Grundnahrungsmitteln von 20 Prozent in einem Jahr sind 53 Euro mehr Hartz IV
im Monat eben kein ausreichender Inflationsausgleich. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat neu berechnet und fordert einen Regelsatz von 725 Euro pro Monat.
Über diese Forderung sollten wir gemeinsam nachdenken, meine Damen und Herren, und sie unterstützen.
({4})
Bei den Sanktionen hat die Ampel schnell eine Rolle rückwärts gemacht. Die Regierung mag offensichtlich Sanktionen, allerdings nicht für alle. Wenn es
um Einkommensmillionäre geht, die bei der Steuer betrügen, sind Sie sehr großzügig. Der Bundesrechnungshof hat bereits im Jahr 2006 bemängelt, dass
Einkommensmillionäre zu selten geprüft werden. Die Prüfquote ist in den vergangenen Jahren nicht gestiegen, sondern gesunken, und das ist fatal.
({5})
Der DIW-Chef Fratzscher rechnet vor, dass der Schaden durch Steuerhinterziehung pro Jahr 100 Milliarden Euro beträgt. Der Schaden durch
Hartz-IV-Betrug macht dagegen 60 Millionen Euro aus. Mit diesem Missverhältnis haben die Hartz-IV-Parteien offensichtlich kein Problem.
({6})
Es ist beängstigend, wie die schmächtige FDP knallhart die Interessen der Vermögenden in dieser Koalition durchsetzt. Gehen Sie einen anderen Weg,
meine Damen und Herren von SPD und Grünen, ansonsten landen Sie in der Ecke der FDP. Das kann doch nicht Ihr Ziel sein.
Herzlichen Dank.
({7})
Nächste Rednerin: für die FDP-Fraktion Claudia Raffelhüschen.
({0})
Jetzt wird es wieder ein bisschen ruhiger.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Minister Hubertus Heil! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aufstellung des Arbeits- und Sozialetats war in
diesem Jahr besonders anspruchsvoll. Corona, Ukrainekrieg und Energiekrise – all das tangiert insbesondere den Einzelplan 11. Wir haben einen soliden
Regierungsentwurf in den letzten Wochen noch weiter konsolidieren können; denn die Frage, wie wir das zur Verfügung stehende Geld noch besser verausgaben
können, bleibt ein wichtiger Grundsatz – und zwar immer, nicht nur in Krisenzeiten.
Absolut klar war für uns, dass alle Änderungen, die wir als Koalition am Regierungsentwurf vornehmen, im eigenen Etat gegenfinanziert sind. So
gewähren wir nun der Bundesagentur für Arbeit und den Jobcentern mehr Spielraum im Bereich der Eingliederung und kompensieren dies einmalig im
Haushaltsjahr 2023 und aufgrund des entstehenden Mehrbedarfs durch den Rechtskreiswechsel der Ukrainegeflüchteten über das Bürgergeld. Das ist sachlogisch; denn
wir setzen hiermit einen Anreiz zu mehr Aktiv- statt Passivleistungen.
({0})
Selbstverständlich bleibt es bei unserem Grundsatz: Arbeit muss sich lohnen. Deshalb gilt es, diejenigen zu unterstützen, die aus dem Ausland in
unseren Arbeitsmarkt hineinkommen, die sich fort- und weiterbilden wollen oder die bisher keine Chance auf berufliche Qualifikation hatten.
Im Gesamtbudget SGB II stehen den Jobcentern – unter Einbezug aller Ausgabeposten – nun 10,35 Milliarden Euro zur Verfügung. Hier haben wir den Etat
also deutlich verstärkt und den Hilferufen aus den Jobcentern Gehör verschafft. Sie leisten großartige Arbeit vor Ort, und ich freue mich auf weitere Erfolge im
kommenden Jahr.
({1})
Mehr Menschen in Arbeit zu bringen, muss unser Hauptziel sein und bleiben; denn damit entlasten wir darüber hinaus auch unsere
Sozialversicherungssysteme.
Außerdem starten wir das Bundesprogramm Barrierefreiheit mit 2 Millionen Euro Anstoßfinanzierung
({2})
für mehr Teilhabe beeinträchtigter Menschen am gesellschaftlichen Leben. Pünktlich zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember
setzen wir ein Zeichen und ermöglichen, dass die mit dem Programm verbundenen Maßnahmen in 2023 pünktlich starten können.
({3})
Da wir Haushaltspolitiker unsere Arbeit als Hüter des Geldes ernst nehmen, haben wir die Ausgaben gesperrt, bis uns ein Konzept über die konkrete
Ausgestaltung der Bundesinitiative vorgelegt wird. Wir wollen so sicherstellen, dass das zusätzliche Geld auch wirklich sachgerecht verausgabt wird.
Darüber hinaus stärken wir die Nationale Armutskonferenz und den sogenannten Partizipationsfonds.
({4})
Mit den bisherigen Förderentscheidungen konnten aufgrund der knappen Mittelausstattung nicht alle Anträge bewilligt werden, etwa aus dem Bereich der
Gehörlosen-Community. Mit den zusätzlichen Mitteln soll nun mehr Spielraum geschaffen werden, um weitere Projekte fördern zu können.
Mit all diesen Vorhaben setzen wir weitere zentrale Versprechen aus dem Koalitionsvertrag um und zeigen gleichwohl, dass Steuergeld ein endliches Gut
ist; denn wir finanzieren diese aus dem eigenen Etat gegen.
Oftmals hat der Staat leider nicht nur ein Ausgabenproblem, sondern auch ein Ausgabenstrukturproblem. Nicht nur über das Wieviel, sondern auch über
das Wofür haben wir uns gemeinsam mit dem BMAS ausgetauscht. Ich bin sehr froh darüber, dass wir im Kapitel „Arbeitswelt im Wandel“ – hier liegt der
Mittelabfluss seit Jahren deutlich unter dem veranschlagten Sollansatz – 10 Millionen Euro zugunsten des Bundeshaushalts kürzen konnten. Koalition und BMAS
setzen damit ein gemeinsames Zeichen: Wo Geld nicht gebraucht wird, setzen wir es frei.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich bleibt ein zentraler Krisenherd des Einzelplans die Rente. Die Zukunftsfähigkeit unserer Rentenversicherung
hat höchste Priorität. Ich freue mich deshalb wirklich über den Einstieg in ein kapitalgedecktes System!
({6})
Mit dem Renteneintritt der Babyboomer ab dem Jahr 2025 werden unsere Rentenkassen jedoch unter noch massiveren Druck geraten: Sie haben weniger Kinder
geboren, sind jedoch selbst viele. Die Rentenversicherung sieht sich also bald mit immer weniger Einzahlern und immer mehr Empfängern konfrontiert.
({7})
Dieser demografische Effekt wird noch eklatanter, wenn wir die steigende Lebenserwartung hinzuziehen, die Rente somit immer länger bezogen wird. Die
fünf großen Rentenzuschüsse betragen im Jahr 2023 zusammen 106,6 Milliarden Euro. Hier ist etwas aus den Fugen geraten, und es braucht nun dringend sanfte
Impulse an den Stellschrauben der Rente
({8})
und mehr Flexibilität beim Renteneintrittsalter. Denn selbstverständlich sollte ein Dachdecker nicht mit 60 Jahren noch weiterarbeiten müssen; andere
Berufsgruppen können und wollen das aber durchaus.
({9})
Leider hat es bisher fast keine Regierung geschafft, dem Rentensystem eine Therapie zu verabreichen. Wir machen das anders und denken langfristig –
für unsere Kinder und Enkelkinder!
({10})
10 Milliarden Euro Kapitalstock sind ein Lichtblick, ein guter Anfang und ein sehr gutes Signal für unsere Jugend.
({11})
Eine Notoperation an unserem eigentlich umlagefinanzierten System ersetzen sie jedoch nicht. Lieber Herr Minister, ich würde mich über einen
gemeinsamen Aufbruch freuen. Lassen Sie uns zu diesem Thema im Gespräch bleiben.
Abschließend noch eine Erfolgsmeldung. Es geht um den Fonds zur Abmilderung von Härtefällen in der Ost-West-Rentenüberleitung, für Spätaussiedler und
jüdische Zuwanderer, der im Bundeshaushalt 2023 nicht mehr etatisiert ist. Für das aktuell laufende Haushaltsjahr stehen 500 Millionen Euro zur Verfügung, die
mit einer Sperre versehen waren. Ursprünglich sollte das Fondsvolumen von den Bundesländern um den gleichen Betrag ergänzt werden. Hier wurde eine
gemeinschaftliche Beteiligung seitens der Länder aber abgelehnt.
({12})
Das ist aus mehreren Gründen wirklich zynisch: Erstens wurde im Bundesrat oft und vehement angemahnt, dass mehr für die beschriebenen Bedarfsgruppen
getan werden muss. Zweitens sprechen wir hier über Menschen in fortgeschrittenem Alter, die eine Entschädigung nicht nur aus finanziellen, sondern eben auch aus
symbolischen Gründen mehr als verdient hätten. Drittens weisen die Länder gegenüber dem Bund einen deutlichen Einnahme- bzw. Haushaltsüberschuss auf. Als
Ampelkoalition haben wir die Sperre in der vergangenen Sitzung des Haushaltsausschusses aufgehoben, sodass der Bundesanteil nun bald an die
Anspruchsberechtigten ausgezahlt werden kann.
({13})
Der Bund wird den möglichen Ausfall der hälftigen Beteiligung durch die Bundesländer jedoch nicht kompensieren, und das ist richtig.
({14})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie sagte schon Hans-Dietrich Genscher:
Liberale wissen, verantwortliche Politik muss der Freiheit und der Würde jedes einzelnen Menschen dienen. Aber Freiheit und Verantwortung gehören für
uns Liberale untrennbar zusammen.
({15})
Daher gilt: Wir sind für die Menschen in diesem Land da, wir lassen niemanden alleine. Gleichwohl gilt aber auch: Wir haben eine große Verantwortung
für die zukünftigen Generationen. Das sind unsere Kinder und unsere Enkelkinder, und ihnen wollen hoffentlich wir alle einen solideren Staat hinterlassen.
Ich danke Ihnen.
({16})
Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Stephan Stracke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Vermittlungsausschuss hat gestern den Weg für die Weiterentwicklung von Hartz IV frei
gemacht. Voraussichtlich werden wir am Freitag darüber hier im Deutschen Bundestag beschließen. Wir als Unionsfraktion werden diesem Gesetzentwurf
zustimmen.
Entscheidend und wichtig für uns ist insbesondere die Anpassung der Regelsätze an die hohen Teuerungsraten. Um die schnellere Anpassung ging es dabei
nie im politischen Streit. Wir sorgen jetzt für Sicherheit für diejenigen, die darauf angewiesen sind. Es ist notwendig und richtig, meine sehr verehrten Damen
und Herren, dass wir das tun.
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Das Arbeitslosengeld II, landläufig Hartz IV genannt, sichert Menschen in existenzieller Not verlässlich ab. Entscheidend ist gerade in der jetzigen
Situation, dass sich Arbeitslosigkeit nicht verfestigt, dass aus Arbeitslosigkeit nicht Langzeitarbeitslosigkeit entsteht und dass wir diejenigen, die auf Hilfe
angewiesen sind, dazu befähigen, ertüchtigen und ermutigen, auf diese Hilfe zu verzichten, indem sie selber möglichst schnell und dauerhaft wieder in Arbeit
kommen. Darin waren wir in den letzten 16 Jahren unserer Regierungszeit sehr erfolgreich.
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Über 2,2 Millionen Menschen haben wir in Arbeit zurückgebracht, haben es geschafft, dass sie einen festen Platz in der Arbeitsgesellschaft haben. Das
ist ein großer Erfolg in diesem Bereich, der natürlich mit Hartz IV intensiv zusammenhängt.
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Die Voraussetzungen, dass ein solcher Erfolg auch jetzt wieder gelingen kann, sind so gut wie nie zuvor. 1,9 Millionen Stellen sind offen. Viele davon
sind Fachkräftestellen, aber es sind natürlich auch Arbeitskräftestellen darunter. Wir müssen jetzt alles dafür tun, dass der Weg aus der Arbeitslosigkeit
zurück in Arbeit gelingt. Denn klar ist: Arbeit ist viel mehr als bloßer Broterwerb. Sie hat vor allem mit Anerkennung, mit Selbstwertgefühl und Teilhabe zu
tun. Deswegen war es uns so wichtig, dass das Grundprinzip „Fördern und Fordern“ weiterhin gilt, und zwar vom ersten Tag an.
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Es gilt, sich intensiv mit dem Einzelnen auseinanderzusetzen, zu sehen, wo seine Problemlagen sind, ihn zu motivieren und zu aktivieren. Dazu gehört
auch, dass man Eigenbemühungen, Mitwirkungspflichten verbindlich einfordern kann. Das ist auch ein Gebot der Fairness gegenüber dem Steuerzahler, der mit seinen
Steuermitteln dafür sorgt, dass dieses System finanziert ist und funktioniert.
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Deswegen haben wir als Union dafür gesorgt, dass es zu keinem Systemwechsel kommt, so wie er im Gesetzentwurf ursprünglich beabsichtigt war. Ein
bedingungsloses Grundeinkommen kommt nicht.
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Die entscheidende Veränderung, die wir durchgesetzt haben, ist, dass vom ersten Tag an nicht nur Meldeversäumnisse entsprechend geahndet werden
können, sondern auch Pflichtverletzungen.
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Deswegen gilt: Die Schonzeit von einem halben Jahr ist vom Tisch. Der Freischuss bei Pflichtverletzungen ist vom Tisch.
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Dies alles gilt zum 1. Januar des nächsten Jahres, wenn die Zustimmung von diesem Hohen Haus am Freitag erfolgen wird. Das Sanktionsmoratorium wird
auch frühzeitig beendet, nämlich zum 1. Januar. Auch das ist richtig und ein Erfolg; denn das Grundprinzip „Fördern und Fordern“ muss von Tag eins an
gelten.
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Wir verändern auch die Regeln, was die Karenzzeit angeht – ein Jahr statt zwei Jahre –, und das Schonvermögen wird erheblich reduziert. Alles andere
wäre auch gegenüber demjenigen, der beispielsweise mit einem kleinen Einkommen und mit seinen Steuermitteln dafür sorgt, dass jemand Leistungen bezieht, obwohl
er diese in dieser Form gar nicht nötig hat, überhaupt nicht vermittelbar gewesen.
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Das hat etwas mit Nachhaltigkeit und dem Nachranggrundsatz in diesem Bereich zu tun.
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Herr Stracke, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung aus der SPD-Fraktion?
Ja, herzlich gerne. Bitte schön.
Herr Stracke, es freut mich, zu hören, dass Ihre Fraktion dem Gesetzentwurf am Ende voraussichtlich zustimmen wird. Bezüglich des Kompromisses, den
Sie gerade referieren, möchte ich aber noch mal nachfragen. Sie stellen dar, dass die Karenzzeit von zwei Jahren auf ein Jahr verkürzt wird. Das ist richtig;
das steht so in dem Kompromiss. Sie sagen nun, das sei auch verhältnismäßig und richtig.
Ich möchte Sie fragen: Ist Ihnen bekannt, dass das jetzt vor allem für diejenigen Menschen zu einem Problem wird, die zum Beispiel eine Qualifizierung
anstreben? Zuerst wird die Leistung beantragt, dann der Kooperationsplan erarbeitet, dann eine entsprechende Qualifizierung vermittelt, die beispielsweise sechs
Monate geht. Dann muss noch ein neuer Job gefunden werden. Dafür jetzt nur zwölf Monate zu haben, bedeutet: Genau diese Leute werden dann aus der Karenzzeit
rausfallen. Und es war eigentlich ein gemeinsames Anliegen, die Weiterbildung zu stärken. Das war die erste Frage.
Zweite Frage. Ist Ihnen eigentlich bekannt – Sie haben gerade über die Pflichtverletzungen gesprochen –, dass die Regelungen zu den
Pflichtverletzungen gegenüber dem Ursprungsgesetz jetzt sogar noch mal abgemildert wurden? Denn neu ist jetzt, dass bei der ersten Pflichtverletzung nur ein
Monat mit 10 Prozent sanktioniert wird. Vorher waren es drei Monate mit 20 Prozent. Von einer Verschärfung der Sanktionen kann doch eigentlich gar keine Rede
sein. Sind Ihnen diese Umstände bekannt?
({0})
Werte Frau Kollegin, vielen herzlichen Dank für Ihre beiden Fragen, die ich natürlich sehr gerne beantworte. – Zum einen, was das Thema der
Karenzzeit angeht: Sie hatten zunächst einmal zwei Jahre Karenzzeit vorgesehen. Ich muss sagen: Das ist ein Übermaß dessen, was notwendig ist, weil Sie das auch
gegenüber demjenigen vermitteln müssen, der mit seinen Steuermitteln dazu beiträgt, dass dieses System funktioniert und bezahlt wird.
({0})
Es ist für denjenigen, der mit seinem Erwerbseinkommen dazu beiträgt und wenig Vermögen hat, nicht nachvollziehbar, dass er diejenigen unterstützen
soll, die beispielsweise 60 000 Euro auf der hohen Kante haben. Deswegen haben wir dafür gesorgt, dass dieses Schonvermögen reduziert, dass diese Fehlstellung
beseitigt wird. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit und der Nachvollziehbarkeit des Systems.
({1})
Wir sorgen mit diesem einen Jahr für Planungssicherheit für diejenigen, die beispielsweise sagen, sie wollen in eine Ausbildung oder Qualifizierung
hineingehen. Frau Kollegin, auch Ihre eigene Argumentation ist ja – ich darf Sie daran erinnern –, dass Sie mit der Karenzzeit vor allem diejenigen in den Blick
nehmen wollen, die selber möglichst schnell aus der Arbeitslosigkeit herausfinden wollen. Dazu haben Sie selber gesagt: Dazu bedarf es weniger Monate bis zu
rund einem Jahr. – Deswegen ist es genau richtig, daran festzuhalten. Herr Audretsch, es geht ja um die sogenannten High Performer, von denen bei den Grünen
häufiger gesprochen wird. Deswegen ist die Karenzzeit von einem Jahr in diesem Bereich richtig.
Das Zweite betrifft die Frage der Pflichtverletzungen. Es ist notwendig, dass Eigenbemühungen verlässlich eingefordert werden können, und zwar vom
ersten Tag an.
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Deswegen haben wir dafür gesorgt, dass der Kooperationsplan und die Aufforderungen, die auf dem Kooperationsplan fußen, mit Rechtsverbindlichkeit
versehen werden können; denn nur so können diese letztendlich auch eingefordert werden.
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Es ist auch eine Frage der Fairness, zu sagen: Von demjenigen, den ich unterstütze, darf ich erwarten, dass er entsprechende Eigenbemühungen an den
Tag legt. Deswegen haben wir dafür gesorgt, dass es vom ersten Tag an Sanktionen bei Pflichtverletzungen gibt.
Und richtig: Im Rahmen des Kompromisses haben wir die Sanktionsfolge bei Pflichtverletzungen noch einmal entsprechend abgestaffelt, aber im Übrigen
auch klargestellt, dass derjenige, der eine Pflichtverletzung begangen hat, sich ein Jahr lang so verhalten muss, dass es zu keinen weiteren Pflichtverletzungen
kommt, wenn er nicht beispielsweise mit 30 Prozent und damit dem Maximum sanktioniert werden will. Auch das ist ein wichtiges Signal in diesem Bereich.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir bewahren das Fordern und wollen beim Fördern insgesamt besser werden. Deswegen ist es richtig, dass bei der
Weiterentwicklung von Hartz IV Ausbildung und Arbeit entsprechend gleichgestellt werden.
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Der Rechtsrahmen war im Übrigen in diesem Bereich nie das Problem. Denn Sie verweisen zwar immer darauf, dass der Vermittlungsvorrang jetzt
abgeschafft wird, in Ihrem eigenen Gesetzentwurf schreiben Sie jedoch – ich zitiere –: „Die bestehenden Regelungen des SGB II formulieren keinen ausdrücklichen
Vermittlungsvorrang.“ Der Rechtsrahmen war nie das Problem, sondern es ging alleine darum, wie man in der Praxis damit umgeht. Das, was in der Praxis getan
wird, zeichnen Sie nun in Ihrem Gesetzentwurf nach. Das ist richtig. Damit setzen wir einen deutlichen Schwerpunkt in diesen Bereichen. Sie unterstreichen das
auch noch mit mehr finanziellen Mitteln, die notwendig sind, auch mit besseren Hinzuverdienstmöglichkeiten. Das ist richtig in dem Bereich, beschreibt aber auch
die eigentliche Problemlage, um die es in diesem Bereich geht, nämlich darum, tatsächlich Arbeitslose zu motivieren, aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen
und
({6})
eine Qualifizierung oder eine Ausbildung aufzugreifen. Diese Zielrichtung teilen wir, und das ist richtig.
Entscheidend wird allerdings eine entsprechende Mittelausstattung der Jobcenter sein. All das, was Sie ins Schaufenster stellen, muss in der Praxis
Realität werden. Da zeigt sich bei den Eingliederungsmitteln: Sie kürzen diese um 400 Millionen Euro.
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– Sehr wohl. Damit steht weniger Geld zur Verfügung, obwohl wir gleichzeitig 590 000 Ukrainerinnen und Ukrainer mehr im System haben, die auf
Unterstützung angewiesen sind.
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Sie sorgen nicht für die notwendige Mittelausstattung, damit das, was Sie in das Gesetz schreiben, auch tatsächlich Realität werden kann. Das ist die
Aufgabe, vor der wir gemeinsam in diesem Bereich stehen, vor allem Sie.
Vielen herzlichen Dank.
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Nächster Redner: für die Bundesregierung der Bundesminister Hubertus Heil.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Beratungen über den Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales geben
Gelegenheit, in diesen Zeiten nicht nur den Haushälterinnen und Haushältern, die hart gearbeitet haben, Danke zu sagen, sondern vor allen Dingen mal über die
Prinzipien zu reden, nach denen wir Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in Deutschland gestalten, und das in Zeiten von Krieg und Krise, und das in Zeiten
fundamentaler Umbrüche, die Wirtschaft und Arbeitswelt verändern.
Was ist das Leitmotiv der Ampelkoalition von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP? Es ist das Motto „Chancen und Schutz“; denn um beides geht es, meine
Damen und Herren. Es geht darum, dass die Qualität eines Sozialstaates sich zum einen daran bemisst, wie man mit Menschen umgeht, die auf Hilfe und
Unterstützung angewiesen sind. Aber die Qualität des Sozialstaates bemisst sich nicht allein an der Fähigkeit, Menschen in Not zu schützen, sondern vor allen
Dingen auch daran, wie es gelingt, Menschen zu einem selbstbestimmten Leben ohne Abhängigkeit zu befähigen. Und das ist der Kompass unserer Politik.
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Dabei stehen für uns der Wert und die Würde der Arbeit ganz vorne an. Das ist der Grund, warum die Bundesregierung gemeinsam mit den
Koalitionsfraktionen dafür gesorgt hat, dass der Mindestlohn steigt. Seit 1. Oktober beträgt der Mindestlohn in Deutschland 12 Euro. Das hilft 6,5 Millionen
Menschen in Deutschland. Arbeit muss sich lohnen, meine Damen und Herren; Arbeit muss den Unterschied machen!
({1})
Das ist der Grund, warum diese Bundesregierung gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen dafür gesorgt hat, dass Menschen mit geringem Einkommen bei
Steuern und Abgaben entlastet werden, damit sie netto mehr in der Tasche haben, damit Arbeit sich lohnt, weil Arbeit den Unterschied macht, meine Damen und
Herren!
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Das ist der Grund, warum wir das Wohngeld erhöhen, warum wir auch dafür gesorgt haben, dass das Kindergeld steigt. Meine Damen und Herren, Arbeit ist
mehr als Broterwerb. Ich bin sehr dankbar, Herr Stracke, dass Sie mich ständig zitieren. Ich wäre noch dankbarer, wenn Sie dann auch Ihre Fußnoten überprüfen
würden. Wir sind uns doch einig, dass Arbeit wichtig für den Zusammenhalt von Gesellschaft ist, weil es um Teilhabe geht, darum geht, Kolleginnen und Kollegen
zu haben, etwas zu leisten und Teil der Gesellschaft zu sein.
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Das ist das Ziel unserer Politik: Wer arbeiten will, soll unterstützt werden; wer arbeiten kann, muss die Chance in Deutschland bekommen. Das ist das
Ziel dieser Koalition, meine Damen und Herren.
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Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es ist richtig: Der Vermittlungsausschuss hat gestern den Weg frei gemacht, sodass das Bürgergeld zum
1. Januar kommen kann. Hartz IV wird Geschichte sein. Das Bürgergeld wird zum 1. Januar in Kraft treten. Das ist ein wesentlicher Schritt, eine große
Sozialreform, die wir gemeinsam stemmen.
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Auch dabei geht es um Chancen und Schutz. Es geht darum, Menschen, die in Not geraten sind, verlässlich und unbürokratischer als im Hartz-IV-System
abzusichern. Das schafft dieses Gesetz mit großen Maßnahmen, auch mit der Erhöhung des Regelsatzes. Aber auch das ist uns nicht genug. Unser Ziel bleibt, wo
immer es möglich ist, Menschen in Arbeit zu bringen, ihnen Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben zu eröffnen und dafür zu sorgen, dass Arbeit sich lohnt. Und
mit dem Bürgergeld lohnt sich Arbeit mehr. Wir sorgen dafür, dass beispielsweise die Zuverdienstmöglichkeiten großzügiger werden, meine Damen und Herren.
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Arbeit macht den Unterschied, und dabei hilft auch das Bürgergeld.
Dieses Bürgergeld sorgt auch dafür, dass wir Deutschland die Chance auf mehr qualifizierte Fachkräfte geben.
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Im bisherigen System, im Hartz-IV-System, sind zwei Drittel der langzeitarbeitslosen Menschen ohne jegliche Berufsausbildung. Im bisherigen
Hartz-IV-System kommen die hin und wieder einmal in Hilfsjobs, und das Jobcenter sieht sie nach ein paar Monaten wieder.
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Mit diesem neuen Ansatz, mit dem Bürgergeld, setzen wir auf Weiterbildung und Qualifizierung. Wir sorgen dafür, dass Menschen einen Abschluss
nachholen können, um dauerhaft am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
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Und ja, ich bin sehr froh und dankbar, dass wir es voraussichtlich morgen schaffen werden, dass der Deutsche Bundestag und der Bundesrat diese große
Sozialreform mit großen Mehrheiten beschließen werden. Dazu waren harte Gespräche und anstrengende Verhandlungen notwendig. Ich möchte mich erst einmal ganz
herzlich bei den Koalitionsfraktionen, die den Weg hin zu sozialem Fortschritt mit dem Bürgergeld frei gemacht haben, bedanken.
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Aber ich möchte mich auch bei den Kolleginnen und Kollegen von der Union bedanken, namentlich bei Karl-Josef Laumann aus Nordrhein-Westfalen und bei
Hermann Gröhe, für harte Gespräche; wir haben hart gerungen. Aber ich will sagen: Ich habe Respekt davor, dass Demokraten bei einschneidenden Fragen, die unsere
Nation betreffen, bei großen sozialen Fragen in der Lage sind, Kompromisse zu finden. Die Unversöhnlichkeit ist nichts, was diese Gesellschaft auszeichnen
darf.
({11})
Wer Fortschritt will, muss zu Kompromissen in der Lage sein. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken.
Es ist diese große Kraftanstrengung, die dazu geführt hat, dass die CDU von ihrer Totalblockade abgewichen ist, und auch dafür bedanke ich mich ganz
herzlich.
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Bei aller Gemeinsamkeit, dass wir das gemeinsam stemmen, ist mir bei den Verlautbarungen Ihres Fraktionsvorsitzenden in den letzten Tagen eines
aufgefallen. – Wo ist er übrigens heute?
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Gut, dass es keine Meldeversäumnisse mit Sanktionen für Fraktionsvorsitzende gibt, sonst müssten wir ja um 10 Prozent kürzen.
({14})
Aber Spaß beiseite. Mir ist aufgefallen: Herr Merz hat sehr viel gesprochen über Begriffe, über Instrumente, über die Geschlossenheit der Union. Nur
eins – und das mag der Unterschied sein – hat er nicht getan: Er hat niemals über die Menschen gesprochen, um die es geht.
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Er hat nicht gesprochen über alleinerziehende Frauen, die auf ergänzende Grundsicherung angewiesen sind, weil sie nicht Vollzeit arbeiten können. Das
machen wir jetzt einfacher. Wir unterstützen mit dem höheren Regelsatz gezielt vor allen Dingen auch alleinerziehende Frauen und deren Kinder.
Er hat nicht gesprochen über diejenigen, die als junge Menschen in Familien großgeworden sind, die nie Arbeit erlebt haben, die sich aufgerappelt
haben, eine Ausbildung zu machen, die im alten Hartz-IV-System erlebt haben, dass ihre Ausbildungsvergütung noch gekürzt wurde. Das macht das Bürgergeld
besser.
Er hat nie gesprochen über Facharbeiter, die nach Jahren harter Arbeit unverschuldet ihre Arbeit verloren und auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr
haben. Das ändern wir mit dem Bürgergeld, weil wir den sozialen Arbeitsmarkt entfristen, weil wir Arbeit ermöglichen.
({16})
Er hat nie über Selbstständige gesprochen, die, weil sie Pech hatten
({17})
oder weil es Krisen gab, mal vorübergehend auf ergänzende Grundsicherung angewiesen sind.
({18})
Mit dem Bürgergeld sorgen wir dafür, dass sie ihr Erspartes nicht vollständig auf den Kopf hauen müssen und dass sie sich nicht Sorgen machen müssen,
auch noch ihre Wohnung zu verlieren. Auch dieser Fortschritt ist dauerhaft mit dem Bürgergeld möglich, meine Damen und Herren.
({19})
Kompromisse sind in der Demokratie notwendig, wenn man sozialen Fortschritt will.
({20})
Richtig ist auch, dass wir aufeinander zugehen. Die Unterschiede bleiben aber. Wir koalieren ja nicht miteinander, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU.
({21})
Und das ist auch gut so, weil mit dieser Koalition mehr Fortschritt möglich ist. Aber eins will ich Ihnen auch sagen – das ist wichtig, weil es über
den Tag hinausgeht –: Nach vielen Jahren der polarisierten Debatte um das System der Grundsicherung und Hartz IV und gerade nach den letzten Wochen bietet
dieser Weg, den wir gemeinsam gefunden haben, die Chance, eine gesellschaftliche Polarisierung zu entgiften. Ich meine das ganz ernst, meine Damen und Herren.
Wir erleben seit Jahren, dass es extreme Positionen in Bezug auf die Menschen in der Grundsicherung und Hartz IV gibt. Da gab es die einen, die so getan haben,
als sei die Mehrheit der Menschen oder sogar alle Menschen, die bedürftig sind, zu faul, um zu arbeiten. Da gab es die anderen, die so getan haben, als sei
schon jede Mitwirkungspflicht ein Anschlag auf die Menschenwürde. Beide Extrempositionen sind unvernünftig.
Durch das Bürgergeld haben wir eine Chance, mit breiter Mehrheit im Deutschen Bundestag und im Bundesrat dafür zu sorgen, dass wir ein vernünftiges
System nach vorne entwickelt bekommen und dass wir zugleich durch eine Entgiftung der Debatte auch einen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten;
denn das braucht unsere Gesellschaft in Zeiten von Krisen, in Zeiten des Wandels.
({22})
Deshalb will ich abschließend sagen: Chancen und Schutz, das ist das Motto dieser Bundesregierung, und das wird auch weiterhin in der Arbeitsmarkt-
und Sozialpolitik unser Leitmotiv sein. Wichtiger als Mottos und Leitmotive ist jedoch der Blick auf die Lebenswirklichkeit von Menschen, und die verbessern wir
mit unserer Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik Schritt für Schritt. Jetzt machen wir einen großen Schritt mit dem Bürgergeld, und morgen haben Sie alle die Chance,
zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
({23})
Nächster Redner: für die AfD-Fraktion René Springer.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Ich möchte mit einem Zitat von Ludwig Erhard beginnen, der einmal sagte:
Die Inflation kommt nicht über uns als ein Fluch oder als ein tragisches Geschick. Sie wird immer durch eine leichtfertige oder sogar verbrecherische
Politik hervorgerufen.
Ich finde, nichts passt besser in die heutige Zeit als dieser Satz vom Vater der sozialen Marktwirtschaft.
({0})
Die Inflation hat aktuell den höchsten Wert seit fast 50 Jahren erreicht. Jeder Siebte muss sich höher verschulden. Jeder Zweite sorgt sich inzwischen
um seinen Lebensunterhalt. Die Lebensmitteltafeln verhängen Aufnahmestopps, weil sie den Ansturm nicht mehr bewältigen können. Millionen Menschen wissen nicht,
wie sie die nächste Energierechnung bezahlen sollen. Und Minister Heil und die gesamte Bundesregierung, auch die Kartellparteien hier im Parlament, sehen die
Schuld dafür bei Putin. Aber das ist nichts mehr als eine dreiste Lüge!
({1})
Die Inflation lag im Dezember 2021 bei 5,3 Prozent, zu dem Zeitpunkt der höchste Wert seit 30 Jahren. Gemüse kostete 10 Prozent mehr, Kraftstoffe
33 Prozent, Heizöl 60 Prozent. Zu dem Zeitpunkt hatte noch kein einziger russischer Soldat ukrainischen Boden betreten, und das zeigt eben, dass all das, was
Sie erzählen, eine große Lüge ist.
({2})
Die Verantwortung für die Inflation liegt nicht bei Putin, sondern bei den Kartellparteien.
({3})
Sie allein tragen die Verantwortung dafür, dass die Energiepolitik gescheitert ist, dass die Steuern in Deutschland unerträglich hoch sind, dass unser
Land wirtschaftlich stark beschädigt wurde durch die Coronamaßnahmen. Seit einem Jahrzehnt dulden Sie die verbrecherische Gelddruckerei der EZB, und Sie alle
stützen den Wirtschaftskrieg gegen Russland. Aufgabe einer Regierung ist es aber nicht, unsere Bürger in Armut zu stürzen und Deutschland wirtschaftlich zu
ruinieren, sondern für bezahlbare Energie zu sorgen und die Ursachen der Inflation zu bekämpfen. Und das geht eben nicht mit billigen Bahntickets und mickrigen
Einmalzahlungen, die obendrein auch noch versteuert werden müssen.
({4})
Das geht nur mit einer entschlossenen Politik nach dem Prinzip: Deutschland und die deutschen Bürger immer zuerst. Schluss mit den Sanktionen gegen
Russland! Schluss mit der Gelddruckerei! Schluss mit der Abzocke der Steuerzahler! Was wir brauchen, sind Steuerentlastungen, billiges Gas aus Nord Stream 2 und
einen sofortigen Wiedereinstieg in die Kernenergie.
({5})
Aber all das verweigern Sie. Stattdessen treten Sie den Bürgern unseres Landes beim Fallen noch in den Rücken, indem Sie aus dem deutschen Sozialstaat
ein Mekka für Migranten machen.
({6})
Inzwischen haben 45 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger in Deutschland keinen deutschen Pass, in Bayern sind es sogar 55 Prozent.
({7})
Ich frage mich, warum Hartz IV „Bürgergeld“ heißen soll, wenn die Hälfte der Bezieher überhaupt keine Bürger unseres Landes sind.
({8})
Sie sollten das ganze „Zuwanderungsprämie“ nennen, dann wären Sie näher an der Wahrheit.
({9})
Ab Januar gibt es vom ersten Tag 500 Euro auf die Hand; dazu Miete, Heizkosten, Betriebskosten, Krankenversicherung, Geld für Möbel, Geld für
Klassenfahrten, Befreiung von den Kitagebühren und Befreiung vom GEZ-Zwangsbeitrag. Was für ein Nackenschlag für Mindestlohnempfänger, die mit einem
40-Stunden-Job am Monatsende kaum mehr in der Tasche haben als ein Hartz-IV-Empfänger!
({10})
Was für eine Respektlosigkeit gegenüber 5 Millionen Rentnern in Deutschland, die weniger als 1 000 Euro monatlich zur Verfügung haben! Und was für ein
Hohn gegenüber Jobcentermitarbeitern, die ihrem Gegenüber Miete und Heizkosten bewilligen müssen, was oftmals über dem liegt, was sich die Jobcentermitarbeiter
selber noch leisten können.
({11})
Das alles ist einfach nur noch absurd, was Sie sich erlauben. Die „Bild“-Zeitung schreibt gestern: Im Jobcenter sitzen die Mitarbeiter bei 19 Grad,
während sich ausländische Hartz-IVler wundern, warum es dort so viel kälter ist als in ihren Wohnungen. Bei denen werden die Heizkosten übrigens auch noch vom
Amt übernommen. Das ist eine irre Politik, die nichts anderes ist als inländerfeindlich.
({12})
Im kommenden Jahr wird die Bundesregierung weit mehr als 15 Milliarden Euro für ausländische Bürgergeldempfänger ausgeben. Für die Grundrente finden
wir im Haushalt gerade mal 1 Milliarde Euro. Das sagt einfach alles über die falschen Prioritären dieser Bundesregierung. Sie reden ständig von Respekt, aber
Sie zollen Migranten, die nie einen Cent ins Sozialsystem eingezahlt haben, mehr Respekt als den deutschen Rentnern und den deutschen Steuerzahlern.
({13})
Der Vater der sozialen Marktwirtschaft würde heute vermutlich sagen: Die Einwanderung in die Sozialsysteme kommt nicht über uns als ein Fluch oder als
ein tragisches Geschick. Sie wird immer durch eine leichtfertige oder sogar verbrecherische Politik hervorgerufen.
({14})
Und ich hoffe, dass diese Bundesregierung und die Kartellparteien hier im Parlament eines Tages dafür zur Verantwortung gezogen werden.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({15})
Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Andreas Audretsch.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die wichtigste Nachricht zuallererst: Das Bürgergeld kommt. Es kommt zum 1. Januar 2023. Das
bedeutet 50 Euro mehr für die Menschen im Bürgergeld. Aber eines ist auch klar: Das Bürgergeld ist viel mehr als nur diese Regelsatzerhöhung.
({0})
Ich habe mir die Pressekonferenz von Herrn Merz angeschaut. Und das, was mich dabei am meisten erstaunt hat, war, dass Herr Merz nicht einen einzigen
Satz über das Bürgergeld gesagt hat. Er hat nicht einen Satz in der Sache gesagt, und er hat – das ist fast noch schlimmer – nicht einen Satz über die Menschen
gesagt, um die es eigentlich geht. Und das sagt etwas über die Union: In den letzten Wochen ging es vielen von Ihnen, vor allem den Rädelsführern, nicht um die
Menschen. Es ging Ihnen um Stimmungsmache.
({1})
Und das ist das Problem Ihrer Politik in den letzten Wochen gewesen.
({2})
Ich sage Ihnen aber etwas über die Menschen: Wenn eine Familie einen Schicksalsschlag erleidet und Leistungen beantragen muss, dann ist es unter
Hartz IV häufig so gewesen, dass das Allererste, was diese Menschen tun mussten, die Suche nach einer neuen Wohnung war, weil die bisherige Wohnung ein kleines
bisschen zu groß war. Und was bedeutet das für die Menschen? Das bedeutet, die Kinder aus der Kita zu nehmen. Das bedeutet, die Freunde im Umfeld
zurückzulassen. Das bedeutet all das, nur eben nicht, sich auf die Jobsuche zu konzentrieren, und genau das ändern wir jetzt mit dem Bürgergeld. Die Karenzzeit
von zwölf Monaten gibt Menschen genau diese Chance, sich auf die Jobsuche zu konzentrieren.
({3})
Wer einmal im Jobcenter war, der kennt auch die ganzen Geschichten darüber, dass Menschen immer wieder in die nächstschlechtesten, in prekäre Jobs
geschickt wurden. Dieser Drehtüreffekt, das ist Hartz IV, und genau das schaffen wir jetzt ab.
({4})
Wir schaffen einen Paradigmenwechsel, indem wir sagen: In den Jobcentern wird ab sofort nicht mehr in den nächstschlechtesten Job vermittelt, sondern
es geht um Qualifizierung, es geht um Weiterbildung.
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Endlich finanzieren wir eine dreijährige Berufsausbildung, und obendrauf gibt es 150 Euro, wenn man sich dafür entscheidet, Fachkraft zu werden.
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Das ist der Kern. Wir setzen auf positive Anreize. Wir setzen darauf, dass Menschen vorankommen wollen. Und deswegen ist es ein fundamentaler
Unterschied zu dem, was in Hartz IV noch gegolten hat.
Wir setzen auch auf positive Anreize für Jugendliche. Was für eine schreckliche Situation für Kinder aus Hartz-IV-Familien ist es, wenn alle in der
Schule einen Nebenjob machen, um sich am Wochenende was leisten zu können, und nur die Hartz-IV-Kinder alles oder einen Großteil am Ende abgeben müssen!
({7})
Auch das beenden wir.
({8})
Wir werden dieses System beenden, weil wir nicht zulassen und nicht hinnehmen, dass Kinder für die finanzielle Situation ihrer Eltern bestraft werden.
Das beenden wir.
Dieser Geist, der Geist des Zutrauens, der Geist der Anreize, spiegelt sich auch bei den Regelungen zu den Sanktionen wider. Wir mindern die
Sanktionen massiv mit diesem Gesetz. Das Bundesverfassungsgericht lässt Sanktionen in Form einer Minderung der Bezüge um 30 Prozent zu.
({9})
Wir starten mit 10 Prozent, weil wir nicht auf maximale Strafe setzen, sondern weil wir darauf aus sind, gemeinsam Perspektiven und Zukunft zu
entwickeln.
({10})
Die Verbesserungen des Bürgergeldes werden zum 1. Januar kommen, und das trotz einer Kampagne,
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die in den letzten Wochen mit brutaler Kälte gegen Menschen in der Grundsicherung geführt wurde. Mich hat diese Kälte gerade vonseiten der Union
({12})
in den letzten Monaten, in den letzten Wochen schockiert; das muss ich Ihnen sagen. Wenn es nur noch darum geht, die Gesellschaft gegen arme Menschen
aufzuwiegeln, hat das nichts mit einem christlichen Menschenbild zu tun.
({13})
Das, was wir machen, ist, weiterzukämpfen für arme Menschen. Das, was wir machen, ist, zusammenzuarbeiten mit den Kirchen, mit den Gewerkschaften, mit
den Wohlfahrtsverbänden und mit den Menschen, die selber in Armut leben müssen.
({14})
Wir kämpfen weiter für eine andere, gerechtere Gesellschaft mit den Menschen zusammen. Das ist unsere grüne Agenda, und die werden wir auch in Zukunft
fortsetzen.
Herzlichen Dank.
({15})
Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Matthias W. Birkwald.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Bundesminister Hubertus Heil! 1991 wurden bestimmte Rentenansprüche aus DDR-Zeiten
nicht in das bundesdeutsche Rentensystem übernommen – zu Unrecht.
({0})
Wir Linken fordern seit 30 Jahren, dass beispielsweise ehemaligen Eisenbahnern, Postlern, Balletttänzerinnen und in der DDR geschiedenen Frauen
Gerechtigkeit zuteilwerden muss und dass ihre Ansprüche, für die sie Beiträge gezahlt haben, berücksichtigt werden mögen.
({1})
Es ist gut, dass Sie mit dem Härtefallfonds endlich das Rentenunrecht Ost anerkennen.
({2})
Mehr Lob gibt es leider nicht; denn einmalige und insgesamt nur extrem bescheidene 500 Millionen Euro für Ostdeutsche, deren Rentenansprüche nicht
anerkannt wurden, für Spätaussiedler und die jüdischen Kontingentflüchtlinge aus der Sowjetunion sind nur ein sehr schlechter Witz.
({3})
Eine Einmalzahlung von gerade einmal 2 500 Euro wird keiner dieser betroffenen Gruppen auch nur im Ansatz gerecht.
({4})
Auf eine durchschnittliche Rentenbezugsdauer umgerechnet sind das nur 10,42 Euro im Monat, Martin Rosemann,
({5})
und da sollten Sie sich schämen. Das ist beschämend und für Hunderttausend Menschen respektlos und demütigend.
({6})
Ich fordere die Bundesregierung darum auf: Gewähren Sie, erstens, die Einmalzahlung nicht nur den Bedürftigen; denn hier geht es um Respekt vor der
Lebensleistung von Ostdeutschen und aus der Sowjetunion zugewanderten Juden und Aussiedlern! Machen Sie, zweitens, aus dem Härtefallfonds einen
Gerechtigkeitsfonds, und erhöhen Sie die Einmalzahlung auf mindestens 10 000 Euro!
({7})
Eine Finanzierungsmöglichkeit dafür kann ich Ihnen gerne nennen: Verzichten Sie auf die 10 Milliarden Euro Zockergeld der FDP für die sogenannte
Aktienrente!
({8})
Meine Damen und Herren, Sie wollen ernsthaft die 10 Milliarden Euro für Ihre überflüssige Aktienrente auf Pump finanzieren, und das bei massiv
steigenden Anleihezinsen und gleichzeitig sinkenden Aktienkursen.
({9})
Die Aktienrente kommt nur dann ins Plus, wenn die Renditen die Kreditzinsen übersteigen. Da schüttelt doch jede Sparkassenberaterin den Kopf.
({10})
Zocken ist kein Konzept für stabile und sichere Rentenfinanzen. Darum: Lassen Sie das! Sorgen Sie für ein dauerhaft höheres Rentenniveau, mehr
tarifliche Entlohnung, Sozialversicherungspflicht ab der ersten Arbeitsstunde und für mehr echte arbeitgeberfinanzierte Betriebsrenten! Sorgen Sie dafür, dass
wir mehr freiwillige zusätzliche Einzahlungen möglich machen! Die IG Metall nennt das Soli-Rente. Ich sage: Soli-Rente statt Aktienrente.
Herzlichen Dank.
({11})
Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Pascal Kober.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik werden im kommenden Jahr 163,3 Milliarden Euro zur
Verfügung stehen. Das ist die größte Summe, die der Bundeshaushalt für einen einzelnen politischen Arbeitsbereich zur Verfügung stellt. Diese 163,3 Milliarden
Euro, die die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zur Verfügung stellen, sind bei ihnen mit einer Hoffnung verbunden:
natürlich auf der einen Seite, dass wir den Menschen, die im Laufe ihres Lebens straucheln, unter die Arme greifen, aber auf der anderen Seite vor allen Dingen,
dass wir sie unterstützen und ihnen wieder aufhelfen, um Selbstständigkeit und ein freies Leben als Bürger wiederzuerlangen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, genau das machen wir mit dem Bürgergeld-Gesetz, das im kommenden Jahr in Kraft treten wird. Das geht genau in diese
Richtung; es geht nicht nur um die Erhöhung von Regelsätzen, die richtig ist, weil es dabei um den Inflationsausgleich geht, sondern es geht vor allen Dingen um
mehr Vorankommen, um mehr Chancen und um mehr Motivation. Es geht um ein positives Menschenbild. Ich bin sehr froh, dass das Bürgergeld diesen neuen Geist in
sich aufnimmt und dass wir in Zukunft die Menschen wieder viel stärker von ihren Potenzialen her begreifen werden, von dem, was sie können, was in ihnen steckt,
statt von dem, was sie vielleicht nicht können oder was sie im Moment noch nicht sind.
({1})
Wir wollen auch Motivation im Sozialstaat. Deshalb werden wir die Zuverdienstgrenzen in einem ersten Schritt anheben. Das ist Leistungsgerechtigkeit.
Egal ob sich jemand im Arbeitsmarkt schwertut oder es leicht hat, viel verdient oder wenig verdient: Leistungsgerechtigkeit ist eine Form der Gerechtigkeit, die
jedem in diesem Land zusteht. Hier gehen wir einen Schritt nach vorne.
({2})
Leistungsgerechtigkeit ist auch eine Investition in die Zukunft. Wir wollen Schluss damit machen, dass junge Menschen mitunter die
Langzeitarbeitslosigkeit ihrer Eltern erben müssen. Wir werden die jungen Menschen besser fördern als bisher, auch dadurch, dass wir ihnen gerecht werden. Ein
junger Mensch, der beispielsweise eine Ausbildungsvergütung in Höhe von 800 Euro bekommt, hat bisher in der von der CDU unterstützten Systematik davon nur
240 Euro behalten dürfen. Er darf künftig 604 Euro behalten. Ich verstehe nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, warum Sie dazu in der Vergangenheit
nie bereit waren.
({3})
Da haben Sie hart zugegriffen, und das hat auch dazu geführt, dass viele gar nicht die Motivation hatten, eine Ausbildung zu beginnen. Damit machen
wir jetzt Schluss.
Unser Sozialstaat muss aufstiegsorientierter werden; er wird es mit dem Bürgergeld. Er muss motivierender werden; er wird es mit dem Bürgergeld. Er
muss chancenreicher werden; er wird es mit dem Bürgergeld.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Peter Aumer.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, der Haushalt, Herr Minister, ist auch geeignet, über Prinzipien zu diskutieren –
über Prinzipien, die unser Land in den letzten 70 Jahren getragen haben: der Sozialstaat und die soziale Marktwirtschaft. Sie in der Ampelkoalition sehen leider
das „und“ dazwischen relativ starr und vergessen, dass wir Sozialstaat und soziale Marktwirtschaft gemeinsam sehen müssen.
Ich teile Ihre Einschätzung, dass Schutz und Chance in Verbindung gesehen werden, Herr Minister. Aber leider haben Sie und die Redner Ihrer
Ampelkoalition heute auch Prinzipien hintanstehen lassen. Wenn man die Reden von Ihnen, lieber Herr Audretsch, Herr Kurth, anhört, dann, glaube ich, merkt man
sehr deutlich, dass es hier nicht um die Sache geht,
({0})
sondern darum, dass Sie gemerkt haben, dass die Mehrheit der Menschen in diesem Land nicht so denken wie Sie. Nicht wir haben vergessen, die
Lebensleistung der Menschen zu schätzen, sondern Sie haben in Ihrem Regierungshandeln die Mehrheit der Menschen nicht hinter sich; und das ist in Ihren Reden
sehr deutlich geworden.
({1})
Beim Bürgergeld, um das noch mal aufzugreifen, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist es der Ampel vor allem darum gegangen, ein Trauma zu
bewältigen – Hartz IV muss weg –
({2})
und den Einstieg in ein bedingungsloses Grundeinkommen zu schaffen, und bei der FDP war Totalausfall.
({3})
Die Anrechnungen sind, denke ich, relativ gut, aber beim Rest haben Sie einfach mitgemacht, ohne zu schauen, welche Auswirkungen das für die
Wirtschaft in unserem Land hat.
({4})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, gerade in der Zeit, in der wir leben, müssen wir stärker auf die Verbindung von Sozialstaat und sozialer
Marktwirtschaft schauen. Wir müssen die drohende Rezession, die steigende Inflation, den Arbeits- und Fachkräftemangel in den Blick nehmen, aber auch die
Situation der Sozialsysteme in unserem Land.
Ich möchte drei Beispiele aus dem Haushalt nennen.
Erstens. Herr Heil, Sie haben vorher so getan, als sei das Bürgergeld die Lösung für alles. Ich glaube, wenn man den Haushalt anschaut, dann wird
deutlich, dass das nicht so ist. Herr Kurth, Sie haben gesagt, Sie würden gerne über viele Themen reden. Genau die Themen, über die Sie reden wollten, führe ich
an. Sie kürzen im Haushalt den Titel zur Eingliederung in Arbeit beträchtlich und sagen dann: Uns geht es beim Bürgergeld darum, dass man die Menschen schneller
in Arbeit bekommt, dass man sie ausbildet.
({5})
Wir als Große Koalition haben Menschen, die Förderung brauchen, die Möglichkeit gegeben, sich über den sozialen Arbeitsmarkt langfristig zu
integrieren.
({6})
Sie kürzen diesen Titel, und das, denke ich, ist fast schon schädlich; das zeigte auch die Debatte vorher.
({7})
Kollege Aumer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, danke. Wir können dann später diskutieren. Jetzt bringt es, glaube ich, relativ wenig.
({0})
Sie haben in Ihrer Rede die Zeit gehabt und sie nicht genutzt, haben nur auf uns geschimpft. Dann müssen Sie sich das auch anhören.
({1})
Zweitens. Die Haushaltstitel zur beruflichen Integration und Beratung von Zuwanderern und die berufsbezogene Deutschsprachförderung werden gekürzt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren der Ampel, bei 600 000 ukrainischen Flüchtlingen, die in das Grundsicherungssystem kommen, ist auch das verantwortungslos.
Ich glaube, Sie widersprechen Ihrer Politik da deutlich.
Ein letztes Beispiel. Die Aktienrente – hochgelobt von der FDP – ist in diesem Haushalt wieder nicht zu finden. Es ist ja mittlerweile angekündigt,
dass Sie sie über Kredite finanzieren wollen. Wenn man dann liest, dass die Rente enkelfit werden soll, dann zeigt das ein bisschen den Widerspruch zu Ihrer
Arbeit. In der FDP-Pressemeldung zur Aktienrente steht, dass das die vielleicht größte Rentenreform seit Bismarck sein soll.
({2})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, hätte Bismarck gearbeitet wie Sie, dann stünde der Sozialstaat nicht auf so starken Säulen, wie er das heute
tut.
({3})
Nicht zuletzt hat die Rednerin der FDP, Frau Raffelhüschen – –
({4})
– Nein, das hat nichts mit Anstand zu tun, sondern mit Wahrheit, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({5})
Denn Sie haben die Kürzungen beim Transformationsprojekt „Arbeitswelt im Wandel“ groß herausgestellt; Sie haben da über 10 Millionen Euro gestrichen.
In einer Zeit, in der unsere Wirtschaft vor einer großen Transformation steht, zeigt das, glaube ich, dass Ihnen, der FDP, Zukunftsprojekte weniger wichtig sind
als der Titel Ihrer Koalition. Fortschrittskoalition zu sein, meine sehr geehrten Damen und Herren, reicht nicht aus, wenn man unserem Land keine Zukunft
gibt.
({6})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, für uns ist das Motto „Fördern und Fordern“ ein ganz wesentlicher Punkt. Ich habe die letzten Wochen sehr
intensiv überlegt, warum man da so streiten kann; denn eigentlich ist dieses Prinzip der Inbegriff dessen, was Deutschland in den letzten Jahrzehnten stark
gemacht hat. „Fördern und Fordern“ bedeutet die Verbindung von Sozialstaat und sozialer Marktwirtschaft. Wir als Union haben in den letzten Jahren und auch in
den letzten Wochen ganz intensiv Wert darauf gelegt, und wir haben unseren Beitrag dazu geleistet, dass dieser Maßstab immer im Fokus geblieben ist.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({7})
Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, hat der Kollege Markus Kurth aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort zu einer Kurzintervention.
Herr Aumer, ich darf Ihnen als Berichterstatter für die Grünen für den Einzelplan 11 in diesem Haushalt doch noch ein paar Fakten mitgeben, die Sie,
glaube ich, nicht so richtig mitbekommen haben; auch Herr Stracke nicht, wie aus seiner Rede deutlich wurde. Was den Eingliederungstitel und den
Verwaltungskostentitel anbelangt, so ist es richtig, dass es im Entwurf für 2023 gegenüber dem Haushalt 2022 eine Kürzung um 650 Millionen Euro gegeben hat.
Wenn Sie genau nachsehen, dann stellen Sie aber fest, dass der Verwaltungstitel um 200 Millionen Euro erhöht worden ist, der Eingliederungstitel wiederum um
200 Millionen Euro und dass drittens 100 Millionen Euro im Einzelplan 60 ebenfalls mit Bezug auf die Mittel zur Eingliederung eingestellt worden sind.
({0})
Das macht zusammen 500 Millionen Euro. Es bleibt ein Delta von 150 Millionen Euro, das aber, wenn wir sehen, dass in den vergangenen Jahren immer
Ausgabereste da waren, geschlossen werden kann,
({1})
nämlich unterjährig durch einen vernünftigen Mittelabfluss und durch eine vernünftige Mittelbewirtschaftung. Darauf werden wir alle als
Ampelhaushälter achten.
({2})
Dann haben Sie den sozialen Arbeitsmarkt angesprochen und beklagt, es sei da zu wenig. Ich darf daran erinnern, dass es die Union war, die das
Teilhabechancengesetz bei dessen Einführung in der vergangenen Legislaturperiode befristet hat. Was wir morgen machen werden, ist, es zu entfristen.
({3})
Zu guter Letzt haben Sie hier die im Vergleich zu dem Gesamtetat groß erscheinenden 10 Millionen Euro genannt, die wir im Kapitel „Arbeitswelt im
Wandel“ gekürzt haben. Dazu darf ich Ihnen einfach nur erklären, dass wir als verantwortungsvolle Haushälter – Frau Raffelhüschen hat es auch erwähnt –
natürlich darauf achten, dass ein ausreichender Mittelabfluss da ist. Und da, wo Mittelbewirtschaftung Spielräume lässt, werden wir das Ganze natürlich
vernünftig und mit Augenmaß nach Effizienzgesichtspunkten durchforsten.
Herr Kurth.
Danke schön, dass Sie das – über die Zeit – zugelassen haben, Frau Präsidentin. Entschuldigung.
({0})
Das heißt Kurzintervention. – Herr Aumer, Sie dürfen Stellung nehmen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kurth, Sie hätten eigentlich in Ihrer Rede die Möglichkeit gehabt, all diese Dinge anzuprechen.
({0})
Sie haben fünf oder sechs Minuten genutzt, um auf die CDU/CSU zu schimpfen.
({1})
Das zeigt auch, wie wenige Argumente Sie haben.
Vielleicht ganz kurz zu den angesprochenen Punkten: Wir hatten ein sehr intensives Gespräch mit Andrea Nahles. Sie hat gesagt, dass der Titel zu den
ukrainischen Flüchtlingen auch dann nicht ausgereicht hätte, wenn er nicht gekürzt worden wäre. Sie hätten nicht nur die Kürzung rückgängig machen müssen,
sondern Sie hätten sogar aufstocken müssen. In Bezug auf die Verwaltungskosten sollten Sie doch bitte auch einmal schauen, dass die Inflation auch bei der
Bundesagentur für Arbeit ein wichtiger Punkt ist. Die 200 Millionen Euro reichen da also auch nicht aus. Deswegen, Herr Kurth: Bleiben Sie bei der Wahrheit und
schauen Sie, dass Sie dieses wesentliche, wichtige Feld für die Integration von ausländischen Menschen, von Zuwanderern auch entsprechend verantwortungsvoll
finanziell ausstatten.
Zum Thema „Arbeitswelt im Wandel“. Es sollte der kompletten Regierung zu denken geben, wenn man die für die Transformation der Wirtschaft vorhandenen
Mittel nicht ausschöpft und das so begründet: Weil nicht ausgeschöpft wird, müssen wir kürzen. Das ist, denke ich, ein Widerspruch in sich.
({2})
Dann soll das Bundesarbeitsministerium stärker daran arbeiten und Impulse geben. Das wäre, glaube ich, viel wichtiger.
Herzlichen Dank.
({3})
Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dr. Martin Rosemann.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der letzten Sitzungswoche bei der Debatte
über das Bürgergeld habe ich Ihnen gesagt: Wir werden die Jobcenter mit den notwendigen Mitteln ausstatten.
({0})
Jetzt beschließen wir eine Erhöhung der Mittel für die Jobcenter um 500 Millionen Euro.
({1})
Während die Union die Themen „Jobcenter“ und „Eingliederungsmittel“ immer nur dann entdeckt, wenn sie in der Opposition ist, hält die Ampel Wort.
({2})
Meine Damen und Herren, das Bürgergeld kann kommen. Das Bürgergeld kommt. Hartz IV ist Geschichte.
({3})
Ich muss Ihnen schon sagen, Herr Gröhe: Sie haben noch vor zwei Wochen in Interviews gesagt, das Gesetz wird scheitern. Jetzt stimmen Sie morgen zu.
Schön, dass Sie dazugelernt haben!
({4})
Natürlich müssen wir Kompromisse machen.
({5})
Das gilt vor allem für die Themen „Karenzzeit“ und „Schonvermögen“. Aber es bleibt bei dem, was die Ampel hier vorgelegt hat,
({6})
nämlich bei mehr Respekt für Lebensleistung. Auch wenn Sie von der Union das nicht wollten: Es macht einen Unterschied, ob jemand immer gearbeitet hat
und sich etwas erspart hat oder nicht.
({7})
Meine Damen und Herren, auch alle anderen Kernpunkte des Bürgergelds, die ich in der vergangenen Sitzungswoche an diesem Pult angesprochen habe,
bleiben bestehen. Es bleibt bei mehr Augenhöhe und damit bei einem neuen Umgang zwischen Staat und Bürgern.
({8})
Der Kooperationsplan wird auf Augenhöhe gemeinsam vereinbart, und wenn das nicht klappt, kann die Schlichtungsstelle angerufen werden.
({9})
Es bleibt auch bei mehr Zielgenauigkeit beim Fordern. Und da müssen wir jetzt vielleicht mal ein bisschen aufklären, Herr Stracke. Also:
Mitwirkungspflichten von Beginn an, nach Antragstellung ab dem ersten Tag, waren schon im bisherigen Entwurf enthalten, und dabei bleibt es.
({10})
– Nein. Wer lesen kann, ist klar im Vorteil.
({11})
Es bleibt dabei, dass derjenige, der von Beginn an mitwirkt, nicht sofort mit Sanktionen bedroht wird, und es bleibt auch dabei, dass derjenige, der
aus gesundheitlichen Gründen nicht mitwirken kann, entsprechend unterstützt wird. Dabei bleibt es, und das ist auch richtig so.
({12})
Es bleibt bei mehr Fördern. Mit dem umfassenden Coaching, der Entfristung des sozialen Arbeitsmarkts, der aufsuchenden Arbeit, dem Weiterbildungsgeld
und dem Bürgergeldbonus sorgen wir für bessere individuelle und passgenaue Unterstützung. Es bleibt bei mehr Nachhaltigkeit. Wir schaffen den
Vermittlungsvorrang ab. Passgenaue und nachhaltige Vermittlung statt schneller Vermittlung in irgendeine Arbeit, das ist die Devise.
({13})
Schließlich bleibt es auch bei mehr Leistungsgerechtigkeit. Bei Zuverdienst haben junge Leute in Zukunft mehr, damit sie die Erfahrung machen können,
dass sich Arbeit lohnt.
Die Ampel, meine Damen und Herren, sorgt für sozialen Zusammenhalt in der Krise und für soziale Sicherheit in Zeiten des Umbruchs.
({14})
„You’ll never walk alone“ – das gilt in der Energiekrise genauso wie im Strukturwandel. Alle sollen gut durch diesen Winter kommen: die Unternehmen,
ihre Beschäftigten und deren Familien und die Bürgerinnen und Bürger, die auf Grundsicherung angewiesen sind.
({15})
Dafür führen wir eine Gaspreisbremse, eine Fernwärmepreisbremse, eine Strompreisbremse ein, und dafür erhöhen wir den Regelsatz, meine Damen und
Herren.
({16})
Vor allem entlasten wir diejenigen, die sich anstrengen, die arbeiten und trotzdem keinen dicken Geldbeutel haben; das gebietet der Respekt vor deren
Leistung. Wir senken die Sozialversicherungsbeiträge für Niedrigverdiener, wir erhöhen das Kindergeld für alle Kinder auf 250 Euro, wir erhöhen den
Kinderzuschlag.
({17})
Wir machen die größte Wohngeldreform, erhöhen das Wohngeld und weiten den Kreis aus. Und wir haben den Mindestlohn auf 12 Euro erhöht und sorgen damit
dafür, dass Arbeit und Leistung den Unterschied machen.
({18})
Wer will, dass sich Leistung lohnt, der hätte für 12 Euro Mindestlohn stimmen sollen. Das haben Sie von der Union nicht gemacht.
({19})
Meine Damen und Herren, die Ampel sorgt für soziale Sicherheit und sozialen Fortschritt in Zeiten der Veränderungen. Deshalb werden wir auch dafür
sorgen, dass das Rentenniveau über 2025 hinaus stabil bleibt.
({20})
Wir sorgen dafür, dass alle durch die Energie- und die Mobilitätswende gute Perspektiven haben. Deshalb werden wir die Beschäftigten im Strukturwandel
noch wirkungsvoller bei der Weiterbildung unterstützen. Wir werden ein Weiterbildungspaket vorlegen, damit die Beschäftigten von heute die Arbeit von morgen
machen können.
({21})
Wir werden alles dafür tun, dass die notwendigen Fachkräfte in diesem Strukturwandel verfügbar sind, damit die Energiewende gelingt und damit die
sozialen Dienstleistungen, die diese Gesellschaft so dringend braucht – denken Sie an Pflege und an Kinderbetreuung –, auch wirklich erbracht werden können.
Deshalb wird diese Ampelkoalition ein Einwanderungsgesetz vorlegen, das diesen Namen auch verdient. Einwanderung ist notwendig, aber reicht nicht aus. Genauso
wichtig sind inländische Potenziale, die Frauen – durch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf –, die Langzeitarbeitslosen – deshalb ist das
Bürgergeld mit seiner Priorität auf individuelle Förderung, zielgenaue Weiterbildung und nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt so wichtig – oder die
Älteren. Deshalb schaffen wir die Hinzuverdienstgrenzen für diejenigen ab, die vorzeitig in Rente gehen. Außerdem legen wir ein Programm für gesunde Arbeit auf,
stärken Prävention und Reha, damit Beschäftigte länger gesund im Arbeitsleben bleiben können.
({22})
Insgesamt, meine Damen und Herren, sorgt die Ampel für sozialen Zusammenhalt, Respekt vor der Lebensleistung und sozialen Fortschritt. Dafür steht
dieser Haushalt.
({23})
Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frank Bsirske.
({0})
Frau Präsidentin! Abgeordnete! Zu dem mit Ignoranz und Lügen durchtränkten Schäbigkeitswettbewerb, in den sich in den vergangenen Wochen die Herren
Merz und Söder mit der AfD gestürzt haben, hat der Arbeitsminister alles Erforderliche gesagt.
({0})
Ich will mich deshalb auf den Haushalt konzentrieren. Er enthält gegenüber der ursprünglichen Vorlage wichtige Veränderungen: Den Jobcentern werden
200 Millionen Euro zusätzlich für Verwaltungskosten zur Verfügung gestellt, und der Eingliederungstitel wird de facto um 300 Millionen Euro aufgestockt.
({1})
Ich begrüße das ausdrücklich. Das ist mit Blick auf die Bürgergeldreform auch zwingend notwendig. Wir wollen mit dem Bürgergeld nämlich eine neue
Sozialpolitik einleiten, die Agenda 2010 entgiften und eine neue Kultur des Förderns an die Stelle von Hartz IV setzen.
({2})
Mitwirkungspflichten wird es auch weiterhin geben, ebenso wie die Möglichkeit zur Leistungsminderung. Aber der Geist des neuen Systems soll nicht von
Misstrauen geprägt sein, sondern von Ermutigung und Befähigung, von Hilfe zur gesellschaftlichen Teilhabe.
({3})
Das Fördern wird verstärkt, ohne das Fordern aufzugeben. Entscheidend wird sein, dass im Einvernehmen auf Augenhöhe im Kooperationsplan ein in die
Zukunft gerichteter Weg vereinbart wird, der den Menschen eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt erschließt.
Keine Frage, die Einführung des Bürgergeldes stellt die Jobcenter vor große Herausforderungen. Die neuen Aufgaben werden mit dem bisherigen
Personalkörper nicht durchführbar sein.
({4})
Deshalb ist es folgerichtig, jetzt auch die Verwaltungskosten anzupassen und zusätzliche personelle und finanzielle Ressourcen einzuplanen. Wir tragen
dem – unabhängig von Ihrem Geschrei – mit verbesserten Haushaltsansätzen ebenso Rechnung wie mit der Bereitstellung von 2,4 Milliarden Euro für das
Bürgergeld.
({5})
Darüber hinaus heben wir die Mittel für die Kosten der Unterkunft um 400 Millionen Euro an und stocken auch den Haushaltsansatz für die berufliche
Integration und Beratung von Zuwandernden um 26 Millionen Euro für die Jahre 2024 und 2025 in Form von Verpflichtungsermächtigungen auf. Das ist Ausdruck des
manifesten Interesses an der Gewinnung ausländischer Fachkräfte für ein „Make it in Germany“.
({6})
Gegenüber dem ersten Haushaltsentwurf unverändert geblieben ist hingegen der Ansatz für berufsbezogene Sprachförderung mit einer Kürzung von
140 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahr, und das, obwohl die Zahl der an Sprachförderkursen Teilnehmenden nicht zuletzt infolge der hohen Zahl aus der Ukraine
Geflüchteter absehbar ansteigen dürfte und auch die Honorare der Lehrkräfte angehoben werden müssen. Andernfalls würde es immer schwieriger, qualifizierte
Fachkräfte zu gewinnen. Sprachförderung ist für eine gelingende Integration ausländischer Arbeitskräfte von zentraler Bedeutung. Hierzu – so steht es in den
Eckpunkten zur Fachkräfteeinwanderung – wollen wir im Inland wie im Ausland die für das Gesamtprogramm nötigen Haushaltsmittel erhöhen. Vor diesem Hintergrund
überrascht es, dass das Bundesarbeitsministerium den Haushaltsansatz für berufsbezogene Sprachförderung für auskömmlich erklärt hat, obwohl er gegenüber dem
Vorjahr um 140 Millionen Euro gekürzt wird.
({7})
Das ist umso überraschender, weil auch die vom Kabinett beschlossene Fachkräftestrategie der Bundesregierung besagt, dass – Zitat – „die
Berufssprachkurse stärker gefördert und deren Mittel verstetigt werden. Damit ist insbesondere auch eine deutliche Ausweitung des Sprachkurszugangs verbunden.“
Das macht ja auch Sinn, wenn im Oktober dieses Jahres allein 609 000 ukrainische Staatsbürger/-innen bei der BA gemeldet waren, für deren Integration in den
Arbeitsmarkt Sprachförderangebote eine wichtige Hilfe sein können. Es wird also weiterzuverfolgen sein, ob die nun vorgesehenen Mittel tatsächlich ausreichen
werden oder es unterjährig einer Aufstockung in Form einer überplanmäßigen Ausgabe bedarf und wie sich der Mittelabfluss auch in anderen Haushaltstiteln
gestaltet.
Insgesamt setzt die Ampel mit diesem Haushalt eine Reihe weiterer positiver Akzente, unter anderem für die Nationale Armutskonferenz, für die
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention sowie den Härtefallfonds für jüdische Kontingentflüchtlinge und Ost-West-Rentenleistungen.
({8})
Das Wichtigste aber ist: Wir stellen Weichen für das Bürgergeld und damit für die größte Sozialreform seit Jahrzehnten, und das ist gut so.
({9})
Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Ottilie Klein.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast jeder vierte über 80-Jährige in unserem Land ist von Armut betroffen. Die
Ampelkoalition – das haben wir heute auch wieder gehört – hält sich gerne für sozialer als alle anderen, hat aber auf Altersarmut überhaupt keine Antworten.
({0})
Denn wer einen Blick in den Koalitionsvertrag wirft, wird feststellen, dass Altersarmut mit keinem einzigen Wort erwähnt wird.
({1})
Immerhin wird im Koalitionsvertrag erwähnt, dass Sie, liebe Ampelfraktionen, den unter unionsgeführter Bundesregierung geplanten Härtefallfonds
umsetzen wollen. Dieser Fonds richtet sich an Härtefälle aus der Ost-West-Rentenüberleitung, an Spätaussiedler und jüdische Zuwanderer. Uns als CDU/CSU-Fraktion
war und ist es ein Herzensanliegen, die Menschen, die sehr kleine Renten beziehen, zu unterstützen. Deshalb hat die unionsgeführte Regierung seinerzeit
1 Milliarde Euro in den Bundeshaushalt 2022 eingestellt. Gemeinsam mit Ihnen, liebe SPD, gaben wir den Betroffenen, die jahrelang um Anerkennung gekämpft haben,
das Versprechen einer finanziellen Hilfe.
Leider mussten wir feststellen, dass Sie Ihr Wort gebrochen haben; denn den Beitrag des Bundes hat die Ampel um die Hälfte gekürzt, um 500 Millionen
Euro,
({2})
und das ausgerechnet in einer Zeit, in der Menschen mit kleinen Renten besonders belastet sind. Deshalb haben wir Sie auch aufgefordert, die
Streichung der Mittel zurückzunehmen und den Härtefallfonds umzusetzen. Fast wäre die Einführung des Härtefallfonds – das wissen wir, und das gehört zur
Wahrheit dazu – ganz gescheitert.
({3})
Der halbherzige Vorschlag, für den Sie sich hier nun feiern lassen, ist für die Betroffenen übrigens alles andere als feierlich. Im Gegenteil: Ihre
Pläne haben das Potenzial, den Frust der Betroffenen noch weiter zu erhöhen. Der Beitrag bleibt weit hinter den Erwartungen zurück.
({4})
Eine Beteiligung der Länder ist weiter unklar. Die Fristen sind viel zu kurz. Und Sie bringen es sogar fertig, die Gruppen gegeneinander auszuspielen
und ungleich zu behandeln. Das, meine Damen und Herren, ist respektlos gegenüber der Lebensleistung der Menschen.
({5})
Denn wir dürfen nicht vergessen: Dieser Fonds ist auch ein Ausdruck von Anerkennung und Gerechtigkeit für jene Menschen, die Benachteiligung und
Diskriminierung erfahren mussten, Menschen, die aufgrund ihrer bewegten Biografien nur sehr kleine Renten erhalten und von Altersarmut bedroht sind. Ihnen ein
Stück weit Anerkennung zu geben, war unser gemeinsames Versprechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da auch im Haushalt 2023 die Kürzung des Bundesanteils nicht zurückgenommen wurde, halte ich fest, dass die Ampel
dieses Versprechen gebrochen hat und damit erneut unter Beweis stellt, dass ihr Altersarmut egal ist.
Vielen Dank.
({6})
Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Dr. Tanja Machalet.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir in dieser Debatte wieder feststellen konnten, war, dass die CDU zwar immer wieder sagt,
wogegen sie ist und was sie alles nicht will, aber nur an ganz wenigen Stellen sagt, was sie tatsächlich will.
({0})
Das durchzieht alle Debatten, die wir bisher geführt haben. Das möchte ich einmal festhalten.
({1})
Am Einzelplan 11 wird deutlich, wie stark sich unsere Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss ins Zeug gelegt haben, um den guten Entwurf noch
besser zu machen.
({2})
Als größter Einzelplan des gesamten Bundeshaushalts spiegelt er die Leistungsfähigkeit unseres Sozialstaats wider. Das ist gerade in dieser Zeit ein
ganz wichtiges Signal.
({3})
Meine Kollegin Kathrin Michel hat es vorhin treffend beschrieben:
Zusammenhalt in der Zeitenwende bedeutet, dass wir gerade in Krisenzeiten in den Sozialstaat investieren und wohlüberlegte Ausgaben für die soziale
Sicherung und einen stabilen Arbeitsmarkt tätigen.
({4})
Das ist ein schöner Satz; den kann man, glaube ich, nicht oft genug wiederholen.
Im Sinne des Zusammenhalts möchte ich an dieser Stelle noch einmal auf den Härtefallfonds für Menschen aus der Ost-West-Rentenüberleitung, für
jüdische Kontingentflüchtlinge und Spätaussiedler eingehen. Wir stellen seitens des Bundes 500 Millionen Euro zur Verfügung. Besser wäre natürlich 1 Milliarde
Euro.
({5})
Ich bin dem Haushaltsausschuss aber dankbar, dass er die Errichtung einer Stiftung zur Abmilderung von Härtefällen ermöglicht, damit wir nun endlich
auszahlen können. Vor allem möchte ich an dieser Stelle Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und der Parlamentarischen Staatssekretärin Kerstin Griese danken,
dass sie sich in den vergangenen Jahren intensiv damit befasst und dafür gekämpft haben, das Ganze endlich zum Abschluss zu bringen.
({6})
Das Ministerium arbeitet schon an der Umsetzung. Das ist auch wichtig; denn wir wissen: Die Zeit drängt. Ich möchte, wie Kathrin Michel vorhin auch,
noch einmal an die Bundesländer appellieren: Beteiligen Sie sich wie Mecklenburg-Vorpommern an dem Fonds! Lieber Kollege Birkwald, Bodo Ramelow könnte auch
seinen Teil dazu beitragen.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU, Sie können auch gerne mit Ihren Ministerpräsidenten sprechen.
({8})
Ich spreche mit meiner Ministerpräsidentin. Sie können das auch tun. Vielleicht kommen die Länder doch noch zu dem Schluss, dass es durchaus ihre
Aufgabe ist, sich an diesem Fonds zu beteiligen.
({9})
Zum Bürgergeld ist, denke ich, alles gesagt. Wir werden es morgen beschließen. Ich möchte aber trotzdem noch einen Satz dazu sagen, und zwar ein Zitat
von Regine Hildebrandt, die übermorgen leider schon seit 21 Jahren tot ist. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin – –:
Aber kurz.
Ein Alltag ohne soziale Demütigung – das ist das Grundrecht aller, ausnahmslos.
({0})
Das ist unsere Haltung, das bleibt unsere Haltung. Das ist genau das, was uns von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU und insbesondere von
Ihnen, Herr Merz, unterscheidet.
Herzlichen Dank.
({1})
Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Axel Knoerig.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Audretsch, einem Christdemokraten
das christliche Menschenbild abzusprechen und das mit dem Vokabular zu verbinden, wir seien Rädelsführer, ist, finde ich, Ausdruck einer bescheidenen
Debattenkultur.
({0})
Mein lieber Kollege Frank Bsirske, wir schätzen uns, aber ich muss sagen: Das war kein glorreicher Anfang, weiß Gott nicht. Geh mal bitte in dich!
Herr Minister Heil, Sie haben Ihre Rede mit dem Verweis auf die Zeitenwende begonnen und auch von den Auswirkungen gesprochen. Ich frage Sie, Herr
Bundesminister für Arbeit und Soziales: Wo bleiben eigentlich die Konsequenzen aus der Zeitenwende für Ihren Verantwortungsbereich?
({1})
Ich erkenne nur altbekannte Reflexe: Immer wenn es Probleme gibt, werden diese mit Geld verdeckt.
({2})
Wir als Union sagen ganz klar: Das ist nicht unsere Zeitenwende, wenn Sie nur eine Lizenz zur Aufblähung des Sozialstaates darunter verstehen. Wir
lösen Probleme gezielt – das ist der Unterscheid –, anstatt sie durch immer höhere Sozialausgaben zu verdecken.
({3})
Es müssen diejenigen gezielt unterstützt werden, die tatsächlich Unterstützung benötigen. Ich will auf ein Thema eingehen – die FDP, Frau
Raffelhüschen, hat da gut vorgelegt –: die Rentenreform. Wir wollen Generationengerechtigkeit herstellen und gleichzeitig eine angemessene Altersversorgung
sicherstellen. Die Rentner haben von den Erhöhungen profitiert; das wird auch bis 2026 gut weiterlaufen.
({4})
Ich erinnere hier an die 16 Jahre, in denen wir die Rentenkasse fortlaufend gut gefüllt haben, und sage in aller Deutlichkeit – mit Blick auf 2009 und
2010 –, dass durch das Instrument der Kurzarbeit, das wir in den letzten Jahren sinnvoll eingesetzt haben, viele Arbeitsplätze gesichert werden konnten. Das ist
auch der Rentenversicherung zugutegekommen.
({5})
Unser Rentensystem ist noch leistungsfähig. Deswegen brauchen wir zügig eine Debatte, wie die Rente in Zukunft aussehen soll.
({6})
Aktuell kommen auf einen Rentner zwei Arbeitnehmer. Wir wissen, dass sich dieses Verhältnis auf 1 : 1 in 2050 angleicht. Deswegen ist der Vorschlag
der FDP einer Aktienrente ein richtiger Gedanke.
({7})
Aber wir sagen: Das Volumen ist zu klein. Sie wissen ja, dass wir jährlich 340 Milliarden Euro für die Rentenbezieher ausgeben. Wenn Sie dafür jetzt
10 Milliarden Euro mehr einstellen, ist das schlichtweg zu wenig.
Auch der Vorschlag der SPD, das Rentenniveau dauerhaft festzulegen, ist keine Lösung. Das ist, wie wir sagen, eine Vogel-Strauß-Politik, ein Verdecken
von Wirklichkeiten und vor allem ein Wegducken vor Verantwortung. Es ist doch gerade eine Belastung für die jüngere Generation, die das schlichtweg nicht
schultern kann.
({8})
Ich sage deswegen: Wir müssen alle drei Pfeiler der Altersvorsorge weiterentwickeln. Es müssen neue Ideen auf den Tisch, wie die gesamte Bevölkerung
bei dieser wichtigen Frage mitgenommen wird. Wer arbeitet, erwirbt Leistungsansprüche und erhält dadurch weniger oder gar keine Transferleistungen. Wir sagen
immer wieder: Arbeit muss sich lohnen, und Rente ist Lohn für Lebensleistung. Das sollte der Grundstock sein für die kommende Reform des Rentensystems.
({9})
Wir haben in den vergangenen Jahren gerade auch für Geringverdiener die Betriebsrente gestärkt. Und ich muss sagen: Für jeden Arbeitnehmer sollte es
zukünftig eine Betriebsrente geben. Wir brauchen auch ein neues Finanzprodukt für die Altersvorsorge, das gerade für Beschäftigte mit kleinen Einkommen
attraktiv ist. Das, meine ich, sind nachhaltige Konzepte, die den Menschen in unserem Land Sicherheit geben. Und da fehlen zukunftsorientierte Ideen, Herr
Heil.
Sie haben doch selbst gesagt, dass die Arbeit das Wichtigste ist, dass die Menschen Arbeit haben sollten. Deswegen korrigieren wir beim Bürgergeld –
das haben wir gemacht; das hat die Einigung gezeigt –, dass die Vermittlung in den Arbeitsmarkt im Zentrum der Reform steht. Wir sehen es beim Bürgergeld und
auch bei der Energiepreispauschale, die wir auch für Rentner und Studenten immer wieder eingefordert und in den letzten Wochen auch erreicht haben: Es kommen
bessere Ergebnisse zustande, wenn die Union mitwirkt. Ich sage laut und deutlich: Wir sind das Korrektiv der Mitte. Deshalb fordere ich Sie auf: Eröffnen Sie
die Diskussion um die Rente, Herr Minister!
({10})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten den Einzelplan des Bundesministeriums für Gesundheit. Der größte Posten ist
traditionell der Zuschuss zur gesetzlichen Krankenversicherung. Die gesetzliche Krankenversicherung erhält im kommenden Jahr neben dem Standardzuschuss weitere
2 Milliarden Euro. Darüber hinaus wird es trotzdem erforderlich sein, dass der durchschnittliche Krankenversicherungsbeitrag zum kommenden Jahr um 0,3 Prozent
steigt. Das heißt, die Bürgerinnen und Bürger – wir reden in diesen Tagen in diesem Haus eigentlich sehr viel darüber, dass die Bürgerinnen und Bürger entlastet
werden müssen – werden nicht mehr, sondern weniger Netto vom Brutto haben. Das macht zum Ersten deutlich, dass die GKV-Finanzstabilisierung, die im Gesetz des
Bundesministers vorgesehen ist, nur einen marginalen Teil beiträgt. Der Bundeshaushalt muss mehr leisten, und die Bürgerinnen und Bürger müssen mehr leisten.
Die GKV- Finanzstabilisierung bleibt weit hinter dem zurück, was eigentlich erforderlich ist.
({0})
Große Sorgen haben in diesen Tagen die Krankenhäuser. Der Bundesgesundheitsminister hat selber in seiner letzten Rede hier darauf hingewiesen, dass
bereits 40 Prozent unserer Krankenhäuser Liquiditätsprobleme haben. Deshalb wurde von der Ministerpräsidentenkonferenz auch angekündigt, dass es einen
Härtefallfonds geben soll mit 6 Milliarden Euro im kommenden Jahr und 2 Milliarden im Jahr 2024, der den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen bei den
Energiepreisen hilft. Bis heute liegt uns nichts vor.
({1})
Krankenhäuser denken darüber nach, ob sie jetzt Insolvenz anmelden müssen, ob sie in Erwartung dieser Hilfe, von der weder klar ist, für welchen
Zeitraum sie gewährt wird, noch, in welcher Höhe sie gewährt wird, weitermachen können oder ob sie sich der Insolvenzverschleppung schuldig machen. Deshalb ist
es allerhöchste Zeit, dass die Ampel ihren Streit über die Frage, ob das Wirtschaftsministerium oder das Gesundheitsministerium das Ganze administriert, beilegt
und stattdessen den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen in Deutschland Gewissheit gibt, in welcher Höhe sie von diesem Fonds profitieren können. Denn nach
den Belastungen der letzten Jahre haben die Krankenhäuser Planungssicherheit verdient und keine fortgesetzte Untätigkeit wegen des Streits in der Ampel.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Haushaltsentwurf, den die Bundesregierung vorgelegt hat, sagt sie sehr klar: „Für uns ist Corona erledigt“;
denn sie hat an vielen Stellen keine Kosten mehr vorgesehen. Wir haben, wie wir heute im Haushaltsausschuss gesehen haben, die Situation, dass im nächsten Jahr
wegen der Coronavirus-Testverordnung selbstverständlich weitere Ausgaben erforderlich sind. Deshalb ist der Sparstrumpf, nämlich die globale Mehrausgabe, die
der Finanzminister eigentlich für Unsicherheiten im nächsten Jahr vorhalten wollte, für das Testen im nächsten Jahr schon in Höhe von 1,2 Milliarden Euro
angeknabbert. Das heißt, auch hier ist nicht ausreichend Vorsorge getroffen worden. Was mich, ehrlich gesagt, aber am meisten mit Sorge erfüllt, ist – darauf
habe ich in vielen Gesprächen hingewiesen –, dass im Haushalt für das nächste Jahr 3 Milliarden Euro für den Ankauf von Coronaimpfstoff vorgesehen sind. Das ist
die Folge aus Verträgen, die die Europäische Kommission abgeschlossen hat. Wenn man das umrechnet, sind das ungefähr 150 Millionen Impfstoffdosen im nächsten
Jahr. Wir könnten nächstes Jahr damit also 90 Prozent der Bevölkerung zweimal durchimpfen. An diese Verträge sind wir gebunden, und diese Verträge zu Beginn der
Pandemie zu schließen – damit mich da keiner falsch versteht –, war richtig. Aber jetzt ist es notwendig, dass die Bundesregierung auf die Europäische
Kommission und die Hersteller zugeht und eine deutliche Flexibilisierung dieser Verträge erreicht; denn wenn wir in dieser Größenordnung im nächsten Jahr
Impfstoffe kaufen, dann ist bereits jetzt absehbar, dass wir mit großer Wahrscheinlichkeit das Allermeiste davon vernichten müssen. Das wäre nicht nur eine
finanzpolitische Katastrophe, sondern auch unethisch im Hinblick auf die Ressourcen, die da eingesetzt werden.
({3})
Was ich ausdrücklich begrüße, ist die Tatsache, dass die Ampelkoalition diesen Haushalt an einigen Stellen deutlich verbessert; vieles davon haben wir
in Anträgen deutlich gemacht. Was ich zum Beispiel nicht verstanden habe, ist, dass die Regierung angesichts der Tatsache, dass sie sich auf den Weg macht,
Haschisch zu legalisieren, im Bereich der Drogenprävention eine deutliche Absenkung des Titels vorgesehen hat. Da hatten wir uns mehr vorgestellt. Es ist
richtig, dass die Koalition an dieser Stelle reagiert hat und wir über eine Veränderung des Haushalts im Parlament jetzt wieder mehr Geld für die Prävention im
Drogenbereich ausgeben.
Etwas, was mich nach wie vor sehr beschwert, ist, dass das Thema globale Gesundheit, eines der größten und wichtigsten Themen, die wir international
haben, gerade jetzt im Ausgang der Pandemie unter Druck ist. Donald Trump mit seinem Versuch des Ausstiegs aus der WHO hat die internationale Gesundheit unter
Druck gesetzt. Auch Boris Johnson war ein Regierungschef, der die Ausgaben in diesem Bereich zurückgefahren hat. Dass jetzt diese Bundesregierung einen Entwurf
vorlegt, mit dem die Ausgaben für die internationale Gesundheit um 70 Prozent abgesenkt werden sollen, ist ein fatales Signal in die öffentliche Community. Das
ist falsch.
({4})
Hier sitzen viele, die wie ich Mitglied im Unterausschuss Globale Gesundheit sind. Ich sage Ihnen: So etwas dürfen wir eigentlich nicht tun.
Ich bin froh und sage Danke dafür, dass die Koalition zumindest bei UNAIDS und beim Global Health Hub kleine Korrekturen vorgenommen hat. Was ich aber
gar nicht verstehe, ist, dass die Ampelkoalition bei unserem Flaggschiff, dem World Health Summit, bei dem sie im letzten Haushalt noch gesagt hat: „Da stocken
wir auf“, jetzt die Kürzung durch den Bundesgesundheitsminister –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– eins zu eins hingenommen hat. Das ist falsch. Globale Gesundheit ist ein zentrales Zukunftsthema; da tragen wir international Verantwortung.
Deshalb können wir diesem Einzelplan in der Summe so leider nicht zustimmen.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Svenja Stadler, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen und vor den Bildschirmen! Als Erstes möchte ich mich bei
den Mitberichterstattern, vor allen Dingen bei Paula Piechotta und Karsten Klein, für die konstruktive und vor allen Dingen vertrauensvolle Zusammenarbeit in
dieser Zeit bedanken. Es ist nicht einfach gewesen; deshalb: Danke dafür. Ein Dank geht natürlich auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; denn ohne sie
wäre es überhaupt nicht möglich gewesen.
Wir stehen vor nicht ganz so einfachen Zeiten. Die finanziellen Spielräume sind verdammt eng. Da ist es für uns Haushälter besonders schwer, und wir
gucken sehr intensiv auf die einzelnen Haushaltstitel und Projekte. Vor allem hinterfragen wir an der einen oder anderen Stelle diese Projekte auch. Wir
schauen, ob sie ihre Ziele überhaupt erreicht haben.
Das bedeutet auch, dass wir verstärkt Fragen an das Bundesgesundheitsministerium gestellt haben. Deshalb sage ich an dieser Stelle auch ein herzliches
Dankeschön an das Haus und Karl Lauterbach; denn die Fragen wurden zügig beantwortet, und das ist gut.
({0})
– Wer freundlich fragt, bekommt gute Antworten.
({1})
Vielleicht sollten Sie mal daran arbeiten.
({2})
Das hat dazu geführt, dass es in den Haushaltsberatungen verdammt viele Änderungsanträge zum Etat 2023 des Bundesgesundheitsministeriums gegeben hat.
Wir haben auf das Wesentliche reduziert und gleichzeitig vier Schwerpunkte gesetzt.
Insgesamt ist der Etat in den Haushaltsverhandlungen auf 24,5 Milliarden Euro gestiegen. Das hat vor allen Dingen mit den Leistungen des Bundes an den
Gesundheitsfonds für die von der Pandemie verursachten Belastungen und den Zuschüssen zur Impfstoffbeschaffung zu tun. Das sind Kosten in Höhe von knapp
2,4 Milliarden Euro – nach wie vor ein Schwerpunkt auch in diesem Haushalt.
Wir in der Fortschrittskoalition haben zudem in den Bereichen Digitalisierung, Gesundheitsprävention und internationale Gesundheit mehr Geld
eingesetzt. Damit haben wir die Umsetzung zentraler Punkte, die im Koalitionsvertrag vorgesehen sind, angeschoben.
Die Mittel für die Digitalisierung konnten wir erhöhen. Dadurch kann die Versorgungsqualität verbessert, Arbeitsabläufe effizienter gestaltet und
Personal entlastet werden. Das, was wir jetzt in die Digitalisierung investieren, insbesondere in die Vorhabenplanung und in den Strategieprozess, wird
nachgelagerte Vorgänge entlasten und damit auch Kosten sparen. Deshalb sind die 5 Millionen Euro zur Förderung der digitalen Transformation eine gute
Investitionen in die Zukunft. Eine weitere Million ist für das Notaufnahmeregister vorgesehen.
Dann gibt es da noch das Thema Konnektoren, ein sehr spannendes Thema, wie wir in den Berichterstattungen dazu gelesen haben. Mir ist es tatsächlich
ein Rätsel, wie man Verträge abschließen kann, in denen steht, dass ein Tausch von Konnektoren unabwendbar ist. Das ist für die Zukunft, finde ich, nicht
zielführend. Deshalb bin ich dankbar, dass das Haus mit Sicherheit eine Lösung entwickeln wird, die zukünftig Datenschutz berücksichtigt und gleichzeitig diesen
Tausch nicht mehr notwendig macht. Das ist gut für die Natur, für die Nachhaltigkeit und ist sinnvoll.
({3})
Ich weiß auch, dass unser Minister an diesen Verträgen nicht beteiligt war. Ich könnte mir vorstellen, wer es war.
({4})
Ich habe über das Budget für die Digitalisierung gesprochen. Es gibt in diesem Bereich noch einige Baustellen. Mein Kollege Matthias Mieves spricht
nach mir. Ich kann mir vorstellen, dass er darauf noch näher eingehen wird.
Einen weiteren Schwerpunkt haben wir auf Prävention und Aufklärung gesetzt, gerade im Hinblick auf die Legalisierung von Cannabis. Deshalb haben wir
die Kürzungen rückgängig gemacht und den Titel wieder auf das ursprüngliche Niveau von 13,2 Millionen Euro zurückgesetzt. Das ist wichtig.
({5})
Damit haben wir zum zweiten Mal sehr deutlich signalisiert, was der Parlamentswille ist. Ich erwarte im Regierungsentwurf zum Haushalt 2024, dass
dieser Titel mindestens bei 13,2 Millionen Euro liegt, gerne höher.
({6})
Im Zusammenhang mit der gesundheitlichen Aufklärung der Bevölkerung haben wir außerdem den Nationalen Präventionsplan mit 850 000 Euro unterlegt.
Den Zuschuss an den Verein Aktion Psychisch Kranke konnten wir um 150 000 Euro erhöhen. Das ist wichtig, damit der Psychiatriedialog fortgeführt wird,
der wichtige und wertvolle Impulse zur Weiterentwicklung des Versorgungsangebotes gibt.
({7})
Schließlich haben wir uns auch die Suizidprävention angeschaut. Es gibt da definitiv Synergien, die man nutzen kann. Wir haben dem Haus eine kleine
Hausaufgabe gegeben. Ich bin auf den Bericht gespannt.
({8})
Schließlich haben wir Ampelhaushälter im Bereich Globale Gesundheit – Herr Braun hatte das gerade auch angeführt – noch einmal deutliche
Mittelaufstockungen im Vergleich zum Regierungsentwurf durchgesetzt. 3,75 Millionen Euro sollen als Zuschuss an UNAIDS fließen und 1 Million Euro an den Global
Health Hub. Ja, wir wissen, mehr ist immer besser. Aber bei einem so engen Haushalt ist es verdammt schwierig. Vielleicht haben wir nächstes und übernächstes
Jahr mehr Möglichkeiten.
Insgesamt bleibt zu sagen, dass wir im Jahr 2023 große strukturelle Herausforderungen im Gesundheits- und Pflegesystem vor uns haben. Ich bin davon
überzeugt, dass wir mit dem jetzigen Haushalt eine solide Grundlage dafür geschaffen haben, die kommenden Ausgaben zu meistern. Mit diesem Haushalt leisten wir
unseren gesundheitspolitischen Beitrag für den Zusammenhalt in der Zeitenwende. Von daher können Sie einfach nur zustimmen; ich tue es.
Danke schön.
({9})
Vielen Dank, Frau Kollegin Stadler. Haushälter können offensichtlich auch mit ihrer Redezeit haushalten; das finde ich sehr vernünftig. – Nächster
Redner ist der Kollege Martin Sichert, AfD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bettlägerige Senioren liegen stundenlang hilflos in ihren eigenen Fäkalien.
({0})
Ein Verstorbener liegt tagelang im Bett. Einen anderen Sterbenden erreicht der Notarzt nicht, weil er nicht ins Haus kommt. Was wie Apokalypse klingt,
ist diesen Monat in einem Seniorenheim in Marburg Realität. Ein Pfleger sagt dazu – ich zitiere –:
Das Haus steht in Flammen, es geht nichts mehr, keiner von uns – egal ob mit oder ohne Symptome in Quarantäne – darf mehr rein und sich um die alten
Menschen kümmern.
({1})
Gesunde Pflegekräfte dürfen wegen der Politik dieser Bundesregierung nicht arbeiten
({2})
und müssen die hochbetagten Senioren völlig würdelos und einsam in ihren stinkenden Exkrementen liegen lassen.
({3})
Menschenverachtender als die Zustände in diesem Heim ist nur noch die Politik Ihrer Bundesregierung.
({4})
– Richtig. Sie haben keinen Respekt vor den Pflegekräften.
({5})
Das sagen Sie ganz richtig. – Sie rauben den hochbetagten Senioren, ihren Angehörigen und auch den Pflegekräften die Würde. Schämen Sie sich, Herr
Lauterbach! Schämen Sie sich!
({6})
Für über 10 000 neue Stellen in Behörden hat die Ampel Geld. Im Gesundheitswesen hingegen bestraft man die dringend benötigten Fachkräfte. Allein in
Jena bekommen dieser Tage 654 ungeimpfte Mitarbeiter im Gesundheitswesen Bußgeldbescheide über jeweils 250 Euro Strafe. Und warum? Nur weil Sie die völlig
unsinnige einrichtungsbezogene Impfpflicht eingeführt haben, von der Sie ja inzwischen selbst Abstand nehmen. Aber sie ist nun mal noch in Kraft und richtet
weiter Schaden an, obwohl wir von der AfD als Einzige von Anfang an davor gewarnt haben.
({7})
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke?
Ja.
Herr Kollege Sichert, nehmen Sie zur Kenntnis, dass die Stadt Jena sämtliche Bußgeldbescheide zurückgenommen hat und dass diese nicht versendet
werden. Sie erzählen hier Unwahrheiten.
({0})
Die Stadt Jena hat noch vor zwei Tagen in der Presse verkündet, dass sie diese Bußgeldbescheide aussenden wird. Es ist unfassbar, dass man diese
Leute so in der Unsicherheit lässt, ob sie jetzt Bußgeldbescheide bekommen oder keine Bußgeldbescheide bekommen, und die Stadt Jena auf Anfrage bei der
Landesregierung die Information bekommen hat, sie solle den Leuten doch circa ein Zehntel des möglichen Bußgelds von 2 500 Euro, also 250 Euro, geben, und man
dann gesagt hat: Na ja, dann geben wir es den Leuten halt vielleicht im März und nicht jetzt Weihnachten.
({0})
Die Ampel führt mit ihrer Politik zu einem absoluten Chaos. Das führt dazu, dass die Leute verunsichert sind. Wir haben viele Fälle bundesweit, wo
tatsächlich Bußgelder verhängt worden sind, wo Leute bestraft worden sind, und zwar nicht nur im Gesundheitswesen, sondern auch bei der Bundeswehr, wo wir immer
noch diese ganzen Probleme haben. Hören Sie endlich auf, die ungeimpften Menschen in diesem Land zu drangsalieren! Hören Sie auf mit der Diskriminierung!
({1})
Deutschland braucht nicht noch mehr Bürokraten, die Aktenstapel wälzen, sondern Deutschland braucht mehr Menschen, die bereit sind, anzupacken. Die
meisten von uns werden irgendwann mal alt oder krank sein. Dann ist es völlig egal, wie viele Amtsschimmel wiehern. Was dann zählt, ist, wie viele Pflegekräfte,
Ärzte und Menschen in Heilberufen da sind, um uns zu helfen. Mein Vorschlag: Stampfen Sie tausend Ihrer neuen Stellen ein, und bezahlen Sie damit alle Bußgelder
der von Ihnen nun seit über zwei Jahren drangsalierten ungeimpften Fachkräfte und ungeimpften Soldaten.
({2})
19 Prozent Übersterblichkeit hatten wir allein im Oktober. Auch in den Monaten davor gab es eine deutliche Übersterblichkeit. In einem sind sich die
Experten einig, nämlich darin, dass diese Übersterblichkeit andere Ursachen als Corona haben muss. Die Bundesregierung unternimmt nichts, um das zu untersuchen.
Auch im Haushalt für das nächste Jahr sind keine Gelder dafür vorgesehen. Es könnten schließlich unangenehme Ergebnisse dabei herauskommen, nicht wahr? Es ist
zutiefst beschämend, Herr Lauterbach, wie Sie sich vor Ihrer Verantwortung wegducken.
({3})
200 Millionen Euro für eine unnütze Warn-App, Hunderte Millionen für Werbung für nur an Mäusen getestete Impfstoffe und Abermilliarden für Masken und
Impfstoffe. Dafür war Geld da, und dafür ist Geld da. In der Gesundheitsversorgung hingegen fehlt es. Viele Arztpraxen und Facharztpraxen stehen wegen
Energiekosten, Inflation und dem hohen Alter der Ärzte vor dem Aus.
({4})
Dabei müssen viele Patienten jetzt schon viele Monate auf Arzttermine warten. Wie wird das erst in Zukunft werden? Noch schlimmer sieht es bei den
Hebammen aus, die Sie absolut stiefmütterlich behandeln. Obendrein fehlen Zehntausende Fachkräfte. Egal ob Sie im Amt sind, Herr Lauterbach, oder Ihr
Amtsvorgänger Spahn, viel zu lange wurde Geld vor allem investiert, um die Ideologie der Regierenden und die Interessen der Lobbyisten zu befriedigen. Damit
muss Schluss sein!
({5})
Nicht die Menschen müssen der Politik dienen, sondern die Politik muss endlich wieder den Menschen dienen. Weil dieser Haushalt nicht den Menschen
dient, sondern den Politikern und den Lobbyisten, lehnen wir ihn ab.
({6})
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Paula Piechotta, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Zuallererst, auch gerade nach diesem
Negativbeispiel: Vielen lieben Dank, Helge Braun. Sven Kindler hat am Anfang der Woche gesagt, dass man die Union in der Opposition manchmal nicht versteht,
gerade auch, was Haushaltsklarheit und ‑wahrheit angeht. Für den Einzelplan 15 muss man sagen: Wir verstehen Sie sehr gut, und wir empfinden das, was Sie in
diesem Bereich tun, als sehr konstruktive Opposition.
({0})
Deswegen an dieser Stelle großen Dank an Sie, aber natürlich auch an alle meine Mitberichterstatter, insbesondere Svenja Stadler und Karsten Klein. –
Wir haben uns heute – aus Versehen – auch farblich abgestimmt. So gut funktioniert die Ampel im Einzelplan 15.
({1})
Ich habe in den letzten Wochen versucht, die Realität der Deckblätter während der Haushaltsverhandlungen zum Einzelplan 15 mit der Realität im
Gesundheitswesen vor Ort in Einklang zu bringen und immer wieder miteinander abzugleichen. Ich war deswegen viel unterwegs, auch in den unterschiedlichen
Kliniken in meiner Region: Ostsachsen, Westsachsen, kleine Häuser und große Häuser, teilweise in kirchlicher, teilweise in privater Trägerschaft.
Man könnte denken, dass in dieser Zeit, in der ganz Deutschland über steigende Energiepreise und Inflation redet, genau das auch das drängendste Thema
in den Kliniken ist. Aber das war tatsächlich nicht so, weil der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen so eklatant ist, dass er selbst die aktuelle Frage der
Inflation und der Energiepreise überstrahlt. Es gibt Kliniken, die inzwischen ihr Personal im OP-Trakt stark zentralisieren, zusammenziehen müssen, damit
wenigstens der OP-Betrieb läuft. In einzelnen Kliniken meiner Region hatten wir früher das Problem, Patienten in die Anschlussbehandlung, in die Pflege zu
entlassen. Dort ist inzwischen nicht einmal mehr die Pflege das Nadelöhr, sondern der Krankentransport, der die Patientinnen und Patienten abtransportieren
könnte. Der Fachkräftemangel ist auch in diesem Jahr das eklatanteste Problem im Gesundheitswesen. Das ist – das werden Ihnen alle Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter bestätigen – nicht nur eine Frage des Geldes.
Das wird vor allen Dingen daran deutlich, dass wir in den letzten drei Jahren erhebliche zusätzliche Gelder in die Kliniken gesteckt haben. Wenn wir
die letzten drei Jahre zusammennehmen – mit den Krankenhausausgleichszahlungen, den Intensivbettenförderungen und den Versorgungszuschlägen –, waren das
22,233 Milliarden Euro on top für die deutschen Kliniken. Daran wird das Ende des Lösungsansatzes „mehr Geld für strukturelle Probleme im Gesundheitswesen“
deutlich; denn man sieht, dass trotz dieser 22 Milliarden Euro kein einziges Problem im Klinikbereich nach diesen drei Jahren gelöst ist. Im nächsten Jahr
werden wir den Härtefallfonds für die Kliniken auflegen – noch einmal bis zu 10 Milliarden Euro –, weil einfach grundlegende strukturelle Probleme im
Klinikbereich nicht gelöst sind, meine Damen und Herren.
({2})
Dieser Härtefallfonds ist im Einzelplan 60 angesetzt. Wir, die Berichterstatter im Gesundheitsbereich, fanden es aber unglaublich wichtig, ihn mit
einer Maßgabe zu versehen; denn dieser Härtefallfonds ist notwendig, weil die Länder in den letzten Jahren ihre Kliniken strukturell unterfinanziert haben. Im
Rahmen der Krankenhausinvestitionskostenfinanzierung stellen die Länder jedes Jahr geschätzt 4 Milliarden Euro zu wenig zur Verfügung. Die deswegen nicht
durchgeführte Gebäudemodernisierung und die deswegen nicht vorhandene Energieeffizienz ist die Ursache dafür, dass wir in der aktuellen Situation, in der eine
größere Energieeffizienz aufgrund der hohen Energiepreise notwendig ist, als Bund überhaupt wieder Lücken füllen müssen, die teilweise die Länder gerissen
haben.
Das ist kein nachhaltiger Lösungsansatz. Deswegen haben wir als Haushaltsausschuss mit guter Mehrheit der Bundesregierung mitgegeben, dass sie jetzt
sofort in Gespräche mit den Ländern eintreten muss, um Sofortprogramme zur energetischen Sanierung aufzulegen. Wir, nicht nur der Haushaltsausschuss des
Bundestages, sondern auch die Patientinnen und Patienten und die Beschäftigten im Gesundheitswesen, müssen den Ländern das zutrauen, was die Länder sich selber
nicht zutrauen, nämlich ihre eigenen Aufgaben endlich suffizient wahrzunehmen, meine Damen und Herren.
({3})
Zur Wahrheit gehört auch – das wird deutlich, wenn wir uns die Gesamtausgaben im Gesundheitswesen anschauen, die dieses Jahr für 2020 veröffentlicht
wurden –: Die knapp 441 Milliarden Euro, die das Gesundheitswesen in Deutschland jedes Jahr umsetzt, entsprechen fast dem Volumen des gesamten Bundeshaushalts,
und das in diesen Zeiten. Das macht deutlich, wie begrenzt an dieser Stelle die Möglichkeiten eines einzelnen Akteurs, zum Beispiel des Bundes, sind. Der Bund
kann nicht allein mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt die schwerwiegenden strukturellen Probleme im Gesundheitswesen lösen. Wir können auch hier nur
Symptomlinderung betreiben. Wir kommen an den grundlegenden strukturellen Reformen auf allen Ebenen – mit den Ländern, mit den Kommunen und vor allen Dingen mit
der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen – einfach nicht vorbei. Sonst werden wir jedes Jahr nur weiter Symptomlinderung betreiben, die sehr teuer ist, aber
keine Probleme grundlegend löst.
({4})
Lassen Sie mich noch kurz kleine Schlaglichter auf kleinere Projekte aus dem Einzelplan 15 werfen; Svenja Stadler hat dankenswerterweise schon einige
genannt. Ich möchte noch die Long-Covid-Beratung ergänzen. Viele Patientinnen und Patienten sind gerade sehr stark davon beeindruckt, wie viele Informationen
über Long Covid im Umlauf sind, die für Patientinnen und Patienten teilweise schwer überprüfbar sind. Hier stärken wir die neutrale, faktenbasierte Beratung für
eine Übergangszeit, bis das Gesundheitswesen das selber vollständig auffangen kann. Wir stärken, wie Svenja Stadler richtigerweise gesagt hat, UNAIDS und den
Global Health Hub. Wir stärken auch den Nationalen Präventionsplan. Und ja, wir haben – an dieser Stelle bin ich auch der Union und der Linkspartei sehr
dankbar – fast einstimmig die Kürzungen im Bereich Suchtberatung – die Mittel dafür hat das Bundesgesundheitsministerium unerklärlicherweise wieder reduziert –
vollständig zurückgenommen.
({5})
Der Haushaltsausschuss hat hier zwischen Opposition und Koalition sehr klar gesagt, dass er das als eine extrem wichtige und zentrale Aufgabe gerade
auch nach der Pandemie und gerade auch in Zeiten der Cannabislegalisierung ansieht. Vielen, vielen herzlichen Dank auch an Helge Braun und Gesine Lötzsch an
dieser Stelle.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Geld ist wichtig, aber es ist nicht alles. Das wird Ihnen jeder Mitarbeiter und jeder Patient im Gesundheitswesen bestätigen. Ich freue mich, dass
wir uns im nächsten Jahr in dieser guten Konstruktivität, die wir in den Beratungen des Einzelplans 15 haben, auch daranmachen, das Gesundheitswesen und die
Pflegeversicherung tatsächlich endlich auf sehr viel stabilere Füße für die kommenden Jahre zu stellen.
Vielen herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke.
({0})
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Karl Lauterbach will nun als knallharter Sanierer auftreten. Ich sage Ihnen:
Wir brauchen keinen Minister, der unser Gesundheitssystem auf noch mehr Profit trimmt. Wir brauchen einen Gesundheitsminister, der dafür sorgt, dass kranke
Menschen ordentlich versorgt werden.
({0})
Nun hat es der Sozialdemokrat Lauterbach auf die Hebammen abgesehen. Die Hebammen sollen nicht mehr von den Krankenkassen finanziert werden, sondern
von den Krankenhäusern.
({1})
Den Krankenhäusern steht aber das Wasser bis zum Hals. Sie sollen in den kommenden zwei Jahren nur 6 Milliarden Euro als Inflationsausgleich erhalten.
Sie brauchen aber 15 Milliarden Euro, um überleben zu können. Nun sollen die Hebammen zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern zerrieben werden. Das darf nicht
geschehen, meine Damen und Herren.
({2})
Eine Petition gegen diese verwerfliche Idee wurde von 1,2 Millionen Menschen unterschrieben. Nun kam Herr Lauterbach zu der erstaunlichen Erkenntnis,
der wirtschaftliche Druck vertrage sich nicht mit dem Berufsbild. Ich frage Sie: Verträgt sich wirtschaftlicher Druck mit dem Berufsbild der Krankenschwester
oder der Ärztin? Nein, sagen wir. Gesundheit und Profitmacherei müssen sich ausschließen, meine Damen und Herren.
({3})
Immer mehr Kinderärzte berichten mir, dass sie keine neuen Patienten mehr aufnehmen können. Ein Arzt aus meinem Wahlkreis in Berlin hat mir eine
Grafik geschickt. Sie zeigt eine steile Kurve nicht gezahlter Honorare von 2009 bis 2022. Er arbeitet trotzdem weiter, weil er Kinder und Eltern nicht nach
Hause schicken will.
({4})
Mich rufen Mütter an, die händeringend einen Kinderarzt suchen. Das sind doch unhaltbare Zustände. Wir dürfen unser Gesundheitssystem nicht weiter
kaputtsparen. Das wäre zutiefst inhuman, meine Damen und Herren.
({5})
Nun sind die Misswirtschaft und die Mangelwirtschaft schon bei der Medikamentenversorgung angekommen. Es ist doch absurd, dass in unserem Land Fieber-
und Hustensaft zur Mangelware werden. Nehmen Sie Ihre Verantwortung dort wahr, Herr Lauterbach.
({6})
Warum ist das so? Ganz einfach: Die Schuldenbremse schlägt erbarmungslos zu, ganz anders als zum Beispiel bei der Bundeswehr. Für die scheint das
nicht zu existieren. Sie von der Koalition und auch von der Union haben kein Problem damit, im kommenden Jahr insgesamt 72 Milliarden Euro für die Aufrüstung
der Bundeswehr auszugeben. Ich frage Sie: Sind neue Panzer, Flugzeuge und Granaten mehr wert als die Gesundheit unserer Bevölkerung? Nein.
({7})
Ich finde, ein humaner Umgang mit kranken Menschen ist ein Wert, den wir verteidigen müssen. Unser Gesundheitssystem darf nicht kaputtgespart
werden.
Herzlichen Dank.
({8})
Vielen Dank, Frau Kollegin Lötzsch. – Nächster Redner ist der Kollege Karsten Klein, FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Etat des Gesundheitsministers war in den letzten Jahren natürlich massiv dominiert
von den Ausgaben für die Bekämpfung des Coronavirus. In 2021 haben wir 28,9 Milliarden Euro für die Bekämpfung verausgabt, 2022, also in diesem Jahr, sind
47,3 Milliarden Euro geplant und für 2023 – so ist der Stand nach der Bereinigungssitzung – 4,9 Milliarden Euro. Das sind Ausgaben für die Ausgleichszahlungen
in den Krankenhäusern, für die Pflegeversicherung, für die Krankenversicherung, für die persönliche Schutzausrüstung, für Masken, fürs Impfen, fürs Testen und
für Medikamente. Diese großen Zahlen zeigen zweierlei: Zum einen zeigen sie, dass es natürlich richtig war, mit massiven Haushaltsmitteln gegen diese Krise
anzukämpfen. Aber sie zeigen auch, dass wir jetzt, wo die Pandemie ausläuft, diese Haushaltsmittel wieder ausschleifen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen;
denn Krisenstrukturen dürfen nicht auf Dauer finanziert werden.
({0})
Da ist die Diskussion um die Testverordnung in den letzten Tagen wirklich symbolisch gewesen. Herr Minister, ich möchte mich an dieser Stelle noch
einmal ausdrücklich bei Ihnen und bei Ihrem Haus bedanken, aber auch bei den Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen. Wir sind uns nicht immer einig,
welche Maßnahmen in welcher Geschwindigkeit ausgeschliffen werden sollen und was zurückgefahren werden muss. Aber am Ende erzielen wir immer gute Kompromisse
für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land.
({1})
Nach einem Zwischenschritt im Sommer, wo wir schon die Tests für symptomfreie Menschen mit einer Zuzahlung belegt haben, fokussieren wir uns im
nächsten Schritt, Herr Minister, auf die vulnerablen Gruppen in den Krankenhäusern, in den Pflegeheimen, zu Hause. Das setzt den richtigen Akzent in der
jetzigen Situation und ist der Lage angemessen.
({2})
Denn alle offiziellen Statistiken zeigen, egal ob ich mir die Inzidenzwerte anschaue, die Hospitalisierungsrate oder auch die Zahl derer, die aufgrund
von Corona auf Intensivstationen behandelt werden müssen, dass die Infektionszahlen, Gott sei Dank, zurückgehen.
Diese Zahlen dürfen uns aber nicht davon abhalten, auch die Lehren aus dieser Krise zu ziehen. Ich glaube, bei einer Lehre sind wir uns im Haus mit
Ausnahme einer Fraktion alle einig, nämlich wenn es darum geht, dass wir eine Pandemie nur gemeinsam international bekämpfen können.
({3})
Deshalb ist es richtig, dass die Koalition die Mittel für die internationale Gesundheitsversorgung noch um 4,75 Millionen Euro in der
Bereinigungssitzung hat aufgewachsen lassen. Da noch einmal ganz herzlichen Dank an die Kolleginnen der Koalitionsfraktionen, liebe Svenja, liebe Paula, aber
natürlich auch, lieber Helge, an euch.
Ich will trotzdem richtigstellen: Wenn man bei der internationalen Gesundheitsversorgung die Mittel für ACT‑A herausrechnet, also die Mittel, die in
der Coronakrise wirken sollten, vor allem bei der internationalen Impfkampagne, dann sehen wir Mittelaufwüchse. Im Vergleich zum Beispiel zu 2020 geben wir für
die internationale Gesundheitsversorgung in 2023 45 Millionen Euro mehr aus. Deshalb, glaube ich, kann man hier nicht von einem rückwärtsgewandten Schritt
sprechen.
Eine weitere Lehre muss natürlich die Frage sein, wie wir in Zukunft die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern wieder richtig justieren.
Eigentlich ist es klar geregelt: Katastrophenschutz, Infektionsschutz ist Ländersache. Deshalb müssen die Länder jetzt die Vorbereitungen treffen, in der
nächsten Pandemie auch aus eigener Kraft handlungsfähig zu sein. Da geht es um die Digitalisierung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, die jetzt vom Bund
wieder mitfinanziert wird. Da geht es natürlich um die Frage, wer in Zukunft Vorsorge für persönliche Schutzausrüstung trifft. Das alles sind Länderaufgaben.
Deshalb, Herr Minister, glaube ich, neben den Aufgaben, die zu bewältigen sind, müssen wir auch in Gespräche darüber eintreten, dass die Länder ihre
Aufgabenliste endlich erfüllen, um in der nächsten Pandemie schlagkräftig zu sein.
({4})
Die Herausforderungen im Gesundheitssystem sind mannigfaltig. Digitalisierung ist ein großes Thema. Deshalb ist es richtig, dass wir gemeinsam in der
Koalition in der Bereinigungssitzung noch einmal 5 Millionen Euro für die digitale Gesundheitsagentur zur Verfügung gestellt haben. Wir können mit der
Digitalisierung im Gesundheitssystem enorme Potenziale heben. Das macht aber erforderlich, dass auch hier die Länder mitziehen, nämlich wenn in digitale
Infrastruktur in den Krankenhäusern investiert werden muss. Das ist Ländersache. Dafür gibt es einen Bundestopf zur Anfinanzierung. Aber die Länder müssen auch
hier ihrer Verantwortung endlich gerecht werden.
({5})
Dann ist es absolut richtig, dass wir als Koalition den Krankenhäusern in dieser Energiekrise helfen. Die Krankenhäuser werden natürlich auch unter
der Gas- und Strompreisbremse subsumiert werden. Die werden daneben noch den Härtefallfonds bekommen. All das bringen wir diese Woche hier haushalterisch auf
den Weg. Das heißt, diese Vorsorge ist getroffen. Jetzt muss es noch gesetzgeberisch umgesetzt werden. Aber da sind wir auf einer sehr guten Zielgerade.
Deshalb, glaube ich, können sich die Krankenhäuser in dieser Krise auf diese Koalition verlassen.
({6})
Sie sollten sich in Zukunft auch auf die Länder verlassen können, dass diese endlich ihren Investitionsstau abbauen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Vielen Dank, Herr Kollege Klein. – Das Wort hat nun der Kollege Tino Sorge, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Hochverehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es toll, dass sich jetzt hier auch die Haushälter noch einmal umarmen und
sagen, wie toll die Haushaltsberatungen waren. Das kann natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Haushaltsplanungen, so wie sie jetzt sind, und die
Ampel im Grunde ein einziger Widerspruch sind.
({0})
Das kann ich Ihnen nicht ersparen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich sage Ihnen auch, warum.
Wir haben die Situation, dass wir von der pandemischen Lage in eine endemische Lage übergehen. Da wäre es auch Aufgabe der Koalition, des Ministers
gewesen, das entsprechend im Haushalt abzubilden. Mein Kollege Helge Braun hat darauf hingewiesen. Wir haben die völlig skurrile Situation, dass für eine
Impfkampagne Mittel in Höhe von 60 Millionen Euro für das nächste Jahr vorgesehen sind, obwohl überhaupt nicht klar ist, wie diese Impfkampagne beim Bürger
ankommen soll. Ich sage Ihnen, Herr Minister: Sie haben auch der Kampagne einen Bärendienst erwiesen, als sich herausgestellt hat, dass die gezeigten Bürger,
die Sie als „echt“ bezeichnet haben, gecastete Schauspieler waren. Das sollten wir uns in der Form nicht antun.
({1})
Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt ja, wie gesagt, durchaus gute Nachrichten. Die gute Nachricht ist, dass die pandemische Lage sich
entspannt – glücklicherweise – und viele Panikprognosen des Ministers so nicht eingetreten sind. Insofern hätten wir uns als Unionsfraktion gewünscht, dass
viele gute Anregungen, die wir in die Haushaltsberatungen eingebracht haben, auch berücksichtigt worden wären. Man muss sich doch überlegen: Ist es sinnvoll,
2,9 Milliarden Euro für Impfstoffe in den Haushalt für das nächste Jahr einzustellen, in dem Wissen, dass wir schon jetzt Millionen von Dosen wegwerfen müssen,
weil wir sie leider nicht verimpfen können? Das hat mit Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit an der Stelle überhaupt nichts zu tun, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
({2})
Herr Minister Lauterbach, genau das ist der große Widerspruch in Ihrer Haushaltspolitik: Sie reduzieren die Testangebote und beenden kleinlaut die
einrichtungsbezogene Impfpflicht. Wir als Union haben schon vor Monaten darauf hingewiesen, sich klar zu positionieren und den Streit über das Auslaufen der
einrichtungsbezogenen Impfpflicht nicht auf dem Rücken der Pflegekräfte auszutragen. Sie wird zum Jahresende auslaufen; das ist gut. Aber das hätte schon viel
früher passieren müssen.
({3})
Insgesamt läuft die Debatte unter der Überschrift „Ein Haushalt unter Vorbehalt“. Die Ampel lässt alle großen Fragen zur Finanzierung offen, und ich
sage Ihnen auch, warum. Bei der Finanzstabilisierung der GKV machen Sie eine kleinere Reform, aber Sie gehen nicht die strukturellen Fragen an.
({4})
Im Bereich der Krankenhäuser sagen Sie jetzt: Ja, es kommt eine Hilfe; aber die große Reform kommt erst im nächsten oder übernächsten Jahr. – In der
Pflegeversicherung tun Sie nichts. Bei der Frage der Digitalisierung ist alles auf Stand-by gesetzt. Insofern: Gehen Sie endlich ins Handeln über! Das ist ein
Haushalt genau wie die Ampel: voller Widersprüche. Das ist für solides Haushalten viel zu wenig. Es ist jetzt ein Jahr Regierungszeit vorbei. Kommen Sie endlich
ins Handeln und ins Umsetzen!
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege Sorge. – Das Wort hat nun Herr Professor Karl Lauterbach für die Bundesregierung.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Dieser Haushalt ist geprägt auf der einen Seite von der Bewältigung
mehrerer großer Krisen – Pandemie, Ukrainekrieg, Energiekrise, Inflationsanstieg – und auf der anderen Seite von notwendigen Reformen.
({0})
Diese Reformen sind immer unmittelbar notwendig und Ausdruck von Gestaltung. Alle Bereiche gehen wir an, und das kann auch von uns erwartet werden.
Wir gehen alle Bereiche an.
Bevor ich hierzu ausführe, möchte ich mich aber erst einmal ganz herzlich bei allen bedanken, die diesen Weg mitgehen. Wir arbeiten derzeit mit sehr
hoher Taktung. Vielen Dank an die Haushälter aller Fraktionen! Ich bedanke mich bei den Gesundheitspolitikern der Fraktionen. Ich möchte mich aber auch bei den
vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im BMG und in den untergeordneten Institutionen bedanken. Das Tempo ist derzeit hoch; wir haben viel vor uns. Aber ohne
dieses Miteinander, diesen Teamgeist würde es nicht funktionieren. Daher mein Dank auch an alle hier im Haus, die konstruktiv mitgearbeitet haben!
({1})
Ich komme zunächst kurz auf die Pandemie zu sprechen. Hier ist die gute Nachricht: Ja, es ist so; wir haben Hinweise auf eine Entschärfung der
Situation. Das hängt damit zusammen, dass das Virus aufgrund der Art und Weise, wie es sich weiterverbreitet, in eine Sackgasse geraten zu sein scheint, in der
nur noch geringe Veränderungen für das Virus möglich sind, um noch ansteckender zu werden. Somit gehen die wissenschaftlich basierten Nachrichten tatsächlich in
die richtige Richtung. Wenn es jetzt keine Sprunginnovation durch das Virus mehr gibt, dann sehen wir im nächsten Jahr Möglichkeiten, mit dem Virus ganz anders
umzugehen.
An dieser Stelle möchte ich aber auch sagen:
({2})
Verlieren wir jetzt bitte nicht die Geduld, wir, die Vernünftigen hier im Haus! Wenn wir diese Zeit noch bewältigen, wenn wir jetzt die Feiertage
absichern,
wenn wir die älteren Menschen und die Vorerkrankten jetzt absichern, wenn wir noch einmal vorsichtig sind,
({3})
dann können wir mit einer Bilanz durch diese Pandemie gehen, die besser ist als die vieler anderer europäischer Länder. Dazu haben alle hier
beigetragen. Dazu hat auch die Opposition, die Union, beigetragen. Daher bitte ich um Ihre Hilfe, Ihre Geduld. Wir haben noch ein paar Monate, in denen es
schwerer sein wird. Danach können wir anders damit umgehen.
({4})
Lassen Sie uns jetzt bitte nicht im Stich, auch nicht diejenigen, die auf unsere Hilfe angewiesen sind!
({5})
Ich möchte auch sagen: Ob die Aufhebung der Isolationspflicht möglich ist, ist eine total legitime Frage.
({6})
Aber wir wollen die Isolationspflicht erst einmal beibehalten; denn diejenigen, die zur Arbeit gehen und beispielsweise Risikofaktoren haben, die
erkrankt sind – Krebskranke, Leukämiekranke, diejenigen, die sich nicht gut durch Impfung schützen können –, verdienen einen sicheren Arbeitsplatz. Das müssen
wir gewährleisten. Die Isolationspflicht ist die Möglichkeit, die wir haben, um zu verhindern, dass sich der Einzelne am Arbeitsplatz nicht in Angst aufhalten
muss.
({7})
Die Reformen, die vor uns liegen, betreffen vier Bereiche. Sie betreffen die Finanzierung. Wir haben große Finanzierungsreformen vor uns: bei der
gesetzlichen Krankenversicherung, aber auch bei der Pflege.
({8})
Große Defizite wurden bereits beseitigt. Aber wir machen eine große Finanzierungsreform. Wir werden bei der Pflegeversicherung in zwei Schritten
vorgehen. Zunächst werden wir den Beitragssatz bis zum 1. Juli stabilisieren; dann werden wir die Leistungen dynamisieren und auch die Eigenanteile in der
Pflege reduzieren.
Wir werden darüber hinaus in der Krankenversicherung den Steueranteil für Arbeitslosengeld-II-Empfänger und auch den Steuerzuschuss erhöhen müssen,
sodass die Finanzstabilität der GKV gesichert ist.
({9})
Erst einmal haben wir hier eine Reform umgesetzt, mit der wir die Lage stabilisiert haben. Jetzt gehen wir die Strukturreform an.
Das Gleiche machen wir im Krankenhaussektor. Hier hat es unmittelbaren Handlungsbedarf gegeben. Wir brauchten unmittelbar eine Lösung für die
Kinderkliniken; denn sie waren von der Insolvenz bedroht.
Wir brauchen unmittelbar eine Situationsverbesserung in der Geburtshilfe.
({10})
Die kleinen Geburtshilfekliniken kommen nicht zurecht. Daher reagieren wir hier unmittelbar.
Wir brauchen eine Lösung für die tagesstationäre Versorgung. Oft übernachten die Patienten, obwohl es keine medizinischen Gründe dafür gibt, im
Krankenhaus nur, weil der Fall sonst nicht abgerechnet werden kann. Das beseitigen wir jetzt.
Und wir müssen endlich einen neuen Sektor schaffen, damit die gleiche Leistung, die im Ausland längst ambulant erbracht werden kann, auch bei uns
ambulant erbracht werden kann, sodass wir Pflegekräfte entlasten.
({11})
Patienten werden in Deutschland zum Teil nur deshalb stationär versorgt, weil sie sonst nicht versorgt werden können. Daher gehen wir diese Reformen
so schnell an.
Ein Pflegeentlastungsgesetz bringen wir auf den Weg. Und an dem Tag, an dem wir diese Gesetze beschlossen haben werden, werden wir auch schon unser
Konzept für eine große Krankenhausreform vorstellen, das die Überwindung der Fallpauschalen zum Ziel hat. Darauf warten wir seit 20 Jahren.
({12})
Seit 20 Jahren wissen wir, dass das Fallpauschalengesetz zu einem Hamsterradeffekt in den Kliniken geführt hat.
({13})
Wir werden jetzt, nach 20 Jahren, diese Reform durchführen. Wir arbeiten mit hohem Tempo. Wir werden die Krankenhausversorgung deutlich
entökonomisieren
({14})
und dafür sorgen, dass endlich die medizinische Indikation, dass die medizinische Arbeit und nicht mehr die ökonomischen Anreize im Vordergrund
stehen.
({15})
Einen ähnlichen Stillstand – es wird ja hier zu Recht darauf hingewiesen – haben wir auch bei der Digitalisierung. Hier reden wir seit ewiger Zeit
über die Einführung der elektronischen Patientenakte. Nie ist sie gekommen. Jetzt schaffen wir kurzfristig in einem Gesetz die dafür notwendigen
Voraussetzungen, zum Beispiel bei der Authentifizierung derjenigen, die dies nutzen wollen. Und sofort danach schaffen wir in einem großen Digitalgesetz die
strukturellen Voraussetzungen dafür, dass die elektronische Patientenakte auch genutzt werden kann. Schauen wir uns doch an, was international mit einer gut
funktionierenden elektronischen Patientenakte alles möglich war und was wir nicht machen konnten.
({16})
Wir haben viele Dinge in der Pandemie nicht machen können. Aber wir konnten von ausländischen Daten profitieren, die wir zum Glück bekommen haben,
auch aus Israel.
Wir wollen demnächst so weit sein, dass sich das Ausland auch für unsere Informationen und Daten interessiert und dass wir nicht als Bittsteller
gegenüber anderen Ländern auftreten müssen, um Daten zu erhalten, weil wir die elektronische Patientenakte nie auf den Weg gebracht haben. Daran arbeitet die
Ampel. Wir reden nicht nur darüber, Herr Sorge, wir machen es, und zwar in höchster Geschwindigkeit.
({17})
Herr Minister, erlauben Sie jeweils eine Zwischenfrage von Herrn Sorge aus der CDU/CSU-Fraktion und von Herrn Gürpinar aus der Fraktion Die
Linke?
Ich würde die Zwischenfragen zulassen, ja.
Bitte.
Vielen Dank, Herr Bundesgesundheitsminister. – Das Thema Datennutzung will ich gar nicht weiter adressieren. Denn wir hätten in der letzten
Legislatur die Möglichkeiten habt, dem Forschungsdatenzentrum eine bessere Datennutzung zu ermöglichen – nicht nur öffentlichen Institutionen, sondern auch
privaten forschenden Gesundheitsunternehmen. Das ist leider an Ihrem Widerstand gescheitert. Das muss ich hier mal so klar sagen.
({0})
Mich würde eher interessieren – Sie haben wieder viel angekündigt –, welche Reformen geplant sind, was kommen soll. Ganz konkret: Wann kommt der
Entwurf zur Krankenhausstrukturreform?
Vielen Dank.
({1})
Zunächst vielen Dank für die Frage. – Ich hoffe auf sechs große Reformen im Krankenhausbereich: Erste Reform. Wir hoffen, die Entlastung bei der
Energie – beim Gaspreis, beim Strompreis, bei den indirekten Energiekosten –
({0})
in der nächsten Woche zu beschließen. Zweite Reform. Wir hoffen, in der nächsten Woche das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz zu beschließen. Dritte
Reform. Wir werden in der nächsten Woche die bessere Vergütung der Kinderkliniken beschließen. Vierte Reform. Wir werden in der nächsten Woche beschließen, dass
die Geburtshilfe besser bezahlt wird. Fünfte Reform. Wir werden in der nächsten Woche beschießen, dass die tagesstationäre Versorgung eingeführt wird. Sechste
Reform. Wir werden in der nächsten Woche die Hybrid-DRGs beschließen.
Somit kommen sechs Reformen. In der letzten Legislaturperiode hat es keine einzige geben; nur zur Erinnerung. Daher, glaube ich, stehen wir gut da.
Wir werden, unmittelbar nachdem wir diese sechs Reformen auf den Weg gebracht haben, das große von der Regierungskommission Krankenhausversorgung vorbereitete
DRG-Reformgesetz vorlegen, mit dem wir die DRGs überwinden werden. Somit werden wir in sehr kurzer Zeit sehr intensiv arbeiten. Das haben wir schon in den
letzten Wochen getan.
({1})
Ich muss offen sagen – wenn ich ganz direkt sein darf –: Was wir jetzt machen, sind zum Teil Aufholarbeiten bei Reformen, die über Jahre hinweg liegen
geblieben sind.
({2})
Die weitere Frage aus der Fraktion Die Linke.
Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Auch ich bin sehr gespannt auf die Ankündigungen, die Sie immer wieder machen. Ich möchte auf eine Sache
hinweisen, die dieses Jahr im Haushalt nicht mehr vorhanden ist, im letzten Jahr aber schon und worüber sich sehr viele Pflegekräfte beschweren. Ich möchte die
Frage mit der Hoffnung verbinden, dass Sie sich an die Pflegekräfte wenden, um den Pflexit noch zu verhindern, der gerade erneut ansteht. Ich spreche von der
1 Milliarde Euro – Herr Kollege Pantazis hat, glaube ich, von 1 000 Millionen Euro gesprochen –, die als Pflegebonus den Pflegekräften zur Verfügung stand. Er
kommt gerade bei den Leuten an, und es zeigt sich, wie viele Menschen in der Pflege ihn nicht bekommen werden, wie viele bei diesem Pflegebonus nicht
berücksichtigt werden. Es war nach dem Klatschen, das zwei Jahre lang um 21 Uhr stattgefunden hat, die Belohnung, die an die Pflegekräfte für ihre Leistung
ausgezahlt wurde. Die Menschen, die noch in der Pflege arbeiten, merken jetzt, was bei ihnen alles nicht ankommt und wer das Geld nicht erhält.
Jetzt haben Sie erneut eine Pflegeentlastung in der nächsten Woche angekündigt, die unter dem Vorbehalt der Finanzierung des Finanzministers steht.
Ich möchte Sie bitten, sich an die Pflegekräfte zu wenden und zu sagen, mit welchen Reformen Sie den Menschen helfen werden, damit sie weiterhin in der Pflege
arbeiten oder zur Pflege zurückkommen werden. Denn momentan liegt nichts vor, was dem Pflexit der Pflegekräfte irgendwie Einhalt gebieten wird.
Vielen Dank.
({0})
Offen gesagt fällt es mir sehr schwer, diese Frage zu beantworten. Denn offenbar verfolgen Sie die Diskussionen nicht, die wir seit Monaten im
Ausschuss führen. Ich habe ja schon ausgeführt: Wir machen das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz. Der Pflegebonus ist umgesetzt. Es gibt mehr als 3 000 Euro in
der Krankenpflege. In der stationären Pflege und in den Pflegeeinrichtungen sind die Mittel ausgezahlt worden. Da hat es am Anfang kurze Verzögerungen gegeben;
wir haben darüber berichtet, dass die behoben werden konnten. Somit sind die Pflegeboni ausgezahlt.
({0})
– Wenn Sie eine Frage stellen, dann wäre es höflich, wenn Sie nicht dazwischenreden.
({1})
– Es macht keinen Unterschied. Wenn Sie in der Fraktion so höflich sein könnten, dass ich Ihrem Kollegen die Frage beantworten kann!
Wir haben im Krankenhauspflegeentlastungsgesetz zahlreiche Maßnahmen, die die Pflege unmittelbar entlasten werden, zum Beispiel die tagesstationäre
Versorgung. Damit werden zahlreiche Nachtdienste nicht notwendig sein.
({2})
Das Hybrid-DRG-Gesetz wird dazu führen, dass viele stationäre Aufenthalte, die wir nur haben, damit sie abgerechnet werden können, durch ambulante
Behandlungen ersetzt werden. Das wird die Pflege entlasten. Wir werden in der Kinderkrankenpflege und auch in der Geburtshilfe die Pflege entlasten. Wir rechnen
die Kosten der Hebammen komplett auf das Pflegebudget an. Das gibt mir die Möglichkeit, zu berichtigen, was Sie, Frau Lötzsch, falsch gesagt haben: Die Hebammen
werden nicht von den Krankenhäusern bezahlt, sondern von den Krankenkassen. In Ihrem Beitrag war das falsch dargestellt.
Ich will nur sagen: Es geht hier wirklich nicht um Polemik, sondern es geht darum, dass wir uns die Mühe machen, die Gesetze, über die wir durchaus
kritisch diskutieren, wirklich zu verstehen. Es gibt immer auch Differenzen in der Umsetzung; da lernt man voneinander. Aber Ihre Frage zeigt aus meiner Sicht –
ohne dass ich hier polemisch erscheinen möchte –, dass Sie sich nicht ausreichend mit dem Gesetz beschäftigt haben.
({3})
Ich komme zum Digitalbereich zurück. Wir werden im Bereich der Digitalisierung die Voraussetzungen für die elektronische Patientenakte schaffen. Wir
werden sie dann umsetzen. Wir brauchen große Würfe; denn wir wollen dort wieder führend sein.
({4})
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen Bereich zu sprechen kommen, der ebenfalls massiv reformbedürftig ist. Wir müssen ein Versorgungsgesetz für
die Menschen machen, die in den Gesundheitssystemen arbeiten, und zwar in jedem Bereich. Wir brauchen mehr Medizinstudierende. Wir brauchen endlich die
Umsetzung des Masterplans Medizinstudium 2020.
({5})
Wir brauchen eine bessere Approbationsordnung. Wir brauchen eine bessere Regelung der Ausbildung der Psychotherapeuten. Wir brauchen eine verbesserte
Verteilung der Psychotherapeuten, sodass man auch dort versorgt werden kann, wo die Verhältnisse prekär sind. Wir brauchen mehr Pflegepersonal aus dem Ausland,
aber nicht von dort, wo es gebraucht wird. Und wir brauchen eine bessere Ausbildung in den Heilberufen, ein Nebeneinander akademisierter und beruflicher
Ausbildungen. – Auch das werden wir alles angehen.
Wir haben viel vor uns. Ich darf mich bei allen bedanken, die bereit sind, diesen Weg konstruktiv mit uns zu gehen. Ich kann nur sagen: Es ist
richtig, zu verlangen, dass wir anpacken. Aber in diesem Bereich gilt: Die Ampel wirkt und arbeitet.
({6})
Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Kurzintervention auch auf hybridem Wege zulassen. – Ich möchte nur noch mal auf die Antwort eingehen. Denn
der Herr Minister hat gerade eben auf die konkrete Frage meines Kollegen Ates Gürpinar aus der Linksfraktion, warum nicht jede Pflegefachkraft den Pflegebonus
bekommt, mit vielen Worten wieder nichts geantwortet.
({0})
Er hat die Frage überhaupt nicht beantwortet. Ich kann Ihnen das nicht ersparen. Wir alle bekommen massiv Briefe, in denen uns Pflegefachkräfte
fragen: Warum bekommt die eine Pflegefachkraft den Bonus und die andere nicht, obwohl sie alle in der Coronapandemie nebeneinander am Bett Patienten gepflegt
haben?
({1})
Ich kann Ihnen sagen, woran das liegt: Weil Sie nicht nachjustieren, weil Sie nicht sagen, dass jeder das bekommen soll.
Ich will Ihnen mal vorlesen – denn hier wird immer so getan, als sei das nicht so –, was Mitarbeiter/-innen dazu sagen. Die sagen, dass dieser Bonus,
diese Sonderzahlung für Kolleginnen und Kollegen, die auf der gleichen Station arbeiten, unterschiedlich gewährt wird; einmal wird er gewährt, einmal gar nicht.
Der Grund bleibe für sie völlig undurchsichtig. Was hier abgeht, ist ein Skandal und ein Tritt für alle Mitarbeiter im Gesundheitswesen, die in den vergangenen
zwei Jahren bis auf die Knochen alles gegeben haben. – Das sagen Pflegefachkräfte, Herr Minister.
({2})
Jetzt würde mich interessieren: Warum differenzieren Sie da? Wir haben schon vor Monaten hier in diesem Hohen Haus den Antrag gestellt, allen
Pflegefachkräften den Pflegebonus zu zahlen, auch den Rettungskräften und den Feuerwehrleuten. Sie können doch nicht sagen: „Wir klatschen schön“ – es ist
angesprochen worden –, und wenn es um die konkrete Dankbarkeit geht, die Sie vollmundig überall erklären, differenzieren Sie zwischen Pflegefachkräften. Das
führt dazu, dass vor Ort überhaupt keine Akzeptanz mehr da ist. Mittlerweile sagen Pflegefachkräfte sogar, es wäre besser gewesen, man hätte diesen Pflegebonus
überhaupt nicht ins Leben gerufen, anstatt vor Ort so einen Ärger zu produzieren.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Denn niemand versteht mehr, warum der eine den Bonus bekommt und der andere nicht.
({0})
Herr Minister, möchten Sie darauf reagieren?
({0})
Ja, vielen Dank. – Ich finde es immer wieder schade – das muss ich offen sagen –, so etwas hören zu müssen. Dabei tun wir hier etwas, was so vielen
berechtigterweise hilft. Die Pflegekräfte verdienen diese Unterstützung, sie nehmen sie auch an, bedanken sich. Das sind die Pflegekräfte, die bei den Menschen
am Bett stehen. Ich finde es immer wieder schade: Wir geben Geld aus und versuchen, zu helfen, und dann wird – ohne zu konkretisieren – anhand weniger
Einzelbeispiele kritisiert. Diese Beispiele stimmen möglicherweise.
({0})
– Ich möchte an Sie die Bitte richten, dass Sie mir, wenn ich auf Ihre Frage eingehe, die Möglichkeit geben, zu antworten. Das ist überhaupt an die
demokratischen Parteien hier im Haus gerichtet: Wir sollten uns kein Beispiel an der AfD nehmen, sondern uns ausreden lassen.
Unter den wenigen Fällen, die es gibt, sind wirklich welche dabei, die berechtigterweise Anlass zu Kritik geben; das ist tatsächlich so. Man darf
nicht vergessen: Das Ganze wird von den Krankenhäusern umgesetzt. Es gibt durchaus Fälle, in denen jemand den Bonus nicht bekommt, obwohl er ihn verdient hat.
Wir gehen wirklich jedem einzelnen dieser Fälle nach.
Es ist aber nicht richtig, den Eindruck zu erwecken, als ob die gesamte Reform nicht funktionierte und als ob wir hier die Pflegekräfte nicht zu
würdigen wüssten. Wir haben uns bei den Pflegekräften ehrlich bedankt. Wir haben den Bonus so umgesetzt, wie es uns richtig zu sein schien. Wir haben uns
diesbezüglich mit den Pflegeverbänden intensiv abgestimmt. Wenn es noch kleine Lücke geben sollte, dann gehen wir dem nach. Aber hier den falschen Eindruck zu
erwecken, um ein paar Oppositionsmeilen zu machen, dass wir uns nicht um die Pflegekräfte kümmern würden, das ist nicht redlich und entspricht auch nicht der
Haltung unserer Regierung.
({1})
Vielen Dank, Herr Minister. – Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Wiehle, AfD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! 2,5 Milliarden Euro, ungefähr so viel, wie der gesamte Umweltetat umfasst, hat die Koalition
alleine in den Haushaltsberatungen noch einmal auf den Gesundheitshaushalt aufgeschlagen.
({0})
Und alle größeren Posten drehen sich wieder um einen alten Bekannten: um das Coronavirus. Die meisten Länder dieser Welt behandeln Covid-19 inzwischen
ähnlich wie eine Grippe, aber in Deutschland gibt es weiterhin schlimme Wellen, nämlich Panikwellen, die dann von der Wirklichkeit freilich widerlegt
werden.
({1})
Der größte Aufschlag trägt wieder einmal die Überschrift „Beschaffung von Impfstoffen“. Nur verschoben aus 2022? Warum werden überflüssige
Bestellungen nicht storniert statt verschoben? Hat Frau von der Leyen die Verträge mit der Pharmalobby im Hinterzimmer so schlecht verhandelt, dass die EU und
auch Deutschland nicht mehr herauskommen? Die Hersteller haben sich schon dumm und dusselig verdient. Herr Minister Lauterbach, kümmern Sie sich endlich ums
Gemeinwohl, und sorgen Sie für eine Lösung!
({2})
Stattdessen wird nun für zusätzliche 60 Millionen Euro eine neue Impfkampagne aufgelegt. Ich frage mich sehr, ob hier medizinische Kriterien
entscheidend waren oder doch eher die Weiterführung des Geschäftes mit der Angst. Die Medien, die an den neuen 60 Werbemillionen prächtig verdienen, werden auch
kaum durch kritische Berichterstattung auffallen.
Spätestens für den nächsten Bundeshaushalt wird auch die geplante Krankenhausreform eine wichtige Rolle spielen. Viele Krankenhäuser behalten
Patienten über Nacht da, um mehr zu verdienen. Das muss geändert werden; Herr Minister, Sie haben das angesprochen. Aber wenn durch eine neue Regelung künftig
das Gegenteil passiert, also Patienten nur aus finanziellen Gründen über Nacht nach Hause geschickt werden, dann hätten wir bei der Reform das Kind mit dem Bade
ausgeschüttet.
({3})
Der medizinische Sachverstand muss entscheiden!
Genauso darf man Kliniken nicht einfach aus Geldgründen schließen. Die ländlichen Gegenden dürfen nicht von der Versorgung abgehängt werden. Auch hier
muss der Sachverstand entscheiden.
({4})
Ob künftig der Sachverstand über Lobbyinteressen siegt, werden wir sehen. Für die AfD-Fraktion ist das der Maßstab. Der Gesundheitsetat 2023 hat
diesen Test jedenfalls nicht bestanden. Deshalb lehnen wir ihn ab.
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Maria Klein-Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer dieser Debatte! Insgesamt
scheint mir nach diesem Vorlauf wichtig zu sein, ein bisschen einzuordnen, worüber hier im Gesundheitsbereich diskutiert wird. Der Gesundheitshaushalt, über den
wir reden, ist quasi eine Ergänzung zu dem, was im Kern über die Beitragsfinanzierung läuft. Um einmal die Dimensionen klarzumachen: Wir reden hier über circa
20 Milliarden Euro, die im Bundeshaushalt eingestellt werden, bei Ausgaben von 300 Milliarden Euro nur durch die gesetzliche Krankenversicherung alleine
nächstes Jahr und von 59 Milliarden Euro für die soziale Pflegeversicherung. Das muss sich jeder klarmachen. Das zeigt ordnungspolitisch, dass der größte Teil
der Aufgaben, die wir hier bewältigen, über die Beitragsfinanzierung läuft und es insofern, wenn wir über den Haushalt reden, um ergänzende Mittel geht. Das ist
wichtig, damit man weiß, wer eigentlich zuständig ist. Das hilft auch insgesamt ein bisschen bei der Einordnung.
({0})
Aus der Coronazeit haben wir mit 65 Milliarden Euro einen hohen Bundeszuschuss geerbt. Dieser ist aber zurückgefahren worden, und zwar zu Recht, weil
wir eben weniger massive Auswirkungen haben. Parallel dazu haben wir aber neue Krisen, wodurch wir es mit inflationsbedingten und energiebedingten
Kostensteigerungen zu tun haben. Dann haben wir eine Krise bei der stationären Versorgung, die nicht adäquat finanziert war – es gab Lücken bei den Ländern und
beim Bund –, gerade in den Bereichen Pädiatrie, Geburtshilfe oder Notfallversorgung. Und wir haben es mit einem gravierenden Fachkräftemangel zu tun. Diese
Probleme sind nicht neu, sondern bestehen schon lange. Diese gehen wir jetzt endlich an, und das ist die Besonderheit.
({1})
Wir kümmern uns – mit einer hohen Leistung aus dem Gesundheitsministerium – nicht nur um Krisenbewältigung, sondern bereiten auch umfangreiche
Strukturreformen vor; dies mündet in Teilen ja auch schon in Gesetzesverfahren. Das ist hier geleistet worden. Ich finde, man kann nach einem Jahr Ampel sagen:
Ja, wir können durchaus stolz sein. Es sind wirklich große und gravierende Themen angegangen worden.
({2})
Wir haben die wirklich gravierenden Strukturreformen, die anliegen, die drängend sind, auf den Weg gebracht. Das, Herr Sorge als
gesundheitspolitischer Sprecher Ihrer Fraktion, würde ich auch von Ihnen erwarten, nämlich dass Sie Antworten liefern, –
Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss bitte.
– wie wir denn die Finanzlücke in der GKV schließen, was wir bei der Krankenhausreform tun müssen,
({0})
was wir bei der Gesundheitsversorgung und bei der Neuaufstellung von stationärer und ambulanter Versorgung tun müssen. Wenn Sie da Antworten liefern,
dann leisten Sie als Opposition hier wirklich einen konstruktiven Beitrag.
({1})
Bisher sehe ich das nicht.
({2})
Ich bin ziemlich stolz auf das, was vonseiten der Ampelkoalition in diesem einen Jahr auf den Weg gebracht worden ist.
({3})
Vielen Dank, Frau Kollegin Klein-Schmeink. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Kathrin Vogler, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lauterbach, nach so viel Selbstbeweihräucherung kann ich nur sagen: In Ihrem
Haushalt gibt es wenig Licht und viel Schatten. Deswegen werden wir ihn ablehnen.
({0})
Gut ist, dass Sie unsere Forderungen aufgegriffen haben, bei der Sucht- und Drogenprävention wenigstens nicht zu streichen. Aber: Wenn die Ampel
endlich Cannabis legalisiert, was wir schon lange fordern,
({1})
dann steigt doch auch der Aufklärungsbedarf, und das ignorieren Sie.
({2})
Absolut unverantwortlich ist es wiederum, bei der Aufklärung über sexuell übertragbare Krankheiten zu kürzen. Dabei nehmen gerade jetzt bei jüngeren
Menschen die HIV-Neuinfektionen wieder zu. Die Affenpocken haben doch gezeigt, wie wichtig Information und Aufklärung sind. So geht das nicht.
({3})
Ich wundere mich, dass für Ihre gute Idee der Gesundheitskioske, die gerade in armen Stadtteilen Vorsorge und Versorgung ganz nahe zu den Menschen
bringen sollten, gar nichts im Haushalt steht. Sie wollen diese von den Krankenkassen finanzieren lassen. Aber das ist doch eine staatliche Aufgabe. Die Kassen
sind doch eh am Limit. Daher prophezeie ich Ihnen: So setzen Sie das ganze Projekt in den Sand und schaden damit diesem wichtigen Anliegen.
({4})
Die Versicherten werden wegen Ihrer vermurksten Kassenreform sowieso schon kräftig zur Kasse gebeten, und das in Zeiten großer Teuerung.
Im Haushalt für 2023 findet sich dann noch ein besonders dämlicher Taschenspielertrick, nämlich ein staatlicher Zwangskredit an die Krankenkassen. Wie
soll der denn eigentlich jemals wieder zurückgezahlt werden?
({5})
Daher wage ich noch eine Vorhersage: Wir werden uns im Herbst nächsten Jahres hier wieder über Beitragssteigerungen oder Steuerzuschüsse unterhalten
müssen, weil die Ampel sich auch bei der Krankenversicherung nicht traut, hohe Einkommen mindestens genauso stark zu belasten wie niedrige. Wir brauchen eine
solidarische Gesundheits- und Pflegeversicherung, in die alle einzahlen, auch Abgeordnete, Selbstständige und Beamte.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen, bitte.
Und wir brauchen sie jetzt.
({0})
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Kristine Lütke, FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja gerade schon angeklungen: Als sucht- und drogenpolitische Sprecherin meiner
Fraktion bin auch ich erleichtert, dass wir diese Woche wieder einen Haushalt verabschieden, der rund 13,2 Millionen Euro für Aufklärungsmaßnahmen auf dem
Gebiet des Drogen- und Suchtmittelmissbrauchs vorsieht. Einen Teil dieser Mittel haben wir für die Präventionsmaßnahmen, die wir im Rahmen der
Cannabislegalisierung aufsetzen werden, vorgesehen.
({0})
Prävention, Jugend-, Gesundheits- und Verbraucherschutz sind nämlich die besten Argumente für eine Legalisierung.
Ich weiß: Einige hier im Raum sehen das anders, weil sie noch immer Anhänger der gescheiterten Prohibitionspolitik sind. Aber sogar US-Präsident Joe
Biden hat diesen Oktober angekündigt, die Politik der USA im Hinblick auf Cannabis zu reformieren. Warum? Eben weil auch er zu der Überzeugung gelangt ist, dass
das der bessere Weg ist.
({1})
Schauen wir nach Kanada. Da waren wir im Übrigen mit dem Gesundheitsausschuss, um uns zum Thema Cannabis zu informieren. Wir in der Ampel und gerade
auch wir in der FDP setzen nämlich auf Daten und Fakten und nicht auf überholte Stammtischparolen.
({2})
Welche Daten und Fakten die mitgereisten Kollegen der Opposition da gehört haben, das weiß ich nicht. Aber bei der CSU zumindest scheint noch nicht
angekommen zu sein, dass in Kanada nicht der Untergang des Abendlandes droht.
({3})
Aussagen von Markus Söder, man solle lieber beim – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –: „bayerischen Weißbier“ bleiben, das sei „in jeder
Beziehung besser und gesünder“, die sind nicht nur faktisch falsch, sondern reiner Populismus.
({4})
Und: Unser bayerischer Gesundheitsminister hat anscheinend auch nichts Wichtigeres zu tun, als nach Brüssel zu reisen, um unser Land vor dem Untergang
durch die Cannabislegalisierung zu retten.
Meine Damen und Herren, das zeugt von keinerlei Sachkenntnis, sondern vor allem von dem absoluten Unwillen, sich auch nur minimal mit den Fakten
auseinanderzusetzen.
({5})
Denn auch der immer wieder von Union bemühte Vergleich mit den Niederlanden hinkt. Unser Nachbarland hat Cannabis eben nur entkriminalisiert und nicht
legalisiert.
({6})
Genau so wollen wir es ja nicht machen.
({7})
Deswegen verweisen wir auf das Beispiel Kanada. Dort wurde Cannabis 2018 legalisiert. Die Zahl der Nutzer hat sich nach der Legalisierung
stabilisiert, gerade auch bei den Jugendlichen. Vorher, als es verboten war, sind die Zahlen regelmäßig angestiegen.
Das heißt, die Legalisierung hat viele Vorteile, insbesondere für den Jugend-, den Gesundheits- und den Verbraucherschutz. Diese Überzeugungen
spiegeln sich auch im Haushalt für 2023 wider.
({8})
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes hat das Wort der Kollege Dr. Georg Kippels, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir als Fachleute wissen alle, dass sich die großen Finanzmittelflüsse im
Gesundheitsbereich im Gesundheitsfonds abwickeln und nicht im Bundeshaushalt. Nichtsdestotrotz ist aber der Bundeshaushalt für Gesundheit, Einzelplan 15, mit in
diesem Jahr 24 Milliarden Euro gegenüber dem Gesamtvolumen des Haushalts von circa 450 Milliarden Euro alles andere als bedeutungslos – selbst unter
Berücksichtigung der Tatsache, dass er in diesem Jahr um etwa 42 Milliarden Euro abgesunken ist.
Wir müssen aber in diesem Jahr bedauerlicherweise feststellen, dass unter dem Gesichtspunkt der strategischen und strukturell bedeutenden Ausgaben
erhebliche Fehlsteuerungen entstanden sind. Seit der Coronapandemie wissen wir sehr genau, dass sich Gesundheitsgefahren und die Beseitigung von
Gesundheitsgefahren sehr wohl global darstellen können und unter diesem Arbeitstitel angegangen werden müssen. Deshalb enthält der Einzelplan 15 auch vollkommen
zu Recht den Abschnitt „Internationales Gesundheitswesen“.
Aber das ist in diesem Jahr ein ganz trauriges Kapitel. Denn wir haben, wie schon vom Kollegen Helge Braun beschrieben, eine Reduktion von 70 Prozent
oder, in realen Zahlen, von etwa 450 Millionen Euro auf nur noch gut 146 Millionen Euro, davon 81 Millionen Euro für die internationale öffentliche Gesundheit,
30 Millionen Euro für den neuerrichteten WHO Hub hier in Berlin und 28,3 Millionen Euro für die WHO in Genf. Das sind eindeutig die falschen Botschaften hier
aus dem Haus.
Eins muss man noch mal ganz klipp und klar erwähnen: Wenn man nicht müde wird, wie Sie, verehrter Herr Minister, dauernd das Lied der Pandemie zu
singen, dann kann man hier und heute nicht, wie im Haushalt lapidar erklärt, aus der Verantwortung bei ACT‑A, der Kampagne gegen Corona, aussteigen.
({0})
Wir müssen auf internationale Gesundheitsgefahren vorbereitet sein. Wir müssen die Fragen lösen, wir müssen das Management unterhalten, wir müssen
internationale Gesundheitsvorschriften ständig aktualisieren. Wir brauchen Prävention und Strategien zur Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten.
({1})
Weltweit leistungsfähige Gesundheitssysteme und Diagnostik sind die Grundlage für einen umfassenden internationalen Gesundheitsschutz.
Im Oktober haben wir hier bei der bedeutenden Veranstaltung des World Health Summit sehen können, mit welchem Renommee Deutschland inzwischen in der
Welt wahrgenommen wird und mit welchem guten Ruf wir uns an der Diskussion mit der und für die WHO beteiligen können. Auch für diese Veranstaltung finden wir
nur 500 000 Euro im Haushalt.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Verehrter Herr Minister, reden Sie bitte nicht immer nur über internationale Studien, sondern stärken Sie die internationale Gesundheitsarbeit im
Haushalt im Interesse des deutschen Gesundheitssystems. So ist der Haushalt jedenfalls nicht zustimmungsfähig.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Heike Engelhardt, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Schülerinnen und Schüler! Liebe Bürgerinnen und Bürger hier auf den Tribünen, an
den Bildschirmen und ganz besonders aus meinem Wahlkreis Ravensburg und aus dem Bodenseekreis!
({0})
Anders als unseren Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuss bleibt uns Fachpolitikerinnen und Fachpolitikern die sehr, sehr lange
Bereinigungssitzung erspart. Auch wenn ich gleich zum lobenden Teil meiner Rede komme: Im Sinne des Arbeitsschutzes muss ich Sie hier wirklich ermahnen. Niemand
sollte 18 Stunden am Stück arbeiten!
({1})
Ich drücke Ihnen die Daumen, dass in Zukunft solche Sitzungen wieder kürzer werden.
Jetzt zum Haushalt. Der Minister und unsere Haushälterin Svenja Stadler haben es ja eben schon erwähnt: Wir können in diesem Jahr trotz knapper Mittel
einen sehr guten Gesundheitshaushalt verabschieden. Während der Coronapandemie haben wir aber auch an vielen Stellen die Finanzierung grundlegender Bestandteile
unseres Gesundheitswesens notdürftig mit viel Geld sichergestellt. Die Defizite, die unter einem Gesundheitsminister Spahn entstanden sind, werden jetzt erst
richtig deutlich. Und die einzigen, die in der letzten Legislatur ausreichend finanziert wurden und jetzt vor lauter Geld kaum noch laufen können, das sind doch
die Freunde und Bekannten des Ex-Ministers aus Münster
({2})
und die provisionsgemästeten Abgeordneten von CDU und CSU.
({3})
Sollen wir Spahns Fernbleiben bei dieser Debatte als eine Art Schuldeingeständnis werten?
Hier sind Worte gefallen wie „kaputtsparen“, „Panikminister“, und es gab unanständige Bezeichnungen für einen Minister und sein Ministerium, die über
ihre Belastungsgrenze gehen. Ich bin froh, dass unser Gesundheitsminister Karl Lauterbach ist und dass er vernünftig, vorausschauend und umfassend denkt und
handelt.
({4})
Aber zurück zum Haushalt. Was haben wir als SPD-Bundestagsfraktion mit den knappen Mitteln erreichen können? Wir haben die Mittel für die
Drogenprävention gegenüber dem Regierungsentwurf um 5 Millionen Euro steigern können. Und weil hier immer einiges vermischt wird: Die Legalisierung von Cannabis
macht mir in dieser Hinsicht nicht so viel Sorgen wie zum Beispiel der legale Konsum von Tabak, Alkohol und Schmerzmitteln. Besonders die Folgen von
Alkoholabhängigkeit habe ich in meiner Tätigkeit am Zentrum für Psychiatrie Südwürttemberg immer wieder erleben müssen. Bundesweit leben schätzungsweise
zweieinhalb Millionen Kinder mit alkoholkranken Eltern zusammen. Im Umgang mit Suchtmitteln müssen wir in unserer Gesellschaft besser werden.
({5})
Über die Frauengesundheit habe ich an dieser Stelle bereits gesprochen. 5 Millionen Euro für die Erforschung der Endometriose sind ein guter
Anfang.
({6})
Geschlechtergerechtigkeit und Teilhabe bedingen aber auch weitere Forschung, beispielsweise bei der Erprobung von Arzneimitteln.
Bei der Kindergesundheit verweise ich sehr gerne auf meine Kollegin Nezahat Baradari. Dank ihres Einsatzes werden wir vom kommenden Jahr an endlich
die Arzneimittelsicherheit bei Kindern und Jugendlichen verbessern und auch angeborene Hauterkrankungen besser erforschen.
({7})
Mein Kollege Matthias Mieves und meine Kollegin Tina Rudolph werden gleich noch auf die Verbesserungen in der Digitalisierung des Gesundheitswesens
und der globalen Gesundheit eingehen. So viel vorab: Wir haben einiges erreicht, und wir haben noch viel vor.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank, Frau Kollegin Engelhardt. – Nächster Redner ist der Kollege Kay-Uwe Ziegler, AfD Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Gesundheitsminister Lauterbach, schön, Sie mal wieder live und in Farbe zu sehen; das war ja im
Gesundheitsausschuss doch eher in einer überschaubaren Größenordnung der Fall. Um es jetzt mal deutlich zu sagen: Das war im unteren einstelligen Bereich – und
das bei über 45 Sitzungen. Aber ich verstehe das natürlich. Im Gesundheitsausschuss gibt es keine Kameras, im günstigsten Fall so um die 50 Zuschauer, und dann
sind auch noch die nervigen Fragen der Opposition zu beantworten.
({0})
Da sind natürlich die Auftritte vor Millionen von Zuschauern bei „Maybrit Illner“, „Maischberger“ und Co viel spektakulärer für einen so
leidenschaftlichen Selbstdarsteller.
Eine Ihrer ersten Amtshandlungen hier im Haus war das Durchpeitschen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht für die Gesundheitsberufe. Das war nicht
nur eine Nötigung, sondern auch ein massiver Angriff auf die körperliche Selbstbestimmung und Unversehrtheit aller Betroffenen,
({1})
die sich unter der Androhung von Berufsverbot und damit einhergehend des Verlustes ihrer Existenz mit einem nur bedingt zugelassenen Medikament
behandeln lassen mussten. Diesem Akt staatlicher Übergriffigkeit hat am 10. Dezember letzten Jahres nur die AfD-Fraktion die Rote Karte gezeigt.
({2})
Und ja, meine Damen und Herren, ich kann es Ihnen nicht ersparen: Alle anderen Fraktionen haben bei diesem Wahnsinn mitgemacht.
({3})
Die einrichtungsbezogene Impfpflicht lassen Sie jetzt übrigens heimlich, still und leise zum 1. Januar nächsten Jahres auslaufen.
({4})
Falsch war sie vom allerersten Tag an,
({5})
weil diese sogenannte Impfung zwar sehr zuverlässig alle möglichen schweren Nebenwirkungen auslöst, aber eine Übertragung von Coronaviren nicht
verhindert.
({6})
Herr Minister, wie wäre es denn einmal mit einer vom Bund angestoßenen Bildungs- und Studienoffensive in die Länder hinein, um endlich die
Fachkräfteproblematik in den Gesundheitsberufen zu beheben?
({7})
Fehlanzeige! Sie nerven uns stattdessen – und das auf allen Kanälen – mit einer millionenschweren „Ich schütze mich“-Impfpromotion.
({8})
Und nein, es sind nicht die nötigen Finanzhilfen für die durch die Energiepreise von Insolvenz betroffenen Krankenhäuser, an der Sie mit großer
Leidenschaft arbeiten, sondern Gesundheitskioske oder die anscheinend so dringende Freigabe von Cannabis.
({9})
Ehrlich gesagt: Es ist beängstigend, wo Sie Ihre Prioritäten setzen.
Sehr geehrter Herr Lauterbach, wenn man sich Ihren Twitteraccount zu Gemüte führt, dann wird eins sofort deutlich: Ihre Fans sind verschwunden. Der
Wind weht dort eisig ins Gesicht, und das liegt nicht am Wetter.
({10})
Am 6. Dezember wären Sie zwölf Monate im Amt. Tun Sie den Menschen da draußen und vor allem den Millionen Mitarbeitern in den Gesundheitsberufen einen
Gefallen, machen Sie das Jahr nicht voll, und treten Sie zurück! Vielleicht findet sich ja ein Nachfolger, der dieses Amt nicht zur Panikmache und
Selbstdarstellung missbraucht, sondern endlich wieder verantwortungsvolle Gesundheitspolitik für unsere Bürger macht.
Vielen Dank.
({11})
Nächster Redner ist der Kollege Professor Armin Grau, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Mir ist zunächst einmal ganz wichtig, zu sagen: Der durch
die Rückführung der Coronamaßnahmen deutlich reduzierte Gesundheitshaushalt darf nicht missverstanden werden. Corona ist angesichts von zum Teil über 1 000
Toten pro Woche in den letzten Wochen nicht vorbei.
({0})
Es gibt keinen Grund, unsere Vorsichtsmaßnahmen bereits vor dem kommenden Winter völlig fallen zu lassen.
({1})
Wichtig sind in diesem Zusammenhang auch die Mittel für Forschung und Beratung in Sachen Long Covid. Das ist ein guter Anfang. Leider werden wir für
dieses bislang unzureichend erforschte Thema in Zukunft noch deutlich mehr Gelder brauchen.
({2})
70 Prozent der deutschen Krankenhäuser rechnen 2023 mit roten Zahlen. Das ist auf der einen Seite durch die Inflation und massive
Energiepreissteigerungen bei gleichzeitig fixen Preisen, auf der anderen Seite durch verminderte Einnahmen bei gleichzeitigem Fachkräftemangel und
Fallzahlrückgängen bedingt. Es ist sehr wichtig, dass wir hier jetzt mit 8 Milliarden Euro aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds den Gesundheitseinrichtungen
tatkräftig unter die Arme greifen.
({3})
Für die Beschäftigten und für die Patienten ist dieser Beitrag in den nächsten beiden Jahren eine wirklich wichtige Botschaft, auch wenn die
Opposition versucht, daran Zweifel zu streuen.
Wir bereiten jetzt als Ampel eine umfassende Reform der Krankenhausfinanzierung vor – etwas, was die Vorgängerregierung komplett verpasst hat. Das
aktuell fast ausschließlich auf Fallpauschalen beruhende System hat zu schlechten Arbeitsbedingungen und zu ökonomischen Fehlanreizen in den Kliniken geführt.
Es hat ausgedient und muss ersetzt werden.
({4})
Über 5 Prozent der klimaschädlichen Emissionen in Deutschland kommen aus dem Gesundheitswesen, der größte Teil davon aus den Krankenhäusern. Dort sind
dringend mehr Investitionen in Energieeffizienz erforderlich. Es ist völlig richtig, dass die Haushälter/-innen hier ein Sonderprogramm für die energetische
Sanierung der Krankenhäuser fordern. Da sind zweifelsohne die Länder jetzt in der Pflicht.
({5})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Dem Klima ist es am Ende egal, woher die Mittel kommen, die zu seinem Schutz beitragen; aber handeln müssen wir jetzt ganz dringend.
Herr Kollege, bitte.
Ich bin überzeugt, dass wir uns da am Ende einigen können und auf einem guten Weg sind.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Grau. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Diana Stöcker, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen Haushalt aufzustellen, ist nie einfach. Es gilt, lange Wunschlisten aller
Bundesministerien zu berücksichtigen und zu verhandeln. Ein Haushalt darf sich jedoch nie ausschließlich an dem Wunschkonzert eines Koalitionsvertrages
orientieren. Es gibt auch außerordentliche Aufträge für neue gesetzliche Regelungen, zum Beispiel vom Bundesverfassungsgericht.
({0})
Ein solcher Auftrag ist, den begleiteten Suizid neu zu regeln. Wir befinden uns als Abgeordnete inmitten einer sehr ernsten, komplexen und ethisch
schwierigen Debatte. Es liegen drei sehr unterschiedliche Gesetzesvorschläge vor, und die Entscheidung wird im Frühjahr kommenden Jahres anstehen.
Das verbindende Element dabei aber ist, dass sich alle für den Ausbau und die Stärkung von Suizidprävention sowie von Hospiz- und Palliativangeboten
aussprechen. Die Erfahrung zeigt, dass bei sehr vielen Menschen mit suizidalen Gedanken hinter diesem Ansinnen ein Hilferuf nach einem erträglichen und
menschenwürdigen Leben steht. Im Rahmen der Suizidprävention muss es deshalb oberstes Ziel sein, mit den Menschen, die einen Suizid in Erwägung ziehen, in
Beziehung zu treten
({1})
und gemeinsam die hinter dem Wunsch, zu sterben, verborgene Aussichtslosigkeit zu begreifen, damit auch andere Wege in dieser Krise denkbar werden
können.
Dazu gehört es, die psychologische, psychotherapeutische und psychiatrische Regelversorgung zu verbessern sowie spezifische Regelungen zur
Verbesserung der allgemeinen Suizidprävention voranzutreiben. Dazu gehört zeitnah der flächendeckende Ausbau der Anzahl der Kassensitze niedergelassener
psychologischer und medizinischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie Psychiaterinnen und Psychiater, um eine schnelle und dauerhafte Versorgung
von Menschen mit psychischen Erkrankungen gewährleisten zu können.
({2})
Bereits heute ist die Versorgung nicht ausreichend.
({3})
Dazu gehört, psychiatrische und psychotherapeutische Kriseninterventionsangebote für Menschen in einer akuten psychischen Notlage auszubauen,
flächendeckend und für 24 Stunden, sieben Tage die Woche und im Netzwerk mit bestehenden Diensten und Einrichtungen.
Auch die weitere Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung für schwerstkranke Menschen ist anzugehen. Dazu gehört, die Palliativversorgung in
vollstationären Pflegeeinrichtungen und Hospizen zu stärken.
({4})
Dazu gehört, psychosoziale Fachkräfte regelhaft in die spezialisierte ambulante Palliativversorgung zu integrieren. Und dazu gehört gezielte
Öffentlichkeitsarbeit zu Hospiz, palliativer Beratung, Begleitung und Versorgung.
Alle oben genannten Punkte müssen im Haushalt finanziell hinreichend abgesichert sein. Im Haushalt 2023 findet sich davon – nichts.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie fordern zwar das Gesundheitsministerium auf, eine nationale Suizidpräventionsstrategie vorzulegen, und zwar
innerhalb des Nationalen Suizidpräventionsprogramms, –
Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.
– der Plan soll aber erst zum April 2024 vorliegen. Bis zur Umsetzung wird wichtige Zeit verstreichen, obwohl bereits jetzt klar, was zu tun
ist.
Frau Kollegin, bitte.
Jeder Gesetzentwurf muss bis zur Umsetzung zu Ende gedacht werden. Stellen Sie im Haushalt ausreichend Mittel ein für das, was sicher kommt und
notwendig ist, und arbeiten Sie nicht nur Ihre Wunschlisten ab.
({0})
Vielen Dank, Frau Kollegin Stöcker. – Nächster Redner ist der Kollege Lars Lindemann.
({0})
Die Unionsfraktion kann sich schon mal überlegen, welcher der folgenden Redner eine Minute weniger reden darf.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Haushaltsdebatten, das ist immer die Zeit der Haushälter, die sich dann, wie in diesem Fall,
sehr konkret mit gesundheitspolitischen Inhalten beschäftigen. Der Kernhaushalt des BMG ist jetzt nicht wirklich das Spannende an der Gesundheitspolitik; das
wissen wir alle. Das Spannende sind die Dinge, die direkt oder indirekt dranhängen. Da geht es dann meistens um die Voraussetzungen, wie dort Leistungen
erbracht oder auch Strukturen gebaut werden im Hinblick auf die Themen, um die wir uns zu kümmern haben.
Ich möchte aber doch eine Zahl aus dem Kernhaushalt aufnehmen, nämlich die 60 Millionen Euro im Zusammenhang mit der Impfkampagne, die Sie, liebe
Kollegen von der AfD, hier gerade angesprochen haben. Eine Sache möchte ich noch mal ganz deutlich festhalten: Zu Beginn des Jahres 2021 haben wir in
Deutschland angefangen, zu impfen, und am Ende des Jahres 2021 hatten wir – völlig vernunftgeleitet von der Bevölkerung in diesem Land – 75 Prozent der
Menschen, die mindestens einmal geimpft waren, und fast ebenso viele, die zweimal geimpft waren. Dafür brauchte es – Entschuldigung, Herr Kollege Lauterbach –
noch nicht mal Herrn Lauterbach als Minister; da war Jens Spahn noch Minister. Daran kann man ablesen, dass wir alle miteinander sehr vernünftige Regeln in
diesem Haus gefunden haben, wie man mit dieser Pandemie umgeht.
({0})
Wenn wir schon bei Ihnen von der Union sind, Herr Kollege Braun, dann bin ich auch bei den Verträgen zur Beschaffung von Impfstoffen, die Sie vorhin
angesprochen haben. Natürlich hat Jens Spahn diese Verträge geschlossen. Wir müssen heute zusehen, dass wir diese Flexibilisierung, die Sie dort einfordern, in
die Verträge hineinbekommen. Wenn Sie jetzt vermuten, dass ich diese 16-Jahre-Nummer wieder anfange, die Sie permanent beklagen, dann ist das nicht so. Ich will
an dieser Stelle sehr deutlich sagen: Die Gesundheitspolitik der Union war eine Politik, die unter großer Unsicherheit stattfand, die uns aber im Großen und
Ganzen sicher durch diese Pandemie gebracht hat.
Der Kollege Lauterbach setzt das jetzt fort, im Übrigen auf der Grundlage eines Haushalts, der uns eine Rückkehr zur Normalität in diesem Land
erlaubt. Wenn wir zu dieser Normalität zurückkehren
({1})
– ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt –, dann gibt uns das den Spielraum und die Zeit, uns mit den Fragen zu beschäftigen, die auch heute
mehrfach angeklungen sind, nämlich mit den strukturellen Reformen, die bitter notwendig sind in diesem Land. Wenn wir diese strukturellen Reformen im
Gesundheitssystem in Deutschland machen, dann wird es darum gehen, dass wir bestimmte Grundlagen schaffen.
Ich will ein Beispiel rausgreifen – meine Redezeit neigt sich dem Ende zu –, nämlich die pharmazeutische Industrie, die in diesem Land wieder auf dem
Weg ist, Deutschland zur Apotheke der Welt zu machen. Wir müssen das unterstützen und Rahmenbedingen dafür schaffen, dass wir in diesem Land weiterhin eine
leistungsfähige pharmazeutische Industrie haben, die das möglich macht, was wir alle für die Patientinnen und Patienten wollen: innovative Arzneimittel als
Erstes in Deutschland auf den Markt zu bringen und nicht woanders in Europa. Das sind die Dinge, die wir brauchen. Das Paradebeispiel für das, was ich gerade
genannt habe, sind die Stadt Mainz und die Firma BioNTech. Daran kann jeder für sich ablesen, welchen Weg die FDP in dieser Koalition gehen und bestärken
wird.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Vielen Dank, Herr Kollege Lindemann. – Das Wort hat nunmehr der Kollege Dietrich Monstadt, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen! Meine Herren! Bereits in der ersten Lesung haben wir auf viele
Missstände und nicht aufgegriffene Fragen dieses Entwurfs des Einzelplans 15 hingewiesen.
({0})
Dies ist offensichtlich nicht ohne Wirkung geblieben. Der Gesundheitsetat steigt um knapp 2,5 Milliarden Euro an. Ebenso werden immerhin knapp
1,2 Milliarden Euro des Bundes an den Gesundheitsfonds für Belastungen aufgrund der Coronapandemie gezahlt. Aber das ist leider nur ein Teil der Wahrheit.
Wichtige Bereiche, die wir immer wieder angemahnt haben, bilden sich im Haushalt nach wie vor nicht ab.
Sehr geehrter Herr Minister Lauterbach, ich lasse nicht locker und spreche hier nochmals die MDR, die Medical Device Regulation, an. Meine Fraktion
und mich erreichen nach wie vor zahlreiche besorgte Anfragen. Nachdem es zu Beginn in erster Linie viele kleine und mittelständische Unternehmen waren, wenden
sich jetzt vor allem Ärzte und Patienten an uns, die befürchten, von der derzeitigen Genehmigungssituation massiv negativ betroffen zu sein. Patienten
befürchten, dass die für sie wichtigen Medizinprodukte nicht mehr verfügbar sind. Ärzte befürchten gravierende Konsequenzen – bis hin zu lebensbedrohlichen
Situationen ihrer Patienten. Über ihnen schwebt das Schwert der haftungsrechtlichen Konsequenzen, wenn sie wegen Nichtverfügbarkeit eingeführter Produkte auf
Ersatzlösungen ausweichen.
Nach wie vor ist nicht geklärt, wie rund 25 000 Zertifizierungen bis zum Ende der Übergangsperiode im Mai 2024 ausgestellt werden sollen. Wenn jetzt
nichts unternommen wird – ich betone: jetzt –, verschwinden bald bis zu 40 Prozent der derzeit noch genutzten Produkte vom Markt.
({1})
Meine Damen und Herren, die Zeit rennt uns davon. Herr Minister, Sie müssen jetzt handeln oder, wie mein Kollege Tino Sorge richtigerweise bemerkt
hat: Kommen Sie endlich ins Handeln.
({2})
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der SPD-Fraktion?
Nein. Danke. – Sie müssen jetzt gegenüber der EU aktiv werden, sonst verlieren wir geschätzt 10 Prozent insbesondere der kleinen und
mittelständischen Unternehmen und zu viele der zugelassenen Medizinprodukte, vor allem wichtige Nischenprodukte. Herr Minister, ich verstehe immer weniger,
warum Sie und Ihr Haus sich bei dieser überaus wichtigen Frage nicht massiv ins Zeug legen.
Meine Damen und Herren, ein weiteres wichtiges Thema bildet sich im Haushalt nicht ab. Ich mahne das nochmals an: Die Regierung hat uns erklärt,
umfassende Präventionsmaßnahmen ergreifen zu wollen. Nur mit Prävention und Aufklärung können wir Krebserkrankungen, Bluthochdruck, den Volkskrankheiten
Diabetes mellitus und Adipositas schon vor ihrer Entstehung entgegentreten. Es muss daher im ureigenen Interesse der Gesundheitspolitik liegen, der Bevölkerung,
vor allem auch den Kindern und Jugendlichen, noch vor Entstehung dieser Krankheiten Präventionsangebote zu machen.
Meine Damen und Herren der Koalition, –
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
– Ihre vielbeschworene Fortschrittskoalition versagt hier mehr als jämmerlich.
({0})
Ihren Haushaltsentwurf lehnen wir ab.
Herzlichen Dank.
({1})
Vielen Dank, Herr Kollege. – Die sozialdemokratische Fraktion hat eine Kurzintervention beantragt; dem gebe ich statt. Sie haben das Wort, Frau
Kollegin.
Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie das zulassen. – Schade, Herr Kollege Monstadt, dass Sie das nicht in Ihrer Rede zugelassen haben. Man kann
über die MDR sicherlich vieles sagen. Aber dass Sie hier sagen, dass wir große Probleme haben, stimmt so einfach nicht; das ist eine Lüge. Es kommen
mittlerweile Firmen auf mich und auf unsere Fraktion zu, die bereits zertifiziert sind und dadurch Nachteile gegenüber denen sehen, die noch nicht im Verfahren
sind. Man kann sicherlich sagen: Es hat gedauert; die Benannten Stellen haben noch zu tun. – Aber Sie erwecken jetzt den Eindruck, es wäre alles schlecht. Das
ist einfach nicht wahr.
({0})
Herr Kollege, Sie haben die Gelegenheit, zu antworten.
Frau Kollegin, da muss ich Ihnen leider massiv widersprechen. Ich weiß nicht, wo Sie diese Informationen herhaben; uns erreichen andere. Das
Gegenteil ist richtig: Die Benannten Stellen sind zu wenig, das Personal bei den Benannten Stellen ist nicht ausreichend dimensioniert, und der Aufwand, der
durch die MDR erzeugt wird, hat sich verfünffacht. Das muss bedeuten, dass wir nicht genug Kapazitäten haben, diese Produkte zuzulassen.
Und dann haben wir gerade das Problem – das haben Sie, glaube ich, bis heute nicht verstanden –, dass vor allen Dingen die Produkte, mit denen keine
Umsätze gemacht werden, Nischenprodukte, mit denen seltene Erkrankungen behandelt werden, nicht mehr am Markt verfügbar sind, weil die Unternehmen das Geld
nicht einsetzen können, um hier einen Zertifizierungsprozess zu durchlaufen. Von daher ist es geboten – Herr Minister, ich kann Sie nur noch mal auffordern –,
in Brüssel zu intervenieren, dass wir dort zu einer Regelung kommen. Sonst gehen die Produkte vom Markt, und das kann niemand – auch Sie nicht – wollen.
Danke.
({0})
Das Wort hat nunmehr der Kollege Matthias David Mieves, SPD-Fraktion.
({0})
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! „Mehr Fortschritt wagen“, das ist nicht nur der Leitsatz unserer bunten Koalition. Nein, das zeigt sich
heute ganz konkret auch im Haushalt für Gesundheit; denn wir setzen klare Prioritäten auf digitale Lösungen für die Versorgung unserer Patientinnen und
Patienten.
Ich möchte zwei ganz konkrete Beispiele hervorheben, die ich für besonders wichtig halte.
Das erste Beispiel sind die zusätzlichen Mittel, um die gematik zur digitalen Gesundheitsagentur weiterzuentwickeln. Das ist wichtig; denn diese
digitale Agentur braucht einen ganz klaren Auftrag, nämlich die Nutzenden viel stärker in den Fokus zu nehmen, wenn neue Anwendungen und Produkte im
Gesundheitswesen entwickelt werden. Dieser Auftrag muss mit Mitteln, klaren Strukturen und Prozessen unterlegt werden, um von Anfang an sicherzustellen, dass
neue digitale Anwendungen auch so funktionieren, dass sie einfach und stabil in der Praxis laufen.
Das zweite Thema, das ich erwähnen will, ist: Wir werden Mittel bereitstellen, um die Datenlage zu verbessern. Ein Beispiel dafür ist, dass wir das
Notaufnahmeregister in die Krankenhaus-Surveillance aufnehmen werden. Was bedeutet das? Das heißt ganz konkret, dass wir einen besseren Überblick über die
Behandlungskapazitäten in unseren Kliniken und mehr Transparenz haben werden. Das sind ganz konkrete Fortschritte, durch die wir bessere Daten für bessere
Entscheidungen bekommen werden.
({0})
Mehr Geld alleine wird allerdings nicht ausreichen, um die Digitalisierung voranzubringen, sondern wir werden auch die Baustellen angehen müssen,
wovon eine unwidersprochen die digitale Patientenakte ist. Die digitale Patientenakte braucht ein umfassendes Update, damit sie am Ende auch Mehrwerte bringt,
und zwar für alle, für die Breite der Bevölkerung, und vor allem auch diejenigen entlastet, die in den Kliniken, in den Praxen arbeiten, und ihnen das
alltägliche Arbeiten einfacher macht. Das wird noch ein dickes Brett. Hier müssen wir alle anpacken, nicht nur der Minister und die Ampelkoalition, sondern
alle, die rund um Datenschutz und Sicherheit dazugehören. Nur wenn wir das gemeinsam anpacken, bekommen wir das auch hin.
({1})
Diese zusätzlichen Budgets und das Angehen dieser dicken Bretter sind nicht selbstverständlich. Deshalb will ich einmal diejenigen ansprechen, die das
wirklich ernsthaft angehen und diese Budgets bereitgestellt haben. Das ist vorneweg unser engagierter Minister Lauterbach mit seiner verdammt hart arbeitenden
Mannschaft im Ministerium.
({2})
Das sind unsere durchsetzungsstarken Haushälter/-innen, und das sind unsere progressiv aufgestellten Fraktionen. An all diejenigen will ich einmal
sagen: Danke schön für diesen Rückenwind, –
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
– damit wir aus dem Leitsatz „Mehr Fortschritt wagen“ auch Realität machen.
Besten Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Mieves. – Nunmehr hat das Wort der Kollege Erich Irlstorfer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir, zwei Punkte anzusprechen, bevor ich auf den Haushalt eingehe:
Zum Thema Pflegebonus. Ich kann nur die Meinung von Herrn Gürpinar und natürlich auch von Tino Sorge teilen. Wir bekommen dazu extrem viele
Zuschriften. Deshalb verstehe ich es so, Herr Minister: Wir bündeln das Ganze, und wir lassen Ihnen das zukommen. Dann schauen wir, ob da etwas zu machen oder
nachzubessern ist. – Erster Punkt.
({0})
Zweiter Punkt. Frau Lütke, Sie haben das Thema Cannabis angesprochen. Ich muss Ihnen hier einfach widersprechen, weil es in meinen Augen inhaltlich
falsch ist. Wenn Sie in der Ampel Kinder und Jugendliche vor Zucker schützen wollen und somit Schokoriegel und alles, was dazugehört, aus den Kassenbereichen
verbannen, aber gleichzeitig Cannabis legalisieren, kann ich nur sagen: Das ist falsch.
({1})
Das ist inhaltlich falsch. Deshalb wäre es gut, wenn Sie sich die bayerischen Vorschläge noch mal zu Gemüte führen.
({2})
Aber jetzt zum Haushalt. Gerade in Krisenzeiten braucht es einen soliden Haushalt und eine solide Haushaltspolitik. Im Gesundheitsbereich zeigt sich
das noch viel mehr: Die Pandemie hat verdeutlicht, dass unsere Finanzstärke hier an vielen Stellen auch helfen konnte. Die Coronapandemie haben wir größtenteils
gut und ordentlich und auch bedächtig bewältigt. Jedoch braucht es zum Ende einer solchen Gesundheitskrise in meinen Augen auch immer einen kritischen Blick auf
das, was finanziert und was ausgegeben wurde.
Ich empfinde es als gut und auch als richtig, dass man den Bereich der Long-Covid-Hilfen ausbaut, dass man hier auf Beratung setzt, dass man in dieser
Richtung weitergeht, dass man Long Covid, Post Covid, das Post-Vac-Syndrom, all diese Dinge nicht unter den Tisch fallen lässt. Die Förderung eines digitalen
Beratungsangebots mit 614 000 Euro ist dabei zu nennen, aber zeitlich begrenzt.
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass wir in diesem Bereich, wenn es um Langzeitfolgen geht, natürlich eine Erkrankung haben, die im Endeffekt die
Königsdisziplin von Long Covid ist – das ist nachgewiesen –: Das ist ME/CFS. Ich möchte hier meinen Dank aussprechen an den Minister, an die Ampel, aber
natürlich auch an Helge Braun, der uns da sehr gut vertreten hat und das auch transportiert hat, dass man die Mittel für die Forschung an ME/CFS bei der
Überlappung der beiden Haushalte 2022 und 2023 übertragen konnte. Das ist richtig, das war notwendig, und das ist gut.
({3})
Erlauben Sie mir, dass ich natürlich auch mein Leib- und Magenthema Pflege erwähne. Ich möchte Ihnen ganz klar sagen, dass wir das Thema „Finanzierung
der gesetzlichen Krankenversicherung, der Pflegeversicherung, der Krankenhausreform“ und alles, was dazugehört, natürlich anpacken. Das unterstützen wir
auch.
Aber ich möchte schon darauf hinweisen, dass wir auch den Bereich der Leiharbeit hier einmal sehr kritisch ins Visier nehmen müssen. So, glaube ich,
geht das nicht weiter.
({4})
Wir haben hier in diesem Land steigende Ausbildungszahlen. Das ist gut, das ist richtig und notwendig. Aber wir wissen auch, dass die Zahl der
Auszubildenden gar nicht so stark ansteigen kann, wie der Bedarf an Pflege steigt. Deshalb müssen wir hier ins Handeln kommen. Das ist das Entscheidende.
Ich bitte auch um Folgendes: Wir diskutieren ja immer wieder das Thema Energie – Gas, Strom und alles, was dazugehört. Ich kann Ihnen nur sagen: Im
Bereich der Krankenhäuser, der Kinder- und Jugendpflege, der Altenpflege und vor allem auch der Reha müssen wir handeln. Wir dürfen jetzt nicht Strukturen
zerstören, die wir nach den Krisen wieder brauchen.
({5})
Das ist notwendig, und deshalb plädiere ich dafür.
Der letzte Punkt, den ich mir hier zu erwähnen vorgenommen habe, ist, dass wir Differenzierungen brauchen, nicht nur in Bezug auf Long Covid, auf
ME/CFS und all diese Dinge. Es gibt viele Seltene Erkrankungen, die wir auch in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen müssen. Daher ist es mir wichtig, dass
wir diese 7 000 Erkrankungen, die wir in Deutschland kennen und haben – wir haben hier 4 Millionen Patientinnen und Patienten –, nicht unversorgt lassen. Hier
müssen wir besser werden. Hier erwarte ich natürlich auch Bewegung, sodass wir diesbezüglich handeln können. Wir werden in Bayern 2023 ein Jahr der Seltenen
Erkrankungen in die Wege leiten, und ich würde mich freuen, wenn meine Kolleginnen und Kollegen hier fraktionsübergreifend tätig werden. Wenn wir über 700
Abgeordnete sind und sich jeder einer Seltenen Erkrankung annimmt, dann, glaube ich, haben wir schon einiges erreicht.
In diesem Sinne: Herzlichen Dank.
({6})
Vielen Dank, Herr Kollege Irlstorfer. – Ich rufe jetzt auf die Kollegin Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher/-innen auf den Tribünen! Beratungen über den Haushalt kommen oft sehr trocken daher,
doch diese Finanzentscheidungen haben das Zeug dazu, den Alltag vieler ganz konkret zu verbessern. Gut, dass im Gesundheitsetat hier viel erreicht werden
konnte!
({0})
Es ist notwendig, die seelische Gesundheit zentral – und ich sage ausdrücklich: deutlich zentraler als bisher – in den Blick zu nehmen. Jede von Ihnen
kennt mindestens eine Person, die schon mal eine seelische Krise erlebt hat. Viele mögen auch selbst schon einmal betroffen gewesen sein und kennen die Hürden
der Schnittstellenprobleme. Wichtig ist, dass alle Betroffenen die passgenauen Hilfen bekommen. Dafür finanzieren wir jetzt den Psychiatriedialog. Im
Psychiatriedialog werden Versorgungsangebote für seelisch erkrankte Menschen weiterentwickelt.
({1})
Ich freue mich, dass die Aktion Psychisch Kranke hier erneut die Koordination übernehmen wird.
Akute Hilfe bietet der Krisenchat, der schnellen Rat für Kinder und Jugendliche in Krisen ermöglicht. Auch hierfür konnten in den Haushaltsberatungen
der Fraktionen noch Mittel freigeschaufelt werden.
Es ist doch so: Unsere Seele steht angesichts der multiplen, sich ja auch überlappenden Krisen – Klimakrise, Corona, Preissteigerungen, Krieg –
deutlich unter Druck. Prävention – gute Vorsorge, statt zu warten, bis es zu spät ist – ist ein wichtiges Leitprinzip, gerade wenn es um Gesundheit geht.
({2})
Es ist ein wichtiger erster Schritt, dass die Aufstockung der Mittel für den Nationalen Präventionsplan auch ein Konzept für die Suizidprävention
enthält.
({3})
Jetzt muss freilich der zweite Schritt folgen. Es braucht niedrigschwellige Angebote zur Suizidprävention für alle Altersgruppen – online,
telefonisch, vor Ort. Auch diese müssen natürlich künftig finanziert werden.
Für die Suchtprävention – es ist ja schon mehrfach angesprochen worden – konnten die verschwundenen 4 Millionen Euro wieder aufgestockt werden auf
insgesamt 13,2 Millionen. Und ich sage ausdrücklich: Das muss jetzt aber auch mal so bleiben.
({4})
Wer an der Prävention spart, der zahlt später doppelt. Das wissen wir, und – Herr Irlstorfer, ich widerspreche Ihnen ausdrücklich – die Legalisierung
von Cannabis verbessert die Prävention und den Gesundheitsschutz. Die Prohibition, die schadet. Als die CDU/CSU noch die Drogenbeauftragte gestellt hat, haben
sich Jugendliche und Fachleute über die missglückten Kampagnen lustig gemacht. Es wird Zeit für sachliche Informationen und für wirksame Prävention. Ich freue
mich, dass auch hierfür im Haushalt Gelder vorgesehen werden, und ich ergänze: Next Step: Gesetzentwurf.
Vielen Dank fürs Zuhören.
({5})
Vielen Dank, Frau Kollegin Kappert-Gonther. – Ich gebe das Wort dem fraktionslosen Abgeordneten Robert Farle.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Erstens. Im Rahmen der Coronapandemie, die jetzt hinter uns liegt, fanden großangelegte
Täuschungsmanöver statt, verbunden mit politischer Korruption und offenen Rechtsbrüchen zum Zwecke einer gigantischen Vermögensumverteilung zugunsten der großen
Pharmakonzerne und einzelner Privatpersonen, darunter teilweise sogar Abgeordnete im Bundestag.
Janine Small hat in einer Anhörung der EU klar ausgeführt, dass vor der Zulassung der mRNA-Impfstoffe nicht getestet worden ist, ob diese überhaupt
eine Übertragung des Virus vermeiden können, und dass nicht getestet und untersucht worden ist, ob diese Impfungen überhaupt eine Weitergabe dieser Viren
verhindern können. Diese Lüge war die Grundlage für die gesamten Impfkampagnen dieses, des letzten und vorletzten Jahres. Das müssen wir uns mal
vergegenwärtigen, dass es so war.
({0})
Zweitens: das bleibende Resultat staatlicher Pandemiebekämpfung. Seit April 2021 sind Übersterblichkeitsraten von bis zu 20 Prozent in allen stark
durchgeimpften westlichen Staaten zu verzeichnen. Der eigentliche Skandal besteht darin, dass die Gesundheitsminister dieses Landes – und eben jetzt auch Herr
Lauterbach – bis heute nicht dafür gesorgt haben, dass die Ursachen dieser Übersterblichkeit aufgeklärt sind.
({1})
Das ist eine solche Übersterblichkeit, da sind so viele Menschen gestorben – dafür gibt es keine andere Erklärung als die hohe Durchimpfung der
Bevölkerung.
({2})
– Dann lesen Sie die Kampagne durch! Lesen Sie, was Professor Kuhbandner und andere mit ihren statistischen Überprüfungen rausgefunden haben! Damit
beschäftigen Sie sich gar nicht.
({3})
Sie kommen noch nicht mal auf die Idee, obwohl die Übersterblichkeit sehr viele Menschen betrifft.
({4})
Sehr geehrter Herr Lauterbach, Sie haben im Herbst dieses Jahres noch 830 Millionen Euro Steuergelder vernichtet. Sie haben 80 Millionen Impfdosen von
Moderna gekauft, die demnächst entsorgt werden müssen. Immer mehr Ärzte weigern sich, diese gefährlichen und nicht immunisierenden Impfungen zu verabreichen.
Und genau so soll es 2023 weitergehen: Da wollen Sie weitere 2,9 Milliarden Euro für Covid-Impfstoffe ausgeben, um die Profite der Pharmakonzerne hoch zu
halten. Das ist reine Lobbypolitik.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Dazu noch eine völlig sinnfreie, 60 Millionen Euro teure Fake-News-Werbekampagne.
Die nicht gewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen –
Herr Kollege, Sie haben jetzt noch einen Satz.
– hat per SMS 4,2 Milliarden Impfdosen – also zehn Dosen pro EU-Bürger – bestellt.
({0})
Die Europäische Staatsanwaltschaft EPPO ermittelt bereits. Hinzu kommt – –
({1})
Vielen Dank. – Herr Präsident, ich setze darauf, dass Sie dann bei meiner Fraktion und mir demnächst auch so kulant mit den Redezeiten sind.
({0})
Zum guten Ton in Debatten gehört es natürlich auch, dass man kurz auf Vorrednerinnen und Vorredner eingeht. Das schaffe ich jetzt bei der Rede nicht
in Gänze. Ich investiere zehn Minuten -- zehn Sekunden, um kurz was zur Übersterblichkeit zu sagen.
({1})
– Zehn Minuten habe ich nicht. – Da es im Jahr 2020 auch schon eine große Übersterblichkeit gab, in einem Jahr, in dem wir noch keine Impfungen
hatten, liegt, würde ich jetzt mal sagen, der Zusammenhang relativ nahe, dass die Tode vielleicht doch eher mit der Pandemie zu tun haben,
({2})
die wir ja seit diesem Jahr 2020 sehen, und die Impfung nach wie vor gegen das Virus schützt und das deswegen eine der vielen Halb- und Unwahrheiten
war, die in diesem Zusammenhang hier heute verbreitet worden sind.
Ich möchte jetzt aber tatsächlich noch über Gesundheit reden und über das Menschenrecht auf Gesundheit, das wichtig ist. Die
Weltgesundheitsorganisation hat 1946 in der Präambel ihrer Verfassung das Modell von Gesundheit als biopsychosoziales Modell geprägt. Das bedeutet, dass
Gesundheit mehr ist als die Abwesenheit von Krankheit; Gesundheit ist ein vollständiges körperliches, geistiges und soziales Wohlbefinden.
Dieser Anspruch, den die Weltgesundheitsorganisation da formuliert hat und dem wir versuchen gerecht zu werden, auch mit unserer Politik, kann
manchmal ein sehr großer sein – gerade wenn es um globale Gesundheit geht, gerade wenn es um all das geht, was wir eigentlich gerade global auch tun müssen.
Es ist auch in Deutschland so, dass im Winter wieder Menschen draußen in der Kälte schlafen werden. Es ist auch in Deutschland so, dass wir viele
Menschen haben, die de facto keine Krankenversicherung haben, weil sie sich in Tarifen versichert sehen, wo sie weniger Zugang zum Gesundheitssystem haben, dass
sich in Deutschland Menschen ohne Papiere nicht zur Gesundheitsberatung und zur Gesundheitsversorgung trauen, weil sie Angst haben.
Das ist etwas, was uns aber auch global immer noch vor die Aufgabe stellt, allen Menschen Zugang zu wirklich basaler Medizin zu ermöglichen, die
eigentlich finanziell sehr, sehr gut zu erreichen wäre, weil es sich teilweise nicht lohnt, in die Erforschung von neglected, also vernachlässigten Krankheiten
zu investieren, weil die Aussicht besteht, dass man damit nicht so viel Profit machen kann. Das, meine Damen und Herren, muss uns immer wieder vor Augen führen,
dass es unsere Aufgabe ist – nicht allein als Deutschland, aber gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft –, auch im Bereich der globalen Gesundheit zu
investieren.
({3})
Liebe Union, ich weiß – und das will ich in keiner Weise in Abrede stellen –, dass wir gemeinsam in den letzten Jahren dafür gesorgt haben, dass der
Bereich der globalen Gesundheit sehr gut finanziert wurde. Jetzt gehört aber zur Wahrheit natürlich auch, dass wir heute und hier vor einer Situation stehen, in
der die Haushaltsverhandlungen schwierige sind, in der die Gesamtsituation eine andere ist, in der wir uns insgesamt mit so vielem konfrontiert sehen, was wir
eigentlich finanziell bewältigen müssen, dass ich unglaublich froh und dankbar bin, dass die Haushälterinnen und Haushälter unserer Koalition es geschafft
haben, gegenüber dem vorgelegten Entwurf noch so viel für die globale Gesundheit rauszuholen,
({4})
und dass wir es vor allem schaffen, die wichtigen Strukturen weiterzufinanzieren; unter anderem ACT‑A – Access to COVID-19 Tools Accelerator – wurde
genannt, dessen Finanzierung wir bis 2023 haben, wo es aber auch darum geht, so etwas auf nachhaltige Füße zu stellen.
({5})
Es ist eben nicht so, dass sich das nur im Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums befindet, –
Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.
– sondern es uns ja auch gelungen ist, zum Beispiel die Kernbeiträge zur Weltgesundheitsorganisation zu erhöhen. Das ist das wichtige Zeichen, das
ich am Ende setzen möchte: Es muss darum gehen, –
Frau Kollegin!
– dass wir global solidarisch finanzieren,
({0})
und auch um das Ansehen der Weltgesundheitsorganisation muss es gehen.
Vielen Dank, Herr Präsident.
({1})
Respekt, Herr Präsident! Das war deutlich zeitiger, als im Ablaufplan stand; aber wir waren noch rechtzeitig da.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Was passieren kann, wenn man nicht weitsichtig ist und keine Vorsorge für
Krisensituationen betreibt, haben wir zur Genüge zu Beginn der Coronapandemie erlebt. Ende Februar hat uns der russische Einmarsch in die Ukraine erschreckend
aufgezeigt, was fehlende Vorsorge und Abhängigkeit auch für uns und unsere Energieversorgung bedeuten. Es ist also essenziell, für Krisen vorzusorgen, bevor sie
eintreten. Und wenn sie nicht eintreten: Umso besser!
Mit der vorliegenden Novelle des Energiesicherungsgesetzes macht die Ampel genau das: Sie sorgt vor für eine Energienotlage in diesem Winter und
darüber hinaus, so unwahrscheinlich dies auch sein mag.
Aber spielen wir das Szenario einer Energienotlage einmal gedanklich durch: Was würde passieren? In einer Energienotlage, in der die Energieversorgung
akut bedroht wäre, versagen die Marktmechanismen vollends. Was das bedeutet, haben wir in den letzten Monaten erst mal nur andeutungsweise erlebt. In einer
ausgeprägten Mangellage, Notlage aber würden Strom-, Gas- und Ölpreise explodieren. Die Reichen und Starken könnten knappe Energie dennoch weiter im Übermaß
verbrauchen; ärmere Haushalte könnten sich Energie nicht mehr im nötigen Maße leisten. Das wäre nicht nur äußerst unsolidarisch; nein, es würde auch unseren
gesellschaftlichen Frieden aufs Äußerste gefährden.
({0})
Der Staat aber trägt die Verantwortung für alle Bürger/-innen und muss in einer akuten Notlage eingreifen. Er muss die vorhandenen Energiemengen
verteilen, damit der lebenswichtige Energiebedarf von Haushalten, von Unternehmen der kritischen Infrastruktur gedeckt werden kann.
Genau das regelt auch die vorliegende Novelle des Energiesicherungsgesetzes. Mit dieser Novellierung machen wir einzelne Regeln noch rechtssicherer,
damit in einer, wenn auch sehr unwahrscheinlichen, Notlage für alle gesorgt ist.
({1})
Ein solcher Eingriff durch den Staat muss natürlich gut abgewogen und demokratisch legitimiert sein. Darum stärken wir die Kontrollfunktion des
Parlaments: So kann der Bundestag innerhalb von zwei Monaten nach Ausrufung einer Notlage durch die Bundesregierung diese auch zurücknehmen.
Aber wir sorgen nicht nur für ganz akute Notlagen vor. Wir beschleunigen beispielsweise auch den Anschluss der LNG-Terminals – eine der vielen
Maßnahmen der Ampelkoalition, damit es erst gar nicht zu Notlagen kommt. Wir stellen sicher, dass die notwendigen Komponenten für den Bau von Gasleitungen zur
Verfügung stehen; das gilt insbesondere auch – ja! – für Röhren, die für die Bauphase von Nord Stream 2 vorgehalten wurden und jetzt nicht mehr gebraucht
werden. Da solche Rohrleitungen auf dem Weltmarkt nicht ohne Weiteres und nur mit sehr langen Lieferzeiten zu bekommen wären, muss als letztes Mittel der Staat
zur Sicherung der Energieversorgung Zugriff darauf erhalten. Gleiches gilt für die Möglichkeit zur Einsichtnahme in Dokumentationen, Unterlagen, um solche
technischen Anlagen errichten zu können.
Kurzfristig braucht es den schnellen Ausbau der LNG-Terminals, auch wenn wir uns das als Grüne am allerwenigsten wünschen. Denn mittel- und
langfristig helfen uns nur die erneuerbaren Energien und mehr Energieeffizienz.
({2})
Als Ampel haben wir deswegen die größte Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und massive steuerliche Erleichterungen für Solaranlagen
beschlossen, die Flächenbereitstellung für Windkraft gestärkt und werden in wenigen Wochen – das auch bitte nicht vergessen – das erste deutsche
Energieeffizienzgesetz beschließen. Dazu gehören auch Speicherungen in verschiedenen Formen, vollkommen korrekt.
Wir haben mit der der Beschlussempfehlung beigefügten Entschließung ein klares Zeichen gesetzt, dass wir mit der Wasserstoffkonzeption vorankommen
müssen, und dazu festgestellt, dass wir auch von der EU die entsprechende Rahmensetzung brauchen, damit die Regierung, das BMWK, tätig werden kann. Außerdem
wünschen wir uns – das ist wichtig – zur Jahresmitte eine Vorlage dazu, um auch mitbestimmen und Einfluss nehmen zu können. Denn für uns Grüne ist Wasserstoff
nicht das Allheilmittel, weil er nämlich ein Speicherstoff und keine Primärenergie ist. Wir wünschen, diesen effizient einzusetzen, dort, wo wir ihn dringend
brauchen, also nicht Ineffizienz das Wort zu reden, –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– sondern wirklich effizient zur Schonung von natürlichen und Leitungsressourcen beizutragen.
Vielen Dank.
({0})
Einen schönen guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen und liebe Besucher auf den Besuchertribünen!
Der nächste Redner in der Debatte ist Fabian Gramling für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Union hat in den letzten Monaten mehrmals gezeigt, dass wir in dieser schwierigen
Situation Entscheidungen der Regierung mittragen, dass wir auf Fristen verzichten, um wichtige Entscheidungen auch zeitnah zu ermöglichen. Deshalb habe ich auch
wenig Verständnis für manche Äußerungen bei den Debatten in den letzten Wochen. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel, ich möchte eins vorweg ganz klar
sagen: Sie regieren hier in Deutschland, Sie haben die Mehrheit im Deutschen Bundestag, und deshalb müssen auch Sie für Ihre Politik geradestehen. Wer regiert,
der kann sich nicht bei jeder Entscheidung hinter der Opposition verstecken. Wer regiert, der muss für seine Entscheidungen auch endlich mal geradestehen.
({0})
Wir stecken mitten in einer Energiekrise. Und inmitten dieser Energiekrise haben Sie sich entschlossen, Kraftwerke abzuschalten und vom Netz zu
nehmen,
({1})
und das ohne einen belastbaren Plan, woher die Energie in Zukunft kommen soll. Ich finde diese Entscheidung unverantwortbar. Aber damit nicht genug:
Sie haben beschlossen, auf Kraftwerke in Zukunft verzichten zu wollen, obwohl der Ausbau der erneuerbaren Energien ja gerade stockt, die Energiebranche wegen
Ihrer Politik in einer Schockstarre verharrt und keine Planungssicherheit hat. Gerade deshalb wäre es jetzt so wichtig, die von Ihnen im Koalitionsvertrag
verabschiedete und versprochene Fortschreibung der Wasserstoffstrategie auch endlich hier im Hohen Haus zu diskutieren.
({2})
Eigentlich hätten Sie Ende des Jahres, also in fünf Wochen, Ihr Konzept zum Wasserstoffnetzausbau hier vorstellen müssen. Natürlich machen die
laufenden Verhandlungen und laufenden Gespräche in Brüssel zum Aufbau eines Wasserstoffnetzes die Planungen schwieriger. Der Änderungsantrag der
Regierungsfraktionen, einen Zwischenbericht zum Netzausbau in Deutschland Mitte des Jahre 2023 vorzulegen, ist aber maximal ein Erfolg gegenüber dem
Wirtschaftsministerium. Für die Branchen, für die Unternehmen in unserem Land, die in Zukunft auf Wasserstoff angewiesen sind, die davon abhängig sind, für alle
Wasserstoffakteure, ist der heute vorgesehene Beschluss ein fatales Zeichen.
({3})
Denn bei der Frage, wie wir unsere Energieversorgung in Zukunft sichern wollen, geht es um nichts anderes als um unsere Zukunftsfähigkeit. Es geht um
unsere Wirtschaftskraft, es geht um Arbeitsplätze, und am Ende geht es um unseren Wohlstand. Wir brauchen jetzt eine Strategie, wie wir, woher wir Wasserstoff
in Zukunft beziehen können. Wir brauchen eine Strategie über Netze und über Speichermöglichkeiten. Und die Investoren brauchen jetzt Klarheit und
Planungssicherheit. Deshalb fordere ich die Ampelregierung auf: Machen Sie endlich einen Energiestresstest für den Winter 2023/2024! Sorgen Sie schnellstmöglich
für klare Rahmenbedingungen beim Wasserstoffhochlauf in Deutschland! Und hören Sie auf, ständig die Schuld bei der Opposition zu suchen!
({4})
Vielen Dank.
({5})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Bergt.
({0})
Moin, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Vor uns liegt vielleicht der schwerste Winter der letzten
Jahre, wahrscheinlich sogar Jahrzehnte. Und auch der nachfolgende Winter wird echt nicht ohne sein; möglicherweise wird er noch herausfordernder als der
jetzige.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, der Energiekrieg gegen Europa zwingen uns dazu, wichtige Ziele parallel anzugehen, und das unter höchstem
Zeitdruck. Die wichtigen Aufgaben, die wir miteinander vereinen müssen, sind zum einen der Schutz des Klimas, der Ausbau der erneuerbaren Energien, zum anderen
das Schaffen von Versorgungssicherheit bei Gas, bei Strom und bei den anderen Ressourcen, die wir benötigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe es zwar schon einmal gesagt, aber das macht es ja nicht schlechter: Die SPD-geführte Ampelkoalition hat in
den letzten sechs Monaten schon mehr gerissen
({0})
als die CDU-geführte Bundesregierung in 16 Jahren,
({1})
trotz Corona, trotz Lieferengpässen, trotz Energiekrise und trotz Krieg. Lassen Sie mich das noch einmal in Erinnerung rufen: Mit dem Osterpaket haben
wir die größte Klimaschutzreform der deutschen Geschichte beschlossen. Wir haben die Ausschreibungsmengen deutlich erhöht und die Wertschöpfung in Deutschland
durch konkrete Ausschreibungskriterien gestärkt. Planungs- und Genehmigungsverfahren haben wir entschlackt und so den Ausbau angekurbelt. Und von russischem Gas
haben wir uns unabhängig gemacht. Wir haben Lieferverträge mit alternativen Lieferanten geschlossen.
({2})
Und – das muss man sich noch mal verdeutlichen – wir haben bei 50 Milliarden Tonnen eines Energieträgers einfach mal die Lieferanten ersetzt. Was ist
das für ein Erfolg! Was ist das für ein Erfolg dieser Ampel, meine Damen und Herren!
({3})
Wir haben erneuerbaren Strom verstärkt ins Netz gebracht durch die Aufhebung von Öko-Deckeln und die Flexibilisierung unserer Stromleitungen.
Kohlekraftwerke haben wir reaktiviert, um Gas zu sparen. Und ja, um letzte Befürchtungen zu zerstreuen, wir haben auch die letzten drei verbliebenen
Atomkraftwerke am Netz gelassen – bis April 2023; dann ist Schluss. Die zwei wichtigsten Ergebnisse: Erstens. Unsere Stromversorgung ist gesichert. Zweitens.
Die Gasspeicher sind voll.
Auch wenn Sie das nicht gerne hören, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition: Das sind Erfolge, die weltweit anerkannt werden. In Europa, in
der Welt wird durchaus wahrgenommen, wie lange Deutschland konservativ gebremst wurde und was jetzt innerhalb kürzester Zeit möglich ist mit der nötigen
Entschlossenheit, die wir an den Tag legen, meine Damen und Herren.
({4})
In den vergangenen Monaten haben wir als Deutscher Bundestag nicht nur die Voraussetzungen geschaffen für volle Gasspeicher und eine Stromproduktion
auf Hochtouren. Wir haben der Bundesregierung auch eine Reihe von Instrumenten an die Hand gegeben. Das Ziel: Im Fall der Fälle schnell handlungsfähig zu sein
und die Energieversorgung bei Engpässen sicherstellen zu können. Im Kern kann man das im Grunde auf zwei einfache Nenner bringen: Erstens. In den deutschen
Wohnzimmern soll es immer so warm bleiben, dass niemand frieren muss. Zweitens. Wir schützen unseren Mittelstand. Selbst wenn das Gas mal knapp wird, sollen die
Lichter hier nicht ausgehen.
Wir tun alles, was nötig, um in Zeiten des russischen Energiekrieges die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Dazu gehört auch eine funktionierende
Energieinfrastruktur, meine Damen und Herren: ohne Windrad keine Windenergie, ohne Solardächer kein Solarstrom, und, ja, ohne Pipeline kein Gas. Wir werden
neben den Erneuerbaren noch länger auf Erdgas angewiesen sein. Die Bürger heizen damit, die Bäcker backen damit, die Industrie produziert damit. Deshalb ist es
gut, dass die Koalition entschlossen den Weg geht und für die LNG-Infrastruktur an der deutschen Küste alles bereitet hat.
({5})
Brunsbüttel, Lubmin, Stade, Wilhelmshaven – dort soll künftig Flüssiggas anlanden und ins deutsche Netz eingespeist werden. Wilhelmshaven ist, wie
bekannt, schon in Rekordtempo fertiggestellt; dort werden wir Mitte Dezember schon die ersten Lieferungen bekommen. Brunsbüttel folgt wahrscheinlich noch in
diesem Jahr. Lubmin und Stade kommen danach.
Allein in Lubmin werden 5 Milliarden Kubikmeter Gas anlanden. Für schlankere Genehmigungsverfahren haben wir gesorgt und sind sogar bis an den Rand
des Machbaren und Möglichen gegangen. Das ist die rechtliche Seite. Doch nehmen wir mal Folgendes an: Was ist, wenn der Bau genehmigt ist, wir aber nicht genug
Rohre haben, um das LNG-Terminal zu bauen, wenn die Rohre nicht am Markt verfügbar sind? Denn schließlich hat Putin selbst das größte Stahlwerk Europas in
Schutt und Asche gebombt; das war in Mariupol. In diesen Krisenzeiten mit teilweise dysfunktionalen Lieferketten, in Zeiten, in denen Energiepolitik als Waffe
eingesetzt wird, sind das keine abwegigen Fragen mehr. Wenn das schlecht läuft, dann stehen wir in den Startlöchern, laufen los bis kurz vor die Ziellinie – und
laufen dann vor eine Wand.
({6})
Das können wir uns nicht erlauben.
Damit sind wir jetzt bei der Reform des aktuellen Energiesicherungsgesetzes. Wenn wir A sagen, müssen wir auch B sagen: Wenn wir Rohre oder andere
Teile, die für eine Infrastruktur am Markt nicht verfügbar sind, brauchen, dann müssen wir in der Lage sein, sie zu enteignen –
({7})
als allerletztes Mittel, als Ultima Ratio muss das möglich sein
({8})
– vielen Dank –, nicht zum Selbstzweck, sondern im Sinne der Versorgungssicherheit dieses Landes, für die Haushalte und Unternehmen der Leute, die
hier leben und wirtschaften. Wer A sagt, muss auch B sagen. Und niemand hat die Absicht, zu enteignen.
({9})
Aber 5 Milliarden Kubikmeter Gas sind wichtig für warme Wohnungen und heiße Industrieöfen. Diese 5 Milliarden Kubikmeter dürfen uns am Ende nicht
fehlen, weil wir drei Rohre zu wenig haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden von weitreichenden Eingriffen, von wirklich starken Befugnissen, Befugnissen, die aber in einem solchen
Szenario gemäß Artikel 14 des Grundgesetzes gerechtfertigt sind und möglich sind. Das ist also kein sozialistischer Hexenkram, den wir hier machen; das steht in
unserem Grundgesetz,
({10})
und natürlich muss das entsprechende Entschädigungen für die Enteigneten zur Folge haben.
Wer jetzt mit der DDR-Keule wedelt, wie es wahrscheinlich gleich von der Ecke hier drüben rechts passieren wird, hat es nicht verstanden oder handelt
einfach unverantwortlich. Nahezu jeden Tag wird in Deutschland enteignet, zum Beispiel für den Straßenbau, für den Schienenbau, für die Verkehrswege.
({11})
Auch im Falle unseres Beispiels des LNG-Terminals oder anderer Energieinfrastrukturen muss das im Notfall möglich sein.
({12})
Die Interessen Einzelner stehen zurück, um die Interessen der Allgemeinheit zu schützen – von 80 Millionen Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland –,
und im Übrigen auch, um solidarisch mit unseren Nachbarinnen und Nachbarn in Europa zu sein, wenn es sein muss. Alles andere wäre fahrlässig.
({13})
Wenn Sie verantwortungsvolle Politik im Sinne der Versorgungssicherheit machen wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, dann stimmen
Sie bitte heute zu. Ich schlage nachdrücklich vor, dass Sie auch der Entschließung entsprechend zustimmen; denn zwei Punkte darin sind wirklich essenziell.
Erstens. Die Bundesregierung soll neben dem erwähnten Zwischenbericht auch Eckpunkte für ein Konzept zum Aufbau des Wasserstoffnetzes vorlegen. Bei
diesem Thema ist Tempo geboten; das wissen wir. Je eher Pläne vorliegen, desto eher können wir sie umsetzen – in enger Abstimmung mit den europäischen Regeln,
die bereits in Arbeit sind; Stichwort „Gas- und Wasserstoffbinnenmarktpaket“.
Zweitens. Wir fordern von der Bundesregierung ein Monitoring, um immer im Blick zu haben, welche Betriebsstoffe, die nicht Energierohstoffe sind, am
Markt verfügbar sind und welche nicht. Das ist wichtig. Es geht um Kalkprodukte usw. Wir brauchen einen Überblick darüber.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. – Wir begreifen dieses Land als ein Schiff, was es zu steuern gilt. Dazu muss bekannt sein, was auf den Decks passiert;
({0})
alles, um den progressiven Kurs zu halten. Deswegen möchte ich gerne mit den Worten eines bekannten Kapitäns schließen: Fähnrich, Kurs setzen! Voller
Impuls! Energie!
({1})
Vielen Dank.
({2})
Für die AfD-Fraktion hat das Wort Karsten Hilse.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Landsleute! Der Weg in Richtung Sozialismus wird konsequent beschritten. Mit dem neuen
Energiesicherungsgesetz schaffen Sie die Voraussetzung, Enteignungen von privaten Unternehmern noch leichter und rechtssicher durchzuführen. Alle
sozialistischen Experimente endeten bisher in der Katastrophe, führten zur Verelendung des Volkes und kosteten Millionen von Menschen das Leben. Die AfD ist die
einzige Partei, die sich dieser Entwicklung konsequent entgegenstellt.
({0})
Nachdem im Fall Uniper der Weg gegangen wurde, durch eine desaströse Energiepolitik und einen von der EU im Auftrag der USA angezettelten
Wirtschaftskrieg gegen unseren größten Rohstofflieferanten die Firma Uniper erst an den Rand der Pleite zu treiben, um sie dann zu übernehmen, legt man nun Hand
an das Privateigentum.
Wie wir am Freitag vom Wirtschaftszerstörungsminister erfahren mussten, will man die übrig gebliebenen Rohre von Nord Stream 2 enteignen. Während er
noch von „möglicherweise“ sprach – wir alle wissen, dass Sozialisten, egal ob sie braun, rot oder bunt sind, von jeder Möglichkeit Gebrauch machen, ihre kranke
und menschenverachtende Ideologie durchzusetzen –, wurde Herr Bergt konkreter – Zitat –:
Diese Rohre müssen wir mit der Änderung des Energiesicherungsgesetzes in irgendeiner Weise schaffen, in unseren Besitz zu bringen.
Deutlicher kann man sich als Feind der Freiheit nicht äußern.
({1})
Vornehmlich sollen die Rohre für die Flüssiggasterminals verwendet werden. Eines der Hauptziele ist es aber offensichtlich, eine mögliche Reparatur
von Nord Stream 2 zu verunmöglichen. Nachdem die Bundesregierung keinerlei – keinerlei! – Schritte unternimmt, um die Zerstörung dieser wichtigen Lebensadern
aufzuklären, ja, sogar Fragen von Abgeordneten abbügelt,
({2})
sorgt sie nun dafür, dass nie wieder Gas durch die Pipelines fließt – ganz im Sinne unserer Freunde aus Übersee. Man könnte meinen, dass die
Richtlinienkompetenz der deutschen Politik nicht beim deutschen Bundeskanzler, sondern beim Präsidenten der Vereinigten Staaten liegt.
({3})
Die FDP nickt als Verräter der bürgerlichen Freiheit alles ab. Gut, dass die Herren Genscher und Lambsdorff diese Trümmertruppe nicht mehr miterleben
müssen.
({4})
Aber was macht die Union? Nichts. Sie weigert sich sogar nach Bekanntwerden dieses unerhörten Skandals, wenigstens eine öffentliche Anhörung zu
fordern. Sie trägt diesen Weg in den Sozialismus mit. Sie bietet konstruktive Gespräche für den Umbau unserer Gesellschaft in Richtung Staatsdirigismus à la
China an.
Werte Kollegen der Union, die noch konservativ denken – ich weiß, dass es da noch einige gibt –: Kehren Sie um! Unterstützen oder tolerieren Sie nicht
weiter diesen katastrophalen Kurs der Sozialisten!
({5})
Legen Sie sich nicht weiter mit Freiheits- und Demokratieverächtern in parlamentarische Bettchen! Und geben Sie die absurde Blockadehaltung gegen die
Werte auf, die Sie vor 20 Jahren noch selbst vertreten haben, und gegen die AfD, die diese Werte heute vertritt. Sie werden sonst irgendwann den Weg der
Democrazia Cristiana gehen und von der politischen Landkarte verschwinden. Für einige von Ihnen täte mir das direkt leid.
Vielen Dank.
({6})
Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Michael Kruse.
({0})
Danke, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der beste Slot, zu dem man reden kann, ist ja immer derjenige direkt nach der AfD.
({0})
Ich freue mich wirklich sehr, dass wir alle als Deutscher Bundestag auch dazu beitragen, Energie zu sparen. Es ist in der Öffentlichkeit bekannt
geworden: Die Temperaturen in den Büroräumen sind hier jetzt auch etwas abgesenkt. Der eine oder andere Mitarbeiter fragt manchmal: Wo kann ich mich ein
bisschen aufwärmen? – Ich sage dann immer: Geh auf den Flur der AfD-Fraktion! Da wird so viel heiße Luft produziert, da ist es richtig warm.
({1})
Das können wir auch am Beispiel der heutigen Debatte mal durchexerzieren.
Wir haben hier eine Situation, in der wir durch Russland von der Gasversorgung abgeschnitten worden sind. Diese Koalition hat sich im Frühjahr dieses
Jahres auf den Weg gemacht, um trotzdem die Gasversorgung in diesem Land aufrechtzuerhalten. Wir haben es zwischenzeitlich nicht nur geschafft, unsere Ziele zu
erreichen, sondern auch, in den Gasspeichern über 100 Prozent Füllstand zu erreichen; das ist nur aus Temperaturgründen möglich.
({2})
Aber ich bin sicher: Man kann über 100 Prozent sein, und trotzdem fallen Ihnen noch viele Gründe ein, warum wir denn nicht auf dem richtigen Weg
sind.
({3})
Ich würde sagen, wir haben nicht nur unsere Ziele erreicht, sondern wir haben vor allem das Hauptziel erreicht, dass die Menschen und Unternehmen mit
genügend Gas gut durch diesen Winter kommen werden, weil die Menschen sich anstrengen, zu sparen, weil wir genügend Gas organisiert haben und weil wir gut
gerüstet sind für den Angriff aus Russland.
({4})
Und nun kommen Sie hier von ganz rechts außen
({5})
mit der Mär, wir würden Leitungen enteignen, damit die Reparatur der Nord-Stream-Leitung verunmöglicht werden würde. Wenn Sie nur ein paar technische
Kenntnisse hätten, dann wüssten Sie ja, dass es einen Unterschied macht, ob ich eine Leitung neu baue, zum Beispiel zu einem FSRU, also einem schwimmenden
Terminal, das dafür sorgt, dass weiter Gas in unser östliches Leitungsnetz und nach Bayern geleitet werden kann, oder ob ich Reparaturleitungen baue. Das sind
nämlich zwei unterschiedliche Rohrarten.
Ihre Behauptung, Herr Hilse, dass hier Rohre enteignet werden sollten, die ansonsten für die Reparatur der Nord Stream 2 gebraucht werden und
verwendet werden könnten, ist schlicht falsch; sie ist Teil Ihrer Demagogie. Und Ihre fehlende technische Expertise führt dazu, dass diese Demagogie auch noch
schlecht ist.
({6})
Ich bin sicher, Ihren Followern bei Facebook wird das überhaupt keinen Schmerz bereiten. Mir hat es sehr viel Schmerz bereitet, Ihnen zuzuhören, und
vor allem verbreiten Sie hier Unwahrheiten.
Ehrlich gesagt, meine Instagram-Follower sagen mir mittlerweile: Du erzählst jedes Mal das Gleiche, weil du immer auf die AfD reagierst und weil du
immer so viel richtigstellen musst. – Ich würde mir also wünschen, dass Sie nicht nur Ihre Propaganda in diesem Hause beenden, sondern dass Sie sich vielleicht
mal neue, vielleicht sogar richtige Argumente einfallen lassen. Dann können wir ja darüber diskutieren.
({7})
Zum Aspekt der Enteignung, die erstens, wenn wir es gut machen, gar nicht angewendet werden muss, und zweitens natürlich immer hohen Schranken
unterliegen muss, möchte ich einmal darauf hinweisen, dass wir den Gesetzentwurf an wichtigen Stellen weiter eingeschränkt haben. So haben wir dafür gesorgt,
dass das Parlament für den Fall einer Gefährdung oder Störung der Energieversorgung bei der Kaskade von Maßnahmen, die dann ergriffen werden können, beteiligt
werden muss. Das haben wir aus der Coronazeit gelernt, in der von einem unionsgeführten Haus häufig Verordnungen über Nacht erlassen wurden, die dann so
ausgegoren nicht waren.
({8})
Wir haben dabei gelernt: Es ist erstens besser, wann immer möglich, die ganze Regierung zu beteiligen. Das tun wir hier zum Beispiel bei den
präventiven Maßnahmen. Es ist zweitens besser, wenn das Parlament bei wesentlichen Einschränkungen von Freiheiten das letzte Mitspracherecht hat. Auch dafür
haben wir als Parlamentarier in diesem Gesetzgebungsverfahren gesorgt.
({9})
Deswegen möchte ich jedem in diesem Haus, auch den Oppositionsabgeordneten, anraten: Stimmen Sie diesem Gesetzentwurf heute zu! Denn er ermöglicht
Ihnen mehr Mitspracherechte im Falle der Energieknappheit.
Herzlichen Dank.
({10})
Und für Die Linke hat das Wort der Kollege Ralph Lenkert.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! 1997 starteten Union und FDP die Liberalisierung des Stromsystems. Damit wurde Spekulanten
Tür und Tor geöffnet.
({0})
Es folgte der Ausverkauf der Gaswirtschaft. Parallel wurde die staatliche Preisaufsicht zerschlagen. Kommunale Stadtwerke werden gegenüber Konzernen
benachteiligt.
Alle Bundesregierungen legten so Stück für Stück die Versorgungssicherheit in unserem Energiesystem in die Hände von profitorientierten Unternehmen,
auch aus dem Ausland, auch aus Russland, und ohne ausreichende Absicherung. An der Börse manipulierten „einige“ schwarze Schafe den Markt. Mehrfach standen wir
deshalb kurz vor Blackouts.
Seit Herbst letzten Jahres kündigen Händler bestehende Verträge und zwingen ihre Kundinnen und Kunden in teure Neuabschlüsse. Gazprom verursachte mit
seinem Eigentum in Deutschland Gasmangel, und Spekulanten nutzten dies zusätzlich egoistisch für Übergewinne aus. Haushalte, Handwerk und Industrie zahlen die
Zeche mit explodierenden Energiekosten. Das ist kein Marktversagen, das ist normales Verhalten von Marktteilnehmern zum Steigern ihrer Profite. Deshalb fordert
Die Linke: Energieversorgung ist unverzichtbar und muss der Gesellschaft gehören.
({1})
Unter dem Eindruck der Energiekrise hat die Ampel dem Marktmissbrauch jetzt wenige gesetzliche Grenzen gesetzt. Unternehmen, Händler, welche bewusst
die Versorgung mit Energie gefährden, können enteignet werden; und das ist auch das Mindeste.
({2})
Aber dass die Regierung weiterhin zulässt, dass am Markt Profitmaximierung durch Spekulation erreicht werden kann, ist verantwortungslos. Und dass
selbst im Winter viele Familien wegen drohender Strom- und Gassperren keine Versorgungssicherheit haben werden, ist unerträglich.
({3})
Die Linke kämpft für dauerhafte Versorgungssicherheit bei bezahlbaren Energiepreisen. Wir fordern: mehr Regulierung gegen Spekulationen,
Übergewinnsteuern, damit Wucher sich nicht lohnt, Festpreise für den Grundbedarf an Strom, Gas und für jede Heizenergie und ein Verbot von Strom- und
Gassperren.
({4})
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Wir brauchen die Vergesellschaftung der Energiewirtschaft und eine Kommunalisierung bei den Stadtwerken.
Vielen Dank.
({0})
Und der letzte Redner in der Debatte ist für die CDU/CSU-Fraktion Thomas Heilmann.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Lenkert, in Südafrika ist man den von Ihnen vorgeschlagenen Weg gegangen und hat es
vergesellschaftet. Dieses Jahr gab es dort an 81 Tagen Blackouts. Es gibt nirgends so viel Kohleenergie wie in Südafrika und übrigens auch die höchsten Preise
verglichen mit anderen afrikanischen Ländern. Also, die Vergesellschaftung ist, glaube ich, keine Lösung.
Jetzt zu dem hier vorliegenden Gesetzentwurf. Die Bundesregierung hat in der Energiekrise gerade am Anfang durchaus vieles richtig gemacht. Dem haben
wir auch zugestimmt. Diesem Gesetz können wir nicht zustimmen; denn es ist hastig gemacht, oberflächlich und unschlüssig.
Es geht damit los, dass Sie sagen, die Entschädigungsregel müsse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angepasst werden. Meine erste Frage
ist: Wir haben in den letzten sieben Monaten fünfmal das Gesetz geändert. Warum muss es jetzt eigentlich so hastig sein? Es gibt keine neue Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts. Warum kommt das jetzt erst? Und warum kommen die letzten Änderungen am Entwurf per E‑Mail erst in allerletzter Minute, konkret: am
Abend um halb 10 vor der Sitzung, die um 9 Uhr morgens beginnt?
({0})
Die Frage „Warum hat Nord Stream 2 eigentlich 40 Kilometer Röhren übrig?“ konnte niemand von der Bundesregierung im Ausschuss beantworten. Es findet
sich aber, wenn man sucht. Das liegt an der dänischen Regierung, die lange nicht gesagt hat, ob die Röhren um Bornholm herum gelegt werden müssen oder nicht.
Deshalb hat Nord Stream 2 vorsichtshalber 40 Kilometer zusätzlich gekauft. Deswegen gibt es diese Röhren überhaupt.
Nun ist Nord Stream 2 nach eigener Aussage bereit, diese Röhren zu verkaufen. Dazu wurde uns im Ausschuss gesagt: Na ja, aber der russische
Gesellschafter könnte dem nicht zustimmen. – Nord Stream 2 befindet sich im Schweizer Recht des Moratoriums; das ist ungefähr das, was wir in Deutschland
„Planinsolvenz“ nennen. Das heißt, der Insolvenzverwalter muss zustimmen, nicht der Gesellschafter.
All diese Fragen sind unbeantwortet geblieben – bis jetzt und auch in dieser Debatte nicht beantwortet worden.
Es gibt noch eine letzte Frage, die mir Fachleute gestellt haben. Wir bauen jetzt ja 40 Kilometer Röhren direkt neben Nord Stream 2. Wir könnten auch
in die Nord-Stream-2-Leitung ein T-Stück einsetzen
({1})
und die vorhandene Leitung nutzen. Das ginge schneller, es wäre wesentlich billiger, und es wäre umweltschonender.
All diese Fragen sind nicht beantwortet.
Unsere Alternative ist: Machen Sie höhere Präzision! Wir haben dazu einen Entschließungsantrag eingebracht, in dem wir noch einmal dargestellt haben,
wie wir die Energiepolitik gestalten würden. Ein Punkt ist darin nicht enthalten, den ich hier noch gerne nennen will.
Im Finanzausschuss geht es gerade auch maximal chaotisch zu. Ihre Streitigkeiten führen dazu, dass Sie undurchführbare Beschlüsse fassen. Insbesondere
ist der geplante Abschöpfungsmechanismus genauso europarechtswidrig und genauso verfassungsrechtlich bedenklich wie die gescheiterte Gasumlage. Er behindert den
Ausbau von erneuerbaren Anlagen. Er treibt jetzt schon die Strompreise. Sie benachteiligen damit auch noch – ausgerechnet Sie als sogenannte Klimakoalition! –
die Erneuerbare-Energie-Anlagen gegenüber Kohle, Öl und Atomenergie. Sie schöpfen fiktive Gewinne nur bei den Erneuerbaren ab. Ich halte das für ausdrücklich
verfassungswidrig, und das ist im EU-Recht eigentlich auch ausdrücklich ausgeschlossen.
Kommen Sie zum Schluss, bitte.
– Gerne. Das ist mein Schlusssatz. – Stoppen Sie diesen Unsinn! Stoppen Sie dieses Chaos! Und behandeln Sie bitte die erneuerbaren Energien genauso
wie Öl, Kohle und Atomenergie!
({0})
Vielen Dank.
({1})
Frau Präsidentin, ich danke Ihnen sehr. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2030 soll ein Viertel aller Güter über die Schiene transportiert werden.
Das ist das Ziel, das wir uns gesetzt haben. Deshalb sanieren wir jetzt die wichtigsten Schienenkorridore, elektrifizieren und digitalisieren Strecken und
Stellwerke, wir fördern den kombinierten Verkehr und können allein im kommenden Jahr gut 9 Milliarden Euro in die Schieneninfrastruktur investieren.
Tatsache ist aber auch: Der Großteil des Güterverkehrs findet auf der Straße statt. Manchen passt das, manchen passt das nicht; aber es ist eine
Tatsache, mit der wir umgehen müssen. Es kann nun einmal nicht jeder Laden und jedes Werk einen Schienenanschluss haben oder unmittelbar an einem Fluss liegen.
Lkw-Transporte sichern unsere Lieferketten, versorgen Supermärkte und Unternehmen, sind bei Wohnungsumzügen unverzichtbar und werden gerade jetzt, in der
beginnenden Weihnachtszeit, Millionen von Paketen an ihr Ziel bringen. Wir brauchen den Lkw, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deshalb müssen wir drei Projekte
anpacken:
Wir müssen – erstens – den Antriebswechsel auf der Straße voranbringen. Dafür haben wir diverse Förderprojekte und unseren Masterplan
Ladeinfrastruktur II.
Wir müssen – zweitens – dafür sorgen, dass unsere Straßen in einem guten Zustand sind, und das Netz dort, wo es nötig ist, ausbauen. Ja, meine Damen
und Herren, wir müssen das Netz auch an einigen Engpunkten ausbauen; denn es gibt kaum überflüssigere CO2-Emissionen als jene von Lkw, die im Stau stehen oder
kilometerlange Umleitungen fahren müssen.
({0})
Wir müssen – drittens –, um das System fair zu gestalten, diejenigen Nutzer, die unsere Straßen und Brücken am stärksten belasten, an den Kosten
beteiligen. Genau das machen wir mit der Lkw-Maut. Mit Inkrafttreten der Eurovignetten-Richtlinie ist es seit Neuestem möglich, bei der Berechnung der Mautsätze
auch die Kosten für die Lärmbelastung und die Luftverschmutzung stärker zu berücksichtigen. Diese Bundesregierung hat sich entschlossen, davon Gebrauch zu
machen. Das ist nur fair. Das Ergebnis dieser Mautanpassungen sind moderat steigende Mautsätze, die dazu beitragen, die Finanzierung unserer Infrastruktur auch
für die Zukunft zu sichern. Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist für eine Gesellschaft, die mobil sein möchte, essenziell.
Wie wichtig eine gute Infrastruktur ist, wissen wir, wie ich vorgestern bereits im Rahmen meiner Rede zum Haushalt 2023 gesagt habe, immer dann, wenn
sie nicht funktioniert. Dann gerät plötzlich alles ins Stocken. Eine marode oder zu knappe Infrastruktur ist nichts, was sich mal eben schnell reparieren lässt.
Engpässe zu beseitigen, Straßen zu erweitern oder eine überlastete Brücke zu ersetzen, das dauert in der Regel Jahre. Das sehen wir derzeit schmerzlich in
Nordrhein-Westfalen, bei Lüdenscheid an der Rahmede-Talbrücke. Deshalb dürfen Investitionen in die Infrastruktur nicht ausschließlich nach Kassenlage erfolgen.
Sie müssen mit Weitsicht und einem langen Atem erfolgen. Beides zeichnet eine verantwortungsvolle Politik aus, und beides schulden wir auch den nachfolgenden
Generationen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetzentwurf gehen wir den einen nicht weit genug, und anderen geht er zu weit. Aber genau das
kennzeichnet einen fairen Kompromiss. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung.
Vielen Dank.
({2})
Für die Unionsfraktion hat das Wort Martina Englhardt-Kopf.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister Wissing! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach
mehreren Verschiebungen und einem langen Streit in der Ampelkoalition zum Thema Mauterhöhung liegt heute der Gesetzentwurf in der ursprünglich eingebrachten
Form vor. Wir von der Union sind damit nicht einverstanden und lehnen diesen ab. Wir legen deshalb zwei Entschließungsanträge vor.
({0})
Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Situation, in der wir uns gegenwärtig befinden, in der auch die Transport- und Logistikbranche stark unter
Druck steht, halten wir es für ein völlig falsches und verfehltes Zeichen, hier weitere Belastungen obendrauf zu setzen und die Lkw-Maut zu erhöhen.
({1})
Sie von der Ampelregierung legen ein Entlastungspaket nach dem anderen auf; aber es ist nichts für die Transport- und Logistikbranche dabei.
Ich möchte an dieser Stelle kurz den dreimonatigen Tankrabatt skizzieren, der ja als Entlastung gedacht war. Sie alle wissen, was passiert ist: Er hat
seine Wirkung verfehlt. Die milliardenschweren Steuersubventionen wurden nur in Teilen weitergegeben, die Branche und die Autofahrer wurden nur zum Teil
entlastet. Es wurde groß angekündigt, auch über das Kartellamt einzugreifen, das Kartellamt mit „Klauen und Zähnen“ auszustatten; aber es ist nichts passiert.
Die Wirkung wurde völlig verfehlt, die Milliarden sind bei Großhändlern, bei Mineralölkonzernen hängen geblieben.
Aufgrund der gegenwärtig immer noch sehr hohen Belastungen ist es aus unserer Sicht deshalb notwendig, den rechtssicheren Teil weiterzugeben – ich
spreche über die Infrastrukturkosten als einen Teilsatz der Maut –, um Rechtssicherheit herzustellen. Aber Sie planen im Rahmen des angekündigten
Novellierungsschritts Nummer zwei im kommenden Jahr bereits weitere Erhöhungen in Form einer CO2-Bepreisung. Luftverschmutzung und Lärmbelastung, alles soll
eingepreist werden. Eine Absenkung wäre möglich gewesen, um der Branche ein Zeichen zu geben und sie zu entlasten.
Wenn Sie an dieser Stelle die Frage nach der Gegenfinanzierung aufwerfen, antworte ich: Sie haben bei den unterschiedlichen Entlastungspaketen so viel
Kreativität gezeigt. Sie haben Hunderte von Milliarden in Schattenhaushalten aufgebaut, alles über Schulden finanziert, und Sie nennen das auch noch
„Sondervermögen“. Es wäre hier möglich gewesen, einen kleinen Teil des Kuchens an eine systemrelevante Branche wie die Transport- und Logistikbranche
weiterzugeben.
({2})
Einen weiteren wesentlichen Punkt nennen wir in unserem zweiten Entschließungsantrag. Es geht um die Mautbefreiung für Hilfsgütertransporte. Ich denke
an das zerstörte Ahrtal. Dort waren es Ehrenamtler, die Baumaterialien transportiert haben. Der Katastrophenfall war bereits aufgehoben. Aufgrund dessen kam die
Maut noch obendrauf. Lassen Sie uns heute hier gemeinsam eine Gesetzeslücke schließen: Stimmen Sie für unseren Entschließungsantrag, um Hilfsgütertransporte im
Rahmen des ehrenamtlichen Engagements bei uns im Land von der Maut zu befreien.
Herzlichen Dank.
({3})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort Udo Schiefner.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die einen nennen es Streit, ich nenne es eine gute Diskussion über den richtigen Weg. Ich denke, man
sollte unterschiedliche Auffassungen nicht immer als Streit abtun, sondern als Beitrag zur Auseinandersetzung unter Partnern, die den richtigen Weg finden
wollen, Frau Kollegin.
Wir entwickeln die Lkw-Maut weiter, im ersten Schritt heute durch die Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes nach Maßgaben aus dem letzten
Wegekostengutachten. Wir unternehmen in den kommenden Jahren weitere Schritte. Gerade im nächsten Jahr wird es darum gehen, gravierende Änderungen in diesem
Bereich anzustoßen, zu diskutieren und zu beschließen.
Ich möchte es noch mal in Erinnerung rufen: Heute finden nahezu drei Viertel aller Gütertransporte in Deutschland auf der Straße statt. Glaubt man den
Prognosen, wird dieser Anteil im Wesentlichen bestehen bleiben, die Entfernungen aber wesentlich kürzer werden, unter 300 Kilometer. Die Lkw-Maut bleibt damit
das wichtigste Instrument zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur und unserer Mobilität.
Nun zunächst ein paar Worte zu Ihren Anträgen, liebe Opposition, die man nur ablehnen kann.
({0})
Sehr spontan wurde hier von Ihnen, von der Union, gerade auch noch gefordert, Hilfstransporte zum Wiederaufbau nach Katastrophen von der Maut zu
befreien. Das klingt auf den ersten Blick sehr sympathisch und liegt gut im Schaufenster. Aber warum bringen Sie dann nicht diesen Antrag schon bei den
Vorberatungen im Ausschuss ein, sondern erst jetzt in dieser Debatte? Ich vermute, ernsthaft beraten und rechtlich prüfen wollen Sie das gar nicht; denn Sie
bringen diesen Entschließungsantrag kurz vor Toresschluss vor dem Hintergrund einer Rechtsprechung ein, die das bisher sehr strittig gesehen hat. Ich bin ja
gerne offen für einen solchen Vorschlag; aber da müssen wir zunächst einmal Klarheit schaffen, was der Bundesfinanzhof dazu sagt, der bisher solche Dinge
abgelehnt hat. Wir nehmen gerne Ihren Entschließungsantrag als Anregung für eine seriöse politische Prüfung dieses Anliegens mit. Sie haben ihn hier meiner
Meinung nach ganz klar unprofessionell und zu spät eingebracht.
({1})
– Das hat mit Schulnoten nichts zu tun. Es ist eine Bewertung: Entweder geht es rechtlich oder nicht. Und es ist rechtlich umstritten. Nehmen Sie es
zur Kenntnis, auch wenn Sie es nicht hören wollen, lieber Herr Kollege Rehbaum.
({2})
Dann machen Sie einen Vorschlag, die Mauteinnahmen für das Jahr 2023 massiv zu senken, forderten aber gleichzeitig in den zurückliegenden
Haushaltsberatungen an vielen Stellen mehr Geld.
({3})
Da müssen Sie von der Opposition mir mal erklären, wie das zusammenpassen soll:
({4})
zum einen massiv auf Geld verzichten, zum anderen aber hier massiv weitere Dinge für den Haushalt fordern. Wie wollen Sie denn mit der
Brückensanierung umgehen? Sie wissen, was da zu leisten ist. Dafür wird Geld gebraucht. Da fließt auch Geld aus diesem Topf rein. Ich denke, das sollte man den
Bürgerinnen und Bürgern deutlich sagen. Das ist meiner Meinung nach ganz klar eine unseriöse oppositionelle Politik, die Sie uns hier verkaufen wollen.
({5})
Auch dazu kann ich nur sagen: Hätten Sie das alles wirklich seriös gewollt, dann hätten Sie es uns schon in den letzten Wochen in den Ausschüssen
vorgelegt. Das haben Sie nicht.
({6})
So ein kleiner Entschließungsantrag im Plenum sieht für das breite Publikum schon nach Handeln aus, ist aber nichts anderes als eine
verkehrspolitische Luftnummer, die Sie hier in dieser Debatte vorführen, meine Damen und Herren der Opposition.
({7})
Im Übrigen – auch das muss man mal erklären –: Die Lkw-Maut wird zu nahezu 50 Prozent von nichtdeutschen Unternehmen bezahlt. Wenn Sie hier immer
betonen: „Wir wollen deutsche Unternehmen stärken“, dann muss ich sagen: Sie stärken auch die Wabererʼs- oder Amazon-Spediteure dieser Welt, die hier in
Deutschland viel Geld verdienen; denn auch die wollen Sie entlasten. Das ist nicht die Politik der Sozialdemokratie und der Koalition in diesem Haus. Auch das
sollten Sie mal zur Kenntnis nehmen.
({8})
Nun zum eigentlichen Gesetzentwurf. Wir brauchen die Maut. Wir wollen Emissionen verhindern, Verkehre besser lenken und Infrastruktur stabil
finanzieren. Die Maut ist dazu das geeignetste Steuerungssystem. Die Eurovignetten-Richtlinie ermöglicht uns, Mautsysteme auf kleinere Fahrzeugklassen im
gewerblichen Güterverkehr auszuweiten, und fordert zugleich, dass dies mit einer CO2-Komponente geschieht. Wir entsprechen mit dem, was wir heute vorlegen, und
dem, was im kommenden Jahr folgt, den EU-Vorgaben und dem letzten Wegekostengutachten. Die Lkw-Maut muss sich an den tatsächlichen Kosten der Verkehrswege
orientieren und die Kosten für Luftverschmutzung und Lärmbelastung abbilden. Auch das möchte ich hier noch mal betonen.
Mit den neuen Sätzen wird jetzt ein zusätzlicher Anreiz geschaffen, möglichst emissionsarme Nutzfahrzeuge einzusetzen. Als nächste Maßnahme kommt dann
die CO2-Differenzierung, und wir werden die kleineren Nutzfahrzeuge ab 3,5 Tonnen in die Mautpflicht aufnehmen. Diese Schritte werden 2023 abschließend beraten
und, soweit technisch möglich, zum 1. Januar 2024 wirksam werden. Und wir müssen noch darüber diskutieren, ob die Fahrzeuge ab 2,5 Tonnen auch noch mit in die
Klassen genommen werden.
Auf jeden Fall kann sich die Wirtschaft, können sich die Unternehmen in dem Bereich weiterhin auf eine planbare, verlässliche Politik dieser Koalition
verlassen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Für die AfD-Fraktion hat das Wort Dirk Brandes.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Schiefner, Sie sprechen von Luftnummern. Das sollte man nicht tun, wenn
man Teil der Ampel ist.
({0})
Denn die Ampel betreibt die dümmste Energiepolitik der Welt. Das ist hinreichend attestiert.
Deutsche Transportunternehmen und Bürger kämpfen mit gigantischen Preissprüngen und einer unsicheren Versorgungslage bei AdBlue. Sie sollten die
Chance als Bundesregierung nutzen und für, nicht gegen Unternehmen agieren.
Das neue Wegekostengutachten weist niedrige Mautteilsätze für die meisten Fahrzeuge auf. Sie könnten also flächendeckend entlasten, wenn Sie es denn
wollten, so wie die AfD es in ihrem Antrag auch fordert.
({1})
Mit Ihrem Gesetzespaket wollen Sie stattdessen den Unternehmen weitere zusätzliche Belastungen auferlegen.
Der BGL schreibt in seiner Stellungnahme – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin –, dass „die vorgesehenen Mauterhöhungen die ohnehin kaum
spürbaren Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung“ konterkarieren. Und:
Die Bundesregierung macht die mittelständische Transportwirtschaft … zum Spielball ihrer Politik!
Genauso ist es.
Mit diesem Entwurf wollen Sie in einem ersten Schritt die Sätze für Lärmbelastungs- und Luftverschmutzungskosten massiv erhöhen. Letztere werden für
modernste, saubere Euro-6-Fahrzeuge bis doppelt so teuer. Lärmbelastungskosten sollen bis um das Achtfache steigen. Sie toppen wieder einmal die EU-Vorgaben um
das Vierfache.
Damit nicht genug, gehen Ihre Planungen aber noch weiter: Mautausdehnung auf leichte Lkw ab 3,5 Tonnen. Herr Schiefner, Sie haben jetzt eben schon
offiziell angekündigt, die Maut auch auf Lkw ab 2,5 Tonnen ausweiten zu wollen.
({2})
Hinzu kommt ein Mautzuschlag für den CO2-Ausstoß.
Zu meinem Bedauern, liebe Kollegen von der Union, muss ich, wenn ich Ihren Entschließungsantrag lese, feststellen, dass Sie ja im Grunde auch die Maut
erhöhen wollen, aber eben nur ein Jahr später. Wer also CDU wählt, bekommt auch grüne Politik, nur halt mit zeitlicher Verzögerung.
({3})
Jetzt wollen Sie zusätzliche Mauteinnahmen nicht nur für die Straßensanierung nutzen, sondern auch für Ihre Klimaideologie.
({4})
Was bedeutet das? Geht es nach unseren Kaviarsozialisten, finanziert der Lkw-Fahrer mit der Maut auch das 49‑Euro-Ticket für den Berliner
Berufsaktivisten. Der bedankt sich und klebt sich freitags mit Lösungsmitteln benebelt vor ihnen auf die Straße, meine Damen und Herren.
({5})
Das Spiel der „Grünen Armee Fraktion“ spielt die AfD nicht mit.
({6})
Wir fordern weiterhin massive Entlastungen des Mittelstands.
Eines möchte ich auch noch loswerden: Normalerweise regeln Ampeln den Verkehr und verhindern Unfälle. In der bundesdeutschen Politik verhindert die
Ampel den reibungslosen Güterverkehr, meine Damen und Herren. Sie hier sind der Unfall.
Vielen Dank.
({7})
Jetzt ist es gleich 13.50 Uhr, und ich frage: Gibt es ein Mitglied des Hauses, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist der Fall. Dann
bitte ich, dass Sie das jetzt noch tun.
Der nächste Redner ist Matthias Gastel für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Keine Frage: Die Logistikbranche ist verunsichert – Corona, unterbrochene
Logistikketten, die Entwicklung der Kraftstoffpreise, Personalmangel und vieles mehr. Umso wichtiger ist es, dass wir auch in Sachen Weiterentwicklung der
Lkw-Maut für Klarheit sorgen.
Genau das tun wir. Wir haben das mit dem Koalitionsvertrag getan, in dem wir festgelegt haben, dass es eine CO2-Differenzierung und einen
CO2-Aufschlag geben wird, in dem wir festgehalten haben, dass es die Ausweitung der Maut auf Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen geben wird, und in dem wir auch Aussagen
über die Verwendung der Mehreinnahmen getroffen haben.
Und wir haben uns in der Koalition auf eine weitere Konkretisierung dieser Aussagen verständigt, nämlich die, dass ab dem 1. Januar nächsten Jahres
die Anpassung an die EU-Wegekostenrichtlinie erfolgt; da geht es um die Straßenbenutzung, genauer gesagt auch um die Straßenabnutzung, und es geht um die
Luftverschmutzung sowie um den Faktor Lärm. Ein Jahr später, im Januar 2024, kommt dann der zweite Schritt mit einer CO2-Differenzierung und dem CO2-Aufschlag
sowie der Ausweitung auf Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen. Und wir haben uns darauf verständigt, dass die Mehreinnahmen auch den Verkehrsträgern Schiene und Wasserwege
zugutekommen.
({0})
Das ist besonders wichtig; denn gerade die Wasserwege und die Schienenwege sind seit Jahrzehnten deutlich unterfinanziert.
({1})
Damit werden wir Schluss machen. Es wäre ja wirklich absurd, wenn Mehreinnahmen, die aus der Umweltbelastung resultieren, in noch mehr Straßenbau
flössen, um dann die Probleme, aufgrund deren diese Einnahmen gewonnen werden, noch größer zu machen, als sie es schon sind.
({2})
Wir sind eine Koalition, die Probleme lösen und kleiner machen und nicht noch größer machen will.
({3})
Wir schaffen also im Bereich Lkw-Verkehr und im Bereich Logistik wichtige Impulse dafür, dass man die Antriebswende voranbringt, auf alternative
Antriebe umstellt, aber auch Güterverkehre, so gut es geht, auf die Schiene verlagert. Das ist wichtig für das Erreichen von Klimazielen im Verkehrssektor. Da
hinken wir gewaltig hinterher, und deswegen besteht gerade im Bereich Güterverkehr enormer Handlungsbedarf, um Klimaziele erreichen zu können.
({4})
Unser Wunsch ist, dass wir dieses Vorhaben weiter konkretisieren – und zwar möglichst schnell, nicht erst Ende 2023, sondern in den nächsten Wochen
und Monaten –, damit die Logistikbranche noch genauer weiß, was auf sie zukommt, und damit sie Planungs- und Investitionssicherheit hat.
Wenn wir das alles geklärt haben, dann gibt es immer noch weiteren Handlungsbedarf. Ich denke hier beispielsweise an die Arbeitsbedingungen im
Lkw-Gewerbe. Ich war mit Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion in der vorletzten Woche an einer Autobahnraststätte und habe dort mit Lkw-Fahrenden aus
Osteuropa gesprochen,
({5})
um deren Arbeitsbedingungen zu ergründen. Da ist noch einmal deutlich geworden, dass wir auch hier für Fairness sorgen müssen – für faire Arbeit, aber
auch für fairen Wettbewerb mit der Schiene. Das ist uns als Grünen ebenso wichtig wie die Reform der Lkw-Maut.
({6})
Völlig klar ist – bei all dem, was wir in Sachen Lkw-Maut und Notwendigkeiten der Verlagerung von Verkehr auf die Schiene diskutieren –: Der Lkw hat
in der Logistik einen Marktanteil von 74 Prozent.
({7})
Das kann man nicht wegdiskutieren. Wir werden da auch nicht auf null kommen. Der Lkw wird auch in Zukunft seine Berechtigung haben. Aber er darf eben
nicht mehr die Schäden verursachen, die er heute verursacht. Genau das werden wir angehen; genau dafür haben wir jetzt den Weg aufgezeigt.
Mit der Mautreform in zwei Schritten schaffen wir für die Logistik Klarheit für zukünftige Investitionen und für Konzepte, wie Logistik entsprechend
zu organisieren ist, und wir schaffen klare Impulse für das Erreichen von Klimaschutz auch im Güterverkehr. Dort ist es sehr schwierig; aber dort muss man es
umso energischer angehen, damit wir Klimaziele im Verkehrsbereich erreichen können.
({8})
Ich gehe davon aus, dass alle ihre Stimmkarten in die Urnen eingeworfen haben. – Damit schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer um Auszählung. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.
Wir fahren in der Debatte fort. Für die Linken hat Thomas Lutze das Wort.
({0})
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu unserer Arbeit hier im Parlament gehört auch die Arbeit im Wahlkreis. Und dazu
gehört es natürlich auch, dass man regelmäßig Unternehmen in seinem Wahlkreis besucht und sich die Sorgen und Nöte der Betroffenen vor Ort anhört. So habe ich
im Frühjahr dieses Jahres unter anderem auch eine Spedition im saarländischen Riegelsberg besucht, die aufgrund der Energiepreiskrise erhebliche Schwierigkeiten
hat. Und obwohl ich schon ein paar Jahre hier im Verkehrsausschuss und auch im Wirtschaftsausschuss des Bundestages dabei bin, hätte ich mir nicht vorstellen
können, wie lang der Katalog schwieriger Anforderungen für solche meist sehr kleinen Unternehmen ist und wie viel sie auf dem Schirm haben müssen, um am Markt
und an der Wirtschaft teilnehmen und ihre Leute ordentlich bezahlen zu können.
({0})
Da sage ich mal: Chapeau! Hut ab!
({1})
Wenn Sie jetzt die Lkw-Maut ausweiten und auch erhöhen, dann denken Sie bitte daran, dass es Branchen und vor allem kleine und mittelständische
Unternehmen gibt, für die jede Veränderung der Rahmenbedingungen das Aus bedeuten könnte. Das liegt nicht an dieser einen speziellen Maßnahme, sondern es liegt
an der Vielzahl von Faktoren, die für diese Unternehmen das Wirtschaften möglicherweise nicht mehr rentabel macht.
Wir brauchen – das ist richtig – Streckenabgaben, um die genutzte Infrastruktur instand zu halten. Gerade die Brücken sind im Straßenbau besonders
teuer; hier geht es schnell in die Millionen. Deswegen brauchen wir hier eine Maut und möglicherweise auch eine höhere Maut. Aber: Das von mir besuchte
Unternehmen im saarländischen Riegelsberg gibt es leider nicht mehr. Der Inhaber hat es abgemeldet, nachdem er über viele Monate nur rote Zahlen geschrieben hat
und ein großer Teil seiner über Jahrzehnte angesparten Rücklagen aufgebraucht war. Denen, die noch nicht aufgegeben haben, müssen Sie sehr genau erklären, warum
eine Erhöhung der Lkw-Maut unverzichtbar ist, und Sie müssen dieser Branche und den kleinen und mittleren Unternehmen viel direkter finanziell helfen.
({2})
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Diese Unternehmen haben kein Problem damit, die Lkw-Maut zu zahlen, weil sie ja schließlich auch von allen Mitbewerbern gezahlt wird. Diese
Unternehmen haben aber nach wie vor ganz massive Probleme, –
Herr Lutze, letzter Satz.
– die Auswirkungen der Energiepreiskrise in den Griff zu bekommen. Dabei helfen nicht warme Worte; dafür braucht es Taten, vor allen Dingen
Geld.
Vielen Dank.
({0})
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Henning Rehbaum das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Wissing, Sie haben gerade zu Recht gesagt, dass wir Geld in den Erhalt von
Autobahnbrücken stecken müssen. Was Sie vergessen haben, ist das, was Herr Kollege Gastel dann nachgeschoben hat: Die durch die Mauterhöhung erzielten Einnahmen
sollen gar nicht in die Autobahnbrücken gesteckt werden, sondern in andere Verkehrsträger. Und darüber sind die Spediteure zu Recht sauer.
({0})
Zu seinem 75-jährigen Bestehen war ich in der letzten Woche mit dem Kollegen Schiefner beim Speditionsverband Westfalen-Lippe zu Gast. Die Unternehmen
haben Klartext gesprochen. Die Speditionen stehen unter großem Druck. Täglich kämpfen sie mit Preissteigerungen bei Treibstoff, AdBlue, Personal und Material;
Lieferketten sind unterbrochen. Den Speditionen steht das Wasser bis zum Hals. Gerade jetzt kommt die Ampel mit einer saftigen Mauterhöhung um die Ecke, und das
auch noch auf den letzten Drücker.
({1})
Es ist richtig: Der Infrastrukturanteil der Maut muss regelmäßig angepasst werden; das ist gesetzlich vorgegeben. Aber diese zusätzliche Mauterhöhung
kommt angesichts der existenziellen Probleme der Branche absolut zur Unzeit. Eine Erhöhung des anteiligen Mautsatzes für Lärm- und Luftverschmutzung um bis zu
700 Prozent, meine Damen und Herren, ist doch etwas unverhältnismäßig. Da geht es nicht um Peanuts: Auf einer Fahrt von Hamburg nach München und zurück sind das
ab dem 1. Januar 2023 bei einem Euro-5-Lkw, einem 40-Tonner mit vier Achsen, gegenüber Januar 2021 Mehrkosten von mehr als 300 Euro für Maut und Diesel.
Die Grünen glauben ja: Je höher die Maut, desto mehr Güter gehen auf die Schiene. Das Problem ist: Die Schiene ist doch spätestens seit Beginn der
Kohletransporte voll.
({2})
Personenzüge müssen schon jetzt rechts ranfahren und warten, neue Schienenstrecken werden von grünen NGOs und Aktivisten bitter bekämpft, und die
Ampel kürzt den Haushalt für die Schiene in diesem Jahr um 775 Millionen Euro.
({3})
Die Bürger fragen sich: Wenn ein grüner Minister Habeck Terminals für fossiles Fracking-Gas in wenigen Monaten durchpeitschen kann, wieso geht das
nicht beim Ausbau der Schiene?
Lieber Herr Rehbaum, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schiefner?
Nein, danke.
({0})
– Das machen wir später, Udo.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um etwas mehr Realismus in der Debatte. Der Lkw wird weiterhin die große Rolle im Gütertransport spielen.
Die Ampel hat das Ziel der Union – 25 Prozent Marktanteil des Güterverkehrs auf der Schiene – übernommen; das ist richtig. Damit bleibt aber weiterhin ein
Marktanteil des straßengebundenen Güterverkehrs von 65 Prozent, und das darf man nicht ignorieren. Diese Branche braucht die volle Unterstützung auch der
Ampel.
({2})
In der jetzigen Lage bleibt den Unternehmen gar nichts anderes übrig, als die Mauterhöhung der Ampel eins zu eins an die Endverbraucher weiterzugeben,
und das ist schon schwer genug. Jeder Euro der Mauterhöhung der Ampel wird von den Kunden im Supermarkt bezahlt. Das sind ungefähr 540 Millionen Euro;
umgerechnet auf jeden Bundesbürger – vom Baby bis zum Greis – sind das 7 Euro.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Meine Bitte an die Ampel: Ziehen Sie die staatlichen Daumenschrauben nicht noch weiter an! Geben Sie den Spediteuren, den Mittelständlern und den
Bürgern in diesen schwierigen Zeiten eine Atempause.
Letzter Satz, bitte, Herr Rehbaum.
Letzter Satz. – Werden Sie sich einig in der Ampel, was Sie wollen: Wollen Sie den Lkw verteufeln, oder wollen Sie die Sorgen der Spediteure ernst
nehmen?
({0})
Herr Schiefner, ich muss noch mal nachfragen, weil Sie persönlich angesprochen wurden: Möchten Sie eine Kurzintervention machen oder eine
persönliche Erklärung abgeben?
({0})
– Eine Kurzintervention. Dann erteile ich Ihnen jetzt gern das Wort.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte noch auf einige Punkte hinweisen.
Erstens. Die Anpassung der Mautsätze basiert auf gesetzlichen Vorgaben, insbesondere auf Europarecht. Bevor da ein falscher Eindruck entsteht.
Zweitens. Die Maut ist in der Regel ein durchlaufender Posten, den die Speditionen an ihre Kunden weitergeben.
Drittens möchte ich feststellen, dass es unterschiedliche Haltungen dazu gibt. Ein Speditionsverband hat sogar erklärt, dass er es bedauern würde,
wenn die Maut nicht zum 1. Januar 2023 käme; denn das sei bei den Kunden, also der verladenden Industrie, bereits eingepreist.
Und viertens ist es nicht richtig, dass bei dieser Umsetzung die Mittel schon in diesem Haushaltsjahr weitgehend nicht in die Straße, sondern in
andere Bereiche fließen. Vielmehr wird die Maut weiterentwickelt, und die Einnahmen werden dann ab 2024 für den ganzen Mobilitätsbereich eingesetzt: Schiene,
Straße, Wasserstraße. Um das mal ganz deutlich zu sagen.
({0})
Herr Rehbaum, bei einer Kurzintervention haben Sie die Möglichkeit zur Antwort.
Lieber Kollege Udo Schiefner, vielen Dank für diese Klarstellung. Das bestätigt mich absolut in dem, was ich gerade gesagt habe: Die Mehreinnahmen
der Maut – das sind weit mehr als eine halbe Milliarde Euro – werden in Zukunft nicht in die Straße fließen, dort, wo sie durch die Lkws und die Pkws
entstehen,
({0})
sondern in die anderen Verkehrsträger. Ich glaube, da muss sich die Ampel ehrlich machen.
Eine Erfahrung, die wir beide in der letzten Woche auf dem Podium beim Speditionsverband gemacht haben, war: Es gibt großen Unmut darüber, dass die
Speditionen diese Maut jetzt bezahlen müssen. Innerhalb von 30 Tagen wird dieses Gesetz in Kraft treten. In 30 Tagen schafft man es nicht, das an seine Kunden
weiterzugeben. Die Speditionen werden in große Schwierigkeiten kommen.
Dass dieses Geld in Zukunft nicht mal für die Autobahn verwendet wird,
({1})
sondern für andere Verkehrsträger – in Bereichen, wo die Ampel zurzeit die Mittel kürzt –, ist schon ein Unding. Ich denke, Sie haben das gerade sehr
klar und deutlich gemacht.
Vielen Dank.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es heißt ja immer: Jugend ist schön, unbeschwert. Doch in diesen Tagen? Die jungen
Menschen haben in der Coronapandemie auf viel verzichten müssen, jetzt der Krieg mit seinen Folgen. Nein, früher war nicht alles besser, aber wer in diesen
Zeiten seine Jugend erlebt, der hat es nicht so leicht. Umso wichtiger, dass wir immer auch an die junge Generation denken beim Bewältigen der Krise, dass wir
sie nicht alleine lassen. Dazu ist dieser Gesetzentwurf da.
({0})
Die Energiepreispauschale ist da, für Studierende, für Fachschülerinnen und Fachschüler: 200 Euro, die die steigenden Kosten abfedern, 200 Euro, die
das Leben ein Stück leichter machen, 200 Euro, die ein Stück mehr Freiheit bringen. Fachschülerinnen und Fachschüler, sie sollen sich auf ihre Ausbildung
konzentrieren, mehr konzentrieren als auf ihre Heizkosten, Studierende sollen sich lieber über die Hausarbeit den Kopf zerbrechen als über ihre Stromrechnung.
Das ist mein Ziel als Bundesbildungsministerin.
({1})
Was sieht der Gesetzentwurf konkret vor? Anspruch haben alle, die an einer Hochschule in Deutschland immatrikuliert sind. Stichtag ist der 1. Dezember
2022. Das gilt auch für Studierende aus anderen Ländern, die in Deutschland leben. Fachschülerinnen und Fachschüler sind ebenfalls berechtigt, auch
Berufsfachschülerinnen und ‑schüler, die einen mindestens zweijährigen Bildungsgang absolvieren mit berufsqualifizierendem Abschluss. Insgesamt sind das fast
3,5 Millionen junge Menschen – in allen Bundesländern, an zahlreichen Hochschulen und Ausbildungsstätten. Sie können einen Antrag stellen und das Geld erhalten.
Das hat es in dieser Dimension noch nicht gegeben.
({2})
Um die Dimension auch einmal klar zu machen, weil es ja sehr oft mit den Studienkrediten der KfW und deren Auszahlungswegen verglichen wird: Damals
waren es 181 000 Antragsteller, wir reden hier über 3,5 Millionen Anträge in kurzer Zeit. Und deswegen haben wir auch keine Blaupause. Ja klar, man wünscht
sich: Knopf drücken und das Geld ist auf den Konten. Weil ich ja weiß, was von der Opposition kommt:
({3})
Sie haben die Regierungsbank verlassen und eine Hypothek hinterlassen.
({4})
Ich suche noch heute die von Minister Altmaier versprochene digitale bürgerfreundlichste Verwaltung Europas. Fehlanzeige! Bei der Digitalisierung
haben wir riesigen Aufholbedarf, meine Damen und Herren.
({5})
Wir haben viele Hochschulen, viele Fachschulen, aber es gibt kein bundesweites Verzeichnis mit den notwendigen Daten.
({6})
– Hören Sie doch mal zu, damit die jungen Menschen wissen, was auf sie zukommt. –
({7})
Es wird eine Onlineplattform geben, auf der man das Geld beantragen kann.
({8})
Wir arbeiten mit Hochdruck daran. Die Länder sind eingebunden; denn ohne sie geht es nicht. Und alle haben ein Ziel: dass es möglich wird.
Sachsen-Anhalt steht bereit, besondere Verantwortung zu übernehmen, seine Expertise einzubringen von BAföG Digital. Ich bin zuversichtlich, dass die Plattform
spätestens Anfang 2023 freigeschaltet wird.
({9})
Unser Ziel ist: am Ende des Winters.
({10})
Da kommen die Heizkostenabrechnungen. Da müssen die 200 Euro auf den Konten sein.
({11})
Meine Damen und Herren, BAföG-Empfänger erhalten zusätzlich mehr Geld durch unsere BAföG-Reform und die zwei Heizkostenzuschüsse. Wir haben dafür
gesorgt, dass die Schulen warm bleiben, dass die Hochschulen ihre Stromrechnung bezahlen können – weil uns die jungen Menschen wichtig sind, weil wir wollen,
dass sie wieder etwas unbeschwerter leben können, lernen können, ihre Talente entfalten können. Davon profitieren wir übrigens alle. Ihre Interessen sind unsere
Interessen. Wir vergessen das nicht.
({12})
Für die CDU/CSU-Fraktion erteile ich das Wort der Kollegin Daniela Ludwig.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, im ersten Moment ist man geneigt, sich zu freuen über diesen Gesetzentwurf und über die
Tatsache, dass nun Studentinnen und Studenten sowie Fachschülerinnen und Fachschüler 200 Euro Energiepreispauschale bekommen sollen. Auf den zweiten Blick
gefriert einem allerdings das Lächeln und die Freude im Gesicht. Warum? Ihre Ankündigung ist vom September, jetzt haben wir November.
Wir haben gerade die Rede der Ministerin gehört und versuchen verzweifelt, zwischen den Zeilen zu hören, wer denn nun die Plattform, auf der man den
Antrag auf die 200 Euro stellen kann, eigentlich erstellt, verantwortet und betreibt. Frau Ministerin, das mit der Expertise von Sachsen-Anhalt klingt gut, aber
es ist nicht die Antwort auf die Frage: Wer soll es machen? Wir sagen ganz klar: Natürlich muss es der Bund machen. Es ist peinlich, dass Sie sich nur mit einem
Verweis auf die Expertise von Sachsen-Anhalt hier in die Debatte schleichen, ganz ehrlich.
({0})
Deswegen: Wir wissen nicht, wer es macht.
({1})
Wir wissen nicht, wie es gemacht werden soll, wie die Antragsstellung laufen soll, digital oder nicht digital.
({2})
Wir bekommen nur einen hohlen Gesetzentwurf vorgelegt. Die Länder werden nach ihrem eigenen Bekunden nicht eingebunden, sollen aber dann die
Verwaltungskosten tragen für ein Instrument, dessen Gelder der Bund gerne ausschütten möchte.
({3})
Wir sagen: Alles falsch! Sie haben seit September Zeit gehabt, das umzusetzen. Seit September ist nichts passiert außer Tiefschlaf im Ministerium. Das
ist peinlich,
({4})
peinlich genug auch deswegen, weil Sie ja die Studierenden am Anfang komplett vergessen hatten, übrigens neben den Rentnerinnen und Rentnern.
({5})
Deswegen sagen wir ganz klar: Die Plattform muss der Bund machen, und zwar zügigst. Dafür hatte er Zeit genug. Die Verwaltungskosten muss ebenfalls
der Bund übernehmen. Dann können wir miteinander darüber reden, ob das Instrument funktioniert oder nicht.
Vielen herzlichen Dank.
({6})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Dr. Lina Seitzl.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Tribünen und darüber hinaus! Ich denke, wir
sollten uns noch einmal klarmachen, worum es geht. Es geht darum, junge Menschen in Ausbildung zu unterstützen, und nicht darum, dass sich Bund und Länder, dass
sich Opposition und Regierung darüber streiten, wer wie wann welches Verwaltungsverfahren durchführt. Darum geht es nicht.
Es ist gut, dass wir außerplanmäßig mitten in der Haushaltswoche über den Gesetzentwurf zu dieser Einmalzahlung sprechen; denn damit legen wir die
Rechtsgrundlage für die Entlastungszahlungen für rund 3 Millionen Studierende und für fast eine halbe Million Fachschülerinnen und Fachschüler.
Anspruchsberechtigt sind also alle an einer deutschen Hochschule Immatrikulierten, also auch Teilzeitstudierende, ausländische Studierende und auch
Promovierende, wenn sie in einem Promotionsstudiengang eingeschrieben sind. Anspruchsberechtigt sind darüber hinaus auch Schülerinnen und Schüler in Fachschul-
und Berufsfachschulklassen, also zum Beispiel Erzieherinnen und Erzieher, die derzeit ihre schulische Ausbildung absolvieren.
({0})
Es ist richtig, dass wir diese Entlastung von 200 Euro jetzt beschließen. Warum? Sie betrifft Zielgruppen, die infolge der stark gestiegenen Energie-
und Lebensmittelpreise in besonderem Maße von Armut bedroht sind. Wir haben bereits viel gemacht: Wir haben hier zwei BAföG-Novellen debattiert und
verabschiedet; wir haben die Heizkostenzuschüsse I und II für BAföG-Empfängerinnen und -Empfänger geöffnet; wir haben die Minijobgrenze und den Mindestlohn
erhöht; wir haben uns auf die Einführung des 49‑Euro-Tickets geeinigt, das die teureren Studi-Tickets ersetzen wird; und wir haben ein Bund-Länder-Programm
„Junges Wohnen“ aufgelegt. Aber die Studierenden fordern zu Recht Einmalzahlungen. Da legen wir jetzt nach. Dabei ist es wichtig, dass diese Einmalzahlung nicht
nur an Studierende geht, sondern auch an Auszubildende. Deshalb sind Fachschülerinnen und Fachschüler ebenfalls antragsberechtigt.
({1})
Ich möchte aber hier in dieser Debatte nicht verhehlen, dass wir uns als SPD-Bundestagsfraktion natürlich gewünscht hätten, dass dieses Gesetz schon
früher verabschiedet worden und die Auszahlung bereits im Herbst gelaufen wäre.
({2})
Aber, Frau Ludwig, das Verfahren ist eben nicht trivial.
({3})
Wir haben eben keine Liste aller Studierenden und erst recht nicht aller Fachschülerinnen und Fachschüler mit Immatrikulationsbescheinigung und
Kontodaten. Das haben wir nicht, und das wissen Sie auch. Es ist billig, das einzufordern.
({4})
Natürlich waren wir in den letzten Wochen nicht untätig. Es ist viel gesprochen worden, es gab Bund-Länder-Gespräche, und letztendlich ist die
Entscheidung jetzt da. Es gibt – das wiederhole ich; das müssten Sie jetzt eigentlich wissen – eine bundesweite digitale Antragsplattform, die den
Verwaltungsaufwand deutlich reduzieren wird.
({5})
Gesetzgeberisch haben wir jetzt alles dafür getan, dass die Anspruchsberechtigten noch in diesem Jahr den Antrag stellen können und dass das Geld
spätestens im Januar auf deren Konto ist.
({6})
Es ist unsere klare Erwartung als SPD-Bundestagsfraktion, dass die Verwaltungsverfahren mit dem parlamentarischen Verfahren Schritt halten. Das heißt:
eine schnelle Bereitstellung der Plattform und eine schnelle Klärung der weiteren offenen Fragen, damit wir hier unbürokratisch und schnell zu einer Auszahlung
kommen. Wir sind es nämlich den jungen Menschen schuldig, ihnen zeitnah und unbürokratisch die versprochene Unterstützungszahlung zukommen zu lassen.
({7})
Wichtig ist jetzt, dass Bund und Länder zu einer schnellen, pragmatischen Lösung bei der Auszahlung kommen. Die gesetzliche Grundlage dafür haben wir
jetzt gelegt.
Vielen Dank.
({8})
Für die AfD-Fraktion hat das Wort Dr. Götz Frömming.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Ministerin, der polnische Komponist Stefan Kisielewski hat mal gesagt: Der Sozialismus ist ein
System, in dem man heroisch Probleme bekämpft, die andere Systeme gar nicht kennen. – Wenn man sich Ihre Politik so anschaut, dann trifft das genau so zu, meine
Damen und Herren.
({0})
Heute titelt das „Handelsblatt“: Die Stadtwerke verdoppeln ihre Preise für Strom und Gas. – Verdoppeln! Was sind die Ursachen? „Der Krieg in der
Ukraine“ werden Sie sagen, „höhere Beschaffungskosten“. Das erklärt es aber nur zum Teil.
Verbraucherschützer und Ökonomen kommen zu einem anderen Ergebnis: Es sind die planwirtschaftlichen Eingriffe der Bundesregierung, die Strom und Gas
teurer machen, als sie sein müssten. Die sogenannte Strom- und Gaspreisbremse macht in Wahrheit genau das Gegenteil von dem, was sie sollte: Die Preise werden
nicht gebremst, sondern befeuert.
({1})
Nun werden Sie sagen: Ist ja egal! Denn die Kosten für die Verbraucher sind ja auf 40 Cent bei Strom, 12 Cent bei Gas gedeckelt. – Das gilt aber nur
für 80 Prozent des Verbrauchs. Außerdem muss man doch fragen: Wer zahlt denn den Rest dieses Deckels? Sind das Herr Scholz, Herr Lindner, Herr Habeck?
({2})
Nein, das zahlen auch wieder die Verbraucher und die Steuerzahler, die hier die Dummen sind. Das, was Sie uns hier heute wieder als soziale Politik
verkaufen wollen, ist in Wahrheit das Gegenteil: Es ist asoziale Politik, meine Damen und Herren.
({3})
Die Profiteure sind Unternehmen und Versorger, in deren Aufsichtsräten Sie sitzen, nicht wir.
({4})
Jetzt also 200 Euro als einmaliger Heizkostenzuschuss für alle Studenten. Einige haben ja schon einen Zuschuss bekommen: diejenigen, die Minijobs
haben.
({5})
Meine Damen und Herren, was ist das für eine erbärmliche Flickschusterei! Wie weit soll man denn damit kommen? Und wann kommt das überhaupt? Noch
nicht mal die Onlineplattform steht; wir haben es eben gehört. Wenn Sachsen-Anhalt hier nicht einspringen würde! Der Bund kann es offenbar nicht selbst.
Mein Vorschlag lautet: Verzichten Sie doch einfach mal auf den Protzbau für Olaf Scholz!
({6})
600 bis 900 Millionen Euro soll der kosten. Dann könnten wir diesen Zuschlag sofort um 300 Euro auf 500 Euro erhöhen. Das wäre doch mal was!
({7})
Aber letztlich geht das alles natürlich an der eigentlichen Problematik vorbei. Die Aufgabe einer wirklich verantwortlich handelnden Bundesregierung
ist es doch nicht, vor Weihnachten nach Gutsherrenart Almosen zu verteilen. Ihre Aufgabe wäre es, für bezahlbare Energie zu sorgen und unsere Währung stabil zu
halten. Dann wäre uns allen gedient. Genau daran werden wir Sie auch messen.
({8})
Frau Ministerin, liebe Bundesregierung, machen Sie endlich Ihre Hausaufgaben! Es ist höchste Zeit.
Vielen Dank.
({9})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Laura Kraft.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Da muss ich direkt mal was sagen: Dass die Union hier jetzt wieder aufmuckt und
rummeckert – –
({0})
– Ja, Sie meckern gerade hier rum und haben an allem was auszusetzen. Nur davon, dass Sie hier ständig etwas Falsches erzählen und das immer
wiederholen, wird es nicht wahrer.
({1})
Denn Sie behaupten bei jeder Debatte zu diesem Thema, dass diese Koalition die Studierenden vergessen hätte.
({2})
– Hat sie nicht. Das stimmt de facto nicht.
({3})
Wir haben die Studierenden sehr schnell mit in den Blick genommen.
Ich habe es das letzte Mal bei Ihrem Quatschantrag gemacht – erinnern Sie sich noch an den? –, und ich werde es jetzt wieder machen: Ich werde Ihnen
beim Denken helfen und Ihnen noch mal auflisten, was wir schon alles gemacht haben, wo wir Studierende mit entlasten.
({4})
Nicht direkt, aber wir entlasten sie zum Beispiel auch mit den beiden BAföG-Novellen, die wir auf den Weg gebracht haben, indem wir die BAföG-Sätze
erhöht haben.
({5})
Das hat dafür gesorgt, dass schon zum Wintersemester mehr junge Menschen vom BAföG profitieren können, anspruchsberechtigt sind und dass die
Bedarfssätze gestiegen sind.
({6})
Wir haben eine Kindergelderhöhung, zwei Heizkostenzuschüsse, die Anhebung der Minijobgrenze, den Wegfall der EEG-Umlage und die Energiepauschale für
Erwerbstätige – davon haben je nach Fall auch Studierende profitiert –, eine Wohngeldreform und das 9‑Euro-Ticket auf den Weg gebracht. Von dem 9‑Euro-Ticket
haben auch Studierende profitiert.
({7})
Jetzt kommt die Einmalzahlung, die wichtig und richtig ist, die wir jetzt in dieser Zeit brauchen. Denn ich weiß, wie schwer es gerade auch
Studierende haben. Ja, das ist eine Gruppe, die wir noch stärker entlasten müssen. Es ist richtig, dass wir für alle Studierenden – das haben Sie in der
Pandemie nämlich nicht geschafft –, für diese Gruppe von 3,5 Millionen Antragsberechtigten, eine Einmalzahlung auf den Weg bringen und jetzt auch umsetzen.
({8})
Dazu gehören auch internationale Studierende, dazu gehören auch Promotionsstudierende, Fachschülerinnen und Fachschüler.
({9})
Das ist alles mit drin. Das ist wichtig. Und es ist auch richtig und wichtig, dass das Ganze jetzt noch vor Weihnachten in Kraft tritt, also noch
dieses Jahr.
({10})
Denn die Jahresabrechnungen kommen. Dafür muss das Geld vorher auf dem Konto sein. Das hat auch die Frau Ministerin noch mal erklärt.
({11})
– Nein, darum geht es überhaupt nicht.
Es geht letzten Endes darum, dass wir in der Breite entlasten. Es geht auch gar nicht nur um die Preise für Strom und Gas. Da müssen wir natürlich
auch weiterdenken. Wir wissen nicht, wie sich die Krise noch verschärfen wird.
({12})
Ich möchte gerne noch auf ein Thema aufmerksam machen: Die Lebensmittelpreise sind natürlich auch gestiegen, um mehr als 18 Prozent. Die Preise in den
Hochschulmensen sind auch um über 20 Prozent gestiegen. Da müssen wir mehr machen, und auch beim studentischen Wohnen müssen wir mehr machen. Das dürfen wir
nicht aus dem Blick verlieren.
({13})
Aber ich glaube, jetzt mit dieser Einmalzahlung entlasten wir wirklich in der Breite. Damit helfen wir allen Studierenden.
Die Kollegin Seitzl hat noch mal erklärt, wie es funktioniert. Wenn Sie das immer noch nicht verstanden haben, obwohl wir auch im Ausschuss schon
tausendmal erklärt haben, wie das mit dem Antragstool laufen wird – und natürlich ist das auch mit den Ländern abgesprochen –, dann kann man Ihnen auch nicht
weiterhelfen.
({14})
Dann müssen Sie einfach mal besser zuhören. Oder vielleicht wollen Sie es auch nicht verstehen.
({15})
Ich bin jedenfalls froh, dass diese Koalition die Entlastungen auf den Weg gebracht hat. Ich danke auch der Ministerin. Sie haben noch mal deutlich
gemacht: Die Ampel wirkt. Die Ampel ist für die Studierenden da und hat niemanden vergessen – im Gegensatz zu Ihnen in der Pandemie.
({16})
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin Dr. Petra Sitte.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, ja, Frau Kollegin, kam das Leben daher und war doch anders. – Die Energiepreise sind gewaltig
gestiegen, ganz klar. Heizung, Strom und Lebensunterhalt haben ins Kontor geschlagen. Die Inflation wird dieses Jahr bei 8 bis 10 Prozent liegen. Bei einem
durchschnittlichen studentischen Einkommen von circa 11 000 Euro pro Jahr sind das nahezu 1 000 Euro. 1 000 Euro! Junge Menschen brauchen jetzt Hilfe, sie
brauchen mehr Hilfe!
Wir haben seit Monaten Vorschläge dazu gemacht. Jetzt werden langfristige Lösungen gebraucht. Manche Studierendenwerke haben die Mieten in ihren
Wohnheimen um 60 Euro pro Monat erhöht bzw. mussten sie erhöhen. 60 Euro! Das allein sind im Jahr 720 Euro. Also, kommen Sie mir nicht mit den 200 Euro!
({0})
Die Koalition schlägt nun diese 200 Euro vor, diesmal für fast alle – Azubis bekommen erst mal nix. Das wird trotzdem nicht reichen. Viele junge
Menschen haben diese 200 Euro – machen wir uns doch nichts vor – längst ausgegeben. Sie mussten sie ausgeben, weil die Stromrechnungen durch die Decke gegangen
sind. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel, wäre es gerade jetzt so gut, wenn wir über eine wirksame und grundlegende BAföG-Reform reden würden
und nicht über Einmalzahlungen.
({1})
Wir brauchen darüber hinaus mehr studentischen Wohnraum, wir brauchen ihn energieeffizient, wir brauchen ihn bezahlbar. Die Studierendenwerke brauchen
natürlich Unterstützung, damit sie die steigenden Preise nicht an Studierende weitergeben müssen.
Meine Damen und Herren, es ist dennoch gut, dass es diese 200 Euro gibt, dass sie auch Fach- und Berufsschülerinnen und ‑schüler bekommen. Aber bitte,
geben Sie endlich mal – das sage ich als Radfahrerin – Druck auf die Pedale, damit wir mit der technischen Umsetzung bald über den Berg kommen.
Danke.
({2})
Der nächste Redner ist Stefan Seidler.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Moin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Vertreter einer Grenzregion möchte ich auf ein ganz konkretes Problem für
grenzpendelnde Studierende aufmerksam machen. Anders als grenzpendelnde Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden Studierende, die einige Kilometer über die
europäische Grenze an ihre Uni pendeln, nach dem vorliegenden Entwurf nicht von der Energiepreispauschale profitieren.
Damit gehen Studierende, die zum Beispiel über die deutsch-französische Grenze an die Uni in Straßburg pendeln, ebenso leer aus wie Studierende aus
Aachen, die zur Uni nach Maastricht fahren. Auch in meiner Heimatregion sind zahlreiche Studierende betroffen, die über die Grenze nach Dänemark pendeln.
Dies ist für eine Generation junger Europäer und Europäerinnen, die eigentlich keine Grenzen in Europa mehr kennen sollte, ein falsches Signal. Unsere
Grenzregionen leben von einem aktiven Austausch, und gerade grenzpendelnde junge Menschen verleihen diesen Regionen und dem europäischen Gedanken eine ganz
besondere Dynamik.
Liebe Ampelfraktionen, liebe Ministerin, das muss doch ein ungewollter Fehler von Ihnen sein. Bessern Sie hier bitte ganz schnell nach.
({0})
Der nächste Redner: für die SPD-Fraktion Oliver Kaczmarek.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn das heute mindestens schon das fünfte Gesetz ist, über das wir beraten – von diesem profitieren
insbesondere Studierende, aber auch Fachschülerinnen und Fachschüler in dieser Situation mit den hohen Preisen –, dann zeigt das doch vor allem eins: Diese
Koalition nimmt die Lebenslage junger Menschen ernst. Wir sind bereit, nachzubessern. Wir lassen sie in dieser Zeit mit hohen Preisen eben nicht alleine,
sondern sie werden – das ist auf dem Kontoauszug nachprüfbar – unterstützt.
({0})
Wir wollen einer Gruppe mit einem hohen Armutsrisiko helfen; mehr als ein Drittel aller Studierenden gelten als armutsgefährdet. Wir tun das auf
zweierlei Art und Weise:
Erstens. Wir schaffen einen Rechtsanspruch. Das heißt, wir verteilen keine Wohltat, sondern wir schaffen im Gesetzblatt einen Anspruch auf
Unterstützung für diejenigen, die es besonders schwer haben jetzt bei hohen Energiekosten.
Zweitens. Ich verstehe die Hinweise aus der Opposition zum Verfahren nicht; denn wir werden ein sehr schlankes Verfahren haben.
({1})
Es bedarf keiner Kontoauszüge als Armutsnachweise, so wie das bei der Überbrückungshilfe in der Coronapandemie beispielsweise noch der Fall war,
sondern es gibt drei Schritte: Online-Antrag stellen, Identitätsprüfung im Hintergrund, dann kommt die Auszahlung.
({2})
Das ist effektiv; das ist rechtsverbindlich; das ist wirksam. Das kommt bei den Leuten am Ende auch tatsächlich an.
({3})
Ich möchte den Hinweis, den meine Kollegin Lina Seitzl schon gemacht hat, an dieser Stelle noch mal aufgreifen: Wir machen jetzt die gesetzliche
Grundlage in sehr hohem Tempo. Wir stellen das Geld in dieser Woche mit dem Haushalt bereit. Die Erwartung an die Bundesregierung ist, dass wir jetzt dazu
kommen, dass die Plattform schnellstens an den Start geht, und dass es Anfang des Jahres zur schnellen Auszahlung an die Studierenden kommt. Das muss unser
ehrgeiziges Ziel sein. Das ist unsere Erwartung.
({4})
Die Einmalzahlung ist ja eingebettet in mehrere Maßnahmen – das ist auch schon von mehreren Rednern vorgetragen worden –: die zwei
Heizkostenzuschüsse, die wir verabschiedet haben, die Energiepreispauschale. An der Stelle noch mal der Hinweis, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union:
Dass Ihr Fraktionsvorsitzender sich gestern hierhinstellte und zum wiederholten Male wahrheitswidrig behauptete, die Studierenden seien bei der
Energiepreispauschale nicht berücksichtigt gewesen, ist ein starkes Stück. Ich gebe Ihnen den Rat: Fragen Sie doch einfach mal Studierende aus Ihren
Wahlkreisen. Die haben nämlich, wenn sie einen Arbeitsvertrag haben,
({5})
im September die Energiepreispauschale bereits überwiesen bekommen.
({6})
Deshalb: Ich weiß nicht, ob Herr Merz nicht Bescheid weiß, ob Sie ihn besser briefen müssen, dann ist das so,
({7})
oder ob er es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt; das kann ja auch sein. Sicher ist aber: Dieser haltlose Unsinn darf sich nicht weiter
verbreiten.
({8})
Er hilft den Studierenden nicht. Es ist haltloser Unsinn!
({9})
Es ist vollkommen richtig, dass wir im Blick behalten, was wir jetzt kurzfristig tun müssen, auch bereit sein müssen, nachzubessern, aber auch das im
Blick behalten, was zu Recht langfristig erforderlich ist. Wir haben die BAföG-Novelle schon in Kraft gesetzt. Wir wollen, dass mehr junge Menschen ihre
Ausbildung durch BAföG abgesichert machen können. Wir haben den Mindestlohn auf 12 Euro erhöht. Das ist für all jene Studierende, die auf eine Nebentätigkeit
angewiesen sind, eine substanzielle Lohnerhöhung gewesen, der die Union übrigens ihre Zustimmung verweigert hat. Das sind Aufgaben, die langfristig vor uns
liegen. Deswegen sage ich: Heizkostenzuschuss I und II, die Einmalzahlung der Energiepreispauschale, BAföG und auch die Mindestlohnerhöhung sind Maßnahmen, die
helfen. Am Ende wird sich das auf dem Kontoauszug nachlesen lassen. Und wenn wir noch mal helfen müssen, werden wir das auch noch mal tun.
Herzlichen Dank.
({10})
Der letzte Redner in der Debatte ist für die Unionsfraktion der Kollege Lars Rohwer.
({0})
Glück auf, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 4. September verkündete die Bundesregierung, dass sie eine Einmalzahlung in
Höhe von 200 Euro für Studentinnen und Studenten vorhat. Es brauchte zwei weitere Monate, bis die Einmalzahlung vom Kabinett beschlossen wurde, und weitere zwei
Monate, bis sie in Kraft treten wird. Es werden aber weitere Monate vergehen, bis sie tatsächlich bei den Studierenden ankommt, weil Sie diese digitale
Plattform, von der Sie gerade gesprochen haben, noch nicht haben.
({0})
Weil Sie, Frau Ministerin Stark-Watzinger, nicht wissen, wie Sie die Studierenden und die Schülerinnen und Schüler der Berufsfachschulen und der
Fachschulen erreichen, schieben Sie diese Herausforderung jetzt an die Länder ab. Mit Ihrem Gesetzentwurf erlassen Sie ein Leistungsgesetz mit einer
Verordnungsermächtigung zur späteren Festlegung des konkreten Verfahrens – zur späteren Festlegung des konkreten Verfahrens! Dieses Vorgehen ist völlig planlos
und entbehrt jeder föderalen Zusammenarbeit.
({1})
Die Länder sind im Moment gerade damit beschäftigt, dafür zu sorgen, dass ab Mitte des Jahres die Sprach-Kitas weiter unterstützt werden,
({2})
weil Sie auch diese Aufgabe an die Länder abdrücken. Sie halftern den Ländern hier eine zusätzliche Aufgabe über und statten sie in keinster Weise
ausreichend aus, diese Aufgabe auch zu bewältigen.
({3})
Auch hier wird Ihnen Ihre Untätigkeit in der Ampel wieder zum Verhängnis. Ihr Koalitionsvertrag formuliert einen umfassenden digitalen Aufbruch. Bis
auf die Formulierung einer großen Digitalisierungsstrategie ist bislang aber nichts geschehen. Wann gedenken Sie denn eigentlich nun mal aufzubrechen? Sie
wissen schon, dass eine Legislaturperiode vier Jahre hat, oder?
Wenn Sie die von Ihnen angedachte Plattform zur Beantragung angebunden haben, steht noch völlig in den Sternen, wann es zu einer Auszahlung kommt. Wir
haben gerade auch noch einmal bei den Kollegen in der FDP nachgefragt.
In der Coronapandemie haben wir Zuschüsse innerhalb von Wochen hinbekommen – in Zusammenarbeit mit den Ländern! Kleiner Tipp: Die Förderbanken unserer
Länder sind dazu in der Lage. Sie müssen das aber mit den Ländern gemeinsam besprechen und nicht einfach sagen: Ihr macht das jetzt.
Wie viel wird den Studierenden von dem Geld denn dann bleiben bei einer Inflation von 10 Prozent, die wir aktuell haben?
({4})
200 Euro, im September 2022 verkündet, sind viel, viel weniger als 200 Euro im kommenden Jahr. Studentinnen und Studenten gehören bekanntlich zur
Bevölkerungsgruppe, die nicht über ein üppiges Geldvermögen verfügt. Sie brauchen das Geld jetzt. Deswegen bitte ich Sie nachdrücklich, schnell zu handeln. Wir
haben hier akuten Nachholbedarf.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Tribünen! Sehr geehrter Herr Minister! Wir kommen in dieser
Debatte nun zum Haushalt des Justizministeriums, oder – wie es auch heißt – des Gesetzgebungsministeriums. Fast alle Redner zum Einzelplan Justiz betonen immer
wieder, dass er mit zuvor knapp unter 1 Milliarde Euro und nun knapp über 1 Milliarde Euro der kleinste Einzelplan ist. Es wird aber auch immer wieder betont,
dass er wegen seiner Aufgaben und der Verantwortung für die Judikative, die dritte Gewalt im Staat, eine besondere Bedeutung hat.
Diese Verantwortung für den Rechtsstaat und seine Kernaufgaben und für die Justiz kann man allerdings nach einem Jahr Ihrer Regierung nicht wirklich
erkennen, Herr Minister. Warum, das führe ich sehr gerne aus. Sie haben nun endlich an der für Sie ersten Justizministerkonferenz teilgenommen, und das fast ein
Jahr nach Amtsantritt. Das macht auch das Verhältnis deutlich, das zwischen Ihnen und den Ländern besteht.
Es ist schon sehr bezeichnend, dass alle 16 Landesministerinnen und Landesminister beklagen, dass sie und die Justiz sich von Ihnen weder gehört,
eingebunden, ernst genommen noch vertreten fühlen.
({0})
Sie alle finden, dass Sie nicht die Dinge umsetzen, die Sie versprochen haben und die vereinbart sind. Dabei gibt es für den Rechtsstaat wirklich viel
zu tun.
({1})
Der erste Satz des Koalitionsvertrags zum Bereich Justiz lautet – ich zitiere –:
Wir verstetigen … den Pakt für den Rechtsstaat und erweitern ihn um einen Digitalpakt für die Justiz.
Hiervon haben Sie sich in den Haushaltsberatungen nun explizit verabschiedet. Sie werden wortbrüchig, Herr Minister.
({2})
Auf Nachfrage haben Sie bestätigt, dass diese Vereinbarung für Sie obsolet ist. Stattdessen ist Ihre Idee ein Pakt für den digitalen Rechtsstaat. Es
liegt nun eine gemeinsame Erklärung aller 16 Landesminister, des Deutschen Richterbundes und der Neuen Richtervereinigung vor, die sehr deutlich macht, was die
Bundesländer und die Justizvertreter von der Bundesregierung erwarten und was ihre Forderungen sind. Und das geht mit Ihren Vorstellungen nun so gar nicht
zusammen. Neben der Fortführung des Pakts für den Rechtsstaat, der 2 000 zusätzliche Stellen für Richter und Staatsanwältinnen umfasste, beziffern die Länder
alleine den Mittelbedarf im Digitalbereich mit 350 Millionen Euro im Jahr.
({3})
Sie dagegen legen in der Bereinigungsvorlage für den Pakt für den digitalen Rechtsstaat eine neue Veranschlagung von 50 Millionen Euro im Jahr vor und
werden das sicherlich gleich als große Errungenschaft im Haushalt darstellen.
({4})
Ein Pakt bzw. Vertrag setzt allerdings das Einverständnis von mindestens zwei Parteien voraus. Das genau gibt es aber hier ausdrücklich nicht. Unter
anderem deshalb hatten wir in der Bereinigungssitzung auch nachts um drei Uhr noch Besuch der Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Bundesrates, die zugleich
Sprecherin der A-Länder ist.
({5})
Ich sage nicht, dass die Forderungen der Bundesländer eins zu eins umzusetzen sind, aber Ihre Gesprächskultur und Ihre Haltung führen dazu, dass es
hier absehbar zu keiner Kooperation und Zusammenarbeit kommen wird. Herr Minister, Sie rühmen sich für Ihr Engagement für die Planungsbeschleunigung, aber
vielleicht sollten Sie lieber auch die Unterstützung des Rechtsstaates durch das Bundesjustizministerium beschleunigen. Als Gesetzgebungsministerium haben Sie
viele Möglichkeiten, etwas für Digitalisierung zu tun. Hierfür müssen Sie noch nicht mal viel Geld ausgeben, und es wäre viel für Effizienz und Effektivität
getan, ganz im Sinne von uns Haushältern und § 7 der Bundeshaushaltsordnung.
„Ich warte auf Vorschläge aus den Ländern“, sagen und schreiben Sie. Dabei liegen unzählige Vorschläge vor. Ich nenne mal ein paar Beispiele aus der
Liste des E‑Justice-Rats: Modernisierung des GeFa, des Gemeinsamen Fachverfahrens, und des Grundbuchs, von AuRegis, des Registerfachverfahrens, die
Beweismittel-Cloud zur besseren Zusammenarbeit mit der Polizei und Justiz. Ich kann Ihnen die Liste auch gerne geben, wenn sie bei Ihnen im Haus nicht vorrätig
ist. Aber wenn die Idee ist, dass der Pakt für den digitalen Rechtsstaat ein Show Act nur für Sie persönlich und Ihre neuen Bundesprojekte ist, dann wird das
die Justiz im Land nicht voranbringen.
({6})
Ein Digitalisierungsgipfel fast anderthalb Jahre nach Start der Bundesregierung ist eindeutig zu spät.
({7})
Auf Ihrer Homepage sprechen Sie von der Chance, die Erfolgsgeschichte des Pakts für den Rechtsstaat damit fortzuschreiben, aber diese Chance haben Sie
leider bisher verspielt. Dafür muss man nämlich mit den Ländern und Akteuren reden und arbeiten, und nicht gegen sie.
Erlauben Sie mir noch eine Aussage als Digitalpolitikerin: Sie wollen den Status eines Landes der digitalen Defizite endlich überwinden. Das ist,
ehrlich gesagt, schon ein Treppenwitz angesichts der Digitalpolitik der Bundesregierung. Sie haben völlig atomisierte Zuständigkeiten geschaffen, eine blutleere
Digitalstrategie aufgestellt, und das Ganze auch noch ohne Budget. Es gibt auch 2023 kein Digitalbudget, kein Controlling und keine Standards.
({8})
Wir haben als Union einige Vorschläge für den Justizetat gemacht, die leider allesamt abgelehnt wurden,
({9})
unter anderem ein klares Bekenntnis zur Stiftung Forum Recht, die Sie als Koalition nicht nur nicht unterstützen, sondern der Sie im Gegenteil sogar
eine Mittelsperre verpasst haben, ihr also misstrauen, statt sie inhaltlich und finanziell gut aufzustellen. Wir wollten das Schöffenwesen, das eine wichtige
Säule des Rechtsstaates ist, unterstützen. Gerade aus der Kollision von Ehrenamt und Berufsleben resultieren Herausforderungen. Sie haben aber unseren
Maßgabebeschluss nicht mitgetragen und sich damit gegen einen weiteren wichtigen Justizzweig positioniert.
({10})
Was tatsächlich erfreulich ist, ist, dass Sie unseren Vorschlag zumindest teilweise übernommen haben, die besonderen Verfahren im Staatsschutz, für
die die Zuständigkeit auf der Bundesebene liegt, zu unterstützen. Aber warum eigentlich nur in Celle und nicht in München, wo das große NSU-Verfahren
stattgefunden hat? München als Verhandlungsort wurde ausgewählt, das war nicht zwingend. Das Verfahren hätte auch in einer anderen Stadt stattfinden können.
Alleine die Verfahrungskosten, knapp 27 Millionen Euro, hätten da schon übernommen werden müssen.
({11})
So bringen Sie die Länder nicht dazu, mit dem Bund untergehakt für gute Bedingungen im Staatsschutz zu sorgen.
Leider bleibt mir am Schluss nur, festzustellen, dass Sie sich lieber auf gesellschaftspolitische Themen konzentrieren wie die Legalisierung von
Cannabis, als sich um eine gut aufgestellte Justiz zu kümmern.
({12})
Aber genau diese braucht unser Land wirklich dringend, in einem guten Miteinander aller Akteure und Ebenen. Hieran müssen Sie im nächsten Jahr
wirklich ganz hart arbeiten.
Vielen Dank.
({13})
Und für die FDP-Fraktion hat das Wort Dr. Thorsten Lieb.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Stellen wir uns mal für einen Moment eine
strafrechtliche Ermittlungsmaßnahme mit Richtervorbehalt vor. Die Lebensrealität in der Praxis sieht beispielsweise in Frankfurt am Main im Augenblick so aus:
Der Polizist fährt aus dem Polizeipräsidium, mit der Akte in der Hand, zur Staatsanwaltschaft einmal quer durch die Stadt. Er lässt sich dort den entsprechenden
Antrag unterschreiben und fährt dann postwendend wiederum quer durch die Stadt zum Ermittlungsrichter, um sich dort die Unterschrift abzuholen. Dann startet die
Ermittlungsmaßnahme. Das ist ein Beispiel. – Zweites Beispiel. Die Anwaltskolleginnen und ‑kollegen hier in der Runde wissen um die Späße und Herausforderungen
mit unserem wunderbaren besonderen elektronischen Anwaltspostfach.
Warum sage ich das? Dass die Justiz Rückstände hat und Luft nach oben in der Gesamtdigitalisierungsstrategie besteht, liegt angesichts solcher
Beispiele naheliegenderweise völlig auf der Hand. Deswegen war und ist es uns als Bund so wichtig, dass wir genau in diesen Bereichen – bei aller Anerkenntnis
der ernsthaften und umfangreichen Bemühungen der Länder um die Einführung der E‑Akte; einige sind ja da leider etwas im Rückstand – beim Thema „Digitaler
Rechtsstaat“ nicht nur am Spielfeldrand stehen. Es ist und bleibt daher richtig, den Pakt für den Rechtsstaat und den Digitalpakt für Justiz in einem Paket zu
bündeln. Ein Pakt für den Rechtsstaat ohne digitale Komponente wäre doch, liebe Freundinnen und Freunde und liebe Kolleginnen und Kollegen, überhaupt nicht mehr
zeitgemäß. Es braucht jetzt endlich diesen vernetzten Ansatz.
({0})
Dazu macht der Bund jetzt ein konkretes Angebot. Für die kommenden vier Jahre stehen insgesamt 200 Millionen Euro zur Verfügung, davon 50 Millionen
Euro für das Jahr 2023, um echte Digitalisierungssprünge zu ermöglichen, die der Justiz insgesamt zugutekommen. Damit das zum gemeinsamen Erfolgsprojekt wird,
ist es besonders wichtig, dass die Länder jetzt bereit sind, an dieser Stelle konstruktiv in die Debatte miteinzusteigen, konkrete Vorschläge zu machen. Aber –
das sage ich auch ganz deutlich – wir als Haushälterinnen und Haushälter werden uns sehr genau angucken, ob die Projekte, die kommen, auch wirklich im
Bundesinteresse liegen; denn das ist die Aufgabe, die wir erfüllen müssen.
Ich sage auch ganz offen, weil es gerade von der Kollegin Hoppermann angesprochen worden ist: So langsam fehlt mir jedwedes Verständnis für den
Forderungskatalog der Länder an dieser Stelle. Landesjustiz ist Ländersache, sowohl sachlich als auch finanziell als auch in personeller Hinsicht.
({1})
Für mich machen sich die Länder selbst klein, wenn immer wieder nur auf den Bund geschaut wird und weiteres Geld gefordert wird. Auch
verfassungsrechtlich ist die Forderung nach Personalmitteln mehr als bedenklich.
({2})
Wenn ich mir die aktuellen Haushaltszahlen angucke, liebe Kolleginnen und Kollegen, bei denen ich sehe, dass die Länder bis Ende September
24,4 Milliarden Euro Haushaltsüberschuss haben, während der Bund Ende Oktober mit mehr als 100 Milliarden Euro im Minus steht, ist das Argument, die Länder
brauchen mehr Geld, zu kurz gegriffen.
({3})
Deswegen setzen wir genau auf den Vorschlag, den wir unterbreitet haben. Es liegt jetzt, wie gesagt, an den Ländern, zuzugreifen.
({4})
Rechts- und Justizpolitik, um auch das klar zu sagen, ist aber eben nicht nur Innenpolitik. Sie hat auch eine internationale Komponente. Deswegen ist
mir besonders wichtig gewesen, dass wir als Haushaltsausschuss die weitere Stärkung der Mittel für die Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit
unterstützen konnten, damit wir die Länder im Aufbruch im östlichen Europa – namentlich Moldawien, die Ukraine und perspektivisch auch Georgien – beim Weg in
den modernen Rechtsstaat unterstützen können. Mit dem Bundeshaushalt setzen wir in Kriegszeiten ein wichtiges Signal an dieser Stelle.
({5})
Das Thema Planungsbeschleunigung ist angesprochen worden, dazu auch von mir abschließend ein paar Worte. Ich begrüße ausdrücklich, dass es gelungen
ist, das Bundesverwaltungsgericht mit einem weiteren Senat zu stärken, und dass wir als Koalition gemeinsam die Beschleunigung von Planungs- und
Genehmigungsverfahren in den Blick nehmen. Die Dauer mehr als zu halbieren, ist das Ziel, auf das wir uns gemeinsam in der Sondierung verständigt haben, und das
wollen wir mit dem Koalitionsvertrag umsetzen.
({6})
Das Bundesjustizministerium hat bereits einen ersten ambitionierten Entwurf für den Bereich der Verwaltungsgerichtsordnung vorgelegt. Ich freue mich
ausdrücklich auf das hoffentlich bald beginnende parlamentarische Verfahren, sodass wir hier gemeinsam vorankommen.
Dabei kann es aber nicht bleiben; das haben wir auch im Koalitionsvertrag so verabredet. Wir wollen Planung und Genehmigung umfassend beschleunigen.
Deswegen appelliere ich an uns alle miteinander und motiviere uns, dass wir das jetzt zeitnah anpacken. Ich finde, es wäre ein wunderbarer Einstieg in die
Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, wenn wir die parlamentarischen Verfahren und Diskussionen an dieser Stelle auch beschleunigen und dort
möglichst schnell gemeinsam vorankommen.
({7})
Abschließend möchte ich mich ganz herzlich bedanken bei den Berichterstatterkolleginnen und ‑kollegen und vor allem bei den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern, die, weil wir mit dem Etat des Justizministeriums ziemlich am Ende dran waren, alle 18 Stunden durchgehalten haben.
Vielen Dank. Ich werbe für Zustimmung zu diesem Etat.
({8})
Dr. Michael Espendiller ist der nächste Redner für die AfD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und bei Youtube!
({0})
Die Coronapandemie ist vorbei, und – schwups – ist man in Deutschland vom politmedialen Dauerbrenner Corona nahtlos zum Thema Ukraine übergegangen.
Man könnte meinen, dass mit dem Ende der Pandemie nun alles wieder in Ordnung sei. Doch das Unrecht, das während der Pandemie im Namen der Gesundheit begangen
wurde, wirkt noch fort, und es bedarf dringender Aufklärung.
({1})
Aber das würde bei den meisten erfordern, dass man sich mit dem eigenen Fehlverhalten auseinandersetzt, auch bei Ihnen, liebe Union. Wenig
überraschend: Niemand von den Verantwortlichen will das. Das könnte unangenehm werden, und deswegen will man lieber nicht darüber reden.
({2})
Aber die Betroffenen wollen darüber reden.
({3})
Unter dem Twitter-Hashtag #Wirhabenmitgemacht haben Nutzer die größten Entgleisungen während der Pandemie gesammelt. Das sollten Sie sich dringend mal
angucken, Herr Kollege.
({4})
Fußballtrainer Jürgen Klopp verglich im Oktober 2021 Impfverweigerer mit Alkohol am Steuer.
({5})
Rod Stewart sagte im Dezember 2021, Impfgegner seien Mörder. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte vor einem Jahr: „Diejenigen, die sich nicht
impfen lassen, setzen ihre eigene Gesundheit aufs Spiel, und sie gefährden uns alle.“
({6})
All diese Aussagen wurde zu einem Zeitpunkt gemacht, an dem es bereits eine erdrückende Masse an Studien und Belegen gab, die nahelegten, dass es
durch die Impfung weder eine dauerhafte Grundimmunisierung noch einen Fremdschutz gab, sehr wohl aber Nebenwirkungen. Trotzdem: 2 G auf Weihnachtsmärkten und in
Geschäften, 3 G beim Arztbesuch und im Büro und jeden Tag die fortgesetzte Entmenschlichung von ganz normalen Bürgern, die sich einfach entschieden hatten, sich
nicht impfen zu lassen.
Aber Sie alle hier wollen den Mantel des Schweigens über diese Sache legen.
({7})
Doch wir müssen daran erinnern, was passiert ist. Wir müssen darüber sprechen.
({8})
Ich sehe vor allem auch den Justizminister in der Verantwortung. Warum? Wir haben hier im Bundestag nämlich einen Antrag gestellt, dass die vom
Bundesjustizministerium geförderte Stiftung „Forum Recht“ abgewickelt werden soll. In den Haushaltsberatungen haben wir dann auch die Streichung sämtlicher
Mittel beantragt, immerhin 3,5 Millionen Euro pro Jahr.
Was macht denn diese Stiftung „Forum Recht“? Ihre Aufgabe sollte es nach Gesetz sein, „ aktuelle Fragen von Recht und Rechtsstaat als
Grundvoraussetzung einer funktionsfähigen und lebendigen Demokratie“ öffentlich und mit Beteiligung der Bürger zu thematisieren.
({9})
Jetzt raten Sie mal, was diese Stiftung vor Kurzem so gemacht hat! Nichts. Diese Stiftung ist schlicht und einfach untätig geblieben,
({10})
seit sie 2019 von den Altparteien gegründet wurde.
({11})
Hier können wir einige Millionen Euro an Steuergeldern sparen.
({12})
Seit wir den Antrag auf Abwicklung gestellt haben, ist allerdings etwas mehr Bewegung in den Laden gekommen.
({13})
Es gibt jetzt einen Presseverteiler, und als zuständiger Berichterstatter – Einzelplan 07 – bin ich da seit Ende Oktober auch plötzlich drin. Wissen
Sie, zu welchem Thema diese Stiftung mich als Erstes eingeladen hat, Frau Kollegin? Ausgerechnet zum Thema Verschwörungserzählungen,
({14})
als wären die letzten drei Jahre nicht eine Mischung aus Orwells „1984“ und „Farm der Tiere“ gewesen.
({15})
Lieber Herr Bundesminister, ganz zufällig waren Sie kurz nach unserer Antragstellung zur Abwicklung dieser untätigen Stiftung Ende Oktober zum
Antrittsbesuch dort.
({16})
Ich werte das mal als direktes Bekenntnis zu den 3,5 Millionen Euro, mit denen Ihr Haus diesen Hort der Untätigkeit auch weiterhin mit deutschem
Steuergeld fördern will. Aber wenn Sie das schon machen, dann sorgen Sie doch wenigstens dafür, dass man dort auch tatsächlich einen Beitrag zu Demokratie und
Rechtsstaat leistet. Die Aufarbeitung der Pandemie und der staatlichen Angriffe auf unsere Freiheits- und Bürgerrechte wäre ein solcher Beitrag. Wir können
Ihnen und dieser Stiftung sehr gerne bei der Organisation helfen; denn Betroffene sind uns in großer Menge bekannt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({17})
– Gucken Sie sich mal an, was die machen! Verfolgen Sie mal deren Veröffentlichungen!
({18})
Das ist nichts mit Rechtsstaat. Der Rechtsstaat ist wichtig.
({19})
Die machen ihre Aufgabe einfach nicht. Das sagt teilweise sogar die Kollegin von der SPD. Wir haben das sogar im Haushaltsausschuss kritisiert. Machen
Sie es!
Herr Dr. Espendiller, Sie hatten ja noch Redezeit, hatten aber Ihre Rede schon abgeschlossen.
({0})
– Alles gut. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin Esther Dilcher.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister Buschmann! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und
Herren auf den Tribünen! Sehr geehrter Vertreter auf der Bundesratsbank! Im Justizhaushalt, also im Einzelplan 07, haben wir – das ist schon mehrfach gesagt
worden – Gesamtausgaben von 953 Millionen Euro eingestellt, Einnahmen von rund 640 Millionen Euro.
Frau Hoppermann, ich gebe Ihnen recht: Es kann eigentlich immer wieder nur darauf hingewiesen werden, wie klein der Haushalt ist, und auch darauf, wie
sich die Ausgaben für Personal darstellen, nämlich mit 65 Prozent. Viele Mittel sind also gebunden, aber es gibt mit 67 Prozent auch eine hohe Deckungsquote.
Ich finde, man kann es nicht oft genug sagen, damit es irgendwann auch mal ankommt. Deswegen ist es logisch, dass es da nur sehr wenig Spielraum für Projekte,
Förderprogramme oder zusätzliche neue Aufgaben gibt im Gegensatz zu anderen Haushaltsplänen, wo doch wesentlich mehr Geld zur Verfügung steht.
({0})
Was uns in der Großen Koalition leider nicht gelungen ist, haben wir jetzt aber umsetzen können. Es ist nur ein kleiner Betrag, aber trotzdem eine
Anerkennung: 75 000 Euro für die Initiative „European Lawyers in Lesvos“, die vom Deutschen Anwaltsverein unterstützt wird. Die Kollegen und Kolleginnen werden
dazu noch mehr ausführen. Herzliche Grüße an Frau Dr. Kindermann. Steter Tropfen höhlt den Stein. Es hat sich gelohnt, das Geld wird jetzt endlich
bereitgestellt.
({1})
500 000 Euro, auch ein kleiner Betrag, gehen an die Deutsche Stiftung für Internationale Rechtliche Zusammenarbeit. Damit sollen
EU-Beitrittskandidaten auf ihrem Weg in die EU unterstützt werden – auch das ist ein sinnvolles Projekt, zu dem meine Kollegen und Kolleginnen noch ausführen
werden.
Aufgrund der Haushaltslage konnten natürlich nicht alle Projekte in dem Umfang unterstützt werden, wie es wünschenswert gewesen wäre. Herr
Dr. Espendiller, ich möchte da gerade zur Stiftung Forum Recht noch weiter ausführen, allerdings vielleicht etwas anders, als Sie es angekündigt haben.
({2})
Diese Stiftung des Parlaments soll langfristig weiter aufwachsen. Das ist uns allen – nur vielleicht nicht Ihnen; siehe Ihr Antrag, die Stiftung
aufzulösen – ein wichtiges Anliegen.
({3})
Aber – so ehrlich muss man sein –: Selbst wenn man Geld bereitstellt – und zu den 3,5 Millionen Euro stehen wir –, gibt es durchaus die ein oder
andere Kritik, bis so was ins Laufen kommt. Ich denke – ich sehe mal Renate Künast an –, das werden wir sehr konstruktiv begleiten.
({4})
– Ja, wir werden das trotzdem konstruktiv begleiten.
({5})
Und dass die Stiftung aufwachsen soll, darüber sind wir uns schon einig.
({6})
Das Direktorium hat am 5. Oktober das Kuratorium – ich glaube, Herr Seitz, Sie waren auch da – über den Stiftungshaushalt in Höhe von 5,2 Millionen
Euro beschließen lassen, obwohl im Regierungsentwurf ein Betrag von 3,5 Millionen Euro für die Stiftung eingestellt war. Das kann man noch als Hoffnung auf
positive Veränderungen in der Bereinigungssitzung einordnen. Das Kuratorium wurde aber zu diesem Zeitpunkt nicht einmal davon in Kenntnis gesetzt, dass der
Bundesrechnungshof eine umfangreiche Prüfungsmitteilung an die Stiftung übersandt hatte, und diese Mitteilung wurde auch auf Nachfrage der Kuratoriumsmitglieder
nicht zur Verfügung gestellt. Unter anderem aus diesem Grund haben wir im Stiftungshaushalt einen Betrag von zunächst 200 000 Euro gesperrt, bis zumindest nach
der Stellungnahme des Direktoriums an den Bundesrechnungshof dessen abschließender Bericht dem Haushaltsausschuss vorgelegt wird.
Ich will weiter darauf hinweisen: Wir haben diese Stiftung als Parlament auf den Weg gebracht aufgrund der Initiative und eines enormen ehrenamtlichen
Engagements der Zivilgesellschaft in Karlsruhe. Und ich stehe dazu. Wir wollen sie auch weiterhin aktiv begleiten. Ansonsten könnten wir ja dem Antrag der AfD
stattgeben, und das wollen wir ja nicht. Ich gehe davon aus, dass wir hier alle an einem Strang ziehen, um dieses Leuchtturmprojekt als sicheren und
vertrauensvollen Wegweiser in unserem Rechtsstaat zu etablieren. Ich gehe aber auch davon aus, dass eine Stiftung, die vom Parlament gegründet wird, dann auch
das Parlament an allen Stellen entsprechend einbindet. Fragen Sie Ihre Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker! Sie war auch nicht ganz begeistert, als wir über
diese Leitbilddiskussion im Kuratorium einfach nur abstimmen sollten und gar nicht eingebunden waren.
({7})
Deswegen müssen wir uns zusammenraufen, um das wirklich gut auf den Weg zu bringen.
({8})
Wir haben diese Woche bereits mehrfach darüber gesprochen, ob und in welchem Umfang und auf welcher Grundlage wir als Bund verpflichtet sein könnten,
die Länder bei der Erfüllung ihrer ureigenen Aufgaben zu unterstützen. Inhaltlich geht es bei diesen Mischfinanzierungstatbeständen im Einzelplan 07 um den Pakt
für den Rechtsstaat, der in der letzten Legislatur geschmiedet wurde. Ein gut funktionierender Rechtsstaat ist wichtig für einen guten gesellschaftlichen
Zusammenhalt. Dafür ist ausreichend Personal eine wichtige Grundvoraussetzung. Ich glaube, darüber gibt es überhaupt keinen Streit. Mit dem Pakt sollten 2 000
Stellen in der Justiz neu geschaffen werden, wohlgemerkt Personal in der Länderjustiz. Pakt für den Rechtsstaat, das hört sich erst einmal sehr modern und
zukunftsorientiert an. Gemäß Artikel 30 unseres Grundgesetzes ist die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der
Länder, soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt. Für den Bereich „Personal in der Länderjustiz“ findet sich aber keine andere Regelung
im Grundgesetz. In der letzten Legislatur wurde den Ländern dann aber nicht über den Bundesjustizhaushalt, sondern über die Umsatzsteuerverteilung das Geld für
dieses Personal zur Verfügung gestellt. Im Bundeshaushalt des Justizministeriums ist eben verfassungsrechtlich kein Raum, um diesen Personalaufwuchs in den
Ländern zu finanzieren.
({9})
Zur Umsetzung des Koalitionsvertrages finden wir nach der Bereinigungssitzung nun einen Betrag von 50 Millionen Euro – der Kollege Lieb hat dazu schon
ausgeführt – für 2023 sowie Verpflichtungsermächtigungen für die laufenden Jahre zur Digitalisierung der Justiz, und zwar im Rahmen des Pakts für den digitalen
Rechtsstaat. Jetzt kann man darüber streiten: Was ist eine Erweiterung des Pakts für den Rechtsstaat? Erfordert sie, dass zwei Pakte nebeneinander bestehen
bleiben, oder kann man sie auch gut zusammenführen? Ich finde die Ausführungen vom Kollegen Lieb dazu sehr überzeugend, dass ein Rechtsstaat ohne
Digitalisierung in der heutigen Gesellschaft nicht mehr denkbar ist,
({10})
dass sie also Grundvoraussetzung ist. Dieses Angebot der Unterstützung bei der Digitalisierung finde ich auch sehr gut.
Im Rahmen von Projekten können Ländervorhaben gefördert werden, wenn die entwickelten Anwendungen später von der gesamten Justiz genutzt werden
können. Dazu hatte vorhin jemand gerufen – ich glaube, Sie waren es, Frau Hoppermann –: Na ja, da werden nur Projekte des Ministers auf Bundesebene gefördert. –
Nein, das ist nicht so. Das Eckpunktepapier besteht aus vier Säulen. Die zweite Säule beinhaltet gemeinsame Vorhaben von Bund und Ländern.
({11})
Da wird davon ausgegangen, dass 80 Prozent der Mittel abfließen. Wir sind mal gespannt, wie das umgesetzt wird; wir als Parlamentarier und
Berichterstatter haben da ja auch den Finger drauf.
Ich möchte dann noch mal zu der berüchtigten Bereinigungssitzung kommen, in der uns Frau Gallina morgens um halb drei erzählt hat, welche Forderungen
die Justizminister in der Justizministerkonferenz gestellt haben und wie wichtig es sei, dass weiterhin 200 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden.
({12})
Wenn ich mir die Gesprächskultur ansehe, die da in der Bereinigungssitzung geherrscht hat, dann kann ich mir ansatzweise vorstellen – obwohl ich nicht
dabei war –, wie eine Justizministerkonferenz abläuft, wenn 16 Justizminister der Länder anwesend sind und Forderungen stellen, und der Justizminister sagt: Ja,
das ist eigentlich so nicht möglich. Lasst uns das doch zusammen auf den Weg bringen. – Es sind gute Projekte, die vorgelegt werden sollen. Wir als Parlament
werden die Hand drauf haben. Deswegen haben wir die Sitzung unterbrochen und die 50 Millionen Euro gesperrt. Wir werden also ein wachsames Auge darauf haben,
dass das Geld auch bei den Ländern ankommt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Das Wort hat die Kollegin Susanne Hennig-Wellsow für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Buschmann, Sie haben bei der Einbringung des Etats vor
ein paar Wochen davon gesprochen, das Recht „auf die Höhe der gesellschaftlichen Wirklichkeit“ bringen zu wollen. Sie haben ein gutes Ziel, und ich will hier
auch gar nicht behaupten, dass das, was Ihr Haus im letzten Jahr vorgelegt, umgesetzt und angestoßen hat, falsch oder unsinnig wäre. Im Detail haben wir
allerdings erhebliche Differenzen, was wahrscheinlich hier im Raum niemanden überrascht.
({0})
Viele Differenzen gibt es, weil wir offenbar völlig unterschiedliche Auffassungen davon haben, was genau die „Höhe der gesellschaftlichen
Wirklichkeit“ ist; denn es kommt natürlich auf den Standpunkt an, von dem aus man auf die Wirklichkeit blickt. Das bedeutet: Von oben sieht die Welt wesentlich
anders aus als von unten.
Ich will ein Beispiel benennen: Wir als Linke haben uns in der vergangenen Legislaturperiode – damals noch gemeinsam mit den Grünen – dafür
starkgemacht, eine Rechtsberatung für Geflüchtete an den Außengrenzen der Europäischen Union durch den Bund zu unterstützen. Solche Rechtshilfe löst natürlich
nicht das Grundproblem der Grenzabschottung – das will ich hier ganz klar sagen –; aber sie kann natürlich ankommenden Menschen helfen, zu ihrem Recht zu
kommen.
({1})
Ihre Koalition hat diese Idee nun aufgegriffen und eine finanzielle Förderung der Initiative European Lawyers in Lesvos beschlossen. Die Initiative,
die unter anderem vom Deutschen Anwaltverein geführt wird, bietet unabhängige Rechtsberatung an den EU-Grenzen an. Auch das ist gut, aber dennoch meilenweit von
der „Höhe der gesellschaftlichen Wirklichkeit“ entfernt, wenn man dafür im Haushalt nur 75 000 Euro zur Verfügung stellt. Mit diesem Betrag kann man hierzulande
nicht mal eine Anwältin für ein Jahr finanzieren.
({2})
Angesichts der schrecklichen Bilder von dem menschenunwürdigen Umgang an den EU-Außengrenzen tut es zumindest mir wirklich weh, wenn Sie sich dann
auch noch selbst für die Kostengünstigkeit und das gute Kosten-Nutzen-Verhältnis im Etat loben.
Apropos Anwälte: Immer wieder werden in der Bundesrepublik Menschen in Abschiebehaft gesteckt, somit ihrer Freiheit beraubt, ohne dass sie sich
dagegen wehren können.
({3})
Wenn man aber mal mit Leuten redet, die sich damit auskennen, zum Beispiel dem Rechtsanwalt Peter Fahlbusch, der über 2 000 Menschen in Abschiebehaft
begleitet und vertreten hat,
({4})
dann weiß man, dass bei etwa der Hälfte gerichtlich festgestellt wurde, dass sie zu Unrecht im Gefängnis saßen. Wäre es also nicht auf der „Höhe der
gesellschaftlichen Wirklichkeit“, analog zur Pflichtverteidigung im Strafprozess auch eine Pflichtbeiordnung von Anwältinnen und Anwälten in Verfahren zur
Anordnung von Abschiebehaft gesetzlich einzuführen?
({5})
Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag ausdrücklich die Rechte und die Verteidigung von Beschuldigten hochgehalten. Aber dann muss auch etwas kommen,
was der „Höhe der gesellschaftlichen Wirklichkeit“ tatsächlich entspricht. Wir denken da zum Beispiel an die Ausweitung der Pflichtverteidigung oder die
Entkriminalisierung von Bagatelldelikten, weil es dabei um eine ziemlich einfache Sache geht: Gerechtigkeit und Rechtsstaat dürfen nicht vom Einkommen abhängen.
Einkommen und soziale Lage dürfen nicht ausschlaggebend dafür sein, wie entschieden wird.
({6})
Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin:
Das Recht hierzulande begünstigt jene, die begütert sind; es benachteiligt die, die wenig oder nichts haben.
Das habe ich mir nicht ausgedacht, sondern steht in einem Buch eines Journalisten, dem ich weiterhin viele Leserinnen und Leser wünsche. Ich empfehle
es auch Ihnen.
Es gibt Armutsbestrafung in diesem Land. Da Sie diese Klassenjustiz, die täglich stattfindet,
({7})
offenbar auch nicht mehr dulden wollen, sind Sie auf dem Weg, die Ersatzfreiheitsstrafe zu reformieren.
({8})
Allerdings muss ich mich fragen, ob Sie den Vorschlag nur gemacht haben, um Geld einzusparen, was man angesichts des Reförmchens unterstellen könnte.
Denn Sie gehen den Weg leider nicht zu Ende.
Die Reformen, die Sie, Herr Buschmann, auf den Weg bringen, erfreuen uns natürlich ein Stück weit, weil sie eine Erleichterung bedeuten. Es ist aber
nicht das, was wir politisch brauchen. Und dass Frau Innenministerin Faeser das noch mit fragwürdigen Behauptungen torpediert, ist nun auch nicht auf der „Höhe
der gesellschaftlichen Wirklichkeit“.
({9})
Lassen Sie mich zum Abschluss noch etwas zum Pakt für den Rechtsstaat sagen. Die FDP hat ja gern eine Karte zur Digitalisierung – –
Kollegin Hennig-Wellsow, es tut mir leid, aber Sie müssen einen Punkt setzen.
Gut. – Gerechtigkeit braucht personelle und sächliche Ausstattung der Justiz in den Ländern. Nicht alles ist 2.0.
Vielen Dank.
({0})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Bruno Hönel das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1 Milliarde Euro – das ist die magische Marke, die der Etat des Justizministeriums in
diesem Haushalt überschritten hat. Das ist natürlich nicht per se ein Grund zur Freude; aber es zeigt schon, dass wir Prozesse in den Justizbehörden
modernisieren und dass wir unseren liberalen Rechtsstaat stärken. Ich glaube, gerade in diesen Zeiten, in denen wir in vielen Ländern in brutaler Weise
verdeutlicht bekommen, zu was das Fehlen einer unabhängigen Gerichtsbarkeit führt, in denen Menschen der Willkür der Justiz schutzlos ausgesetzt sind, dürfen
wir nicht müde werden, den Wert unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, unseres liberalen Rechtsstaates zu betonen, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
({0})
Dieser Rechtsstaat ist bei jeder konkreten Entscheidung zur Verhältnismäßigkeit verpflichtet.
({1})
Ihre jüngsten Vorstöße, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Klimaaktivisten in Vorbeugehaft zu nehmen, sind alles, aber sicherlich nicht
verhältnismäßig.
({2})
Wir haben für den Umgang mit diesen Protesten geltende Gesetze, und die sind ausreichend.
({3})
Dass Sie von der Union sich hier einzig und allein an der Protestform abarbeiten, ohne sich mit dem berechtigten Grund der Aktionen auseinandersetzen,
zeigt doch des Pudels Kern, nämlich dass Ihnen der Klimaschutz völlig egal ist und dass Sie Ihre Verantwortung für 16 Jahre Totalversagen in der Klimapolitik
bis heute nicht aufgearbeitet haben.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe gesagt: Wir modernisieren unsere Justiz. Wir gehen jetzt endlich erste Schritte, um unsere Justizbehörden auf
die Höhe der Zeit zu bringen. Mit den Digitalisierungsmitteln investieren wir in den nächsten Jahren bundesseitig 200 Millionen Euro für die Digitalisierung der
Justiz. Sicherlich reichen diese Mittel nicht aus, um all die Altlasten, die wir geerbt haben, zu beseitigen. Aber klar ist eben auch, dass wir uns da jetzt
endlich auf den Weg machen. Das ist ein Erfolg dieser Regierung. Wir bringen das jetzt voran, und das ist zuallererst einmal eine gute Nachricht für die
Justiz.
({5})
Neben diesem Großprojekt setzen wir mit diesem Haushalt vielfältige Akzente. Ein Beispiel dafür ist die Unterstützung für HateAid, die wir im Laufe
des Verfahrens mit 500 000 Euro an Barmitteln und Verpflichtungsermächtigungen im Umfang von 1,2 Millionen Euro ausstatten. Digitale Gewalt, Hass und Hetze im
Netz sind ein komplexes und immer größer werdendes Problem. Bei der Bekämpfung stehen wir noch am Anfang; das muss man ehrlich sagen. Und ob Twitter unter Elon
Musk da ein Fortschritt ist, will ich ganz stark bezweifeln. HateAid leistet wertvolle Arbeit, klärt auf, unterstützt Betroffene und ist dabei erfolgreich. Erst
kürzlich konnte die Klimaaktivistin Luisa Neubauer über HateAid eine Klage gegen einen rechten Autor gewinnen. Als Koalition stellen wir uns diesen
Rechtsbrüchen konsequent entgegen. Die strukturelle Stärkung von HateAid ist da wirklich ein großer Erfolg im Sinne der Betroffenen, die wir nicht alleinlassen,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
({6})
Worüber ich mich auch sehr freue, ist, dass wir einen neuen Klimaschutzsenat beim Bundesverwaltungsgericht schaffen. Wir haben dafür zwölf Stellen in
den Haushalt eingestellt, die dazu beitragen werden, dass Planungen von Stromleitungen von Nord nach Süd, aber beispielsweise auch von Windkraftanlagen
beschleunigt werden. Mit diesem neuen Senat machen wir klar: Alle reden von Planungsbeschleunigung; wir setzen sie konkret um und beschleunigen so auch die
Energiewende mit diesem Haushalt.
({7})
Zudem haben wir die Deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit mit 500 000 Euro zusätzlich gestärkt. Die Stiftung arbeitet unter
anderem an der EU-Beitrittsperspektive für die Ukraine und Moldau. Mit den zusätzlichen Mitteln können diese Verfahren gerade vor dem Hintergrund des Krieges
verstärkt in den Blick genommen und forciert werden. Das ist nur ein Beispiel in diesem Etat, das zeigt: Wir nehmen unsere europäische Verantwortung wahr, auch
in diesem Justizhaushalt.
Lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Wir sind mit diesem Etat auf einem guten Weg, unsere Justiz digitaler und bürgernah zu gestalten. Wir Grüne
bleiben da weiter dran. Vor dem Hintergrund der hohen Stellenbedarfe in den Justizbehörden haben wir sicherlich noch einige Diskussionen vor uns, gerade auch im
Hinblick auf den Pakt für den Rechtsstaat, der nicht mit den Digitalisierungsmitteln gleichzusetzen ist.
({8})
Es geht darum, in den kommenden Jahren das aufzuholen, was von Parteien, die sich im Wahlkampf mit „Sicherheit für Deutschland“ brüsteten, verschlafen
wurde, nämlich die Verwaltung und die Justiz auf die Höhe der Zeit zu bringen. Daran arbeiten wir mit diesem Haushalt.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat Dr. Günter Krings für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Minister! Die heutige Haushaltsdebatte findet knapp ein Jahr nach dem Start der
Ampelregierung statt – ein guter Anlass zu einer ersten Bilanz der Ampel- Rechtspolitik. Geprägt ist dieses erste Ampeljahr in der Rechtspolitik von
Absichtserklärungen, Eckpunktepapieren, aber eben kaum von konkreten Gesetzentwürfen, die das Kabinett passiert hätten. Aus einem Wasserfall von Ankündigungen
wurde bis heute ein tropfendes Rinnsal an Gesetzgebung. Dass eine solche Untätigkeit am Beginn einer Wahlperiode keineswegs einem politischen Naturgesetz folgt,
zeigt ein Blick auf die letzte Wahlperiode: Da hatten wir schon vor der Sommerpause große Gesetzgebungsvorhaben abgeschlossen, etwa das Gesetz zur Einführung
der Musterfeststellungsklage.
Ohne die Anträge unserer Fraktion, der Unionsfraktion, würde der Rechtsausschuss derzeit fast nur Themen anderer Ausschüsse mitberaten.
({0})
Der direkte Vergleich zwischen unseren Initiativen und dem eigenen Vakuum ist der Ampel im Rechtsausschuss offenbar wirklich peinlich, da sie seit
Wochen Anhörungen zu unseren Anträgen verhindert. Beispiele sind der Gesetzentwurf zur Unterbringung in einer Erziehungsanstalt, unser Antrag zur
IP‑Adressenspeicherung oder der Gesetzentwurf zu digitalen Mitgliederversammlungen im Vereinsrecht.
({1})
Unser Antrag, mit dem wir die längst überfällige Unterstützung der Bundesregierung für ein internationales Sondertribunal gegen den russischen
Angriffskrieg einfordern, wurde gleich ganz in den Auswärtigen Ausschuss geschoben.
({2})
Die Rechtspolitik, meine Damen und Herren, war einst das Herzstück der Gesetzgebung im Bundestag.
({3})
Unter der Ampel droht nun der Herzstillstand.
({4})
Dass Sie hier Oppositionsrechte unterminieren, ist die eine Sache. Die andere Sache aber ist, was Sie damit unserer parlamentarischen Demokratie
antun.
({5})
Wenn wir gemeinsam in Europa für die Macht des Rechts werben wollen, dann wirkt es wenig glaubhaft, wenn für Sie im Deutschen Bundestag nur die Macht
der Mehrheit zählt.
({6})
Mit Ihrer Mehrheit – ich muss das leider ergänzen – scheuen Sie auch nicht davor zurück, die Entscheidungen von Richterinnen und Richtern in unserem
Land zu diskreditieren.
({7})
Sie stellen die neue, wie ich finde, absurde Gesetzgebungsregel auf, dass bei Änderung einer Rechtsnorm nicht nur das Recht für die Zukunft angepasst
wird, sondern zugleich die Gerichtsurteile der Vergangenheit kassiert werden, so etwa bei der beschlossenen Zulassung von Werbung für Abtreibungen oder bei der
geplanten Cannabis-Legalisierung, bezogen auf das Bundeszentralregister. Ich will Ihnen gerne glauben, dass das nicht Ihre Absicht ist; aber auch so kann man
das Vertrauen in die Gerichte als zentrale Institution unseres Staates untergraben.
({8})
Ich habe darauf hingewiesen: Mangels Masse kann man Ihre Rechtspolitik bisher kaum anhand von Gesetzgebung beurteilen.
({9})
Schauen wir aber auf die diversen Ankündigungen zu Gesetzen, so kann ich dem aktuellen Stillstand der Gesetzgebung manchmal sogar etwas
abgewinnen.
({10})
Dazu nur zwei Kostenproben. Beim sogenannten Selbstbestimmungsgesetz soll die Trennung von biologischem und rechtlichem Geschlecht nicht mehr eine
Ausnahme sein – als solche brauchen wir natürlich die Möglichkeit, es zu trennen –, sondern Geschlecht und Vorname sollen jährlich frei wählbar werden. Passend
dazu ermuntert die Familienministerin Kinder schon heute, Pubertätsblocker einzunehmen. Auch mit der geplanten Abstammungsrechtsreform ist ein familien- und
gesellschaftspolitischer Umbau geplant.
({11})
Mit solchen und ähnlichen Projekten wollen Sie das Koordinatensystem unserer Gesellschaft massiv nach links verschieben.
({12})
Wenn dann ein angefressener FDP-Vorsitzender am Abend der Niedersachsen-Wahl beklagt, die FDP werde in der Öffentlichkeit als linke Partei in einer
linken Koalition wahrgenommen
({13})
– so hat es Herr Lindner gesagt –, so sollte er mal seinen Justizminister fragen, ob das vielleicht einfach an linker Politik liegen kann.
({14})
Das ist ganz einfach; es ist wie in der Wirtschaft: Wer mit dem Image seines Produktes nicht zufrieden ist, der kann viel Geld für Marketing ausgeben,
aber besser ist es, das Produkt einmal zu überarbeiten.
({15})
Dieser problematische Kurs verschont auch das Wirtschaftsrecht nicht. Ich nenne das Hinweisgeberschutzgesetz. Das ist im Kern europarechtlich
vorgegeben,
({16})
aber eben nicht in der Ausprägung. In der öffentlichen Anhörung haben es Sachverständige zerpflückt,
({17})
insbesondere wegen der übermäßigen Belastung der Wirtschaft. Dieser Bürokratieaufwuchs ist das glatte Gegenteil des vom Finanzminister versprochenen
Belastungsmoratoriums. Ich empfehle bei diesem Gesetz daher: Gehe zurück auf Los!
({18})
Das Richtige soll gemacht werden, und das möglichst schnell. Schauen wir in den Haushalt, dann sehen wir, dass dieser – ja, linken – Gesetzgebung
({19})
auch noch eine kleinmütige Haushaltspolitik gegenübersteht. Frau Kollegin Hoppermann hat dazu schon einiges ausgeführt. Aus Ihrem Haushalt spricht an
allen Ecken und Enden ein minimalistisches Verständnis von der Rolle des Bundes in der Rechtspolitik.
({20})
Den Pakt für den Rechtsstaat soll es nur noch digital und projektbezogen geben. Da war mal mehr vorgesehen, nämlich die Fortführung unseres, von der
CDU/CSU initiierten, Rechtsstaatspaktes. Das haben Sie jetzt klammheimlich abgeräumt.
({21})
Auch dass Sie die Bundesfinanzierung des Regensburger Instituts für Ostrecht schrittweise auf null zurückfahren wollen, mag zwar ein kleines Beispiel
sein, aber ein besonders skandalöses. Sie verweisen im Ausschuss lapidar auf den Freistaat Bayern, der sich doch um die Rechtsentwicklung in Osteuropa kümmern
solle. Wir meinen: Gerade in diesen Zeiten hätten die Rechtsordnungen unserer europäischen Partner auch die Aufmerksamkeit des Bundes verdient.
({22})
Meine Damen und Herren, besonders bitter ist schließlich, dass Ihr mangelndes Engagement für den Rechtsstaat im föderalen Verbund seine Entsprechung
im fehlenden effektiven Einsatz für die Schwächsten in unserer Gesellschaft findet, nämlich im mangelnden Einsatz für unsere Kinder. Sie weigern sich – das
Thema kennen Sie –, den Spielraum des Europäischen Gerichtshofs zur Speicherung der IP‑Adressen zu nutzen. Damit verhindern Sie die Aufklärung von schweren
Missbrauchsfällen. Wir lassen Ihnen das nicht durchgehen und werden es immer wieder ansprechen. Nach europäischem Recht bestünde die Möglichkeit, da etwas zu
tun. Sie nutzen nur Quick Freeze, das so gut wie gar nichts bringt.
({23})
Wir fordern weiterhin ein effektives Schutzinstrument für unsere Kinder ein.
({24})
Meine Damen und Herren, ich verstehe, dass das alles schmerzhaft für Sie ist.
({25})
Ich könnte diese Mängelliste fortsetzen, will das mit Blick auf die Zeit nicht tun. Aber ein Unterschied ist ziemlich deutlich geworden, nämlich der
zwischen Ihrer und unserer Rechtspolitik. Sie sehen die Rechtspolitik als Vehikel für den Umbau der Gesellschaft. Wir sehen sie als gemeinsame und
gesamtstaatliche Aufgabe zur Stärkung des Rechtsstaates und zum Schutz der Menschen.
Vielen herzlichen Dank.
({26})
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz, Dr. Marco Buschmann.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Heute auf den Tag genau vor neun Monaten hat
Russland die Ukraine überfallen. Dieser Überfall war nicht nur ein Verbrechen an sich. Dieser Krieg wird in verbrecherischer Weise geführt. Deshalb ist das
nicht nur ein Angriff auf Freiheit, auf Selbstbestimmung und auf Demokratie; das ist ein Angriff auf das Völkerrecht. Deshalb haben alle zivilisierten Staaten,
hat Deutschland, hat die Bundesregierung, haben wir – ich hoffe, wir haben hier einen Konsens im Haus – die verdammte Pflicht, sicherzustellen, dass das
Völkerrecht und das Völkerstrafrecht nicht nur auf dem Papier geschrieben stehen. Wir stehen dafür ein, dass der Satz „Wenn die Waffen sprechen, schweigt das
Recht“ der Vergangenheit angehört. Wir alle gemeinsam haben die Pflicht, sicherzustellen, dass wir an einer Welt arbeiten, in der der Satz gilt: „Wenn die
Waffen sprechen, lässt sich das Recht nicht den Mund verbieten“, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({0})
Es ist diese gemeinsame Überzeugung, die mich nach Washington, nach New York, die mich vor Kurzem erst nach Kiew geführt hat. Ich habe in Washington
mit meinem amerikanischen Kollegen darüber gesprochen, wie wir noch effektiver zusammenarbeiten, um diesem Gedanken zur Wirklichkeit zu verhelfen. Ich habe in
New York mit Vertretern der Vereinten Nationen gesprochen, ich habe mit beiden ukrainischen Botschaftern in den USA – bei den Vereinten Nationen und bei der
dortigen Bundesregierung – gesprochen, und ich habe mir in Kiew die Lage erläutern lassen. Deshalb haben wir zu einem weiteren Schritt gegriffen, der schon
jetzt historisch ist: Das erste Mal in der Geschichte werden die Justizminister der G‑7-Staaten hier in Berlin zusammenkommen, um dafür zu sorgen, dass wir
effektiv und unter Berücksichtigung der besonderen Situation von Opfern und Zeugen schlimmster Kriegsverbrechen ermitteln. Es ist unsere Pflicht, dafür zu
sorgen, und zwar vor dem Hintergrund unserer Geschichte und nicht nur, weil wir die G‑7-Präsidentschaft innehaben. Es ist das Erbe von Nürnberg, es ist das Erbe
unserer Geschichte, das uns dazu bringen muss, eines sicherzustellen: Nirgendwo auf der Welt dürfen sich Kriegsverbrecher sicher fühlen, erst recht nicht hier
in Deutschland, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({1})
Der verbrecherische Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ist das schlimmste Symptom einer Entwicklung, die schon seit Längerem im Gange ist,
nämlich einer offenen Konfrontation zwischen dem Gedanken der liberalen Demokratie auf der einen Seite und einem neuen Autoritarismus auf der anderen Seite. Das
ist natürlich nicht über Nacht gekommen. Deshalb ist es, glaube ich, richtig, sich jetzt die Frage zu stellen: Wie kam das eigentlich?
({2})
Es ist ja einmal völlig anders gewesen. In den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts hatte die liberale Demokratie eine Strahlkraft auf der ganzen
Welt, hatte das, was man Soft Power genannt hat, sodass man glaubte, irgendwann brauche man vielleicht gar keine Hard Power mehr. Menschen fast auf der ganzen
Welt haben sich gewünscht, so zu leben, wie wir es tun. Das hatte sicherlich mit zwei Dingen zu tun – ich will das heute in Erinnerung rufen, weil darüber zum
Teil etwas oberflächlich gesprochen wird –: Das eine Element war, dass durch die Art und Weise, wie wir leben, wir jedem einzelnen Menschen Würde und Recht
zuteilwerden lassen. Diese Strahlkraft hat nach der Jahrtausendwende an Einfluss eingebüßt, als wir überall, auch in den liberalen Demokratien, im Rahmen des
„War on Terror“ tief – viel zu tief, wie wir heute wissen – in die bürgerlichen Freiheitsrechte eingegriffen haben und sich Menschen auf der ganzen Welt gefragt
haben: Ist das nicht ein innerer Widerspruch?
({3})
Ich möchte deshalb heute sagen: Wer angesichts des russischen Angriffskriegs der Meinung ist, dass eine liberale, das heißt eine an
Verhältnismäßigkeit und den Grundrechten orientierte Kriminal- und Sicherheitspolitik aus der Zeit gefallen wäre, denen sage ich: Jetzt erst recht. Denn wir
müssen zeigen, dass wir auch in Zeiten der Krise zu unseren eigenen Werten stehen. Das macht uns nach außen glaubwürdig, meine Damen und Herren.
({4})
Ich will noch eines sagen, Herr Kollege Krings: Wenn wir China anlasslose massenhafte Speicherung von personenbezogenen Daten vorwerfen, dann dürfen
wir sie selbst nicht betreiben. Das ist rechtlich nach innen, und das schafft Glaubwürdigkeit nach außen, Herr Kollege.
({5})
Der zweite Grund dafür, dass diese Strahlkraft, die die liberalen Demokratien einmal hatten, vielleicht nachgelassen hat, ist aber auch etwas anderes.
Es ist die Beobachtung gewesen, dass die Menschen in der Welt gesehen haben, dass die Art und Weise, wie wir unser Gemeinwesen organisieren, sehr lange auch
wahnsinnig erfolgreich war. Wir haben Wohlstand geschaffen, wir haben eine öffentliche Infrastruktur geschaffen, wir konnten sozialen Ausgleich schaffen, und
wir haben die Erkenntnisse der Wissenschaft sehr schnell für die Bürgerinnen und Bürger nutzbar gemacht. Aber daran hat sich auch etwas geändert. Das hat sich
zum Beispiel in der Finanzkrise geändert, als die Welt beobachten konnte, dass wir selber ins Wanken geraten sind und nicht mehr so erfolgreich waren.
Deshalb ist es so wichtig, dass liberale Demokratie auch Erfolg schuldet. Deshalb müssen wir bei der Planungsbeschleunigung Tempo machen, und deshalb
bin ich stolz darauf, dass wir den kleinen, bescheidenen Beitrag, den wir als Rechtspolitik leisten können, als Erstes mit einem Entwurf zur Reform der
Verwaltungsgerichtsordnung geleistet haben, um ein Beschleunigungsgebot im deutschen Rechtssystem sicherzustellen, um die Energiewende und um
Infrastrukturprojekte schnell voranzubringen. Wir schulden Erfolg.
({6})
Ich will sagen: Das gilt natürlich auch für die Nutzung der Digitalisierung. Da geht es auch um die Akzeptanz des Rechtsstaates. Die Bürgerinnen und
Bürger, die heute in ihren Dienstleistungsberufen digital arbeiten, die in wenigen Minuten einen Streaming-Dienst buchen, wollen nicht den Eindruck haben, dass
die Justiz wie im letzten Jahrhundert arbeitet. Deshalb finde ich es richtig, dass wir uns dahinterklemmen, dass der Staat digital wird. Digitalisierung ist
nicht L’art pour l’art, Digitalisierung steht im Dienste der Bürger. Deshalb ist Digitalisierung Dienst an der Demokratie und an der Akzeptanz des
Rechtsstaates, meine lieben Damen und Herren.
({7})
Deshalb will ich eines sagen und komme damit auch zum Schluss. Wenn uns ein Mangel an Engagement dort vorgeworfen wird, dann will ich darauf
hinweisen: Das Bundesministerium der Justiz führt von vorne. Wir haben die Einführung der elektronischen Akte abgeschlossen. Wir beginnen mit der Einführung des
elektronischen Workflows. Alle Gerichte und Behörden meines Geschäftsbereiches werden vermutlich im nächsten Jahr die E‑Akten-Einführung abgeschlossen haben;
viele haben es schon getan. Wenn man sich einen digitalisierten Gerichtssaal anschauen will, gehe man zum Bundespatentgericht nach München. Wir machen Tempo bei
der Digitalisierung, und das ist wichtig; denn wir schulden Erfolg zur Akzeptanz unserer Demokratie.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Tobias Matthias Peterka für die AfD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Herr Minister! Sehr geehrte Kollegen! Es wurde diese Woche viel zu diesem übermäßig aufgeblähten Bundeshaushalt gesagt, über den
wir hier im weitesten Sinne, Herr Buschmann, diskutieren. Historisch sind die Haushalte eigentlich der Hebel, um übergriffige Regierungen an die Kandare zu
nehmen; aber hier in dem Haus wird das so schnell nicht passieren.
Der Spartenhaushalt Justiz kommt jedenfalls unaufgeregt daher. Er ist klein, er ist technokratisch, und er finanziert sich zum Teil sogar noch
selbst – eine Art Schutzbiotop, könnte man meinen, in diesen aus den Fugen geratenen Zeiten. Aber auch hier leistet sich die Ampelregierung das eine oder andere
Pflänzchen, das einfach sinnfrei ist.
Das Forum Recht zum Beispiel – es wurde schon erwähnt –, mit hehren Worten und Zielen in die Welt gesetzt, ist weitgehend inaktiv bzw. bespaßt nur den
Elfenbeinturm der sogenannten Experten. Wir fordern schon lange die Abschaffung dieses Forums. Die Ziele, die man dort aufführt, können auch wirklich besser
adressiert werden. Also, unterstehen Sie sich bitte, gleich als Replik wieder etwa die billigste aller Keulen auszupacken, wir würden den Nationalsozialismus
und sein Unrecht etwa nicht ernst nehmen. So etwas glaubt Ihnen inzwischen nicht mal mehr Ihre Kernwählerschaft.
({0})
Ich erwähne auch immer wieder, wie froh ich eigentlich bin, dass das Justizministerium nicht in den Klauen der SPD oder der Grünen ist – eigentlich.
Aber ganz ehrlich: Irgendwie kommt einfach keine eigene Handschrift von Herrn Buschmann.
({1})
Wo sind die Initiativen, die ein bisschen eigenes Profil erkennen lassen? Selbst der Digitalpakt für den Rechtsstaat war und ist ein Gewürge, und er
ist noch alles andere als sicher. Selbst Frau Lambrecht hat in der letzten Legislatur ein stimmigeres politisches Konzept gehabt, und das will wirklich was
heißen.
({2})
In Coronadingen durfte eben Herr Lauterbach machen, was er wollte, bei wirtschaftlichen Aspekten kam der Einsatzbefehl direkt von Vizekanzler Habeck.
Schützenhilfe aus dem Finanzministerium? Nicht mal das für Herrn Buschmann. Von der Königsdisziplin der Ampelregierung, der Diversity allumfassende Geltung bei
uns zu verschaffen,
({3})
natürlich ganz zu schweigen. Da geht das Justizministerium sowieso brav den bekannten Koryphäen einfach nur zur Hand.
({4})
Passend konkret im Haushalt schlägt sich das zum Beispiel bei der halben Million Euro für HateAid nieder, die ja noch gegen die FDP hineingerutscht
sind. Absolute politische Schlagseite ist von dieser Organisation zu erwarten, wie es sich bisher auch immer gezeigt hat.
({5})
Immerhin sehr zu begrüßen: Unterstützung für verarmte Holocaust-Überlebende in Israel – das wurde hier nicht erwähnt –; da hätte es übrigens auch noch
ein bisschen mehr sein können, zumindest wenn dafür der Elfenbeinturm Forum Recht gefallen wäre.
Vielen Dank.
({6})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Dirk Wiese das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Minister Buschmann! Lieber Günter Krings, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass
Sie Ihre Redezeit dafür verwendet haben, vielleicht eine generelle Aussprache über die Rechtspolitik bis zum heutigen Tage durchzuführen. Ich will diesen Ball
auch gerne aufgreifen.
Ich glaube, in der heutigen Debatte wird bei vielen Beiträgen – nicht bei allen – noch einmal deutlich, wie wichtig gerade in diesen Zeiten ein
funktionierender Rechtsstaat ist,
({0})
auf den man sich verlassen kann, der funktioniert und der letztendlich gerade dafür sorgt, dass das Recht bei uns im Land auch durchgesetzt wird. Das
ist etwas sehr Wichtiges, glaube ich; Justizminister Buschmann hat es angesprochen.
Wenn wir uns die internationalen Gegebenheiten anschauen, wenn wir uns den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine anschauen,
wenn wir sehen, wie Recht in anderen Staaten missbraucht wird, wenn wir sehen, wie in anderen Staaten Recht infrage gestellt wird, wenn wir uns auch anschauen,
wie in europäischen Staaten, die Mitglied in der Europäischen Union sind – wenn ich gerade auch nach Ungarn schaue –, Rechtsstaat eigentlich nicht mehr
funktioniert, dann ist es wichtig, in dieser Debatte deutlich zu machen, auch wenn dies der kleinste Etat ist, den wir heute beraten, dass es gut ist, dass wir
bei uns in diesem Land einen solchen funktionierenden Rechtsstaat haben und wir diesen funktionierenden Rechtsstaat mit diesem Haushalt auch unterstützen.
({1})
Es ist auch wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass es richtig ist, dass sich auch die Bundesrepublik rechtsstaatlichen Initiativen anschließt,
sie auch international dem Recht zur Durchsetzung verhelfen will. Es ist gut, dass wir als Ampelregierung, als Bundesregierung, jetzt noch einmal ein klares
Zeichen gegen die Todesstrafe gesetzt haben, sehr geehrter Herr Minister, jetzt, da im Iran gerade Menschen für die Freiheit auf die Straße gehen, Menschen
dafür zum Tode verurteilt werden, weil sie in Freiheit leben wollen. Es ist ein gutes Zeichen, dass wir hier klar Farbe bekennen: Die Todesstrafe darf nicht
sein. Wir müssen unsere Stimme da erheben, wo das Recht gebeugt und wo das Recht mit Füßen getreten wird.
({2})
Ich will auch sagen, weil es ein Projekt der letzten Großen Koalition gewesen ist, das die SPD vorangebracht hat: Der Pakt für den Rechtsstaat ist
richtig und wichtig.
({3})
Aber Folgendes muss doch auch selbstverständlich sein. Wir wollen doch, dass die Gelder, die wir im Pakt für den Rechtsstaat zur Verfügung stellen,
die Mittel, die wir jetzt auch für den Pakt für den digitalen Rechtsstaat zur Verfügung stellen, auch dafür verwendet werden, den Rechtsstaat zu stärken. Es
muss doch möglich sein, dass uns die Bundesländer auch ganz klar sagen, wofür diese Mittel verwendet werden, dass die Mittel auch zielgerichtet ankommen. Ich
bin schon manchmal erstaunt, dass dann, wenn zum Beispiel in Bayern oder in Baden-Württemberg nachgefragt wird: „Wofür werden denn die Mittel verwendet?“, keine
Antwort kommt. Deshalb ist es richtig, genau hinzuschauen, sich einen genauen Eindruck zu verschaffen. Wenn wir das gemeinsam mit den Ländern, gemeinsam mit dem
Bundesjustizministerium, mit den Haushältern im Haushaltsausschuss hinbekommen, dann wird dieser Pakt für den digitalen Rechtsstaat funktionieren. Wir stehen
jedenfalls dazu, dass diese Gelder ankommen und dafür verwendet werden, wofür sie vorgesehen sind.
({4})
Lieber Herr Kollege Krings, Sie haben es gerade angesprochen. Es klang so ein bisschen danach, als ob wir hier Rechtspolitik nach Gutdünken machen
wollen, dass wir Rechtspolitik machen wollen mit Vorhaben, die Sie nicht ganz nachvollziehen können. Ich will das mal vergleichen. Es war eine sozial-liberale
Koalition in den 70er-Jahren, die der Rechtspolitik erst wieder dazu verhelfen musste, dass Lebensrealitäten anerkannt wurden.
({5})
Heute ist es doch genauso: Ihre Rede hat manchmal den Eindruck erweckt, als wollten Sie in die 50er-Jahre zurück.
({6})
Wir wollen gesellschaftspolitisch das Rad nicht zurückdrehen. Wir wollen nicht zurück in die 50er. Wir wollen jetzt eine moderne Rechtspolitik, die
Lebensrealitäten anerkennt – nicht nur sozial-liberal, sondern mit grüner Unterstützung.
({7})
Diese werden wir als Ampelkoalition voranbringen. Das erkennt Lebensrealitäten an.
Wenn ich die Proteste von ganz rechts höre, dann muss ich sagen: Wer schon Probleme mit der Verfassung hat, der sollte am heutigen Tage in dieser
Debatte tatsächlich lieber schweigen und sich erst mal das ein oder andere zu Gemüte führen.
({8})
Wir haben in dieser Ampelkoalition weitere Punkte vereinbart, die wir voranbringen wollen, und es ist wichtig, viele dieser Punkte jetzt mit Elan
anzugehen. Wir haben gerade im Bereich des sozialen Mietrechts viele gute Punkte in diesen Koalitionsvertrag hineinverhandelt. Denn wir stellen fest, dass die
derzeitige Situation für viele Mieterinnen und Mieter schwierig ist, gerade in den Ballungszentren. Mittlerweile reichen die Probleme aber auch in den
ländlichen Raum, in die Kleinstädte hinein. Darum wollen wir die Projekte, die wir zum Mietrecht im Koalitionsvertrag vereinbart haben, zügig angehen.
Wir brauchen auch Handlungsspielräume für unsere Kommunen. Darum ist es wichtig – da werden wir als SPD auch nicht lockerlassen –, dass wir auch das
kommunale Vorkaufsrecht voranbringen. Das brauchen die Kommunen vor Ort.
({9})
Da werden wir jetzt den nötigen Druck machen, damit das ebenfalls vorangebracht wird; es geht in die richtige Richtung.
Ich will auch darauf hinweisen, dass wir schon Projekte vorangebracht haben. Es hat sich gezeigt, dass diese Ampelkoalition mit manchem, das bisher
nicht möglich war, vorankommt. Ich erinnere noch einmal an die Abschaffung des § 219a des Strafgesetzbuches.
({10})
Es war ein wichtiges Signal, dass die Ampelkoalition diese im ersten Jahr auf den Weg gebracht hat.
({11})
Ich will auch sagen, dass es richtig gewesen ist, dass die Ampelkoalition das Wählen mit 16 bei der Europawahl möglich gemacht hat.
({12})
Genauso werden wir dafür streiten, dass Wählen mit 16 auch bei der Bundestagswahl möglich ist. Wir als Ampelkoalition haben Zutrauen in junge
Leute.
({13})
Wir glauben, dass junge Leute da verantwortlich handeln können. Wir glauben jedenfalls nicht, dass der Ansatz, der von rechts und von der Union
vertreten wird, an diesem Punkt der richtige ist.
Von daher: Diese Ampelkoalition wirkt in der Rechtspolitik. Wir wollen etwas voranbringen. Wir wollen zeigen, was geht.
Sehr geehrter Krings, ich erinnere mich sehr gut an die Große Koalition zurück und sage Ihnen – Sie haben gerade den Rechtsbereich sehr gelobt –: Sie
waren damals im Innenministerium. Das Justizministerium hat damals sehr oft gezeigt, was geht, was möglich ist, wo wir vorankommen wollen, und Ihre Meinung war
immer: Das geht nicht,
({14})
machen wir nicht,
({15})
wollen wir nicht,
({16})
tun wir nicht, mit uns nicht zu machen.
({17})
Diese Politik gehört der Vergangenheit an und ist jetzt nicht mehr möglich. Wir werden anders vorangehen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({18})
Das Wort hat Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Gesamtvolumen des Bundeshaushalts beträgt 476 Milliarden Euro. Allein 45,6 Milliarden
Euro Nettokreditaufnahme sind zu verzeichnen. Ein Haushalt, der ordentlich im Volumen ist. Umso enttäuschender ist dann, dass im Bereich der Rechtspolitik zu
wenig übrig geblieben ist.
Sie haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass Sie den Pakt für den Rechtsstaat verstetigen und ihn um einen Pakt für den digitalen Rechtsstaat
erweitern wollen.
({0})
Es sind zwei Pakte. Mit diesem Haushaltsentwurf konterkarieren Sie aber Ihren eigenen Koalitionsvertrag und enttäuschen das Vertrauen, das in diesen
Pakt für den Rechtsstaat auch vonseiten der Länder gesetzt worden ist. Dass durch den Bund eine ordentliche Mittelausstattung erfolgt
({1})
und damit die Justiz digitalisiert und personell ordentlich ausgestattet wird, ist mit den 200 Millionen Euro auf vier Jahre nicht erfüllt. Sie haben
damit eine Chance vertan. Es ist zu wenig.
({2})
Herr Minister Buschmann, Sie haben über den furchtbaren und schrecklichen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine gesprochen, auch über die
juristische Aufarbeitung. Es ist gut, dass Sie als Justizminister in Kiew waren und dass auch die G 7 sich mit der Frage der juristischen Aufarbeitung
auseinandersetzen werden. Der Punkt ist aber: Angesichts der Größe des Verbrechens und der großen juristischen Frage, wie wir Kriegsverbrechern habhaft werden,
auch durch die Anklage des Verbrechens der Aggression, darf es nicht allein bei Runden und gegenseitigen Besuchen bleiben, sondern wir brauchen eine klare
Haltung der Bundesregierung, diese Kriegsverbrechen auch anklagen zu können und abgeurteilt zu sehen. Deswegen bitte ich Sie noch einmal, sich unserer
Initiative anzuschließen und durch ein Sondertribunal deutlich zu machen: Diese Verbrechen müssen zeitnah abgeurteilt werden. Ein Sondertribunal ist
unvermeidlich.
({3})
Unvermeidlich ist auch, dass wir den Schutz der Schwächsten in der Gesellschaft adressieren. Es geht um die Frage, wie wir Opfern von Missbrauch
helfen, dass diese Straftaten entdeckt, aufgeklärt und abgeurteilt werden. Es geht auch um die Frage, wie wir die schlimmsten Verbrechen in der
Rechtsgemeinschaft – Mord, sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, Raub mit Todesfolge – aufklären.
Und ja, es gibt jetzt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs und weitere Rechtsverfahren, die bei der Speicherung von Verbindungsdaten zur
Aufklärung und zur Nutzung im Strafverfahren entsprechende Grenzen gesetzt haben. Aber es sind nicht nur Grenzen gesetzt worden, sondern die Gerichte haben auch
Möglichkeiten aufgezeigt.
({4})
Die Möglichkeiten, die aufgezeigt wurden, sind mehr als nur Quick Freeze. Selbst die Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagt – ich darf sie
zitieren –: Das Quick-Freeze-Verfahren ist „kein adäquater Ersatz für die Speicherung von IP‑Adressen“.
({5})
Deswegen möchte ich, dass Sie auch im Interesse der Missbrauchsopfer, die auf Aufklärung und auf Aburteilung der schlimmsten Täter hoffen, einen
entsprechend abgestimmten Gesetzentwurf einbringen, der mehr als Quick Freeze ist, der auf der Höhe der Kriminalpolitik ist.
({6})
In diesem Zusammenhang kann ich es Ihnen nicht ersparen: Man kann sich bei der Frage über die Grenzen der Speicherung der IP‑Adressen unterschiedlich
austauschen und über die Verfassungsmäßigkeit der einen oder anderen Frage trefflich streiten.
({7})
Aber bei diesem Thema, bei allem Respekt, verbieten sich China-Vergleiche, ja gar die Erwähnung. Das ist etwas völlig anderes. Das hat in einer
rechtsstaatlichen Debatte nichts zu suchen.
({8})
Meine Damen und Herren, ja, die liberale Demokratie und die liberale Ordnung werden angegriffen oder zumindest von einigen infrage gestellt, und die
Antwort darauf lautet: Rechtsstaat und Rechtsstaatlichkeit. Das bedeutet für uns aber in der Gesetzgebung und auch beim Justizhaushalt, dass wir klar und mit
Vernunft die Fragen der Rechtsstaatlichkeit debattieren und der Versuchung widerstehen, durch gesellschaftlich verlockende, auch populistische Konzepte dieser
großen Aufgabe nicht gerecht zu werden.
({9})
Deswegen, meine Damen und Herren: Es geht um gute Rechtsetzung und um ein klares Bekenntnis zur Stärke des Rechtsstaats.
({10})
Das Wort hat Dr. Till Steffen für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Buschmann! Meine Damen und Herren! Ich möchte über den Pakt für den Rechtsstaat sprechen. Tatsächlich ist es
so: Wir haben im Koalitionsvertrag zweierlei vereinbart, nämlich den Pakt für den Rechtsstaat zu verstetigen und ihn um einen Digitalpakt für die Justiz zu
erweitern.
({0})
Wir haben im vorliegenden Haushalt die Voraussetzungen für den Einstieg in den Digitalpakt für die Justiz geschaffen. Ein Pakt setzt natürlich voraus,
dass man vernünftige Vereinbarungen trifft. Das gilt für beide Seiten. Insoweit ist es auch richtig, genau hinzugucken, was dahin gehend länderseitig gemacht
wird. Voraussetzung ist, dass man vernünftig vereinbart. Der zweite Teil – die Verstetigung des Pakts für den Rechtsstaat – ist ein Vorhaben im
Koalitionsvertrag, das seiner Umsetzung noch harrt und das wir natürlich dringend angehen müssen.
({1})
Und ja, wenn man sich diesem Thema widmet, wird natürlich auch ein Pakt für den Rechtsstaat, der nicht notwendigerweise eins zu eins so zu sein hat,
wie es in der Vergangenheit war, sich stark mit Themen der Digitalisierung beschäftigen müssen. Das ist auch notwendig. Es ist eine vielbeachtete Studie der
Bucerius Law School veröffentlicht worden. Da hat man verglichen und geschaut, wo wir bei der Digitalisierung der Justiz stehen. Tatsächlich war das Ergebnis –
und das ist der Ausgangspunkt für diese Koalition –, dass Deutschland anderen Staaten, die sich schon länger bemühen, 10 bis 15 Jahre bei der Digitalisierung
hinterherhinkt.
Wenn wir jetzt modernisieren, dann ist das allein natürlich nicht ausreichend, weil es darauf ankommt, dass wir den Rückstand aufholen. Das heißt, wir
müssen in Sachen Innovation schneller werden und dürfen den Abstand nicht größer werden lassen. Deswegen müssen wir natürlich eine andere Form von Innovation an
den Tag legen. Gerade deswegen brauchen wir große Ressourcen von Bund und Ländern, um das als gemeinsamen Prozess hinzukriegen. Das muss tatsächlich in
vertrauensvoller Zusammenarbeit gemeinsam entwickelt werden.
({2})
Das ist wichtig, weil es auch um die Frage geht, ob die Lebensrealität der Menschen noch irgendetwas mit der Realität bei Gericht zu tun hat; denn
wenn das zu weit auseinanderfällt, dann leidet die Akzeptanz des Rechts. Das wäre ein Angriff auf die Resilienz des Rechtsstaates, weil die Leute ihre Probleme
dann vielleicht anders lösen. An dieser Stelle muss ich ganz klar sagen: Wer in diesen Debatten mit Schuldzuweisungen arbeitet, ist Teil des Problems. Wir
müssen das gemeinsam hinkriegen.
Deswegen ist es nicht ausreichend, zu sagen: Es ist super, dass wir so weit sind, dass bei den Bundesgerichten die E‑Akte eingeführt ist. – Natürlich
können wir erst zufrieden sein, wenn wir sagen können: Alle Gerichte bei Bund und Ländern sind so weit. – Der Bund muss ein Auge darauf haben, dass das am Ende
gelingt.
Die E‑Akte ist nur die Voraussetzung für eine effektive Digitalisierung. Die E‑Akte ist nur ein Schritt, der schon längst hätte erfolgen müssen. Was
wir jetzt brauchen, ist eine Verabredung über den nächsten Schritt. Wie kommen wir zu einer wirklich durchgreifenden Digitalisierung? Zwei Voraussetzungen dafür
will ich nennen:
Erstens. Es reicht nicht aus, einfach analoge Prozesse, die entstanden sind, weil wir in der Vergangenheit mit Papier gearbeitet haben, ins Digitale
zu übertragen, sondern wir müssen auch die Prozesse verändern. Bislang übertragen wir tatsächlich nur diese analogen Prozesse ins Digitale. Da müssen wir zu
einem ganz anderen Digitalisierungsansatz kommen.
Zweitens. Wir müssen Prozesse von Anfang bis Ende denken. Ich will nur ein kleines Beispiel geben: In Hamburg haben die Gerichtsvollzieher die
elektronische Akte zur Verfügung und sind jetzt durch wundersame Fügung zuständig für alle Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse, die bei der Postbank
einzureichen sind, bundesweit. Das führt dazu, dass das elektronisch beim Gerichtsvollzieher eingeht, dort aber alles ausgedruckt werden muss und jeden Tag ein
Lieferwagen zur Niederlassung der Postbank fährt. – Das funktioniert nicht. Ich sehe das Bundesjustizministerium in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass
solche Prozesse von Anfang bis Ende digitalisiert stattfinden, auch wenn Player aus anderen Zuständigkeitsbereichen einen Beitrag leisten müssen.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Stephan Brandner für die AfD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beschließen unter diesem Tagesordnungspunkt heute zwei Einzelpläne, die nicht gerade von finanzieller
Tragweite und daher, finanziell gesehen, eher unbedeutend sind.
Zum einen beschließen wir den Haushalt des Bundesverfassungsgerichts. Interessanterweise hat dazu bisher niemand etwas gesagt. Ich kann die Spannung
lösen: Wir von der AfD werden diesem Einzelplan zustimmen, und zwar trotz des unglücklichen Wirkens des Gerichts unter seinem zweifelhaften Präsidenten
Harbarth, der inzwischen alle Vorurteile bestätigt hat. Stichwort – –
({0})
– Nein, ich habe gerade weitergedacht. – Stichwort „mangelnde Distanz zu den Regierenden“, Stichwort „fragwürdige Medienberichterstattung“, dieser
elitäre Zirkel, der da in Karlsruhe ins Leben gerufen wurde. Man muss feststellen: Das Bundesverfassungsgericht hat Ähnlichkeit mit der
Männerfußballnationalmannschaft, eine viele Jahrzehnte geachtete, erfolgreiche, unangefochtene, respektable Institution, inzwischen leider infolge ideologischer
Verblendung und Ausrichtung meilenweit davon entfernt ist, nur noch ein kleiner Schatten ihrer selbst.
({1})
Kleiner Schatten seiner selbst, das gilt auch für das Bundesjustizministerium; der Kollege Krings hat darauf hingewiesen. Weiland war das
Justizministerium das Zentrum der Gesetzgebung in Deutschland.
({2})
Seit vielen Jahren wirkt es leider nur noch wie eine woke Propagandaabteilung von Kleinparteien, erst geführt von mutmaßlichen SPD-Heilsbringern wie
Maas, Barley, Lambrecht, die ihre Schwerpunkte bei grundgesetzwidriger Zensurpolitik gesehen haben, inzwischen geleitet von Marco Buschmann, der – Gott sei
Dank, muss man sagen – trotz Hunderter von Juristen im Ministerium bislang kaum etwas zustande bekommen hat, aber offenbar ganz viele schlimme Sachen ausbrütet.
Ich denke da an die Strafgesetzbuchreform, die durch das Land schwebt. Ich denke an den Unsinn mit Elternteil 1, Elternteil 2, Mutter 1, Mutter 2. Ich denke an
den bereits umgesetzten Unsinn der Cannabis-Legalisierung; die steht ja unmittelbar bevor. Das verstehe ich aus Sicht des Kollegen Lauterbach sogar noch. Ich
verstehe allerdings nicht, dass die FDP sich vor einen Zug mit so linkem Unfug spannen lässt und das mitmacht; es sei denn, man sagt tatsächlich, Ihre
links-rot-grüne Politik ist nur im Rausch zu ertragen, meine Damen und Herren.
Dass Steuermittel an zwielichtige Institutionen wie die Amadeu-Antonio-Stiftung oder die Magnus-Hirschfeld-Stiftung verschleudert werden, daran haben
wir uns gewöhnt. Das ist allerdings ein Grund, warum wir diesen Haushalt, diesen Einzelplan 07, Bundesjustizministerium, ablehnen.
Wir lehnen ihn auch deshalb ab, weil sich ein Pinocchio-Politiker an die Spitze des Ministeriums gesetzt hat. Herr Buschmann, Sie sind ursprünglich
mal angetreten mit dem Spruch, die Coronamaßnahmen müssten ein absolutes Ende haben im März 2022. Das Gegenteil haben Sie gemacht. Sie haben § 28b in das
Infektionsschutzgesetz eingefügt. Noch immer drangsalieren und schikanieren Sie draußen die Bürger. Noch immer wird darauf hingewiesen, dass eine
einrichtungsbezogene Impfpflicht besteht. Am Ende dieser Impfpflicht fangen jetzt übrigens in Thüringen die Städte an, Jena beispielsweise, Bußgeldbescheide zu
verschicken an diejenigen, die sich aus Überzeugung nicht haben impfen lassen. Das ist schäbige Pinocchio-Politik, die Sie bisher in diesem Jahr abgeliefert
haben.
Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss.
Deshalb lehnen wir Sie genauso ab wie den Einzelplan 07.
Vielen Dank.
({0})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Macit Karaahmetoğlu das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister Buschmann! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich möchte eine der Förderungen im
Einzelplan 07 zum Ausgangspunkt meiner Rede machen, nämlich die Unterstützung der gemeinnützigen GmbH HateAid mit 497 000 Euro. Bereits der Kollege Bruno Hönel
hat die Arbeit von HateAid in seiner Rede hervorgehoben. Es ist gut, dass dieser Zuschuss, der im Ursprungsentwurf nicht vorgesehen war, noch hineinverhandelt
wurde. Wir konnten für die wichtige Arbeit, die dort geleistet wird, sogar noch etwas drauflegen. Im vergangenen Haushalt lag die Förderung noch bei
350 000 Euro.
Weshalb greife ich das heraus?
({0})
Als Rechtsanwalt habe ich nicht nur immer wieder Opfer von Gewalttaten vertreten, ich hatte auch speziell mit dem Bereich der digitalen Gewalt
ständige Berührungspunkte. Mein Fachbereich ist das Urheber- und Medienrecht. In dieser Funktion habe ich Fälle bearbeitet, in denen intimste Bild- und
Videoaufnahmen von Menschen unerlaubt veröffentlicht wurden. Die sozialen und die seelischen Folgen solcher bildbasierten sexualisierten Gewalttaten kann man
mit Worten gar nicht beschreiben.
HateAid hat ein großartiges Beratungsangebot für Betroffene digitaler Gewalt geschaffen und unterstützt die Opfer auch bei möglichen Prozesskosten.
Sie klären auf über die vielschichtigen Formen digitaler Gewalt, geben Hilfe bis ins kleinste Detail, zum Beispiel erklären sie, wie man im Fall eines
Onlineangriffs einen rechtssicheren Screenshot erstellt. HateAid arbeitet politisch, drängt also auf immer bessere Lösungen für die Opfer digitaler Gewalt, was
für uns Politikerinnen und Politiker mitunter nicht immer angenehm ist.
({1})
Denn es gibt Bereiche – ich komme noch dazu –, da hinken wir unseren Ansprüchen noch hinterher. HateAid hat Vorbildcharakter. Die Erfolgsgeschichten
vor Gericht sind immer häufiger sichtbar. Deshalb ist es gut und richtig, dass unser Justizetat hier weiterhin eine Förderung vorsieht.
({2})
Meine Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen, zahlreiche Studien benennen es ganz klar: Von digitaler Gewalt sind vor allem Frauen und
Mädchen betroffen. Die Angriffe auf Frauen und Mädchen zielen in der Regel auf das Geschlecht ab oder sind mit sexueller Komponente beleidigend und
bedrohend.
Eine übliche Reaktion auf digitale Gewalt ist, sich aus den entsprechenden Foren und von den Plattformen zurückzuziehen. Sich solchen Attacken
entziehen zu wollen, ist sicher nachvollziehbar. Zugleich aber ist es eine verheerende gesellschaftliche Entwicklung; denn unsere Demokratie braucht auch im
digitalen Raum den offenen Austausch in einem sicheren Rahmen. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass sich die Menschen in den sozialen Medien sicher fühlen,
meine Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen.
({3})
Hass und Hetze im Netz sind gnadenlos. So wurde diesen Sommer die österreichische Ärztin Lisa-Maria Kellermayr durch Hass und Hetze regelrecht in den
Tod getrieben. Sie hatte sich trotz Beleidigungen und Drohungen nicht zurückgezogen und auf Twitter Coronamaßnahmen wie die Impfung verteidigt. Mit den immer
krasser werdenden Anfeindungen musste sie weitgehend alleine fertigwerden. Sie versuchte noch, ihre Praxis gegen Querdenker abzusichern, die sich ihr teilweise
als Patienten getarnt näherten, um sie dann verbal zu attackieren. Am Ende aber fehlte ihr die Kraft, sich weiter zu wehren. Sie gab ihre Praxis auf und nahm
sich schließlich das Leben. – So was macht einen wirklich sprachlos. Deutlicher kann man es nicht aufzeigen: Virtueller Hass trifft immer echte, nicht virtuelle
Menschen. Deshalb möchte ich diese Debatte über den Haushaltsentwurf, der auch den Bereich der Digitalisierung im Fokus hat, für einen Appell nutzen: Lassen wir
uns mehr gegen digitale Gewalt tun, und lassen Sie uns dort, wo sie doch passiert, die Opfer tatkräftiger unterstützen, meine Damen und Herren, werte
Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Es gibt dafür viele gute Ansätze. Oft heißt es auch – das betont zum Beispiel auch HateAid –, dass es viel weniger an den Gesetzen als an der
Durchsetzung dieser Gesetze hapert. Mit dem vor einer Woche in Kraft getretenen Digital Services Act der EU haben wir erstmals EU-weit verbindliche Pflichten
für alle Anbieter digitaler Dienste, illegale Inhalte schneller zu entfernen und die Grundrechte von Nutzerinnen und Nutzern zu schützen. Gleichwohl gilt das
Gesetz erst ab Februar 2024. Vielleicht schaffen wir es ja in Deutschland, schon vorher ein paar mehr Dinge anzuschieben. Sowohl der Koalitionsvertrag als auch
die in Meseberg verabschiedete Digitalstrategie der Bundesregierung bieten dafür eine gute Grundlage. Viele Ideen liegen bereits vor, zum Beispiel ein Gesetz
gegen digitale Gewalt, mit dem wir rechtliche Hürden für Betroffene abbauen, elektronische Verfahren zur Anzeigenerstattung oder eben auch richterlich
angeordnete Account-Sperren.
Werte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gemeinsam diese Projekte schnell in die Tat umsetzen und der virtuellen Gewalt im Netz ganz reale,
handfeste Grenzen aufzeigen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Die nächste Rednerin ist Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss einen Satz vorab zum Kollegen Frings sagen.
({0})
– Sie haben recht. Sorry, das war ein Versprecher.
({1})
Herr Krings, als wir hier als Regierungskoalition angefangen haben, hat es eigentlich nichts gegeben. Sie haben im Bereich der
Vorratsdatenspeicherung, der Sicherung und Zugänglichmachung von Daten, in den letzten Jahren so viel getan, sind aber immer vor Gerichtswände gelaufen,
({2})
ob beim Europäischen Gerichtshof oder beim Bundesverfassungsgericht. Dass Sie dann jetzt hier so tun, als hätten Sie die Weisheit mit Löffeln
gefressen, Herr Kollege Krings,
({3})
finde ich schon eine dolle Nummer.
({4})
Sie wissen genau, dass der Europäische Gerichtshof von „anlassbezogen“ redet.
({5})
Ich weiß nicht, wie Sie eine anlassbezogene Vorratsdatenspeicherung gestalten wollen. Sie sind an der Stelle schon wieder auf hoher See.
Ich sage Ihnen, was wir machen, nachdem Sie 16 Jahre lang immer versucht haben, nie umgesetzt haben und leere Blätter hinterlassen haben.
({6})
Wir haben jetzt einen rechtssicheren Entwurf. Der wird uns helfen. Darum geht es.
({7})
Jetzt will ich noch mal zur Grundsatzfrage kommen, zu Demokratie und Rechtsstaat, die im Augenblick wirklich herausgefordert sind. Dazu haben ja
einige etwas gesagt. Ich muss Ihnen mal sagen: Demokratie und Rechtsstaat stehen im Augenblick unter einem massiven Druck,
({8})
auch weil wir nicht nur die analoge Welt, sondern auch die digitale Welt haben, weil einige das Digitale gnadenlos und systematisch für
Stimmungsmache, Herabwürdigung, Hate Speech, Desinformation, Fake News und Fake-Zitate ausnutzen, weil sie diese Demokratie und den Rechtsstaat zerstören
wollen.
({9})
Da ist es unsere Aufgabe, dagegenzuhalten, meine Damen und Herren.
({10})
Wir erleben das in vielen Bereichen. Wir erleben es im Bereich Rechtsextremismus, wir erleben es bei Trump, beim Brexit, dass Leute mit viel Geld oder
bestimmten Interessen,
({11})
ob sie nun in Sankt Petersburg oder irgendwo in den USA sitzen, versuchen,
({12})
demokratische Strukturen und die Demokratie zu zerstören und einen Brexit, also ein Zerbrechen der Europäischen Union, zu betreiben, meine Damen und
Herren. Genau darum geht es: dass wir dagegenhalten. Ich glaube, dass wir in diesem Haushalt ein paar wirklich gute Elemente haben, um dagegenzuhalten.
({13})
Das Forum Recht haben hier einige kritisiert.
({14})
Bei manchen verstehe ich auch, warum: weil sie nämlich Angst haben, dass ihre orchestrierten Strategien nicht aufgehen. Ich finde es schade, dass da
Gelder gesperrt wurden. Wie es dazu kam, was Sie selber falsch gemacht haben, weiß ich nicht. Aber ich denke, wir werden die Sperre beseitigen, weil wir eines
brauchen: die Diskussion über das Recht in der Demokratie,
({15})
wie es gestaltet ist, wie die Prozesse sind und wie man es tatsächlich umsetzen kann und als Bürgerinnen und Bürger selber mitgestalten kann. Das
brauchen wir. Deshalb brauchen wir das Forum Recht.
({16})
Ich sage Ihnen: Ich finde es auch gut, dass am Ende doch noch HateAid eine Finanzierung für die digitale Beratung bekommen hat. Meine Damen und
Herren, warum? Ob individuelles Mobbing oder orchestrierte rechtsextreme Vorgehensweisen mit dem Ziel, Menschen aus dem Netz und aus der demokratischen Teilhabe
rauszutreiben, wir müssen dagegenhalten.
Frau Kollegin, denken Sie an Ihren Kollegen und seine Redezeit.
Lassen Sie mich einen letzten Satz sagen. – Ich will Ihnen an dieser Stelle eines sagen: Wir wollen das Geschäftsmodell der entsprechenden Dienste
einschränken.
({0})
Das ist so nicht akzeptabel. Wir werden uns gegen Rechtsextremismus wehren, und wir sind erst am Anfang.
({1})
Nach diesem Haushalt, meine Damen und Herren, wird auch ein digitales Gewaltschutzgesetz kommen müssen, und zwar bitte bald, Herr Minister.
({2})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es jetzt in dieser Debatte oft gehört: Der Justizhaushalt ist der kleinste
Haushalt, roundabout 1 Milliarde Euro. Aber das spiegelt nicht wider, welche Bedeutung die Justiz hat, auch nicht, wie hoch die Kosten sind, die die Justiz
verursacht und die getragen werden müssen. Die Bundesländer tragen hier den Löwenanteil von etwa 15 Milliarden Euro. Die genannten Summen zusammen sind dann
doch mit anderen Bundeshaushalten vergleichbar, die in Bereichen angesiedelt sind, welche hauptsächlich vom Bund finanziert werden und in denen mehr Geld
ausgegeben wird als im Bereich der Justiz. Wir haben schwerpunktmäßig einen Verwaltungshaushalt.
Recht und Justiz, das ist gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern. Deshalb ist der Pakt für den Rechtsstaat mit dem Digitalpakt für die Justiz so
wichtig; er ist hier heute auch schon angesprochen worden. Sie haben versprochen, ihn fortzusetzen und vor allem auch um die Digitalkomponente zu erweitern. Das
muss gelingen. Die E‑Akte ist angesprochen worden. Auf die Digitalisierung von Verzeichnissen warten viele Praktiker. All das muss gelingen. Ein Scheitern wäre
für uns alle schlimm. Es ist sicherlich ein Unterschied, ob man ein einzelnes Patentgericht digitalisiert – das kann man schaffen – oder aber Hunderte von
Gerichten im ganzen Land digitalisieren muss. Da ist der Finanzaufwand nicht vergleichbar. Wir sind da noch lange nicht fertig. Hierbei brauchen die Länder mehr
Unterstützung.
Sie, Herr Justizminister, haben in diesen Tagen Gesetzentwürfe zur Digitalisierung oder zur Aufzeichnung der Verhandlungen in Zivil- und
Strafprozessen vorgelegt. Wir werden uns sicherlich noch im Detail anschauen müssen, ob da die grundlegenden Verfahrensgrundsätze, die Persönlichkeitsrechte der
Beteiligten gewahrt sind, ob die Aufteilung zwischen den Instanzen weiterhin gewahrt ist. Aber das Ganze wird ja nur funktionieren, wenn die Ausstattung der
Gerichte landesweit entsprechend ist. Deshalb ist mein Appell hier, die Länder noch einmal deutlich zu unterstützen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind hier oft im Austausch vor allem mit Richtern, Rechtsanwälten und Notaren, wenn wir ehrlich sind; aber die
Umsetzung der Digitalisierung braucht auch die Mitwirkung der anderen Justizberufe. Deshalb möchte ich sie hier heute explizit erwähnen: Von den
Gerichtsvollziehern über die Rechtspfleger, die Urkundsbeamte der Geschäftsstelle, die Justizsekretäre bis hin zu den Notarassistenten – sie alle tragen einen
ganz existenziellen Beitrag zum Funktionieren unserer Justiz bei. Dafür will ich heute einmal explizit Danke sagen. Ich will aber nicht beim Dank stehen
bleiben, sondern Anliegen, die mir von dieser Seite angetragen worden sind, auch weitergeben. Es gibt Anlass, sich noch einmal anzuschauen, ob die
Zuständigkeiten und Kompetenzen richtig verteilt oder ob da noch ungehobene Ressourcen sind. Ein starker Wunsch, der dort immer wieder formuliert wird, ist, bei
der Ausbildung mehr zu tun, sie zu einem Fachhochschulstudium zu machen. Ich finde, wir sollten schauen, wie wir auch das ermöglichen können.
Meine lieben Kollegen, wir haben Verantwortung für den Rechtsstaat und auch für die Durchsetzung des Rechtsstaats. Hier kommt mir die Innenministerin
gerade recht; denn ich will Sie loben
({1})
und Ihnen dafür danken, dass Sie den Kampf gegen Cyberkriminalität so ernst nehmen. Es gibt – das geht aus den jährlichen Berichten des
Bundeskriminalamts hervor – einen krassen Aufwuchs von Cyberkriminalität in all ihren Facetten. Es werden Unternehmen, kritische Infrastruktur gehackt; es wird
erpresst. Bürger sind Opfer von Identitätsdiebstahl, Hetze und Beleidigungen; das wurde schon erwähnt. Es gibt organisierte Kriminalität bis hin zu feindlichen
Attacken. Und wir tun im Kampf gegen Kindesmissbrauch und Missbrauchsdarstellungen im Internet nicht alles, was wir tun könnten, wenn wir auf naheliegende
Ermittlungsansätze wie retrograde – sprich: gespeicherte – IP‑Adressen verzichten.
({2})
Wir fordern die Speicherung natürlich nur in dem Umfang, den das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof erlaubt haben.
({3})
Da muss ich wirklich sagen, dass Ihr Vergleich mit chinesischer Überwachungspolitik, Herr Minister,
({4})
wirklich komplett daneben und absurd ist. Wie können Sie das vergleichen: chinesische totale Inhaltskontrolle, personenbezogen, versus die Zuordnung
von Zahlenkolonnen,
({5})
mit denen für sich genommen keiner etwas anfangen kann? Wie können Sie die dezentrale Speicherung von Daten, die einfach für eine Weile da bleiben, wo
sie entstehen, dezentral bei den Providern, mit einer chinesischen Zusammenfassung aller Daten vergleichen?
Kollegin.
Wie können Sie das vergleichen, wenn hier der Zugriff auf diese Daten immer vom Richtervorbehalt abhängig ist? Was halten Sie eigentlich von Ihren
Ermittlern, was halten Sie von den Richtern und ihrer Bindung an Gesetz und Ordnung, wenn Sie das vergleichen? Das frage ich mich wirklich.
({0})
Mir bleibt nicht mehr die Zeit –
Kollegin Winkelmeier-Becker, das geht jetzt nicht. Sie müssen den Punkt setzen.
– für das Lob, das ich noch aussprechen wollte.
Ich danke Ihnen für das Zuhören.
({0})
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Luiza Licina-Bode das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Einzelplan 07 für die Justiz mit
einem Gesamtvolumen von gut 1 Milliarde Euro ist ein kleiner Haushalt, aber für uns Juristinnen und Juristen, die wir doch einige im Bundestag sind, ist es ein
sehr wichtiger Haushalt. Es ist der unserer Demokratie und der Rechtsprechung.
Wir leben in fragilen Zeiten – das ist schon angesprochen worden –, und unser Haus der Demokratie braucht feste Säulen. Schaue ich heute in den Iran,
in die Türkei, nach Russland, aber auch in andere Länder, so muss ich mich fragen: Was ist das für eine Justiz, die es zulässt, dass Frauen, angeordnet vom
Staat, zusammengeprügelt und eingesperrt werden und dass auf Kinder geschossen wird? Das ist eines Staates absolut unwürdig. Das muss an dieser Stelle einmal
gesagt werden, da unser Justizsystem heute so kritisiert wird, um Sie im Hinblick auf das, was anderswo in dieser Welt gerade geschieht, in die Realität
zurückzuholen.
({0})
Während meiner Tätigkeit als Entscheiderin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge habe ich viele Asylverfahren bearbeitet und viele Menschen
angehört, die von ihrem Staat verfolgt wurden, wobei die Justiz in der Heimat zugeschaut oder sogar mitgemacht hat. In diesen Verfahren habe ich viel gehört.
Und Sie können sich gar nicht vorstellen, wie ohnmächtig man dasteht, wenn man am Ende feststellen muss, dass der eigene Staat einen verraten hat und dass man
hilflos vor ihm steht und ihm nicht vertrauen kann.
({1})
Deshalb ist es gut und richtig, dass wir erstmals ELIL – das sind die European Lawyers in Lesvos – mit 75 000 Euro unterstützen.
({2})
Das ist ein kleiner Beitrag. Aber wichtig ist, dass wir einsteigen, und wir werden auch in Zukunft zusehen, dass wir unsere Initiative diesbezüglich
ausbauen. ELIL arbeitet seit 2016 und war ursprünglich eine Initiative des Deutschen Anwaltvereins und der Europäischen Anwaltsvereinigung in Kooperation mit
den griechischen Anwaltskammern. Als unabhängige Rechtsberatung für Geflüchtete an den EU-Außengrenzen bieten ehrenamtlich arbeitende Rechtsanwältinnen und
Rechtsanwälte mit Sachkunde auf dem Gebiet des Asylrechts eine individuelle, kostenlose und spendenfinanzierte Rechtsberatung. Die Unterstützung, die wir jetzt
im Haushalt dafür bereitgestellt haben, ist auf jeden Fall ein guter Weg.
({3})
Dass ein Staat seine Staatsbürgerinnen und ‑bürger rechtlos stellt, ist bei uns undenkbar. Wir alle sollten dankbar dafür sein, dass wir in dieser
funktionierenden Demokratie leben dürfen und nicht auf dem Rücken der Demokratie unsere Spielchen spielen.
Von den 7 Millionen Euro, die wir im Haushalt für die Deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit bereitstellen, haben wir
500 000 Euro für die Ukraine vorgesehen. Die IRZ unterstützt den EU-Beitritt der Ukraine und die notwendigen rechtlichen, justiziellen Reformvorhaben. Das ist
angesichts der geopolitischen Lage genau der richtige Weg, den die Stiftung da geht.
Unser Justizsystem hat aber auch Vorbildcharakter, auch wenn man heute meint, man müsste sie kritisieren. Die deutsche Justiz ist in Europa und
weltweit anerkannt. Allen im Justizwesen muss ich daher auch heute noch mal unseren Dank aussprechen. Ich möchte auf den EU-Kommissar Didier Reynders zu
sprechen kommen, der zuletzt den Jahresbericht der Europäischen Kommission vorgestellt hat und darin das deutsche Justizsystem noch mal als besonders unabhängig
gelobt hat und in diesem Zusammenhang auch gelobt hat, dass wir den Pakt für den Rechtsstaat jetzt weiter ausbauen und dass wir dafür noch mal 200 Millionen
Euro im Haushalt draufgesattelt haben. Das ist genau der richtige Weg, und damit bringen wir die Justiz digital auf die Höhe der Zeit. Wir müssen einfach damit
anfangen.
({4})
Nach unserem Koalitionsvertrag wollen wir aber auch Gerichtsverfahren schneller und effizienter machen. Dazu werden wir zeitnah die
EU-Verbandsklagerichtlinie umsetzen. Das ist mir auch persönlich ein sehr wichtiges Anliegen, weil dadurch die Justiz entlastet wird und wir zahlreiche
Individualklagen vermeiden können. Am Ende können Verbraucher kollektiv über Verbände ihre Rechte einklagen. In diesem Zusammenhang und auch zu dieser
Jahreszeit, kurz vor Weihnachten, wünsche ich mir natürlich auch persönlich noch etwas, vielleicht auch etwas, was wir hier als Bundesgesetzgeber umsetzen
können, nämlich dass wir die Chance ergreifen, Kollektivrechte und kollektive Verbandsklagen zu Ende zu denken. Da gibt es die tierschutzrechtliche
Verbandsklage, die ich gerne auf Bundesebene regeln würde, genauso wie ein Verbandsklagerecht für Gewerkschaften, das am Ende auch dazu führen würde, dass
Arbeitnehmer/-innen und Verbraucher/-innen
({5})
bei der Rechtsetzung in kollektiven Verfahren gleichgestellt würden und dass unsere Justiz und die Länder entlastet würden.
({6})
Im Zusammenhang mit dem Verbraucherschutz möchte ich dann abschließend – –
Kollegin, die weiteren Vorhaben müssen Sie jetzt in die nächste Debatte verschieben. Sie müssen zum Schluss kommen.
Das mache ich gerne. – Dann eben mein letzter Satz: Die Stiftung Datenschutz mit 1 Million Euro zu unterstützen, war auch wichtig.
({0})
Sie hilft vielen Vereinen in Deutschland, sich zu informieren. In Anbetracht des Volumens des Haushalts haben wir doch ganz schön viele Projekte auf
den Weg gebracht.
Sie setzen jetzt bitte einen Punkt.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Lukas Benner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es in der Debatte mehrfach gehört – Sie, Herr Bundesminister Buschmann,
haben es positiv benannt –: Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung. – Das ist das Thema, bei dem wir nach vorne kommen müssen, und ich bin Ihnen dankbar, dass
Sie zu diesem Thema so früh einen Entwurf vorgelegt haben.
({0})
Bei Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung gilt aber: Wer alles beschleunigen will, beschleunigt kurzfristig gar nichts. Deswegen brauchen wir einen
klaren Vorrang für klimafreundliche Infrastruktur; denn es kann doch nicht unser Ziel sein, dass wir auf neu gebauten, noch breiteren Autobahnen ohne Tempolimit
zurück ins 19. Jahrhundert fahren.
({1})
Nein, wir brauchen die Infrastruktur für die ökologische Transformation; wir brauchen den Ausbau der erneuerbaren Energien.
({2})
Lassen Sie mich noch mit einem vermeintlichen Widerspruch aufräumen: Es geht nicht um Klimakrise gegen Artenkrise, es geht nicht um einen Widerspruch
zwischen Natur- und Umweltschutz und Infrastruktur, sondern wir müssen das zusammendenken. Wir müssen die Krisen dieser Zeit zusammenbringen.
({3})
Nur so können wir gemeinsam vorangehen und die Probleme lösen, die hier vor uns stehen;
({4})
denn nicht Feldhamster und Rotmilan sind das Problem in unserem Land,
({5})
nicht Feldhamster und Rotmilan blockieren und verlangsamen die Verfahren, sondern es sind die mangelnde Digitalisierung, fehlendes Personal und
langwierige Verfahren. Deswegen ist es gut, dass wir hier gemeinsam vorangehen.
Ich freue mich – Herr Dr. Lieb, Herr Buschmann, Sie haben es auch gesagt – auf die parlamentarischen Beratungen zu der VwGO-Novelle – § 80c Absatz 2 –
und dem Anwendungsbereich. Wir haben da noch einigen Klärungsbedarf. Aber ich bin mir sicher, dass wir Lösungen finden werden.
({6})
Auch im Haushalt finden wir hierfür die ersten Ansätze. Der neue Senat am Bundesverwaltungsgericht, die Mittel für Digitalisierung, das sind genau die
Schritte. So gehen wir voran, so zeigen wir, was möglich ist und dass wir das, was wir in den Koalitionsvertrag geschrieben haben, ernst meinen.
Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung wird es mit uns geben; wir arbeiten dran. Bei allen kleinen Differenzen, die wir vielleicht noch haben: Wir
gehen gemeinsam nach vorne; denn wir wollen ein Recht auf Höhe der Zeit, und ich bin mir sicher, dass wir das gemeinsam hinbekommen.
Vielen Dank.
({7})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zum Abschluss des parlamentarischen Verfahrens debattieren
wir hier und heute den Etat des Einzelplans 06, des Innenministeriums. Sehr geehrte Frau Innenministerin Faeser, vielen Dank an Sie und Ihr Haus für die
konstruktive Zusammenarbeit. – Schön, dass Sie aus Katar wieder zurück sind. Bei anderer Gelegenheit würden mich noch mal Ihre Eindrücke von dort
interessieren.
({0})
Aber das ist, glaube ich, mal ein separates Gespräch wert.
Der Dank geht natürlich auch an die Kolleginnen und Kollegen Berichterstatter. Das waren, glaube ich, gute Gespräche. Sehen Sie es mir aber nach, dass
die politischen Bewertungen bei der Beantwortung der Fragen noch auseinandergehen. So ist das nun mal in unserer Diskussion.
Wir leben in Zeiten außergewöhnlicher Herausforderungen, natürlich auch für den Bundeshaushalt; das ist gar keine Frage. Bei einem Haushalt geht es
für mich immer um die Frage der Generationengerechtigkeit und um Respekt gegenüber dem Steuerzahler. Wichtig ist: In diesen schwierigen Zeiten haben wir
Schwerpunkte zu setzen.
Als Union sind wir da, glaube ich, völlig klar: Wir wollen den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken, die äußere Sicherheit ausbauen und – natürlich
korrespondierend – die innere Sicherheit ausbauen. Das steht außer Frage. Wir wollen als Staat nach innen unabhängiger und resilienter werden, besser
vorbereitet sein auf schwierigste Situationen. Das ist die zwingende Kehrseite der Stärkung der äußeren Verteidigung. Dabei sind wir uns, glaube ich, alle
einig.
Dieser Einzelplan 06 spielt dabei eine zentrale Rolle. Er wächst im parlamentarischen Verfahren um 330 Millionen Euro auf gut 13 Milliarden Euro, aus
meiner und unserer Sicht leider aber, sehr geehrte Ministerin, an den falschen Stellen. Er wird den Erfordernissen der Stärkung der zivilen Verteidigung, des
Bevölkerungsschutzes und der inneren Sicherheit nicht gerecht.
({1})
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Ampelkoalition hier zu spät und deutlich zu kurz springt.
Warum zu spät? Wir alle kennen noch das Warntag-Fiasko aus 2020. Um nur einige weitere Beispiele zu nennen: die Frage, wie wir die Bewältigung der
Auswirkungen der Coronapandemie organisieren, die Flutkatastrophe im Ahrtal 2021, die Waldbrände in verschiedenen Regionen in Deutschland, der kürzliche Ausfall
der Funkinfrastruktur der Bahn, die Herausforderungen zur Unterbringung von Kriegsflüchtlingen. – Darauf müssen wir Antworten haben und zwingend reagieren.
Und der Regierungsentwurf? Der sah tatsächlich deutliche Kürzungen in den Bereichen der Bundespolizei, des BBK – des Bundesamtes für
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – und des THW vor. Aus meiner Sicht war das ein sehr unglückliches Signal nach außen, um das Wort „fatal“ zu vermeiden.
Wir alle haben doch in unseren Wahlkreisen gespürt und die Hinweise bekommen, dass insbesondere beim THW und bei seinen 668 Ortsverbänden die Unsicherheit, das
Unverständnis und vielleicht auch die Enttäuschung über diesen Etatentwurf riesengroß waren.
({2})
Das hat die Ampel im parlamentarischen Verfahren bemerkt und versucht, zu korrigieren. Aber es bleibt bei einem Versuch.
({3})
Sie springen viel zu kurz. Sie versuchen, den ungenügenden Regierungsentwurf in diesen Punkten zu korrigieren. Zugegebenermaßen: Nach den Gesprächen
und Beratungen haben Sie die Mittel beim THW aufgestockt. Aber der Ansatz bleibt noch deutlich hinter dem Ansatz aus dem Jahr 2022 zurück.
({4})
Für das BBK gilt Vergleichbares, und bei der Bundespolizei sind Sie noch weiter gegangen. Sie haben zwar die Ansätze im parlamentarischen Verfahren
verändert – Aufstockungen an einigen Stellen, Abstufungen an anderen Stellen –, aber unter dem Strich haben Sie die Mittel der Bundespolizei weiter gekürzt,
obwohl Sie wissen, dass es hier riesengroße Mehrbedarfe gibt und die dort gut angelegten Gelder sinnvoll genutzt werden.
({5})
Wir haben im Ausschuss und in den Berichterstattergesprächen formell, informell viele Details besprochen, gar keine Frage. Ich glaube, feststehen
sollte doch: Wir wollen eng an der Seite derjenigen stehen, die gerade in schwierigen Lagen unser Land stützen und der Bevölkerung helfen. Lassen Sie uns alles,
was vertretbar ist, tun, um der Bundespolizei, dem THW und dem BBK den Rücken zu stärken!
Wir als Union haben in der Bereinigungssitzung für Katastrophenschutz, Bevölkerungsschutz und die Bundespolizei über eine halbe Milliarde Euro mehr
bereitstellen wollen, um Schwerpunkte zu setzen und Kürzungen zu minimieren. Rund 70 Änderungsanträge inklusive Deckungsvorschläge haben wir eingebracht, und
wir halten bis heute unter anderem an dem Antrag für Maßnahmen zur Bewältigung eines flächendeckenden Stromausfalls fest und fühlen uns dabei durch die jüngsten
Diskussionen und die Äußerungen des Präsidenten des BBK, Herrn Tiesler, bestätigt. Unabhängig davon, was dort diskutiert wird – ob ein Black-out oder ein
Brown-out, ob ein systemischer Stromausfall im Großen oder ein planmäßiger in kleineren Bereichen –, wichtig ist: Wir dürfen uns in Deutschland nicht daran
gewöhnen, dass ein Stromausfall größerer Art zur Normalität wird.
({6})
In dieser Einschätzung unterscheiden wir uns ganz deutlich unter anderem von der Regierenden Bürgermeisterin Berlins, Franziska Giffey, die zu so
etwas immer wieder eine andere Meinung angedeutet hat. Ich glaube, wir müssen Vorsorge treffen, dass solche Stromausfälle in diesem Land nicht oder nur in ganz
geringem Umfang stattfinden. Leider, liebe Ampelkoalitionäre, haben Sie unseren Anträgen nur zum Teil Folge leisten können – aber immerhin. Deswegen springen
Sie aus unserer Sicht zu kurz.
Meine Damen und Herren, die Stärkung der inneren Sicherheit, der zivilen Verteidigung, des Bevölkerungsschutzes und des Katastrophenschutzes ist, das
wissen wir auch, nicht umsonst zu haben. Aber die Beträge sind leistbar. Diese Beträge sollte die Vorsorge uns wert sein. Wenn nicht jetzt, wann dann wollen wir
diese Bereiche stärken? Andere Bereiche haben zurückzustehen.
Zu den Anfängen von Corona haben wir in der letzten Koalition Konjunkturmittel auch für das BMI bereitgestellt, um verschiedene Bereiche zu stärken.
Diese Mittel laufen, gar keine Frage, planmäßig aus. Aber die Begründung für die Aufstockung dieser Mittel bleibt in Teilbereichen noch bestehen. Geben Sie sich
einen Ruck, stärken Sie gerade jetzt viel deutlicher das BBK, das THW und die Bundespolizei. Die Menschen in unserem Land würden es Ihnen danken.
({7})
Dann hätten Sie uns in diesen Bereichen auch an Ihrer Seite. Ich muss die Debatte noch abwarten. Aber diese Chance haben Sie wahrscheinlich leider
vertan. Deswegen werden wir diesem Etat aller Voraussicht nach nicht zustimmen können.
Vielen Dank fürs freundliche Zuhören.
({8})
Das Wort hat der Kollege Martin Gerster für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin Nancy Faeser! Es ist gerade einmal sieben Wochen her, da haben wir
hier über den Regierungsentwurf für den Haushalt 2023 diskutiert. Was haben wir uns alles anhören müssen von der Opposition! Einerseits wurde von der Union
immer betont, die Schuldenbremse müsse unbedingt eingehalten werden; andererseits hieß es von allen Seiten: Hier zu wenig, da zu wenig, und sowieso ist alles ja
ganz fürchterlich.
({0})
Heute steht fest: Trotz auslaufender Coronakonjunkturpakete – was ja absehbar und planmäßig war – stehen 13,1 Milliarden Euro für innere Sicherheit,
Integrationspolitik, Digitalisierung, Sport und Bevölkerungsschutz bereit; das sind 1,8 Milliarden Euro mehr als in der ursprünglichen Finanzplanung. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, ich finde, das ist ein sehr, sehr gutes Ergebnis.
({1})
Die Hälfte des Etats für 2023 ist für die Sicherheitsbehörden vorgesehen. Das Bundesinnenministerium und die nachgeordneten Behörden erhalten 1 607
zusätzliche Stellen. Schon im Regierungsentwurf waren noch einmal 1 000 zusätzliche Stellen bei der Bundespolizei vorgesehen, zum Schutz der Flug- und Seehäfen,
zum Grenzschutz und zur Verstärkung der Schiffsbesatzung in Nord- und Ostsee. Das ist richtig und notwendig. Ich kann die Kritik von Friedrich Merz und der
Union am Stellenaufwuchs, ehrlich gesagt, überhaupt nicht nachvollziehen; denn es ist wichtig, dass wir hier was tun.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sicherheit und Zusammenhalt in der Zeitenwende, das war der Ansatz der Ampel in den Beratungen und bei vielen
Gesprächen rund um den Haushalt. Ich möchte mich hier bei Jamila Schäfer und Thorsten Lieb für die sehr, sehr gute Zusammenarbeit ganz, ganz herzlich
bedanken.
({3})
Allein in der Bereinigungssitzung haben wir mit 58 Anträgen und 11 Maßgabebeschlüssen viel bewegt, sodass wir heute guten Gewissens sagen können: Die
Innenpolitik ist klar Gewinnerin der Haushaltsverhandlungen.
({4})
Für die innere Sicherheit und die Cyberabwehr stellen wir zusätzlich 41 Millionen Euro bereit. Seit Putins Angriff auf die Ukraine hat sich
beispielsweise auch die Sicherheitslage im Ostseeraum massiv verändert. Im Haushaltsausschuss haben wir auf Initiative der Ampel 21 Millionen Euro zusätzlich
mobilisiert für Kontroll- und Streifenboote, aber auch für Mehrzweckboote, darüber hinaus 4 Millionen Euro für die Beschaffung von Drohnen zum Schutz von
kritischer Infrastruktur. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik kann für 1 Million Euro zusätzlich eine Austauschplattform zu Cyberangriffen
aufbauen und erhält noch einmal 52 zusätzliche Stellen, vor allem zur Stärkung der IT-Sicherheit in unserem Land. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das halten wir
für absolut notwendig; das ist richtig investiertes Geld.
({5})
Mit dem Haushalt 2023 stellen wir als Ampelkoalition auch 75 Millionen Euro für ein Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan bereit. Wir unterlegen
damit den Plan der Bundesregierung, monatlich etwa 1 000 Menschen mit ihren Familien aus Afghanistan nach Deutschland zu holen.
({6})
Das ist ein wichtiges Signal, dass wir Verantwortung übernehmen für Afghanistan und die Menschen.
Wenn ich über Menschen spreche, dann will ich sagen, dass es uns auch ein großes Anliegen war, die Migrationsberatungsstellen für erwachsene
Zuwanderer zu stärken und nicht zu schwächen. Plus 24 Millionen Euro an dieser Stelle sind richtig gut, damit auch die Beschäftigten Planungssicherheit
bekommen.
({7})
Bei den Integrationskursen gibt es ein Plus von 153 Millionen Euro; das ist, glaube ich, auch sehr gut; denn nur mit entsprechenden Mitteln kann der
hohe Bedarf, beispielswiese an Sprachkursen, im nächsten Jahr gedeckt werden.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich auch sehr, dass wir mit unseren Beschlüssen zum Haushalt 2023 die Investitionen in den Zivil- und
Katastrophenschutz auf sehr hohem Niveau fortführen.
({9})
104 Millionen Euro haben wir in der Ampel zusätzlich für BBK und THW mobilisiert. Das THW beispielsweise profitiert davon enorm. Die SB-Mittel bleiben
auf Rekordniveau: plus 12,5 Millionen Euro. Die Aus- und Fortbildung wird deutlich gestärkt, auch die THW-Jugend. Ich glaube, das ist das richtige Signal an die
Familie des THW. An dieser Stelle möchte ich einmal allen Einsatzkräften, egal ob haupt- oder ehrenamtlich, ganz herzlich danken.
({10})
Beim BBK, lieber André Berghegger, machen wir viel, da haben wir noch mal viel bewegt, auch in der Bereinigungssitzung: plus 5 Millionen Euro für Cell
Broadcast und ein Sirenenförderprogramm im Umfang von 30 Millionen Euro.
Aber ich finde es auch gut, dass wir die Länder jetzt zwingen, sich daran finanziell entsprechend zu beteiligen; denn ich habe, ehrlich gesagt, die
Schnauze ein bisschen voll, dass wir als Bund für Aufgaben zahlen, die die Länder eigentlich übernehmen sollten, und wir als Dankeschön dann noch harsche
Kritik, beispielsweise aus Düsseldorf oder Stuttgart, bekommen.
({11})
Das kann so nicht bleiben; deswegen haben wir eine entsprechende Sperre vorgesehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, für uns in der Ampel gehört zur inneren Sicherheit auch das Thema „wirksame Prävention und politische Bildung“. Ich
freue mich wirklich sehr, dass wir die Bundeszentrale für politische Bildung noch einmal deutlich stärken konnten, mit plus 12,4 Millionen Euro und 21 Stellen.
Das ist gut für die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus. Das ist auch gut, um beispielsweise Desinformationskampagnen besser entlarven zu können.
Ich freue mich im Übrigen auch sehr, dass wir es geschafft haben, Initiativen zur Stärkung des jüdischen Lebens in Deutschland und für den Kampf gegen
Antisemitismus noch einmal, mit plus 21 Millionen Euro, zu stärken.
({12})
Zusammenhalt in der Zeitenwende, dafür steht bekanntermaßen auch der Sport. Gut, dass das Förderprogramm „ReStart“ für den Breitensport, das auf
Initiative von Nancy Faeser der Bund in diesem und im nächsten Jahr mit insgesamt 25 Millionen Euro finanziert, jetzt startet. Weil es nach der Pandemie auch
beim Sport vieles aufzuholen gilt, haben wir weit über den Zuständigkeitsbereich des Bundes hinaus den Sport nochmals deutlich gestärkt: für das IAT in Leipzig
plus 1,5 Millionen Euro, für den Behindertensport plus 1,25 Millionen Euro, für „Campus Sportdeutschland“ in Frankfurt plus 400 000 Euro, für die Sanierung der
Rennschlitten- und Bobbahn in Altenberg plus 1,75 Millionen Euro und zu guter Letzt natürlich die Finanzierung einer weiteren Scheibe des sehr erfolgreichen
Bundesprogramms zur Sanierung kommunaler Sportstätten in Höhe von 400 Millionen Euro.
({13})
Das ist sehr, sehr gut angelegtes Geld, wie ich finde, wenngleich es haushalterisch natürlich über einen anderen Einzelplan dargestellt wird.
Zusammenfassend will ich sagen: Es ist uns mit unseren Beschlüssen im Haushaltsausschuss gelungen, dass das Bundesinnenministerium und die
nachgeordneten Behörden für die großen Herausforderungen gut aufgestellt sind. Ich wünsche der Bundesregierung und der Ministerin Nancy Faeser und ihrem Team
und den Behörden von Herzen viel Erfolg bei der Umsetzung des Etats 2023.
Herzlichen Dank.
({14})
Eine kleine Anmerkung, Kollege Gerster: „Ehrlich“ oder „nicht ehrlich“, parlamentarische Ausdrucksweise geht anders.
Das Wort hat der Abgeordnete Marcus Bühl für die AfD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Statistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, kurz: BAMF, weist bei den Erstanträgen
auf Asyl mit fast 24 000 Anträgen allein im Oktober 2022 einen Anstieg um 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat auf. Wir reden dabei vom höchsten
Monatswert seit Ende 2016. Das Szenario wie im Katastrophenjahr 2015 wiederholt sich sehenden Auges.
Und was macht die Bundesregierung? Statt sich endlich um einen umfassenden Grenzschutz zu kümmern und den großen Sozialmagneten abzuschalten, macht
sie genau das Gegenteil: Erhebliche Teile des Haushalts, so auch im Bereich der Innenpolitik, verwendet Links-Grün für Ideologieprojekte, zum Beispiel zur
Unterhaltung der Asylindustrie, wie man an Titeln wie „Behördenunabhängige Asylverfahrensberatung“ sehen kann. Bei der Ausrüstung zu unserer inneren Sicherheit
kreist dagegen der Rotstift; die Sicherheitslage droht noch weiter abzurutschen.
({0})
Der vorgelegte Haushalt des Innenministeriums ist das erschütternde Zahlenwerk dieser links-grünen Bundesregierung und ihrer ideologiegetriebenen
Innenpolitik, die wir ablehnen.
({1})
Kommen wir zu einigen Einzelheiten. Es soll zwar 1 000 zusätzliche Stellen bei der Bundespolizei geben, was allerdings hauptsächlich die Altersabgänge
kompensiert, zumal auch erst mal drei Jahre ausgebildet werden muss. Für die jungen Polizeiabsolventen haben wir die Einführung von Ortszuschlägen für
Ballungsgebiete mit hohen Mieten gefordert, was von allen anderen Fraktionen abgelehnt wurde.
15 Prozent der Einsatzfahrzeuge der Bundespolizei haben eine Kilometerlaufleistung jenseits der 200 000 Kilometer. Die logische Folge wäre, den
Haushaltstitel zur Fahrzeugbeschaffung, wie von uns gefordert, zu erhöhen. Aber nicht mit Links-Gelb: Die Koalition hat beim Titel „Fahrzeuge für die
Bundespolizei“ weiter gekürzt.
Steuergeld für links-grüne Ideologieprojekte wird allerdings reichlich aufgewendet, so zum Beispiel für die üppig versorgte Asylindustrie. Neu für
nächstes Jahr ist mit 20 Millionen Euro eine behördenunabhängige Asylverfahrensberatung. Damit wird neben der Beratung durch das BAMF eine Doppelstruktur mit
Steuergeldern aufgebaut. Was soll in einer derartigen Beratung denn beraten werden, was das BAMF nicht kann? Und wenn eine Beratung behördenunabhängig ist, wozu
bedarf es staatlicher Fördergelder?
Eine weitere Absurdität ist die Förderung der freiwilligen Ausreise. Es werden Personen, die zur Ausreise rechtlich verpflichtet sind, mit Prämien
ausgestattet, wenn sie sich rechtskonform verhalten. Wie wenig willens diese links-gelbe Bundesregierung ist, geltendes Recht mit den völlig normalen Mitteln
eines Rechtsstaates durchzusetzen, zeigt dieses Beispiel sehr eindrücklich.
({2})
Auch hier wird stattdessen Steuergeld in Größenordnungen verschwendet. Ausreisepflichtige und abgelehnte Asylbewerber müssen konsequent und zügig
abgeschoben werden, statt ihnen Geld für die Ausreise anzubieten. Die links-gelb-grüne Regierung setzt unverdrossen ihre Politik der sperrangelweit offenen
Grenzen bei eingeschaltetem Sozialmagneten fort, und das bei den bereits existierenden Zuständen. Wir halten dagegen und werden diesen Haushalt ablehnen. Denn
wir sagen: Unser Land zuerst.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Jamila Schäfer das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir hatten bei diesem Haushaltsverfahren eine recht
schwierige Gemengelage. Es gibt riesige, über Jahrzehnte gewachsene Investitionsstaus, gerade im Bereich des Zivilschutzes und der Cybersecurity. Und nicht
zuletzt die Flut im Ahrtal und der gescheiterte Warntag 2020 haben die Verletzlichkeit des Bevölkerungsschutzes in Deutschland deutlich zutage treten
lassen.
Neben der Klimakrise macht auch der russische Angriffskrieg mitten in Europa die sicherheitspolitischen Aufgaben hierzulande nicht kleiner, sondern
größer. Doch leider konnten wir mit dem „Sondervermögen Bundeswehr“ nur die Grundlage schaffen, die Fähigkeitslücken bei der Bundeswehr, nicht aber beim
Bevölkerungsschutz oder bei der Cybersicherheit zu schließen. Denn die Union wollte Zivilschutz und Cybersicherheit, die genauso für unsere Sicherheit relevant
sind – übrigens auch jenseits der konventionellen Kriegsführung –, auf gar keinen Fall in dem „Sondervermögen Bundeswehr“ abbilden.
({0})
Darum ist es auch unglaubwürdig, dass die Union erst einen Investitionsstau verursacht, dann ein beherztes Anpacken dieses Investitionsstaus
verhindert und sich jetzt beschwert, dass zu wenig Geld da ist.
({1})
– Ja, genau, Sie sagen jetzt: Finanzieren Sie es aus dem aktuellen Haushalt. – Das machen wir ja auch, so gut es geht, im Rahmen der
Schuldenbremse.
({2})
Deswegen stärken wir im Anschluss an die Bereinigungssitzung zum Beispiel allein das THW und das BBK mit rund 80 Millionen Euro zusätzlich.
({3})
Wir fördern damit das Ehrenamt, Ausbildungsmaßnahmen und den Selbstschutz der Bevölkerung. Und wir investieren in die Warnung der Bevölkerung und
legen das Sirenenförderprogramm neu auf. Wir machen auch den Weg frei für die Anschaffung von großen Löschfahrzeugen und sorgen dafür, dass die Luftrettung für
den Zivilschutz in Zukunft durch einen Maßgabebeschluss noch deutlich verbessert wird. Das ist angesichts der größer werdenden Gefahr von Waldbränden und
Flutkatastrophen als Folge der Klimakrise auch sehr wichtig.
Aber der Unterschied zu Ihren Anträgen ist: Wir haben das machbar und seriös gegenfinanziert. Sie würden nämlich kürzen bei IT oder
Integrationsmaßnahmen – beides Bereiche, die schon jetzt total auf Kante genäht sind und die für die innere Sicherheit entscheidend sind. Und Ihre heutigen
Anträge im Umfang von 140 Millionen Euro sind gar nicht gegenfinanziert.
({4})
Sich jetzt hinzustellen und zu sagen: „Das Geld reicht nicht“, das kann ja jeder. Aber man sollte sich das nicht leisten, wenn man als seriöse
Oppositionspartei durchgehen will.
({5})
Ich bin froh, dass es uns trotz aller Schwierigkeiten gelungen ist, auch bei der Cybersicherheit noch mehr zu tun. Wir ermöglichen jetzt den Aufbau
einer Plattform, damit schnellstmöglich Erkenntnisse über Cyberattacken verteilt und Lösungen schnell gefunden werden können. Auch beim Schutz von kleinen und
mittelständischen Unternehmen gehen wir voran. Gerade im Bereich der kritischen Infrastruktur werden jetzt Lösungen erarbeitet, damit sich Investitionen in die
Cybersicherheit eben auch lohnen.
Statt bei Integration zu kürzen, so wie die Union das ja vorgeschlagen hat, bauen wir die Integrationskurse mit 153 Millionen Euro aus, und das ist
ehrlicherweise auch dringend notwendig. Denn wir müssen zum einen damit dafür sorgen, dass wir mit Migration gut umgehen, weil es sie in einer krisengebeutelten
Welt perspektivisch einfach gegeben wird, und zum anderen sind Integrationskurse ein total wichtiger Baustein, um angesichts des demografischen Wandels den
Fachkräftemangel abzubauen. Auch das – das möchte ich so klar sagen – sind sicherheitsrelevante Investitionen.
Wir haben einen ganz großen Bedarf an Handwerkerinnen und Handwerkern sowie anderen Fachkräften, der gedeckt werden muss, um den Weg in einen
krisenfesten Wohlstand zu schaffen, etwa mit einer resilienten Energieversorgung und einer starken klimaneutralen Industrie.
({6})
Mit diesem Haushalt tragen wir auch über den innenpolitischen Etat dazu bei.
Insofern möchte ich mich auch noch mal ganz herzlich bedanken bei den Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausschuss, insbesondere bei Martin Gerster und
Thorsten Lieb, und natürlich auch bei Nancy Faeser und ihrem Haus für die konstruktive Zusammenarbeit und auch die Unterstützung unserer Arbeit.
Vielen herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Martina Renner für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Würde es nur um die Zahlen im Haushalt gehen, dann müsste man
nüchtern feststellen: Wo man auch hinsieht, überall massive Personalaufstockung, und das, obwohl bis heute die Stellen aus dem Zuwachs des letzten Haushalts
nicht annähernd besetzt sind. Eine Zahl: Es gibt allein 9 000 offene Stellen bei der Bundespolizei.
Also zurück zur Politik. Der Haushalt sollte Ausdruck politischer Schwerpunkte sein; reden wir darüber. Die Innenministerin hat die letzten Wochen
eine Reihe von Texten, Papieren veröffentlicht: zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, die Ankündigung einer Nationalen Sicherheitsstrategie und
Beiträge zur Sicherheit informationstechnischer Systeme.
Wie sieht eigentlich die Realität aus? Die Integrität der Informationstechnik wird nicht mit einer Behörde geschützt, deren Spitze gerade nicht
resilient gegenüber fremden Interessen war. Ich meine das BSI.
({0})
Das Leitungsproblem und die Vorwürfe sind schon sehr lange bekannt. Reagiert wurde offenbar erst, als der Hashtag #cyberclown trendete. Ich meine, die
lange Tatenlosigkeit im BMI ist das eigentliche Problem.
({1})
Rechte Gewalt wird nicht dadurch bekämpft, dass man den massiven Anstieg rechter und rassistischer Straftaten einfach umetikettiert. Der Aufwuchs von
Straftaten, die vorgeblich politisch nicht zuzuordnen sind, beläuft sich im Vergleich von 6 600 in 2019 zu 21 300 in 2021. Wir wissen alle, was sich dahinter
verbirgt: Angriffe durch Reichsbürger, Selbstverwalter, antisemitische Verschwörungsgläubige und Tag-X-Fanatiker.
({2})
So was gehört für mich in die Kategorie „Politisch motivierte Kriminalität-rechts“. Hier muss etwas passieren.
({3})
Verlorengegangenes Vertrauen in die Polizei wird nicht wiederhergestellt, wenn rassistische Polizeigewalt, wie auch zuletzt durch die Ministerin
selbst, geleugnet wird. Wir warten auf die Schaffung des Amtes eines Unabhängigen Polizeibeauftragten und die Kennzeichnungspflicht.
({4})
Keine Eckpunkte zu einem zukünftigen Gesetz kamen bisher von dem Ministerium.
Zuletzt: das Archiv zu Rechtsterrorismus. Ich sage, das bleibt so lange ein leeres Versprechen, bis die Akten des Verfassungsschutzes zum
Oktoberfestattentat endlich freigegeben werden.
({5})
42 Jahre ist dieser Anschlag jetzt her. Frau Innenministerin, Sie selbst haben in Hessen mit einer Petition gegen die Geheimhaltung der NSU-Akten
gekämpft. Machen Sie dem BfV endlich eine Ansage. Aufklärung zur Kontinuität des Rechtsterrors und der Rolle des Staates gelingt nur, wenn endlich die Akten
freigegeben werden.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat Dr. Thorsten Lieb für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Im Einzelplan des Bundesministeriums des
Innern und für Heimat bilden sich die großen Herausforderungen unserer Zeit in besonderer Weise ab. Ob innere Sicherheit, Bevölkerungs- und Katastrophenschutz,
Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der Integration, gerade getrieben durch den heute neun Monate andauernden völkerrechtswidrigen Angriffskrieg
gegen die Ukraine, und nicht zuletzt der Sport: All das kulminiert im Einzelplan 06.
Insgesamt 80 Anträge und Maßgabebeschlüsse haben wir als Fortschrittskoalition im Rahmen der Einzelplanberatungen in der Bereinigungssitzung gestellt.
Das zeugt von der Handlungsfähigkeit dieser Koalition, gerade in dieser volatilen Zeit bei Themen der Innenpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Man kann allerdings in dieser Woche nicht über den Etat dieses Ministeriums sprechen, ohne nicht zumindest kurz auf die laufende
Fußballweltmeisterschaft einzugehen. Ich nutze die Gelegenheit, Ihnen, Frau Ministerin, für das starke Signal gestern ganz herzlich dankzusagen und natürlich in
gleicher Weise auch der Mannschaft. Vielen Dank dafür! Das war notwendig.
({1})
Wenn ich sehe, wie die iranische Fußballnationalmannschaft bei ihrem ersten WM-Spiel ihre Unterstützung für die vielen Frauen
({2})
in ihrem Land ausgedrückt hat, die sich unter erheblichem persönlichen Risiko mit dem Slogan „Frauen, Leben, Freiheit“ für mehr Freiheit und
Menschlichkeit einsetzen – das, liebe Kolleginnen und Kollegen, verdient unsere nachhaltige Unterstützung in diesem Hause –,
({3})
dann muss ich sagen: Ich wundere mich schon sehr, warum die traditionsbewussten und selbstbewussten Fußballverbände in Europa so schnell einknicken
und in dieser schwierigen Frage nicht wenigstens ein bisschen Mut aufbringen, um der Vorbildfunktion, die der Sport für sich immer in Anspruch nimmt, an dieser
Stelle Genüge zu tun. Deswegen sind die Verbände aufgefordert, zukünftig nachhaltig dafür zu sorgen, dass solche Vergaben nicht mehr stattfinden können, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Dafür braucht es aber eben auch demokratische Länder, die bereit sind, genau solche Sportgroßereignisse durchzuführen, durchzusetzen und sich dafür zu
engagieren.
({5})
Das setzt moderne Sportanlagen und moderne Trainingsstätten voraus. Dafür haben wir – der Kollege Gerster hat es gerade wundervoll ausgeführt; das
will ich gar nicht wiederholen – an ganz vielen Stellen viel getan,
({6})
damit Spitzensport und Leistungssport in diesem Land nicht nur würdige Trainings-, sondern auch würdige Sportstätten vorfindet.
({7})
Mir persönlich besonders wichtig – das will ich an der Stelle noch mal ansprechen – ist die Förderung des Parasports; denn auch das ist ein wichtiger
Beitrag zur Inklusion in diesem Land. Das sollten wir entsprechend auch weiter würdigen.
({8})
Wir haben – auch das ist schon angesprochen worden – im Bereich „Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe“ und in vielen Bereichen der inneren
Sicherheit noch mal massiv investiert, gerade in der Bereinigungssitzung. Insofern sage ich, Herr Kollege Berghegger: Das hat sich heute positiv von der Debatte
abgehoben, die hier phasenweise geführt wurde, in der der Ampel vorgeworfen wurde, wir würden einen Abbau im Bereich der inneren Sicherheit betreiben oder wir
seien gar ein Sicherheitsrisiko. Ich hoffe, die Debatte bleibt so; denn wir haben an dieser Stelle eine ganze Menge investiert. Das ist ein gutes Signal für die
innere Sicherheit in diesem Land.
({9})
Abschließend möchte ich noch ein anderes, sehr ernstes Thema ansprechen. Die Schüsse auf ein Nebengebäude der Alten Synagoge in Essen haben sicherlich
nicht nur mich, sondern viele in diesem Land betroffen gemacht. Immer wieder müssen wir leider erleben, wie Antisemitismus in Krisenzeiten anscheinend
Konjunktur bekommt. Deswegen sage ich nochmals an dieser Stelle: Solange irgendeine jüdische Einrichtung in diesem Land unter Polizeischutz stehen muss, so
lange sind wir als Politik aufgefordert, alles dafür zu tun, dass Antisemitismus in diesem Land nachhaltig bekämpft wird, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({10})
Deswegen ist es mir eine Freude, dass es auch an dieser Stelle gelungen ist, eine ganze Reihe von Projekten in diesem Haushalt unterzubringen – trotz
der schwierigen Lage. Auch das zeugt von Handlungsfähigkeit.
Abschließend auch von meiner Seite ganz herzlichen Dank an die Berichterstatterkolleginnen und ‑kollegen Martin Gerster, Jamila Schäfer und auch an
den Kollegen Berghegger, mit dem man das Ganze wirklich seriös verhandeln konnte. Danke auch an das Haus! Ich denke, damit ist eine gute Grundlage für eine gute
Arbeit in diesem Ministerium im kommenden Jahr geschaffen.
Vielen herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat die Kollegin Andrea Lindholz für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt für das Jahr 2023 ist auch eine
Bilanz für das erste Amtsjahr der Bundesinnenministerin. Sie, Frau Faeser, haben vieles angekündigt, aber weniges ist in dieser Zeit passiert.
({0})
Im Sommer dieses Jahres kündigten Sie zum Beispiel einen „Neustart im Bevölkerungsschutz“ an. In diesem Haushalt ist davon allerdings nichts zu sehen.
Die Vorgängerregierung hatte als Reaktion auf die Coronapandemie ab dem Jahr 2020 eine halbe Milliarde Euro zusätzlich in das THW und Hunderte Millionen Euro in
das BBK investiert.
Im März 2021 hatten wir die Neuausrichtung des BBK, das neue Kompetenzzentrum von Bund und Ländern, ein Sirenenprogramm, die Warnung per SMS, den
sogenannten Cell Broadcast, und vieles mehr auf den Weg gebracht.
({1})
Das war der „Neustart im Bevölkerungsschutz“, den Sie, die Ampel, mit diesem Haushalt jetzt abwürgen.
({2})
Unter dem Strich sinken die Ausgaben für das THW und das BBK im kommenden Jahr um 190 Millionen Euro. Die Kürzungen wären sogar noch größer gewesen,
wenn der Haushaltsausschuss nicht mit einigen guten Beschlüssen – dafür bin ich sehr dankbar – gegengesteuert hätte. Aber in die zivile Verteidigung, liebe
Kolleginnen und Kollegen, investieren Sie keinen einzigen Cent – und das, obwohl Krieg in Europa herrscht. Das ist alles andere als ein Neustart. Das ist eine
haushaltspolitische Vollbremsung.
({3})
Angesichts von Corona, Flut und Krieg muss hier viel mehr passieren. Die Sicherheitslage hat sich seit 2019 fundamental verändert. Es reicht deshalb
auch nicht, auf den Haushalt von 2019 zu verweisen. Fakt ist, dass der Bundeshaushalt des Innenministeriums sich im Vergleich zum Vorjahr um 1,8 Milliarden Euro
reduziert und dass das in dieser Situation nicht akzeptabel ist.
({4})
Die Union hat mehr als 400 Millionen Euro zusätzlich für den Zivil- und Katastrophenschutz beantragt, weil es zum Beispiel wesentlich mehr Vorsorge
für Stromausfälle braucht; das haben wir von BBK-Präsident Tiesler erst in diesen Tagen gehört. Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich lassen und müssen sich
solche Mittel aus dem regulären Haushalt finanzieren. Man muss die richtigen Prioritäten setzen.
({5})
Die Bundesinnenministerin hat eine neue europäische Flüchtlingspolitik angekündigt. Die irreguläre Migration nach Deutschland steigt massiv an. Wir
haben in diesem Bereich in diesem Jahr schon 160 000 Asylbewerber zusätzlich zu den rund 1,1 Millionen schutzbedürftigen Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. Die
Tendenzen bei der irregulären Migration sind stark steigend. Wir befinden uns also in einer massiven Migrationskrise. Und Sie, liebe Frau Innenministerin,
brauchen Wochen, um beispielsweise auf die illegale Migration aus der Schweiz, aus Tschechien oder auf die Visapolitik Serbiens zu reagieren.
({6})
Die Kommunen und Länder sind längst am Limit. Wir konnten das gestern lesen. Es hat sich zum einen die Justizministerin Baden-Württembergs, Frau
Gentges, an Sie gewandt, und zum anderen hat der Vizepräsident des Städtetages gestern geäußert: „Wir werden das aus eigener Kraft nicht schaffen.“ An dem
sogenannten Flüchtlingsgipfel im Oktober, den ich nur „Flüchtlingsgipfelchen“ nenne, hat man unter anderem als Lösung weitere 56 Bundesimmobilien mit Platz für
4 000 Personen zur Verfügung gestellt. Das ist gut, aber das reicht nicht; denn allein im Oktober hatten wir 24 000 Asylanträge. Bereits wenige Tage nach dem
Treffen mit den Ländern, die um Entlastung gebeten haben, wurde das neue Aufnahmeprogramm der Ampel für Afghanistan den Ländern vorgestellt. Sie wurden vor
vollendete Tatsachen gestellt. Ich frage mich allen Ernstes: Welche Ignoranz besitzen Sie eigentlich gegenüber denjenigen, die das alles vor Ort stemmen
müssen?
({7})
Angesichts des Krieges in der Ukraine ist es gut, dass die Hilfsbereitschaft in unserem Land anhaltend hoch ist. Aber auch hier müssen wir mehr tun.
Es ist möglich, dass noch mehr Menschen aus der Ukraine fliehen, weil sie im Winter ohne Strom, ohne Wärme und ohne Wasser auskommen müssen. Deutschland hat
zehnmal so viele Flüchtlinge aufgenommen aus diesem Bereich wie Frankreich. Es muss mehr getan werden. Wir brauchen ein europäisches Verteilungssystem. Ihre
Aktivitäten an dieser Stelle sind gleich null. Es gibt bis dato kein Verteilungssystem. Die Vorbereitungen in Deutschland werden nicht ausreichen; das zeigen
uns auch die Stellungnahmen der Länder.
({8})
Bezeichnend ist an dieser Stelle im Übrigen, dass der Bundeskanzler gestern in seiner Rede die größte Migrationskrise seit Bestehen der Republik mit
keinem Wort erwähnt hat.
({9})
Ich will nur eines sagen: Man kann versuchen, Dinge totzuschweigen oder nicht zu nennen. Aber es wird am Ende nicht funktionieren.
({10})
Sie haben gleich zu Beginn im letzten Jahr einen Plan und Kampf gegen Rechtsextremismus angekündigt. Auf die Umsetzung des Aktionsplans warten wir
noch heute. Es ist gut, dass unsere Maßnahmen aus der letzten Legislaturperiode offensichtlich wirken; denn aktuelle Studien aus Leipzig zeigen, dass harte
rechtsextreme Einstellungen schon seit einiger Zeit abnehmen. Ich würde mir aber wünschen, dass an dieser Stelle noch mehr passiert.
Nicht nur Rechtsextremisten, auch Corona, die Flut, der Krieg, der Schutz kritischer Infrastrukturen, Klimakleber und Migration fordern unsere
Sicherheitsbehörden.
({11})
Anstatt sie weiter zu stärken, ruht sich die Ampel auf den Aufwüchsen der Vergangenheit aus, auf dem, was wir über die letzten Jahre sukzessive jedes
Jahr an Mitteln und Möglichkeiten zur Verfügung gestellt haben.
({12})
Gerade die von Ihnen großartig angekündigte Ruhegehaltsfähigkeit der Polizeizulage, für die ich Sie ausdrücklich gelobt habe und die ich ganz
hervorragend finde, ist nach zwölf Monaten, liebe Ampelkollegen, immer noch nicht umgesetzt. Ich finde, unsere Polizistinnen und Polizisten können zu Recht
erwarten, dass Sie Wort halten.
({13})
Sie haben die Eckpunkte für das KRITIS-Dachgesetz vorgestellt. Das finde ich gut. Das ist ein richtiger, ein wichtiger Schritt, aber ich hoffe, dass
diesen Eckpunkten in schnellen Schritten mehr folgt.
Lassen Sie mich, bevor ich zum Schluss komme, noch eine Frage stellen, die sich während der Haushaltsberatungen ergeben hat; vielleicht, Frau
Innenminister, können Sie heute etwas zur Aufhellung beitragen.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Es steht die Frage im Raum, ob Sie und die Ampel die Stelle des Präsidenten der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung von B 6 auf B 8 gehoben
haben, um die Versetzung von BSI-Chef Schönbohm vorzubereiten. Es geht hier immerhin um einen Betrag von 1 100 Euro pro Monat, vielleicht auch noch ein bisschen
mehr. Vielleicht könnte man zu diesem Vorgang heute etwas sagen.
({0})
Alles in allem empfinden wir den Haushalt als enttäuschend, die Bilanz nach dem ersten Amtsjahr ebenfalls. Ein sinkender Haushalt für das
Innenministerium in diesen Zeiten ist kein gutes Zeichen. Damit wird man den sicherheitspolitischen Herausforderungen nicht gerecht. Wir werden ihn daher
ablehnen.
({1})
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Herr Hoppenstedt, Sie können sich freundlicherweise schon einmal Gedanken machen, wem ich die Minute abziehen
darf.
Als nächste Rednerin hat Frau Bundesministerin Nancy Faeser für die Bundesregierung das Wort.
({0})
Danke schön. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine sehr verehrten Abgeordneten! Wissen Sie, Frau Abgeordnete Lindholz, ich
finde, Sie bringen viel Selbstbewusstsein dafür auf, dass Sie 16 Jahre lang an der Spitze des Innenministeriums für den zivilen Katastrophenschutz herzlich
wenig getan haben.
({0})
Ich habe einen sehr ernst zu nehmenden Punkt anzumerken, Frau Abgeordnete Lindholz, den ich nicht in Ordnung finde. Sie sollten von dieser Stelle aus
wirklich nicht mehr von „größter Migrationskrise“ reden. Meine Damen und Herren, wir haben keine große Migrationskrise.
({1})
Sie sehen schon, von wem Sie den meisten Beifall dafür bekommen.
({2})
Mit dieser Bemerkung machen Sie nichts anderes, als die Gesellschaft zu spalten und die AfD zu stärken; nichts anderes machen Sie hier, nichts
anderes.
({3})
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, für Sicherheit zu sorgen, das ist in dieser schwierigen Zeit die zentrale Priorität dieser
Bundesregierung. Das gilt für die Sicherheit nach außen, nach innen, aber insbesondere auch für die soziale Sicherheit, die elementare Voraussetzung für die
innere Sicherheit ist. Deswegen danke ich allen Beteiligten für die Einigung beim Bürgergeld; denn auch das ist wichtig für die innere Sicherheit.
({4})
Und: Es gilt für den Schutz unserer Demokratie. Mit dem Angriff auf die Ukraine hat sich auch die Bedrohungslage in Deutschland massiv verschärft.
Darauf reagieren wir entschlossen auf allen Ebenen. Unsere Sicherheitsbehörden haben alle Schutzmaßnahmen massiv hochgefahren. Wir sind wachsam, und wir sind
vorbereitet.
Mit dem Haushalt 2023 stärken wir die innere Sicherheit in Deutschland weiter, meine Damen und Herren. Dabei sind folgende Grundsätze für mich sehr
zentral: Wir verteidigen unsere freiheitliche Demokratie, unseren Rechtsstaat. Wir machen Staat und Gesellschaft widerstandsfähiger. Und wir sorgen für ein
neues Sicherheitsbewusstsein in unserem Land.
Die erste und oberste Priorität für mich ist der Schutz unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft. Und damit ist nicht nur der Schutz jedes
Einzelnen gemeint: Es geht ums Ganze, um die Art und Weise, wie wir hier leben, meine Damen und Herren. Darum darf ich den Haushaltspolitikern, insbesondere
denen der Koalition, Frau Schäfer, Herrn Lieb und Herrn Gerster, ganz herzlich insbesondere für die Aufstockung der Mittel für die Bekämpfung von Antisemitismus
danken; denn das ist für uns eine der größten Aufgaben.
({5})
Diejenigen, die unsere innere Sicherheit bedrohen, Terroristen, Extremisten, auch staatliche Akteure, wollen unsere Gesellschaft spalten. Sie wollen
uns schwach und unsere Demokratie instabil erscheinen lassen. Sie wollen elementare Bereiche unserer Daseinsvorsorge stören. Sie wollen das Vertrauen in unseren
Staat erschüttern. Sie wollen letztlich die Menschen in Angst versetzen. Das, meine Damen und Herren, lassen wir nicht zu.
({6})
Wir halten dagegen, indem wir gezielt gegen Desinformationskampagnen vorgehen und dafür sorgen, dass sie nicht auf fruchtbaren Boden fallen. Indem wir
Extremismus entschlossen bekämpfen und dafür sorgen, dass sich Hass und Hetze nicht ausbreiten können. Wir halten dagegen, indem wir unser Engagement für
Demokratie und Vielfalt mit unserem Demokratiefördergesetz massiv fördern, meine Damen und Herren. Auch dafür meinen Dank an die Koalition.
({7})
Denn Sicherheit für alle Menschen, egal wie viel Geld sie haben, wen sie lieben oder wo ihre Familien einmal herkamen, gibt es nur in einer starken
Demokratie.
Zweitens. Es geht mir darum, unserem Land mehr Widerstandskraft zu geben. Das gilt insbesondere für unsere Sicherheit im Cyberraum und für den Schutz
unserer Bevölkerung. Denn die Anzahl und auch die Komplexität der Krisen, mit denen wir gleichzeitig konfrontiert sind, hat in den letzten Jahren drastisch
zugenommen. Pandemie, Extremwetter, die Auswirkungen des Ukrainekrieges oder Angriffe auf die kritische Infrastruktur sind ganz reale Bedrohungen. Gegen diese
Bedrohungen wappnen wir uns.
Wir stärken den Bevölkerungs- und Katastrophenschutz mit zusätzlich rund 225 Millionen Euro, mit insgesamt 640 Millionen Euro. Wir modernisieren unser
Warnsystem und bauen die Betreuungsreserve des Bundes weiter aus. Wir stärken die logistischen Fähigkeiten des THWs. Wir investieren in Ehrenamt,
Zivilschutzausbildung und Digitalisierung des Bevölkerungsschutzes. Die Herausforderungen in diesem Bereich sind enorm, weil wir die großen Versäumnisse der
letzten Jahre und Jahrzehnte aufholen müssen; aber wir nehmen diese Herausforderung an. Diese Koalition macht das Land widerstandsfähiger.
({8})
Besonders im Cyberraum hat sich die Gefährdungslage durch den Krieg in der Ukraine enorm erhöht. Deshalb ist es gut, dass wir auch in diesem Bereich
einen deutlichen Aufwuchs gegenüber der ursprünglichen Finanzplanung haben. Dieses Geld nehmen wir in die Hand, um die Netze des Bundes zu härten, um zivile
Infrastrukturen besser zu schützen und um die Informationssicherheit in der Bundesverwaltung zu stärken; denn je digitaler unsere Gesellschaft wird, desto mehr
Schaden kann natürlich auch durch Cyberangriffe entstehen. Deshalb stärken wir die Cybersicherheit in Deutschland, meine Damen und Herren.
Was mir besonders wichtig ist: Im Haushalt 2023 entfällt mehr als die Hälfte des Budgets auf den Sicherheitsbereich. Der Einzelplan des BMI sieht
allein dafür rund 6,5 Milliarden Euro vor, noch einmal 200 Millionen Euro mehr als in der bisherigen Finanzplanung vorgesehen. Außerdem werden insgesamt 1 600
neue Stellen geschaffen. Dafür noch mal mein herzliches Dankeschön! Das BBK und das THW bekommen 187 neue Stellen. BKA und Bundespolizei bekommen zusammen 1 188
neue Stellen. Frau Renner, wir stärken sie deshalb, weil es notwendig ist. Die offenen Stellen bei der Bundespolizei kommen daher, dass wir eine Menge
Bundespolizeianwärterinnen und ‑anwärter haben. Die brauchen aber auch eine Anschlussverwendung, eine Stelle in der Bundespolizei. Deshalb sind sie offen und
nicht, weil sie nicht besetzt werden können.
({9})
Die Arbeit der Polizistinnen und Polizisten in diesen schwierigen Zeiten möchte ich noch mal hervorheben, meine Damen und Herren. Sie halten jeden Tag
für uns auf der Straße ihren Kopf hin. Deswegen gilt ihnen mein besonderer Dank für die Organisation der inneren Sicherheit in unserem Land. Vielen Dank
dafür!
({10})
Viel zu lang sind wir in diesem Land davon ausgegangen, dass schon alles irgendwie gut gehen wird. Es ist gut, dass sich das geändert hat, dass wir
hier einen echten Bewusstseinswandel haben; denn ich bin überzeugt: Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif. Während der parlamentarischen Beratungen hat der
Haushaltsausschuss den Sicherheitsbereich noch weiter gestärkt, aber auch die Bereiche, die für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt besonders wichtig sind,
beispielsweise den Sport. Dafür haben wir dieses Jahr mit dem „Restart“-Programm schon viel erreicht. Damit starten wir jetzt im Dezember. Mit einem
Mittelansatz von über 300 Millionen Euro wird der Sportbereich weiter gestärkt. Ich möchte besonders das Programm „Integration durch Sport“ hervorheben, weil es
ein wichtiger Beitrag für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft ist, und auch die Spitzensportreform, die wir diese Woche gemeinsam mit dem DOSB auf den Weg
gebracht haben. Das sind wichtige Bausteine für die Stärkung des Sports in unserem Land, meine Damen und Herren. Auch dafür herzlichen Dank!
({11})
Ich darf mich bei den Haushaltspolitikern noch einmal für die Unterstützung bei dem so wichtigen Bereich der Integration bedanken. Das ist das
richtige Herangehen, wenn wir in unserem Land viele Geflüchtete haben durch den furchtbaren Angriffskrieg gegen die Ukraine und auch durch andere Kriege und
Krisenherde in der Welt: darauf mit Integration zu antworten und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu arbeiten. Dafür mein herzliches Dankeschön! Meinen
Dank auch für das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan. Wir helfen den Menschen weiter. Wir stehen zu unseren Versprechen und helfen den Menschen, die zu uns
kommen.
({12})
Ganz lieben Dank für die konstruktive Zusammenarbeit an Jamila Schäfer, Dr. Thorsten Lieb, Martin Gerster, aber auch an die Oppositionspolitikerinnen
und Oppositionspolitiker für die konstruktive Beratung, bei Herrn Dr. Berghegger, bei Herrn Perli; bitte richten Sie es ihm aus. Ich danke Ihnen herzlich für
die Unterstützung.
Der Haushalt 2023 stärkt unsere Sicherheit, meine Damen und Herren. Gerade in Zeiten neuer Bedrohungen und massiver geopolitischer Veränderungen ist
das ein wichtiges Zeichen: Die Ampel sorgt für mehr Sicherheit.
({13})
Vielen Dank.
({14})
Vielen Dank, Frau Ministerin. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gottfried Curio, AfD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zweistellige Milliardenkosten dieser Zuwanderungspolitik sind noch nicht mal das Schlimmste: laut Statistik
überproportionale Kriminalität in Zuwanderer- und Ausländergruppen. Durch Ihren Bevölkerungsumbau ist das Tragen von Messern zur Jugendkultur geworden: 20 000
Messerattacken in einem Jahr. Dort soll unduldsame Gewaltbereitschaft gegenüber Frauen und anderen Religionen dem Täter und seiner Gruppe eine eingebildete Ehre
bezeugen. Das alles gehört nicht nach Deutschland, meine Damen und Herren.
({0})
Kriminalität, Wohnungsnot, Milliardenkosten – diese Migrationspolitik verletzt massiv deutsche Interessen. Aber Hunderttausende Migranten, durch
beispiellose Sozialleistungen angelockt, ziehen durch sichere Länder und werden uns dann an den Grenzen als Fliehende aufgenötigt. Dafür finanzieren Sie extra
private Schlepperschiffe.
Der neueste Pull-Faktor, das erhöhte Bürgergeld abzugreifen, wird noch mehr Illegale locken.
({1})
Lieber ein geschenktes Grundeinkommen, als im Heimatland arbeiten zu müssen. Wir sagen: Grenzen sichern, Anreize runter, Abschiebungen endlich
durchführen!
({2})
Hier werden jedes Jahr Milliarden verbrannt und letztlich doch nur Schuldenlasten aufgehäuft. Sie leben auf Kosten unserer Kinder. Sie türmen nur
immer neue Mauersteine auf für deren Schuldengefängnis.
Schon bis Oktober sind 20 000 Migranten mehr gekommen als 2015. Dieses Jahr werden über 200 000 erwartet. Aber Ministerin Faeser stellt Infos zu
Zahlen und Routen nicht mehr auf die Polizeiseite. Die Realität könnte nur stören. Sie kämpft lieber in Katar gegen Homophobie. Städte und Gemeinden sind am
Limit, schreien nach einem Stopp. Gegen den deutschen Amoklauf schließen Österreich, Ungarn, Serbien jetzt einen Antimigrationspakt. Sie haben genug von
Deutschlands migrationspolitischer Geisterfahrerei. Dieser Politik muss Deutschland sich jetzt anschließen!
({3})
Solche Zuwanderer werden überwiegend nicht dem Arbeitsmarkt dienen, sondern die Gruppe der Kostgänger vergrößern. Unberechtigte werden nicht
abgeschoben. Der Sozialtourismus, die europäische Binnenmigration werden nicht blockiert. Überall sehenden Auges ins Unheil, das ist diese Regierung, meine
Damen und Herren.
({4})
Wer die Aufenthaltsvoraussetzungen definitiv nicht erfüllt, darf einfach trotzdem bleiben. Sie nennen es „Chance“. Eine Chance zur Rechtsumgehung! Die
Erlangung der Staatsbürgerschaft wird auf kurzfristige Automatik gestellt. Eine Arbeitsmarktintegration wird gar nicht mehr erwartet. Dafür sollen die
importierten Massen in einem alimentierten Prekariatsheer versteckt werden.
Die Illegalität des Vorgangs wird sprachlich vertuscht. Man schaltet von „illegal“ auf „irregulär“, von „Fluchtnachweis“ auf „Migrationspakt“, von
„Duldung Unberechtigter“ auf „Anwesenheit chancenhalber“. Dann soll der Unterschied „arbeitswillig versus Abzocker“ unsichtbar gemacht werden mit einem
bedingungslosen Grundeinkommen, dessen erste Stufe „Bürgergeld“ genannt wird, tatsächlich aber Nichtstaatsbürgern zu grundsätzlicher Alimentation verhelfen
soll.
Durch Hinterherwerfen der Staatsbürgerschaft soll mit diesem Heer ausländischer Sozialhilfeempfänger Deutschland dann im Sinne des globalistischen
Umbaus regiert werden – gegen die Interessen der eigenen Bürger. Wir sagen: Schluss damit! Deutsches Geld für deutsche Bürger, meine Damen und Herren!
({5})
Die Ampelkoalitionäre sind sich in diesen Zielen einig. Auch die Union hat mitgemacht. Migrationspakt, Grenzöffnung, immer weniger Abschiebungen bei
immer mehr Migranten. Sie waren immer vorne mit dabei, versprachen sich den Beifall der Linkspresse. Wer sich dann plötzlich restriktiver gibt, will rechts
blinken, um links abzubiegen. Solange Sie Ihre Mehrheiten in den Ländern mit den Deutschlandvernichtern bauen und im Bund dasselbe erhoffen, so lange entlarvt
sich das Vorspielen konservativer Positionen als Wählertäuschung.
Für so eine Politik gegen das eigene Volk soll der Meinungskorridor eingeengt werden: durch Netzzensur, öffentlich-rechtliche Regierungspropaganda,
durch einen politisch operierenden Verfassungsschutz.
({6})
Für den ist Klimaterrorismus okay – mit erstrebter Regierungsnötigung durch Straftaten –, aber die Forderung nach jahrzehntelang rechtsgültigen
Einbürgerungsbeschränkungen wird als extremistisch diffamiert. Was für ein Hohn, was für ein Amtsmissbrauch! Die Bürger werden Ihnen dafür die Quittung
verpassen. In Berlin geht es am 12. Februar gegen die Ausbeutung der Deutschen durch die Umsiedlungsmafia, gegen Wohnungsnot durch illegale Migration, für
bezahlbare Energie ohne Schuldenexplosion.
({7})
Ich danke Ihnen.
({8})
Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Tina Winklmann, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geehrte Sportler/-innen! Reden wir wieder über Fakten! Das ist, glaube ich, besser für
uns alle.
Im Fußball Vizeeuropameisterinnen, EM-Gold für unsere Sprintstaffel, die Parabadmintonspieler Weltmeister im Doppel usw. usw. – also ein sehr
erfolgreiches Jahr. Übrigens waren unsere Parasportler/-innen dieses Jahr so erfolgreich wie nie, und das muss auch mal gesagt werden.
({0})
Da lacht das Herz, und es zeigt: Deutschland ist eine Sportnation. Deshalb: Mehr Sportgroßveranstaltungen vor heimischem Publikum zusammen mit unseren
Athletinnen und Athleten!
Genau das spiegelt sich auch in diesem Haushalt wider: Wir beschließen diese Woche ein Mehr für den Behindertensport, mehr für die Forschung am IAT in
Leipzig, mehr für die Doping-Opfer-Hilfe und erstmals Mittel für die Prävention von Rechtsextremismus im Sport. Das ist überfällig; aber mit uns kommt das
Programm, und darüber freuen wir uns.
({1})
Mehr für den Sport in Deutschland – dafür ein Dank an unsere Haushälter/-innen!
({2})
Hier sieht man ganz klar unsere Handschrift. Wir schauen eben nicht nur auf den Glanz der Medaillen, sondern kümmern uns auch um die Athletinnen und
Athleten. Wir schauen auch da hin, wo es wehtut; denn wieder einmal wurden dieses Jahr schwere Missbrauchsfälle im Sport aufgedeckt, und wieder gab es keine
staatliche Anlaufstelle, der die betroffenen Athletinnen und Athleten genug Vertrauen geschenkt haben. Wir als Ampel ändern das jetzt. Mit der Gründung des
Trägervereins durch die Ministerin – vielen Dank dafür! – und den Mitteln aus dem Haushalt schaffen wir die Grundlage für das Zentrum für Safe Sport. Das ist
wichtig, richtig und auch schon lange überfällig.
({3})
Ich begrüße sehr, was der DOSB und die Verbände auf die Beine gestellt haben. Für einen umfassenden Schutz unserer Athletinnen und Athleten braucht es
aber noch Verbesserungen, und wir als Ampel stehen da auch in Zukunft voll an der Seite des Sports.
Nach der missglückten Spitzensportreform von 2016 müssen wir auch hier anpacken. Deshalb bringen wir als Ampel ein Sportfördergesetz auf den Weg – mit
gemeinsam formulierten Zielen und verbindlichen Maßnahmen, zusammen mit den Athletinnen und Athleten. Damit bringen wir Sportdeutschland auf einen
zukunftsfähigen Weg. Für die Rechte und die Beteiligung der Athletinnen und Athleten werden wir uns im weiteren Prozess starkmachen.
({4})
Denn unsere Spitzensportlerinnen und Spitzensportler wirken als Vorbilder für den Breitensport, für Fairness, Vielfalt und Solidarität.
Damit wären wir beim Thema: Vielfalt, Toleranz. Ach, was sage ich? Wir sprechen hier von Menschenrechten, von uns als Gesellschaft. Wir sind bunt und
vielfältig. Eine „One Love“-Binde, die zur Diskussion gestellt wird, verbannt wird und deren Tragen unter Sanktionen gestellt wird – ja, geht’s denn noch? Die
Weltmeisterschaft als Trauerspiel, daran wird so auf Hochtouren gearbeitet. Aber wir lassen uns hier nicht sagen, was wir wann als Zeichen unserer Vielfalt
tragen, als ein international anerkanntes Zeichen. Starke Sportlerinnen und Sportler haben ihre eigene Meinung, und die sollen sie nach außen tragen können.
({5})
Eine WM soll ein internationales Sportfest sein für alle, egal wen man liebt. Wir wollen, dass sich Sportlerinnen und Sportler sicher und frei im
Wettkampf messen können.
Dieser Haushalt gibt uns Kraft, auch die nächste Strecke gut zu bewältigen; denn unser Ziel bleibt klar: Fördern, wo erforderlich, Prävention und
Aufklärung, wo nötig – an der Seite des Sports.
Danke schön.
({6})
Vielen Dank, Frau Kollegin; ebenfalls in der Zeit. – Als nächster Redner hat der Kollege Dr. André Hahn, Fraktion Die Linke, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Die Fußball-WM in Katar stand von Anfang an unter keinem guten Stern, und das nicht nur wegen der dortigen
Menschenrechtsverletzungen und dem unsäglichen Agieren der FIFA. Und nun hat auch noch die deutsche Mannschaft ihr erstes Spiel verloren.
Unsere Sportministerin Nancy Faeser war gestern vor Ort, hat auch tapfer eine „One Love“-Binde getragen und kümmert sich ohnehin schon fast rührend um
den Profifußball. Aber der Sportteil des nun zur Abstimmung stehenden Bundeshaushalts lässt auch für die kommenden Jahre kaum auf spürbare Verbesserungen
hoffen. Das dieser Tage präsentierte Grobkonzept zur Reform der Spitzensportförderung wurde nicht nur an den Athleten und am Sportausschuss vorbei erarbeitet,
sondern gibt auch auf zentrale Fragen keine Antworten.
Mut- und kraftlos ist aus meiner Sicht auch das Engagement der Bundesregierung, wenn es um die Unterstützung des Breitensports geht.
({0})
Das war während der Coronapandemie schon so, zeichnet sich jetzt bei der Bewältigung der aktuellen Energiekrise wieder ab und geht bis hin zu einer
weiterhin völlig unbefriedigenden Situation vieler Sportstätten und Schwimmbäder im Land. Warum, Frau Faeser, kann die Kulturstaatsministerin Claudia Roth
rückwirkend einen Kulturfonds Energie in Höhe von 1 Milliarde Euro bereitstellen, und Sie stehen für den Sport mit leeren Taschen da?
({1})
Auf der einen Seite werden für Sportgroßveranstaltungen und das relativ kleine Militärsportfest Invictus Games Zigmillionen Euro ausgegeben,
andererseits bleibt bis heute existenziell bedrohten Sportvereinen die Tür zum Härtefallfonds bei extremsten Energiepreissteigerungen verschlossen.
({2})
Diese Entscheidung muss dringend korrigiert werden.
({3})
Dass beim Katastrophenschutz die ursprünglich geplanten drastischen Kürzungen beim THW auch auf unseren Druck hin teilweise zurückgenommen wurden,
begrüßen wir; denn wir müssen das Ehrenamt gerade jetzt stärken.
Letzte Bemerkung: Anstatt wie geplant Hunderte Millionen für die Sanierung und den Neubau von Immobilien für den Bundesnachrichtendienst und den
Verfassungsschutz auszugeben, sollte dieses Geld lieber für Soziales, den Sport und auch den zivilen Katastrophenschutz angelegt werden. Dort ist es deutlich
besser investiert.
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege Hahn. – Nächster Redner ist der Kollege Konstantin Kuhle, FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verschiedene Redner haben hier schon über das Thema Migration gesprochen. Dazu will ich einmal klarstellen:
Wir werden bis Ende 2022 voraussichtlich knapp 200 000 Erstanträge auf Asyl in Deutschland haben. Das sind hohe Zahlen, aber diese Zahlen sind weit entfernt von
den Spitzenzahlen in 2015/2016, und deswegen muss man diese Situation als eine eigene Situation in dieser Zeit bewerten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Aber die besondere Situation, die wir haben, ist, dass wir ganz viele Antragsteller aus dem Irak, aus Syrien und aus Afghanistan haben und dass sich
diese Antragsteller in der Verantwortlichkeit der Kommunen mit zahlreichen Ukrainerinnen und Ukrainern mischen. Diese Kombination aus der Bearbeitung der
Erstanträge auf Asyl und der Aufnahme von Ukrainern stellt die Kommunen vor besondere Herausforderungen.
Es ist richtig: Wir als Bund dürfen die Kommunen in dieser Situation nicht alleine lassen.
({1})
Deswegen ist es gut und richtig, dass der Bund die Kommunen finanziell unterstützt. Er tut das nicht im Rahmen des Bundeshaushalts, sondern im Rahmen
der Umsatzsteuerverteilung. Es ist richtig, dass die Kommunen hier unterstützt werden; denn alleine werden sie es nicht schaffen, mit dieser schwierigen
Situation fertigzuwerden.
({2})
Meine Damen und Herren, ich mache mir ein bisschen Sorgen, dass wir, wenn wir über Migrationspolitik sprechen, nur über Krisen sprechen. Wir müssen
aber auch den Fokus der Migrationspolitik in diesem Land mal klarkriegen. Und der Fokus muss sein, dass wir mehr reguläre und weniger irreguläre Migration
brauchen.
({3})
Deswegen ist es gut, dass diese Ampelkoalition schon bald den Chancen-Aufenthalt auf den Weg bringt; denn der sorgt für mehr Integration in den
Arbeitsmarkt. Deswegen ist es gut, dass diese Ampelkoalition schon bald ein Eckpunktepapier zur Einwanderung in den Arbeitsmarkt beschließen wird; denn das ist
das, was unsere Wirtschaft und unser Land brauchen.
({4})
Deswegen ist es auch gut, dass diese Ampelkoalition schon bald die Asylverfahren beschleunigen wird, damit klar ist, ob Menschen einen
Aufenthaltstitel in Deutschland haben oder ob sie keinen haben.
Ich will dazu auch sagen: Wenn es so ist, dass Menschen keinen Aufenthaltstitel, keinen Anspruch auf Aufenthalt haben, dann muss auch die Rückkehr in
das Heimatland der Regelfall sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Deswegen bin ich sehr dafür, dass wir miteinander auch darüber sprechen, wie Bund und Länder bei Abschiebungen noch besser zusammenarbeiten
können.
Meine Damen und Herren, liebe Frau Bundesinnenministerin, Sie sind ja gerade in der Türkei gewesen, und ich finde das richtig; denn wir werden dieses
Thema Migration nicht alleine lösen. Das, was die Türkei da macht – die unwürdige Behandlung von Syrern, die unwürdige Behandlung von Afghanen –, ist doch ein
wesentlicher Triebfaktor dafür, warum die Zahlen auch in Deutschland und in Europa hochgehen. Deswegen ist es richtig, dass wir denen in der Türkei da deutlich
machen: Wir nehmen das nicht hin, und wir wollen da eine andere Politik auch in der Zusammenarbeit mit der Türkei.
({6})
Wenn man über die Türkei spricht, dann muss man sich aber auch klarmachen – das ist das zweite Thema, das ich kurz ansprechen möchte –, dass die
Türkei, genau wie andere Staaten, als autoritär regierter Staat hier in Deutschland unmittelbar Einfluss auf unsere Politik nimmt. Ich will einmal die
sogenannte UID erwähnen, die Union Internationaler Demokraten, eine Vereinigung, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird und die gezielt Terror und Druck
machen soll auf die Menschen in türkischstämmigen Communitys in Deutschland. Das wird gemacht über die UID, das wird gemacht über TRT Deutsch, das wird gemacht
über DITIB-Moscheen. All das müssen wir bekämpfen. Das ist hinderlich für Integration. Deswegen müssen wir uns auch darum kümmern, dass Imame in Deutschland
ausgebildet werden und nicht ferngesteuert werden aus der Türkei, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({7})
Wenn man sich anschaut, welche autoritären Staaten das noch machen – China über sogenannte Polizeistationen, der Iran über Einrichtungen wie das IZH
in Hamburg oder auch Russland über zahlreiche Cyberattacken –, dann ist es richtig, an unserer Widerstandskraft zu arbeiten. Das sollten wir tun. Aber wir
sollten niemals vergessen, mit wem wir es bei autoritär regierten Regimen zu tun haben, und müssen ganz deutlich machen, dass sich die liberale Demokratie auch
gegen diese Versuche der Unterwanderung verteidigen wird, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank, Herr Kollege Kuhle. – Nun hören wir Josef Oster, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Frau Ministerin, ich habe Ihnen natürlich eben aufmerksam zugehört und habe so
ein bisschen den Eindruck gewonnen, dass Sie während Ihrer Reise nach Katar den Blick für die Realitäten in Deutschland ein Stück weit verloren haben.
({0})
Ich wollte das eigentlich gar nicht kritisieren. Aber natürlich haben wir in Deutschland eine kritische Migrationslage. Wenn Sie das infrage stellen,
dann haben Sie den Bürgermeistern und Landräten in unserem Land offenbar nicht zugehört.
({1})
Ich kann Ihnen nur empfehlen: Reden Sie mit diesen Menschen, und hören Sie ihnen aufmerksam zu!
({2})
Wir haben eine kritische Situation in unserem Land.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen aus der Ampelkoalition, insbesondere wenn ich den Haushältern hier zuhöre, gewinne ich den Eindruck, dass
die Koalition nur noch in Sondervermögen denkt.
({3})
Dort werden Prioritäten gesetzt; alles andere bleibt irgendwie so, wie es ist. Das ist keine Haushaltspolitik. Eigentlich geht es darum, Prioritäten
innerhalb des allgemeinen Haushalts zu setzen; und genau das passiert zu wenig.
({4})
Ganz besonders wären zwei Teilhaushalte in diesem Jahr gefordert: Das sind natürlich Inneres und Verteidigung. In beiden Bereichen sinken die
Haushaltsansätze. Das ist falsche Prioritätensetzung, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({5})
Dabei muss es doch aktuell mehr denn je darum gehen, gerade im Bereich der inneren Sicherheit Schwerpunkte zu setzen; und da spielt unsere
Bundespolizei eine ganz zentrale Rolle. Zunehmende Bedrohungslagen, steigende Zahlen von Links- und Rechtsextremismus, Anschläge auf unsere Infrastruktur – wir
stehen vor gewaltigen Herausforderungen, und wir müssen mehr in unsere Sicherheit investieren. Das ist nur ein Aspekt, der für mich dafür spricht, dass wir über
dieses Jahr hinaus dringend den personellen Aufwuchs bei der Bundespolizei fortsetzen müssen. Dieser Aufwuchs muss weitergehen, meine sehr geehrten Damen und
Herren, verehrte Ministerin!
({6})
Das gilt eben auch für die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Migration. Die Bundespolizei ist ja auch für Rückführungen mit zuständig. Hier
ist ein Schwerpunkt notwendig. Herr Kuhle, Sie haben da eben viel Richtiges zum Thema Rückführungen gesagt. Aber ich muss zurückfragen: Was ist denn mit dem
Rückführungsbeauftragten, den diese Regierung groß angekündigt hat?
({7})
Weit und breit keine Botschaft zu dieser Frage.
({8})
Ich will aber bei der Bundespolizei bleiben: Wir dürfen nicht vergessen, dass in den nächsten Jahren eine erhebliche Ruhestandswelle auf die
Bundespolizei zurollt. Und auch das ist ein Argument dafür, dass hier der Aufwuchs weitergehen muss. Verehrte Frau Ministerin, das ist aber offensichtlich nicht
Ihr Plan, diesen Weg fortzusetzen. Ganz im Gegenteil: Sie bauen gerade in diesen Wochen massiv Aus- und Fortbildungskapazitäten bei der Bundespolizei ab.
({9})
Die Ausbildungsstätte in Bielefeld wird aufgelöst. An den Standorten Diez, Swisttal und Rotenburg an der Fulda werden Ausbildungskapazitäten zum Teil
erheblich reduziert.
({10})
Hier gab es ganz offensichtlich Einspardruck aus Ihrem Hause, und das ist ein falsches Signal! Wir brauchen in Zukunft mehr Polizistinnen und
Polizisten in Deutschland, und wir benötigen mehr Aus- und Fortbildung bei der Bundespolizei, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({11})
Ich will aber noch ein weiteres Thema ansprechen. In schwierigen Zeiten müssen die Menschen darauf vertrauen können, dass der Staat handlungsfähig
ist. Frau Faeser, als Bundesinnenministerin sind Sie ja auch für wesentliche Fragen der Digitalisierung in unserem Land zuständig, ein Aufgabenfeld, bei dem man
von Ihnen aber wenig bis gar nichts hört – auch heute nicht, verehrte Frau Ministerin. Aber gerade die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung ist weiterhin
eine große Baustelle.
({12})
Es fehlen Signale, wie es mit dem Onlinezugangsgesetz weitergeht – rechtlich und finanziell. Auch die Pläne zu den digitalen Identitäten und zur
Registermodernisierung bleiben vage. Wir dürfen uns hier, Frau Ministerin, keinen Stillstand leisten.
({13})
Meine Damen, meine Herren, in jeder großen Krise liegen aber immer auch große Chancen, und die Chance, Frau Ministerin, die öffentliche Verwaltung in
Deutschland entscheidend weiterzuentwickeln und zu modernisieren, war vielleicht noch sie so groß wie jetzt. Deshalb die Bitte und Aufforderung: Nutzen Sie
dieses Zeitfenster, verehrte Frau Ministerin!
({14})
In schwierigen Zeiten, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, kommt es mehr denn je darauf an, dass die Menschen Vertrauen haben, Vertrauen in
ein sicheres persönliches Umfeld und Vertrauen in einen funktionierenden und handlungsfähigen Staat. Beiden Ansprüchen wird dieser Haushalt jedenfalls nicht
gerecht.
({15})
Vielen Dank, Herr Kollege Oster. – Das Wort erhält jetzt der Kollege Dirk Wiese, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesministerin Faeser! Kolleginnen und Kollegen! Der Sport, der Fußball, ist nicht unpolitisch. Der Fußball
steht für Werte. Wer aber jegliche Werte verloren hat – das muss man in diesen Tagen bei allen Diskussionen sagen –, das ist die FIFA mit ihrem Präsidenten
Infantino.
({0})
Ich sage das sehr deutlich: Liebe Frau Bundesministerin, ich bin Ihnen dankbar für Ihr starkes Zeichen gestern in Katar. Und dieser FIFA-Präsident
gehört abgelöst; der ist nicht mehr tragbar.
({1})
Der Blick auf den Haushalt des Bundesinnenministeriums ist positiv: Es sind fast 13,1 Milliarden Euro, die für die innere Sicherheit zukünftig zur
Verfügung stehen. Ich bin gerade den Haushälterinnen und Haushältern der Koalitionsfraktionen dankbar, dass sie seit der ersten Lesung viele wichtige Punkte
noch auf den Weg gebracht haben. Ich will das ganz deutlich betonen: Es war richtig, genau hinzuschauen und dafür zu sorgen, dass wir beim THW zusätzliche
Mittel bereitstellen, dass wir zusätzliche Mittel im Bereich des Katastrophenschutzes bereitstellen, dass wir das Versenden von SMS über Cell Broadcast
voranbringen. Das sind wichtige Entscheidungen, die die Koalitionsfraktionen für die innere Sicherheit getroffen haben; und da gebührt den Haushältern ein
großes Dankeschön dieser Ampelkoalition.
({2})
Ich will auch ganz deutlich sagen, dass ich es für absolut richtig halte, dass wir bei einigen Punkten, die von der Opposition kritisiert worden sind,
sehr schnell wichtige Entscheidungen treffen.
Es ist richtig, dass wir als Ampelkoalition verabredet haben, eine Reform des Bundespolizeigesetzes – was mit Ihnen von der Union in der letzten
Legislatur übrigens nicht möglich gewesen ist – gemeinsam auf den Weg bringen.
({3})
Das ist ein starkes Signal für die Bundespolizei. Das wird auf den Weg gebracht.
Wir werden auch gemeinsam mit dem Bundesfinanzministerium die Ruhegehaltsfähigkeit der Polizeizulage auf den Weg bringen. Das haben wir vereinbart,
und das werden wir auch tun. Da wird diese Ampelkoalition liefern.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach 16 Jahren Union in der Innenpolitik ist es richtig, Lebensrealitäten in diesem Land endlich anzuerkennen. Der
Kollege Konstantin Kuhle hat es angesprochen: Wir wollen als Ampelkoalition den Menschen, die lange bei uns sind, die hier sind und zu diesem Land gehören, mit
dem Chancen-Aufenthaltsrecht die Möglichkeit geben, eine klare Bleibeperspektive in diesem Land zu bekommen. Das ist richtig. Das bringen wir gemeinsam auf den
Weg.
Auch die Reformen beim Fachkräfteeinwanderungsgesetz erkennen Lebensrealitäten an. Wir brauchen das, um auch bei uns im Land die Fachkräftelücke, die
Arbeitskräftelücke zu schließen. Da liefern wir als Ampelkoalition. Das war mit Ihnen 16 Jahre lang nicht möglich gewesen.
({5})
Kollege Oster hat gerade davon gesprochen, dass man, nur weil man mal nicht im Land ist, Realitäten nicht wahrnehmen würde. Ja, die aktuelle
Migrationslage ist herausfordernd – keine Frage. Aber noch einmal: Wer Flüchtlinge aus der Ukraine als Sozialtouristen diffamiert wie Ihr Fraktionsvorsitzender
Friedrich Merz,
({6})
der hat die Realitäten definitiv nicht erkannt. Das war schäbig, und dazu habe ich von Ihnen heute in der Debatte nichts gehört.
({7})
Ich will einen weiteren interessanten Punkt erwähnen, weil die Union an vielen Stellen immer sagt, die innere Sicherheit, der Rechtsstaat, klare
Regeln, Normen und Ordnung seien ihr wichtig. Ich werfe einen Blick nach Baden-Württemberg. Dort gibt es einen Innenminister Strobl. Dieser Innenminister Strobl
in Baden-Württemberg ist, sagen wir es mal so, rechtlich fragwürdig unterwegs. Dann bekommt dieser Kollege Strobl in Baden-Württemberg eine Geldauflage; da
könnte man ja eigentlich sagen: Wenn man ein bisschen Rückgrat hätte, müsste man als Innenminister seinen Hut schon längst genommen haben.
({8})
Dann stellt sich dieser Innenminister der Union hin und verkauft das auch noch als eine gutmütige Spende vor der Weihnachtszeit.
({9})
Also, liebe Union, wenn das die innere Sicherheit der CDU/CSU ist, dann kann ich nur sagen: Gut, dass die Ampelkoalition nach 16 Jahren hier
Verantwortung übernommen hat.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({10})
Vielen Dank, Kollege Wiese. – Als nächster Redner hat der Kollege Klaus Stöber, AfD-Fraktion, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Sportler! Zwei Minuten Redezeit stehen wahrscheinlich als Synonym für die
Bedeutung des Sports hier in der Politik und im Haushalt.
({0})
Nein, 300 Millionen Euro für den Sport sind nicht ausreichend. Das sind 0,06 Prozent des Haushaltes; und das ist lächerlich.
Ich möchte auch über Katar sprechen; dazu ist heute schon einiges gesagt worden. Angesichts der Menschenrechtsverletzungen in diesem Land hätte eine
WM in diesem Land nie stattfinden dürfen. Die Fehler sind sicherlich schon vor zwölf Jahren gemacht worden bei der Vergabe. Aber wir hätten die Chance gehabt,
diesen Fehler zu korrigieren, indem zum Beispiel die europäischen Länder und auch einige andere Staaten nicht dorthin gefahren wären. Wir hätten diese WM
boykottieren müssen. Das wäre ein viel größerer Schaden gewesen, sowohl für die Scheichs als auch für die korrupte FIFA, als dieses Verhalten der deutschen
Nationalmannschaft. Er war lächerlich, dieser Auftritt der Nationalmannschaft.
({1})
Früher waren Nationalspieler Vorbilder für die Jugend. Das sind sie nicht mehr.
({2})
Wie soll sich die Jugend an solchen Leuten orientieren, deren Vorbereitung auf die WM darin besteht, zu diskutieren, ob sie eine bestimmte Binde
tragen oder nicht? Das ist lächerlich.
Die Profis werden nächste Woche zurückfliegen. Zurück bleibt der Amateursport, der unter dieser Misere leiden wird. Wir haben einen Missstand in
Deutschland. Wir haben 35 Millionen Euro Rückstand beim Sportstättenbau. Ja, das ist in erster Linie ein kommunales Problem; aber die Kommunen können dieses
Problem nicht alleine lösen.
({3})
Wir müssen als Bund ein kommunales Programm auf den Weg bringen. Wir haben als AfD ungefähr 20 Anträge allein dazu in dieser Legislatur auf den Weg
gebracht. Nächste Woche werden wir unter anderem über Olympia sprechen.
Ja, ich würde mir wünschen, dass andere Fraktionen das Thema Sport auch mehr in ihren Augenschein nehmen.
Ich bedanke mich. Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Misbah Khan, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Leipziger Autoritarismus-Studie und die Mitte-Studien bestätigen uns eigentlich
alle paar Jahre: Rassismus braucht keine Nazis; die Mitte beherrscht ihn auch. – Tag für Tag müssen sich politisch Engagierte gegen Bedrohungen und Hetze
wehren. Tag für Tag müssen sich nichtweiße und migrantisch gelesene Personen Sorgen machen um ihre körperliche Sicherheit. Und Tag für Tag sägt die rechte Seite
dieses Plenums an den Grundpfeilern unserer Demokratie.
({0})
Wenn Sie heute einen Antrag zur Finanzierung eines verfassungsfeindlichen Thinktanks stellen, dann wird der demokratische Teil dieses Plenums
zusammenstehen. Doch dieses entschlossene und gemeinsame Zusammenstehen ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Früher hieß es aus den Reihen der Union: Mit uns
gibt es eine Brandmauer gegen die AfD. – Doch wo ist diese große Brandmauer gegen rechts? Wo sind die Aufschreie, wenn in Thüringen Ihre Partei mit
Faschistinnen und Faschisten zusammenarbeitet?
({1})
Wo sind die Aufschreie, wenn in Deutschland wieder Geflüchtetenunterkünfte brennen? Ihr Schweigen ist beschämend.
({2})
Umso beschämender ist das Gefasel von Ihnen zu Terrorismus und vermeintlicher Ökodiktatur, sobald sich jemand vor einen SUV klebt. Und so nervig diese
Proteste sind:
({3})
Das ist eine Relativierung von echtem, rechtem Terrorismus, den wir in Deutschland schon erlebt haben.
({4})
Mit diesem Haushalt gehen wir endlich einen anderen Weg. Wir machen eine Innenpolitik für die Gesamtgesellschaft. Wir setzen Schwerpunkte im Bereich
Rassismus, im Bereich Rechtsextremismus, gegen Hass und Hetze,
({5})
zum Beispiel, indem wir die politische Bildung stärken, indem wir endlich einen Ort der Erinnerung schaffen für die NSU-Betroffenen und für die
Aufarbeitung des Rechtsterrors.
Deutschlands Verantwortliche waren in der Vergangenheit, nach der NSU-Selbstenttarnung, nach Hanau und nach Halle, wahnsinnig gut darin, erschüttert
zu sein von rechter Gewalt. Faktisches Handeln als erkennbare Konsequenz zur Verbesserung der gesellschaftlichen oder politischen Lage hat es danach nie
gegeben.
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Unser Land ist wahnsinnig gut darin, in einzelnen Momenten Betroffenheit zu äußern, jetzt auch bei den aktuellen Diskussionen zur „One Love“-Binde bei
der WM. Doch nach der Sensation waren Sie immer der Weltmeister im Ignorieren. Das wird es mit uns als Ampel so nicht geben.
Wir ziehen endlich Schlüsse und Konsequenzen. Dass das bitter notwendig ist, liegt auch daran, dass es Parteien in diesem Haus gibt, die Stimmung
machen mit Hass und Hetze zum eigenen Vorteil.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank, Frau Kollegin Khan. – Das Wort hat nun der fraktionslose Abgeordnete Matthias Helferich.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist Dienstagmittag, der 18. Oktober 2022: Ein Mann rastet aus, er greift zu einem langen Messer, tötet
zwei Unschuldige, verletzt eine weitere Person. Einem Opfer hackt er den Unterarm ab. Die Todesursachen laut Obduktion: Stiche in Hals, Lunge und Brustkorb,
inneres und äußeres Verbluten. – Der Täter soll laut Zeugenaussagen „Allahu akbar!“ gerufen haben. Er ist 25, Somalier, kam 2015 nach Deutschland.
({0})
– Wie man sich angesichts solcher Gräueltaten noch kaputtlachen kann, kann ich nicht nachvollziehen, Frau Kaddor.
Während Politiker und die sogenannte Zivilgesellschaft nach der Bluttat von Ludwigshafen erneut schwiegen oder aber Mahnwachen gegen rechts abhielten,
Entsetzen und Verzweiflung bei den Angehörigen und Nachbarn. Ein Vater musste seinen niedergestochenen Sohn auf der Straße sterben sehen.
Die anhaltende Massenzuwanderung ist die Conditio sine qua non, die Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass diese grausamen
Bluttaten entfielen. Politische Lerneffekte: Keine. Sie setzen Ihre migrationspolitische Agenda fort, Stichwort „Chancen-Aufenthaltsrecht“. Hierdurch wird der
hohe Bedarf an Migrationsberatung – so heißt es in Ihrem Einzelplan – noch weiter erhöht. Weitere Millionen an Steuervermögen werden in Ihrem Einzelplan für
solche Leistungen veranschlagt.
({1})
Es ist inzwischen ein Hohn, dass Ihr Ministerium, Frau Ministerin Faeser, den Begriff „Heimat“ im Namen trägt. Heimweh-Ministerium wäre wohl
ehrlicher. Heimweh in den eigenen Städten – das ist das Gefühl, das immer mehr Menschen in westdeutschen Ballungsgebieten bewegt. In meiner Heimatstadt Dortmund
vergeht keine Woche ohne Messerstechereien, Schießereien, Vergewaltigungen. Hier hilft es auch nicht, wenn die Polizei anlasslose Kontrollen durchführt, Kameras
aufstellt oder Dauerpräsenz zeigt. Migranten, die mit Messern, gar Macheten bewaffnet sind, sind in meiner Heimatstadt Alltag. Allein 7 371 Messerstraftaten hat
die Polizei in NRW zwischen Januar 2021 und Juni 2022 registriert. Immer häufiger kommen die Opfer zu Tode. 41,7 Prozent der Tatverdächtigen haben keinen
deutschen Pass.
Das einst sichere Deutschland verblasst. Es bleiben fragmentierte Parallel- und Gegengesellschaften, die an französische Banlieues oder schwedische
Stadtteile erinnern. Längst sehnen sich auch all jene Einwanderer nach dem alten Deutschland zurück, was sie als neue Heimat kennenlernen durften.
Es steht hier alles auf dem Spiel. Wollen wir noch irgendetwas von Deutschland in die Zukunft hinüberretten, dann müssen nicht unerhebliche Teile der
892 Millionen Euro,
({2})
die für „Integration und Migration“ veranschlagt sind, für Abschiebebusse, Abschiebeschiffe und Abschiebeflugzeuge verausgabt werden. Für all die
Säbel-Selcuks und Macheten-Mutombos gibt es nur einen Weg: Polizei, Richter, Knast, Ticket in die Heimat.
({3})
Vielen Dank.
({4})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sandra Bubendorfer-Licht, FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Frau Ministerin Faeser! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zum Einzelplan 06 komme, möchte ich mich noch
mal aufs Herzlichste bei den zuständigen Haushältern für den unermüdlichen Einsatz bedanken.
({0})
Ebenso möchte ich zum Schluss hier noch ein paar Dinge in Sachen Haushalt, speziell zum Bevölkerungsschutz, ansprechen und klarstellen.
Die abenteuerliche Legendenbildung, speziell vonseiten der Union,
({1})
kann ich nicht unkommentiert lassen. Wenn jemand Versäumnisse in der Etatentwicklung im Bevölkerungsschutz zu verschulden hat,
({2})
dann Sie, liebe Union!
({3})
Denn Fakt ist: Im Vergleich zu 2019, also seitdem Herr Seehofer nur noch im Verwaltungsmodus war, sind die Haushaltsmittel des Bundesamtes für
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe sowie des Technischen Hilfswerks völlig zu Recht enorm angewachsen.
({4})
Das Budget des BBK lag im Jahr 2019 bei 145 Millionen Euro. Für das Jahr 2023 sind 174 Millionen Euro vorgesehen. Das ist eine Steigerung von
20 Prozent. Beim THW lag das Haushaltsvolumen im Jahr 2019 bei 282 Millionen Euro. Für das Jahr 2023 sind 386 Millionen Euro vorgesehen. Das ist eine Steigerung
von fast 40 Prozent. Und in der Bereinigungssitzung haben wir den Etat des Bevölkerungsschutzes noch mal mit 80 Millionen Euro gestärkt.
({5})
Der Eindruck der massiven Kürzungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, rührt aus den auslaufenden Konjunkturprogrammen. Das wissen Sie ganz genau. Aber
in Zeiten von Polykrisen muss das Geld eben sorgsam ausgegeben werden, und Konjunkturprogramme können nicht dauernd laufen. Das ist eine Verpflichtung gegenüber
den kommenden Generationen. Und da ist es einfach unredlich und einer – den eigenen Ansprüchen nach – Volkspartei unwürdig, wenn man die Menschen in diesem Land
so hinter die Fichte führt. Sie von der Union haben sich scheinbar vollkommen von seriöser Haushaltspolitik verabschiedet.
({6})
Und die Tatsache, dass Sie zuvor 16 Jahre lang die Verantwortung im BMI hatten
({7})
und den Bevölkerungsschutz kaputtgespart haben,
({8})
dies aber uns jetzt nun vorwerfen, das haut dem Fass wirklich den Boden aus.
({9})
Funktionäre vom THW bedanken sich außerordentlich bei uns dafür, dass wir nun endlich anpacken und dass es vorangeht. Wir als Fortschrittskoalition
geben dem Bevölkerungsschutz den Stellenwert, den er verdient; und den haben Sie ihm eben nicht gegeben.
({10})
Auch der Ausstattung an der Basis und im Ehrenamt wird Rechnung getragen. Problem hierbei ist aber immer noch der Investitionsstau. Aber all dies
lässt sich nicht in einem Haushalt aufholen. Seien Sie jedoch versichert, dass wir in kommenden Jahren auf diesen wichtigen Entwicklungen aufbauen werden.
Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss.
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank, Frau Kollegin Bubendorfer-Licht. – Jetzt hat das Wort die Kollegin Mechthilde Wittmann, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Kolleginnen und Kollegen! Trotz meiner verkürzten Redezeit muss ich eines vorwegschicken: Frau Khan, ich
verbitte mir namens meiner Fraktion, namens aller Unionsmitglieder und namens der großen Mehrheit der Bevölkerung Ihre Vermischung unserer Politik mit der
brennenden Flüchtlingsunterkunft in Mecklenburg-Vorpommern. Ich verbitte mir Ihre Falschaussage hier!
({0})
Es ist eine Verleumdung; und ich gehe davon aus, dass wir dieser auch noch nachgehen werden. Ich verbitte mir das.
({1})
Auch im politischen Diskurs ist nicht jede Ahnungslosigkeit und Bösartigkeit erlaubt.
({2})
Ich verbitte mir ebenso – – Herr Kollege Wiese, wenn Sie glauben, dass Sie mit diesen Plattheiten, die Sie hier unter anderem gegen den Herrn Minister
Strobl ausgesprochen haben,
({3})
punkten können, dann erspare ich Ihnen und mir schlicht die Niveaulosigkeit, einfach die Namen aufzuzählen, die ich da aus Ihrer Fraktion aufzählen
könnte. Aber wenn Sie es brauchen: gerne.
({4})
Jetzt komme ich zur Sache. Herr Kollege Kuhle, ich habe festgestellt, dass offenkundig die Worte Ihres Kollegen Kubicki, dem ich jetzt leider nicht
ins Gesicht gucken kann
({5})
– aber Sie machen es gleich und ernten hoffentlich einen strengen Blick –,
({6})
Wirkung gezeigt haben. Sie haben – ich honoriere das ausdrücklich – genau unterschieden und unabhängig von den Flüchtlingen, die aus der Ukraine
kommen, die Schwierigkeiten dargestellt, die auf uns aufgrund einer tatsächlich erhöhten Zahl an Migranten zukommen – Frau Ministerin, ich glaube, dies ist
Ihnen auch bewusst. Deren Zahl wird sich unter Umständen angesichts der immer weiter gehenden Bedrohungslagen auf der Welt noch weiter steigern. Auf diese
Fragen müssen wir eine Antwort finden. Zudem müssen wir eine Antwort auf die Folgen einer möglicherweise hybriden Kriegsführung in der Ukraine finden, nämlich
auf die vor dem Hintergrund von Heizungs- und Stromausfällen dort verständliche Aufforderung, die Ukraine zu verlassen. Die Konsequenz ist doch, dass diese
Menschen – sehr verständlich, dass sie das wollen – bei uns Schutz suchen werden und wir darauf vorbereitet sein müssen, und zwar insbesondere unsere
Kommunen.
({7})
Die Kommunen müssen es stemmen, nicht wir hier im vergleichsweise immer noch warmen Hohen Haus.
({8})
Wir müssen unterscheiden – das hat Frau Schäfer halt auch mal wieder nicht auf die Reihe gekriegt – zwischen der regulären Migration, der Einwanderung
derer, die als Fachkräfte zu uns kommen, die teilweise Arbeitskräfte bei uns sein können, und denjenigen, die aus Bedrohungslagen migrieren und daher einen
Schutzstatus haben, und schließlich denen, die kommen, ohne einen Schutzstatus erreichen zu können.
({9})
Das müssen wir uns zumuten, auch wenn wir nicht gerne mit der Sache konfrontiert werden.
Ich glaube Ihnen, Frau Schäfer, dass Sie hinsichtlich der Beschleunigung des Asylverfahrens tatsächlich guten Willens sind.
({10})
Das sind wir auch. Das haben wir auch – ich hoffe, Sie nicken weiter – in unserer Zeit versucht, als dieser Andrang kam.
({11})
Aber die Wege sind unterschiedlich. Wir glauben, dass eine behördenunabhängige Asylberatung eben nicht die Konsequenzen hat und vor allen Dingen aber
auch nicht die Konsistenz hat, die wir uns wünschen und wie sie bisher da besteht, wo sie angesiedelt ist.
({12})
Lassen Sie uns darüber wirklich in einen sachlichen Diskurs gehen; denn wir müssen es bewältigen und dürfen es nicht einfach nur beschreien.
({13})
Meine Damen und Herren, für die Fachkräftezuwanderung haben wir ein hervorragendes Fachkräfteeinwanderungsgesetz – meine Zeit läuft ab; ich konnte gar
nicht sagen, was ich alles sagen wollte –, und dies sollten wir auch umsetzen.
({14})
Aber eines will ich dann schon noch sagen: Es wurde gesagt, beim Bevölkerungsschutz und beim THW hätten wir geschlafen, und Sie würden
hochklettern
({15})
und würden hier zulegen.
Dann setze ich Ihnen mal die Zahlen vor, und lesen Sie die heute Abend bei einem guten Glas Wein noch mal durch.
({16})
Im ersten Entwurf des Innenministeriums des EPL 06 gab es beim THW eine Kürzung um 29 Prozent und beim BBK um 39 Prozent. Glauben Sie immer noch, Sie
könnten sagen, wir hätten gekürzt?
({17})
Sie waren es. Weil wir hier nachhaltig insistiert haben, konnte jetzt zugelegt werden.
({18})
Dafür sind wir dankbar.
({19})
Vielen Dank, Frau Kollegin Wittmann. – Das Wort erhält jetzt der Kollege Ingo Schäfer, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin Faeser! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien!
({0})
Sehr geehrte Gäste! Krieg in Europa, Pandemie, Klimakrise, Inflation, gefährdete Energieversorgung und Flüchtlingskrise: Die vielen Krisen sind eine
Bewährungsprobe für unsere Gesellschaft und die Politik. Unser Handeln wird vom täglichen Krisenmanagement bestimmt. Das betrifft jeden einzelnen Menschen in
Deutschland. Wir alle mussten seit Beginn der Pandemie vor fast drei Jahren unsere Pläne infrage stellen und stehen vor den Fragen: Wie schütze ich meine
Gesundheit und die Gesundheit meiner Familie? Wie finanziere ich Lebensmittel, Strom und Gas? Das sind die Fragen, die die Menschen in Deutschland und auch uns
hier im Parlament bewegen.
Niemand weiß, was kommen wird. Doch wir können heute für das vorsorgen, was morgen kommen könnte. Das, was wir als verantwortliche Politikerinnen und
Politiker machen können, ist vorsorgen. Wir werden mit der Mehrheit hier im Hause dafür sorgen, dass Leben und Gesundheit der Bevölkerung geschützt bleiben. Das
haben wir während der Pandemie getan, und wir werden das auch weiter machen.
({1})
Als Abgeordneter kann ich dazu beitragen, dass wir alle gut durch den Winter kommen und unsere Strom- und Gasrechnungen bezahlen können. Genau dafür
hat die Koalition gesorgt, indem wir die Menschen mit zahlreichen Maßnahmen finanziell entlasten und unterstützen.
Seit einem Jahr ist die Politik der Ampelkoalition vom Prinzip Vorsorge geprägt. Wir kümmern uns um den Schutz der Menschen, wirtschaftlich und auch
bei Gefahrenabwehr im Inland. Innenpolitisch heißt das: Wir stärken den Bevölkerungsschutz in Deutschland im Haushalt 2023 mit 659 Millionen Euro.
({2})
Die Fehler der vormals Verantwortlichen korrigieren wir. Zum Beispiel beteiligt sich das BMI nun mit zwei Löschflugzeugen am
Katastrophenschutzverfahren der EU. Das ist europäische Solidarität. Wenn bei uns mal wieder Wald und Wiese brennen, haben wir wirksame Mittel zur Hilfe; das
ist die Vorsorge. Dazu gehört auch die im Aufbau befindliche Zivilschutzreserve. Sie kam bereits im Ahrtal und in Tegel zum Einsatz, um Menschen zu versorgen
und unterzubringen.
({3})
Auch das Handywarnsystem
({4})
nehmen wir so schnell wie möglich in Betrieb. Das sind alles Dinge, die die CDU/CSU in den vergangenen 16 Jahren vernachlässigt hat. Liebe Union, Sie
sitzen in einem Glashaus, das Ihre Innenminister in den vergangenen 16 Jahren gebaut haben. Ich empfehle Ihnen: Werfen Sie jetzt nicht mit Steinen!
({5})
Sehr geehrte Damen und Herren, die Koalition stärkt den Bevölkerungsschutz in Deutschland strukturell.
({6})
Wir überarbeiten die Konzeption Zivile Verteidigung und erarbeiten entsprechende Referenzszenarien.
({7})
Mithilfe dieser Erkenntnisse überprüfen wir die Strukturen und passen die Ausstattung an. Schwachstellen beheben wir. Mit dem Gemeinsamen
Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz sorgen wir für eine gute Zusammenarbeit von Bund und Ländern.
({8})
Und schon jetzt ist klar, dass wir dauerhaft einen Koordinierungsstab für das Krisenmanagement der Bundesregierung brauchen.
({9})
– Nehmen Sie weniger von dem, was Sie nehmen; das kann ich Ihnen nur raten, es ist gut für die Gesundheit.
({10})
Wir haben gesehen, welche Vorteile der Coronakrisenstab im Kanzleramt gebracht hat. Und wir sehen jetzt gerade, dass der Koordinierungsstab zum Schutz
der kritischen Infrastruktur ein notwendiges und wirksames Instrument für ein wirksames Krisenmanagement der Bundesregierung ist.
Die Bundesministerin Nancy Faeser hat zu Recht gesagt: Notlagen bewältigen wir nur gemeinsam. – Das ist die Maßgabe für die Bundesregierung, aber auch
für unseren Bundestag hier. In der Not ist ein Zuständigkeitshickhack fehl am Platz. In den Katastrophen der vergangenen Jahrzehnte haben wir jedes Mal die
überwältigende Hilfsbereitschaft und Solidarität der Bevölkerung gesehen. In jeder Notlage gab es eine beeindruckende Anzahl professioneller, ehrenamtlicher und
ziviler Helferinnen und Helfer. Denken wir einmal an die Flutkatastrophe vom Juli 2021! Die Hilfsbereitschaft im Ahrtal war und ist gigantisch. Aber was seit
Jahrzehnten fehlt, ist eine effektive Koordinierung der Hilfe. Das ist die Aufgabe, die wir lösen werden.
Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben die Zeitenwende auch im Bevölkerungsschutz eingeleitet. Die Koalition ist auf einem guten Weg.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich bin überzeugt: Gemeinsam werden wir die vielen Krisen meistern, wenn wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und solidarisch
zusammenstehen.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Schäfer. – Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Marlene Schönberger, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen!
({0})
Jedes Mal, wenn es zu einer antisemitischen Straftat kommt, sind die Reaktionen die gleichen: Es wird verurteilt, Solidarität bekundet, unverzügliches
Handeln gefordert. Aber schnell versinkt alles wieder in Unbekümmertheit. Nur für die Betroffenen geht der Alltag weiter – mit Schmerz und Traumata.
Das Schlimmste ist die Erfahrung, zu oft nicht ernst genommen zu werden, dass Erlebtes infrage gestellt wird, dass der Antisemitismus nicht erkannt
wird, wenn er in den Zwischentönen steckt. Denn anders als viele denken, finden die meisten antisemitischen Übergriffe unterhalb der Strafbarkeitsgrenze
statt,
({1})
zum Beispiel wenn behauptet wird, dass Israel Konzentrationslager bauen würde, wenn Shoah-relativierende Witze gerissen oder von mächtigen
Strippenziehern fabuliert wird, wenn von der „Auschwitzkeule“ gesprochen wird, wenn „mit letzter Tinte“ Gedichte geschrieben werden, wenn ein Theaterstück
aufgeführt wird voll von antisemitischen Stereotypen und Shoah-Relativierungen. Die Liste ist endlos, und sie beschreibt den Alltag vieler Jüdinnen und Juden.
Und dennoch glauben viele Menschen, dass Antisemitismus ein Problem der Vergangenheit wäre.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bis vor acht Jahren blieb den Betroffenen häufig nur die Möglichkeit, auszuhalten oder die Ablehnungsschreiben von
Staatsanwaltschaften zu sammeln. Die Situation hat sich erst 2015 verbessert. Seitdem gibt es RIAS, die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus. RIAS
ist für viele Jüdinnen und Juden nach Antisemitismuserfahrungen die erste Anlaufstelle. RIAS berät nach antisemitischen Übergriffen. RIAS sammelt Daten, die es
ermöglichen, dieses massive Dunkelfeld Antisemitismus zu erhellen, über- und unterhalb der Strafbarkeitsgrenze.
({2})
Als Ampel haben wir erkannt: Desinteresse an der Auseinandersetzung mit Antisemitismus ist ein unhaltbarer Zustand. Wir sind gefordert, zerstörtes
Vertrauen wiederaufzubauen.
({3})
Dieser Haushalt ist ein weiterer wichtiger Schritt auf einem langen Weg. Wir stellen RIAS im Innenetat 1,1 Millionen Euro für 2023 bereit; denn die
Stärkung der Recherche- und Informationsstelle ist für uns ein wichtiger Bestandteil bei der Bekämpfung von Antisemitismus.
({4})
Hinzu kommen über 20 Millionen Euro mehr für die Unterstützung jüdischen Lebens, beispielsweise für den Zentralrat der Juden, für den Bau einer
Synagoge in Berlin-Wilmersdorf, das Nevatim-Projekt, den Freundeskreis Yad Vashem und das Tikvah Institut.
({5})
Damit zeigen wir, in welche Richtung die Ampel gehen will: Klares Handeln statt leerer Phrasen.
Danke schön.
({6})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Der Regierungsentwurf für den Einzelplan 10 war mehr
als enttäuschend. Es gab aber noch Hoffnung, dass Sie in den Haushaltsberatungen etwas mehr für die deutschen Bauern und den ländlichen Raum tun würden. Doch
außer Lippenbekenntnissen nichts!
({0})
Auch weiterhin bleibt der Zuschuss zur Unfallversicherung für die Landwirte um 77 Millionen Euro reduziert. Die Betriebe müssen jetzt 18 Prozent mehr
für die Versicherung bezahlen. Die aufgestockten EU-Hilfen hatten das in 2020 zwar noch etwas abgefedert, in 2023 schlägt das Ganze aber voll zu. Wir stellen
heute noch einmal einen Antrag dazu. Liebe Ampelkolleginnen und ‑kollegen, das ist Ihre Chance, heute eine schlimme Fehlleistung zu heilen.
({1})
Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben mehr Tierwohl versprochen. Sie haben gesagt, Sie machen das jetzt. Das Gegenteil ist der Fall. Die völlig
unzureichenden 150 Millionen Euro aus dem Regierungsentwurf müssen nun zu einem Drittel für laufende Kosten der Umstellung herhalten. Also stehen nur
100 Millionen Euro für den Stallumbau zur Verfügung und damit noch mal weniger. Ich war auf der EuroTier und habe mir das angeschaut. Wir brauchen so mindestens
30 Jahre, bis alle Ställe modernisiert sind.
({2})
So wird das nie ein Erfolgsprogramm.
({3})
Meine Damen und Herren, die Bauern sollen einen Porsche produzieren und der Landwirtschaftsminister will nur ein Mofa finanzieren. So geht das
nicht.
({4})
Sie hätten das Geld zusätzlich von Herrn Lindner holen müssen. Und Sie verzichten auf die Kofinanzierung der Länder, die automatisch über die GAK bis
zu 40 Prozent dazugegeben hätten.
Letztlich ist klar, dass Sie mit Ihrem Vorhaben scheitern werden. Das hilft den Tieren nicht und ruiniert die Bauern. Das verpflichtende
Tierwohl-Label ohne zusätzliches Geld für die Tierwohl-Ställe heißt: Deutsches Fleisch wird teurer, und im Supermarkt liegt ungelabeltes Billigfleisch von
irgendwo auf der Welt.
({5})
Wenn man Ihnen diese Woche bei Frau Maischberger zugehört hat, könnte man glauben, es sei alles in Butter: Es gibt große Probleme – da stimmen wir
zu –, aber die lösen Sie, und wo es klemmt, liegt es an der Größe des Rades, das gedreht werden muss.
Sie beklagen die Umsatzeinbußen in Hofläden. Unseren Vorschlag, Liquiditätshilfen für Direktvermarkter und Ökobetriebe aufzulegen, hat Ihre Koalition
im Haushaltsausschuss sogar zweimal abgelehnt. Eigene Lösung? Fehlanzeige! Es wäre ein Treppenwitz, wenn es Ihnen ginge wie Kollegin Künast, in deren
Ministerzeit prozentual die meisten Betriebe aufgeben mussten.
({6})
Ihre Amtszeit könnte die Zeit sein, in der die meisten Ökobetriebe aufgeben müssen, weil Sie sie im Regen stehen lassen.
({7})
Wir haben vorgeschlagen, mit 100 Millionen Euro der Ausgabenreste, die im Agrarhaushalt zu erwarten sind, schnell zu helfen. Es darf doch nicht wahr
sein, dass in Zukunft noch mehr Bioprodukte aus dem Ausland kommen. Wenn wir böse wären, würden wir, Herr Minister, Ihr Handeln als Schaulaufen bezeichnen.
Deshalb: Zeigen Sie ein Herz für unsere Landwirtschaft, die unter Energiepreisen und Kriegsfolgen zu leiden hat, und für den ländlichen Raum.
Sie kürzen die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ gerade da, wo es um ländliche Räume geht.
Das Bundesprogramm Ländliche Entwicklung wird umbenannt, bekommt 3 Millionen Euro mehr, aber viel, viel mehr Aufgaben. Und erst von 2025 bis 2030 soll es dann
im Programm tatsächlich auch wieder mehr Geld geben. Die Ampelkollegen feiern das in der Fachpresse, als hätte es die Mittel jetzt gegeben. Das ist
Augenwischerei; denn langfristig soll das Budget des Bundeslandwirtschaftsministers Stück für Stück schrumpfen.
Herr Minister, wir brauchen jetzt Ihren entschlossenen Einsatz für die deutschen Bauern und für die Ernährungssicherung, nicht in Talkshows, sondern
im Ministerium. Sorgen Sie für mehr Geld fürs Tierwohl und eine Kofinanzierung der Länder. Gehen Sie die Genehmigungsprobleme im Baurecht und beim
Immissionsschutz an. Sichern Sie Qualität und Menge auf den Äckern und in den Ställen. Ein Zögern und Zaudern lassen wir Ihnen nicht nochmals durchgehen.
({8})
Gehen Sie die Probleme der Ernährungswirtschaft schnell und konsequent an, sonst könnten Sie als Minister und die Ampelkoalition mit der größten
Anzahl an aufgebenden Betrieben in Deutschland schlechte Geschichte schreiben.
({9})
Das wollen wir nicht, und das können auch Sie nicht wollen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({10})
Vielen Dank, Herr Kollege Rief. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Sebastian Schäfer, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Herr Minister! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Rief, ich glaube, Ihr „Schaulaufen“ hier heute hat Sie aufs Glatteis
geführt, und das mit dem Rechnen kennen wir ja schon aus dem Haushaltsausschuss.
({0})
Die Zeitenwende geht auch am Haushalt des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft nicht vorbei. Der russische Angriffskrieg auf die
Ukraine und die wirtschaftlichen Folgen, die wir insbesondere bei den hohen Preisen für Energie und für Lebensmittel sehen, stellen unser Land und unsere
Gesellschaft vor große Herausforderungen. Gleichzeitig sehen wir die Auswirkungen der Klimakrise immer stärker, zuletzt in diesem Sommer. Gerade die
Landwirtschaft ist davon extrem betroffen. Immer häufigere Starkregenereignisse, immer längere Dürreperioden zeigen uns doch, wie verletzlich unsere
Landwirtschaft gegenüber dem Klimawandel ist. Wer auf der Seite der Landwirtinnen und Landwirte steht, der darf den klimafreundlichen Umbau der Landwirtschaft
nicht weiter aufhalten, sondern muss ihn gestalten und voranbringen. Dies spiegelt sich in diesem Haushalt wider.
({1})
Ab dem kommenden Jahr fördern wir nun den Umbau der Tierhaltung über ein Bundesprogramm. Wir fangen mit der Schweinehaltung an. Das ist ein erster
wichtiger Meilenstein hin zu einer nachhaltigen und tierwohlorientierten Tierhaltung. Das sind gute Nachrichten für unsere Landwirte,
({2})
aber nicht nur für unsere Landwirte, auch für die Verbraucher/-innen, für die Tiere und nicht zuletzt für das Klima. Konkret honorieren wir es
zukünftig, wenn unsere Landwirte weniger Tiere besser halten; denn so leisten sie einen wichtigen Beitrag für das Tierwohl und den Klimaschutz. Das soll sich
auch für die Landwirtinnen und Landwirte lohnen.
({3})
Damit zeigen wir als Ampel, dass wir die Nutztierhalter/-innen mit dieser großen Aufgabe nicht alleinlassen, sondern den Stallumbau aktiv fördern und
damit eine verlässliche Perspektive bieten. Bei der Tierhaltung bleibt auch in den nächsten Jahren noch viel zu tun, um sie zukunftsfähig zu machen in
Deutschland. Aber diese Regierung und dieser Minister setzen endlich um, was die Union früher nur ins Schaufenster gestellt hat.
({4})
Außerdem haben wir in der Bereinigungssitzung die Mittel für die Zusammenarbeit mit der Welternährungsorganisation sowie für bilaterale
Kooperationsprogramme mit dem Ausland deutlich aufgestockt.
({5})
Damit reagieren wir auf die schwierige Situation bei der globalen Ernährungssicherheit und den Welthunger, der sich durch die Folgen des brutalen
Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine noch einmal verschärft hat. So nehmen wir auch unsere internationale Verantwortung in dieser Krise wahr.
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, leider kann ich Ihnen eines nicht ersparen: Über Ihr Agieren in diesen parlamentarischen
Haushaltsverhandlungen musste ich mich doch sehr wundern. Sie wollen bei der Förderung der Betriebe wieder die Gießkanne auspacken. Und was fällt Ihnen zur
Gegenfinanzierung ein? Eine Erhöhung der globalen Minderausgabe. Das ist in Zahlen gegossene Ideenlosigkeit.
({6})
Wie schrieb „Die Welt“, bekanntermaßen ja das grüne Hausblatt, diese Woche so treffend:
In der Tat kam aus der Fraktion von CDU und CSU in den vergangenen Monaten wenig, wenn es um den Haushalt ging.
Da ist leider auch der Einzelplan 10 keine Ausnahme.
({7})
Die Ampel stellt mit diesem Haushalt die richtigen Weichen. Nicht nur der ländliche Raum und die Wertschöpfung dort werden eine gute Zukunft haben;
auch der Wandel hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft wird gelingen. Unsere Landwirtinnen und Landwirte tragen mit ihrer harten Arbeit
({8})
elementar zu dieser Wertschöpfung und zu unserer Ernährung bei. Sie sind systemrelevant im wahrsten Sinn des Wortes.
Herzlichen Dank.
({9})
Vielen Dank, Herr Kollege Schäfer. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Schielke-Ziesing, AfD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Verehrte Bürger! Bereits beim Vorliegen des Haushaltsentwurfs 2023 für den Bereich der Landwirtschaft habe ich
gesagt, dass dieser Bereich stiefmütterlich behandelt wird. Leider haben die Haushaltsberatungen an meiner Einschätzung nichts geändert. Während man beim
Haushalt 2022 ein bisschen verstehen konnte, dass die neue Regierung sich noch etwas sucht, gibt es diesmal keine Ausreden mehr. Zu ihrem Etat hat die Koalition
zwar ganz viele Anträge gestellt, aber diese waren eher kosmetischer Natur. Vielfach wurden Gelder nur etwas umgeschichtet, und das manchmal in so kleinen
Summen, dass man die glatt übersehen konnte, insbesondere wenn man bedenkt, welche großen Summen anderswo ausgegeben werden. Substanziell wurde bei der
Landwirtschaft daher absolut nichts geändert.
Und es gäbe etwas zu ändern im Bereich der Landwirtschaft, auch auf Bundesebene – was genau, haben wir mit unseren Anträgen gezeigt –, etwa bei den
fehlenden fast 80 Millionen Euro in der landwirtschaftlichen Unfallkasse. Ihre erste Amtshandlung als Ampel war es doch, diese Zuschüsse zu halbieren. Die
Folge: Die Beiträge der Landwirte stiegen um mehr als 18 Prozent. Die Ausrede der Ampel – so in etwa hat es die Staatssekretärin formuliert –: Wir setzen das
um, was die GroKo vereinbart hat.
({0})
Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Ein grüner Minister setzt um, was Schwarz-Rot vereinbart hat.
Auf unsere Argumente, dass die Lage anders sei und es für die Landwirte ausgerechnet in der jetzigen Situation ein Bärendienst sei, kommen Sie mit der
Antwort, dass es ja eben bereits beschlossene Sache sei. Das ist, gelinde gesagt, ein Armutszeugnis für die Regierung.
({1})
Wo unsere Anträge anscheinend einen Nerv getroffen haben, waren die Hilfen im Zusammenhang mit dem Brexit, insbesondere für die Fischerei. Unsere
Anträge haben Sie zwar, wie üblich, abgelehnt, aber immerhin sind die Berichterstatter der Koalition doch noch aufmerksam geworden und haben zumindest hier die
erforderlichen Ausgaben erhöht. Da helfen wir als AfD doch immer gerne mit Ratschlägen. Denn es sollen nicht die Landwirte die Last tragen, nur weil die Politik
schlecht verhandelt hat.
Wo Sie ruhig mal etwas mehr Ehrgeiz zeigen könnten, wäre bei den völlig ausgeuferten Verwaltungsausgaben. Nur Maßgabebeschlüsse vorzulegen, wo dann
das Haus aufgefordert wird – ich zitiere –, darauf hinzuwirken, die Verwaltungs- und Verfahrenskosten in den nächsten Jahren zu reduzieren, ist zwar schön und
gut, aber als Haushälterin glaube ich das erst, wenn ich die Zahlen sehe.
Wie man auch gut bei der Verwaltung und schlecht laufenden Projekten sparen kann, haben wir als AfD mit unseren Anträgen ja aufgezeigt. Darin wurden
allein 116 Millionen Euro an unnötigen Ausgaben gestrichen. Und was macht die Ampel? Nicht mal ein Jahr im Amt und zwei Haushalte später, steigen die Ausgaben
beim Landwirtschaftsministerium und bei den untergeordneten Behörden um sage und schreibe 105 Millionen Euro. So einen Anstieg bei den Verwaltungskosten hatten
wir noch nie. Anscheinend müssen wohl viele Parteikollegen und Lobbyvereine mit gutdotierten Posten ausgestattet werden.
({2})
Zumindest in den anderen Einzelplänen haben wir gesehen, wie offen und dreist Lobbyarbeit – insbesondere bei den Grünen – betrieben wird.
Und auch bei den Ideologieprojekten wie etwa den Maßnahmen zur Förderung ausgewogener Ernährung sehen wir Sparpotenzial. Denn es ist, ehrlich gesagt,
nicht Aufgabe des Staates, ausgewogene Ernährung zu predigen, zumal es die Entscheidung jedes Einzelnen ist, wie er oder sie sich ernährt. Das Geld wäre viel
besser angelegt, wenn Sie erst einmal die Grundlagen schaffen würden, dass Lebensmittel für jedermann zugänglich sind, sodass die Bürger überhaupt die Wahl
haben, statt sie zu bevormunden, was und wie sie zu essen haben. Da sieht man dann wieder die typisch grüne Doktrin: Bevormundung über alles.
({3})
Das sehen wir bei der Energie, in der Gesellschaftspolitik, und jetzt soll uns auch noch vorgegeben werden, was wir zu essen haben.
Bei dem einen Projekt, das Sie sich groß auf die Fahnen geschrieben haben, der Förderung des Umbaus der Tierhaltung, warten wir noch immer auf
Konkretes. Dafür haben sie zwar Geld aus der GAK genommen, das heißt keinen Cent extra vorgesehen – das sagt ja auch viel über den Stellenwert –, den Titel
dreimal hin und her geschichtet, aber was genau gefördert wird, wie, ab wann, zu welchen Konditionen, darauf haben die Landwirte immer noch keine Antworten.
Ihre Antwort hier: Wir beraten noch. – Das ist die typische Politantwort: Wir beraten noch. – Und während Sie sich Zeit nehmen, um zu beraten, gehen unsere
Landwirte dank der gestiegenen Energiepreise und absoluter Unsicherheit hinsichtlich der Zukunft vor die Hunde.
({4})
So kann eine zukunftssichere Landwirtschaft niemals gelingen.
Liebe Ampel, diesen Haushalt für das Landwirtschaftsministerium können wir als AfD nicht mittragen. Es fehlt ihm vorne und hinten an Substanz, und er
setzt die völlig falschen Prioritäten. Legen Sie endlich Ihre ideologischen Scheuklappen ab, und setzen Sie sich für die wirklichen Bedarfe der Landwirte
ein.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Esther Dilcher, SPD-Fraktion.
({0})
Guten Abend! – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister Özdemir! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Für den Einzelplan 10 wurden im Regierungsentwurf für 2023, wie schon mehrfach gesagt, Gesamtausgaben von circa 7,2 Milliarden Euro
vorgesehen. Herr Kollege Rief, Sie sprechen eine ähnliche Sprache wie unser Minister, ich vermute, auch fast denselben Dialekt; aber Sie sprechen offensichtlich
auch ein bisschen aneinander vorbei.
({0})
Ich denke, Einigkeit dürfte bei uns bestehen, dass wir die Landwirte beim Umbau für eine zukunftsfähige Tierhaltung unterstützen müssen. Hatte der
Minister im Regierungsentwurf die 150 Millionen dafür noch in der GAK eingestellt, finden wir das Geld jetzt in einem Bundesprogramm für den Stallumbau. Und ich
finde es richtig, dass wir nicht nur die Investitionen fördern, sondern uns auch Gedanken darüber machen, was es denn bedeutet, wenn Landwirte zukünftig Tiere
anders halten müssen, dass das nämlich Folgekosten, und zwar höhere Kosten, verursachen wird und dass wir dann auch in diesem Bereich unterstützen müssen. Das
ist gut und richtig und nicht so kurz gedacht wie nur eine Anschubfinanzierung für Investitionen.
({1})
Seitens des Bundes und der EU wird den Landwirten vorgeschrieben, unter welchen Bedingungen Tiere zu halten sind. Daher ist es mehr als
gerechtfertigt, wenn wir die Landwirte bei der Umsetzung unterstützen. Gerade aus den Titeln der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des
Küstenschutzes“ sind in den vergangenen Jahren Millionenbeträge, und zwar in dreistelliger Höhe, nicht abgeflossen. Es gab Länder, die die ihnen zugewiesenen
Beträge fast vollständig ausgeben konnten, und andere, die keine Projekte auf den Weg bringen konnten. Das hatte zur Folge, dass dann auch der Bundesanteil von
60 Prozent dort überhaupt nicht zur Auszahlung kam. Gerade in Ländern, in denen die Landwirte besondere Unterstützung benötigen würden, hängt die Förderung
davon ab, wie stark sich ein Bundesland in diesem Rahmen engagiert.
Das wollen wir gerne verändern. Als Bund haben wir ein großes Interesse daran, die Unterstützung auf eine breite Basis – gerade mit allen
Bundesländern – zu stellen. Wir sind daher gespannt auf das Konzept, welches seitens des Ministeriums vorgelegt wird. Bis dahin sind die Mittel zunächst
gesperrt. Die Länder sind aber nach wie vor herzlich eingeladen, sich an der Finanzierung des Stallumbaus zu beteiligen.
({2})
Der Union ist dieser Mittelansatz zu gering, wie wir im Ausschuss gehört haben. Dort wird damit gerechnet, dass der Umbau von 13 Millionen
Schweinemastplätzen circa 10 Milliarden Euro kosten würde. Aber es kann doch nicht wirklich sein, dass Sie erwarten, dass der Bund tatsächlich die vollen Kosten
übernimmt.
({3})
Vielmehr ist hier eine Teilfinanzierung vorgesehen. Sie beträgt für die nächsten Jahre 1 Milliarde Euro, wobei ich davon ausgehe, dass wir bereit
sind, diesen Schwerpunkt auszuweiten, wenn mehr Geld zur Verfügung steht, das Programm ins Laufen kommt und zu einem erfolgreichen Projekt wird.
Wichtiger als das Geld zur Unterstützung der Investitionen ist jedoch, dass die entsprechenden Gesetze harmonisiert werden. Herr Rief hat es schon
angesprochen. Wenn Tiere nicht nur im Stall gehalten werden sollen, bedarf es unter anderem auch einer Änderung immissionsschutzrechtlicher Regelungen; denn
Tiere im Freien verursachen Immissionen. Deshalb sind zurzeit beim Stallumbau noch immissionsschutzrechtliche Grenzwerte einzuhalten. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, wir befinden uns in der fünften Jahreszeit, aber solch eine Narretei kann hier vermutlich niemand belächeln. Das müssen wir ändern.
({4})
Ein weiterer Knackpunkt im Haushalt für Ernährung und Landwirtschaft ist die Ausstattung der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und
Gartenbau. Und ja, wir stehen auch weiterhin dazu, dass die Leistungen für die Unfallversicherung auf dem vereinbarten Niveau von 100 Millionen Euro bleiben.
Wenn mich vor Ort die Landwirte ansprechen und einfordern, dass wir diese Mittel erhöhen, dann sage ich: Gut. Dann setzen wir uns aber bitte auch mal mit der
Sozialversicherung zusammen an einen Tisch und gucken, ob die ihre Hausaufgaben gemacht und ihre Organisationsstrukturen so aufgebaut hat, dass die
Verwaltungskosten heruntergefahren werden.
({5})
Solange das nicht der Fall ist, werden wir unseren Beitrag nicht weiter aufstocken.
({6})
Den Vermerk aus dem letzten Haushalt von 2022 haben wir wieder aufgenommen. Für die Beratung und Betreuung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern,
insbesondere von Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeitern und Saisonkräften, in Fragen des Arbeitsschutzes, der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes
sind aus diesem Titel nämlich 1 Million Euro vorzusehen. Viele Betriebe können ihre Ernten ohne Saisonkräfte nämlich gar nicht mehr einfahren, und daher ist es
uns als Sozialdemokraten besonders wichtig, dass diese Menschen hier auch faire Arbeitsbedingungen vorfinden.
({7})
Ernährung ist ebenfalls ein großes Thema in diesem Haushalt. Wir fördern ausgewogene Ernährung hier mit insgesamt 15,8 Millionen Euro. Ernährung ist
ein wichtiges Thema in diesem Haushalt. Es heißt ja schließlich „Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft“; Forsten und Fischerei gehören auch noch
dazu. Wir schreiben hier auch niemandem vor, was er zu essen hat, sondern wir wollen nur aufklären. Wenn wir gute Ernährung fördern, können wir
Gesundheitskosten vermeiden – also ein Gewinn für alle.
({8})
Klare Vorgaben haben wir bei der Beschaffung eines neuen Forschungsschiffes gemacht, eines Nachfolgebaus für die „Walther Herwig III“, der eigentlich
schon nächstes Jahr in Betrieb genommen werden sollte. Wir erwarten hier ein modernes, umweltschonend betriebenes Schiff, also eines mit einem emissionsarmen
Motor, das die integrierte Betrachtung des Meeressystems ermöglichen soll. Das soll auf dem Verhandlungswege erfolgen; die Ausschreibung ist schon gescheitert.
Das schreiben wir dem Ministerium ins Buch.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Bei meinem Lieblingsthema Wald werden wir weiter beobachten, ob die Förderrichtlinien jetzt auf den Weg gebracht und die Fördermittel abgerufen
werden.
Dieser Haushalt ermöglicht klimafreundliche, moderne, zukunftsfähige Investitionen, und ich freue mich schon auf die Umsetzung der in diesem Haushalt
enthaltenen Maßnahmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat nun die Kollegin Ina Latendorf, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Wir sprechen über Ernährung und Landwirtschaft, und gerade Ernährung betrifft alle
Menschen. Doch die Bundesregierung nimmt für diesen Bereich aus meiner Sicht nach wie vor nicht genügend Mittel in die Hand. Die meisten Änderungen im Vergleich
zum Vorjahr und zum ersten Entwurf des Einzelplans des BMEL sind kosmetischer und verwaltungstechnischer Natur.
Ich frage Sie von der Koalition: Was denken Sie, wie das bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommt, die über verteuerte Lebensmittel und spürbare
Auswirkungen des Klimawandels in Natur, Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft klagen?
({0})
„Nicht gut“, würden Sie sagen, und dem schließe ich mich als Linke an.
Für all die über 900 000 Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten, für 18,7 Millionen Menschen, die im ländlichen Raum leben, für alle Menschen,
die zu Recht gesunde und bezahlbare Lebensmittel fordern, ist der Haushalt für Ernährung und Landwirtschaft einfach ernüchternd. Die Berichte aus den
landwirtschaftlichen und verarbeitenden Betrieben, deren Zukunft und Existenz auf der Kippe steht, sind verheerend. Die Sorgen von Verbraucherinnen und
Verbrauchern über die Preisentwicklung sind real und erschütternd. Da ist keine Luft mehr! Heute ist der 24. des Monats, und da ist bei vielen Rentnerinnen und
Rentnern, bei Alleinerziehenden, bei Menschen mit Minijob das Portemonnaie leer.
Wo bleibt die aktive Umgestaltung und damit die Sicherung der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelproduktion? Mit diesem Haushalt bleibt sie auf der
Strecke.
({1})
Die 7,175 Milliarden Euro im Etat 2023 sind weniger als 2 Prozent des Gesamthaushaltes, während sich die Rüstungsspirale weiterdreht. Nach Abzug der
im Einzelplan versteckten Sozialleistungen in Höhe von 3 Milliarden Euro bleiben etwa 0,9 Prozent des Gesamthaushaltes für den Umbau der Landwirtschaft
entsprechend sozialökologischen Standards, für Ernährungssicherheit, für Verbraucherschutz, für die Entwicklung der ländlichen Räume, für die Fischerei und für
den Wald, dessen Umbau, wie wir eben gehört haben, so dringend notwendig ist.
Ja, ich will auch die positiven Änderungen nennen. Lassen Sie mich drei aufzählen: Die Betriebsbeihilfen für die Fischerei wurden geschaffen, die
Hilfe im Zusammenhang mit dem Brexit festgeschrieben, und die Rücknahme der zunächst geplanten Kürzungen bei den Bundesmitteln für die
Welternährungsorganisation FAO war dringend fällig und ist richtig. Aber was fehlt? Eine vernünftige Politik, die der jetzigen Preistreiberei Einhalt gebietet.
Schon lange wären wirksame Maßnahmen gegen Nahrungsmittelspekulationen und Preisexplosion notwendig gewesen. Und hier? Untätigkeit!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Fraktion Die Linke unternimmt in jedem Haushaltsjahr den Versuch, eine für soziale Gerechtigkeit zentrale
Forderung umzusetzen. Dabei geht es um ein Bundesprogramm Kita- und Schulverpflegung mit Mitteln in Höhe von 2 Milliarden Euro. Sie haben morgen noch einmal die
Chance, unserem Entschließungsantrag dazu zuzustimmen.
({2})
Und ehe Sie mir wieder mit Länderzuständigkeiten kommen: Schauen Sie ins Grundgesetz! Nach den Artikeln 104b und 104c Grundgesetz ist das möglich.
Schul- und Kitaverpflegung ist Sozial-, Umwelt-, Ernährungs- und Gesundheitspolitik gleichermaßen.
({3})
Schulen und Kitas sind Orte, wo alle Kinder und Jugendliche gleichermaßen erreicht werden können. Bund und Länder müssen hier an einem Strang ziehen.
Und das bislang übliche Ressortdenken – nicht nur zwischen den Ministerien, sondern auch zwischen Bund und Ländern – muss endlich aufhören.
({4})
Wir folgen mit unserer Forderung dem Wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz des BMEL. Die
zentrale Empfehlung lautete, eine „beitragsfreie, qualitativ hochwertige Kita- und Schulverpflegung“ schrittweise in ganz Deutschland zu etablieren, um eine
gesunde Ernährung gerade für die Jugendlichen zu erreichen.
Die soziale Komponente ist nicht zu vergessen. Bedenken Sie die aktuelle Situation: Die Inflation bei Lebensmitteln und Energie verteuert das Angebot
in den Schulen erheblich. Eltern melden ihre Kinder von der Schulverpflegung ab. Die Kinder essen dann ihr mitgebrachtes Brot oder im schlimmsten Fall nichts,
während andere eine warme Mahlzeit bekommen. Die dadurch erlebte Diskriminierung können Sie sich wohl ausmalen.
Ich habe die Bundesregierung zum Thema Ernährungsarmut befragt. Die Antwort war: Bei „informiertem, preisbewusstem Einkauf“ könne man sich heutzutage
mit 5,09 Euro pro Person am Tag eine gesunderhaltende Ernährung ermöglichen.
({5})
Wo leben Sie eigentlich? Das ist reinster Hohn!
({6})
Sie haben die vollmundig angekündigte Agrarwende gerade untergepflügt, die gesunde Ernährung ist in irgendeiner Schublade versenkt worden, und die
Verbraucherinnen und Verbraucher stehen im Regen. Das können wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
({7})
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner hat der Kollege Frank Schäffler, FDP-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Ernährungsfrage ist die große Frage unserer Zeit.
({0})
Sie war es aber schon immer. Robert Malthus hat Ende des 18. Jahrhunderts gesagt: Die Bevölkerung hat die dauerhafte „Neigung, sich über das Maß der
vorhandenen Lebensmittel hinaus zu vermehren“.
Heute wissen wir: Das war ein Fehlschluss; er hat sich geirrt. Die Weltbevölkerung steigt zwar – 1800 betrug die Weltbevölkerung 1 Milliarde, heute
beträgt sie 8 Milliarden, und im Jahre 2050 wird sie 10 Milliarden betragen –, aber neue Anbaumethoden, der technische Fortschritt, Düngemittel und verändertes
Saatgut haben dazu beigetragen, dass die Zahl der Hungernden auf dieser Welt massiv zurückgegangen ist: Im 18. Jahrhundert waren 90 Prozent der Bevölkerung
Hungernde, 1980 waren es noch 20 Prozent, und heute sind es immer noch 10 Prozent, bei einer wachsenden Bevölkerung aber erstaunlicherweise wesentlich weniger
als früher. Der Grund ist, dass zwischen 1961 und 2009 die wirtschaftlich genutzte Fläche zwar nur um 12 Prozent zunahm, aber die Produktivität in der
Landwirtschaft um 300 Prozent zugenommen hat. In 150 Jahren hat sich die Produktivität zum Beispiel beim Ernten von Weizen um sage und schreibe das 2 500-Fache
erhöht.
Ich sage das deshalb, damit deutlich wird, dass Landwirte Unternehmer sind, die nicht nur regional unterwegs sind. Vielmehr produzieren Landwirte
Lebensmittel für den Weltmarkt.
({1})
Deshalb ist es notwendig, dass wir die Wettbewerbs- und Standortbedingungen für die Landwirtschaft in Deutschland im internationalen Wettbewerb
betrachten und sie dafür fit machen.
({2})
Dafür haben wir als FDP in diesen Haushaltsberatungen wichtige Weichen gestellt. Zum Beispiel haben wir dafür gesorgt, dass 3 Millionen Euro in die
Forschung an Vertical Farming, also an neuen Anbaumethoden, gesteckt werden können. Und wir haben dafür gesorgt – das ist mir auch sehr wichtig –, dass
zusätzliche Mittel in Höhe von 8 Millionen Euro für die Genforschung bereitgestellt werden; denn Genforschung bedeutet nicht nur ein Risiko, sondern das ist
eine große Chance für die Welternährung in der heutigen Zeit.
({3})
Wir haben daneben deutlich gemacht, dass wir auch die Digitalisierung in der Landwirtschaft stärken wollen. Letztendlich geht es immer um die Frage,
wie man die Wettbewerbsbedingungen der deutschen Landwirtschaft insgesamt verbessern kann.
Ich finde, es ist notwendig, dass wir die Landwirtschaft auch dem Wettbewerb aussetzen. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir in der Koalition
vereinbart haben, das Freihandelsabkommen CETA im Deutschen Bundestag endlich zu ratifizieren.
({4})
Ich weiß, die Landwirtschaft ist dort in vielen Bereichen ausgenommen, aber es ist ein erster Schritt. Und wir müssen weitergehen; wir müssen auch
TTIP mit den Amerikanern zusammen neu entfachen und initiieren. Ich glaube, auch das ist wichtig, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft
wieder zu stärken.
({5})
Ich will das mit Friedrich August von Hayek darlegen, der gesagt hat: „Es ist eine der Hauptaufgaben des Wettbewerbs, zu zeigen, welche Pläne falsch
sind.“ – Es ist, glaube ich, notwendig, dass Geschäftsmodelle auch im Wettbewerb überprüft werden. Es ist die eigentliche Essenz des Wettbewerbs, dass er
deutlich macht, was funktioniert und was nicht funktioniert. Wenn wir die Landwirtschaft einbetten, pudern, mit Subventionen, wie es die Union will, ständig vom
Markt fernhalten, dann führt das letztendlich dazu, dass die Bedingungen für die Landwirtschaft nicht besser werden,
({6})
sondern dann werden die Marktbedingungen irgendwann tatsächlich so schlecht, dass wir am Weltmarkt nicht mehr Bestand haben werden.
({7})
Deshalb ist es notwendig, dass wir den Wettbewerb aktiv suchen, auch international, und uns nicht verstecken.
Wenn wir die Rahmenbedingungen für die deutsche Landwirtschaft verbessern, dann ist mir um die Landwirte in diesem Land nicht bange. Ich glaube, sie
lechzen letztendlich danach, dass sie nicht ständig mit neuen Subventionsprogrammen beglückt werden, sondern tatsächlich Rahmenbedingungen haben, die sie am
Ende als Unternehmer kenntlich machen und am Markt agieren lassen.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank, Herr Kollege Schäffler. – Als nächster Redner hat der Kollege Albert Stegemann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Aus schlecht informierten Kreisen hört man immer wieder, Haushaltsreden seien
langweilig, es gehe um trockene Zahlen. Ich kann Ihnen sagen, ich empfinde das ganz anders, weil Haushaltsreden ehrlich sind, weil man an ihnen erkennen kann,
wie eine Regierung, wie Parteien, wie Fraktionen tatsächlich zu Themen stehen und welche Themen sie priorisieren.
Mit Blick auf den jetzigen Haushalt kann man sagen: Er ist vielleicht ein bisschen langweilig; es ist ein Aufwuchs von 2 Prozent. Bei 10,4 Prozent
Inflation könnte man sagen, dass es auch ein bisschen mehr hätte sein können.
Wenn man ein bisschen genauer hinschaut, dann sieht man, dass die Verwaltungsausgaben erheblich gestiegen und die Leistungen für Landwirte geschrumpft
sind. – Aber auch das: Das könnte man alles kritisieren, aber an der Stelle wollen wir gar nicht kleinkariert sein.
Es gibt aber ein paar Dinge, die gar nicht wesentlich auffallen, uns aber große Sorgen bereiten:
Ich komme auch auf die Unterstützung und den Umbau der Tierhaltung zu sprechen. Einige Kollegen haben ja schon stolz wie Bolle hier vorgetragen:
Mensch, 150 Millionen Euro sind jetzt doch mal ein Anfang!
Ich wende mich jetzt auch mal an Sie, Herr Özdemir. Sie haben diese 150 Millionen Euro immer wieder ins Schaufenster gestellt. Seit Jahren diskutieren
wir immer wieder darüber: in der ZKL, in der Borchert-Kommission, dem Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, mit Borchert zusammen. Es gibt wissenschaftliche
Berechnungen, die besagen, dass wir für einen ehrlichen Umbau der Tierhaltung mindestens 4 Milliarden Euro im Jahr brauchen. Diese Zahl stammt aus der Zeit vor
der hohen Teuerungsrate, vor den Teuerungen durch Inflation und, vor allen Dingen, vor der überproportionalen Inflation der Kosten am Bau. Das heißt, wenn wir
einen Umbau der Tierhaltung organisieren wollen, dann müssen wir uns ehrlich machen und uns auf Kosten von inzwischen 6 bis 8 Milliarden Euro einstellen. Und
Sie kommen hier mit 150 Millionen Euro! Diese Summe ist lächerlich, absolut lächerlich!
({0})
Ich nehme Ihnen das persönlich gar nicht übel, aber ich glaube, Sie wissen einfach nicht, was in den landwirtschaftlichen Betrieben los ist.
({1})
Herr Ebner, Sie reden auch immer über ressourcenschonendes Handeln. Eine Ressource machen wir zurzeit kaputt, und das ist die Zuversicht bei jungen
Landwirten. Haben Sie sich in den letzten Jahren mal mit jungen Landwirten unterhalten?
({2})
Wissen Sie, was auf den Höfen los ist? Es gibt keine Möglichkeit, zu investieren. Sie bekommen keine Baugenehmigung, sie haben baurechtliche Probleme,
immissionsrechtliche Probleme. Außerdem gibt es Probleme bei der Markteinschätzung
({3})
und eine fehlende Akzeptanz der Gesellschaft und der Politik. Und Sie kommen hier mit 150 Millionen Euro! Also wirklich, das ist ein absoluter
Treppenwitz. Das kann ich leider nicht anders bezeichnen, und ich kann Ihnen das auch nicht ersparen.
({4})
Jetzt kommen Sie mit Ihrer Milliarde. Ja, bitte schön, 1 Milliarde über drei, vier Jahre verteilt: Entschuldigung, das lasse ich Ihnen nicht
durchgehen.
({5})
Dass Sie sich in der Ampel nicht einig werden, ist das Problem der Ampel und der Fraktionen. Wir als Opposition bewerten die Arbeit der
Bundesregierung, und die hat hier einfach nicht stattgefunden. Ich bitte, das auch mal zu akzeptieren.
({6})
Herr Kollege, ich würde die Mitglieder der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bitten, so spaßig das heute Abend ist, doch eher zuzuhören und nicht
verstärkt dazwischenzurufen.
Wunderbar!
({0})
Aber ich freue mich natürlich, wenn das, was man hier spricht, wahrgenommen wird und Reaktionen hervorruft.
Schauen wir uns an, was an Schaufensterpolitik gemacht wird. Ich habe heute der Presse entnommen, dass da jetzt eine Viertelmillion für einen
Bundestierschutzbeauftragten ausgegeben wird. Das ist wirklich Schaufensterpolitik. Damit hilft man vielleicht einem alten grünen Parteifreund. Das ist eine
B-6-Stelle; die ist hochdotiert. Garniert ist das Ganze noch mit zwei A-13-Stellen. Da macht man wirklich reine Schaufensterpolitik. Da, wo Sie wirklich was
hätten tun können – in der Borchert-Kommission war man schon so weit –, da versagen Sie, und das ist absolut nicht in Ordnung.
({1})
Ich will Ihnen noch etwas sagen: Was nicht direkt im Einzelplan 10 steht, wir hier aber dringend mal besprechen sollten, ist die Übergewinnbesteuerung
bei den Biogasanlagen. Wir waren gestern fast mit der kompletten Truppe der Union, die jetzt hier sitzt, bei der Demonstration und haben uns die Sorgen
angehört. Es gibt jetzt ja auch ein bisschen Bewegung in der Sache. Es weiß aber, glaube ich, jeder hier im Haus – hinter vorgehaltener Hand erzählt das
jeder –: Es waren Haushaltspolitiker der Union, die das am Ende mit Habeck ein Stück weit ausgehandelt haben.
({2})
Deswegen noch mal Danke an unseren Chefhaushälter. Der hat da wirklich eine gute Vorarbeit geleistet.
Natürlich geht das Ganze nicht weit genug. Wenn wir die Bagatellgrenze bei 1 Megawatt belassen, dann reicht das nicht aus. Dann sind die
Anlagenbetreiber diskriminiert, die jetzt wirklich auf Flexibilisierung gesetzt und investiert haben, also genau das getan haben, was wir von ihnen wollten,
nämlich dann Strom abzuliefern, wenn das Netz ihn braucht. Bei diesen Anlagen wird jetzt nicht der Gewinn, sondern der Erlös abgeschöpft. Es gibt einfach einen
großen Unterschied zwischen Gewinn und Umsatz. Das wird ja häufig durcheinandergebracht.
Ich appelliere noch mal: An der Stelle sollten Sie Anwalt der Landwirte sein. Herr Özdemir, in Ihrer Antrittsrede haben Sie gesagt, Sie wollen Anwalt
der Landwirte sein. Das waren jetzt vielleicht nur kleine Beispiele, aber Sie haben gezeigt, dass Sie bislang allenfalls, maximal, ein Pflichtverteidiger waren.
Deswegen forderte ich Sie von hier aus auf: Fangen Sie an, Ihre Arbeit aufzunehmen! Werden Sie zum Anwalt der Landwirte, und kümmern Sie sich endlich um die
Interessen der Landwirte! Die warten darauf, und dazu wollen wir Sie motivieren.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächstes hat das Wort Herr Bundesminister Cem Özdemir für die Bundesregierung.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen! Meine Herren! Dieser Haushalt steht für eine Politik, die Klima, Böden, Arten schützt
und zugleich dem Erhalt der Höfe dient. Er steht für die Sicherung unserer Ernährung – bei uns und überall auf der Welt. Er gibt den Bäuerinnen und Bauern
endlich Planungssicherheit und Perspektiven. Ich danke den Haushälterinnen und Haushältern ausdrücklich, dass sie unserer Politik den Weg ebnen und sie mit
ihren Beschlüssen sogar noch verstärken.
({0})
Die Landwirtinnen und Landwirte wollen den Verbraucherinnen und Verbrauchern, dem Klima und den Tieren gerecht werden. Jetzt kommt es allerdings auf
die Politik an, diese Veränderungsbereitschaft, die längst da ist, auch tatkräftig zu unterstützen. Genau das tun wir, indem wir die Grundlagen für das
Bundesprogramm zum Umbau der Tierhaltung endlich schaffen. Es umfasst 1 Milliarde Euro als Anschubfinanzierung für den Umbau der Schweinehaltung. Damit sollen
Investitionen in den Umbau hin zu tiergerechten Ställen gefördert werden.
Aber nicht nur das: Wir wollen die Tierhalter auch bei den laufenden Mehrkosten von mehr Tierwohl unterstützen. Wir geben unseren Landwirtinnen und
Landwirten jetzt auch die finanzielle Planungssicherheit für mehr Tierschutz. Deshalb streben wir für die Unterstützung bei den laufenden Mehrkosten Verträge
mit einer Laufzeit von bis zu zehn Jahren an. Mit Hochdruck arbeiten wir nun an den Eckpunkten des Bundesprogramms und den Kriterien für die Förderung.
Ich kann mir vorstellen – habe ich beim Zuhören gedacht –, dass bei einigen Kolleginnen und Kollegen der Union die innerliche Zerrissenheit groß sein
muss. Man sieht sie Ihnen auch an. Da wird jetzt endlich der zukunftsfeste Umbau der Tierhaltung in Deutschland angepackt, und dann muss es ausgerechnet die
Ampel sein und dann auch noch ein grüner Minister und dann auch noch ein Vegetarier, der die Mittel dafür organisiert.
({1})
– Das ist hart, ich weiß.
Diese Regierung bringt nicht nur ein Haltungskennzeichen auf den Weg, sondern wir machen in Brüssel auch Druck für ein Herkunftskennzeichen, das uns
für Anfang des Jahres zugesagt ist. Herr Rief, wenn man Schwäbisch schwätzt, fällt es mir immer schwer, zurückzukoffern. Aber jetzt muss ich Ihnen doch mal
sagen: Wir halten das, was Sie 16 Jahre versprochen haben, meine Damen, meine Herren.
({2})
Wir ändern das Baurecht, damit die Bauern den Umbau überhaupt durchführen können. Wir packen die TA Luft an. Wir geben 1 Milliarde Euro
Anschubfinanzierung für den Umbau der Schweinehaltung, und dann geht es weiter mit den anderen Nutztieren. Wir haben vom LEH die Zusage, dass bei „Stall plus
Platz“ die Weiterfinanzierung gesichert ist.
Für diejenigen, die zu Recht fragen: „Was ist mit ausländischem Fleisch?“, kommen jetzt endlich die Herkunftskennzeichen. Was ich in ungefähr einem
Jahr mache, meine Damen, meine Herren von der Union, haben Sie in 16 Jahren nicht geschafft.
({3})
Mit diesem Haushalt stärken wir aber auch unser internationales Engagement, um der prekären Ernährungslage der Welt zu begegnen. Wir statten
bilaterale Kooperationsprogramme mit zusätzlichem Geld aus. Diese Programme leisten einen wichtigen Beitrag zur globalen Ernährung, auch im Kontext des
russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, beispielsweise durch Unterstützung des Welternährungsprogramms, damit das fundamentale Recht auf Nahrung endlich
gesichert wird.
Unser Haushalt leistet auch einen Beitrag zum Klimaschutz. Unsere Wälder gehören zu den besten Klimaanlagen, die man sich vorstellen kann.
({4})
Deshalb investieren wir 900 Millionen Euro in ihre Zukunft, Geld, das – ich habe es am vergangenen Wochenende im Naturschutzgebiet Rotwildpark bei
Stuttgart bei der Begehung mit Försterinnen und Förstern noch mal gesehen – bitter notwendig ist. Das ist übrigens eine gute Gelegenheit, dass das Hohe Haus den
Försterinnen und Förstern, aber auch den Waldbäuerinnen und Waldbauern für ihre großartige Arbeit dankt.
({5})
Ich finde das wirklich toll und beeindruckend. Wenn man mit denen spricht, wenn man die fragt: „Wie sieht denn der Wald in dreißig, vierzig Jahren
aus?“, dann blickt man in angesichts der Klimakrise sorgenvolle Mienen. Aber ein Stichwort taucht dabei immer auf: Vielfalt. – Jetzt müssen Sie hart im Glauben
sein, Kollegen von der AfD: Auch der deutsche Wald, damit er Zukunft hat, braucht Vielfalt. – Auch das setzt diese Koalition um.
({6})
Meine Damen, meine Herren, mit diesem Haushalt stärken wir auch die ländlichen Räume, damit unsere Demokratie und unsere Wirtschaft auch dort Zukunft
haben. Wir bauen die bestehenden Förderprogramme wie das Bundesprogramm Ländliche Entwicklung aus. Nur gemeinsam gelingt es uns, heute noch strukturschwache
Regionen zu beleben, den Menschen dort Perspektiven zu schaffen, den Zusammenhalt zu stärken.
Diese Regierung ist auf dem Weg, Ernährung und Landwirtschaft nachhaltiger, ökologischer zu gestalten, damit ländliche Räume eine lebenswerte Zukunft
haben.
Ich danke Ihnen.
({7})
Vielen Dank, Herr Bundesminister. – Das Wort hat jetzt der Kollege Bernd Schattner, AfD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister! Es ist festzuhalten, dass bei dem heute vorliegenden Haushalt offensichtlich wieder einmal
Ökolobbyisten, Klimakleber und sonstige Ideologen ohne Sachverstand den Ton angegeben haben.
({0})
Die Nöte und Sorgen der Landwirte wurden augenscheinlich nicht berücksichtigt. Das ist aber auch kein Wunder; denn im Agrarministerium wurden keine
Landwirte mit Sachverstand mehr eingestellt, sondern seit September wurden alleine acht Mitarbeiter aus den Verbänden BUND, Bioland, Deutscher Naturschutzring,
BÖLW, Deutsche Umwelthilfe und Deutsche Welthungerhilfe mit Versorgungsposten bedacht.
Damit die Klima- und Tierschutzextremisten auch von öffentlichen Steuergeldern profitieren, sind alleine seit dem Amtseintritt von Herrn Minister
Özdemir an Verbände wie Bioland, Demeter, Greenpeace oder PETA 40 Millionen Euro mehr geflossen als im Vorjahr. Das zeigt, dass die Grünen nicht nur die
Tierhaltung, sondern am liebsten die komplette konventionelle Landwirtschaft abschaffen wollen.
({1})
Statt über Tierhaltung diskutieren wir hier nur noch über die CO2– und die Methanemissionen der Tiere, an das Wohl der Tiere und unserer Landwirte
denkt schon lange niemand mehr. Das Höfesterben ist für die Grünen offenbar das einfachste Rezept für mehr Klimaschutz in der Landwirtschaft. Das beste Beispiel
ist die Borchert-Kommission, die schon mehrfach angesprochen wurde. Von der vollmundig angekündigten Milliarde für den Stallumbau bleiben, wenn man die
Verwaltungskosten runterrechnet, sowieso nur noch 600 Millionen Euro übrig. Und der Ansatz von 150 Millionen Euro für das Jahr 2023 wird jetzt nicht
freigegeben, da es noch keinen Plan gibt. Mit „kein Plan“ kennt sich der Herr Minister anscheinend bestens aus – mehr als Hanfanbau auf der Dachterrasse kommt
selten von ihm.
({2})
Egal ob Doppel-Wumms von 200 Milliarden Euro hier oder 100 Milliarden Euro Sonderschulden für die Bundeswehr da – für alles hat die Bundesregierung
Geld, nur unsere Bäuerinnen und Bauern gehen mal wieder leer aus. Die Realeinkommen unserer Landwirte sind schon zu Zeiten der CDU/CSU-Regierung gesunken. Unter
Ihrer Koalition geht es jetzt noch deutlich schneller bergab. Schlachtunternehmen können den Landwirten nicht mehr das Geld zahlen, das diese angesichts der
steigenden Kosten bräuchten. Viele Tierhalter stehen kurz vor der Insolvenz und sehen keine Perspektive mehr in Deutschland.
Allein 10 Prozent weniger Schweineproduktion innerhalb eines Jahres zeigt, auf welchem Weg wir uns bewegen. Meine Damen und Herren, die
Selbstversorgung mit Fleisch aus Deutschland ist in Gefahr. Westfleisch-Vertriebsleiter und VDF-Vorstand Hubert Kelliger sagte auf der EuroTier:
Wir sind jetzt an einem Punkt, da wir uns ausrechnen können, wann wir uns nicht mehr selbst versorgen können, Fleisch zu einem knappen Gut wird und
die Regale in den Supermärkten nicht mehr mit in Deutschland produzierten Fleischartikeln gefüllt sind.
Genau das will diese Regierung offenbar: weder Hilfen für den Einkauf von Mineraldünger noch eine Verdopplung der Agrardieselrückerstattung, wie von
der AfD gefordert, sind für diese Bundesregierung wichtig. Die Agrardieselrückerstattung wird von den Grünen, genauso aber von der einst konservativen Union als
klimaschädliche Subvention bezeichnet. Beim Mineraldünger sollen die deutschen Bauern sparen, gleichzeitig sollen sie weniger Vieh halten, um die Flächen dann
mit organischem Dünger besser zu versorgen – den es ohne Tierhaltung aber gar nicht mehr geben kann.
({3})
Meine Damen und Herren, an diesen Entwicklungen lässt sich ganz klar erkennen: Ein grüner Landwirtschaftsminister schadet der Landwirtschaft in
Deutschland massiv.
Man merkt mittlerweile, dass die Lebensmittelversorgung nicht mehr selbstverständlich ist, und die Verteuerung der Lebensmittel spüren nicht nur die
armen Bürger. Inzwischen gibt es in Deutschland 962 Tafeln. Seit Beginn des Ukrainekriegs verzeichnen rund 61 Prozent der Tafeln einen Zuwachs der Zahl ihrer
Kunden um bis zu 50 Prozent, rund 30 Prozent der Tafeln haben bis zu doppelt so viele Kunden, und 9 Prozent haben mehr als doppelt so viele Kunden. Hierzu
findet sich im aktuellen Haushaltsplan leider gar nichts. Statt die Ärmsten der Gesellschaft gezielt zu unterstützen, trägt dieser Haushalt klar den Stempel der
Klimaideologie. Sieht so soziale Politik aus? Wir von der AfD sagen da ganz klar: Nein. Deutsches Steuergeld muss endlich wieder für die deutschen Interessen
verwendet werden. Bezahlbare Lebensmittel durch Streichung der Mehrwertsteuer wäre nur ein Beispiel; das fordern wir schon lange.
Weitere drei Jahre grüne Landwirtschaftspolitik kann sich dieses Land nicht leisten, sonst sind wir wieder im Mittelalter, bei Pflug und Ochsenkarren.
Das, meine Damen und Herren, wird es mit uns von der AfD nicht geben.
Vielen Dank.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich grüße Sie alle zur Spätschicht! Die ist heute noch halbwegs im Rahmen, und sie wird es auch bleiben, wenn Sie
sich alle an Ihre Redezeiten halten. Wir haben ja noch einen Einzelplan auf der Tagesordnung stehen.
Aber jetzt erhält erst einmal Dr. Matthias Miersch für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Wochen hat die wichtigste Stiftung in der Bundesrepublik Deutschland in dem
Bereich, die Deutsche Bundesstiftung Umwelt, zwei jungen Frauen einen Ehrenpreis verliehen, nämlich Myriam Rapior , der früheren BUNDjugend-Vorständin, und
Kathrin Muus als Vertreterin des Bundes der Deutschen Landjugend. Diese beiden jungen Frauen haben aus meiner Sicht das geschafft, was eigentlich der Schlüssel
für unsere zukünftige Landwirtschaftspolitik sein muss, nämlich über die Gräben hinweg gemeinsam Formulierungen in der Zukunftskommission Landwirtschaft zu
finden, bei denen Landwirtschaft nicht gegen Ökologie und gegen Ökonomie gedacht wird, sondern zusammen. Für die Sozialdemokratie kann ich sagen: Das ist unser
Bild von Landwirtschaft. Es geht nur miteinander und nicht gegeneinander, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Lieber Herr Rief, wenn Sie dem Bundeslandwirtschaftsminister Talkshowauftritte vorwerfen,
({1})
dann muss ich Ihnen schon sagen: Das, was ich die letzten vier Jahre mit einer Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner erlebt habe, war leider
nicht nur Talkshow, sondern auch ganz viel Hochglanz ohne irgendeinen Inhalt drin. Insofern bin ich froh, dass dieser Landwirtschaftsminister nun liefert, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
({2})
– Herr Stegemann, wenn Sie jetzt sagen: „Das ist ja lächerlich“, muss ich antworten: Das, was Sie gesagt haben, fand ich ehrlicherweise auch etwas
lächerlich. Wenn Sie uns hier vorwerfen, wir wüssten nicht, wie es auf Höfen in Deutschland aussieht, dann will ich Ihnen sagen: Sie wissen es vielleicht; aber
wer sich die Hofstruktur der Landwirtschaftspolitikerinnen und ‑politiker der Union der letzten Jahre mal anguckt, kann sich schon die Frage stellen, für welche
Art von Landwirtschaft eigentlich hier Politik und Lobbyismus gemacht worden ist.
({3})
Deswegen bin ich froh, dass hier jetzt etwas gelingt, das wir vier Jahre in der Großen Koalition nicht geschafft haben. Endlich schaffen wir im
Bereich des Tierwohls ein verbindliches Tierwohllabel, das natürlich auch flankiert werden muss mit einer entsprechenden Finanzierung und mit baurechtlichen
Anpassungen als Grundvoraussetzung, damit Landwirte tatsächlich in mehr Tierwohl investieren können, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
– Nein, wir haben es nicht verhindert, Herr Stegemann.
({5})
– Ihre Ministerin war nicht in der Lage, die Grundlagen dafür zu schaffen. Wir werden noch im Dezember hier die Grundlagen diskutieren und dann in
diesem Parlament eine verbindliche Kennzeichnung einschließlich der Finanzierung beschließen.
({6})
– Ja, das können Sie gerne beobachten. Sie können sich sogar konstruktiv mit einbringen; Sie sind herzlich eingeladen. Wir nehmen auch weiterhin gerne
Anregungen mit auf.
Ich will aber neben dem Tierwohl hier auch ganz bewusst einen anderen Aspekt, der ein bisschen ein Rand- und Nischenthema ist, ansprechen. Wir erleben
gerade in diesen Tagen und Wochen, dass neben Energie Wasser und Ernährung die zentralen Bestandteile unseres Zusammenlebens sind. Gestern haben hier in Berlin
viele Menschen gegen die weitere Patentierung von Pflanzen und Lebewesen demonstriert. Das ist ein Nischenthema. Aber ich sage ganz bewusst: Es ist richtig,
hier Gelder für Genforschung einzustellen und sich sehr genau mit den Gefahren und möglicherweise auch mit den Chancen zu beschäftigen.
({7})
Aber ich sage auch ganz bewusst: Wer das tut, der muss gleichzeitig auch die Strategie von großen Konzernen der letzten Jahrzehnte im Blick haben und
sich vergegenwärtigen, was mit neuen Züchtungsmethoden teilweise passiert ist. Wenn wir, ähnlich wie wir es im Energiesektor viele, viele Jahrzehnte hatten,
auch im Bereich der Ernährung eine Konzentration des Saatguts auf wenige haben, dann haben wir Abhängigkeiten, die genau die Vielfalt der Landwirtschaft
einschränken, sowohl international als auch national. Das dürfen wir nicht zulassen. Deswegen müssen wir diese Entwicklung ganz genau im Blick haben.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Präsident, der jetzt gerade mit der werten Präsidentin gewechselt hat, hat eben von „Genuss und Landwirtschaft“
gesprochen. Ja, da hat er recht. Aber wir sehen auch: Landwirtschaft der Zukunft ist die Schlüsselfrage dieser Gesellschaft. Insofern bedanke ich mich bei
allen, die im ersten Jahr an dieser Landwirtschaftspolitik der Ampel mitgearbeitet haben. Wir haben noch eine Menge vor uns. Ich bin sicher: Wir werden in den
nächsten drei Jahren noch Großes bewegen können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort erhält Dr. Gero Clemens Hocker für die FDP-Fraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Landwirtschaft in Deutschland, vor allem die tierhaltenden Betriebe, befinden sich in der
wohl größten Krise der vergangenen 70 Jahre, und zwar nicht, weil sie etwa schlechte Produkte erzeugen würden, auch nicht, weil sie ineffizient wären, und auch
nicht, weil sie nicht gut ausgebildetes Personal zur Verfügung hätten, ganz im Gegenteil. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der zentrale Punkt der Krise,
die wir gegenwärtig sehen müssen, liegt in dem Umstand, dass in den letzten 16 Jahren
({0})
– und übrigens auch darüber hinaus – immer häufiger nationalstaatliche Alleingänge unternommen wurden und so die Produktionsstandards immer weiter
auseinandergegangen sind.
({1})
Das ist der Grund dafür, dass der Wettbewerb zwischen inländischem Erzeuger und ausländischem Erzeuger schon lange nicht mehr nach fairen Kriterien
erfolgt. Dieser unfaire Wettbewerb ist es, der Betriebsinhabern das Leben in Deutschland so schwer macht, der immer mehr Betriebe in den letzten Jahren und
Jahrzehnten in den Ruin getrieben hat. Und dieser unfaire Wettbewerb ist es, der am Ende dazu führt, dass Lebensmittel in Deutschland auf dem Teller des
Verbrauchers landen, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen und nach Standards erzeugt wurden, die man einem deutschen Landwirt niemals zugestanden hätte.
Dieser Entwicklung muss endlich etwas entgegengesetzt werden, und es ist zentrale Aufgabe dieser Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen, das endlich
zu tun.
({2})
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen der Union, so oft sind bei der Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten – ich beschränke es ausdrücklich
nicht nur auf 16 Jahre –
({3})
falsche Versprechungen gemacht worden, wurde Geld ins Schaufenster gestellt, wurde angereizt, dass man vielleicht auch wieder eigene Mittel
investiert, dass man zur Bank geht und neuerliche zusätzliche Kredite aufnimmt, sich verschuldet, neue Geschäftsmodelle entwickelt. Das Problem war, dass häufig
genug die Geschäftsmodelle, die die Politik sich vom Erzeuger gewünscht hat, vom Verbraucher eben überhaupt nicht honoriert wurden; das ist das Problem
gewesen.
Ich sage Ihnen eins: Wer diese Fehlentwicklung der vergangenen Jahre und Jahrzehnte fortschreibt und glaubt, sie alleine dadurch kompensieren zu
können, dass man wiederum Geld ins Schaufenster stellt, der versündigt sich an einer ganzen Branche und der führt die Fehler fort, die Sie in den letzten
Jahrzehnten zu verantworten hatten. Da machen wir nicht mit, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Ich sage Ihnen eins, lieber Albert Stegemann: Statt wiederum Landwirte mit falschen Versprechungen in neue Abenteuer zu locken, muss
Landwirtschaftspolitik im Jahre 2023 ein neues Kapitel aufschlagen. Wir müssen Dreierlei tun.
Erstens. Wir müssen denjenigen Betrieben, die gerne bereit sind, zu investieren, vielleicht sogar aus eigenen Mitteln, endlich die Gewähr geben, dass,
wenn sie investieren, aus eigenen oder auch aus Fremdkapitalmitteln, nicht nach 3 oder nach 5 oder nach 12 oder nach 24 Monaten wiederum neuerliche Auflagen
über ihnen ausgeschüttet werden, egal ob aus Berlin, ob aus Hannover oder von einer anderen Landesregierung oder der kommunalen Ebene. Das ist unsere Aufgabe;
denn sonst wird kein Investment erfolgen, sonst wird es nicht gelingen, dass zusätzlich in noch mehr Tierwohl in Deutschland investiert werden wird. Wir
brauchen endlich ein Auflagenmoratorium.
({5})
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?
Aus der AfD-Fraktion; ja, dann können wir mal ans Eingemachte gehen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Danke, Herr Kollege, dass Sie diese Frage zulassen. Sie haben eben sehr intensiv auf die CDU und die letzten
16 Jahre eingedroschen und gesagt, dass unterschiedliche Standards geschaffen wurden.
Nun zu meiner Frage oder dem, worum es mir geht: Am Dienstag hatten wir eine Sondersitzung im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft. Da ging es
um das Gesetz zur Änderung des Tierarzneimittelgesetzes, zu dem Ihnen vorher in der Anhörung jeder Experte gesagt hat: Das ist zu scharf gefasst, das ist zu
weitgehend, das geht so nicht.
Sie haben ja gerade gesagt: Wir dürfen in diesem Land keine Alleingänge machen, keine besonderen Standards schaffen, was Sie der CDU auch vorgeworfen
haben. Nun frage ich Sie: Wie heuchlerisch kann man sein, genau dasselbe zu machen und hier etwas anderes zu behaupten?
({0})
Verehrter Herr Kollege, leider lässt es unsere Geschäftsordnung nicht zu, dass auf eine Frage mit einer Gegenfrage geantwortet wird. Daher sage ich
Ihnen ganz ausdrücklich: Es muss das Ziel dieser Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen sein, zu verhindern, dass nationalstaatliche Alleingänge
beschritten werden.
Am vergangenen Dienstag haben wir eine Sondersitzung des Landwirtschaftsausschuss gehabt, in der wir uns sehr intensiv genau mit der Frage beschäftigt
haben, wie man es hinbekommt, abzuwägen zwischen dem, was notwendig ist, und dem, was zusätzliche Auflagen bedeuten würden. Ich glaube, dass diese Koalition
insgesamt einen sehr guten Kompromiss gefunden hat. Deswegen passt Ihre Frage überhaupt nicht zu dem, was ich eben gesagt habe.
({0})
Herr Rinck, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf.
Verehrte, liebe Kolleginnen und Kollegen, der zweite Punkt ist – da ist die Koalition tatsächlich auf einem guten gemeinsamen Weg –, dass der
Verbraucher endlich transparent und unkompliziert erkennen können muss, wo und wie ein Tier gehalten wurde, wo es gemästet, wohin es transportiert, wo es
getötet und wo letztendlich auch die Erzeugnisse weiterverarbeitet wurden.
Deswegen ist es gut und richtig, dass man entschieden hat, eine Haltungs- und Herkunftskennzeichnung auf den Weg zu bringen. Da gibt es, wie das bei
gemeinsamen Gesetzesvorhaben immer der Fall ist, noch Diskussionsbedarf. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass es damit gelingt, tatsächlich die Transparenz zu
schaffen, die wir brauchen, um den Verbraucher in die Pflicht zu nehmen, seinen Worten auch endlich Taten folgen lassen zu können.
Ein Drittes ist mir ein besonders wichtiges Anliegen: Es kann nicht sein, dass wir auf der einen Seite gemeinsam beklagen, dass durch Klimawandel,
durch Flächenversiegelung global immer weniger landwirtschaftliche Fläche für die Produktion zur Verfügung steht, auf der anderen Seite aber der Bedarf nach
hochwertigen Lebensmitteln, auch nach immer mehr Lebensmitteln steigt, weil immer mehr Menschen auf diesem Globus leben und wir es gleichzeitig Landwirten
versagen, die Technologien zur Anwendung kommen zu lassen, die sie benötigen, um ebendiesen vermeintlichen Gegensatz aufzulösen.
Natürlich müssen wir im Bereich innovativer Züchtungsmethoden vorankommen. Natürlich müssen wir auch bei Pflanzenschutzmitteln vorankommen. Und wir
würden uns in die eigene Tasche lügen, wenn wir den Kurs der letzten Jahrzehnte fortsetzen würden, wie es leider auch unter Führung der CDU/CSU häufig genug der
Fall gewesen ist, dass man sich eben solchen Innovationen versagt hat. Das passt nicht ins Jahr 2023. Wer den Hunger in der Welt tatsächlich bekämpfen will, der
macht das nicht über Verzichtappelle, sondern darüber, dass wir neue Technologien in die Fläche bringen, um so den Welthunger bekämpfen zu können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Als Nächstes erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Astrid Damerow.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren hier den Einzelplan 10, Ernährung und Landwirtschaft. Es tut mir leid, Herr
Minister, dass ich Sie daran erinnern muss: Sie sind auch Minister für die deutsche Fischerei. In Ihrer Rede haben Sie mit keiner einzigen Silbe unsere
Fischerinnen und Fischer erwähnt –
({0})
und das, Herr Minister, vor dem Hintergrund, dass aktuell viele Fischereibetriebe unverschuldet in eine existenzbedrohende Krisensituation geraten
sind.
({1})
Die Kosten für Betriebsmittel, insbesondere für Treibstoff, sind auf einem derart hohen Niveau, dass sich Fangfahrten schlicht nicht mehr lohnen. Die
Hilferufe aus der Fischerei sind und waren deutlichst zu hören.
({2})
Und doch hat es monatelangen Kämpfens bedurft, um endlich Beihilfen für die Fischerei zu erreichen. Anfang April hatte meine Fraktion den ersten
Antrag für Soforthilfen eingebracht. Ende Mai hatte der Bundestag 10 Millionen Euro zur Krisenhilfe im Haushalt beschlossen. Erst im August wurden die ersten
Gelder ausbezahlt.
({3})
In Ihrem Haushaltsentwurf waren keine weiteren Fischereihilfen für das kommende Jahr vorgesehen. Dankenswerterweise hat dies der Bundestag über die
Fraktionen hinweg geheilt. Es sind also jetzt auch für 2023 weitere 10 Millionen Euro für schnelle Hilfen für unsere Fischer vorgesehen. Ich erwarte von Ihnen,
Herr Minister, dass Ihr Ministerium jetzt die bestehenden Vergabebedingungen auf Praxistauglichkeit überprüft und sie entsprechend anpasst, und das Ganze bitte
schnell.
({4})
Einen weiteren zukunftsweisenden finanziellen Ansatz für unsere Fischerei sucht man in diesem gesamten Haushalt jedoch vergeblich. Der Verband der
Deutschen Kutter- und Küstenfischer adressierte an die Politik beispielsweise Forderungen nach Absicherung seiner Fanggebiete, vor allem vor dem Hintergrund des
massiven Ausbaus der Offshorewindenergie. Ich frage Sie, Herr Minister: Sind Sie hierzu mit den betroffenen Fischerinnen und Fischern im Gespräch? Haben Sie
dazu überhaupt irgendein Gespräch geführt, vielleicht auch mit Ihrer Kollegin aus dem Umweltministerium?
Ebenso dringend notwendig ist der Aufbau eines praxistauglichen Modernisierungsfonds für die Fischereiflotte und selbstverständlich die konsequente
Ausnutzung aller Fördermöglichkeiten für unsere Fischereibetriebe.
({5})
Sehr geehrte Damen und Herren, ich hätte mir von einem grünen Landwirtschaftsminister auch deutlich mehr Leidenschaft für das Thema Tierschutz
erwartet. Zahlreiche Tierheime im Land haben mit außergewöhnlichen Herausforderungen zu kämpfen.
({6})
Mancherorts sind es die Haustiere ukrainischer Flüchtlinge; flächig sind es aber Betriebskosten sowie Nachwirkungen des pandemiebedingten
Haustierbooms. Während der Deutsche Tierschutzbund aufgrund stark steigender Belastungen die Schließung vieler Tierheime befürchtet, spekuliert der
Bundesminister vor der Presse über eine Bundesstiftung zur Förderung von Tierheimen. Allerdings ist diese Absicht in keiner Weise in diesem Haushaltsentwurf
auch nur ansatzweise verankert.
Gleichzeitig lehnen die Ampelparteien völlig ambitionslos die von uns beantragten 5 Millionen Euro für unsere Tierheime im Jahr 2023 ab. In den
Haushalt 2022 hatten Sie diese Mittel noch eingestellt. Der Minister übergibt im Moment aus diesen Mitteln pressewirksam Förderbescheide. Aber in 2023 sind
Ihrer Ansicht nach die Tierheime ganz offensichtlich alle aus dem Schneider. Das kann so nicht sein.
({7})
Parallel dazu, Herr Minister, finden Sie aber reichlich Geld in Ihrem Haushalt für die Schaffung eines Tierschutzbeauftragten nebst zwei weiteren
Mitarbeitern. Sie können bis heute, auch auf unsere Anfrage hin, nicht genau erklären, was dieser Beauftragte eigentlich genau tun soll, zumal es ja
entsprechende Strukturen in Ihrem Ministerium durchaus gibt.
({8})
Als Abgeordnete eines Küstenwahlkreises liegt mir natürlich auch der Küsten- und Hochwasserschutz am Herzen. Es fällt zunächst im Haushalt positiv
auf – als Schleswig-Holsteinerin sage ich auch: darüber haben wir uns durchaus gefreut –, dass die Mittel für den Küstenschutz deutlich erhöht wurden.
Aber Vorsicht! Im Gegenzug wird der Bundesanteil an den Investitionen für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des
Küstenschutzes“ um rund 153 Millionen Euro gekürzt – wir haben es schon gehört –, insbesondere zulasten des Sonderrahmenplans „Förderung der ländlichen
Entwicklung“, und zwar um 30 Millionen Euro. Damit, Herr Minister, zeigen Sie ganz deutlich, dass Ihre Regierung, dass Sie als Landwirtschaftsminister nun
wirklich überhaupt nichts am Hut haben mit der Zukunftsfähigkeit des ländlichen Raums, geschweige denn mit irgendwelchen gleichwertigen Lebensverhältnissen. Ich
weiß, Geld ist nicht alles. Aber Geld ist schon ganz schön viel.
({9})
Wenn wir da vorankommen wollen, dann muss das auch finanziell unterlegt werden. Sonst werden Sie keine Kommune, keine Stadt dazu bekommen, auch nur
irgendetwas in dieser Hinsicht zu machen.
({10})
Es ist nach wie vor so: Sie verkünden und Sie machen Ankündigungen, und dabei bleibt es. „Leider“, muss ich sagen. Es bleibt dabei, Herr Özdemir: Sie
sind ein Ankündigungsminister!
Vielen Dank.
({11})
Das Wort erhält Karl Bär für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen aus den demokratischen Fraktionen! Es ist an der Zeit, in dieser Debatte über ein
Thema zu sprechen, das bisher zu kurz gekommen ist und in dem die Zukunft der Landwirtschaft schon aufscheint, nämlich über den ökologischen Landbau.
({0})
Wenn man sich anschaut, wie gerade die Preise steigen, dann sieht man: Die Preise für konventionelle Produkte steigen meistens mehr als die für
Bioprodukte.
({1})
Im Supermarkt ist das Bioprodukt in manchen Fällen billiger als konventionelle Produkte. Wir fragen uns aus der Erfahrung heraus natürlich: Warum ist
das so?
Ich habe dazu ein paar Zahlen aus dem Agrarpolitischen Bericht der Bundesregierung von 2019 – damals noch von der Kollegin Klöckner –: Pro Hektar gibt
ein konventioneller Hof mehr als das 50-Fache für Pestizide aus, mehr als das Sechsfache für Düngemittel und mehr als das Doppelte für den Zukauf von Futter als
ein Biobetrieb. Das heißt, der Schock durch den russischen Angriff auf die Ukraine trifft die konventionelle Landwirtschaft letztendlich viel härter als die
Biokollegen.
({2})
In Anlehnung an Christian Lindners Rede über die erneuerbaren Energien könnte man die Biolandwirtschaft eine Freiheitslandwirtschaft nennen.
({3})
Sie macht uns unabhängiger von fossilen Energien, von Düngemittelimporten und von energieintensiv produzierten Düngemitteln. Sie trägt weniger zur
Klimakatastrophe bei und ist besser dafür gewappnet, damit klarzukommen, und sie reduziert die externen Kosten der Landwirtschaft – das sind laut der
Zukunftskommission Landwirtschaft um die 90 Milliarden Euro pro Jahr – durch Schäden an der Natur, den Böden und dem Wasser zum Beispiel.
Die Regierung hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 30 Prozent der Fläche in Deutschland auf Bio umzustellen. Deshalb schaffen wir einen
Sonderrahmenplan „Ökolandbau und Biologische Vielfalt“ in Höhe von 175 Millionen Euro. Wir fördern die Umstellung von Kantinen. Allen, die gerade zuschauen,
sage ich: Wenn ihr wollt, dass in den Kantinen in den Schulen, in den Mensen in der Uni mehr Bioessen, regionales Essen, vegetarische Gerichte, die nach etwas
schmecken, angeboten werden,
({4})
dann fördern wir in diesem Haushalt mit 35 000 Euro die Beratung von Köchen und Köchinnen, damit das klappt.
({5})
Die Ökoprämien, die Bäuerinnen und Bauern während und nach der Umstellung auf Bio bekommen, werden neu berechnet. Sie werden deutlich steigen. Die
Mittel für das Bundesprogramm „Ökologischer Landbau“ werden erhöht, und zwar langfristig, sodass wir neue Projekte für den ökologischen Landbau durchführen
können.
Das alles reicht noch nicht. In allen Programmen des Landschaftsministeriums muss sich das 30-Prozent-Ziel durchziehen. Auch alle anderen
Ministerien – es sind ein paar Staatssekretäre anwesend – müssen ihren Beitrag leisten. Wir müssen alle etwas tun, weil uns allen mehr Bio nützt, weil es uns
widerstandsfähiger macht gegen die Krisen um uns herum.
Vielen Dank.
({6})
Nächste Rednerin in dieser Debatte ist Susanne Mittag für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es sind schon einige Aspekte aus diesem Haushalt dargestellt worden; gerne auch
kritisch, es wurde darauf hingewiesen, was wieder mal fehlt, immer schön den Untergang vor Augen. Dabei darf man – besonders in schwierigen Zeiten – auch als
Opposition einen positiven Blick in die Zukunft werfen;
({0})
das wird von den Bürgern von Ihnen auch erwartet.
Aber nach so vielen Jahren Regierungsbeteiligung, mit Schuldzuweisungen gegenüber anderen, der Blockade von Zukunftsmöglichkeiten und – als letztes
Mittel – nochmal richtig Geld-Draufschütten, sind unsere Erwartungen an Ihre Möglichkeiten offensichtlich zu hoch. Da sind die Landwirtinnen und Landwirte schon
erheblich weiter. Ich kann nur sagen: Fragen Sie die doch mal!
Erst kürzlich auf der EuroTier konnte man gut erkennen, welche Angebote besonders von jungen Landwirtinnen und Landwirten richtig gut besucht waren.
Dem kommen wir im Haushalt nach, sei es bei der Förderung von Innovationen im Bereich von nährstoffreichen Organismen, zum Beispiel Insekten als Futter, als
Lebensmittel,
({1})
beim Umbau der Tierhaltung mit innovativen, sehr modernen Haltungssystemen, im Bereich der Ackerbaustrategie, wo es nicht nur um Vorhaben der
nachhaltigen Ackerbaustrategie geht, sondern endlich auch um die so viele Jahren von Ihnen nachrangig betrachteten Bereiche Gartenbau, Sonderkulturen und
nachwachsende Rohstoffe.
({2})
Die Zukunft der Landwirtschaft muss mehr in der Hand der Landwirte liegen. Ihre Auslieferung an Großkonzerne war ein Irrweg. Dabei helfen die
aufgestockten Etats in der ländlichen Entwicklung und regionalen Wertschöpfung,
({3})
besonders für die Bereiche Wohnen, Dorfleben, Kultur, Ehrenamt, für Projekte der Dezentralisierung, mit Etatsteigerung und finanzieller Absicherung
bis 2030, der besseren Unterstützung des Bundesverbandes der Regionalbewegung. Und wenn alles nicht hilft gegen die Ausbeutung: Die Ombudsstelle gegen unlautere
Handelspraktiken wird auch endlich eingerichtet.
({4})
Zur Landwirtschaft gehört allerdings auch – das ist schon erwähnt und auch sehr wohl betrachtet worden – die Seewirtschaft, die Fischerei, die
Aquakulturen. Auch hier ist endlich Zukunftsorientierung angesagt: mit einem Forschungsschiff, einer zentralen Anlaufstelle für Aquakulturen auf See und an
Land, mit Forschung und regionaler Wertschöpfung, festgeschrieben im Etat Nutztierhaltung im Rahmen von regionaler Produktion und Verwertungsketten – denn die
gehören immer dazu – und als Überbrückung für das Überleben der Fischerei – sonst kommen die gar nicht mehr an – mit Hilfen in Höhe von 10 Millionen Euro. Das
ist nicht wenig und mehr als jemals zuvor.
({5})
Gerade in der Landwirtschaft hat die Kreislaufwirtschaft einen hohen Stellenwert und wird weiter ausgebaut. Über die Tierhaltung, die
Energieerzeugung, die Düngung, das Futter oder die Lebensmittelerzeugung wird diesem Gedanken Rechnung getragen. Wenn in Zeiten drohender Energieknappheit die
regenerativen Möglichkeiten der Landwirtschaft voll ausgenutzt werden müssen, aber durch Stromerlösabschöpfung ein Zuschussgeschäft werden könnten – auch wenn
es nur die nächsten anderthalb Jahre sind –, hat das massive negative Folgen. Deswegen würde ich sagen, dass die Gleichbehandlung von Biomethan und Biogas
eigentlich nur folgerichtig wäre.
({6})
Und ja, wahrscheinlich kommt bei dem einen oder anderen in der Opposition Begeisterung auf. Sie sind derzeit gerne wegen der hohen Strom- und
Gaspreise zum Beispiel im Bereich Bäckereien, Schlachtereien unterwegs. Allerdings haben Sie gegen die dafür notwendigen Maßnahmen im Gesetz gestimmt – deswegen
passt das jetzt mit der Wirklichkeit nicht zusammen –: gegen die Erstattung von Abschlagszahlungen, Unternehmerhilfen und die Deckelung der Preise.
Wir haben jetzt dafür gesorgt, dass nicht nur die Mittelstandsbetriebe – und das sind in der Landwirtschaft nun einmal die Molkereien, Bäckereien,
Mühlen und Schlachthöfe – gestützt werden, sondern auch Unterglasanbau und Aufzucht in der Tierhaltung.
({7})
Zum Schluss – trotzdem wichtig – wollen wir uns nicht nur mit unseren Problemen hier im Land beschäftigen. In unserem Etat sind auch Mittel für die
bilaterale technische Zusammenarbeit mit dem Ausland enthalten. Problemlagen, aber auch das, was möglich ist, haben wir erst kürzlich auf einer Delegationsreise
nach Kenia und Sambia festgestellt. Sich von zwei Regenzeiten mit drei Ernten auf fünf ausgefallene Regenzeiten umzustellen, ist schon eine existenzielle
Herausforderung, die nicht leicht zu meistern ist.
Veränderte Anbaumethoden und Rückgriff auf regionale Sorten können Ernten sichern. Ein ganz wichtiger Fokus liegt bei den Frauen in der
Landwirtschaft, die für Ernährung, Gesundheit, Bildung und Wertschöpfung zuständig sind. Was für eine große Aufgabe, die die Frauen dort übernehmen! Das ist
nicht zu unterschätzen. Das wollen wir entsprechend unterstützen.
Die Aufstockung des Etats, ebenso für die Soforthilfen über die FAO, wo der Aufbau noch nicht erfolgen konnte, ist zukunftsträchtig. Diese ganze
Bandbreite, das ist die Zukunft der Landwirtschaft.
({8})
Für die CDU/CSU folgt nun Max Straubinger.
({0})
Geschätzte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Am Ende der Debatte ist es durchaus angebracht, alles noch einmal zusammenzufassen.
Frau Kollegin Mittag, Sie haben uns als Opposition aufgefordert, etwas optimistischer in die Zukunft zu blicken und Optimismus zu verbreiten. Aber auf Grundlage
der Haushaltsecksätze, die Sie gebildet haben, fehlt uns dieser Optimismus leider Gottes.
({0})
Denn dieser Haushalt bedeutet eigentlich nur Mehrbelastungen und weniger Planungssicherheit für unsere Landwirtinnen und Landwirte. Dies zeigt sich
sehr deutlich: keine Entlastung bei den Sozialversicherungsbeiträgen, Mehrbelastungen und mehr Bürokratie beim Tierarzneimittelgesetz, keine Planungen, wie
Viehhalter in der Weidetierhaltung mit dem Wolf umgehen. Eine Zielrichtung ist in keinster Weise erkennbar.
Wenn ich an die Pflanzenschutzrichtlinie der EU denke, dann graut es mir bezogen auf die Umsetzung dieser Bundesregierung sowieso.
({1})
Wo soll da der Optimismus herkommen, Frau Kollegin?
Vor allen Dingen zeigt sich an allen Äußerungen, insbesondere von den Grünen, aber auch von der SPD, dass es Ihnen letztendlich nur um den Abbau der
Tierhaltung in Deutschland geht. Extensivierung, das ist die Zielmarke Ihrer ganzen Politik.
({2})
Das kann meines Erachtens keinen Optimismus bei den Landwirten hervorrufen. Sie wollen mit einem lächerlichen Betrag einen Umbau der Tierhaltung in
Deutschland herbeiführen; das wurde vielfach dargelegt. Die Borchert-Kommission hat beziffert, wie viel Finanzmittel dafür notwendig sind. Sie setzen
150 Millionen Euro pro Jahr über vier Jahre als zielorientierte Marke fest. Da wird sich kein einziger Landwirt überhaupt bei einem solchen Programm
einschreiben können. Wo soll da Optimismus herkommen, Frau Kollegin Mittag? Das muss man sich fragen.
({3})
Das bedeutet letztendlich auch, dass Sie dazu anhalten, die Tierhaltung in Deutschland zu vermindern, um Ihre CO2-Ziele, Ihre Methanausstoßziele und
dergleichen mehr zu erreichen. Das ist Ihnen offensichtlich wichtiger, als eine vernünftige Tierhaltung in unserem schönen Land zu organisieren. Die warnenden
Stimmen aus der Fleischindustrie waren in der vergangenen Woche feststellbar. Hier wurde klar und deutlich festgestellt, dass es möglicherweise bald einen
Mangel an einheimischer Fleischerzeugung geben wird.
({4})
Das führt zu steigenden Preisen bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Man mag das wollen, und ich bin überzeugt: Die grüne Fraktion will das
herbeiführen, weil sie glaubt, dass so für mehr gesunde Ernährung
({5})
für die Verbraucherinnen und Verbraucher gesorgt wird, für mehr Körner und damit mehr Ökoprodukte.
({6})
Liebe Frau Kollegin, Sie hätten uns erklären sollen, wie sich Ihr aufgeploppter Vegetarismus und Veganismus darstellt, in der Regel nämlich
untermauert mit Tomaten, Zucchini,
({7})
Gurken, mit Steckrüben und roten Rüben vielleicht – das wäre noch gut, weil es einheimische Produkte sind –, aber auch mit Avocados und Sonstigem, aus
aller Herren Ländern eingeführt und zu unmöglichen Bedingungen produziert.
({8})
Das konnten wir bei unserer Ausschussreise betrachten; Sie können ja die Kolleginnen und Kollegen, die daran teilgenommen haben, befragen. Das
Grundwasser wird auf 20 Prozent des ursprünglichen Zustands abgesenkt. Naturfrevel wird dort betrieben. Aber das ist nicht nur Frevel, sondern auch
unerträglich.
({9})
Wenn diese Produkte dann bei uns zu niedrigsten Preisen eingeführt und mit einem Bio-Siegel versehen werden, obwohl Pflanzenschutzmittel in größtem
Umfang eingesetzt wurden, dann findet sogar noch eine zugelassene Verbrauchertäuschung statt.
({10})
Und damit wird letztendlich die heimische Produktion von Gemüse und sonstigen Nahrungsmitteln unterminiert.
Das ist Ihre Politik; denn Sie treten ja ständig dafür ein, Fleisch im Verzehrkreislauf letztendlich zu verbieten. Sie haben zwar noch kein Gesetz
eingebracht, aber mir schwant Übles. In der letzten Woche durfte ich lesen, dass der Caterer des Deutschen Bundestages gekündigt hat, jetzt eine neue
Ausschreibung stattfindet und sich die Kollegin Künast um diese Ausschreibung kümmert,
({11})
die dabei den Koalitionsvertrag umsetzen will, was bedeutet, dass nur noch zweimal in der Woche Fleisch angeboten werden darf.
({12})
Da ist mir der Veggieday lieber, den Sie mal in Ihrem Wahlkampf propagiert haben; das sage ich ganz ehrlich.
({13})
Das ist das Zeichen an Landwirte in unserem Land: Wir wollen keine Tierhaltung, wir wollen von Steckrüben leben. – Damit können wir aber keine
zukunftsorientierte Landwirtschaft aufbauen. Deshalb können wir, liebe Frau Kollegin Mittag, nicht optimistisch in die Zukunft blicken.
({14})
So gern ich die Zwischenfrage zugelassen hätte: Die Meldung kam nach Ablauf der Redezeit. Daher hat das leider nicht geklappt. Wir hätten uns alle
darauf gefreut.
Jetzt kommt die nächste Rednerin: Dr. Anne Monika Spallek für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben den Haushalt nicht nur ökologischer gemacht, wir haben den Haushalt
nicht nur sozialer gemacht, nein, wir haben ihn auch regionaler gemacht, Herr Straubinger. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart: „Wir stärken regionale
Wertschöpfungsketten“, sodass Produkte eben nicht aus Spanien kommen.
({0})
In diesem Haushalt haben wir nach jahrzehntelangem „Wachse oder weiche!“ die Weichen dafür gestellt. Die fortwährenden Konzentrationsprozesse in
Richtung industrieller Produktion in der Landwirtschaft und auch in der Verarbeitung müssen wir endlich stoppen; denn jeder Hof zählt, jede Handwerksbäckerei
zählt, jede Fleischerei zählt, und auch jede kleine Mühle zählt.
({1})
30 Prozent der Bäckereien und Fleischereien haben wir in den letzten zehn Jahren verloren. Von rund 20 000 Mühlen in 1951 haben wir heute nur noch
185. Ich sage nur drei Worte: 16 Jahre CDU/CSU.
({2})
Wir handeln. Das bisherige Bundesprogramm Ländliche Entwicklung haben wir umbenannt in Bundesprogramm Ländliche Entwicklung und regionale
Wertschöpfung und die Mittel dafür aufgestockt.
({3})
Damit haben wir diesem Programm einen neuen Schwerpunkt gegeben: weg von der bloßen Entwicklung des ländlichen Raums, hin zu souveräner Wertschöpfung
auf dem Land durch Obst und Gemüse beispielsweise, hin zu ländlicher Wertschöpfung.
({4})
Außerdem haben wir 12 Millionen Euro für den Modellregionenwettbewerb „Ernährungswende in der Region“ im Haushalt eingestellt, um über diesen
Wettbewerb möglichst viele Stadt- und Landregionen zu erreichen, in denen wir ganzheitlich, vom Acker über die Verarbeitung vor Ort bis zum Teller, eine für
Mensch und Planet gesunde Ernährungswende einleiten.
({5})
Die Mittel für die Eiweißpflanzenstrategie haben wir um 4 Millionen Euro aufgestockt; denn die regionale, ökologische Ernährungswende schaffen wir
nur, wenn wir auch in der pflanzenbasierten Ernährung Schwerpunkte setzen. Mit diesen Mitteln werden wir Forschung, Anbau und auch Erzeugergemeinschaften
stärken.
({6})
Erste Priorität ist aber, die regionalen Betriebe gut durch diese Krise zu bekommen. Dafür haben wir mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds
200 Milliarden Euro im Haushalt eingestellt. Als Soforthilfe übernimmt der Bund im Dezember die Abschlagszahlung für Gas für kleine und mittlere Betriebe. Das
wird vor allen Dingen energieintensive Lebensmittelhandwerke entlasten, aber natürlich auch die Landwirte. Die Industrie bekommt diesen Abschlag eben nicht.
2023 werden wir die kleinen Betriebe dann über die Gaspreisbremse und die Strompreisbremse entlasten, und zwar ohne Winterlücke, mit fairen Bedingungen im
Vergleich zur Industrie; das war uns besonders wichtig.
Außerdem haben wir im Haushalt 100 Millionen Euro im Klima- und Transformationsfonds für Kleinst- und Kleinbetriebe insbesondere im
Lebensmittelhandwerk verankert, damit sie ihre Produktionsanlagen, zum Beispiel Öfen, von Gas oder Öl auf Strom oder erneuerbare Energien umrüsten können. So
können sie von fossilen Energieträgern langfristig unabhängig werden und haben wieder eine Zukunft.
({7})
Meine Damen und Herren, wir reden nicht nur, wir handeln. Aus ländlicher Entwicklung machen wir jetzt echte ländliche, nachhaltige Wertschöpfung.
Herzlichen Dank.
({8})
Nächste Rednerin ist Peggy Schierenbeck für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Damen und Herren! Ich stehe heute vor Ihnen
und bin sehr, sehr froh. Ich bin froh über 12 Millionen Euro für eine Maßnahme, die für die Gesundheit unserer Gesellschaft entscheidend ist: den
Modellregionenwettbewerb für eine gesunde und nachhaltige Gemeinschaftsverpflegung. Vier Punkte möchte ich dabei besonders hervorheben: Der Zugang zu gesunder
Ernährung ist eine Frage sozialer Gerechtigkeit. Wir brauchen gleiche und faire Gesundheitschancen für alle. Wir stärken die Bildung im Bereich Ernährung. Wir
sagen der Ernährungsarmut den Kampf an.
({0})
Warum brauchen wir dafür einen Modellregionenwettbewerb? Auch bei uns in Deutschland gibt es Hunger – nicht unbedingt Hunger mangels Kalorien, sondern
viel mehr einen versteckten Hunger, weil das Essen nicht genügend Nährstoffe enthält, unserem Körper nicht das gibt, was er eigentlich braucht, weil es nicht
gesund genug ist. Das ist Ernährungsarmut, meine Damen und Herren,
({1})
und dieses Problem der Ernährungsarmut tritt in Deutschland auf. Ernährungsarmut ist also Mangel- und Fehlernährung. Ernährungsbedingte Krankheiten,
Übergewicht und Nährstoffmangel sind die Folge. Ernährungsarmut ist oft armutsbedingt, weil zum Beispiel preisgünstige Lebensmittel meist sehr energiedicht,
aber nährstoffarm sind. Für mich zeigt das ganz klar, wie stark soziale Gerechtigkeit und Ernährung zusammenhängen. Hier sehe ich unseren Auftrag, zu
handeln.
({2})
Diesen Auftrag sehe ich insbesondere bei unseren Kindern und Jugendlichen; denn – ich finde das alarmierend – etwa jedes sechste Kind in Deutschland
ist übergewichtig oder sogar adipös. Corona hat die Ernährungssituation nicht besser gemacht, ganz im Gegenteil. Wir wissen, dass sich die Zahlen zu Übergewicht
und ungesunder Ernährung noch verschlechtert haben. Vor allem für die Kinder sind die gesundheitlichen Auswirkungen einer Fehlernährung dramatisch. Zum Beispiel
schränkt sie ihre körperliche und geistige Entwicklung ein. Zum Beispiel leiden sie an Diabetes oder sogar an Bluthochdruck. Zum Beispiel kommen sie durch
Übergewicht viel früher in die Pubertät; man stelle sich das bitte einmal vor. Zum Beispiel leidet ihr seelisches Wohlbefinden. Wir wissen, wie sehr Körper und
Psyche zusammenhängen.
Wir sehen also: Satt sein allein reicht nicht aus. Was müssen wir also tun? Wir müssen die Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung in den Blick
nehmen. Täglich nehmen 17 Millionen Menschen in Deutschland an diesen Orten ihr Essen zu sich, das heißt in den Kantinen und Mensen, in Kitas, Schulen,
Universitäten, Betrieben, Senioreneinrichtungen und Krankenhäusern. Deshalb ist das ein so großer Hebel für uns.
({3})
Das Ziel muss sein: eine leckere, gesunde, hochwertige und nachhaltige Verpflegung für alle. Gerade jetzt, in Zeiten steigender Lebensmittelpreise,
ist das besonders wichtig. Eine gesunde Ernährung darf nicht zum Luxusgut werden. Hohe Preise für gesunde Lebensmittel sind ein Brandbeschleuniger für
Ernährungsarmut. Der Modellregionenwettbewerb ist eine riesengroße Chance, weil er uns als Bund ermöglicht, an dieser Stelle Einfluss zu nehmen und Vorbilder zu
schaffen. Er zeigt Wege, wie eine faire und sozial gerechte Ernährung der Zukunft gelingen kann.
Das bedeutet: Kantinen und Mensen sollen Wohlfühlorte sein. Denken Sie nur an Ihren letzten Besuch in Ihrem Lieblingsrestaurant – ein Ort, an dem Sie
sich gerne aufhalten, Energie tanken und genießen. So soll es auch in Kantinen sein. Denn Essen ist nicht nur Nahrungsaufnahme; Essen ist Genuss, soll Spaß
machen, ermöglicht Begegnungen. Und man kann so viel darüber lernen. Das bedeutet wiederum, dass Kantinen und Mensen zu Lern- und Erlebnisräumen werden müssen.
Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in der Kantine – ein Ort, an dem Sie sich in Zukunft wohlfühlen werden – und lernen dabei etwas über das, was Sie gerade essen,
was Nahrung mit Ihrem Körper und Ihrer Gesundheit zu tun hat. Um Ihnen die Qual der Essensauswahl zu erleichtern, schaffen wir faire Ernährungsumgebungen, also
ein Umfeld, das die gesunde Wahl zur leichteren macht.
Weil das alles noch nicht genug ist, muss auch die Qualität stimmen. Das stellen die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung
sicher. Und weil mir unsere Landwirtschaft so wichtig ist, sollen regionale, saisonale und ökologisch erzeugte Lebensmittel Vorrang haben. Auch das Klima ist
mir wichtig. Deswegen stärken wir das pflanzenbetonte Angebot. Das bedeutet: mehr attraktive Speisen aus Gemüse, Rohkost, Salat und Hülsenfrüchten und weniger
Fleisch.
({4})
Auch das ist eine Empfehlung der DGE, und die Umwelt dankt es uns.
Meine Damen und Herren, ich will, dass Sie wissen, was ich weiß: Ernährung ist der effektivste Hebel, um unsere Gesundheit zu verbessern und
nachhaltiger zu leben. Es ist unser Auftrag, unsere Fürsorgepflicht, all diese Erkenntnisse über Ernährung umzusetzen. Die Einrichtungen der
Gemeinschaftsverpflegung sind dafür der beste Ort. Der Modellregionenwettbewerb dient uns als Instrument für die Ernährungswende, damit alle die gleiche Chance
auf ein gesundes Leben haben.
Danke.
({5})
Nächster Redner ist unser fraktionsloser Kollege Stefan Seidler.
({0})
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schön, Ihnen zuzuhören, wenn man noch kein Abendessen gehabt hat. Aber
vielen Dank dafür!
({0})
Lassen Sie mich bei diesem Einzelplan einen besonderen Blick auf einen ganz anderen Bereich werfen, nämlich den Küstenschutz, für den Ihr Haus auch
zuständig ist, Herr Minister Özdemir. Vor wenigen Tagen, am 12. und 13. November, gedachten wir im Norden an vielen Orten entlang der Ostseeküste der Opfer des
großen Sturmhochwassers von 1872. Damals verloren über 270 Menschen über Nacht ihr Leben, Tausende Familien wurden obdachlos, ganze Orte wurden weggespült. In
Flensburg, in Eckernförde und in anderen Orten an unserer Ostseeküste stiegen die Pegel um über 3 Meter. Heute wissen wir, dass zu hohe Pegelstände und
Hochwasser aufgrund des Anstiegs des Meeresspiegels und des Klimawandels bald häufiger bei uns auftreten werden.
({1})
Die Menschen im Norden sind alarmiert. Bei einer Katastrophe wie vor 150 Jahren wäre heute ein Vielfaches an Opfern und Schäden zu beklagen.
Hunderttausende Menschen und Milliarden Euro an Sachwerten sind an unseren Küsten bedroht. Das zeigt: Küstenschutz hat höchste Priorität verdient.
({2})
Die Aufstockung um 25 Millionen Euro für den Küstenschutz im vorliegenden Haushalt ist eine begrüßenswerte Steigerung und ein klares Signal von Ihnen.
Vielen Dank! Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist leider nur ein kleiner Tropfen in die große Nordsee oder in unsere Ostsee. Die Ausgaben, vor denen wir
stehen, für die Ertüchtigung von Deichen, für die Sicherung von Dünenlandschaften, für Entwässerung und für Schleusen sind massiv, und sie werden steigen. Hinzu
kommt ein strukturelles Problem bei der Finanzierung. Der Bund fördert nämlich nur Neubaumaßnahmen und nicht den Unterhalt. Küstenschutz ist eine Aufgabe von
Bund und Ländern. Es braucht gemeinsame Verantwortung, auch beim Unterhalt. Aber – und jetzt kommt ein Satz, der in der Haushaltswoche vermutlich nicht so oft
fällt – mehr Geld alleine wird das Problem nicht lösen.
({3})
Auch der Fachkräftemangel trifft den Küstenschutz. Tatkräftige Expertinnen und Experten für den Deichbau sind stark umworben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, beim Küstenschutz stehen wir durch den Klimawandel vor einer Jahrhundertaufgabe. Trotzdem verlieren wir uns noch zu
oft im politischen und administrativen Klein-Klein zwischen Berlin, den Küstenländern und den Kommunen im Norden. Wir brauchen Lösungen für die Menschen an der
Küste und klare Strukturen. Ich denke in erster Linie an eine bessere Koordinierung. Wir müssen die strukturellen Probleme des Küstenschutzes gemeinsam
anpacken. Wir brauchen eine koordinierende Stelle. Herr Minister, ich denke, es ist Zeit für einen Bundesbeauftragten oder eine Bundesbeauftragte für den
Küstenschutz.
Vielen Dank.
({4})
Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist Dr. Franziska Kersten für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ernährung und Landwirtschaft sind Grundlage jeder
Gesellschaft; da sind wir uns sicherlich alle einig. Weil die Erzeugung von Lebensmitteln für alle Menschen elementar ist, hat auch jeder seine Meinung dazu.
Deshalb gibt es nicht nur hier im Plenum widerstreitende Interessen. Wir haben die Balance zwischen ökologischer Nachhaltigkeit und ökonomischer Tragfähigkeit
im Blick. Nur so können wir auf Dauer einheimische Lebensmittelerzeugung und lebenswerte ländliche Räume wirklich sichern. Das setzen wir mit dem
Agrarhaushalt 2023 um, wie die Beiträge der Vorredner/-innen der Koalition ja schon eindrucksvoll nachgewiesen haben. Die Verhandlungen waren anspruchsvoll, und
für den erfolgreichen Abschluss möchte ich insbesondere unserer Berichterstatterin im Haushaltsausschuss, Esther Dilcher, herzlich danken.
({0})
Wir wollen Zukunft gestalten. Das gelingt nur mit Zukunftstechnologien. Nicht umsonst hat der agrarpolitische Sprecher meiner Fraktion schon in der
letzten Legislaturperiode immer wieder Digitalisierung eingefordert, wie einige von Ihnen vielleicht noch wissen. Jetzt sind wir einen bedeutenden Schritt
vorangekommen. Die vorgesehenen Haushaltsmittel für die Digitalisierung konnten in den Verhandlungen um 3 Millionen Euro auf nunmehr 23,5 Millionen Euro erhöht
werden. Außerdem ist verpflichtend festgeschrieben, dass aus den Mitteln erstens die Erstellung einer Landwirtschaftsdatenbank 2.0 und zweitens die Schaffung
einer Tiergesundheitsdatenbank zur risikoorientierten Überwachung von Tiergesundheit und Tierwohl gefördert werden.
({1})
Diese Datenbanken haben zwei Ziele: Von der öffentlichen Hand bereitgestellte Daten ermöglichen erst die breite Anwendung von smarten Systemen zur
Landbewirtschaftung, unabhängig von großen Konzernen. Das trägt zu einer punktgenauen Düngung und auch zu einem präziseren Einsatz von Pflanzenschutzmitteln
bei. Damit sorgen die Datenbanken für gesellschaftlich geforderte Transparenz und auch für mehr Akzeptanz der Landwirtschaft.
({2})
Nun noch ein paar Worte zu einem für Ostdeutschland sehr wichtigen Thema, den BVVG-Flächen. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass die
verbliebenen rund 90 000 Hektar nicht mehr meistbietend veräußert, sondern vorrangig an nachhaltig und ökologisch wirtschaftende Betriebe verpachtet werden.
Dies wird jetzt auch so umgesetzt. Hiermit leisten wir einen entscheidenden Beitrag zur Nahrungsmittelproduktion bei gleichzeitigem Fokus auf Arten- und
Klimaschutz.
({3})
Die Verpachtungskriterien werden wir jetzt zügig gemeinsam mit den ostdeutschen Bundesländern erarbeiten, damit wir spätestens 2023 klare Regeln für
die Landwirtschaft haben.
Sie sehen also: Wir wollen Zukunft nicht nur gestalten, sondern tun dies auch und haben dabei Mensch und Natur im Blick.
Vielen Dank.
({4})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Wenn wir in diesen Tagen abschließend über den Haushaltsentwurf
beraten, so ist der Einzelplan „Bildung und Forschung“ einer der wichtigsten mit Blick auf die Zukunft und auch auf die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
Um den Stellenwert des Themas Bildung in der sich aktuell so schnell verändernden Welt zu verdeutlichen, möchte ich aus dem neuen Bericht des Club of
Rome zitieren. Dieser beschäftigt sich mit Maßnahmen, mit denen sich eine lebenswertere Zukunft noch erreichen lässt. Das Forscherteam betont, wie wichtig
Bildung dafür ist, weil diese kritisches Denken und komplexes Systemdenken vermittelt, für Mädchen gleichermaßen wie für Jungen. Ich zitiere:
Denn die bedeutendste Herausforderung unserer Tage ist nicht der Klimawandel,
({0})
der Verlust an Biodiversität oder Pandemien. Das bedeutendste Problem ist unsere kollektive Unfähigkeit, zwischen Fakten und Fiktion zu
unterscheiden.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, war es wichtig, dass die Abgeordneten der Ampel im Zuge des parlamentarischen Verfahrens Selbstbewusstsein
bewiesen haben und im Vergleich zum Regierungsentwurf vom September den Etat um nahezu 1 Milliarde Euro erhöht haben.
Das klingt erst einmal gut.
({1})
Doch natürlich müssen wir uns auch die konkreten Zahlen anschauen, und die fallen in der Praxis tatsächlich etwas nüchterner aus, etwa bei der
beruflichen Bildung. In Deutschland blieben zu Beginn des aktuellen Ausbildungsjahres mehr als 200 000 Ausbildungsplätze unbesetzt; das ist ein Fünftel mehr als
im Vorjahr. Wenn man auch jene Stellen einbezieht, die nicht bei den Arbeitsagenturen gemeldet werden, liegt der Anteil unbesetzter Stellen bei bis zu
40 Prozent, so eine Unternehmensumfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Hierauf habe ich bereits in der letzten Lesung verwiesen. Deshalb
möchte ich noch mal den dringenden Appell an Sie alle richten: Wer soll denn den dringenden Bedarf der Menschen und der Wirtschaft an modernen Heizanlagen oder
besserer Gebäudeisolierung bedienen, wenn nicht ausreichend Handwerkerinnen und Handwerker ausgebildet werden? In den Betrieben sind immer noch Plätze frei.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn nur eine Fraktion klatscht: Diese offensichtlichen Notwendigkeiten sind keine Frage von politischen Lagern
oder von Mehrheit und Opposition. Uns allen muss daran gelegen sein, die offensichtlichen Mängel im System zu beheben, und dafür braucht es tatsächlich
Veränderungen. Das ganze Berufsschulsystem muss an die veränderten Gegebenheiten angepasst werden; ich habe dies bereits in den letzten Haushaltsberatungen
gefordert. Leider haben wir das Gefühl, dass diese Einsicht bei den Verantwortlichen noch nicht angekommen ist.
Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie und Ihr Haus müssen sich stärker um die berufliche Bildung kümmern. Das beginnt bereits damit, dass bei der
Berufsberatung stärker auf Ausbildungen mit Potenzial und Bedarf hingewiesen werden sollte. Im Rahmen der Haushaltsberatungen haben wir als Unionsfraktion
gefordert, gerade Mädchen und junge Frauen stärker für MINT-Bereiche und Handwerksberufe zu begeistern. In mehreren Maßgabebeschlüssen fordern wir verschiedene
Maßnahmen, um die berufliche Bildung attraktiver zu machen. Leider hat dies keine Mehrheit im Ausschuss gefunden. Das bedauern wir natürlich. Bitte blicken Sie
nicht zu einseitig auf künftige Akademikerinnen und Akademiker! Exzellenz entsteht eben nicht nur an Universitäten und Spitzenforschungseinrichtungen. Hierzu
passt, dass Sie auch bei den Fachhochschulen und Hochschulen für angewandte Wissenschaften im Vergleich zum laufenden Jahr kürzen.
Wir haben den Eindruck, dass Ihre Lieblingsprojekte und Steckenpferde zu viel Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, zum Beispiel die vielzitierte DATI.
Als verantwortungsbewusste Haushälter haben wir die dafür vorgesehenen Mittel vor einem halben Jahr mit einer Sperre versehen. Die Ampel hatte diese Sperre
vorgeschlagen; wir haben sie gemeinsam im parlamentarischen Verfahren eingeführt und gesagt: Wir wollen ein schlüssiges Konzept, um die Sperre wieder
aufzuheben. Jetzt wird die Sperre von den Parlamentariern teilweise aufgehoben, ohne dass uns ein schlüssiges Konzept vorliegt. Ja, ein Konzept der SPD oder
Eckpunkte aus einem Ministerium sind einfach kein schlüssiges Konzept; da müsste schon ein Gesamtkonzept her. Sie entsperren die Mittel nun zum Teil; das ist
Ihr gutes Recht.
({3})
Aber es ist exakt das falsche Signal, wenn Parlamentarier am Ende von ihren eigenen Ansprüchen wieder zurücktreten.
({4})
Auf manche wichtige Signale habe ich Sie bereits hingewiesen. Ich möchte noch zwei unserer Vorschläge nennen, denen Sie in diesem Jahr leider wieder
nicht zugestimmt haben. Für den Haushaltstitel „Gesundheitsforschung, Medizintechnik und globale Gesundheit“ haben wir eine sogenannte „Grand Challenge
Autoimmunerkrankungen“ gefordert: abgelehnt! Zudem haben wir für die grüne Landwirtschaft und innovative Lebensmittelproduktion geworben: abgelehnt!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fasse zusammen:
Das muss jetzt aber schnell gehen, bitte.
Der Aufwuchs des Etats für Bildung und Forschung ist gut. Wir als Opposition werden Sie weiter kritisch begleiten. Ich danke allen für die
konstruktiven Haushaltsberatungen.
Danke schön.
({0})
Für die FDP-Fraktion erhält das Wort Christoph Meyer.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wurde eben schon gesagt: In den parlamentarischen Beratungen haben wir einen bereits sehr
guten Entwurf noch einmal ein Stück besser machen können. 21,5 Milliarden Euro jetzt in diesem Etat, das kann sich sehen lassen. Damit zeigen wir deutlich, dass
wir einen klaren Fokus auf Forschung und Bildung legen. Wir machen wahr, was wir im Koalitionsvertrag angekündigt haben: Das Aufstiegsversprechen, das
selbstbestimmte Leben des Einzelnen steht im Fokus des Koalitionsvertrages und unserer Politik. Wir ergänzen es, indem wir die Grundlagen schaffen müssen, um
unseren Wohlstand in diesem Land zu sichern, um Wirtschaftswachstum zu generieren. Deswegen ist dieser Etat so zentral.
({0})
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir diesen Etat in einer schwierigen Gesamtlage beschließen. Wir konsolidieren die Etatansätze, wir schichten um
und priorisieren dort, wo es sinnvoll ist. Die Spielräume werden enger, auch weil viele Mittel gebunden sind, Mittel, die eigentlich in der originären
Länderaufgabe und ‑verantwortung liegen. Wir tun es trotzdem. Das ist ein gutes Zeichen. Und wir müssen nach wie vor – das möchte ich Ihnen hier auch noch
einmal sagen – die Versäumnisse der Vorgängerregierung aufräumen.
({1})
Wir haben einen visionslosen Stillstandsetat vorgefunden, der beliebig Geld in alle Richtungen verteilt hat.
({2})
Wir werden diesen Etat jetzt konsequent an den Herausforderungen der Zukunft ausrichten. Das macht unsere Bildungs- und Forschungsministerin.
({3})
Sie tut das mit aller Entschiedenheit; das verwundert vielleicht den einen oder anderen. Dennoch ist es gut, dass wir nach zehn Jahren ungezügeltem
Aufwuchs ohne Konzentration auf einzelne Bereiche jetzt entsprechende Schwerpunkte setzen.
({4})
Liebe Kerstin Radomski, ich schätze Sie sehr, aber wenn Sie sich über den Fachkräftemangel im Jahr 2023 beschweren, dann wäre doch das Erste, was Sie
sagen müssten, dass die Regierung, die in den letzten Jahren Verantwortung hatte, hier offensichtlich mindestens 15 Jahre geschlafen hat, indem sie keine
Fachkräfte ins Land gelassen hat und Arbeitskräften keine Zusatzausbildung ermöglicht hat. Das ist doch ein Versäumnis von Ihnen, Frau Radomski, und nicht von
der Ampelkoalition, die das jetzt aufräumt.
({5})
Wir hatten in den Haushaltsberatungen gute Gespräche. Sie waren kollegial. Das Ministerium hat alle unsere Fragen schnell, zügig und präzise
beantworten können. Ich möchte meinen Mitberichterstatterkollegen danken, insbesondere natürlich Wiebke Esdar, unserer Hauptberichterstatterin.
Schauen wir uns an, was wir in den Beratungen erreicht haben. Die Entsperrung der Mittel zur Gründung der DATI wurde angesprochen. Zur Wahrheit gehört
auch, dass wir nur einen Teil der Mittel entsperrt haben – vollkommen einvernehmlich –,
({6})
und zwar den Teil, den das Ministerium braucht, um jetzt diesen Abschlussbericht vorzulegen.
({7})
Es besteht weiterhin eine Sperre für einen Teil der Summe für das nächste Haushaltsjahr. Wenn der Schlussbericht vorliegt, werden wir diesen
selbstverständlich zur Kenntnis nehmen, prüfen und dann zu einer Entsperrung kommen. So machen wir das, Frau Radomski, das wissen Sie, bei allen
Haushaltstiteln, die neue Ansätze verfolgen. Deswegen ist das nichts Ungewöhnliches, und dafür stehen wir.
Genauso werden wir es übrigens auch mit SprinD machen. Dieses Projekt wurde von der Großen Koalition auf den Weg gebracht und zwei Jahre ein Stück
weit vermurkst. Wir werden auch das jetzt korrigieren. Das braucht eine gewisse Zeit; aber seien Sie sicher, dass im Jahr 2023 beide Projekte so am Start sind,
dass sie etwas Gutes für Deutschland tun werden.
({8})
In den parlamentarischen Beratungen haben wir den Etat verbessert. Wir fördern ein Translationszentrum für Gen- und Zelltherapie mit mehr als
40 Millionen Euro. Wir investieren in Wirkungseffizienzgradsteigerung bei Bioheizöl. Wir investieren in eine Weiterentwicklung der China-Strategie. Wir
finanzieren Tumorzentren, die sich in ein paar Jahren selbst tragen werden. Wir unterstützen Raumfahrt und Satellitenbau mit mehr als 50 Millionen Euro
zusätzlich; auch das haben wir in den Etatberatungen noch hinbekommen. Wir wollen, dass Menschen besser verstehen, wie Wirtschaft funktioniert. Deswegen werden
wir eine nationale Strategie für ökonomische Bildung auflegen.
({9})
Wir verstärken die Mittel für Leistungswettbewerbe.
Das alles steht in dem Etat, der jetzt zur Abstimmung steht. Er setzt die richtigen Schwerpunkte, und darauf kann man stolz sein. Das ist eine gute
Grundlage für das, was wir im Jahr 2024 noch vorhaben. Einige Projekte, die Sie eben auch genannt haben, Frau Radomski, werden im Haushaltsjahr 2024 dann auch
so ausgereift sein, dass wir sie entsprechend etatisieren können. Alles in allem ist das ein guter Etat, eine runde Sache.
Ich danke für die Beratungen und wünsche noch eine angenehme Debatte und nachher, am Schluss dieser Plenarsitzung, einen schönen Abend.
({10})
– Sie können noch reden. Aber das ist für heute der letzte Einzelplan. Ich glaube, wir sind auf der Zielgeraden, und das ist nach drei Monaten
Haushaltsberatungen auch ein gutes Gefühl.
Ich danke Ihnen.
({11})
Für die AfD-Fraktion erhält das Wort Marcus Bühl.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die AfD-Fraktion hat in den Haushaltsberatungen für ein umfangreiches
Bund-Länder-Schulsanierungsprogramm geworben, was leider von allen anderen Fraktionen abgelehnt worden ist. Um Bildung zu vermitteln, brauchen wir genügend
Lehrer und moderne Schulgebäude, und da sieht es leider katastrophal aus. Die vielen Unterrichtsausfälle sind ein Skandal. Die Verantwortlichen in den Ländern
hatten genug Zeit, für mehr ausgebildetes Personal und sanierte Schulen zu sorgen. Die marode Substanz unserer Schulen ist mittlerweile ein Riesenproblem. Was
nützt das neueste Tablet, wenn keine Lehrer da sind, um zu unterrichten, die sanitären Einrichtungen nicht funktionieren, der Putz von den Wänden fällt oder
Fenster nicht zu öffnen sind?
({0})
Der immens hohe Investitionsrückstand – ich komme dazu – wird mittlerweile auf über 46 Milliarden Euro beziffert und belegt die anhaltende
Vernachlässigung der Schulinfrastruktur durch die Bundesländer. Wir wollen mit den Ländern einen Zukunftspakt Schule ins Leben rufen, der Kommunen bei
Schulsanierungen hilft.
({1})
Wir müssen die bauliche Substanz unserer Schulen endlich verbessern. Da brauchen wir kein Etikett wie „klimagerechte Sanierung“, sondern eine
funktionale Sanierung.
Funktionieren ist etwas, was leider an immer weniger Stellen in Deutschland durch Ihre Politik und die Ihrer Vorgänger der Fall ist. Einen weiteren
Fehler begehen Sie bei der viel zu kurzgefassten Förderung der beruflichen Bildung. Die sinkenden Ausbildungszahlen im Handwerk und in der Industrie wirken sich
verheerend auf unsere Wirtschaft aus. Unsere duale Ausbildung ist ein Erfolgsmodell, das weltweit einen sehr guten Ruf genießt. Frau Ministerin, es ist höchste
Zeit, dass die berufliche Bildung wieder umfassend wertgeschätzt und intensiv gefördert wird, anstatt sich, wie seit vielen Jahren, einseitig auf akademische
Laufbahnen zu konzentrieren.
({2})
Schwerpunkt Forschung. Bezüglich der Errichtung des internationalen Teilchenbeschleunigerprojektes in Darmstadt, auch FAIR-Projekt genannt, wollen wir
das angestrebte Zwischenziel trotz drohender Mehrkosten erreichen. Dieses Vorzeigeprojekt physikalischer Grundlagenforschung ist zwar kostenintensiv, aber die
Investitionen haben großes Potenzial, langfristig viele neue Erkenntnisse und Innovationen hervorzubringen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({3})
Nächste Rednerin ist Dr. Wiebke Esdar für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin! Das BMBF verzeichnet auch in diesem Jahr eine Plafonderhöhung. Das heißt, in
haushalterisch angespannter Lage steht uns mehr Geld für Bildung und Forschung zur Verfügung, und das ist gut. Das ist aber auch klar, weil wir als
Fortschrittskoalition uns einig sind, dass Fortschritt zum Wohle der Menschen nur durch mehr Bildung und mehr Forschung erreicht werden kann.
({0})
Ich will mich bei Christoph Meyer, Bruno Hönel, meinen Pendants bei FDP und Grünen, aber auch bei den anderen Kolleginnen und Kollegen und, Frau
Ministerin, wenn Sie erlauben, auch noch einmal insbesondere bei Jens Brandenburg als Parlamentarischem Staatssekretär bedanken, der uns immer mit dem gesamten
Haus sehr gut unterstützt hat, wenn wir Fragen hatten, wenn wir Abwägungen treffen mussten.
({1})
Meine Damen und Herren, dieser Haushalt nimmt die Notwendigkeiten der Krise auf. Wir stellen nicht nur 700 Millionen Euro für die Energiepauschale für
Studierende zur Verfügung, sondern auch die Mittel für den zweiten Heizkostenzuschuss für BAföG-Beziehende und AFBG-Geförderte. Ich muss es aus aktuellem Anlass
noch einmal deutlich sagen: Die Energiepauschale, die wir als Bund jetzt allen Studierenden zur Verfügung stellen, ist eine Entlastung für gestiegene
Heizkosten, nicht für mehr Heizkosten, weil die Studierenden im Winter nach Hause geschickt werden. Es ist die Verantwortung der Länder und der Hochschulen,
dass die Hochschulen in diesem Winter offen bleiben.
({2})
Zum größten Posten im Bereich Bildung. Meine Damen und Herren, wir haben in diesem Haushalt die erste BAföG-Reform etatisiert, den Rechtsanspruch der
Studierenden auf die neuen, erhöhten Fördersätze, aber vor allem auch die Ausweitung auf mehr Geförderte durch die Anhebung der Freibeträge und die Anhebung der
Altersgrenze auf 45 Jahre. Das ist gut. Wir erwarten, gekoppelt mit der Kindergrundsicherung, in dieser Legislaturperiode auch noch den zweiten
Reformschritt.
({3})
Meine Damen und Herren, wir haben im parlamentarischen Verfahren Akzente gesetzt. Wenn die tagesaktuelle Politik durch akutes Krisenmanagement
dominiert wird, dann stellt sich natürlich auch die Frage: Was können wir in Bildung und Forschung dazu beitragen? Die Menschen sind beunruhigt durch den
Klimawandel, gestresst von der Coronapandemie und verunsichert, nachdem Putin durch seinen Angriff den Krieg wieder mitten nach Europa gebracht hat. Sie sind
verunsichert, was das für den Frieden in Europa bedeutet, aber auch ob der Fragen, wie unser Wohlstand noch zu sichern ist und wie es in der internationalen
Friedensordnung aussieht. Darum müssen wir doch feststellen, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt strapaziert ist, und dann muss es auch einen Beitrag von
Forschung, Bildung und Wissenschaft geben, wie wir diesen strapazierten gesellschaftlichen Zusammenhalt auch unter den neuen Umständen stärken und sichern
können, wie wir unsere Demokratie bestehen lassen können.
Darum haben wir in der Friedens- und Konfliktforschung im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens noch mal den Bereich so gestärkt, dass, obwohl
schmerzhafte Einschnitte vorgesehen waren, am Ende mehr Geld für sozial- und geisteswissenschaftliche Forschung zur Verfügung steht. Wir fördern beispielsweise
die Trilaterale Wasatia Graduate School bis 2029. Dort können junge Menschen aus Palästina, Israel und Deutschland zu Themen wie Konflikt und Frieden, zu
Antisemitismus, Islamophobie und Shoah forschen.
({4})
Wir fördern mit zusätzlichen 60 Millionen Euro die naturwissenschaftliche Friedensforschung. Auch wenn die Union in der Haushaltssitzung reflexhaft
befürchtete, es gebe eine Ideologisierung der Naturwissenschaften, will ich erklären, dass es darum geht, dass die Rolle der Naturwissenschaften und der
Technikwissenschaften bei Themen wie Abrüstung, chemische Waffen und biologische Waffen als Grundlage genommen wird, um zu forschen und zu schauen: Was kann
Wissenschaft dazu beitragen, dass beispielsweise Rüstungskontrolle oder Abrüstung besser gelingt oder dass die Verbreitung biologischer und chemischer
Kampfstoffe verhindert wird?
({5})
Meine Damen und Herren, wir stellen 2,1 Millionen Euro jährlich bereit, um am Institut für interdisziplinäre Konfliktforschung an der Universität
Bielefeld eine Konfliktakademie aufzubauen. Das ist ein Projekt, das mir sehr am Herzen liegt, und zwar deshalb: Wenn wir sagen, dass Wissenschaft und Forschung
uns in der Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts unterstützen sollen, dann müssen wir doch dafür sorgen, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse auch dort
ankommen, wo sie gebraucht werden. Das heißt, dass wir sie in die Gesellschaft hineintragen, ob es um eskalierende Konflikte bei Busfahrerinnen und Busfahrern
geht, ob das Beschäftigte in den Jobcentern sind oder ob es Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker sind. Diese Konfliktakademie wird dafür sorgen, dass
wir empirisch forschen und analysieren, welche Muster es bei diesen Konflikten gibt, sie dann aber mit Coaching und Beratung an die Menschen herantragen, um so
wirklich auch einen ganz anwendungsorientierten, unterstützenden Beitrag der Forschung in diesen Zeiten zu leisten.
({6})
Ein weiterer Bestandteil wird sein, dass sich die Konfliktakademie mit Polarisierungsprozessen auseinandersetzt. Das ist mir noch mal wichtig, weil,
wenn wir uns nach links und rechts umschauen, in anderen Ländern doch schon erkennbar ist, wie auch unsere Demokratie unter Druck gerät, weil es eine zu große
Polarisierung in der Gesellschaft gibt. Dem Ziel, da einen Beitrag zu leisten, um unsere Demokratie zu stützen, sollten wir uns alle verschreiben.
Wir haben uns im Koalitionsvertrag viel vorgenommen. Kerstin Radomski, du hast es schon angesprochen: Wir werden im nächsten Jahr die DATI gründen,
und das ist auch gut so, weil die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation damit strukturbildend in der deutschen Forschungsförderung einen Meilenstein
setzt. Als Sozialdemokratin sage ich: Endlich geschieht das, weil wir eine deutsche Transfergesellschaft oder ‑gemeinschaft schon ganz lange fordern. Wir
reagieren damit auf eine Förderlücke, die wir haben.
Dem Eindruck, den du da gerade vermittelt hast, möchte ich noch einmal widersprechen: Wir geben die Mittel frei für die Rechtsberatung zur Gründung,
wir geben die Mittel frei für den Stakeholder-Prozess, weil wir die Community einbinden wollen, und die Mittel in Bezug auf die Frage, wie die Fördergelder
vergeben werden, wobei uns beispielsweise ganz wichtig ist, dass wir nicht nur technologische, sondern auch soziale und ökologische Innovation wollen. Bei der
Frage der Vergabe der Gelder wird für uns ganz wichtig sein, dass es ein wissenschaftsgeleitetes Verfahren gibt, nicht aber politische Einflussnahme oder
Rollenkonflikte. Diese Mittel sind weiter beschwert, und das finde ich als Haushälterin auch richtig. Wir werden das eng begleiten. Aber es geht doch darum,
dass wir vorankommen, weil es ein großes Projekt ist, weil wir einen ambitionierten Koalitionsvertrag haben und in vier Jahren auch im zweiten Jahr dann die
Gründung erfolgen kann.
({7})
– Ja, Herr Jarzombek, da brauchen Sie gar nicht so zu tun. Sie haben als Koalitionspartner bei uns in den letzten Jahren nicht den Mut gehabt, dass
wir es gründen, und darum sind wir so froh, dass wir es jetzt mit der Ampelkoalition hinkriegen. So einfach ist das.
({8})
Meine Damen und Herren, ich war am Dienstagvormittag zu einem Besuch im Naturkundemuseum in Berlin, einem der großen Forschungsmuseen der
Leibniz-Gemeinschaft. Am Vormittag sind dann vor allem viele Schulklassen da. Sie glauben gar nicht, in wie viele begeisterte und wissbegierige Kinderaugen wir
da gucken konnten, die unter den riesigen Skeletten der Dinosaurier umhergelaufen sind. Es war total trubelig, aber viele standen auch einfach da und waren am
Staunen. Diese Begeisterung, diese Wissbegierde zu erhalten, am besten vom Kindergarten bis zur Hochschule, oder – noch besser – ein Leben lang den
Forschergeist zu wecken, das ist doch die Aufgabe guter Bildungspolitik und guter Forschungspolitik. Dafür kämpfen wir, dafür streiten wir eben auch in
haushalterisch angespannter Lage um den besten Einsatz der Haushaltsmittel.
Daran mitwirken zu können, dafür bin ich dankbar, und das treibt mich auch jetzt schon an für die nächsten Verhandlungen für den Haushalt 2024. Für
heute Abend herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort erhält Dr. Petra Sitte für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jetzt kommt sozusagen das Gegenprogramm. Es sind eben nicht nur Einzelentscheidungen dieser Regierung, die
einen bisweilen wirklich erstaunt zurücklassen. Nein, manchmal sind es vor allem die Widersprüche, die zeitgleich getroffene Entscheidungen aufwerfen.
Da wird im Koalitionsvertrag versprochen, dass ab 2022 der „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“ jedes Jahr um 3 Prozent gesteigert werden soll,
so wie das bereits bei den außeruniversitären Forschungseinrichtungen seit Jahren Praxis ist, also eine gute Sache. Das ist aber so nicht geschehen, sondern
wird um ein Jahr verschoben. Dabei haben sich die Hochschulen genau darauf verlassen und genau danach gehandelt: Sie haben entsprechende Studienplätze und
Stellen geschaffen. Sie sind gewissermaßen in Vorleistung gegangen, und nun bleiben sie auf diesen Ausgaben sitzen.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft resümiert, ich zitiere: Im Ergebnis sei das eine „Kürzung“ der bereits vereinbarten Steigerung der
Zukunftsgelder. Und weiter:
Damit wäre angesichts steigender Energiekosten und einer Inflationsrate von über zehn Prozent eine deutliche Aufstockung des Zukunftsvertrags
überfällig gewesen.
({0})
Da die Hochschulen und Universitäten – das ist nun wirklich kein Geheimnis – chronisch unterfinanziert sind, wird gerade dieses Geld dringendst
gebraucht, um die grundgesetzlich verankerten Aufgaben Forschung und Lehre auch wirklich zu erfüllen. Man sollte annehmen, dass dies absolute Priorität hat.
Nicht bei dieser Ministerin. Stattdessen wurde die sogenannte Exzellenzstrategie um 19 Prozent von 533 Millionen Euro auf 687 Millionen Euro gesteigert. Damit
reißen Sie – und das wissen Sie – die deutsche Hochschullandschaft noch weiter auseinander. Längst haben die Exzellenzwettbewerbe der vergangenen Jahre zu
Hochschulen erster und zweiter Klasse geführt. Die Unterfinanzierung Letzterer hat sich parallel verschärft – zum Schaden allerdings des gesamten
Wissenschaftsbereiches. Statt nun endlich dagegen anzugehen, wird diese Entwicklung erneut befeuert. Ich halte das für einen Irrweg.
({1})
Die Exzellenzinitiative verschärft aber nicht nur zwischen den Hochschulen, sondern auch innerhalb der Hochschulen Ungleichheit.
({2})
Mithin sind bei Weitem nicht alle Fachbereiche einer Hochschule beteiligt. Die meisten erreicht dieser wunderschöne Geldsegen überhaupt nicht. Damit
nicht genug: Die Exzellenzcluster werden nunmehr auch nur zeitlich begrenzt finanziert. Ihre Aufgaben belasten also irgendwann gänzlich die Haushalte der
Hochschule.
Fazit: Einerseits verschieben Sie die Steigerung des Zukunftsvertrages, andererseits blasen Sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt unnötig Exzellenzcluster
auf. Diese beiden Entscheidungen sind vollkommen widersprüchlich. In Zeiten von Inflation und Energiepreissteigerungen wäre es doch viel sinnvoller gewesen
({3})
– ich muss mich jetzt hier stimmlich durchsetzen –, aus dem 200 Milliarden Doppel-Wumms den Hochschulen zusätzliche Mittel über den Zukunftsvertrag
bereitzustellen.
({4})
Also: Es ist kein Chancenministerium, über das wir reden, sondern es werden Chancen vergeben, insbesondere die der nachwachsenden Generationen in
Bildung und Forschung.
({5})
Sie tragen damit aber auch zu prekären Beschäftigungsverhältnissen an Hochschulen bei, beispielsweise im wissenschaftlichen Mittelbau und hier
besonders bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.
Und jetzt – ich muss echt sagen: da ist mir fast die Brille von der Nase gefallen – wollen Sie den Wissenschaftsbereich auch noch
umsatzsteuerpflichtig machen. Das ist ja nun nicht das Kernthema tapferer Linker. Aber das ist völlig absurd.
({6})
– Nicht hyperventilieren, erst zuhören. – Erst heißt es: Liebe Hochschulen, kooperiert mit der Wirtschaft; wir wollen einen schnelleren Impact! – Na
großartig. Und dann heißt es: Jetzt seid ihr auf dem Markt; also zahlt Umsatzsteuer. – Allein der Verwaltungsaufwand wird eine Riesenbelastung für die
Hochschulen. Und wozu? Damit – und das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – öffentliche Einrichtungen, öffentlich geförderte Einrichtungen, Steuern an
den Staat zurückzahlen.
({7})
Dass das nicht nötig wäre, macht uns übrigens Österreich vor. Aber Sie setzen auf das Prinzip „Linke Tasche, rechte Tasche“.
({8})
Ich verstehe es nicht. Widersprüche über Widersprüche in diesem Haushalt.
In diesen schwierigen Zeiten brauchen die Forschenden und die Studierenden weit mehr als Rechentricks der Regierung. Ich wünschte mir, dass diese
Ministerin energisch und erfolgreich insbesondere zum Finanzminister in Widerspruch gegangen wäre.
({9})
Besten Dank fürs Zuhören.
({10})
Das Wort erhält Bruno Hönel für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine ganz kurze Vorbemerkung zu Frau Dr. Sitte. Ich hatte den Eindruck, Sie haben
Ihre Haushaltsrede vom letzten Jahr einfach noch einmal vorgelesen.
({0})
Vieles, was Sie hier dargestellt haben, stimmt einfach nicht. Die 3-Prozent-Dynamisierung ist im Haushalt abgebildet. Das ist ein Fakt. Auch das, was
Sie zur Umsatzsteuer erzählt haben, ist fachlich nicht richtig.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, als Ampelkoalition haben wir einen Haushalt für 2023 vorgelegt, der auf den
Angriffskrieg gegen die Ukraine und die steigenden Energiepreise mit weitreichenden Entlastungsmaßnahmen reagiert und gleichzeitig die langfristigen
Herausforderungen wie die Klimakrise adressiert.
Auch im Bildungs- und Forschungsbereich – meine Vorredner/-innen haben es gesagt – haben wir mit insgesamt mehr als 850 Millionen Euro weitreichende
Entlastungen für Studis, Azubis und Fachschüler/-innen beschlossen. Die 200-Euro-Einmalzahlung ist mit 700 Millionen Euro und der Heizkostenzuschuss II mit über
150 Millionen Euro abgebildet. Die Entlastungen sind damit ein wesentlicher Posten im Etat. Es ist absolut richtig, dass wir das für unsere Studierenden und
Azubis ermöglichen, die ja maßgeblich die Zukunft für unser Land definieren. Das alles sind Mehrausgaben, die direkt der Bildungs- und Chancengerechtigkeit in
unserem Land zugutekommen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
An dieser Stelle möchte ich explizit auch der Ministerin danken, dass Bildung und Wissenschaft sowohl bei der Gas-Soforthilfe als auch bei der Gas-
und Strompreisbremse berücksichtigt werden. Für die Forschung ist das ein extrem wichtiges Signal. Es ist gut, dass wir die Community in dieser Zeit so stark im
Blick haben. Von daher: Herzlichen Dank, Frau Ministerin!
({3})
In den parlamentarischen Beratungen konnten wir – das freut mich als Grünen natürlich besonders – auch eine deutliche Stärkung der Klima- und
Nachhaltigkeitsforschung erreichen. Insgesamt über 15 Millionen Euro stellen wir allein im kommenden Jahr für verschiedene Projekte zur Verfügung. Besonders
wichtig dabei ist, dass wir über Maßgaben und Verpflichtungsermächtigungen im Umfang von 146 Millionen Euro auch die Finanzierung der Folgejahre sichern und
damit eben für die Planungssicherheit sorgen, die gerade für die Forschung so essenziell ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Der größte Titel hierbei ist GRACE,
({4})
ein faszinierendes Satellitenprojekt zur Beobachtung der weltweiten Wassermengen und geologischen Veränderungen im Kontext der Klimakrise, mit
insgesamt 134 Millionen Euro. Bis 2028 stellen wir so die Vervollständigung einer Datenreihe über eine ganze Klimaperiode von 30 Jahren sicher. Das ist ein
einzigartiger Schritt in der Klimaforschung und nicht zuletzt ein wichtiges Zeichen, dass Deutschland auch in der Forschung ein verlässlicher internationaler
Partner ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Auch auf den Krieg in der Ukraine reagieren wir mit einer nun verstärkten Förderung der Friedensforschung. Insgesamt 16 Millionen Euro stellen wir für
Nachwuchsgruppen in diesem Bereich zur Verfügung. Damit leisten wir einen Beitrag, Mechanismen von Krieg und Frieden noch besser zu verstehen, und sorgen dafür,
dass neue Formen der Kriegsführung besser bekämpft werden können und das Potenzial für Kriege im Idealfall frühzeitig eingedämmt werden kann.
Ein ganz besonderer Erfolg in diesem Etat ist auch die Etatisierung von 5 Millionen Euro für die Endometriose-Forschung. Endometriose ist die
zweithäufigste gynäkologische Erkrankung und quasi unerforscht. Wir zeigen den zahlreichen Betroffenen damit, dass wir ihr Leiden ernst nehmen, vor allem vor
dem Hintergrund, dass die medizinische Forschung noch immer äußerst männerzentriert ist. Der Maßstab der meisten medizinischen Studien ist ein 75 Kilogramm
schwerer Mann. Das ist ein Problem, das zu ungenauen Behandlungsmustern führen kann. Von daher sind diese Haushaltsmittel auch Mittel für eine
geschlechtergerechte Gesundheitsforschung,
({6})
für die Stärkung der Frauengesundheit. Wir werden auch weiterhin für mehr Gleichberechtigung im Gesundheitswesen kämpfen, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
Mit diesem parlamentarischen Verfahren haben wir als Ampelkoalition noch einmal ganz klare Prioritäten gesetzt. Das wollen wir mit Blick nach vorn nun
auch im Entwurf für den kommenden Haushalt 2024 vom Ministerium umgesetzt sehen. Im Bereich der beruflichen Bildung freuen wir uns auf die Exzellenzinitiative
der Ministerin. Da haben wir riesige Aufgaben vor uns. Aber ich bin mir sicher, dass wir auch diese Herausforderungen gemeinsam meistern werden.
An dieser Stelle will ich mich noch einmal explizit bei Wiebke Esdar und Christoph Meyer für die hervorragende Zusammenarbeit bedanken. Wir haben in
diesem parlamentarischen Verfahren wirklich richtig viel gemeinsam hinbekommen. Ich glaube, wir konnten zeigen, dass diese Koalition zu Recht als
Fortschrittskoalition bezeichnet wird.
({7})
Abschließend will ich sagen: Das ist ein Haushalt der Zukunftsinvestitionen, ein Haushalt für Innovation und Spitzenforschung, vor allem aber für
Chancen- und Bildungsgerechtigkeit; denn wir wollen, dass das Aufstiegsversprechen mehr als eine reine Worthülse ist. Dieser Haushalt liefert dafür die
Grundlage.
Herzlichen Dank.
({8})
Vielen Dank. – Ich hatte den Eindruck, dass während Ihrer Rede in manchen Fraktionen das Gewicht einiger Kollegen abgefragt wurde.
({0})
Jetzt erhält das Wort die Kollegin Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weihe Sie jetzt nicht in die Ergebnisse dieser Umfrage in unserer Fraktion
ein,
({0})
sondern widme mich dem wichtigen Thema, das wir heute besprechen. Das ist mittlerweile der zweite Bundeshaushalt dieser Regierungskoalition. Ich muss
sagen: Die Reden der Abgeordneten aus den Koalitionsfraktionen sind schon deutlich bescheidener als beim ersten Haushalt. Das hat auch einen Grund.
Ziehen wir einmal Bilanz nach einem Jahr Ampelregierung und nach dem zweiten Haushalt, der uns einen Blick darauf gewährt, was uns im nächsten Jahr
erwartet. Versprochen wurde mehr Bildungsgerechtigkeit durch das Startchancen-Programm. Es wurde versprochen die Sanierung von Schulen, mehr Sozialarbeiter und
ein Budget für Schulen; das ist das Startchancen-Programm. Bisher gibt es weder ein Budget noch ein Konzept. Das Einzige, was wir wissen: Frühestens 2024 geht
es mit diesem Programm los. Was wir auch wissen: Von dem Programm werden längst nicht alle Schulen profitieren, sondern höchstens 4 000 von 30 000 Schulen. Ich
frage mich: Verstehen Sie das unter umfassender Bildungsgerechtigkeit?
Versprochen wurden große BAföG-Reformen. Die erste haben Sie vorgelegt. Da wurden vor allem die BAföG-Sätze erhöht. Leider ist das Geld mittlerweile
von der Inflation aufgefressen worden. Wir warten auf die zweite BAföG-Reform; aber hierfür haben wir bisher noch nicht einmal ein Konzept vorliegen.
Versprochen wurde eine ganzheitliche Politik. Ich habe wenig von den Bildungs- und Forschungspolitikern der Koalition gehört, als Ministerin Paus die
Sprach-Kitas auf null gesetzt hat.
({1})
Ich habe wenig von Ihnen gehört, als die Verteidigungsministerin die Mittel für Forschung im Bereich Sicherheit nahezu auf null herunterfuhr.
({2})
Auch hierzu hätte ich gerne ein deutliches Wort der Forschungspolitiker dieser Koalition gehört.
Versprochen wurden Verbesserungen beim Digitalpakt, sehr schnell sollte ein Digitalpakt 2.0 verhandelt werden: wenig Bürokratie, Standards für die
Digitalisierung, einheitliche Plattformen. Bis heute liegen nicht einmal Eckpunkte dafür vor. Sie wollten zusammen mit den Ländern einen Bildungsgipfel
durchführen. Der ist nun endlich terminiert, wie ich höre, auf März nächsten Jahres. 15 Monate haben Sie gebraucht, um den Gipfel zu terminieren. Also, man muss
sagen: Wirklich eilig haben Sie es mit Ihren Vorhaben offensichtlich nicht.
({3})
Versprochen hatten Sie die Digitalisierung der Hochschulen. Das wurde mittlerweile ganz abgesagt. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz liegt auch noch
nicht vor.
Das, was Sie auf der Habenseite haben, ist der Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken“.
Ich will einen Strich darunter machen und sagen: Für BAföG und den Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken“ haben Sie Gelder zur Verfügung
gestellt – das ist gut, das begrüßen wir ausdrücklich –; aber für alles, bei dem Sie konzeptionell an die Sachen herangehen müssten, bei dem Sie mit den
Ländern, den Kommunen, den Akteuren vor Ort sprechen müssten, für all Ihre großen Vorhaben, die Sie angekündigt haben, fehlen bisher Konzepte, fehlen Maßnahmen,
fehlt das Geld. Bei allem warten wir auf konkrete Ergebnisse.
({4})
Jetzt könnte man sagen: Na ja, es ist ja auch Krise, und diese Koalition hat gerade andere wichtige Baustellen. – Aber wenn man hier mal hinschaut,
muss man sagen: Das Krisenmanagement ist wirklich ungenügend. Sie haben alle die 200 Euro erwähnt, die die Studenten jetzt bekommen sollen. 200 Euro wurden am
4. September 2022 von der Ministerin versprochen. Sie hat gesagt: Alle Studierenden in diesem Land werden 200 Euro bekommen. – Da haben sich alle gefreut und
dachten: Super, jetzt kommt der Herbst, jetzt kriegen wir eine Unterstützung; das hilft bei den steigenden Energiepreisen. – Na ja, es wurde wochenlang
gewartet. Es ist nichts passiert. Und dann? Heute hat diese Koalition den Gesetzentwurf vorgelegt. Sie haben zweieinhalb Monate gebraucht, um einen
Gesetzentwurf vorzulegen. Wenn uns jetzt Studierende zuhören und denken: „Ja super, dann habe ich ja bald die 200 Euro“, dann muss ich sie leider enttäuschen;
denn es muss jetzt erst noch eine Plattform gebaut werden, dann muss noch geklärt werden, wie das Geld ausgezahlt wird. Wann das dann tatsächlich kommt, das
kann leider von dieser Koalition noch keiner sagen. Das ist kein gutes Krisenmanagement.
({5})
Stichwort „Wissenschaft und Forschung“: Erst als sich die gesamte Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen lautstark positionierte, erst als
wir einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht haben, erst als wir gesagt haben, dass Sie einen Rettungsschirm für die Wissenschaft brauchen, weil die
sonst bei den steigenden Energiepreisen auch mit der Gaspreisbremse nicht über die Runden kommt, haben Sie einen entsprechenden Schutzschirm gespannt. Danke
dafür – das ist sehr wichtig –; aber bis heute sind auch hierfür die Kriterien noch nicht klar. Deshalb bitte ich, dass Sie hier ein bisschen schneller sind als
bei den 200 Euro für die Studierenden, dass Sie für die Wissenschaft und die Forschung schnell Klarheit schaffen, wie genau dieser Schutzschirm funktionieren
wird. Darauf warten alle Einrichtungen ganz dringend.
({6})
Apropos Wissenschaft und Forschung: Man hätte ja meinen können, dass die Forschungspolitiker der Koalition und das BMBF sich in dieser Krise als
Problemlöser zeigen, dass sie die treibende Kraft sind für neue Entwicklungen, neue Technologien, neue Lösungen, um die Klimakrise zu bewältigen. Wir haben so
viel Potenzial in unserem Land, so viel Tolles, was entwickelt, was gedacht wird. Da hätte man jetzt mal alle Akteure an einen Tisch holen
({7})
und fragen müssen: Wo sind die Projekte, die wir zu Schnellläuferprojekten machen können? Wo sind die Projekte, die wir groß machen können, um schnell
bessere Lösungen zu finden, um diese große Energiekrise bewältigen zu können? Wir haben davon wenig wahrgenommen, auch nicht in den Reden heute. Ich finde es
wichtig, dass man Krisenforschung macht, und ich finde es wichtig, dass man Konfliktforschung macht; aber ich vermisse bei den Reden dieser Koalition wirklich
den Bezug zu den aktuellen Problemen, die uns heute umtreiben.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.
Deshalb kann ich nur sagen: Das Krisenmanagement muss besser werden, und die strategische Arbeit dieser Bundesregierung muss besser werden.
({0})
Wir sind gespannt, was im nächsten Jahr auf uns zukommt.
({1})
Für die Bundesregierung erhält das Wort die Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Sitte, ganz kurz zur Information: Die Umsatzsteuer wird eben nicht erhoben
für die Wissenschaft ab nächstem Jahr; das hat der Bundesfinanzminister auf den Weg gebracht.
({0})
Genau vor einem Jahr haben wir den Koalitionsvertrag vorgestellt. Damals war die Welt noch eine andere; aber er ist weiter unsere Richtschnur. Wenn
wir diese Richtschnur anlegen und uns fragen – das wurde eben schon gesagt –: „Was haben wir denn auf der Habenseite?“, dann ist ganz klar: Wir wollen den
Aufstieg durch Bildung, und wir wollen Zukunft durch Wissen und Innovation. Und wir können sagen: Trotz Vielfachkrise erhalten Bildung und Forschung mehr
Geld.
({1})
Die BAföG-Reform wirkt bereits. Mehr Menschen können BAföG erhalten. Es gibt mehr Geld und einen Notfallmechanismus. Für Erasmus+ gibt es mehr Geld,
für Zeit im Ausland. Für Studierende und Auszubildende eine ganz wichtige Erfahrung. Wir haben Durchbrüche erzielt in den Gesprächen mit den Ländern. Beim
Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken“ ist die Dynamisierung beschlossen.
({2})
Wir entwickeln das Professorinnen-Programm weiter. Wir führen die Exzellenzstrategie fort. Weil sie erfolgreich ist, weiten wir sie aus. Auch die
Exzellenzinitiative Berufliche Bildung, ein Herzensanliegen von uns, stellen wir in einigen Tagen vor.
({3})
Eine neue Kultur der Bildungszusammenarbeit haben wir uns als Koalition vorgenommen. Auch diese Trendwende haben wir eingeleitet, um Programme wie das
Startchancen-Programm anzupacken. Der Digitalpakt hat uns doch gelehrt: Wenn etwas mit schneller Nadel gestrickt ist, dann kommt das Geld nicht an. – Da mussten
wir ganz schön aufräumen. Statt ewig nachzubessern, gilt, richtig gut vorbereiten, und zwar mit allen Beteiligten.
({4})
Ich nenne den MINT-Aktionsplan 2.0 mit neuen Clustern, 53 sind es jetzt deutschlandweit. Ich freue mich, dass wir die ökonomische Bildung stärken,
ehrlich gesagt, ein Herzensanliegen von mir. Für die Zukunftsstrategie liegt ein Entwurf vor. Unsere Technologieagenda ist missionsorientiert,
ressortübergreifend und mit klar definierten Zielen – ein Novum; das kannte die alte Koalition, das kannte das CDU-geführte Haus nicht –, mit Innovationen im
Transfer aus Universitäten, und die Abstimmung in der Bundesregierung läuft, und wir binden die Stakeholder von Tag eins an ein.
({5})
Für die DATI sind die Vorarbeiten erledigt. Jetzt geht es ins Detail. Eine Neuheit in der Förderlandschaft entsteht.
All das steht auf der Habenseite nach elf Monaten. Ich danke den Koalitionären, den Partnern, dass wir so konstruktiv in diesen Wochen, in diesen
schwierigen Wochen diese Dinge haben auf den Weg bringen können, meine Damen und Herren.
({6})
Zugleich lief auch die Krisenbewältigung. Zuerst vor allem Corona. Unser Ziel: so viel Normalität wie möglich, vor allem für die Jugendlichen und für
die Kinder in unserem Land. Dann kam der Überfall auf die Ukraine, die Energiekosten stiegen. BAföG-Empfänger einbeziehen, dass sie zweimal einen
Heizkostenzuschuss erhalten, das war unser Ziel, plus 200 Euro für alle Studierenden und alle Fachschülerinnen und Fachschüler. Die junge Generation darf nicht
noch einmal zu kurz kommen, weder in der Pandemie noch in den Krisen und auch sonst nicht, meine Damen und Herren.
({7})
Schulen müssen warm bleiben, und Hochschulen ihren Strom bezahlen können. Wir haben wissenschaftliche Einrichtungen bei der Soforthilfe Gas und bei
der Gas- und Strompreisbremse berücksichtigt. Dazu kommt ein Härtefallfonds für die außeruniversitäre Forschung.
Deswegen ist für uns als Koalition klar: Wir bewältigen die größten Krisen, und wir bleiben unseren Zielen immer treu. Dafür stehen die rund
21,5 Milliarden Euro für Bildung und Forschung in 2023. Damit sind wir wieder im Plus. Bei der alten Bundesregierung stand da ein Minus – vor dem Krieg, ohne
Energiekrise.
Und, liebe Union, ich habe mir eben Ihre Reden angehört. Schauen Sie sich doch mal Ihre Anträge aus der Bereinigungssitzung an.
({8})
Weniger als 1 Prozent wollten Sie an diesem Haushalt ändern, und Sie haben sogar mehr Gegenfinanzierungsvorschläge gemacht, als Sie eigentlich neue
Ideen finanzieren wollten. Weniger Geld für den Etat – so sehen Ihre Ideen für Bildung und Forschung aus. Wir dagegen stärken Bildung und Forschung, trotz Krieg
mit allen seinen Folgen.
({9})
Wir wissen, dass unser Land eine Zukunft braucht, mit Wissenschaft. Die Forschung ist hier ein Licht, auch in schwierigen Zeiten. Dank der
zusätzlichen Mittel können wir uns an GRACE-I beteiligen, für noch bessere Klimaforschung. Wir fördern die Erforschung von Zukunftstechnologien mit Wendelstein
7-X; denn was heute unser Wasserstoff ist, ist morgen die Kernfusion. Wir haben das SunShot-Projekt vor uns. Das Stichwort lautet „Technologieoffenheit“, auch
in der Biotechnologie und bei vielem mehr. Diese Koalition weiß, dass unser Land nur mit Forschung eine bessere Zukunft hat.
({10})
In meiner Heimat, dem Taunus, nehmen in Kürze erste Wasserstoffzüge ganz regulär ihre Fahrt auf. Die Wasserstoff-Republik Deutschland gewinnt Stück
für Stück Gestalt. Wissen Sie übrigens, wann die Förderung begann? 1974, unter einer sozialliberalen Koalition
({11})
– die Grünen wären damals sicher auch dabei gewesen –,
({12})
mit Gespür für Zukunft. Chancenministerium heißt: Grundlagen schaffen für die Durchbrüche von morgen, gern natürlich schneller als beim Wasserstoff.
Die gute Forschung zahlt sich manchmal erst in zehn Jahren aus; aber trotzdem muss sie heute angegangen werden. Darauf arbeiten wir alle zusammen hin.
Der Haushalt gibt uns dafür Spielraum, trotz der besonderen Zeiten. Deswegen danke ich Ihnen allen für die Zusammenarbeit. Aber es gibt noch Leute,
denen ich noch etwas mehr danke, und das sind alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bundesministerium für Bildung und Forschung, die jeden Tag in den letzten
elf Monaten motiviert ihren Beitrag dazu geleistet haben, dass wir all das auf den Weg haben bringen können. Meinen herzlichen Dank an das Team BMBF!
({13})
Das Wort erhält Dr. Götz Frömming für die AfD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Wenn man sich die Reden von Ihnen, Frau Ministerin, und auch der Kollegen aus der
Ampelregierung hier so anhört, dann muss man ja fast meinen, es stünde alles zum Besten in der Bildungs- und Forschungsnation Deutschland. Meine Damen und
Herren, das ist mitnichten der Fall. Nichts ist gut in der Bildungs- und Forschungsnation Deutschland. Das Gegenteil ist der Fall.
Frau Ministerin, auch wenn Sie hier so tun, als wäre Ihr Ministerium eines der wichtigen, und auch die Kollegen das so betont haben: Sie müssen nur
mal da oben auf die Uhrzeit gucken, um zu sehen, wie hoch der Stellenwert Ihres Ministeriums in dieser Bundesregierung eigentlich ist.
({0})
Wir debattieren Bildung und Forschung nach der Landwirtschaft und kurz vor Feierabend, meine Damen und Herren. Das müsste eigentlich an so einem Tage
hier an erster Stelle stehen.
({1})
– Da müssen Sie gar nicht so tun. Sie sind ja die Herren der Tagesordnung.
({2})
Und die sagt etwas darüber aus, wo die einzelnen Ressorts einzuordnen sind.
Es ist auch nicht richtig, dass es einen Aufwuchs gegeben hätte. Unter dem Strich ist es sogar so – und das hat Ihnen der Bundesrechnungshof ja
vorgerechnet –, dass der Etat sogar schrumpft, wenn man die Inflationswerte berücksichtigt.
Aber das allein ist ja nur die halbe Wahrheit; denn tatsächlich gibt es einen Bereich, wo wir einen enormen Aufwuchs sehen, nicht nur bei Ihnen,
sondern auch schon bei Ihrer Vorgängerin in der letzten Legislaturperiode, und zwar im Bereich der Mitarbeiter. Um 24 Prozent stieg die Zahl der Mitarbeiter im
BMBF allein schon in der letzten Legislatur.
({3})
Das war übrigens doppelt so viel wie in den anderen Ministerien. Es kamen in den weiteren Jahren noch mehr dazu. Inzwischen haben wir
1 414 Mitarbeiter im Ministerium für Bildung und Forschung.
({4})
Meine Damen und Herren, man fragt sich schon: Was machen diese Mitarbeiter eigentlich den ganzen Tag?
({5})
Da müsste ja eigentlich Deutschland an der Spitze bei Bildung und Forschung sein – sind wir leider nicht, das Gegenteil ist der Fall. Inzwischen
verlieren wir nicht nur beim Fußball, sondern auch in anderen Bereichen. Beispielsweise bei Patenten ziehen die anderen Nationen an uns vorbei.
Heute Morgen haben wir gehört, wie traurig es in Wirklichkeit aussieht: Ihre 1 400 Mitarbeiter sind allein nicht in der Lage, eine Onlineplattform
aufzusetzen, auf der die Studenten einen Heizkostenzuschuss von einmalig 200 Euro beantragen können. Da rufen Sie jetzt um Hilfe bei einem der neuen
Bundesländer. Ich finde das peinlich, meine Damen und Herren.
({6})
Vorhin sind ja ein paar vernünftige Projekte vom Kollegen der FDP aufgezählt worden; aber es gibt auch andere in diesem Etat. Wir finanzieren –
eigentlich finanzieren Sie es; denn wir wollen das nicht – GiB, „Geschlechteraspekte im Blick“. Wir finanzieren „Schule ohne Homophobie“.
({7})
Wir finanzieren IFiF, „Innovative Frauen im Fokus“.
({8})
Wir finanzieren – oder Sie – ein millionenschweres Professorinnenprogramm. Ein Girls’ Day wird finanziert,
({9})
„Bildung für nachhaltige Entwicklung“ usw. usf.
({10})
Meine Damen und Herren, dieser Haushalt trieft nur so vor Ideologie.
({11})
Statt Leistung und Begabung setzen Sie Geschlecht und Herkunft an die erste Stelle. So kann das nichts werden mit weltbester Bildung, meine Damen und
Herren.
({12})
Dieser Haushalt müsste komplett ausgemistet werden. Wir hatten gehofft, Sie bringen frischen Wind in das Ministerium. Leider weht wie bei Ihrer
Vorgängerin bisher auch nur ein laues Lüftchen. In Wahrheit drücken die Grünen diesem Ministerium ihren Stempel auf, und das ist das Hauptproblem.
Auf der anderen Seite fehlt Geld, wo man es eigentlich einsetzen müsste. Für künstliche Intelligenz stellen Sie beispielsweise läppische 50 Millionen
Euro bereit. Im Bereich der Forschung zur Kernenergie haben Sie überhaupt nichts vorgesehen. Auch das erlauben Ihnen die Grünen nicht. Ich weiß, Sie selbst
würden es vielleicht anders sehen oder machen wollen; aber auch hier beschreitet Deutschland einen Sonderweg. Das ist für unsere Zukunft nicht gut. Bildung und
Forschung müssen wieder an erste Stelle gestellt werden. Mit den Grünen an Ihrer Seite schaffen Sie das nicht, Frau Ministerin.
Vielen Dank.
({13})
Nächster Redner ist Sönke Rix für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal wundert man sich doch immer noch – eigentlich wundert man sich nicht mehr, aber es ist
immer wieder interessant, zu hören –, wie viel Angst einige doch vor Frauen haben.
({0})
Wer Frauenförderungsprogramme so diffamiert, der hat Schiss davor, dass plötzlich doch mehr Frauen was zu sagen haben, der hat Schiss davor, dass
endlich Gleichstellung umgesetzt wird. So viel Angst, die aus Ihrer Rede gesprochen hat – das war schon beachtenswert.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind als Fortschrittskoalition angetreten.
({2})
Wir wollen das Land moderner machen, digitaler, gerechter, nachhaltiger. Und gerade für diese Bereiche, für diese Fragestellungen sind Bildung und
Forschung elementar, liebe Kolleginnen und Kollegen. Rahmenbedingungen müssen wir schaffen für kluge Köpfe, für Fachkräfte, für Innovationen, und dieser
Haushalt bietet dafür eine sehr gute Grundlage.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als wir vor einem Jahr begonnen haben und der Koalitionsvertrag quasi druckfrisch war, da sah die Welt aber auch noch
anders aus. Zunächst will ich darauf eingehen, dass die Welt vor einem Jahr nicht nur deshalb anders aussah, weil erst danach ein dramatischer Krieg begonnen
hat, sondern auch, weil wir vorher leider eine viel schlimmere Bildungspolitik hatten, Frau Schön.
({3})
Wenn Sie all die Punkte aufzählen, die wir im Koalitionsvertrag stehen haben – noch mal schönen Dank für die Erwähnung –, die wir innerhalb von vier
Jahren umsetzen wollen – ein Koalitionsvertrag gilt ja für vier Jahre –, dann ist das eine Versäumnisliste für die alte Ministerin. Das ist das, was Sie gerade
aufzählt haben.
({4})
Aber, wie gesagt, vor einem Jahr sah die Welt auch aus dramatischeren Gründen anders aus. Der Russlandkrieg hat alles verändert. Natürlich haben wir
jetzt eine Situation, dass der Krieg in Europa vor der Haustür stattfindet, dass wir steigende Preise haben, dass wir eine Energiekrise haben. Trotzdem ist es
uns in diesem Haushalt gelungen, mehr Geld für Bildung und Forschung zur Verfügung zu stellen, und trotzdem ist es uns gelungen, den Fortschritt und
gleichzeitig Hilfe und Unterstützung in der Krise zu organisieren. Ganz herzlichen Dank an die Haushälterinnen und Haushälter und an das Ministerium für diesen
Vorschlag!
({5})
Wir haben die Herausforderungen in beiden Bereichen angenommen. Wir haben Hilfe für Studierende bereitgestellt, und zwar nicht nur die 200 Euro. Es
ist müßig, immer zu behaupten, dass die Studierenden von Anfang an vergessen worden sind. Das stimmt schlicht und ergreifend nicht!
({6})
Wir haben extra den ersten Schritt der BAföG-Erhöhung vorgezogen; da gibt es die erste Entlastung. Wir haben den Heizkostenzuschuss eingeführt; da
gibt es eine Entlastung für Studierende.
({7})
Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich bekommen auch die Studierenden, die neben ihrem Studium arbeiten, die Entlastungspauschale für
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Natürlich haben wir die Studierenden nicht vergessen. Im Gegenteil: Auch sie bekommen richtig gute Entlastungen.
({8})
Wir haben die Mittel für Hochschulen dynamisiert. Frau Sitte hat das vorhin leider ein bisschen verkehrt dargestellt.
({9})
– Doch, Sie haben es verkehrt dargestellt. Wir steigern die Ausgaben. Das steht in diesem Haushalt drin, und deshalb war es verkehrt, was Sie gesagt
haben. Wir steigern die Ausgaben für Universitäten und Hochschulen. Ich finde, das können Sie ruhig berichtigen.
({10})
In der Krise schaffen wir natürlich einen Schutzschirm. Auch dafür brauchten wir keinen Antrag der Union. Als Sie den Antrag gestellt haben, hat das
Ministerium schon die ersten Gespräche geführt, wie so ein Schutzschirm aussehen kann.
({11})
Ich sage es noch einmal deutlich: Die einen reden und fordern, und die anderen handeln. Diese Koalition handelt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({12})
Und wir schaffen natürlich sehr viel Fortschritt. Ich will aber, weil es immer wieder in den Debatten auch ein Thema ist und weil wir gerade bei dem
Thema „Bildung und Forschung“ ganz häufig die Bund-Länder-Finanzbeziehungen ansprechen, noch etwas an uns alle richten: Gerade bei dem, was wir uns im
Koalitionsvertrag noch vorgenommen haben – mit dem Startchancen-Programm und in anderen Bereichen –, brauchen wir die Zusammenarbeit mit den Ländern. Ich will
an alle appellieren – sowohl an uns als auch an die Länder –, die Herausforderungen auf Augenhöhe und gemeinsam anzunehmen, nicht ständig gegenseitige
Schuldzuweisungen vorzunehmen, sondern die Verantwortung auch wirklich wahrzunehmen. Gerade in diesen Krisenzeiten und gerade bei diesen Herausforderungen
müssen wir es gemeinsam tun. Das ist mein Appell an alle hier in diesem Haus.
Herzlichen Dank.
({13})
Nächste Rednerin ist Nina Stahr für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich sehr, dass wir heute über einen guten und
soliden Bildungs- und Forschungshaushalt debattieren, den wir im parlamentarischen Verfahren noch deutlich verbessern konnten. Dafür einen ganz herzlichen Dank
an unsere Haushälterinnen und Haushälter!
({0})
Mit dem Bundeshaushalt 2023 zeigen wir, dass wir in Zeiten multipler Krisen handlungsfähig bleiben. Die Gleichzeitigkeit des russischen
Angriffskriegs, der auch auf dem hiesigen Energiemarkt spürbaren Folgen der Klimakrise und – ja, immer noch – der Coronapandemie stellt uns vor
Herausforderungen. Die Ampelkoalition liefert hierauf konkrete Antworten, abgebildet auch im Etat des Bildungs- und Forschungsministeriums. Ich bin sehr froh,
dass nun auch der zweite Heizkostenzuschuss für Studierende, Azubis und Schüler/-innen im Haushalt abgebildet ist. Gleiches gilt für die Einmalzahlung in Höhe
von 200 Euro für alle Studierenden und Fachschüler/-innen.
({1})
Das ist ein wichtiges Signal. Auch dass wir hiermit internationale Studierende angesichts der gestiegenen Energiepreise unterstützen, ist wichtig.
({2})
Ein extrem wichtiges Zeichen der Solidarität konnten wir auch im Einzelplan 05 im Bereich der Außenwissenschaftspolitik setzen. Der Aufwuchs der
Mittel für den DAAD und die Alexander-von-Humboldt-Stiftung kommt genau zur richtigen Zeit; denn mit den zusätzlichen Mitteln können ganz gezielt auch
Unterstützungsmaßnahmen und Schutzprogramme für Studierende und Forschende aus der Ukraine und dem Iran eingerichtet werden.
({3})
Mit diesem Haushalt sorgen wir für sichere Rahmenbedingungen für Forschung und Lehre. Die Beschlüsse der vergangenen GWK sind ein großer Erfolg. Es
ist heute schon erwähnt worden: Der Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken“ bekommt zusätzlich zur jährlichen Erhöhung der Fördermittel um 3 Prozent eine
einmalige Erhöhung in 2024. Damit verbessern wir gemeinsam mit den Ländern die Bedingungen für Studium und Lehre an unseren Hochschulen.
({4})
Wir lassen unsere Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen nicht im Regen stehen. Wir werden sie auch mit der Dezembersoforthilfe und mit der
folgenden Strom- und Gaspreisbremse entlasten.
Neben all den Herausforderungen durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine dürfen wir eines aber nicht aus den Augen verlieren: Der
menschengemachte Klimawandel ist und bleibt langfristig die größte Herausforderung für unsere Gesellschaft. Deshalb ist es ein großartiger bündnisgrüner Erfolg,
dass wir zusätzliche Mittel im Bereich der Klimaforschung zur Verfügung stellen werden. Das BioTip-Forschungsvorhaben kann in eine zweite Phase gehen; die
Folgemission des Forschungssatelliten GRACE ist, auch durch das BMWK, abgesichert. Das sind zukunftsweisende Weichenstellungen.
({5})
In diesem Bereich darf nicht gespart werden, gerade auch im Sinne der Generationengerechtigkeit.
({6})
Neben Krieg und Klima dürfen wir aber auch Corona nicht aus dem Blick verlieren. Noch immer wissen wir viel zu wenig über Long Covid. Deshalb ist es
gut, dass wir mit diesem Haushalt im kommenden Jahr noch einmal 6,5 Millionen Euro zusätzlich für Long-Covid-Forschung zur Verfügung stellen. In der
medizinischen Forschungspolitik haben wir Bündnisgrüne uns darüber hinaus erfolgreich für eine neue Forschungsförderlinie Endometriose eingesetzt. Bereits im
kommenden Jahr gibt es 5 Millionen Euro zur Erforschung dieser noch viel zu unerforschten Krankheit, unter der so viele Frauen leiden.
({7})
Und ich möchte es jetzt einmal anmerken: Ich finde es bemerkenswert, dass Bruno Hönel bisher der einzige Mann in der Debatte war, der das angemerkt
hat.
({8})
Das zeigt, dass Bündnisgrüne Feminismus als Aufgabe aller Geschlechter sehen. Aber ich finde, Sönke Rix hat mit dem Einstieg in seine Rede schon einen
guten zweiten Platz gemacht.
({9})
Im Bildungsbereich sorgen wir weiter für Chancengerechtigkeit. Wir stärken Alphabetisierungsmaßnahmen, wir beginnen mit der wissenschaftlichen
Vorbereitung des Startchancen-Programms, und mit der im Haushalt abgebildeten 27. BAföG-Reform ermöglichen wir mehr Menschen Zugang zu Bildung und
Aufstiegschancen. Dabei bleiben wir nicht stehen: Die BAföG-Strukturreform wird weitergehen, die Studienstarthilfe wird kommen, und auch am
Startchancen-Programm arbeiten wir unter Hochdruck. All dies wird sich auch im nächsten Bundeshaushalt niederschlagen.
In diesem Sinne: Ich freue mich, dass wir in dieser Woche einen sehr soliden Bundeshaushalt beschließen, und ich freue mich ebenso schon auf die
großen Projekte, die wir dann im nächsten Schritt mit dem Haushalt 2024 angehen werden.
({10})
Vielen Dank.
({11})
Nächste Rednerin ist Katrin Staffler für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Haushaltsberatungen haben ja gewisse Parallelen zum Nikolaus: Kommt jedes Jahr einmal, in der
Regel kurz vor Weihnachten. Es wird das eine oder andere Geschenk verteilt. Vorher muss noch die unvermeidliche Frage beantwortet werden: Und, wart ihr alle
schön brav?
({0})
Dann werden die Verfehlungen aus dem Goldenen Buch vorgelesen. Und am Schluss gibt es noch die Handlungsempfehlungen für das nächste Jahr, damit die
Bilanz dann hoffentlich besser ausfällt.
Hier ist es ganz ähnlich. Hier wird aber nicht aus dem Goldenen Buch vorgetragen und die Frage lautet nicht: „Seid ihr alle brav gewesen?“, sondern
die Frage, die wir uns stellen, lautet: „Wie hat die Regierung im vergangenen Jahr gearbeitet?“
({1})
Und ganz ehrlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, bei Ihnen würde in diesem Jahr der Nikolaus wahrscheinlich noch nicht einmal selber kommen. Er würde
bei der Arbeitsbilanz, die Sie vorlegen, lediglich den Krampus schicken.
({2})
Für die, die den Krampus nicht kennen: Das ist Knecht Ruprecht, der bei den bösen Kindern kommt.
({3})
Dabei sind Sie doch mit so vielen Vorschusslorbeeren bedacht worden, als Sie in Ihr Amt gestartet sind, Frau Ministerin. Aber – das muss man leider
auch in aller Deutlichkeit sagen – diese Erwartungen haben Sie enttäuscht. Und das ist nicht die Meinung, die allein wir hier vertreten, sondern das ist die
Rückmeldung, die wir aus der Wissenschaft und aus der Forschung bekommen.
({4})
Und was aus meiner Sicht an dieser Stelle noch viel schlimmer ist: Sie haben dadurch mittlerweile ein viel grundlegenderes Problem, nämlich fehlende
Glaubwürdigkeit in der Community.
({5})
Deswegen muss von der Debatte heute der dringende Appell ausgehen: Fangen Sie endlich an, Bildungs- und Forschungspolitik zu machen, und machen Sie
Ihre Arbeit,
({6})
statt wöchentlich irgendwelche neuen Vorhaben anzukündigen. Es wäre doch schön, wenn man mal das eine oder andere von dem, was angekündigt ist, auch
wirklich in die Tat umsetzt. Fangen Sie endlich an mit Ihrer Arbeit, damit Deutschland Innovationsland bleiben kann!
({7})
Dazu gehört auch, dass wir mehr Geld für kluge Köpfe ausgeben, statt die Verschuldung pro Kopf immer weiter zu erhöhen. Gerade jetzt, gerade in
Krisenzeiten müssen wir mehr denn je in Bildung und Forschung investieren.
({8})
Aber die Ampelkoalition erhöht lieber die Kredit- statt die Bildungsausgaben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist Ihnen eigentlich bewusst, dass die Ausgaben für Zinsen in diesem Haushalt fast doppelt so hoch sind wie die
Ausgaben, die Sie für Bildung und Forschung vorsehen?
({9})
Das ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Armutszeugnis.
({10})
Dabei sind eindeutig auch die Prioritäten falsch gesetzt. Sie setzen auf Belastungen der kommenden Generationen statt auf Entlastungen.
Sie wollen laut Koalitionsvertrag den „Grundstein für ein Jahrzehnt der Bildungschancen“ legen. Und was machen Sie stattdessen? Sie setzen den
Rotstift bei den Kleinsten an, zum Beispiel bei den Sprach-Kitas.
({11})
Ja, ich weiß, dann kommt immer das Startchancen-Programm. Was ist denn eigentlich mit dem Startchancen-Programm? Es wurde so lange angekündigt, so
lange versprochen. Bis heute: Fehlanzeige!
({12})
Oder was ist mit der groß angekündigten grundlegenden BAföG-Novelle?
({13})
Auch da: Fehlanzeige! Ja, sicher, Sie haben zwei Novellen auf den Weg gebracht. Die sind aber zu kurz gegriffen, weil die zusätzlichen Mittel heute
schon von der Inflation aufgefressen worden sind. Es ist schade um die vielen, vielen schönen Worte, mit denen Sie hier versucht haben, dieses Desaster
schönzureden.
({14})
Das heißt, Sie schaffen keine neuen Bildungschancen – weder bei den Kleinen noch bei den Großen.
({15})
Was Sie schaffen, sind neue Belastungen für die kommenden Generationen.
Und wissen Sie was? Ich habe es ehrlicherweise langsam satt – gerade kam es wieder –, dass Sie immer noch mit den Fingern auf uns zeigen. Alle diese
Themen, die ich gerade angesprochen habe, haben Sie im letzten Jahr ganz alleine verbockt.
({16})
Aber gut, was will man denn auch anderes machen, als sich an den anderen abzuarbeiten, wenn man selber in der Bilanz inhaltlich einfach völlig blank
ist?
({17})
Ein anderes Thema sind die 200 Euro an die Studenten. Darüber haben wir heute Mittag schon debattiert. Sie feiern sich dafür, dass Sie die großen
Samariter sind. Auf Drängen der Unionsfraktion haben Sie es jetzt geschafft, den Gesetzentwurf vorzulegen. Das ist aber ehrlicherweise das einzige Verdienst.
Sie haben nicht auf die Bedenken der Länder gehört, Sie haben nichts mit den Ländern abgestimmt. Jetzt werfen Sie den Ländern einen Batzen Geld hin; die
Verantwortung werfen Sie gleich noch hinterher. Und wer ist dann am Ende schuld, wenn die Auszahlung doch nicht so schnell klappt? Klar, die Länder natürlich.
Sie haben eine reine, weiße Weste. Mit seriöser Politik hat das nichts zu tun.
({18})
Wann fangen Sie an, wirklich was für die Kinder, für die Schülerinnen, für die Auszubildenden, für die Studenten, für die Forscherinnen zu tun? Wann?
Wann fangen Sie an, die Ausgaben zu priorisieren, damit die klugen Köpfe von morgen nicht leer ausgehen und die Welt dadurch ein Stück besser werden kann?
({19})
Frau Ministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel, kriegen Sie endlich die Kurve!
({20})
Machen Sie es in den nächsten Jahren besser als im letzten Jahr! Vielleicht kommt dann nächstes Jahr auch wieder der Nikolaus und nicht nur der
Krampus.
Danke.
({21})
Nächste Rednerin in dieser Debatte ist Ye-One Rhie für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe gerade die gesamte Debatte damit verbracht, zu
überlegen, wie man Sie eigentlich glücklich machen kann. Gibt man Geld aus, ist es zu viel, gibt man kein Geld aus, ist es zu wenig.
({0})
Gibt man Geld aus, ist es falsch. Ich glaube, das Ziel, Sie glücklich zu machen, sollten wir vielleicht gar nicht erst im Blick haben.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder Bundeshaushalt ist das Ergebnis einer großen Transferleistung. Es geht um politische Ideen und Ziele, die
entweder schon im Koalitionsvertrag stehen oder durch aktuelle Ereignisse notwendig werden. Damit aus diesen Ideen und Zielen konkrete Maßnahmen und Gesetze
werden, brauchen wir finanzielle Mittel. Diese Übersetzung, dieser Transfer ist Aufgabe der Haushaltsverhandlungen, und gerade in Zeiten, in denen überall
gespart werden muss, ist das keine einfache Aufgabe. Deshalb gilt mein allergrößter Dank allen Haushälter/-innen und natürlich ganz besonders meiner
Haushälterin Wiebke Esdar.
({2})
Unsere Haushälter/-innen sind aber nicht die Einzigen, die Transfer können, sondern natürlich auch unsere Hochschulen und Forschungseinrichtungen,
darunter die Hochschulen für angewandte Wissenschaften, unsere HAWen. Vor über 50 Jahren wurden die damaligen Fachhochschulen gegründet. Was zunächst nur als
Übergangslösung im Bereich der Lehre gedacht war, wurde zu einer großen Erfolgsgeschichte, und dieser Erfolg konzentriert sich schon lange nicht mehr nur auf
die Lehre. Seit über 30 Jahren gehört auch die Forschung zu den Pflichtaufgaben der HAWen, Forschung mit einem klaren Fokus auf Transfer, also darauf, einen
Beitrag zur Innovationsfähigkeit der Gesellschaft und der Wirtschaft zu leisten.
Wichtig für diesen Erfolg waren und sind die Studierenden: Studierende aus Arbeiterfamilien, aus Akademikerfamilien, Studierende, die gerade aus der
Schule kommen oder erst nach einer Ausbildung oder einigen Jahren im Arbeitsleben ein Studium anfangen. Diese Vielfalt an Erfahrungen und Perspektiven schafft
Lebenswege, die sonst vielleicht nicht möglich wären, zum Beispiel die Elektrikerin, die nach ihrer Ausbildung Elektrotechnik studiert. Vielleicht ist sie es,
die nach ihrem Studium ein Assistenzsystem für Rollatoren entwickelt, das den Nutzer/-innen Hindernisse anzeigt
({3})
und bei Stürzen einen Hilferuf sendet – ein Forschungsprojekt der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes.
Oder denken Sie an den Altenpfleger, der nach einigen Jahren im Beruf Pflegewissenschaft studiert. Vielleicht ist er es, der erforscht, wie digitale
Medien in der Biografie und in der Erinnerungsarbeit mit Seniorinnen und Senioren eingesetzt werden können – ein Forschungsprojekt von Hochschulen in Mainz und
Regensburg.
({4})
Die HAWen sind unverzichtbar geworden. Gemeinsam mit den Universitäten sind sie das Herz und das Rückgrat unseres Wissenschaftssystems, und deshalb
wollen wir sie und den Fortschritt, den sie gestalten, stärken. Trotz der besonders herausfordernden Umstände bei diesem Haushalt ist uns das gelungen.
Natürlich hätten wir gerne noch mehr Geld für die HAWen in die Hand genommen. Das geht vermutlich allen Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus so,
gerade wenn sie dieses Jahr auf ihre Berichterstattungen blicken. Und trotzdem ist es ein wichtiges und ein deutliches Zeichen, dass wir trotz allem im nächsten
Jahr 67 Millionen Euro für Forschung an Fachhochschulen zur Verfügung stellen.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kolleginnen, natürlich kann ich nicht über den Haushalt und die HAWen sprechen, ohne die DATI, die Deutsche Agentur für Transfer
und Innovation, zu erwähnen. Wir wollen, dass die DATI für „Innovation made in Germany“ und dafür steht, die Innovationen, die bereits in den Köpfen, Laboren
und Büros unserer Wissenschaftler/-innen stecken und nur auf ihre Umsetzung warten, aus der Theorie in die Praxis zu bringen.
({6})
Wie groß das Interesse an der DATI und daran ist, an ihrer Gestaltung mitzuwirken, haben wir als SPD-Fraktion in vielen großen und kleinen Gesprächen
in den vergangenen Monaten erfahren. Dieses Interesse zeigt einmal mehr, dass wir die DATI brauchen und dass es eine Lücke in der bisherigen Forschungsförderung
gibt, eine Lücke beim Transfer von anwendungsorientierter Forschung, eine Lücke, die die HAWen schließen können und werden.
Deshalb ist für uns klar: Wir wollen, dass die HAWen bei der DATI im Lead sind und den geförderten Projekten ganz deutlich ihren Stempel
aufdrücken.
({7})
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Darauf, die DATI auf dieser Grundlage weiter aufzubauen und zu gestalten, freue ich mich genauso wie auf die Zusammenarbeit mit Ihnen, liebe
Ministerin, und mit beiden Staatssekretären Brandenburg.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort erhält für die AfD-Fraktion Dr. Marc Jongen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kanzler Scholz hat gestern von diesem Pult aus verkündet: Deutschland soll bis 2030 80 Prozent seiner
Energie aus Wind, Sonne und Wasserstoff produzieren.
({0})
Bis zum Jahr 2045 soll Deutschland klimaneutral werden.
({1})
Hätten wir einen offenen und freien wissenschaftlichen Diskurs in diesem Land, dann hätten spätestens heute 100 renommierte Forscher öffentlich Alarm
schlagen müssen; denn dies ist ein Wirtschaftsvernichtungsprogramm auf Kollisionskurs mit der physikalischen Realität.
({2})
In dieser Zeit multipler und komplexer Krisen wäre eine unabhängige Wissenschaft wichtiger denn je. Was haben wir stattdessen? Immer öfter eine
instrumentalisierte Wissenschaft, die eine durch und durch ideologische Politik mit dem Glorienschein des Objektiven und Alternativlosen ausstatten soll.
Schuld an dieser schleichenden Korruption von Wissenschaft und Forschung sind zum Beispiel Haushaltstitel wie der folgende: „Energietechnologien und
effiziente Energienutzung, Grüner Wasserstoff – Forschungs- und Entwicklungsvorhaben“, über 217 Millionen Euro. Das Problem: Hier soll nicht mehr ergebnisoffen
geforscht werden, sondern dass der durchaus problematische Wasserstoff die Lösung ist, das steht von vornherein fest. Wer anderes behauptet, wird eben nicht
mehr gefördert. So funktioniert Disziplinierung.
({3})
Forscher, die den fragwürdigen Modellen des UN-Weltklimarates IPCC widersprochen haben, wie Professor Fritz Vahrenholt und andere, wurden als
„Klimaleugner“ diffamiert und gecancelt. Ein Forschungsprogramm über den Einfluss natürlicher Klimafaktoren ist in Deutschland sowieso nicht existent.
({4})
Mediziner und Wissenschaftler, die das offizielle Coronanarrativ infrage stellten, wurden strafversetzt, aus dem Ethikrat geworfen, die Lehrerlaubnis
wurde ihnen entzogen.
({5})
Unzählige Impfschäden und ruinierte Betriebe hätten vermieden werden können, wenn man auf sie gehört hätte, meine Damen und Herren.
({6})
Bis jetzt scheint es keinerlei Lerneffekt der herrschenden Politik aus diesen Desastern zu geben. Im Gegenteil: Die Wissenschaft wird durch gezielte
Abhängigkeiten und ein repressives Meinungsklima an den Unis weiter auf Linie gebracht. Genderideologen und Postkolonialisten, die massiven Gesinnungsterror
ausüben,
({7})
erfreuen sich weiter Ihrer ungebremsten Förderung.
({8})
Über die Förderlinie „Wissenschaftskommunikation“ – 26 Millionen Euro in diesem Haushalt – soll die Wissenschaft der herrschenden Politik jetzt noch
wirksamer öffentliche Schützenhilfe leisten. Werte Kollegen, Sie können vielleicht kurzfristig Erfolge erzielen, indem Sie sich mit dem Renommee der
Wissenschaft schmücken. Aber wenn die Wissenschaft auf diese Art ihre Unabhängigkeit verliert, dann wird Klimaforschung zu Klimareligion, dann wird
Coronaforschung zum Coronakult, und das Vertrauen in die Wissenschaft ist dahin.
({9})
Wir lehnen diese Entwicklung und daher auch diesen Haushalt ab.
Vielen Dank.
({10})
Nächster Redner in dieser Debatte ist Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich erst mal für die großartigen Haushaltsberatungen im Fachausschuss für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung bedanken; danke an unsere Haushälterinnen und Haushälter und danke an das BMBF für diesen hervorragenden Etat für
2023!
({0})
Was sind das für Zeiten, in denen wir gerade leben? Multiple Krisen sind der neue Normalzustand. Damit finden wir uns nicht ab, sondern wir empowern
unser Bildungs- und Forschungssystem, um Krisen akut und langfristig bewältigen zu können. Darum stärken wir zum Beispiel die Klimaforschung, und wir stärken
Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, indem wir sie unter den Schutzschirm stellen; die Energiepreisbremse wirkt. Diese Regierungskoalition
kann Krise,
({1})
das ist offenkundig, und Forschung hilft, sie zu lösen.
Heute genau vor neun Monaten hat Putin die Ukraine angegriffen. Die russische Armee bringt tagtäglich Leid über die Zivilgesellschaft. Darum
integrieren wir tagtäglich ukrainische Geflüchtete in unsere Ausbildungssysteme und in unsere Berufswelt. Das ist wichtig, auch zur Fachkräftesicherung. Und
darum stärken wir die Friedens- und Konfliktforschung: in Bielefeld, in Frankfurt, die naturwissenschaftliche. Denn Friedens- und Konfliktforschung trägt zur
Konflikt- und Gewaltprävention und zur Wahrung von Frieden auf der Welt bei. Es braucht mehr Krisenvorsorge, und das kann Forschung leisten.
({2})
„Frauen, Leben, Freiheit“ – im Iran sind gerade die Universitäten und die Schulen zentrale Orte des Protests, des Freiheitskampfes der jungen
Generation. Darum ist der Einsatz für Wissenschaftsfreiheit und für globale Bildungsgerechtigkeit weiter ein elementarer Bestandteil deutscher Außenpolitik.
({3})
Deshalb ist es ein wichtiger Erfolg, dass wir die Auswärtige Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik um 52,5 Millionen Euro stärken
({4})
und damit den Koalitionsvertrag buchstabengetreu erfüllen: 3-prozentige Aufwüchse für DAAD und AvH und Stärkung der Goethe-Institute.
({5})
Das ist ein großer Schritt, der unterstreicht: Das Parlament wirkt, die Ampel auch.
({6})
3 Prozent Aufwuchs, das ist super; denn das unterstreicht, wie wichtig uns die Internationalisierung unserer Hochschullandschaft ist, wie wichtig
Science Diplomacy ist und wie wichtig es ist, dass wir ein weltoffenes Innovationsland bleiben, das sich mit Wertepartnern weltweit unterhakt.
({7})
– Danke für das Stichwort. Unsere Hochschulen sind ein Herzstück des Wissenschaftssystems. Ich glaube, ich bin Ihnen zehn Jahre auf den Wecker
gegangen, in denen ich die Dynamisierung der Mittel für den Hochschulpakt um 3 Prozent gefordert habe. Jetzt ist es beschlossene Sache. Die Hochschulen in
Deutschland bekommen während der Laufzeit des Zukunftsvertrags „Studium und Lehre stärken“ über eine halbe Milliarde Euro mehr von Bund und Ländern. Danke an
die GWK,
({8})
danke für die bewährte Bund-Länder-Zusammenarbeit! Es ist es großartig, dass wir unsere Hochschulen damit stärken; das ist ein großer Schritt.
({9})
Ich finde, das war jetzt ein guter Schlusssatz.
Insgesamt möchte ich als Schlusssatz formulieren, dass dieser Einzelplan 30 uns zu einem Allzeithoch bringt.
Herr Kollege.
Das parlamentarische Verfahren hat hier richtig viel rausgeholt; danke dafür.
({0})
Es folgt Thomas Jarzombek für die CDU/CSU.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin, knapp zwölf Monate sind Sie jetzt Bundesministerin. Ich glaube, heute ist
ein guter Zeitpunkt, mal darüber zu reden, was in diesen zwölf Monaten erreicht worden ist.
({0})
Fangen wir doch mal an: Sie sind nicht allein, Sie haben ein tolles Team übernommen, ein tolles Haus. Sie haben im Bundesministerium für Bildung und
Forschung ein Team von 1 400 intelligenten, fleißigen, engagierten Menschen
({1})
– sehr gut, der Applaus –, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich bewusst entschieden haben, etwas zu tun für unser Land, die etwas machen wollen,
was Sinn ergibt, was Impact hat, 1 400 Leute, die jeden Morgen aufstehen und eine Idee davon haben, Deutschland besser zu machen, Bildung besser zu machen,
Forschung besser zu machen. Die Frage ist: Wie nutzen Sie dieses Team, diese 1 400 Leute, um Deutschland zu verändern?
Kommen wir mal zu den Punkten, die Sie hier zu Beginn immer wieder nach vorne gestellt haben. Der erste Punkt ist relativ einfach: das BAföG. Wir
haben immer von der großen Novelle des elternunabhängigen BAföG gehört. Die große Novelle, sie ist noch nicht da. Es gibt eine kleine Novelle. Die kleine
Novelle ist sehr klein, sie ist kleiner als das, was wir 2019 gemacht haben. Die Bedarfssätze sind geringer, der Wohnkostenzuschuss ist geringer.
({2})
In diesen Tagen wird auch klar: Die Erhöhung ist geringer als die Inflationsrate und insbesondere nur halb so hoch wie die Erhöhung der Sätze des
ALG II.
({3})
Punkt zwei. Sie haben das Thema Transfer nach vorne gestellt. Das Thema Transfer wurde immer verknüpft mit der DATI, der Deutschen Agentur für
Transfer und Innovation. Wir haben heute sehr eindrucksvoll gehört, dass auch nach zwölf Monaten
({4})
die Haushälter Ihrer Koalition gesagt haben: Die Mittel sind im Wesentlichen gesperrt.
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Ich glaube, bis zu einem Rechtsgutachten.
Das ist, was Sie nach zwölf Monaten erreicht haben: nichts.
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Sie haben darüber einen Staatssekretär verloren.
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Sie haben am Ende insbesondere eine große Lücke; die große Lücke besteht darin, dass das Wissen, das in den AUFs, in den TU9 und in vielen anderen
exzellenten Teams vorhanden ist, nicht genutzt und auch nicht adressiert wird, sondern lediglich eine andere Lücke, nämlich das Thema „Mittelstand und
Fachhochschulen“.
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Sie haben zum Dritten gesagt, Sie wollen mehr Chancen für Kinder in schwierigen Umfeldern, durch das Startchancen-Programm. Die nüchterne Planung: Das
Startchancen-Programm soll im dritten Quartal 2024 kommen. Sie wissen ganz genau, wie das in der Schule funktioniert – ich kenne eine Menge gute
Schulprogramme –: Im ersten Jahr wird man überlegen müssen, ob man Räume umbaut, man wird Personal suchen, man wird vor Ort ein Konzept machen. Das heißt, in
dieser Legislaturperiode ist das Thema tot; Sie haben es nicht geschafft.
Sie haben insbesondere eine falsche Zielgröße. Wir haben gerade vom ifo-Institut gelernt: 23,8 Prozent aller Kinder schaffen nicht die
Basiskompetenzen. Das ist ein Riesenproblem. Ich finde, darüber sollten wir hier mal diskutieren; das würde mir mehr Spaß machen als eine Diskussion zur
naturwissenschaftlichen Friedensforschung.
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23,8 Prozent! Sie adressieren aber nur 10 Prozent und dann auch noch der Schulen und nicht der Schülerinnen und Schüler. Das heißt, von der Zielgruppe
erreichen Sie noch viel weniger.
Das sind Ihre drei zentralen Vorhaben. Sie haben es in den ersten zwölf Monaten nicht geschafft, die Dinge aufzugleisen.
({10})
Es ist doch ganz klar – ich glaube, das weiß jeder in diesem Haus, der schon länger Politik macht –: Was Sie in den ersten ein, zwei Jahren nicht
schaffen, auf die Schiene zu setzen, das werden Sie am Ende kaum noch zum Leben erwecken.
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Jetzt reden wir mal über das Thema Haushalt. Ich will noch etwas zur aktuellen Debatte sagen. Wir haben hier jetzt fast anderthalb Stunden Debatte
gehabt. In diesen anderthalb Stunden habe ich keinen einzigen Redner gehört, der gesagt hat: Unser größtes Problem ist gerade die Energiekrise
({12})
und die Klimakrise. Diese beiden Themen müssen wir jetzt mit einer völlig neuen Priorität in Angriff nehmen. Wir müssen doch auch Technologie gegen
diese Krise setzen.
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Frau Ministerin, in den 300 Milliarden Euro, die diese Koalition aufwendet, um Menschen Geld zu geben, um Fracking-Gas aus Amerika zu holen und was
weiß ich noch alles, in diesen 300 Milliarden Euro ist nicht ein Eurocent für technologische Lösungen.
({14})
Das ist die Größe, um die es hier geht.
Sie wissen doch, was es alles in den Laboren gibt. Ein Beispiel: Bei Fraunhofer gibt es Solarzellen, die können dreimal so viel Energie abliefern wie
die heute üblichen; die sind de facto fertig. Sie haben kein Programm gemacht, diese Solarzellen in die Fabrik zu bringen und auf die Dächer. Jeden Tag wird
veraltete Technik auf unseren Dächern installiert, weil Sie kein Programm dafür haben, das zu beschleunigen.
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Sie haben mit Ihren Kürzungen viel Unsicherheit erzeugt. Sie haben dafür gesorgt, dass man sich nicht mehr auf mündliche Zusagen verlassen kann.
Gerade im Kontext des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes ist das etwas, was an vielen Hochschulen dazu führt, dass Arbeitsverträge jetzt anders angeguckt
werden.
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Sie haben angefangen, beim DAAD und beim Goethe-Institut zu kürzen; zum Glück haben Sie es wiedergutgemacht. Die Sprach-Kitas sind weg. Die Mittel für
das Forschen an den HAWs wurden reduziert. „Aufholen nach Corona“, 2 Milliarden Euro, ist verschwunden. Für das ZSL haben Sie ab 2024 kein frisches Geld; das
haben wir gerade gestern schriftlich von Ihrem Haus bekommen. Das ist keine Bilanz, mit der Sie sich hier blicken lassen können.
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Sie haben 1 400 tolle, motivierte Menschen. Nutzen Sie diese! Machen Sie was aus Ihrer Amtszeit! Arbeiten Sie sich nicht an der Opposition ab!
Arbeiten Sie mit Ihrem Team an den Problemen! Schaffen Sie was für Wissenschaft, Forschung und Bildung in diesem Land!
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Nächster Redner ist Dr. Holger Becker für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin! Wir haben in der laufenden Debatte ja schon mehrfach gehört,
wie erfreulich es ist, dass der Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung trotz angespannter Haushaltslage in diesem Jahr eine Steigerung
erfahren hat. Das ist eine gute Sache; aber es gibt keinen Grund, sich darauf auszuruhen.
Die Aufgaben, die wir im Bereich Forschung in den kommenden Jahren und Jahrzehnten vor uns haben, sind mannigfaltig. Dazu ist immer wieder zu betonen:
Forschung birgt den Schlüssel zur Lösung der drängenden Probleme der Menschheit, und sie verdient daher eine stärkere Bedeutung auch in der politischen
Arena.
({0})
Leibniz-Gemeinschaft, Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Max-Planck-Gesellschaft, die Deutsche Forschungsgemeinschaft – bei allen am
Pakt für Forschung und Innovation beteiligten Organisationen haben wir trotz der derzeitigen Lage Mittelaufstockungen, wie versprochen, eingeplant und auch
darüber hinaus – zur Friedensforschung und Endometriose-Forschung muss ich einwerfen, liebe Nina Stahr, dass die Erhöhung auf Initiative der SPD-Fraktion
kam –
({1})
bei der Max Weber Stiftung. Sie alle können einen finanziellen Zuwachs aufweisen. Auch der Schutzschirm für Schulen, Hochschulen und
Forschungseinrichtungen, sowohl was die Versorgung als auch die Bewältigung der gestiegenen Preise betrifft, zeigt: Für die Forschung in Deutschland gilt:
„You’ll never walk alone“.
({2})
Den Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern der großen deutschen Forschungseinrichtungen an dieser Stelle herzlichen Dank für den fruchtbaren
Austausch, insbesondere in den letzten Wochen, und die vertrauensvolle Zusammenarbeit bei diesem Thema!
Meine Damen und Herren, es sind gute und wichtige Signale in Richtung Forschung, dass es uns in dieser haushalterisch angespannten Zeit trotzdem
gelingt, das große Ganze im Blick zu behalten. Insbesondere seien an dieser Stelle – es wurde schon mehrfach erwähnt – die gut 130 Millionen Euro für die
GRACE-Mission erwähnt,
({3})
die übrigens zusammen mit der NASA stattfindet. Es sei an der Stelle wirklich noch mal betont: Das ist eine internationale Mission.
({4})
GRACE steht übrigens für „Gravity Recovery And Climate Experiment“. So viel zum Thema „technische Lösungen für Klimaforschung“.
({5})
Diese Mission liefert auf der einen Seite seit 20 Jahren wertvolle Forschungsdaten im Kampf gegen den Klimawandel. Zum anderen – auch das möchte ich
an der Stelle betonen – resultieren hieraus Aufträge aus den USA für die deutsche Raumfahrtindustrie, für deutsche Raumfahrt-KMUs, und zwar in vergleichbarer
Höhe.
({6})
Wir haben zudem nicht nur die Großprojekte im Blick, sondern auch über die zusätzlichen 250 000 Euro für die Leopoldina, die aus der
Bereinigungssitzung stammen, freue ich mich an der Stelle tatsächlich sehr.
({7})
Meine Damen und Herren, wir sind uns sicherlich in zwei Punkten absolut einig. Zum einen: Spitzenforschung gibt es nicht zum Nulltarif. Zum anderen:
Die herausfordernde Haushaltslage ist kein einmaliges Ereignis. Sie wird uns in der nächsten Zukunft weiter begleiten. Lassen Sie uns schauen, dass wir in den
kommenden Jahren das Geld im Haushalt des BMBF weiterhin klug und mit Bedacht ausgeben. Dafür ist eine Neufassung der Roadmap für die nationale
Forschungsinfrastruktur unbedingt notwendig. Diese wollen wir angehen, um Forscherinnen und Forschern aus Deutschland und in aller Welt Planungssicherheit zu
geben und unserer Verantwortung gegenüber der Forschungscommunity gerecht zu werden.
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Eins aber dürfen wir dabei nicht aus den Augen verlieren: Mut, der gehört nämlich auch immer dazu. Gerade bei den im Koalitionsvertrag vereinbarten
Forschungsmissionen und deren Ausgestaltung wird es in den kommenden Monaten darum gehen, unser Themenprofil in der Wissenschaft zu schärfen. Hier wird es dann
auch wieder auf Mut ankommen – Mut zu Forschung auch mit langfristigen Zielen, Mut zu erheblichen Investitionen und – last, but not least – Mut zu durchaus auch
unbequemen Entscheidungen.
Die geopolitische Gemengelage ist im Wandel. Das hat auch Auswirkungen auf den Forschungsbereich. Mit Blick auf die kommenden Jahre müssen wir uns
Gedanken machen, in welchen Kooperationen, Partnerschaften und Verbünden wir in Zukunft Forschung und Entwicklung durchführen möchten. Es wird darauf ankommen,
sich mit anderen like-minded Nations zusammenzutun. Auch hier steht unser Land im kommenden Jahrzehnt vor weitgreifenden Entscheidungen. Wissenschaft und
Forschung ist eins der Schlüsselfelder für unseren materiellen und gesellschaftlichen Wohlstand im 21. Jahrhundert. Dieser Verantwortung sind wir uns bewusst
und handeln entsprechend.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort erhält Dr. Anna Christmann für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute hier über mehr Geld für Forschung und Wissenschaft; das ist erst
mal sehr gut. Es kommt aber auch darauf an, wie das Geld an die Wissenschaft, an die Forschung, an die Innovationslandschaft fließt. Dafür nehmen wir uns viel
vor. Mit der DATI, der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation, wollen wir neue Wege schaffen, um verschiedene Akteure, verschiedene Sektoren und die
Innovationskraft aus verschiedenen Perspektiven zusammenbringen. Die Hochschulen für angewandte Wissenschaften, Start-ups, soziale Innovationen, Kommunen,
natürlich auch KMU – all diese verschiedenen Akteure bringen sehr viel ein für Innovation.
Es braucht ein neues Instrument, um diese Innovationskraft zu erhöhen, zu verbessern, und das soll die DATI sein.
({0})
Wir nehmen uns jetzt die Zeit – dafür wird auch im Haushalt die nötige Grundlage geschaffen –, um den DATI-log, einen ausführlichen Dialog mit der
Innovationscommunity, zu führen. Das ist genau die richtige Art und Weise, wie man eine solche neue Institution aufsetzt, zusammen mit der
Wissenschaftscommunity, um dann auch zu sehen: Was sind die besten Instrumente, es umzusetzen?
Ich will mal im Vergleich sagen – weil jetzt alle sagen, na ja, das sei alles so langsam –: Die Agentur für Sprunginnovationen in der letzten
Wahlperiode ist auch nicht zwölf Monate nach der Wahl schon an den Start gegangen; das hat auch eine Weile länger gedauert. Es ist gut, dass wir jetzt die
SprinD haben. Aber wir müssen uns natürlich auch daranmachen, sie jetzt tatsächlich zu entfesseln. Da haben wir jetzt noch eine Aufgabe zu erledigen, die wir
uns in dieser Koalition gemeinsam vorgenommen haben. Die Voraussetzungen müssen geschaffen werden, dass die SprinD die Mittel, die sie hat, tatsächlich so
ausgeben kann, dass sie disruptiven Innovationen auch wirklich einen Schub gibt.
({1})
Innovationen gerade in diesen Zeiten heißt Investitionen auch in Zukunftsprojekte. Gerade, wo wir uns viele Gedanken darüber machen, wie wir jetzt
durch den Winter kommen, wo diese Regierung viel auf den Weg bringt, um die akute Krisenbewältigung zu stemmen, machen wir uns aber genauso auf den Weg, auch in
das zu investieren, was für die Zukunft, was für die Entwicklung der nächsten Jahrzehnte die Grundlage für ein zukunftsfähiges Deutschland, ein zukunftsfähiges
Europa ist. Und ja, dazu gehören auch neue Technologien im Bereich der Raumfahrt.
Es ist schon benannt worden: Wir finanzieren das Nachfolgeprojekt von GRACE,
({2})
einer wichtigen Satellitenmission zum Messen des Klimawandels, die wir gemeinsam mit den Amerikanern durchführen. Gerade wenn man den Klimareport
durchblättert, merkt man, dass dort sehr häufig auf Satellitendaten zurückgegriffen wird. Es ist wichtig, dass gerade solche Daten ohne Lücken zur Verfügung
stehen. Dafür schaffen wir, BMBF und BMWK, in diesem Haushalt gemeinsam die Grundlage. Das ist sehr gut. Wir sind der Zukunft verpflichtet und bringen die
nötigen Investitionen auf den Weg.
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Letzte Rednerin in dieser Debatte: Jessica Rosenthal für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Es ist in dieser Debatte sehr deutlich geworden – ich
glaube, es steht außer Frage –, dass wir in kriegs- und krisengebeutelten Zeiten leben. Das trifft wieder einmal vor allem junge Menschen; das ist in der in den
letzten Tagen veröffentlichten Studie „Jugend in Deutschland“ sehr deutlich geworden. Über 70 Prozent der jungen Menschen haben Angst vor der Inflation, über
60 Prozent haben Angst vor Krieg in Europa, und ein Viertel gibt unumwunden zu, dass die eigene psychische Gesundheit in keiner guten Verfassung ist. Denn ja,
es ist die gleiche Generation, die vieles mit Distanz und viel Onlinelernen meistern musste.
Ich persönlich werde Alvina nicht vergessen, die ich auf der Sommertour in Bonn getroffen habe und die mir sehr eindrücklich erläutert hat, wie es für
sie war, in Distanz zu ihren Mitschülern zu sein, wie es sie geschlaucht hat, wie sehr es ihr den Boden unter den Füßen weggezogen hat, nach der Schule
plötzlich ohne Plan dazustehen, und dass sie dann eine lange Zeit gar nicht wusste, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte.
({0})
Daher muss sich dieser Bundeshaushalt, ganz besonders der Bildungshaushalt, daran messen lassen, ob wir alles in unserer Macht Stehende tun, um junge
Menschen vor den Auswirkungen der Krise zu schützen,
({1})
ob alles dafür getan wird, ihnen trotz dieser schwierigen Bedingungen die Berufslaufbahn, Studium oder Ausbildung, zu ermöglichen, die sie für ein
gutes und selbstbestimmtes Leben brauchen und sich wünschen.
Deshalb ist es gut, dass wir in diesem Haushalt den Weg für die 200 Euro direkte Unterstützung für Studierende und Fachschüler/-innen freigemacht
haben; denn so federn wir die Kostensteigerungen für Betroffene direkt ab.
({2})
Deshalb ist es auch gut und wichtig, dass wir Gas- und Strompreisbremsen mit diesem Haushalt finanzieren, und die gelten ganz besonders für
Bildungseinrichtungen.
Ich sage deutlich: Es gibt keine Entschuldigungen mehr, von niemandem von uns, weder vom Bund noch von den Ländern noch von anderen Ebenen: Bildung
muss an erster Stelle stehen, und das darf kein Lippenbekenntnis sein.
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Gerade den vielen Studierenden will ich deutlich sagen: Die Zeiten von Onlinelehre und geschlossenen Bibliotheken sind ein für alle Mal vorbei.
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Bildungseinrichtungen und damit alle Hochschulen und Lernorte müssen im gesamten Land offen bleiben.
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Es darf keine Antwort auf die Energiekrise sein, dass Studierende und junge Menschen wieder ihre Lernorte verlieren: Keine geschlossenen Hochschulen!
Keine verkürzten Öffnungszeiten von Bibliotheken!
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Angesicht der Erfahrungen von jungen Menschen geht es jetzt nicht nur um die Frage, inwiefern wir diese Krise bewältigen. Mit Blick auf die
strukturellen Herausforderungen müssen wir auch dafür sorgen, dass die strukturellen Maßnahmen entsprechend finanziert werden. Das haben wir uns gerade im
Bereich der beruflichen Bildung vorgenommen: mit der Exzellenzinitiative Berufliche Bildung, aber eben auch mit der Ausbildungsplatzgarantie.
Dass junge Menschen die Schule verlassen, ohne für sich selbst zu wissen, was ihre beruflichen Vorstellungen sind, ist – das will ich sehr deutlich
sagen – kein individuelles Problem von jungen Menschen. Es ist ein systemisches Problem. Deshalb müssen wir gerade jetzt, wo der Fachkräftemangel in aller Munde
ist, eine gemeinsame Kraftanstrengung bewältigen und junge Menschen befähigen, sich beruflich zu orientieren.
Eine Berufsorientierung darf dann aber nicht in unübersichtlichen Einzelmaßnahmen versanden, sondern muss mit gemeinsamen Standards und praxisnah aus
der Sicht von jungen Menschen konzipiert werden. Ich wünsche mir, dass wir diesen Fokus ganz explizit auch mit der Exzellenzinitiative aufgreifen, für die
20 Millionen Euro für die nächsten Jahre vorgesehen sind.
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Ich möchte, dass junge Menschen gerade die Vielfältigkeit des dualen Ausbildungssystems unabhängig von der eigenen familiären Prägung kennenlernen und
sich selbst durch eine mit der Ausbildung verzahnten Weiterbildungsberatung die vielfältigen Karrierechancen öffnen können.
Doch nicht nur die Berufsorientierung braucht es, damit wir endlich besser darin werden, dass Menschen den beruflichen Weg wählen, den sie möchten. Es
geht auch um eine systemische Antwort, die wir mit der Ausbildungsplatzgarantie geben. Gerade wenn junge Menschen nach der Schule nicht wissen, wie sie
weitermachen sollen, dann brauchen sie Ansprechstrukturen; mit den Jugendberufsagenturen, die wir flächendeckend ausbauen, leisten wir das. Das ist auch Teil
der Garantie. Wir strukturieren das Übergangssystem, damit junge Menschen so schnell wie möglich zu einer Ausbildung und zu einem Abschluss kommen. Genau das
brauchen wir.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.
Ich freue mich – um das mit Ihrer Erlaubnis noch zuletzt zu sagen –, dass wir eine Kultur der zweiten Chancen stärken, indem wir 2 Millionen Euro
zusätzlich in die Alphabetisierungskurse der Volkshochschulen stecken.
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Das ist wichtig und notwendig. In diesem Sinne sollten wir weitermachen.
Vielen Dank.
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