Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/23/2022

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am morgigen Tag dauert der Krieg in der Ukraine nun schon neun lange Monate. Wir alle begleiten dieses Land, seine Menschen und vor allem die Soldaten des Landes mit großer Anteilnahme und Sympathie, ja, mit großer Bewunderung dafür, wie sie diesem brutalen russischen Angriffskrieg immer noch standhalten. ({0}) Wir haben hier im Haus über diesen Krieg sehr oft gesprochen. Wir waren uns in der Bewertung dieses Krieges als eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges sehr weitgehend einig. Und ich hoffe, wir verurteilen heute gemeinsam auf das Schärfste die Ausweitung dieses Krieges in den letzten Tagen, der sich nun fast ausschließlich nur noch gegen die Zivilbevölkerung richtet. Das sind Kriegsverbrechen der schlimmsten Art, für die sich Putin und sein Regime irgendwann vor der Weltgemeinschaft verantworten müssen. ({1}) – Aufschlussreich, zu sehen, dass sich auf der ganz linken ({2}) und auf der ganz rechten Seite dieses Hauses keine Hand rührt bei diesem Satz. ({3}) – Bei Ihnen einer, ja. ({4}) Meine Damen und Herren, dieser Krieg ({5}) hat Folgen für ganz Europa und damit auch für unser Land. ({6}) Seit dem Beginn des Krieges ({7}) diskutieren wir die Notwendigkeit einer wirkungsvollen Verteidigung unseres Landes ({8}) und des NATO-Bündnisses noch einmal ganz neu. Jedenfalls hat sich bei vielen früheren Kritikern und Gegnern von bewaffneten Streitkräften mittlerweile die Einsicht durchgesetzt, dass der Schutz von Frieden und Freiheit, dass der territoriale Schutz eines Landes offenbar doch bewaffnete Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeiten erfordert. ({9}) Sie, Herr Bundeskanzler, haben diese Erkenntnis versucht umzusetzen mit Ihrem Vorschlag eines Sondervermögens für die Bundeswehr und der Zusage – ich zitiere wörtlich –, ab sofort „mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts“ unseres Landes in die Verteidigung zu investieren. Wir haben Ihrem Vorschlag einer Grundgesetzänderung zugestimmt und bei dieser Gelegenheit mit Ihnen und Ihrer Regierung eine ganze Reihe von Vereinbarungen getroffen. So sollte unter anderem ein Parlamentarisches Gremium zum „Sondervermögen Bundeswehr“ eingerichtet werden, in dem laufend über die Beschaffungsvorhaben für die Bundeswehr beraten und berichtet wird. In der bisher einzigen Sitzung dieses Gremiums, die vor wenigen Tagen erst stattgefunden hat, hat sich Ihre Koalition geweigert, den Wirtschaftsplan für die Beschaffungsvorhaben vorzulegen. Die nächste Sitzung ist jetzt geplant für den 23. Februar des nächsten Jahres. ({10}) Meine Damen und Herren, wir wissen aus den Haushaltsberatungen nun auch, warum Sie diese verabredete parlamentarische Zusammenarbeit verweigern. Entgegen Ihrer Zusage steigt der Verteidigungshaushalt nämlich nicht etwa auf die verabredeten 2 Prozent – noch einmal zur Erinnerung: Sie haben gesagt: „mehr als 2 Prozent“ –; er sinkt im nächsten Jahr um fast 300 Millionen Euro. Herr Bundeskanzler, ich kann es nicht anders sagen: Das ist ein grober Wortbruch gegenüber dem Parlament und vor allem gegenüber der Bundeswehr. ({11}) Zu dem Sondervermögen, das ja nichts anderes ist als 100 Milliarden Euro neue Schulden, das wir im Frühjahr unter großem Zeitdruck, ({12}) den Sie gesetzt haben, weil angeblich Beschaffungsvorhaben nicht warten dürfen, verabschiedet haben, müssen wir heute feststellen: Es ist bis zum heutigen Tag nicht ein einziger neuer Auftrag erteilt und nicht eine einzige Ausschreibung veröffentlicht worden. ({13}) Meine Damen und Herren, ein solcher Umgang mit Ihren eigenen Zusagen, Herr Bundeskanzler, und der Umgang mit unseren Partnern in der NATO und in der Europäischen Union löst zu Recht Befremden und erhebliches Misstrauen aus. ({14}) Seit Sommer dieses Jahres sehen wir nun eine erhebliche Verknappung bei der Energieversorgung unseres Landes, und mit dieser Verknappung sind drastische Preiserhöhungen verbunden. Wenn die deutsche Regierung darauf rechtzeitig, konsequent und vor allem mit den richtigen Instrumenten reagiert hätte, ({15}) dann wären die Preise immer noch deutlich höher als vor dem Krieg. ({16}) Aber dann wäre es nicht zu solchen Preisausschlägen gekommen, wie wir sie seit einigen Monaten sehen. ({17}) Ich will das begründen: Einer solchen Energieverknappung begegnet man am besten – – ({18}) – Also wenn Sie schon marktwirtschaftliche Grundsätze nicht mehr ertragen, ({19}) dann haben Sie offensichtlich ein größeres Problem mit der Bewältigung dieser Krise als bisher von uns angenommen. ({20}) Meine Damen und Herren, das, was wir hier erleben in diesem Jahr, ist wirtschaftlich ein klassischer Angebotsschock, ({21}) und einem solchen Angebotsschock begegnet man am besten und am ehesten mit einer drastischen Ausweitung des Angebotes. ({22}) Das ist Ihnen sogar in Teilen gelungen. Das ist Ihnen beim Gas zu erheblich überhöhten Preisen gelungen. Die Gasspeicher sind gefüllt. Und für diesen Winter können wir annehmen – immer noch unter der Annahme und der Hoffnung, dass der Winter möglichst nicht zu kalt werden möge –, ({23}) dass das auch tatsächlich ausreicht. Für den nächsten Winter ist alles offen, sind alle Fragen offen. Beim Strom, meine Damen und Herren, haben Sie nicht nur die falschen Sachverhalte zugrunde gelegt – Sie haben sich ja ausschließlich auf die sogenannte Netzstabilität konzentriert –, sondern Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, haben mit Ihrem zweifachen Stresstest, ({24}) mit dem, was Sie hier an Zahlen vorgelegt haben, auch die deutsche Öffentlichkeit und damit auch dieses Parlament – ich kann es erneut nicht anders sagen – vorsätzlich und bewusst getäuscht. ({25}) Denn wie wir heute wissen, Herr Habeck, standen die gewünschten Ergebnisse in der Leitung Ihres Hauses längst fest, bevor Ihnen die Fachleute das genaue Gegenteil aufgeschrieben haben. ({26}) Zu diesen Fachleuten haben auch Mitglieder der Reaktor-Sicherheitskommission gehört, die ihrem Unmut über den Umgang mit ihnen auch öffentlich sehr klar und deutlich Luft gemacht haben. Sie, Herr Habeck, und die ganze Bundesregierung haben zu Beginn Ihrer Regierungszeit einen anderen Stil, einen anderen Umgang, ein neues Miteinander von Politik und Fachexpertise zugesagt. Ich muss heute feststellen: Diese Zusagen von Ihnen reichen gerade einmal bis zur Grenze der eigenen Voreingenommenheit, man kann auch sagen, bis zur Grenze Ihrer eigenen Ideologie. ({27}) Spätestens dann ist es zu Ende mit Ihrer vielbeschworenen Toleranz, Ihrem Respekt vor anderen Meinungen und Auffassungen und vor allem mit Ihrem Respekt vor Fachexpertise. Da pfeifen Sie drauf, wenn es Ihrer Ideologie nicht entspricht. ({28}) Schauen wir uns die Liste Ihrer weiteren Zusagen aus dem jetzt langsam zu Ende gehenden Jahr noch einmal wenigstens in Auszügen an: Sie versprechen eine Energiekostenpauschale und vergessen im ersten Durchgang die Studentinnen und Studenten und die Rentnerinnen und Rentner. ({29}) – Doch! Sie haben es schlicht und ergreifend vergessen; nichts anderes war es. Sie haben es vergessen. ({30}) Dann holen Sie diese Zahlungen an die Rentnerinnen und Rentner nach, und Sie können bis zum heutigen Tag die Frage nicht beantworten, ob diese Zahlungen an die Rentner denn steuerpflichtig sind oder nicht. Was ist das denn für eine Gesetzgebung, die Sie hier machen? ({31}) Dann holen Sie in dieser Woche die Zahlungen an die Studentinnen und Studenten nach und wissen bis zum heutigen Tag nicht, wer dieses Geld denn überhaupt auszahlen soll. ({32}) Keine Antwort auf diese Frage! Was ist das denn für eine Gesetzgebung? ({33}) Sie sagen eine Gaspreisbremse zu, und klar ist bis heute allein, dass die Dezembervorauszahlungen vom Bund übernommen werden sollen. ({34}) Alles andere bleibt trotz Ihrer Beschlussfassung vom gestrigen Tag im Unklaren. Die Bevölkerung weiß bis heute nicht, wann sie aus Gaspreisbremse und Strompreisbremse die Leistungen bekommt, die Sie als Regierung versprochen haben. ({35}) Dann wollen Sie dieses Geld für die Strompreisbremse mit den sogenannten Übergewinnen finanzieren, für die die Energieerzeuger in diesem und im nächsten Jahr zahlen sollen. Herr Habeck, Sie sprechen in diesem Zusammenhang nicht von „Steuern“ oder „Abgaben“, sondern Sie sprechen davon, dieses Geld müsse man „abgreifen“. Das ist ein Sprachgebrauch, den wir, bisher jedenfalls, im Steuerrecht so nicht gekannt haben. ({36}) Wir wissen ja bis zum heutigen Tag nicht, wo Sie sich da eigentlich im Abgabensystem unseres Landes bewegen. ({37}) Ist das eine Steuer? Ist das eine Gebühr? Ist das ein Beitrag? Was ist das eigentlich, was Sie da machen mit diesem „Abgreifen“? ({38}) Ich sage Ihnen mal voraus: Sie werden mit dieser geplanten Abschöpfung genauso scheitern, wie Sie mit Ihrer Gasumlage gescheitert sind. ({39}) Nun könnte man das Ganze abhaken, meine Damen und Herren, unter dem Stichwort „handwerklich miserables Regierungshandeln“. Das ist dann eben so, Sie können es vielleicht nicht besser, das ändert sich wahrscheinlich auch nicht. Das Tragische daran ist nur, dass die Lage für Millionen von Haushalten und Menschen in diesem Land von Tag zu Tag schwieriger wird, dass viele Menschen heute am Ende des Monats nicht wissen, wie sie das Ende des Monats erreichen sollen, und dass vielen Unternehmen mittlerweile – – ({40}) – Wenn Sie das bestreiten, dann nehmen Sie große Teile dessen, was im Land stattfindet, offensichtlich nicht mehr wahr. ({41}) Vielen Unternehmen steht das Wasser bis zum Hals. Verstehen Sie mich nun bitte nicht falsch. ({42}) – Sie wissen doch gar nicht, was ich jetzt sagen will. – Auch wenn Sie alles richtig gemacht hätten, wäre die Lage kritisch. Es gibt eben kein Vorbild, keine Blaupause, kein Regiebuch für all das, was eine Regierung jetzt, in einer so schwierigen Lage, tun muss. Ich komme aber noch einmal zurück auf Ihre Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler, vom 27. Februar 2022. Drei Tage nach Kriegsausbruch haben Sie von dieser Stelle aus eine wirklich bemerkenswerte Regierungserklärung abgegeben. ({43}) Sie haben hier im Haus – bis auf die ganz links und bis auf die ganz rechts – viel Beifall, ja sogar stehenden Beifall von allen Bundestagsfraktionen der Mitte dieses Parlamentes erhalten. ({44}) In diesem Augenblick hat sich für Sie, Herr Bundeskanzler, ein Zeitfenster geöffnet. Sie haben es „Zeitenwende“ genannt. ({45}) Der Bundespräsident sprach vor einigen Wochen von einem „Epochenbruch“. Aber bleiben wir bei dem Begriff „Zeitenwende“. ({46}) Mit diesem Wort haben Sie in ganz Deutschland eine große Veränderungsbereitschaft ausgelöst, weil viele Menschen erst in diesem Augenblick Ihrer Rede gespürt haben, wie ernst die Lage nach dem Beginn des Krieges wirklich ist. Mit dieser Autorität ausgestattet, hätten Sie, Herr Bundeskanzler, sagen können – ich meine, Sie hätten es sagen müssen –: Diese Zeitenwende ist nicht nur eine große Herausforderung für uns, sie ist auch eine große Chance, eine Chance, verkrustete Strukturen aufzubrechen, eine Chance, Bürokratie abzubauen, eine Chance, Prioritäten neu zu setzen, liebgewordene Gewohnheiten abzulegen, vorurteilsfrei alle Besitzstände auf den Prüfstand zu stellen. Neben der Sicherung von Frieden und Freiheit – und das ist die Hauptaufgabe – hätten Sie nur eine entscheidende Frage zu stellen brauchen: Was müssen wir tun, um in Deutschland und in Europa in dieser sich jetzt abzeichnenden neuen Welt, in dieser Welt von morgen eine wettbewerbsfähige Wirtschaft und vor allem produzierende Industrie und damit zukünftige Arbeitsplätze zu erhalten? Diese Frage hätten Sie stellen müssen. ({47}) Denn genau darum geht es jetzt und in der näheren Zukunft auch und vor allem: Wie können wir uns in Deutschland und in Europa neben den USA und Asien, vor allem neben China, als ein wettbewerbsfähiger Industriestandort bewähren? ({48}) China ordnet den Fortschritt von Staats wegen an. ({49}) Die USA schütten ein Füllhorn an US-Dollars aus – sie nennen das „Inflation Reduction Act“ – und schaffen täglich Tausende von neuen Geschäftsmöglichkeiten. Sie aber diskutieren und streiten immer noch um das Klein-Klein Ihres Koalitionsvertrages. Den hätten Sie, Herr Bundeskanzler, beherzt zur Seite legen müssen, um anschließend in diesem Land um Zustimmung zu werben: für eine drastische Reduzierung unserer Bürokratie, für eine mutige Beseitigung des in unserem Land einzigartigen Unwesens der Verbandsklagen. Und das richtet sich insbesondere an die Grünen: Sie werden die Geister nicht mehr los, die Sie selbst gerufen haben, angesichts all dem, was jetzt an Blockaden und Entscheidungshindernissen aufgebaut wird. ({50}) Sie hätten werben müssen für einen Masterplan Energie, der nun wirklich alle Ressourcen der Energieerzeugung ausschöpft – alle Ressourcen ({51}) und nicht nur die, die Sie aus ideologischen Gründen gerne hätten. Ich füge hinzu: auch für die Nutzung eigener Energievorkommen, die wir in Deutschland und in Europa doch nun mal unstreitig haben. ({52}) Auch wenn es Sie aufregen wird: ja, auch für die weitere Nutzung der Kernenergie, jedenfalls so lange, bis wir sicher sein können, dass Wind- und Sonnenenergie so gespeichert werden können, dass sie grundlastfähig sind. ({53}) Bis dahin verbietet sich jeder weitere Ausstieg. ({54}) Ich will ausdrücklich sagen: Nach der erneut – man muss es leider so sagen – gescheiterten 27. Klimakonferenz, die wir in dieser Woche gesehen haben, benötigen wir Forschung und Entwicklung aller erdenklichen Technologien von der CO2-Abscheidung, der CO2-Speicherung, der CO2-Wiederverwertung bis hin zu neuen Rohstoffen und synthetischen Kraftstoffen. ({55}) Sie hätten die Möglichkeit gehabt, so etwas hier zu sagen, Herr Bundeskanzler, und zwar im Ganzen für eine gesamtheitliche Betrachtung von Wirtschaftspolitik, Energiepolitik und Klimapolitik, für ein engmaschiges Zusammenwirken von Digitalisierung und Dekarbonisierung, last, but not least, für erheblich beschleunigte Genehmigungsverfahren, nicht nur bei Wind- und Sonnenergie, sondern bei allen Genehmigungsverfahren, die in unserem Lande notwendig sind und die für unsere Volkswirtschaft unverzichtbar sind. ({56}) Das alles wäre vielleicht verbunden gewesen mit der Überwindung einer Haltung in unserem Land, die leider immer nur Zweifel und Bedenken kennt ({57}) – ich sage Ihnen doch, wie ich es mir vorstellen könnte –, hin zu einer Grundstimmung der Menschen im Land, die trotz oder gerade wegen dieser Krise anpacken, Mut fassen, Zuversicht annehmen und daran glauben, dass die Ressourcen unseres Landes noch längst nicht ausgeschöpft sind. ({58}) Herr Bundeskanzler, Sie hätten all das nach Ihrer Regierungserklärung im Februar wenigstens einmal in diesem Jahr in einer großen Rede sagen müssen, in einer Rede, die die Menschen mitreißt, die Optimismus ausstrahlt ({59}) und die die besten Kräfte unseres Landes mobilisiert. In einer großen Rede! ({60}) Ja, wissen Sie, wenn Sie das so lächerlich finden, ({61}) dann muss ich hier doch noch einmal einen Sachverhalt ansprechen, den ich nicht angesprochen hätte, wenn Sie hier nicht so reagiert hätten. ({62}) Der Bundespräsident hat das vor einigen Wochen versucht, und ich finde, er hat eine bemerkenswerte Rede gehalten. Über deren Inhalt und Ziele kann man streiten. Aber der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland hat eine solche Rede gehalten. Der Kollege Dürr und ich waren die einzigen beiden Vertreter der Bundestagsfraktionen in diesem Haus, die bei dieser Rede anwesend waren, ({63}) kein Mitglied der Bundesregierung, kein Parteivorsitzender, außer uns beiden kein weiterer Fraktionsvorsitzender. Und Sie waren eingeladen, meine Damen und Herren Partei- und Fraktionsvorsitzenden. Sie waren eingeladen, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank. Keiner von Ihnen ist bei dieser Rede des Bundespräsidenten im Schloss Bellevue gewesen. Ich muss es Ihnen nun leider doch sagen, wenn Sie hier in dieser Art und Weise reagieren. ({64}) Meine Damen und Herren, stattdessen versinken Sie mit Ihrer Koalition im ständigen Streit Ihrer Ressortminister und in einem immer deutlicher werdenden Vertrauensverlust der Bevölkerung und unserer europäischen Nachbarn und Freunde in die Lösungskompetenz und in die Verlässlichkeit dieser Bundesregierung. Herr Bundeskanzler, vor neun Monaten hatten Sie die Chance, vielleicht sogar die historische Chance, dieses Land wirklich grundlegend zum Besseren hin zu verändern. Sie haben diese Chance nicht genutzt, und wahrscheinlich werden Sie – nach menschlichem Ermessen jedenfalls – eine solche Chance auch nicht wieder bekommen. Herzlichen Dank. ({65})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Als Nächstes hat das Wort für die Bundesregierung der Bundeskanzler Olaf Scholz. ({0})

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Merz, als ich Ihnen gerade zugehört habe, musste ich an „Alice im Wunderland“ denken. ({0}) Was in Wahrheit groß ist, das reden Sie klein, und umgekehrt. Was eigentlich passiert ist und wer dafür verantwortlich war, das alles verschwimmt. Und was zunächst logisch klingt, ist in Wahrheit blanker Unsinn. ({1}) Vor einem Jahr waren unsere Energiespeicher leer wie selten zuvor. Heute sind sie gefüllt bis zum Anschlag, ({2}) weil diese Bundesregierung nicht nur redet, sondern handelt ({3}) und weil wir im Frühjahr zum Glück nicht Ihrem Vorschlag gefolgt sind, die russischen Gaslieferungen praktisch über Nacht abzustellen. ({4}) Stattdessen haben wir Deutschlands Abhängigkeit von Gas, Öl und Kohle schrittweise beendet, eine Abhängigkeit, die vor einem Jahr beim Gas noch bei 50 Prozent lag. Zugleich hat diese Regierung mit einer in unserem Land gar nicht mehr gekannten Schnelligkeit dafür gesorgt, ({5}) dass Alternativen da sind. In wenigen Wochen gehen in Norddeutschland die ersten Flüssiggasterminals in Betrieb. ({6}) Wir haben Kohlekraftwerke aus der Reserve geholt. Wir lassen die drei verbliebenen Kernkraftwerke bis ins nächste Frühjahr weiterlaufen. ({7}) Und wir haben die bedeutendste Reform des Energiesektors seit Jahrzehnten auf den Weg gebracht. ({8}) Diese Bundesregierung sorgt dafür, dass die erneuerbaren Energien und die nötigen Übertragungsnetze viel schneller ausgebaut werden als bisher, übrigens auch in Bundesländern im Süden unserer Republik, wo dieser Ausbau bisher stockte. ({9}) Diese Bundesregierung bringt unser Land sicherheitspolitisch auf die Höhe der Zeit als verlässlichen Verbündeten mit leistungsfähigen Streitkräften, nachdem Verteidigungsminister der CDU und der CSU unsere Bundeswehr viele Jahre vernachlässigt haben. ({10}) Das Sondervermögen für die Bundeswehr, das wir geschaffen haben, wird uns in die Lage versetzen, einen geordneten, einen vernünftigen Pfadwechsel zu organisieren. Wir werden und wollen 2 Prozent der Wirtschaftsleistung für die Bundeswehr ausgeben. ({11}) Aber wir wollen erst mal dafür sorgen, dass die Fabriken und die Maschinen angeschafft werden für die Dinge, die neu geschaffen werden, dass wir die richtigen Dinge bestellen, und wir wollen dafür sorgen, dass die Bundeswehr so ausgestattet wird, dass das über Jahrzehnte funktioniert. Das ist mit dem Sondervermögen verbunden: ein langfristiger Plan, nicht schnelle hektische PR-Erklärungen, Herr Merz. ({12}) Die Bundeswehr hat es verdient, dass wir Sorgfalt walten lassen ({13}) und dass wir dafür sorgen, dass all die Probleme, von denen wir jetzt auch neu lernen, gelöst werden. Denn wir stellen ja fest: Es geht plötzlich nicht mehr, zu sagen: „Wir brauchen noch mal Nachschub an Munition“, weil die entsprechenden Anlagen gar nicht mehr in Betrieb sind. Es geht nicht mehr, zu sagen: „Wir wollen von diesem konkreten Gerät etwas haben“, weil es schon seit Längerem nicht mehr produziert wird. Wir müssen mit dem, was wir entscheiden, auch dafür sorgen, dass wir jeder Belastungssituation gerecht werden können. Und auch das ist das, was wir mit dem Sondervermögen jetzt machen. ({14}) Es ist diese Bundesregierung, die entgegen einer jahrzehntelangen Staatspraxis die Entscheidung getroffen hat, die Ukraine mit den Waffen zu unterstützen, die sie in ihrem tapferen Verteidigungskampf Tag für Tag braucht. ({15}) Und dabei bleiben wir im Schulterschluss mit unseren engsten Verbündeten – so lange, wie dieser sinnlose, brutale, verbrecherische Krieg andauert. ({16}) Russland muss endlich aufhören mit diesem Krieg. Dafür war es wichtig, dass der G‑20-Gipfel auf Bali ein entsprechend deutliches Signal in Richtung Moskau gesandt hat. Und noch etwas wurde auf Bali von allen G‑20-Mitgliedern festgehalten: Jede Drohung mit Atomwaffen ist für uns alle völlig inakzeptabel. Ihr Einsatz wird nicht hingenommen! ({17}) Dafür habe ich mich auch als G-7-Vorsitzender schon auf dem Gipfel in Elmau eingesetzt. Ich bin froh, dass diese rote Linie auf Bali noch einmal deutlich nachgezogen wurde. Auch Chinas Führung hat diese Haltung öffentlich bekräftigt, zum ersten Mal bei meinem Besuch in Peking vor drei Wochen. ({18}) Allein schon deshalb hat sich der offene Austausch mit Präsident Xi gelohnt; allein schon deswegen hat sich auch diese Reise gelohnt, gegen die Sie, Herr Merz, im Vorfeld so unbedacht polemisiert haben. ({19}) Diese Bundesregierung handelt auch im Rahmen der Europäischen Union. Wir haben der Ukraine, Moldau und perspektivisch auch Georgien die Aussicht auf eine europäische Zukunft eröffnet. Seit Jahren dümpelte der Beitrittsprozess mit den Westbalkanstaaten vor sich hin; jetzt haben wir innerhalb weniger Monate neuen Schwung da reingebracht. Apropos Europa: Es ist diese Bundesregierung, die klare Vorstellungen von der Zukunft Europas formuliert hat – etwas, worauf der französische Präsident und andere jahrelang warten mussten. ({20}) Mit Präsident Emmanuel Macron eint mich das Ziel eines geopolitisch deutlich handlungsfähigeren Europas. ({21}) In Prag habe ich dazu konkrete Vorschläge gemacht, die wir nun mit unseren Partnern vorantreiben, zum Beispiel den von Deutschland ins Spiel gebrachten Raketenabwehrschirm. Mit Frankreich und Spanien haben wir erst in der vergangenen Woche einen großen Knoten bei einem wichtigen, strategisch ganz zentralen Projekt für die Sicherheit und Souveränität Europas durchschlagen. Wir werden noch dieses Jahr die nächste Phase des europäischen Luftkampfsystems FCAS einleiten, nachdem das Projekt hier in Berlin lange Zeit eben nicht die nötige politische Aufmerksamkeit bekommen hat. ({22}) Zugleich haben wir einen substanziellen deutschen Anteil an der Technologieentwicklung und Wertschöpfung gesichert. So sieht die Europapolitik dieser Bundesregierung aus. Sie führt Europa zusammen, und das ist gut für unser Land. ({23}) Und zugleich investiert diese Bundesregierung mit voller Kraft in moderne Infrastruktur und Digitalisierung, damit Deutschland nicht länger das Land der Funklöcher und der Schlaglöcher bleibt, das Land der kaputten Brücken und der verspäteten Züge. ({24}) Diese Bundesregierung war es auch, die im Sommer mit dem 9‑Euro-Ticket endlich frischen Wind in den öffentlichen Nahverkehr gebracht hat. ({25}) Und jetzt sorgen wir mit dem digitalen Deutschlandticket und mit 1 Milliarde Euro mehr an Regionalisierungsmitteln für einen langfristig attraktiven ÖPNV in Deutschland. ({26}) Diese Bundesregierung reformiert das Einwanderungsrecht und sorgt für bessere Ausbildungsangebote und Weiterbildungsmöglichkeiten für diejenigen, die hierzulande leben, um so Schritt für Schritt die Lücke Millionen fehlender Fachkräfte zu schließen, die wir geerbt haben. ({27}) Diese Bundesregierung räumt auf mit all diesen Versäumnissen, und das trotz Ukrainekrieg, trotz Pandemie, trotz Energiekrise, trotz gestörter Lieferketten und weltweiter Inflation. ({28}) Fast 100 Gesetze haben wir in unseren ersten elf Monaten gemeinsam auf den Weg gebracht. ({29}) Dazu gehören einige der größten Entlastungspakete für die Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen in der Geschichte unseres Landes. Dazu gehört ein Inflationsausgleichsgesetz, durch das 48 Millionen Bürgerinnen und Bürger erheblich weniger Steuern zahlen. Sie reden von Entlastungen, aber stimmen dagegen. Wir setzen Entlastungen um! ({30}) Und dann höre ich, dass Sie, Herr Merz, sich beim CDU-Parteitag hinstellen und allen Ernstes behaupten, nicht die letzten 16 Jahre CDU-geführter Bundesregierungen seien das Problem unseres Landes, sondern die letzten 16 Wochen unter Führung der Ampelkoalition. ({31}) Da kann ich nur sagen: Wer das glaubt, der glaubt auch an sprechende weiße Kaninchen! ({32}) Willkommen in Alices Wunderland! Willkommen im Wunderland der CDU/CSU, wo die Realität auf dem Kopf steht! ({33}) Die Realität ist doch: Diese Bundesregierung hat in zwölf Monaten mehr in Gang gebracht, umgesetzt und aufgeräumt, als in den Regierungen der vergangenen zwölf Jahre möglich war, ({34}) weil wir eine Regierung der Tat sind, angetreten, um unser Land voranzubringen. ({35}) Was uns aber vor allem unterscheidet, sehr geehrter Herr Merz, ist ganz offenbar das Bild, das wir von den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes haben. ({36}) Wir haben in den vergangenen Tagen intensiv über das Bürgergeld diskutiert, und ich bin froh, dass wir hierzu eine einvernehmliche Lösung gefunden haben, ({37}) eine gute, übrigens. Eines will ich aber doch festhalten: Was wir nun zur gesetzlichen Regel machen, ist nichts anderes als das, was wir damals auch mit der Unterstützung der Union während der Coronapandemie richtigerweise eingeführt haben. ({38}) Damals waren viele Arbeitnehmer, aber auch Selbstständige plötzlich von staatlichen Leistungen abhängig, die sich das vorher nie hätten träumen lassen. ({39}) Ihnen nicht gleich alles Ersparte oder die Wohnung zu nehmen – das hat uns damals allen eingeleuchtet. ({40}) Dieselbe Gerechtigkeitsvorstellung leitet auch die Reform, die wir nun beschließen werden. Als vor 20 Jahren die damaligen Arbeitsmarktreformen umgesetzt wurden, fehlte es an Arbeitsplätzen in unserem Land. Heute hingegen fehlen uns qualifizierte Arbeitskräfte. ({41}) Deshalb sind bessere Beratung, Aus- und Weiterbildung sowie weniger Bürokratie ganz entscheidende Bestandteile unserer Reform. ({42}) Es geht um Wege raus aus der Langzeitarbeitslosigkeit, raus aus Hilfsjobs und hinein in den Arbeitsmarkt. ({43}) Wenn ich mit Bürgerinnen und Bürgern spreche, zum Beispiel bei meinen Bürgerdialogen in Magdeburg, Essen, Lübeck oder Gifhorn, ({44}) dann höre ich, dass sich viele nicht nur um die hohen Preise für Energie und Lebensmittel sorgen, sondern um ihren Arbeitsplatz oder die Zukunft des eigenen Betriebs. ({45}) Das zeigt doch eines ganz klar: Die Bürgerinnen und Bürger wollen arbeiten, und sie wollen von ihrer Arbeit anständig leben können. ({46}) Darum stehen diejenigen, die anpacken, die den Laden am Laufen halten, die morgens aufstehen und zur Arbeit gehen, von Beginn an im Mittelpunkt unserer Politik. ({47}) Deshalb war es uns so wichtig, den Mindestlohn auf 12 Euro anzuheben. 6 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bekommen dadurch mehr Lohn und ein Stück Anerkennung für ihre harte Arbeit. ({48}) Auch höhere Mindestlöhne in der Pflegebranche und die Bezahlung von Beschäftigten in der Altenpflege nach regionalen Tarifverträgen sorgen für bessere Arbeitsbedingungen, und das für eine der wohl wichtigsten und am stärksten belasteten Berufsgruppen unseres Landes. ({49}) Alle, die weniger als 2 000 Euro im Monat verdienen, zahlen ab Januar geringere Sozialabgaben. Für jemanden, der bislang 1 100 Euro verdient hat, macht das im Monat über 50 Euro mehr im Portemonnaie. ({50}) Das betrifft Beschäftigte in Teilzeit, alleinerziehende Mütter und Väter, aber auch manchen Kassierer im Supermarkt oder die Dame in der Reinigung. Es ist richtig, dass wir das jetzt machen. ({51}) Allein die Anhebung des Kindergeldes einheitlich auf 250 Euro pro Kind sorgt bei einer Familie mit zwei Kindern kommendes Jahr für rund 750 Euro mehr im Portemonnaie. ({52}) Der Kinderzuschlag für Familien mit kleineren Arbeitseinkommen wird pro Kind dann jährlich bei bis zu 3 000 Euro liegen. So lösen wir das Versprechen ein, dass in unserem wohlhabenden Land kein Kind in Armut aufwachsen muss. ({53}) Vor zwei Wochen haben wir die größte Wohngeldreform in der Geschichte unseres Landes beschlossen. Damit steigt die Zahl der Berechtigten ab Januar von 600 000 auf rund 2 Millionen. ({54}) Das sorgt für ein Plus von mehreren Hundert Euro im Monat in der Haushaltskasse, und zwar genau bei denen, die hart arbeiten und dennoch nicht viel mehr als den Mindestlohn bekommen oder die eine kleine Rente beziehen. Genau so holen wir Leute aus der Grundsicherung, die ihr Leben lang hart gearbeitet haben. ({55}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sorgen dafür, dass Arbeit sich mehr lohnt als zu jedem Zeitpunkt einer CDU-geführten Bundesregierung, ({56}) indem wir diejenigen besserstellen, die auch für kleinere Gehälter hart arbeiten. ({57}) Das ist im Sinne derjenigen, die arbeiten wollen. Das ist im Sinne der Unternehmen, die händeringend Arbeitskräfte suchen. ({58}) Und das ist im Sinne unseres Landes, das gerade in dieser schwierigen Zeit mehr Zusammenhalt braucht und weniger Zwietracht. Meine Damen und Herren, um Zusammenhalt geht es auch, wenn wir diejenigen entlasten, die zwar ein ordentliches Auskommen haben, die aber angesichts der Preissteigerung nun ebenfalls spitzer rechnen müssen. Rentenbeiträge sind ab Januar voll steuerlich absetzbar. Das macht 5 Milliarden Euro Entlastung in den kommenden beiden Jahren. ({59}) Und noch etwas haben wir erreicht. Im Rahmen der von uns ins Leben gerufenen Konzertierten Aktion haben Arbeitgeber und Gewerkschaften den Weg frei gemacht für steuerfreie Einmalzahlungen von bis zu 3 000 Euro jährlich – zusätzlich zu den linearen Tariferhöhungen. Das zeigt einmal mehr, wie verantwortlich sich die Sozialpartner in Deutschland verhalten. Und dieses Instrument wird genutzt. Erst Ende letzter Woche haben sich die Tarifpartner in der Metall- und Elektroindustrie auf eine solche steuerfreie Einmalzahlung von 3 000 Euro geeinigt. Und auch andere Branchen und Arbeitgeber gehen den Weg über einen solchen Energie- oder Inflationsbonus: Banken, Autobauer und Einzelhändler, die chemische Industrie, die Papier- und Zellstoffindustrie oder die Eisen- und Stahlindustrie. Das ist ein großer Fortschritt für viele Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, die jeden Tag zur Arbeit gehen. ({60}) Vorletzte Woche haben wir hier zudem das Inflationsausgleichsgesetz beschlossen, das ab Januar 48 Millionen Steuerpflichtige entlastet. 2023 reden wir über 19 Milliarden Euro Steuerersparnis, im Jahr darauf sogar über 32 Milliarden Euro weniger Steuern. Darin enthalten sind der vollständige Ausgleich der kalten Progression, aber auch deutlich spürbare Erhöhungen des Grundfreibetrags, des Arbeitnehmer- und des Sparerpauschbetrages, des Kindergeldes und des Kinderzuschlags. Alles das haben wir hier auf den Weg gebracht. ({61}) Das ist eine klare Absage an schleichende Steuererhöhungen und die größte Anpassung der Steuertarife aufgrund der kalten Progression, die es in Deutschland jemals gab. Die Botschaft an die Bürgerinnen und Bürger lautet: Unser Staat sorgt dafür, dass Leistung sich lohnt ({62}) und dass Millionen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland aus eigener Kraft durch diese Krise kommen können, ({63}) eine Krise, von der wir heute sagen können: Unser Land hat sie im Griff. Ich habe die vollen Gasspeicher erwähnt, die Flüssiggasterminals, die neuen Lieferverträge, ({64}) das Wiederanlaufen der Kohlekraftwerke, den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke. All das bedeutet: Für diesen Winter ist Deutschlands Energiesicherheit wohl gewährleistet. ({65}) Sie ist gesichert, weil die Bundesregierung beherzt umgesteuert hat und weil die Haushalte und die Unternehmen im ganzen Land sparsam mit Energie umgehen. ({66}) Das bleibt sehr wichtig, gerade auch mit Blick auf das kommende Jahr und den Winter 2023. Den Bürgerinnen und Bürgern danke ich schon jetzt von Herzen: Danke für so viel Voraussicht und Gemeinsinn! ({67}) Wir können den Anstieg der Energiepreise nicht vollständig wegsubventionieren, aber wir reduzieren ihn auf ein verträgliches Maß. Die Absenkung der Umsatzsteuer auf Gas und Fernwärme von 19 auf 7 Prozent ist beschlossene Sache. Die Übernahme der Dezemberabschlagszahlung für Gas- und Wärmekunden kommt. Nach intensiven Abstimmungen, auch mit der Europäischen Union und den Versorgern, stehen die Rahmenbedingungen für die Gas-, Wärme- und Strompreisbremsen für Haushalte sowie für Unternehmen. Da braucht man auch nicht zu fragen, wie das wohl aussieht; man kann es heute in allen Zeitungen lesen. Zum 1. März treten sie in Kraft. Ausgezahlt wird dann nicht nur eine Entlastung für den Monat März, sondern rückwirkend auch für die Monate Januar und Februar. ({68}) Viele Gasverbraucher haben in den vergangenen Wochen Schreiben von ihren Versorgern oder Vermietern mit Preiserhöhungen auf 20, 30, teils sogar 40 Cent pro Kilowattstunde erhalten. ({69}) Vorher lagen sie oft bei nur 7 oder 8 Cent. ({70}) Für 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs werden wir daher den Preis bei 12 Cent pro Kilowattstunde deckeln. Das bedeutet für viele immer noch Mehrkosten, aber diese liegen erheblich unter den neu aufgerufenen Preisen der Versorger. Ich weiß: Auch vermeintlich überschaubare Erhöhungen sind gerade für die kaum zu stemmen, die ohnehin schon mit jedem Euro rechnen müssen. ({71}) Deshalb stellen wir für Härtefälle 12 Milliarden Euro aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds zur Verfügung. ({72}) Was die Kosten für Strom, Gas und Wärme angeht, so landen wir mit den Preisdeckeln ungefähr auf dem Niveau, auf dem Expertinnen und Experten die Preise im Jahr 2024 sehen. Dann werden wir mehr Flüssiggasterminals am Netz haben; dann wird sich auch der beschleunigte Ausbau erneuerbarer Energien noch stärker bemerkbar machen. Deshalb ist es richtig, dass wir jetzt einmalig die große Summe von 200 Milliarden Euro aufbringen, um die Zeit bis dahin ohne Strukturbrüche, ohne energiepreisbedingte Firmenpleiten und ohne den Verlust Hunderttausender Arbeitsplätze zu überstehen. ({73}) Unser Land hat die Kraft, diese Krise zu meistern und gestärkt aus ihr hervorzugehen. ({74}) Diese Kraft mobilisieren wir mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds und den Entlastungspaketen, die wir bereits in den letzten Monaten Stück für Stück geschnürt haben. Ich danke dem Wirtschaftsminister, dem Finanzminister und der gesamten Koalition für ihre Unterstützung auf diesem Weg, der Deutschland sicher durch diese schwierige Zeit führt. ({75}) Die nächsten Jahre sind entscheidend, um Deutschland und Europa zu stärken – für die großen Herausforderungen wie den Klimawandel, die Digitalisierung, die Sicherung unseres Wohlstandes, den sozialen Zusammenhalt und den demografischen Wandel. ... Wir fühlen uns gemeinsam dem Fortschritt verpflichtet. ({76}) Uns eint, dass wir die Chancen in der Veränderung sehen. ({77}) Das war ein Zitat. Die Sätze stehen im ersten Sondierungspapier, in dem sich die Partner dieser Regierungskoalition vor gut einem Jahr über ihre gemeinsamen Ziele verständigt haben. Am Anfang dieser Bundesregierung stand das gemeinsame Bekenntnis von SPD, Grünen und FDP zum Fortschritt, zum Aufbruch, zur zupackenden Erneuerung unseres Landes. ({78}) Das ist der Geist, mit dem die Bundesregierung ihre Arbeit aufgenommen hat. Das ist der Geist, der die Bundesregierung weiterhin trägt. ({79}) Denn wenn die Zeitenwende – und ich bin Ihnen dankbar, Herr Merz, dass Sie meine Rede noch einmal aufgegriffen haben – ({80}) und die globalen Krisen um uns herum uns eines gelehrt haben, dann doch dieses: Unser Land braucht Veränderung! ({81}) Ein bloßes Weiter-so ist keine Option! ({82}) Ich habe Sie absichtlich angeguckt. Die Partei des Weiter-so sitzt jetzt in der Opposition, und da gehört sie auch hin. ({83}) Darum ist es gut, dass unser Land in dieser Zeitenwende eine Regierung hat, die mehr will, als am Bestehenden festzuhalten. Wir haben von Beginn an klargemacht: Die Zukunft unserer Energieversorgung gehört Windkraft, Solarenergie und Grünem Wasserstoff. ({84}) Damit machen wir uns nicht nur unabhängig von unzuverlässigen Lieferanten wie Russland und schützen das Klima. Damit bringen wir auch die Energiekosten dauerhaft unter Kontrolle. Deshalb haben wir dieses Jahr genutzt, um wichtige Gesetze zu verabschieden, die wir brauchen, um den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromübertragungsnetze deutlich zu beschleunigen. Bislang lief es doch meist so: Vor einer großen internationalen Klimakonferenz oder zum Beginn einer Legislaturperiode wurde für den Ausbau erneuerbarer Energien oder für die Einsparung von Treibhausgasen ein ehrgeiziges Ziel ausgegeben, meist schön weit weg in der Zukunft. Die Schritte dorthin aber wurden nie wirklich konkret ausbuchstabiert. Auch das haben wir geändert. ({85}) Unser Ziel, bis 2030 80 Prozent unseres Stroms aus Erneuerbaren zu erzeugen, geht einher mit einer klaren Anpassung der Ausbauziele und Ausschreibungen. Im kommenden Jahr verdreifachen wir zum Beispiel die Ausschreibungsvolumina für Windparks an Land. Bei Photovoltaikanlagen werden sie nahezu verdoppelt. ({86}) Der Ausbau erneuerbarer Energien genießt jetzt gesetzlich festgeschrieben Vorrang bei Entscheidungen der Verwaltung. Das beschleunigt Planungsverfahren. ({87}) 2 Prozent der Landesfläche stehen künftig für Windkraftanlagen zur Verfügung. Um die Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern zu erhöhen, haben wir neue Beteiligungsmöglichkeiten geschaffen, die Strom vor Ort dann auch spürbar günstiger machen. Und allein mit der Abschaffung der EEG-Umlage haben wir nicht nur die Stromkosten reduziert, die ansonsten aufgerufen worden wären, sondern auch für eine dringend notwendige Entbürokratisierung des Energierechts gesorgt. Nicht jede dieser Maßnahmen wirkt über Nacht, zumal viele Unternehmen in der Solar- und Windkraftbranche in den vergangenen Jahren unter der Coronakrise, aber eben auch unter Bürokratie und unklaren Perspektiven gelitten haben. Aber es geht deutlich voran. Im ersten Halbjahr 2022 ist die Stromerzeugung aus Windkraft um etwa 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Beim Zubau von Offshorewindenergie hatte sich seit Mitte 2020 überhaupt nichts mehr getan, bis wir im Sommer erstmals wieder neue Anlagen in Betrieb genommen haben. Weitere werden folgen. Im Verkehr ist der Anteil von Biokraftstoffen um 11 Prozent und der von Strom aus erneuerbaren Energien sogar um 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr angewachsen. ({88}) Alles in allem hat erneuerbare Energie im ersten Halbjahr dieses Jahres erstmals die Hälfte des Stromverbrauchs in Deutschland gedeckt. ({89}) Im Vorjahreszeitraum lagen wir noch bei 43 Prozent. Das zeigt: Die Richtung stimmt. ({90}) Aber natürlich brauchen wir für diese enorme Transformation in der Industrie, im Verkehr, beim Bauen und beim Wohnen nicht nur die richtigen politischen Rahmenbedingungen. Wir brauchen das Handwerk, die Bauunternehmen, die Informationstechnik. Wir brauchen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Windräder aufbauen, Häuser dämmen und Wärmepumpen installieren. Deshalb fördern wir auch die berufliche Aus- und Weiterbildung. Deshalb bringen wir in der „Allianz für Transformation“ regelmäßig Politik, Unternehmen, Gewerkschaften, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammen. ({91}) Konkret wird es beim nächsten Treffen der Allianz im Februar um die Frage gehen, wie wir dank der herausragenden Forschung in Deutschland die Technologien, die für die Transformation nötig sind, entwickeln und in die Breite tragen, zum Beispiel beim Wasserstoff. ({92}) Diese Fragen sind entscheidend, und zwar aus zwei Gründen. Zum einen werden die aufstrebenden Staaten Asiens, Afrikas, Lateinamerikas und der Karibik nur dann beim internationalen Klimaschutz mitziehen, wenn das nicht zulasten des Wohlstands ihrer Bevölkerung geht. ({93}) Das ist bei meinen Gesprächen auf der Klimakonferenz in Scharm al-Scheich noch einmal sehr deutlich geworden. Dafür aber brauchen wir Technologien, die klimaneutrales Wachstum möglich machen. ({94}) Zum anderen liegt genau darin eine riesige Chance für die deutsche Industrie, für unsere Maschinenbauer, für den Mittelstand mit seinen Weltmarktführern, für unsere Autohersteller. ({95}) Sie sind es, die mit ihrer Innovationskraft und ihren Investitionen in Forschung und Entwicklung in der Lage sind, die nötigen Technologien herzustellen und zu liefern. Die weltweite Nachfrage danach ist schon jetzt gewaltig. Deshalb eröffnet es uns neue Marktchancen, wenn Deutschland bis 2045 eines der ersten klimaneutralen Industrieländer wird. Genau das streben wir an, und das werden wir auch schaffen. ({96}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Preis des Nichtstuns wäre unvergleichlich hoch. Deshalb räumen wir mit den Versäumnissen einer Energie- und Handelspolitik auf, die uns in einseitige Abhängigkeiten vor allem von Russland und China geführt hat. ({97}) Deshalb sorgen wir nach Jahren der Vernachlässigung für eine moderne, starke Bundeswehr, die unser Land und unsere Alliierten verteidigen kann. Deshalb beheben wir die jahrelangen Versäumnisse einer rückwärtsgewandten Verkehrspolitik und die Defizite bei der Digitalisierung unseres Landes. ({98}) Deshalb gehen wir gegen den Fachkräftemangel vor und schaffen nach Jahren der Blockaden ein modernes Einwanderungsrecht. ({99}) Deshalb erkennen wir an, dass der Wohnungsbau eine zentrale soziale Frage ist, die nicht mehr von einem Innen- und Heimatminister nebenbei mitverwaltet werden darf. ({100}) Und deshalb lösen wir all die Blockaden, die die Energie- und Klimawende jahrelang ausgebremst haben. Bei all dem halten wir unser Land zusammen ({101}) und lassen niemanden zurück. Es geht jetzt nicht darum, sich in einem Wunderland zu verirren. Die Bürgerinnen und Bürger wissen das ganz genau. Gefragt ist harte Arbeit. Gefragt sind Aufbruch und Fortschritt, Zusammenhalt und die Konzentration auf das Wesentliche. ({102}) Dafür steht diese Bundesregierung. Ich lade Sie, Herr Merz, und Ihre Kolleginnen und Kollegen herzlich ein: Arbeiten Sie mit uns zusammen an der großen Aufgabe, unser Land zukunftsfest zu machen in einer Welt tiefgreifender Umbrüche! ({103}) Krisenfest und winterfest ist Deutschland schon, ({104}) dank der Veränderungsbereitschaft und Tatkraft seiner Bürgerinnen und Bürger und, ja, dank der Arbeit dieser Bundesregierung. ({105})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die AfD-Fraktion Dr. Alice Weidel. ({0})

Dr. Alice Weidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004930, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrte Damen und Herren! Ist Ihnen eigentlich schon mal aufgefallen, dass Olaf Scholz und Friedrich Merz exakt gleich klingen? ({0}) Wie peinlich ist das eigentlich? ({1}) Man merkt, dass Friedrich Merz unbedingt Bundeskanzler werden will. Der redet schon wie Olaf Scholz – aber nun ja. ({2}) – Doch, das ist so. Ist so. – Noch zwei Wochen, dann ist die wohl schlechteste Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein volles Jahr im Amt. Bei Ihnen im Kanzleramt mögen dann die Korken knallen. Für die Bürger gibt es dagegen nichts zu feiern. Zwölf Monate Ampel, das sind zwölf Monate mutwillige Zerstörung unserer Wirtschaft und unseres Wohlstandes, zwölf Monate Gängelung, Bevormundung und Schröpfen der Bürger. Das sind zwölf Monate Politik einer Regierung, die Einschränkungen predigt, während sie selbst aus dem Vollen schöpft. ({3}) Eine Politik, die den Regierungsapparat um mehr als 10 000 Stellen aufbläht – das muss man sich mal vorstellen; Deutschland ist ja dafür bekannt, zu wenig Beamte zu haben – und sich für 400 000 Euro einen persönlichen Leibfotografen für den Vizekanzler Habeck gönnt. Eine Politik, die sich mitten in der Krise mit einem gigantischen Ausbau des Kanzleramts ein Monument des eigenen Größenwahns setzen will: viermal so groß wie das Weiße Haus, ein neuer Hubschrauberlandeplatz, eine zweite Kanzlerwohnung mit 250 Quadratmetern für Kanzler Olaf und 400 neue Büroräume inklusive. Kosten: fast 800 Millionen Euro. Dekadenter geht es kaum. ({4}) Täuschungen und Unwahrheiten sind die Währung der Politik dieser Regierung, einer Politik, die auf Illusionen, Wählerbetrug und Hofberichterstattung des öffentlichen Rundfunks gebaut ist. Das wohl größte und teuerste Lügengebäude ist die sogenannte Energiewende. Sie wollen dieses Wahnsinnsexperiment am offenen Herzen unserer Volkswirtschaft bis zum bitteren Ende durchziehen: gegen alle Gesetze der Natur und Physik ein Industrieland mit Gelegenheitsstrom aus Sonne und Wind betreiben, dabei aus Kernkraft, Kohle und Erdöl gleichzeitig aussteigen und als Back-up für die Fake Power aus diesen sogenannten erneuerbaren Energien allein auf teures Flüssiggas setzen. Diese Illusion ist die Lebenslüge der Energiewende, sehr geehrte Damen und Herren! ({5}) „Wir haben kein Stromproblem.“ Mit dieser dreisten Falschbehauptung hat der Bundeswirtschaftsminister die Bürger noch Mitte Juli hinters Licht geführt. Ich weiß nicht, was da passiert ist. Vielleicht hat Herr Habeck zu lange in der Sonne gelegen, anstatt zu arbeiten; ansonsten wäre ihm dieser schwachsinnige Satz überhaupt nicht herausgerutscht. Denn wir haben ein Stromproblem! ({6}) Millionen Bürger erfahren dieser Tage von ihrem Stromversorger, dass sich der Kilowattstundenpreis deutlich mehr als verdoppelt, Tendenz steigend. ({7}) Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe rechnet im Winter mit Stromabschaltungen in ganz Deutschland. Eine Zumutung für die Menschen, pures Gift für die Wirtschaft und ein Armutszeugnis für ein Industrieland! ({8}) Die Sprengung der Nord-Stream-Leitung war ein nie dagewesener Angriff auf unsere lebensnotwendige Infrastruktur. Offenkundig wurde sie von einem anderen Staat vorgenommen. Reaktion dieser Bundesregierung? Dröhnendes Schweigen. Und warum tun Sie eigentlich nichts dafür, dass Russland Erdgas durch die intakte Leitung von Nord Stream 2 liefert, ({9}) um den Pleite-Tsunami in der deutschen Wirtschaft zu verhindern? Wehe, wenn irgendwann herauskommen sollte, dass der Kanzler einen unterschriftsreifen Vertrag auf dem Tisch hatte, um die Erdgaslieferung nach Deutschland über Nord Stream 2 sicherzustellen, um die Not abzumildern. Wehe, wenn das irgendwann mal herauskommen sollte! Ihre Politik zerstört Deutschland. ({10}) Rezession und Inflation zertrümmern den produktiven Mittelstand, das Rückgrat unserer Wirtschaft, und treiben die bürgerliche Mittelschicht in die Verarmung. ({11}) Die Ursache für beides ist nicht der Ukrainekrieg; das ist eine jämmerliche Ausrede. ({12}) Die Ursachen sind die von Merkel und der CDU begonnene und die von Ihnen ins Absurde gesteigerte grüne Energiepolitik, die Energie systematisch knapp und teuer macht, die repressive Coronapolitik, die falsche Hochsteuerpolitik, die Sanktionspolitik gegen Russland ({13}) und die Verschuldungspolitik der EU, die den Euro zu einer sterbenden, wohlstandsvernichtenden Inflationswährung gemacht hat. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik! ({14}) Das EU-Verbot des Verbrennermotors wird den Automobilstandort Deutschland zerstören und unsere Industrie die Weltmarktführerschaft kosten. Aber Sie jubeln darüber. Die Deindustrialisierung Deutschlands ist schon in vollem Gange. Die Großkonzerne gehen ins Ausland, die Kleinbetriebe gehen pleite, ({15}) und mit ihnen gehen Hunderttausende von Arbeitsplätzen verloren. ({16}) Die Erzählung vom reichen Land ist ein Lügenmärchen. In Deutschland sind nur der Fiskus und die Leute auf der Regierungsbank reich, und die arbeitende Bevölkerung wird arm gemacht. Darum geht es doch hier. ({17}) Die Inflation lässt Realeinkommen, Ersparnisse und Renten dahinschmelzen. Was sich die Leute ein Leben lang hart erarbeitet haben, ist bei diesen Inflationsraten nach drei bis vier Jahren nur noch die Hälfte wert. Lassen Sie mal weitere Jahre ins Land ziehen, und stellen Sie sich vor, was dann passiert. Aber Sie denken gar nicht daran, die Gier des Steuerstaates zu zügeln, um die Menschen zu entlasten. Wer seine Lebensleistung seinen Kindern vererben will, wird gnadenlos abkassiert. Von wegen, mit der FDP gäbe es keine Steuererhöhung! Und zu allem Überfluss verhöhnen Sie die Bürger auch noch mit teuren, aus Steuergeld finanzierten einfältigen Werbekampagnen, dümmlicher Besserwisserei und penetranter Einmischung in die private Lebensgestaltung. ({18}) Die aufdringliche Coronaimpfwerbung eines Lauterbach ist eine doppelte Frechheit. Sie ist nicht nur miserabel gemacht, sie verbreitet auch vorsätzlich längst widerlegte Falschbehauptungen. ({19}) Die mRNA-Impfung schützt nicht vor der Übertragung des Virus. ({20}) Das ist nachgewiesen. Darauf war sie nie angelegt. Das hat die Pfizer-Managerin Janine Small bereits vor Wochen in einer Anhörung des EU-Parlaments zugegeben. ({21}) Aber Karl Lauterbach, der Pharmalobbyist im Gewand des Gesundheitsministers, klammert sich weiter an die Impflüge, auf deren Grundlage Millionen Menschen unter Druck gesetzt und Ungeimpfte unerträglich diffamiert wurden. Das totalitäre Experiment Ihrer Coronapolitik, die unsere Gesellschaft schwer beschädigt hat, muss ein Ende haben und aufgearbeitet werden! ({22}) Dann muss auch die zweifelhafte Rolle vieler Medien auf den Tisch, die nicht nur in der Coronakrise als Kontrolleure der Mächtigen versagt haben. Die Ausfälle eines öffentlich-rechtlichen Fernsehproleten, der im Zusammenhang mit dem Virus Kinder als Ratten und Pestüberträger bezeichnete, sind ein bitterer Tiefpunkt. ({23}) Finanziert über Zwangsgebühren – wie erbärmlich! Und dann noch dieses hirnrissige Gegendere. Einfach nur noch bekloppt, was hier abgeliefert wird. ({24}) Darum fordern wir seit Jahren die Abschaffung der GEZ-Zwangsgebühren. ({25}) Es ist unerträglich. Medien, die sich ausschließlich als Hofschranzen der Regierung betätigen, statt kritische Fragen zu stellen, ({26}) sind Teil des Problems einer maßlosen Coronapolitik genauso wie des irrationalen Klimawahns und der völlig aus dem Ruder gelaufenen Migrationspolitik der offenen Grenzen. ({27}) Deutschland hat in diesem Jahr schon mehr Migranten aufgenommen als auf dem Höhepunkt der Asylkrise 2015/2016. Die Kommunen sind hoffnungslos überlastet, und Sie nehmen den Kontrollverlust nicht nur hin, Sie heizen den Migrantensturm auch noch an. Sie schließen Sonderabkommen zum Import von Zehntausenden Afghanen. Sie verteilen Millionen an Schleuser, darunter auch an die Organisation des Partners von Frau Göring-Eckardt. ({28}) Das muss man sich mal vorstellen! Und Sie schaffen mit dem Umbau des Hartz-IV-Systems zum Bürgergeld einen mächtigen Migrationsmagneten, der Asylzuwanderer mit den höchsten Sozialleistungen aller EU-Staaten lockt. Wer es nach Deutschland schafft, muss faktisch nicht mehr gehen und hat über kurz oder lang Anspruch auf volle Sozialleistungen und Einbürgerung. Das hat mit einer verantwortungsvollen Einwanderungs- und Asylpolitik wirklich gar nichts mehr zu tun. ({29}) Die Deutschen zahlen die höchsten Steuern und Abgaben aller Industrieländer und bekommen dafür einen dysfunktionalen Staat, verwahrloste, balkanisierte Innenstädte, eine verfallene Infrastruktur, heruntergekommene Schulen, ein parasitäres Sozialsystem und ausufernde Ausländerkriminalität. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik! ({30}) Sie verteilen die Steuergelder überall hin, während die eigenen Landsleute nach der Flutkatastrophe im Ahrtal auch nach einem Jahr noch auf den Trümmern ihrer Existenz sitzen. Wie beschämend! Helfen Sie endlich diesen Menschen, den Flutopfern, und hören Sie auf, die Bürger auszunehmen, anzulügen und für dumm zu verkaufen. ({31})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Katharina Dröge. ({0})

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Weidel, Ihre Rede hat so wirr geendet – das war ein Kunststück bei einer Rede, die so eiskalt und widerlich war –, dass selbst Ihre eigene Fraktion vergessen hat, direkt zu klatschen, weil sie erstaunt war, dass das das Ende war. ({0}) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele Menschen haben am vergangenen Wochenende mit Sorge auf das geschaut, was bei der Klimakonferenz in Ägypten verhandelt wurde. Es ist wichtig, was dort verhandelt wurde; denn so wurde sichtbar, was die Klimakrise schon heute bedeutet: die schweren Überschwemmungen in Pakistan, die Hitze, Trockenheit und der Wassermangel in Europa; man kann zurzeit auf eine Insel im Gardasee zu Fuß laufen. Und auch hier in Deutschland – Frau Weidel, wenn Sie über das Ahrtal reden, aber nicht über die Klimakrise, dann haben Sie das Thema einfach nicht verstanden – werden viele Menschen in diesem Winter ein zweites Weihnachten feiern ohne die Menschen, die sie in der Flutnacht verloren haben, werden viele Menschen einen zweiten Winter in kaputten Häusern verbringen, ohne Heizung, werden Hoteliers keine Gäste haben, weil ihre Hotels weiterhin Baustellen sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können solche Orte wieder aufbauen. Wir können den Hochwasserschutz verbessern, wir können unsere Katastrophenwarnsysteme moderner machen; wir können Löschflugzeuge kaufen zur Bekämpfung der Waldbrände, die künftig kommen. Aber wir können nicht mehr verhindern, dass solche Katastrophen zunehmen, dass das öfter passiert. Das ist Vergangenheit; das sind die Fehler, die schon gemacht wurden. Was allerdings vor uns liegt, ist die Zukunft. Wir werden in diesem Jahrzehnt darüber entscheiden, welche Zukunft das sein wird. Diese Regierung hat zu ihrem Grundsatz gemacht, dass jedes Zehntel Grad Erderwärmung, das wir vermeiden können, einen großen Unterschied macht. Daran richten wir unsere Politik aus. ({1}) Deshalb war es auch so wichtig, was bei der Klimakonferenz verhandelt wurde. Deswegen wäre es auch so wichtig gewesen, dass sich die Weltgemeinschaft auf mehr Ambitionen verständigt. Dass das nicht passiert ist, ist ein Riesenproblem. Umso wichtiger ist es, dass die deutsche Bundesregierung gemeinsam nach Ägypten gefahren ist, mit mehreren Ministerinnen und mit dem Kanzler, und dagegen gekämpft hat, dass eine fossile Allianz aus Ländern wie Saudi-Arabien bis China versucht hat, das wichtige 1,5‑Grad-Ziel wieder zurückzudrehen, und die auch dafür gekämpft hat – das war ein besonderer Erfolg unserer Außenministerin Annalena Baerbock –, dass es endlich eine Vereinbarung zur Errichtung eines Fonds „Loss and Damage“ gibt. ({2}) Anzuerkennen, dass es eine historische Verantwortung der Industrieländer gibt für die Klimakrise, die jetzt schon existiert, und dass wir deshalb auch eine Verantwortung haben für die finanziellen Schäden, die entstanden sind, gerade in den Ländern, die sich am wenigsten selber helfen können, aber am härtesten betroffen sind, ist ein historischer Erfolg. ({3}) Gerade weil in Ägypten so wenig passiert ist, ist es umso wichtiger, dass diese Regierung und diese Koalition hier zu Hause entschlossen vorangehen in Sachen Klimaschutz und der Welt zeigen, dass gerade ein Industrieland wie Deutschland ins Gelingen kommen kann mit Blick auf die Klimakrise, nach zwei Jahrzehnten, die von Stillstand geprägt waren, die die Union zu verantworten hatte. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, hinter uns liegt ein Jahr, das aufgrund vielfältiger Krisen schwerer geworden ist, als wir uns das alle gewünscht haben. Und gerade deshalb ist es so eine besondere Leistung, dass wir mit Blick auf den Klimaschutz weiter gekommen sind, als viele es wahrscheinlich für möglich gehalten hätten. Wir werden das Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien verdreifachen. Wir werden endlich alle Hürden und Hindernisse aus dem Weg räumen, die Sie in den vergangenen Jahren aufgebaut haben. Deutschland war mal das Land, das die Energiewende erfunden hat, und Sie von der Union haben viel dafür getan, dass das in Vergessenheit geraten ist. Der Ausbau der Windenergie ist nach 2017 so heftig eingebrochen, dass die Windenergiebranche sogar einen Namen dafür hat, und der lautet: Die Altmaier-Delle. – Damit machen wir jetzt Schluss. ({5}) Wir haben es in diesem Jahr geschafft – einem Jahr, das so stark geprägt war von den fossilen Energien –, den Kohleausstieg in Westdeutschland um acht Jahre vorzuziehen, zwei Jahre, nachdem der Deutsche Bundestag den Kohleausstieg erstmals beschlossen hat. Ich bin Kölnerin. Das Rheinische Revier liegt vor meiner Haustür. Wer jemals an der Kante eines Braunkohletagebaus gestanden hat, wer den Irrsinn der Zerstörung gesehen hat, den diese gigantischen Löcher verursachen, Löcher, die einfach alles fressen – Häuser, Bäume, Kirchen, Straßen –, wer mit Menschen geredet hat und denen erklären musste, dass es irgendwen gibt in diesem Land, der es für eine gute Idee hält, die Heimat dieser Menschen, wo ihre Eltern und Großeltern aufgewachsen sind, einfach fressen zu lassen von einem Loch, der weiß, wie wichtig das ist, was wir in diesem Jahr erreicht haben. ({6}) Wir gehen in diesem Jahr noch weiter voran. Wir haben den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor beschlossen. Wir haben den schlafenden Riesen der Energieeffizienz geweckt. Gasheizungen werden ab dem nächsten Jahr nicht mehr neu eingebaut. Wir werden als Bundesrepublik Deutschland aus dem Energiecharta-Vertrag, dem klimaschädlichsten Vertrag, den die Europäische Union jemals abgeschlossen hat, aussteigen. ({7}) Wir haben mit dem 49‑Euro-Ticket ein Ticket geschaffen, das das Tarifsystem für Busse und Bahnen revolutioniert: ein Ticket für ganz Deutschland, deutlich billiger als nahezu jedes Monatsticket, das man in diesem Land kaufen konnte. ({8}) Was für ein Riesenschritt. Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass so etwas in so kurzer Zeit möglich ist? ({9}) Reicht das alles? Natürlich nicht. Wer die Klimakrise ernst nimmt, der weiß, dass wir uns deutlich mehr werden anstrengen müssen. Alleine im Verkehrssektor – das sagen die Sachverständigen der Bundesregierung – werden wir das Tempo vervierzehnfachen müssen. Wir müssen den Kohleausstieg im Osten umsetzen, wir wollen eine bundesweite Solarpflicht auf Dächern einführen, um nur einige Beispiele zu nennen. ({10}) Aber: Wenn man in einem einzigen Jahr trotz Krise so viel schafft, dann ist das ein Versprechen für die Zukunft und ein Zeichen dafür, was gelingen kann, wenn man es nur will. Ich stehe hier vor Ihnen als Vorsitzende einer Regierungsfraktion, deren Abgeordnete, jeder Einzelne von uns, wo all unsere Ministerinnen und Minister, insbesondere ganz voran Robert Habeck, jeden Tag daran arbeiten, dass aus dem Müssen ein Machen wird. Das ist unsere Haltung. ({11}) Wenn ich in Ihre Richtung, in Richtung der Union blicke, dann sehe ich das Gegenteil. Sie standen in den letzten 16 Jahren für Zögern, Zaudern und Bremsen. ({12}) Herr Merz, Sie haben eben über das Thema Wettbewerbsfähigkeit gesprochen. Ich sage Ihnen, Sie hätten aus Deutschland lieber ein Industriemuseum gemacht, ({13}) als sich zu trauen, auf Innovationen zu setzen und mit der Elektromobilität endlich mal einen Schritt in die Zukunft zu gehen. ({14}) Sie haben uns so lange die Geschichte erzählt, dass es für die Industrie zu Kohle, Öl und Gas keine Alternative gibt, dass Sie das wahrscheinlich immer noch machen würden, selbst wenn die ganze Welt schon auf Grünen Wasserstoff setzt. Sie haben so lange ein modernes Einwanderungsgesetz blockiert, bis in der Wirtschaft überall Fachkräfte fehlten. Das ist die Wirtschaftspolitik der Union. ({15}) Wenn ich mir anschaue, was Sie in den letzten 16 Jahren mit Blick auf China gemacht haben – Sie haben eben auch von China gesprochen –, dann war das eine Politik nach dem Motto: Wir schauen nicht hin; wir hoffen, dass Handel Wandel erzeugt, tun allerdings nichts dafür; wir gehen immer weiter voran in die falsche Richtung, und wir schauen weg. – Ich sage Ihnen: So funktioniert das nicht. So funktioniert das weder wirtschaftlich mit China, was die deutsche Industrie zum Glück mittlerweile erkannt hat, und so funktioniert das auch nicht mit Blick auf unsere Werte. Gerade in Beziehungen mit einem autoritären Staat wie China muss das Thema Menschenrechte angesprochen werden. ({16}) Gerade dann ist es wichtig, auf starke Lieferkettengesetze zu setzen, auf das Verbot von Zwangsarbeit zu setzen und nicht einfach ein Investitionsabkommen mit China weiter voranzutreiben, wie Angela Merkel das die ganze Zeit wollte. ({17}) Werte, Haltung und Menschenrechte spielen nicht nur in der Außenpolitik eine Rolle, spielen nicht nur im Sport eine Rolle, sie spielen auch in der Wirtschaft eine Rolle. ({18}) Dann komme ich zum Thema Klimaschutz: Während die Welt nach Ägypten geschaut hat, hat man von Ihnen, Herr Merz, herzlich wenig dazu gehört. Ich habe mich gefragt: War Ihnen das eigentlich wirklich so egal, was dort verhandelt wurde? Oder passte es einfach nur nicht in Ihr Konzept? Das Markanteste, was man am vergangenen Wochenende, während die Welt in Ägypten verhandelt hat, aus Ihren Reihen gehört hat, waren die Aussagen Ihres Vizes Jens Spahn, der sich nicht zu schade war, auf einem Parteitag der Union vor dem Entstehen einer Klimadiktatur zu warnen, nur weil ihm das Buch einer „taz“-Journalistin nicht gefallen hat. ({19}) „Klimadiktatur“, ernsthaft? Ich frage mich wirklich: Wo will die Union eigentlich gerade hin? So ein Framing, so eine Zuspitzung, so eine überdrehte Polemik hat man in den Debatten bislang nur von der AfD gehört. ({20}) Ich sage Ihnen: Auch Sie als Opposition tragen eine Verantwortung für die Diskussion, die wir hier führen. Wenn Sie, Herr Merz, bei der Aufnahme von ukrainischen Geflüchteten von „Sozialtourismus“ sprechen – was vorher nur in rechten Blogs mit russischer Propaganda aufgeschrieben wurde – ({21}) und das wiederholen, wenn Sie beim Thema Sozialleistungen von Pull-Effekten ({22}) und falschen Anreizen sprechen, dann macht das etwas mit diesem Land, dann vergiften Sie unsere politische Debatte, ({23}) dann spaltet das da, wo Politik eigentlich Wege suchen sollte, um zu verbinden. Das macht insbesondere etwas mit den Menschen, die hierherkommen und Schutz suchen; für die wird ihr Leben dann deutlich schwerer. ({24}) Ich hoffe ganz ehrlich, dass die Union diesen Weg nicht weitergeht. Denn ein Land, das in einer Krise ist, der größten Krise in Europa seit vielen, vielen Jahren, der größten Energiekrise der Bundesrepublik Deutschland, ({25}) das braucht die Haltung von Regierung und Opposition, dass sie gemeinsam Verantwortung dafür übernehmen, dass wir zusammen durch diese Krise kommen. Dieser Winter wird in der Ukraine hart und kalt. Wenn Russland die Infrastruktur attackiert, müssen wir die Ukraine mehr unterstützen. Dafür braucht es Zusammenhalt statt Spaltung, auch in den deutschen Debatten. ({26}) Auch für die Unterstützung der Menschen in diesem Land angesichts der extremen Inflation, der krassen Preissteigerungen, braucht es Zusammenhalt statt Spaltung. Die Regierung und die Regierungsfraktionen tun alles dafür, um Entlastungen auf den Weg zu bringen. Vier Entlastungspakete, Entlastung um 300 Milliarden Euro, das ist unsere Antwort auf diese Krise. Wir haben dabei insbesondere diejenigen Menschen in den Blick genommen, die die Unterstützung am meisten brauchen: durch die Ausweitung des Wohngeldanspruchs, durch den Kinderzuschlag, durch eine Erhöhung des Kindergelds, durch das 49‑Euro-Ticket und auch durch die Energiepauschalen; das sind unsere Antworten. ({27}) Deshalb ist auch das Bürgergeld so wichtig. Dass die Regelsätze nun hoffentlich, wenn heute Abend der Vermittlungsausschuss zusammenkommt und es zu einer Einigung kommt, um mehr als 50 Euro steigen, ist ein Gebot des Anstands. ({28}) Die Kölner Tafeln haben mir vor Kurzem erzählt, dass sie bei der Essensausgabe momentan nach 20 Minuten schließen müssen, dann ist das Essen weg – so groß ist der Andrang. Das haben die noch nie erlebt. Es kommen Menschen, die noch nie zuvor in ihrem Leben die Tafeln aufgesucht haben. Deswegen ist es so wichtig, dass wir heute Abend hier endlich handeln. ({29}) Ich freue mich, wenn Sie von der Union heute Abend zustimmen. Aber Ihre Kampagne, dass Sie sagen: „Arbeit lohnt sich nicht mehr in diesem Land“, die hätten Sie sich wirklich sparen können. ({30}) Denn das trägt auch wieder nur dazu bei, das Land zu spalten. Wenn Sie es damit ernst meinen, die Interessen derjenigen zu vertreten, die geringe Einkommen haben, warum machen Sie die Kampagne dann eigentlich immer falsch herum? Denjenigen Menschen, die wenig Einkommen haben, nützt es doch nichts, wenn diejenigen, die noch weniger haben, weniger bekommen. Denen würde es etwas helfen, wenn man ihre Einkommenssituation verbesserte. ({31}) Was ist das also für eine Logik? Ich würde mich freuen, wenn wir es heute Abend schaffen sollten, ein Bürgergeld zu beschließen, das mehr ist als eine Regelsatzerhöhung, das den Vermittlungsvorrang abschafft, das die Hinzuverdienstregeln verbessert, das die Weiterbildung stärkt, das mehr auf Kooperation und Vertrauen setzt und weniger auf Sanktionen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Gerade in einer Krise ist die politische Haltung entscheidend: dazu, wie man mit denjenigen umgeht, die am meisten Unterstützung brauchen. ({32}) Das sind die Menschen, die zu uns fliehen, das sind die Menschen, die keine Arbeit gefunden haben. Ich bin froh, einer Koalition anzugehören, die sich bei ihrer Haltung für Respekt, Würde und Solidarität entschieden hat – offensichtlich ganz im Gegensatz zu Ihnen. ({33})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Dr. Dietmar Bartsch. ({0})

Dr. Dietmar Bartsch (Unbekannt)

Politiker ID: 11003034

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein Jahr Ampelkoalition liegt jetzt hinter uns. Drei Viertel der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger sind laut ARD-DeutschlandTrend unzufrieden mit ihrer Regierung. Das ist auch kein Wunder; denn selten haben so viele Menschen in so kurzer Zeit so viel ihres bescheidenen Wohlstandes verloren wie unter Ihnen. Sie wollten „Fortschrittskoalition“ sein. Nun hatten Sie ein Jahr lang Zeit, in Ihrem ersten Ampelhaushalt genau das abzubilden. Ich kann feststellen oder muss feststellen: Es ist kaum eine Spur von mehr Fortschritt! Eines hat die heutige Debatte deutlich gezeigt: Nur Ihre Selbstzufriedenheit kann die Unzufriedenheit im Land noch toppen, meine Damen und Herren. ({0}) Ich will Ihre mangelnde Fähigkeit, die Bürgerinnen und Bürger vor der Preisexplosion zumindest etwas zu schützen, am Beispiel der Gaspreise deutlich machen. Erst wollten Sie gar keine Gaspreisbremse, sondern eine Gasumlage, ({1}) also noch höhere Preise. Dann wollten Sie eine Bremse, die nach dem Winter, also im März, gilt. Jetzt soll sie im Januar gelten. Was für ein Chaos! Das versteht kein Abgeordneter mehr, geschweige denn die Bürgerinnen und Bürger. Und wie soll denn ein Betrieb bei dieser Herangehensweise seine Zukunft planen? Lieber Herr Bundeskanzler, Sie leiten kein Kabinett, das solide arbeitet, ({2}) sondern da sind einige Dilettanten am Start oder, richtiger gesagt, Dilettantinnen und Dilettanten. ({3}) Heute verzweifeln viele Menschen an ihren Rechnungen. Heute wandern Firmen ab oder melden Insolvenz an. Spätestens zu Beginn der Heizperiode hätte es einen Gaspreisdeckel, einen Ölpreisdeckel geben müssen. Wir haben das hier im Haus seit Monaten gefordert. Die Dezemberhilfe soll die Gaskunden jetzt irgendwann mit der nächsten Jahresabrechnung erreichen. Jetzt und nicht irgendwann brauchen die Menschen Unterstützung. ({4}) Jetzt droht auch noch die Strompreisbremse Monate später zu kommen. Meine Güte, Ihre Politik hat mehr Verspätung als die Deutsche Bahn, meine Damen und Herren. ({5}) Aber Sie sind nicht nur die Zu-spät-Koalition, sondern Sie sind auch die Zu-wenig-Koalition. Ein Deckel von 12 Cent pro Kilowattstunde Gas – damit, das ist die Wahrheit, ist der Gaspreis noch immer doppelt so hoch wie vor dem furchtbaren Krieg Putins. Ein Deckel von 40 Cent pro Kilowattstunde Strom – das sind auch 12 Cent mehr pro Kilowattstunde. Das sind alles Deckelchen, beide viel zu hoch. Vor allen Dingen, meine Damen und Herren, sind Ihre Bremsen auch noch zutiefst sozial ungerecht. Ich will Ihnen das auch erklären: Der Villenbesitzer profitiert am meisten. Je höher der Verbrauch 2022 war, desto höher ist nämlich die Entlastung 2023. Das ist doch ungerecht. ({6}) Sie entlasten Gutverdiener deutlich mehr als Geringverdiener und die Mitte. Wer schon gespart hat, der schaut dumm aus der Wäsche, meine Damen und Herren. Warum gibt es denn kein festes Bürgerkontingent für Strom und Gas, pro Person, pro Haushalt, pro Familie? Korrigieren Sie diese Ungerechtigkeit, meine Damen und Herren! ({7}) Sie lassen niemanden zurück? Nein, Sie lassen viele Bürger allein. Im Übrigen: Auch hier zeigt Österreich, wie man es richtig macht. ({8}) In Österreich werden die Strompreise bei 10 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt. Wir haben weiterhin die höchsten Strompreise in Europa. Das ist verheerend für die Bürgerinnen und Bürger und für die Betriebe. Ihre Politik macht aus der Industrienation eine Kerzenrepublik, ({9}) und das ist inakzeptabel, meine Damen und Herren. ({10}) Dazu gilt bei Ihnen auch noch das Prinzip, dass jeder Versorger abkassieren kann, wie er will. Ob die Preise nun um 20, 30 oder 40 Cent pro Kilowattstunde steigen, ob sie verdoppelt werden oder verdreifacht, alles ist möglich. Im Übrigen findet leider auch alles aktuell statt. Damit muss Schluss sein, Herr Habeck! ({11}) Versorger sollten sich ihre Tarife genehmigen lassen müssen. Wir brauchen staatliche Preiskontrollen in Deutschland. Beenden Sie den Wilden Westen auf dem Energiemarkt, der die Menschen ruiniert, meine Damen und Herren! ({12}) Oder die Spritpreise: Da wollten Sie das Bundeskartellamt scharfstellen, Sie wollten ein Kartellrecht „mit Klauen und Zähnen“, Herr Habeck. Und was ist daraus geworden? Ein Miezekätzchen! ({13}) Die Wahrheit ist: Die Tankmultis, die Ölmultis verdienen sich dumm und dämlich. 38 Milliarden Euro Übergewinne in diesem Jahr. Wann holen Sie das Geld, das den Bürgerinnen und Bürgern aus der Tasche gezogen worden ist, zurück? ({14}) Real ist es doch so: Je mehr Shell und Total an der Preisschraube drehen, desto mehr verdient auch der Finanzminister über die Mehrwertsteuer. Das Gleiche gilt im Übrigen auch für die Energiepreise und an der Supermarktkasse: Je teurer die Energien, je teurer die Lebensmittel, desto höher sind die Steuereinnahmen. Die Wahrheit ist: 50 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen in diesem Jahr. Da frage ich Sie: Was ist denn eigentlich mit der Übergewinnsteuer, die Sie ja „Zufallsgewinnsteuer“ nennen? Also, als Marktwirtschaftler überzeugt mich das nicht, ({15}) aber sei’s drum. Wann schöpfen Sie die Zufallsgewinne bei den Profiteuren der Krise denn ab? Auch hier gilt: Sie kommen zu spät. Jetzt wollen Sie die Zufallsgewinne nicht mehr rückwirkend ab März 2022, sondern erst ab November 2022 abschöpfen. Na Donnerwetter! Energiekonzern müsste man sein. Das wäre wunderbar. ({16}) Meine Damen und Herren, wir befinden uns real an einem Kipppunkt. Sie müssen besser werden. Sie sind eine Zu-spät-Koalition. Warum haben Sie das Bürgergeld oder das Wohngeld nicht schon im Sommer auf den Weg gebracht, statt erst im November, um fünf vor zwölf? Das hat doch der Union erst die Möglichkeit gegeben. Herr Scholz, Sie sagen, kein Kind müsse in Armut aufwachsen. Dazu muss ich jetzt wirklich mal sagen: Sie haben die Kindergrundsicherung verschoben. Nach einem Jahr Olaf Scholz ist die Armutsrate bei Kindern bei über 20 Prozent. Das ist ein Höchstwert. Da können Sie hier doch nicht sagen: Wir lassen kein Kind zurück. – So ähnlich ist es auch beim Bürgergeld. Ja, der Entwurf – da habe auch ich hier im Plenum einiges gelobt – ist eine Verbesserung. Aber das, was Sie jetzt als Kompromiss haben, ist ausgetragen auf dem Rücken der Betroffenen. Deswegen kritisieren wir auch in Deutlichkeit diesen Kompromiss, meine Damen und Herren. ({17}) Jetzt noch eine Bemerkung zur Schuldenbremse. Der Finanzminister hat jetzt seine Schuldenbremse bekommen. Die Schuldenbremse ist ja für die FDP wie der Schnuller für das Baby. Wenn man ihm den wegnimmt, dann ist das Geschrei riesengroß. Aber, meine Damen und Herren, die Neuverschuldung beträgt trotzdem 45,6 Milliarden Euro. Herr Finanzminister, diese Verschuldung ist wirklich eine blanke Lügengeschichte, und das wissen Sie. In jedem Betrieb wäre das Bilanzfälschung. ({18}) Ein solches Vorgehen hat mit Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit aber auch wirklich gar nichts zu tun. Sie haben Schattenhaushalte in Größenordnungen errichtet, um die Schuldenbremse einhalten zu können, Sonderschulden für das Sondervermögen. Ich meine das Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr. Das ist kreditfinanziert, am Haushalt vorbei. ({19}) Das sind Schulden und nichts anderes. Auch der Wirtschaftsstabilisierungsfonds – 200 Milliarden Euro zur Senkung der Energiepreise –, der grundsätzlich richtig ist, ist nur kreditfinanziert. ({20}) Meine Damen und Herren, das hat mit solider Haushaltspolitik nichts zu tun. Ihr Haushalt ist ein Verschiebebahnhof mit ungedeckten Schecks. ({21}) Die Bürger ahnen im Übrigen, dass sie diese Schattenhaushalte bezahlen müssen. Ich will Ihnen sagen: Die Wirtschaftsweisen haben doch einen Gegenvorschlag gemacht. Angesichts der historischen Krise haben sie – und zwar völlig zu Recht – höhere Steuern für Topverdiener und Superreiche gefordert. Die Wirtschaftsweisen, das sind Ihre eigenen Sachverständigen, deren Sachverstand Sie ja offensichtlich anzweifeln, und das, obwohl wir in diesem Jahr mehr Millionäre im Land haben als je zuvor: 1,6 Millionen Vermögensmillionäre in Deutschland. Im Gutachten der Wirtschaftsweisen heißt es: „Energiekrise solidarisch bewältigen“. Dazu gibt es zwei zentrale Punkte: Erstens. Ärmere Haushalte leiden deutlich mehr unter der Inflation. Und zweitens. Wir brauchen höhere Steuern für Reiche und mehr Gerechtigkeit, um die Gesellschaft zusammenzuhalten. ({22}) Ja, wir brauchen endlich eine Vermögensabgabe für Milliardäre und Multimillionäre. Es geht übrigens nicht darum, Herr Finanzminister, die Steuern zu erhöhen. Nein, das wollen wir überhaupt nicht. Wir wollen sogar Entlastungen bei den kleinen und mittleren Einkommen, auch des Mittelstands. Aber Sie schützen die Milliardäre und die Superreichen, und das ist inakzeptabel. ({23}) Es kann doch nicht sein, dass die DAX-Vorstände in der Krise trotz bevorstehender Rezession ein Gehaltsplus von 25 Prozent haben. Es ist eben schon gesagt worden: Bei der Tafel gibt es 100 Prozent mehr Kundschaft. Das ist die Wahrheit, und das ist doch nicht normal, meine Damen und Herren. Da muss doch politisch gehandelt werden. ({24}) Das Land ist eben nicht gut gerüstet für den Winter. Es droht eine Verarmungslawine über Deutschland zu rollen. Dann haben Sie gestern gesagt, sehr geehrter Herr Finanzminister: Wir haben breitflächig entlastet. – Das waren Ihre Worte. Ehrlich gesagt: Was ist denn das für eine Realitätsverweigerung? Ja, ich weiß, es gab Entlastungspakete mit Vernünftigem. Aber viel zu wenig ist bei den Menschen angekommen, die die Entlastungen wirklich so dringend brauchen, meine Damen und Herren. ({25}) Es ist doch so, dass viele Menschen Verständnis dafür haben, dass es zurzeit wegen des furchtbaren Kriegs Putins und der Krise schwieriger ist als zuvor. Aber viele Menschen fühlen sich eben nicht beschützt und unterstützt von ihrer Regierung. Die fühlen sich schlicht ausgeliefert. Sie haben das Gefühl, dass sie die Folgen von Krieg und Krise allein tragen müssen, dass sie die Zeitenwende bezahlen müssen. Und das ist doch inakzeptabel. ({26}) Es reicht nicht, Blackouts und einen Zusammenbruch der Gasversorgung zu verhindern. Sozial, wirtschaftlich und auch politisch steht dieses Land vielleicht vor dem schwierigsten Jahr in der Nachkriegszeit. Schauen Sie auf die Herbstprognose der EU-Kommission: 0,3 Prozent Wachstum für die gesamte EU und in Deutschland minus 0,6 Prozent. Ehrlich gesagt: Für kein anderes Land ist die Prognose so schlecht. Da muss man doch vielleicht Schlussfolgerungen ziehen. ({27}) Mit dem Haushalt 2023 hätten Sie einen großen Schutzschirm über Deutschland spannen müssen, einen Schutzschirm für die Bürgerinnen und Bürger und für die Unternehmen: gegen Inflation, gegen Insolvenzen und gegen Verarmung. Aber Ihr Haushalt ist kein Schutzschirm, kein „You’ll never walk alone“. ({28}) Ihr Geist spiegelt sich in diesem Haushalt eben nicht wider. Ihr Haushalt ist Wellness für die Wohlhabenden und unterlassene Hilfeleistung für die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Vor allen Dingen aber ist er zutiefst unehrlich. Herzlichen Dank. ({29})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Christian Dürr. ({0})

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das erste Jahr dieser Koalition fällt in eine Zeit von Krise und wirtschaftlicher Unsicherheit, die entschlossenes Handeln verlangt. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist der Auslöser für hohe Energiepreise und für die wirtschaftliche Unsicherheit in unserem Land, die so niemand vorhersehen konnte. Aber: Der Grund liegt woanders. Der Grund liegt auch in falschen Entscheidungen in der Vergangenheit, die in Deutschland getroffen worden sind, und mutmaßlich ist da von den demokratischen Fraktionen hier im Haus niemand frei von Schuld. Es sind falsche Entscheidungen in der Vergangenheit getroffen worden, die diese Bundesregierung jetzt korrigieren muss und korrigieren will. Ich will eines vorwegsagen, insbesondere vor dem Hintergrund des Themas Energiepreise: Diese hohen Energiepreise kann sich niemand leisten, und mit diesen Preisen darf in Deutschland deshalb niemand alleine gelassen werden, meine Damen und Herren. ({0}) Wir haben mit drei Entlastungspaketen die privaten Haushalte, die Verbraucherinnen und Verbraucher, die Unternehmen stark entlastet. Insbesondere bei der Energiepolitik – ich sprach es gerade an – haben wir neue Entscheidungen getroffen. Ich will das in Richtung der Kolleginnen und Kollegen der Union sagen: Mit den LNG-Terminals und jetzt mit der Eröffnung des Terminals in Wilhelmshaven hat diese Koalition in neun Monaten mehr zur Energiediversität, mehr zur Energiesicherheit in Deutschland beigetragen als die Bundesregierungen in 16 Jahren unter der CDU/CSU. Das muss man feststellen. ({1}) Mutige Entscheidungen in den ersten Monaten hätte uns wahrscheinlich damals keiner zugetraut. Mit dem Abwehrschirm stabilisieren wir die Energiepreise in Deutschland ganz gezielt über die Gaspreisbremse und die Strompreisbremse. Ihn haben wir bereits durch den Deutschen Bundestag gebracht. Wir stellen uns dieser Krise entschlossen entgegen, wir wollen sie bewältigen, auch wenn richtig ist, dass der Staat nicht alles leisten kann. Aber diese Bundesregierung tut alles, was in diesen schwierigen Zeiten für die Unternehmen und die Menschen in Deutschland möglich ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Gerade vor diesem Hintergrund ist es umso bemerkenswerter, was dieser Bundesregierung, dieser Mehrheitskoalition im Deutschen Bundestag mit dem Bundeshaushalt 2023 gelingt. Wir lösen das Versprechen des Koalitionsvertrages ein und kehren in Deutschland endlich zur Schuldenbremse zurück. ({3}) Das ist ein wichtiges Zeichen für die Stabilität Deutschlands und für Deutschland in der Europäischen Union, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Ich fand an der Stelle aber – Sie haben es in der Rede nicht untergebracht, Herr Merkel – ({5}) die Haltung der Union bemerkenswert. ({6}) Sie machen ja dieser Tage viele Termine vor Ort – ich lese das in der Zeitung –, mit Bäckereien beispielsweise, mit Handwerksmeistern. Es ist, Herr Merz, umso bemerkenswerter, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Abwehrschirm für die Wirtschaft, für die privaten Haushalte in Deutschland nicht mitträgt, sondern dagegengestimmt hat, liebe Kollegen. Sie haben dagegengestimmt. ({7}) Und es bleibt Ihr politisches Geheimnis, wie Sie die Forderung selbst aufgebracht haben. Hier haben Sie beispielsweise in Reden einen Gaspreisdeckel gefordert, in Reden hier vorne, lieber Kollege Merz. Aber bei der Abstimmung im Deutschen Bundestag haben Sie sich dagegen entschieden. ({8}) Jetzt kommt Ihr Argument – ich will es aufgreifen, weil Sie sich nicht mehr trauen, es hier vorzubringen –: Herr Kollege, Sie haben gesagt, das müsse über den Bundeshaushalt finanziert werden, also über den Kernhaushalt 2023. Ich habe mir die Mühe gemacht, die Änderungsanträge der CDU/CSU-Bundestagsfraktion durchzuschauen, ({9}) und habe festgestellt: Zu einem Abwehrschirm für die Wirtschaft, zur Finanzierung der Gas- und Strompreisbremse steht in den Entwürfen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion exakt gar nichts, liebe Kolleginnen und Kollegen. Gar nichts schlagen Sie an dieser Stelle vor – nichts! ({10}) Ja, diese Koalition hat den Beschluss der alten Bundesregierung zum abgelaufenen Haushalt 2022, die Schuldenbremse auszusetzen, aufgegriffen und fortgesetzt, insbesondere auch, um diesen Abwehrschirm zu finanzieren. Aber ich finde es bemerkenswert, dass gerade Sie, die Sie ja in Karlsruhe dagegen klagen, Mittel aus dem Klima- und Transformationsfonds zu nutzen, in Ihren Änderungsanträgen zum Bundeshaushalt fordern, genau diese Mittel einzusetzen. Wie logisch ist das denn noch? ({11}) Das grenzt doch an Schizophrenie, liebe Kollegen. Da sind Sie gespaltene Persönlichkeit; das ist absurd. Ich sage auch: Wie viel besser wäre es haushaltspolitisch gewesen, wenn zu Zeiten der Coronakrise die Große Koalition nicht die Schuldenbremse für alles Mögliche im Bundeshaushalt aufgehoben hätte, sondern sie wie diese Regierungskoalition nur für sehr gezielte Hilfsmaßnahmen ausgesetzt hätte. Der Grund, warum wir im kommenden Jahr im Vergleich zum Haushalt 2021 das Zehnfache an Zinsen zahlen müssen, liebe Kollegen – ohne zu investieren in Bildung, in die Bundeswehr und all die wichtigen Dinge, die der Bund tun muss –, ist, dass Ihre Coronaschulden für alles Mögliche gewesen sind. Das war die Verantwortung der CDU/CSU in der Vergangenheit, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({12}) Wir lösen das Versprechen, das wir gegeben haben, ein. Trotz dieser Herausforderungen und der Erblasten der letzten Regierungskoalition erhöhen wir den Investitionsanteil im Bundeshaushalt auf ein Rekordniveau in Höhe von 70 Milliarden Euro. Der erste echte Haushalt dieser Koalition löst das Versprechen des Koalitionsvertrages zur finanziellen Solidität und zur Investition in die Zukunft Deutschlands ein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Versprochen, gehalten – das muss an dieser Stelle bemerkt werden. ({13}) Gleichzeitig sorgen wir für milliardenschwere Entlastungen im kommenden Jahr, nämlich für steuerliche Entlastungen, wie es sie in Deutschland seit Jahrzehnten nicht gegeben hat. Mit dem Inflationsausgleichsgesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen, schaffen wir die umfangreichsten Entlastungen, und zwar in Höhe von 50 Milliarden Euro in den kommenden zwei Jahren. Wir gleichen die kalte Progression vollständig aus. Der Ausgleich der kalten Progression, liebe Kollegen, ist das Zeichen an die hart arbeitende Mitte in Deutschland: Leistung lohnt sich, auch steuerlich. Dafür steht diese Regierungskoalition, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({14}) Studentinnen und Studenten werden bis zu 1 000 Euro mehr im Jahr haben. Es gibt die größte Kindergelderhöhung in der Geschichte unseres Landes auf 250 Euro pro Kind, und jede Familie mit zwei Kindern in Deutschland wird bis zu 2 000 Euro mehr Netto in der Tasche haben. ({15}) Diese Koalition setzt ein Zeichen für Leistung und Aufstieg. Das ist der Kern an dieser Stelle. Seit Jahrzehnten wurden die arbeitenden Menschen in diesem Land nicht mehr so stark entlastet. Der Ausgleich der kalten Progression ist das erste wichtige Zeichen von Leistungsgerechtigkeit dieser Regierungskoalition, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({16}) Das zweite Zeichen werden wir hoffentlich am heutigen Abend setzen können, und zwar gemeinsam. Ich freue mich ausdrücklich über den wahrscheinlich gefundenen Kompromiss beim Bürgergeld, der heute Abend im Vermittlungsausschuss Thema sein wird. Das Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft ist doch in Wahrheit in Deutschland schon seit Langem beschädigt. Man könnte sagen: Es ist teilweise kaputtgegangen. Für Familien ist Langzeitarbeitslosigkeit seit Jahren eines der größten Risiken für Armut. Mit dem neuen Bürgergeld gehen wir also ein fundamentales Gerechtigkeitsproblem unseres Sozialstaates an. Nach der alten Rechtslage – ich will das beispielshaft sagen – würden einem Auszubildenden von 800 Euro Ausbildungsvergütung lediglich 240 Euro übrig bleiben. Das ändert diese Koalition. Über 600 Euro hat dieser junge Mensch in der Tasche. Gerade für junge Menschen, die in die Berufsausbildung gehen und im Leben etwas leisten wollen, muss sich Leistung lohnen. ({17}) Der Kern dieses Bürgergeldes ist nämlich, das Aufstiegsversprechen für diejenigen einzulösen, die es im Leben am schwersten haben. Es geht um Arbeitsanreize, die wir verbessern werden, insbesondere bei den Hinzuverdienstregeln sowie bei der Weiterbildung und den Qualifizierungsmöglichkeiten. Da will ich noch einmal in Erinnerung rufen: Wäre es hier komplett nach der Union gegangen, hätten wir heute kein Bürgergeld und keine Aufstiegschancen, sondern wir hätten lediglich Hartz IV mit höheren Regelsätzen. Das war für uns als Koalition und für mich als FDP-Politiker zu keinem Zeitpunkt eine Option. Der Kern des Bürgergeldes ist, das Aufstiegsversprechen und die Arbeitsanreize endlich wieder in den Sozialstaat zu bringen; denn wir wollen, dass die Menschen von eigener Hände Arbeit leben können. Das ist das Signal des Bürgergeldes, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({18}) Seit der Rede des Bundeskanzlers ist das Wort „Zeitenwende“ hier richtigerweise immer wieder erwähnt worden. Ja, geopolitisch, geowirtschaftlich muss diese Koalition neu reagieren und korrigieren, was in der Vergangenheit an Fehlern gemacht worden ist. Die Zeitenwende gilt deshalb insbesondere auch für unseren Blick auf die Welt, meine Damen und Herren. Trotz aller Anstrengungen, die wir hier vor Ort unternehmen, dürfen wir deshalb das Große und Ganze nicht aus dem Blick verlieren. Herr Merz, Sie haben richtigerweise auch den Systemwettbewerb angesprochen, beispielsweise mit China. Sie haben die Handelspolitik der Vereinigten Staaten angesprochen, die uns Probleme bereitet, gerade unseren mittelständischen Unternehmen. Ich teile das ausdrücklich. Aber als Antwort auf USA und China kommt als erster konkreter Vorschlag des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU die Abschaffung der Verbandsklage in Deutschland. Da werden die in Peking zittern; davon bin ich überzeugt. Die kriegen alle Angst bei diesem Vorschlag von Herrn Merz, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({19}) Ja, es ist richtig: Die internationale Ordnung, das Kräfteverhältnis im wirtschaftlichen Sinne zwischen den Ländern hat sich geändert, und wir müssen in der Gegenwart und in der Zukunft insbesondere auf die Demokratien in der Welt setzen. Deutschland muss seine Wettbewerbsfähigkeit auf neue Füße stellen, und das gelingt eben nur mit den richtigen internationalen Partnern an unserer Seite. Deutschlands wirtschaftliche Stärke muss basieren auf Diversifizierung, freiem Handel, Kooperation, Weltoffenheit und Demokratie; denn was wir jetzt brauchen, ist doch mehr Austausch und Handel mit den Demokratien der Welt. Das bisherige Modell in Deutschland – günstige Energie von Autokraten, Absatzmärkte, verstärkt in den letzten Jahren, in Diktaturen und hohe Steuern in Deutschland – hat an Fundament verloren. Für die Zukunft muss es doch ganz klar unser Geschäftsmodell sein, dass wir auf die Demokratien in der Welt setzen. Mit einer neuen Handelsagenda setzt diese Koalition deshalb ein wichtiges Zeichen. ({20}) Meine Damen und Herren, in der kommenden Sitzungswoche des Deutschen Bundestages werden wir das Freihandelsabkommen CETA mit Kanada im Deutschen Bundestag ratifizieren, nachdem Ihnen von der Union das jahrelang nicht gelungen ist. ({21}) Das ist die Zeitenwende, die wir hier anstreben. Kann sich einer von den heutigen Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion daran erinnern, dass Sie jemals einem Freihandelsabkommen hier im Deutschen Bundestag zugestimmt haben? Nichts ist in den 16 Jahren passiert, nicht mal CETA. Nichts haben Sie erreicht beim Freihandel, gar nichts. Das ist die Wahrheit. ({22}) Aber wir gehen weiter. Es soll doch nicht bei CETA bleiben. Wir setzen uns für eine Ratifizierung des Mercosur-Abkommens ein. Wir bringen die Freihandelsabkommen mit Chile und mit Mexiko zum Abschluss. Ich sprach vom transatlantischen Verhältnis; ich sprach davon, dass wir mit den Demokratien der Welt zusammenarbeiten müssen. Diese Koalition strebt einen neuen Anlauf zu einem transatlantischen Abkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika an. Auch das ist ein wichtiges Zeichen dieser Regierungsmehrheit im Deutschen Bundestag, meine Damen und Herren. ({23}) Deswegen will ich zum Schluss auf all die Dinge, die wir jetzt konkret in dieser Woche mit dem Bundeshaushalt 2023 umsetzen, und auf das verweisen, was wir politisch vereinbart und bereits auf den Weg gebracht haben, beispielsweise bei der Planungsbeschleunigung – was wir in Wilhelmshaven geschafft haben, ist geradezu eine Blaupause für das, was wir in Deutschland machen müssen, insbesondere bei der Energiepolitik; ich sprach es an –, aber auch ganz konkret bei Zukunftsthemen wie der Stärkung der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland, insbesondere bei der Rente. Deutschland steht vor einer demografischen Krise. Diese Regierungsmehrheit, diese Bundesregierung haben sich auf die Fahnen geschrieben, sich dieser Aufgabe endlich zu stellen. Mit der Aktienrente führen wir die Kapitalbasierung in die erste Säule der deutschen Rentenversicherung ein. ({24}) Das ist eine Zeitenwende, auch für die sozialen Sicherungssysteme in unserem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({25}) Zum Schluss. Deutschland steht vor einer demografischen Krise, insbesondere auch, weil die Union über Jahre, wahrscheinlich sogar Jahrzehnte, negiert hat, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, ({26}) ja, auch deshalb, weil Einwanderungspolitik in den letzten Jahren nicht stattgefunden hat, ({27}) weil Sie, insbesondere Ihre Innenminister, dies regelmäßig verhindert haben. Der Wohlstand in Deutschland beruht auf besserer Energiepolitik in der Zukunft; aber er beruht auch darauf, dass wir ausreichend Menschen am Arbeitsmarkt haben. Deswegen wird diese Koalition ihr Versprechen einlösen: ein Einwanderungsgesetz für den deutschen Arbeitsmarkt, ({28}) damit unser Mittelstand florieren kann, damit die Industrie florieren kann und damit wir den Wohlstand in Deutschland auch in Zukunft sichern. Dieses Versprechen lösen wir ein! Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({29})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Dürr, es ist Ihnen wahrscheinlich vorhin nicht aufgefallen, aber Sie haben in Ihrer Rede Herrn Merz mit „Herr Merkel“ angesprochen. Ich gehe davon aus, dass beide, Frau Merkel und auch Herr Merz, es von sich weisen würden, miteinander verheiratet zu sein. ({0}) Insofern korrigiere ich das für Sie gerne mit. Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Alexander Dobrindt. ({1})

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Kollege Dürr, man muss sich nicht nur in diesem Fall, sondern über eine ganze Reihe von anderen Themen in Ihrer Rede erheblich wundern. Da scheint ja manches durcheinandergegangen zu sein, wenn Sie davon reden, dass jetzt endlich Freihandelsabkommen abgeschlossen werden: CETA kommt jetzt, ein Freihandelsabkommen mit den USA wird geschlossen. Dann werfen Sie aber mal einen Blick in diese Reihen: Keine einzige Hand bei der SPD hat sich zum Beifall bewegt. Und da kommen Sie auf den Gedanken, es habe an der Union gelegen, dass wir diese Freihandelsabkommen nicht haben? ({0}) – Lieber Herr Dürr, man muss sich mit Ihrer Rede weiter beschäftigen, weil Sie ganz offensichtlich vieles durcheinanderbringen. Sie verwechseln in der Fortschrittskoalition auch Fortschritt mit offensichtlicher Verschleierung. ({1}) Sie reden von der Einhaltung der Schuldenbremse im nächsten Jahr. Das Geld dafür beschaffen Sie sich in diesem Jahr. Sie reden von Rekordinvestitionen: Ein wesentlicher Teil davon, 10 Milliarden Euro, ist der FDP-Beitrag zur Rentenversicherung, Ihre Aktienrente. ({2}) Sie reden von soliden Finanzen, schaffen aber einen Schattenhaushalt nach dem anderen. Sie geben dem Wort „Schattenkabinett“ eine ganz neue Bedeutung, Herr Dürr. ({3}) Sie verwechseln Fortschritt mit Verschleierung, und Sie verwechseln übrigens auch Investitionsquote mit Illusionsquote. Das ist die Realität in Ihrem Haushalt! ({4}) Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, wenn wir schon bei Illusionen sind: Sie bedienen sich bei Alice im Wunderland: Was groß ist, ist klein, und was klein ist, ist groß. So Ihre Worte. Mir fällt bei dieser Bundesregierung ganz ehrlich nur eins ein: Jim Knopf und der Scheinriese. Je näher man Ihrer Bundesregierung kommt, umso kleiner werden Ihre politischen Leistungen. Das ist die Realität! ({5}) Herr Bundeskanzler, Sie haben vorhin am Rednerpult betont, Sie wollen und Sie werden 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung investieren. Das Problem ist doch nur: Sie machen es nicht, Herr Bundeskanzler! Sie haben gesagt, es müssten erst Maschinen angeschafft werden, damit überhaupt irgendwas produziert werden kann. Geht es eigentlich noch kleiner in der Argumentation? Ihre Verteidigungsministerin hat bei den Verhandlungen zu den 100 Milliarden Euro Sondervermögen zugesagt, dass sie noch in diesem Jahr für 10 Milliarden Euro Munition beschaffen wird. Keine einzige Patrone ist bisher bestellt worden. Das Problem, Herr Bundeskanzler, sind nicht die fehlenden Maschinen in Deutschland, sondern die fehlende Führung in Ihrem Verteidigungsministerium! Darum geht es! ({6}) Bei der Einbringung dieses Haushalts, Herr Bundeskanzler, am 7. September dieses Jahres haben Sie uns noch – sehr bescheiden – mitgeteilt, dass Sie die Energieversorgungsprobleme bereits gelöst hätten, bevor wir sie überhaupt erkannt hätten. ({7}) Wie Ihre Lösung ausschaut, das sagte uns vorgestern Ihr Behördenchef der Bundesnetzagentur Klaus Müller auf Twitter – ich zitiere wörtlich –: Keine Panik. So kann es tatsächlich zu Stromabschaltungen im Winter kommen. Doch diese dürften meist vorab angekündigt werden … und maximal vier Stunden dauern. Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, vier Stunden Blackout mag ja für diese Bundesregierung der Normalfall sein, aber für die Bürger ist es eine Bankrotterklärung Ihrer Energiepolitik! ({8}) Frau Kollegin Dröge, Sie haben hier vorhin als Vorsitzende einer Regierungsfraktion, wie Sie sich ja zu Recht genannt haben, davon gesprochen, dass ab dem Jahr 2023 keine Gasheizungen mehr eingebaut werden dürfen. ({9}) An welcher Stelle dieses Koalitionsvertrags steht das eigentlich? ({10}) Ich kann Ihnen nur sagen: Ich habe es nicht gefunden. Vielleicht sollten Sie das mal aufklären. Entweder war diese Aussage frei erfunden, oder Sie haben gerade eine ganze Branche in die Insolvenz geschickt. ({11}) Das ist ein grundlegender Fehler, den Sie hier begangen haben. Korrigieren Sie das bitte! Meine Damen und Herren, dass die Lage am Energiemarkt so dramatisch ist, das haben wir in den letzten Tagen und Wochen intensiv diskutiert, übrigens auch mit unseren Nachbarländern, weil wir auf Stromlieferungen dieser Nachbarländer angewiesen sind. Sie, Herr Habeck, haben allerdings ganz offensichtlich eine hohe Bereitschaft, unsere europäischen Partner vor den Kopf zu stoßen. ({12}) Das schafft kein zusätzliches Vertrauen. Sie haben in den letzten Monaten mit der Übernahme von Uniper auch unternehmerische Verantwortung für die Energiepolitik in Deutschland übernommen, und Sie haben damit unternehmerische Verantwortung für die Energiepolitik in anderen europäischen Ländern übernommen. Die Schweden beispielsweise setzen neben der Wasserkraft und anderen erneuerbaren Energien weiter auf die Kernenergie. Uniper betreibt in Schweden auch die Kernkraftwerke. Der Bau eines weiteren Kernkraftwerks, das in Schweden geplant ist, wurde jetzt von Uniper aus Deutschland heraus öffentlich abgesagt. Und, Herr Bundeswirtschaftsminister, die schwedische Energieministerin Ebba Busch wurde zu keinem Zeitpunkt von Ihnen darüber informiert. Wenn das der Umgang mit unseren europäischen Partnern ist, dann schaffen Sie kein Zusammenwachsen in Europa, sondern Sie isolieren Deutschland energiepolitisch in Europa. ({13}) Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister, Sie haben hier in Ihrer Haushaltsrede am 8. September dieses Jahres gesagt – ich zitiere –: Inflation bekämpft man nicht mit immer neuen Staatsschulden, sondern nur dadurch, dass man zurück zur Seriosität und Solidität findet. Diese Aussage ist richtig, aber zwischen Ihrer Rede und dem heutigen Tag liegen 250 Milliarden Euro weitere neue Schulden, und die Inflationsrate ist von 7,9 Prozent auf 10,4 Prozent gestiegen. Die Ampel hat jetzt 550 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen. ({14}) Das ist der Schuldenstand, den alle Bundesländer zusammen seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland geschaffen haben. Das ist die Realität in Ihrem Haushaltsansatz! ({15}) So, und dabei sagen Sie nach wie vor nicht genau, für was und zu welchem Zeitpunkt Sie dieses Geld in Anspruch nehmen wollen. Sie bauen einen großen Schuldensack im Keller Ihres Finanzministeriums auf und glauben offensichtlich daran, dass er da in den nächsten Monaten unbehelligt stehen wird. Schauen Sie sich doch bitte mal Ihre Koalitionspartner an: Das ist wie mit dem Hund und dem Wurstvorrat. ({16}) Das kann an dieser Stelle definitiv nicht gut gehen. Deswegen rate ich Ihnen dringend: Kehren Sie zur Solidität zurück! Nehmen Sie Ihre eigenen Worte ernst, und vertrauen Sie doch nicht Ihren Koalitionspartnern, dass sie Ihren Geldsack im Keller zufriedenlassen. ({17}) Sie haben in Ihrer Rede gestern, Herr Bundesfinanzminister, deutlich gemacht, dass sich diese Bundesregierung entschieden habe, keine Steuererhöhungen vorzunehmen. Das irritiert etwas, weil wir zurzeit bei den Notaren Hochkonjunktur erleben in Vorbereitung Ihres Jahressteuergesetzes, bei dem zu erwarten ist, dass Erbschaft- und Schenkungsteuern auf Immobilien massiv erhöht werden. ({18}) Sie haben in Ihrer Rede dazu definitiv nichts gesagt. Ich kann Ihnen sagen: Die Angst ist berechtigt, und sie ist groß. ({19}) Ein Erbrechtsexperte hat nachgerechnet, dass beim Vererben oder Verschenken eines Hauses die Erbschaft- oder Schenkungsteuer deutlich ansteigt. Ein Wertanstieg von 61 Prozent führt dazu, dass für das Häuschen, das bisher für 10 000 Euro verschenkt oder vererbt worden ist, jetzt 60 000 Euro an Schenkung- oder Erbschaftsteuer anfallen. ({20}) Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister, wir brauchen keine Steuererhöhungen auf Immobilien durch die Hintertür. Wir brauchen hohe Freibeträge, damit keine Erbschaftsteuer beim Übergang von Immobilien anfällt. Deswegen sage ich Ihnen an dieser Stelle – ich zitiere Ihren Parteikollegen Kubicki –: „Der Spaß hört jetzt auf!“ Die SPD fordert eine Vermögensabgabe, ({21}) die Grünen fordern Steuererhöhungen, und das Finanzministerium ist für die Erbschaftsteuer zuständig – das ist eine grundfalsche Aufstellung dieser Regierung. Wir brauchen endlich Freibeträge, damit es nicht zu Steuererhöhungen durch die Hintertür kommt. Die Leute haben berechtigte Angst davor, dass Immobilien nicht vererbt werden können, weil Sie ihnen in die Tasche greifen wollen. Das ist die Wahrheit über die Politik dieser Bundesregierung. ({22})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Rolf Mützenich für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in extremen und anstrengenden Zeiten. Der von Präsident Putin wissentlich und willentlich entfachte Krieg ist die schlimmste Form extremer Politik. Aber auch das Abgleiten ehemals stabiler Demokratien oder die Leugnung des Klimawandels sind Folgen und Zeugen von Radikalität und Ignoranz. ({0}) In diesem Umfeld wächst die Versuchung, extreme politische Debatten zu führen, leider auch bei uns. Ich denke, wir Demokratinnen und Demokraten müssen uns diesem Extremismus entgegenstellen. ({1}) Weil die Wirklichkeit komplex ist, müssen wir den Vereinfachern mit unserer Fähigkeit zur Vernunft und zum Kompromiss begegnen. ({2}) Rigorismus ist Gift für den notwendigen Zusammenhalt und für eine kluge Politik. Besonnenheit, Pluralismus und ein Höchstmaß an Freiheit und Gerechtigkeit ({3}) sind die Voraussetzungen für den inneren und äußeren Frieden. ({4}) Deutschland hat hierbei eine wichtige Rolle inne. Die Koalition wird von sehr unterschiedlichen Parteien getragen. Diese einzigartige Chance müssen wir – davon bin ich überzeugt – nutzen. In einem Bündnis gleichberechtigter Parteien wollen wir unsere gemeinsamen Anliegen wie Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit bündeln und einlösen, und das mit Augenmaß und einem Sinn für neue Realitäten. Das ist der Auftrag für eine Koalition des Fortschritts, und wir sind stolz, mit Olaf Scholz an der Spitze daran mitwirken zu dürfen, meine Damen und Herren. ({5}) Die Gesetzgebung der letzten Monate und der neue Haushalt – darum geht es heute – ergänzen sich. Das ist eine kluge Politik. Der Bundesfinanzminister hat zum Abschluss der Haushaltsberatungen bei der Bereinigungssitzung die Haushälterinnen und Haushälter, wenn ich mich recht entsinne, als „interessantes Völkchen“ bezeichnet. ({6}) Ich nehme an, daraus klingt Sympathie, Unterstützung und Respekt. Lassen Sie mich sagen: Es sind selbstbewusste und kompetente Abgeordnete, ({7}) ausgestattet mit dem Vertrauen des Souveräns, die noch einmal 31 Milliarden Euro bewegt haben. Eben weil wir uns auf nachhaltige öffentliche Güter wie Arbeit, Wohnen, Bildung und Mobilität konzentrieren, hat es sich gelohnt, diesen Haushalt zu verbessern. Ich bin der festen Überzeugung, dass dieser Haushalt uns gut durch das neue Jahr tragen wird. Gleichzeitig schafft dieser Haushalt die Voraussetzung für den Umbau der Wirtschaft, für eine klimaneutrale Produktion, für neue und gut bezahlte Arbeitsplätze und auch für die Entwicklung von Ideen. Bei diesen Herausforderungen, meine Damen und Herren, müssen wir vorankommen. Im Vergleich zu den vielen Jahrhunderten vor uns, wo der Strukturwandel über Gesellschaften immer hereingebrochen ist, haben wir diesmal die einzigartige Chance, diesem Strukturwandel vorab den Weg zu bereiten. Das ist die Konsequenz aus den Entwicklungen und der Auftrag an diese Koalition: Wir können ein modernes Deutschland schaffen, das sich in den nächsten Jahrzehnten in einem neuen internationalen Umfeld behaupten kann und auch muss. ({8}) Diese Agenda, meine Damen und Herren, ist natürlich überlagert von einem brutalen Krieg insbesondere gegen die Zivilbevölkerung, der bei uns eine Energiekrise hervorgerufen hat und damit verbunden auch einen wachsenden Kaufkraftverlust. Aber es ist unbestritten, dass wir die Ukraine, die so brutal und auf Lügen aufgebaut angegriffen worden ist, unterstützen müssen, und zwar, ja, mit Waffen, gleichzeitig aber auch durch humanitäre Hilfe und finanzielle Unterstützung, die schon vor dem Krieg vonseiten Deutschlands sehr groß geworden ist. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist, der Entgrenzung des Krieges durch eine kluge Politik vorzubeugen, und das muss man sich jeden Tag neu erarbeiten. Das tut diese Bundesregierung, das tut der Bundeskanzler. Deswegen bedauere ich, dass vor dem Hintergrund aktueller Ereignisse des Raketeneinschlags in Polen manche übereilt, manche, wie ich finde, zu gefährlich und zu risikovoll reagiert haben. Um dieser Entgrenzung des Krieges vorzubeugen, gehört auf der einen Seite, die Ukraine zu unterstützen, aber auf der anderen Seite auch eine kluge Diplomatie, eine Reisediplomatie, wie sie der Bundeskanzler unternommen hat. Es geht insbesondere darum, die Länder mitzunehmen, die unmittelbar nach Ausbruch dieses Krieges nicht auf der Seite der 141 Staaten gestanden haben, die eine entsprechende Resolution verabschiedet haben, sondern die sich der Stimme enthalten haben, aber trotzdem gegen den Krieg sind. Deswegen war es richtig, diese Länder zum G‑7-Gipfel einzuladen und in diese Länder zu reisen. Man muss auch mit jenen sprechen, die nicht von Anfang an mit einem einer Meinung sind. Deswegen ist Diplomatie kein Relikt vergangener Tage, sondern aktueller denn je. ({9}) Wir brauchen auf der einen Seite eine kluge Außenpolitik, auf der anderen Seite eine kluge Sozialpolitik, die sich den inneren Herausforderungen stellt. Ich bin froh, dass meine Fraktion in Dresden drei notwendige Bedingungen formuliert hat, die sozusagen den Pfad vorzeichnen: auf der einen Seite unmittelbare, soziale, direkte Hilfen, auf der anderen Seite eine Grundsicherung für bezahlbare Energie, Sicherheit und Zuversicht für die Verbraucher. Aber es hängt noch mehr daran: Wir wollen mit dieser Grundsicherung den industriellen Kern in Deutschland erhalten. Wir wollen uns wappnen, was die USA zurzeit versucht, und für günstige Energie sorgen. Gleichzeitig sage ich: Voraussetzung für die Grundsicherung im Bereich Energie ist, dass die Standortsicherung in Deutschland garantiert wird. ({10}) Letztlich geht es auch um Beschäftigungssicherung. Wir wollen die Arbeitsplätze für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland halten. Es war deswegen gut, dass die Bundesregierung zusammen mit den sie tragenden Fraktionen die Konzertierte Aktion auf den Weg gebracht hat, dass sie anknüpfend an die guten Erfahrungen vergangener Jahrzehnte hier Unterstützung gegeben hat, dass sie die Tarifvertragsparteien an ihre Pflichten erinnert hat, gute Arbeit mit gutem Einkommen zu unterlegen, dass sie auf der anderen Seite aber auch Abgaben- und Steuerfreiheit anbieten können. Alle verantwortlichen Tarifvertragsparteien haben in den vergangenen Wochen auf dieses Mittel zurückgegriffen. Das schafft Solidarität, aber auch Zuversicht für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Konzertierte Aktion war eine wichtige Bedingung und gerade für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die so eng mit den Gewerkschaften zusammenarbeiten, ein gutes Signal. ({11}) Die zweite Bedingung, die wir auf unserer Klausur im September in Dresden formuliert haben, ist: Die Menschen dürfen nicht von Almosen abhängig sein. Sie brauchen soziale Rechte in dieser Gesellschaft. Da geht es um die Erhöhung des Mindestlohns, aber auch um die Ausweitung des Kreises der Wohngeldempfänger, was wir in den letzten Wochen gemeinsam geschafft haben. Aber noch wichtiger ist die Erhöhung des Kindergeldes auf 250 Euro. Jedes Kind ist gleich viel wert, meine Damen und Herren. ({12}) Das ist die Basis für eine Kindergrundsicherung, und ich bitte jetzt die Bundesregierung, die Kindergrundsicherung anzupacken und sie noch in dieser Legislaturperiode zu verwirklichen. Durch die Erhöhung des Kindergeldes haben wir die Basis dafür gelegt. ({13}) Zum anderen geht es um das Bürgergeld. Da haben wir ein gutes Ergebnis erzielt. Ich lasse einfach mal zur Seite, wer sich wo durchgesetzt hat. In ein paar Wochen interessiert das die Menschen überhaupt nicht mehr. Wichtig ist, Qualifizierung und Weiterbildung, den Wert der Arbeit über diese Grundsicherung, dieses Bürgergeld zu erhalten. Aber es ist auch ein Basisschutz für die Demokratie in einem sozialen Bundesstaat, das, was uns die Väter und Mütter des Grundgesetzes auferlegt haben. Dafür ist das Bürgergeld eine Rückversicherung. Die dritte Bedingung ist, systemische Eingriffe dort vorzunehmen, wo der Markt, der alles richtet, eben aufgehalten wird, was korrigiert werden muss. Wir verlangen in den nächsten Tagen, wenn die Vorlagen da sind, uns genau anzuschauen, ob das auch erreicht wird. Meine Damen und Herren, ich habe von extremen und anstrengenden Zeiten gesprochen. Die Zeiten sind nicht mehr so wie in den vergangenen Jahrzehnten; wir müssen uns das endlich vor Augen führen. Leider repräsentieren Diktaturen, autoritäre Regierungen mittlerweile 70 Prozent der Weltbevölkerung. Die Zahl der liberalen Demokratien ist auf dem niedrigsten Stand angelangt. ({14}) Deswegen war es für mich bitter, zu erfahren, dass in der Europäischen Union wie zum Beispiel im Gründungsland Italien mittlerweile Parteien an der Spitze sind, die diesem Extremismus das Feld bereiten. Aber ich sage gleichzeitig: Ohne Hoffnung können wir die Demokratie nicht verteidigen. ({15}) Deswegen sind der Wahlausgang in Brasilien, die Midterms in den USA, die deutliche Ernüchterung über den Brexit in Großbritannien Lichtblicke. Ja, die Zeiten sind anstrengend. Wir müssen uns dem mit Ernsthaftigkeit und Sachlichkeit entgegenstellen. ({16}) Aber ich bin überzeugt, dass Demokratien die Probleme am besten lösen können. Das können wir gemeinsam beweisen, meine Damen und Herren. Vielen Dank. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Tino Chrupalla für die AfD-Fraktion. ({0})

Tino Chrupalla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004695, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Landsleute! Nach zwölf Monaten Bundesregierung: Wie sieht eigentlich aktuell unser Land aus? Die Inflation treibt Deutschland, seine Bürger und die heimische Wirtschaft immer mehr um. Die Spirale dreht sich immer weiter und schneller: Entwertung des Geldes, sinkende Kaufkraft, ({0}) rückläufiger Absatz und Umsatz. Die Menschen halten das Geld zusammen; das ist ganz verständlich. Geringere Investitionsleistungen von Unternehmen sind die Folge. Im Gegenzug steigen die staatlichen Transfer- und Unterstützungsleistungen. Gleichzeitig fehlen mehr und mehr Arbeitskräfte, die überhaupt noch zur Wertschöpfung beitragen können. Sie gehen wieder auf das übliche Patentrezept zurück: weitere Migration. Sie erreicht mittlerweile Höchststände, die die des Jahres 2015 übersteigen. Welche Erfolge für den Wirtschaftsstandort Deutschland haben Sie damit eigentlich erreicht? In welchem Verhältnis stehen diese Investitionen und der volkswirtschaftlich erwirtschaftete Gewinn überhaupt noch? Und nein, ich spreche nicht von Kriegsflüchtlingen, die hier um Asyl bitten. Ich spreche von denen, die nicht in dieses System integrierbar sind, die von Transferleistungen leben müssen, aber gewalttätig in unserem Land auftreten. Die können und wollen wir uns nicht länger leisten, meine Damen und Herren. ({1}) Deshalb: Nutzen Sie endlich die rechtlichen Möglichkeiten voll aus, das Dublin-Abkommen – über das redet mittlerweile überhaupt niemand mehr – genauso wie die Rückführung in die Heimatländer. Das gehört zur Wahrheit dazu. Diese Regierungspolitik bringt unser Land immer weiter in ein Ungleichgewicht. Die verantwortlichen Bundesminister stolpern von Woche zu Woche, ohne eine langfristige Vision zu haben. Sie investieren nicht in unser Land, in unsere kritische Infrastruktur, sondern in die wertegeleitete Außenpolitik; das ist Ihr Schlagwort. Mit den Sanktionen und geplanten Embargos schaden Sie uns, unseren Bürgern und unserer Wirtschaft in Deutschland. Das wird jeden Tag offensichtlicher. Weder Russland noch China sind auf uns überhaupt angewiesen. Neue Märkte haben diese Länder bereits seit Jahren erschlossen. Nur wir leisten uns, kein Teil mehr davon sein zu wollen. Das ist purer Übermut. ({2}) Wir haben weder Gas- noch Ölvorkommen und investieren seit Jahrzehnten in nicht grundlastfähige Energieträger. Wir brauchen aber eine stabile und zuverlässige Energieversorgung. Deshalb muss Nord Stream als ein Teil davon repariert, in Betrieb genommen und auch gesichert werden; wir haben es heute schon gehört. Der Bundeskanzler hat da übrigens Aufklärung versprochen. Es wird totgeschwiegen, es kommt dazu nichts. Sagen Sie doch, wer von unseren Freunden dafür Verantwortung trägt. Sie machen es nicht. Das ist einfach eine Schande. ({3}) Wir brauchen in unserem Land Stabilität und Zuversicht. Weshalb sollte sich ein Unternehmen überhaupt noch in Deutschland ansiedeln, überhaupt noch diesen Standort wählen? Das verraten Sie nicht. Nehmen wir als Beispiel die BASF. Die Bürger in den alten Bundesländern werden wohl genau das gleiche Schicksal erleiden wie die Bürger der neuen Bundesländer nach 1990. Firmen werden abwandern, Regionen werden deindustrialisiert, Arbeitsplätze verschwinden, und junge Menschen ziehen weg. Genau das scheint das Ziel von Wirtschaftsminister Habeck zu sein. ({4}) Ihre Politik der Symptombekämpfung beseitigt die Ursachen der Misere eben nicht. Wer sich als Bundeswirtschaftsminister leichtsinnig in einen Wirtschaftskrieg begibt, hat einfach nur versagt. Dieser Wirtschaftsminister ist der schlechteste der Bundesrepublik. Er ist wirklich eine Schande für dieses Land. ({5}) Unsere Nachbarn zeigen, wie es anders funktioniert: bezahlbare Energieversorgung oder auch eine geringere Steuerlast überall in Europa. Vor allem richten die verantwortlichen Regierungen ihr Handeln auf die Bereitstellung von Strukturen aus. Das ist der Auftrag an die Politik, nicht ideologiegetriebene und starrsinnige Projekte auf Kosten des Bundeshaushaltes und damit auch der Steuerzahler. Es braucht endlich wieder den Willen, für unser eigenes Land, für unsere Bürger eine vernünftige und verlässliche Politik zu machen. Und das vermissen wir bei Ihnen, Herr Bundeskanzler, und Ihrer Ampelregierung von Anbeginn. Sie sorgen dafür, dass die Deindustrialisierung Deutschlands immer weiter vorangetrieben wird, dass sich der Wohlstand und die Vermögen dezimieren. Weite Teile der Bürger leben mittlerweile nur noch von der Substanz. Ihre Lösung: Sie steuern im Mikrobereich nach und feiern die sogenannten Entlastungspakete – 200 Euro für Studenten, 300 Euro für Rentner – bei einer Inflation, die mittlerweile weit über 10 Prozent liegt. Was am Ende ankommt, sind angesichts der Inflation nur Almosen. Die staatlichen Zuschüsse dürfen aber nicht immer weiter ansteigen. Das gefährdet unseren Sozialstaat in Gänze. Erklären Sie den Bürgern bitte, dass die Schulden gemeinsame Schulden sind. Gleiches gilt für die sogenannten Sondervermögen. Es war doch absehbar, dass Sie genau an diesem Instrument Gefallen finden, dass Sie dieses Instrument ausnutzen, um den Bundeshaushalt weiter umgehen zu können. Sondervermögen sind Schulden, die wir alle bezahlen müssen, alle Bürger in diesem Land. ({6}) Ich bleibe bei dem, was ich schon vor der letzten Bundestagswahl gesagt habe, dass es hier einen Kassensturz geben muss, den der Finanzminister durchführen muss. ({7}) Genau das ist das Ziel. Wir haben ja erlebt, wie der Personalaufwuchs gerade dieser Bundesregierung vonstattengegangen ist: 1 700 neue Stellen als Aufwuchs in den Ministerien in diesen Zeiten. Den Menschen predigen Sie, für die Ukraine zu frieren, aber Sie selbst vergrößern noch einmal den Wasserkopf und die Zahl der Mangelverwalter, die die Bürger durchfüttern müssen. In diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist das einfach nur unerhört und unverschämt. ({8}) Ich komme zur Studie des ifo-Instituts. Sie zeichnet ein ebenso düsteres Bild. Bei grundlegenden Fähigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen fallen wir im internationalen Vergleich mittlerweile auf Platz 30 zurück. Diese und die Vorgängerregierung beklagen seit Jahren den Mangel an Fachkräften – wir haben es heute wieder gehört, auch, wie man das lösen möchte –; gleichzeitig begrenzen Sie alles auf das Mittelmaß. Man muss sich nur mal anschauen, was der Bundesbildungsbericht besagt: 52 000 junge Menschen sind im Jahr 2021 ohne Schulabschluss von der Schule gegangen. In der Alterskohorte der 20- bis 34-Jährigen sind mittlerweile 2,2 Millionen junge Menschen ohne Berufs- und Studienabschluss – ein Großteil sitzt ja hier –; ({9}) 1,2 Millionen von diesen sind beschäftigt, erwerbstätig, aber nur im Niedriglohnsektor. Genau 1 Million ist im Bezug von Hartz IV bzw. zukünftig Ihrem Bürgergeld und wird dort auch bleiben. Das ist das Ergebnis dessen, was Sie, die jetzige Bundesregierung, und im Übrigen auch die letzte Bundesregierung vermurkst und versaut haben. Sie haben die Verantwortung für unsere Jugend aufgegeben und wollen den Fachkräftemangel nun durch Zuwanderung lösen. Das ist ein fataler Fehler, und dafür sind Sie verantwortlich. ({10}) Im Ergebnis haben wir mittlerweile neue Generationen, die genau so weit denken und handeln können, wie es die Ideologien der Bundesregierung zulassen, geschaffen. Das wollen Sie wahrscheinlich. Sie, werte Bundesregierung, sind die wahre Fortschritts- und Entwicklungsbremse für dieses Land, für Deutschland, und damit für den gesamten Kontinent Europa. Welche eigenen, nicht fremdbestimmten Ideale Sie haben, sieht man ja: ein Bundeskanzler, der bei Auslandsbesuchen nicht in seiner Muttersprache spricht, oder eine Außenministerin, die glaubt, mit Freunden zu sprechen, wenn sie auf Polnisch twittert. ({11}) Daran sieht man, welche Ideale sie haben. Das ist ein Ausverkauf unserer Interessen. Die eigenen Interessen stehen für alle Staaten im Vordergrund. Das sollte eigentlich die Prämisse sein, nur nicht für diese Bundesregierung. Ihre Politik des Freund-Feind-Schemas ist aus einer anderen Zeit. Sie brechen Brücken ab, und Sie schlagen Türen zu, die die Generationen vor Ihnen für uns aufgebaut und offen gehalten haben. Das war das Erfolgsrezept einer im Übrigen erfolgreichen Wirtschaftsnation. Sie machen das binnen Monaten und Jahren zunichte. ({12}) Wir verfügen heute über Kern- und Kohlekraftwerke. Aber aus klimaideologischen Gründen begeben wir uns lieber wieder in eine einseitige Abhängigkeit. Eine Unglaubwürdigkeit folgt der nächsten, und Sie sind dabei vollkommen ungehemmt. Einerseits dürfen wir kein russisches Gas mehr beziehen, auch aus Gründen der einseitigen Abhängigkeit. Andererseits begeben wir uns in die Hände der sogenannten Freunde, die seit Jahrzehnten rund um den Globus ihre Wirtschaftskriege führen. Wo ist hier Ihre Moral? Wo sind hier Ihre Werte? Sie machen sich damit selbst und uns alle zum willfährigen Spielzeug des transatlantischen Projekts.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Abgeordneter, ich mache Sie darauf aufmerksam: Sie können weitersprechen, tun das dann aber auf Kosten der anderen Redner Ihrer Fraktion.

Tino Chrupalla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004695, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Eine halbe Minute habe ich noch. – Steigen Sie von Ihrem Elfenbeinturm herab, und machen Sie Politik für Deutschland, für unser Land zuerst!

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Minus zeigt Ihnen die überzogene Zeit an.

Tino Chrupalla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004695, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Die Zeit läuft gegen Sie. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für alle noch einmal: Es gibt das optische Signal. Wenn ein Minus vor den Zahlen auftaucht, heißt das, dass Sie überzogen haben. ({0}) – Herr Chrupalla, es steht Ihnen nicht zu, die amtierende Präsidentin hier in dieser Weise zu kritisieren. ({1}) Wenn es etwas zu regeln gibt, bringt das Ihre Parlamentarische Geschäftsführung ({2}) ganz sicher morgen im Ältestenrat vor. Und jetzt für alle: Wir sind in einer Haushaltswoche. Da gelten andere Regeln, ({3}) wenn es um die Anrechnung der Redezeit geht. Da ist es nämlich so, dass ich Sie darauf aufmerksam machen kann, dass Sie weiterreden können – das habe ich gerade getan, auch im Interesse Ihrer Fraktionskollegen –, ich aber die Redezeit, die Sie überzogen haben, den nächsten Rednern Ihrer Fraktion abziehen werde. ({4}) Das kann im Eifer des Gefechts ja mal passieren. So habe ich eben auch die verbliebene Restredezeit der SPD-Fraktion korrigiert, nachdem der Kollege Mützenich zwei Minuten überzogen hat. ({5}) – Ich diskutiere das hier überhaupt nicht mit Ihrer Fraktion. ({6}) – Herr Brandner, ich diskutiere das nicht mit Ihnen; ({7}) wir verfahren so. Ich werde diese Dienstleistung in der weiteren Sitzungsführung für Ihre Fraktion nicht mehr vollziehen. Wenn der Redner die Gesamtredezeit der Fraktion ausnutzt, dann gibt es eben keinen weiteren Redner der AfD mehr. So einfach ist das. ({8}) Der nächste Redner ist Andreas Audretsch für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({9})

Andreas Audretsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005011, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Chrupalla, die Propaganda Moskaus hier im Bundestag anhören zu müssen, ist immer wieder unerträglich. Aber Ihnen laufen ja mittlerweile schon die eigenen Abgeordneten weg. ({0}) Das zeigt, glaube ich, sehr deutlich, dass es auch in Ihrer Fraktion einige gibt, denen auffällt, dass Sie nichts anderes tun, als hier die Propaganda Moskaus ({1}) zu verbreiten. ({2}) Das, was wir in dieser Zeit tun, ist, erstens uns um die Menschen zu kümmern und zweitens das Land zu modernisieren. ({3}) Wir kümmern uns auch um die Kulturbranche in diesem Land. Sie hat einen sehr, sehr schwierigen Stand, der nicht nur dieser Krise geschuldet ist. Das hat in Coronazeiten begonnen, als viele Menschen nicht mehr ins Theater und nicht mehr in Lesungen gegangen sind. Das hat sich bis heute noch nicht wieder normalisiert. Deshalb fällt es den Theatern und Kultureinrichtungen schwer, die jetzt steigenden Energiepreise auf die Tickets umzulegen. Genau deswegen ist es auch für die Kulturbranche so wichtig, dass Robert Habeck die Gaspreisbremse auf den Weg bringt und dass Robert Habeck die Strompreisbremse auf den Weg bringt. Aber wir begnügen uns nicht damit. Wir nehmen auch die Kulturbranche noch einmal ganz gezielt in den Blick und haben dafür 1 Milliarde Euro extra im Wirtschaftsstabilisierungsfonds zur Verfügung gestellt. Eines muss klar sein: Wir sehen die Kulturbranche, und wir haben genau diese Branche jetzt im Blick. ({4}) Wir haben nicht nur die Institutionen im Blick; wir haben auch die Menschen in dieser Krise im Blick. Schon im Jahr 2022 haben wir die Künstlersozialkasse so stabilisiert, dass die Beiträge jetzt nicht durch die Decke gehen. Was wir auch machen – deswegen ist es so wichtig, was heute Abend im Vermittlungsausschuss passiert –: Wir stärken Freischaffende, wir stärken Selbstständige durch das Bürgergeld. Auch deswegen ist es so wichtig, dass es heute Abend im Vermittlungsausschuss verabschiedet wird. ({5}) Schauen wir auf die Karenzzeit. Was machen wir mit der Karenzzeit? Die Karenzzeit gibt gerade Freischaffenden, gerade Kulturschaffenden, Sicherheit, dass sie, wenn sie in eine Notsituation kommen, nicht als Allererstes die Wohnung aufgeben müssen, sondern sich darauf konzentrieren können, dass es weitergeht – und genau diese Leute haben häufig einen Plan, wie es weitergehen kann –, dass sie nicht ihr bisschen Erspartes direkt abgeben müssen, wenn sie ins Bürgergeld fallen, dass nicht die Altersvorsorge, die sie monate- und jahrelang durch ihre Arbeit angespart haben, sofort weg ist, wenn sie ins Bürgergeld fallen. All das hilft Selbstständigen, all das hilft Freischaffenden. Deswegen ist das Bürgergeld auch mehr Sicherheit für Kulturschaffende. ({6}) Es geht uns um akute Hilfe. Es geht uns aber auch darum, Kunst und Kultur langfristig in Deutschland wachsen zu lassen und zu stärken. Und genau das macht Claudia Roth jetzt mit einem ganz großartigen Projekt. Wir werden den Kulturpass auf den Weg bringen und haben dafür 100 Millionen Euro mit diesem Haushalt zur Verfügung gestellt. Wenn Jugendliche 18 Jahre alt werden, dann soll jede und jeder 200 Euro bekommen, um damit Kultur vor Ort zu erleben. Das ist so wichtig für Jugendliche, die gerade in der Coronazeit kein Livekonzert erleben konnten, die gerade in der Coronazeit keine Lesungen in der Kneipe erleben konnten, die so viel nicht erleben konnten. Nach dieser Coronazeit bei Jugendlichen die Lust an Kultur zu wecken, ihnen Zugänge zu eröffnen, die Vielfalt der kulturellen Landschaft vor Ort zu erleben, all das schaffen wir jetzt mit dem Kulturpass. Das ist ein großartiger Fortschritt, den die Kulturstaatsministerin hier in Deutschland auf den Weg bringen wird. ({7}) In Frankreich gibt es das seit Langem. Jetzt holt Claudia Roth das nach Deutschland. Das ist ein großer Schritt für die Kulturbranche hier im Land. Der Haushalt 2023 ist der erste, den die Ampelregierung und das Parlament hier ohne Vorarbeit der alten Großen Koalition auf den Weg bringen. Jetzt sieht man immer deutlicher den Kurswechsel, den wir vornehmen. Wir haben uns auf den Weg gemacht, Klimapolitik endlich konsequent zum Teil von Kulturpolitik zu machen. Ich möchte das an einem Beispiel deutlich machen: Was beim Museum des 20. Jahrhunderts am Berliner Kulturforum geplant wurde, hat klimapolitisch nichts mit einem Kulturbau des 21. Jahrhunderts zu tun. So wie das Museum ursprünglich gedacht war, ist es ein einziger Klimaalbtraum. Zum Vergleich: Es würde circa viermal so viel Energie verbrauchen wie das Alte Museum hier in Berlin – nur, dass das Alte Museum 200 Jahre alt ist. Dies ist ein Beispiel für eine ganz spezielle Haltung, die wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten gesehen haben. Wir haben als Gesellschaft so geplant, so gebaut, so gelebt, als wären wir die Könige der Welt, so geplant und gebaut, als gäbe es unbegrenzt billige Energie, als gäbe es die Klimakrise nicht, als gäbe es kein Morgen mehr. Damit muss Schluss sein. Das kann so nicht weitergehen. Deswegen werden wir umplanen, und deswegen stellen wir im Etat genau dafür 10 Millionen Euro zur Verfügung. ({8}) Wir werden neu planen, neu bauen und das Nötigste angehen. Ziel ist es, einen Kulturbau zu haben, der mit seinem Energiehunger nicht mehr dazu beiträgt, dass wir die Lebensgrundlagen, auf die wir angewiesen sind, zerstören. Damit geht eines einher: Das muss eine Wegmarke sein; wir dürfen in Zukunft nicht mehr so planen, nicht mehr so bauen, sondern müssen klimapolitisch den nächsten Schritt in der Kulturpolitik gehen. ({9}) Nicht zuletzt: Kulturpolitik ist immer auch Demokratiepolitik. Wenn Menschen sich abends zum Singen treffen, wenn Menschen im Chor zusammenkommen, dann gibt das ein Gefühl, das Gefühl, gemeinsam etwas zu schaffen. Deswegen haben wir zwei neue Fonds auf den Weg gebracht, zum einen einen Fonds für Amateurmusik – 5 Millionen Euro stellen wir dafür zur Verfügung – und zum anderen einen Festival-Förder-Fonds mit ebenfalls 5 Millionen Euro. Wenn Menschen gemeinsam Kultur erleben, wenn Menschen gemeinsam etwas unternehmen, dann sind das nicht die Menschen, die am Ende denen hinterherlaufen, die Hass verbreiten und Menschen gegeneinander aufwiegeln. Insofern ist dieser Etat ein Krisenetat, ein klimapolitischer Etat und auch ein Etat für mehr Demokratie in Deutschland. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun Otto Fricke das Wort. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes möchte ich sagen: Ich finde es sehr wichtig, dass die Redner von Regierung und Opposition dieser Debatte weiter folgen. Ich würde mich sehr freuen, wenn das bei der CDU/CSU auch der Fall wäre. Der eine Redner fehlt schon, der andere versteckt sich in den hinteren Reihen. Er weiß wohl, warum; aber dazu kommen wir gleich noch. ({0}) Meine Damen und Herren, dieser Haushalt – ich versuche, es vermittelnd zu sagen, aber das muss man sagen – ist ein Haushalt des Übergangs. Durch Corona und die daraus resultierenden Folgen und den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sind viele Probleme auf einmal auf unseren Haushalt zugekommen. Corona schleicht sich hoffentlich aus, kostet aber noch, und die Auswirkungen dessen, was Russland macht, erleben wir an vielen Ecken und Enden. Dennoch ist es uns gelungen, im Kernhaushalt die Schuldenbremse einzuhalten – viele werden jetzt sagen: „Ja, das ist euch wichtig!“; ich sage, ja, das ist wichtig – und gleichzeitig da, wo es notwendig ist, sowohl im Bereich Verteidigung als auch in den Bereichen Elektrizität und Wärme, in Form von Sondervermögen Sicherheit zu geben. Das sage ich deutlich Richtung CDU/CSU: „Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein.“ Aber nicht immer dieser Mischmasch. Vor ein paar Monaten hieß es noch: Diese Koalition ist nicht in der Lage, die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen. – Dann stellen wir mit den 200 Milliarden Euro die Mittel zur Verfügung. Doch was sagt die CDU/CSU: Ja, aber wir wissen ja noch gar nicht genau, wofür. – Jetzt kommen wir mit den Vorschlägen, sagen genau, wofür. Und jetzt sagt die CDU/CSU: Ja, aber das passt uns eigentlich gar nicht. – Das ist keine Oppositionspolitik, das ist Obstruktionspolitik und nicht mehr. ({1}) Zum Thema, ob die Schuldenbremse wirkt oder nicht: Die CDU/CSU sagt, sie wirkt nicht. Die Linke sagt: Doch, die wirkt; das ist ganz schlimm, denn wir können immer noch nicht mehr ausgeben. – Ich will es als Haushälter einmal vorsichtig mit Blick auf die Regierungsbank formulieren: Hätte es die Schuldenbremse in diesem Haushalt nicht gegeben, hätte es – da bin ich mir sicher – ganz viele Wünsche gegeben, die noch in diesen Haushalt hineingekommen wären. – Insofern sorgt die Schuldenbremse dafür, dass wir da, wo es notwendig ist, durch verstärkte Mittel für Sicherheit sorgen, aber gleichzeitig auch sagen, wohin die Reise mit dieser Koalition im nächsten Jahr geht, nämlich in Richtung Stabilität bei gleichzeitig ausreichender Versorgung in all den Bereichen, in denen sie in einer sozialen Marktwirtschaft notwendig ist. ({2}) Herr Kollege Dobrindt, da ist nichts in einem Schattenhaushalt. Woher hat denn die CDU/CSU die ganzen Zahlen? Na ja, Sie müssen nur in den Haushalt schauen. Alles steht dadrin, das Sondervermögen für die Bundeswehr, die 200 Milliarden Euro sind dadrin. Da ist nichts im Schatten – es sei denn, man ist nicht in der Lage, das bei Lichte zu betrachten und das im Haushalt nachzulesen. ({3}) Dann komme ich zu der Sache mit den angeblichen 500 Milliarden Euro; das will ich auch einmal sagen. Ich habe erst gedacht, ich mache einen Milchmädchenvergleich. Der wäre aber erstens falsch, zweitens passt er nicht, drittens wäre es eine Beleidigung. Dann habe ich gedacht, ich komme mit Adam Riese. Das würde aber auch nicht klappen; denn der ist ja aus Bayern nach Thüringen ausgewandert. ({4}) Also geht das auch nicht. ({5}) Meine Damen und Herren, wenn Sie sagen, es sind 500 Milliarden Euro neue Schulden, dann zeigt das, dass Sie immer noch nicht verstanden haben, was der Unterschied zwischen einer Schuldenermächtigung – sie dient dazu, im Notfall ausreichend Mittel zu haben – und tatsächlichen Schulden ist. Aber folgen wir einmal der mathematischen Logik des Kollegen Dobrindt und des Kollegen Merz: Danach ist eine Rekordverschuldung in dem Jahr entstanden, in dem wir 600 Milliarden Euro im Rahmen von Coronahilfen über den WSF zur Verfügung gestellt haben. – Herr Kollege Dobrindt, wenn Sie schon solche komischen Rechnungen machen, weil Sie an Oppositionsdyskalkulie leiden, dann sollten Sie sich wenigstens ehrlich machen. ({6}) So, ich komme zu der berühmten Frage – dieses Thema will ich noch abräumen –, warum die Erbschaftsteuer auf Immobilien steigt. Wer hat uns den Mist denn eingebrockt? Ein gewisser Herr Seehofer, der in der Immobilienwertermittlungsverordnung die Gesamtnutzungsdauer von Immobilien vereinheitlicht hat. ({7}) Der war es. Dessen Mist müssen wir jetzt wegräumen. Das ist der Grund. ({8}) Dann so zu tun, als sei diese Regierung dafür verantwortlich, das ist, finde ich, schlimm. Zum Schluss will ich noch etwas zu Ihrem Verhalten sagen. Ich empfehle allen einen Blick in die Änderungsanträge der CDU/CSU, die draußen vor dem Saal liegen, auch wenn manch einer sagt: Och, das ist so oldstyle, dass die da ausliegen. – Die CDU/CSU sagt hier ja immer: Sparen, sparen, sparen, ihr macht das schlecht. – Und dann geht man da draußen herum und denkt: Ach, ich nehme mir mal die Anträge, die da liegen. – Das sind nur die, die für die bisher beratenen Einzelpläne vorliegen: Änderungsantrag der CDU/CSU: 18 Millionen Euro, nicht einsparen, sondern mehr ausgeben. ({9}) Änderungsantrag der CDU/CSU: 150 Millionen Euro, nicht einsparen, sondern mehr ausgeben. ({10}) Änderungsantrag der CDU/CSU: 40 Millionen Euro, nicht einsparen, sondern mehr ausgeben. ({11}) Änderungsantrag der CDU/CSU: 188 Millionen Euro und noch einmal 20 Millionen Euro, nicht einsparen, sondern mehr ausgeben. – Mir fällt dazu nur König Claudius ein, „Hamlet“, erster Akt, zweite Szene: „Mit einem heiteren, einem nassen Auge“. Um es deutlich zu sagen: Mit einem heiteren Auge, wenn ich sehe, dass Sie Mathematik einfach nicht beherrschen, und einem nassen Auge, wenn ich sehe, dass wir eine so schlechte Opposition haben. Aber so ist es dann wohl. ({12}) Wir müssen auf jeden Fall schauen – dafür verwende ich die letzte Minute, Frau Präsidentin –, was im nächsten Jahr notwendig ist. Das ist der einzige Punkt, wo ich dem Kollegen Merz zustimmen kann: Es wird um ein Wettrennen in dieser sich verändernden Welt gehen, wo und wie investiert wird. Ich sage ausdrücklich: wo und wie in Nachhaltigkeit, in Demografie, in Digitalisierung investiert wird. Wenn wir das hier nicht schaffen – – ({13}) – Auch in Demografie kann man investieren, und zwar dadurch, dass man Arbeitsplätze schafft, weil das essenziell für das Funktionieren unserer Sozialsysteme ist. ({14}) Ich will es deutlich sagen: Unser aller Aufgabe, auch von denen mit schlechter Rechenfähigkeit, wird es sein, der Welt zu sagen: Hier lohnt es sich, zu investieren, hier entsteht die Zukunft, hier entsteht Nachhaltigkeit, hier findet Digitalisierung statt, weil wir verstanden haben, was diese Zeitenwende bedeutet. ({15}) Herzlichen Dank. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Kerstin Radomski das Wort. ({0})

Kerstin Radomski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004382, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine verehrten Damen und Herren! Ich muss kurz auf den Kollegen Fricke eingehen. Herr Fricke, Sie haben hier gerade mehrere Papiere hochgehoben und uns vorgeworfen, wir würden nur Geld ausgeben. Ich weiß nicht, was Ihr Anliegen an dieser Stelle ist. Ist es tatsächlich Ihr Wunsch, dass wir die über 200 Anträge, die wir im Haushaltsausschuss gestellt haben, noch einmal als Änderungsanträge ins Plenum einbringen? Damit würden wir die Arbeit, die wir in den Ausschüssen machen, in den Plenarsaal verlagern. Auch da das alles Papier ist, wie Sie gerade richtig festgehalten haben, halte ich das nicht für sinnvoll. Wir haben als Fraktion diese Punkte gesetzt. Das sind wichtige Punkte, an denen wir etwas anders gemacht hätten. ({0}) – Das müssen Sie nicht teilen. In zweiter Beratung befassen wir uns wir jetzt mit dem Einzelplan des Bundeskanzlers. Darin sind viele Themenfelder enthalten, von Ostdeutschland bis Integration. Ich möchte zu Beginn auf die Kultur eingehen, Frau Roth. In den aktuell bewegten Zeiten sind die deutlichen Erhöhungen im Etat der Kulturstaatsministerin aus meiner Sicht ein wichtiges Zeichen. Deshalb, liebe Koalitionsfraktionen, betrachten Sie es jetzt einmal als positives Signal von uns, dass wir im Rahmen des Haushaltsverfahrens einigen Ihrer Projekte zugestimmt haben. Hier möchte ich die wichtige Digitalisierung der Dokumentation von NS-Verbrechen nennen oder den Amateurmusikfonds oder die Freiheits- und Einheitsdenkmäler in Berlin und Leipzig. An anderen Stellen, Herr Audretsch, konnten wir umso weniger zustimmen, gerade bei vermeintlich wohlklingenden Projekten. Denn wir als Opposition schauen ganz genau hin, was Sie da machen, etwa bei dem von Ihnen geplanten Kulturpass, der insbesondere jungen Menschen den Zugang zur Kultur ermöglichen soll. ({1}) Verstehen Sie mich jetzt hier an dieser Stelle bitte nicht falsch. Grundsätzlich ist die Idee, junge Menschen für Kultur zu begeistern, ja gut. ({2}) Aber wie bei allen Dingen geht es natürlich – und das ist die entscheidende Frage – um das Wie. ({3}) Beim Wie halten wir es tatsächlich für schwierig, die 100 Millionen Euro einzustellen, wenn noch kein Plan vorliegt und die Koalitionspartner im Ausschuss offensichtlich unterschiedlicher Ansicht über die Ausgestaltung sind. Sie handeln hier nur nach dem Motto: Wenn schon kein Plan, dann wenigstens Geld einstellen. ({4}) Dies ist ein Beispiel dafür, dass die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen an der einen oder anderen Stelle leider konzeptlos sind. Was fehlt, ist ein echter Kompass. Sie nutzen Schlagworte wie „Green Culture“, mit denen einige wohl meinen eine bestimmte Klientel zu befriedigen. Statt Ihren Kompass zu justieren, begeben Sie sich auf die Spielwiese der Symbolpolitik. Frau Staatsministerin, das Land und die Menschen haben derzeit viel drängendere Probleme als eine Debatte über die Kuppel des Berliner Schlosses. Aus unserer Sicht wenden Sie dem christlichen Spruch und dessen Überblendung zu viel Aufmerksamkeit zu, und dann auch wieder, ohne konkrete Kosten benennen zu können. ({5}) Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, dass in angespannten Zeiten der Fokus auf das wirklich Notwendige gerichtet wird. Doch die Ampelmehrheit hat unseren Maßgabebeschluss gegen die Verwendung von Haushaltsmitteln zu diesem Zweck abgelehnt. An anderer Stelle fehlt es dann wieder an Aufmerksamkeit und dementsprechend – wir sprechen hier über den Etat – auch an Geld. Ich möchte einige Schlaglichter aufwerfen, die wir als CDU/CSU-Fraktion für wichtig befunden hätten, denen Sie aber leider nicht zugestimmt haben: ein Aufwuchs beim „Zukunftsprogramm Kino“, eine Erhöhung der Mittel für das Ostpreußische Landesmuseum, weitere Mittel für die Deutsche Welle zugunsten ukrainisch- und russischsprachiger Angebote und 500 000 Euro für das geplante Mahnmal für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft in Deutschland. Das sind nur einige unserer Vorschläge für den Kulturetat, Herr Fricke, die wir im Ausschuss gemacht haben. Ich möchte am Ende auch noch auf das vielleicht strittigste Thema in diesem Einzelplan kommen: den geplanten Erweiterungsbau des Bundeskanzleramts, den der Bundeskanzler und seine Behörde unbedingt in dieser Größenordnung realisieren wollen. ({6}) Wir von der Union haben uns gegen den Bau in dieser Form und die Kostensteigerung inklusive Risikokosten von 777 Millionen Euro ausgesprochen; denn seit der Planung hat sich viel verändert. ({7}) – Wenn Sie mir jetzt nicht zuhören und die ganze Zeit schreien, können Sie meine Argumentation gar nicht nachvollziehen. ({8}) Der 24. Februar dieses Jahres steht für einen tiefen Einschnitt von der Haushaltspolitik bis zur gesamtwirtschaftlichen Lage. Nachdem wir im September über die Mehrkosten informiert wurden, haben wir gefordert, neue Einsparpotenziale zu finden, um die Kosten zu dämpfen. Die Ampel hat abgelehnt. In angespannten Zeiten mit besonderen finanziellen Herausforderungen – ich nehme beispielhaft das Stichwort „Sondervermögen“ – plädieren wir für eine Verschiebung der Baumaßnahme, wenn eine Reduzierung der Kosten angeblich nicht möglich ist. Sehr geehrter Herr Bundeskanzler – schön, dass Sie wieder da sind –, ({9}) Ihr Kanzleramtschef hat uns Haushältern mitgeteilt, dass Sie im Februar entschieden haben, dass der Erweiterungsbau jetzt umgesetzt werden soll. Ich gehe davon aus, dass das vor Ihrer Rede vom 27. Februar 2022 war. Es würde von Vorbildfunktion und politischer Weisheit zeugen, getroffene Entscheidungen aufgrund der neuen Situation zu überdenken und dem Wort „Zeitenwende“ Taten folgen zu lassen. Vielen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Saskia Esken für die SPD-Fraktion. ({0})

Saskia Esken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004267, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Am Samstag jährte sich die Bundestagswahl, mit der Willy Brandt 1972 als Kanzler der Bundesrepublik bestätigt wurde. 50 Jahre ist das jetzt her. Viele Zitate Brandts aus dieser Zeit sind legendär. Dazu gehört natürlich auch sein Appell, mehr Demokratie zu wagen. Denn das ist sie, unsere Demokratie: Sie ist ein Wagnis. Demokratinnen und Demokraten gehen ein Wagnis ein, wenn sie Politik offen und partizipativ gestalten, wenn sie multipolare, wenn sie lagerübergreifende Koalitionen mit Demokraten eingehen. Denn das bedeutet, geteilte Macht als wahre Macht zu begreifen – im Inneren wie im Äußeren. Die Demokratie ist also ein Wagnis, und gleichzeitig ist sie, wie Rolf Mützenich gerade ganz richtig gesagt hat, unsere einzige Hoffnung. Unser Bundeskanzler Olaf Scholz zeigt eine solche wagemutige, hoffnungsfrohe demokratische Gesinnung an jedem Tag und mit großem Erfolg – in der Führung der Ampel ebenso wie auf den internationalen Bühnen. Es ist kein Zufall, dass der Koalitionsvertrag, den wir vor einem Jahr geschlossen haben, den Titel „Mehr Fortschritt wagen“ trägt. Als ich für die SPD diesen Vertrag unterzeichnet habe, da waren mir zwei Dinge besonders wichtig: Erstens. Wir formulieren den Anspruch, dieses Land zu modernisieren, den Wirtschaftsstandort und die Gesellschaft fit zu machen für die Zukunft in Anerkennung der Realität und inmitten der Krisen, die wir erleben und bewältigen müssen, mit aktiver Industriepolitik, mit einer sicheren und bezahlbaren Energieversorgung und nicht zuletzt mit einer Strategie zur Bewältigung des Fachkräftemangels; denn das ist die Achillesferse unserer wirtschaftlichen Entwicklung. Zweitens. Es geht mir, es geht uns um Respekt, Respekt für jeden Menschen, Respekt für jeden Abschluss, für jede Tätigkeit. Deshalb haben wir den Mindestlohn auf 12 Euro erhöht. Wir senken die Abgaben für geringe Einkommen unter 2 000 Euro, damit sich Leistung lohnt. Und wir modernisieren unseren Sozialstaat. Das neue Bürgergeld bedeutet zusammen mit der Ausweitung des Wohngelds und der wesentlichen Erhöhung von Kindergeld und Kinderzuschlag die größte Sozialstaatsreform seit 20 Jahren. ({0}) Wir wollen einen Sozialstaat, der Menschen auf Augenhöhe begegnet und sie bestmöglich und ganz individuell dabei unterstützt, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, egal ob sie arbeiten, doch der Lohn ihrer Arbeit nicht zum Leben reicht, ob sie erwerbslos sind und ihnen die Qualifikation fehlt, ob sie in Ausbildung sind oder ob sie eine Chance im sozialen Arbeitsmarkt brauchen. So vielfältig sind die Lebenssituationen von Menschen in Grundsicherung. Wir werden ihnen gerecht und stärken ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Das ist für mich Respekt. ({1}) Ganz klar haben wir mit der Reform des Bürgergelds im Blick, dass erwerbslose Menschen in Arbeit kommen. Aber nachhaltig und nicht nur so, dass sie in einer ewigen Drehtür zwischen prekärer Arbeit und Jobcenter gefangen sind. Deshalb stellen wir Qualifikation jetzt in den Vordergrund, schaffen den Vermittlungsvorrang ab und schaffen einen Ausbildungsbonus und ein Weiterbildungsgeld. ({2}) Im Kern bedeutet dieses Bürgergeld also mehr Geld, mehr Teilhabe, mehr Qualifikation und mehr Respekt. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Respekt für jedermann und jede Frau, das beinhaltet auch Respekt vor anderen Meinungen und Perspektiven. Bevor es jetzt Tumult auf der rechten Seite des Parlaments gibt: Nein, Sie sind damit nicht gemeint. Es gibt keine Toleranz und es gibt keinen Respekt für die Intoleranz, und Ihr Hass ist keine Meinung. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Respekt und mit ehrlichem Interesse an der Auffassung anderer haben wir diese Koalition gebildet. Dass wir unsere Vorhaben gemeinsam so voranbringen, dass niemand mit der Faust in der Tasche zur Abstimmung gehen muss, das ist eine besondere Qualität der Arbeit in dieser Koalition. Dafür gilt mein ganz herzlicher Dank den Kolleginnen und Kollegen, die in der Regierung und die im parlamentarischen Verfahren immer wieder und jeden Tag daran arbeiten, dass das gelingt, und zwar sowohl in der Bewältigung der multiplen Krisen als auch in der Modernisierung unseres Landes und in der Stärkung des Zusammenhalts. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Martin Erwin Renner für die AfD-Fraktion. ({0})

Martin Erwin Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004862, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Hochverehrtes Präsidium! Sehr verehrte Damen! Sehr geehrte Herren! Wir sprechen über den Haushalt der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, diejenige, die so gerne die Inschrift an der Kuppel des Berliner Stadtschlosses überblenden würde, so wie die Parteigenossin Baerbock das historische Ratskreuz in Münster zum Treffen der G‑7-Außenminister entfernen ließ. Ist es das, was unserer deutschen Kultur und unserer christlich geprägten Nation tatsächlich blüht? Wenn der Schutz unserer Kultur der Verantwortung von grünen und linken Kulturleugnern anheimgegeben wird, die weniger das Fremde so sehr lieben als das Eigene so sehr hassen, dann wird hier nicht für die Pflege und den Erhalt der Kultur Sorge getragen, sondern unsere Kultur und unsere Identität werden parteipolitisch umgedeutet, umgeschrieben und in einen ideologischen, grün-linken Geisteskäfig eingepfercht. ({0}) Es ist noch niemals eine gute Idee gewesen, Geld in die Pflege eines Gartens zu stecken, in dem man vorher den Bock zum Gärtner gemacht hat. Was hier am Ende übrig bleibt, schmeckt bestenfalls dem Bock selbst und auch seiner gefräßigen Herde. Wir sehen doch überall eine sich selbst festklebende Wokerilla, die Kulturgüter beschmutzt und auch Menschenleben gefährdet, die uns ihre linksideologische Schmalspurweltsicht aufzwingen will. Wir sehen, dass Kultur- und Buchpreise zunehmend nur noch für schamlose und peinliche Individuen vergeben werden. ({1}) Ist das wirklich Kunst, oder kann das weg? ({2}) Nehmen wir die Deutsche Welle, die mit immer mehr Millionen Euro Steuergeld verwöhnt wird: Hier wird potenziellen Zuwanderern das deutsche Paradies nahe- und ans Herz gelegt; es wird das Tragen von Kopftüchern auch hierzulande beworben. Und die Deutsche Welle engagiert sich zudem auch im Ausland für Revolutionen. Medien, Kunst und Kultur müssen staatskritisch sein; das ist ihre Aufgabe und Berufung, meine Damen und Herren. Doch hier wird mit dem Geld des Steuerzahlers seit Jahrzehnten die Kumpanei mit der Kulturbourgeoisie alimentiert, die dem opportunistischen Grundsatz huldigt: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. ({3}) Ich sage Ihnen: Kumpanei ist Lumperei. ({4}) Ich schließe mit einem Zitat von Friedrich Hölderlin: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Ganz sicher ist: Die bolschewoke Kulturpolitik der Ampel ist nicht das Rettende, sondern sie ist die dräuende Gefahr, meine Damen und Herren. Danke schön. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Stefan Gelbhaar das Wort. ({0})

Stefan Gelbhaar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004726, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Haushaltsberatungen lassen sich immer sehr unterschiedlich lesen. Ich möchte jetzt eine ostdeutsche Perspektive hinzufügen. Ein Beispiel: Noch immer sind im Osten Löhne und Gehälter niedriger, die Vermögen und Rücklagen sind kleiner – ungefähr halb so groß. Im Ergebnis ist die finanzielle Belastbarkeit zwischen Rostock und Chemnitz auch nach 32 Jahren Einheit deutlich geringer. Das führt dann in einer Krisensituation schnell zu höherer Unsicherheit, und das wiederum zu lautem und lauterem Unmut. Deswegen ist es wichtig, hier zu signalisieren: Die Ampel handelt. Die Energiepreisbremsen kommen – gut so! Das 49‑Euro-Bundesticket kommt – gut so! Das Kindergeld wird erhöht – gut so! ({0}) Damit sind nicht alle Probleme gelöst. Wann wären sie das je? Aber: Dieser Haushalt gibt vielen Menschen Halt. Das Parlament hat gearbeitet. Der angekündigte heiße Herbst bleibt doch recht kühl. Jene, die die Unsicherheit und den Unmut gerade im Osten für ihre ganz eigene Agenda instrumentalisieren, ja, missbrauchen wollten, schauen ziemlich in die Röhre. Auch da sage ich: Gut so! Ein weiteres Signal: Mit dem Bürgergeld kann ein ostdeutsches Trauma ein Stück weit abgestreift werden. Das bedeutet zwar nicht Entwarnung, aber machen wir uns das noch mal bewusst: Nach den krassen Umbrüchen der 90er-Jahre mit galoppierender Arbeitslosigkeit fiel die Arbeitslosenhilfe ersatzlos weg; Entrechtung und öffentliche Geringschätzung taten dann ihr Werk. Viele Menschen und eben überdurchschnittlich viele im Osten wurden dazu gebracht, jeden noch so unpassenden und mies bezahlten Job anzunehmen. Diesen Zustand zu verlassen, das ist ein Schritt, dem weitere folgen müssen. ({1}) Warum aber wurden nun sowohl 49‑Euro-Bundesticket als auch Energiepreisbremse, Bürgergeld oder Kindergeld bislang kaum unter den Ost-West-Unterschieden betrachtet? Es fehlen ostdeutsche Reflexions- und Debattenräume, um Interesse und Bewusstsein zu verankern, zu wecken; sich explizit als ostdeutsch bezeichnende Medien fehlen weiterhin. Zum Vergleich: Nord-, west- und süddeutsche Medien bekennen sich dazu schon in ihrem Namen – ostdeutsche überhaupt nicht. Das ist ein gesellschaftlicher Webfehler. Mit dem Transformationszentrum ist ein Reflexions- und Debattenraum geplant, mit dem Campus der Demokratie ein weiterer auf dem Weg. Ich kann daher die Bundesregierung nur ermutigen, rasch und konsequent diesen Weg zu gehen; denn Vertrauen in den Staat, in die Institutionen und die Menschen, die diese prägen, muss verdient werden. Dazu braucht es einen funktionierenden und handelnden Staat, dazu braucht es Identifikation, dazu braucht es Repräsentanz. Das macht sich fest an den Institutionen vor Ort. Das macht sich fest an der Sichtbarkeit von Personen im und aus dem Osten und damit eben auch an der Besetzung von Schlüsselpositionen. Gesichter und Geschichten – das braucht es, ({2}) und finanzielle Widerstandsfähigkeit, unabhängig von den Himmelsrichtungen, durch das konsequente Angleichen der Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Das geht nicht mit einem Haushalt; das bedarf weiterer struktureller Veränderungen und eben dieses Bewusstseins, dieser östlichen Perspektive, übrigens auch über die Grenzen unserer Republik hinaus. Es ist zum Beispiel sehr stark, dass wir hier ein deutsch-französisches Bahnticket für die Jugend auf den Weg bringen. Dem muss nun ein ebensolches deutsch-polnisches Ticket folgen oder ein deutsch-litauisches oder deutsch-tschechisches. ({3}) Das ist dann diese Perspektive, dieses Bewusstsein, und das ist auch 2023 ein Arbeitsauftrag an alle von uns. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Thomas Hacker das Wort. ({0})

Thomas Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004734, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kultur – Deutschland ist eine Kulturnation. Fragt man die Menschen auf der Straße, was Kultur für sie ausmacht, wird man viele Antworten erhalten: Graphic Novels, NFT-Kunst, in Bayreuth vielleicht Wagner-Opern, Literatur und Musik von Klassik bis Pop, Plattdeutsch oder Ballett, dazu die breiten kulturellen Traditionen, die Menschen aus ihren Heimatländern mit nach Deutschland gebracht haben. Kultur und ihre Ausdrucksformen sind so vielfältig wie die Menschen, die sie erreichen. Deutlich ist jedoch ihr Beitrag zu unserem gesellschaftlichen Miteinander; vielleicht mag man sogar von einem Beitrag zur Zivilisation sprechen, auch wenn das bisweilen strittig diskutiert wird. Der Soziologe Dirk Baecker fasst es in einem Essay zur Coronakrise meines Empfindens nach treffend zusammen – ich zitiere –: Der wichtigste Beitrag der Kultur ... besteht darin, für eine Qualität der Begegnung, des Gesprächs, der Debatte zu sorgen, die es erlaubt, sich im besten Sinne des Wortes „zivilisiert“ ... zu verständigen. ({0}) Darum geht es uns in der Ampel in diesen umwälzenden Zeiten, angesichts der großen gesellschaftlichen Bewährungsproben, die wir haben: Die Coronakrise ist im Kulturbetrieb noch nicht ganz überwunden, und morgen sind es bereits neun Monate, in denen der völkerrechtswidrige Krieg Russlands gegen die Ukraine in Europa tobt. Der Bundeshaushalt 2023 setzt ein entschlossenes Zeichen für Kultur und für Medien. Wo andere den Rotstift ansetzen würden, stellen wir erneut mehr Geld bereit. Dafür danke ich Christian Lindner, Claudia Roth und den Haushältern ausdrücklich. So können wir die kulturpolitischen Schwerpunkte unserer gemeinsamen Koalition beibehalten. Wir setzen aber gleichzeitig auch neue Impulse: Der Kulturpass richtet sich besonders an die junge Generation. Gerade sie, liebe Union, waren doch in den letzten zwei Jahren der Pandemie die großen Leidtragenden. Die Faszination von Livekulturerlebnissen kann durch Youtube, Netflix und Co nicht wirklich dauerhaft kompensiert werden. Ja, Kultur braucht Investitionen – Investitionen in Kulturdenkmäler wie die Andreaskapelle im Bamberger Dom oder in Kulturorte wie das „Kino International“ hier in Berlin. Mit dem Haushalt kommen wir aber auch unserer erinnerungskulturellen Verantwortung nach. In einer digitalen Welt muss die Auseinandersetzung mit und die Erinnerung an die NS-Verbrechen auch im digitalen Raum stattfinden. Hier können wir die junge Generation erreichen und für die unvorstellbaren Zivilisationsbrüche in unserer Geschichte sensibilisieren. Unsere erinnerungskulturelle Verantwortung gilt auch für die Jahrzehnte in einem getrennten und schließlich wiedervereinten Deutschland. Wir stärken nicht allein die Arbeit von Gedenkstätten und Institutionen, sondern auch die Bereitstellung eines digitalen kollektiven Gedächtnisses. Mit 13,5 Millionen Euro kann das Bundesarchiv auch in den nächsten Jahren die vorhandenen Dokumente der Staatssicherheit der DDR digitalisieren und für die Nachwelt erhalten. Für uns bleibt der aufrichtige Blick in die Vergangenheit die Voraussetzung für die demokratische Gestaltung unserer Zukunft. Über den einen oder anderen Änderungsantrag, den wir heute beraten, kann man nur den Kopf schütteln. Es ist zwar richtig, das Mahnmal für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft in Deutschland zu unterstützen. Wer dafür aber die Mittel für die Deutsche Welle kürzen will, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. ({1}) Die Deutsche Welle hat einen entscheidenden Anteil daran, unsere gemeinsamen europäischen Werte, unsere Demokratie, unsere Kultur, unsere Freiheit in die Welt hinauszutragen. Sie hilft genauso Exiljournalistinnen und ‑journalisten, ihre Arbeit fortzusetzen, sich dem russischen Diktator entgegenstellen zu können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bundeshaushalt 2023 schafft die richtigen Voraussetzungen, die kulturelle Vielfalt zu stärken, die Kulturschaffenden zu unterstützen, Menschen, die vor dem Krieg fliehen, Hoffnung zu geben. So kann die Kultur ihre Wirkung entfalten, ihren Beitrag leisten für eine freie und zivilisierte Welt. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Sepp Müller für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der vorgelegte Bundeshaushalt ist ambitionslos. Die einzige Ambition, die diese Koalition scheinbar zusammenhält, ist der Kitt der Schulden. Fast 500 Milliarden Euro neue Schulden nimmt diese Ampelregierung auf. ({0}) Das sind so viele Schulden, wie die Bundesregierungen zwischen 1949 und 1990 insgesamt aufgenommen haben. Das geht zulasten unserer Kinder und Enkelkinder. Hier kann ich nur den Kopf schütteln, Herr Bundeskanzler. Deutschland kann wesentlich mehr – nicht mehr Schulden, sondern mehr Unterstützung. ({1}) Ein positives Momentum an Unterstützung für den Osten gibt es mit dem Bundeshaushalt tatsächlich. Es wird zusätzliches Geld für eine Pipeline zwischen Rostock und Schwedt aufgenommen. Das war es dann aber auch schon. Dabei gibt es doch so vieles mehr, was ihr, liebe Ampel, auch mit wenig Geld verbessern könnt. Dieses Land ist gegängelt von Bürokratie. Es braucht eine Entbürokratisierung und ein schnelleres und effektiveres Planungsverfahren. ({2}) Wo ist euer Sommerpaket? Diese Lösung ist nicht nur unkompliziert. Diese Lösung kostet kein Geld. Es kann doch nicht sein, dass wir einerseits innerhalb von acht Monaten ein LNG-Terminal in die Nordsee rammen; auf der anderen Seite schaffen wir es aber nicht, innerhalb von acht Monaten eine zusätzliche Pipeline zwischen Rostock und Schwedt in die Erde zu bringen. Da müssen Sie handeln, liebe Bundesregierung! ({3}) Hier steht nicht nur die Energiesicherheit für ganz Ostdeutschland auf dem Spiel. Nein, es steht die Energieversorgung für ganz Mittel- und Ostdeutschland auf dem Spiel, die Sie zu verantworten haben, Herr Bundeskanzler. Ich sehe schon jetzt die verblüfften Gesichter Anfang nächsten Jahres, wenn die Preise an der Tankstelle durch die Decke gehen, vorausgesetzt, es kommt bis dahin überhaupt noch aus jedem Hahn Sprit. Diese Regierung ist nicht in der Lage, die infrastrukturellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Schwedt ab dem 1. Januar 2023 auch weiterhin ausreichend mit Rohöl versorgt werden kann. In einem Deutschlandfunk-Interview vom Juni dieses Jahres kündigte Wirtschaftsminister Habeck an, die Kartellbehörde mit ausreichend Klauen und Zähnen auszustatten. Minister Habeck hat angekündigt, möglichst schnell Vorschläge zu einem schärferen Kartellrecht vorzulegen. Bis heute funktioniert in der Umsetzung davon nichts und wieder nichts. Im Juni! Das ist möglichst schnell? Herr Habeck, nach Ihrem Zeitverständnis fährt die Deutsche Bahn pünktlich. ({4}) Wir werden in energiepolitisch schwierige Zeiten übergehen, wenn kein russisches Öl mehr in Deutschland ankommt. Doch Ihre Ampelregierung, vorneweg die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, spricht öffentlich davon – ich zitiere –: Nie wieder Öl, nie wieder Gas aus Russland! – Das halte ich für falsch. Es wird eine Zeit nach dem Kriegstreiber Putin geben. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Es braucht nicht nur eine China-Strategie, nein, wir müssen schnellstmöglich einen Russlandplan griffbereit in der Schublade haben. Was ist, wenn dieser verbrecherische Angriffskrieg endlich vorbei ist? Was ist, wenn Putin im Dezember hoffentlich nicht mehr im Amt ist? Werden wir dann wieder Öl und Gas aus Russland beziehen wollen? Ist es sinnvoll, Russland in die Arme von China zu treiben? Ist es sinnvoll, insbesondere den Osten Deutschlands und dessen Industrie auf energiepolitisch unsichere Füße zu stellen? Lassen Sie mich beim Thema Energiesicherheit eines noch mal ganz klar betonen, Herr Habeck: Mit Ihrem Ziel, bereits 2030 aus der Kohle auszusteigen, gefährden Sie nicht nur die Energiesicherheit Ostdeutschlands. Sie stellen Tausende von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vor eine ungewisse Zukunft. ({5}) Herr Mützenich, Sie sagten vorhin, die SPD stehe an der Seite der Gewerkschaften. ({6}) Sprechen Sie mit den Kolleginnen und Kollegen der IG BCE! Was erzählen Sie eigentlich den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, deren Zukunft Sie so leichtfertig aufs Spiel setzen? ({7}) Ihr Minister Habeck hat es nicht einmal geschafft, das vorgesehene Gutachten zum Kohleausstieg 2038 zum 15. August dieses Jahres vorzulegen. Drei von vier betroffenen Bundesländern, Kollege Mützenich von der SPD, sind im Osten; sie warten auf eine Antwort. Tausende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer warten auf eine Antwort. ({8}) Wir brauchen alle uns zur Verfügung stehenden Energiequellen. ({9}) Wir sollten uns neuen technologischen Möglichkeiten wie der Nutzung und Speicherung von CO2 als Rohstoff nicht verschließen. So verhindern wir einen Blackout der Industrienation Deutschland. Unabhängig von dieser Gefahr ist es doch bezeichnend, Herr Habeck, dass in einer Umfrage der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau alle befragten Unternehmer zum ersten Mal seit 20 Jahren eine negative Zukunftsprognose gezeichnet haben – alle Befragten! Seitdem diese Ampel am Werk ist, sehen wir wirtschaftlich dunkelste Zeiten auf uns zurollen; das sagen nicht nur die Union und nicht nur ich. Um eine Stimme von der Handelskammer zu zitieren: „Aus offenbar ideologischen Gründen riskiert die Berliner Ampel lieber, dass sich die Wirtschaftskrise vehement verschärft“, so der Geschäftsführer der IHK Halle-Dessau. Packen Sie an! Deutschland kann mehr. Wir als CDU/CSU-Fraktion haben dazu eine Idee, wir haben einen Plan vorgelegt. Senken Sie die Steuern für Unternehmerinnen und Unternehmer auf 25 Prozent! Setzen Sie sich für berufliche Weiterbildung ein! Und setzen Sie sich, lieber Herr Staatsminister Schneider, endlich für den Osten ein! Wir brauchen die Pipeline von Rostock nach Schwedt, damit es in Schwedt ab 1. Januar weitergeht – für Ostdeutschland, für Mitteldeutschland. Das ist der Plan. Deutschland kann mehr! ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Achim Post für die SPD-Fraktion. ({0})

Achim Post (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004378, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Müller, ich hoffe, Sie sehen es mir nach, wenn ich so gut wie nichts richtig fand, was Sie gesagt haben. Ich nehme Ihnen aber ab – das ist ganz ernst gemeint –, dass Sie die Sorge um die Zukunft unseres Landes antreibt und umtreibt. Dass Sie eine andere Sichtweise als die Bundesregierung haben, zeichnet solche Debatten in diesem Parlament aus. Das alles kann man – da gucke ich nach ganz rechts außen – nicht von allen Rednerinnen und Rednern sagen. Da ist unter Formulierungen wie „der Niedergang Deutschlands“, „das Ende des europäischen Abendlandes“, „der Niedergang der deutschen Kultur“ und generell „der Untergang Deutschlands“ nichts zu machen. Liebe AfD, dass Sie von Demokratie nicht viel halten, das weiß ich schon. ({0}) – Ja, liebe AfD, ich bin nett. – Ich weiß, dass Sie von Demokratie nicht viel halten. Von Deutschland, von diesem Land, von unserem Land verstehen Sie gar nichts, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Denn dieses Land, Deutschland, zeigt jeden Tag aufs Neue, was in ihm steckt und was in seinen Bürgerinnen und Bürgern steckt – mit Leistung, Einsatz, Engagement. Gerade in Zeiten wie diesen sehe ich Millionen von Bürgerinnen und Bürgern, Beschäftigten, die jeden Tag was leisten und dafür sorgen, dass wir diesen Haushalt überhaupt verabschieden können, liebe Kolleginnen und Kollegen. Sonst hätten wir nämlich keine über 450 Milliarden Euro für diesen Haushalt 2023. ({2}) In diesem Haus gibt es wenige – jedenfalls niemanden in der Ampelkoalition, bei den meisten der Kollegen der CDU/CSU auch nicht, bei der Linkspartei auch nicht –, die negieren, dass wir schwierige Zeiten erleben, dass wir konkrete Probleme haben. Es ist gut, dass wir diese Bundesregierung haben. Die packt diese Probleme nämlich an. ({3}) Hohe, sehr hohe Kosten für Energie: Wir gucken nicht tatenlos zu, wir legen 200 Milliarden Euro auf den Tisch und begrenzen den Anstieg der Energiekosten. ({4}) Schwierige Lage für viele Familien in Deutschland: Deshalb gibt es ab dem 1. Januar 2023 250 Euro für jedes Kind in Deutschland. Das ist eine ganze Menge, und das ist eine ganz praktische Verbesserung der Lebensbedingungen von vielen Familien in Deutschland. ({5}) Dann zu dem, was diese Bundesregierung insgesamt leistet. Sie haben vorhin die Bundeswehr angesprochen – ich glaube, Herr Merz war es –, die 100 Milliarden Euro. Ich finde, es lässt sich sehen, wenn man in einer sehr schwierigen Zeit 100 Milliarden Euro extra zur Ertüchtigung und Verstärkung der Bundeswehr ausgibt, und diese Bundesregierung, diese Bundesverteidigungsministerin macht das. Wir haben am Anfang des Jahres lange darüber geredet: Was ist eigentlich mit Schutzausrüstung, mit Schutzkleidung? ({6}) Jahrelang haben die Verteidigungsministerin und die Verteidigungsminister der Union diese nicht geliefert. Im April dieses Jahres wurden durch das jetzige Verteidigungsministerium 2,4 Milliarden Euro für die Beschaffung zur Verfügung gestellt, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Diese Bundesregierung, dieser Bundeskanzler liefern nicht nur in Deutschland, sie liefern nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger hier. Sie schieben auch in Europa etwas an: Die Übergewinn- bzw. Zufallsgewinnsteuer kommt. Darüber reden wir nicht groß; manche reden darüber. Die Übergewinne werden abgeschöpft, ganz praktisch und konkret zugunsten des Haushaltes, zugunsten der Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande. ({8}) Die Vorschläge – wir haben viel über Industriepolitik geredet –, wie die Europäische Union mit Deutschland an der Spitze besser werden kann ({9}) in der Batteriezellfertigung, im Bereich der erneuerbaren Energien, im Bereich Wasserstoff, zeigen doch, wie wichtig es ist, dass Deutschland eine aktive Rolle in der Europäischen Union spielt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Schauen wir doch ein Stück weiter, nach Bali. Das, was der Bundeskanzler heute in seiner Rede erklärt hat, ist doch ganz klar: Seit Elmau, seit dem G‑7-Gipfel hier bei uns in Deutschland, haben wir eine konsequente Politik betrieben, um Länder wie Indien, Südafrika, Ägypten ganz praktisch näher heranzuführen an das, was hier bei uns diskutiert wird. ({10}) Sie waren am Anfang sehr kritisch, was Abstimmungen in der Europäischen Union und in den Vereinten Nationen anging. Jetzt sieht das ganz anders aus. Sie haben auf dem G‑20-Gipfel auf Bali klar erklärt, wie schwierig sie den Angriffskrieg Putins finden und wie sie ihn verurteilen. ({11}) Das Gleiche gilt für China. Was wurde hier geredet! Die China-Reise des Bundeskanzlers sei ein Skandal, die China-Reise des Bundeskanzlers sei falsch. Es wäre ein Skandal gewesen, wenn er nicht hingefahren wäre. ({12}) Denn nur dank dieser Reise haben wir die klare Aussage der Chinesen bekommen, dass sie Atomkriege klar und scharf verurteilen. Deswegen herzlichen Dank, Herr Bundeskanzler Olaf Scholz! ({13}) Zusammengefasst: Diese Bundesregierung, diese Ampel, dieser Bundeskanzler handeln. Sie handeln für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Sie machen das Richtige in der Europäischen Union, und sie machen das Richtige weltweit. Gut, dass wir sie haben! Schönen Dank. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Misbah Khan für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Misbah Khan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005104, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Deutschland haben wir Dekaden gebraucht, um uns an die Realität zu gewöhnen, dass wir ein Einwanderungsland sind, und das, obwohl wir mit den gewaltigen generationsübergreifenden Integrationsleistungen der Gastarbeiter/-innen-Generationen und später mit den vielen Zigtausenden vor den Kriegen dieser Welt Geflüchteten so viele gute Gelegenheiten dazu gehabt hätten. Wir hatten zu wenige Orte des Ankommens. Als Reaktionen auf rechte Gewalt in Mölln, in Rostock und in Solingen folgten Verschärfungen des Asylrechts. Deutschland wollte gar nicht, dass Menschen hier ankommen. Mittlerweile haben wir erkannt, dass wir ein Einwanderungsland sind, dass wir ein Einwanderungsland sein wollen, ja, ein Einwanderungsland sein müssen. ({0}) Seit Jahren sprechen wir davon, dass wir mehr Zuwanderung brauchen und was es bedeutet, wenn wir die Lücken, die wir haben, nicht füllen, die Zahlen, die wir erreichen müssen, nicht schaffen können. An jeder Ecke wird uns Personal fehlen, und das wird unser Leben bedeutend verändern. Eine lahmende Wirtschaft wird zu längeren Lieferzeiten führen. Wir werden Probleme in der Pflege bekommen, und auch der Zusammenbruch des Rentensystems kann eine Folge sein. ({1}) Die Ampel liefert nun auch mit diesem Haushalt die notwendigen bundespolitischen Weichenstellungen. ({2}) Statt Menschen über Jahre durch Kettenduldung zu drangsalieren, geben wir ihnen eine Chance auf Bleiberecht und leisten damit auch einen Beitrag zur Bekämpfung des Arbeitskräftemangels. Die Ampel hat die frühere Arroganz, ja, die Fehleinschätzung der vielleicht nicht auf alle Fach- und Arbeitskräfte wirkenden Attraktivität Deutschlands endlich abgelegt. Es ist ein Irrtum, zu glauben, man müsse nicht viel tun und man müsse auch nicht viel leisten, man könne sich die Besten der Besten aussuchen, die alle Schlange stünden, um in Deutschland arbeiten zu können. Mit dem Haushalt und den Mitteln, die wir jetzt hier beschließen werden, stellen wir uns zum ersten Mal einer Realität, die zeigt, dass wir mit anderen Ländern in Konkurrenz um Arbeits- und Fachkräfte stehen, dass andere Länder in der Lage sind, noch besser auf die Bedürfnisse von Migrantinnen und Migranten einzugehen, dass sie weniger Schranken und weniger Restriktionen haben. Wir werden und möchten jetzt mehr Teilhabe und mehr Zukunftschancen bieten. ({3}) Aber ehrlich und auch mal ganz plump gesagt: Wir können die besten Gesetze dieser Welt schreiben – wenn in Bautzen Geflüchtetenunterkünfte brennen, dann werden sich syrische Ärztinnen und Ärzte überlegen, ob sie nach Deutschland kommen oder ob sie nicht vielleicht doch lieber nach Neuseeland oder nach Kanada ziehen. ({4}) Und ein Weiter-so dieser Mixed Signals, wo wir je nach Stimmung, Gefühl und auch nach Tagesordnung Migrantinnen und Geflüchtete entweder an Bahnhöfen beklatschen oder ihre Unterkünfte mit Molotowcocktails bewerfen, können wir uns nicht leisten. ({5}) – Ja, es sind unterschiedliche Leute. – Aber wenn wir die Anschläge und die Angriffe einfach hinnehmen, reißen wir die Arbeit vieler und die Integrationsbemühungen von noch mehr Menschen einfach ein. ({6}) Die Arbeit der vielen Menschen, die sich um Ausbildungsplatz- und Arbeitsplatzvermittlung kümmern und für Begleitung starkmachen, wird mit Füßen getreten, wenn wir Menschen abschieben, die integrationswillig und vielleicht sogar in Ausbildung sind. Wir brauchen Signale, die positiv sind. Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstrengung. Wir brauchen gute, ambitionierte Bundespolitik. Aber das alleine reicht nicht. Wir brauchen auch eine Politik in den Ländern und in den Kommunen, die das unterstützt. Und wir brauchen auch Sie, liebe Union, dafür. Investieren wir also gemeinsam in eine Willkommenskultur und gemeinsam in die Stärkung von antirassistischer Arbeit! Wir müssen raus aus dem Modus „Migration hören und Problem denken“. Die Willkürlichkeit der gesamtdeutschen Stimmung zu Migration ist wankelmütig, sie ist paradox, und, ehrlich gesagt, sie ist auch viel zu aufgeregt für die Tatsache, dass Migration eine Konstante in der Menschheitsgeschichte ist, eine Konstante, auf die wir schlicht angewiesen sind. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Gerald Ullrich das Wort. ({0})

Gerald Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004923, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste und Besucher! Zu dieser Zeit der Debatte ist es immer etwas schwierig, noch ganz neue Aspekte in den Raum zu werfen. Ich werde es trotzdem mit einigen Beispielen probieren. Wir sind in einer Krise, und wir stehen eventuell auch am Rand einer Rezession. Die Frage ist doch: Wie kommen wir da wieder heraus? Meine persönliche Meinung und auch die Meinung meiner Fraktion ist: Wir kommen aus dieser Lage nicht durch Verzicht als dauerhafte Lösung heraus. Deutschland ist und bleibt eine Exportnation, und was uns trägt, das sind die Freihandelsverträge. Gott sei Dank verabschieden wir ja in Kürze CETA. Sehr wichtig sind auch die anstehenden Handelsabkommen mit Chile, Mexiko und Neuseeland, und auch die Verhandlungen zu Mercosur werden wir zu einem Abschluss bringen. Extrem wichtig ist aber für uns ein Handelsabkommen mit den USA. Ich glaube, wir haben uns da einige Jahre lang mit falschen Argumenten herumgeschlagen. Wir haben uns mit Chlorhühnchen herumgeschlagen, ({0}) anstatt uns mit den wirklichen Problemen zu beschäftigen. Ich denke, dass wir gerade angesichts des schon vor einigen Monaten in Kraft gesetzten Inflation Reduction Act nun sehen, dass das, was auf der Gegenseite geschieht, auf uns zurückfällt. Wenn wir ein Freihandelsabkommen mit den USA hätten, wäre dieser Act für uns kein Problem, vor allen Dingen für unsere Wirtschaft nicht. Was wir brauchen, ist, dass wir der deutschen Wirtschaft keine weiteren Fesseln anlegen, sondern für Entlastung sorgen. Vor wirtschaftlichem Erfolg liegt immer auch die Forschung. Gerade wenn ich sehe, was wir mit dem Besserstellungsverbot in Bezug auf die gemeinnützigen Forschungseinrichtungen tun, kann ich Ihnen nur sagen: Wir brauchen dort eine Lösung. Ich bin den zuständigen Ministerien wirklich dankbar, dass im Moment nach einer Lösung gesucht wird. Ich glaube, wir stehen dort kurz vor dem Durchbruch und bekommen das hin. Denn in Ostdeutschland sind die kleinen gemeinnützigen Forschungseinrichtungen der eigentliche Kern des Transfers von der Grundlagenforschung in die Industrie. ({1}) Wir sollten uns klarmachen: Es geht hier nicht um mehr Haushaltsmittel. Es geht hier um Freiheiten und um nichts anderes. Wachstum setzt sich aber auch in einem funktionierenden Wettbewerb fort. Diesen Wettbewerb müssen wir ideologiefrei gestalten. Wir müssen dafür sorgen, dass das Recht auf einen fairen Wettbewerb auch wirklich genutzt wird. Was wir auf gar keinen Fall brauchen, ist eine ideologische Verbrämung von Wettbewerbsgesetzen. Deshalb sind wir auf dem Weg zur Fortschreibung einer GWB-Novelle, mit der wir dafür sorgen wollen, dass es in allererster Linie um den fairen Wettbewerb und nicht um die Regulierung des Wettbewerbes geht. Ich würde es für ein sehr großes Problem halten, wenn wir das nicht tun. Ein weiterer Punkt, der die Wirtschaft am Laufen hält, ist der Treibstoff der Wirtschaft. Und dieser Treibstoff ist Energie; das werden wir in allen Bereichen erleben. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass dieser Treibstoff auch in Zukunft bezahlbar bleibt und dass er vor allen Dingen in ausreichender Menge zur Verfügung steht. Auch da brauchen wir auf vielen Gebieten weiterhin Forschung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Ullrich, Sie müssen zum Schluss kommen. Die Redezeit Ihrer Fraktion ist erschöpft.

Gerald Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004923, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mein letzter Satz: Deshalb plädiere ich dafür, dass wir eine technologieoffene Forschung in allen Bereichen haben – auch bei der Kernkraft, beim Wasserstoff und bei den synthetischen Kraftstoffen. Danke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Christiane Schenderlein für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Christiane Schenderlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In vier Tagen ist der erste Advent, die ersten Weihnachtsmärkte öffnen. Viele von uns hoffen auf besinnliche Tage in der Familie. Und doch ist die Zeit von Krisen überlagert, die besonders auch den Kulturbereich treffen, der dringendst auf Unterstützung des Bundes angewiesen ist. Es gibt große Sorgen: Energiekosten, Inflation, Arbeitskräftemangel. Der Kreativwirtschaft fehlt es an Sicherheit. Für 2023 geplante Konzerte werden bereits wieder abgesagt. Das ist bitter. Leider gibt die Bundesregierung bislang keine ausreichenden Antworten auf die Notlage der Kreativen. Bereits im August hat Kulturstaatsministerin Claudia Roth Energiehilfen für Kultureinrichtungen angekündigt. Heute, drei Monate später und kurz vor dem Winter, ist immer noch nicht klar, wie und an wen das Geld fließen soll. Angekündigt wurde, dass dafür Restmittel aus dem Sonderfonds für Kulturveranstaltungen in Höhe von 1 Milliarde Euro verwendet werden sollen und man auch bei der Ausschüttung der Gelder auf der Struktur der Sonderfonds aufbauen will. Gegen diese Pläne oder – besser gesagt – diese Zweckentfremdung haben wir allerdings frühzeitig Bedenken geäußert. Zum einen brauchen die Kulturveranstalter weiterhin finanzielle Unterstützung aus diesem Sonderfonds, und zum anderen hat er sich als unglaublich bürokratisch erwiesen; die Mittel sind nicht bedarfsgerecht abgeflossen. Die viel bessere Blaupause wäre aus unserer Sicht das Programm „Neustart Kultur“; denn hier wurden die Mittel über die Verbände passgenau administriert – ein Segen für viele private sowie öffentliche Kultureinrichtungen und Kulturschaffende. Auch bei den Energiehilfen muss der Kreis der Hilfeempfänger weit gefasst werden, das heißt die privaten Kulturorte und Freischaffenden mit einschließen. Und die Hilfe muss jetzt fließen und darf nicht erst rückwirkend in ein paar Monaten ankommen. ({0}) Erste private Kultureinrichtungen haben bereits angekündigt, über den Winter zu schließen. Das heißt, wir dürfen keine Zeit verlieren. Die Bundesregierung muss endlich Nägel mit Köpfen machen. Die Kultur braucht nicht nur Pläne, sondern Planbarkeit. Die Kultur braucht Hilfen, die auch helfen. ({1}) Nachdem die Kreativwirtschaft monatelang auf den Ansprechpartner bei der Bundesregierung warten musste, werden jetzt immerhin Gespräche geführt. Diese müssen aber Ergebnisse liefern, sonst bleibt es beim Smalltalk. Geld ist offensichtlich da; die Erhöhung des Kulturhaushaltes begrüßen wir. Im Bereich „Auswärtige Kulturpolitik“ hingegen wurde kräftig gestrichen, allein bei den Goethe-Instituten satte 25 Millionen Euro. ({2}) Wir haben im parlamentarischen Verfahren gemeinsam etwas auffangen können. ({3}) Der Fehler bleibt. Gerade in Zeiten internationaler Krisen ist die Arbeit der Goethe-Institute wichtiger denn je. Das Gleiche gilt auch für die Deutsche Welle, unseren Auslandssender. Propaganda und Desinformation nehmen zu, ({4}) doch die Ampel hat unseren Antrag auf zusätzliche Mittel für russisch-ukrainische Angebote abgelehnt. ({5}) Und das gilt auch für das Zukunftsprogramm Kino. Es ist das wichtigste Förderprogramm zum Erhalt der Kinoinfrastruktur. ({6}) Das Kinosterben ist in vollem Gange. Daher ist jeder zusätzliche Euro notwendig und gut angelegt. Sie verkaufen den Kulturpass für 18‑Jährige jetzt als großen Wurf; aber wenn es kein Kino mehr gibt, hilft auch der Pass nicht mehr, ganz abgesehen davon, dass die 100 Millionen Euro noch gar nicht freigegeben sind, weil kein Konzept vorliegt. Nur die schöne Überschrift gibt es bereits. ({7}) Und dann gibt es auch ganz schnell mal 70 Millionen Euro für ein Programm „Strukturen stärken“ ab – Achtung! – dem Jahr 2025. Was für ein falsches Verständnis von Weitsicht! Dabei fehlt es unseren großen Kultureinrichtungen von nationaler Bedeutung an Geld. Das Bundesarchiv sendet Notrufe. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat durch den Reformprozess Mehrbedarf, und auch die Grundfinanzierung beim Humboldt Forum ist nicht gesichert. Die Bilanz nach einem Jahr Regieren fällt jedenfalls ungenügend aus. Anzahl der von der Ampel eingebrachten Initiativen in den Bundestag: zwei. ({8}) Das grundsätzliche Problem dieser Regierung zieht sich leider auch durch den Kulturbereich. Die Probleme werden gesehen, es sind Lösungen angedacht; aber die Umsetzung steht aus. Gut gedacht, noch nicht gemacht, das trifft es. Ich zitiere Herrn Kilb aus der „FAZ“ vor einer Woche: Als Claudia Roth im Dezember 2021 ihr Amt antrat, tauschte sie die Führungsebene ihrer Behörde fast vollständig aus. Die meisten ihrer persönlichen Referenten stammen, wie man hört, aus der Parteizentrale der Grünen ({9}) und hatten mit Kultur bislang wenig zu tun. Nicht verwunderlich also, dass die meisten Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag bislang nur auf dem Papier stehen. ({10}) Die Antwort der Bundesregierung auf meine Nachfrage zum geplanten Plenum Kultur im Juni war: Das weitere Vorgehen wird im Laufe des Jahres geklärt. – Jetzt haben wir November. Also, Frau Roth, liefern Sie, und binden Sie vor allen Dingen den Bundestag transparent ein! ({11}) Das erste Jahr Ihrer Regierungszeit ist vorbei, und zum Glück für die Kultur kommen maximal nur noch drei Jahre dazu. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Verena Hubertz für die SPD-Fraktion. ({0})

Verena Hubertz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005089, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir als Ampel sind jetzt ein Jahr an der Regierung. Ich habe mal Revue passieren lassen, wie dieses Jahr war. Ich persönlich komme aus der Start-up-Welt und habe ein Unternehmen gegründet. Im Start-up haben wir ein Motto gehabt, das uns geleitet hat: „Better done than perfect“. Was bedeutet das? Einfach mal ins Machen kommen, nicht tausendmal darüber nachdenken, nachjustieren, wenn man Fehler macht, und wirklich Dinge umsetzen. Dann habe ich mich gefragt: Wie war eigentlich mein erstes Jahr hier im Deutschen Bundestag? Ein paar Parallelen kann ich schon sehen. Es ist natürlich ein krisengebeuteltes Jahr. Das erfordert, dass wir schnelle Entscheidungen treffen, dass wir große Themen miteinander klären. Als Parallele zu meinem vorherigen Leben durfte ich schon die einen oder anderen Nachtsitzungen identifizieren; die können wir auch gerne sein lassen. Dieser Haushalt atmet Zukunft, und das ist sehr wichtig; denn wir befinden uns gerade parallel in zwei Modi. Wir haben die Krise, die wir mit allem, was wir haben, bekämpfen, zum Beispiel mit Abwehrschirmen und noch viel mehr. Aber die Zukunft wartet nicht auf uns, und die kommt jetzt und vor allen Dingen schneller und entschlossener, als wir es uns vorstellen konnten. Deswegen ist es wichtig, dass wir in Arbeitsplätze, in eine klimaneutrale Wirtschaft in diesem Land investieren, aber dass wir auch ganz genau hinschauen und miteinander überlegen: Wo haben wir denn Zukunftsbranchen an unserem Industriestandort Deutschland? Ich bin den Haushältern sehr dankbar, dass wir gemeinsam Deutschlands Beteiligung an IPCEI Health hinbekommen haben. Wer sich damit noch nicht auseinandergesetzt hat: Wir als Europäische Union haben die Möglichkeit, besondere Branchen auch besonders zu fördern. In der Gesundheitswirtschaft, wo wir doch mit BioNTech vorne mit dabei sind, wo wir gezeigt haben, dass wir nicht nur die Apotheke der Welt sind, sondern dass sich Forschung und Innovation in diesem Land lohnen, müssen wir doch vorangehen. Wir gehen jetzt unter anderem mit Frankreich diesen Weg – für eine zukunftsweisende Wirtschaft, aber auch für neue Arbeitsplätze in diesem Land. ({0}) Ja, man muss auch raus aus der Komfortzone. Man muss Entscheidungen treffen und vor allen Dingen Zielkonflikte lösen: Zum Beispiel ist das günstigste Produkt nicht immer das klimafreundlichste, oder man möchte gerne Windenergie, aber das Windrad bitte nicht bei sich im Garten. Diese Regierung, diese Ampelkoalition baut endlich die Brücken und bringt die Perspektiven zusammen. Denn in diesen Zeiten kann es doch nicht sein, dass uns Individualinteressen, die alle richtig und berechtigt sind, aufhalten wie in der Vergangenheit, sondern wir müssen Lösungen finden, wie es endlich vorangeht in diesem Land. Und dafür sorgt die Ampel. ({1}) Das zeigt auch die Art und Weise, wie wir regieren. Wir haben zum Beispiel mit dem Bündnis für bezahlbares Wohnen mit unserer Bauministerin die verschiedenen Perspektiven der 35 Mitglieder aus den Bereichen Bauindustrie, Bauwirtschaft, Naturschutz, Mieterschutz bis hin zu endlich auch den Wohnungslosen an einen Tisch gebracht. Wir haben uns auf über 180 Maßnahmen geeinigt und nicht nur sechs Monate miteinander Kaffee getrunken. Nächste Woche geht es schon weiter. Frau Ministerin, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass wir das Thema „Dach über dem Kopf, klimaneutral, aber auch warm“ – auch wenn es hier gerade kalt ist; ich sehe, Sie tragen einen Schal – zusammen angehen. Da müssen wir alle ran; denn ich finde, die Zeiten erfordern, dass wir hier miteinander Lösungen finden. Das Treffen des Bündnisses für bezahlbares Wohnen im Kanzleramt ist ein Beispiel, wie diese Ampel die Fragen löst: im Querschnitt, miteinander und vor allem zielstrebig. ({2}) „Better done than perfect“ kann für mich auch die Überschrift dieses ersten Regierungsjahres sein: Wir machen, wir reden nicht ewig drum herum, und, ja, ({3}) wir korrigieren uns auch, wenn wir einmal nicht richtig gelegen haben. In diesem Sinne wünsche ich mir eine konstruktive Mitarbeit für ein solidarisches, aber auch für ein fortschrittliches Deutschland. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Matthias Helferich.

Matthias Helferich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005079

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „Kulturen sind Organismen. Weltgeschichte ist ihre Gesamtbiographie“, lehrt uns Oswald Spengler. Wenn wir in die Biografie vergangener Kulturen schauen, sehen wir, dass es immer die gleichen Entwicklungen waren, die zu ihrem Niedergang führten. Das Römische Reich ging an der Völkerwanderung zugrunde. Während Ostrom dem Einfall von Hunnen standhalten konnte, wurde die weströmische Gesellschaft durch Zuwanderung zersetzt. Doch auch die Verteilungsungerechtigkeit im Römischen Reich führte zu dessen Auflösung. Knapp 1 Prozent der 50 Millionen Bürger Roms teilte den Reichtum unter sich auf. Die Elite der Grundbesitzer, Staatsbeamten und Militärs lebte dank der hohen Steuereinnahmen aus den Provinzen im Überfluss. Die römische Elite neigte zu Exzessen, die ihre Urteilsfähigkeit trübten und die Verteidigungsbereitschaft Roms schwächten. Vetternwirtschaft und Selbstbedienungsmentalität ließen den Sinn für die Res publica bei den Politikern verblassen. Während sich das römische Establishment an Zitrusholztischen erfreute, gönnt sich die Verteidigungsministerin Lambrecht Teeküchen und Teppiche für ihr Ministerium im Wert von 100 000 Euro. Während die Patrizierfamilien ihre Angehörigen noch in der Spätphase Roms mit hochdotierten Staatsämtern versorgten, verhelfen die Grünen der Schlepperorganisation von Vizepräsidentin Göring-Eckardts Mann zu Millionen. Und während Caligula im Wahn sein Pferd zum Konsul ernannte, ernennen Sie den Dating-App-als-Beruf-Grünen Sven Lehmann zum Queer-Beauftragten und die Deutschenhasserin Ferda Ataman zur Antidiskriminierungsbeauftragten. Insgesamt 42 Sonderbeauftragte samt Sondergehalt leistet sich die Ampel, auch und gerade, um das eigene Milieu zu versorgen. ({0}) – Ich verstehe Sie nicht, wenn Sie jetzt so schreien, mit der Maske auf. ({1}) Und während man sich früher als Herrscher in Stein meißeln ließ, sucht Superminister Habeck einen Hoffotografen für 400 000 Euro. Anstatt endlich die Verteidigungsbereitschaft unserer Truppe herzustellen, wächst nur das Heer an Flüchtlingsprojekten bei der Migrationsbeauftragten. Sie alle führen Deutschland in den Untergang. Aber eines sei Ihnen versprochen: Es gibt noch Widerstand in unserem Land, ({2}) der es nicht zulassen wird, dass Deutschland an Ihrer Dekadenz stirbt. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Abgeordneter Helferich, wir sind hier in einer Debatte, und es steht Ihnen natürlich zu, Kolleginnen und Kollegen in ihrer Arbeit zu bewerten, zu kritisieren, zu belobigen und so weiter. Aber ich bitte Sie, sich erstens einer parlamentarischen Ausdrucksweise zu befleißigen und zweitens nicht Dritte mit einzubeziehen. ({0}) Das Wort hat der Abgeordnete Erhard Grundl für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({1})

Erhard Grundl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004733, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann die Zukunft nicht sehen, aber ich spüre, dass sie uns ganz genau beobachtet. – Das ist ein Zitat der Songwriterin Annie Clark, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen St. Vincent. Und ja, wir sollten uns von der Zukunft beobachtet fühlen; denn die Zeiten, in denen wir glauben durften, wir könnten unser Tun vor der Zukunft verbergen, sind endgültig vorbei. Wenn wir als Kulturpolitiker/-innen mit den Protesten der „Letzten Generation“ in den Museen und Galerien konfrontiert sind und vielleicht darüber den Kopf schütteln, müssen wir uns trotzdem vergegenwärtigen, dass wir heute an der Schwelle stehen, wo sich viele Gewissheiten der Vergangenheit in Auflösung befinden, auch in der schönen Welt der Kunst oder vielleicht gerade dort. Populismus taugt nicht zum Regieren, schrieb Carolin Emcke kürzlich in der „Süddeutschen“. Populismus taugt in einer Demokratie auch nicht zur Opposition. ({0}) Wer die „Last Generation“ mit der RAF in Verbindung bringt und sie in einem Atemzug nennt, ({1}) der verhöhnt letztendlich die 34 Mordopfer der RAF. ({2}) Das Einzige, was Sie, Herr Dobrindt, beherrschen, ist das kleinkarierte Einmaleins der Hetzer und Spalter. ({3}) Das weisen wir auf das Schärfste zurück. ({4}) Um die Welt der alternativen Fakten mit der Realität zu konfrontieren, braucht unsere Demokratie eine freie Presse als Grundlage für faktenbasierte Meinungsbildungsprozesse ({5}) und ein diverses Medienangebot. Dafür brauchen wir unerschrockenen Journalismus, der die Finger in die Wunden legt. Das gilt für Deutschland, und das gilt im Angesicht von Krieg, Unterdrückung und Verfolgung über unser Land hinaus. Darum fördert die Ampelkoalition mit rund 2,3 Millionen Euro Projekte zur Stärkung der Medienvielfalt, Projekte für Journalistinnen und Journalisten sowie Programme zur Stärkung der Medienkompetenz. Darum haben Annalena Baerbock, Claudia Roth und die Ampelkoalition Schutzprogramme für verfolgte Journalistinnen und Journalisten im Exil aufgesetzt; denn die Stimmen der kritischen Berichterstatter/-innen werden auch in ihren Herkunftsländern dringend gebraucht. ({6}) Meine Damen und Herren, zur Zukunft gehört auch der Blick in die Vergangenheit. Darum ist uns als Ampel die Erinnerungskultur so wichtig. Wir fördern die Digitalisierung von Dokumentationsbeständen zum Nationalsozialismus, wir stärken die Stiftung „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“, um einen Ort des Erinnerns und der Begegnung mit Polen zu entwickeln, und wir stärken das Erinnern vor Ort. In München war die Bauhaus-Synagoge in der Reichenbachstraße jahrelang hinter Bauzäunen und Plastikplanen verborgen. 1970 starben hier bei einem Brandanschlag auf das angrenzende jüdische Altenheim sieben Menschen. Der Brand wurde im Treppenhaus gelegt, sodass eine Flucht vor dem Feuer unmöglich war. Die unfassbare Tat ist bis heute nicht aufgeklärt, die Täter wurden nicht gefasst. Nun erhält die Synagoge in München 44 Prozent der Gesamtausgaben für die Renovierungskosten aus dem Bundeshaushalt. So kann die Bauhaus-Synagoge wieder als selbstbewusstes Zeichen jüdischen Lebens sichtbar sein – eine Entscheidung, für die ich der Ampelkoalition sehr dankbar bin. ({7}) Meine Damen und Herren, Erinnern heißt nicht Historisieren oder Schönreden, was nicht schön ist, –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Grundl, berücksichtigen Sie die Interessen Ihrer Kollegen.

Erhard Grundl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004733, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– wie zum Beispiel das unsägliche Spruchband an der Kuppel des Humboldt Forums als Überschrift für ein Haus, das ein Haus der Weltoffenheit sein will. Der Spruch hat nichts mit Weltoffenheit zu tun. Dort sollte besser Artikel 1 des Grundgesetzes stehen: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Thorsten Frei das Wort. ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor ziemlich genau einem Jahr ist diese Koalition aus SPD, FDP und Grünen gestartet, damals durchaus mit hohen Erwartungen und der Spekulation: Was werden die Themen auf der Agenda sein? Was wird der Stil dieser Koalition sein? Auf wessen Konto werden mögliche Erfolge eingehen? Heute, ein Jahr später, sehen wir etwas klarer. Wir sehen, dass die inhaltlichen Erfolge dieser Koalition ausgesprochen mager sind. Das dokumentiert auch der Haushaltsplan, den wir diese Woche verabschieden werden. Dort wird deutlich, dass die Koalition auf die zentralen Zukunftsherausforderungen letztlich keine plausiblen Antworten gibt. ({0}) Was wir aber schon sehr schön sehen können, ist, dass insbesondere bei zwei Partnern dieser Koalition in den vergangenen zwölf Monaten massive Glaubwürdigkeitsverluste eingetreten sind. Ich will das gerne an zwei, drei Beispielen illustrieren. Der Glaubwürdigkeitsverlust der FDP ist ziemlich klar zu datieren: Es war der 10. November 2022, als 82 FDP-Abgeordnete im Foyer des Plenarsaals blaue Karten in die Urnen geworfen und damit einem von SPD und Grünen vorangetriebenen Gesetz zur Mehrheit verholfen haben, das den Geist eines bedingungslosen Grundeinkommens atmet. ({1}) – Sie müssen sich das anhören, bedauerlicherweise; denn genau so ist es, Herr Dürr. ({2}) Sie haben die Verantwortung dafür, dass es Akzeptanz für den Sozialstaat gibt bei denen, die ihn finanzieren, die den Sozialstaat dadurch, dass sie jeden Tag zur Arbeit gehen, erst ermöglichen, und die Verantwortung dafür, dass wir möglicherweise heute Abend zu einem guten Ergebnis kommen, im Grunde genommen an den Bundesrat, an CDU und CSU ausgelagert. ({3}) Das ist der Glaubwürdigkeitsverlust der FDP. Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie das nicht hören mögen, ({4}) aber der Wahrheit ins Auge zu sehen, ist der erste Schritt zur Besserung. Es gibt noch einen zweiten Punkt, an dem man den Glaubwürdigkeitsverlust der FDP deutlich machen kann: wenn Sie diese Woche Ihre blaue Karte einwerfen, um Ihre Zustimmung zu diesem Haushalt zu dokumentieren. ({5}) Es geht um 476,3 Milliarden Euro. Sie werden die Zustimmung zu einem Haushalt geben, der nur formell die Schuldenbremse einhält, ({6}) aber in Wahrheit der Haushalt ist, der die größte Neuverschuldung in der Geschichte unseres Landes zu verantworten hat. ({7}) – Sie streiten es natürlich ab. Sie können rechnen, wie Sie wollen, ({8}) die Wahrheit ist, dass Sie genau dafür die Verantwortung zu übernehmen haben. Der Glaubwürdigkeitsverlust entsteht insbesondere dadurch, dass Sie sich noch vor einem Jahr damit gebrüstet haben, dass Sie bei den Jungwählern erfolgreicher gewesen seien als alle anderen Parteien. ({9}) Die Wahrheit ist, dass Sie mit dieser Schuldenpolitik letztlich die Steuern für zukünftige Generationen festschreiben. Überall, wo Sie in Ihrer Bilanz eine Entlastung markieren, werden Sie auch eine Belastung markieren müssen. ({10}) Das zahlen die Kinder und Enkel, die zukünftigen Generationen. Dafür tragen Sie die Verantwortung. ({11}) Jetzt könnte man ja sagen, die FDP ist in ihrer Wirtschaftspolitik durch eine angebotsorientierte Politik geprägt. Ich kritisiere das nicht. Das ist positiv, das ist richtig; wir haben heute in anderen Reden schon gehört, wie sehr das nottäte. Nur, Sie handeln nicht danach. ({12}) Gerade in der Energiepolitik, in der Frage der Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke, hätten Sie die Chance gehabt, zu beweisen, dass Sie in der Lage sind, eine wirklich angebotsorientierte Politik zu machen, ({13}) Es ist doch vollkommen klar, dass auf einen Angebotsschock mit einer Ausweitung der Kapazitäten reagiert werden muss. Was haben Sie gemacht? Sie haben sich von den Grünen belügen lassen ({14}) und feiern es als Erfolg, dass drei Atomkraftwerke im Streckbetrieb bis Mitte April weiterlaufen sollen. ({15}) Das ist kein Erfolg, lieber Herr Dürr, sondern im Grunde genommen ein Armutszeugnis. ({16}) Wenn man die Rolle der FDP in dieser Koalition zusammenfassen wollte, dann könnte man es mit folgenden Worten tun: Schlimmeres zu verhindern. Ich finde, das ist wirklich kein ambitionierter Ansatz. ({17}) – Mit der FDP ist es jetzt auch gut. ({18}) Man könnte im Bereich der Energiepolitik natürlich auch das Notwendige zu den Grünen sagen; denn auch die Grünen haben in den letzten zwölf Monaten viel an Glaubwürdigkeit verloren. ({19}) – Ja. Denken Sie mal daran, als sich die Grünen vor gut vierzig Jahren gegründet haben. Damals haben sie darauf gesetzt, dass es in der Politik keinen zynischen Umgang mit der Wahrheit geben darf. Sie haben auf Werte gesetzt, auf Wahrhaftigkeit. ({20}) Wenn jedoch – ich habe gerade davon gesprochen – ein Gutachten im Bundeswirtschaftsministerium und im Bundesumweltministerium so zurechtgebogen wird, dass es am Ende zur Ideologie der Grünen passt, dann ist das etwas, was mit Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit nichts mehr zu tun hat. ({21}) Genau das haben Sie zu verantworten. Frau Dröge, Sie haben vorhin eine Rede gehalten, in der Sie davon gesprochen haben, dass die Grünen die Partei sei, die auf Technologie setzt, ({22}) dass die Grünen die Partei sei, die verhindert, dass wir von einer Industrielokomotive zu einem Industriemuseum werden. Sie sind dafür verantwortlich, dass die Energiepreise in diese Höhe geschossen sind, ({23}) und zwar, weil Sie auf eine Verknappung des Angebots dringen. Dabei hat Ihre Expertin, Veronika Grimm, an der Spitze der Wirtschaftsweisen, beispielhaft vorgerechnet, dass man durch eine längere Laufzeit der Kernkraftwerke die Preise um bis zu 12,1 Prozent senken könnte. Das ist die Wahrheit. ({24}) Deswegen verantworten Sie diese Politik. Und weil es auch um die Einsparung von Millionen Tonnen CO2-Emissionen geht, ({25}) muss man wirklich sagen: Die Grünen sind keine Klimaschutzpartei, die Grünen sind eine schnöde Anti-AKW-Partei. ({26}) Notwendig wäre in dieser Situation wirklich eine angebotsorientierte Politik. Dann müsste man auf Kapazitätsausweitungen setzen. ({27}) Dann müsste man in der Arbeitsmarktpolitik die richtigen Akzente setzen. Dann müsste man für Entbürokratisierung sorgen, für eine Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, und zwar nicht nur bei LNG-Terminals – da haben Sie ja bewiesen, dass es geht –, ({28}) sondern im gesamten Energiebereich, bei der Verkehrsinfrastruktur; dort tut es not, aber dort machen Sie es aus ideologischen Gründen nicht. ({29}) Das ist die Wahrheit, und der sollten Sie ins Auge sehen! ({30}) Das Gleiche gilt dafür, dass wir unseren Standort wettbewerbsfähig für die Zukunft machen. ({31}) Wahrscheinlich sind wir jetzt das erste Mal in einer Krise, aus der wir, anders als in der Vergangenheit, nicht gestärkt hervorgehen werden. Warum? Weil Sie nichts tun, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Es ist ja nicht nur so, dass Gas und Strom in Deutschland zehnmal so viel kosten wie in den USA, ({32}) schon vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine waren wir dreimal teurer als Frankreich. ({33}) Nehmen Sie die Steuerpolitik: Sie schreiben in Ihrem Koalitionsvertrag fest, dass es keine Unternehmensteuerreform geben soll. Schauen Sie sich mal an, wo wir heute stehen: Wir sind nicht konkurrenzfähig. ({34}) Mit dieser Politik werden Sie nicht durch die Krise kommen, werden Sie unseren Standort nicht stärker machen, ganz im Gegenteil. Herzlichen Dank. ({35})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich bitte um Aufmerksamkeit auch noch für die drei folgenden Rednerinnen und Redner. Das Wort hat der Kollege Dirk Wiese für die SPD-Fraktion. ({0})

Dirk Wiese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man am Schluss einer Haushaltsdebatte redet, dann gibt einem das die Möglichkeit, noch mal das eine oder andere zusammenzufassen. Ich muss sagen: Das, was ich heute von den Rednerinnen und Rednern der Union erlebt habe, ist ungefähr wie Argentinien gestern: ({0}) Man ging ambitioniert aufs Spielfeld, man verdribbelte sich, man enttäuschte alle Erwartungen, und am Ende stand man mit leeren Händen da. Das ist, kurz zusammengefasst, was uns die Union heute hier präsentiert hat. ({1}) Ich muss sagen: Ich bin bei einigen der Beiträge gerade von der Union heute wirklich erstaunt. Es sind herausfordernde Zeiten für unser Land. Das ist nicht einfach. Die Entscheidungen sind nicht einfach. ({2}) Ich bin aber froh und dankbar, dass diese Bundesregierung, diese Ampelkoalition in diesen schwierigen Zeiten handeln. Und dann vernehme ich von der Union immer diese vermeintliche Wirtschaftskompetenz, die beansprucht wird. Dazu muss ich mal ganz deutlich sagen: Wenn wir Merz im März gefolgt wären, einen Gasimportstopp für dieses Land zu verhängen: Sie hätten diesen Industriestandort, die energieintensive Industrie vor die Wand gefahren. ({3}) Betriebe wären schon insolvent und pleitegegangen. Das ist die Wirtschaftskompetenz der Union. Ich muss das mal deutlich sagen: Wer solche Vorschläge macht, wer so etwas raushaut, für den gilt nicht: „Opposition ist Mist“, für den gilt: Opposition ist Muss, und auch noch lange. So will ich das mal ausdrücken. ({4}) Dann, lieber Thorsten Frei, zum Bürgergeld. Dazu muss ich sagen: Zu dem, was ich da in den letzten Wochen von Ihnen gehört habe, was da teilweise kolportiert worden ist, kann ich an vielen Stellen nur den Kopf schütteln. Das Zynischste, was ich in den vergangenen Wochen erlebt habe, war aber Folgendes: dass man sich gegen das Bürgergeld stellt, dass man versucht hat, eine Bevölkerungsgruppe, die wenig verdient, gegen eine andere auszuspielen. Man mag selbst beurteilen, ob man das machen muss. Ich fand das schlimm. Aber wenn sich dann der bayerische Ministerpräsident für PR-Fotos in die Tafel begibt und feststellt, dass in diesen Zeiten mehr Menschen Hilfe brauchen, dann aber gleichzeitig gegen das Bürgergeld poltert, während Ihre Fraktion gleichzeitig nicht mal dem Mindestlohn zustimmt, damit Arbeit mehr wert ist, damit Menschen gut verdienen können, dann ist das unglaubwürdig und schadet auch der Debatte in diesem Land. ({5}) Ich will auch noch mal sagen: Die Ampelkoalition hat auch in der Energiepolitik schwierige Entscheidungen in diesem Land treffen müssen. Aber dass wir Entscheidungen treffen müssen und dass wir bei dem Ersatz von Gas bei so vielen Entscheidungen – ich will das mal so formulieren – eine Operation am offenen Herzen im laufenden Betrieb durchführen mussten, ist doch auch dem geschuldet, dass wir jahrelang beim Ausbau der erneuerbaren Energien nicht vorangekommen sind, dass wir es nicht geschafft haben, den Leitungsbau gerade Richtung Bayern voranzubringen. Das sind Fehler aus 16 Jahren, die Sie auch mit zu verantworten haben. Wenn man dann sagt: „16 Jahre sind nicht so schlimm gewesen wie diese Ampelkoalition“, dann kann ich nur sagen: Sie leben im Wolkenkuckucksheim. – Es ist gut, dass die Ampelkoalition dieses Land regiert. Es ist gut, dass Bundeskanzler Olaf Scholz die Verantwortung hat und nicht ein Oppositionsführer mit vermeintlich zugedachter Wirtschaftskompetenz. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Stefan Seidler. ({0})

Stefan Seidler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005219

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Moin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, heute als ein Vertreter des glücklichsten Bundeslandes Deutschlands vor Ihnen stehen zu können. ({0}) Die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner wussten es natürlich schon lange, aber nun haben wir es einmal mehr schwarz auf weiß. Aber woran liegt es denn, dass die Menschen laut „Glücksatlas“ von letzter Woche in Schleswig-Holstein wie auch die Menschen in Skandinavien glücklicher sind als sonst wo? ({1}) Am Wetter? Am Fisch? Nein, ich denke, es liegt an einem bestimmten Lebensgefühl, einer nordisch-gelassenen Offenheit, die sich auch im Umgang mit unseren Minderheiten ausdrückt. Der Schutz unserer Minderheiten ist etwa auch in der Verfassung Schleswig-Holsteins verankert. Denn wir wissen: Die Minderheiten bereichern unser Kulturleben und unsere Gesellschaft. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass wir die Kulturinvestitionen im hohen Norden und besonders die gesellschaftliche und kulturelle Arbeit der Dänen und Friesen in den Haushaltsverhandlungen im Parlament stärken konnten. ({2}) Das fördert die Vielfalt und stärkt die Demokratie in unserem Land. ({3}) Mange tak und foole tunk an die Kolleginnen und Kollegen hier im Hause, die dies zusammen mit uns ermöglicht haben! Die Menschen im Norden sind nicht nur glücklicher, sie sind auch Klimavorreiter. Vielleicht sind sie auch deshalb so glücklich. Unser Norden geht bei der Energiewende voran und zeigt, wie man nachhaltigen, sauberen und günstigen Strom produzieren kann. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU – weil Sie bei der Energiewende das Feld von hinten aufrollen –: Sie sind immer gern nach Nordfriesland eingeladen. Wir zeigen Ihnen gern, wie das mit dem Wind und mit dem Wasserstoff geht. ({4}) Was wir allerdings nicht tun werden, ist, unsere kostbare Natur den Risiken des Frackings auszusetzen. Da kann Markus Söder vom Norden fordern, was er will. ({5}) Meine Partei, der SSW, lehnt Fracking im Norden klar ab. Wir dürfen jetzt keine neuen Quellen für fossile Brennstoffe mehr erschließen. Unser Ziel muss es sein, von fossilen Brennstoffen wegzukommen. Deshalb sind wir auch gegen eine neue dauerhafte, landgebundene LNG-Infrastruktur. Die aktuelle Energiekrise darf nicht zu neuen langfristigen Investitionen in einen Energieträger führen, den wir eigentlich überwinden müssen. Denn mit Blick auf die Infrastruktur dürfen wir uns nichts vormachen: Eine vollständige Weiternutzung der LNG-Anlagen für Grünen Wasserstoff wird es nicht geben; das geht schon physikalisch gar nicht. Es gilt bereits jetzt, fokussiert zu investieren: in Windkraft, in den Netzausbau und in Grünen Wasserstoff. Gerade beim LNG sehen wir doch, wie schnell es gehen kann; das wurde heute mehrfach gesagt. Im Mai war Baubeginn in Wilhelmshaven, im kommenden Januar geht das Terminal in Betrieb. Monate statt Jahre, so muss es sein. Aber ich frage mich nur: Warum klappt das beim Gas und nicht bei den Erneuerbaren? Wir nehmen in diesen Tagen Hunderte Milliarden Euro in die Hand, um die Energiekrise zu bekämpfen. Das ist richtig und wichtig. Aber: Wir müssen beim Klima in die Gänge kommen. Denn bei allen Krisen: Die Klimakrise bleibt die bestimmende Krise dieser Zeit, und das ist heute leider zu kurz gekommen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Tesfaiesus für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Awet Tesfaiesus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005237, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was sehen Sie, wenn Sie die Augen schließen und an Kultur denken? Opernhäuser, vielleicht sehen Sie auch Bilder von Gerhard Richter, von Warhol an übergroßen weißen Wänden. Ich möchte Sie einladen, gemeinsam mit mir jenen weißen Wänden mal für einen Moment den Rücken zuzukehren und Kultur jenseits dessen zu suchen. Wir werden wunderbare Graffitis in Bahnunterführungen finden, glänzende Laufstege in Voguing Ballrooms, Afrohaar-Workshops, bei denen Kultur und Kulturfertigkeiten tradiert werden. Wir können Kultur planen, und dennoch wird die Kultur ihren eigenen Plan machen. ({0}) Für eine vielfältige Kulturlandschaft ist es unabdingbar, dass alle gesehen und gehört werden, ({1}) nicht nur jene, die es gewohnt sind und eine starke Lobby haben. Deshalb bin ich Staatsministerin Claudia Roth auch so dankbar, dass sie mit dem KulturPass die Jugend in den Fokus setzt. ({2}) Für den KulturPass stellen wir, der Bundestag, 100 Millionen Euro bereit. Jede Person, die nächstes Jahr 18 Jahre alt wird, erhält ein Kulturkapital in Höhe von 200 Euro. Damit ermöglichen wir endlich auch Jugendlichen kulturelle Teilhabe. ({3}) Weitere 5 Millionen Euro gibt es für den Festival-Förderfonds. Damit werden auch kleine, alternative Festivals gefördert. Denn Festivals sind auch ehrenamtlich organisierte Festivals wie das Open Flair bei mir in Eschwege, ein Festival im ländlichen Raum, das zum wiederholten Male als bestes Festival Deutschlands ausgezeichnet wurde. Es wird trotz der 20 000 Besucher/-innen noch immer von dem Ort und darüber hinaus ehrenamtlich gestemmt. ({4}) Bleiben wir im ländlichen Raum. Mit dem Programm „Zusammen gestalten – Strukturen stärken“ werden wir rund 69 Millionen Euro für die Jahre 2025 bis 2030 einstellen. Damit wollen wir heute schon die Zukunft der Menschen im ländlichen Raum sichern. ({5}) Mit diesem Haushalt lösen wir auch unser Versprechen aus dem Koalitionsvertrag ein, vergessene marginalisierte Communitys mit unserer Kulturförderung zu erreichen. Auch euch sehen und hören wir! Wir fördern mit SAVVY Contemporary zum ersten Mal ein Ausstellungshaus, das sich mit den Nachwirkungen und den Kontinuitäten des Kolonialismus auseinandersetzt. Hätte ich als Schülerin ein Kulturhaus besuchen können, das dies anbietet, wären einige Lücken geschlossen worden. Das war schon lange überfällig. Das packen wir jetzt an. Vielen Dank. ({6})

Carsten Körber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004332, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den vergangenen neun Jahren durfte ich schon so einige Bereinigungssitzungen des Haushaltsausschusses erleben. Die Sitzung neulich war mit Abstand die längste – 18,5 Stunden haben wir getagt. Wir alle kennen das Sprichwort „Was lange währt, wird endlich gut“. ({0}) Wer aber glaubt, dass dieser Satz auch hier gilt, den muss ich leider enttäuschen. Warum? Ich habe selten erlebt, dass selbst so viele Ministerinnen und Minister im Haushaltsausschuss ganz unverblümt bekennen, dass sie mit ihrem Etat nicht zufrieden sind. Bei uns in der letzten Legislatur war das immer nur einer. ({1}) Wir befinden uns in der größten Krise dieses Landes. Wir spüren die Herausforderungen für fast jeden von uns; aber auch für den Bundeshaushalt waren sie nie so groß. In einer solchen Situation hat eine Regierungskoalition im Kern zwei Möglichkeiten: Entweder nimmt man neue Schulden auf, oder man bringt die Kraft auf, Ausgaben zu priorisieren und darüber den Haushalt zumindest ein Stück weit zu konsolidieren. Diese Chance aber hat die Ampel leider verpasst. Sie hat die maximal mögliche Nettokreditaufnahme von 45,6 Milliarden Euro voll ausgereizt. Ihr Haushalt ist ein rot-grün-gelbes „Wünsch dir was“, wo man doch gerade in so einer Situation dringend Prioritäten setzen muss, und zwar genau in den Bereichen, in denen der Bedarf ganz offenkundig besonders dringend besteht. ({2}) Das sind ganz aktuell das Auswärtige Amt, das BMZ und das Verteidigungsministerium. Der Regierungsentwurf des Finanzministers hingegen war gerade für AA und BMZ, aber – da sind wir uns als Union einig – auch für das BMVg absolut unzureichend. ({3}) Wir als Opposition, aber auch die Haushälter der Koalition haben in den Beratungen regelmäßig erklärt, dass genau an diesen Stellen massiv nachgebessert werden muss. Mit diesem Regierungsentwurf hat der BMF das Parlament quasi gezwungen, in die Bresche zu springen. Ich nehme mal ein Beispiel aus dem Auswärtigen Amt: die humanitäre Hilfe. Im Regierungsentwurf wurden die Mittel von 2,5 Milliarden Euro auf 2 Milliarden Euro gekürzt. Dieses unselige Spiel wurde von der Regierung wieder gespielt, da sie genau an den Stellen gekürzt hat, wo von vornherein völlig klar ist, dass diese Kürzungen im Parlament nicht unwidersprochen bleiben können. ({4}) Dieses Spiel, das ist nicht nur unredlich, das ist auch unseriös und, ich finde, auch absolut überflüssig. Ein solches Gebaren lässt uns auch im Ausland schlecht aussehen. Gerade in Zeiten der Krise verunsichert es auch unsere Partner. Das muss wirklich nicht sein. ({5}) Immerhin ist es dann doch gelungen, im Etat des Auswärtigen Amts massiv nachzubessern. In der Bereinigung kam eine dringend benötigte weitere Milliarde on top. Der größte Teil dessen fließt natürlich in die humanitäre Hilfe. Der Bedarf dort ist leider nach wie vor enorm. Für uns als Union war vor diesem Hintergrund klar, dass wir die Stärkung der humanitären Hilfe an dieser Stelle mittragen. ({6}) Die Ukraine ist leider nicht der einzige Krisenherd auf der Welt. Seit wenigen Wochen gehen die Menschen im Iran auf die Straße und protestieren gegen das unmenschliche Ajatollah-Regime. Die Lage im Iran ist dramatisch: Sicherheitskräfte gehen mit brutaler Gewalt gegen die Proteste vor. Hunderte wurden bereits getötet, Tausende festgenommen. Wir dürfen nicht schweigen, wenn friedliche Demonstranten als Feinde Gottes zum Tode verurteilt werden. ({7}) Sehr geehrte Frau Ministerin, Ihre ersten Äußerungen hierzu, all das habe nichts mit Religion zu tun, waren, gelinde gesagt, schon etwas blauäugig. Deshalb freue ich mich aber umso mehr, dass Sie hier mittlerweile kein Blatt mehr vor den Mund nehmen. Leider hat die Ampel unseren Antrag, die Demonstrationsbewegung im Iran zu unterstützen, nicht mitgetragen. Ein weiterer Punkt, der hier im Inland, aber auch bei unseren europäischen Partnern für massive Irritationen gesorgt hat, ist das Verhalten unseres Bundeskanzlers gegenüber China. Auffällig ist vor allem die unterschiedliche Positionierung von Kanzler und Außenministerin. Der Auftritt des Bundeskanzlers in China war sogar so verstörend, dass Sie, sehr geehrte Frau Ministerin, es für nötig hielten, ihn zu maßregeln. Sehr geehrte Frau Baerbock, ich bin sicher nicht mit jeder Seite mit Ihrer Amtsführung einverstanden. Aber was Sie von unserem Kanzler unterscheidet: Sie vertreten die Interessen unseres Landes mit einem klaren außenpolitischen Kompass dort, wo der Kanzler Führung nur vollmundig versprochen hat. ({8}) Ich bedanke mich bei Ihnen, Frau Ministerin, beim Auswärtigen Amt und bei meinen geschätzten Kolleginnen und Kollegen Mitberichterstattern für die angenehme und konstruktive Zusammenarbeit. Vielen Dank. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächstes erhält das Wort die Kollegin Jamila Schäfer, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Jamila Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005200, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2 Milliarden Euro mehr gegen Autokraten, 2 Milliarden Euro mehr gegen eine globale Ernährungskrise – das hat dieses Parlament, das haben wir gemeinsam im Haushaltsausschuss für das Auswärtige Amt und das Entwicklungsministerium erreicht. Vielen Dank dafür, insbesondere an meine Mitberichterstatter/-innen Wiebke Papenbrock, Otto Fricke und natürlich auch an Sven-Christian Kindler und Dennis Rohde. ({0}) Damit hat wertegeleitete Außenpolitik ein größeres Budget als je zuvor, und das ist angesichts der vielen globalen Herausforderungen dieser Tage genau richtig. Dieses Parlament zeigt mit dem vorliegenden Haushalt, dass es schnell und wirksam auf die Forderungen und Nöte in der Ukraine, im Iran und in anderen Krisenregionen der Welt reagiert. Wir haben diesen Haushalt zu einem schlagkräftigen Instrument einer aktiven Außenpolitik gemacht. Dass das Geld hier wirklich gut investiert ist, das zeigt die großartige Arbeit unserer Außenministerin Annalena Baerbock. ({1}) Wir geben 82 Millionen Euro zusätzlich für eine vorausschauende zivile Krisenprävention aus. Damit unterstützen wir zum Beispiel die Dokumentation russischer Kriegsverbrechen und wirken Desinformation entgegen. Auch das Budget für die humanitäre Hilfe war nie höher. Mit den zusätzlichen 708 Millionen Euro aus dem Haushaltsverfahren stehen 2023 insgesamt 2,7 Milliarden Euro zur Verfügung. Das ist Geld, das die Ukraine dringend braucht, das aber auch dazu beiträgt, dass sich das Elend dieses Krieges nicht noch weiter in andere Weltregionen ausbreitet. ({2}) Wir gehen damit auch gegen Lebensmittelknappheit vor, zum Beispiel am Horn von Afrika. Mit 86 Millionen Euro mehr für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik halten wir die Kulturmilliarde ein. Damit helfen wir gemeinsam mit dem DAAD zum Beispiel verfolgten Studierenden aus der Ukraine oder aus Russland. Wir fördern mit den politischen Stiftungen gemeinsam den Ausbau russischer Exilstrukturen in den Nachbarländern und stärken Programme zum Schutz von kritischen Journalistinnen und Journalisten, insbesondere auch im Iran; denn sie sorgen dafür, dass die Welt die Verbrechen des Mullah-Regimes und die mutigen Proteste im Iran mitbekommt. Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kulturmilliarde rettet Leben, und sie verteidigt unsere Demokratie. ({3}) Was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, nämlich dass Menschen in Seenot auf dem Mittelmeer vor dem Ertrinken gerettet werden, unterstützen wir nun auch im Bundeshaushalt. Mit 8 Millionen Euro über vier Jahre hinweg unterstützen wir einen breit getragenen Verein für Seenotrettung. Das Sterben auf dem Mittelmeer ist nach dem Krieg in der Ukraine die zweitgrößte humanitäre Katastrophe in Europa, und wir dürfen sie nicht einfach so hinnehmen. Und ja, das sollte auch in Ihrem christlichen Menschenbild eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Ich möchte noch einmal ganz klar sagen: Wer das in den Dreck zieht, der sollte sich wirklich fragen, ob sein Verständnis von Menschenrechten wirklich universell und christlich ist; denn Werte verteidigt man doch am besten, wenn man sie selbst vorlebt. ({4}) Ich möchte zum Schluss noch auf eines hinweisen: Die außenpolitischen Herausforderungen werden in den kommenden Jahren voraussichtlich nicht kleiner. Wir werden auch weiterhin eine handlungsfähige und aktive Außenpolitik brauchen. Ich hoffe, dass das bei den weiteren Planungen der Bundesregierung zum Bundeshaushalt im nächsten Jahr und auch in den folgenden Haushalten abgebildet sein wird. Die Unterstützung dieses Parlaments haben Sie. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Espendiller, AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Espendiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004711, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und bei Youtube! 2023 darf sich das Auswärtige Amt über 7,5 Milliarden Euro zum Ausgeben freuen. Die Ampel lässt es also ordentlich krachen, und alle anderen hier im Haus klatschen Beifall. Nur wir sagen: Das ist zu viel. ({0}) Es ist zu viel, und das vor allem im Hinblick auf die spannenden Fragen: Was passiert eigentlich mit dem Geld? Wo fließt es hin, und macht es, was es soll? Im Koalitionsvertrag haben sich die Ampelparteien auf eine „wirkungsorientierte Haushaltsführung“ verständigt. Davon haben wir aber recht wenig gesehen. Wenn der Haushaltstitel irgendwie gut klingt und da was von „Klima“ oder „Nachhaltigkeit“ drinsteht, dann fliegen die Milliarden nur so aus dem Fenster, ab ins Ausland. Machen wir es mal konkret – wir haben es in den Beratungen auch schon angesprochen –: Es gibt das sogenannte Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten. Das ist eine schicke neue Behörde im Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes im schönen Brandenburg an der Havel, und dort arbeiten jede Menge motivierte Sachbearbeiter. Wir konnten uns das gemeinsam mit der Ministerin mal ansehen, und das war wirklich sehr interessant. Einer der Abteilungsleiter hat uns erklärt, dass in seiner Abteilung in diesem Jahr circa 1 900 Projekte von 62 Mitarbeitern bearbeitet werden, Projekte in 130 Ländern der Welt mit einem Gegenwert von 2 Milliarden Euro. Rechnen wir das jetzt mal durch, sehen wir: Es verantwortet jeder einzelne Sachbearbeiter pro Jahr weltweit Projekte im Gesamtwert von 32,3 Millionen Euro – ein Mitarbeiter, 32 Millionen Euro. Da haben wir natürlich gefragt: Wie kann ein einzelner Sachbearbeiter bei so einer großen Summe prüfen und nachvollziehen, ob das Geld auch wirklich ankommt und etwas bewirkt? Die Antwort lautete, das werde kursorisch geprüft. Gucken wir in den Duden, was das heißt: Kursorisch: … fortlaufend; von einem zum andern rasch fortschreitend, nicht auf Einzelheiten eingehend … Vereinfacht gesagt: Wenn Sie Gelder für ein Projekt beantragen, wird kurz drübergeguckt, abgestempelt; das Geld wird überwiesen, hinterher noch ein kurzer Bericht geschrieben – „war alles superschön“ –; fertig, ab zu den Akten. – Die Ministerin hat nach unserer Kritik an diesem Prozedere ausgeführt, dass die Projekte vom Auswärtigen Amt vorgeprüft werden, vor allem aber die Projektpartner. Allerdings hat Frau Baerbock auch gesagt – Zitat –: „Wir kontrollieren nicht jede einzelne Rechnung. Wir kontrollieren nicht jeden einzelnen Bon. Das können wir ja gar nicht.“ Zitat Ende. Sehen Sie, und genau da liegt der Hase im Pfeffer; denn es ist mitnichten so, dass Sie nicht jeden einzelnen Bon kontrollieren können, sondern Sie wollen es einfach nicht. ({1}) Die Förderabteilungen des Auswärtigen Amtes sind darauf ausgerichtet, Geld auszugeben. Wäre es Ihnen wichtig, Frau Ministerin – wo auch immer Sie gerade sind –, würden Sie die Abteilung umstrukturieren; Sie würden ohne Kontrolle kein Geld ausgeben. Aber Sie tun genau das Gegenteil. Und in welche Länder wird das Geld denn überhaupt überwiesen? Beispielsweise haben Sie vorgestern weitere 33 Millionen Euro für die Republik Moldau zugesagt, überwiegend im Bereich Energiesicherheit. Ein Blick in den Korruptionsindex von Transparency International zeigt für dieses Land kein gutes Bild. Die Republik Moldau landet dort auf Platz 105, gleichauf mit Panama, und liegt damit in Sachen Korruption weltweit vorne, immerhin aber noch leicht hinter der Ukraine. ({2}) Ich denke, Frau Hagedorn, viele Menschen können den Ansatz der Regierung, dem Land zu helfen, durchaus nachvollziehen. ({3}) Das Land ist vom Krieg stark betroffen. Aber gerade im Hinblick auf die Korruption sollte es Ihnen doch ein besonderes Anliegen, hier eine ordentliche Kontrolle durchzuführen – ({4}) eine Kontrolle, damit die Gelder wirklich etwas bewirken. Aber das tun Sie gerade nicht, und das werden Sie auch nicht tun, bloß weil Sie das hier sagen. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Falls hier jetzt jemand sagt: „Ja, Mensch, dafür haben wir doch den Bundesrechnungshof“ – das ist ein Irrtum. Der kontrolliert nämlich keine Projekte. Die Kapazitäten dazu hat er gar nicht. Wie genau also mit dem Geld des Steuerzahlers umgegangen wird, ist damit eine Weichenstellung, die Sie vornehmen müssen, Frau Ministerin. Doch Sie und Ihr Haus kontrollieren ja nicht jede einzelne Rechnung und nicht jeden einzelnen Bon. Aber wissen Sie, wer das tun muss? Die Steuerzahler in Deutschland, die das Geld erwirtschaften, dass Sie großzügig verteilen. Die Bürger müssen bei jedem Euro genau hinsehen; denn normale Menschen können das Geld nur einmal ausgeben. Die Bürger müssen auch jede einzelne Rechnung aufbewahren, für ihre Steuererklärung zum Beispiel. Wenn Sie in Deutschland einen Betrieb führen, dann müssen Sie das sogar für zehn Jahre tun. Wenn dann eines schönen Tages die Steuerprüfung kommt – die kommt so sicher wie das Amen in der Kirche –, dann werden sich die Steuerprüfer auch jeden einzelnen Bon und jede einzelne Rechnung ansehen. Es gnade Ihnen Gott, wenn dann irgendetwas damit nicht stimmt. Wenn Sie also so leichthin darüber sprechen, dass Sie das alles gar nicht so genau prüfen können, dann lehnen Sie damit für sich einen Standard ab, der für Millionen Deutsche eine Pflicht ist. ({5}) – Frau Ministerin, da hilft auch kein Kopfschütteln. Das ist nun mal ein Fakt. Abseits von unterschiedlichen außenpolitischen Vorstellungen fordern wir hier von Ihnen wirklich mehr Kontrolle. Das sind Sie den Steuerzahlern in diesem Land mehr als schuldig. ({6})

Wiebke Papenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005175, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Unsere Außenpolitik hat angesichts der weltweiten Krisen besondere Bedeutung erlangt. Deshalb ist es konsequent und richtig, dass wir im Parlament den Etat des Auswärtigen Amtes im Vergleich zum Regierungsentwurf noch einmal mit 1 Milliarde Euro stärken. Das ist ein deutliches Signal, das von uns als Regierungskoalition hier im Parlament ausgeht. ({0}) Es zeigt, wie wichtig uns unsere deutsche Außenpolitik ist. Zusammen stark sein bedeutet, dass wir gemeinsam etwas bewegen können, wenn es darauf ankommt, zum Beispiel bei der humanitären Hilfe und in der internationalen Kultur- und Bildungspolitik. Dafür gilt mein Dank meinen Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss sowie den Fachpolitikern. ({1}) Ich möchte zuerst auf die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik zu sprechen kommen, die uns bei den parlamentarischen Beratungen besonders wichtig war. Sie ist ein wichtiges Fundament, wenn es darum geht, Brücken zu bauen und das Vertrauen in die Bundesrepublik Deutschland zu stärken, gerade auch in schwierigen Zeiten. Sie hilft, ein positives Bild Deutschlands im Ausland zu vermitteln, und sie spielt eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, dem wachsenden Fachkräftebedarf bei uns zu begegnen. Es ist deshalb eine gute Nachricht, dass wir erneut insgesamt 1 Milliarde Euro für unsere internationale Kultur- und Bildungspolitik zur Verfügung stellen. Bleiben wir beim Thema Fachkräfte. Ob im Handwerk, im Gesundheitswesen oder in der Metallverarbeitung: Die Mehrzahl der Betriebe in meinem Wahlkreis – die meisten sind kleine und mittelständische Unternehmen – sucht händeringend nach Auszubildenden und gut ausgebildeten Arbeitskräften. Das ist überall in Deutschland der Fall. Das Bundesarbeitsministerium schätzt, dass jedes Jahr 400 000 Fachkräfte einwandern müssten, damit wir unseren Bedarf an Fachkräften decken könnten. ({2}) Weil so viele Auszubildende und Fachkräfte fehlen, müssen viele Betriebe Aufträge ablehnen. Manche geben ganz auf oder schließen, weil sie keinen Nachfolger finden. Wir müssen deshalb alles daransetzen, mehr qualifizierte Arbeitskräfte zu uns zu holen, und das tun wir ja auch. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat vor vier Wochen Eckpunkte für ein neues Zuwanderungsgesetz vorgestellt. Dabei geht es auch darum, dass es Bewerberinnen und Bewerber aus Ländern außerhalb der Europäischen Union einfacher haben sollen, wenn sie zu uns kommen wollen. ({3}) Auf die Frage, wie wir mehr Fachkräfte gewinnen, gibt es viele Antworten. Es ist, wie so oft, komplex. Mehr Zuzug allein wird unseren Fachkräftebedarf nicht decken. Die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte, vor allem aus Nicht-EU-Ländern, ist aber nur ein Baustein von vielen. ({4}) Das führt mich zum Goethe-Institut. Seine Arbeit stärken wir nochmals deutlich. ({5}) Die weltweiten Goethe-Institute sind lokale Anlaufstellen, die ein erstes, positives Bild von Deutschland vermitteln. Sie sind gewissermaßen Vorboten, die wesentlich dazu beitragen, dass sich potenzielle Fachkräfte, zum Beispiel aus Indonesien, Costa Rica oder Neuseeland, für unsere deutsche Sprache und Kultur zu interessieren beginnen; ({6}) denn oft gibt es sonst gar keine Berührungspunkte zu Deutschland. Deshalb haben wir Haushälter ein Programm des Instituts zur Fachkräftegewinnung in Mittel- und Südamerika angestoßen. ({7}) Es liegt mir sehr am Herzen, dass wir im Parlament weiter gemeinsam am Fachkräftethema arbeiten. ({8}) Hierbei spielen auch die deutschen Schulen im Ausland eine wichtige Rolle. Fast jeder zweite Schüler kommt später nach Deutschland, um hier zu studieren. Diese jungen Menschen sind die Fachkräfte von morgen; denn viele von ihnen bleiben bei uns. Außerdem haben die Schulen, an denen man ein deutsches Abitur oder ein Deutsches Sprachdiplom erwerben kann, eine große Bedeutung für deutsche Unternehmen mit Niederlassungen im Ausland; denn die Kinder der im Ausland lebenden Deutschen müssen auch irgendwo unterrichtet werden. Unsere Unternehmen erwirtschaften im Ausland fast ein Drittel des gesamten Volkseinkommens. Das erklärt, warum die deutschen Auslandsschulen einen besonderen Stellenwert haben. Deshalb haben wir uns als Koalition dafür eingesetzt, dass diese Schulen weiter gestärkt werden. ({9}) Insgesamt fördern wir Programme, die Menschen mit verschiedenen Hintergründen an einen Tisch bringen. Dazu gehören auch die internationalen Stipendienprogramme für Studierende sowie für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, zum Beispiel des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und der Alexander-von-Humboldt-Stiftung. Dazu gehören auch Jugendaustauschprogramme wie die Konferenzen des Deutsch-Baltischen Jugendwerks oder die Deutsch-Türkische Jugendbrücke, die Schülerfahrten organisiert. ({10}) Und: Dazu gehören Austauschprogramme für Auszubildende. Auch hier haben wir im Parlament ein Projekt für Handwerker-Azubis auf den Weg gebracht. ({11}) Ob Studentin, Auszubildender oder IT‑Experte: Diejenigen, die nach Deutschland kommen wollen, brauchen ein Visum. Für viele sind die Visaverfahren kompliziert und noch mit langen Wartezeiten verbunden. Es ist deshalb eine gute Nachricht, dass vor zwei Jahren das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten seine Arbeit aufgenommen hat – nur wenige Kilometer entfernt von meinem Wahlkreis – in Brandenburg an der Havel. ({12}) Das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten ist eine neue Behörde im Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Es unterstützt die deutschen Auslandsvertretungen bei der Bearbeitung von Visaanträgen insbesondere im Bereich der Fachkräfteeinwanderung. Allein im letzten Jahr wurden insgesamt etwa 340 000 Anträge gestellt; das sind im Schnitt fast 1 000 pro Tag. Um die Abläufe effizienter zu machen, sollen die Verfahren modernisiert werden: weniger Papierformulare, mehr digitale Anträge. Und dafür stellen wir jetzt Geld bereit. ({13}) Ich möchte zum Schluss noch einmal auf die humanitäre Hilfe zu sprechen kommen. Sie macht über ein Drittel des Gesamtetats des Auswärtigen Amtes aus, nämlich 2,7 Milliarden Euro. Der Bereich der humanitären Hilfe bleibt damit ein Schwerpunkt in diesem Etat. Hier geht es darum, den besonders armen Ländern zu helfen, die Auswirkungen von Krieg, Klimawandel und Hungersnot abzufedern. Die Bundesrepublik Deutschland bleibt weltweit der zweitgrößte Geber nach den USA. Das ist eine klare Haltung, seit vielen Jahren. Deutschland war immer ein verlässlicher Partner und wird es auch bleiben. Vielen Dank. ({14})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Russland bombardiert völkerrechtswidrig die Ukraine. Und was macht die Bundesregierung? Sie liefert weiter Waffen an Russland, lässt weiter üppige Wirtschafts- und Finanzhilfen an das Land fließen ({0}) und legt Moskau lediglich nahe, bei seinen Luftangriffen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. ({1}) – Ja, Sie haben recht, Pardon. Es stimmt: Das tut sie nicht. Es geht hier gar nicht um Russland, sondern um Ihren NATO-Partner Türkei. ({2}) Richtigerweise muss es nämlich heißen: Die Türkei bombardiert völkerrechtswidrig Syrien. Und was macht die Bundesregierung? Sie liefert weiter Waffen an die Türkei – es gibt keinen Waffenexportstopp –, ({3}) lässt üppige Wirtschafts- und Finanzhilfen weiter fließen und legt Ankara lediglich nahe, bei seinen Luftangriffen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und zu achten. ({4}) Allein an diesem Beispiel lässt sich ablesen, mit welch zweierlei Maß Ihre Außenpolitik hier misst, Frau Baerbock. ({5}) Natürlich ist der Angriffskrieg Russlands zu verurteilen, ({6}) und die Bombardierung der zivilen Infrastruktur in der Ukraine ist ganz klar ein Kriegsverbrechen. Dieser Krieg muss auch deshalb so schnell wie möglich enden. Aber genauso zu verurteilen ist der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der Türkei in Syrien. Und da sind Sie einfach still und schweigen vor sich hin. ({7}) Da finde ich: Das geht nicht. Das muss Konsequenzen haben. ({8}) Es ist eben bezeichnend, dass, wenn man sich global umhört, nicht mehr die Diplomatie Kennzeichen der deutschen Außenpolitik ist, sondern das größte Aufrüstungsprogramm nach dem Zweiten Weltkrieg und der stetige Ruf nach immer mehr und immer schwereren Waffen, die man in die Ukraine schicken soll. Es sollte uns doch wirklich nachdenklich stimmen, dass selbst in den USA die Rufe nach einer diplomatischen Lösung im Ukrainekrieg immer lauter werden, wie jüngst vom ranghöchsten US-General, dem Generalstabschef Mark Milley. Warum hören wir dies nicht aus dem deutschen Außenministerium? Warum scheinen Sie selbst noch die Falken im Weißen Haus in ihrer Rhetorik übertreffen zu wollen? Wie existenziell eine diplomatische Lösung in der Ukraine ist, war doch an den Ereignissen beim Raketenbeschuss in Polen deutlich absehbar. Es ist fatal, dass auch Politiker der Ampelkoalition mit Falschmeldungen mit dabei waren, fast einen Dritten Weltkrieg heraufzubeschwören. Während die Presseagentur Associated Press den Reporter, der diese weltweit verbreitete Falschmeldung fabrizierte, entlassen hat, machen Sie hier einfach weiter, als wäre nichts geschehen. Die große Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland steht für eine diplomatische Lösung und erwartet, dass die Außenministerin endlich zu arbeiten anfängt und eine Initiative für eine diplomatische Lösung unternimmt. Ich frage mich deshalb auch in diesem Zusammenhang, warum Sie nicht wenigstens eine Überprüfung Ihrer Sanktionspolitik einleiten. In der Antwort auf die Kleine Anfrage meiner Fraktion hat die Bundesregierung ja eingestanden, dass sie keine Ahnung hat, welche Wirkungen die Sanktionen im Hinblick auf die Veränderung der russischen Politik haben. Aber das Problem ist, dass wir bereits jetzt sehen, dass der Wirtschaftskrieg, den Sie neben den Waffenlieferungen als außenpolitisches Instrument einsetzen, massiven Schaden für die Bevölkerung in Deutschland anrichtet. Mehr als 300 000 Unternehmen haben in Deutschland mittlerweile finanzielle Probleme, und daran hängen Millionen von Arbeitsplätzen. Seit März 2022 hat sich die Zahl der Pleitekandidaten um 15,6 Prozent erhöht. Für das nächste Jahr droht ein Wirtschaftseinbruch. Und Sie machen da einfach weiter. Ich finde das ungeheuerlich. ({9}) Man gewinnt mittlerweile auch den Eindruck – ich muss Ihnen sagen, auch das hört man im Globalen Süden –, dass das, was die deutsche Außenpolitik anpackt, schlicht danebengeht. Ich meine jetzt nicht nur die Bundesregierung, als sie versucht hat, mit einem Kotau vor der Golfdiktatur Katar um Gas zu betteln. Ich will Ihnen hier zwei Beispiele geben, die das illustrieren: Sie verweigern sich Neuverhandlungen des Versöhnungsabkommens mit Namibia, die von den Nachfahren der dem Völkermord zum Opfer gefallenen Menschen in der ehemaligen deutschen Kolonie dringend eingefordert werden, ebenso wie jeder Diskussion um Reparationen. Und dann Mali. Gestern haben Sie den längsten Rückzug in der jüngeren deutschen Militärgeschichte auf den Weg gebracht. Die Bundeswehr wird damit beschäftigt sein, die nächsten eineinhalb Jahre den Abzug aus dem westafrikanischen Land zu vollziehen, während die Sicherheitslage immer prekärer wird. Deshalb sagen wir ganz einfach: Die Bundeswehr sollte nicht erst im Mai 2024 abziehen, sondern sie sollte jetzt abziehen. ({10}) Meine Damen und Herren, wir brauchen dringend eine andere Außenpolitik, eine friedliche Außenpolitik, die statt auf Blockkonfrontation, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

– Aufrüstung und Stellvertreterkriege auf Diplomatie, auf Ausgleich und einen starken Sozialstaat –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin!

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

– mit einer starken Wirtschaft setzt. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. ({0}) Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Otto Fricke, nachdem ich ihn aufgerufen habe.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich würde es auch nie wagen, Herr Präsident, vorher hier an dieses Pult zu treten. Herr Kollege Körber, vielleicht ein kleiner Hinweis: Sie haben eben etwas zur Frage der Haushaltspolitik und den unzufriedenen Ministern gesagt. Ich glaube, da unterliegt Ihre Fraktion insgesamt einem Irrtum, der sich vielleicht auch in den letzten 16 Jahren gezeigt hat: Es ist nicht die Aufgabe des Haushaltsausschusses, die Minister glücklich zu machen. Es ist seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass der Steuerzahler den Ministerinnen und Ministern einen vernünftigen Haushalt zur Verfügung stellt, mit dem sie arbeiten können. Und genau das hat die Ampel getan. ({0}) Meine Damen und Herren, warum machen wir einen entsprechenden Einzelplan, und womit befasst sich der Einzelplan? Na ja, man kann natürlich dann wieder zu Shakespeare greifen. Cassius sagt das sehr schön in der ersten Szene des fünften Aktes von „Julius Cäsar“: Doch weil das Los der Menschen niemals sicher, Lasst uns bedacht sein auf den schlimmsten Fall. Das ist etwas, worüber wir hier eigentlich reden: Wir hätten am liebsten eine Welt, in der alles einfach, friedlich, leicht zu lösen wäre. Wir wissen auch – das sage ich aufgrund der Ausführungen meiner Vorrednerin –: Man kann nicht alles immer nur mit Diplomatie lösen. Übrigens: Wenn man das könnte, wäre die Rede, glaube ich, auch etwas anders gewesen; denn sie zeigt ja, dass nicht alles mit Diplomatie geht. Das ist die Aufgabe, die dieser Einzelplan 05 neben den Einzelplänen Verteidigung und Entwicklungszusammenarbeit wahrnimmt und ja auch gut wahrnimmt. Da kommen wir dann zu dem ersten Punkt, den Sie gemacht haben – meine Mitberichterstatterinnen haben es bereits gesagt –: Wir haben in einem Teil dem Auswärtigen Amt mehr Geld gegeben. Wir haben das aber nicht getan, indem wir „zusätzliches“ Geld gegeben haben, sondern indem wir etwas umgewidmet haben, was im Haushalt schon stand. Da bin ich dann wieder bei Cassius, da bin ich wieder bei „Julius Cäsar“: Wir haben aus der Krisenvorsorge 2 Milliarden Euro aufgelöst und so dafür gesorgt, dass beim Innenministerium mit einem kleinen Teil, im Einzelplan 23 und beim Auswärtigen Amt mit einem größeren Teil entsprechende Krisenvorsorge dann auch konkret umgesetzt wird. Damit haben wir ein Zeichen unserer internationalen Verantwortung gegeben. Entsprechend ist auch das Feedback positiv, ({1}) übrigens, Frau Kollegin Dağdelen, auch aus dem Süden unseres Planeten. ({2}) Meine Damen und Herren, weil immer gefragt wird: „Wofür gebt ihr das Geld denn aus? Was ist denn das? Was heißt denn ‚humanitäre Hilfeʼ?“, will ich noch einmal sagen: Ja, es ist das, wo auch dem einzelnen Menschen, dem Kind, der Mutter, dem Vater, dem Älteren, ihnen allen konkret geholfen wird. Aber wir sorgen damit auch dafür, dass die Botschaften zusätzliche Mittel haben, um humanitäre Hilfe zu ermöglichen, um zu organisieren, um Dinge möglich zu machen, die dann auch vor Ort ankommen, aber nicht, um hinter irgendwelchen Mauern zu sitzen und das Geld am Ende nur für Verwaltung auszugeben. Eine andere Aufgabe ist auch, krisenbedingte Ausreisen aus entsprechenden Regionen zu ermöglichen, Möglichkeiten für Mitarbeiter zu schaffen, tiefer in die Regionen hineinzugehen, die Sicherheit für Botschaftspersonal zu gewährleisten. All das gehört mit dazu, um all das kümmert sich dieser Haushalt. Ich glaube, dass diese Umbuchungen auch notwendig waren; denn wir alle wissen nicht genau, wie die Herausforderungen, die im nächsten Jahr auf uns zukommen, aussehen werden. Und demjenigen, der jetzt sagt: „Ja, aber ihr habt ja alles aufgelöst“, sage ich: Nein! Der Haushalt hat an ganz vielen Stellen noch entsprechende Reserven – nicht nur der Haushalt des Einzelplans 05, sondern auch der Gesamthaushalt –, weil wir eben nicht genau wissen, wie die Krisen in der Zukunft sein werden, und weil uns die Menschen wichtig sind. Zweiter Punkt: Auswärtige Kulturpolitik. Es ist schon angesprochen worden, wem wir alles helfen. Ich bin sehr froh, dass wir da noch etwas haben tun können, insbesondere beim Thema DAAD, also bei der Frage, wie wir sowohl hier in Deutschland als auch vor Ort helfen, dass akademische Ausbildung stattfindet und es dann diejenigen gibt, die mit Verstand, aber auch mit Fähigkeiten dafür sorgen, dass ihre Länder immer mehr Schritte Richtung Demokratie hinbekommen. Das ist wichtig; ich bin sehr froh, dass wir das tun. ({3}) Wir haben das nicht mit großen Auflagen versehen. Anders verhält es sich beim Goethe-Institut. Und ja, auch ich habe die Zeitung gelesen. Und ja, ich bin seit 2002 im Haushaltsausschuss. Ich habe kein Jahr erlebt, in dem es nicht die Frage gab, ob beim Goethe-Institut nicht gewisse Reform gemacht werden müsste. Wenn wir aber sagen: „Wir wollen reformieren“, dann heißt das nicht: „Wir wollen es weghaben“, dann sagen wir damit nicht: „Es ist schlecht“, sondern dann will diese Ampelkoalition – deswegen hat sie einen Betrag von ursprünglich 12 Millionen Euro, dann 14 Millionen Euro gesperrt – ein besseres und stärkeres Goethe-Institut haben, aber nicht mehr mit einer Auftragserfüllung, die den 70er- und 80er-Jahren entspricht, sondern einer Auftragserfüllung, wie sie in diesem Jahrzehnt, in diesem Jahrtausend wahrgenommen werden muss. Und da bin ich guter Hoffnung, dass das Goethe-Institut diese Meldung angenommen hat und von dort auch entsprechende Vorschläge kommen. Wir haben eine Frist bis August gesetzt. Wenn früher schon entsprechende Reformschritte gemacht werden, bin ich gern bereit, über Teilauflösungen der Sperre zu reden. Aber entscheidend ist, dass das, was Kultur- und Bildungspolitik ausmacht, was damit verbunden ist für unser Land, auch nach draußen stärker in einer Art kommuniziert wird, wie es der heutigen Zeit und dem heutigen Land entspricht. Wenn das dann erfolgt und wenn wir dann auch noch, Frau Ministerin, das Geld für die DGAP in diesem Jahr ausgeben, bin ich glücklich. Herzlichen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Fricke. – Nächster Redner ist der Kollege Roderich Kiesewetter, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist die Aufgabe dieser Debatte, Herr Kollege Fricke, die kühlen Kalkulationen des Haushaltsausschusses klar und strategisch einzuordnen. Und das ist dem Kollegen Körber wirklich gut gelungen. ({0}) Das ist ein Haushalt – so wurde er schon heute früh deklariert – der Zeitenwende. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, was bedeutet denn die Zeitenwende für Estland oder für Georgien oder für die Ukraine? In diesen Ländern ist die Zeitenwende bereits viel früher angekommen: in Estland 2007 mit dem Cyberangriff Russlands auf die Infrastruktur, in Georgien 2008 mit dem Krieg Russlands gegen Georgien und in der Ukraine 2014 mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine. Und in Deutschland? Da hat der damalige Bundespräsident mit dem damaligen Außenminister und heutigen Bundespräsidenten und mit der damaligen Verteidigungsministerin versucht, die Zeitenwende einzuläuten, indem er bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 gesagt hat, Deutschland müsse sich „früher, entschiedener und substantieller einbringen“. Nun hat das gedauert bis zum 27. Februar. Wir alle wissen, dass die Rede beeindruckend war, nur die Umsetzung nicht. Frau Außenministerin, Sie haben harte Weichenstellungen vor sich. Nicht alles haben Sie zu verantworten. Deshalb müssen wir uns in Demut üben und eingestehen, dass wir vieles in der Vergangenheit nicht gesehen haben, aber trotz aller Demut jetzt auch mutig vorangehen. Dazu haben wir ein paar Gedanken. Ich möchte Ihnen drei vorstellen: Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa ist seit 2007 zum Testfeld geworden, zum Testfeld hybrider Kriegsführung und der Rückkehr des Krieges. Europa ist zum Testfeld einer systemischen Auseinandersetzung geworden, wo Russland der Sturm ist, aber China der Klimawandel. Um das zu verstehen, müssen wir uns anders aufstellen. ({2}) Deshalb ist es wichtig, dass die 141 Staaten, die den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verurteilt haben, von der regelbasierten internationalen Ordnung überzeugt bleiben bzw. überzeugt werden. Deswegen muss das Kanzleramt begreifen, dass man Führung nicht einfach nur proklamieren kann, sondern Führung praktisch umsetzen muss; denn Deutschland hat eine Scharnierfunktion im Verständnis der Bedrohung Osteuropas, Mitteleuropas und der anderen Sorgen in Südeuropa. Das ist unsere Führungsaufgabe. ({3}) Das führt mich zum zweiten Gedanken, liebe Kolleginnen und Kollegen. Der zweite Gedanke ist, dass die Zeitenwende in praktische Politik, in praktisches Handeln umgesetzt werden muss. Hier begrüßen wir – der Kollege Körber hat es angesprochen –, dass in Ihrem Haushalt, Frau Außenministerin, über 3 Milliarden Euro vorgesehen sind für Frieden und Stabilisierung, aber insbesondere auch für humanitäre Hilfe. Das begrüßen wir. Aber Geld allein reicht nicht. Es geht um die Frage der Menschenrechte, um die Stärkung der Kultur, um die Frage der regelbasierten internationalen Ordnung. Um diese zu verdeutlichen, müssen wir alles dafür tun, um zu erreichen, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt. ({4}) Das führt mich zum dritten Gedanken. Hier – das will ich sehr klar unterstreichen – müssen wir uns auch unbequemen Wahrheiten stellen. Ich möchte drei kurz anreißen: Erstens: der Iran. Sie waren sehr zögerlich, Frau Außenministerin. Sie haben es jetzt geändert. Aber für die vage Aussicht auf ein Nuklearabkommen mit dem Iran dürfen wir nicht die Zivilgesellschaft vernachlässigen. Viel wichtiger wäre es doch, wenn der Iran demokratisiert, ein Regimewechsel aus eigener Kraft erreicht und dann ein Nuklearabkommen ausgehandelt würde, statt dass wir zurückhaltend und mutlos versuchen, ({5}) ein Abkommen zu verhandeln, auf das der Iran nie eingehen wird, weil der Iran – ähnlich wie Nordkorea – nicht das Schicksal der Ukraine teilen möchte, die 1994 nuklear abgerüstet hat und nun dieses furchtbare Schicksal erleidet. Deshalb: Zivilgesellschaft zuerst stärken im Iran! Zweite unbequeme Wahrheit: Sie haben sich, dem Rat unserer Dienste folgend, sehr klar gegen den Verkauf eines Terminals des Hamburger Hafens ausgesprochen. ({6}) Das war auch richtig so. Sechs Ministerien dieser Regierung haben sich dagegen ausgesprochen. Das Kanzleramt hat anders entschieden. Ich erwarte und wir als Union erwarten von dieser Regierung mehr Mut gegenüber dem Kanzleramt. ({7}) Es geht doch auch darum, dass wir uns darauf einstellen müssen, dass Italien und andere Länder, die mühsam die chinesischen Kaufversuche abgewehrt haben, sich jetzt getäuscht sehen. ({8}) Der Hafen von Triest ist nach Hamburg verkauft worden, und plötzlich wird ein Teil des Hamburger Hafens zugänglich für chinesische Cyberspionage. Und die dritte unbequeme Wahrheit, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist: Wenn wir die regelbasierte internationale Ordnung stärken wollen, darf die Ukraine diesen Krieg nicht nur nicht verlieren, sie muss den Krieg gewinnen. ({9}) Und gewinnen heißt, dass wir alles tun, diesen Krieg zu verkürzen, indem die Ukraine alles erhält, was sie benötigt, damit sie auch das Gelände, das sie wiedergewonnen hat, halten kann und ihre Soldatinnen und Soldaten in diesem furchtbaren Krieg wegen veralteter Systeme nicht ihr Leben verlieren. Schützenpanzer Marder und selbst die 50 Jahre alten Kampfpanzer Leopard gewähren eine andere Chance auf Überleben der Besatzungen als die auf 8 000 Grad im Inneren sich erhitzenden und explodierenden alten sowjetischen Modelle. Da sind wir in einer Verantwortung, auch vor den Witwen, die wissen, dass eine Lieferung das Überleben ihrer Männer eher gewährleistet hätte. ({10}) Die Ukraine kämpft dort für uns. Und jeder hier in diesem Hause und in der Bundesregierung und in den anderen Oppositionsparteien, der für einen Waffenstillstand gegen die Ukraine wirbt, wirbt dafür, dass Russland sich erholt, den Krieg gegen eine Rumpf-Ukraine fortsetzt, um dann das wahrzumachen, was es im Februar dieses Jahres verkündet hat: den Krieg gegen Moldau und gegen das Baltikum fortzuführen, weil Russland glaubt, wir seien schwach. Frau Außenministerin, wir erwarten von Ihnen hier mehr Härte. Sie haben einen guten Satz geprägt: Diplomatie und Härte. Das ist eine andere Politik als in der Vergangenheit. Die Bundesregierung hat lange nur auf Diplomatie gesetzt, auf Soft Power. Was wir brauchen, ist die Kombination von Diplomatie und Härte; das ist Smart Power. Nur dann werden wir auch glaubwürdig die regelbasierte internationale Ordnung unterstützen. Wir müssen erreichen, dass Länder wie Russland, wie Iran, wie China oder Nordkorea keine Nachahmer finden; denn wenn die Ukraine verlieren würde, würde eine neue Allianz entstehen und ein neuer Krieg beginnen. Wir müssen erreichen, dass die Ukraine gewinnt und diese Länder isoliert bleiben und sich neu ordnen. Herzlichen Dank. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Das Wort hat jetzt Frau Bundesministerin Annalena Baerbock für die Bundesregierung. ({0})

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! ({0}) „Wir brauchen Partner, auf die wir uns verlassen können.“ Das ist der eindringlichste Satz, den ich als Außenministerin im letzten Jahr immer wieder gehört habe, egal an welchen Ort ich gereist bin, nicht nur in der Ukraine, nicht nur im Baltikum, sondern auch in Asien, in Afrika, im Nahen Osten und erst recht auf dieser Klimakonferenz. Für viele Partner außerhalb Europas steht Russlands brutaler Angriffskrieg mit Blick auf ihre Sicherheit eben nicht an erster Stelle, sondern ihre Sicherheitslage ist zentral durch die Klimakrise, durch Dürren, durch Fluten, durch Vertreibung aufgrund des Klimawandels gezeichnet. Die Wahrheit, die wir in diesem alles andere als einfachen, ich würde sagen, größtenteils furchtbaren Jahr erleben mussten, ist, dass Russlands Angriffskrieg bestehende Wunden noch weiter aufgerissen hat, insbesondere mit Blick auf die weltweite Ernährungskrise. Deshalb stellen wir noch in diesem Haushalt, noch im Haushalt 2022 1 Milliarde Euro zusätzlich zur Linderung der globalen Nahrungsmittelkrise bereit. ({1}) Ja, ich weiß, dass der Bedarf deutlich größer ist. Er liegt laut World Food Programme bei 44 Milliarden Euro. Aber ich möchte an dieser Stelle auch einmal sagen: Deutschland hat innerhalb der letzten zehn Jahre – und das umfasst alle demokratischen Parteien hier im Deutschen Bundestag – seine Mittel für humanitäre Hilfe mehr als verzwanzigfacht. 2023 werden es – das haben einige Vorredner bereits erwähnt – 2,7 Milliarden Euro sein. Dafür möchte ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuss, aber auch allen anderen, die in den letzten Jahren und in diesem Jahr daran mitgewirkt haben, wirklich von Herzen danken, weil das das Vertrauen schafft, das Deutschland weiterhin in der Welt genießt. ({2}) Frau Papenbrock und andere haben es angesprochen: Verlässlichkeit brauchen wir nicht nur bei humanitärer Hilfe, sondern auch bei Stipendien, bei Bildungs- und Kulturarbeit. Ich höre aus unterschiedlichen Ecken immer mal wieder: Deutschland ist die viertstärkste Volkswirtschaft, warum müssen wir eigentlich zweitstärkster globaler Geber sein? – Das müssen wir nicht sein. Wir können das natürlich auch ganz anders machen. ({3}) Aber ich glaube, dieses Jahr hat deutlich gezeigt – das sollten Sie von rechts außen sich auch überlegen –: Wir werden unseren Frieden, unsere Freiheit, unsere Sicherheit in Europa niemals alleine verteidigen können, niemals alleine mit Waffen, niemals alleine mit Diplomatie, sondern auch wir brauchen die internationale Gemeinschaft. ({4}) Deswegen bin ich stolz darauf, dass unser Land weltweit zweitgrößter Geber ist. ({5}) Wir werden daher unsere weltweite Zusammenarbeit weiter ausbauen. Das gilt insbesondere auch für das Engagement im Sahel. Wir haben gestern gemeinsam mit Ministerkolleginnen und ‑kollegen entschieden, dass wir unser Engagement im Sahel, in dieser so krisengebeutelten Region, neu aufstellen werden, gemeinsam mit unseren internationalen Partnern. Wir wollen in diesem Zusammenhang dem Deutschen Bundestag vorschlagen – das Mandat steht bekanntermaßen im Mai an; so können wir das auch gemeinsam mit Ihnen intensiv diskutieren –, nach zehn Jahren im Rahmen einer neuaufgestellten Sahelstrategie auch unser Engagement aus der MINUSMA-Mission strukturiert zurückzuziehen. Sie, Frau Dağdelen, haben gerade gesagt, das sei der längste Rückzug, den Sie kennen. Ja, weil wir verlässliche Partner sind, weil es das Gegenteil von einer vertrauensvollen Außenpolitik wäre, sich Hals über Kopf zurückzuziehen. ({6}) Wir sagen nicht einfach: Wir haben es uns anders überlegt, obwohl wir Ländern wie Bangladesch oder anderen afrikanischen Staaten, die bei MINUSMA engagiert sind – Sie waren ja selber vor Ort, Frau Dağdelen –, versprochen haben, noch ein Jahr lang Transporthubschrauber zu stellen. ({7}) Aber bei uns in Deutschland wird es gerade ein bisschen schwierig. Deswegen ziehen wir uns jetzt Hals über Kopf zurück. – Nein, das wäre das Gegenteil von verantwortungsvoller und vor allen Dingen vertrauensvoller Außenpolitik. ({8}) Weil es bei dieser Mission um Friedenssicherung, um Schritte zur Demokratie geht, ist unser Vorschlag, dass wir insbesondere die Wahlen, die wir immer wieder eingefordert haben und die hoffentlich, so wurde es versprochen, im nächsten Jahr und im Frühjahr 2024 anstehen, noch mit begleiten. Zugleich machen wir deutlich, auch in den Vorbereitungen der Nationalen Sicherheitsstrategie: UN-Friedensmissionen bleiben zentraler Bestandteil unserer Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik. ({9}) UN-Friedensmissionen dienen auch unserer eigenen Sicherheit hier bei uns. ({10}) Das Leben ist komplex. Wenn es nur schwarz oder weiß wäre, wenn alles einfach wäre, dann bräuchten wir hier so intensive Debatten gar nicht zu führen. Natürlich bedeutet Sicherheit in der Sahelzone genauso wie bei uns eine absolut vernetzte Sicherheit. Wenn wir über Unterstützung durch die Bundeswehr reden, müssen wir auch immer über Bildungspolitik reden. ({11}) Wir müssen über Klimapolitik reden. Wir erleben auf dramatische Art und Weise, warum uns Länder wie zum Beispiel Niger – eines der ärmsten Länder der Welt und trotzdem mit aller Kraft dabei, demokratisch zu bleiben –, warum uns Länder wie Ghana oder auch Kenia auf dem G‑7-Außenministertreffen gebeten haben, warum sie sogar darauf gedrungen haben, dass wir vor Ort bleiben. ({12}) Diese wissen nämlich, dass die terroristischen Strömungen nur darauf bauen, dass es in der Bildungsarbeit und der Klimaarbeit nicht weiter vorangeht, weil sie dann rekrutieren können. ({13}) Deswegen ist es so für uns so wichtig, dass wir diesen vernetzten Ansatz zusammendenken, ({14}) auch wenn es bei uns schwierig ist, auch wenn bei uns die Inflationsquote gerade weiter nach oben geht. ({15}) Weil die Welt nun mal vernetzt ist – zum Glück leben wir nicht in einer abgeschotteten Welt –, haben wir insbesondere gemeinsam mit der Entwicklungsministerin, aber auch der Umweltministerin, dem Landwirtschaftsminister und dem Wirtschaftsminister – wir sind nämlich bei der Klimaaußenpolitik breit aufgestellt – auf dieser Klimakonferenz dafür gekämpft, ({16}) dass wir endlich unsere CO2-Emissionen mindern und zugleich ein neues Kapitel der Klimagerechtigkeit aufschlagen. ({17}) – Sie rufen jetzt rein: „Kein Mensch braucht Klimaaußenpolitik!“ – Doch! Denn ansonsten gefährden wir unsere eigene Sicherheit. ({18}) Wir haben natürlich auch erlebt, dass es auf der Klimakonferenz im Hintergrund die ganze Zeit um Geostrategie ging. Deswegen hat unsere China-Strategie ganz viel mit unserer Klimaaußenpolitik zu tun. ({19}) Wir haben nämlich auf dieser Konferenz erlebt, dass sich ein Land wie Sambia plötzlich dafür ausspricht, dass Industriestaaten nicht weiter ihre Emissionen senken sollten. Da fragt man sich: Wie kann denn das eigentlich sein? ({20}) – Wenn Sie zuhören würden, anstatt dauernd reinzubrüllen, könnte ich Ihnen im nächsten Satz erklären, was das mit China zu tun hat. ({21}) Als sich dann der chinesische Vertreter gemeldet hat, hat er Sambia gedankt. Da fragt man sich: Was hat das jetzt mit China zu tun? Ja, die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung war gerade in Sambia und kann berichten, wer den Flughafen in Sambia finanziert hat: China. ({22}) Alles hängt in dieser komplizierten, komplexen Welt mit allem zusammen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir Klimapolitik, dass wir humanitäre Hilfe, dass wir unsere China-Strategie zusammendenken und nicht das eine gegen das andere ausspielen. ({23}) Dazu gehört für mich auch, dass wir Diplomatie und militärisches Engagement nicht gegeneinander ausspielen. Es gibt Momente im Leben, da reicht es nicht, sich zu wünschen, dass dieser Krieg vorbeigeht. Vielmehr gibt es Momente im Leben, da muss man sich entscheiden, auf welcher Seite man steht: auf der Seite des Rechts oder auf der Seite des Unrechts, auf der Seite des Angreifers oder auf der Seite des Angegriffenen. Wir haben uns hier zum Glück als demokratische Parteien am 24. Februar 2022 bzw. am Wochenende danach gemeinsam entschieden: Wir stehen auf der Seite der Ukraine, ({24}) auf der Seite der Menschen in der Ukraine. Auch da kann ich sagen: Ich bin stolz, dass ich ein Land repräsentieren darf – das ist ein Privileg –, in dem die allergrößte Mehrheit sagt: „Das ist nicht einfach mit den Energiepreisen, ({25}) und es ist wahnsinnig schwierig, wenn die Lebensmittelpreise auch noch steigen“, und zu Recht kritische Fragen an ihre Regierung stellt, aber zugleich eine 98-jährige Rentnerin genauso wie eine 9-jährige Schülerin sagt: Diesen Winter werden wir weiter an der Seite der Ukraine stehen, ({26}) weil die Bombardierung nicht aufhört trotz Getreidedeal, trotz diplomatischer Verhandlungen über Saporischschja, sondern gezielt Infrastruktur angegriffen wird. Wir lassen nicht zu, dass die Strategie des Verhungerns und des Erfrierens von Russland Erfolg hat. Herzlichen Dank, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen. ({27})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Nächster Redner ist der Kollege Markus Frohnmaier, AfD-Fraktion. ({0})

Markus Frohnmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004721, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Baerbock, Sie haben gerade gesagt: Sie stehen an der Seite der Ukraine, egal was mit den Bürgern in Deutschland passiert, ({0}) mit der neunjährigen Schülerin oder mit der Rentnerin. – Ich sage Ihnen mal was: Wir von der AfD, wir stehen an der Seite der deutschen Bevölkerung, und wir machen Politik für deren Interessen. ({1}) Mehr als die Hälfte der Ausgaben für das Auswärtige Amt dienen der Sicherung von Frieden und Stabilität. Aber kümmert sich Frau Baerbock auch um Frieden und Stabilität in der Ostsee? Als am 26. September sowohl Nord Stream 1 als auch Nord Stream 2 in die Luft gesprengt wurden: Was haben Sie da gemacht? Ich erinnere mal daran: Als ein paar Stücke ukrainischer Raketentrümmer auf polnischem Gebiet niedergegangen sind und es auch leider zwei Tote gegeben hat, da war die gesamte NATO alarmiert. Die polnische Regierung hat sich sogar überlegt, ob sie die Vorstufe zum Bündnisfall ausruft. Baerbock hat noch am gleichen Abend per Twitter verlautbart, dass sie sich in enger Abstimmung mit den polnischen Verbündeten befindet. ({2}) Aber was hat die Außenministerin gemacht, als es einen Angriff, eine terroristische Sabotage gegen die Nord-Stream-Leitungen gab? Nichts! Sie haben nichts gemacht. Auch heute weiß dieses Haus immer noch nicht, was da eigentlich vorgefallen ist. Schweigen im Walde. ({3}) Da war die Außenministerin, die sonst immer für Belehrungen gut ist, ganz still. Und mehr noch: Bis heute hat die Regierung nichts unternommen, um weiter Aufklärung zu betreiben. ({4}) 3,4 Milliarden Euro für Sicherung von Frieden und Stabilität und nichts, wenn einer der Eckpfeiler der deutschen Wirtschafts- und Energieversorgung in die Luft gesprengt wird. Die viertgrößte Volkswirtschaft auf der Erde – das haben Sie gerade selber auch bemerkt – ist entweder unfähig – das sehen wir dann, wenn Sie zum Beispiel Taucher an die Ostsee schicken, denen die notwendige Ausrüstung fehlt, um 70 Meter tief tauchen zu können und Aufklärung zu betreiben –, oder – das ist die andere Vermutung, die wir langsam haben – Sie wollen halt gar nicht aufklären. Denn wer immer Nord Stream 2 in die Luft gesprengt hat, der hat eigentlich Ihr grünes Parteiprogramm umgesetzt, Frau Baerbock. ({5}) Sie haben Deutschland abhängig machen wollen von Flatterstrom und Wasserstoff. Wissen Sie, das ist uns nicht entgangen: Da war eine ganz klammheimliche Freude des parlamentarischen Arms der „Letzten Generation“, also Ihrer Partei, der Grünen, als Nord Stream in die Luft geflogen ist. ({6}) Wenn ich mir Ihren Instagram-Account anschaue, Ihre Storys – immerhin tanzen Sie nicht; das ist schon mal was –, dann stelle ich fest, dass Sie sich anscheinend für alles Mögliche auf der Welt interessieren: Multikulti in Kanada, Feminismus in Afghanistan, Klimaschutz in Ägypten, Waffengeschenke an die Ukraine, Bekämpfung von Rechtsextremismus im Ausland ({7}) bei gleichzeitiger Streichung der dialogfördernden Auslandskulturarbeit. Nur zu den deutschen Interessen wird man in den Instagram-Storys der Außenministerin nichts finden. Denn Ihre Außenpolitik verfährt nach dem Grundsatz – ich zitiere Sie wörtlich –: „egal, was meine deutschen Wähler denken“. ({8}) Das ist wertebasierte feministische Außenpolitik, von der immer alle reden. Wir sagen: Schluss damit. ({9}) Wenn die Ukraine von ihrem Nachbarn angegriffen wird, dann gibt es eine Sanktionsorgie. Wenn Aserbaidschan Armenien bombardiert, dann gibt es keine Sanktionen. Im Gegenteil: Dann machen Sie, Frau Baerbock, einen dicken Gas-Deal mit Baku. Wenn im Iran die Frauen das Kopftuch ablegen, dann freut sich diese Regierung. Wenn aber in Deutschland jemand etwas gegen Verschleierung sagt, dann klopft der Haldenwang an der Tür. ({10}) Wenn der Russe bombt, dann rufen Sie nach Den Haag. Wenn US-Präsident Obama – wir erinnern uns – Hunderte von Menschen illegal mit Drohnen angreift und umbringt, dann darf er sich einen Friedensnobelpreis in die Vitrine stellen. ({11}) Und ganz wertebewegt haben damals die Grünen, Renate Künast und Jürgen Trittin, erklärt, das sei ein „Signal des Aufbruchs“ und eine Aufforderung zur Abrüstung. ({12}) Ich glaube, Deutschland hat genug von dieser Doppelmoral, ({13}) von dieser wertebasierten feministischen Außenpolitik. Wir sagen ganz klar: Keine Einmischung mehr in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten. ({14}) Handel und wirtschaftliche Zusammenarbeit, ja, aber ohne uns in Abhängigkeiten zu begeben, Schutz deutscher Schlüsselindustrien vor ausländischen Übernahmen und vor allem Schluss mit der arroganten und belehrenden grünen Außenpolitik, meine Damen und Herren. ({15})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege.

Markus Frohnmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004721, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sie müssen hier auch nicht so brüllen. Hören Sie mal zu, dann lernen Sie was. ({0})

Michelle Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Erst mal ganz herzlichen Dank, dass Sie hier das Plenum wieder dazu aufrufen, zur Debattenkultur zurückzukommen. In der Tat kann ich nur sagen: Die vorherige Rede war wirklich schwer erträglich. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Rängen! Es gibt noch gute Nachrichten in dieser Welt ({1}) und auch hier im Plenum. Die wesentliche Nachricht in dieser Debatte ist: ({2}) Deutschland übernimmt Verantwortung, ({3}) Verantwortung auch gerade in der Welt. Eine gute Nachricht für mich und auch für viele hier, die daran gearbeitet haben, ist auch, dass die Mittel für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik nicht gekürzt werden. ({4}) Nach dem ersten Entwurf des Auswärtigen Amtes – das sage ich mal vorsichtig – war das nicht ganz klar. Aber diese grundsätzliche Entscheidung der Koalition und des Haushaltsausschusses, den Haushalt des Auswärtigen Amtes insgesamt anwachsen zu lassen, ist richtig und ganz wichtig. ({5}) Es war aber auch hier in den letzten Wochen eine Kraftanstrengung, eine gemeinsame des Parlaments, die Regierung auch davon zu überzeugen, dass es völlig falsch wäre, zivilgesellschaftliche Bande zu beschneiden. Aber diese Botschaft ist angekommen. Lieber Kollege Fricke, manchmal muss man ja auch als Parlament Ministerinnen und Minister zu ihrem Glück ein bisschen bewegen, und dann fühlt man sich – ich möchte Ihren Shakespeare um Brecht ergänzen – ein bisschen wie in Brechts „Dreigroschenoper“: „Wenn die Not am größten, ist die Rettung am nächsten.“ ({6}) Ich danke jedenfalls ausdrücklich allen – meiner SPD-Fraktion besonders –, die dabei geholfen haben, dass wir die gut angelegte Milliarde für die Mittler, die genannt worden sind, hier auch zur Verfügung stellen können. Der Einsatz vieler Kolleginnen und Kollegen hat gezeigt: Der Deutsche Bundestag setzt nicht nur auf Werte in Worten, sondern auf Werte durch Taten. Ich möchte auch mal ein Beispiel für die Programme, die hier angesprochen worden sind, bringen. Im September haben wir uns als Unterausschuss, als Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker, mit zivilgesellschaftlichen Organisationen ausgetauscht, die wir über das AKBP-Programm „Östliche Partnerschaft“ fördern. Mit dabei war unter anderem die belarussische Organisation Wjasna, was so viel wie „Frühling“ bedeutet, eine Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Minsk, die politischen Gefangenen und ihren Familien finanzielle und rechtliche Hilfe zukommen lässt. Ihr Gründer Ales Bjaljazki gehörte zu der Gruppe von Menschenrechtlern, die in diesem Jahr mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden sind. Die beiden weiteren Preisträger, Memorial und das Center for Civil Liberties, wurden ebenfalls durch die AKBP, durch eines unserer Programme gefördert. Ich meine, davon brauchen wir mehr und nicht weniger. ({7}) Weil das Menschen sind, die anderen Menschen helfen, wenn die Not am größten ist. Sie wissen, Freiheit und Frieden sind eben keine Selbstverständlichkeiten, aber es sollte für uns eine Selbstverständlichkeit sein, sie zu unterstützen und weiter zu fördern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Prioritätensetzung werden wir weiterentwickeln müssen. Die AKBP ist eine Art nichtmilitärische Komponente der Zeitenwende, und ich meine, liebe Frau Außenministerin, wir sollten sie auch in die Nationale Sicherheitsstrategie mit einbetten. Sie haben bei der Auftaktveranstaltung zur Entwicklung der Nationalen Sicherheitsstrategie ja gesagt, Sicherheitspolitik sei mehr als Militär plus Diplomatie, und ich finde, es würde uns gut anstehen, das auch mit zu integrieren. ({8}) Genauso wie Free Trade noch lange kein Fair Trade ist, stünde eine Diplomatie, die das Leben der Menschen ausblendet, auf brüchigem Fundament. Und nicht zuletzt hilft uns auch der Austausch der Zivilgesellschaften – von Sprachkursen für Menschen, schon bevor sie nach Deutschland kommen, bis hin zu Stipendien für Menschen aus der Ukraine – dabei, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt in diesen Zeiten auch noch gute Nachrichten, auch wenn sie manchmal schwer zu entdecken sind und sie es seltener in die großen Schlagzeilen schaffen, wenn in deren Zusammenhang nicht gerade Nobelpreise verliehen werden. Wir sollten aber nicht nur auf den großen Auftritt, sondern auch auf den dauerhaften und steten Einsatz sehr genau achten; denn damit investieren wir in die wichtigste Währung der Welt: in Vertrauen. ({9}) Zum Schluss noch eine kurze Bemerkung: Ich weiß sehr genau, wie viele Diplomatinnen und Diplomaten aus Hauptstädten von Sao Paulo bis London sich hier am Werderschen Markt für eine gute Außenpolitik einsetzen. Ihnen allen herzlichen Dank für Ihre Arbeit! Aber ganz besonders sende ich von diesem Pult aus Grüße an die, die mit und für uns für eine multilaterale, regelbasierte Weltordnung arbeiten.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Michelle Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lasst uns die Wahrheit sagen – und gut! Let’s tell the truth – well! Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Lechte, FDP-Fraktion. ({0})

Ulrich Lechte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004799, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Der Applaus meiner eigenen Fraktion war auch schon größer, aber ich hoffe, ich werde das jetzt ausgleichen können. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, an den Kollegen Kiesewetter gerichtet, sei gleich zu Beginn Folgendes gesagt: Das Kanzleramt, also der Kopf unserer Bundesregierung, ist nicht wie das Mordor aus „Herr der Ringe“, ({1}) sondern dort ist der Teamkapitän, und wir einigen uns dann über unsere Minister mit dem Kanzler. Da kommen dann die besten Entscheidungen für Deutschland heraus. ({2}) Wenn ich insbesondere den Rednern der Opposition so zuhöre, habe ich immer das Gefühl, wir hätten volle Panzerschränke gefunden, als wir in die Regierung eingetreten sind. Das Gegenteil war der Fall. Es war alles weg; es war alles leer. Ihr habt bei Corona wirklich alles rausgepulvert, was rauszupulvern war. ({3}) Wir als FDP schaffen es trotz aller Krisen dieser Welt tatsächlich – und ich erinnere an die Ausgabenwünsche der Ministerien; alle wollen ja Geld ausgeben –, die Schuldenbremse einzuhalten. Ich gebe euch Brief und Siegel: Wenn die GroKo weitergeführt worden wäre, ({4}) dann hätten wir dieses Jahr Ausgabenprogramme ohne Ende, und die Schuldenbremse wäre 2023 niemals eingehalten worden. ({5}) Bei aller Liebe: Wir haben jetzt auch 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr an Sondervermögen aufgebracht. Die Union erzählt überall, wir würden Schulden machen ohne Ende – das habe ich heute auch wieder gehört –, ({6}) und der Herr Oppositionsführer erzählt das auch ständig. Es waren ja nicht nur die Panzerschränke leer, sondern die Depots der Bundeswehr sind auch leer. Wir haben keine Reifen, wir haben keine Munition; wir haben gar nichts. Wir versuchen momentan, das aufzufüllen, und das kostet halt schlicht und ergreifend mal Geld. ({7}) Die Botschaft des heutigen Tages lautet also – und dabei bleibe ich als Redner meiner Partei –: Ohne FDP keine Schuldenbremse, ohne FDP einfach Ausgaben ohne Ende. – Und das ist die bittere Wahrheit. ({8}) Ich bin all unseren Haushältern und gerade auch Otto Fricke, der sich dieses Mal ganz neu mit dem Auswärtigen und dem Einzelplan 05 beschäftigt hat, ({9}) dankbar, dass wir es geschafft haben, die Ausgaben des Auswärtigen Amtes dort zu halten, wo sie sind, und dass wir es gerade im Bereich der humanitären Hilfe geschafft haben, dass wir als Deutschland unseren Verpflichtungen in der Welt weiter nachkommen. Das ist der einzig richtige Weg, den man gehen konnte, und dafür bin ich dankbar. Ich bin gleichzeitig auch der SPD und den Grünen dankbar, dass wir es geschafft haben, in unseren Koalitionsvertrag reinzuschreiben, dass wir unsere Mittel künftig nicht mehr so earmarken, wie wir es früher getan haben, sondern uns an den Grand Bargain von 2016 halten und 30 Prozent für humanitäre Hilfe – zum Beispiel – in Zukunft unearmarked zur Verfügung stellen – oder slightly earmarken – und dementsprechend unseren Verpflichtungen nachkommen. Damit geben wir allen Hilfsorganisationen auf dieser Welt das entsprechende Wasser unterm Kiel, was sie benötigen, um vernünftig durch die Stürme der Zeit zu fahren. Vielen Dank. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Lechte. – Als Nächster hat das Wort der Kollege Michael Brand, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben gerade jeden Tag in dramatischer Art und Weise, wie eine barbarische und mittelalterliche Form der Kriegsführung nicht nur auf Eroberung, sondern auch auf Vernichtung der Lebensgrundlagen für Millionen von Menschen zielt. Das ist nicht nur militärisch eine für Europa neue bzw. alte Ära; es ist die Rückkehr zu einer schlimmen, barbarischen Zeit. Unsere politische Reaktion auf diese Herausforderung ist von strategischer Bedeutung: Humanitäre Hilfe ist hier nicht Hilfe in Not allein, sondern auch Hilfe bei der Prävention. Sie ist vor allem strategischer Pfeiler zur Sicherung und Wiederherstellung von Stabilität und Sicherheit in Europa; denn Putins Vernichtungskrieg soll Millionen von Flüchtlingen nach Polen, Deutschland und in andere Länder vertreiben, um das freie Europa zu destabilisieren. Umso deutlicher sagen wir dem Kriegsherrn im Kreml: Dieses verbrecherische Kalkül wird scheitern. Menschlichkeit und Zivilisation werden gegen diese Barbarei am Ende siegen. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das tapfere und beeindruckende Volk der Ukraine, das um sein Überleben kämpft, braucht nicht nur politische und militärische Hilfe, sondern massiv auch humanitäre Hilfe. Die Hilfsbereitschaft unserer polnischen Nachbarn für die Flüchtlinge ist schlicht großartig. Für diese große Geste möchte ich auch im Namen dieses Hauses den Menschen in Polen ausdrücklich unseren großen Respekt und auch unsere Dankbarkeit aussprechen. ({1}) Für den Frieden in Europa ist es von strategischer Bedeutung, dass unsere Bereitschaft als Staat zur Hilfe wie auch die großartige Hilfsbereitschaft unserer Bevölkerung erhalten und gefördert werden. Hier gilt gerade für Deutschland, die Ukraine und deren Nachbarn nicht nur mit warmen Worten, sondern auch mit massiver humanitärer Hilfe zu unterstützen. Umso mehr ist die von Außenministerin Baerbock vorgeschlagene Kürzung im Regierungsentwurf für die humanitäre Hilfe ein fatales Signal. Liebe Kollegin Müntefering, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das als Einzige in der Debatte angesprochen haben; denn es gab in den vergangenen Regierungen immer den Konsens, dass es aufgrund der steigenden Anzahl und der Dauer von Krisen auf der Welt notwendig ist, dass wir unserer Verantwortung gerecht werden. Frau Ministerin, Sie finden freundliche Worte für die Ukraine und für Polen. Mit Ihrer geplanten drastischen Kürzung der Mittel für die humanitäre Hilfe haben Sie diese eigenen Worte Lügen gestraft. ({2}) Sie haben damit nicht nur der Glaubwürdigkeit Ihres Amtes, sondern – schlimmer – auch der Glaubwürdigkeit Deutschlands geschadet. Und die Wahrheit ist: Erst die Initiative der CDU/CSU ({3}) – wir haben ja den Antrag gestellt, wir haben Vorschläge auf den Tisch gelegt, die die Ampelkoalition abgelehnt hat; ich erinnere an die erste Lesung und an die Beratungen im Ausschuss – und erst der öffentliche Druck – auch humanitärer Helfer, erfahrener NGOs, der Partner der Vereinten Nationen – haben die Kehrtwende zurück zu einer verantwortlichen Politik eingeleitet. Statt der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Kürzung von über 500 Millionen Euro stehen nun über 700 Millionen Euro mehr zur Verfügung, um das Minimum an humanitärer Hilfe in verschiedenen Bereichen – von der Ukraine über die globale Nahrungsmittelkrise bis hin zu anderen Krisen – abzusichern. Die ursprünglich vorgesehene Kürzung hat natürlich nicht nur die Partner im Bereich der humanitären Hilfe verunsichert, sondern auch für große Herausforderungen hinsichtlich der Planbarkeit und der Verlässlichkeit der humanitären Hilfe gesorgt, und das führt natürlich dazu – das wissen wir alle, die mit humanitärer Hilfe zu tun haben –, dass die Lebensmittelkosten steigen, wenn nicht rechtzeitig Nahrung eingekauft wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muss sich noch mal vor Augen halten, was es bedeutet, einen solchen Regierungsentwurf ausgerechnet in der größten humanitären Krise in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg und angesichts einer drohenden globalen Hungerkatastrophe vorzulegen. Ich kann in dieser Debatte nur sagen: Die Selbstwahrnehmung der Koalition und die Realität klaffen hier schon ziemlich weit auseinander. ({4}) Deutschland muss ein strategisches Interesse daran behalten, ein humanitärer Riese zu bleiben. Diese Bundesregierung wollte uns auf den Weg zu einem humanitären Zwerg schicken. ({5}) Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir Gott sei Dank verhindert. Auch im Bereich der Menschenrechte ist diese Regierung leider auf dem Weg, ein Zwerg zu werden. ({6}) Große Worte von Frau Baerbock zu Menschenrechten und Freiheit in China, Kritik am Ausverkauf deutscher Infrastruktur, und dann einknicken und nur eine kleine Protokollnotiz beim Einstieg Chinas am Hamburger Hafen hinterlassen, ({7}) das ist kein Rückgrat gegenüber dem Kanzleramt. Gleiches gilt für die zutiefst korrupte FIFA-Fußball-WM in Katar.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Statt für die Menschenrechte dort einzutreten, ist von Vizekanzler Habeck und seiner Verbeugung vor dem Emir, der Innenministerin und ihrer unverantwortlichen Wiedergabe der Propagandalinie Katars bis zur indifferenten Haltung des Bundeskanzlers verdammt viel Opportunismus zu sehen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege.

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Angesichts der Lage und einer Blockade selbst von simplen Armbinden durch die FIFA-Katar-Connection ({0}) ist es ein Zeichen von Rückgratlosigkeit, dass Frau Faeser sich heute nicht hier der Debatte stellt, sondern nach Katar reist. Wir können nur hoffen, dass diese Verzwergung der deutschen Haltung, die unseren Interessen schadet, bald aufhört. Das jedenfalls fordern wir mit Nachdruck. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Max Lucks, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Max Lucks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Lieber Michael Brand, nach 16 Jahren werden endlich Menschenrechte in das Zentrum deutscher Außenpolitik gestellt. Nach 16 Jahren bildet sich Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe so stark in einem Haushaltsplan ab wie noch nie. ({0}) – Sie können da ruhig reinrufen. Ich bin überzeugt: Wenn Sie nur halb so engagiert Ihre EVP-Freunde in Europa anrufen würden, ({1}) wie Sie hier reinrufen, wie Sie hier pöbeln, dann könnten Sie wirklich etwas für Menschenrechte erreichen. Ich nenne in diesem Zusammenhang Ihre EVP-Freunde, die in Serbien die Europride verboten haben, oder Ihre ehemaligen EVP-Freunde aus Ungarn – Sie haben sich ja auch letzte Sitzungswoche beim Rechtsstaatsmechanismus enthalten –, die sich leidenschaftlich gerne mit dem Mullah-Regime im Iran treffen. ({2}) Stattdessen pöbeln Sie hier gegen die Außenministerin, die eine Sondersitzung des UN-Menschenrechtsrates gegen die Mullahs im Iran durchgesetzt hat. Sparen Sie sich Ihre Farce, solange Ihre Europapartei EVP ein Hindernis für menschenrechtsgeleitete Außenpolitik ist. ({3}) Die gute Nachricht ist aber: Ihre Freunde von der EVP werden noch viel Spaß mit dem Europarat als oberstem Hüter der Menschenrechte haben. Der hat zum Beispiel gegen die von Ihrer Schwesterpartei getragene Regierung in Serbien durchgesetzt, dass dort die Europride trotz Verbot stattfinden konnte. Deutschland wird den Europarat substanziell stärken – Kompensation des Ausfalls russischer Mitgliedsbeiträge und 2 Millionen Euro obendrauf für den Aktionsplan Ukraine. 2,7 Milliarden Euro für die humanitäre Hilfe, ein Anwuchs des Menschenrechtsetats um 13,3 Millionen Euro ({4}) und viele kleine wichtige Projekte, von denen ich eines herausstellen möchte: Dieser Haushalt 2023, meine Damen und Herren, ist auch für diejenigen da, die 2014 den grauenvollen, mörderischen Attacken des „Islamischen Staates“ ausgesetzt waren.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Max Lucks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Deshalb stärken wir jetzt auch das Institut für Psychotherapie und Psychotraumatologie an der Universität Dohuk unter Leitung des großartigen Jan Ilhan Kizilhan. Das ist Menschenrechtsarbeit, die in ihrer Substanz unbezahlbar ist.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, bitte.

Max Lucks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Nächste Rednerin ist die Kollegin Derya Türk-Nachbaur, SPD-Fraktion. ({0})

Derya Türk-Nachbaur (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005241, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen und andere! Hinter der nüchternen Bezeichnung Einzelplan 05, hinter der Auflistung von ganz vielen Zahlen steckt der Maßstab, mit und an dem wir uns selber im Hinblick auf unsere Verlässlichkeit unter anderem in der humanitären Hilfe auf der internationalen Bühne messen. Und was soll ich sagen? Es ist gut, zu wissen: Deutschland ist und bleibt verlässlich. ({0}) Danke dafür unter anderem an das AA und an das BMZ! Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihnen ist wirklich was Wichtiges gelungen: Sie haben einen Teil der wichtigen Antworten für die Bekämpfung der zahlreichen Krisen gefunden. Und ich vernehme mit Irritation, dass es auch hier Stimmen gibt, die unseren Einsatz für humanitäre Hilfe und unser Engagement für die Stabilität in der Welt kleinreden wollen. Nein, es ist nicht kleinzureden. Hier ist wirklich was Großes gelungen. Nochmals danke dafür! ({1}) Hier ist unsere Solidarität gefragt. Wenn die Ukraine völkerrechtswidrig angegriffen wird, dann stehen wir ihr natürlich auch mit humanitärer Hilfe zur Seite und helfen dabei, die unmittelbaren Auswirkungen des Angriffskriegs zu lindern. Wenn die Russische Föderation in der Ukraine Kriegsverbrechen begeht und Menschenrechte mit Füßen tritt, dann unterstützen wir selbstverständlich die Menschenrechtsorganisationen, die diese Verbrechen dokumentieren und dabei helfen, dass diese Verbrechen bald hoffentlich geahndet werden. Als überzeugte Europäerin und Mitglied des Europarats freue ich mich natürlich besonders, dass diese wichtige Institution – der Kollege Lucks sagte es –, die über unsere fundamentalen Werte wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie wacht, nach dem Ausschluss Russlands zusätzlich gestützt wird. Wenn der menschengemachte Klimawandel dazu führt, dass ganze Regionen im Globalen Süden von Dürre heimgesucht werden, wenn Äcker nicht mehr zu bestellen sind, wenn ganze Landstriche nicht mehr bewohnbar sind, dann stehen wir selbstverständlich diesen Ländern als zweitgrößter Geber zur Seite. Bei den Mitteln für Frieden und Stabilität ist im Vergleich zum Regierungsentwurf ein Aufwuchs von rund 1 Milliarde Euro zu verzeichnen. 4,4 Milliarden Euro für Frieden, Stabilität und Wahrung der Menschenrechte – das ist ein klares Signal, das ist ein ganz klares Bekenntnis. ({2}) Das Geld, das jetzt in Krisenprävention und Frieden investiert wird, ist am Ende gespartes Geld. Während ich jetzt von dem Einsatz für Menschenrechte rede, spielt gleichzeitig unsere Nationalmannschaft ihr erstes Spiel in Katar, bei einer Großveranstaltung, bei deren Vergabe sich die FIFA mit allem anderen als mit Ruhm bekleckert hat. Diese FIFA hat mit der Vergabe an Katar billigend in Kauf genommen, dass Menschenrechte zum Verkaufsobjekt im Schlussverkauf degradiert worden sind. Das werden und dürfen wir nicht hinnehmen. ({3}) Sport ist politisch. Wer etwas anderes behauptet, handelt fahrlässig. Etwas, das auf Regeln und gegenseitigem Respekt gründet, ist selbstverständlich politisch. Der Sport bringt Menschen und Völker zusammen. Ohne die Aufmerksamkeit und Unterstützung aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik kann der Fußball nicht leben. Sport findet nicht in einem Vakuum statt. Der Wettbewerb um Tore, Titel, Rekorde kann nicht frei von Politik geschehen. Die FIFA und die anderen großen Verbände haben dafür gesorgt, dass der Zauber der Fußball-WM und die großartigen Leistungen unserer Spieler gerade vollkommen ins Abseits gepfiffen werden. Lassen Sie uns das bitte anders machen. Lassen Sie uns mit unserem Einsatz für Menschenrechte verkrustete Strukturen aufbrechen und neue Maßstäbe setzen. Unsere Maßstäbe für die Euro 2024 sind klar definiert. Fußballgroßereignisse machen dann erst wieder Spaß, wenn Respekt, Fairness, Transparenz und Nachhaltigkeit die Sportler/-innen bei ihrem Sprint zum Tor flankieren. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Derya Türk-Nachbaur (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005241, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wer am Ende die WM gewinnen wird, das ist noch nicht klar.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin.

Derya Türk-Nachbaur (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005241, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Was allerdings jetzt schon klar ist: Die FIFA hat die WM jetzt schon verloren. Danke. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Ich bin darauf hingewiesen worden, Frau Kollegin Türk-Nachbaur, dass Sie auf Ihrem T-Shirt ein Emblem haben. ({0}) Ich darf darauf hinweisen, dass es kein politisches Emblem ist, auch wenn es so verstanden werden kann, sondern es ist das offizielle Emblem der Fußballnationalmannschaft, die in Katar gerade spielt. Ich finde, Frau Türk-Nachbaur, Sie haben das Herz am rechten Fleck. ({1}) Nächster Redner ist der Kollege Michael Georg Link, FDP-Fraktion. ({2})

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke, Herr Präsident. Dem kann ich mich nur voll und ganz anschließen, liebe Kollegin. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war eigentlich immer guter Brauch, dass wir in der Haushaltsdebatte zum Einzelplan 05 auch eine Europarunde drehen und dabei die aktuellen Probleme ansprechen. ({1}) Nach mir spricht Christian Petry. Lieber Christian, ich wollte gerade sagen: Wir beginnen jetzt diese Runde; ({2}) aber es ist auch dringend, dass wir das tun. In der letzten Sitzungswoche fand die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung statt. Es ist in der Tat im deutsch-französischen Verhältnis, das ja für die EU unglaublich wichtig ist, vieles zu diskutieren. ({3}) Deshalb, Frau Außenministerin, bin ich Ihnen außerordentlich dankbar, dass Sie sich bei der Versammlung sehr viel Zeit genommen haben, das zu diskutieren, sich auch kritischen Fragen zu stellen. Davon lebt dieses Verhältnis. Ihr Besuch letzte Woche in Frankreich, die Zeit, die Energie und überhaupt das Herzblut, das Sie in das deutsch-französische Verhältnis investieren, ist unglaublich wichtig. ({4}) Auch wirklich wichtig ist – wir haben es gehört – die klare Ankündigung des Kanzlers Richtung FCAS, Richtung deutsch-französische Rüstungskooperation. Für Europa ist das absolut entscheidend. Wir brauchen diese Rüstungskooperation dringend, wenn die EU tatsächlich die Möglichkeiten ausschöpfen will, die wir haben und was gerade unsere Partner im transatlantischen Bereich dringend von uns erwarten. Gut, dass wir da jetzt endlich vorankommen. Und wir brauchen vor allem eine europäische Grundierung unserer nationalen Sicherheitsstrategie und unserer anstehenden China-Strategie. Sie europäisch abstimmen und transatlantisch erden, das sollten wir mit beiden Strategien tun. Das ist außerordentlich wichtig. Es sind Regierungsstrategien, ja. Aber wir verfolgen sie im Parlament sehr genau. Wir ermuntern die Bundesregierung, sie – ich sage es noch einmal – europäisch abzustimmen und transatlantisch zu erden. ({5}) Wir dürfen darüber hinaus gerade im Haushaltsbereich – speziell wenn wir an den EU-Haushalt denken – bei den großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, nicht wieder auf die alten Reflexe zurückgreifen und dann, wenn mehr Geld gebraucht wird, den vermeintlich einfachsten Weg über gesamtschuldnerische Haftung wählen. Das wäre grundfalsch. ({6}) Wir tun Europa mit gesamtschuldnerischen Modellen keinen Gefallen. Deshalb unterstützen wir den Bundesfinanzminister bei seinem Herangehen, für neue Eigenmittel, wie sie in der EU diskutiert werden, keine gesamtschuldnerische Haftung festzulegen, sondern Wege zu suchen, die tatsächlich die EU finanziell besser ausstatten würden. Dazu gehört, meine Damen und Herren, vor allem, dass wir jetzt beim Thema Ungarn sehr genau hinschauen. Die Entscheidung steht unmittelbar bevor, ob die 7,5 Milliarden Euro ausgezahlt werden. Wir ermuntern Sie als Bundesregierung, aber vor allem auch den Rat und die Kommission, den Bundestagsbeschluss ernst zu nehmen, der besagt: Wir wollen, dass genau geprüft wird und Orban das Geld nicht erhält, ohne tatsächlich Reformen durchzuführen. Vielen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Link. – Bevor der Kollege Dr. Karamba Diaby von der SPD das Wort erhält, teile ich mit, dass die deutsche Nationalmannschaft durch Elfmeter 1 : 0 führt. ({0})

Dr. Karamba Diaby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004259, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bereits als Kind träumte Alassan Assani Seidou davon, Doktor zu werden. Aufgewachsen ist er in Benin, einem der ärmsten Länder der Welt. Er sagte einmal: Meine Eltern hatten nicht die finanziellen Mittel, um eine Ausbildung zu unterstützen. – Heute ist Dr. Seidou mit Auszeichnung promovierter Agrarwissenschaftler. Wie hat er das geschafft? Ein DAAD-Stipendium unterstützte ihn bei seiner Forschung zu nachhaltiger Landwirtschaft und Tierhaltung. Das ist für Benin besonders bedeutend; denn das Land kämpft mit schweren Folgen des Klimawandels. Fakt ist: Die internationale Bildungspolitik ist fester Bestandteil deutscher Außenpolitik. Das ist angesichts multipler Krisen wichtiger denn je. Investieren wir in Bildung, investieren wir in Frieden, Freiheit, Gleichberechtigung und Wohlstand. ({0}) Auch das bedeutet Zeitenwende für mich. Ob aus Benin, Senegal oder Halle an der Saale: Individuelle Potenziale müssen wir überall fördern und den Aufstieg durch Bildung ermöglichen. ({1}) Eine Rolle spielen dabei unsere Mittlerorganisationen wie der DAAD, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung und das Goethe-Institut. Ihr wertvolles Engagement im Ausland fördert politische und soziale Teilhabe. Aber das geht nur mit einer langfristig planbaren stabilen Finanzierung. Genau dafür haben wir gekämpft – mit Erfolg; denn die ursprünglich geplanten Kürzungen konnten wir abwenden. Der Etat des Auswärtigen Amts liegt im Jahr 2023 mit etwa 7,4 Milliarden Euro höher als je zuvor. Internationale Stipendienprogramme fördern wir mit zusätzlichen 38 Millionen Euro. Damit stärken wir internationale Studierende und Forschende mit insgesamt 310 Millionen Euro. Sie sehen: Wenn es um den Haushalt geht, jonglieren wir nicht mit Zahlen. Wir nehmen die Zukunft der Menschen in unsere Hand. ({2}) Der Schwerpunkt unseres Etats liegt auf der humanitären Hilfe. Deutschland ist weltweit der zweitgrößte Geldgeber und kommt damit seiner internationalen Verantwortung nach. Das sind die Mittel, die verfolgten Menschen Schutz gewähren. Das sind die Mittel, die die Wissenschaft durch gegenseitiges Lernen voranbringen. Das sind die Mittel, die Lebensbedingungen verbessern und globale Chancengerechtigkeit herstellen, damit Menschen wie Dr. Seidou ihre Träume verwirklichen können. Mit seinen Ergebnissen möchte Dr. Seidou übrigens später politische Entscheidungsträger in seinem Land beraten, um die Lebensverhältnisse vor Ort zu verbessern. Dazu trägt der vorliegende Haushalt wesentlich bei. Ich finde, die Ampel hat geliefert, und das ist gut so. Danke schön. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Thomas Erndl, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, Sie haben sich bisher für eine Fortsetzung des Einsatzes in Mali engagiert, und seit gestern ist das Ende der Beteiligung an MINUSMA beschlossene Sache. Da würde mich natürlich schon interessieren, warum gerade jetzt diese Entscheidung fiel und warum der Abzug erst Mitte 2024 kommt. ({0}) Aktuell kann dieser Einsatz nur eingeschränkt durchgeführt werden. Ist die Bundesregierung nun überzeugt, dass die Rahmenbedingungen kurzfristig so wiederhergestellt werden können, dass die Mission – zum Beispiel Drohnenaufklärung – wie vorgesehen durchgeführt werden kann? Wenn das so ist, dann würde mich die genaue Begründung für den Ausstieg interessieren, vor allem, nachdem Sie, Frau Ministerin, vorher hier an dieser Stelle sagten, dass UN-Missionen ein zentraler Bestandteil unserer Außenpolitik, unserer Friedenspolitik bleiben. ({1}) Wenn die Rahmenbedingungen aber nicht wiederhergestellt werden können, dann stellt sich natürlich die Frage: Was macht die Bundeswehr eigentlich in der verbleibenden Zeit bis 2024 noch dort? Das liest sich leider alles mehr wie ein fauler Kompromiss und eine „Basta!“-Politik des Kanzlers als wie die dringend benötigte Strategie für die Sahelzone. ({2}) Und es steigert nicht unsere Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in Deutschland, das Vertrauen in unser Land, das an vielen Stellen leidet, in Osteuropa ganz besonders. Wir nehmen alle wahr, was in der Ukraine jeden Tag passiert. Die Energie- und Wärmeversorgung wurde durch die russischen Kriegsverbrecher weitgehend zerstört, mit katastrophalen Folgen für die Bevölkerung. Es finden an den Frontlinien brutalste Schlachten mit extrem hohen Opferzahlen statt. Und wir machen hier in unserer Gemächlichkeit weiter. Es gab die Chance, das ukrainische Momentum zu nutzen und mit Waffensystemen wie dem Leopard, mit denen Schritt für Schritt eine technische Überlegenheit erreicht werden kann, zu unterstützen. Diese Chance wurde leider schon vor Monaten verpasst. Und der Kanzler stellt sich heute Morgen hierhin und sagt: Wir liefern das, was gebraucht wird. – Meine Damen und Herren, das ist wirklich an den Haaren herbeigezogen. ({3}) Es ist schwierig, und man wird wirklich zornig, wenn man sich das immer und immer wieder anhören muss, während man jeden Tag den Überlebenskampf der Ukrainer verfolgt. Es ist unfassbar, dass wir Haubitzen liefern und sich niemand in dieser Regierung über die Ersatzteilversorgung Gedanken gemacht hat. Es ist unfassbar, dass bezüglich der 60 nicht einsatzbereiten Haubitzen niemand einen Finger rührt; mit denen könnten wir vielleicht noch weiter unterstützen. Und mit Blick auf die Kampfpanzer: Es ist mittlerweile jede Ausrede, die sich das Kanzleramt ausgedacht hat, widerlegt, auch durch Kolleginnen und Kollegen aus den Ampelfraktionen. Handeln Sie doch endlich, und starten Sie eine europäische Rüstungsinitiative, die eine kontinuierliche Belieferung der Ukraine mit Waffen und Munition garantiert! Fangen Sie mit den Dingen an, die unkompliziert auf den Weg gebracht werden können; Marder und Leopard haben wir vielfach erwähnt. ({4}) Handeln Sie nach den Zielen, die Sie als Regierung selber formuliert haben. Russland darf diesen brutalen Angriffskrieg nicht gewinnen! Wenn wir dementsprechend handeln, dann würden auch unsere Glaubwürdigkeit und Vertrauen in unser Land zurückkehren. Wort und Tat fallen oft auseinander, zum Beispiel wenn wir bei afrikanischen Staaten dafür werben, sich nicht so abhängig von China zu machen, und gleichzeitig China bei uns in wichtige Infrastruktur einsteigt. Unsere Glaubwürdigkeit in der Klimaaußenpolitik leidet auch, wenn wir anderen vorschreiben, wie sie CO2 einsparen sollen, aber gleichzeitig bei uns der Ausstoß massiv steigt, weil wir aus ideologischer Verblendung Kohlekraftwerke hochfahren, statt vorhandene Kernkraftwerke für eine kurze Übergangszeit weiterlaufen zu lassen. Und – Stichwort „Wort und Tat“ – die Menschen im Iran warten auf kraftvolle Zeichen der Unterstützung. Da muss mehr kommen, Frau Ministerin, als nur Sanktionen zu überprüfen. Das Islamische Zentrum Hamburg ist immer noch nicht geschlossen, Revolutionsgarden sind immer noch nicht auf der Sanktionsliste. Es hilft nicht, wenn man nur beschreibt, was nicht geht. Es sind Taten gefordert. ({5}) Meine Damen und Herren, wir leben in fordernden Zeiten. Freiheit und Demokratie sind weltweit unter Druck. Dem müssen wir entgegentreten, auch durch intensive zivilgesellschaftliche Vernetzung. Das haben Sie auch im Koalitionsvertrag niedergelegt, wo es heißt: Nie war internationale Kooperation wichtiger. Daher räumen wir ihr einen hohen Stellenwert ein. Dieser Stellenwert wurde im Haushaltsentwurf nicht deutlich. Der Entwurf zum Etat der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik war ein Desaster. Ich bin froh, dass unsere Forderungen aufgenommen wurden. Aber es ist wahrlich kein Grund für Jubel, wenn man in der Bereinigungssitzung das Schlimmste verhindert. ({6}) Die steigenden Energiepreise, Immobilienpreise und Personalkosten bedeuten am Schluss, dass wir unsere Aktivitäten reduzieren müssen. Wenn die Mittel konstant bleiben, können wir nicht das leisten, was wir leisten wollen. Unsere Mittler brauchen Planungssicherheit und nicht jedes Jahr eine Zitterpartie. Meine Damen und Herren, diese Regierung braucht eine Zeitenwende hin zu einer konsistenten Politik.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir brauchen keine unterschiedlichen Signale, die diese Regierung in verschiedene Richtungen aussendet. Wir brauchen konsistente Politik, und dann werden wir auch wieder als verlässlicher Partner angesehen. Nicht nur schöne Worte sind gefragt, sondern auch ein beherztes Handeln. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Letzter Redner zu diesem Einzelplan ist der Kollege Christian Petry, SPD-Fraktion. ({0})

Christian Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004605, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben es heute schon mehrfach diskutiert und gesagt: In Europa herrscht Krieg. Deshalb brauchen wir eine europäische Politik der Geschlossenheit. Michael Link, ich bin wirklich froh, dass du in dieser Debatte auch etwas zu Europa gesagt hast; denn das ist sehr bedeutend. Wir brauchen die Geschlossenheit. Die Geschlossenheit, die wir in dieser Krise gezeigt haben, muss fortgeführt werden. Diese Bundesregierung steht für diese Geschlossenheit. Diese Geschlossenheit wurde gezeigt in militärischem Handeln, in finanzieller Unterstützung, in gesellschaftlicher Unterstützung, in humanitärer Unterstützung, in der Politik allgemein. Das ist eine starke Leistung, die diese Bundesregierung mit unseren Partnern in Europa gestaltet hat. ({0}) Im Haushalt wurde diesbezüglich – das ist gesagt worden – deutlich nachgelegt. Bei der Stärkung der internationalen Organisationen – die OSZE muss genannt werden, aber auch der Europarat – haben wir die Lücke geschlossen. Das war eine große Leistung. Danke an dieses Parlament! Zum Europarat gehört auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, vor dem alle Bürgerinnen und Bürger Europas ihre Rechte einklagen können, selbst wenn sie es in ihrem Land nicht können. Hier waren wir Vorreiter und haben die Lücke geschlossen. Es ist im Haushalt ausfinanziert. Herzlichen Dank dafür! ({1}) In diesem Zusammenhang würde ich mich sehr freuen, wenn wir dort in Kürze den Beschluss fassen können, dass das Kosovo aufgenommen wird. ({2}) Das wäre wirklich eine positive Maßnahme. Das unterstützen wir. Deutschland ist im Fokus der Europapolitik. Was wäre denn vor zwei Jahren gewesen, wenn wir in Brüssel aufgetaucht wären und gesagt hätten: „Deutschland muss mehr militärische Verantwortung übernehmen“? Was wäre da los gewesen? Die meisten hätten gesagt: Womit kommt der denn jetzt? – Jetzt ist es so, und das tun wir auch. Das tun wir gemeinsam mit unseren Partnern in der deutsch-französischen Zusammenarbeit und in der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung. Zugegebenermaßen sitzen da ein paar Abgeordnete, die überhaupt keine Lust auf die deutsch-französische Zusammenarbeit haben. Ich weiß auch gar nicht, was die da wollen, außer Störfeuer zu sein. ({3}) Das ist schade. Ich danke aber allen, die mitarbeiten, zum Beispiel Andreas Jung, der an der Gründung dieser Versammlung stark mitgewirkt hat. Das ist ein Werk, das wir weiterentwickeln müssen und wo wir unsere Partnerschaft in Europa positiv wirken lassen. Ich bin froh, dass es viele Kolleginnen und Kollegen gibt, die hier sehr engagiert mitarbeiten. ({4}) Denn es gilt, dass wir in Europa aufpassen müssen, und zwar in Bezug auf Tendenzen, die sich entwickeln. Hier schaue ich unsere konservativen Freunde an. Wir Demokraten müssen das Bollwerk gegen rechts sein. Wenn in Polen und Ungarn die Justiz und die Medien unter Druck stehen – es ist mehrfach genannt worden –, von der rechten Seite des Hauses aber trotzdem zu diesen Ländern intensive Kontakte gepflegt und Unterstützungen geleistet werden, dann muss man hinterfragen: Tut das dem demokratischen Gedanken wirklich gut? Ich fordere Sie auf: Bitte überlegen Sie sich Ihre Strategie! Wir müssen diese rechtsradikalen Tendenzen in Europa verhindern. Italien lässt grüßen! ({5}) Was hat Herr Weber denn mit Herrn Berlusconi gemacht? Was ist passiert? Wen haben wir da? Auch in Schweden ist die konservative Partei dabei, sich mit ganz rechts zu verbünden. Ich fordere Sie auf, sich in Europa abzugrenzen. Es ist eine Aufgabe der Demokraten, das Bollwerk gegen rechts in Europa zu bilden. ({6}) – Herr Nachtwächter, ({7}) ich brauche von Ihnen keine Belehrung über Demokratie. ({8}) Europa braucht eine Stärkung der Perspektive für die Menschen, die aus dem Balkan oder aus den Ländern Ukraine, Moldau und Georgien in die Europäische Union kommen wollen. Ich bin fast am Ende. – Herr Link, bezüglich der Finanzierung der Eigenmittel haben wir unterschiedliche Auffassungen. Eine solidarische Finanzierung kann ein Instrument sein. Darüber werden wir reden. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.

Christian Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004605, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gestalten wir den Weg nach Europa nachhaltig, sozialverträglich und im Sinne der Transformation ins digitale Zeitalter. Arbeiten wir gemeinsam gegen die Brandstifter von rechts, damit wir eine gute Zukunft in Europa haben. ({0}) Das wird ein schwieriger Weg, aber wir werden ihn gestalten. Vielen Dank. Glück auf! ({1})

Ingo Gädechens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004036, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“: Nach dem Start der Ampel hatte ich für kurze Zeit die Hoffnung, dass dieser Zauber zu spürbaren Verbesserungen bei der Bundeswehr führen könnte. Gerade nach der Rede des Bundeskanzlers Ende Februar waren meine Fraktion und ich positiv überrascht: Endlich schien die SPD erkannt zu haben, dass die jahrelange Blockade einer vernünftigen Ausstattung der Bundeswehr in den Jahren der Großen Koalition falsch war. Endlich schien die SPD erkannt zu haben, wie desaströs die Finanzplanung des damaligen Finanzministers Olaf Scholz für die Bundeswehr war und heute leider immer noch ist. Der Verteidigungshaushalt, den wir heute beraten, zeigt, dass dieser Zauber schnell verflogen ist. ({0}) Dabei hatten nicht wenige gerade in den Reihen der Genossen die Hoffnung, dass die Frau Ministerin die „Mutter der Kompanie“ hätte werden können. Mittlerweile erkennen die Soldatinnen und Soldaten, dass sie die böse Stiefmutter der Bundeswehr ist: ({1}) ohne Verständnis für die wirklichen Notwendigkeiten, aber ausgestattet mit einer diffusen Auffassung von einer effektiven Sicherheitspolitik, die gerade in dieser Zeit von elementarer Bedeutung wäre. ({2}) Reden und Handeln dieser Bundesregierung fallen eklatant auseinander. Kurzum: Dieser Haushalt ist für die Bundeswehr ein Desaster. Schauen wir in das Zahlenwerk, um einige Beispiele zu nennen. In der aktuell angespannten Situation ist es der ernsthafte Vorschlag der Ampel, den Etat des Einzelplans um fast 400 Millionen Euro im Vergleich zu diesem Jahr abzusenken. Das versuchen sicherlich die Redner der Ampelkoalition gleich noch als Erfolg zu verkaufen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist einfach absurd. In den Haushaltsberatungen war für viele Bereiche noch finanzieller Spielraum. Für Arbeit und Soziales gab es 2,9 Milliarden Euro mehr, für Gesundheit 2,4 Milliarden Euro, für Bauen und Wohnen 2,3 Milliarden Euro. Nur der Verteidigungshaushalt ging leer aus. Okay, nicht ganz: Sage und schreibe 13 Millionen Euro gibt es mehr. Denken Sie jetzt nicht, meine Damen und Herren, dass damit ein sinnvolles Projekt zusätzlich auf den Weg gebracht werden soll. Nein, es ist nur eine Wechselkursanpassung, weil der Dollar an Stärke gewonnen hat. Fazit: Alle bekommen mehr Geld, nur die Bundeswehr geht trotz gestiegener Betriebskosten, trotz galoppierender Inflation leer aus. Und das ist das unfassbare Ampelergebnis dieser Bereinigungssitzung von 18,5 Stunden zu diesem Haushalt. ({3}) Als Union haben wir einen soliden Gegenvorschlag gemacht. Unter Einhaltung der Schuldenbremse haben wir beantragt, das zu machen, was Sie, Frau Ministerin, angekündigt haben, nämlich endlich ausreichend Geld für unsere Soldatinnen und Soldaten zur Verfügung zu stellen, um das 2‑Prozent-Ziel der NATO schon im nächsten Jahr zu erreichen. Das wäre auch dringend nötig. Mit Ihrem Haushalt fehlt es an allen Ecken und Enden am Geld. Nur mit den verrücktesten Haushaltstricks kriegt das Ministerium noch die finanziellen Enden zusammen. Aber jeder weiß, dass wir genau jetzt größere Rüstungsvorhaben wie weitere Korvetten, Fregatten, Schützenpanzer anstoßen müssten, weil dieses Gerät sowieso erst in einigen Jahren zur Verfügung stehen könnte. Mit unseren Vorschlägen wäre das möglich gewesen. Das hat die Ampel aber wider besseres Wissen abgelehnt. Meine Damen und Herren, wir warten immer noch auf einen belastbaren Wirtschaftsplan für das Sondervermögen. Dabei schmilzt es wie Butter in der Sonne. Darüber hinaus ersetzt es leider keinen soliden Finanzplan im originären Verteidigungsetat. Aber mit dem versprochenen Aufwuchs konnten Sie, Frau Ministerin, sich weder beim Bundeskanzler, weder beim Bundesfinanzminister und schon gar nicht im Kabinett durchsetzen. Natürlich verstehe ich, dass man bei diesen handfesten und ehrlichen Argumenten einem Oppositionspolitiker ungern zuhört. Aber wenn Sie schon nicht auf mich hören wollen, Frau Lambrecht, hören Sie doch bitte auf die Kolleginnen und Kollegen aus der eigenen Ampelkoalition. Selbst die Wehrbeauftragte, die ich vorhin nicht begrüßt habe, äußert Kritik. Die Kollegin Nanni von den Grünen kommt zu dem Schluss: „Schnelle Entscheidung zur Beschaffung hätte es schon vor dem Sommer gebraucht ... und zwar durch die Ministerin“, so Frau Nanni. Kollege Karsten Klein von der FDP, der auch gleich noch reden wird, sagt: „Ich verstehe nicht, warum wir ... so lange brauchen, um Bestellungen auf den Weg zu bringen“. Auch unser geschätzter Hauptberichterstatter Andreas Schwarz verliert die Geduld ({4}) und warnt: Das Geld aus dem Sondervermögen muss schneller abfließen, sonst erreichen wir das 2‑Prozent-Ziel nicht. – Hören Sie doch, Frau Ministerin, zumindest auf die eigenen Leute, die Ihrer Arbeit ein derart schlechtes Zeugnis ausstellen. Dass im Haushaltsausschuss das erste Mal seit Menschengedenken die Regierungsfraktionen Anträge der eigenen Bundesregierung ablehnen, sollte Ihnen auch ein letzter Warnschuss sein. Ich hoffe, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir für diesen Warnschuss überhaupt noch die Munition haben. Zum Abschluss noch ein Wort zu Ihrer neuen Kommunikationsstrategie, Frau Ministerin. Sie könnten sich ehrlich machen und sagen: Ich kann mich im Kabinett nicht durchsetzen. Deswegen müssen sicher geglaubte Rüstungsprojekte gestrichen werden. – Unredlich wird es allerdings dann, wenn Sie behaupten, alle Streichungen basierten auf „militärischem Rat“. – Wenn sich gegen eine solche Äußerung Inspekteure unserer Streitkräfte wehren, weil sie gegenüber den Soldatinnen und Soldaten glaubhaft bleiben wollen, und sagen: „Das basiert nicht auf militärischem Rat, sondern das ist die Entscheidung der Ministerin“, dann kriegen diese – zack – einen Maulkorb umgehängt, damit die Wahrheit nicht das Licht der Welt erblickt. Aber es hat im BMVg noch nie funktioniert, dass die Wahrheit nicht das Licht der Welt erblickt hat, und das wird auch in Zukunft nicht funktionieren. Meine Damen und Herren, ich erwarte von einer Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt, dass sie für den Einzelplan kämpft, dass sie für eine vernünftige Ausstattung der Bundeswehr kämpft und dass sie für unsere Soldatinnen und Soldaten einsteht.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ingo Gädechens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004036, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Und das erkenne ich bei dieser Ministerin nicht. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Gädechens. – Ich muss bekennen: Bedauerlicherweise hat sich die fußballerische Kompetenz der FDP durchgesetzt: Das Tor ist nicht anerkannt worden. Nächster Redner ist nun der Kollege Andreas Schwarz, SPD-Fraktion. ({0})

Andreas Schwarz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004407, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Ministerin! Liebe Wehrbeauftragte! Meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen! Ingo, du hast ganz schön schwarzgesehen, und das mit Blick auf die Partei, der du angehörst, im wahrsten Sinne des Wortes. „Verschwende nie eine Krise; sie gibt uns die Gelegenheit, große Dinge zu tun.“ Dieses Zitat von Rahm Emanuel, dem ehemaligen Bürgermeister von Chicago und heutigen Botschafter in Japan, drückt genau das aus, was wir mit diesem Haushalt wirklich getan haben: Große Dinge! ({0}) Dieser Verteidigungshaushalt steht für Fortschritt und für Aufbruch. Unserem Kanzler Olaf Scholz und der Verteidigungsministerin gebührt daher unser Dank für mutige Entscheidungen im Verteidigungsbereich. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erleben eine unsichere Zeit: die Zinsentwicklung ungewiss, die Inflation gerade hoch, Lieferketten brüchig, Beschaffungsprozesse schwierig und komplex. Das alles macht einem Verteidigungshaushalt am Ende des Tages zu schaffen. 50,1 Milliarden Euro im Einzelplan und 8,5 Milliarden Euro aus dem „Sondervermögen Bundeswehr“ – also insgesamt über 58 Milliarden Euro stellen wir 2023 für die Bundeswehr zur Verfügung. Das, lieber Ingo, ist ein Rekordwert; so eine Summe hat es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie gegeben. ({1}) Das ist viel Geld, das in richtige und wichtige Projekte investiert wird. Hierzu gehören dringend benötigte Ausrüstungsvorhaben wie der schwere Transporthubschrauber – eine Entscheidung, die der Bundestag jahrelang vor sich hergeschoben hat – oder die F-35, über die jetzt entschieden ist, dazu gehören aber auch weitere persönliche Schutzausrüstung für Soldatinnen und Soldaten, Nachtsichtgeräte und vieles mehr. In dem knappen Jahr ist viel passiert. Aber nicht nur in die Beschaffung neuer Waffensysteme wird investiert, Schwerpunkte sind auch Investitionen in Digitalisierung, in wehrtechnische Forschung, natürlich auch in die Materialerhaltung, in Personal und in den Ausbau der Infrastruktur. Meine Damen und Herren, neue Waffensysteme führen aber auch zu deutlich höheren Betriebskosten, auf die dieser Verteidigungshaushalt reagiert und auf die zukünftige Verteidigungshaushalte weiter reagieren müssen. Sicherheit, meine Damen und Herren, gibt es einfach nicht zum Nulltarif. Bereits für 2023 betrugen die Betriebsausgaben mit über 28,5 Milliarden Euro weit mehr als die Hälfte der Ausgaben im Einzelplan 14, und die Tendenz ist weiter steigend. Zudem muss der Verteidigungshaushalt auch die Kosten auffangen und berücksichtigen, die aufgrund der derzeitigen massiven Preiserhöhungen langfristig nur schwer kalkulierbar sind. Fakt ist: Große Dinge erfordern große Taten und richtiges Handeln und mutige Entscheidungen. Der Einzelplan und das Sondervermögen sind deshalb die richtige Antwort, um die großen Lücken der letzten Jahre bestmöglich zu schließen. ({2}) Aber machen wir uns nichts vor: Irgendwann ist auch der 100-Milliarden-Topf leer. Deshalb muss unser Blick weiterhin auf den Verteidigungshaushalt gerichtet bleiben, der ohne eine entsprechende Steigerung – das gehört zur Wahrheit dazu – in den nächsten Jahren nur schwer funktionieren wird. Wir sind uns alle einig: Wir brauchen und wollen eine leistungsfähige Bundeswehr, die die Ausrüstung, die sie braucht, um der Landes- und Bündnisverteidigung gerecht zu werden, zeitnah erhält. Wir waren, sind und bleiben ein zuverlässiger Bündnispartner in der Sicherheitsarchitektur der westlichen demokratischen Welt. Deutschland ist sich auch seiner neuen Verantwortung in dieser Welt bewusst. Dafür auch noch mal meinen Dank an alle Soldatinnen und Soldaten, die hierfür einstehen! ({3}) Die Koalition hat in der sogenannten Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses noch Veränderungen am Verteidigungshaushalt vornehmen können, die zu mehr Transparenz, Klarheit und Effizienz beigetragen haben. Wir haben eine Parlamentsarmee, und diese Aufgabe nehmen wir als Parlamentarier auch ernst. Erwähnen möchte ich, dass wir die Anfangsfinanzierung für die elektronische Gesundheitsakte auf den Weg gebracht haben; sie soll die bisher in Papierform vorliegende Gesundheitsakte der Soldatinnen und Soldaten endlich ersetzen. ({4}) Ferner haben wir den Munitionstitel nochmals um 1 Milliarde Euro erhöht. Und, ganz wichtig, meine Damen und Herren: Wir haben das sogenannte Kommandeursgeld noch mal erhöht, haben es 2023 verdoppelt. Damit sind vor Ort genügend finanzielle Mittel vorhanden, um kurzfristige Beschaffungen unbürokratisch vornehmen zu können. Als Letztes, meine Damen und Herren – das war uns ein besonderes Anliegen –: Wir fordern, dass bei den Beschaffungsvorhaben zum schweren Transporthubschrauber, zur F-35, zum Seefernaufklärer P-8 wesentliche Wertschöpfungsanteile bei Wartungs-, Instandsetzungs- und Inspektionsarbeiten in Deutschland verbleiben. Damit werden wir auch unserer industriepolitischen Verantwortung gerecht. Meine Damen und Herren lassen Sie mich zum Schluss noch einen kurzen Blick auf künftige Vorhaben werfen. Bei vielen Infrastruktur- und Baumaßnahmen muss der Fokus zukünftig auf mehr Nachhaltigkeit gesetzt werden. Das Thema „erneuerbare Energien“ muss auch bei der Bundeswehr – übrigens auch bei anderen Bundesliegenschaften – ganz oben gelistet werden. ({5}) Das gilt für das Aufstellen von Photovoltaikanlagen, für Energieerzeugungsanlagen, Wärmepumpen, bei Immobilien für entsprechende Speichereinheiten, aber auch für Fahrzeuge mit Elektro- und Wasserstoffantrieb und den Einsatz synthetischer Kraftstoffe, hergestellt aus grünem Strom. Dafür gibt es schon einige gute Beispiele, beispielsweise die Staufer-Kaserne in Pfullendorf, die mit Geothermie arbeitet. Meine Damen und Herren, Zusammenhalt in der Zeitenwende ist das Motto dieses Verteidigungshaushalts, und ich bin überzeugt: Wir haben für unsere Soldatinnen und Soldaten gute und notwendige Dinge getan. ({6}) Ich bedanke mich bei allen Beteiligten ganz herzlich für die konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit in den letzten Wochen und Monaten. Das war sicherlich viel Arbeit, manchmal auch anstrengend, hat viel Zeit gekostet, ist aber gute Zeit, die wir investiert haben, um unseren Soldatinnen und Soldaten am Ende ein gutes Ergebnis vorlegen zu können. In diesem Sinne herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Einen schönen guten Nachmittag, liebe Kolleginnen und Kollegen und liebe Besucherinnen und Besucher auf den Tribünen! In diesem Zusammenhang begrüße ich auch die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl. ({0}) Wir fahren in der Debatte des Einzelplans 14 fort. Der nächste Redner ist Dr. Michael Espendiller für die AfD-Fraktion. ({1})

Dr. Michael Espendiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004711, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und bei Youtube! 50,1 Milliarden Euro groß wird der reguläre Etat des Verteidigungsministeriums im Jahr 2023 sein. Weitere 8,5 Milliarden Euro kommen aus dem sogenannten Sondervermögen. Das ist schon eine stolze Summe. Deutschland nähert sich damit dem 2‑Prozent-Ziel der NATO ordentlich an. Die Union, die dieses Thema jahrzehntelang hat schleifen lassen, will das 2‑Prozent-Ziel jetzt plötzlich auf Biegen und Brechen peinlich genau einhalten. Ich kann ja verstehen, dass diese Forderung gut klingt – das kann man wunderbar vor sich hertragen –, aber ist das überhaupt klug und in der aktuellen Situation angemessen? ({0}) Seit dem Krieg in der Ukraine hat nicht nur die allgemeine Inflation zugenommen, sondern im besonderen Maße auch die Inflation bei Rüstungsgütern. Es gibt eine erheblich gestiegene Nachfrage, die zu steigenden Preisen geführt hat, und das bei beschränkten Produktionskapazitäten, die man nicht mal eben erweitern kann. Dazu kommen immer noch andauernde Lieferkettenprobleme und Rohstoffengpässe. Einfach gesagt: Wir bekommen für unser Geld weniger, und das ist schlecht; denn wir brauchen von allem viel. ({1}) Obendrein veranstaltet die internationale Rüstungsindustrie gerade einen großen Ausverkauf, will auch noch alte Ladenhüter loswerden. Das bedeutet aber nicht, dass diese Ware vom Grabbeltisch auch das Richtige für unsere Bundeswehr ist. In diesem Marktumfeld sklavisch an der jährlichen Veranschlagung von 2 Prozent des BIPs festzuhalten, würde zu Ineffizienzen und Verschwendung führen. Das wäre sogar kontraproduktiv, wenn man will, dass die Bundeswehr richtig ausgestattet wird. Abgesehen davon hat mir noch keiner von Ihnen überhaupt erklärt, wie Sie denn das Ganze finanzieren wollen. Zur Gegenfinanzierung schweigen Sie sich nämlich aus. Die einzige Fraktion, die darauf eine Antwort hat, das sind im Übrigen wieder einmal wir. Wir erzählen Ihnen hier seit einem dreiviertel Jahr, dass Sie den Investitionsbedarf im Einzelplan 14 durch Einsparungen in anderen Einzelplänen finanzieren müssen ({2}) und auch können, zum Beispiel durch Einsparungen in den Etats des Auswärtigen Amtes bzw. des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung; da geben Sie die Euros mit vollen Händen aus. Auch der Union kann es gar nicht schnell genug gehen, wenn Geld aus Deutschland rausgeschafft werden soll. Obendrein stellt die Union beim Verteidigungsetat auch noch Änderungsanträge, die nicht mal mehr populistisch sind – Ihre Forderungen waren ganz und gar realitätsfremd und jenseits aller haushalterischer Vernunft. ({3}) – Mit Verlaub, Herr Kollege, nach der Lektüre Ihrer Anträge hatte ich kurzzeitig den Eindruck, dass die Union von kriegslüsternen Warlords unterwandert wurde, die bereits morgen in die Schlacht ziehen wollen. Neben der Union wollen wir noch die Ampel erwähnen. Dass diese Regierung in der jetzigen Situation weiterhin auf Eskalation statt auf Verhandlungen setzt, ist und bleibt sicherheitspolitisch weiter alles andere als klug; das haben wir Ihnen hier letztes Mal schon erklärt. In den Haushaltsberatungen ist aber auch besonders klar zutage getreten, dass Ihre Haltung nicht nur unvernünftig, sondern auch verdammt teuer ist. Das schlägt sich in allen Einzelplänen nieder und lässt sich mit einem Zitat des englischen Dichters Alexander Pope zusammenfassen: Der teuerste Frieden ist billiger als der billigste Krieg. – Schon allein aus diesen Gründen sollten Sie endlich Verhandlungen aufnehmen! ({4}) Aber uns treibt noch eine andere Sorge um. Das Vorhaben, die Bundeswehr endlich vernünftig auszustatten, ist sehr richtig und wird von uns auch unterstützt. Natürlich bedarf es noch immer einer grundlegenden Reform der Truppe, und da werden wir weiterhin Forderungen aufstellen. Auch wenn uns in der Zielvorstellung noch so manches trennen mag, muss man sagen, dass diese Regierung auf einem gar nicht so schlechten Weg ist. Oder soll ich besser sagen „war“? Denn anstatt sich zu einhundert Prozent auf das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr zu konzentrieren, mischen sich in den letzten Wochen auch ganz andere Töne in die Debatte ein: Von energetischer Sanierung ist die Rede, von Nachhaltigkeit, es solle geprüft werden – ich zitiere –, ob im Flugbetrieb nichtfossile Energiequellen eingesetzt werden können; denn das Ziel sollte die Verwendung von bis zu 100 Prozent nichtfossilen Flugkraftstoffen sein. – Bitte, was? Ökokampfjets, ist das jetzt Ihr Ernst? ({5}) Ich sage es mal ganz direkt: Angenommen, der Russe stände tatsächlich vor Berlin, dann wird es mit Sicherheit unsere letzte Sorge sein, ob auf den Dächern der deutschen Kasernen auch ordentliche Solaranlagen angebracht sind oder ob unsere nicht vorhandenen Flugzeuge alle auf Öko umgestellt sind. ({6}) Derartiger grüner Schwachsinn ist dem Ernst der Lage nicht angemessen. Und ich hoffe, dass die Regierung wenigstens bei diesem hochsensiblen Thema Verteidigung einigermaßen bei Verstand bleibt, sonst werden wir hier demnächst nämlich Militärfahrräder und keine Panzer bestellen. ({7}) Wir jedenfalls haben klargemacht, was wir wollen, liebe FDP: schnellere Verfahren, das Auffüllen der Munitionsvorräte und eine dauerhafte und nachhaltige Finanzierung der Bundeswehr – nicht aus Schulden. Wenn Sie das nicht hinkriegen, fragen Sie uns. Wir wissen, wie das geht. Danke für die Aufmerksamkeit. ({8})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Bündnis 90/Die Grünen erteile ich das Wort Dr. Sebastian Schäfer. ({0})

Dr. Sebastian Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005201, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Frau Wehrbeauftragte! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen nicht, wann die schreckliche russische Aggression in der Ukraine endet. In den letzten Wochen und Tagen zeigte sich nach dem Vorrücken der ukrainischen Armee wieder, welche Kriegsverbrechen die russische Armee begangen hat, mit welchem Terror Russland die Ukraine überzieht. Bei einem kurzen Besuch in Lwiw mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuss habe ich selbst einen kurzen Eindruck vom Leben in der Ukraine bekommen. In den wenigen Stunden, in denen wir die Stadt besucht haben, wurde viermal Luftalarm ausgelöst. Ein geplantes Gespräch in einer Berufsschule wurde kurzfristig in einen Luftschutzkeller verlegt. Ich habe die Dunkelheit in der Stadt gesehen. Putins Terror sorgt dafür, dass die Menschen ständig bedroht sind, dass Elektrizität und Heizung aufgrund der Raketenschläge auf die Infrastruktur ausfallen. Und doch kann ich nicht ermessen, wie unermesslich das Leid ist, das die Menschen in der Ukraine erfahren. Wir müssen weiterhin alles dafür tun, dass die Ukraine ihre Freiheit und Selbstbestimmung verteidigen kann. ({0}) Daher ist es wichtig, dass wir im Haushaltsverfahren die Mittel für die Ertüchtigungsinitiative wieder deutlich auf 2,2 Milliarden Euro angehoben haben. Damit finanzieren wir ganz wesentlich die Ausrüstung für die Ukraine. Der Verteidigungshaushalt, lieber Kollege Gädechens, ist eben mehr als der Einzelplan 14. In dieser Notsituation müssen wir jede Möglichkeit nutzen und auch Gerät der Bundeswehr abgeben, um zu helfen. Die entstehenden Lücken können und werden wir schließen. Die Ukraine steht vor einem harten Winter und benötigt dringend weitere Unterstützung. Gerade für die wichtigen Waffensysteme, die wir geliefert haben, wie die Panzerhaubitze 2000 müssen wir die Ersatzteilversorgung sicherstellen, zur Not auch durch Rückgriff auf die Bestände der Bundeswehr. Dann muss so schnell wie möglich wieder aufgefüllt werden – dazu hat der Haushaltsausschuss eine Maßgabe beschlossen –, das gilt insbesondere für die Munition. ({1}) Die Munitionsversorgung ist aber nicht nur ein Thema im Zusammenhang mit der Unterstützung der Ukraine. Auch für unsere Verteidigungsfähigkeit müssen wir da deutlich zulegen. Entsprechend haben wir im parlamentarischen Verfahren – Kollege Schwarz hat es angesprochen – mehr als 1 Milliarde Euro zusätzliche Mittel bereitgestellt. Aber das kann nur ein Anfang sein. Diesen Kurs werden wir konsequent fortsetzen, und wir müssen auch mit der Industrie sprechen, wie wir die Kontinuität bei der Munitionsversorgung sicherstellen können. Wir haben bei der Verabschiedung des Sondervermögens beschlossen, dass im – ich darf zitieren – „mehrjährigen Durchschnitt von maximal fünf Jahren 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf Basis der aktuellen Regierungsprognose für Verteidigungsausgaben nach NATO-Kriterien bereitgestellt“ werden sollen. Auch wenn Sie von der Union nun wiederholt kritisieren, dass die Ampel das Ziel mit diesem Haushalt nicht erreicht, bleibt diese Kritik falsch. ({2}) Unser Ziel ist und bleibt es, die Bundeswehr angemessen auszurüsten. ({3}) Auch mit dem Blick auf die notwendige schnelle Lieferung von Material dürfen wir uns nicht wieder in die Entwicklung von vielen verschiedenen Rüstungsprojekten verzetteln, die erst einmal erforscht und erprobt werden müssen, sondern müssen endlich den Mut haben, marktverfügbare Rüstungsgüter zu erwerben – auch mit dem Blick auf die Zeitachse, dass wir innerhalb von fünf Jahren das Sondervermögen effektiv genutzt haben wollen. Bisher hatte ich gedacht, dass auch die Union dieses Ziel teilt. Umso überraschter war ich von Aussagen von Friedrich Merz in der „Welt am Sonntag“ vorvergangene Woche. Herr Merz will offenbar keine marktverfügbaren Kampfflugzeuge zur Tornado-Nachfolge in den USA kaufen, die sogenannte fünfte Generation, die in vielen NATO-Staaten in den kommenden Jahren genutzt wird. Er setze auf FCAS, ein Luftkampfsystem der sechsten Generation. Das könne beschleunigt werden, sagt er. Nun, bisher war der Einsatz dieses Systems ab frühestens 2040 geplant, und das ist schon sportlich. Die Tornados sind ein Auslaufmodell, und wir müssen vertragstreu sein und die nukleare Teilhabe sichern. ({4}) Vielleicht erklären die geschätzten Kollegen aus der Unionsfraktion ihrem Fraktionsvorsitzenden einmal, dass wir dringend marktverfügbare Flugzeuge anschaffen müssen und dafür nicht auf ein so umfassendes Entwicklungsprojekt wie FCAS warten können. ({5}) Wir müssen jetzt schnell beschaffen, was bei der Bundeswehr so dringend benötigt wird. Herzlichen Dank. ({6})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die Fraktion Die Linke hat das Wort Dr. Gesine Lötzsch. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Unbekannt)

Politiker ID: 11003584

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das NATO-Mitglied Türkei führt einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Kurden. Die Bundesregierung darf nicht wegschauen. Unsere kurdischen Verbündeten haben mutig gegen den „Islamischen Staat“ gekämpft. Sie brauchen dringend unsere Unterstützung. Es darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. ({0}) Die Linke stellt immer drei Fragen an den Bundeshaushalt: Ist der Haushalt sozial? Ist der Haushalt friedlich? Ist der Haushalt ökologisch? Leider müssen wir alle diese drei Fragen mit Nein beantworten. Jetzt geht es um die Frage, ob dieser Haushalt ein Beitrag für weniger Krieg und mehr Frieden ist. NATO-Generalsekretär Stoltenberg erklärt, dass er eine Erhöhung des Verteidigungsetats über das bislang geltende Ziel von 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes hinaus erwartet. Das wären 80 Milliarden Euro pro Jahr als Untergrenze für die Aufrüstung. Ich finde, das ist eine absurde Forderung. ({1}) Damit läutet der NATO-Chef schon die nächste Runde des Wettrüstens ein. Deutschland darf diesen Wahnsinn nicht länger unterstützen. Wir brauchen Abrüstung und Diplomatie statt Krieg, meine Damen und Herren. ({2}) Noch nie wurde so viel Geld in der Bundesrepublik für militärische Aufrüstung ausgegeben, und noch nie war das Leben in unserem Land so unsicher wie heute. Nach NATO-Kriterien will die Regierung im kommenden Jahr 64 Milliarden Euro für das Militär ausgeben. Das ist mehr, als Sie im kommenden Jahr für Bildung, Forschung, Familien, Senioren, Frauen, Jugend, Wohnungsbau, Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit, Verbraucherschutz, wirtschaftliche Zusammenarbeit, Inneres und Heimat insgesamt ausgeben wollen. Ich glaube, das ist der falsche Schwerpunkt, meine Damen und Herren. ({3}) Die ganze Politik wird von dieser Regierung auf den Krieg und seine Folgen ausgerichtet. Selbst einfache Dinge funktionieren in unserem Land nicht mehr. Ein Beispiel: Hunderte Medikamente fehlen in den Apotheken. Selbst Fieber- und Hustensaft sind nicht mehr zu bekommen. Sollen die Menschen etwa den Eindruck bekommen, wir leben in einer Kriegswirtschaft? Das ist der falsche Weg, meine Damen und Herren. ({4}) Im Jahr 2014 hat die Bundesregierung 32,4 Milliarden Euro für das Militär ausgegeben. 2022 waren es schon 50,4 Milliarden Euro. Das ist eine erhebliche Steigerung. ({5}) Die Bundesregierung will die Rüstungsausgaben auf 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes steigern. Das wären dann, wie gesagt, 80 Milliarden Euro. ({6}) Alle betonen hier immer, in welch schlechtem Zustand die Bundeswehr ist. Warum stellt eigentlich niemand die Frage, was aus dem ganzen Geld geworden ist? Geht es nicht eigentlich – das ist unsere Frage – um die Geschäfte der Rüstungsindustrie? Werfen wir doch einmal einen Blick auf die Aktienkurse der Rüstungskonzerne. An dem Tag, an dem der Koalitionsvertrag unterschrieben wurde ({7}) – nein, das sind konkrete Zahlen; hören Sie gut zu, Kollege! –, stand der Aktienkurs des Rüstungskonzerns Rheinmetall bei knapp 83 Euro. Dann wurde das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen durchgepeitscht, und zwar mit den Stimmen der Ampel, der Union und etlichen Stimmen der AfD. Die Aktie schoss auf einen Wert von über 227 Euro. Das ist eine Verdreifachung des Kurses. Das ist Politik für vermögende Aktionäre. Wir brauchen etwas anderes. Wir brauchen eine Krisengewinnsteuer für die Rüstungskonzerne. Das wäre der richtige Weg, meine Damen und Herren. ({8}) Die Frage ist doch: Geht es um eine gut ausgerüstete Armee zur Landesverteidigung – das ist unsere grundgesetzlich verbriefte Auffassung –, oder geht es um die Profite der großen Waffenschmieden? ({9}) Meine Damen und Herren, zu den 64 Milliarden Euro, die die Bundesregierung im nächsten Jahr für Aufrüstung ausgeben will, kommen dann noch einmal 8 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen hinzu. Wir sind dann schon bei einem Jahresbudget von 72 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die Krankenhäuser sollen einen Inflationsausgleich in Höhe von 6 Milliarden Euro in zwei Jahren bekommen. Die bräuchten aber 15 Milliarden Euro, um ihre Kosten zu decken. Meine Damen und Herren, noch nie in diesem Jahrtausend standen wir so kurz vor einem atomaren Krieg. Es bedarf einer gemeinsamen internationalen Anstrengung, um diesen unbedingt zu verhindern. Das ist die Aufgabe. Herzlichen Dank. ({10})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die FDP-Fraktion hat das Wort Karsten Klein. ({0})

Karsten Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004780, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 300 Milliarden Euro stellt dieser Deutsche Bundestag, stellen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler der Bundesregierung, dem Bundesverteidigungsministerium zur Verfügung für die Ausrüstung und Ausstattung unserer Bundeswehr, für die Soldatinnen und Soldaten – 300 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode! Das bedeutet für 2023 58,5 Milliarden Euro. Das sind 8,1 Milliarden Euro mehr als 2022. Und das sind vor allem über 11 Milliarden Euro mehr, als die letzte unionsgeführte Bundesregierung für 2023 geplant hatte. ({0}) Das sind 25 Prozent zusätzliche Ausgaben für die Verteidigung dieses Landes. Das zeigt noch mal, dass wir als Ampel uns unserer Verantwortung sehr bewusst sind und sie wahrnehmen für die Sicherstellung der Verteidigungsfähigkeit dieses Landes, dass wir vor allem aber diese Zeitenwende auch mit Leben füllen, ({1}) und das, obwohl wir große Versäumnisse – auch dafür sprechen diese Zahlen – der unionsgeführten Vorgängerregierung übernommen haben. ({2}) Für eins aber, liebe Kollegen, können diese Zahlen nicht herhalten, nämlich für den Vorwurf, den heute schon Friedrich Merz und jetzt auch Kollege Ingo Gädechens gemacht haben, dass wir weniger für die Bundeswehr verausgaben würden. Dieser Vorwurf ist einfach nicht zutreffend, und das soll an dieser Stelle auch noch mal klar festgehalten werden. ({3}) Aus diesen großen Zahlen, liebe Kolleginnen und Kollegen, erwachsen aber auch große Verantwortungen: auf der einen Seite, Frau Ministerin, die Verantwortung, dass aus diesen großen Haushaltsmitteln auch Projekte werden, die bei den Soldatinnen und Soldaten ankommen; auf der anderen Seite aber auch die Verantwortung, dass wir mit Transparenz und Klarheit gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern und auch gegenüber dem Bundestag gerade im Hinblick auf das Sondervermögen unterwegs sind. 100 Milliarden Euro Neuverschuldung gibt uns auch Verantwortung in Bezug auf Klarheit und Transparenz. Das hat der Bundesrechnungshofbericht ja unterstrichen. Aber das haben auch die Fraktionen der Ampelkoalition, FDP, SPD und Grüne, im Haushaltsausschuss noch mal mit einem Beschluss hinterlegt. Wir werden diese Transparenz und Klarheit mit einem Quartalsbericht des Gremiums „Sondervermögen Bundeswehr“ herstellen, in dem festgehalten wird, wie die Mittel verwendet werden, wann die Mittelbindung stattfinden wird, wann die Mittel verausgabt werden, wann die Projekte dann mit welchen Zwischenschritten realisiert werden. Das stellt die Transparenz und die Klarheit her, die auch nötig ist. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, 300 Milliarden Euro ermöglichen das Erreichen des 2‑Prozent-Ziels auch in dieser Legislaturperiode. Wir haben uns in dem Gesetz ja gemeinsam vorgenommen, dass wir das im Durchschnitt über fünf Jahre erreichen wollen. Aber hinter dem Prozentwert stehen natürlich Projekte – Projekte, die die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes erhöhen sollen. Dafür spielt das Sondervermögen eine zentrale Rolle. Es ist ein zentrales Instrument, das in den nächsten 10 Jahren ermöglichen soll, Langlaufprojekte, Projekte, die groß und finanzintensiv sind, durchzufinanzieren. Das ist kein statisches Instrument, wie man der einen oder anderen Diskussion in Deutschland heute entnehmen konnte, sondern es ist ein sehr dynamisches Instrument, das diese Ziele erreichen soll. Hinter diesen Mitteln, Frau Ministerin, steht die Realisierung von wichtigen Projekten. Einige wurden schon angesprochen: die Nachfolge des Tornados, nukleare Teilhabe, der Raketenabwehrschild oder auch die mittleren Kräfte des Heeres, die so dringend nötig sind, und nicht zuletzt die persönliche Schutzausrüstung der Soldatinnen und Soldaten, deren Beschaffung wir schon beschlossen haben, die schon unterwegs ist und die bis 2025 dann auch bei den Soldatinnen und Soldaten sein soll. Auch deshalb trifft die Aussage von Friedrich Merz nicht zu, dass aus dem Sondervermögen noch kein Projekt gestartet worden ist. Nein, dieses Sondervermögen ist schon aktiv und sorgt schon für Projekte, die bald bei den Soldatinnen und Soldaten sein sollen. ({5}) Aber, Frau Ministerin, richtig ist natürlich auch: Der Bundestag hat Ihnen enorme Mittel zur Verfügung gestellt, und jetzt kommt es darauf an, dass Sie dafür Sorge tragen, dass das Haus dafür Sorge trägt, dass diese Mittel auch bei den Soldatinnen und Soldaten ankommen. Da können wir noch mehr Fahrt aufnehmen. Auch mit Blick auf den Herbst soll noch mal festgehalten sein, dass viel zu wenige 25-Millionen-Euro-Vorlagen den Haushaltsausschuss erreicht haben. Da können wir noch besser werden. ({6}) Da können wir noch Fahrt aufnehmen, und da müssen wir auch noch Fahrt aufnehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Aus dem Sondervermögen entstehen jetzt natürlich auch Folgekosten beim Materialerhalt, beim Personal, aber natürlich vor allem auch beim Thema Munition. Deshalb ist es richtig, dass wir in der Bereinigungssitzung die Mittel noch mal um über 1,1 Milliarden Euro erhöht haben. Im Übrigen haben wir für Munition 400 Millionen Euro mehr eingestellt, als die Union in 2021 überhaupt vorgesehen hatte. ({8}) Aber wir müssen deshalb auch in Zukunft im Hinblick auf das 2‑Prozent-Ziel eine Diskussion nicht nur darüber führen, dass die Haushaltsmittel immer mehr aufwachsen, sondern auch über die Verteilung innerhalb des Haushalts. Vor der Wende, 1990, waren 20 Prozent des Bundeshaushaltes für Verteidigungsausgaben vorgesehen, jetzt sind es 10 Prozent. Das zeigt: Die Diskussion über die Verteilung müssen wir führen; denn Frieden und Freiheit werden durch die Bundeswehr und die Sicherheitskräfte verteidigt, und diese Verteidigungsfähigkeit ist Voraussetzung dafür, –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Karsten Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004780, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

– dass wir bei allen politischen Themen, über die wir hier diskutieren, auch weiterhin souverän entscheiden können. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Dr. Johann Wadephul. ({0})

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Verteidigungsministerin Lambrecht hat am 1. Juni 2022 hier im Deutschen Bundestag gesagt – ich zitiere –: „Schluss … mit Kaputtsparen, mit Zögern und Zaudern, vor allen Dingen auch Schluss damit, dass wichtige Entscheidungen viel zu lange verschleppt wurden“. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ungefähr ein halbes Jahr danach müssen wir feststellen: Das ist alles nicht gelungen. Die Ministerin wirkt im Tagesgeschäft planlos, mit konzeptionellen Aufgaben völlig überfordert, sie spielt in internationalen und sicherheitspolitischen Debatten und Strukturen überhaupt keine Rolle. ({0}) Wir diskutieren den Haushalt. Der Verteidigungshaushalt zeigt drei Dinge: erstens einen Bundeskanzler, der sein Versprechen nicht einhalten kann, zweitens einen bündnispolitischen Offenbarungseid und drittens katastrophale Aussichten für die deutsche Bundeswehr. ({1}) Die „Zeitenwende“, das große Wort, das der Bundeskanzler am 27. Februar 2022 angeführt hat, findet nicht statt, Herr Kollege. Und seine Ankündigung, von jetzt ab Jahr für Jahr – von jetzt ab, beginnend in diesem Jahr! – mehr als 2 Prozent für Verteidigung auszugeben, ist bestenfalls eine vollmundige Sonntagsrede geblieben oder eine grandiose Täuschung der deutschen Öffentlichkeit, der Soldatinnen und Soldaten unserer Bundeswehr und unserer Verbündeten und Partner. ({2}) Das Schockierende daran ist, dass die Bundesregierung noch nicht einmal den Versuch macht, dieses skandalöse Verhalten auch nur annähernd zu kaschieren. Aber damit setzen der ehemalige Finanzminister Scholz und die SPD ihre Politik der Missachtung gegenüber Bündniszusagen und Bedarfen der Bundeswehr fort, wie wir es ja schon in den vergangenen zwei Wahlperioden gelernt haben. Es war die Union, die seit 2014 immer wieder verlangt hat, dass wir einen Haushalt vorlegen, der die Erfordernisse im Hinblick auf das 2‑Prozent-Ziel erfüllt. Es war immer wieder die sozialdemokratische Fraktion, die dieses verhindert hat, ({3}) auch wenn Sie sich jetzt den netten Dienst tun, das nicht zuzugeben. Das ist die Wahrheit; das wissen wir alles. ({4}) Ihr Fraktionsvorsitzender hat im Sommer 2019 freimütig erklärt: Ich fühle mich an die 2 Prozent nicht gebunden. – So viel zu Ihrem „oh!“. Und er hat dann die F‑35, die, Herr Kollege Schwarz, hier erwähnt worden ist, und die F‑18 als US‑amerikanische Atombomber verunglimpft. Und noch am 26. Februar dieses Jahres, einen Tag vor der Rede des Bundeskanzlers, wird er zitiert mit der Aussage: „Immer noch mehr Aufrüstung kann nicht die Antwort sein“. Das Ergebnis ist: Die Sozialdemokratie hier im Deutschen Bundestag hat ein bigottes Verhältnis zur Bundeswehr, wenn man es nicht als schizophren bezeichnen will. ({5}) Wir müssen immer wieder feststellen: Am Ende stehen Sie nicht hinter der Bundeswehr. Wir müssen darüber reden, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wie endlich umgesetzt wird, was in der konzeptionellen Planung für die deutsche Bundeswehr notwendig ist. Da ist natürlich das Allererste das Thema Beschaffung. Die Soldatinnen und Soldaten müssen – Herr Kollege Klein, im Gegensatz zu Ihren Ausführungen – feststellen: Unter der Führung von Verteidigungsministerin Lambrecht wird die Bundeswehr jeden Tag schwächer. Es kommt nichts an. ({6}) Kein einziges Bestellungsvorhaben wird realisiert, überhaupt nichts wird ausgeliefert. Hinzu kommt: Die Bundeswehr hat mittlerweile einen katastrophalen Munitionsbestand. ({7}) Die Artillerietruppe ist im Grunde ohne Munition und kann überhaupt nicht mehr den scharfen Schuss üben. Dafür tragen Sie die politische Verantwortung. Das Geld haben wir zur Verfügung gestellt, aber Beschaffungen sind von Ihnen nicht ermöglicht worden. ({8}) Was die Konzeption der Bundeswehr angeht, erwarte ich von der Bundesverteidigungsministerin, dass sie mal klarlegt, welche Bundeswehr der Zukunft sie denn will. Wir haben immer noch die Struktur einer Afghanistan-Armee, einer Armee, die dafür ausgerüstet ist, insbesondere Einsätze im Ausland zu realisieren. Mittlerweile ist allen klar: Landes- und Bündnisverteidigung muss Priorität haben. Dafür gibt es Papiere, die von der Bundeswehr noch in der letzten Legislaturperiode erarbeitet worden sind. Aber weil die ideologische Verblendung so groß ist, sind die Papiere sofort in die Schublade gelegt worden. ({9}) Einzelne Teile sind wieder herausgeholt worden, einzelne Teile werden umgesetzt. ({10}) Aber eine Umstrukturierung zu einer Bundeswehr, die führungsfähig ist und wirklich Bündnis- und Landesverteidigung leisten kann, findet nicht statt. Und deswegen sage ich: Konzeptionell ist diese Verteidigungsministerin völlig überfordert. Sie liefert nicht ab, was die Soldatinnen und Soldaten in dieser Zeit verdient hätten und was dringend notwendig gewesen wäre. ({11}) Ich komme zum internationalen Bereich. Mal abgesehen davon, dass die Verteidigungsministerin im Gegensatz zu vielen Vorgängern steht, übrigens auch aus der Sozialdemokratie – ich erinnere an die Verteidigungsminister von Georg Leber bis zu Peter Struck, die wirklich viel geleistet haben und hohe Anerkennung hatten – ({12}) – ja, das wäre mal ein Vorbild gewesen –, nimmt sie auch an keiner internationalen sicherheitspolitischen Debatte mehr teil. Es finden Konferenzen über Konferenzen statt: Manama-Dialog, Halifax International Security Forum. Verteidigungsministerinnen und Verteidigungsminister aus ganz Europa, aus der ganzen Welt, aus der NATO sind da. Wer nie da ist, ist Christine Lambrecht. ({13}) Dann ist es auch kein Wunder, dass die Ideenwelt, mit der man jetzt an den MINUSMA-Einsatz herangeht, völlig ungeordnet ist. Im Frühsommer fabulierte sie darüber: Wir ziehen im Sommer ab, wenn die Hubschrauber nicht auf die Zahl ergänzt werden, wie Deutschland sie hatte. – Was stellen wir fest? Gibt es einen entsprechenden Hubschraubereinsatz? Nein. Trotzdem bleiben wir da. Jetzt gibt es ein Verlängerungsmandat für anderthalb Jahre, obwohl die Soldatinnen und Soldaten den Auftrag, den sie bekommen sollen, gar nicht vollständig erfüllen können. Was sollen die Soldatinnen und Soldaten dann noch da? ({14}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, dann ziehen Sie sie gleich ab! Als Feigenblatt taugen unsere Soldatinnen und Soldaten nicht. Nach gut einem Jahr im Amt muss ich konstatieren: Frau Ministerin, Sie haben gesagt, wenn es einfach wäre, würden es andere machen. Ich glaube, es wäre wirklich besser, es würden andere machen. Danke schön. ({15})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die Bundesregierung erteile ich das Wort der Bundesministerin Christine Lambrecht. ({0})

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Werte Wehrbeauftragte! Nicht alles, was lautstark und breitbeinig vorgetragen wird, entspricht auch der Realität. Das konnten wir heute mal wieder erleben. ({0}) Was aber der Realität entspricht, ist, dass diese Bundesregierung gerade im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik endlich handelt, endlich Entscheidungen trifft ({1}) und Schluss ist mit Zaudern, mit Zögern, mit Weggucken, mit Ignorieren, so wie das unter vielen, vielen Jahren der Vorgängerinnen geschehen ist. ({2}) Meine Damen und Herren, ich will mal durchdeklinieren, was „Zeitenwende“ in praktischer Politik bedeutet. ({3}) Der Kollege Kiesewetter hat das vorhin eingefordert, und ich kann diese Forderung auch verstehen; denn er musste ja unter den CDU-Vorgängerinnen so lange darauf verzichten, dass praktische Politik umgesetzt wird. ({4}) Deswegen will ich das gerne durchdeklinieren, und zwar in Bezug auf die Ukrainepolitik. Es war diese Bundesregierung, die im Gegensatz zu vielen anderen entschieden hat, dass wir auch in Länder wie die Ukraine, wo ein Krieg tobt, Waffen liefern. Das ist keine einfache Entscheidung gewesen, aber wir haben sie getroffen. Und wir haben die Entscheidung nicht nur getroffen, sondern wir haben Waffen geliefert, von Mehrfachraketenwerfern über Panzerhaubitzen, Geparden und das in den letzten Tagen so wirksame System IRIS‑T, das noch nicht einmal die Bundeswehr zum Einsatz hat. ({5}) Aber uns war es wichtig, die Ukraine im Kampf gegen den Terror aus der Luft durch Raketen und Drohnen ganz schnell zu unterstützen. Und ich kann Ihnen sagen: Das ist mehr als wirksam; es hat viele, viele Menschenleben gerettet. ({6}) Wir handeln nicht nur, indem wir liefern, sondern wir sorgen auch dafür, dass die entsprechende Ausbildung gewährleistet ist, dass die Munition und die Ersatzteile gleich mitgeliefert werden, genauso wie es beispielsweise bei der Panzerhaubitze geschehen ist. Uns war wichtig, dass das vor Ort ist. Es wird jetzt weitergehen, indem wir in der Slowakei noch im Dezember ein Instandsetzungszentrum einrichten, sodass nahe der Grenze ohne lange Wege dann die Waffen, die wir geliefert haben, instand gesetzt werden können. Das ist „Zeitenwende“ in praktische Politik umgesetzt, meine Damen und Herren. ({7}) Darüber hinaus werden wir uns selbstverständlich an der Ausbildungsmission der Europäischen Union für die Ukraine beteiligen. So viel zu dem Punkt „Wir spielen keine Rolle“. Vielleicht machen wir nicht immer gleich große Worte und viel Drumherum und viel Pressearbeit, ({8}) aber wir werden uns in beeindruckender Weise beteiligen. Das ist auch wichtig, damit die Durchhaltefähigkeit gewährleistet ist. Wir werden in Deutschland in den nächsten Monaten, nämlich bis zum Sommer 2023, 5 000 ukrainische Soldaten ausbilden. Neun Nationen machen das mit uns zusammen hier in Deutschland. Das stärkt die Durchhaltefähigkeit, und das ist ganz konkrete Politik, meine Damen und Herren. ({9}) Die „Zeitenwende“ ganz konkret umzusetzen bedeutet, auf die Anforderungen der NATO entsprechend vorbereitet zu sein und zu reagieren. Das haben wir gemacht. Wir sind Rahmennation für Litauen. Deswegen haben wir selbstverständlich dafür gesorgt, dass Litauen sich auf uns Alliierte verlassen kann, genauso wie auch wir uns in anderen Zeiten auf Alliierte verlassen konnten. Uns ist immer wichtig, dass wir entsprechend agieren, eben nicht nur große Versprechungen machen und laute Worte wählen, sondern handeln. Das ist „Zeitenwende“ in ganz konkrete Politik umgesetzt, meine Damen und Herren. ({10}) Wir sollten aber nicht nur den Finger in die Wunde legen, wie das in den Jahren davor gemacht wurde. Wir erleben gerade etwas ganz Bedrohliches, nämlich dass die Luftverteidigung in Europa große Lücken aufweist. ({11}) Das hat der Kanzler in seiner Rede in Prag im Sommer deutlich gemacht. ({12}) Das ist aber nichts Neues; das war schon sehr lange bekannt. Was jetzt aber neu ist: Wir unternehmen etwas dagegen. Wir haben eine Initiative aufgelegt, European Skyshield, damit diese Lücken endlich geschlossen werden, damit nicht immer nur geredet und gequatscht, sondern gehandelt wird. Das ist ganz konkrete Umsetzung der „Zeitenwende“. ({13}) Mit diesem European Skyshield, diesem großen Beschaffungsvorhaben, werden wir zusammen mit 15 Nationen, die sich uns angeschlossen haben, die auf unsere Initiative hin mitmachen, diese Lücken schließen. Wir werden nicht nur reden, nicht nur breitbeinig dastehen, sondern handeln. Das ist unsere Maxime, meine Damen und Herren. ({14}) Wir sorgen endlich auch dafür, dass die Bundeswehr entsprechend ausgestattet ist. Ich bin sehr froh über das Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro, das der Bundestag beschlossen hat, auch mit den Stimmen der CDU/CSU. Was ich allerdings nicht verstehe, ist, dass Sie sich bzw. die ein, zwei, die bei den Beratungen dabei sein durften, gar nicht mehr daran erinnern – – ({15}) – Oh doch, ich war von Anfang an dabei. Sorry! Fragen Sie doch mal Herrn Wadephul; der war, glaube ich, dabei. Fragen Sie doch mal Herrn Dobrindt, der war, glaube ich, auch dabei. Sie waren nicht dabei. ({16}) – Es spricht aber nicht für Herrn Wadephul, wenn es besser ausgegangen wäre, wenn Sie dabei gewesen wären. Die Kritik in Bezug auf das 2‑Prozent-Ziel greift auch nicht; denn allen, die dabei waren, war klar, dass man im ersten Jahr keineswegs, auch nicht mit diesem Sondervermögen, die 2 Prozent erreichen kann. ({17}) Sie alle haben zugestimmt, als wir im Begleitgesetz festgelegt haben, dass wir das 2‑Prozent-Ziel erreichen werden, ja, aber im Durchschnitt über fünf Jahre hinweg. Lesen Sie sich vielleicht noch mal das Gesetz durch, das Sie selbst mit beschlossen haben und das wir aus gutem Grund genauso ausformuliert haben. ({18}) Zumindest denjenigen, die dabei waren, war klar: Sie werden bestimmte Systeme nicht einfach im Baumarkt aus dem Regal holen können. Jetzt mal im Ernst: Es war klar, dass man das Vorhaben über einen bestimmten Zeitraum strecken muss. Genau so haben wir auch agiert. ({19}) Jetzt höre ich oft: Im Sondervermögen ist nichts für Munition vorgesehen. Ich kann Ihnen nur raten: Schauen Sie ins Gesetz! Es gibt mittlerweile auch das Begleitgremium. Selbstverständlich muss man überlegen: Was ist mit Munition gemeint? Ist kleines Kaliber gemeint? Selbstverständlich ist im Sondervermögen auch die Bewaffnung beispielsweise der Drohnen, der F-35 und der Flugabwehrraketen enthalten; das alles fällt unter den Begriff. Deswegen werden über dieses Sondervermögen auch Milliarden in Munition investiert. Ich weiß, zu viele Fakten stören manchmal den Erzählfluss. ({20}) Aber manchmal kann es durchaus sinnvoll sein, darüber zu reden. ({21}) Was ich an dieser Stelle aber auch sagen muss – und ich bin sehr dankbar, dass ich das von verschiedener Seite heute hier gehört habe –, ist, dass dieser Haushalt in Zukunft aufwachsen muss. ({22}) Das ist wichtig, und das ist richtig. ({23}) In diesem Jahr haben wir die Möglichkeit, über das Sondervermögen und aufgrund der aktuellen Situation – ich sage es mal so – über die Runden zu kommen. ({24}) Aber in Zukunft wird sich das anders darstellen. Frau Lötzsch hat gefragt: Was machen die eigentlich mit 50 Milliarden, mit so viel Geld? Ich kann das ein bisschen aufschlüsseln. Ich habe Personalverantwortung für 260 000 Menschen in diesem Ressort. 20 Milliarden von diesen 50 Milliarden müssen dafür aufgewendet werden. Und die Mittel werden sich in den nächsten Jahren hoffentlich deutlich erhöhen; denn das bedeutet eine Besserstellung für die Soldaten und die Zivilbeschäftigten. ({25}) Es gibt sehr viele Standorte. Es gilt, die Betriebe sicherzustellen. Gerade angesichts der steigenden Energiekosten wird man natürlich mehr Mittel benötigen. 20 Milliarden Euro sind eingeplant, aber es wird mehr werden. Das heißt, der übrige Anteil, neben dem Wirtschaftsplan und dem Sondervermögen, wird weniger. Ich kann Sie alle nur bitten: Wenn wir gemeinsam sicherstellen wollen, dass die Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Zukunft nicht mehr vernachlässigt wird, dass nicht mehr weggeschaut wird und Notwendigkeiten nicht mehr ignoriert werden, dann muss dieser Haushalt aufwachsen. Ich freue mich, dass mir heute so viel Bereitschaft dafür signalisiert wurde. ({26}) Ich werde Sie beim Wort nehmen, im Interesse der Soldatinnen und Soldaten und im Interesse der Sicherheit in diesem Land. Vielen Dank. ({27})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die AfD-Fraktion hat das Wort Rüdiger Lucassen. ({0})

Rüdiger Lucassen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004807, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Frau Wehrbeauftragte! Meine Damen und Herren! Neun Monate Zeitenwende Bundeswehr! Da möchte ich mit einer Frage eröffnen: Wo ist sie hin, die Zeitenwende des Bundeskanzlers Olaf Scholz? Im Verteidigungsausschuss ist sie bisher nicht angekommen. Die Presse sucht ebenfalls nach ihr. Bei der Industrie ist nichts angekommen, und unsere Soldaten haben nach neun Monaten auch nichts von der Zeitenwende in ihren Kasernen gesehen. ({0}) Scholz’ Zeitenwende, es gibt sie nicht, ({1}) auch nicht nach Ihrem gerade gehörten Erklärungsversuch, Frau Ministerin. Die Wahrheit ist: Zur Verteidigung unseres Landes schafft es die Bundesregierung, 100 Milliarden Euro Schulden zu machen, aber sie schafft es nicht, das Geld für unsere Streitkräfte auszugeben. Was die Bundesregierung unserer Bundeswehr antut, ist Sabotage, Sabotage durch Unfähigkeit. ({2}) Liebe Kollegen, was könnte eine willige und fähige Bundesregierung mit 100 Milliarden alles machen? ({3}) Viele Schäden, die der Bundeswehr in den letzten Jahrzehnten zugefügt wurden, könnten damit repariert werden. Es war übrigens diese Aussicht auf eine materielle Wende bei der Bundeswehr, warum eine Mehrheit dem Sondervermögen zustimmte. Jetzt aber zeigt sich, dass die 100 Milliarden Schuldengeld dahinschmelzen wie Schnee in der Sonne, und die Gründe sind alle hausgemacht. Erstens. Durch die galoppierende Inflation verringert sich die Kaufkraft des Sondervermögens in den kommenden fünf Jahren auf 69 Milliarden. Das heißt, 31 Milliarden an Kaufkraft sind verbrannt. Zweitens. Der Zinssprung für das geliehene Geld schlägt beim Sondervermögen ebenfalls voll ins Kontor. Allein in den sechs Monaten dieses Jahres gehen 308 Millionen Euro nur für Zinsen drauf. Für diese Summe könnte das Verteidigungsministerium 20 neue Panzerhaubitzen kaufen. Aber das Verteidigungsministerium kauft keine Panzerhaubitzen, genauso wenig wie schwere Transporthubschrauber, Boxer für die Mittleren Kräfte oder die enorm wichtige Flugabwehr. ({4}) Stattdessen zahlt das Verteidigungsministerium Zinsen. Mit Zinsen können unsere Soldaten nicht kämpfen. ({5}) Auf den dritten Punkt machte uns freundlicherweise Staatssekretärin Möller in der letzten Ausschusssitzung aufmerksam: die Schwäche des Euro. Jeder Rüstungskauf in den USA, wie der Kauf der F-35 oder des schweren Transporthubschraubers, wird logischerweise in US-Dollar abgerechnet. Durch den weichen Euro gibt es immer weniger Ausrüstung für das Geld in den USA. Ihre katastrophale Finanzpolitik greift nicht nur unseren Wohlstand an, sondern auch unsere Verteidigungsbereitschaft. ({6}) Vierter und letzter Grund für die Schmelze des Sondervermögens ist das total überforderte Beschaffungssystem der Bundeswehr. Alle Verteidigungsministerinnen der letzten neun Jahre versuchten sich an einer Reform, alle sind gescheitert. Frau Lambrecht selbst hat den Versuch einer Reform aufgegeben. ({7}) Was die Bundesregierung mit dem Sondervermögen macht, ist eine Geldvernichtung. Und die Bundeswehr wird auch in Zukunft nicht verteidigungsbereit sein. Meine Damen und Herren, die Lage ist verfahren, für jeden Verteidigungspolitiker, egal von welcher Partei. Ich sage Ihnen, was ich in dieser Lage tun würde. Ich würde klare Prioritäten setzen und Waffen und Munition bestellen, und zwar so schnell es geht. Die deutsche wehrtechnische Industrie kann liefern. Sie wartet nur auf Bestellungen. Ich würde ins Risiko gehen, mich über das Vergaberecht hinwegsetzen, dem Rüstungsamt Beine machen, es auf Klagen ankommen lassen. Echte politische Führung setzt den Willen zur Umsetzung voraus. Es bedeutet, das Wohl der Bundeswehr und unserer Bundesrepublik im Blick zu haben und für notwendige Entscheidungen zur Not auch persönlich geradezustehen. Danke schön. ({8})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Niklas Wagener. ({0})

Niklas Wagener (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Frau Wehrbeauftragte! Sehr geehrte Soldatinnen und Soldaten auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist die gemeinsame Aufgabe von Regierung und Parlament, die Bundeswehr entsprechend ihrem Auftrag und ihren Aufgaben personell und materiell bestmöglich auszustatten. Das ist keine Sache von Aufrüstung, sondern von Ausrüstung. Genau diese gute Ausrüstung treiben wir mit dem Einzelplan 14 für das Haushaltsjahr 2023 weiter voran, und das ist gut so. ({0}) Der furchtbare Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat uns alle in diesem Jahr erschüttert. Wir stehen weiter unverrückbar an der Seite der mutigen Menschen in der Ukraine und werden das ukrainische Militär weiterhin bestmöglich mit Waffen und Munition unterstützen. ({1}) Diese Unterstützung hat uns aber einmal mehr die drastischen Lücken in der Bundeswehr vor Augen geführt, die uns die Vorgängerregierung hinterlassen hat. Gerade wenn Sie aus der Unionsfraktion sehr laut nach mehr Waffen für die Ukraine rufen, ({2}) müssen Sie sich auch klarmachen, dass die Zeitenwende für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr bislang bedeutet, dass sie heute mit weniger Gerät und weniger Munition üben als zu Beginn des Krieges in der Ukraine. Das ist ein Dilemma, das wir nun mit einer tiefgreifenden Beschaffungsreform auflösen, die dafür sorgt, dass die abgegebenen Systeme aus dem Heer, aus dem Sanitätsdienst, aus der Streitkräftebasis schnellstmöglich nachbeschafft werden. Es geht hier auch um das Vertrauen darin, dass Zeitenwende mehr bedeutet als Winterjacken und Nässeschutz. ({3}) Seit dem Regierungswechsel haben wir bereits die größte Beschaffungsreform seit Langem umgesetzt. Endlich wird nicht mehr nach Wahlkreiswünschen einzelner Abgeordneter beschafft, sondern nach der Maßgabe, die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zu erhöhen und die gegenüber der NATO vereinbarten Ziele einzuhalten. ({4}) Und wir werden dafür Sorge tragen, dass diese Zeitenwende in der Beschaffungspolitik bei allen Verantwortlichen ankommen wird. Wir haben unseren NATO-Partnern zugesagt, eine einsatzbereite Division bereits im Jahr 2025 statt wie ursprünglich geplant erst 2027 bereitzustellen. Umso wichtiger ist nun ein Forderungscontrolling der Haushaltsmittel, um sicherzustellen, dass das Mehr an Haushaltsmitteln in Form von Verteidigungsausgaben auch zu einem Mehr an Einsatzbereitschaft führt und wir die 10. Panzerdivision in Veitshöchheim wirklich bis 2025 einsatzbereit machen. ({5}) Schließlich ist das Geld in diesem Haushalt Steuergeld, und wir müssen es so effizient wie möglich einsetzen. Wir haben viele Projekte des Heeres für die Digitalisierung landbasierter Operationen oder den Nah- und Nächstbereichsschutz gegen feindliche Artillerie im Haushalt verankert. Die wichtige Arbeit der Enabler findet ebenfalls Unterstützung im Haushalt. 2 000 neue Dienstposten im Sanitätsdienst und 1 900 neue Dienstposten für die Streitkräftebasis sind wichtige Schritte auf dem Weg zu einer einsatzbereiten Division; ({6}) denn ohne Sanität und Logistik kommt auch das Heer nicht weit. Das Heer, die einsatzbereite Division 2025, muss aber auch schießen können; dafür braucht sie Munition. ({7}) Die Munitionsbestände der Bundeswehr sind seit Jahren auf ein Minimum reduziert worden. Von der NATO-Vorgabe des 30-Tage-Vorrats ist die Bundeswehr heute noch sehr weit entfernt. Die Munition reicht im Ernstfall für zwei Tage, hört man an vielen Stellen. Das ist nicht nur aus militärischer Sicht sehr schlecht, sondern stellt uns als Deutschland auch in ein ungutes politisches Licht bei unseren Partnern. Deshalb haben wir die ursprünglich im Haushalt eingeplanten Mittel für Munition in Höhe von 1 Milliarde Euro noch mal um über 1 Milliarde erhöht. Ich möchte in Richtung der Unionsfraktion sagen: Wenn Markus Söder jetzt in Bayern die Backen aufbläst und mehr Munition für die Bundeswehr fordert, dann möge er bitte sicherstellen, dass seine Staatlichen Bauämter die notwendigen Munitionsdepots auch bauen. ({8}) Die Ertüchtigung der Infrastruktur in der Bundeswehr scheiterte in den vergangenen Jahren nie an mangelnden Bundesmitteln, sondern mehr daran, dass sich die CSU in Bayern mehr mit dem Ausbau unnötiger Umgehungsstraßen als mit der Sanierung wichtiger militärischer Infrastruktur beschäftigt hat. ({9}) Auch wenn die Bauhoheit in der Zuständigkeit der Länder liegt, haben wir dennoch gehandelt und leihen nun Bauingenieure aus der Bundeswehr an die Landesbauverwaltungen aus, um den massiven Investitionsstau abzubauen. Auch hier handelt die Ampelkoalition. Alle Parteien der demokratischen Mitte, alle Häuser, alle Ämter, alle Abteilungen müssen in und nach der Zeitenwende zusammenarbeiten für die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten, für unsere Sicherheit als Land, aber auch für unsere Partner und Verbündeten in NATO und EU. Ich komme zum Schluss. – Wir müssen Wort halten, Verbindlichkeit zeigen, Vertrauen weiter ausbauen. Dieser Haushalt 2023 ist ein Schritt auf diesem Weg. Vielen Dank. ({10})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die FDP-Fraktion erteile ich das Wort Alexander Müller. ({0})

Alexander Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004828, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Jahr 2022 ist eine Zäsur in unserer Geschichte, aber es ist auch das Jahr der Bundeswehr. Endlich wird der Weg für die Vollausstattung unserer Armee und für die Einsatzbereitschaft der ganzen Truppe bereitet. Jahrelang, jahrzehntelang wurde bei der Verteidigung nur gespart, Fähigkeiten wurden aufgegeben, Standorte wurden geschlossen. Jetzt ist es endlich gelungen, den Kurs wieder zu korrigieren. Ich zähle mal auf: Wir haben das 100-Milliarden-Programm mit dringenden Investitionen für unsere Truppe auf den Weg gebracht. ({0}) Wir haben endlich die Nachfolge für den alten Tornado geregelt – das, was Sie nicht hinbekommen haben. Wir haben ein Volumen von 2,4 Milliarden Euro für die Beschaffung der persönlichen Schutzausrüstung der Soldatinnen und Soldaten beschlossen und auf den Weg gebracht. Wir haben den dringend nötigen schweren Transporthubschrauber bestellt. Wir haben mit dem Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz die Beschaffung deutlich beschleunigt. Das war nur der Anfang; das Programm geht weiter. Wir investieren 20 Milliarden Euro allein in die Digitalisierung und die Führungsfähigkeit der Bundeswehr. In der Schlussphase der Haushaltsberatungen haben wir noch mal 18 Millionen Euro extra für die digitale Gesundheitsakte der Bundeswehr draufgelegt. Wir haben die Beschaffung bewaffneter Drohnen endlich auf den Weg gebracht, was Sie nicht geschafft haben. Hinzu kommt: Wir sorgen für eine regelmäßige Evaluierung aller unserer Auslandseinsätze und auch für das rechtzeitige Stoppen, das Verhindern von Permanentmandaten. Auch das ist effektiver Mitteleinsatz von Steuergeldern. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich könnte weiter aufzählen, aber ich habe leider nur drei Minuten Redezeit. ({2}) Eines will ich aber noch betonen: Der Einzelplan 14 muss auf mittlere Sicht unbedingt weiter aufwachsen, wenn wir dauerhaft das 2‑Prozent-Ziel erreichen wollen, ({3}) so wie es unser Bundeskanzler heute Morgen an dieser Stelle wieder gesagt hat. Das müssen wir rechtzeitig angehen, bevor das Sondervermögen aufgebraucht ist. Liebe Union, mit Zwischenrufen sind Sie heute ja ganz groß. Wenn man Ihnen heute zuhört, könnte ein unbedarfter Zuhörer den Eindruck bekommen, Sie hätten sich in den letzten Jahren für das 2‑Prozent-Ziel an dieser Stelle eingesetzt. ({4}) Das mag im Koalitionsausschuss vielleicht so gewesen sein. An dieser Stelle haben Sie es nicht getan; ({5}) das will ich nur mal festhalten. Und wenn man dem Kollegen Wadephul zuhört, könnte man den Eindruck bekommen, unter Frau von der Leyen oder unter Frau Kramp-Karrenbauer seien die Munitionslager der Artillerie voll gewesen. ({6}) Jeder hier im Haus weiß, wie die Realität ist und woran es liegt, dass diese Lager heute allesamt leer sind. ({7}) Der Kollege Karsten Klein hat es eben ausgerechnet: Wir werden im Jahr 2023 25 Prozent mehr in die Bundeswehr investieren, als es Ihre mittelfristige Finanzplanung vorsah. Der Kollege Ingo Gädechens nennt das ein Desaster. Ja, Sie haben in den Haushaltsberatungen eine Menge toller Anträge mit Ausgabensteigerungen gestellt, aber keinen einzigen mit einer Finanzierung unterfüttert. ({8}) Als wir noch in der Opposition waren, haben wir wenigstens seriös jeden Antrag gegenfinanziert. Sie gehen heute nach dem Prinzip Weihnachtsmann vor: ({9}) Man hofft, dass der Weihnachtsmann mit den Geldbeuteln vorbeikommt. Das ist aber inflationsfördernd; denn das erhöht die Geldmenge. Liebe Freunde, unsere Fortschrittskoalition macht endlich Ernst mit der Vollausstattung unserer Bundeswehr. Das gebietet auch der Respekt vor unseren Soldatinnen und Soldaten, bei denen ich mich heute ganz besonders für ihren Einsatz bedanken möchte. Vielen Dank. ({10})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort Florian Hahn. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauer! Bei diesem Tagesordnungspunkt natürlich auch: Liebe Soldatinnen und Soldaten! Friedrich Merz hat es heute bereits gesagt: Die Zeitenwenderede von Scholz am 27. Februar hat viele Erwartungen geweckt. Doch die Ampelkoalition ist sich treu geblieben und hat alle enttäuscht. Von den verheißungsvollen Reden bleiben am Ende, auch heute nach dieser Diskussion, viele Worte, aber wenig Taten. Mit Blick auf den Verteidigungshaushalt ist klar: Die Verteidigungsministerin hängt sich nicht rein, die Ampel liefert nicht, und Olaf Scholz ist wortbrüchig. ({0}) Der Bundeskanzler hat am 27. Februar an dieser Stelle versprochen, von jetzt an mehr als 2 Prozent des BIP für Verteidigung auszugeben. Am Ende sind mit dem jetzt vorgelegten Verteidigungsetat nur 1,6 Prozent herausgekommen, inklusive der Ausgaben aus dem Sondervermögen. ({1}) Herr Bundeskanzler, Sie haben Ihr Versprechen gebrochen. ({2}) Kanzler Scholz hat auf der Bundeswehrtagung am 16. September gegenüber den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr mit Blick auf die 2 Prozent folgendes Versprechen gegeben: Sie können damit planen. Sie können mich beim Wort nehmen. – Herr Bundeskanzler, Sie haben noch einmal Ihr Versprechen gebrochen. Wir müssen leider ganz nüchtern feststellen: Das Wort des Bundeskanzlers gegenüber unserer Bundeswehr ist offensichtlich nichts wert. Das ist respektlos gegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten und gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik Deutschland. Man fragt sich: Wie konnte das eigentlich passieren? ({3}) Hier haben sich offensichtlich die Kräfte in der Regierungskoalition durchgesetzt, die bereits in der Vergangenheit dafür verantwortlich waren, dass die Bundeswehr nicht die Mittel bekommen hat, die sie braucht. Damit meine ich unseren ehemaligen Koalitionspartner, nämlich Sie, die SPD. Die älteste Partei Deutschlands scheint nämlich an Altersdemenz zu leiden. ({4}) Es ist wirklich unverfroren, liebe Kollegen und liebe Frau Ministerin, dass Sie die Chuzpe haben, ausgerechnet uns, der Union, die Unterversorgung der Bundeswehr in die Schuhe zu schieben. ({5}) Sie waren es doch, die jedes neue Waffensystem – ich erinnere nur an die bewaffnungsfähige Drohne – ({6}) und jeden zusätzlichen Cent für die Bundeswehr in den letzten acht Jahren bekämpft haben. ({7}) Falls Sie das tatsächlich vergessen haben sollten, will ich Ihnen gern helfen. Ich habe hier einen Auszug von tagesschau.de vom April 2019; da geht es um die 2 Prozent. „Wir haben in Deutschland andere Sorgen als sinnlose Aufrüstung“ – SPD-Vizechef Ralf Stegner ließ keine Zweifel daran, was er von Berichten hielt, die CSU als möglicher Koalitionspartner wolle zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts … für Verteidigung ausgeben. Zweites Beispiel – Herr Kollege Wadephul hat es schon angesprochen –: Einen Tag vor der historischen Rede des Bundeskanzlers und zwei Tage nach Kriegsbeginn titelte die „Kölnische Rundschau“: „Mützenich will deutsche Militärausgaben nicht weiter erhöhen“. „Aber immer noch mehr Aufrüstung kann nicht die Antwort sein“, so wird er dort zitiert. Das dritte Beispiel, liebe Kolleginnen und Kollegen. In der letzten Legislatur hatten wir durchweg das Problem, dass in der mittelfristigen Finanzplanung – Herr Klein, Sie werden sich erinnern, weil Sie das nämlich in den Debatten immer richtigerweise angeprangert haben – keinerlei Aufwuchs widergespiegelt war. Damit konnten weder das BMVg noch die Industrie noch die Bündnispartner verlässlich planen. Verantwortlich dafür war einzig und allein der damalige Finanzminister Olaf Scholz, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({8}) Heute wurde an diesem Pult von den Mitgliedern der Ampelkoalition so viel Unsinn erzählt. Damit will ich hier einmal aufräumen. Lieber Herr Müller, ich schätze Sie normalerweise sehr, aber dass Sie sich hierhinstellen und behaupten, es sei doch bestellt worden: Das ist genau der Trugschluss. Es ist eben nichts aus dem Sondervermögen bestellt worden. ({9}) Der schwere Transporthubschrauber ist eben nicht bestellt worden, wie Sie es gerade hier behauptet haben. ({10}) Das ist tatsächlich die Wahrheit. Lieber Herr Klein, wenn Sie sagen: „Das ist ein super Haushalt; es geht aufwärts“, dann will ich eines feststellen: Im Bereich Beschaffung – das sind die Investitionen – hängt dieser Haushalt 2023 um 1,8 Milliarden Euro dem von 2022 hinterher. Es passiert eben viel zu wenig. Es geht nicht aufwärts mit der Ausrüstung und den Beschaffungen für unsere Bundeswehr. ({11}) Lieber Herr Schäfer von Bündnis 90/Die Grünen, es war schon sehr mutig, dass Sie hier das Thema Munition angesprochen haben. ({12}) Ich kann Ihnen Folgendes sagen: Der Generalinspekteur und die Ministerin haben beide Anfang dieses Jahres mit Blick auf die NATO-Verpflichtungen festgestellt – und das war vor dem Krieg –: Es fehlen uns 20 Milliarden Euro für die Munition. – Inzwischen ist der Krieg dazugekommen. Inzwischen haben wir tonnenweise Munition – richtigerweise – an die Ukraine abgegeben. Inzwischen ist klar: Die NATO hat neue Strategien festgelegt, die beinhalten, dass wir noch mehr Bedarf haben, allein schon für das Thema „Übung und Ausbildung“. Jetzt steht in diesem Haushalt 1 Milliarde Euro für Munition drin ({13}) – und das bei einem Bedarf von 20 Milliarden Euro. Da kann ich nur sagen: Wir brauchen mehr als 20 Jahre, um das tatsächlich zu beschaffen, was wir heute schon bräuchten. So sieht die Realität aus, und so sieht Ihr aktueller Haushalt tatsächlich aus. ({14}) Ich frage mich ganz ehrlich: Wo ist eigentlich der Respekt geblieben – der Respekt, den die SPD in ihrem Wahlkampf immer proklamiert hat? Dieser Haushalt ist kein Zeichen von Respekt gegenüber den Soldatinnen und Soldaten. Das ist kein Respekt gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, gegenüber den Wählern. Sie haben hier ein Versprechen abgegeben. Halten Sie sich gefälligst an dieses Versprechen: 2 Prozent dauerhaft für die Bundeswehr und 100 Milliarden Euro so schnell wie möglich ausgeben! ({15})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die SPD-Fraktion hat das Wort Kevin Leiser. ({0})

Kevin Leiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Wehrbeauftragte! Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Unsere sicherheitspolitische Lage ist geprägt von Desinformation, Cyberangriffen, dem Missbrauch von Energie als Waffe und der Gefährdung unserer Infrastruktur. Die Bundeswehr ist mehr denn je Teil öffentlicher Daseinsvorsorge. Die Stärkung einer Daseinsvorsorge ist eine ursozialdemokratische Aufgabe. Verteidigungspolitik ist also zu Recht sozialdemokratischer Markenkern. ({0}) Ich bin sehr dankbar, dass in diesen herausfordernden Zeiten Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in dieser Regierung die innere, äußere und soziale Sicherheit Deutschlands stärken. In den vergangenen Monaten konnten wir in unserer Fortschrittskoalition große Meilensteine zur Stärkung unserer Sicherheit verzeichnen. Die Ausgabe der persönlichen Ausrüstung unserer Soldatinnen und Soldaten läuft. Bis 2025 ist die Vollausstattung der Truppe mit Rucksäcken, Schutzwesten und Gefechtshelmen abgeschlossen. ({1}) Das haben unsere Soldatinnen und Soldaten mehr als verdient. ({2}) Verteidigungsministerin Lambrecht hat das Territoriale Führungskommando der Bundeswehr aufgestellt. Unsere Verteidigungsministerin und unser Bundeskanzler Olaf Scholz haben bereits 15 Staaten aus West- und Osteuropa für ein europäisches Luftverteidigungssystem zusammengeführt. Die Tornado-Nachfolge und die Beschaffung des schweren Transporthubschraubers ({3}) sind geklärt. Bundeskanzler Scholz und Verteidigungsministerin Lambrecht konnten nun auch große Fortschritte bei FCAS, dem europäischen Kampfflugzeug der nächsten Generation, verzeichnen. ({4}) Was für eine hervorragende Bilanz! ({5}) CDU/CSU versuchen, diese Erfolge kleinzureden. Sie meinen, wir würden zu wenig für die Beschaffung von Munition tun. ({6}) Abgesehen davon, dass wir angesichts knapper Produktionskapazitäten und begrenzter Lagermöglichkeiten nicht einfach auf den Bestellbutton klicken können: Wir arbeiten an Lösungen. ({7}) Herr Hahn, ich helfe Ihrer Erinnerung gern auf die Sprünge, und zwar mit einem Rückblick in das Jahr 2011. Vor knapp elf Jahren hat der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold – damals Opposition – die CDU/CSU-geführte Regierung davor gewarnt, die Bundeswehr kaputtzusparen. ({8}) 2011 hielt er hier an diesem Pult eine Rede, aus der ich gern zitieren möchte: Diese Finanzpolitik schlägt inzwischen auf die Einsätze durch. … Aber dafür, dass die Anzahl der Flugstunden der ohnehin wenigen Hubschrauber aufgrund des Geldes dramatisch beschnitten wird, ({9}) tragen Sie, Herr Minister, – de Maizière – die Verantwortung. Und jetzt halten Sie sich fest – Zitat –: Wenn in Afghanistan Munition fehlt …, dann ist dies Ihre Verantwortung. ({10}) Wissen Sie, wie damals die CDU/CSU reagiert hat? Da gab es Zwischenrufe, die lauteten – Zitat –: „Langweilig!“ – Wir haben Ihnen gesagt, was passieren kann, dass so wenig Munition da ist, und Sie antworteten: „Langweilig!“ Sie haben es einfach ignoriert. ({11}) Herr Arnold hat vor Jahren den Munitionsmangel beklagt. Danach folgten Jahre der Untätigkeit von CDU/CSU, ({12}) ohne Verantwortung, ohne Engagement, ohne Entscheidungen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, Ihr Gebaren ist leider unterirdisch und scheinheilig. ({13}) Nachdem das geklärt ist, wenden wir uns wieder der Zukunft zu. In den Dimensionen Cyber und Weltraum müssen wir uns besser aufstellen. Die Dimension Cyber hat für uns Priorität. Kollege Müller hat schon erwähnt: Wir werden 20 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen für Führungsfähigkeit, Funkgeräte, Serverkommunikationsmittel ausgeben. In der Dimension Cyber müssen wir uns organisatorisch besser aufstellen. Im Nationalen Cyber-Abwehrzentrum in Bonn arbeiten die Bundeswehr, mehrere Bundesbehörden und auch zwei Bundesländer daran, Informationen über Cyberangriffe zusammenzutragen. Wir benötigen aber eine Zentralstelle, die anderen Stellen Weisungen erteilen kann. Da bin ich sehr froh, dass Innenministerin Nancy Faeser sich genau dafür einsetzt. ({14}) Die Bundeswehr und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt betreiben gemeinsam das Weltraumoperationszentrum in Uedem. Hier hat sich die zivil-militärische Zusammenarbeit bewährt. Wir stellen Mittel bereit, um die Aufklärung von Weltraumobjekten und ihrer Bewegungen wesentlich zu verbessern. Deutschland hat das Potenzial, in der Dimension Weltraum als Anlehnpartner für unsere europäischen Verbündeten zu fungieren. Dieses Potenzial gilt es zu nutzen. Die Bundeswehr ist mehr denn je Teil öffentlicher Daseinsvorsorge. Eine gute Daseinsvorsorge ist eine ursozialdemokratische Aufgabe. Wir stärken in unserer Fortschrittskoalition die Sicherheit Deutschlands 2022, ({15}) 2023 und auch in den folgenden Jahren. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({16})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Sara Nanni. ({0})

Sara Nanni (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005164, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Wehrbeauftragte! Meine Damen und Herren! Am 3. Juni 2022 hat dieses Haus mit großer Mehrheit das Sondervermögen für die Bundeswehr beschlossen. Unter dem Eindruck des russischen Angriffs gegen die Ukraine hat man sich auch in der Bundesrepublik die Frage gestellt, ob wir für eine dauerhaft konfrontative Beziehung zu Russland militärisch gut genug aufgestellt sind. Diese Frage wurde mit Nein beantwortet. Ich sage es noch einmal deutlicher: Ein Angriff Russlands gegen die NATO – Gott bewahre uns davor – würde auch die Bundeswehr schnell an die Grenzen bringen, rein materiell. Das Sondervermögen für die Bundeswehr – ein historisch einmaliger Vorgang – soll das beheben. Es ist ein Vertrauensvorschuss für das BMVg, die Bundeswehr, die Rüstungsindustrie und auch für uns als Parlament. Die Bevölkerung vertraut darauf, dass das Sondervermögen so rasch wie möglich zu einer Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik führt. Im Großen und Ganzen, sage ich, zu Recht. Gemeinsam werden wir den Erwartungen gerecht, so gut es geht. Der Kanzler hat es heute Morgen angesprochen: Zaubern kann im BMVg niemand, und Zeitenwende ist kein Sprint. Aber bei einer Sache wundere ich mich doch sehr. ({0}) Ich meine nicht die Tatsache, dass die Vorhabenplanung noch einmal neugemacht werden musste, weil bei einer Inflation von 10 Prozent der Bundesrechnungshof zu Recht anmerkte, dass die ursprünglich veranschlagten Projekte über das Sondervermögen nicht zu 100 Prozent zu finanzieren sind. Da muss ich die Kritik der Opposition teilweise zurückweisen: Es ist kein Planungsfehler. Wahr ist, dass die Inflation auch vor diesem Bereich nicht haltmacht. Im Rahmen des Möglichen hat das Haus hier, wie ich finde, sachgerecht priorisiert und uns als Parlament auch umfassend informiert. Dafür vielen Dank. ({1}) Die Debatte darüber – das wurde schon mehrfach angesprochen –, wie das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr trotz der nötigen Verschiebung vollständig erreicht werden kann, müssen wir zu gegebener Zeit noch einmal führen. Klar ist auch: Geld allein wird die Fähigkeitslücken der Bundeswehr nicht schließen. Wir müssen es auch effizienter ausgeben, zum Beispiel durch gemeinsame Beschaffung mit anderen europäischen Ländern, und bei den Beschaffungen selbst priorisieren. Doch was brauchen wir, damit wir sofort die Kampfkraft für den Ernstfall verbessern? Schon im Frühjahr war klar, dass wir auch stark in Munition investieren müssen. Der Generalinspekteur Zorn sprach davon, dass bis 2031 rund 20 Milliarden Euro dafür zu veranschlagen wären. Mit den Abgaben an die Ukraine, die ich ausdrücklich befürworte, ist diese Herausforderung noch einmal gewachsen. Das war im ursprünglichen Haushaltsentwurf, der dem Parlament vorgelegt wurde, nicht sichtbar. Der Haushaltsausschuss hat deshalb dafür gesorgt, dass das BMVg in den nächsten Jahren eine ganze Milliarde mehr für die Beschaffung von Munition zur Verfügung hat. Doch die Defizite bei der Munition – der Kollege sprach es gerade schon an – sind nicht von gestern auf heute entstanden, sondern waren auch der Union wohlbekannt. Ich bin, sehr geehrter Kollege Wadephul, Herr Florian Hahn, schon auch etwas verwundert, mit welcher Chuzpe Sie sich jedes Mal wieder hier ans Pult stellen und so tun, als hätten Sie nichts damit zu tun. ({2}) Mit der Bundeswehrreform 2011 wurden zahlreiche Munitionsdepots und Materiallager der Bundeswehr geschlossen. Geplant hat das Vorhaben von Guttenberg, durchgeführt wurde es von de Maizière, nicht korrigiert von Frau von der Leyen und auch nicht von Frau Annegret Kramp-Karrenbauer. ({3}) – Das mag der Fall sein. ({4}) Dazu kann ich Ihnen eines sagen: Wenn Herr Hahn sich hierhinstellt und lamentiert, dass nie andere dafür gesprochen hätten, mehr Geld in die Bundeswehr zu investieren, muss ich schon fragen: Hat nicht auch die Union mit ihren Wahlkreisgeschenken – dieses Budget wurde teilweise quasi als eine Art Sondervermögen für Unionswahlkreise betrachtet – zu der Skepsis beigetragen, die einer Einigung auf pauschale Erhöhungen im Weg stand? ({5}) – Ja, jetzt wird es ernst; es ist schon die ganze Zeit ernst. Ich kann verstehen, dass Sie, Frau Ministerin, zu den genauen Beständen der Munition keine Auskunft geben wollen. Das würde ich auch nicht raten; das wäre viel zu riskant. ({6}) Aber wenn ich alleine die Liste dessen, was wir an Munition an die Ukraine abgegeben haben, neben die BMF-Vorlagen halte, die wir in diesem Jahr bekommen haben oder die schon angekündigt sind, dann ergibt sich eben doch eine Lücke in der Planung, insbesondere bei der Munition. ({7}) Es kommt jetzt auf Sie an, Frau Ministerin, und auf Ihr Haus, hier schnell nachzusteuern. Ich bin zuversichtlich, dass Ihnen der Haushalt dafür den nötigen Rahmen gewährt. ({8})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die FDP-Fraktion hat das Wort Nils Gründer. ({0})

Nils Gründer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005299, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Wehrbeauftragte! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Morgen sind es auf den Tag genau neun Monate – neun Monate, seitdem Putin seine Invasion der Ukraine begann, neun Monate, die auch von uns als Deutsche ein grundlegendes Umdenken fordern. Jetzt liegt es in der Verantwortung der Politik, unserer Verantwortung, diese Zeitenwende kontinuierlich in unseren Verteidigungsausgaben abzubilden und auf dem starken Start von 58 Milliarden Euro aufzubauen. ({0}) Nur mal als Erinnerung: Jede Fraktion dieses Hauses, ob Regierung, ob Opposition, jeder Einzelne von uns ist für unsere Soldatinnen und Soldaten mitverantwortlich. ({1}) Es freut mich, zu sehen, dass die Koalition mit dem Sondervermögen so schnell auf diese aktuelle Ausnahmesituation reagiert hat; ein längst notwendiger Schritt, durch welchen wir beispielsweise die geplante Vollausstattung unserer Truppe – also Schutzwesten, Gefechtshelme, Kampfbekleidung und Rucksäcke – von 2031 auf 2025 vorziehen konnten. Das ist ein Erfolg, der zeigt, dass die Investitionen dort ankommen, wo sie am nötigsten gebraucht werden. Das müssen Sie sich mal vorstellen: Unsere Soldatinnen und Soldaten leiden teilweise immer noch unter der absolut untragbaren Situation, dass sie ihre Ausstattung zum Teil aus privaten Mitteln finanzieren müssen. So gut unsere ersten Schritte auch waren, es müssen noch viele weitere folgen; denn der Verteidigungshaushalt ist bereits jetzt überstrapaziert. Das Sondervermögen fließt in die Ausrüstungsvorhaben. Das ist zwar notwendig, deckt aber nur einen Bruchteil der akuten Bedürfnisse der Bundeswehr. So führt die Beschaffung zusätzlicher Munition zwangsläufig zu einer notwendigen Ausweitung der Munitionslager. Mehr Panzer bedeuten mehr Wartung und mehr ausgebildetes Personal. Unser festes Ziel muss daher die Aufstockung des Verteidigungshaushaltes bleiben, um endlich und tatsächlich das 2‑Prozent-Ziel zu erreichen ({2}) und auch nach dem Sondervermögen einen nachhaltigen Betrieb der Bundeswehr zu garantieren. Dazu kommt unsere Verpflichtung, ein Fünftel unseres Verteidigungsbudgets in Großbeschaffungen, Entwicklung und Forschung zu investieren. Das ist nur möglich, wenn nach Personal- und Instandhaltungskosten auch noch genug Geld für diese Investitionen übrig bleibt. Ich glaube, uns allen hier ist mittlerweile bewusst, dass Sicherheit und Frieden einen Preis haben. Mir ist wichtig, heute herauszustellen, dass es unsere Aufgabe ist, durch weitere Investitionen ebendiese Sicherheit und ebendiesen Frieden und deren Garanten, unsere Bundeswehr, zu sichern. Unsere Koalition hat in dieser Sache einen starken Start hingelegt. Das ist aber erst der Anfang. Vielen Dank. ({3})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der nächste Redner in der Debatte ist Henning Otte für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um es einmal vorwegzusagen: Dieser Haushaltsentwurf wird den sicherheitspolitischen Ansprüchen nicht gerecht; denn von den 100 Milliarden Euro ist bisher nichts umgesetzt worden. Der Einzelplan 14 wird sogar abgesenkt und für die nächsten Jahre auf diesem Niveau eingefroren. Meine Damen und Herren, verantwortungsvolle Sicherheitspolitik sieht anders aus. ({0}) Die militärischen Beschaffungen sind von fast 10 Milliarden auf unter 8 Milliarden Euro abgesenkt worden. Investitionen in Forschung und Entwicklung sind gesenkt worden. Dabei ist es doch offenkundig, dass wir in Technologien investieren müssten, wie beispielsweise Responsive Space oder auch Hyperschall, um an der Spitze der Technologie zu stehen und auch um etwas mehr in die Waagschale unserer NATO einbringen zu können. Diese haushaltspolitische Vorgehensweise unter Berücksichtigung einer starken Inflation, eines gestiegenen Wechselkurses macht deutlich: Es wäre viel mehr Eile geboten. Es wäre Entscheidungsfreude geboten. Nichts davon, sehr geehrte Frau Ministerin, können wir feststellen. Wir können diesem Haushalt so nicht zustimmen. ({1}) Stattdessen versuchen Sie hier, wie in einem Ampelchor Platzhalter zu setzen, Dinge in Aussicht zu stellen, zu suggerieren, Sie würden längst Entscheidungen getroffen haben, die allesamt nicht stimmen. Gemessen an dem, was am 27. Februar von dieser Stelle aus vom Bundeskanzler gesagt worden ist, können wir sagen: Nichts davon wird umgesetzt. Entweder die Regierungskoalition folgt dem Bundeskanzler nicht, oder der Bundeskanzler kann sich nicht durchsetzen, oder die Bundesregierung und die Regierungskoalition, beide scheitern an den eigenen Ansprüchen und nehmen die sicherheitspolitische Rolle nicht wahr, meine Damen und Herren. ({2}) Wir nehmen die Diskussion als CDU/CSU gerne auf. Wir stellen uns der Verantwortung; denn als Opposition haben wir der Grundgesetzänderung für das 100-Milliarden-Euro-Programm zugestimmt. Als Regierungspartei haben wir deutlich gemacht, dass wir nach der Annexion der Krim mehr finanzielle Mittel brauchen. Wir haben es in den letzten vier Jahren geschafft, den Haushalt um 30 Prozent zu erhöhen. Aber wer stand denn damals für mehr auf der Bremse? Es ist der heutige Bundeskanzler und der damalige Finanzminister Scholz, meine Damen und Herren. Das müssen Sie sich einfach anhören. Machen Sie doch einfach Ihre Regierungspolitik, und hören Sie auf, immer darauf zu verweisen, was alles hätte besser werden müssen. ({3}) Sie sind jetzt die Ampel; Sie müssen regieren. Da versagen Sie auf ganzer Linie. ({4}) – Da wurde doch vorhin der Kollege Arnold zitiert. Er hätte mehr Munition gefordert. Aber im Nachhinein immer gegen die Erhöhung des Haushaltes sein. Oder jetzt stellt sich Herr Leiser hin und sagt: Man müsste doch viel mehr Munition ausgeben. Aber das Geld stellen Sie doch gar nicht zur Verfügung. Wenn jetzt auch noch festgestellt worden ist, dass die Grünen hier auf die Munition verweisen – sie waren ja nie Freundinnen und Freunde der Bundeswehr – und die FDP, Inhaber des Finanzressorts und den Vorsitz des Verteidigungsausschusses stellend, diesem allen zustimmt, dann kann man sagen: Das ist ein Verrat an den Interessen der Bundeswehr. Das ist ein Wortbruch der Bundesregierung. Das ist ein Versäumnis in der Sicherheitspolitik Deutschlands. Das ist ein Offenbarungseid der neuen Bundesregierung. Die Ampel steht sicherheitspolitisch komplett auf Störung. ({5}) Dabei bräuchten wir viel mehr europapolitische Initiativen. Wir bräuchten ein gemeinsames Rüstungsexportprogramm. Wir bräuchten Beschaffungsvorgänge. Wir müssten viel mehr deutlich machen, dass wir zu unseren Partnern stehen, auch zu Frankreich, aber auch, dass wir Polen und Ungarn motivieren, mitzugehen. Die Verteidigungspolitik, das ist der Kitt in Europa. Hier müsste viel mehr erwartet werden, meine Damen und Herren. Auch hier: Fehlanzeige. Wir als Union haben immer gesagt: Die europäische Säule muss gestärkt werden, komplementär zur NATO. Deswegen bleiben wir dabei: Wir haben konstruktive Politik gemacht.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie zum Ende.

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir stehen nach wie vor mit dem ganzen Herzen für unsere Bundeswehr und für Frieden und Freiheit in Deutschland und in Europa. Deswegen müssen wir diesen Haushalt der Ampel ablehnen, meine Damen und Herren. Er wird der Lage leider nicht gerecht. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Die letzte Rednerin in dieser Einzelplan‑14-Debatte ist die Kollegin Marja-Liisa Völlers von der SPD-Fraktion. ({0})

Marja Liisa Völlers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004942, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Ministerin! Liebe Frau Wehrbeauftragte! Meine Damen und Herren! Ich glaube, ich nehme uns jetzt wieder in die Realität zurück. ({0}) Es wurde deutlich, dass die Kollegen in der Union irgendwie noch ihre Vergangenheitsbewältigung betreiben und einfach noch nicht ganz verstanden haben, dass auch sie einen Beitrag dazu geleistet haben, dass wir uns in der Situation befinden, in der wir gerade sind. Nun geht es darum, das in Zukunft besser zu machen, und daran wird die Ampel gemeinsam arbeiten. ({1}) Vergangenes Wochenende war ich mit Kolleginnen und Kollegen hier aus dem Haus bei der Parlamentarischen Versammlung der NATO – kurz NATO-PV – in Madrid zur Jahrestagung. Natürlich war auch dort der Krieg in der Ukraine ein wichtiges Thema. Wir alle, alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier der NATO-PV, sind uns einig, dass wir geschlossen hinter der Ukraine stehen. Wir verurteilen den Angriffskrieg Putins aufs Schärfste. In einem anschließenden Gespräch mit der ukrainischen Delegation ist sehr deutlich geworden, wie wichtig auch die Unterstützung Deutschlands für die Ukraine in ihrem Verteidigungskampf gegen Russland ist. Unsere Unterstützung wird gebraucht. Sie sind sehr dankbar für unsere Unterstützung, auch wenn das bei uns natürlich in den Beständen auch Lücken reißt. Danke noch mal an die Ministerin, an das Haus und an die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die diese Unterstützung an dieser Stelle erst ermöglichen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Madrid wurde auch gefragt, was es denn mit der deutschen Zeitenwende auf sich habe und welches die neue Rolle Deutschlands sei. Unser Bundeskanzler hat bereits mehrfach betont: Deutschland ist bereit, auch international mehr Verantwortung für die Sicherheit und für den Frieden auf unserem Kontinent zu übernehmen. Dazu gehört ganz essenziell, dass die Bundeswehr wieder zum Grundpfeiler der konventionellen Verteidigung hier in Europa werden muss. Das geht nur mit einer gut aufgestellten und mit einer gut ausgerüsteten Bundeswehr. Liebe Kolleginnen und Kollegen, falls Sie irgendwie nicht richtig zugehört haben sollten: Der Kanzler hat heute in der Debatte noch mal deutlich gemacht, dass er zu der Erreichung des 2‑Prozent-Ziels steht. Das steht auch im Gesetz für das Sondervermögen. Wir arbeiten daran, und ich bin sehr, sehr zuversichtlich, dass wir das gemeinsam mit dem Haushalt, aber insbesondere auch mit den 100 Milliarden Euro Sondervermögen über den von uns gewählten Zeitraum erreichen werden. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Einzelplan 14 für 2023, den wir hier debattieren, umfasst Ausgaben in Höhe von 50,1 Milliarden Euro. Zusätzlich müssen wir das betrachten, was wir aus dem Sondervermögen im nächsten Jahr auszugeben planen. Das sind noch einmal 8,4 Milliarden Euro im Mittelabfluss. Ich glaube, das ist ein guter erster Schritt in die richtige Richtung zu unserem Ziel, diese 2 Prozent auch miteinander zu erreichen. Wir haben heute schon viel über das Thema Munition gesprochen. Ich will das gar nicht vertiefen, weil irgendwann auch alles gesagt ist. Ich möchte noch auf einen Punkt hinweisen. Herr Kollege Leiser hat Sie ins Jahr 2011 mitgenommen. Ich nehme Sie mit ins Jahr 2015, also ein Jahr nach der Annexion der Krim. Da waren es dann 256 Millionen Euro für Munition im Haushalt. Dieses Jahr sind wir bei 1,1 Milliarden Euro. Das heißt, das ist eine substanzielle Steigerung in diesem Feld. Ich weiß, dass viele Kolleginnen und Kollegen, insbesondere der Kollege Andreas Schwarz, auch in der GroKo sehr dafür gestritten haben, diesen Titelansatz zu erhöhen. Da passt das dann mit der Erzählung irgendwie nicht, die böse Sozialdemokratie habe das verhindert. ({4}) Was machen wir eigentlich noch in unserem Haushalt? Ich glaube, es ist ein gutes Zeichen, mehr Mittel für die Materialerhaltung auszugeben und etwas zu tun, was auch schon einige Kollegen erwähnt haben, was ich auch persönlich sehr wichtig finde: die Länder in die Verantwortung zu nehmen, bei Bauarbeiten jetzt endlich ein bisschen schneller zu werden. Wir brauchen Kapazitäten für die Unterkünfte für die Soldatinnen und Soldaten; das ist unheimlich wichtig. Da bekommen alle immer wieder Zuschriften. ({5}) Ich danke Ihnen stellvertretend für alle Kameradinnen und Kameraden für den Einsatz, den Sie für unser Land, für die Menschen in unserem Land und darüber hinaus leisten. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluss dieser Debatte geht natürlich der Dank auch an alle Ampelhaushälterinnen und ‑haushälter sowie die Mitarbeitenden, die in den letzten Wochen einen sehr harten Job hatten und viel gearbeitet haben. Ich glaube, dass ein Bereich, den wir nur kurz gestreift haben, noch zu betonen ist, nämlich die Verdoppelung des Handgelds für die Kommandeurinnen und Kommandeure. Das ist ein großer Schluck aus der Pulle. In vielen Gesprächen mit Kommandeuren hört man, dass das durchaus sinnvoll ist und dass sie sich an dieser Stelle gut aufgehoben und von uns unterstützt fühlen. Von daher: Das sollten wir weitermachen und gemeinsam die Zukunft für die Bundeswehr gestalten. Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich glaube, die Zeitenwende hat die allermeisten hier in diesem Haus erreicht. Ich lade alle Demokratinnen und Demokraten ein, diese auch konstruktiv zu gestalten. Sich nur und ewig in Oppositionsrhetorik zu verlieren, hilft uns allen nicht weiter, wird auch den Ansprüchen der Soldatinnen und Soldaten und der zivilen Beschäftigten nicht gerecht. In diesem Sinne bitte ich Sie, auch für unsere Soldatinnen und Soldaten, dem Haushalt, wie er vorliegt, zuzustimmen. Das Sondervermögen wird seine Wirkung in den kommenden Jahren entfalten. Herzlichen Dank. ({7})

Carsten Körber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004332, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vorletzte Woche fand die Bereinigungssitzung statt. Übermorgen wird die Ampel voraussichtlich den Bundeshaushalt für das nächste Jahr beschließen. So weit, so gut. Aber beschließt die Ampel nach einer historisch langen Bereinigungssitzung denn auch einen historisch guten Haushalt? ({0}) Nein, das glaube ich nicht. Angesichts der Vielzahl an Herausforderungen wie natürlich dem Ukrainekrieg und der Ernährungskatastrophe war der Regierungsentwurf zum BMZ mit einem Abwuchs von alles in allem 17 Prozent eine einzige Katastrophe. Wieder hat sich gezeigt, dass das BMZ und Ministerin Schulze schlecht verhandelt haben. Immerhin – und das rettet diesen Etat – hat die Ampel kurz vor knapp in der Bereinigungssitzung noch eine dringend benötigte Milliarde on top gesetzt. Das ist gut, aber das ist nicht so gut, wie es klingt. Aus der globalen Krisenvorsorge von 5 Milliarden Euro im Einzelplan 60 hatte das Auswärtige Amt einen Mehrbedarf von 1,5 Milliarden Euro und das BMZ 3,3 Milliarden Euro beantragt. Am Ende des Tages bekommen beide Häuser jeweils 1 Milliarde Euro. Dabei ist der Etat des Auswärtigen Amtes ungefähr nur halb so groß wie der des BMZ. Merken Sie was? ({1}) Das zeigt leider den Stellenwert, den das BMZ allen Beteuerungen zum Trotz in der Koalition, beim Kanzler und beim Finanzminister genießt. In den Beratungen hat die Bundesregierung leider wieder eine ungute Rolle gespielt. ({2}) Wir alle kennen das Spiel – das Spiel ist alt, aber es ist jedes Mal lästig –: Die Regierung hat im Regierungsentwurf in den Titeln gekürzt, von denen sie genau weiß, dass die Haushälter der Koalition das gar nicht so stehen lassen können. Sie kürzt in den Titeln, in denen es ganz offensichtlich nicht verantwortbar ist. Das ist unredlich, das ist unseriös, und das ist, wie ich finde, auch einfach überflüssig. ({3}) Zugleich aber ist die Ampel großartig im Geldausgeben. Jeder Koalitionspartner bekommt einfach das, was er möchte. Die Ampel weigert sich ganz offensichtlich, den Haushalt zu konsolidieren. Sie kann oder will die Kraft nicht dazu aufbringen, bestimmte Aufgaben zu priorisieren und andere Aufgaben zwangsläufig zu posteriorisieren. Das ist ambitionslos und mit Blick auf die nächste Generation einfach nur traurig. Aber – und so ehrlich will ich sein – es gibt auch Positives zu vermelden. So konnte sich die Ampel dazu durchringen, die Mittel für UNIDO, die UN-Organisation für industrielle Entwicklung, zu stärken. Deren Generaldirektor ist ja bekanntlich unser ehemaliger Minister im BMZ, Gerd Müller. Ob diese Tatsache der Grund dafür war, ihm beim letzten Haushalt die Unterstützung zu verweigern, obwohl er der einzige Deutsche an der Spitze einer UN-Organisation ist, ({4}) weiß ich schlicht und ergreifend nicht. ({5}) Jedenfalls hat er sich schon seit seinem Amtsantritt eines zum Ziel gesetzt, nämlich den chinesischen Einfluss in dieser Organisation zurückzudrängen, und ich finde, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist doch aller Unterstützung wert. ({6}) Lassen Sie mich noch auf die Reise der Berichterstatterinnen und Berichterstatter für den Einzelplan 23 von Ende Oktober zu sprechen kommen. Wir sind gemeinsam in die Republik Moldau, in die Ukraine und nach Polen gereist. Die Gespräche, die wir in Chisinau und Lemberg geführt haben – ich erlaube mir jetzt mal, für alle Kollegen, die dabei waren, zu sprechen –, haben wohl niemanden von uns kaltgelassen. Die Republik Moldau hat in Europa die höchste Flüchtlingsquote, nunmehr eine Inflation von 35 Prozent, und seit Anfang des Jahres haben sich die Gaspreise versiebenfacht. Seit gut einem Jahr regiert dort die erste proeuropäische Regierung seit der Unabhängigkeit 1991, und das mit absoluter Mehrheit. ({7}) Genau seit einem guten Jahr plant Moskau den Umsturz in der Republik Moldau. Das dürfen wir als Europäer nicht zulassen. ({8}) Ganz besonders beeindruckend, aber auch bedrückend war unser Besuch im westukrainischen Lemberg. Während unseres Aufenthaltes dort gab es allein viermal Luftalarm. Ich habe dort eine absolut faszinierende Beobachtung gemacht: Ich hatte das Gefühl, dass mit jedem Luftalarm die Entschlossenheit der Ukrainerinnen und Ukrainer, diesen Krieg gegen Putin zu gewinnen, wächst. Anschließend sprachen wir mit dem Bürgermeister Lembergs. Er berichtete uns über die gezielten russischen Luftangriffe auf die zivile Infrastruktur und die daraus resultierenden Energieprobleme. Er berichtete uns zudem vom Aufbau einer Prothesenwerkstatt, in der Prothesen für die leider viel zu zahlreichen Kriegsverletzten hergestellt werden sollen. Das fand ich einen ganz tollen Vorgang. Noch vor Ort einigten wir uns als Berichterstatter überfraktionell darauf, den Aufbau der Prothesenwerkstatt und die Lieferung von 1 000 Stromgeneratoren für die Region Lemberg mit insgesamt 22 Millionen Euro zu unterstützen. ({9}) Diese Entscheidung war ein direktes Ergebnis unserer Gespräche vor Ort. Die ehrliche Freude und Dankbarkeit, die uns nach diesem Beschluss aus Lemberg erreicht haben, haben mich nicht nur sehr gefreut, sondern sie haben mich auch sehr berührt. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie das oft abstrakte Tun von uns Haushältern manchmal auch eine schnelle und konkrete Hilfe vor Ort bedeuten kann. Ich bedanke mich beim BMZ und bei meinen Kolleginnen und Kollegen Mitberichterstattern für die gute und konstruktive Zusammenarbeit. Herzlichen Dank. ({10})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die SPD-Fraktion hat das Wort Bettina Hagedorn. ({0})

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Damit ich meine Rede jetzt nicht abrupt mit dem allgemeinen Haushalt beginne, will ich bei dir, lieber Carsten Körber, nämlich bei unserer gemeinsamen Reise nach Moldau, in die Ukraine und nach Polen, anschließen. Ich möchte mich vor allen Dingen bei unserer Delegationsleiterin Claudia Raffelhüschen bedanken, mit der zusammen wir – insgesamt fünf Abgeordnete von fünf demokratischen Parteien; Victor Perli war ja auch dabei – dorthin gefahren sind. Es war ein gutes Zeichen. Wir waren der erste Ausschuss des Deutschen Bundestages, der als solcher in der Ukraine war. Das ist von den Bürgermeistern positiv aufgenommen worden. Es war ja nicht nur der Bürgermeister von Lemberg, der uns in seinem Rathaus empfangen hat, sondern es waren auch Bürgermeister von Städten in der Ostukraine, aus den russisch besetzten Gebieten dabei, die im Moment nicht in ihren Rathäusern arbeiten können und das von Lemberg aus tun. Es hat uns zutiefst beeindruckt, mit welchem Mut, mit welcher Entschlossenheit, mit welchem Optimismus und welcher Zuversicht sie trotz der widrigen Umstände, die dort herrschen, in diesen Winter gehen. Wir haben aber auch sehr gut zugehört, was sie uns zu sagen hatten. Das Ergebnis waren 22 Millionen Euro in der Bereinigungssitzung für 1 000 Dieselgeneratoren, weil die Energieversorgung angesichts der Anschläge auf die Umspannwerke natürlich die größte Sorge ist, und zwar nicht nur in Lemberg, sondern in allen Kommunen. Die 1 000 Dieselgeneratoren werden sicherlich nicht alle in Lemberg landen, ({0}) sondern solidarisch dorthin verteilt, wo sie am meisten benötigt werden. Es ist aber nicht nur entscheidend, ob es in diesem Winter Wärme und Strom geben wird, sondern auch, ob es fließend Wasser geben wird. Wir haben in Lemberg auch mit vielen Flüchtlingen gesprochen. Besonders beeindruckt – das will ich auch noch kurz erzählen – hat uns der Besuch von über 200 Frauen und Kindern, die in der VIP-Lounge des dortigen Fußballstadions von Schachtar Donezk untergebracht sind. Das ist deren Fußballstadion, nachdem der Verein aus Donezk vertrieben worden ist. Dieser Fußballverein und sein Fanklub betreuen dort seit vielen Monaten alleine, ohne Unterstützung von außen, über 200 Frauen und Kinder. UNICEF betreut die Kinder im unteren Teil des Fußballstadions. ({1}) Wenn man sich das angeschaut hat, war man beeindruckt, wie die über 200 Frauen und Kinder dort leben, die alle aus den russisch besetzten Gebieten geflohen sind, die schwerste Traumata erlitten haben und die uns in unseren Gesprächen trotzdem mit tiefster Inbrunst und Überzeugung gesagt haben, dass sie nicht fliehen, sondern dableiben wollen. Sie können sich dort mit den anderen über ihre traumatischen Erlebnisse austauschen. Wenn man keine psychologische Betreuung hat – und die haben sie weder dort noch sonst wo, denn so viele Psychiater, wie all die traumatisierten Menschen bräuchten, gibt es überhaupt nicht –, dann ist das Reden mit Menschen, die das Gleiche erlebt und erlitten haben wie man selber, das Wichtigste. Die Kinder – davon konnten wir uns überzeugen – waren genauso fröhlich wie die in einem Kindergarten in Deutschland. Die Kinder und Jugendlichen wurden dort schulisch betreut. Die IT‑Versorgung ist dort teilweise besser und die Menschen sind professioneller als bei uns. Es hat tiefsten Eindruck bei uns hinterlassen, was ein Fußballverein auf eigene Initiative zu leisten imstande ist und mit welcher Dankbarkeit die Frauen und die Kinder darauf reagieren. Ich will es hier kurz erwähnen: Es gab keine Betten. Da lag Matratze an Matratze auf dem Fußboden, und dazwischen stand immer ein Stuhl – ein Stuhl! – für die Garderobe und die Habseligkeiten desjenigen, der auf der Matratze nächtigt. So sind sie dort teilweise schon seit Monaten untergebracht. Obwohl sie, wenn man mit ihnen über die Telefonate mit ihren Männern an der Front sprach, natürlich in Tränen ausbrachen, sind uns in diesen Gesprächen eine unglaubliche Stärke, eine Zuversicht und der feste Wille entgegengekommen, dort zu bleiben, auf die Männer zu warten und sich auch um die in den besetzten russischen Gebieten verbliebenen älteren Angehörigen zu kümmern und mit denen täglich zu sprechen. Mit diesen Eindrücken sind wir von der Reise nach Hause gekommen, haben zuvor eine unglaubliche Hilfsbereitschaft in Moldau erlebt. Carsten Körber, du hast über die wirtschaftliche Situation in Moldau berichtet. Wenn ich höre, wie Sie, Herr Espendiller, ({2}) vorhin beim Einzelplan 05 für die AfD über Moldau gesprochen haben, dann muss ich sagen, es wäre vielleicht doch für Ihren Horizont besser gewesen, mitzukommen. Sie waren ja auch für diesen Bereich Berichterstatter. Da hätten Sie vielleicht noch was lernen können. Aber sei’s drum! Wir jedenfalls haben die Erfahrung mitgenommen, dass die Bereitschaft der Leute in Moldau, auch der Leute in Südpolen unglaublich groß ist, mit den Flüchtlingen alles zu teilen und sie mit offenen Herzen aufzunehmen. ({3}) Das hat uns schon auch demütig gemacht. ({4}) Zusammenhalt in der Zeitenwende – das ist so ein bisschen die Überschrift über dieser zweiten und dritten Lesung unseres Bundeshaushaltes. Der Begriff „Zeitenwende“ wurde oft in den Mund genommen, wenn es zum Beispiel um das Militär ging; aber er muss auf jeden Fall für jeden Haushalt dekliniert werden, so auch ganz bestimmt für diesen Haushalt wie für den des Auswärtigen Amtes. Weil der Bezug zur ersten Lesung schon hergestellt worden ist: Ich habe ja schon in der ersten Lesung versucht, zu erläutern – zum Beispiel auch Herrn Ziemiak –, dass man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen darf, dass man immer nur einen fertigen Haushalt mit einem fertigen Haushalt, ein Ist mit einem Ist vergleichen darf. Einen Regierungsentwurf darf man immer nur mit einem Regierungsentwurf vergleichen. Und wenn das so ist, dann ist es natürlich nicht überraschend – denn wir haben es hier im September angekündigt –, dass dieser Haushalt jetzt um 1 Milliarde Euro gewachsen ist. Ich sage Ihnen: Das ist nicht das Ende der Fahnenstange. ({5}) Denn es sind im Einzelplan 60 ja 5 Milliarden Euro für Krisenvorsorge eingestellt gewesen, und wir haben davon jetzt zu Recht 2 Milliarden Euro in der Bereinigungssitzung aufgelöst: 1 Milliarde Euro für humanitäre Hilfe beim Auswärtigen Amt, 1 Milliarde Euro im Bereich des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Aber es ist eine Vorsorge, und wir sehen, dass unsere Regierung im Moment auf sehr vielen internationalen Konferenzen leider Flagge zeigen muss, was die internationale Rolle Deutschlands abseits des Militärischen ist und wie wir unserer Rolle dort gerecht werden wollen. Und das werden wir. Während der G‑7-Präsidentschaft – Olaf Scholz hat darauf heute hingewiesen – haben wir sehr wohl die Initiative übernommen und unter unseren G-7-Partnern dafür geworben, gemeinsam mehr zu tun. Ich will daran erinnern, dass unsere Ministerin Svenja Schulze schon im Mai im Rahmen der G‑7-Präsidentschaft die Initiative für ein Bündnis für globale Ernährungssicherheit ergriffen hat, und all dem folgen Taten. Wir haben die COP gerade hinter uns gebracht. Sie hätte erfolgreicher sein dürfen, wenn es nach uns allen gegangen wäre – aber step by step! Auch in den nächsten zwölf Monaten müssen und wollen wir überall Flagge zeigen und bei der Bewältigung der großen Krisen zum Wohle der Menschen überall vorangehen. ({6}) Wir haben am 10. November nicht nur 1 Milliarde Euro für den Haushalt 2023 on top beschlossen und sind jetzt bei über 12 Milliarden Euro für den Gesamtetat. Wir haben am gleichen Tag – das wird manchmal vergessen – auch die Bereitstellung von fast 1 Milliarde Euro beschlossen, die nämlich unser Koalitionsausschuss Anfang September vereinbart hatte, um die Ernährungssicherheit weltweit zu gewährleisten. Das ist noch für 2022 beschlossen worden. Wir haben am Tag der Bereinigungssitzung 495 Millionen Euro für das BMZ beschlossen. Davon gehen 275 Millionen Euro in die Sonderinitiative, die bisher „Eine Welt ohne Hunger“ hieß und jetzt „Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme“ heißt. 275 Millionen Euro plus! Wir stellen zusätzlich 170 Millionen Euro für die Krisenbewältigung, den Wiederaufbau und die Infrastruktur und 50 Millionen Euro für das World Food Programme bereit. Das addiert sich dann noch mit Summen, die an anderer Stelle parallel beschlossen wurden. Auch wenn wir das für 2022 beschlossen haben und Sie das im Haushalt 2023 nicht finden werden, so ist doch klar: Das kann von der Regierung erst nach dem Beschluss des Parlaments über den Haushalt ausgegeben werden und entfaltet dann natürlich 2023 seine gute Wirkung weltweit und unterstützt diesen Etat insofern im nächsten Jahr. Übrigens – das nur nachrichtlich –: 495 Millionen Euro gehen an das Auswärtige Amt für humanitäre Hilfe im Ausland.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte meine Rede damit schließen, dass ich an Willy Brandt erinnere, der vor 45 Jahren in Genf gesagt hat: „ Die reichen Nationen werden nicht reich bleiben, wenn die Armenhäuser der Menschheit wachsen.“ Was für ein weiser Spruch vor so langer Zeit! In diesem Sinne wünsche ich uns allen gute Beratungen. Stimmen Sie bitte zu. Das können Sie von Herzen gerne tun. Wohlauf! ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die AfD-Fraktion hat das Wort Dr. Michael Espendiller. ({0})

Dr. Michael Espendiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004711, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und bei Youtube! Der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wird 2023 Ausgaben in Höhe von 12,2 Milliarden Euro umfassen. Aber der Name dieses Ministeriums alleine ist schon ein Etikettenschwindel. Deutschland hat sich vor Jahren von einer richtigen wirtschaftlichen Zusammenarbeit verabschiedet. Stattdessen ist mittlerweile der Fokus des BMZ auf Direktzahlungen und Zahlungen an internationale Organisationen gerichtet. Das ist so ziemlich das Gegenteil von klug; denn wir hätten in Deutschland ganz andere Potenziale. Deutschland hat ein Wirtschaftsmodell, das zu großen Teilen auf dem Export von hochwertigen Maschinen, Fahrzeugen und Chemieprodukten basiert. Das ist eigentlich eine sehr gute Ausgangsbasis für die Zusammenarbeit mit Ländern, die selbst wachsen und wirtschaftlich unabhängig sein wollen. Es wäre doch sehr leicht, bei dem Aufbau einer nachhaltigen Forstwirtschaft in Uganda vertraglich festzuziehen, dass deutsche Fahrzeugbauer die Maschinen dafür liefern. So kann man den Regenwald retten und gleichzeitig deutsche Interessen vertreten. Derlei Gedanken findet man im BMZ aber seit Langem nicht mehr. Der Abstieg der deutschen Wirtschaft im internationalen Vergleich ist von der Politik der Altparteien selbst verschuldet, und er wurde mitverursacht von der falschen Schwerpunktsetzung dieses Ministeriums. ({0}) Die Haushaltsberatungen haben uns in dieser Überzeugung noch weiter gestärkt. Deswegen kürzen wir den Etat des BMZ auch in erheblichem Umfang, und zwar bei den Zuschüssen. Wir haben Streichungen in Höhe von 5,9 Milliarden Euro beantragt, außerdem weitreichende Umschichtungen. Denn das Geld wird im BMZ faktisch verbrannt, also muss man es ihm entziehen. ({1}) Unser Ziel ist es, Deutschland durch seine wirtschaftlichen Spitzenleistungen zu einem wertvollen Partner in einer multipolaren Welt zu machen, um mit anderen Ländern auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten, zum beiderseitigen Vorteil. So können wir den Wohlstand in Deutschland erhalten und gleichzeitig andere Länder bei ihrem Wirtschaftsaufbau unterstützen. Doch in der Regierung hört man jetzt immer wieder: Überall, wo Deutschland rausgeht, geht China rein. – An diesem Satz zeigt sich das Missverständnis der deutschen Bundesregierung. China macht es nämlich ganz anders als diese Bundesregierung. China setzt auf wirtschaftliche Zusammenarbeit, auf Kredite und verzichtet auf das Verteilen von Almosen. Und bei aller Kritik an der Menschenrechtslage in China, die mehr als angebracht ist: Diese Art der interessengeleiteten Politik wird von internationalen Partnern geschätzt. China exportierte zum Beispiel im Jahr 2021 elektrische Maschinen, Apparate und Geräte mit einem Anteil am Gesamtexport des Landes von 15,7 Prozent; das entspricht ungefähr 529 Milliarden US-Dollar. ({2}) Ein Wechsel der Strategie und der Schwerpunktsetzung im BMZ ist also dringend nötig, Frau Ministerin. ({3}) Der zweite Aspekt in diesem Haushaltsplan ist die Entwicklungshilfe selber, also Zahlungen an Staaten oder internationale Programme. Entwicklungshilfe kann nämlich tatsächlich einen Beitrag dazu leisten, Staaten zu stabilisieren und so Terror oder Flüchtlingsbewegungen zu unterbinden. Es liegt also auch im deutschen Interesse, beispielsweise Zahlungen an das Welternährungsprogramm zu leisten, was auch meine Fraktion ausdrücklich unterstützt. Das verhindert, dass Millionen Menschen an Unterernährung sterben, aus ihrer Heimat gerissen werden und in andere Länder fliehen müssen. ({4}) Ein guter Haushälter muss sich aber naturgemäß fragen, Frau Hagedorn: Erfüllen denn alle Ausgaben und Programme des BMZ einen solchen sinnvollen Zweck? Und ist es überhaupt angebracht, dem deutschen Steuerzahler die notwendigen Euros dafür zu rauben? ({5}) Wie Sie unseren Kürzungsanträgen entnehmen können, lautet die Antwort: Nein. Das BMZ ist ein riesiges Ministerium mit ebenso riesigem Budget, das Tausende Programme weltweit unterhält oder sich an ihnen beteiligt. Ich möchte einfach mal einige Projekte nennen, die der deutsche Steuerzahler nun wirklich nicht finanzieren muss. Das BMZ finanziert zum Beispiel ein regionales Seniorenprogramm in Asien für schlappe 600 000 Euro. Das BMZ fördert die Yangon Film School, einen Verein zur Förderung junger burmesischer Film- und Videokünstler. Das BMZ fördert auch die Entwicklung der Hauskrankenpflege in Georgien mit 268 000 Euro. ({6}) Warum? Wieso? Weshalb? Keine Ahnung. Völlig unklar ist auch, wieso es Aufgabe des deutschen Steuerzahlers ist, die gute Arbeit entlang der Wertschöpfungskette mit 761 000 Euro zu fördern, was auch immer man mit dem Geld eigentlich macht. ({7}) Und es gehört definitiv nicht zu den Aufgaben des deutschen Steuerzahlers, mit 900 000 Euro die Gewerkschaften in Lateinamerika zu bezahlen. So zieht sich das durch den gesamten Einzelplan, und es kann einem wirklich übel werden, wenn man so liest, was mit dem Geld der Steuerzahler passiert. ({8}) – Frau Hagedorn, wenn Ihnen jetzt übel wird: Zur Entspannung kann ich Ihnen nur den sensorischen Garten in Georgien empfehlen, den der deutsche Steuerzahler mit 12 000 Euro finanziert hat; das Flugticket müssen Sie aber selber bezahlen. Zusammenfassend: Der Handlungsbedarf im BMZ ist immens, Besserung mit dieser Bundesregierung aber nicht in Sicht. Da wir uns dem deutschen Volk und Steuerzahler verpflichtet fühlen, lehnen wir diesen Etat ab. Frau Hagedorn, noch mal zu Ihrer Eingebung gerade: Was ich im Einzelplan 05 gefordert habe, waren bessere Kontrollen. Es ist ein Fakt, dass Deutschland Geld in korrupte Länder überweist. Und ja, wir wollen helfen, aber dann muss es auch kontrolliert werden. ({9})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss. Ihre Redezeit ist vorbei, Herr Dr. Espendiller.

Dr. Michael Espendiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004711, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Jetzt hat das Wort die Kollegin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Susanne Menge. ({0})

Susanne Menge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005149, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Allem voran ein großes Dankeschön an unsere Haushälter/-innen für das Meistern dieser schwierigen Haushaltsverhandlungen! Es ist gelungen, die noch im Regierungsentwurf geplanten Kürzungen erheblich abzumildern. Das ist wichtig; denn die Herausforderungen angesichts der großen globalen Krisen sind wirklich groß. Die Zielrichtung ist, in der internationalen Partnerschaftsarbeit trotz der angespannten Haushaltslage den weltweiten Krisen, Konflikten und Katastrophen auch begegnen zu können. Den Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung haben wir um rund 1 Milliarde Euro aus der Krisenvorsorge aufgestockt. Die Gelder sollen insbesondere der sogenannten Übergangshilfe, dem Welternährungsprogramm, den Vereinten Nationen und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit zur Verfügung stehen. ({0}) Ein paar Beispiele dazu: 50 Millionen Euro mehr für das Welternährungsprogramm, 663 Millionen Euro mehr für Krisenbewältigung und Wiederaufbau. Persönlich freue ich mich insbesondere über die Zuweisung von zusätzlich 8 Millionen Euro für UN Women. Diese sollen den feministischen Ansatz der Entwicklungspolitik stärken. ({1}) Wir haben zudem für das laufende Haushaltsjahr 1 Milliarde Euro für globale Ernährungssouveränität aus dem Entlastungspaket freigegeben. Damit können wir schnell und direkt Hilfe gegen die akute Hungerkrise leisten. Klar ist aber auch, dass dies erst der Anfang sein kann. Mit diesem Haushalt ist es nicht getan. Wir müssen dieses Engagement und wir wollen dieses Engagement auch in den kommenden Jahren weiterführen. Internationale Partnerschaftsarbeit wird in Zukunft geprägt sein davon, Ernährungssouveränität und Klima- und Biodiversität voranzubringen sowie zivilgesellschaftliche Arbeit und multilaterale Organisationen zu unterstützen. Dementsprechend benötigen sie eine solide Finanzierungsperspektive und Grundlage. Wir müssen, verehrte Damen und Herren, uns daher dringend Gedanken darüber machen, wie wir zu einer wirkungsvolleren Projektarbeit kommen. Diese müsste anders als jetzt langfristig terminiert und auch finanziert werden. ({2}) Alles in allem, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, setzt dieser Haushalt wichtige Signale in einer Welt, in der jungen Menschen offenbar eine optimistische Zukunftsperspektive aufgrund globaler Krisen und Katastrophen abhandenkommt. Eine dieser globalen Krisen betrifft die Bildung weltweit, die durch Corona massiv verschlimmert wurde. Zwei Dritteln der zehnjährigen Kinder auf dieser Welt ist Grundbildung verwehrt. Sie sind nicht in der Lage, eine einfache Geschichte zu lesen und zu verstehen. Sie haben nicht die Möglichkeit, ihr eigenes Potenzial zu entdecken, es auszuschöpfen, und folglich auch kaum eine gute Chance, eine existenzsichernde Arbeit zu finden. Wie sollen diese Kinder, an die so immens große Anforderungen in Zukunft gestellt werden, diese selbstbestimmt gestalten? Um den unberechenbaren Anforderungen der kommenden Jahrzehnte beizukommen, appelliere ich an uns alle: Wir müssen mehr in Bildung und insbesondere in die frühkindliche und die Grundbildung investieren. ({3}) Die Jugend ist unsere Zukunft. Das sagt sich so leicht daher; denn wir, die Generation der Eltern und Großeltern, belasten mit dem Irrglauben an stetiges Wachstum diese Zukunft auf dramatische Weise. Damit wir einander verstehen, Probleme analysieren, friedliche Staatensysteme erhalten und auch Frieden schaffen können, brauchen wir vor allem Wachstum für die Ressource „gute Bildung“, überall auf der Welt. Ich danke Ihnen fürs Zuhören. ({4})

Cornelia Möhring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004111, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Schulze! Ich habe gelesen, dass die Haushälter der Ampel den Haushalt bzw. den Einzelplan 23 als Signal für eine friedliche Entwicklung in der Welt bezeichnen. Meine Fraktion kann das nicht unterschreiben. ({0}) Angesichts der gegenwärtigen Weltlage würde ich den Haushalt tendenziell sogar kurzsichtig nennen. „Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle“, sagt UN-Generalsekretär Guterres. Und leider müssen wir heute ergänzen: Einige Länder sind aufgrund des Klimawandels auf dem Highway in den Hungertod. Die Zuspitzung der Ernährungskrise zeichnet sich seit Jahren ab. In Ostafrika steht die fünfte Dürreperiode in Folge bevor. Seit über zwei Jahren beobachten wir die steigenden Preise für Nahrungsmittel. Düngemittel sind kaum noch erschwinglich. Damit steigen natürlich auch die Ausgaben der Hilfsorganisationen. Weniger Menschen können versorgt werden, Projekte müssen ihre Leistungen einschränken. – Das alles berücksichtigen Sie im Haushalt unzureichend. Äußerst dramatisch ist die Situation in Somalia. Von den 16 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern hat fast die Hälfte nicht genug zu essen. 1,5 Millionen Kinder unter fünf Jahren sind fehlernährt. Mindestens 230 000 Menschen sind akut vom Hungertod bedroht, viele von ihnen werden den Jahreswechsel nicht erleben. „Wir stehen vor einer verheerenden Katastrophe“, mahnen die Vereinten Nationen und sagen, nur ein massiver Mitteleinsatz könne die Anzahl der Toten wenigstens verringern. Klar ist: Nothilfe allein reicht nicht, um die Ernährungskrise in den vielen betroffenen Regionen und Ländern zu lösen. Es muss mehr für einen strukturellen Wandel zur Ernährungssouveränität getan werden. Deshalb bin ich immer noch sehr skeptisch, Frau Ministerin Schulze, was das von Ihnen viel gepriesene Bündnis für globale Ernährungssicherheit angeht. Ja, es ist mehr als nötig, dass die Nahrungsmittelkrise durch kurzfristige Nothilfemaßnahmen abgemildert wird. Aber welchen konkreten Beitrag Ihr neues Bündnis dazu leisten will, ist auch acht Monate nach seiner Gründung völlig unklar. Bisher wirkt es eher wie eine Gewissensberuhigung. Zu einer umfassenden strukturellen Problemlösung wird es wohl kaum beitragen. Aber statt jetzt für die Beteiligung an diesem Bündnis und für Beiträge dazu bei vielen Institutionen, Stiftungen, Philanthropen und Privatunternehmen bitte, bitte zu machen, ziehen Sie doch besser die Krisenprofiteure zur Verantwortung und bitten die zur Kasse. ({1}) Denn während steigende Preise für Energie und Grundnahrungsmittel, für Dünger und weitere Agrargüter millionenfaches Leid verursachen, klingelt bei einigen Konzernen ordentlich die Kasse. Meine Damen und Herren, bei der Klimakonferenz, der COP 27, wurde nun der nächste unkonkrete Fonds ins Leben gerufen. Seit vielen Jahren fordern die Länder des Globalen Südens einen Finanztopf für Verluste und Schäden der am stärksten von der Klimakrise betroffenen Staaten. Ein faktisch leeres Konto hatten die Länder sich aber bestimmt nicht vorgestellt. Denn wer einzahlt und vor allem welche Summen, steht in den Sternen, und die Entscheidung darüber ist mindestens bis zur COP 28 in Dubai verschoben. Das Hauptproblem bleibt sowieso bestehen: Der Klimawandel wird dadurch nicht gestoppt, und die Lebensbedingungen der Menschen werden mit dem Einsatz fossiler Energien immer weiter zerstört. Ihre Einkaufstour für fossile Energien in den letzten Monaten trägt dazu bei, dass das als absolute Grenze definierte 2-Grad-Ziel immer mehr außer Reichweite gerät. Sie richten also einen Fonds für Verluste und Schäden ein und produzieren gleichzeitig Verluste und Schäden munter weiter. Die 170 Millionen Euro, die Deutschland für diesen Fonds spendiert, kommen dann ausgerechnet aus dem ohnehin schon geschrumpften Etat des BMZ. Es sind in diesem Jahr 190 Millionen Euro weniger für diesen Etat. Ich finde, das ist wirklich kein Pappenstiel. ({2}) Die Klimamittel müssten zusätzlich zur Verfügung gestellt werden und dürfen nicht zulasten der klassischen EZ gehen. Sie feiern sich, Frau Ministerin Schulze – das unterstelle ich jetzt mal; aber auch Bettina Hagedorn hat es schon getan –, in Ihrer Rede gleich für die zusätzliche 1 Milliarde Euro, die Sie aus der allgemeinen Krisenvorsorge, also dem Einzelplan 60, bekommen. Aber eigentlich verringern Sie damit nur die beachtlichen Kürzungen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Gefordert und vor allem für erforderlich gehalten haben Sie, Frau Ministerin Schulze, einmal 3,3 Milliarden Euro und nicht nur 1 Milliarde Euro. Ich finde es sehr bedauerlich, dass Sie keinen größeren Kampfgeist gezeigt haben, um mehr Mittel durchzusetzen. ({3}) Machen wir uns doch nichts vor: Um den Auswirkungen der multiplen Krisen wirklich etwas entgegenzusetzen oder, wie Sie sagen, ein Signal für eine friedliche Entwicklung in der Welt zu senden, braucht es deutlich mehr globale Solidarität statt weiterer nationaler Egoismen. ({4}) Es braucht endlich globale Umverteilung, damit die Krisenprofiteure auch für die Krisen bezahlen, die sie hervorgerufen haben. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich grüße Sie und gebe das Wort der Kollegin Claudia Raffelhüschen für die FDP-Fraktion. ({0})

Claudia Raffelhüschen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005273, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon vor der Bereinigungssitzung für den Haushalt 2023 gab es noch mal eine beachtliche Aufstockung für die Entwicklungszusammenarbeit aus dem Haushalt 2022: Im Rahmen des Entlastungspakets III wird eine ganze Milliarde Euro für globale Ernährungssicherheit eingesetzt, davon 495 Millionen Euro durch das BMZ. Das Geld fließt in das Welternährungsprogramm und in die Umsetzung des Bündnisses für globale Ernährungssicherheit, das unter der deutschen G‑7-Präsidentschaft mit der Weltbank ins Leben gerufen wurde. Das ist eine großartige Nachricht, und sie widerlegt all diejenigen Stimmen, die in den letzten Wochen und Monaten behauptet hatten, dass Deutschland zu wenig mache und seiner internationalen Verpflichtung nicht gerecht werde. ({0}) Das ist schlicht und ergreifend falsch, und wir sollten uns unser großes Engagement – gerade auch im Vergleich mit den anderen westlichen Ländern – nicht kleinreden lassen. Eine ganz hervorragende Nachricht war auch die Präsentation des Global Food and Nutrition Security Dashboards. Mit diesem Schlüsselinstrument kann das Bündnis für globale Ernährungssicherheit künftig noch schneller, koordinierter und effektiver auf Ernährungskrisen reagieren. Das Dashboard liefert uns quasi in Echtzeit Daten über die Ernährungssituation in einzelnen Regionen und zeigt auf, was bereits getan wird und was noch zu tun ist. ({1}) Das ist technisch und auch politisch ein ganz wichtiger Schritt. Denn zu tun gibt es weiterhin eine ganze Menge. Daher hat auch der Haushaltsausschuss für 2023 beschlossen, dem BMZ weitere Mittel in Höhe von 962,1 Millionen Euro aus der globalen Krisenvorsorge zur Verfügung zu stellen. Insgesamt liegt der Etat damit rund 1,1 Milliarden Euro über dem Regierungsentwurf und somit bei knapp 12,2 Milliarden Euro. Zusammen mit der erwähnten halben Milliarde Euro aus dem Entlastungspaket III nähern wir uns also einem Entwicklungsetat von 13 Milliarden Euro. Fast kein anderes Land leistet mehr, weder in totalen Zahlen noch in Relation zum Bruttoinlandsprodukt oder Bruttonationaleinkommen. ({2}) Dass diese Haushaltszahlen noch einmal ein ganz anderes Gewicht bekommen, wenn sie in die Realität umgesetzt werden, konnte ich im Oktober auf der Reise nach Polen, Moldau und die Ukraine erleben, die ich als Hauptberichterstatterin leiten durfte. Wir alle, die mit dabei waren, sind immer noch schwer beeindruckt von den zum Teil grausamen Schicksalen, aber auch von dem unglaublichen Kampfgeist und Optimismus, mit dem die Menschen vor Ort diese Herausforderungen annehmen. ({3}) Egal mit wem wir gesprochen haben: Es gab kein Jammern oder Klagen, sondern es gab nur hochmotivierte Verantwortliche, die perfekt organisiert waren und sehr gut begründete Wünsche für konkrete Unterstützung an uns gerichtet haben. Es ist daher ein ganz wunderbares Signal, dass wir im Rahmen der Bereinigung jetzt noch einmal helfen konnten: ({4}) Die Stadt Lwiw bzw. Lemberg bekommt 10 Millionen Euro für Notstromaggregate und 12 Millionen Euro für den Ausbau eines Krankenhauses mit Prothesenwerkstatt. Die Pläne liegen schon beim Bürgermeister in der Schublade; es kann quasi sofort losgehen. Es war für mich ein neues und auch sehr befriedigendes Gefühl, als Haushälterin mit eigenen Augen zu sehen, was gebraucht wird, und es dann so unmittelbar umsetzen zu können. An dieser Stelle daher noch mal mein herzliches Dankeschön an alle Beteiligten, besonders an Bettina Hagedorn und alle Mitstreiter im BMZ und bei der GIZ, die das gemeinsam ermöglichen. ({5}) Weniger erfreulich, aber deshalb mindestens genauso wichtig war es, auch einmal vor Ort vergleichen zu können, welche Hilfen wirklich gut sind und welche nur gut gemeint. Nachdem im Sommer der äußerst ernüchternde Bericht des Französischen Instituts für Internationale Beziehungen über die Arbeit einiger NGOs veröffentlicht wurde, hatte ich an uns alle appelliert, hier genauer hinzuschauen. Das haben wir nun getan und müssen dem Institut in Teilen leider recht geben. Yoga- und Makrameekurse mögen in vielen Situationen und Ländern eine gute Sache sein. Als Hilfsangebot für traumatisierte Ukrainerinnen haben sie ihnen in der Form keinen Dienst geleistet und uns als Haushälter, ehrlich gesagt, fassungslos gemacht. ({6}) Es bleibt also unabdingbar, dass wir – damit meine ich uns Parlamentarier genauso wie die Regierung – immer wieder überprüfen und hinterfragen, wo unsere Gelder landen, ({7}) was sich bewährt hat und wo NGOs, auch etablierte, gute NGOs, ihre Angebote präzisieren und auch praxistauglicher machen müssen. Sehr begrüßenswert ist in diesem Zusammenhang auch der Maßgabebeschluss an das Auswärtige Amt und das BMZ, den Aufbau einer einheitlichen Länderdatenbank weiter zu forcieren. ({8}) Diese Datenbank soll uns Abgeordneten, aber auch anderen Akteuren in Zukunft alle relevanten Informationen über die Aktivitäten des Bundes im Ausland quasi auf Knopfdruck bereitstellen, also in welchem Land und in welcher Region, mit welchen Partnern zu welchen Themen mit wie viel Geld welche Projekte durchgeführt oder gefördert werden. Ähnlich wie das Dashboard zur Ernährungssicherheit, das ich eben erwähnt hatte, wird dies ein weiterer wirklich wichtiger Schritt sein, um das deutsche Engagement der Entwicklungszusammenarbeit noch besser zu koordinieren, transparenter und effektiver zu machen. Insofern bin ich zuversichtlich, dass nach den erfolgreichen Haushaltsverhandlungen nun auch weiterhin erfolgreiches Regierungshandeln folgen wird und wir mit den Geldern, die vom Parlament bereitgestellt wurden, eine Menge Hilfe leisten können. Der Dank aus Lwiw und anderen Städten und Regionen ist dafür, denke ich, die schönste Motivation. Ich danke Ihnen. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Hermann Gröhe hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hermann Gröhe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002666, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Ministerin! In der letzten Nacht haben russische Raketen ein Krankenhaus in Saporischschja getroffen und dabei die Entbindungsstation zerstört. Ein Säugling starb dabei. Angesichts der russischen Angriffe auf das Stromnetz warnt der Regionaldirektor der Weltgesundheitsorganisation für Europa, Hans Kluge: „Dieser Winter wird für Millionen von Menschen in der Ukraine lebensbedrohlich sein.“ Aus dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg ist längst ein verbrecherischer Vernichtungskrieg gegen die Menschen in der Ukraine geworden. Umso wichtiger ist es, dass wir mit ganzer Kraft an der Seite der Menschen in der Ukraine stehen. ({0}) Ich danke ausdrücklich den Berichterstatterinnen und Berichterstattern für ihren Besuch und auch für ihre bewegenden Schilderungen von dieser Reise. Bisher sind rund 600 Millionen Euro aus dem Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für die Unterstützung der Menschen in der Ukraine zur Verfügung gestellt worden. Manchen in unserem Land mag es ja zunächst überraschen, dass die Ukraine nach ihrem Pro-Kopf-Einkommen ein Entwicklungsland ist. Die schreckliche Wahrheit ist, dass die soziale und ökonomische Entwicklung dieses Landes weiter dramatisch zurückgeworfen wird. Insofern wird hier noch sehr viel mehr zu tun sein. Aber es hilft jetzt, wenn Wohnraum für Binnenvertriebene und Flüchtlinge geschaffen wird, die medizinische Versorgung aufrechterhalten wird, psychosoziale Beratung für Menschen, die Unsägliches erfahren und erleben mussten, angeboten wird und Bildungsangebote bestehen bleiben. Ich möchte sehr bewusst den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BMZ, aber auch den Partnerinnen und Partnern in der Zivilgesellschaft, der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, der KfW und allen anderen für diesen Kraftakt danken. ({1}) Ich glaube, es ist gut – das zeigt sich ähnlich wie am Beginn der Coronapandemie –, dass unsere Entwicklungszusammenarbeit so flexibel ist, ein solches Handeln zu ermöglichen. Da ich die GIZ erwähnt habe, möchte ich auch der jetzt ausgeschiedenen Vorstandssprecherin Tanja Gönner für jahrelange herausragende Arbeit herzlich danken. ({2}) Zugleich möchte ich dem neuen Vorstandssprecher Thorsten Schäfer-Gümbel alles Gute für diese wichtige Arbeit wünschen. Angesichts dieses Kraftakts, den ich begrüße, verwundert es aber schon, dass Sie glauben, mit einem Etat, der, gemessen an den 13,4 Milliarden Euro aus dem Jahr 2021, um über 1 Milliarde Euro geringer ausfällt, in einer so krisenhaften Zeit auskommen zu können. Ja, es ist inzwischen 1 Milliarde Euro draufgelegt worden. Aber für Selbstzufriedenheit, die gelegentlich hier anklingt, ist wahrlich kein Platz. Sie sollten nicht vergessen und es nicht nur der Opposition anlasten, dass Ihr Regierungsentwurf bei den Partnern, bei Brot für die Welt, bei Misereor, bei der Welthungerhilfe und bei vielen anderen mehr einen empörten Schrei des Entsetzens ausgelöst hat. Es wäre übrigens angebracht, diesen Organisationen heute dafür zu danken, dass ihr Protest dazu beigetragen hat, dass peinliche Kürzungen, etwa bei UN Women und anderen Organisationen, inzwischen zurückgenommen werden konnten, was noch kein Aufwuchs und noch keine besonders eindrucksvolle feministische Politik ist, aber immerhin die Rücknahme schlimmer Kürzungen. Viele von uns kennen die beeindruckenden jungen Menschen, die uns als Jugendbotschafter von ONE besuchen und dafür werben, unsere Arbeit fortzusetzen. Ihr Sprecher hat vor wenigen Tagen zu der 1 Milliarde Euro gesagt: „Wir dürfen uns davon nicht blenden lassen. Das reicht hinten und vorne nicht.“ Das sagen diese jungen Leute. Ja, 2021 gab es Sondermittel im Bereich der Pandemiebekämpfung; ({3}) das will ich ausdrücklich ansprechen. Aber wir bräuchten sie jetzt als Verstetigung zur Pandemievorsorge, um die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass wir besser werden. Und es ist eine schlechte Nachricht, wenn beispielsweise die Mittel für die Stiftung für innovative neue Diagnostik, FIND, oder für die Entwicklung neuer Medikamente durch UNITAID auf null gestellt werden. Wer weiß, wie wichtig gerade die Zurverfügungstellung moderner Testverfahren in den ärmsten Ländern der Welt ist, um rechtzeitig Krankheiten und ihre Ausbreitung festzustellen und zu verhindern, der muss nur sagen: Ein solcher Einbruch in diesen wichtigen Bereichen globaler Gesundheit ist falsch. ({4}) Wir haben natürlich mit Interesse Ankündigungen, auch die des Bundeskanzlers, wahrgenommen: etwa der Anstieg der Klimafinanzierung, die Absicherung von Klimakrisen, die Mittel zum Artenschutz, der Globale Fonds, dessen Kürzungen wir hier mehrfach angesprochen haben – gut, dass da nachgelegt wird –, die Poliobekämpfung. Man fragt sich bei diesen begrüßenswerten Ankündigungen des Bundeskanzlers nur: Kennt er die traurige Hinterlassenschaft des Finanzministers Olaf Scholz im Finanzplan, wonach der BMZ-Etat 2024 auf 10,7 Milliarden Euro und 2026 auf 10,4 Milliarden Euro sinken soll? Korrigieren Sie das! Sonst werden Ihre Versprechungen alles ungedeckte Schecks, meine Damen, meine Herren. ({5}) Und als solche tragen Sie nicht zur deutschen Verantwortung in der Welt bei. Nein, das ist für die Ampel kein Anlass zur Selbstzufriedenheit, vielmehr zur harten Arbeit, damit die Entwicklungszusammenarbeit wieder den Stellenwert erhält, den sie dringend braucht. Herzlichen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Bundesregierung hat das Wort die Bundesministerin Svenja Schulze. ({0})

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorgelegten Haushaltsplan setzt die Bundesregierung klare Prioritäten. Sie nimmt diejenigen in den Blick, die die Auswirkungen der aktuellen multiplen Krisen am schmerzhaftesten spüren. Sie setzt die verfügbaren Mittel gezielt dafür ein, die Krisenfolgen abzufedern und Gesellschaften widerstandsfähiger gegen Krisen zu machen. So auch jetzt mit dem Einzelplan 23 für die internationale Entwicklungszusammenarbeit: Mit den zusätzlichen Geldern – insbesondere aus der allgemeinen Krisenvorsorge des Einzelplans 60 – stehen nun insgesamt rund 12,2 Milliarden Euro zur Verfügung. Das ist für die deutsche Entwicklungspolitik eine gute finanzielle Basis für das kommende Jahr. Es braucht eine stabile Entwicklungspolitik; das ist aus zwei Gründen ganz besonders wichtig. Zum einen sendet die Bundesregierung, sendet der Bundestag damit die klare Botschaft: Auch in Krisenzeiten bleibt Deutschland solidarisch und ein verlässlicher Partner für die Länder des Globalen Südens, auch in Krisenzeiten verlieren wir die Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung nicht aus dem Blick. – Das ist ein unmissverständliches Signal, und es ist gerade jetzt besonders wichtig. Denn Verlässlichkeit erhält und schafft Vertrauen, und Vertrauen ist die Grundvoraussetzung für eine wirksame Entwicklungszusammenarbeit. Nur so können wir gemeinsam mit unseren Partnerländern strukturelle Veränderungen anstoßen und wichtige Reformen umsetzen, für mehr soziale Gerechtigkeit, für mehr Klimaschutz in der Welt. Das bringt mich zum zweiten Grund, warum eine solide Entwicklungspolitik wichtig ist: Sie stärkt unzählige Menschen weltweit, damit sie besser durch die Krisenzeit kommen, und sie trägt dazu bei, weltweit bessere Zukunftsperspektiven zu schaffen. Ich hatte heute das Vergnügen, mit unseren WZ-Referentinnen und -Referenten in einer Videokonferenz zu diskutieren – das sind wichtige Brückenköpfe in unsere Partnerländer –; sie haben noch mal bestätigt, wie wichtig Vertrauen, wie wichtig diese intensive Zusammenarbeit ist. Wie genau schaffen wir Vertrauen und Zukunftsperspektiven? In der Ukraine – das haben Sie betont; ich will das aber noch mal herausheben – werden diese Mittel dafür sorgen, dass die Menschen Wasser, Wärme, Strom und medizinische Versorgung erhalten. So können sie dem Winter und dem russischen Angriffskrieg besser trotzen und anfangen, ihre Heimat wieder aufzubauen. Unsere Unterstützung geht dabei über humanitäre Nothilfe hinaus; sie wirkt langfristig, und sie wirkt jetzt schon strukturbildend. Sie haben es angesprochen, Frau Raffelhüschen: Unter Ihrer Leitung sind die Berichterstatterinnen und Berichterstatter für den Einzelplan 23 in die Ukraine gereist und konnten sich selbst ein Bild von der Lage vor Ort machen. Ich will noch mal ausdrücklich dafür danken, dass Sie fraktionsübergreifend dafür gesorgt haben, dass Deutschland die Menschen in der Ukraine verlässlich und wirksam unterstützen kann. ({0}) Mit den Mitteln aus dem Einzelplan 23 werden wir jetzt auch das Bündnis für globale Ernährungssicherheit weiter voranbringen. Es muss jetzt darum gehen, zu verhindern, dass infolge des russischen Angriffskriegs die weltweite Hungerkrise noch weiter eskaliert. Das Bündnis sichert Existenzen, es rettet Leben, etwa am Horn von Afrika und im Nahen Osten, wo die Menschen ganz besonders unter den steigenden Preisen für Nahrungsmittel, aber auch für Dünger leiden. Das Bündnis trägt ganz konkret dazu bei, die globale Ernährungssicherheit auch langfristig zu verbessern. Eine nachhaltige und klimaangepasste Landwirtschaft steigert die Erträge, macht Ernten robuster; so werden die lokale Versorgung gestärkt und die Armut reduziert. Wir bekommen weltweit sehr viel Applaus dafür, dass wir dieses Bündnis vorangebracht haben. Wir werden mit den Mitteln aber auch das weitere Aufspannen des globalen Schutzschirms gegen Klimarisiken voranbringen, für den wir auf der Klimakonferenz COP als Trailblazer ausgezeichnet wurden, also eine Auszeichnung für dieses wichtige Instrument gegen Loss and Damage bekommen haben. ({1}) Dieser Schutzschirm wird armen und vulnerablen Ländern wie Bangladesch, Ghana, Senegal helfen, die unter den Folgen des Klimawandels besonders leiden. Für jedes dieser Länder wird ein umfassendes Absicherungspaket entwickelt. So sind diese Länder dann besser auf klimabedingte Katastrophen vorbereitet und können im Notfall den Menschen schneller helfen. Das hilft, klimabedingte Verluste und Schäden zu begrenzen. Ich werde auch im kommenden Jahr die Umsetzung unserer feministischen Entwicklungspolitik weiter beschleunigen. ({2}) – Ich weiß, Ihnen ist es nicht recht, wenn Frauen die gleichen Chancen, die gleichen Rechte und Respekt bekommen. ({3}) – Schauen Sie in Ihre Reihen! Mehr muss man dazu nicht sagen. – Mein Ziel ist es, dass 2023 drei Viertel der Vorhaben zur Geschlechtergerechtigkeit beitragen. So eröffnen wir Frauen und Mädchen neue Perspektiven, wir verschaffen ihnen Gehör, wir machen sie zu aktiven Mitgestalterinnen einer nachhaltigen Entwicklung. Die wissenschaftliche Evidenz ist eindeutig: Nur mit den Frauen werden Gesellschaften sich nachhaltig entwickeln können. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind nur einige wenige Beispiele dafür, wie wir die deutsche Entwicklungszusammenarbeit im nächsten Jahr wieder nutzen werden, um die Ziele der Agenda 2030 umzusetzen. Vertrauen und Zukunftsperspektiven lassen sich aber nur schaffen, wenn es auch Planbarkeit, wenn es Verlässlichkeit gibt. Gerade der weitere Verlauf des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und seine Folgen für die Entwicklungsländer sind aber unsicher. Daher ist es gut, dass im Einzelplan 60 für 2023 weiter vorgesorgt ist und im Notfall weitere Mittel zur Verfügung stehen. Wir müssen unsere Entwicklungspolitik auch mittelfristig im Haushalt absichern und stabil machen. Das ist wichtig für die vielen Menschen und für die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich weltweit unter großem Einsatz engagieren. Eine solide Entwicklungspolitik stärkt ihnen den Rücken. ({5}) Meine Damen und Herren, mit diesem Haushalt stellt sich die Bundesregierung ihrer globalen Verantwortung, und sie setzt ein Zeichen der Hoffnung und des Aufbruchs in Krisenzeiten. Ich danke nochmals sehr, dass der Haushalt so verbessert wurde und dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, das alles ermöglicht haben. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Markus Frohnmaier spricht für die AfD-Fraktion. ({0})

Markus Frohnmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004721, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Schulze, ich habe einen Sohn und eine Tochter und ich möchte nicht, dass aufgrund des Geschlechts irgendwelche Unterschiede gemacht werden. Für mich sind beides wunderbare Kinder, für mich sind beides Menschen. Darum halten wir nichts von diesem Genderquatsch. ({0}) Wir sprechen heute über den Haushalt des Entwicklungsministeriums. ({1}) Für mich ist das immer wieder ein erstaunliches Schauspiel, weil sich jedes Jahr die Vertreter der alten Parteien mit Forderungen nach mehr Geld gegenseitig überbieten – mehr Geld für linke NGOs, mehr Geld für korrupte Regime, mehr Geld für ihre Fantasieprojekte. In diesem Haus wird Politik offenbar nicht an der Wirkung gemessen, sondern für Sie ist es immer ein Erfolg, wenn Sie möglichst viel Geld für Ihr Ministerium hamstern. Wenn dieser Haushalt verabschiedet wird, dann werden wieder 25 Milliarden Euro ODA-Leistungen als Entwicklungshilfe in der Welt verteilt. ({2}) – Schreien Sie nicht so rein! Bei so viel heißer Luft wird es nichts mit dem 1,5‑Grad-Ziel, liebe Kollegin. ({3}) Ich finde, die Bürger haben ein Recht darauf, zu erfahren, wie die Bundesregierung mit Steuergeld umgeht. Neulich durften wir die Dominikanische Republik besuchen und dort Entwicklungsprojekte anschauen. Unter anderem fördert der deutsche Steuerzahler dort Recyclingprojekte im Karibikraum. Konkret sieht das so aus: Seit eineinhalb Jahren stehen in Santo Domingo zwei Container am Straßenrand, für den Besuch der deutschen Abgeordneten natürlich frisch lackiert. In den Containern waren Infotafeln und eine Maschine zum Zerkleinern von Plastikmüll. Auf die Frage, wie viel Müll denn jetzt in den eineinhalb Jahren recycelt worden ist, sagte mir der Projektleiter: Null, ({4}) man habe erst mal den lokalen Bürgermeister für das Projekt gewinnen müssen. ({5}) Im Anschluss hat man uns dann einen völlig vermüllten Strand gezeigt. Aufräumen wollte den Strand niemand; denn die lokale Bevölkerung soll für die Müllproblematik sensibilisiert werden. Kostenpunkt für dieses Projekt: 4 Millionen Euro für den deutschen Steuerzahler. Und, wissen Sie, das ist kein Einzelfall. Hier sitzen Kollegen, die haben neulich in Kenia eine Fischfarm besucht. Da schwimmt kein Fisch, dafür fließt aber das Geld. Die Kollegen Friedhoff und Keuter könnten über diese Absurditäten berichten. Eine weitere Absurdität: Die Bundesregierung hat über Jahre Entwicklungshilfe an Afghanistan geleistet. Den Taliban wurden so Entwicklungsprojekte im Wert von über 3 Milliarden Euro überlassen. Und jetzt müssen deutsche Entwicklungshelfer und afghanische Ortskräfte auf Steuerzahlerkosten auch noch aus Afghanistan ausgeflogen, nach Deutschland eingeflogen werden. ({6}) Und das Verrückte daran ist einfach Folgendes: Die Bundesregierung bezeichnet als Ortskraft ungefähr jeden, der mal, salopp gesagt, eine Getränkekiste für das BMZ geschleppt hat. ({7}) Mittlerweile sind 22 000 dieser Ortskräfte von Afghanistan nach Deutschland ausgeflogen worden. Was Sie jetzt machen, ist, gleichzeitig auch noch neue Ortskräfte in Afghanistan anzuwerben. ({8}) Sie fliegen die bestehenden nach Deutschland aus und suchen gleichzeitig neue. Man nennt so was „staatlich geförderte Massenmigration“, liebe Kollegen, und dazu sagen wir als AfD Nein. ({9}) Während Sie also Milliarden von Euro für Spaßprojekte durch die Welt verteilen, produzieren Sie in Deutschland auch noch Werbefilmchen, in denen Sie unsere Bürger auf einen drohenden Blackout vorbereiten, oder Sie sprechen über Wärmehallen. Wissen Sie, Entwicklungspolitik muss den Bürgern in Deutschland nutzen und sie nicht in Armut und Not führen. Das heißt für uns als AfD konkret: Straßen, Schienen und Fabriken mit deutschen Unternehmen. Machen Sie doch endlich mal Lieferbindungen! Machen Sie mal feste Lieferbindungen, sodass deutsche Unternehmen entsprechend zu beteiligen sind. Das machen die GIZ und andere bis heute nicht. ({10}) Vielleicht sogar am wichtigsten: Rohstoffe. Wie kann es sein, dass ein Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sich genau um so was auch kümmern sollte, aber so was überhaupt nicht tut? Unsere Lieferketten in Deutschland, die reißen beim geringsten Widerstand. Damit muss Schluss gemacht werden. Kümmern Sie sich endlich um Ihren Job! Sorgen Sie dafür, dass die wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auch etwas für die Bürger hier in Deutschland tut! ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Jan-Niclas Gesenhues hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Jan Niclas Gesenhues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005065, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Frohnmaier, Sie haben fünf Minuten Redezeit darauf verwendet, sich einfach nur lustig zu machen und die Entwicklungszusammenarbeit verächtlich zu machen. ({0}) Das ist niveaulos. Noch tiefer als bei dieser Rede kann Ihr Niveau überhaupt nicht sinken. Das war ein Tiefpunkt der Debatte, und das ist dieses Hohen Hauses auch nicht würdig. ({1}) Ich will Ihnen eins mal ganz deutlich sagen: Die Entwicklungszusammenarbeit ist nicht der Erfüllungsgehilfe Ihrer neokolonialen Träume. Schminken Sie sich das endlich ab! ({2}) Im Gegensatz zu Ihnen bin ich regelmäßig beim Deutschen Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit zu Gast. Da habe ich Sie im Beirat nicht gesehen. Wenn Sie den Diskussionen da folgen würden, ({3}) dann wüssten Sie: Überwiegend ist die Entwicklungszusammenarbeit wirksam. ({4}) Hier und da identifizieren wir Stellen, wo wir noch nachbessern müssen. Unterm Strich ist die Entwicklungszusammenarbeit wirksam. ({5}) Übrigens – das haben Sie vorhin völlig falsch suggeriert – ist auch die Unterstützung für die Entwicklungszusammenarbeit in der deutschen Bevölkerung hoch, und das aus guten Gründen. ({6}) Jetzt zum eigentlichen Thema. Meine Damen und Herren, die Weltklimakonferenz ({7}) – Sie können ruhig reinschreien; jetzt müssen auch Sie sich das anhören – hat gerade noch mal deutlich gemacht: Die ökologische Krise ist eine der Hauptbedrohungen für globale Gerechtigkeit. Der Globale Süden – auch das ist in Ägypten noch mal deutlich geworden – ist durch die Klimakrise besonders verwundbar. Das können Sie auch mit Ihrer Klimawandelleugnerei nicht ändern. Deswegen ist es wichtig, dass wir Klimaschutz, Naturschutz und Umweltschutz ins Zentrum der Entwicklungszusammenarbeit stellen. Denn Sicherheit, Hungerbekämpfung brauchen eine intakte Natur, eine intakte Umwelt und ein intaktes Klima. Wir brauchen fruchtbare Böden, wir brauchen einen gesunden Wasserhaushalt, wir brauchen Artenvielfalt bei den Bestäubern oder, kurz gesagt, eine intakte Natur. Nur damit können wir die Ernährungssicherheit weltweit sichern, und nur damit können wir den Klimaschutz weltweit umsetzen. Deswegen ist es wichtig, dass wir auch eine ökologische Entwicklungspolitik machen, meine Damen und Herren. ({8}) Die Bundesregierung hat auf dem Weg viele gute Schritte gemacht, zum Beispiel, indem wir unsere Mittel für die globale Naturschutzfinanzierung auf 1,5 Milliarden Euro pro Jahr verdoppeln. Das ist ein wirklich gutes Zeichen und auch guter Rückenwind für die UN-Biodiversitätskonferenz im Dezember. Frau Schulze, ich bin Ihnen auch dankbar, dass Sie die Umsetzung des Globalen Schutzschirms gegen Klimarisiken auf internationaler Ebene vorantreiben, und den Berichterstatterinnen und Berichterstattern in den Haushaltsberatungen, dass Sie auch in den Bereichen „Menschenrechte“ und „Umweltschutz“ noch mal Akzente gesetzt haben. Das ist ein gutes Zeichen. Meine Damen und Herren, neben Geld für Umwelt und Menschenrechte brauchen wir aber auch ein echtes Engagement für faire und gerechte Lieferketten. Jetzt sagen manche – wir haben es vorhin auch wieder gehört –: Ja, aber die Krise! Ja, aber China! – Ich will mal eine Rückfrage stellen: Was unterscheidet uns denn von den despotischen Regimen? Uns unterscheidet doch, dass wir wertebasierte Entwicklungszusammenarbeit machen wollen, ({9}) dass wir die Bedarfe der Partner ins Zentrum der Entwicklungszusammenarbeit stellen wollen. Einen Wettbewerb darum, wer es immer billiger kann, wer es immer ruchloser kann, den können und den wollen wir auch nicht gewinnen. ({10}) Unser Merkmal muss sein: Wir stellen die Menschenrechte in den Mittelpunkt, und das schätzen auch unsere Partnerländer in der Welt. Denn für uns gilt: Eine Ungerechtigkeit gegen einen Menschen ist eine Ungerechtigkeit gegen alle Menschen. Deswegen müssen wir das Lieferkettengesetz auch nicht aussetzen, sondern umsetzen, und das ambitioniert. ({11}) Abschließend noch ein Gedanke zur Union. Sie haben hier ja wahnsinnig die Backen aufgepustet, was die Finanzplanung angeht. Wenn ich in die Finanzplanung der unionsgeführten Bundesregierung reingucke: ({12}) Da steht für 2023 ein Betrag von 9 Milliarden Euro für das BMZ. ({13}) Wir stellen 12 Milliarden Euro zur Verfügung. ({14}) 12 Milliarden Euro statt 9 Milliarden Euro unter einer unionsgeführten Bundesregierung. ({15}) Das ist der Unterschied, den diese Regierungskoalition macht. Gut, dass wir diesen Fehler der unionsgeführten Bundesregierung korrigiert haben. Herzlichen Dank. ({16})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Knut Gerschau ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion. ({0})

Knut Gerschau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005064, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag: Der achtmilliardste Mensch wurde letzte Woche geboren. Am Tag seiner Geburt wuchs die Weltbevölkerung um durchschnittlich 180 000 Menschen täglich. Das sind täglich 180 000 neue Möglichkeiten, die Zukunft zu gestalten. Besonders viele Menschen werden in Afrika südlich der Sahara geboren. Dort lebt die größte Jugendgeneration aller Zeiten: 43 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 15 Jahre. In diesen jungen Menschen steckt ein riesiges Potenzial – wenn sie denn die Chance bekommen, es zu entfalten. Damit die Jugendlichen ihr Leben verantwortungsvoll gestalten können, brauchen sie Gesundheit, Bildung, Aufklärung und Selbstbestimmung; denn wenn sie aufgeklärt sind und einen Job haben, entscheiden sie sich in der Regel für die Anzahl der Kinder, die sie versorgen können. Auch deshalb bin ich für eine Stärkung von Frauen und Mädchen und ihrer Rechte. Wir brauchen eine Verbesserung der reproduktiven und sexuellen Rechte, bessere Müttergesundheit und umfassende Aufklärung. ({0}) Das Thema Bevölkerungsdynamik hat nicht mit Bevormundung oder Neokolonialismus zu tun. Es ist der Versuch, negative Konsequenzen für die betroffenen Länder zu mindern. Ein weiteres wichtiges Thema in diesem Zusammenhang ist die globale Ernährungssicherheit. Der Haushalt macht deutlich: Es ist nicht hinnehmbar, dass mehr als 800 Millionen Menschen auf der Welt Hunger leiden – deutlich mehr als noch vor einigen Jahren. Leider können wir den russischen Präsidenten nicht daran hindern, in verbrecherischer Weise Hunger als globale Waffe einzusetzen. Aber wir können das entstandene Leid lindern. Dazu stehen für das Welternährungsprogramm 50 Millionen Euro mehr zur Verfügung als ursprünglich geplant. Für eine nachhaltige Umstellung von Agrar- und Ernährungssystemen werden weitere 54 Millionen Euro bereitgestellt. ({1}) Umfassende Gesundheitsvorsorge, dies wird auch ein beherrschendes Thema im Unterausschuss Globale Gesundheit sein. Dezentrale medizinische Versorgung auch auf dem Land, Ausbildung von Ärzten und Krankenschwestern, Nutzung digitaler Möglichkeiten in der Telemedizin, Entwicklung von Impfstoffen auch im Globalen Süden, vor allem in Afrika, Kampf gegen Polio, Malaria und künftige Epidemien – diese Themen werden wir auch in den nächsten Bundeshaushalten in den Blick nehmen. ({2}) Zum Schluss weise ich darauf hin, dass private Investments mehr als bisher Bedeutung erlangen müssen. Die Privatwirtschaft kann durch ihr Know-how und ihre finanziellen Mittel die Wirkung staatlicher Hilfen enorm verstärken. Investitionen lohnen sich zum Beispiel im Energiebereich, bei regenerativen Energien und vor allem im Zukunftsbereich Wasserstoff. Und wir müssen junge Unternehmensgründungen mit innovativen Ideen stärker unterstützen; denn das hilft, eine mittelständische wirtschaftliche Struktur in den Ländern aufzubauen. Der Haushalt 2023 hat die richtigen Weichen gestellt, wie die Kollegin Raffelhüschen schon eindrucksvoll ausgeführt hat. Wir werden diesen Weg mit Nachdruck weiterverfolgen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dr. Wolfgang Stefinger ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Wolfgang Stefinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004414, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, der Haushaltsentwurf der Regierung war wirklich schlecht. Das haben ja nicht nur wir von der Union gesagt, sondern in der Debatte unisono auch die Redner der regierungstragenden Fraktionen. Ich muss sagen: Der jetzt vorliegende Regierungsentwurf ist gar nicht mal so übel. Aber: Was ich Ihnen nicht ersparen kann, ist, darauf hinzuweisen, dass Ihr Etat jetzt schon zum zweiten Mal in Folge sinkt. Und das ist eben der Unterschied: 16 Jahre Union – stetiger Anstieg des Entwicklungsetats, 12 Monate Ampel – Kürzung und Rotstift. Auch die Finanzplanung für die nächsten Jahre verheißt nichts Gutes. Herr Gesenhues, Sie haben es mal wieder angesprochen, und ich muss hier wirklich mit dieser Mär aufräumen: Dieser Finanzplan kommt eben nicht von Gerd Müller, ({0}) sondern von Ihrem jetzigen Kanzler, der damals Finanzminister war, Olaf Scholz. ({1}) Sie regieren jetzt seit über einem Jahr und haben diesen Finanzplan nicht geändert. Der ist nicht in Stein gemeißelt. Wieso ändern Sie denn diesen Finanzplan nicht? ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns einig, dass es gerade in den heutigen Krisenzeiten eine starke Entwicklungspolitik braucht. Die Krisen sind bekannt. Diese gesamte Spirale müssen wir durchbrechen. Dafür braucht es Sicherheit, es braucht Wachstum, und es braucht auch neue Entwicklungen. Hierfür braucht es eine Kooperation mit der Wirtschaft. Frau Ministerin, hierzu habe ich heute von Ihnen wieder nichts gehört. Und wenn ich mir die letzten zwölf Monate anschaue, dann muss ich leider feststellen: Zum Thema „wirtschaftliche Zusammenarbeit“ habe ich von Ihnen bisher noch überhaupt nichts gehört, außer dass der Haushaltstitel weiter gekürzt wird. Jetzt weiß ich, dass Sie natürlich in einer Koalition sind und vor allem auch die Grünen an der Backe haben, die mit der Wirtschaft ja häufig fremdeln. Wir können es ja auch dieser Tage im „Handelsblatt“ nachlesen, dass die wirtschaftspolitischen Interessen der früheren Bundesregierung angeblich fehlgeleitet waren. Ich kann Ihnen sagen, was die wirtschaftlichen Interessen der letzten Bundesregierung in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit waren: Das war Jobs schaffen, Ausbildungsplätze schaffen, Firmen ansiedeln und die deutsche Wirtschaft bei Plänen zur Expansion in Entwicklungsländer zu unterstützen. Das waren die Ziele unserer wirtschaftlichen Zusammenarbeit, und sie waren richtig. ({3}) Denn die Menschen brauchen Ausbildung. Sie brauchen Aufstiegschancen und Jobs. Dafür braucht es eben mehr Wirtschaft und weniger Stuhlkreis, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({4}) Weil ich gerade bei den Grünen bin: Es ist ja kürzlich die Klimakonferenz zu Ende gegangen. Der Bundeskanzler war mit drei Ministern vor Ort. Es stellt sich schon die Frage: Was hat diese Bundesregierung da eigentlich erreicht? ({5}) Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt: „… weniger als nichts…“ Was haben Sie gerade von den Grünen in den letzten Jahren uns von der Union angegriffen und vollmundig erklärt, was Sie alles umsetzen, wenn Sie nur in der Regierung sind, und was Sie dann in diesen Klimakonferenzen alles machen. ({6}) Ich kann ein paar Punkte nennen: Sie wollten die Investitionen von Industrieländern in erneuerbare Energien verdoppeln; das haben Sie in der letzten Debatte dazu auch gesagt. Was ist vereinbart worden? Nichts! Dann die Einhaltung der nationalen Klimaschutzziele. Sie müssten verbindlich sein; Entsprechendes haben Sie uns vorgeworfen. Was ist vereinbart worden? Nichts! Sie wollten raus aus der Kohle. COP 27 beschließt – ja – für Südafrika und Indonesien eine Unterstützung, um die Abhängigkeit von der Kohleverstromung zu reduzieren; das ist auch richtig. Aber gleichzeitig kauft diese Bundesregierung massiv Kohle aus Südafrika. Ich will mal sagen: Sie halten hier große Reden zum Entwicklungsbereich und auch zum Thema Klimaschutz, aber tatsächlich tun Sie hierfür – nichts. Jürgen Trittin hat in der Debatte zu COP 26 uns von der Union vorgeworfen, für uns sei Klimapolitik Pillepalle. Und ausgerechnet Sie kaufen nun die Kohle aus Südafrika; Sie stimmen dem zu. Ausgerechnet Ihr Minister macht einen Hofknicks in Katar und gibt heute über die „Bild“-Zeitung der Nationalmannschaft kluge Ratschläge, wie sie sich verhalten soll. ({7}) Für uns von der Union ist Klimaschutz nicht Pillepalle, sondern wichtig. Aber Ihre Politik ist scheinheilig und verlogen. ({8}) Frau Ministerin, Sie haben den Klimafonds angesprochen. Das ist ein ganz wichtiges Instrument, um Länder zu unterstützen, die vom Klimawandel besonders betroffen sind, aber am wenigsten dazu beigetragen haben. Das ist alles ein hehres Ziel. Aber ich muss Sie fragen: Wie verbindlich ist denn dieser Schutzschirm jetzt im Hinblick auf die Klimafolgen? Welche Länder zahlen denn hier wirklich verbindlich ein? Wie verhält sich denn China in dieser Frage? Wird China weiterhin als Entwicklungsland eingestuft? Das sind alles Fragen, die Sie nicht beantworten, die nicht geklärt sind. Bleibt das alles so, dann ist das kein Schutzschirm, sondern ein löchriger Regenschirm und sonst gar nichts. ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht bei einer Haushaltsdebatte am Ende ja nicht darum, welcher Haushaltstitel beim Tauziehen um Steuergeld etwas mehr gewinnt. Es geht darum, dass Entwicklungspolitik kein Feuerlöscher ist, sondern vorausschauend sein muss, um Lebensbedingungen für Millionen von Menschen zu verändern. Außer ein paar wenigen Themen habe ich von dieser Bundesregierung noch keine Vision vernommen. Sie arbeiten seit zwölf Monaten an einer Afrika-Strategie. Ich bekomme von Ihrem Hause keine Auskunft, bis wann die vorgelegt sein soll. Wenn ich mir die Debatten der vergangenen Jahre anschaue – ich denke insbesondere an die Beiträge der Grünen – mit den wortgewaltigen Forderungen in dem Bereich und die Versprechungen, mit denen diese Regierung angetreten ist, kann ich nur eines immer wieder sagen: Nicht an ihren Worten, sondern an ihren Taten sollt ihr sie messen. Vielen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Sanae Abdi hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Sanae Abdi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Ministerin Schulze! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Jahr 2022 neigt sich dem Ende zu. Und wie das immer am Jahresende so ist, lässt man die Ereignisse des vergangenen Jahres Revue passieren und richtet den Blick auf das, was bevorsteht. Die letzten Monate waren von zahlreichen Krisen geprägt. Diese Krisen sind vielschichtig, international miteinander verwoben und haben gravierende Folgen. Doch gerade in Krisenzeiten lohnt es sich manchmal, positiv nach vorne zu blicken und eben dranzubleiben; das haben wir getan. Denn nur so konnten wir – Sie erinnern sich; es wurde heute auch schon zahlreich angesprochen – einen deutlich niedrigeren BMZ-Haushalt im ersten Regierungsentwurf um 1 Milliarde Euro erhöhen. Mit dem Haushalt legen wir essenzielle Grundsteine für die politische Arbeit des nächsten Jahres. Ich freue mich deshalb sehr, dass der Etat für das BMZ im Zuge der Haushaltsverhandlungen aufgestockt werden konnte, und möchte allen dafür danken, die daran beteiligt waren. ({0}) Wichtig ist, zu sagen: So bleiben wir trotz der generellen Haushaltskürzung für das Jahr 2023 bei einem ungefähren Vorjahresniveau von 12,2 Milliarden Euro. Das ist ein klarer Erfolg für die internationale Gemeinschaft; denn jeder Euro, der in den letzten Wochen zusätzlich in diesen Haushalt hineinverhandelt wurde, trägt zur Bekämpfung der globalen Krisen bei und schafft eine nachhaltigere und gerechtere Lebensgrundlage für alle. Jeder Euro zählt. Ich konnte mich in den letzten Monaten selbst davon überzeugen, wie zum Beispiel im Rahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit in Bolivien. Dort wird der Zugang zu Trinkwasser und zur Abwasserentsorgung erheblich verbessert. ({1}) Dies ermöglicht 2 Millionen Bolivianerinnen und Bolivianern den Zugang zu einer besseren Trinkwasserversorgung und leistet vor allem einen enormen Beitrag zum Umweltschutz in einer so fragilen Gegend. ({2}) Hier zeigt sich, dass wir bereits mit verhältnismäßig wenig Geld für die Entwicklungspolitik viel erreichen können. Klar ist aber auch – ich werde nicht müde, das hier zu betonen –: Wir brauchen zukünftig eine langfristige finanzielle Sicherheit für das BMZ. Die jedes Jahr wiederkehrende unklare Finanzierungslage führt dazu, dass die Entwicklungspolitik oft in Form von kurzfristigen Projekten handeln muss. Das wiederum widerspricht ihrer Grundidee, durch eine langfristige, präventive und partnerschaftliche Zusammenarbeit nachhaltig Entwicklung und Frieden zu fördern. ({3}) Um nachhaltige Entwicklung zu erzielen, brauchen wir langfristige Planungssicherheit; denn nur so können wir eine langfristig finanzierte Entwicklungspolitik stärken. Wir stärken damit weltweit die Ernährungssicherheit. Wir stärken die wirtschaftliche und soziale Sicherheit, und wir stärken weltweit auch die Rechte von Frauen. Eine finanziell langfristig gesicherte Entwicklungszusammenarbeit stärkt weltweit auch eine menschliche Sicherheit, und darum geht es uns letztendlich. ({4}) Die meisten in diesem Hause – nicht alle, aber die meisten – wissen: Die Klimakrise stellt für die menschliche Sicherheit eine gravierende Gefahr dar; sie erfordert daher auch ein weltweites solidarisches Handeln. ({5}) Ich bin Ministerin Schulze sehr dankbar dafür, dass sie sich in den Verhandlungen auf der Weltklimakonferenz in Ägypten mit aller Kraft dafür eingesetzt hat, dass die Perspektive der Länder des Globalen Südens in den Mittelpunkt gestellt wurde. Mit dem Start des Globalen Schutzschirms gegen Klimarisiken wurde ein sehr wichtiger Schritt vollzogen: Hiermit sollen diejenigen Länder und Menschen finanziell gegen klimabedingte Verluste und Schäden abgesichert werden, die besonders unter den Folgen des Klimawandels leiden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass das kein leerer Topf bleibt. ({6}) Es ist daher ein klarer Erfolg unserer Ministerin Svenja Schulze. Ich bin sicher, dass aufgrund der vielseitigen Erfahrungen des BMZ im Bereich des Klimarisikomanagements auch die deutsche Beteiligung durch das BMZ gut verwaltet wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Ich freue mich, dass wir mit diesem BMZ-Haushalt die notwendigen Konsequenzen aus den Ereignissen des letzten Jahres gezogen haben, und schaue optimistisch auf das kommende Jahr, in dem wir weiterhin für eine zukunftsorientierte und nachhaltige Entwicklungspolitik einstehen werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Sanae Abdi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Deborah Düring hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Deborah Düring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005045, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Union, ich bin, ehrlich gesagt, ein wenig verwundert über Ihre Worte, nicht nur in dieser Debatte, sondern auch in den letzten Wochen. Sie fordern hier lautstark das eine, haben aber im Haushaltsausschuss und in Ihren Anträgen dort genau das Gegenteil gemacht. ({0}) Wenn Ihnen die Entwicklungspolitik so wichtig ist – das glaube ich Ihnen ja – und auch der Kampf gegen den Hunger, wie Sie in den letzten Wochen immer wieder betont haben, dann frage ich mich schon, warum Sie im September im Haushaltsausschuss der Freigabe von 70 Millionen Euro für die Bekämpfung des Hungers in Somalia und der Sahelregion nicht zugestimmt haben. ({1}) Die Begründung Ihrer Kolleginnen und Kollegen dazu war: Wir brauchen das Geld in Deutschland. – Wir halten also fest: Wenn es wirklich darauf ankommt, stellt sich die Union eben nicht auf die Seite der Ärmsten der Armen. ({2}) Wissen Sie, was Ihre Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss außerdem abgelehnt haben? Ich sage es Ihnen: die Bereitstellung von 50 Millionen Euro für Kreditfonds in Osteuropa, mit denen kleine und mittlere Unternehmen aus der Ukraine in der Getreideproduktion unterstützt werden sollten. ({3}) Dabei wollten Sie doch in Ihren Anträgen zum Haushalt im Ausschuss 73 Millionen Euro zusätzlich für die Privatwirtschaft ausgeben. Hier wollen Sie also die meisten Entwicklungsgelder reinstecken: in Initiativen von Konzernen wie Allianz, Porsche oder Deutsche Bank. Lieber Herr Stefinger, mehrere Studien zeigen, dass durch die jetzige Zusammenarbeit mit der Wirtschaft kaum positive Effekte erreicht werden. Wenn überhaupt, erreichen diese nur unmittelbar beteiligte Partner und die Zielgruppen. Das sind also Projekte, die eben keine breite oder langfristige entwicklungspolitische Wirkung haben. ({4}) Das Märchen von der Hebelwirkung wird in Ihrer Fraktion offensichtlich noch geglaubt. Und ich sage Ihnen: Statt mal neue Lösungen zu präsentieren, bleibt die Union also, wie gehabt, bei der alten Formel: Das haben wir schon immer so gemacht, und genau so machen wir weiter. – Aber so verhindert man die sogenannte Entwicklung, und zwar nachhaltig. Das, liebe Union, ist keine präventive Politik. Das ist Politik aus dem letzten Jahrzehnt, und ich bin froh, dass wir als Ampel das anders machen. ({5}) Wir machen eine feministische Entwicklungspolitik. ({6}) – Ich höre es schon. – Da es in diesem Haus immer noch einige Kolleginnen und Kollegen gibt, die noch nicht genau wissen, was sie darunter verstehen sollen, möchte ich Ihnen das jetzt anhand des Haushaltes mal ein bisschen darlegen: Ziel einer feministischen Entwicklungspolitik ist, dass alle Menschen weltweit dieselben Rechte und denselben Zugang zu Ressourcen haben und in gleichem Maße in ihrer Diversität repräsentiert sind. Genau deswegen haben wir im Haushaltsverfahren dafür gesorgt, dass der Beitrag Deutschlands für UN Women stabil bleibt und wir mit dem Aufwuchs von UNFPA die sexuelle und reproduktive Gesundheit stärken. Eine feministische Entwicklungspolitik bedeutet, dass wir eben auch die Zivilgesellschaft als aktive feministische Akteurinnen und Akteure stärken. ({7}) Genau deswegen haben wir als Ampel die Mittel zur Förderung langfristiger Vorhaben der Zivilgesellschaft und für Zivilen Friedensdienst aufgestockt. Das ist der richtige Weg, um für Stabilität, Resilienz und Frieden zu sorgen und dabei die Bedürfnisse von Frauen und marginalisierten Gruppen zu berücksichtigen. ({8}) Die Klimakrise – das wurde heute schon einige Male gesagt – hat jetzt schon verheerende Auswirkungen, insbesondere im Globalen Süden, die wir als Globaler Norden maßgeblich verursacht haben: Dürren, Unwetter, steigende Meeresspiegel. Frauen und Mädchen werden von der Klimakrise besonders hart getroffen. Sie sterben bei einer Katastrophe mit 14‑mal höherer Wahrscheinlichkeit als Männer, weil sie beispielsweise seltener schwimmen können oder sich auf der Flucht um ihre Angehörigen kümmern. Die Klimakrise gefährdet bereits erreichte und auch zukünftige Fortschritte und belastet insbesondere vulnerable Gruppen, weshalb gerade auch hier feministische Ansätze wichtig sind. Lieber Herr Stefinger, da Sie gerade nachgefragt haben: Ja, die Ampel hat gezeigt, dass uns Klimapolitik und gerade der Schutz der vulnerablen Gruppen auf der COP 27 wichtig waren. ({9}) Was Sie eben nicht geschafft haben, ist, das Thema „Loss and Damage“ auf die Tagesordnung zu setzen. ({10}) Genau das haben wir gemacht im Hinblick auf Schäden, Verluste und den Klimawandel: Wir haben eben für die ärmsten Länder was beschlossen. Ich bin bei Ihnen, wenn Sie sagen, dass es wichtig ist, dass wir als Parlament jetzt daran arbeiten und gucken, wie wir das Ganze ausgestalten und wie wir das auch finanziell hinterlegen. Aber dass dieses Thema überhaupt erst mal auf der Tagesordnung stand, das haben Sie einfach nie geschafft. Es ist jetzt überlebenswichtig, den Klima- und Biodiversitätsschutz zu stärken. Genau deswegen haben wir die Mittel im Klima- und Umweltschutz erhöht, auch wenn die Bedarfe weiterhin enorm sind; da bin ich bei Ihnen. 80 Prozent der besterhaltenen Ökosysteme der Welt befinden sich auf indigenem Land, und das, obwohl Indigene nur 2 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Ein besonderer Erfolg ist daher die Neueinbringung der Initiative CLARIFI zur Stärkung indigener Landrechte. ({11}) Denn auch die Stärkung indigener Rechte gehört zu einer intersektionalen feministischen Entwicklungspolitik, in der überlappende Ungleichheiten gemeinsam angegangen werden. Das tun wir als Ampel mit diesem Haushaltsentwurf. ({12}) Ja, ich bin erleichtert, dass wir als Parlament in diesem Haushalt gezeigt haben, dass globale Gerechtigkeit für uns wichtig ist. Aber es gehört natürlich auch zur Wahrheit, dass wir alle wissen: Strukturelle Änderungen brauchen Planungssicherheit und langfristige Finanzierung. Der BMZ-Kernetat muss in den nächsten Jahren signifikant ansteigen, um langfristige Ziele erreichen zu können. ({13}) Auch die Lösung des Problems der rasant ansteigenden globalen Verschuldung müssen wir ambitioniert angehen. Wir wissen, dass Sicherheit weit mehr ist als militärische Sicherheit. Das Ganze bedeutet auch Sicherheit vor Pandemien sowie vor den Auswirkungen der Klimakrise. Sicherheit ganz im Sinne einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik umfasst Menschenrechte, verantwortungsvolle Regierungsführung, Zugang zu Bildung und Gesundheit sowie die Gewährleistung, dass jeder Mensch die Freiheit und die Möglichkeiten hat, sein Potenzial zu entfalten. Lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen, dass das auch in Zukunft mit unserer Hilfe möglich ist. Wir nehmen unsere globale Verantwortung ernst. ({14})

Thomas Rachel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002754, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 24. November 2021, also genau vor einem Jahr, hat die Ampelregierung ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Hierfür hatte sie den Titel gewählt: „Mehr Fortschritt wagen“. Herausgekommen ist ein Jahr später ein Rückschritt, ein Rückschritt vor allem für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit, der erhebliche Konsequenzen haben wird. Angela Merkel hat in ihren 16 Jahren den Etat für Entwicklungszusammenarbeit 15‑mal erhöht. ({0}) Die derzeitige Bundesregierung hat es stattdessen geschafft, diesen Etat in zwei Jahren gleich zweimal abzusenken. Das ist kein Fortschritt, meine Damen und Herren, das ist buchstäblich ein Rückschritt. ({1}) Wir Christdemokraten begrüßen ausdrücklich, dass die Bundesregierung nach ihrem katastrophalen Entwurf nun doch zusätzliche Mittel für das BMZ zur Verfügung stellt. Hier hat der gemeinsame Protest von CDU/CSU-Opposition und Zivilgesellschaft ganz offensichtlich gewirkt. ({2}) Dennoch: Auch dieser Etat bleibt unter dem Etat in Höhe von 13,5 Milliarden Euro im letzten Regierungsjahr von Angela Merkel. Zudem sinkt die mittelfristige Finanzplanung der Ampelkoalition für den Entwicklungsministeriumsetat in den nächsten Jahren auf 10 Milliarden Euro. Das ist politisch gesehen katastrophal; denn auf der jüngsten Klimakonferenz wurde ein Fonds für klimabedingte Schäden beschlossen. Vor dem Hintergrund dieser Finanzplanung bleibt vollkommen unklar, wie Deutschland seinen Beitrag hierzu leisten möchte – vom Wiederaufbau in der Ukraine ganz zu schweigen. Auch in einem anderen Bereich klaffen Anspruch und Wirklichkeit beim Koalitionsvertrag weit auseinander. Im Koalitionsvertrag kündigen Sie an, das Engagement für Grundbildung zu verstärken. Noch im September forderten die Ampelfraktionen in ihrem Antrag eine Aufstockung der Haushaltsmittel für die Globale Bildungspartnerschaft. Diese Globale Bildungspartnerschaft hat das Ziel, Kindern und Jugendlichen gerade in den ärmsten Entwicklungsländern eine gute Schulbildung zu ermöglichen und damit auch Zukunftsperspektiven. Die FDP forderte im März letzten Jahres die Bundesregierung in einem Antrag dazu auf, den deutschen Beitrag zur Globalen Bildungspartnerschaft auf jährlich 110 Millionen Euro zu erhöhen. ({3}) Auch Sie, liebe Frau Kollegin Menge von den Grünen, forderten noch im September dieses Jahres in Ihrer Rede hier an diesem Pult, den Betrag auf mindestens 110 Millionen Euro pro Jahr anzuheben. 110 Millionen Euro! ({4}) Herausgekommen ist in Ihrem Etat für das kommende Jahr nicht einmal die Hälfte, also nur 50 Millionen Euro. Damit haben Sie in diesem Bereich im Vergleich zum Vorjahr sogar um 14 Millionen Euro gekürzt. Wie passen denn diese Haushaltsentscheidungen der rot-grün-gelben Ampel mit dem Anliegen Ihres Koalitionsvertrages zur Grundbildung zusammen? Gar nicht, ist die Antwort. ({5}) Wer nachhaltig in den armen Regionen der Welt etwas ändern will, kann dies nur durch Bildung der heranwachsenden Generation. Ja, Bildung ist der Schlüssel zum Kampf gegen Armut, gegen soziale Ungerechtigkeit, für Frauen und Mädchen. Bildung hilft, Mädchen vor früher Verheiratung zu schützen. Sie vermittelt Chancen auf eine selbstbestimmte Familienplanung. Bildung ermöglicht Geschlechtergerechtigkeit, ermöglicht Gendergerechtigkeit. Das ist doch auch Ihr Ziel. Mit Unterstützung der Globalen Bildungspartnerschaft besuchen 82 Millionen mehr Mädchen in ihren Partnerländern eine Schule; das entspricht der Einwohnerzahl Deutschlands. Die CDU/CSU-Fraktion hatte deshalb einen Antrag zur Aufstockung der Globalen Bildungspartnerschaft eingebracht, zumindest wieder auf die Höhe dieses Jahres, also 64 Millionen Euro. Aber selbst das haben Sie abgelehnt. Das ist kein Fortschritt, das ist Rückschritt – ein Rückschritt zulasten der Schwächsten in den Entwicklungsländern und vor allem der Kinder. Das Entwicklungsministerium unter Gerd Müller hat das Ziel formuliert, 25 Prozent der entwicklungspolitischen Ausgaben in Bildung und duale berufliche Bildung zu investieren. Gerade durch Pandemie und Schulschließungen ist weltweit eine historisch beispiellose Bildungskrise ausgelöst worden. Deshalb fordern wir Christdemokraten die Bundesregierung auf, sich weiterhin zu diesem 25‑Prozent-Ziel zu bekennen, anstatt an dieser Stelle zu kürzen. Liebe Ampel, Fortschritt – das war Ihr Anspruch. Rückschritt ist hier jedoch das Ergebnis. Sie haben die Prioritäten leider falsch gesetzt. Herzlichen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Manuel Gava hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Manuel Gava (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005062, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, bevor ich mit meiner heutigen Haushaltsrede anfange, möchte ich zunächst einmal begrüßen, dass das Getreideabkommen zwischen der Ukraine und Russland um 120 Tage verlängert wurde. ({0}) Es ist trotzdem beschämend, dass Russland durch das ständige Infragestellen des Abkommens immer wieder versucht, die Angst vor Hungersnöten zu schüren, und in Kauf nimmt, dass Millionen Menschen hungern müssen. Aber über russische Gräueltaten brauchen wir uns an dieser Stelle wohl leider nicht mehr zu wundern. Das Getreideabkommen sieht vor, Getreide vor allem in von Hungersnöten betroffene Regionen zu verschiffen. Die Hilfe kommt somit dort an, wo sie am dringendsten benötigt wird. Das führt beispielsweise dazu, dass in Krisenländern wie dem Libanon inzwischen keine verzweifelten Menschen mehr in Schlangen vor den Bäckereien stehen. Außerdem hilft das Abkommen, die Weltmarktpreise für Getreide deutlich zu senken. Auch die ukrainische Spende von 25 000 Tonnen Weizen, die über das World Food Programme nach Äthiopien gebracht werden soll, dient dazu, akuten Hunger zu lindern. Die Bundesregierung unterstützt diese Initiative, indem sie die Transportkosten in Höhe von 14 Millionen US-Dollar für das Schiff übernommen hat. ({1}) Doch Achtung! Es handelt sich hier um kurzfristige Maßnahmen zur Bekämpfung des Hungers in der Welt. Um langfristige Ergebnisse zu erzielen, konnten wir im Entwicklungsetat 2023 bei der Bekämpfung der strukturellen Ursachen von Hunger letztendlich ein gutes Ergebnis erzielen; und ich sage „ein gutes“, weil ich mir sicher noch mehr Mittel für den Kampf gegen die Ernährungskrise gewünscht hätte. Aber angesichts der Energiekrise und hoher ungeplanter Ausgaben muss auch die Entwicklungszusammenarbeit Kürzungen verkraften. Bei der Verteilung der Mittel zwischen Klimaschutz, Welternährung und den vielfachen nationalen wie europäischen Herausforderungen mussten wir Kompromisse eingehen; das ist uns aber auch gelungen. ({2}) Die Priorisierung der Ernährungssicherung, der Landwirtschaft und der ländlichen Entwicklungen ist explizit im Koalitionsvertrag verankert. Vor diesem Hintergrund begrüße ich die geplante Erhöhung der Mittel für die globale Ernährungssicherung, für die sich auch meine SPD-Bundestagsfraktion eingesetzt hat. ({3}) Meine Kollegin Sanae Abdi hat es eben schon erwähnt: Statt der ursprünglich geplanten 11,08 Milliarden Euro sind im Entwicklungsetat jetzt 12,15 Milliarden Euro vorgesehen. Das gilt es anzuerkennen. An dieser Stelle einen herzlichen Dank an unsere Ministerin Svenja Schulze, an unsere Haushälterin Bettina Hagedorn, meine Sprecherin Sanae Abdi und natürlich an alle anderen Kolleginnen und Kollegen, die daran beteiligt waren und harte Arbeit dazu geleistet haben. ({4}) In diesem Sinne haben wir auch unsere Beteiligung am Welternährungsprogramm verdreifacht. Zu den 28 Millionen Euro im Etatentwurf haben wir weitere 50 Millionen Euro hinzugegeben, sodass nun 78 Millionen Euro bereitstehen. Auch die Sonderinitiative „EINEWELT ohne Hunger“, die jetzt den Titel „Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme“ erhält, wird mit weiteren 54 Millionen Euro unterstützt, ({5}) sodass jetzt insgesamt rund 519 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Zielgruppe dieser Initiative sind überwiegend Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, für die eine nachhaltige und klimagerechte Land- und Ernährungswirtschaft die Grundlage für faire Einkommen, Beschäftigung und Lebensperspektiven darstellt. Diese Mehrausgaben im Bereich der Ernährungssicherung ermöglichen es, Maßnahmen bei unseren Partnerinnen und Partnern auf den Weg zu bringen, die einerseits humanitäre Ernährungshilfe leisten und andererseits zur nachhaltigen Verbesserung der Lebens- und Ernährungsgrundlagen sowie zur Klimaanpassung beitragen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts dieser Ernährungskrise, angeheizt durch die Folgen von Covid-19, des Klimawandels, des Angriffskrieges auf die Ukraine, ist die Entscheidung, diese Mittel bereitzustellen, notwendig. Dementsprechend ist das ein sehr guter Schritt in die richtige Richtung. Herzlichen Dank. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht, und bis morgen! Danke. ({6})