Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Noch vor einem Jahr hätte ich mir nicht träumen lassen, diese Rede hier zu halten. Für mich und meine Fraktion ist die heutige Änderung des Atomgesetzes eine schwere Entscheidung.
Meine große Tochter wurde im Herbst 1985 geboren. Der erste Frühling, den sie erlebt hat, war der Frühling, der keiner war. Im April 1986 gab es radioaktiven Fallout in weiten Teilen Europas, der die Kinder zum Drinnenbleiben zwang und kein Krabbeln im Freien auf dem Boden erlaubte.
Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wurde noch deutlicher, was vielen schon lange klar war: Atomkraft ist keine Lösung. Sicher ist nur das Risiko.
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2001 war der rot-grüne Atomausstieg geschafft, aus dem Union und FDP 2010 wieder ausgestiegen sind. Aber nach Fukushima hat dieser Bundestag einstimmig erneut beschlossen, endgültig aus der Atomenergie auszusteigen. Diese Entscheidung war eine der wichtigsten Entscheidungen der Bundesrepublik nach der Wiedervereinigung, mit der ein gesellschaftlicher Großkonflikt befriedet wurde.
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Leider noch nicht endgültig; denn nach wie vor ist die Endlagerfrage für den hochradioaktiven Atommüll ungelöst. Der Zeitplan kann, so wissen wir heute, nicht gehalten werden.
Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine stellt uns jetzt vor neue Herausforderungen.
Erstens. Putin setzt Energie als Waffe ein. Die Abhängigkeit von russischem Gas, in die uns 16 Jahre unionsgeführte Bundesregierungen gebracht haben, hat sich als fatal erwiesen.
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– Es ist so.
Zweitens. Obwohl die deutschen Gasspeicher dank der Bemühungen des BMWK heute zu nahezu 100 Prozent gefüllt sind, müssen wir weitere Maßnahmen zur Stabilisierung der Energieversorgung in Betracht ziehen.
Drittens. Die Atomenergiepolitik unseres französischen Nachbarn gefährdet die dortige Energieversorgung massiv, weil die Hälfte der französischen Atomkraftwerke wegen technischer Mängel oder Wassermangel stillstehen.
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Das stellt auch unsere Energieversorgung vor Herausforderungen; denn damit erhöhen sich die deutschen Stromexporte nach Frankreich.
Wir stellen uns dieser Herausforderung auf ganzer Linie. Zum einen haben wir die 16‑jährige Blockade der Union der erneuerbaren Energien aufgelöst
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und auf allen Ebenen den Ausbauturbo eingelegt bei Wind- und Solarenergie.
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Weil das aber nicht kurzfristig durch den Winter hilft, ergreifen wir zahlreiche Maßnahmen zur Substitution russischen Erdgases. Die sind alle schon genannt.
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Es ist gut, dass wir zunächst alle diese Register der Energieversorgung gezogen haben, statt wie andere sofort auf die Atomkraft zu schielen.
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Denn die aktuelle Energiekrise hat nichts, aber auch gar nichts an der Gefährlichkeit atomarer Technologie geändert.
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Ganz im Gegenteil: Sie hat uns deren Verwundbarkeit deutlich vor Augen geführt. Gerade wenn wir in die Ukraine sehen, wo Atomkraftwerke zu Angriffszielen werden, wissen wir doch: Jeder Tag länger bei der Atomenergie ist ein Tag zu viel.
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Der Stresstest hat deutlich gezeigt, dass die drei zur Rede stehenden AKW nur wenig zur Stabilisierung beitragen können. Gerade deshalb wäre die Vorhaltung als Notfallreserve, wie wir sie ursprünglich vorgeschlagen haben, eine angemessene Lösung gewesen.
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Das Atomkraftwerk Emsland trägt nun gar nichts dazu bei, ist auch energetisch kontraproduktiv, was den Ausbau der erneuerbaren Energien angeht.
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Die heutige Lösung mit sofortigem Streckbetrieb für alle drei Atomkraftwerke bis längstens 15. April 2023 entspricht dem nur in Teilen. Wir können sie aber aus folgenden Gründen mittragen:
Erstens. Es bleibt beim Atomausstieg.
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Zweitens. Es werden keine neuen Brennelemente beschafft und damit auch kein neues Risikomaterial und keine Grundlage für weitere Verlängerungen.
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Die Union legt uns hier den Ausstieg aus dem Atomausstieg vor. Alle zwei Jahre wollen Sie eine Laufzeitverlängerung machen. Sie nehmen dabei das dadurch entstehende Risiko billigend in Kauf.
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Wie Sie das in Kauf nehmen, haben wir gesehen, als Ihr Sachverständiger in der Anhörung in Bezug auf den Betrieb von Atomkraftwerken gesagt hat: Wo gehobelt wird, fallen Späne. – Atomkraftwerke sind keine Hobelmaschinen, und den Atommüll können Sie auch nicht unter den Teppich kehren.
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Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Die zeitlich befristete Erweiterung des Leistungsbetriebs ist für mich und die meisten Mitglieder meiner Fraktion eine Zumutung.
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Aber wir muten sie uns zu, weil der Atomausstieg damit bestehen bleibt und weil es im Gegensatz zum Entwurf der Union keine Laufzeitverlängerung gibt und keine neuen Brennstäbe und weil wir keine Abstriche bei der nuklearen Sicherheit machen.
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Das Wort des Kanzlers ist auch unseres. Am 15. April 2023 ist Schluss.
Danke schön.
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Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Steffen Bilger.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Ebner, Sie reden mir zu viel über die Vergangenheit. Sie reden nicht wirklich über die Zukunft. Sie reden vielleicht darüber, wie wir über den Winter kommen wollen, über diesen Winter; aber Sie haben nichts dazu gesagt, wie wir über den darauffolgenden Winter kommen sollen.
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Denn da stellen sich die Probleme noch viel mehr. Da fehlen Ihre Antworten, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen.
Auf der einen Seite steht heute der Gesetzentwurf der Bundesregierung: ein Minimalkonsens, Ergebnis einer zermürbenden, monatelangen Debatte innerhalb der Ampelkoalition, beendet durch ein inszeniertes Machtwort des Bundeskanzlers. Ich sage es ganz deutlich: Ein Weiterlaufen der Kernkraftwerke bis Mitte April 2023 bringt zu wenig. Es bringt zu wenig Versorgungssicherheit, auch mit Blick eben auf den übernächsten Winter.
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Es bringt zu wenig preisliche Entlastung für Verbraucher und Unternehmen, und es ist auch zu wenig europäische Solidarität. Das Ganze ist ein Zu-wenig-Gesetzentwurf.
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Auf der anderen Seite steht der Gesetzentwurf von CDU und CSU. Dieser ist eine angemessene und maßvolle Antwort auf die gegenwärtige Energiekrise: Es bleibt beim Ausstieg aus der Kernenergie, aber die Laufzeiten werden bis zum Ende des übernächsten Jahres verlängert.
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Das schafft Versorgungssicherheit; das senkt die Strompreise; das hilft der gesamten europäischen Energieversorgung.
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Unser Vorschlag erspart der Atmosphäre zudem viele zusätzliche Millionen Tonnen CO2, die diese Bundesregierung mit dem Wiederhochfahren der Kohlekraftwerke offensichtlich in Kauf nimmt. Unser Gesetzentwurf ist deshalb ein Genau-richtig-Gesetzentwurf.
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Jetzt kamen hier ein paar Zwischenrufe, was denn mit der Endlagerthematik sei. Die Anhörung im Umweltausschuss hat klar ergeben, dass ein Weiterbetrieb der Kernkraftwerke vorübergehend absolut verantwortbar ist, auch im Hinblick auf die Endlagerung.
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Es geht jetzt um die richtige Antwort in dieser Energiekrise.
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Und weil die Sache ja eigentlich so klar ist, ist die Meinung der Menschen auch ganz klar: Sie stützen unseren Kurs eines befristeten Weiterbetriebs.
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Die Menschen in unserem Land haben kein Verständnis für Ihr parteipolitisches Taktieren, meine Damen und Herren.
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Ich will auch deutlich an die Adresse der FDP sagen: Dieser Entscheidung heute zwischen klaren Alternativen kann niemand ausweichen, auch nicht die Abgeordneten der FDP. Wer jetzt nicht für eine echte Laufzeitverlängerung stimmt, wer jetzt nicht für die Beschaffung neuer Brennelemente stimmt,
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der nimmt billigend in Kauf, dass Deutschland in der Energiekrise ein noch größeres Energieproblem bekommt.
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Deswegen sage ich klipp und klar: Diese Bundesregierung, dieser grüne Energieminister, diese grüne Umweltministerin tragen die Verantwortung dafür, wenn Deutschland nicht gut durch diesen und den nächsten Winter kommt. Wenn die Lichter ausgehen, dann werden Sie dafür die politischen Konsequenzen tragen müssen, Herr Habeck und Frau Lemke.
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– 20 Jahre von 24 Jahren mit der SPD. Bitte kehren Sie auch vor der eigenen Haustür.
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Sie tragen jetzt schon die Verantwortung für unnötig hohe Energiepreise. Bis zu 14 Prozent höhere Stromkosten prognostizieren Experten ohne eine echte Laufzeitverlängerung. Beim Anblick der Stromrechnung kann sich dann jeder Verbraucher, kann sich dann jeder Unternehmer bei dieser Bundesregierung und bei dieser Ampelkoalition bedanken.
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Viel zu lange haben Sie für Ihren Minimalkonsens gebraucht – Niedersachsen-Wahl, Grünenparteitag, sonstige Befindlichkeiten. So kann man ein Land nicht durch eine Krise führen, meine Damen und Herren.
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Minister Habeck hat ja kürzlich öffentlich die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter in seinem Ministerium beklagt. Da habe ich gedacht: Respektable Geste, ein Minister, der auch an seine Leute denkt. Mir war aber nicht klar, dass es in Wahrheit ganz anders ist, dass es schlimm ist in diesem Ministerium. Die Fachleute arbeiten hart, aber offensichtlich auch für die Tonne, zumindest dann, wenn es nicht in die grüne Parteiprogrammatik passt.
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Das zeigt der sogenannte Prüfvermerk, den das Bundeswirtschafts- und das Bundesumweltministerium im März angeblich ergebnisoffen und ohne ideologische Denkverbote in wenigen Tagen erstellt haben.
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Heute wissen wir: Das war eine politische Auftragsarbeit. Vom Gegenteil hat uns die Bundesumweltministerin auch vorgestern bei der Regierungsbefragung nicht überzeugen können. Antworten auf berechtigte Fragen zu Transparenz und Objektivität: Fehlanzeige!
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Es stellt sich klar heraus: Wichtige Aspekte wie der Strompreis, der Klimaschutz wurden bewusst ausgeblendet und – noch schlimmer – nicht ins Konzept passende Meinungen, von Fachbeamten in Entwürfe geschriebene Fakten wurden herausgestrichen,
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zum Beispiel, dass wir mit dem Weiterbetrieb der Kernkraftwerke 25 bis 30 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen können. Das scheint bei den Grünen mittlerweile keine Rolle mehr zu spielen.
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Herr Habeck hat in einer Videogrußbotschaft zur Weltklimakonferenz gesagt, beim Klimaschutz gehe es um das Überleben der Menschheit, die Weltgemeinschaft bewege sich nicht schnell genug, es müssten endlich Ergebnisse geliefert werden usw. Das passt doch nicht zusammen. Einerseits die Welt zu belehren und hier gleichzeitig die Kernkraftwerke abzuschalten und Kohlekraftwerke zusätzlich ans Netz zu nehmen, das versteht niemand, noch nicht einmal Greta Thunberg. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf.
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Carsten Träger.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Deutschland steigt aus der Atomenergie aus.
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In genau 155 Tagen ist es so weit. Das passt zum heutigen Bulzermärtl. 155 Mal werden wir noch wach, dann wird unser Land ein ganzes Stück sicherer sein.
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Ich weiß ja nicht, was Sie an diesem 15. April tun werden – und bei einigen will ich es auch gar nicht wissen –, ich werde an diesem Tag – es ist ein Samstag – meine Kinder und meine Frau umarmen und mit einem Glas Sekt anstoßen. Das gefährliche Kapitel der Kernspaltung zum Zwecke der Stromerzeugung schließt sich dann ein für alle Mal in Deutschland.
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Unwiderruflich, endgültig – es bleibt beim Ausstieg aus der Atomenergie. Damit ziehen wir einen Schlussstrich unter eine Debatte, die uns durch den Überfall von Putins Armeen auf die freie Ukraine aufgedrängt wurde. Niemand hätte in Deutschland noch ernsthaft am Atomausstieg gerüttelt, wenn nicht das Gas als Rückgrat unserer Energieversorgung innerhalb weniger Monate komplett ausgefallen wäre. Seitdem arbeiten wir mit Hochdruck daran, die Energieversorgung neu aufzustellen.
Was Olaf Scholz gesagt hat, ist richtig: Wir müssen über diesen Winter kommen. Wir beschleunigen deshalb den Ausbau der erneuerbaren Energien, wir kaufen fossile Energieträger in der ganzen Welt, wir lassen sogar unsere Kohlekraftwerke länger am Netz, wir bauen Flüssiggasterminals in Rekordzeit, inklusive der Infrastruktur im Hinterland, und wir debattieren eben auch über den sogenannten Streckbetrieb. Wir haben das lange geprüft, und ich glaube, es ist auch unsere Verantwortung als Entscheider in diesem Land, dass wir uns diese Entscheidung eben nicht leicht gemacht haben. Die üblichen Verdächtigen haben natürlich schon vorher gewusst, dass wir die Atomkraftwerke jetzt jahrelang weiterbetreiben müssen, aber die verantwortungsvolle Seite in diesem Haus hat sich die notwendige Zeit genommen und diesen Stresstest durchführen lassen. Dieser wurde nicht von den Ministerien durchgeführt, sondern von den Betreibern der Stromübertragungsnetze.
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Am Ende kommt eine Entscheidung, die nicht jedem von uns schmeckt, die aber insgesamt richtig ist. Den Streckbetrieb finden wir verantwortbar, und er wird einen Beitrag dazu leisten, dass wir über den Winter kommen. Deshalb beschließen wir heute, dass die restlichen Brennstäbe, die sich bereits in den Kraftwerken befinden, ertüchtigt werden dürfen und bis zum Ende verbraucht werden dürfen. Dieses Ende ist der 15. April. Das beschließen wir heute, nicht mehr und nicht weniger.
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Der Stresstest der Energiewirtschaft – wir wollen uns eben bestmöglich vorbereiten – hat gezeigt: Atomkraft leistet nur einen kleinen Teil. Die Atomkraft leistet nicht einmal einen Anteil zur Strommenge, die wir benötigen, sondern sie leistet einen Teil zur besseren Verteilung des Stroms innerhalb Deutschlands; denn in Bayern wird zu wenig Energie erzeugt, und es stehen in Bayern zu wenige Leitungen für den Transport von norddeutschem Strom in die energieintensiven Zentren des Landes zur Verfügung.
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Ja, Herr Söder, hätten Sie richtig für die Zukunft Bayerns vorgesorgt, dann bräuchten wir den Streckbetrieb nicht. Machen Sie es mit sich und Ihrem Gewissen aus, warum Sie nicht anders gehandelt haben.
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Wir hoffen, dass die Hochrisikotechnologie die nächsten dreieinhalb Monate noch unfallfrei übersteht. Denn das muss man auch einmal ehrlich zu Ende denken: Was ist denn, wenn das nicht gelingt? Was ist, wenn wir, weil wir möglicherweise irgendwelche Sicherheitsüberprüfungen hinausgezögert haben, uns dann doch damit konfrontiert sehen – das wird hoffentlich nicht eintreten –, dass ein Unfall passiert? Wer trägt dann die Verantwortung dafür? Diese Frage, Herr Bilger, haben Sie nicht gestellt, und Sie haben sie auch nicht beantwortet; ich glaube, aus guten Gründen.
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– Genau, Sie werden dann derjenige sein, der uns das dann vorwirft. Das kann ich mir schon vorstellen.
Mit der wärmeren Jahreszeit haben wir es dann hoffentlich geschafft. Es bleibt beim Atomausstieg. Wir steigen ein für alle Mal aus dieser Hochrisikotechnologie aus. Da können Sie von der Union sich auf den Kopf stellen und mit den Füßen wackeln; dann ist Schluss, ein für alle Mal.
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Herr Bilger, jetzt habe ich leider nur noch 13 Sekunden; deswegen spare ich mir die Replik auf Ihre Ausführungen.
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Ich bin froh, dass wir heute einen guten Beschluss fassen werden und dass dann dieses Kapitel ein für alle Mal beendet ist.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Thomas Ehrhorn.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich beginne meine Rede mit zwei Zitaten.
Erstens. Robert Habeck im Jahr 2016:
Geben Sie uns noch zwei oder drei Monate, dann regieren wir diese Republik, und dann wird sich Folgendes ändern. … Wir werden Nord Stream nicht bauen und die Handelsbeziehungen des Gastransfers zu Russland sukzessive abbauen, weil wir ein Energiewendeland sind.
Zweites Zitat. Die niedersächsische Fraktionschefin der Grünen, Julia Willie Hamburg, im September dieses Jahres: Es ist ein riesiger Erfolg für die Bundesregierung, dass Deutschland seit 14 Tagen kein Gas mehr aus Russland importiert.
Was sagt uns das? Es zeigt uns, dass es schon vor fünf Jahren Bestandteil der grünen Pläne war, die preiswerten russischen Gaslieferungen zu sabotieren.
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Deshalb zeigt es auch, dass schon die ersten einleitenden Sätze des Gesetzentwurfs der Bundesregierung falsch sind; denn nicht Russland hat künstlich eine Gasknappheit geschaffen, sondern Sie auf der Regierungsbank sind es,
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die mit allen Mitteln diese Lieferungen verhindern wollten und dies durch Ihre irre Sanktionspolitik auch erreicht haben. Sie nutzen also Ihre verlogene Moralpolitik als Rechtfertigung, um Ihre eigentlichen Ziele zu erreichen.
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Eigentlich sollte doch auch dem Dümmsten klar sein, dass wir nicht nur in diesem, sondern auch in den kommenden Wintern grundlastfähige Kernkraftwerke brauchen werden und dass uns deshalb ein zeitlich begrenzter Streckbetrieb nicht einen Meter weiter bringt,
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dass es auch ein Trugschluss ist, zu glauben, man müsse nur genügend Windräder aufstellen, dann könne man alles andere abbauen. Wenn wir das machen, geht halt bei Flaute das Licht aus. Das ist doch so schwer nicht zu verstehen, meine Damen und Herren,
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es sei denn, man baut auf den Import von ausländischem Atom- und Kohlestrom und begibt sich dann natürlich in die nächste fatale Abhängigkeit.
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Wenn man dann auch noch sagt, Atomkraft erzeugt zwar kein CO2, wollen wir aber trotzdem nicht, Kohlekraft wollen wir mittelfristig auch nicht, weil sie nämlich CO2 erzeugt, und preiswertes russisches Gas wollen wir ja schon dreimal nicht, weil wir gerne den Ukraine-Krieg zu unserem machen wollen, ja dann ist dies tatsächlich der direkte Weg in die Zerstörung unserer Industrienation und der Weg in die Verarmung unserer Bevölkerung.
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– Genau diesen Weg beschreiben wir ja auch.
Deswegen fragen sich immer mehr Menschen da draußen, ob es wirklich denkbar ist, dass hier eine überwiegend dumme Politikerkaste einfach nur dumme Entscheidungen trifft.
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Ich kann Sie da draußen aber beruhigen: Das ist eben genau nicht so. Denn wer die tiefrote Vita der grünen Partei und ihrer Akteure durchdrungen hat, der weiß, dass mindestens die ideologische Führungselite ganz genau weiß, was sie tut und wohin der Weg eigentlich gehen soll,
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und einige sagen das inzwischen ganz ungeniert.
Ich zitiere die grüne Wirtschaftsjournalistin der „taz“, Ulrike Herrmann, die sich in einem Vortrag nicht entblöden konnte, Folgendes zu sagen:
Man muss sich klarmachen, dass Klimaschutz den totalen Umbau bedeutet. Da bleibt kein Stein auf dem anderen.
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Dann ist klar, dass es das grüne Wachstum nicht geben wird. Sondern was wir haben werden, ist grünes Schrumpfen.
… wir müssen raus aus dem Kapitalismus. … eine staatlich gelenkte Privatwirtschaft … plus Rationierung, das ist unsere Zukunft.
Wer diese Zukunft will, ja, der kann bitte auch weiter Rot-Grün wählen. Wer das allerdings nicht will, für den gibt es Gott sei Dank eine Alternative.
Vielen Dank.
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Nächste Rednerin: für die FDP-Fraktion Carina Konrad.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir ändern heute das Atomgesetz. Das ist eine Frage der Vernunft. Diese Entscheidung ist unumgänglich geworden. Mit der Laufzeitverlängerung der drei sicheren und auch klimaneutralen Kraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 wird die Stromversorgung über den Winter stabilisiert, und darum geht es.
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Die emotionalen Reden der Kollegen Harald Ebner und Carsten Träger haben klargemacht, dass der Weg hierher nicht einfach war, und er war auch nicht selbstverständlich. Aber wir sind ihn nicht zum Selbstzweck gegangen. Es ist kein Selbstzweck der Ampel, dass diese Laufzeitverlängerung bis in den April heute beschlossen wird. Es geht darum, die Menschen sicher über den Winter zu bringen und den Menschen die Angst davor zu nehmen, dass der Strom ausfallen könnte, man im Kalten sitzen könnte und dass Not, Elend und Verarmung drohen, und darum muss es gehen.
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Der Weg, dafür zu sorgen, dass die Energieversorgung in Deutschland gesichert ist, endet nicht hier am heutigen Tag; so viel ist auch klar.
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Wir haben doch in den letzten Wochen und Monaten alle erlebt, wie sehr unsere Gesellschaft strapaziert wird, wie sehr unsere Wirtschaft strapaziert wird,
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wenn Energiepreise so schnell, so rasant ansteigen. Putin versucht, die Grundlage unseres Wohlstands auszuhöhlen. Unsere Industrie, unsere Handwerksbetriebe, unsere Mittelständler sind Grundlage des Wohlstandes in unserem Land. Deshalb müssen wir dafür sorgen, diesen Wohlstand zu erhalten, und eine sichere Energieversorgung gehört dazu.
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Wir haben gelernt, dass Energieversorgung nicht nur verfügbar sein muss, Energie muss auch bezahlbar sein. Ansonsten wird die Wirtschaft nachhaltig geschädigt; Arbeitslosigkeit, Abwanderungen, Firmenverlagerungen drohen. Das alles wollen wir nicht,
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und auch deshalb treffen wir heute diese Entscheidung.
Wir haben auch andere Entscheidungen getroffen – auch das wurde schon erwähnt –, und wir werden auch noch andere Entscheidungen treffen müssen. Denn wir sehen gerade in einer Zeit, in der die Wirtschaft nicht mehr so stark wächst wie in der Vergangenheit, dass die Illusion von Degrowth sich nicht bestätigt. Sie bestätigt sich einfach nicht. Wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst, hat das nur Nachteile für alle.
Wir haben uns wahnsinnig viel vorgenommen als Ampel. Wir wollen die Zukunft dieses Landes modernisieren und gestalten, und dann muss man auch bereit sein, Entscheidungen zu treffen, damit das möglich ist und die wirtschaftliche Grundlage in unserem Land erhalten bleibt. Deshalb müssen wir uns heute schon Gedanken darüber machen, wie wir über den nächsten, den übernächsten und den Winter in zehn Jahren kommen. Darum muss es jetzt gehen.
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Deshalb verlängern wir heute die Laufzeit der drei AKWs, um über diesen Winter zu kommen. Deshalb treiben wir den Ausbau der erneuerbaren Energien voran und haben dafür schon wegweisende Entschlüsse gefasst. Deshalb treiben wir auch das Thema der Planungsbeschleunigung voran; denn wir haben uns zubürokratisiert in diesem Land. Deshalb haben wir uns auch ein Belastungsmoratorium verordnet und überprüfen, dass Belastungen für die Wirtschaft nicht überproportional ausgedehnt werden,
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und deshalb müssen wir heute schon an den nächsten, den übernächsten und den Winter in zehn Jahren denken.
Wer heute den „Pioneer“ gelesen hat, der sieht, dass gerade auch mit Energie spekuliert wird. 30 Tanker mit LNG-Gas, mit verflüssigtem Gas, schippern vor den europäischen Küsten und warten da,
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dass die Preise hier irgendwann steigen, während unter unseren Böden genau dieses Schiefergas schlummert, das heute umweltfreundlich gefördert werden könnte.
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Deshalb müssen wir uns Gedanken darüber machen, was geht und wie wir weiterkommen. Das ist der Weg, den diese Koalition geht.
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– Natürlich gehen wir ihn. Wir gehen diesen Weg, und Sie werden sehen – –
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– Sie hätten ja mal bei Ihren Wählern um Zustimmung werben können; dann hätte es andere Mehrheiten in diesem Haus gegeben.
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Aber ich muss auch sagen, dass der Stresstest der Vergangenheit, der vergangenen Wochen, kein Stresstest der Zukunft sein darf, und deshalb ist es wichtig, dass wir verantwortungsvolle Entscheidungen miteinander treffen, und das tun wir heute.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Ralph Lenkert.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion Die Linke lehnt jeden Betrieb von Atomkraftwerken ab,
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und ich sage Ihnen, warum:
Erstens. Menschliches Versagen beim Betrieb ist immer möglich, siehe Tschernobyl.
Zweitens. Naturkatastrophen sind mit bester Technik nicht immer beherrschbar, siehe Fukushima.
Drittens. Seit den Terrorangriffen auf die Zwillingstürme in New York kann niemand so einen Angriff auf ein Atomkraftwerk ausschließen.
Viertens. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges hat die Welt Angst, dass ein Super-GAU durch Kriegshandlungen passiert.
Fünftens. Materialalterung, auch unvorhergesehener Materialverschleiß, unsachgemäße Reparaturen, aber auch fehlendes Kühlwasser erhöhen die Risiken der Atomkraftwerke, siehe Frankreich, wo nur 27 von eigentlich 56 Reaktoren Strom liefern.
Sechstens. Weltweit gibt es nach wie vor kein Endlager für Atommüll, und niemand will Atommüll vor seiner eigenen Haustür haben.
Siebtens. Kein Atomkraftwerk, keine Atomanlage ist versichert. Also, liebe Bürgerinnen und Bürger, sollte Ihr Eigentum bei einem Unfall verstrahlt werden: Sie kriegen nichts ersetzt.
Achtens. Ohne Subventionen ist Atomstrom mehr als viermal so teuer wie heutige Windkraftanlagen.
Neuntens. 54 Prozent des angereicherten Urans kommen aus Russland. Wie kann man da, die Herren von der Union und der AfD, ernsthaft russisches Uran als Alternative zu russischem Gas ansehen?
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Zehntens. Uranförderung belastet die Umwelt schwer; das weiß ich als Ostthüringer. Die Sanierung des Uranbergbaus kostete Deutschland bisher mehr als 7 Milliarden Euro, und Tausende Bergarbeiter bezahlten die Förderung mit ihrer Gesundheit.
Und elftens. Die deutschen Atomkraftwerke müssen auch heute nur den technischen Stand von 1980 nachweisen. Das kann doch nicht wahr sein.
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Als Techniker in der Industrie musste ich oft erleben, dass nicht die beste oder die sicherste Lösung umgesetzt wurde, sondern meistens die billigste. Es bleibt dabei: Die Linke lehnt Atomkraft aus diesen guten Gründen ab.
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Liebe Bürgerinnen und Bürger, nicht wegen des russischen Angriffskrieges, nicht wegen des Atomausstieges und nur wenig bedingt durch die Gaspreise explodieren die Strompreise. Falsche Marktregeln und Spekulation sind die Hauptursache für den Strompreisanstieg.
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Um die Strompreise zu senken, brauchen wir keinen Streckbetrieb von Atomkraftwerken; wir brauchen neue und strenge Regeln im Stromsystem. Statt Übertragungsnetzbetreibern Profite aus Netzentgelten zu garantieren, fordert Die Linke, die Übertragungsnetze zu verstaatlichen.
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Und wir fordern ein preiswertes Grundkontingent an Strom für Haushalte, Landwirtschaft und Handwerk.
Liebe Bürgerinnen und Bürger, selbst bei wenig Wind und keiner Sonne gibt es noch genügend Stromerzeugungskapazitäten in Deutschland, um unsere Versorgung zu sichern. Das größte Risiko für unsere Stromversorgung geht von Spekulation mit Strom und von veralteten und falschen Strommarktregeln aus.
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Im Juni 2019 standen wir dreimal kurz vor einem Blackout, weil wegen Bilanzfälschung unser Stromsystem überlastet wurde, und die Bilanzfälschung hatte nur einen Sinn:
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die Gewinnmargen der entsprechenden Händler zu steigern. Das ist das eigentliche Risiko für unsere sichere Stromversorgung.
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Für Die Linke ist Stromversorgung Daseinsvorsorge. Das Stromsystem muss daher vergesellschaftet werden, ohne Wenn und Aber.
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Abschließend: Ohne Atomkraftwerke gäbe es keine Atombomben; das sind Zwillinge. Auch aus diesem Grund muss man Atomkraft ablehnen. Atomstrom ist keine Lösung. Atomkraft schafft nur neue Probleme.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Christian Kühn.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Dieser Gesetzentwurf reiht sich ein in die vielen Maßnahmen, die diese Bundesregierung zur Bewältigung der aktuellen Krise ergriffen hat, damit Deutschland gut durch diesen Winter kommt.
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Drei Gründe machen diesen Gesetzentwurf notwendig: erstens der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und die dadurch ausgelöste Energiekrise,
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zweitens die Krise der französischen Atomflotte – dort steht die Hälfte der Kraftwerke aufgrund massiver Sicherheitsprobleme der Technologie der Atomkraft aktuell still – und drittens das energiepolitische Fiasko aus 16 Jahren unionsgeführter Bundesregierungen,
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eine Melange aus der Abhängigkeit von russischem Gas und einer blockierten und verzögerten Energiewende.
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Diese Bundesregierung handelt in diesen Tagen zutiefst pragmatisch. Dieser Gesetzentwurf – das wurde hier mehrfach betont – ist weder ein Herzensanliegen der Grünen noch der SPD noch der FDP. Er ist im Kern pragmatisch, weil er eine Entscheidung ist, die auf den Ergebnissen des Stresstestes beruht. Wir haben es uns wahrlich nicht einfach gemacht mit dieser Entscheidung. Eine einfache Entscheidung wäre angesichts der Tragweite dieser Verantwortung nicht gerecht geworden, meine Damen und Herren.
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Wir halten mit diesem Gesetz am Atomausstieg fest, und gleichzeitig tun wir das Notwendige, um gut durch diesen Winter zu kommen und die Netzstabilität zu gewährleisten – nicht mehr und nicht weniger.
Ich habe Ihnen von der Union in den letzten Tagen hier im Plenum, aber vor allem auch im Ausschuss sehr genau zugehört. Sie planen nichts anderes als den Ausstieg aus dem Atomausstieg. Seien Sie doch mal so ehrlich, das hier auch zu sagen!
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Sie haben 2011 unter Bundeskanzler Frau Dr. Merkel
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den Ausstieg hier auf den Weg gebracht, und heute fordern Sie den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Sie wollen neue Brennelemente beschaffen.
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Sie wollen mehr Atommüll in Deutschland produzieren und damit das nukleare Risiko in diesem Land erhöhen. Das ist die Wahrheit, und das muss heute auch gesagt werden.
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Sie wollen das nur aus einem Grund: weil Sie bei der Atomkraft ideologisch getrieben sind, bis heute,
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und weil Sie, Herr Merz, der Vergangenheit angehören und nicht in die Zukunft blicken.
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Das zeigt auch der Gesetzentwurf, den Sie heute eingebracht haben. Ihr Gesetzentwurf vermischt Betrieb und Aufsicht hinsichtlich der Frage, wie Sie die Atomkraft weiterbetreiben wollen, und das ist angesichts der Tragweite der Entscheidung und angesichts der nuklearen Sicherheit einer Opposition hier im Deutschen Bundestag unwürdig.
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Lassen Sie uns mit Hochdruck an der Energiewende arbeiten und weiter mit Pragmatismus handeln – für die heutige Generation und zukünftige Generationen!
Danke schön.
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Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Julia Klöckner.
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Guten Morgen, sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär Kühn, dass Sie hier so gegen Ihren Koalitionspartner FDP austeilen, hätte ich jetzt nicht gedacht.
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Sie haben eben gesagt, Sie hätten bei der Anhörung zugehört.
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Es gibt schon einen Unterschied zwischen Zuhören und Verstehen und dann auch noch böser Unterstellung. Ich verstehe ja, dass gerade die Grünen ein Problem haben, dass es Ihnen schwerfällt, diesen Gesetzentwurf heute einzubringen und Ihre Haltung zur Kernkraft zu überarbeiten und stückweise der Realität anzupassen. Das kann ich verstehen.
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Aber was ich nicht verstehen kann, ist, dass Sie Ihre Schmerzen und Windungen abarbeiten an einer Opposition, die mit Fakten argumentiert
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und nicht mit Ideologie, so wie Sie das hier machen.
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Ich kann Sie verstehen, liebe Grüne, wenn man einen Jürgen Trittin in den eigenen Reihen hat, der immer quer im Stall steht und sagt, er lasse sich sein Lebenswerk nicht – Zitat – versauen. Daran sieht man natürlich, dass die Kernkraftdebatte für Sie zu einem Selbstzweck geworden ist.
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Es geht hier überhaupt nicht um die Frage, wie wir dieser Energiekrise, die Menschen Arbeitsplätze kostet, die diesen Wirtschaftsstandort Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig macht, die die Menschen abends wegen der steigenden Energiepreise mit Sorgen ins Bett gehen lässt, mit einer Zeitenwende Herr werden können.
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Eigentlich bedarf es einer Neujustierung der politischen Sichtweisen. Aber wenn jemand bei Ihnen sagt: „Ich lasse mir mein politisches Lebenswerk nicht zerstören“,
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oder in Niedersachsen plakatiert wird: „Bye-bye, AKWs“, dann geht es Ihnen nicht mehr um die Sache, nicht mehr um die Menschen, sondern um Ihren Gründungsmythos, und das wird diesem Land nicht gerecht. Das will ich Ihnen sehr deutlich sagen.
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Auch mit einem weiteren Märchen möchte ich mal aufräumen. Wir haben einen jährlichen Strombedarf von etwa 600 Terawattstunden in Deutschland. Die Hälfte davon wird durch Strom aus erneuerbaren Energien gedeckt. Da kann ich nur sagen: Danke für 16 Jahre Bundesregierung unter CDU und CSU!
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– Ja, Sie lachen jetzt. Ich weiß, dass Fakten wehtun. Deshalb lachen Sie ja heute auch Ihre große Ikone Greta Thunberg aus.
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Sie haben sie ja lange beklatscht, aber jetzt lachen Sie sie aus.
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Im Übrigen lachen Sie auch die Experten Ihrer Gaspreiskommission aus. Sie lachen damit jetzt die Wirtschaftsweisen aus. Sie lachen damit jetzt Studien der Uni Erlangen aus, die genau das besagen, nämlich dass am Ende durch einen Energiemix der Energiepreis gesenkt und die Unabhängigkeit in Deutschland gesichert werden könnte. Es geht doch nicht um alles oder nichts. Es geht doch darum, wie wir einen guten Energiemix hinbekommen. Das wäre mit einer Laufzeitverlängerung um zwei Jahre möglich.
({12})
Eines habe ich jetzt gelernt, und zwar vom Kollegen Träger, der ja schon den Sekt kalt stellt. Nach Ihrer Lesart und der der Ampel ist es ja so, dass der Krieg sehr sicher am 15. April 2023 beendet sein wird.
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Dass Sie das wissen, ist hochinteressant. Und wenn Sie sagen, dass dann auch die Energiekrise beendet sein wird –
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Sie haben jetzt reingerufen: nein, die Atomkraft wird beendet sein –, dann ist das schon eine hohe Form der Dialektik, der wir nicht mehr folgen können.
({15})
Sie sagen, die Kernkraftnutzung sei so schlimm, dass Sie das Ihren Kindern nicht zumuten können, und das habe nichts mit dem Krieg zu tun – Stichwort: 15. April nächsten Jahres. Wenn Sie Ihren Kindern in die Augen schauen wollen, müssten Sie die Kernkraftnutzung heute beenden. Warum stimmen Sie dann heute überhaupt noch der Verlängerung zu?
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Also, Sie müssen doch mal ehrlich bleiben und sagen, was Sie hier umtreibt. Entweder sind es Fakten, oder es ist Ideologie, oder es ist das Machtwort des Kanzlers, der bei einer so wichtigen Frage heute nicht hier sitzt.
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Es geht hier auch um die Standortfrage. Ich will in diesem Zusammenhang eines betonen: Ihr Lieblingswort im Koalitionsvertrag ist ja „Transparenz“; fast 30‑mal haben Sie dieses Wort genutzt. Aber eine ergebnisoffene und transparente Prüfung hat ja nicht stattgefunden, weil ein grüner Staatssekretär den Passus,
({18})
dass eine AKW-Laufzeitverlängerung eine CO2-Reduktion um 25 bis 30 Millionen Tonnen bewirken würde, aus dem Vermerk streichen ließ. Das heißt, Ihnen geht es doch gar nicht mehr um den Klimaschutz. Ihnen geht es doch nur noch um Parteiprogrammatik, und da nehmen Sie Doppelmoral in Kauf. Das, muss ich sagen, ist mehr als fragwürdig; denn Sie entsolidarisieren sich mit anderen Ländern in Europa. Bei Uniper steigt der Bund ein, Uniper baut Kernkraftwerke in Schweden.
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Andere Länder in Europa müssen höhere Preise zahlen, auch ärmere Länder, nur Deutschland nutzt die eigenen Möglichkeiten nicht.
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Ich sage sehr klar: Wir haben auch eine Verantwortung anderen gegenüber. Wir wollen gefracktes Gas importieren, aber selber hier nicht fördern.
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Wir wollen Kernenergie importieren, aber selber hier nicht produzieren. Das ist Wegschieben von Verantwortung.
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Das ist wie moderner Kolonialismus, und das haben die Grünen zu verantworten.
Ich bin sehr froh – und damit schließe ich –, dass unser Fraktionsvorsitzender im Vergleich zu dem der FDP, der das nicht ertragen kann, heute da ist. Hiermit gratuliere ich ihm sehr herzlich zu seinem heutigen Geburtstag.
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Dem Glückwunsch schließe ich mich an, Herr Merz. Am 11.11. Geburtstag zu haben, ist auch etwas Besonderes.
({0})
Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Dr. Nina Scheer.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da gerade noch mal auf die koalitionäre Geschlossenheit angespielt wurde: Frau Klöckner, ich möchte Sie daran erinnern, was wir bei der letzten Runde 2010 und auch im Vorfeld hier erleben mussten,
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als Schwarz-Gelb damals um alles in der Welt Laufzeitverlängerungen beschließen wollte und ein ganzes Jahr gebraucht hat, um über Prognos errechnen zu lassen, dass dies nötig wäre – ich betone: wäre.
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Damals hatten Sie auch intern einen großen Konflikt. Der damalige baden-württembergische Ministerpräsident, Herr Mappus, hatte den damaligen CDU-Umweltminister öffentlich zum Rücktritt aufgefordert,
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weil es ihm nicht gereicht hatte, dass Herr Röttgen eine Laufzeitverlängerung von nur vier Jahren wollte. Bei ihm hörte man sehr deutlich raus, dass auch diese vier Jahre ein Zugeständnis waren und er nicht die Notwendigkeit von Laufzeitverlängerungen sah. Immer und immer wieder wurde aus Ihren Reihen betont, man brauche diese aus Versorgungssicherheitsgründen, weil die Strommengen nicht reichten. Und dafür brauchte man dann ebendiese Studie. Ein Treppenwitz war dann auch noch, dass die beteiligten Minister nebeneinander standen und diese Prognos-Studie in die Kamera hielten und Herr Röttgen offenkundig ein anderes Exemplar hatte. Aber Scherz beiseite! Das ist das, was 2010 zu den Laufzeitverlängerungen geführt hatte.
Bekanntermaßen kam es dann im März 2011 zu der Katastrophe in Fukushima – und nichts war gewesen. Man hat sich für den Ausstieg, für die Rückabwicklung entschieden, und mit keiner Silbe mehr war erwähnenswert, was zu der Entscheidung für diese rückwärtsgewandten Laufzeitverlängerungen geführt hatte. Es gab diese Stromlücke nicht, die Sie herbeireden wollen; es gab sie einfach nicht.
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Jetzt sind wir zwölf Jahre weiter. Wir haben massive Investitionen in erneuerbare Energien getätigt, leider auf Ihre Intervention hin sehr viel langsamer, als das nach dem Wunsch der SPD hätte erfolgen müssen.
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Im Jahr 2010 gab es Investitionen in Höhe von ungefähr 30 Milliarden Euro in erneuerbare Energien. Der absolute Tiefpunkt war dann im Jahr 2019 erreicht. Jetzt haben sich die Zahlen wieder etwas erholt. Aber Sie müssen endlich mal eingestehen, dass das, was Sie mit der Atomenergie öffentlich und auch in der Erwartungshaltung verknüpfen, die Sie den Menschen unterjubeln wollen, bedeutet: Wir werden die Energiewende verlangsamen. Das ist die eigentliche Botschaft, die Sie mit Ihrem Gerede über Laufzeitverlängerungen die ganze Zeit über in die Welt setzen.
({5})
Es ist nachgewiesenermaßen so, dass in dem Moment, wo Strom aus Atomenergie im Netz ist, erneuerbare Energien verdrängt werden.
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Genau das war ja auch ein Grund, warum wir den Streckbetrieb sehr kritisch gesehen haben. Es ist de facto so, dass in dem Moment, wo Strom aus Atomenergie im Netz ist, erneuerbare Energien keinen Platz haben, wenn es zu Netzengpässen kommt. Und das ist leider immer wieder der Fall. Es ist gerade wieder errechnet worden, dass Laufzeitverlängerungen in Europa über das hinaus, was das europäische Regelwerk bisher vorsieht, bedeuten würden, dass 12 Prozent mehr Strom aus erneuerbaren Energien aus dem Netz gedrängt würden.
({7})
Das alles ignorieren Sie, wenn Sie weiterhin auf die Laufzeitverlängerung setzen.
({8})
Natürlich ist es so, dass all die Gründe, die schon immer gegen Atomenergie gesprochen haben, nach wie vor Bestand haben. Auch das wird von Ihnen permanent unter den Teppich gekehrt; das ist schon von einigen meiner Vorredner erwähnt worden. Alle hatten diese Argumente im Gepäck; sie sind auch einfach nicht aus der Welt zu schaffen. Es gibt in der ganzen Welt kein einziges AKW – die deutschen eingeschlossen –, das kriegs- und krisensicher gebaut worden ist. Auch das ist ein Umstand, der von Ihnen einfach verschwiegen wird.
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Frau Dr. Scheer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. – Es gibt periodische Sicherheitsüberprüfungen, die vorzunehmen sind. Von Ihnen wird einfach verschwiegen, dass natürlich die Gesellschaft die Haftung übernimmt, wenn diese nicht von den Betreibern übernommen wird. Das gesamte Modell der Atomenergienutzung fußt darauf, dass die Gesellschaft das Ausfallrisiko der Atomenergienutzung trägt, und zwar schon die ganze Zeit über. Es gibt eine Betreiberhaftung statt einer AKW-bezogenen Haftung. Es gibt eine Haftungsgrenze im Atomgesetz. All dies ist das Ergebnis politischer Entscheidungen, die getroffen wurden, um überhaupt eine Nutzung zu ermöglichen, die sich kostenseitig und wirtschaftlich irgendwie abbilden lässt. Aber es ist eben irgendwann auch an der Zeit, zu sagen: Diese – auch versteckte – Dauersubventionierung, die einem weiteren Ausbau erneuerbarer Energien im Wege steht, muss endlich aufhören.
({0})
Ich möchte daran erinnern, was wir in den letzten Wochen hier entschieden haben, worauf der Fokus, wenn es um Energiesicherheit geht, intensiver gelenkt werden muss, nämlich auf den verstärkten Ausbau erneuerbarer Energien. Wir haben Ende September mit der dritten Novelle zum Energiesicherungsgesetz noch einmal einen Erneuerbare-Energien-Booster beschlossen. Alleine die Maßnahmen, die wir zur Ausweitung der Nutzung bereits bestehender, installierter Anlagen beschlossen haben, und die Erleichterungen bei der Auslastung sorgen für mehr Stromerzeugung, als jetzt im Streckbetrieb ermöglicht wird. Das wird leicht unter den Teppich gekehrt.
Meine Redezeit ist leider um. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, hat das Wort zu einer Kurzintervention Rainer Kraft aus der AfD-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Scheer, Sie wiederholen hier erneut einen Vorwurf, der auch in der öffentlichen Anhörung von vielen vermeintlichen Experten geäußert worden ist, nämlich dass der eine Strom den anderen Strom irgendwie blockieren würde, dass also der sogenannte Kernkraftwerkstrom den Strom aus sogenannten erneuerbaren Quellen blockiert.
Das ist erstens natürlich nicht der Fall, und zweitens wäre es komplett ungesetzlich; denn das Erneuerbare-Energien-Gesetz kennt den Einspeisevorrang. Es ist per Gesetz geregelt, dass, wann immer eine erzeugte Kilowattstunde aus sogenannten erneuerbaren Energien ins Netz eingespeist werden kann, die konventionellen Anlagen heruntergefahren werden müssen, um Platz für die Aufnahme im Netz dieser Kilowattstunde aus sogenannten Erneuerbaren zu schaffen. Das heißt, der Effekt, den Sie angesprochen haben und den manche Experten in der öffentlichen Anhörung haben vermuten wollen, ist per Gesetz illegal,
({0})
den darf es gar nicht geben. Einzige Ausnahme: Erst dann, wenn das Netz bereits mit Energie aus sogenannten Erneuerbaren gesättigt ist, kann eine Kilowattstunde aus sogenannten Erneuerbaren vom Übertragungsnetzbetreiber abgelehnt werden.
Das heißt, im Erneuerbare-Energien-Gesetz ist festgelegt, dass der von Ihnen beschriebene Effekt, dass das Netz mit sogenanntem Kernkraftwerkstrom voll wäre, de facto nicht existieren kann und darf. Das wäre nämlich absolut ungesetzlich.
Danke schön.
({1})
Frau Dr. Scheer, möchten Sie antworten?
Herr Dr. Kraft, Sie müssten es eigentlich besser wissen.
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Sie unterstellen mir Unwahrheit bzw. Faktenlosigkeit und wollen das mit Ihrerseitiger Faktenlosigkeit belegen.
({1})
Das ist, mit Verlaub, etwas erbärmlich.
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Sie wissen ganz genau, dass in Deutschland sehr viel Windstrom – inzwischen auch Photovoltaikstrom mit steigender Tendenz – abgeregelt wird, und das hat einen Grund:
({3})
weil die Netzkapazität genau dann nicht ausreicht, wenn es aufgrund der fluktuierenden Eigenschaft von erneuerbaren Energien zu einer erhöhten Einspeisung in die Netze kommt. Deswegen brauchen wir auch einen Umbau des Stromsystems, das auf die Eigenschaften der erneuerbaren Energien Rücksicht nimmt. Dieser Umbau ist ein zentrales Element der Energiewende, und daran wird unter Hochdruck gearbeitet.
Der Einspeisevorrang für erneuerbare Energien, den Sie ansprechen, führt dazu, dass Anlagenbetreiber eine Entschädigung für diesen abgeregelten Strom erhalten. Sonst wäre dieser Einspeisevorrang nicht zu rechtfertigen. Die Entschädigung bezieht sich auf den Vorrang.
({4})
Und die Abregelung findet aus Sicherheitsgründen statt. Wenn Sie das verleugnen, dann haben Sie einen neuen Level bei der Faktenverleugnung erreicht. Das tut mir sehr leid für Sie, Herr Dr. Kraft.
({5})
Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Dr. Michael Kaufmann.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Der vorliegende Entwurf des Atomgesetzes greift viel zu kurz, ist im Ergebnis aber zu begrüßen. Interessant ist, dass Sie in der Begründung auf genau jene Argumente zurückgreifen, die wir Ihnen in den vergangenen Monaten immer wieder vorgetragen haben.
({0})
Wir hätten die nun anstehende Entscheidung und damit ein gutes Stück mehr Sicherheit für die Bürger also schon viel früher haben können, wenn Sie nicht auf beiden Ohren taub gewesen wären, nur weil die richtigen Argumente von der AfD kommen.
({1})
Es brauchte erst das Machtwort des Bundeskanzlers, um den zerstrittenen Hühnerhaufen der Koalition wieder ein Stück weit auf den Kurs der Vernunft zu bringen.
({2})
Unabhängig von der geringen Laufzeitverlängerung
({3})
müssen wir aber die Voraussetzungen schaffen, damit unsere Industrie die großen Chancen der Kerntechnik nutzen kann. Deswegen haben wir diesen Antrag gestellt. Allerdings frage ich Sie nach der Beratung im Ausschuss, werte Kollegen, ob Sie unseren Antrag überhaupt gelesen haben. Quer durch alle Fraktionen wurde erklärt, dass in Deutschland keine Kernkraftwerke mehr gebaut würden. Das aber geht am Kern unseres Antrages völlig vorbei. Wir fordern darin die öffentliche Förderung der Kernenergieforschung, damit uns in Deutschland das damit verbundene wirtschaftliche Potenzial nicht verloren geht.
({4})
Denn – auch wenn Sie es noch nicht bemerkt haben – im Hinblick auf die Kernenergie ist Deutschland ein Geisterfahrer in der Welt. Rund 90 Reaktoren befinden sich weltweit in Planung, weitere 60 werden gerade gebaut,
({5})
und zwar nicht in fernen Regionen, sondern in unseren Nachbarländern wie Polen, den Niederlanden und Frankreich.
({6})
Die Kernkraftwerke in den Nachbarländern können uns vor Stromsperren und dem Blackout retten.
({7})
Wir setzen uns mit unserem Antrag dafür ein, dass dieses enorme wirtschaftliche Potenzial der deutschen Industrie nicht verloren geht. Die ideologiegeleitete Forschungspolitik gibt sich hingegen alle Mühe, die Entwicklung neuer und besserer Reaktortechnik in Deutschland so unattraktiv wie möglich zu machen. Grüne Politik ist der größte Standortnachteil für den Forschungsstandort Deutschland.
({8})
Wenn Sie nun darauf verweisen, dass Forschung an der Kernenergie in Deutschland ja nicht verboten sei, dann ist das mit Verlaub einfach lächerlich, und das wissen Sie auch. Indem Sie unseren Antrag ablehnen, schaden Sie dem Wirtschaftsstandort Deutschland und betreiben indirekt Wirtschaftsförderung für die USA, Russland oder China.
Danke.
({9})
Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Dr. Lukas Köhler.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, in einer solchen Debatte, die wir hier in diesem Hohen Haus zu Recht auch sehr emotional führen, muss man sich verdeutlichen, warum wir überhaupt über dieses Thema sprechen, warum es nötig ist, diese Debatte zu führen. Der Grund ist nicht, dass wir eine große Debatte über die Zukunft der Energieversorgung in Deutschland führen – die müssen wir auch führen –, sondern der Grund ist ganz klar, weil Wladimir Putin einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt und gleichzeitig einen Energiekrieg gegen uns, gegen Europa. Es ist nötig, jetzt dafür zu sorgen, dass all das, was wir tun können, um über den Winter zu kommen, auch getan wird. Das ist der Grund, warum diese Debatte heute hier geführt wird.
({0})
Das ist der Grund für dieses Gesetz. Wir führen heute keine Diskussion, keinen ideologischen Streit darüber, ob wir Kernkraftwerke länger laufen lassen oder nicht. Es geht ausschließlich um die Notwendigkeit, über diesen Winter zu kommen, und zwar so sicher wie möglich.
({1})
Das erlaubt das hier im Entwurf vorliegende Gesetz, und ich bin froh darüber.
Es ist ein guter Tag für Deutschland, weil wir dafür sorgen, dass Unternehmen sicher sein können, im Winter ausreichend Energie zu bekommen; denn die Versorgungssicherheit war gefährdet, weil Frankreich seine Atomkraftwerke nicht im Griff hat, weil wir zu wenig Gas haben, weil wir Probleme mit der Netzstabilität haben.
({2})
Und ja, wir müssen auch dafür sorgen, dass die Strompreise nicht nur durch einen Strompreisdeckel gesenkt werden, sondern auch dadurch, dass wir alle Kapazitäten nutzen, die wir zur Verfügung haben.
({3})
Herr Dr. Köhler, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der AfD-Fraktion?
Nein, danke. – Die Diskussion, die wir hier führen – und das ist das Wesentliche –, ist in einer Situation entstanden, in der Gas nicht verstromt werden sollte, unter keinen Umständen. Denn wir müssen Gas sparen, wir müssen über diesen Winter kommen, indem wir so wenig Gas wie möglich nutzen. Die Situation im kommenden Jahr – so sieht es im Moment aus – ist aber eine andere. Wir haben die LNG-Kapazitäten ordentlich ausgebaut. Wir haben eine neue Infrastruktur, wir importieren mehr Gas, und, ja, es besteht immer noch die Hoffnung, dass Frankreich seine Stromversorgung wieder in den Griff bekommt. Das nächste Jahr sieht also anders aus. Deswegen ist es richtig, jetzt nur über den 15. April zu sprechen. Deswegen ist es völlig korrekt, darüber nachzudenken: Wie kommen wir über diesen Zeitraum, über die kalte Zeit des kommenden Jahres, um da kein Gas zu nutzen, um Strompreise zu senken, um für Netzstabilität zu sorgen?
Es ist auch richtig, darüber zu sprechen, wie wir 2023 und 2024 weitermachen. Aber da ist die Antwort im Moment eindeutig: Kohle und Gas. Und ja, auch das ist keine einfache Debatte. Zum Glück ist der Schaden aus klimapolitischer Sicht nicht so groß, weil der europäische Emissionshandel das Ganze regelt.
Aber natürlich bedeutet diese laufende Diskussion auch, dass wir darüber debattieren müssen: Wie sieht die Stromversorgung in Zukunft aus?
({0})
Wir wissen doch heute schon, dass der alte Deal, den wir mal mit der Gesellschaft, mit der Wirtschaft geschlossen haben – wir setzen auf einen massiven Einstieg in erneuerbare Energien
({1})
und sorgen für eine Grundversorgung in der deutschen Energiewirtschaft
erst durch Erdgas, dann durch Wasserstoff –, so nicht funktionieren wird.
({2})
Denn das Problem ist doch, dass wir günstiges Pipeline-Gas aus Russland nie wieder in diesem Maß beziehen werden, wie wir es bisher getan haben. Und das ist auch richtig so, weil wir nicht abhängig von anderen Quellen sein können. Wenn wir dafür sorgen können, dass der LNG-Preis so niedrig ist, dann funktioniert auch diese Diskussion.
Aber um die Energieversorgung der Zukunft Deutschlands sicherzustellen, werden wir jetzt dafür sorgen müssen, dass wir zum einen eine Debatte über den Strommarkt führen, eine Debatte darüber: „Wie sieht eigentlich eine Welt aus, die fast nur noch aus erneuerbaren Energien besteht, auch mit hohen Wasserstoffkosten?“, und eine Debatte darüber: „Wie kriegen wir eigentlich ausreichend Gas, um da hinzukommen?“ Diese Debatte zu führen, ist das eigentlich Wesentliche, was wir jetzt tun müssen. Die Debatte darüber, jetzt das zu tun, was nötig und was richtig ist, ist absolut korrekt.
Und ja, die Notwendigkeit, günstige Strompreise zu haben, besteht nicht nur für Bürgerinnen und Bürger, sondern sie besteht auch insbesondere für all diejenigen, die – wie wir – wollen, dass dieses Land klimaneutral wird. Denn wir werden es nicht hinbekommen, Klimaneutralität durch Deindustrialisierung zu erzeugen, sondern wir werden dafür sorgen müssen, dass Wirtschaftswachstum und die Reduktion von CO2 miteinander einhergehen. Dazu brauchen wir günstige Energie.
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Die Herausforderung, vor der wir aber gerade stehen, ist, dass wir enorme Investitionen brauchen. Wir brauchen aber gleichzeitig auch enorme Planungsbeschleunigung. Ich glaube, das ist die Debatte, die wir als Nächstes in diesem Bundestag führen müssen.
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Wir müssen dafür sorgen, dass wir in Deutschland schneller werden mit Infrastruktur, mit Energieausbau. Ja, wir tun heute, was nötig ist. Aber wir werden morgen dafür sorgen, dass wir das tun, was weiterhin richtig ist.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort zu einer Kurzintervention aus der AfD-Fraktion hat Herr Bystron.
({0})
Frau Präsidentin, vielen Dank für diese Kurzintervention. – Lieber Herr Kollege, Sie haben Ihren Vortrag mit einer Falschbehauptung eröffnet. Also bitte, wir führen diese Diskussion hier nicht deswegen, weil Tausende Kilometer entfernt von uns ein Krieg stattfindet. Wir führen diese Diskussion, weil die Bundesregierung aus der Atomkraft ausgestiegen ist, weil hier 2011 – da waren Sie, die FDP, an der Regierung beteiligt –
({0})
ein Beschluss gefasst wurde, weil in Fukushima ein Atomunfall war,
({1})
wo Menschen wegen einer Tsunamiwelle ertrunken sind. Da ist niemand an Radioaktivität gestorben.
({2})
Aber hier wurde Panik vor Atomkraft geschürt.
Ich meine, das Risiko, dass eine Tsunamiwelle über Deutschland rüberschwappt, ist relativ gering, nicht? Aber Sie haben trotzdem den Ausstieg beschlossen. Sie haben beschlossen, dass bei der Stromproduktion durch Gas substituiert wird. Wir haben dann auf Gaskraftwerke umgestellt, haben günstige, langfristige Lieferverträge mit Russland geschlossen. Diese kippen Sie wiederum. Das sind alles politische Entscheidungen. Das sind alles falsche politische Entscheidungen.
Ich verstehe schon, dass Sie als FDP sich da aus der Verantwortung rausziehen wollen. Aber die Wahrheit bleibt einfach eine andere: Der Krieg ist nicht daran schuld. Schuld daran sind Ihre falschen politischen Entscheidungen.
({3})
Herr Dr. Köhler, möchten Sie antworten?
Lieber Kollege, ich habe noch versucht, die Frage zu entdecken.
({0})
Das zweifelhafte Verhältnis der AfD zu Russland ist ja bekannt. Dass Sie nicht akzeptieren können, dass das Problem, vor dem wir gerade stehen, deswegen entsteht, weil eine politische Entscheidung getroffen wurde – und zwar nicht hier im Haus, sondern von Wladimir Putin –, dieses Land anzugreifen,
({1})
was dazu geführt hat, dass Wladimir Putin versucht, diese Energiekrise selber zu erzeugen und dafür zu nutzen, dass dieses Land vor die Hunde geht, und dass wir uns mit aller Kraft der demokratischen Parteien in diesem Haus dagegenstemmen, ist mir klar. Aber es ist traurig.
({2})
Es ist traurig, dass Ihre Fraktion darauf hofft, dass dieser Winter dazu führen wird, dass es uns schlecht geht,
({3})
weil Sie sich davon erhoffen, dass es Ihnen politisch gut geht. Was ist das denn für eine Absurdität?
({4})
Sich hierhinzustellen und zu sagen, dass dieser Krieg nicht dafür verantwortlich ist, ist eine Absurdität der Geschichte. Es erklärt sich leider nur so, dass Sie völlig verloren sind in Ihrer politischen Ausrichtung.
({5})
Sie sollten ganz dringend mal Ihr Verhältnis zu Wladimir Putin und zu Russland überdenken,
({6})
wenn Sie das hier als Argument vorführen. Es tut mir leid.
({7})
Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Bernhard Herrmann.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Während 1986 nach Tschernobyl die kleine Tochter von Harald Ebner keinen Frühling erlebte, ließ man uns als 20-jährige Grundwehrdienstleistende durch die brandenburgischen Wälder robben. Wir sammelten Pilze. Die Atomlobbyisten aller politischen Systeme waren sich schon immer erschreckend einig: verharmlost, verschwiegen, unverantwortlich.
({0})
Aber mit dieser Erfahrung in die Gegenwart! Am Mittwoch ging der größte schwedische Atomreaktor unplanmäßig vom Netz. Heute vor einer Woche hat die französische Atomaufsichtsbehörde das Hochfahren des Reaktors Cattenom 1 untersagt. Defekte Schweißnähte gefährdeten die nukleare Sicherheit. Das sind nur mal zwei von unzähligen Beispielen dieses Jahres, die eines ganz klar zeigen: Atomkraftwerke sind keine zuverlässige, stabile Energiequelle.
({1})
In Frankreich sieht man die Folgen atomfreundlicher Energiepolitik: Mehr als die Hälfte der Kraftwerksleistung fehlt seit Monaten am Netz. Die Strompreise sind dort deutlich höher als hier in Deutschland, auch zur Stunde übrigens. Bei uns drücken viel Wind- und Sonnenstrom den Großhandelspreis. Klar, dass das einigen wehtut und nicht gefällt. Trotzdem aber – oder eben deshalb – halten einige Ideologen weiter an der Mär zuverlässiger, günstiger Atomenergie fest und verkaufen sie dann als klimafreundliche Brücke zu einer Energiewelt mit 100 Prozent Erneuerbaren. Dabei gehört die Atomkraft ebenso wie Fracking zur alten Welt konventioneller Energie.
({2})
Sie ist eben keine Brücke in die neue Welt. Sie ist ein Brückenpfeiler, auf Sumpf gebaut.
({3})
Denn Atomkraftwerke sind unflexibel. Sie können die Produktion nicht an Verbrauch und volatile Erzeugung aus Sonne und Wind anpassen. Sie verstopfen die Netze und zwingen dazu, Erneuerbare abzuschalten.
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Für uns Grüne ist klar: Der Atomausstieg ist nötig, und daran rütteln wir nicht. Neue Brennstäbe mit neuem Atommüll gibt es mit uns definitiv nicht.
({5})
Aber der Energiekrise begegnen wir mit allen sinnvoll verfügbaren Maßnahmen. Gerade in diesem Winter besteht die Gefahr, dass es über begrenzte Zeit zu kritischen Netzsituationen kommen könnte, die geordnetes Abschalten erfordern könnten – geringer übrigens als anderswo, auch in Westeuropa. Der Stresstest hat gezeigt, dass die süddeutschen AKWs einen sehr begrenzten Beitrag leisten können, die Situation zu entspannen. In Abwägung zwischen nuklearer Sicherheit und Energieversorgungssicherheit halte ich daher deren Streckbetrieb für fachlich vertretbar.
Das trifft für das AKW Emsland nicht zu.
({6})
In Norddeutschland gibt es genügend andere Kraftwerkskapazität. Der dort fachlich für mich nicht nachvollziehbare Streckbetrieb ist ein sehr schwer hinnehmbarer politischer Kompromiss.
Das wird mich nach gewissenhafter Abwägung jedoch nicht davon abhalten, dem Regierungsentwurf zuzustimmen. Denn das Wichtigste, was dieser eben auch enthält und was explizit vom Kanzler bestätigt wurde, ist: Es wird keine neuen Brennelemente geben,
({7})
und am 15. April 2023 werden die verbleibenden AKWs endgültig abgeschaltet und unverzüglich rückgebaut. Herr Bundeskanzler, vor allem auch Sie stehen hier im Wort.
Vielen Dank.
({8})
Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Andreas Lenz.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon eine besondere Episode der Ampelpolitik, die wir im Kontext der Laufzeiten der Kernkraftwerke erleben. Zunächst wurden vom Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz sowie vom Umweltministerium Prüfungen nach dem Motto durchgeführt: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf! Verrücken Sie nicht unser ideologisches Weltbild! Unsere Meinung steht bereits fest!
Vor der Prüfung des Sachverhalts wurden wider besseres Wissen Stellungnahmen vorformuliert. Ohne die Fachebenen einzubeziehen, ohne den Rat und die Expertise der Kraftwerksbetreiber zu berücksichtigen, ohne die Studienlage zu berücksichtigen, ohne auf den Rat von Fachbeamten zu hören, wurde im März ein Vermerk erstellt, in dem dann – wen wundert’s? – stand, ein Weiterbetrieb sei nicht zu empfehlen.
({0})
Inhaltliche Punkte zum sehr wohl möglichen sicheren Weiterbetrieb, zu CO2-Minderungseffekten, zu Gasspareffekten, zu Preisdämpfungseffekten wurden schlichtweg unterschlagen und ausgeblendet. Und das ist im höchsten Maße unseriös, meine Damen und Herren.
({1})
Tricksen und Täuschen, Leugnen und Lügen, Unterschlagen und das Unterdrücken von Kritik: Es drängt sich der Eindruck auf, dass in den Ministerien so gearbeitet wurde –
({2})
das Ganze garniert mit andauernden Aussagen wie beispielsweise, wir hätten kein Stromproblem oder es würden durch einen Weiterbetrieb nur marginale Mengen Gas eingespart werden.
({3})
Eine ergebnisoffene Prüfung zuzusagen und sie dann nur vorzugaukeln, das ist schon ganz schön dreist, meine Damen und Herren!
({4})
Herr Habeck ist eben doch nicht der andere, der ehrlichere Politiker, als der er sich ja gerne darstellt. Lügen haben kurze Laufzeiten – so kann man den Sachverhalt zusammenfassen, meine Damen und Herren!
({5})
Und dann kam eine bestellte Richtlinienentscheidung aus dem Kanzleramt, um die Basis der Parteien, sowohl der Grünen als auch der FDP, quasi zu besänftigen. Das ist eine riesige Mogelpackung, meine Damen und Herren. Schaut man sich an, was der Weiterbetrieb bis zum 15. April beinhaltet, dann stellt man fest, dass hiermit beim Kraftwerk Emsland, aber auch bei den anderen Kraftwerken ein massiver Abfall der Leistungen und damit der produzierten Strommenge verbunden ist. Das bedeutet Streckbetrieb.
Bei Emsland ist es so, dass die Leistung von jetzt 1,3 GW auf im April dann nur noch 0,6 GW reduziert werden wird. Das Problem ist, dass eben keine neuen Brennstäbe bestellt werden. Diese sind aber notwendig; denn es wird auch 2023/24 einen Winter geben, und auch da wird Strom gebraucht werden, sehr geehrte Damen und Herren.
({6})
Deshalb müssen wir jetzt bestmöglich darauf vorbereitet sein, und es müssen entsprechend auch die Brennstäbe bestellt werden.
({7})
Ich muss ganz offen sagen: Ich bin gespannt, wann die FDP eigentlich merkt, dass sie wirklich die Allerletzten sind, die sich hier durchgesetzt haben. Sie lassen sich doch hier gerade von den Grünen aus ideologischen Gründen verhaften. Sie können heute gerne Ihrem eigenen Vorschlag zustimmen, wenn Sie unserem Vorschlag zustimmen.
({8})
Sehr geehrte Damen und Herren, wir brauchen nach wie vor jede Kilowattstunde. Die Lage ist nach wie vor ernst.
({9})
Mehr Strom aus Kernkraft führt zu weniger verstromtem Gas, zu weniger CO2-Emissionen, zu sinkenden Preisen und leistet einen Beitrag zur Versorgungssicherheit und zur Netzstabilität, auch über den 15. April 2023 hinaus.
Herzlichen Dank.
({10})
Nächster Redner: Robert Farle.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Ampel will drei Kernkraftwerke jetzt drei Monate weiterlaufen lassen. Sie haben offensichtlich Angst vor dem ersten Protest der Bürger, sobald der erste Blackout auftritt.
({0})
Die grünen Transformationsideologen bestehen auf der endgültigen Abschaltung, weil sie Argumenten in keiner Weise mehr zugänglich sind.
Die „taz“-Journalistin Ulrike Herrmann hat es mit verblüffender Ehrlichkeit auf den Punkt gebracht – ich zitiere –:
({1})
Man muss sich klarmachen, dass Klimaschutz den totalen Umbau bedeutet, da bleibt kein Stein auf dem anderen … Dann ist klar, dass es das grüne Wachstum nicht geben wird, sondern was wir hier haben werden, ist grünes Schrumpfen … wir müssen raus aus dem Kapitalismus.
({2})
Ihnen geht es nicht um den Klimawandel und das Klima, sondern um den totalen Umbau, weg von einer freiheitlichen sozialen Marktwirtschaft, hin zu einer CO2-gesteuerten Misswirtschaft, Schrumpfwirtschaft und Mangelwirtschaft.
Alle Verfahren der Energieerzeugung, die eine industrielle Produktion ermöglichen, sind in Deutschland von Ihnen diskreditiert worden. Übrig bleiben nur noch Windkraftanlagen und Solarpaneele, die für die industrielle Produktion nicht taugen. Wenn es Ihnen um CO2 ginge, dann wäre das CO2-Abscheideverfahren nicht verboten, dann wären die E‑Fuels zugelassen, dann würden Kernkraftwerke dauerhaft weiterlaufen, wie es in der ganzen Welt der Fall ist.
Sie wollen mit der Brechstange zurück ins vorindustrielle Zeitalter, ins Mittelalter: keinen motorisierten Individualverkehr, keine Einfamilienhäuser, keine Flugreisen, kein Fleischverzehr, kein Silvesterfeuerwerk,
({3})
Verbote statt Freiheit.
Sehr geehrter Herr Habeck, Sie haben uns bezüglich der Energieversorgung belogen und betrogen. Treten Sie endlich ab!
({4})
Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Jakob Blankenburg.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in dieser Woche sehr intensiv über das Für und Wider der Verlängerung der AKW-Laufzeiten gesprochen, und zwar nicht nur hier im Plenum, sondern auch im Petitionsausschuss, im Rahmen einer öffentlichen Anhörung mit zahlreichen Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft und im Umweltausschuss.
Nach diesen vielfältigen Beratungen stehen wir heute hier, um zu entscheiden, wie lange die drei noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 weiterbetrieben werden – entweder, wie von der Unionsfraktion vorgeschlagen, mindestens zwei Jahre länger, also bis Ende 2024, mit einem Hintertürchen für weitere Laufzeitverlängerungen – wenn Sie ehrlich wären, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, dann würden Sie sagen, dass es das ist, was Sie eigentlich wollen, dieses Hintertürchen –, oder, wie von der Regierungskoalition vorgeschlagen, für dreieinhalb Monate bis zum 15. April des nächsten Jahres.
Meine Meinung dazu ist klar: Wir schaffen mit dem AKW-Streckbetrieb, über den wir heute hier reden, bis zum 15. April ein weiteres Sicherheitsnetz für die Energieversorgung, auch wenn wir eigentlich davon ausgehen, dass wir es nicht brauchen werden.
Aber mit dieser Entscheidung zum temporären Weiterbetrieb übernimmt die Regierungskoalition Verantwortung in schwierigen Zeiten, in denen Energiesorgen Bürgerinnen und Bürger genauso umtreiben wie die zahlreichen kleinen und großen Betriebe in diesem Land. Zu Recht haben wir uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Denn es ging um eine sehr grundsätzliche Abwägung zwischen den Aspekten „Sicherheit“, „Gesundheitsschutz“, „Versorgungssicherheit“ und „Bezahlbarkeit von Energie“.
Die Aufgabe einer verantwortungsvollen Regierung ist es, all diese Aspekte miteinander in Einklang zu bringen, und das ist uns gelungen. Wir halten am Atomausstieg fest, wie wir es auch 2021 im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Wir kaufen keine neuen Brennstäbe. Wir nutzen vorhandene Ressourcen zur Energieerzeugung komplett aus. Konkret holen wir noch das letzte bisschen Energie aus den in den AKWs eingesetzten Brennstäben heraus.
({0})
Und wir behalten mit dem zeitlich sehr begrenzten AKW-Streckbetrieb die Sicherheitsrisiken und Entsorgungsfragen der Nutzung der Atomkraft im Blick. Wir gehen als Koalition eben nicht nach dem Prinzip „Wo gehobelt wird, da fallen Späne“ vor, wie das während der Expertinnen- und Expertenanhörung von einem Sachverständigen der Union als gangbarer Weg betrachtet wurde. Für uns ist ganz klar: Die Nutzung der Atomkraft ist und bleibt riskant.
({1})
Als Regierungskoalition übernehmen wir außerdem Verantwortung beim Thema Energiepreise. Der strompreisdämpfende Effekt des AKW-Streckbetriebs ist das Lieblingsargument der Unionsfraktion für ihren Gesetzentwurf; aber es ist fraglich, ob der AKW-Weiterbetrieb überhaupt zu spürbaren Effekten beim Strompreis führt. Das hat auch die öffentliche Anhörung am Mittwoch noch mal ergeben. Vielleicht hätten da einige Kolleginnen und Kollegen aus der Unionsfraktion besser aufpassen sollen.
({2})
– Oder anwesend sein, auch ein guter Tipp.
Die Aussagen der Wissenschaft über die absenkende Wirkung des AKW-Weiterbetriebs auf den Strompreis unterscheiden sich stark und werden vor dem Hintergrund unterschiedlicher Annahmen getroffen. Aber was sie vereint: Sie ist nicht groß genug, um für wirkliche Entlastungen bei Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen beim Strompreis zu sorgen.
Das Preisargument ist also ein vorgeschobenes Argument, um das zu fordern, was Sie schon vor dem abscheulichen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und der daraufhin folgenden Energiekrise gefordert haben: den mehrjährigen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke.
Was wir mit Blick auf bezahlbare Energie wirklich brauchen, sind grundlegende Veränderungen auf der systemischen Ebene. Genau diese systemische Ebene gehen wir jetzt an. Um bei Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen auch für kurzfristige Entlastung zu sorgen, bringen wir schon jetzt konkrete Instrumente auf den Weg: Die Strom- und Gaspreisbremsen werden kommen, und es wird gezielte Entlastungszahlungen geben.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht uns als Regierungskoalition also darum, dass genug Energie zur Verfügung steht, und auch darum, dass sie bezahlbar bleibt. Beides werden wir auch nach dem 15. April 2023 sicherstellen, wenn das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet ist. Das ist es, was es braucht, nicht ein Weiterköcheln der Diskussion über den Atomausstieg in den Wintermonaten. Entscheidungen wieder aufzuschnüren, bringt uns energiepolitisch nicht weiter. Nur der beschleunigte Ausbau erneuerbarer Energien hilft uns nachhaltig bei der Überwindung der Energiekrise.
Frau Präsidentin, letzter Satz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns hier und heute nach gründlicher Abwägung eine Entscheidung über einen befristeten Streckbetrieb der Atomkraftwerke treffen und uns dann wieder anderen, dringenderen Fragen zuwenden.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Fabian Gramling.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen findet die Weltklimakonferenz in Ägypten statt. 190 Nationen reden über den Klimaschutz, und wir haben uns hier im Deutschen Bundestag bisher diesem Thema noch nicht gewidmet – ganz im Gegenteil. Erst heute beim letzten Tagesordnungspunkt werden wir darüber sprechen. Ich persönlich finde das beschämend.
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Wenn wir über Klimaschutz reden, dann stellen wir fest: Wir müssen die erneuerbaren Energien natürlich ausbauen. Es gibt diverse Studien, die besagen, dass wir ab 2027 einen Großteil des Strombedarfs über erneuerbare Energien decken können. Aber wie es bei Studien häufig der Fall ist: Man muss diese Studien natürlich auch ganz genau lesen und genau hinschauen. Wenn man diese Studien genau anschaut, dann sieht man: Es gibt die Annahme, dass die Ausbaugeschwindigkeit der erneuerbaren Energien vervierfacht werden muss – vervierfacht werden muss! –, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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– Schreien Sie weniger; das ist besser für Ihren Blutdruck. – Wenn man mal schaut, wie die aktuelle Situation in der Branche der erneuerbaren Energien ausschaut, dann sieht man, dass eine Schockstarre vorherrscht. Warum? Auf der einen Seite der Krieg, auf der anderen Seite aber auch Ihre Diskussion über die Gewinnabschöpfung. Planungssicherheit für die Unternehmen? Fehlanzeige!
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Ich frage mich, ob es in einer Zeit, in der wir nicht wissen: „Wie schnell bekommen wir die erneuerbaren Energien ausgebaut?“,
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in einer Zeit, in der wir nicht wissen: „Wie viel Gas haben wir im nächsten oder im übernächsten Jahr?“ – Sie haben ja schon selbst erkannt, dass man die Kohlekraftwerke hochfahren muss –, in einer solchen Zeit also, in einer Energiekrise, vernünftig ist, nicht nur gegen den Willen der CDU und ein bisschen der FDP, sondern gegen den Willen und gegen die Empfehlung des Expertenrates,
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die letzten drei Kernkraftwerke Mitte April 2023 abzuschalten. Ich halte das nicht für verantwortbar.
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Wir reden auf der einen Seite über Versorgungssicherheit, wir reden aber auch über das Klima – Stichwort „Klimakonferenz in Ägypten“.
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Schauen wir uns an, was Beamte im Bundesumweltministerium niedergeschrieben haben. Beziehungsweise: Eigentlich haben sie es ja nicht niedergeschrieben, weil es ja wieder rausgestrichen wurde; aber das ist ja relativ. Es ist die Frage, wie Sie das deuten möchten. Aber wenn Beamte im Bundesumweltministerium sagen, dass ein Weiterbetrieb der drei verbliebenen Kernkraftwerke ab 2024 zu einer Reduzierung der Treibhausgase von bis zu 30 Millionen Tonnen führen könnte, dann frage ich mich, ob Sie heute im wahrsten Sinne des Wortes bewusst die Probleme von morgen weiter befeuern, damit Sie sich morgen darüber beklagen können, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampelfraktionen.
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Herr Gramling, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung aus der Fraktion der Grünen?
Ich würde gerne weitermachen.
Im März haben wir oft gehört, was alles nicht geht. Im März hieß es: Im Winter helfen keine Kernkraftwerke. Im März hieß es: Die Laufzeitverlängerung ist nicht möglich, weil es Sicherheitsbedenken gibt. Im März hieß es: Der Weiterbetrieb ist nicht möglich, weil die Mitarbeiter nicht vorhanden sind.
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Heute stellen wir fest, dass es möglich ist. Und es ist auch heute möglich, Brennelemente zu bestellen und diese Brennelemente im Frühsommer 2023 einzusetzen. Es liegt an Ihrem Willen, liebe Ampelregierung! Verstehen Sie mich da nicht falsch, aber wenn Sie heute eine Beschaffung ablehnen, dann müssen Sie auch morgen die volle Verantwortung für Ihr Nichtstun tragen.
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Wir haben viel über eine ergebnisoffene Prüfung gesprochen. Wir haben auch viel über den Prüfvermerk gesprochen, der ja dann auch wieder irgendwie zusammengestrichen wurde. Aber über Ihren eigenen Schildbürgerstreich haben wir noch nicht gesprochen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Sie möchten heute beschließen, dass die Kernkraftwerke Mitte April 2023 abgeschaltet werden. Auf der anderen Seite hat aber das Wirtschaftsministerium geplant, Ende April, zwei Wochen später, den Stresstest für den Winter 2023/2024 erst vorzulegen. Ich halte das für unseriös, ich halte das für willkürlich, und ich halte das für unanständig. Wir fordern Sie auf: Legen Sie den Stresstest früher vor, und folgen Sie unserem Entwurf, und lassen Sie die Kernkraftwerke länger laufen!
Vielen Dank.
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Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Dr. Lina Seitzl.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte am Schluss dieser Debatte noch mal einen Blick zurückwerfen: zuerst einen Blick zurück in das Jahr 2000 bzw. 2002, wo die damalige rot-grüne Bundesregierung den Ausstieg aus der Atomkraft in Deutschland beschlossen hat, dann einen Blick zurück in das Jahr 2010, wo diese Entscheidung durch die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung zurückgenommen wurde, die dann ein Jahr später, 2011, wieder zurückgenommen wurde. Der Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg. Und wenn ich Ihrem Entwurf jetzt folge, dann hätten wir noch ein viertes Aus-dem-Ausstieg. 2011 haben Sie und hat dieses Haus diese Entscheidung in einem breiten gesellschaftlichen und politischen Konsens als Reaktion auf die Nuklearkatastrophe in Fukushima getroffen. Es gab die klare politische Einigung und den klaren politischen und gesellschaftlichen Konsens: Die Atomkraft hat in Deutschland keine Zukunft.
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Und dabei bleibt es. Wir halten auch mit der Entscheidung heute am Atomausstieg fest. Es werden keine neuen Brennelemente angekauft, und es werden gleichzeitig umfangreiche Maßnahmen zum Energiesparen durchgesetzt, um gut durch diesen Winter zu kommen. Damit zeigen wir einmal mehr: Wir übernehmen Verantwortung in keinen ganz einfachen Zeiten, wir sichern uns für eine Extremsituation ab, wenn vorhandene Stromressourcen gegebenenfalls nicht überall im Land ausreichen. Aber wir legen auch ein finales Ausstiegsdatum fest, nämlich den 15. April 2023.
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Es gibt auch gute Gründe, warum wir das tun und warum wir nicht eine Verlängerung über dieses Datum hinaus anstreben:
Erstens. Der Beitrag der Atomkraft zur Energiesicherheit und zur Bezahlbarkeit von Energie ist gering. AKWs können kein Gas ersetzen, sondern sie erzeugen Strom.
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Mein Kollege Blankenburg hat es schon gesagt: Der Effekt auf den Strompreis ist zumindest mal fraglich, sicher ist, dass er so gering ist, dass es nicht wirklich zur Entlastung von Verbraucherinnen und Verbrauchern kommt.
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Diese Entlastung setzen wir in der Koalition mit den Strom- und Gaspreisbremsen besser durch.
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Zweitens. Eine Verlängerung würde den Ausbau der Erneuerbaren weiter behindern. Erneuerbare sind in Kombination mit Speichertechnologien viel flexibler als Kernkraftwerke. Sie sind unsere Zukunft. Wir sollten hier keine Ressourcen rausziehen, sondern wir sollten auf den Ausbau der Erneuerbaren setzen.
Drittens. Atomkraft geht mit hohen Risiken einher. Die Entscheidung von Schwarz-Gelb 2011 war ja eine Reaktion auf die Nuklearkatastrophe in Fukushima. Wir brauchen gerade nur in die Ukraine zu gucken. Da sehen wir die besorgniserregende Situation von Kernkraftwerken.
Viertens. Atomkraft ist das Gegenteil von Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit. Wir produzieren seit Jahrzehnten atomaren Müll,
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von dem wir heute nicht wissen, wo wir ihn entsorgen. Das ist eine Hypothek für alle nachkommenden Generationen.
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Und Atomkraft benötigt unglaubliche Mengen an Wasser – angesichts des Klimawandels keine gute Idee. Wer will, der guckt mal im Sommer nach Frankreich, wo viele Kernkraftwerke auch wegen der Trockenheit abgeschaltet werden mussten.
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Wir treffen heute also eine kluge Entscheidung in einer schwierigen Situation, und – das ist der Blick nach vorne – wir müssen von dieser Diskussion wegkommen. Wir müssen zum schnellen Ausbau der Erneuerbaren, zur schnellen Entwicklung und Nutzung von intelligenten Speichertechnologien kommen. Das ist die Zukunft der Strom- und der Energieversorgung in Deutschland.
Vielen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befinden uns in Deutschland in einer der größten Krisen. Sie ist durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erzeugt worden. Die Auswirkungen sind klar. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten hier im Deutschen Bundestag sehr viel darüber gesprochen, wie wir insbesondere die Folgen dieser Energiekrise mildern können. Insgesamt stehen 300 Milliarden Euro zur Verfügung. Was wird mit dem Geld gemacht? Wir reden über Hilfen für diejenigen, die sie brauchen, wir reden über Sparen, und wir reden darüber, Gas aus anderen Staaten zu beziehen, LNG aus den USA und woher auch immer.
Meine Damen und Herren, das, was ich in der Diskussion der letzten Monate vermisse, ist die Frage, wie wir auch mit Technologie dieses Problem angehen können.
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Wir in Deutschland sind eine Ingenieursnation. Wir haben viele Beiträge geleistet, um die Menschheit nach vorne zu bringen. Das beginnt mit dem Buchdruck und geht über die Glühbirne, das Telefon, das Periodensystem, die Straßenbahn, das Auto, die Relativitätstheorie bis zum ersten Computer. Das alles waren deutsche Erfindungen. Sogar die Goldbären zitiert das „Handelsblatt“ als eine fundamentale Erfindung.
Meine Damen und Herren, warum sollten unsere Ingenieurinnen und Ingenieure, unsere Forscher und Wissenschaftler nicht in der Lage sein, auch für diese Krise Lösungen zu finden? Es gibt sie. Es gibt reife Technologien, die in unseren außeruniversitären Forschungseinrichtungen, an unseren Universitäten und an unseren Hochschulen für angewandte Wissenschaften entwickelt worden sind.
Ich vermisse die Stimme der Forschungsministerin. Ich habe sie in diesem ganzen Kontext nicht gehört. Ich vermisse die entsprechenden Ausgaben. Von diesen rund 300 Milliarden Euro sind 0 Euro für Technologie vorgesehen. Alles, was Sie heute tun, zum Beispiel mit der Wasserstoffinitiative und anderem, sind Dinge, für die wir in der Coronakrise das Budget zur Verfügung gestellt haben; 9 Milliarden Euro allein für das Thema Wasserstoff.
Deshalb: Als Serviceopposition zeigen wir Ihnen heute, wie eine Strategie aussehen sollte, die Sie sich zu eigen machen müssen, wie ich finde. Wir brauchen dringend eine Technologieagenda.
Wir brauchen erstens eine wissenschaftsbasierte schonungslose Analyse; damit muss es beginnen.
Wir brauchen zweitens eine Initiative für Schnellläufer. Was können wir kurzfristig erreichen? Technologie heute aus dem Labor in die Fabrik und zum Beispiel im Fall von Solarzellen auf die Häuserdächer.
Wir brauchen drittens einen strategischen Ansatz. In dieser ganzen Diskussion wird ständig darüber geredet, wie wir durch diesen Winter kommen. Aber, vereinfacht gesprochen, womit wollen wir in fünf Jahren heizen? Darauf müssen wir heute die Antwort finden und dafür auch die richtigen Entscheidungen treffen.
Es geht auch um eine langfristige Perspektive. Die langfristige Perspektive betrifft Themen wie zum Beispiel Kernfusion, wo der eine oder andere sagt: Das ist Zukunftsmusik. – Sicherlich wird die Kernfusion in den nächsten fünf oder zehn Jahren keinen Beitrag zu unserer Energieversorgung leisten, aber heute müssen die Entscheidungen getroffen werden. Wenn heute nicht die Entscheidungen für diese Technologie getroffen werden, bei der wir gut sind – wir haben zwei spannende Start-ups in Darmstadt und in München; wir haben Wendelstein 7‑X, wir haben ITER –, wenn heute nicht die Entscheidungen getroffen werden, hier zu investieren, dann werden die Talente woanders hingehen, ins Silicon Valley, nach China, und die Technik wird für uns nicht erschließbar sein.
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Ich will das auch mal für diesen mittelfristigen Zeitrahmen etwas konkretisieren. Was kann man in drei bis fünf Jahren schaffen? Wir haben gestern schon über E‑Fuels und andere Dinge geredet. Wenn wir mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unserer außeruniversitären Forschungseinrichtungen diskutieren, sagen die immer: Wir brauchen globale Energiepartnerschaften. – Wir haben so etwas auch schon im BMBF begonnen, als wir noch in der Regierung waren. Wir müssen das jetzt skalieren. Das betrifft zum Beispiel Projekte wie das in Patagonien, wo tatsächlich am Ende 550 Millionen Liter E‑Fuels in den nächsten Jahren im industriellen Maßstab hergestellt werden, übrigens mit Fördergeldern des BMWi aus der alten Legislaturperiode. Das sind Technologien, die wir skalieren müssen, die wir im industriellen Maßstab brauchen.
Was ist der Beitrag der Forschung? Ganz einfach. Es gibt zum Beispiel Start-ups, die sich gerade auf dieser Falling-Walls-Konferenz präsentiert haben und die mit neuen Verfahren deutlich effizienter Methanol aus grüner Energie erzeugen können, was am Ende die Basis dafür ist, genau diese Energie nach Deutschland zu bekommen. Hier können wir wirklich einen Impact leisten und aus diesen 550 Millionen Litern E‑Fuels dieser Anlage vielleicht 2 Milliarden oder 3 Milliarden Liter machen. Das ist der Beitrag, den die Forschung hier leisten muss.
Frau Ministerin, wir haben Ihnen in der letzten Sitzungswoche ein Konzept vorgelegt, wie Sie einen Rettungsschirm für die Wissenschaft aufspannen können; Sie hatten das nicht auf dem Schirm. Sie sind aber an dem Tag der Debatte darauf eingegangen. Das war schlau. Wir haben in der letzten Sitzungswoche ein Konzept vorgelegt, wie Sie 200 Euro an die Studierenden ausbringen können. Da haben Sie viel zu spät auf uns gehört. Deshalb werden Sie nicht zum 1. Januar 2023 fertig. Jetzt folgen Sie unserem Konzept. Auch das ist schlau.
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Deshalb appelliere ich an Sie: Seien Sie auch hier klug! Nehmen Sie unseren Ball dieser Technologieagenda auf! Wir können diese Krise nicht lösen ohne neue Technologie. Dort müssen wir investieren. Wir müssen es wissenschaftsbasiert machen, und wir müssen die Köpfe unserer Forscherinnen und Forscher nutzen, um aus dieser Krise zu kommen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, unterbreche ich die Aussprache und komme zurück zu den Tagesordnungspunkten 32 a bis 32 d. Die Zeit für die dritte namentliche Abstimmung ist vorbei. Deshalb frage ich: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist erkennbar nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen wie immer später bekannt gegeben.
Wir kommen zurück zu Tagesordnungspunkt 33. Ich erteile als nächster Rednerin der Kollegin Ye-One Rhie, SPD-Fraktion, das Wort.
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Sehr geehrter Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Wichtigste direkt am Anfang: Die Ampelkoalition schätzt den Rat der Wissenschaft. Die Ampelkoalition lässt sich sowohl bei kurz- als auch bei mittel- und langfristigen Herausforderungen von der Wissenschaft beraten. Die Ampelkoalition bezieht die Wissenschaft in die politische Entscheidungsfindung ein.
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Dafür brauchen wir nicht erst einen Antrag der Unionsfraktion. Ich hatte erwartet, dass die Frage kommt: Warum hören Sie dann nicht auf die Wissenschaft? – Das tun wir.
Als eine seiner ersten Amtshandlungen hat Bundeskanzler Olaf Scholz den CoronaexpertInnenrat eingesetzt. Dieser berät die Bundesregierung seit fast einem Jahr bei der Bewältigung der Coronapandemie.
Auf Basis aktueller Forschungserkenntnisse haben die Expertinnen und Experten bis jetzt zwölf Stellungnahmen veröffentlicht. Diese Empfehlungen haben wir genutzt und werden wir auch weiterhin nutzen, um unser Gesundheitssystem auch über die Pandemie hinaus zu verbessern.
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Dank der Wissenschaft überwinden wir die Coronapandemie, und dank der Wissenschaft sind wir besser auf kommende Pandemien vorbereitet.
In diesem Sommer hat der Zukunftsrat der Bundesregierung seine Arbeit aufgenommen. Nicht nur ist die Geschäftsstelle bei der acatech, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften, angesiedelt, sondern unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern sind neben Vertreterinnen und Vertretern aus Wirtschaft und Gesellschaft auch viele renommierte Wissenschaftler/-innen aller Fachrichtungen. Es geht um neue Entwicklungen, Erkenntnisse und Trends,
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um technologische Potenziale und um Fragen der gesellschaftlichen Akzeptanz.
Es geht darum, gemeinsam Antworten auf die Fragen unserer Zeit zu finden und Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft. Dank der Wissenschaft nutzen wir die Potenziale der Digitalisierung und weiterer technologischer Innovationen. Dank der Wissenschaft machen wir den Standort Deutschland innovativer, unabhängiger und nachhaltiger.
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Wir alle wissen: Gerade jetzt ist das wichtiger als je zuvor. Schließlich kommen gerade zu einer noch nicht überstandenen Pandemie eine Inflation, steigende Lebensmittelpreise und die Angst um die Versorgungssicherheit durch Strom und Gas hinzu. Uns ist wichtig, dass diese Herausforderungen nicht zu einer existenziellen Krise für die Menschen in unserem Land werden.
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Deshalb gehört zum Abwehrschirm der Bundesregierung auch eine Gaspreisbremse, die die Energiekosten auffangen soll. Diese Gaspreisbremse greift Empfehlungen der ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme auf, die die Bundesregierung genau zu diesem Zweck für die wissenschaftliche Erarbeitung von Vorschlägen zur Ausgestaltung dieser Gaspreisbremse eingerichtet hat. Auch hier: Dank der Wissenschaft unterstützen und entlasten wir die Menschen in diesem Winter, und auch dank der Wissenschaft stärken wir den sozialen Zusammenhalt in unserem Land.
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Das sind nur drei Beispiele der vergangenen Monate. Angesichts der Exzellenz unserer Wissenschaftler/-innen wäre es geradezu fahrlässig und, ehrlich gesagt, auch dumm, auf diese Expertise zu verzichten. Ich weiß, wovon ich spreche, schließlich komme ich aus Aachen, dem nicht nur mit Abstand schönsten und europäischsten Wahlkreis, sondern vor allem auch der Hochschul- und Wissenschaftsstadt überhaupt.
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Am E.ON Energy Research Center der RWTH Aachen zum Beispiel erforschen Wissenschaftler/-innen die Energieversorgung der Zukunft. Sie entwickeln nachhaltige Energiequellen, flexible Netze und Speicher und haben allein dieses Jahr mehrere Studien veröffentlicht, die sich mit der Abhängigkeit von russischem Erdgas befassen und mit der Frage, wie wir dieser Abhängigkeit möglichst schnell und nachhaltig entkommen können. Von der hervorragenden Forschungsarbeit konnte ich mich bei Gesprächen und Vor-Ort-Besuchen selbst überzeugen.
Beispiele wie dieses zeigen: Wir können uns darauf verlassen, dass die Wissenschaft schon jetzt an Antworten auf Fragen arbeitet, die wir uns vielleicht noch gar nicht stellen, und Lösungen entwickelt für Herausforderungen, mit denen wir noch nicht konfrontiert sind, und das in sämtlichen Disziplinen, Fachrichtungen und Forschungsfeldern. Sie sehen: Forschung und Wissenschaft, ihre Erkenntnisse, ihre Arbeit und ihre Ratschläge spielen eine zentrale Rolle in der Politik der Bundesregierung und der Ampelkoalition.
Wir wissen um den unschätzbaren Wert der Wissenschaft. Wir vertrauen ihr als unverzichtbarer Partnerin bei der politischen Entscheidungsfindung. Wir achten ihre Freiheit und ihre Unabhängigkeit und stehen fest an ihrer Seite, um sie vor Angriffen und Verleumdungen zu schützen.
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Wir fördern ihre innovativen Ansätze in interdisziplinären Kooperationen und internationale Vernetzung in der Grundlagenforschung ebenso wie in der anwendungsorientierten Forschung. Aber vor allem: Wir danken den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern für ihre Neugier, ihre Kritik, ihr Durchhaltevermögen, ihren Einsatz und ihren Rat in guten wie auch in weniger guten Zeiten.
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Nachdem ich mich als Öcherin und somit als Rheinländerin geoutet habe und es nach 11.11 Uhr ist, möchte ich diese Gelegenheit noch nutzen, allen Jeckinnen und Jecken ein fröhliches Alaaf zu wünschen
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und als versöhnliches Angebot an meinen Düsseldorfer Kollegen Jarzombek ein leicht leiseres Helau.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. Diese Herausforderung wird wahrscheinlich im Laufe des heutigen Tages noch beantwortet werden. – Nächster Redner ist der Kollege Professor Michael Kaufmann, AfD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ein Antrag, der die Forschung stärkt, speziell im Bereich der Energieversorgung, trifft bei uns immer auf offene Ohren. Sie haben recht, Herr Jarzombek: Es fehlt der Forschungspolitik der Regierung an einer klaren Strategie. Aber was in aller Welt hat Sie dabei geritten, die fraglos vorhandenen guten Ansätze dadurch zu entwerten, dass Sie einerseits zwar von einer unabhängigen, ergebnisoffenen Analyse und einer ideologiefreien Bestandsanalyse sprechen, aber dann die Debatte doch wieder auf sogenannte erneuerbare, das heißt überwiegend wetterabhängige Formen der Energieerzeugung verengen?
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In der vorliegenden Form hätte dieser Antrag beinahe auch von den Grünen kommen können.
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– Genau, so schlimm. – Wo bleibt die ergebnisoffene und ideologiefreie Prüfung und Förderung von neuen, verbesserten Filtersystemen für Kohle- und Gaskraftwerke?
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Wo bleibt die Entwicklung von CO2-Speichertechniken im Zusammenhang mit konventionellen Kraftwerken? Und nicht zuletzt: Wo bleibt die Kernenergieforschung, die mit den neuen Reaktortechnologien der Generationen IV und V einen substanziellen Beitrag sowohl zur Versorgungssicherheit als auch zum Erreichen der Klimaziele leisten könnte?
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Immerhin haben Sie wenigstens die Kernfusion als eine der Formen der Kernkraft in Ihre Darstellung miteinbezogen, auch wenn gerade diese Technologie in eine noch relativ ferne Zukunft weist.
Wenn Sie nun in Ihrem Antrag die Möglichkeit der Nutzung von Sonnenenergie in Ländern mit hoher Sonneneinstrahlung ins Spiel bringen, unterschlagen Sie, dass sich Deutschland damit einmal mehr in eine Abhängigkeit von Ländern begeben würde, die schon morgen keine zuverlässigen Partner mehr sein könnten. Ganz abgesehen davon müssen die dort erzeugten Energieträger ja auch irgendwie hierherkommen. Der damit verbundene enorme Schadstoffausstoß der Tankschiffgiganten führt die Mär von der grünen Energie dann vollends ad absurdum.
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Die deutsche Energiepolitik muss endlich die richtigen Prioritäten setzen. Das bedeutet vor allem zweierlei:
Erstens. Wir brauchen Energieträger, deren Ertrag wir kontrollieren können und die eine stabile Grundversorgung gewährleisten. Das ist bei Sonne und Wind nicht der Fall.
Zweitens. Wir müssen uns von Autokraten und potenziell unsicheren Partnern weitgehend unabhängig machen.
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Energieversorgung ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft. Deshalb braucht es eine ideologiefreie und ergebnisoffene Prüfung aller Optionen und nicht nur solcher, die gerade dem links-grünen Zeitgeist entsprechen.
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Natürlich haben Sie recht, dass es der Forschungspolitik der Regierung an einer klaren Strategie fehlt und dass hier dringend Abhilfe nötig ist. Aufgrund der erkennbaren ideologischen Verengung Ihres Antrags sehen wir diesen trotzdem mit großer Skepsis und empfehlen Ihnen, diesen zu überarbeiten und wirklich technologieoffen zu gestalten. Deutschland kann sich keine Scheuklappen und Denkverbote mehr leisten.
Im Ausschuss für Bildung und Forschung wurde der Nobelpreisträger Steven Chu ehrend erwähnt, nicht zuletzt auch von Ihnen, Herr Jarzombek. Professor Chu hat auf der Jahrestagung der Helmholtz-Gemeinschaft im September den Hauptvortrag gehalten und dabei der Bundespolitik folgende Warnung im Hinblick auf erneuerbare Energien und insbesondere im Hinblick auf die Wasserstofftechnik ins Stammbuch geschrieben – ich zitiere –: Überlegen Sie sich sehr genau, ob Sie die Industrien töten wollen, die Deutschland seinen Reichtum bescheren.
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Genau diese Warnung haben Sie mit Ihrem einseitigen Antrag in den Wind geschlagen.
Danke.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir freuen uns natürlich auch, dass wir heute über Innovationen im Energiebereich sprechen; denn in der Tat werden wir in den nächsten Jahren noch weitere Innovationen brauchen, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Das ist etwas, was wir und was die Bundesregierung natürlich sehr stark unterstützen werden. Darauf will ich gleich noch näher eingehen.
Ich will aber vorher noch einen Kontext zu den Antragstellern herstellen. Wenn man Technologien für eine klimafreundliche Energieherstellung hat, wie wir sie haben – Windkraft, Solarenergie; all diese Entwicklungen sind ja schon da –, dann ist es natürlich auch wichtig, dass wir diese Technologien tatsächlich einsetzen,
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dass wir die Energiewende in der Praxis vollziehen und dass wir nicht nur über das sprechen, was vielleicht irgendwann mal passieren könnte. Beides ist wichtig.
Da sehe ich einen gewissen Widerspruch zum Antrag: Einerseits fordert man ein, noch viel mehr für die Innovationsförderung zu tun – was ich grundsätzlich richtig finde –, auf der anderen Seite sind wir jetzt aber zu mehr nicht in der Lage, weil all diese Energieinnovationen in den letzten Jahren nicht eingesetzt worden sind.
Ich will noch mal sagen: Bei der Windkraft haben wir eine regelrechte Altmaier-Delle zu verzeichnen.
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Wenn man die Zahlen vergleicht, sieht man: 2017 wurden noch 1 792 Windkraftanlagen auf dem Land gebaut, 2021 nur noch 484, also nur noch ein Drittel davon.
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Die Zahl der Windkraftanlagen, die überhaupt genehmigt worden sind, ist 2020 im Vergleich zu 2015 um 40 Prozent gesunken. Dabei haben wir hier doch eine Innovation. Letztlich ist auch Windkraft eine Technologie – sie ist über die letzten Jahre immer weiter verbessert worden –, die wir zur Verfügung haben, und dann muss es doch unser erstes Ziel sein, diese auch einzusetzen. Das ist etwas, was diese Bundesregierung im Gegensatz zur alten mit einer ganz neuen Energie voranbringt.
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Das hat im Übrigen auch etwas mit Innovationen zu tun; denn natürlich setzt es auch Anreize, Energieinnovationen zu entwickeln, wenn der Staat dann auch derjenige ist – es wurde richtig gesagt: „Ankerkunde“ –, der sie einkauft und einsetzt. Das machen wir jetzt in diesen Bereichen. Wir haben mit dem Osterpaket ein Gesetzespaket für den Energiebereich verabschiedet, das so groß war wie lange, lange Zeit kein anderes.
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Minister Robert Habeck hat jetzt gerade, am 3. November, eine Offshore-Vereinbarung für Windenergie abgeschlossen. Wir haben einen Wärmepumpengipfel veranstaltet und den Hochlauf der Wärmepumpen organisiert. Das alles sind ganz konkrete Schritte, um bestehende Energieinnovationen in die Praxis zu bringen. Das ist etwas, was in den nächsten Jahren ganz konkret für den Klimaschutz zählt.
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Dabei teilen wir ausdrücklich das Ziel – das will ich auch sagen –, dass wir dabei natürlich nicht stehen bleiben. Es geht darum, das, was in den letzten Jahren versäumt worden ist, möglichst zügig nachzuholen. Außerdem geht es darum – da stimme ich ausdrücklich zu –, parallel Dinge zu entwickeln, die noch kommen können, bei denen wir noch besser werden können. Vielleicht können wir noch effizientere Technologien, noch klimafreundlichere Energien entwickeln.
Das haben wir uns gerade im Forschungsbereich ganz explizit so vorgenommen. Wir haben im Koalitionsvertrag eine Zukunftsstrategie verabredet. Unsere erste Mission ist genau das, was Sie ja mit Ihrem Antrag vorschlagen. Diesen Vorschlag haben wir schon gemacht, bevor Ihnen von der CDU/CSU eingefallen ist, ihn in einen Antrag aufzunehmen. Die Mission ist im Koalitionsvertrag genau so beschrieben, dass sie moderne Technologien für eine wettbewerbsfähige und klimaneutrale Industrie und die Sicherstellung sauberer Energiegewinnung und ‑versorgung zum Ziel hat.
Wir werden genau das tun. Es geht darum, in einer Mission mit einer klaren Projektsteuerung ressortübergreifend für erneuerbare Energien die Forschungs- und Innovationstätigkeiten zu bündeln, die uns eben auch die langfristige Versorgung mit erneuerbaren Energien in den nächsten Jahren sichern werden. Diese Zukunftsstrategie wird jetzt gerade auf den Weg gebracht.
Ich möchte auch da den Vergleich zu dem Handeln der letzten Bundesregierung ziehen; denn die hatte ja eine Hightech-Strategie. Auch darin standen schon viele nette Dinge, die sich gut angehört haben, auch was Kreislaufwirtschaft etc. angeht. Aber auch dort hat es eben an der Umsetzung gemangelt. Diesen Schritt wollen wir jetzt mit der Zukunftsstrategie sehr viel besser vollziehen, und zwar dadurch, dass wir Missionen genau wie diese einführen. Das werden wir auch in anderen Bereichen tun,
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zum Beispiel bei künstlicher Intelligenz, Digitalisierung, die ja auch eine Auswirkung auf Energietechnologien haben; da gibt es natürlich Bezüge. Dadurch, dass wir aber eine Projektsteuerung auch für diese Mission einsetzen werden – ressortübergreifend, gemeinsam mit der Wissenschaft –, werden wir dafür sorgen, dass diese Innovationen, die in der Mission entwickelt werden, dann eben auch in die Praxis gelangen und uns wirklich helfen, den Energiebereich in den nächsten Jahren zu dekarbonisieren.
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Darüber hinaus gibt es viele Dinge für das Innovationssystem, die wichtig sind. Wir haben im Juli eine Start-up-Strategie vorgelegt, in der ein zentraler Mechanismus in der Finanzierung, die im Antrag ja auch angesprochen wird, ist, dass wir einen neuen Fonds aufsetzen: den DeepTech & Climate Fonds. Der Begriff „Climate“ zeigt das klare Ziel, dort tatsächlich auch in Start-ups zu investieren, die Klimatechnologien entwickeln, die neue Energietechnologien entwickeln. Das ist eine Aktivität, mit der wir jetzt sehr konkret in diesem Bereich voranschreiten.
Zusammen mit der Start-up-Strategie, mit der Zukunftsstrategie, mit der Entfesselung der SprinD machen wir genau das, was Sie vorschlagen, schon längst: Wir bringen das Innovationsökosystem auf den Weg, das uns auch für den Energiebereich die Innovationen sichern wird, die wir neben dem akuten Ausbau in den nächsten Jahren brauchen werden.
Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Christmann. – Die nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Petra Sitte, Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Lesen des Antrages keimte in mir der Gedanke: Mein Gott, jetzt hat sie’s. Die Union hat endlich die Dringlichkeit einer nachhaltigen, modernen Energieversorgung erkannt. – Was Sie vorschlagen, erinnert zugleich an eine ziemlich alte Unionsforderung, dass – ich zitiere – sich die Bundesregierung nicht auf ein Krisenmanagement allein im aktuellen Versorgungsengpass beschränken dürfe. – Ahnen Sie, von wann die Forderung ist? Von 1973! Mitten in der damaligen Ölkrise haben Sie das beantragt. Dann floss doch noch ziemlich viel Öl durch die Pipelines.
Später forderten Sie – ich zitiere wieder –:
Die Bundesregierung muss ein in sich schlüssiges und nachhaltiges Energiekonzept vorlegen, das die Behandlung aller noch offenen Problemfelder beinhaltet.
Auch eine vernünftige Forderung, diesmal von 1999.
Aber in 32 Regierungsjahren nach 1973 hat die Union nichts vorgelegt, was man wirklich als belastbares Konzept hätte bezeichnen können.
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Stattdessen haben Sie ohne Ende gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz gezetert. Sie haben über „Windradmonster“ im Nebel gemosert. Sie haben wahrlich eher eine vernebelte Sichtachse auf erneuerbare Energien entwickelt.
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– Später, später, später; machen wir alles im Ausschuss.
Meine Damen und Herren, wir hatten in Deutschland mal eine weltweit führende Solarbranche; weltweit führend waren wir nicht nur im Windkraftbereich. Sachsen-Anhalt beispielsweise – mein Bundesland, das Land, aus dem ich komme – boomte mit Solar Valley. Dieser Branche hat Schwarz-Gelb praktisch über Nacht die Förderung gekippt. Seitdem werden in Deutschland vor allem chinesische Solarpanels verbaut.
Wenn wir die Energieversorgung nachhaltig sichern wollen, dann müssen wir dazu eben auch die Solarbranche und die Forschung in Deutschland stärken.
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Das gilt natürlich erst recht für Zeit nach der Versorgungskrise. Der Umstieg auf erneuerbare Energien ist unverzichtbar.
Meine Damen und Herren, bei den Unionsforderungen nach Konzepten und Analysen beschleicht mich bisweilen das Gefühl, Sie wollen eigentlich nichts wirklich im Hier und Heute tun. Schließlich haben wir doch für den Umstieg auf eine nachhaltige Energieversorgung – Frau Christmann und die Kollegin von der SPD haben schon darauf hingewiesen – nicht zuerst das Problem fehlender Erkenntnisse; nein, das haben wir nicht. Vielmehr werden die bereits gewonnenen Erkenntnisse schlicht nicht umgesetzt.
Ich erinnere mal daran, dass der Club of Rome durch ein Buch mit dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“ bereits 1972 auf diesen Umstand hingewiesen hat. 1972 forderte dieser zum ersten Mal eine radikale Energiewende. Die Wissenschaft hat sich seitdem jahrzehntelang mit ihrem Wissen an Bundesregierung um Bundesregierung gewandt; aber es passierte entschieden zu wenig. Das ist das Problem, und das muss sich ändern.
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Dann machen weitere Forschungen tatsächlich Sinn – so wie es Frau Christmann angedeutet hat –, beispielsweise Forschungen zu Speichertechnologien, zu Energieeffizienz oder eben auch zu intelligenten Netzen.
Zugleich aber muss auch aufhören, dass man versucht, beispielsweise Stadtwerken und Energiegenossenschaften Steine in den Weg zu legen, wenn sie moderne, wenn sie erneuerbare Energieformen einsetzen wollen, wenn sie moderne Technologien einsetzen wollen – auch wenn dabei die großen Energiekonzerne mit den Zähnen knirschen. Es geht auch um eine dezentrale Aufstellung des gesamten Energiesystems.
Ich schließe meine Rede mit den Worten des UN-Generalsekretärs António Guterres: Selbstverpflichtungen zu null Emissionen sind null wert ohne Pläne und Taten, um sie umzusetzen. – Also, die Energiewende ist heute dringender denn je, und dafür muss die öffentliche Hand kraftvoll investieren. Zeitenwende ist eben auch Energiewende.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Sitte. – Nächster Redner ist der Kollege Professor Stephan Seiter, FDP-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über das Thema „neue Energien“; wir reden über das Thema „Wissenschaft“. Ich habe den Antrag der CDU/CSU mit Interesse gelesen. Ich finde es sehr wichtig, dass wir gerade jetzt in der Phase, wo unser Hauptaugenmerk – schauen Sie auf die Liste der Debatten in diesem Haus – auf der kurzfristigen Bewältigung der Krise liegt, uns auch über die langfristige Entwicklung Gedanken machen, dass wir darüber reden, wie letztendlich der Weg in den nächsten Jahren aussieht.
Deswegen habe ich es schön gefunden, dass ich zu diesem Antrag reden darf. Aber beim Lesen des Antrags habe ich ein bisschen den Anfangszauber verloren.
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Ich werde versuchen, Ihnen zu erläutern, warum. Es geht um ein sehr wichtiges Thema: Es geht um Vorausschau; es geht letztendlich um Strategie.
Mein erster Punkt – da schließe ich mich meinen Vorrednerinnen weitgehend an – betrifft Folgendes: Diese Regierung hört auf die Wissenschaft. Ja, das macht sie nämlich vom ersten Tag an. Diese Regierung spricht über die Zukunftsstrategie. Der Entwurf liegt vor. Frau Christmann hat schon darauf hingewiesen: Im Entwurf findet sich eine Mission, die sich mit dem Thema „neue Energien“ beschäftigt. Auch da kann man fragen: Wer hat es erfunden? Da waren wir jetzt etwas früher dran. Aber das sind zeitliche Unterschiede, die man schwer bewerten kann. Sie sind vielleicht nicht so wichtig; aber man sollte doch darauf hinweisen, dass jetzt eben nichts Neues kommt. Ich werde nachher noch darauf eingehen.
Was mich an diesem Antrag aber mehr irritiert hat, ist etwas, was ich mal „Methodik“ nenne. Da bin ich vielleicht auch nicht immer zwingend mit allem ganz einig, was die Vorrednerinnen gesagt haben. Aber es geht ja um das Thema „Technologie und Technologieoffenheit“. Wenn ich diesen Antrag durchgehe, dann beschleicht mich so ein bisschen das Gefühl: Also, so richtig soziale Marktwirtschaft ist da eigentlich nicht immer drin. Ich möchte Ihnen erläutern, warum ich das so sehe.
Das Thema Ordnungspolitik wird von der Union normalerweise sehr hochgehalten. Aber wenn wir uns diesen Antrag anschauen, dann stellen wir fest, dass zum Beispiel eine Forderung enthalten ist, die besagt, es sollen technologische Ziele aufgestellt werden, und das in 5-, 10-, 15‑Jahres-Schritten.
Da könnte man jetzt natürlich, wenn man es etwas salopp ausdrücken wollte, sagen: Okay, goodbye, Ordnungspolitik. Herzlich willkommen im Fünfjahresplan!
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Das möchte ich der CDU an der Stelle gar nicht unterstellen, und da können wir auch im Ausschuss gerne drüber reden.
Aber ich möchte hier noch mal eindrücklich darauf hinweisen: Es geht um Technologieoffenheit. Wir können jetzt noch nicht wissen: Welche Technologie wird in 5, 10, 15 Jahren die richtige sein? Wir können sie auch nicht vorherbestimmen, sondern wir müssen letztendlich die Rahmenbedingungen schaffen – es ist ja auch Ziel der Regierungspolitik, insbesondere des Bundesforschungsministeriums, dass wir Rahmenbedingungen schaffen –, dass Technologieoffenheit vorhanden ist. Dann sollten wir es denjenigen überlassen, die die Sache am besten beherrschen: Das sind unsere Forscher/-innen; das sind die Menschen, die in den Laboren arbeiten; das sind die Unternehmen, und es sind letztendlich auch die Kunden, die über Technologien mitentscheiden.
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Sprich: Der Staat soll letztendlich die Funktion haben, Rahmenbedingungen zu setzen.
Wenn ich dann in Ihrem Antrag weitergehe, dann finde ich plötzlich das Wort „Ankerkunde“. Ankerkunde ist ein interessantes Konzept; das macht man zum Beispiel bei Einkaufszentren, wenn es darum geht, einen großen Flagship-Store mit hineinzubekommen – ich hoffe, ich habe es richtig gesagt, Reinhard Houben –, sodass man letztendlich Attraktion ausstrahlt.
Aber bei der Frage, welche Technologie wir letztendlich auswählen wollen, müssen wir uns die Frage stellen: Wann kommt dieser Ankerkunde tatsächlich zum Tragen? Zu Beginn des Lebenszyklus einer Technologie, eines Produkts oder irgendwann? Und welche Aufgabe wird dieser Ankerkunde haben? Wird er uns einen sogenannten Lock-in-Effekt bescheren, dass wir uns einer Technologie verschreiben, die vielleicht gar nicht die tolle Technologie ist, sondern eher verhindert, dass wir eine bessere Lösung finden? Also, auch darüber sollten wir im Weiteren diskutieren. Es geht also um die Frage des Wettbewerbs, und bei den Technologien geht es nicht um Abnahmegarantien und erst recht nicht um das Thema „Picking the Winners“. Dazu gibt es genug historische Beispiele in diesem Land.
Dann wird das Thema Wagniskapital aufgegriffen. Ja, der Staat hat beim Thema Wagniskapital eine Möglichkeit. Aber sollten wir uns angesichts der Verantwortung über Steuergelder doch nicht auch überlegen: Wer entscheidet letztendlich über eine effiziente Verwendung von Mitteln, die wir in unserer Volkswirtschaft haben? Auch da stellt sich mir die Frage: Wie viel Staat fordert dieser Antrag? Das wird mir an dieser Stelle letztendlich nicht deutlich.
Also, wenn ich etwas zusammenfassen möchte, könnte ich sagen – bitte, liebe Kollegen von der CDU/CSU, seht es mir nach; es ist einfach ein bisschen dem heutigen Tag geschuldet: 11.11. –: Der Antrag enthält vieles, was, ich denke, gut ist, und er enthält vieles, was vielleicht insbesondere für die CDU/CSU neu ist. Aber das Gute ist nicht zwingend immer neu, und das Neue ist nicht zwingend immer gut.
Deswegen lassen Sie mich zum Abschluss sagen: Wir brauchen in der Phase des neuen Systemwettbewerbs technologische Souveränität. Wir brauchen Wettbewerbsfähigkeit. Für den Klimawandel brauchen wir Technologien und Innovationen; aber wir dürfen nicht vorherbestimmen, dass es die eine Technologie ist, sondern der Weg ist ökosoziale Marktwirtschaft, der Wettbewerb der Ideen, die Schaffung von Innovationen. Das, denke ich, sollte unser gemeinsames Ziel sein.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Seiter. – Nächster Redner ist der Kollege Thomas Heilmann, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, guten Morgen!
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Das sage ich im doppelten Wortsinn; denn was wir hier eigentlich versuchen, ist ein Weckruf – ein Weckruf, weil die Wissenschaftsszene eindeutig unzufrieden ist, und die Energiebranche ist es eindeutig auch. Die bisherigen Reden der Koalition waren auch weniger Reden als Ausreden – wenn ich ehrlich bin.
Liebe Frau Christmann, Sie haben die Leistungen des Wirtschaftsministeriums dargestellt.
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Ich muss ja zugeben: Die haben wenigstens ihre Hausaufgaben gemacht – nicht immer mit der Bestnote, aber sie haben sie gemacht. Hier wurden sie nicht gemacht.
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Herr Seiter, Sie haben lange über die Ankerkunden philosophiert. Ich stelle fest, dass es da offensichtlich auch einen Unterschied innerhalb Ihrer Koalition gibt; denn Frau Christmann hat sich ganz anders geäußert als Sie.
Ich will versuchen, die beiden wesentlichen Aspekte, den kurzfristigen und den langfristigen, noch mal auseinanderzunehmen und zu sagen, wo eigentlich das Problem liegt.
Sie können und die Koalition kann nichts für diese akute Energiekrise. Niemand bezweifelt, dass man darauf nicht vorbereitet war, und schon gar nicht ist für alles die Ampelkoalition zuständig. Aber so war es bei der Coronakrise ja auch.
Vor allen Dingen habe ich gar nicht verstanden, warum Sie den Corona-Expertenrat zitiert haben; denn genau so etwas Ähnliches fordern wir ja gerade im Hinblick auf die Frage: Wie gehen wir denn jetzt kurzfristig damit um?
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Der von der alten Koalition eingesetzte Expertenrat für Klimafragen sagt in dem Titel seines letzten Gutachtens, dass es klar nicht ausreichen wird, was wir bisher geschafft haben.
Ich bin Mitglied des Beirates der Bundesnetzagentur; da sind ja auch FDP-Kollegen drin. Wir stehen vor ganz vielen ungelösten Fragen, die sich jetzt kurzfristig so ergeben haben, weil wir eben einen von Putin angezettelten Energiekrieg haben. Sie werden sich doch alle daran erinnern, dass wir in der Schlussphase der Regierungszeit Merkel jede Woche Experten zum Thema „Was machen wir denn jetzt eigentlich?“ gehört haben; dagegen ist von dieser Regierung in dieser Frage einfach gar nichts zu hören. Es gibt sehr schöne Bekenntnisse zur Wissenschaft von Ihnen – die würde ich auch alle unterschreiben –; auch die FDP tut das wunderbar. Ich habe mir das in der Vorbereitung aufgeschrieben. Auf ihrer Webseite steht:
Wir bekennen uns zum wichtigen Beitrag der Wissenschaften in demokratischen Beratungsprozessen, um faktenbasierte Entscheidungen zu ermöglichen.
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In unserer lernenden Demokratie sind wissenschaftliche Erkenntnisse eine unverzichtbare Grundlage ...
Ja, genau richtig. – Und warum tun Sie das in der Energiekrise nicht?
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Es gibt dazu überhaupt gar keinen Dialog, obwohl es kurzfristig und mittelfristig offene Fragen gibt. Wir wissen doch alle, dass das Konzept des Umbaus zu erneuerbaren Energien war, dass die Energielücken, die sich ergeben, mit Energie aus Gaskraftwerken kurzfristig gefüllt werden sollen. Dieses Konzept ist jetzt beim Thema „Wir kriegen kein günstiges Pipelinegas über Russland“, vorsichtig formuliert, angegriffen.
Da müssen wir uns doch jetzt mal über die Frage unterhalten: Wie funktioniert denn diese Transformation? Alle Gremien, die es dazu gibt, sagen: Wir haben da zu wenig, um darauf zu antworten. – Es gibt leider keinerlei systematische Aufarbeitung: Wie kommen denn wir zu diesen Ergebnissen aus forschungs- und wissenschaftspolitischer Hinsicht? Das hat nichts mit der Frage zu tun, was jetzt das BMWK macht, sondern das ist natürlich eindeutig Aufgabe des Ministeriums für Forschung und Wissenschaft.
Der Weltklimarat sagt: 50 Prozent der Technologien, die wir 2050 brauchen, sind noch nicht fertig entwickelt. – Was für eine Agenda hat das Wissenschaftsministerium? Wir hören dazu nichts.
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Und wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie vielleicht Ulrike Gote von den Grünen, die angesichts dieser Unklarheiten der Zukunft für Forschung und Forschungsförderung gerade letzte Woche öffentlich gesagt hat, es sei ein Affront des Bundes gegenüber dem Wissenschaftsrat. Ich meine, klarer können doch die Äußerungen in der betroffenen Energieforschung von einer grünen Wissenschaftsministerin aus dem Land Berlin nicht sein.
In Vorbereitung dieser Rede habe ich gesagt: Na ja, vielleicht habe ich ja auch irgendwas verpasst. – Also, man kriegt ja manchmal etwas nicht mit. Was macht man dann? Man googelt. Frau Stark-Watzinger, ich habe Ihren Namen in Kombination mit „Energietransformation“ gegoogelt: Ich habe vier Einträge gefunden, über ein ganzes Jahr. Dann habe ich „Energieforschung“ eingegeben: Das war auch nicht besser. Wenn Sie Ende Oktober nicht offensichtlich in Karlsruhe gewesen wären, wo das für Energieforschung zuständige KIT tätig ist, dann wären es noch viel weniger Einträge gewesen.
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Im Verwaltungsrecht gibt es die Möglichkeit der sogenannten Untätigkeitsklage. Die gibt es ja im Politikbetrieb leider nicht. Aber das, was wir mit unserem Antrag sagen wollen, ist: Nutzen Sie in der aktuellen Energiekrise die Wissenschaft viel stärker! Es gibt viele unklare Fragen. Wir werfen Ihnen nicht vor, dass die Fragen unklar sind. Wir werfen Ihnen aber vor, dass Sie die Wissenschaft nicht anständig einbinden.
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Deswegen: Bitte fangen Sie an, zu handeln! Die Energie- und Klimakrise ist zu wichtig, als dass wir die Wissenschaft nicht aktiv in unseren Politikbetrieb einbinden sollten.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Heilmann. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Holger Becker, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie kennen sicherlich die folgende Situation: Sie sind im Urlaub, und morgens am Pool, wenn die Anlage öffnet, rennen ein paar Touristen wie von der Tarantel gestochen zu den Liegen und werfen dort ein Handtuch drauf.
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Warum ich Ihnen das erzähle? „Beitrag der Wissenschaft zur Lösung der aktuellen Energiekrise“ – so lautete der Titel des Antrags, der hier ursprünglich besprochen werden sollte. Das war Ihr Handtuch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, das Sie erst mal auf die Liege geworfen haben nach dem Motto: Erst mal eine Debatte anmelden, um sich Zeit zu verschaffen. Uns fällt dann sicherlich was ein.
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Nun diskutieren wir hier einen Antrag mit einem ganz anderen Zungenschlag. Zunächst würde ich Ihnen tatsächlich auch zugestehen, dass der Titel Ihres Antrages zum Teil ganz in meinem Sinne als Wissenschaftler ist, nämlich die Rolle von Wissenschaft in der Regierung zu stärken. Hier und da, wie auch Kollege Seiter es schon angemerkt hat, sind Elemente dabei, die nicht schlecht, aber eben auch nicht neu sind. Ein paar Beispiele:
Start-ups und KMUs zu fördern, wie in Punkt 12 genannt, ist eigentlich immer ein ratsames Vorgehen; denn KMUs und Start-ups sind der Maschinenraum der deutschen Wirtschaft. Es freut mich, dass Sie das erkannt haben, nachdem Ihr letzter Wirtschaftsminister ja eher ein holpriges Verhältnis in diese Richtung hatte.
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Ich denke allerdings, da stoßen wir mit der bereits vorliegenden Start-up-Strategie schon ganz bedeutende Entwicklungen an. Es gibt bereits heute im Bereich „Innovationen in der Energiewende“ über 100 junge Unternehmen in diesem Land, die uns an den verschiedensten Stellen mit den verschiedensten Technologien ganz entscheidend voranbringen. Und nicht umsonst waren wir als SPD-Fraktion im Rahmen unserer Klausur in Dresden zum Beispiel bei einem Unternehmen zu Gast, das Anlagen zur Wasserstoffelektrolyse herstellt.
Mit der SprinD haben wir zudem bereits heute ein Instrument, das genau jene schnelle Umsetzung dieses „from lab to fab“, wie Sie es sehr schön in Punkt 3 formuliert haben, bereits als Arbeitsauftrag hat.
Auch Ihr Punkt 7, in dem Sie das sogenannte Pre-commercial Procurement, also den Staat als Ankerkunden, vorschlagen, ist schon längst Teil des Regierungshandelns. Auch dem ist in der Start-up-Strategie ein eigenes Kapitel gewidmet.
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Nun gut. Was steht sonst noch so drin? Sie fordern die Bundesregierung auf, „eine ‚Technologieagenda Neue Energienʼ zu erstellen“. Das klingt ganz spannend, aber was umfasst das denn? Das steht nämlich nicht da; weiter geht der Satz in Punkt 1 nämlich nicht.
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Und Sie nehmen auch nur ein einziges Mal konkret Bezug auf diese Agenda, nämlich bei Punkt 8, wo es um Vergabe geht. Auch da ist es so, dass Start-ups und KMUs bei Forschungsvorhaben bereits jetzt besonders zum Zuge kommen. Das ist geübte Praxis bei Förderrichtlinien.
Sie fordern zudem – ich zitiere –, „einen strategischen Prozess mit einer ideologiefreien, evidenzbasierten Bestandsanalyse aufzusetzen“. Das klingt auch erst mal gut. Aber wie so oft steckt der Teufel im Detail. Wenn die Union nämlich von „ideologiefrei“ spricht, ist zu befürchten, dass sie das genaue Gegenteil meint.
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Sie stellen sich hin und fordern Ideologiefreiheit bei Energiefragen. Aber wie sieht es bei Ihnen selbst aus? In meinem Land, in Thüringen, bekämpft die Union – natürlich völlig ideologiefrei –
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Windkraft mit Zähnen und Klauen. Das gestrige Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat glücklicherweise positiv eingegriffen.
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Dass die AfD das multidimensional tote Pferd der sogenannten friedlichen Nutzung der Kernenergie reiten möchte, wundert mich nicht. Das Haus hat hier bei der vorangegangenen Abstimmung glücklicherweise mit einer deutlichen Stimme gesprochen. Fragen Sie mal die Leute bei Helmholtz, die wirklich Energieforschung betreiben. Da werden Sie niemanden finden, der diesem Thema auch nur ein My Zukunftspotenzial zuordnet.
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Was haben wir sonst noch? Unter Punkt 6 sprechen Sie von Forschung und Entwicklung im Bereich der Speichertechnologien und auch davon, sich neue Ansätze im Bereich Kernfusion genauer anzuschauen. Keine schlechte Idee. Genau zu diesen Punkten liegen dem Büro für Technikfolgen-Abschätzung des Deutschen Bundestags nämlich bereits Untersuchungsanträge vor.
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Das Interessante dabei: Diese Anträge kamen nicht auf Initiative der Union, sondern die kamen von unserer Seite, auf Initiative der SPD. Wir, die Koalition, sind es, die diese technologischen Entwicklungen vollständig und ideologiefrei im Blick haben.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie reden davon, ein Potenzial zu nutzen, das Sie selbst jahrelang wirklich konsequent ignoriert haben, geben vor, Ideen und Konzepte für eine Energieagenda in der Schublade zu haben, während Sie es waren, die über Jahre aktiv die Energiewende in diesem Land sabotiert und ausgebremst haben. Es war Ihr Umweltminister und späterer Wirtschaftsminister, der sich 2012, wie auch Kollegin Sitte schon bemerkt hat, öffentlich über den Zusammenbruch der Photovoltaikindustrie gefreut hat.
Es ist schön, zu sehen, dass Sie von der Union Forschung im Energiebereich als Thema für sich entdeckt haben. Es ist allerdings noch schöner, dass wir in unserer Koalition ebendiesen Weg bereits ein gutes Stück zurückgelegt haben und dass wir dabei sind, eine innovative, technologisch vielfältige, nachhaltige, sichere und ökonomisch sinnvolle Energieversorgung anzugehen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Nicole Höchst, AfD-Fraktion.
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Herr Präsident! Werte Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der CDU/CSU-Fraktion ist eine bemerkenswerte Umkehr auf dem energiewendenden Holzweg. Vielleicht können die anderen Fraktionen von Ihnen etwas lernen.
Nicht Corona, nicht Putin sind schuld an der deutschen Energiekrise; es ist die deutsche Energiepolitik der letzten Jahrzehnte. Denn mit Ihrer aller Beteiligung wurde 2000 die völlig verfehlte Energiewende mit dem EEG beschlossen und unter Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel 2011 die völlig irrationale Entscheidung getroffen, aus der Zukunftstechnologie Kernenergie auszusteigen – wegen eines Tsunamis in Fukushima.
Unter Ihrer Verantwortung wurde 2020 der Ausstieg aus der Kohleverstromung verabschiedet und die Gasabhängigkeit von Russland beschlossen. Sie, meine Damen und Herren hier im Deutschen Bundestag, stellten maßgeblich alle Weichen für den Rückschritt Deutschlands zum industriellen Entwicklungsland.
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Sie, liebe Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, waren maßgeblich mitverantwortlich für die Einrichtung einer Konsenspolitik und einer Konsenswissenschaft – die magischen 97 Prozent – unter der Knute der ideologischen Alternativlosigkeit.
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Die Ampel hat indes die Energiewendepolitik in Zeiten der Krise intensiviert. Die Energiepreise explodieren, der Zusammenbruch der Energieversorgung droht in diesem Winter. Die BASF in Ludwigshafen ist mit 39 000 Arbeitsplätzen auf dem Sprung nach China, die traditionellen Edelsteinschleifer in Idar-Oberstein stehen vor dem Aus – um nur mal einige zu nennen. Ihre Energiepolitik besteht in Verteuerung und Verknappung von Energie in Zeiten der Krise. Das muss mal so hart gesagt werden, meine Damen und Herren.
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Sie lösen mit Ihren Missionen das Weltklimaproblem nicht von Deutschland aus – nicht einmal, wenn Sie dafür die deutsche Wirtschaft, die deutsche Wissenschaft und die Bevölkerung über die Klippe springen lassen. Durch Ihre Politik ist auch der Wissenschaftsstandort Deutschland direkt gefährdet. Bei den von Ihnen zu verantwortenden Energiepreisen kann der Wissenschaftsbetrieb nicht mehr aufrechterhalten werden, liest man in der Allianz-Stellungnahme zu Wissenschaft und Forschung in der Energiekrise.
Ihre Politik treibt Deutschland in den Ruin, während die Wirtschaft und die Wissenschaft woanders florieren. Ihr erklärter Feind, der CO2-Fußabdruck, wandert einfach nur woandershin. Was für eine Heuchelei!
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Ich bitte Sie, dem Antrag der CDU/CSU diskursiv näherzutreten. Das ist vielleicht der richtige Weg.
Danke schön.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Höchst. – Das Wort erhält jetzt die Kollegin Laura Kraft, Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute wurde bereits viel über Energiepolitik gesprochen, und ich bin froh, dass wir jetzt auch über das Thema Energieforschung sprechen; denn Entwicklung in der Energietechnologie und Energieversorgung ist ohne Forschung einfach nicht denkbar.
Aber ich muss eins vorwegsagen: Sie haben ja in Ihren Reden eben schon erklärt, wie toll Sie recherchiert haben. Das kann ja nicht so erfolgreich gewesen sein. Denn wenn Sie einfach Google benutzt hätten, dann wären Sie wahrscheinlich auch auf die Seite des BMWK gestoßen. Somit müssen wir noch mal über Ressortzuständigkeiten sprechen; denn das Portal www.energieforschung.de ist in der Zuständigkeit des BMWK, nicht des BMBF, und die Seite gibt es schon seit 2018, also auch schon unter Ihrer Regierung. Und wenn Sie auf der Seite des BMBF unterwegs sind, dann finden Sie einen Bericht zum 7. Energieforschungsprogramm von 2020, also auch aus Ihrer Regierungszeit.
Es geht also gar nicht darum, herauszustellen, was nicht gemacht wurde, sondern es ist ja schon viel gefördert worden, ja, auch unter der Vorgängerregierung, also unter Ihrer Regierung.
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Es ist somit nicht so, als hätten Sie dieses Thema jetzt noch mal ganz neu aufgebracht und das ganz neu entdeckt, sondern da ist ja schon länger viel passiert.
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Und da frage ich mich: Was ist denn Ihr Motto? Ist das – so lese ich den Antrag – „Schwach angefangen und dann stark nachgelassen“, oder wie?
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Die Ampel wird – anders als die Union – die Forschungsausgaben insgesamt auf 3,5 Prozent des BIP bis 2025 erhöhen, und das ist einiges. Wir stehen der Energiewende nicht im Weg. Wir fördern sie ganz gezielt, auch durch Investitionen. Und gleichzeitig verfolgen wir als Ampel eine stark wissenschaftsbasierte Politik, in der wissenschaftliche Erkenntnisse eine hohe Bedeutung haben.
An dieser Stelle möchte ich mal Werbung machen für das Büro für Technikfolgen-Abschätzung. Ich weiß gar nicht, ob dessen Arbeit vielen Parlamentariern bekannt ist; wir arbeiten dort aber auch als Berichterstatterinnen und Berichterstatter. Wenn Sie einfach mal auf die Internetseite schauen, dann finden Sie da wirklich sehr viele Themen und sehr viele Projekte, die sich mit vielversprechender, zukunftsgerichteter Energieforschung befassen und dabei auch eine Technikfolgenabschätzung durchführen. Und das ist einfach enorm wichtig. Wir stehen also für wissenschaftsbasierte, für evidenzbasierte Politik. Diesen Bereich müssen wir stärken. Und wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier müssen dann auch mal gucken, was wir im eigenen Haus haben, wo wir Kooperationen pflegen können und wie wir das in unsere Entscheidungsfindung stärker einfließen lassen können.
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Uns Grünen ist Forschung besonders wichtig; denn wir wissen, wie wichtig sie zur Lösung der Klimakrise ist, aber selbstverständlich auch zur Bewältigung anderer Herausforderungen unserer Zeit. Herzlichen Glückwunsch an die Union, dass Sie jetzt die Wichtigkeit der Energiewende erkennen. Wir haben in der Regel kein Erkenntnisproblem, wir haben ein Umsetzungsproblem. Die Entwicklung hin zu einer nachhaltigen Energiepolitik wurde in der Vergangenheit leider zu oft blockiert, auch von Ihnen. Das merkt man auch daran, dass Sie es in Ihrem Antrag wirklich systematisch vermeiden, das Wort „Energiewende“ zu verwenden.
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Sie reden von Energietransformation. Vielleicht klingt Ihnen „Energiewende“ einfach zu grün. Ich weiß nicht, was da los war; aber gut, ist okay.
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– Okay, Frau Höchst.
Ich bin froh, dass der Antrag nun neue Energien als Lösung für die aktuelle Krise in der Zukunft sieht; dazu hat man ja von der Union zuvor noch ganz andere Töne gehört. Aber Unabhängigkeit im Energiebereich werden wir in der Zukunft vor allen Dingen durch erneuerbare Energien erreichen.
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Die technologischen Entwicklungen in der Solarzellenforschung zeigen uns, wie durch beeindruckende Forschung die Energieversorgung immer effizienter gestaltet werden kann. Aber leider haben wir den Standort Deutschland für Solarindustrie vor die Hunde gehen lassen. Das ist ein Riesenproblem.
Wir stehen vor großen Herausforderungen, heute und auch in der Zukunft. Die Probleme und Krisen unserer Zeit lassen sich nur lösen, wenn wir Forschung auch auskömmlich finanzieren. Dafür setzen wir uns in der Ampelkoalition ein.
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Die Union fordert in ihrem Antrag, dass in den Entlastungspaketen auch Beträge für Investitionen in Forschung und Entwicklung von Zukunftstechnologien enthalten sein sollen. Dazu muss man sagen: Das muss man trennen. Entlastungspakete sind nicht in erster Linie dafür da, Investitionen zu tätigen, sondern Entlastungspakete sollen entlasten.
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Und wir entlasten ganz gezielt Wissenschaft und Forschung in der Krise.
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Denn wir sehen natürlich, wie die Forschungseinrichtungen in der jetzigen Situation belastet sind. Da schaffen wir mit unseren verschiedenen Entlastungspaketen auch Abhilfe.
Danke schön.
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Vielen Dank Frau Kollegin. – Das Wort hat jetzt die Kollegin Maja Wallstein, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Besucherinnen und Besucher, schön, dass Sie da sind! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Serviceopposition – ganz besonders Sie seien gegrüßt –, ich spiele ja ernsthaft mit dem Gedanken, Ihrem Antrag zuzustimmen. Ich stimme zum Beispiel zu: Ja, wir müssen Klimaneutralität bis 2045 erreichen, und dafür brauchen wir eine echte Transformation. Mir ist Ihr Sinneswandel in diesem Bereich natürlich nicht entgangen. Ich finde es schön, dass Sie, liebe Union, das mittlerweile fordern. Spitzfindige Zungen hier im Haus haben ja heute schon erwähnt: Hätte Ihre Partei, Ihr Minister Altmaier das früher auch schon gut gefunden, dann wären wir heute schon weiter. Aber so spitzfindig bin ich heute gar nicht. Vielmehr möchte ich Ihnen zustimmen.
Dem Antrag kann man, wie ich sagte, zustimmen, wenn wir gemeinsam ein paar Änderungen vornehmen: wenn wir zum Beispiel sortieren und das Potpourri zusammengewürfelter und auch zusammenhangloser Forderungen bereinigen. Also, wenn Sie meine Stimme wollen – und so hatte ich Sie verstanden –, müssten Ihre Forderungen nach einer Technologieagenda und einer Mission „Neue Energien“ aus dem Antrag rausgestrichen werden. Das klingt eigentlich sehr schön, das sind aber eigentlich nur Überschriften ohne Inhalte. So etwas konnte ich noch nie leiden.
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In drei Ihrer zwölf Forderungen erwähnen Sie kleine und mittlere Unternehmen und Start-ups, um diese zu bevorzugen. Es ist sinnvoll, Start-ups und KMU zu fördern; gerade in Ostdeutschland haben wir viele kleine und mittlere Unternehmen. Aber zum einen glaube ich nicht, dass das die Rolle der Wissenschaft in der Bundesregierung stärkt, wie es ja der Titel Ihres Antrages fordert, zum anderen sollte man, wenn man Wissenschaft fördern und stärken will, nicht die Auswahl der Kooperationspartner verengen.
Ihre Forderung zur Zusammenarbeit der Ressortforschung mit der akademischen Forschung finde ich interessant, ein bisschen unklar, aber interessant. Die Ressortforschungseinrichtungen der Bundesministerien arbeiten ja nicht losgelöst von der sonstigen Wissenschaft, sondern die betreiben doch schon akademische Forschung. Sie kooperieren mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Universitäten und publizieren auch in den üblichen Journals. Die Ressortforschung wird auch vom Wissenschaftsrat regelmäßig evaluiert mit Blick auf ihre wissenschaftliche Qualität. Jetzt frage ich mich: Welche der Ressortforschungseinrichtungen, die zu neuen Energien forscht, arbeitet denn Ihrer Meinung nach nicht vernünftig mit der akademischen Forschung zusammen? Also ernsthaft, ich frage mich, welche der Forschungseinrichtungen Sie da auf dem Kieker haben. Das würde mich interessieren. Wir haben heute noch ein paar Redebeiträge. Vielleicht gehen Sie darauf ein.
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Aber zwei Ihrer zwölf Forderungen unterstütze ich; denn da wollen Sie ja tatsächlich die Rolle der Wissenschaft in der Bundesregierung entsprechend des Antragstitels stärken. Das sind Punkt 2 und Punkt 4. Und die gute Nachricht ist: „Unabhängige, ergebnisoffene wissenschaftliche Analysen zu einer sicheren, bezahlbaren und klimafreundlichen Energieversorgung in Deutschland“, so wie Sie es hier schreiben, ja, das machen wir bereits, und zwar im Förderbereich Energiesystemanalyse des Energieforschungsprogramms des BMWK. Außerdem gibt es ein Projekt mit dem Titel „Langfristszenarien für die Transformation des Energiesystems“, ebenfalls im Auftrag des BMWK. Und die Bundesregierung wird 2023 ein neues Energieforschungsprogramm vorlegen.
Ihre grundsätzliche Forderung nach der Förderung von Forschung und Entwicklung von neuen Energien ist natürlich absolut richtig. Und auch hier eine gute Nachricht: Auch das tun wir schon. Das 7. Energieforschungsprogramm der Bundesregierung „Innovationen für die Energiewende“ hat einen Umfang von 917 Millionen Euro.
Sie fordern konkret unter anderem Forschung zu Speichertechnologien und Leitungssystemen. Super, super! Die werden zum Beispiel direkt in meinem Wahlkreis in Cottbus erforscht. Das neue „Energie-Innovationszentrum“ der BTU Cottbus-Senftenberg wird vom BMBF gefördert und soll gezielte Innovation sowie industrienahe, produktorientierte Technologieentwicklung und ‑transfer vorantreiben.
Auch vom BMBF gefördert wird das neue DLR-Institut für elektrifizierte Luftfahrtantriebe in Cottbus, das emissionsärmere Flugtriebwerke erforschen wird, und das Fraunhofer-Institut für Geothermie und Energieinfrastrukturen, ebenfalls bei mir zu Hause in Cottbus.
Cottbus entwickelt sich immer mehr zu einer der dynamischsten Energieforschungsstandorte Deutschlands. Kommen Sie mich sehr, sehr gerne besuchen.
({2})
Sie sind sowieso immer ganz besonders herzlich willkommen, und bei Cottbuser Baumkuchen und „Fürst Pückler“-Bier kann man sich auch gut entspannen. Das nimmt dann ein bisschen den Stress raus, den Sie jetzt vielleicht hier empfinden.
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Zusammengefasst: Das, was logisch und sinnvoll ist in Ihrem Antrag, machen wir bereits.
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Darum werden Sie sicherlich Verständnis haben und einsehen, dass ich Ihrem Antrag dann am Ende doch nicht zustimmen kann. Aber die Einladung steht.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. Das wird ja eine richtige Sause, wenn 736 Abgeordnete zu Ihnen nach Hause kommen.
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– Nur die Union?
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Ich glaube, das ist ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot von Andersgläubigen.
Nächster Redner ist der Kollege Stephan Albani, CDU/CSU-Fraktion.
({2})
Lieber Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als einer der letzten Redner in dieser Debatte muss ich dann erst mal mit ein paar Punkten ein bisschen aufräumen.
Einige Kolleginnen und Kollegen der Ampel haben gesagt, sie hören auf die Wissenschaft. Ja, das will ich auch gar nicht in Abrede stellen. Aber nachdem man gehört hat, sollte man auch tun gemäß dem schönen Spruch von Kästner: „Es gibt nichts Gutes. Außer man tut es.“
In den Ausführungen zum Beispiel von Frau Christmann waren ja schon einige gute Vorschläge dabei; die wollen wir auch gar nicht in Abrede stellen. Aber gerade gegen Ende Ihrer Rede – falls Sie sie noch einmal anschauen wollen – war doch einiges zu „wollen“, „planen“ und „überlegen“ zu hören. Okay, alles auf einmal können Sie nicht machen. Aber entscheidend ist, dass viele der Punkte in einer Agenda – genau das ist es, was wir fordern – in einen sinnvollen Zusammenhang gesetzt werden sollen, und nicht in Sätze wie: „Wir wollen hier“, „Wir machen da“,
({0})
„Wir tun dies“, „Wir tun jenes“, wie es gerade in der Rede meiner Vorrednerin zu hören war. Also: Dem Ganzen einen Sinn geben!
Herr Dr. Seiter, Sie haben uns hier dafür kritisiert, dass wir gesagt haben, wir hätten in Etappen von 5, 10 und 15 Jahren geplant. Genau das ist aber das Element einer Agenda, dass man sagt: Was soll nach welcher Zeit geschehen? Das bedeutet natürlich nicht: Wir sind sicher, dass es so kommt. Aber es muss einen Zeitplan geben getreu dem Motto „Aus Träumen werden Planungen, indem man ein Datum dahintersetzt“. Wenn man dies nicht tut, dann bleiben es Träume, Vorstellungen und Wunschlisten.
Also das sind die Punkte, die ich gegenüber meinen Vorrednern noch einmal deutlich machen wollte. Und der Kollege Heilmann hat es schon erwähnt: Der Expertenrat für Klimafragen hat in seiner Kritik, dass die Erreichung der Ziele für 2030 ohne Paradigmenwechsel fraglich ist, nicht unsere Politik gemeint, sondern das, was jetzt von Ihnen vorgelegt wird. Sosehr Sie sich auch gern an uns abarbeiten: Hier geht es dann doch um die Dinge, die Sie momentan vorlegen.
Insofern möchte ich die zweite Hälfte meiner Redezeit für die Dinge verwenden, die mir in diesem Zusammenhang am Herzen liegen. Ich beginne mit einem Zitat von Saint-Exupéry, um zu verdeutlichen, was mir an dieser Debatte bisher nicht gefällt. Er hat gesagt:
Was die Zukunft anbelangt, so haben wir nicht die Aufgabe, sie vorherzusehen,
– wie einige der Kollegen das hier versucht haben –
sondern sie zu ermöglichen.
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Genau das geschieht nicht. Es gibt keine Planung, es gibt nichts. Das wurde eben sehr deutlich.
Es wurde übrigens überwiegend das BMWK erwähnt. Das heißt, eine wirklich sinnhafte Zusammenarbeit zwischen BMBF, BMWK und am Ende auch der Wirtschaft, die das Ganze ausrollen kann, entsteht im Sinne eines Gesamtprozesses nicht. Genau das ist es aber, was wir hier fordern.
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– Nein, keine Doppelstrukturen, sondern eine Prozesskette, die ineinandergreift und auf diese Art und Weise am Ende auch einen Effekt erzeugt und nicht einfach nur viel bewegt und wenig erreicht.
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Bei der Frage nach plan- bzw. sinnvollen und optimalen Lösungen für die Frage nach zukünftigen Energieformen ist mir in der Diskussion heute auch wieder eines aufgefallen: Ich habe da manchmal das Gefühl, es geht weniger um Wissenschaft, um eine ergebnisoffene und kenntnisreiche Beschäftigung damit, sondern darum, Ersatzenergiereligionen gründen zu wollen und uns gegenseitig immer zu fragen: Sag mal, bist du eigentlich der mit Wind? Ich bin eher für Wasserstoff. Ich bin für Fusion. Bist du für Regeneration? Oder was weiß ich. Es geht also immer um ein Entweder-oder. Bist du dies oder jenes? Wir wollen dies, wir wollen jenes. Das halte ich für falsch. Das Falsche daran sind nicht die Technologien. Das Falsche ist das Wort „oder“. Wir werden also all diese Technologien brauchen, und wir brauchen sie in unterschiedlicher Art und Weise an unterschiedlichen Stellen.
Liebe Kollegen von der AfD, Herr Kaufmann, genau das war im Wesentlichen der Inhalt der Aussage des Nobelpreisträgers Chu, der deutlich gemacht hat, dass wir letzten Endes Lösungen erarbeiten müssen, die an die Orte und in die Kontexte passen, wo sie sinnvoll eingesetzt werden können. Genau dazu dient die Agenda, die wir hier vom Ministerium fordern.
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Und wenn wir schon beim Aufräumen sind: Hier wurden eben wieder Kernfusion und Kernspaltung in einem Absatz erwähnt. Da jetzt hoffentlich viele da draußen zuhören: Diese beiden Dinge haben so viel miteinander zu tun wie „Gustav“ und „Gasthof“, nämlich außer dem Wortkern nichts.
Die Kernspaltung ist eine Technologie, bei der es wegen ihres Risikos durchaus Sinn hat, dass sie zu einem Ende kommen wird. Wir sind der Meinung, dass dies aufgrund der derzeitigen Situation 2024 sein sollte. Andere sehen dies als nicht sinnvoll an. Darüber ist der Diskurs zu führen. Aber die Technologie ist eine Technologie von gestern.
({5})
Die Kernfusion ist davon bitte völlig zu trennen. Die Kernfusion ist eine Technologie von morgen, und hier investieren wir. Hier gibt es Start-ups, hier müssen wir an dieser – –
({6})
– Das sind keine Fake News. Als Physiker kann ich Ihnen sagen: Schauen Sie sich das mal genauer an. Das hat miteinander nichts zu tun.
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Zu der Behauptung, dass so etwas Zukunftsmusik ist oder dass dieses Ziel unter Umständen nicht erreicht werden kann, sage ich: Wir haben im Rahmen unseres Studiums die Kollegen, die Fusion gemacht haben, immer ein bisschen damit geärgert, dass wir gesagt haben: Ist das nicht fürchterlich, wenn ihr jeden Morgen aus der Tür tretet, und da oben lacht euch die Sonne an und sagt: „Ätsch, bätsch, ich kann etwas, was ihr noch nicht könnt“?
({8})
Genau darum wird es gehen, wenn wir am Ende des Tages mittels einer Agenda dieses Ziel erreichen wollen.
So möchte ich schließen mit den Worten von Albert Einstein:
Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vornherein ausgeschlossen erscheint.
Insofern sollten wir an diese Punkte rangehen. Das ist Forschung. Aber das BMBF steht am Anfang, dann das BMWK, und die Wirtschaft am Ende. Dann kommen wir auch zum Ziel.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Ria Schröder, FDP-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kennen Sie Alice H. Parker oder Mária Telkes? Beide waren Erfinderinnen. Sie haben in Zeiten von Krisen mit ihren Erfindungen den Grundstein für technologische Innovationen im Bereich der Energieversorgung und der Energiesicherheit gelegt. Die afroamerikanische Erfinderin Alice H. Parker konstruierte während des Ersten Weltkrieges eine regulierbare Gasheizung, die die Entwicklung von Zentralheizungen möglich machte. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte die ungarisch-amerikanische Biophysikerin Mária Telkes die erste Solaranlage der Welt. Diese Erfinderinnen sind uns Vorbild.
Wissenschaft und Forschung werden uns auch aus dieser Krise herausinnovieren.
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Aber nicht durch Planwissenschaft, liebe Union. So wie der Staat nicht der bessere Unternehmer ist, so ist er auch nicht der bessere Wissenschaftler.
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Die Aufgabe von Politik ist es, Rahmenbedingungen zu setzen, in denen Forscher/-innen, Wissenschaftler-/innen und Erfinder/-innen sich entfalten können. Und das tut diese Bundesregierung.
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Liebe Union, entweder haben Sie die letzten Wochen unter einem Stein gelebt, oder Sie wollen die Menschen in die Irre führen, wenn Sie behaupten, Wissenschaft und Forschung seien bei den Entlastungspaketen leer ausgegangen. Das ist falsch.
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Wissenschaft und Forschung stehen unter dem Abwehrschirm der Bundesregierung. Sie profitieren von den Soforthilfen genauso wie von der Gas- und Strompreisbremse. Und für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen gibt es einen Härtefallfonds. Diese Informationen waren am Mittwoch, als Ihr Antrag dann endlich vorlag, auch hinlänglich bekannt. Also hören Sie bitte auf mit diesen Falschbehauptungen.
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Meine Damen und Herren, wir schaffen die Rahmenbedingungen. Die Zukunftsstrategie ist angesprochen worden. Nehmen Sie die GWK-Beschlüsse aus der letzten Woche, die Dynamisierung des Zukunftsvertrags „Studium und Lehre stärken“, die Ausweitung der Exzellenzstrategie für die universitäre Spitzenforschung. Meine Damen und Herren, die Beispiele von Alice H. Parker und Mária Telkes zeigen doch, dass Wissenschaft Männer und Frauen braucht.
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Daher ist das Professorinnenprogramm 2030 ebenso richtungsweisend für Wissenschaft und Forschung in unserem Land.
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Meine Damen und Herren, wir denken an die Zukunft. Die Wissenschaftler/-innen und Erfinder/-innen von morgen stecken heute noch in den Kinderschuhen, nämlich in den Schulen und Kitas in Deutschland. Im Sommer habe ich am „Tag der kleinen Forscher“ in Hamburg mit Kitakindern physikalische und chemische Experimente gemacht. Das klingt jetzt erst mal groß, aber wir haben im Prinzip Öl und Wasser miteinander vermischt und die Phasenbildung beobachtet, haben Bindfäden mit Salz an Eiswürfel geklebt und die dann hochgehoben. Aber so lernen die Kleinsten spielerisch Naturwissenschaften kennen und die Begeisterung für Forschung.
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Und mit dem MINT-Aktionsplan oder „Jugend forscht“ fördern wir die Kreativität und den Einfallsreichtum von Schülerinnen und Schülern.
So setzen wir die Rahmenbedingungen für starke Wissenschaft heute und in Zukunft.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Schröder. – Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Holger Mann, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst einmal sei gesagt: Wir Sozialdemokraten begrüßen, dass nun auch die Union mit Blick auf das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 von einer „unerlässlichen“ und „großen“ Transformation spricht. Das ist gut so; denn es war ja nicht immer so.
({0})
Dennoch: Nach Lesen Ihres Antrags von CDU und CSU und auch nach Hören der Debatte stellen sich zahlreiche Fragen.
Die erste ist: Wofür stehen denn Ihre „Neuen Energien“? Sie bemühen diesen Terminus ja nicht nur in der Überschrift. Wollen Sie den Bürgerinnen und Bürgern mit dieser Wortschöpfung Hoffnung machen, dass die Lösung der aktuellen Energiekrise einfach sei, nach dem Motto „Technologie löst alles“? Das hielte ich gerade in der aktuellen Situation für grundfalsch.
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Oder aber meinen Sie damit neue Energieerzeugungsformen? Falls ja, findet sich auf der letzten Seite Ihres Antrags einzig die konkrete Forderung, „neue Ansätze der Kernfusion (Trägheitsfusion)“ zu fördern. Hierzu sei aber zumindest mal gesagt: Das Prinzip ist alles andere als neu. Es ist seit der Entwicklung der Wasserstoffbombe bekannt und wird seit Dekaden erforscht. Allein in den USA sind seit den 70er-Jahren drei große Forschungsanlagen zur thermonuklearen Kernfusion – das meint es ja – für zweistellige Milliardenbeträge errichtet worden. Zeitpläne wie Ergebnisse blieben leider weit hinter den Erwartungen zurück. Und auch die Fertigstellung der europäischen Anlage bei Bordeaux ist inzwischen um mehr als zehn Jahre in Verzug und beim Budget jenseits von Gut und Böse. Deshalb seien hier zumindest Zweifel angemeldet.
Ich finde umso erstaunlicher, wie viele Fürsprecher dieser Technologieansatz gerade wieder findet. Offensichtlich hoffen immer noch viele darauf, die unerschöpfliche fossile Energiequelle zu finden.
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Ich prognostiziere mit dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik: Das Perpetuum mobile wird Utopie bleiben. Vielleicht erinnern wir uns genau deshalb daran, dass Sonne und Wind Ressourcen bieten, die für die Existenzzeit der Menschheit völlig ausreichend sind.
Zur zweiten Frage: Warum soll ausgerechnet die Wissenschaft die Komplettlösung für die Energiefrage bringen? Damit, meine Damen und Herren, meine ich mitnichten, dass die Wissenschaft keine Ideen und Expertise hätte. Nein, im Gegenteil, sie hat diese bereits mannigfaltig geliefert. Das Problem ist: Es gab wohl nirgends ein so krasses Auseinanderfallen von Expertise und politischem Handeln wie in der Klima- und Energiepolitik, und die gibt es in Teilen dieses Parlaments bis heute.
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Obwohl die Wissenschaft seit Jahren vor der globalen Erwärmung und zu hohem Ausstoß durch fossile Energieträger warnt, werden in meinem Bundesland Sachsen in den letzten Jahren Windkraftanlagen zurückgebaut. Dort wie in vielen unionsgeführten Bundesländern hat man sich der Realität verweigert und erschwert den Ausbau der erneuerbaren Energien mit Abstandsregeln und weiteren Verboten. Kurzum, meine Damen und Herren: Nein, wir müssen jetzt in die Umsetzung der Expertise der Wissenschaft kommen, und zwar auf allen Ebenen.
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Zur dritten Frage: Braucht es jetzt wirklich noch eine Strategie? Seit 2006 gibt es die Hightech-Strategie, die 2007 zur Hightech-Strategie zum Klimaschutz erweitert wurde. 2010 folgte dann die Hightech-Strategie 2020, 2014 die nächste Hightech-Strategie, zudem 2016 die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie. In der letzten Koalition haben wir gemeinsam die Hightech-Strategie 2025 und eine Wasserstoffstrategie auf den Weg gebracht. Erinnert, meine Damen und Herren, sei deshalb daran, dass die Union damals nicht nur Herrn Altmaier als Wirtschaftsminister stellte, sondern alle Minister von Wissenschaft über Wirtschaft und Energie, Verkehr, Digitalisierung, Inneres und Bau und jede Möglichkeit hatte, die Transformation voranzubringen, die sie von uns heute mit diesem Antrag einfordert.
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Aber gut, zurück zur Strategiefrage. Just heute ist nicht nur die Eröffnung der fünften Jahreszeit, sondern auch Stichtag für die Ressortrückmeldung zum Entwurf der Zukunftsstrategie Forschung und Innovation. In deren erster, zweiter und vierter Mission sind die von Ihnen genannten Themen und Herausforderungen klar adressiert. Die Sammlung von Zielen ist jetzt schon sehr ambitioniert. Wir brauchen deshalb keine weitere Metastrategie, sondern es braucht Fokussierung, Vereinbarung von gemeinsamen Zielen und vor allen Dingen deren Umsetzung.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Mann. – Damit schließe ich die Aussprache.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Staat muss stark sein. Mein Verständnis eines starken Staates ist aber nicht, dass wir ihm immer neue Betätigungsfelder suchen, sondern er sollte stark sein im Sinne von „handlungsfähig“, und dies insbesondere in seinen Kernbereichen. Dazu gehört ganz elementar und zentral die Handlungsfähigkeit des Rechtsstaates.
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In diesem Kernbereich stellen wir unseren Staat neu auf und beseitigen mit dem Sanktionsdurchsetzungsgesetz II Handlungsdefizite.
Im Zuge des russischen Angriffs sind für unseren Rechtsstaat neue und bisher nicht gekannte Aufgaben hinzugetreten. In breiter europäischer Einigkeit haben wir umfassende Sanktionen gegen das System Putin verhängt. Wir beschneiden nicht nur die finanziellen Profite der russischen Wirtschaft und die finanzielle Handlungsfähigkeit des russischen Staatswesens. Wir nehmen auch auf individueller Ebene jene in den Blick, die aus diesem autokratischen System ihren ökonomischen Nutzen ziehen. Wer Putin unterstützt, der soll seine Dividende nicht hier in der Sicherheit der Demokratie leben dürfen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dafür haben wir bereits im Mai mit dem Sanktionsdurchsetzungsgesetz I ein erstes Maßnahmenpaket beschlossen. Damit haben wir den Zoll und die zuständigen Behörden rechtlich und administrativ in die Lage versetzt, ihre neuen Aufgaben wahrnehmen zu können. Schon damals war aber klar: Es braucht langfristig strukturelle Verbesserungen, damit die Sanktionen wirksam durchgesetzt werden können. Wir stellen den Vollzug jetzt auf rechtlich umfängliche, stabile Grundlagen, und wir schaffen gewissermaßen nach der Ad-hoc-Krisenreaktion auf diesem Feld eine neue gute Staatspraxis.
Wir gehen eine ganze Reihe umfassender struktureller Reformen an. Dabei steht eines im Zentrum: mehr Effizienz und mehr Schlagkraft durch Digitalisierung und die Bündelung von Kompetenzen. Der Rechtsstaat muss besser organisiert sein als diejenigen, die Gesetze brechen.
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Wir gründen eine neue Zentralstelle für die Sanktionsdurchsetzung, die die Zuständigkeiten für die Ermittlung und die Überwachung eingefrorener Vermögenswerte ordnet. Diese Bündelung von Daten und die koordinierte Steuerung aus einer Hand nutzt Synergien und beendet ein leider bestehendes Kompetenzwirrwarr. Das ist die in Gesetz gegossene Verschlankung der Verwaltung. Ein handlungsfähiger Staat ist eben nicht groß und kompliziert, sondern schnell und schlagkräftig.
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Zudem nutzen wir die neuen Möglichkeiten, die uns die Digitalisierung bietet. Wir verknüpfen die für die Klärung von Eigentumsverhältnissen und Vermögenswerten relevanten Quellen, etwa indem die Immobiliendaten aus den Grundbüchern in das Transparenzregister aufgenommen werden. Damit beenden wir die Ära der Aktenordner und bringen die Bekämpfung der Finanzkriminalität ins 21. Jahrhundert.
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Wir gehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Gesetzentwurf aber auch über die konkrete Sanktionsdurchsetzung im Zuge dieses Angriffskriegs hinaus. Wir betätigen weitere Hebel zur Bekämpfung der Finanzkriminalität insgesamt.
Zum Beispiel war es mir persönlich während der Verhandlungen über die Bildung einer Ampelkoalition ein Anliegen, dass wir insbesondere im Immobilienbereich Möglichkeiten der Geldwäsche beschränken. Damit ist auf gar keinen Fall eine Pauschalverurteilung verbunden. Unverändert sind wir der Auffassung, dass Bargeld eine gedruckte und geprägte, demnächst auch digital verfügbare Form von Freiheit ist. Allerdings eines ist zu bezweifeln, dass nämlich alle diejenigen, die eine Immobilie mit Bargeld bezahlen, wirklich von freiheitlichen Gedanken geleitet sind.
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Diese Einschränkung, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Freiheit, Bargeld zu nutzen, wird die Freiheitsbilanz unserer Gesellschaft insgesamt nicht negativ beeinflussen, sondern eher dafür Sorge tragen, dass nicht die Ehrlichen diejenigen sind, die von denen, die die Regeln brechen, geschädigt werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verrate kein Staatsgeheimnis, wenn ich feststelle: Die Partnerinnen und Partner der Ampelkoalition haben bisweilen unterschiedliche Vorstellungen in der Steuer- und Finanzpolitik. Aber in einer Sache stimmen wir überein, und da kann es keinen Zweifel geben: Uns eint die Entschlossenheit zur Bekämpfung der Finanzkriminalität. Wir haben einen gemeinsamen Kompass: Geldwäsche und im Übrigen auch Steuerhinterziehung ist nicht nur Betrug am Fiskus, sondern das ist Betrug an der gesamten Gesellschaft. Die Ehrlichen sollen den Findigen gegenüber nicht im Nachteil bleiben.
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Vielen Dank, Herr Minister. – Nächster Redner ist der Kollege Matthias Hauer, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ampelkoalition ist die schlechteste Bundesregierung, die wir je hatten, und das zeigt sich auch bei diesem Gesetz.
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Es ist dringend nötig, die Sanktionen gegen russische Oligarchen endlich auch in Deutschland konsequent umzusetzen. Und was tut die Ampel? Erst lassen Sie sich monatelang Zeit, dann legen Sie jetzt einen völlig unzureichenden Gesetzentwurf vor und wollen Ihr Gesetz nun auch in Windeseile durch dieses parlamentarische Verfahren peitschen. Das hat mit sachgerechter Gesetzgebung überhaupt nichts zu tun.
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Beim Sanktionsdurchsetzungsgesetz I war das parlamentarische Verfahren schon unterirdisch. Die Ampel hat damals versprochen, dass das die „absolute Ausnahme“ bleiben würde. Und beim zweiten wiederholt sich das nun. Die Ampel zeigt damit auch Geringschätzung des in Deutschland reichlich vorhandenen Sachverstandes. Fast 100 Seiten hat der Gesetzentwurf. Er schafft ein neues Gesetz und ändert 21 Gesetze. Raten Sie mal, wie viel Zeit SPD, Grüne und FDP zum Beispiel den Gewerkschaften oder den Berufsverbänden gewährt haben, um diese 100 Seiten Gesetzesänderungen zu bewerten? Weniger als 45 Stunden, also keine zwei Tage! Natürlich gibt es daran einhellige Kritik bei der Zivilgesellschaft. Beispielsweise schreibt der Deutsche Notarverein in seiner Stellungnahme:
Die gesetzte Frist von eineinhalb Tagen, die zumindest in den zurückliegenden 10 bis 20 Jahren beispiellos sein dürfte, lässt eine seriöse Befassung mit dem Entwurf nicht zu. Sie erweckt leider den Eindruck, dass eine solche auch gar nicht gewollt ist …
Durch solche Aktionen macht die Ampel die wichtige Beteiligung der Zivilgesellschaft zu einer Farce.
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Aber auch inhaltlich geht Ihr Gesetz nicht weit genug. Deutschland ist bei der Durchsetzung der EU-Sanktionen schlecht aufgestellt. Man fragt sich ernsthaft, wieso Sie fast ein Dreivierteljahr gebraucht haben, um dann dieses völlig unzureichende Gesetz vorzulegen.
Die Ampelkoalition selbst hat das Zuständigkeitswirrwarr herbeigeführt. Im Mai haben Sie noch beschlossen, dass die Bundesländer für die Sanktionsdurchsetzung zuständig sein sollen.
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Wir haben das damals schon als schwerwiegenden Fehler bezeichnet, und wir haben damals vorgeschlagen, dass der Bund die Zuständigkeit bekommen soll. Es geht um sensible außenpolitische Sachverhalte; das gehört auf die Bundesebene. Wären Sie damals schon unseren Weg mitgegangen, hätten wir seit Monaten eine schlagkräftige Struktur aus einer Hand.
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Sie haben stattdessen darauf vertraut, dass 16 Bundesländer behördliche Parallelstrukturen aufbauen und für diese aktuelle Ausnahmesituation viele neue Stellen schaffen. Natürlich haben die Bundesländer das nicht getan, weil Sie – der Bundesminister hat es gerade gesagt – schon damals den Bundesländern gesagt haben, dass diese Aufgabe demnächst sowieso beim Bund landen wird.
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So ist wichtige Zeit bei der Durchsetzung der Sanktionen verloren gegangen.
Jetzt wollen Sie eine neue Zentralstelle erst mal bei der Generalzolldirektion ansiedeln, aber auch das nur vorübergehend. Die Ampel will also nach dieser Übergangslösung eine Übergangslösung. Wir sagen: Schaffen Sie klare Zuständigkeiten mit einer Zollpolizei, statt immer neue Übergangslösungen!
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Die Ampel will die Sanktionsdurchsetzung in 22 Gesetze packen; wir als Union wollen das in einem Gesetz bündeln. Die Ampel lässt sanktionierte Oligarchen weiter in Luxusvillen wohnen
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und in Luxuskarossen rumfahren; wir wollen das nicht. Wir wollen stattdessen Nutzungsverbote. Wir wollen Möglichkeiten, diese Güter zu verwerten. Wer zu Putins Regime gehört und diesen Krieg gegen die Ukraine aktiv unterstützt, der soll mit seinem Vermögen auch zum Wiederaufbau der Ukraine beitragen müssen.
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Die Ampel will bei Vermögen unklarer Herkunft weiter wegsehen. Wir als Union wollen, dass zukünftig eine vollständige Beweislastumkehr gilt.
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Wenn zum Beispiel beim ehemaligen SPD-Chefhaushälter plötzlich über 200 000 Euro im Bankschließfach auftauchen, dann soll der künftig nachweisen müssen, woher die Gelder stammen. Dazu findet sich im Ampelgesetz übrigens nichts.
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Die Ampel will nun ein Barzahlungsverbot für den Kauf von Immobilien. Es ist gut, dass die Ampel unseren Vorschlag dazu aufgegriffen hat, und wir unterstützen das natürlich. Ebenso unterstützen wir auch die Hinweisgeberstelle und auch die Aufnahme von Immobiliendaten ins Transparenzregister. Wir wollen insgesamt mehr Transparenz im Geschäftsverkehr. Wenn bei einem Unternehmen zum Beispiel überhaupt nicht klar ist, wer am Ende wirtschaftlich Berechtigter ist, dann soll ein solches Unternehmen keine Geschäfte machen dürfen. Und auch wenn Gesellschaften Immobilien kaufen, müssen deren Anteilseigner verlässlich identifizierbar sein. Auch hierzu findet sich im Ampelgesetz nichts.
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Wenn Sie also bei der Sanktionsdurchsetzung wirklich einen großen Schritt nach vorne machen wollen, dann sollten Sie die Punkte aus dem Unionsantrag unterstützen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Hauer. – Nächster Redner ist der Kollege Carlos Kasper, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine hat die EU umfangreiche Sanktionspakete beschlossen. Über Tausend Personen und Hunderte von Organisationen stehen nun auf den Sanktionslisten der EU. Das russische Regime soll eben nicht mehr mit Oligarchengeldern den Krieg in der Ukraine finanzieren. Das ist das Ziel.
({0})
Aber das Thema Sanktionspolitik hat in den vergangenen Wochen und Tagen eben noch an Aktualität gewonnen. Während die Bevölkerung im Iran auf die Straße geht, für Demokratie streitet, kaum Jobs und kaum Perspektiven hat, ist die Zahl der Millionäre im Iran auf 250 000 angestiegen. Da müssen wir genauer hingucken. Und ich glaube, in den nächsten Tagen werden wir auch diesbezüglich mehr sanktionieren.
Was kann denn Sanktionspolitik? Sanktionspolitik kann Demokratiebewegungen unterstützen, Herrschende unter Druck setzen und eben kriegerischen Staaten den Geldhahn zudrehen. Aber damit das passiert, müssen wir Sanktionen eben auch durchsetzen, und das wollen wir mit diesem Gesetz verbessern.
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Es soll für russische Oligarchen, für die Herrschenden im Iran und eben auch für Geldwäscher eben nicht mehr möglich sein, hier in Deutschland so einfach Geld anzulegen. In Deutschland muss es für diese Personengruppen ungemütlich werden. Dafür haben wir schon im Mai mit dem Sanktionsdurchsetzungsgesetz I einen wichtigen Baustein geleistet. Wir haben den Datenaustausch verbessert und eben auch eine nationale Anzeigepflicht für sanktionierte Personen beschlossen.
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Das war so richtig, dass sie auf EU-Ebene übernommen wird. Das ist ein Erfolg.
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Da sind wir in Deutschland nämlich Vorreiter. Und so muss es weitergehen.
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Dass die Maßnahmen schon gewirkt haben, zeigt ja auch das Beispiel Alischer Usmanows, russischer Oligarch und enger Vertrauter Putins, dem es in Deutschland bislang so gut gefiel, dass er sogar hier in Deutschland einen Wohnsitz begründete. Seine Konten wurden beschlagnahmt, seine Jachten, seine Häuser wurden durchsucht. So muss es weitergehen. Es muss ungemütlich werden für die Oligarchen in Deutschland.
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Mit dem Sanktionsdurchsetzungsgesetz I haben wir eben auch ein Versprechen an die Länder gegeben: Wir begründen eine Bundeszuständigkeit; das ist dringend nötig. Wir brauchen eine Behörde, die die Sanktionen gut durchsetzt,
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sie stark durchsetzt und schnell handlungsfähig ist. Das machen wir auch mit diesem Gesetz.
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Die Länder müssen auch ihren Verantwortungen nachkommen.
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Wir brauchen ein Immobiliengrundbuch, das wir auch zentral einsehen können, das digital ist; und das soll eben noch 9 bis 15 Jahre dauern. Das kann ich niemandem erklären. Da müssen die Justizminister/-innen der Länder endlich handeln und ihrer Verantwortung gerecht werden.
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Bis es so weit ist, müssen wir uns eben selbst helfen. Wir verpflichten mit diesem Gesetz die Notare, die Immobiliendaten an das Transparenzregister zu melden, damit wir endlich einen Zugriff bekommen und wissen, wem hier in Deutschland welche Immobilien gehören.
Außerdem – das kann man nicht zu gering schätzen, und das war mit der Union in der vergangenen Legislatur eben nicht zu machen; deswegen, Herr Hauer, finde ich Ihre Rede ziemlich populistisch –
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führen wir ein Bargeldverbot für Immobilientransaktionen ein. Das ist superwichtig. Wir sind da in Europa Schlusslicht. Das war eben keine Politik der Union, das war die Politik der Ampelkoalition, die das ermöglicht.
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Wir setzen eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag um.
Außerdem werden wir es Unternehmen mit Sitz im Ausland erschweren, fiktive wirtschaftlich Berechtigte zu benennen. Es soll eine Hinweisgeberstelle eingeführt werden, und Unternehmen mit Sitz im Ausland müssen jetzt für Bestandsimmobilien auch die Eigentümerschaft vorlegen.
Wir setzen noch viele weitere Bausteine in dieser Legislatur um; da bin ich mir sicher. Ich freue mich auch auf die Verhandlungen darüber. Ja, wir brauchen auch eine Möglichkeit, Vermögen unklarer Herkunft einzuziehen. Da wird es eng für Unionsabgeordnete oder Ex-Unionsabgeordnete. Das trifft nämlich dann Unionsabgeordnete, die sich gerne mal mit Maskendeals die Taschen vollschlagen. Das kann ich Ihnen sagen.
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Mit diesem Sanktionsdurchsetzungsgesetz II leisten wir einen effektiven Beitrag, dass es hier für russische Oligarchen und Konsorten und beim Begehen von Geldwäsche ungemütlich wird. Wir befinden uns auf dem richtigen Weg.
Vielen Dank. Ich freue mich auf die Beratungen.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Jörn König, AfD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Kollegen! Und vor allem: Liebe Bürger! Die Ampelfraktionen haben einen Gesetzentwurf für die bessere Durchsetzung von Sanktionen vorgelegt. Einzelpersonen sollen sanktioniert werden, um Druck auf Putin auszuüben, damit er seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in der Ukraine beendet. Diese Absicht des Gesetzentwurfes ist klar und natürlich zu begrüßen.
Wir gehen aber davon aus, dass in Zukunft jeder Kriegstreiber jeder Nationalität sanktioniert wird. Da wären als Erstes die Russen, die den einen oder anderen SPD-Genossen mit gut dotierten Posten versorgt haben. Dann gibt es da noch saudi-arabische Verantwortliche für den Krieg im Jemen mit immerhin 400 000 Toten. Nächstes Beispiel: Aserbaidschan, einer der Geldgeber einzelner Unionsabgeordneter. Die haben gerade Krieg in Armenien geführt.
Ich erinnere auch daran, dass der Irakkrieg nach herrschender Meinung als völkerrechtswidrig bewertet wird. Mindestens 100 000 Menschen starben. Warum hat damals nicht der werte Westen Colin Powell sanktioniert oder den britischen Premier Tony Blair? Oder, oder, oder. Doppelmoral, wohin man nur schaut. Merken Sie was? Sie müssten die halbe Welt sanktionieren.
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Falls Sie aber vorhaben, die Sanktionen auf Russen zu beschränken, kommt sofort zu Recht die Rassismuskeule.
Zum Gesetz selber. Es steht ein relativ großer Erfüllungsaufwand von 100 Millionen Euro einmalig und 85 Millionen Euro jährlich im Raum. Ich gehe mit Ihnen jede Wette ein, dass die Einnahmen aus diesem Gesetz kleiner sein werden als die Erfüllungsaufwände, die Deutschland hat. Was macht mich da eigentlich so zuversichtlich? Im besten Deutschland aller Zeiten, im Land des Vorzeigeprojektes „Flughafen BER“, wollen Sie zwei neue Behörden schaffen: eine Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung auf Bundesebene und ein Verwaltungsverfahren zur Ermittlung von Vermögen sanktionierter Personen mit dem entsprechenden Register. Bis diese beiden Behörden endlich arbeitsfähig sind, sind die Vermögen schon längst über alle Berge. Wie sagte schon Karl Marx? „Das Kapital ist ein scheues Reh.“ Das Kapital wird dann also irgendwo in Asien und Afrika investiert, nur nicht bei uns in Deutschland.
({1})
Es wird so kommen wie bei den Gaslieferungen: Die Sanktionen schaden Deutschland mehr als Russland.
Für uns von der Alternative für Deutschland erhebt sich grundsätzlich die Frage, ob wir Personen, die keinerlei Straftaten begangen haben, die auch nicht mit internationalem Haftbefehl gesucht werden, überhaupt sanktionieren sollten. Eigentumsrechte zu schützen, ist einer der wichtigsten Vorteile des Westens. Diese Rechte gelten für uns universell. Dieser Eigentumsschutz hat bei uns auch durch Artikel 14 Grundgesetz Verfassungsrang. Man konnte bisher darauf vertrauen, dass man als Individuum beurteilt wurde, egal woher man kam und wie man aussah. Denn einer der wichtigsten Grundsätze westlicher Rechtsstaaten ist es, dass es so etwas wie ein kollektives Verbrechen oder auch eine kollektive Bestrafung nicht gibt.
({2})
Meine Damen und Herren, mit diesen Sanktionen wird sich immer ein Grund finden, Vermögen zu beschlagnahmen.
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Damit ist das Vertrauen in den Westen ein für alle Mal weltweit dahin. Die Anhängerschaft des Westens wird sich bei dieser Heuchelei und bei dieser Doppelmoral deutlich verkleinern. Das ist eine dramatische Entwicklung, schon allein deshalb, weil jetzt jeder chinesische Tycoon, jeder indische Stahlmilliardär, jeder Vermögende weltweit sich einfach fragen wird, ob er vielleicht als Nächstes sanktioniert wird, wenn seine Regierung spinnt. Diese Sanktionen werden langfristig ein Bumerang.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Das Wort hat jetzt die Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Franziska Brantner für die Bundesregierung.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem zweiten Sanktionsdurchsetzungsgesetz schaffen wir jetzt dauerhafte Strukturen für eine schlagkräftige Sanktionsdurchsetzung. Die Neuerungen wurden genannt: die Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung, Verwaltungsverfahren zur Ermittlung von Vermögenswerten gelisteter Personen und das Register dazu.
Herr Hauer, Sie haben hier gesagt: Das ist ja so spät, im November. – Wissen Sie, Sie hatten 16 Jahre Zeit dazu.
({0})
Herr Hauer, wissen Sie, wann die ersten Ukrainesanktionen verabschiedet wurden? Das war 2014, nach der Annexion der Krim.
({1})
Ich darf Sie daran erinnern: Der Finanzminister war zu dieser Zeit ein Finanzminister der CDU und hat damals nichts unternommen, um die Sanktionsdurchsetzung in Deutschland zu verstärken und durchzusetzen.
({2})
Das ist die Realität, und es ist gut, dass wir es jetzt endlich tun.
({3})
– Der Finanzminister war der CDUler.
({4})
Ich finde, es ist ganz schön unverschämt, Steine zu schmeißen, wenn man selber ganz schön fett im Glashaus sitzt.
({5})
Wir bekämpfen die Geldwäsche mit aller Entschlossenheit. Wir führen endlich ein Barzahlungsverbot bei Immobilientransaktionen ein.
({6})
Es ist Zeit, dass Oligarchen, egal wo sie herkommen, ihre Villen nicht mehr bei uns aus dem Geldkoffer bezahlen können. Das ist endlich vorbei.
({7})
Mafia, Steuerbetrüger, Oligarchen, Sie alle haben in der Vergangenheit profitiert von den Defiziten bei der Bekämpfung von Geldwäsche und Finanzkriminalität in Deutschland. Das hat jüngst wieder der OECD-Bericht der Financial Action Task Force ganz klar für Deutschland offengelegt. Hier werden wir auch nicht lockerlassen. Wir werden deswegen noch weitere Reformen angehen, um diese internationalen Empfehlungen endlich umzusetzen. Und ja, wenn die Eigentümer von Vermögensgegenständen bewusst verschleiert werden, wenn sie nicht erkennbar gemacht werden, dann muss in letzter Konsequenz ein Entzug des Eigentums möglich sein.
({8})
Herr Hauer, da zählen wir natürlich auf Ihre Unterstützung und Zustimmung, wenn es jetzt zeitnah kommt.
({9})
Meine Damen und Herren, mit dem vorgelegten Gesetz verbessern wir die Sanktionsdurchsetzung in Deutschland grundlegend.
({10})
Es ist ein guter Tag, weil wir damit einen Beitrag dazu leisten, nicht nur den Rechtsstaat bei uns in Deutschland zu verbessern, sondern Freiheit und Demokratie in Europa an der Seite der Ukraine wirklich nachhaltig unterstützen zu können. In dem Sinne bitte ich Sie um Ihre Unterstützung für das Gesetz.
Danke.
({11})
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Das Wort hat jetzt der Kollege Pascal Meiser, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Noch immer ist Deutschland ein sicherer Hafen für schmutziges Geld aus aller Welt. Die schleppende Umsetzung der Sanktionen gegen russische Oligarchen hat noch einmal besonders deutlich gemacht: Deutschland hat nicht nur ein massives Transparenzdefizit, wenn es darum geht, wem welche Unternehmen, Immobilien und andere große Vermögen tatsächlich gehören. Deutschland hat auch ein erhebliches Vollzugsdefizit bei der Bekämpfung von Geldwäsche, genauso wie beim Einfrieren von Vermögen sanktionierter Oligarchen. Mit diesen unsäglichen Zuständen muss jetzt endlich Schluss gemacht werden.
({0})
Als Fraktion Die Linke haben wir dazu bereits vor gut drei Jahren einen umfassenden Masterplan vorgelegt. Es ist wirklich ärgerlich, dass die damalige Große Koalition aus Union und SPD darauf nicht adäquat reagiert hat.
Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf verspricht die Bundesregierung nun den großen Wurf, um anzugehen, was Wolfgang Schäuble und Olaf Scholz als Finanzminister nacheinander über 16 Jahre ausgesessen oder blockiert haben. Aber ist das wirklich der große Wurf?
Auch in Deutschland soll nun – als letztem Land in der Europäischen Union – verboten werden, dass man Immobilien mit einem Koffer voll schmutzigem Bargeld kaufen kann. Gut so, richtig so! Sie greifen auch endlich unsere Forderung auf, das Transparenzregister mit den über 500 Grundbüchern im ganzen Land zu verknüpfen. Auch das begrüßen wir natürlich, und es ist längst überfällig. Denn Schätzungen zufolge werden allein 15 bis 30 Prozent aller inkriminierten Vermögenswerte in Immobilien gesteckt. Und ja, Sie kommen endlich dem Wunsch der Bundesländer nach, die Zuständigkeit bei der Durchsetzung von Sanktionen zu bündeln und auf den Bund zu übertragen.
Aber, meine Damen und Herren, die Zweifel bleiben, ob diese Maßnahmen alleine ausreichen – und das offensichtlich nicht nur bei uns, sondern auch in den Reihen der Bundesregierung. Staatssekretär Giegold aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat mit Blick auf den Gesetzentwurf in seinem Newsletter geschrieben – nachzulesen auf seiner Webseite; ich zitiere –:
Im Kampf gegen Geldwäsche und organisierte Kriminalität ist also noch viel Luft nach oben.
Recht hat er. Deshalb: Bessern Sie hier im weiteren Gesetzgebungsverfahren nach!
Erstens. Weiterhin drücken Sie sich davor, auch die private Nutzung von sanktioniertem und eingefrorenem Vermögen zu untersagen. Es ist und bleibt aber niemandem zu vermitteln, dass einem Oligarchen in Deutschland zwar untersagt ist, seine Viertvilla in Berlin-Zehlendorf oder am Starnberger See zu vermieten, er sie aber weiterhin uneingeschränkt legal privat nutzen darf.
({1})
Zweitens. Sorgen Sie dafür, dass aus den Transparenzregistern für alle Unternehmen hervorgeht, wer tatsächlich die wirtschaftlich Berechtigten sind. Wir brauchen dringend eine systematische und risikoorientierte Überwachung der Transparenzregistereinträge nach dem Vorbild Österreichs.
Drittens. Untersagen Sie nicht nur die Barzahlung bei Immobiliengeschäften, sondern führen Sie auch eine Bargeldobergrenze für große Vermögensgeschäfte im gesamten Nichtfinanzsektor ein, wo die Risiken für Geldwäsche nicht minder groß sind.
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Und viertens. Schaffen Sie eine Rechtsgrundlage dafür, im Zweifel verdächtiges Vermögen, dessen Herkunft ungeklärt ist, beschlagnahmen zu können, so wie dies zum Beispiel Großbritannien mit der Unexplained Wealth Order vormacht.
Meine Damen Herren, ich komme zum Schluss. Tatsächlich kommen wir nur, wenn wir all diese Maßnahmen ergreifen, zu einer effektiven Bekämpfung von Geldwäsche. Nur so treffen wir am Ende auch diejenigen, die wie die russischen Oligarchen oder das iranische Mullah-Regime Teile ihres Vermögens im sicheren Hafen Deutschland geparkt haben, dort, wo es ihnen ernsthaft wehtut. Und das bleibt weiter dringend geboten.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Sebastian Fiedler für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich versuche mal, ein bisschen in der Historie zu rütteln und das ganze Thema einzuordnen. Das hat den Vorteil, dass sich vielleicht auch die Union an das eine oder andere aus der Vergangenheit erinnern kann.
Ich bearbeite dieses Thema beim Bund Deutscher Kriminalbeamter in verschiedenen Funktionen seit fast 13 Jahren und habe noch eine präzise Erinnerung daran, welche Rolle Wolfgang Schäuble bei der Geldwäschebekämpfung eingenommen hat.
({0})
Deswegen ist es wirklich bemerkenswert, was Sie da aufgeschrieben haben. Ich komme darauf noch zu sprechen.
({1})
Ich habe noch wahnsinnig gute Erinnerungen daran, wie der Trilog in Brüssel gelaufen ist, als es darum ging, ein Transparenzregister einzuführen. Und ich weiß noch, welches Ministerium in Brüssel mit aller Kraft auf der Bremse gestanden hat bei der Einführung eines Transparenzregisters.
({2})
Das ist alles ganz bemerkenswert, was Sie dazu aufgeschrieben haben.
Aber ich will zunächst das Thema Sanktionen in das rechte Licht rücken. Denn die Verordnung zur Ukraine – Sie haben die richtige Verordnung herausgesucht – ist tatsächlich schon aus dem Jahr 2014; es ist die EU-Verordnung Nummer 269/2014. Wer das noch mal nachschauen möchte, der gibt zwei Suchbegriffe ein – „Bundesbank“ und „Sanktionen“ – und findet, ich glaube, inzwischen 30 Sanktionsregime.
Wir in der SPD-Fraktion haben als einzige Fraktion eine Arbeitsgruppe „Kriminalpolitik“ eingerichtet, die sich übergreifend mit solchen Fragen beschäftigt.
({3})
Sie hat im März schon festgestellt, dass wir überhaupt keine gescheiten Rechtsgrundlagen haben. Ich habe von keiner politischen Partei in der Vergangenheit Initiativen dazu finden können.
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Ich habe keine kritischen Journalisten gefunden, die in der Vergangenheit darüber berichtet hatten. Ich habe in der Wissenschaft kaum jemanden gefunden,
({5})
der sich mit den Sanktionen beschäftigt hat. – Das ist die Wahrheit. In dieses Licht gehören alle Vorhaben gerückt, die wir heute besprechen.
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Wir haben uns natürlich auch angeguckt, wie das woanders ist. In den USA gibt es das OFAC, das Office of Foreign Assets Control. Es gibt in Italien die Guardia di Finanza, die immer mal wieder diskutiert wird. Ich komme gleich noch auf einige Aspekte zu sprechen, wenn die Zeit reicht.
Ein zweiter Kontext bietet eine gute Brücke zu den Hinweisen, die der Bundesfinanzminister vorhin richtigerweise gemacht hat. Etwa 100 Milliarden Euro werden hier jedes Jahr kriminell erwirtschaftet, und der Staat sieht weniger als 1 Prozent davon. Jetzt wollen wir alle nicht in der Haut des Bundesfinanzministers stecken, wenn er historisch größte Staatsausgaben zu organisieren hat – jeder einzelne Euro ist wahnsinnig wichtig –; aber dass wir 99 Prozent von den 100 Milliarden Euro liegen lassen, ist die größte Ungerechtigkeitslücke überhaupt.
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Deswegen sollten wir alle die Reformbereitschaft, die der Bundesfinanzminister hier mutig an den Tag legt, so würdigen, wie es sich gehört. Denn solche Reformen, die wir hier gerade auf dem Tisch liegen haben, haben wir seit Jahrzehnten nicht gesehen in der Geldwäschebekämpfung, und schon gar nicht von der Union, Herr Hauer.
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Da das alles nötig ist und damit wir das richtig machen, gilt, würde ich sagen, die große Überschrift: Gründlichkeit vor Schnelligkeit.
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Sie sehen – das ist ja schon dokumentiert –, dass das die ersten Schritte sind, an verdächtiges Vermögen heranzugehen. Seit März arbeiten wir in der Fraktion schon daran. Das Bundesfinanzministerium, das Justizministerium und die ganze Bundesregierung arbeiten an einem rechtsstaatlich sicheren Konzept.
Ich komme auf den Anfang der Rede noch mal zurück. Ich kann wirklich nicht anders, als meine Verwunderung zum Ausdruck zu bringen; denn Ihr gemeinsamer Applaus mit den Linken hat wirklich alles gezeigt. Als ich gestern hier am Pult stand, habe ich gedacht: Sie nutzen im Innenbereich auch schon mal die gleichen Überschriften für Anträge wie die AfD und versuchen, die Regierung mit Ihren Themen rechts zu überholen – Stichwort „schärfere Strafen“.
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Mit diesem Antrag versuchen Sie aber, ganz links auf der Spur zu überholen. Denn Sie haben lustigerweise zwar „Zollpolizei“ in die Überschrift geschrieben; aber das sind Programme, die von linken Parteitagen kommen.
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– Zu Ihrem Antrag sage ich sehr viel. Sie müssen nur zuhören, dann hätten Sie die Inhalte erkannt; das hätte Ihnen geholfen.
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Der entscheidende Punkt ist, dass man daran arbeitet; das machen wir jetzt. Nach dem, was ich Ihnen gerade gesagt habe, müssen wir Jahrzehnte nachholen. Ich habe Herrn Schäuble als ein prominentes Beispiel für das Bremsen genannt. Ein Satz ist in dem Zusammenhang wichtig – Herr Lindner konnte nicht wissen, dass ich mir den schon aufgeschrieben habe; Sie haben nämlich schon 2017 mit diesem Satz aufgewartet –: Der Staat muss die Sicherheit besser organisieren als die Verbrecher. – Es ist ein kluger Satz.
Wir müssen bei den neuen Strukturen bedenken und daran arbeiten, dass wir Ermittlungsorganisationen mit neuen Instrumenten brauchen, um dieses eine Prozent signifikant zu steigern und um mehr schmutziges Geld in die Finger zu kriegen; das gehört übrigens den Opfern und dem Staat, je nachdem, welcher Sachverhalt das ist. Dann, glaube ich, kriegen wir tatsächlich Reformen hin, die diese Republik so noch nicht gesehen hat. Und – das kann man sagen – an alle Mafiosi, Schwerverbrecher und Steuerhinterzieher: Ziehen Sie sich warm an!
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Carsten Müller das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will den Beitrag meines Vorredners zum Anlass nehmen, zu sagen: Ich finde es, ehrlich gesagt, eine ziemliche Vermessenheit – das zeigt aber auch, wie weit Sie von der Realität entrückt sind –
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– Herr Fechner, Sie kriegen es ja auch ab und mal ab –, wenn Sie versuchen, die Union und die sogenannte AfD in einen Topf zu werfen.
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Wenn das Ihr intellektueller Anspruch ist, dann kann ich nur sagen: Früher hätte man dafür einen Offenbarungseid leisten müssen.
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Sie müssen sich Ihre Rede noch mal durchlesen; es ist nicht das erste Mal. Möglicherweise ist das ein bisschen Liebedienerei gegenüber Ihrem Parteivorsitzenden. Aber das muss an dieser Stelle angesprochen werden.
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Meine Damen und Herren, die Grundzüge des Vorschlags der Regierung und der Koalitionsfraktionen sind nicht verkehrt. Wir haben wesentliche Teile dieser Grundzüge bereits auf der Grundlage eines Antrags in diesem Haus im Mai dieses Jahres besprochen. Wenn wir uns allerdings anschauen – ich will mich keinesfalls in das Fahrwasser der Rückblickskoalition begeben, sondern einfach mal eine Bestandsaufnahme machen –, was bisher geleistet worden ist, dann müssen wir objektiv feststellen: Das ist zu wenig gewesen in Deutschland.
Sie haben möglicherweise gehört, dass das kleine Luxemburg – mit Stand gestern – 5,5 Milliarden Euro russisches Oligarchengeld eingefroren hat. Gestern, um 10.58 Uhr, ging die Meldung über den Ticker, dass Großbritannien, jetzt außerhalb der EU, rund 20 Milliarden Euro im Gegenwert eingefroren hat. Die Erfolge in Deutschland nehmen sich aus unserer Sicht deutlich zu gering aus. Dabei geht es um nichts weniger, als den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine mit allen Mitteln, die wir haben, rechtsstaatlich und entschlossen zu beantworten und diesen unsäglichen Zivilisationsbruch nicht unsanktioniert zu lassen.
Dazu noch eine Ausführung zu dem Beitrag, der von der sogenannten AfD kam. Da wurde bemängelt, dass das Sanktionsdurchsetzungsgesetz zu wenige Einnahmen in die Kassen spüle. Da kann ich Ihnen nur sagen: Wenn Sie Einnahmeerwartungen an ein Sanktionsdurchsetzungsgesetz haben, dann haben Sie offensichtlich den Gesamtkomplex überhaupt noch nicht umrissen und verstanden.
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Ich empfehle Ihnen, da noch mal ein bisschen nachzuarbeiten. Wir sind gespannt auf die Ausführungen in den weiteren Beratungen.
Meine Damen und Herren, der SPD-Kollege, der zuvor geredet hat, hat die Tatkraft der Bundesregierung gelobt. Wir schauen mal auf die strafbewehrte Anzeigepflicht, auf die Sie abgehoben haben. Da müssen nämlich von den Sanktionen betroffene natürliche und juristische Personen Gelder und wirtschaftliche Ressourcen angeben und sich anzeigen. Sie haben diese Regelung geschaffen. Aber in den ersten Monaten ging nicht eine einzige Anzeige ein. Das führt doch vollkommen ins Leere, und das müssen Sie doch erkennen! Wenn Sie eine Maßnahme anordnen und null Ergebnis haben, dann ist die Maßnahme nicht richtig. Das zieht sich leider durch Ihre bisherige Handhabung.
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Wir haben gesehen, dass Sie die Kommunen bei der Sanktionsdurchsetzung in die erste Reihe schieben wollen. Mittlerweile merken Sie auch, dass das nicht funktioniert hat. Wir brauchen eine einheitliche, stark ausgestattete Zollpolizei, dann können wir die Sanktionen durchsetzen, und zwar schlagkräftig und verknüpft. Zur Frage, wie wir den Datenabgleich machen, auch grenzüberschreitend, haben Sie keine probaten Vorschläge. Nichts, Fehlanzeige! In dem Moment, in dem Oligarchen international agieren, gehen die bei Ihnen gar nicht ins Netz, und das kann so nicht bleiben.
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Meine Damen und Herren, ich habe etwas zur Zollpolizei gesagt, die wir fordern, und ich hatte schon gesagt, dass wir bereits im Mai das Barzahlungsverbot bei Immobilienkäufen gefordert haben. Das findet sich jetzt. Die Einbindung in internationale Informationssysteme ist ein wichtiges Thema. Wir müssen insofern einen weiteren wichtigen Punkt, den mein Kollege Matthias Hauer richtigerweise angesprochen hat, entschlossen angehen, nämlich bei Vermögen aus ungeklärter Herkunft eine vollumfängliche Beweislastumkehr einzuführen. Das ist das schärfste Schwert, das wir haben.
Wir haben hier schon so einiges erlebt – das wird die Zuhörerinnen und Zuhörer wahrscheinlich ein bisschen befremden – nach dem Motto „Haust du meine Tante, hau ich deine Tante“. Sie haben das unerfreuliche Thema der Maskendeals angesprochen. Wir haben die 212 000 Euro angesprochen, die in bar bei Ihrem vormaligen haushaltspolitischen Sprecher, einem engen Fahrensmann des Bundeskanzlers, gefunden wurden. Johannes Kahrs hat das sozusagen mal auf die Seite gebracht, vielleicht als so eine Art privates Schonvermögen – um hier einen Begriff beim Bürgergeld zu verwenden –, also er schont sich in erster Linie selber.
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Meine Damen und Herren, wir müssen diese Beweislastumkehr kurzfristig umsetzen. Wir als Union wollen das – ich empfehle Ihnen sehr, auf die Vorschläge der Union zu achten –, und wenn wir uns auf diese Themen konzentrieren, kriegen wir womöglich eine vernünftige Regelung hin. Es darf eines nicht sein – das fiel mir noch beim Blick auf die Stimmungslage in den Koalitionsfraktionen ein –: Bei Ihnen ist die Stimmung stets besser als die Leistung. Das sehen Sie zwar anders, aber die Bevölkerung sieht es genauso.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Helge Limburg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Müller, Sie haben davon gesprochen, dass Sie eine Bestandsaufnahme über das bisher von der Koalition Erreichte machen wollten, und dann erfolgte ein Rückblick, was angeblich alles unzureichend gewesen ist. Sagen wir mal so, Herr Müller: Wir sind uns doch sicherlich einig, dass diese Koalition in einem Dreivierteljahr im Bereich der Geldwäschebekämpfung, der Transparenz, der Sanktionsdurchsetzung viel, viel mehr geschafft hat als die unionsgeführten Bundesregierungen in 16 Jahren.
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Aber für Sie, Herr Hauer, und auch für mich gilt das Zitat von Konrad Adenauer: „Nichts hindert uns daran, klüger zu werden.“ Selbstverständlich! Ich begrüße, dass Sie das letzte Dreivierteljahr entsprechend genutzt haben, und ich sage Ihnen: Wir alle sollten miteinander immer schauen, wo wir noch effektiver werden können.
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Nur, ein Punkt kann so nicht stehen bleiben. Herr Kollege Müller, wenn Sie behaupten, wir würden im Bereich des Informationsaustausches mit ausländischen Stellen überhaupt nichts machen, dann empfehle ich Ihnen tatsächlich einen Blick ins Gesetz: § 8 des Sanktionsdurchsetzungsgesetzes regelt ganz klar den Informationsaustausch mit ausländischen Stellen, und zwar auch hier unter klaren, transparenten, rechtsstaatlichen, datenschutzkonformen Voraussetzungen, aber eben auch effektiv, schnell und zügig. Ich weiß nicht, wo da noch Raum für Ihre Kritik ist.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir gehen mit diesem Gesetz, diesem Gesetzespaket, einen großen Schritt vorwärts bei der Durchsetzung von Sanktionen. Es gibt konkrete Ermittlungsbefugnisse, keine strafrechtlichen, aber doch strafprozessrechtähnliche Ermittlungsbefugnisse zur Ermittlung von sanktioniertem Vermögen hier in Deutschland. Wir schaffen in der Tat eine zentrale Stelle. Aber klar ist, dass diese zentrale Stelle die Arbeit nicht alleine leistet, sondern dass es uns gelingen muss, eine effektive Zusammenarbeit der Behörden in Kommunen, Ländern, Bund mit europäischen Behörden und Behörden ausländischer Staaten sicherzustellen und zu gewährleisten. Ich habe Zweifel, dass die einfache Forderung nach einer ganz großen Bundesbehörde, die dann alles alleine machen soll, sich in der Praxis tatsächlich bewähren würde, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union.
Meine Damen und Herren, wir verbieten – das ist angesprochen worden – endlich den Erwerb von Immobilien mit Bargeld oder Kryptowährungen. Herr Finanzminister, Sie haben ja davon gesprochen, dass die Personen, die Immobilien mit Bargeld bezahlen, nicht Freiheit im Sinn haben. Vielleicht haben die schon irgendeine Form von Freiheit im Sinn, aber ich glaube, sie haben nicht die Freiheit im Sinn, die wir meinen. Wir wollen natürlich die Freiheit, auch mit Bargeld zu bezahlen, sicherstellen, aber in einem rechtsstaatlichen Rahmen. Und deswegen ist es richtig, dass wir an dieser Stelle den Gebrauch von Bargeld einschränken, ohne ihn grundsätzlich anzutasten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Meine Damen und Herren, im Entschließungsantrag der Union sind einige interessante Forderungen enthalten, die so oder so ähnlich in anderen Staaten der Europäischen Union realisiert sind, wenn man an Beweislastumkehr und andere Dinge denkt. Wir sollten uns in den Ausschussberatungen tatsächlich Zeit nehmen, zu überprüfen, an welchen Stellen wir den Gesetzentwurf noch besser machen können. Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, so einfach, wie Sie das hier darstellen – Beweislastumkehr; Vermögen, das sanktioniert ist, komplett einziehen oder anderweitig weiterverwerten –, ist es eben nicht, und das wissen Sie in Wahrheit auch.
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Wir befinden uns hier eben nicht im Bereich nach einer strafrechtlichen Verurteilung, sondern im Bereich von Sanktionierungen. Wir wollen mit rechtsstaatlichen Mitteln die Oligarchen bekämpfen und dabei so weit gehen, wie wir können, aber eben auch nicht weiter, als es der Rechtsstaat zulässt.
Vielen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Hochverehrtes Präsidium! Sehr verehrte Damen! Sehr geehrte Herren! Wir reden hier und jetzt über den Zustand und die Zukunft der Medienordnung und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland. Unsere Medienordnung entstammt der analogen Steinzeit. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk entstammt dem medialen Mittelalter. Doch die digitale Revolution der Neuzeit zwingt alle Medien ins Internet, und das schafft einen Haufen Probleme: juristische, politische, kulturelle und auch gesellschaftliche.
Der Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung hat das schon im Jahr 2018 sehr deutlich aufgezeigt. Dort steht: Erstens. Das Internet ist global angelegt, doch der demokratische Diskurs findet nach wie vor auf nationaler Ebene statt. Zweitens. Die Medien, auch als vierte Gewalt bezeichnet, haben einen unverzichtbaren demokratischen Auftrag zu erfüllen. Das stimmt alles. Ich sage: Die Medien sollen die Kontrolleure der politischen Macht sein und nicht die Herolde der politisch Mächtigen.
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Nur der Transport aller Informationen durch die Medien ermöglicht die öffentliche, freie Meinungsbildung, und das ist die Voraussetzung zur demokratischen Teilhabe des Bürgers. Nur ist der Transport in der Medienpolitik dann auch gleichzeitig Gesellschaftspolitik. Der Deutsche Bundestag, die Legislative, hat sich deshalb zu solchen fundamentalen Fragestellungen in unserer Demokratie eine zeitgemäße Meinung zu bilden und hat Regelungen zu beschließen.
Wenn wir über die Medien sprechen, dann natürlich auch über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dessen Anstalten sind die mit Zwangsgebühren vollbetankten Schlachtschiffe unserer Medien, bemannt mit haltungsstarken Journalistenmatrosen. Das weiß sogar Tom Buhrow, wenn er zwar nicht als Intendant des WDR, sondern als Privatmann auftritt und eine Rede zum Zustand unseres Rundfunks hält. An dieser Stelle ein ganz ausdrücklicher Dank für seine wichtige und zukunftsweisende Rede
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jüngst in Hamburg. Er fordert eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, und zwar jetzt und nicht erst in zehn Jahren.
Die übergroße Mehrheit der Bürger möchte den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in dieser Ausgestaltung nicht mehr,
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schon gar nicht mit Zwangsgebühren ausgestattet und finanziert. Wir wissen, woher dieser Unmut der Bürger kommt. Werden heutzutage alle verfügbaren Informationen transportiert? Nein. Werden heute alle politisch und gesellschaftlich relevanten Gruppen abgebildet, objektiv und neutral? Nein. Erleben wir in den Medien tatsächlich diese hochgepriesene Meinungsvielfalt? Nein. Wird die Gesellschaft durch die Medien in gute Menschen und böse Menschen gespalten? Ja.
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Auf der rauen See der wahren Meinungsvielfalt, der echten Ausgewogenheit, der kontroversen Debatten und der wirklichen Objektivität in der Informationsvermittlung haben gerade die öffentlich-rechtlichen Schlachtschiffe massive Risse im Rumpf und bereits besorgniserregende Schlagseite. Die Haltungsjournalisten auf diesen Schlachtschiffen haben mitnichten die Aufgabe, die Meinung der politisch Herrschenden zur herrschenden Meinung in der Gesellschaft zu machen, sondern vielmehr haben sie die Aufgabe, zu prüfen und gegebenenfalls infrage zu stellen.
Ja, die digitale Transformation bedeutet jetzt die große Fahrt auf die Weltmeere im Internet. Die letzten kleinen Schiffchen der einst wirkmächtigen, vielfältigen und meinungsbildenden Printmedien treffen jetzt im Netz auf die global agierenden Oligopole, auf die Betreiber von Big-Data-, Big-Money- und Big-Business-Plattformen. Noch dazu werden die darbenden Printmedien durch die Öffentlich-Rechtlichen gleichzeitig immer weiter abgedrängt und vielleicht letztlich versenkt.
Im jüngsten Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung 2021 sinniert man bereits über die Umsetzung und Machbarkeit von kooperativen Medienplattformen im Netz. Es dürfen also manche Printmedien als Begleitboote mitschippern an der Seite der öffentlich-rechtlichen Schlachtschiffe, die über einen mit 8,4 Milliarden Euro prall gefüllten Zwangsgebührentank verfügen. Doch nach welchen Kriterien soll die Auswahl dieser Begleitboote dann getroffen werden? Spielt das Parteieigentum an den Medienverlagen hier eine Rolle, oder eher doch ideologische Kameraderie?
Demnächst also: öffentlich-rechtliches Internet, also eine noch stärkere Verbrüderung von Politik und Medien zur wirksamen Bevormundung und Erziehung der Bürger. Das, meine Damen und Herren, wäre das Ende –
Herr Abgeordneter, achten Sie bitte auf die Zeit.
– der notwendigen Meinungsvielfalt, ein Waterloo für die Demokratie.
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Deshalb fordern wir eine solche Enquete-Kommission, die all diese juristischen, –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– kulturellen Dinge aufarbeitet und dem Parlament zur Verfügung stellt, um ordentliche Entscheidungen zu treffen.
Danke schön.
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Nach unseren Regeln bin ich durchaus befugt, Ihnen nach der dritten Aufforderung sofort das Wort zu entziehen. Ich will das an dieser Stelle nur anmerken.
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– Auch das steht Ihnen nicht zu: die amtierende Präsidentin hier zu rügen. Wenn es etwas zu rügen gibt, ist der Ort der Ältestenrat. Eine weitere solche Auffälligkeit, und dann gibt es einen Ordnungsruf.
Der nächste Redner ist der Abgeordnete Helge Lindh für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn es Ihnen als AfD ernsthaft um die gegenwärtigen Skandale beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ginge, also um Fragen von Korruption, Untreue, Vorteilsnahme, Nepotismus, dann würden Sie das ja mit irgendeinem Wort in Ihrer Rede oder in dem Antrag erwähnt haben. Sie tun das aber nicht;
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und das ist äußerst verräterisch. Sie kommen sofort zur Grundsatzdebatte, zur allgemeinen Ausführung über die Situation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, über die angebliche Linkslastigkeit und all das.
Diese Form der extrem durchschaubaren Instrumentalisierung bei Ihrem Abgesang auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist verwerflich, unredlich,
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übrigens unabhängig davon, wer sie betreibt. Kein Mensch kann mir erklären, inwiefern diese heftigen Skandale von Korruption, vom Missbrauch öffentlicher Gelder, vom Missbrauch von Beiträgen dadurch aufgearbeitet würden, dass wir jetzt Debatten über die Zahl von Rundfunkorchestern, über die Programmgestaltung oder Ähnliches führen. Das sind zwei getrennte Debatten. Es ist einfach unsauber, unredlich und reiner Missbrauch, das so miteinander zu verbinden.
Kommen wir zu Ihren inhaltlichen Ausführungen, in deren Mittelpunkt ja ein rein gesinnungspolitischer Ansatz steht, den Sie hier vorgestellt haben.
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Erster Punkt. Sie beklagen, dass im öffentlich-rechtlichen Rundfunk bestimmte Opfergruppen immer zu stark erscheinen, betonen Märtyrerhaltungen und Viktimisierung. Sie aber sind die Großmeister der Viktimisierung und gerieren sich hier eben wieder als die Märtyrer, die gegen das Establishment ankämpfen. Sie leben aber von diesem Establishment; ohne dieses Establishment säße keiner von Ihnen hier.
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Sie sollten also dankbar sein und nicht die treten, denen Sie Ihre Existenz verdanken.
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Unsere Meinungsfreiheit ist so groß, dass wir sogar Sie erdulden und Sie die Möglichkeit haben, hier sprechen zu können.
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Zweiter Punkt. Sie prangern in der Begründung Ihres Antrages auch die „Kulturkämpfer“ im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und im Journalismus an. Es gibt aber keine größeren Kulturkämpfer als Sie.
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Wenn man behauptet, es gebe Kulturkämpfer, man es in Wirklichkeit aber selbst ist, dann nennt man das „Doppelmoral“. Sie sind also auch die Weltmeister der Doppelmoral.
Dritter Punkt. Sie beklagen die Identitätspolitik in den Reihen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Auch hier sehe ich nicht den Zusammenhang zu den gegenwärtigen Skandalen.
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Wer macht denn in diesem Hause und in diesem Land mehr Identitätshuberei und Identitätspolitik als Sie? Insofern formulieren Sie da offensichtlich eine Anklage gegen sich selbst.
Vierter Punkt – auch das ist in Ihren Elogen längst nicht zum ersten Mal wahrzunehmen –: Sie kritisieren, wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk dramatisiert würde, wie skandalisiert würde.
Kollege Lindh, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der AfD-Fraktion?
Selbstverständlich. Ich freue mich.
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Danke schön, Herr Lindh, dass Sie die Frage zulassen. – Sie sagen, wir hätten die aktuellen Skandale im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die in der Tat haarsträubend sind, nicht angesprochen. Sie haben wahrscheinlich die letzte Debatte hier nicht verfolgt – oder waren Sie nicht anwesend? –, bei der wir das ausführlich getan haben, sowohl Kollege Renner als auch ich. Sie werfen uns vor, damit Populismus zu betreiben. Das genaue Gegenteil wäre doch der Fall: Also, wenn wir das hier wiederholt hätten, dann wären Sie jetzt wieder mit dem Populismusvorwurf gekommen. Dieser ernsthafte Blick auf die Struktur ist es doch, worum es uns allen hier gehen muss.
Jetzt frage ich Sie: Glauben Sie nicht, dass diese Skandale möglich geworden sind, weil es in den Strukturen hakt, weil dort seit Jahrzehnten Verfilzungen stattfinden, weil die Aufsichtsräte nicht funktionieren, weil sie eben politisch besetzt sind etc.? Ist das nicht der Grund, weswegen es zu diesen Skandalen gekommen ist, oder wollen Sie das alles abstreiten?
Dann noch eine Frage zu Ihrer Aussage, wir würden uns hier als Opfer gerieren. Ich frage Sie jetzt mal ganz objektiv: Wissen Sie, wie viele AfD-Exponenten im vergangenen Jahr in den öffentlich-rechtlichen Talkshows zu Wort gekommen sind?
({0})
Haben Sie das mal in Relation zur Zahl der Exponenten Ihrer Partei oder der Grünenpartei, die damals noch deutlich kleiner war als wir, gesetzt? Haben Sie das getan? Und wenn ja: Sind Sie zu dem Schluss gekommen, dass das so alles gerecht und dass es genau richtig ist, dass die AfD aus der öffentlichen Debatte ausgeschlossen wird?
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Bitte nehmen Sie mal Stellung zu diesen zwei Punkten.
Danke schön.
Ich danke ausdrücklich für diese Frage, die mir ja wunderbare Vorlagen gibt; deswegen ist das eine Art Dienstleistung Ihrerseits. Zum einen. Sie haben es ja selbst benannt; ich musste es also gar nicht aussprechen. Sie haben Populismus gleich benannt; Sie benennen gleich selbst das, was Sie tun. Dafür bin ich Ihnen erst mal dankbar.
Zum Zweiten. Wenn Sie diese Kausalität sähen, wie Sie sie eben ausgeführt haben, wenn Ihre Ausführungen in dem Antrag zur Einrichtung einer Enquete-Kommission im unmittelbaren Zusammenhang mit den Skandalen um Machtmissbrauch, Verschwendung von Mitteln, sogar kriminellen Delikten stünden: Warum schreiben Sie das nicht in den Antrag hinein,
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und warum hat Herr Renner das hier nicht ausgeführt? Es ist eine etwas dünne Begründung, dass Sie das in der vergangenen Debatte getan hätten. Sie haben es heute nicht getan. Insofern muss ich Sie leider an dem messen, was Sie hier vorgetragen haben und was hier vorliegt.
Im Übrigen würde es, selbst wenn Sie den Zusammenhang erläutern würden, logisch überhaupt nicht funktionieren. Denn Ihre ganzen Ausführungen eben in der Rede und in diesem Antrag haben überhaupt nichts mit der Bekämpfung der Missstände, über die wir reden, zu tun und bringen hier keinen Millimeter Fortschritt. Das ist ja der Verrat, den Sie begehen – das, finde ich, ist das Besondere –: Sie verraten die Mitarbeitenden des öffentlich-rechtlichen Rundfunks doppelt, nämlich zum Ersten, indem Sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und all diejenigen, die da arbeiten, diejenigen, die nicht betrogen haben, sondern die für die Demokratie mit kritischem Journalismus arbeiten,
({1})
nicht in ihrer tagtäglichen Arbeit unterstützen, und zum Zweiten, indem Sie so tun, als ob deren Situation durch Ihren Antrag verbessert würde. Mitnichten ist das der Fall.
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Zum nächsten Punkt. Da haben Sie auch vorgeführt, was ich angesprochen habe; deshalb war das hier so eine Art performative Bestätigung meiner Ausführungen. Ich habe hier gesagt, Sie gerieren sich als Märtyrer. Sie haben das verneint und haben sich dann eben selbst wieder als Märtyrer dargestellt. Das finde ich etwas widersprüchlich.
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Die AfD kann sich wahrlich nicht beschweren über Präsenz im privaten
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wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
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Dieses Land bietet Ihnen als erklärten Gegnern der Demokratie und ihrer Werte
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reichlich Raum. Und es bietet auch Ihren Paralleluniversen, all Ihren Kanälen, die Sie bedienen, Möglichkeiten.
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Die Plattformen, die Sie dort zitieren – „Die Achse des Guten“, „Tichys Einblick“ usw. –: Sind die verboten? Sind die untersagt?
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Nein, Sie können Ihren Irrsinn und Ihren Widersinn und Ihren Rassismus und Ihren Populismus täglich unbeschränkt in dieses Land hinausblasen. Also: Hören Sie endlich auf mit diesem unerträglichen, mimosenhaften Selbstmitleid!
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Das ist es nämlich. Sie klagen andere an und behaupten – das ist ja auch Ihr Geschäftsmodell –, Minderheiten würden dramatisieren und ihr Schicksal in den Vordergrund stellen. Sie sind es doch! Sie sind in Ihrem Auftreten doch die Drama Queens der deutschen Politik par excellence, und das auch noch in einer extrem patriarchalen Form.
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Kommen wir zu einem weiteren Aspekt Ihrer nicht nachvollziehbaren Logik. Wenn Sie behaupten – ich versuche ja, mich in Ihr Paralleluniversum
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und Ihren Antrag hineinzudenken –, dass die ganze Plattformisierung und Oligopolisierung Sie aufregen, Sie bekümmern, warum wollen Sie dann genau das, was ein Korrektiv darstellt, nämlich Qualitätsjournalismus,
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nämlich einen starken, guten öffentlich-rechtlichen Rundfunk, abwickeln? Warum wollen Sie dieses Mittel gegen die toxischen Entwicklungen, die Sie angeblich so besorgen, einfach abschaffen?
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Das ist scheinheilig, und auch das ist wieder doppelmoralisch und widersprüchlich.
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Kurzum: Wenn es so käme, wie Sie es fordern, wenn also diese Enquete-Kommission letztlich das Ergebnis brächte, das Sie sich wünschen, dann hätten wir tatsächlich eine Landschaft, in der Desinformation und Hass viel größere Freiräume hätten. Das wäre für Sie sicher eine bequeme Situation. Die Pointe ist aber, glaube ich, dass Sie sich das gar nicht unbedingt wünschen. Sie wünschen sich gar nicht, dass der öffentlich rechtliche Rundfunk verschwindet;
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denn Ihr Business Case ist ja, dass Sie als Anti-Establishment diesen öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer wieder anklagen können. In dieser selbstgewählten Rolle des Anklägers finden Sie sich großartig; deshalb wollen Sie auch gar nichts ändern. Sie sind null interessiert an faktischen Reformen. Ihnen kommt es darauf an, anklagen und skandalisieren und popularisieren zu können.
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Das ist das Motiv dahinter.
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Deswegen dürfen wir diesem Druck, den Sie versuchen zu erzeugen, nicht nachgeben, übrigens auch nicht in Reihen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ich warne davor, dass sich Sender unter Druck setzen lassen und diesem Druck in vorauseilendem Gehorsam auch nur ein bisschen nachgeben. Bekanntlich ist sprichwörtlicher Selbstmord aus Angst vor dem Tode kein gutes medienpolitisches Konzept, und deshalb sollte man es auch nicht anwenden.
Im Übrigen – das erlauben Sie mir als jemandem, der ausdrücklich für Reformen beim Programm ist,
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auch für mehr Partizipation –: Ich finde, wir sollten die Verhältnismäßigkeit wahren. Wir haben jetzt im Iran und an vielen anderen Orten Revolutionen. Aber sicher löst eine Rede im Übersee-Club in Hamburg keine Revolution aus. Lassen wir die Kirche da also mal im Dorf!
Zum Nächsten. Wenn Sie den Untergang der Demokratie so beschwören, sehen, dass hier die Freiheit auf dem Spiel steht, dass wir ein essenzielles Problem mit der ganzen Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks haben:
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Wo haben wir denn wirkliche Probleme? Fragen Sie mal die Opfer des NSU,
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die seit Jahrzehnten keine Berücksichtigung erfahren!
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Fordern Sie dafür Enquete-Kommissionen? Oder für Hanau? Nein! Das sind essenzielle Fragen und Skandale der Demokratie,
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aber gewiss nicht der Zustand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Herr Kollege.
Also: Hören Sie auf mit dieser Politik der politischen Instrumentalisierung! Hören Sie auf damit, plötzlich runde Tische und große gesellschaftliche Debatten zu begrüßen, wo Sie sie sonst immer ablehnen!
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Kollege Lindh, Sie sprechen auf Kosten Ihrer Kolleginnen und Kollegen.
Das ist durchschaubar, das zerstört Vertrauen in die Politik, und damit machen Sie genau das, was Sie am öffentlich-rechtlichen Rundfunk kritisieren.
Vielen Dank.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. Christiane Schenderlein das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der vergangenen Woche gab es tatsächlich eine vielzitierte Rede eines Intendanten, der durchaus den Finger in die Wunde legte und für die Diskussion über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eine Art runden Tisch forderte.
Aber es gab auch eine andere Nachricht, die gar nicht so viel Beachtung fand, die aber für die Diskussion über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einen ganz konkreten Zugewinn darstellt. Und zwar gab das ZDF bekannt, dass es die Algorithmen hinter seiner Mediathek offenlegt. Seit vergangener Woche können Nutzerinnen und Nutzer genau nachlesen, wie ihre persönlichen Empfehlungen zustande kommen. Im Gegensatz zu den Algorithmen großer Internetplattformen zielen die des Öffentlich-Rechtlichen eben nicht auf Vorlieben und Häufigkeit ab. Nein, es werden immer auch Angebote gemacht, die über den eigenen Horizont hinausgehen, das heißt: keine Filterblasen, keine Echokammern und keine gleichgerichteten Informationsangebote. Genau das ist die Leistung unseres öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der das auch immer wieder neu beweisen und sich fragen muss: Schafft er es, die Menschen mit seinem Programmangebot umfassend, vielseitig und fundiert zu informieren,
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und schafft er es, tatsächlich alle Menschen zu erreichen?
Besonders in Krisensituationen wie der Coronakrise, dem Krieg in der Ukraine und der Energiekrise sind eben nicht Meinungen oder Fake-Bilder entscheidend, sondern richtige Fakten.
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Sie sind die Grundlage für die eigene Meinungsbildung. Im Kern geht es also um Objektivität, Meinungsvielfalt und Ausgewogenheit. Und es ist tatsächlich so: Über zwei Drittel der Bevölkerung vertrauen der Berichterstattung des Öffentlich-Rechtlichen.
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Die Zahl der Zugriffe auf öffentlich-rechtliche Nachrichtenportale ist beachtlich.
Doch nicht erst seit der Aufdeckung der Missstände an der Spitze des RBB rollt eine Welle der Kritik über den ÖRR hinweg. Auch wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind kritisch und überzeugt: Wenn wir jetzt nicht ernsthaft etwas an den Strukturen ändern, wird die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks schwinden.
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Genau darin sehe ich eine Gefahr. Denn dort, wo es keinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt, erleben wir polarisierte Gesellschaften; wir erleben ein Zurückgehen von Partizipation, der Beteiligung an demokratischen Entscheidungen sowie eine Radikalisierung der Gesellschaft.
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Nur, der Bundestag ist für diese Debatte genau der falsche Ort; denn für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind allein die Landesparlamente zuständig.
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Vor diesem Hintergrund ist der Antrag als Ganzes als unzulässig zu bewerten.
Die Ministerpräsidentinnen und ‑präsidenten der Länder haben sich im Oktober auf einen neuen Medienstaatsvertrag geeinigt. Bereits 2016 wurde die Arbeitsgruppe der Länder zum Thema „Auftrag und Strukturoptimierung der Rundfunkanstalten“ eingesetzt. Sie hatte den Auftrag, eine Reform auszuarbeiten. Ergebnis: Der Auftrag wird geschärft, der Onlineauftrag fortentwickelt, die Sender können mehr Programme ins Internet verlagern, und die Aufsichtsgremien erhalten mehr Aufgaben. So können und sollen sie die Qualität des Programms kontrollieren.
In einem zweiten Teil des Reformprozesses geht es um die Finanzierung. Das ist ja auch richtig; denn die Finanzierung folgt dem Auftrag. Da ist das Bundesverfassungsgerichtsurteil entscheidend, das in Ihrem Antrag auch nicht beachtet wird.
Was den Reformprozess anbelangt, gehört natürlich zur Wahrheit dazu, dass der ganz große Wurf bei der Strukturreform noch nicht getan ist. Denn die Debatte um die Effizienz, das heißt um die Frage, welche Sender welchen Programmauftrag erfüllen sollen, müssen die Länder, die Rundfunkkommission und die Sender miteinander führen. Das heißt, die Frage nach dem Ob stellt sich nicht; das Wie ist zu diskutieren.
Wir stehen zu einem von der Allgemeinheit finanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Im AfD-Antrag hingegen wird er offen infrage gestellt. Da heißt es: „Einschätzung der Notwendigkeit, Zulässigkeit und Legitimität eines gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks“. Das ist eine Offenbarung. Wofür brauchen Sie dann noch eine Kommission?
Es ist auch schon angesprochen worden: Sie proklamieren stets die angebliche Staatsnähe des Öffentlich-Rechtlichen und versuchen dann aber, genau in die Gremien dieser Medien hineinzugelangen. Das ist ein klarer Widerspruch.
Die Angriffe auf die Pressefreiheit bis hin zur Zensur sind oft das erste Mittel von Antidemokraten, Diktatoren und Kriegsherren.
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Erst am Mittwoch, bei den Gedenkveranstaltungen zum 9. November, haben wir uns auf die Werte Freiheit und Demokratie besonnen. Ein entscheidender Grundpfeiler bei der Bewahrung dieser Werte ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Das Resümee: An den Grundpfeilern unserer Demokratie dürfen wir nicht rütteln, und das sollten auch Sie aus der Geschichte gelernt haben.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Erhard Grundl das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Intention des vorliegenden Antrags ist mehr als durchsichtig. Hier soll ein wichtiges Instrument parlamentarischer Kontrolle zur Showveranstaltung degradiert werden. Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich in einem fortlaufenden Reformprozess befindet, spielt für Sie da drüben auch gar keine Rolle. Schließlich ist nicht die Reform Ihr Ziel, sondern das Infragestellen und Zerstören des Öffentlich-Rechtlichen. Der ÖRR ist all denen ein Dorn im Auge, die sich vor den Fakten fürchten, die die Klimakatastrophe und die Pandemie für Erfindungen halten und die globalen Krisen im Breitbart-News-Fieber wegfantasieren.
Wie die Strategie rechts außen funktioniert, sieht man, wenn man zum Beispiel nach Ungarn schaut: Private Medien werden dort von Orban-Freunden aufgekauft. Außerhalb von Budapest gibt es kein Radio, kein Fernsehen, keine Zeitung, die nicht von Orban oder seinen Kumpeln kontrolliert wird. Unabhängige Journalistinnen und Journalisten werden als Agenten diffamiert. Bei meinem Besuch in Polen vor einigen Monaten waren auch die staatlich gelenkten Medien ein Thema. Es ist eine Tatsache, dass sämtliche Regionalzeitungen in der Hand regierungsnaher Konzerne sind. – Damit fehlt in diesen beiden Ländern etwas ganz Entscheidendes: Regierungskontrolle durch freie und handlungsfähige Medien und faktenbasierte Kritik an den politischen Akteurinnen und Akteuren. So ein Mediensystem mit Maulkorb und Fußfesseln wünschen sich vielleicht die Antragstellenden hier; das wird es mit uns aber nicht geben.
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Zur diversen Medienlandschaft in Deutschland gehört der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Er ist eine tragende Säule unserer Demokratie, ein Garant für Freiheit und Vielfalt. Wer seine Legitimität und Funktion infrage stellt, der gefährdet Grundprinzipien unserer Gesellschaft. Der ÖRR ist keinem Parteiinteresse verpflichtet.
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Es kann Ihnen zum Beispiel passieren, dass Sie an einem unschuldigen Dienstagabend, wie zum Beispiel am 20. September dieses Jahres, bei „Maischberger“ einen Auftritt von Alice Weidel und, wenn Sie dem menschlichen Impuls des Umschaltens folgen, dann bei „Markus Lanz“ Frau Wagenknecht mit ihren steilen Thesen sehen können. Das mag als Erlebnis schon schmerzhaft sein. Aber egal! Es ist die Vielfalt der Meinungen, auch wenn sie abstrus sind. Dafür stehen die Öffentlich-Rechtlichen. Ja, man darf in Deutschland alles sagen; aber man muss es dann auch ertragen und darf nicht rumheulen, wenn man Gegenwind bekommt.
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Es sind Journalistinnen und Journalisten, die nach ihren handwerklichen Standards und ihrem Kodex unabhängig entscheiden, worüber sie und wie sie berichten. Das ist entscheidend für unsere Demokratie, entscheidend für unser Land.
Die öffentlich-rechtlichen Sender sind eine starke Antwort auf demokratiefeindliche Entwicklungen. Wir wollen die Meinungsbildung nicht milliardenschweren Konzernen wie Google und Facebook überlassen,
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die eigene wirtschaftliche Interessen über die Belange des Gemeinwohls stellen. Wir wollen in Deutschland keine Meinungshegemonie von Akteuren wie Fox News, die ihr Geschäftsmodell in der Spaltung der Gesellschaft gefunden haben.
ARD und ZDF bieten eine verlässliche und attraktive Grundlage für öffentliche Meinungsbildungsprozesse.
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Denn nur mit einer gemeinsamen Faktenbasis
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können wir über politische Lösungen diskutieren. Wenn diese Basis fehlt, herrscht die Diktatur der alternativen Fakten. Dieser Diktatur stellen wir uns entgegen.
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Doch zurück zu Ihren Forderungen. Der Öffentlich-Rechtliche muss nicht, wie Sie sagen, ein Mal einer Bestandsaufnahme unterzogen werden; er muss sich fortlaufend weiterentwickeln, und das tut er. Das werden wir weiter vorantreiben. Der ÖRR hat längst verstanden, dass er ein ständig lernendes System sein muss, wenn er technisch State of the Art und am Puls der Zeit sein will. Dieser ständige Reformprozess findet über den Medienstaatsvertrag statt, der von den Ministerpräsidentinnen und ‑präsidenten verhandelt und von allen Landtagen angenommen werden muss. Zu Recht sind es bei uns die Länder, die über Sendeformate ihres Rundfunks, nicht aber über die Inhalte seiner Berichterstattung entscheiden. Denn als Lehre aus dem Nationalsozialismus darf es nie wieder ein zentrales, staatlich gesteuertes Massenmedium geben. Dass Reformen im Öffentlich-Rechtlichen notwendig sind, stellt selbstredend niemand infrage, ebenso wenig die Notwendigkeit, mehr Transparenz, strikte Compliance-Regeln und eine Stärkung und Professionalisierung der Aufsichtsgremien zu erreichen.
Für uns ist besonders wichtig, dass die Beschäftigten in den Redaktionen in ihrer Arbeit weiter gestärkt werden. Das beinhaltet natürlich die Stärkung von Mitbestimmung und die Verbesserung von Arbeitsbedingungen. Rotierende Chefredaktionen sind kein Tabu, und gespart werden kann ganz bestimmt auf den Leitungsebenen, aber eben nicht zulasten der Mitarbeitenden und der Qualität der journalistischen Arbeit.
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Zentral für die öffentliche Debatte über den Auftrag des ÖRR sind weitere institutionalisierte Dialogformate mit den Bürgerinnen und Bürgern, wo die Nutzer/-innen ihre Bedürfnisse einbringen können und der gesellschaftliche Auftrag des Öffentlich-Rechtlichen diskutiert werden kann.
Meine Damen und Herren hier rechts außen, Sie, die in Ermangelung eigener originärer Gedanken hier die Parolen von Steve Bannon nachplappern, wollen eine Bühne für Ihr Schmierentheater bekommen. Das werden wir im Deutschen Bundestag nicht zulassen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat Dr. Petra Sitte für die Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Überraschung: Die AfD will mal wieder eine Enquete-Kommission einrichten. Ich hatte bereits das zweifelhafte Vergnügen, die AfD in einer Enquete-Kommission zu erleben. Zusammenfassung: nicht präsent – oft körperlich nicht, aber vor allem inhaltlich nicht.
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Warum sollte das diesmal anders sein? Vielleicht deshalb, weil Sie die Medienordnung eifernd bekämpfen. Dabei nutzen Sie wie keine andere Partei – die Kollegen haben es bereits angedeutet – diese Medienordnung genau für Ihre Zwecke. Sie verbreiten Fake News.
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Sie setzen auf Hass, Sie setzen auf Hetze, um Menschen herabzusetzen, einzuschüchtern und zu bedrohen.
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Sie haben zudem maßgeblichen Anteil daran, dass sich Menschen im Netz radikalisieren und schließlich auch ermutigt werden, Anschläge zu verüben. Wir haben gerade in Halle das dritte Mal Jana Langes und Kevin Schwarzes, der Opfer des rechtsterroristischen Anschlags auf die jüdische Synagoge und den Dönerimbiss, gedacht.
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Dieser Täter hatte sich maßgeblich im Netz radikalisiert. Und ausgerechnet die AfD – ausgerechnet die AfD! – sorgt sich um die Medienordnung. Erst legen Sie Feuer, und dann spielen Sie sich hier als Löschbrigade auf. Nein, nicht mit uns!
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Übrigens: Zum Umgang mit den großen Plattformen liegen seit Jahren Vorschläge vor. Da haben wir weniger ein Aufklärungs- als vielmehr ein Umsetzungsproblem. Bemerkenswert ist ebenso, dass erst die letzten Beschlusspunkte Ihres Antrags Ihren wunderbaren Lieblingsfeind, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, thematisieren. Aber den Begründungstext – dort wird es deutlich – fangen Sie genau damit an.
Es wird also klar, dass Sie zugleich nicht verstehen wollen, warum der Öffentlich-Rechtliche föderal organisiert wurde: weil eben nach Goebbels’ zentralistischer Propagandamaschinerie die Medien dezentral und demokratisch aufgestellt sein sollten.
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Also liegen wesentliche Entscheidungskompetenzen gar nicht in diesem Haus – der Kollege hat es gesagt –, sondern vor allem bei den Bundesländern. Wir können da mitwirken, aber eine Enquete-Kommission im Bundestag wäre genau das falsche Zeichen.
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Letztlich ist in diesem Antrag – das sei ausdrücklich angemerkt – an keiner Stelle von den Medienschaffenden die Rede: weder bezogen auf ihre soziale Situation noch auf ihre Arbeitsbedingungen vor Ort. Es sind vorwiegend AfD-nahe Veranstaltungen, auf denen Medienschaffende nur noch unter Begleitung von Sicherheitskräften arbeiten können.
Fazit: Der Antrag ist weder inhaltlich zustimmungsfähig noch vor dem Hintergrund Ihrer medienpolitischen Vorstellungen glaubhaft. Sie wollen den Bundestag als Plattform nutzen,
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um die Medienordnung nach dem Vorbild Putins, Erdogans, Orbans oder Ihrer sonstigen rechtsextremen Gesinnungsfreunde einzugrenzen.
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Keine Minute wird es Ihnen in diesem Prozess um Demokratisierung der Medien gehen.
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Das Wort hat der Kollege Thomas Hacker für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist noch gar nicht so lange her, da durften oder mussten wir uns an einem Freitagnachmittag in einer Aktuellen Stunde auf Verlangen der AfD über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk unterhalten. Wirklich Neues gab es damals nicht. Der erste Redner versprach, dass der zweite Redner etwas ankündigen wolle, und das tat er dann auch. Er kündigte an, dass seine Fraktion einen Antrag in den Deutschen Bundestag einbringt. Aha. Der Rest war das bekannte Geschwurbel, der oft vorgetragene Hass auf Journalisten und Medienschaffende,
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das Lamento über Ungerechtigkeiten und Unverstandensein; das Übliche halt.
Die Kollegen vom rechten Rand haben aber tatsächlich Wort gehalten. Sie haben einen Antrag eingebracht, allerdings keinen Antrag, in dem sie ihre Vorstellungen und Reformideen für die Medienlandschaft in Deutschland aufzeigen; vielleicht gibt es die ja auch gar nicht. Stattdessen wollen sie eine Enquete-Kommission einberufen. Auch gut – oder eben nicht. Denn während die bisherigen Enquete-Kommissionen die großen Themen und Herausforderungen ihrer Zeit einer umfassenden, tiefen und ausgewogenen Diskussion und Durchleuchtung unterzogen, ist das durch den vorliegenden Antrag gar nicht erst vorgesehen.
Schon bei den zu diskutierenden Fragestellungen werden die Stichworte vorgegeben: „Haltungsjournalismus“, „Mainstreaming“, „selektive Nachrichtenauswahl“, eben das, was Sie in Ihren Redebeiträgen schon immer präsentiert haben, eben das, womit Sie glauben Ihre Filterblase zu befriedigen.
Sie stellen die deutsche Medienordnung infrage und wollen die Legitimität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks überprüfen. Sie wollen die Axt anlegen an das Fundament unserer freien, pluralistischen Medienordnung. Wir nicht. Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Staatsferne, das gleichberechtigte Nebeneinander von privaten und öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen, föderale Verantwortlichkeit: All das ist durch unser Grundgesetz geschützt, und wir werden es verteidigen.
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Ja, es ist kompliziert: Abstimmungsprozesse, Staatsverträge, Landes- und Bundesebene und Europa. Aber gerade die föderale deutsche Medienordnung wurde in den Gründungsjahren der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der bitteren Erfahrungen am Ende der Weimarer Republik gewählt, zum Schutz der Freiheit und der Vielfalt.
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Natürlich verändern sich die Medienlandschaften rasant.
Herr Hacker, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
– Nein, danke. – Zeitungsverlage sterben. Die jüngeren Generationen beziehen ihre Informationen aus dem Netz, begegnen dort Fake News und Hasskampagnen. Unsere Medienlandschaft ist durch Disruption geprägt. Die Sendeanstalten, Verlagshäuser und Medienunternehmen müssen selbst erst eine Antwort darauf finden. Das betrifft Programminhalte genauso wie Geschäftsmodelle. Voraussetzung für Medienvielfalt sind aber lebendige und zahlreiche Medienhäuser und Sendeanstalten.
Es ist unverständlich, dass Vorschläge zur Presseförderung immer noch nicht vorliegen. Hier hat sich in der letzten Wahlperiode bereits die Große Koalition lächerlich gemacht. Herr Habeck – Frau Brantner ist zwischenzeitlich auch weg –, Frau Roth, kommen Sie endlich in die Puschen! Mit Gutachten allein und dem Warten darauf werden Sie das Zeitungssterben nicht verhindern; die Zeit drängt.
Wer in diesem Zusammenhang die Nase über Anzeigenblätter mit redaktionellen Inhalten rümpft, hat keine Ahnung davon, wie die Informationsversorgung im ländlichen Raum funktioniert. Ganze Generationen – hier die älteren – haben im ländlichen Raum genau diese Anzeigenblätter oft als einzige Informationsquelle für regionale Nachrichten.
Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger hat recht, wenn er die großen Herausforderungen der Medienordnung der Zukunft in der Frage sieht, ob sich meinungsbildende Qualitätsinhalte auch in Zukunft unternehmerisch noch lohnen.
Ja, auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss sich der kritischen Diskussion stellen. Die Vorschläge von kundigen Privatpersonen wie Tom Buhrow überhäufen sich und sind radikaler, als vor einigen Monaten noch vorstellbar.
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Aber auch hier tragen wir die Verantwortung, Reformprozesse anzustoßen, die Diskussion mit den Ländern zu suchen und gleichzeitig die Stärken des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht zu zerreden.
Keine Enquete-Kommission ersetzt, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die Länder selbst leisten müssen. Gerade in Zeiten von Polarisierung und Desinformation müssen die Sendeanstalten glaubhaft und breit informieren und ihre zentralen Beiträge dazu leisten, dass wir eine offene, vielfältige, tolerante und demokratisch gefestigte Gesellschaft bleiben.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist unsere Aufgabe, den rasanten Veränderungsprozess in der weltweiten Medienlandschaft auch regulatorisch vernünftig zu begleiten. Es ist unsere Verantwortung, die Werte unseres Grundgesetzes, die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger, zu verteidigen. Es ist unsere Pflicht, durch eine vielfältige, lebendige Medienlandschaft Informationsquellen für alle Menschen zu ermöglichen, für Jung und weniger Jung, in der Großstadt wie im ländlichen Raum. Damit schützen wir Freiheit und Vielfalt. Damit stärken wir unsere Demokratie.
Danke.
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Der guten Ordnung halber mache ich darauf aufmerksam, dass wir hier im Präsidium nicht alle Zwischenrufe, die bisher in dieser Debatte gefallen sind, akustisch wahrnehmen konnten. So habe ich mir das Vorabprotokoll hierherbestellt und werde überprüfen, ob es Dinge gibt, die in irgendeiner Weise noch einmal zu würdigen sind.
Das Wort hat die Kollegin Katrin Budde für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist und bleibt eine feste Säule unserer Medienlandschaft. Er ist wichtig als unabhängiges Medium, das breite gesellschaftliche Themen mit regionaler Tiefe verbindet. Er ist grundsätzlich nur der breiten, parteiunabhängigen Information verpflichtet. Natürlich muss auch Unterhaltung dabei sein: Sport, Kunst und Kultur. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist unverzichtbar für unsere Demokratie. Gerade die Kombination aus einem starken öffentlich-rechtlichen und einem starken privaten Rundfunk sorgt in Deutschland dafür, dass es eine große Meinungsvielfalt gibt.
Die Meinungsfreiheit – grundgesetzlich geschützt – bietet beiden die Möglichkeit zu unabhängiger Berichterstattung. Mit den sich verändernden Medienkonsumgewohnheiten beschäftigt sich der Öffentlich-Rechtliche übrigens von Anfang an. Ich war in alter Funktion mehrere Jahre im ZDF-Fernsehrat. Das Reagieren auf Formate und das Verändern von Formaten seit dem Aufstieg von Social Media und der Ausbreitung der Onlineformate waren nie das Problem. Das Problem war immer, dass die Konkurrenz zum Öffentlich-Rechtlichen, die privaten Medienmacher, in den Gremien saß und sitzt. Sie haben – das kenne ich aus eigenem Erleben – die Möglichkeit des Öffentlich-Rechtlichen begrenzt, zu reagieren, weil sie eben diese Konkurrenz nicht wollten. Ich kann mich da an zauberhafte Debatten erinnern.
Richtig ist aber auch, dass alles, was lange in ziemlich ruhigen Bahnen und mit gutem Finanzierungshintergrund läuft, Gefahr läuft, träge und angreifbar für Fehler und Fehlverhalten zu werden. Deshalb wird diesmal zu Recht tiefer und anders diskutiert, wenn es um die Reform und die Modernisierung des Öffentlich-Rechtlichen geht. Die Diskussionen sind stärker struktureller Art, inhaltsgetrieben und weniger nur finanzierungsgetrieben, und das ist gut.
Für mich stellen sich die Fragen nach der Legitimität und der Notwendigkeit des Öffentlich-Rechtlichen, die die AfD aufwirft, allerdings nicht. Diese Fragen sind für mich beantwortet. Ja, der Öffentlich-Rechtliche ist legitim, und, ja, er ist notwendig.
Die Idee von Herrn Buhrow – auch wenn es wie so oft in der Natur der Sache liegt, dass man so grundlegende Veränderungsvorschläge erst am Ende der eigenen Karriere im Öffentlich-Rechtlichen macht; aber wer werfe da den ersten Stein? –, eine sehr grundsätzliche Diskussion über Struktur und Inhalt und das Erschließen von Synergien durch Zusammenlegung bestimmter Teile zu führen, finde ich richtig und wichtig; denn schon jetzt verfängt das Gerede derjenigen, die den Öffentlich-Rechtlichen grundsätzlich infrage stellen und abschaffen wollen. Für mich sind die dahinterliegenden Absichten sehr durchsichtig, aber es verfängt leider bei zu großen Teilen der Bevölkerung. Deshalb ist es zwei Minuten vor zwölf wirklich dringend geboten, Vertrauen und Akzeptanz für den so dringend notwendigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk wieder zu erarbeiten.
Danke an die AfD für den Redebeitrag. Dadurch ist mir noch sehr viel klarer geworden – auch öffentlich ist das klarer geworden –, worum es Ihnen wirklich geht. Während Sie sich in der Begründung noch auf verschiedene Zitate berufen und sie genutzt haben, haben Sie hier ganz klar gesagt, worum es Ihnen geht, nämlich: Es passt Ihnen nicht, was und wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk berichtet. Das wird keine Enquete-Kommission lösen können, und deshalb brauchen wir sie auch nicht.
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Herzlichen Dank, auch für Selbstbeschränkung, was die Redezeit betrifft.
Das Wort hat der Kollege Michael Frieser für die CDU/CSU-Fraktion.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich will versuchen, die Redezeit einzuhalten.
Ich bin nicht geneigt, mich bei jedem hingeworfenen Stöckchen immer wieder aufs Neue aufzuregen. Manchmal ist es vielleicht eine Last, als Jurist sagen zu müssen, dass man mit der Prüfung relativ schnell am Ende ist: Der Inhalt Ihres Antrags wäre unzulässig. Das wären nur 20 Sekunden Redezeit. Das ist mir dann doch ein bisschen zu wenig.
Das ist völlig in Ordnung. Das ist die Redezeit, die die Kollegin übriggelassen hat.
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Selbst wenn man es mit dem Begriff Medienordnung camoufliert: Die Medienordnung ist durch das Grundgesetz vorgegeben; ansonsten ist das eine Zuständigkeit der Länder. Wir können uns selbstverständlich Gedanken dazu machen. Aber eine Enquete-Kommission – das ist insofern interessant, weil das Wort „Enquete“ aus dem Französischen stammt, von Befragen, Befassen, Untersuchen – nimmt das Ergebnis gleich vorweg. Das, was dabei herauskommen soll, steht dann auch schon im Antrag. Das hilft am Ende des Tages nicht weiter.
Es ist mir relativ egal, wie diese Diskussion läuft, ob es, Herr Lindh, eine Self-fulfilling Prophecy ist, eine Institution zu haben, an der man sich jeden Tag abarbeiten muss. Es gab Zeiten, da war kein einziges Sofa im öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk ohne AfD zu denken. Also, zu sagen, man käme da nicht vor, ist etwas, was allenfalls noch mit Realitätsverdrängung zu erklären ist.
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Jetzt geht es ein Stückchen weiter.
Herr Frieser, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Frömming?
Frau Präsidentin, die Nachfragen und Zwischenbemerkungen der AfD haben das Niveau der Debatte nicht gehoben. Deshalb vielen herzlichen Dank, aber nein.
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Heute, just zu diesem Augenblick wäre – mit Genehmigung – Herr Plasberg bei „The Pioneer“ zu zitieren, ein wirklich durchaus interessanter Geist, der da gleichzeitig gesteht, er habe letzten September die Grünen gewählt, der aber schon auch warnt vor dem, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk tut, der gerne warnt vor politisch korrektem Übereifer, der in der Berichterstattung gerne mal in der Flughöhe über das, was den Lebensalltag der Menschen ausmacht, hinweggleitet.
Frau Kollegin Budde, ich kann mich an Diskussionen zwischen Union und SPD erinnern, bei denen die SPD vom privaten Rundfunk nicht so wahnsinnig begeistert war. Das ist schon ein bisschen her.
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Dass sich da etwas ändern kann und etwas ändern muss, hat wahrlich nicht erst der Reformbedarf beim RBB gezeigt. Vielmehr gibt es hier wirklich strukturelle Probleme, die eben gerade nichts mit dem Inhalt zu tun haben.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat einen Auftrag mit drei Säulen – es scheint mir ein pädagogisches Prinzip der Wiederholung zu sein; man muss die drei Säulen immer wieder nennen –: Information, Bildung und Unterhaltung. All das müssen wir vorfinden. Festzuhalten ist, dass es sich dabei um ein Spannungsfeld handelt, weil der Content der ursprünglichen Sendeanstalten einerseits und der freien Printmedien andererseits mittlerweile nahezu nicht mehr zu unterscheiden ist. Wenn Sie auf die Medienseiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gehen und auf die der privaten Medien oder Printmedien, dann sehen Sie kaum mehr einen Unterschied. Das Problem ist: Die Last müssen leider Gottes die Mitarbeiter tragen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sogenannten festen Freien, müssen dafür sorgen, dass der Artikel, die Überschrift, die Unterüberschrift, das Filmchen, das Bildchen usw. kommen. Das ist manchmal nicht optimal; das ist weder optimal bezahlt noch vom Zeitdruck her zu akzeptieren.
Dies hat die Mitarbeit der Politik in den Rundfunkräten bisher nicht besser gemacht. Man darf sich also schon die Frage stellen: Ist das der richtige Ort der politischen Mitwirkung? Wir müssen sagen: Dieser Reformbedarf muss nicht nur dort diskutiert werden. Er muss auch öffentlich diskutiert werden, weil es auch um die Frage des Contents in den Mediatheken geht, um die Nutzergewogenheit, um die Frage: Wie komme ich an die Informationen, die ich haben will? Das Lineare wird generationenübergreifend nicht mehr so sehr geschätzt. Da hinken wir hinterher.
Diese Diskussion dürfen wir uns aber nicht kaputtmachen lassen vom falschen Impetus, vom falschen Auftakt und vom falschen Aufriss. Vielmehr sollten wir konstruktiv an der Weiterentwicklung der öffentlich-rechtlichen Medien miteinander arbeiten.
Vielen Dank.
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Danke. – Zu einer Kurzintervention erhält der Abgeordnete Frömming das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie die Kurzintervention zulassen.
Herr Kollege Frieser, ich hätte Ihnen gerne eine sachliche Zwischenfrage gestellt, aber vielleicht hätte Sie das aus dem Konzept gebracht. Ich möchte Sie fragen: Kennen Sie das Dokument mit dem Titel „Laufende Aktivitäten der Ressorts und Behörden gegen Desinformation“? Es liest sich, wenn Sie sich das einmal anschauen – vielleicht haben Sie es sich ja angeschaut –, wie aus dem Kasten der Verschwörungstheorie. Darin wird beschrieben, wie Behörden, Bundesministerien usw. ganz konkret mit den Medien, die ja frei und unabhängig berichten sollen, kooperieren, um eine bestimmte öffentliche Meinung herzustellen. Ich habe gedacht, es könne nicht wahr sein, dass es so ein Dokument gibt, dass unsere Bundesregierung und die Ministerien so etwas machen, und habe deshalb die Nachfrage an die Bundesregierung gestellt, ob dieses Dokument echt sei. Siehe da: Die Bundesregierung hat bestätigt, dass das Dokument echt ist.
In diesem Dokument wird übrigens weiterhin ein sogenannter Liebe-Freunde-Brief erwähnt, der nur an bestimmte Abgeordnete dieses Parlaments geschickt worden ist, interessanterweise natürlich nicht an die Abgeordneten der AfD-Fraktion, interessanterweise, sehr geehrter Herr Kollege Frieser, auch nicht an die Abgeordneten der CDU.
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Ich weiß es nicht. Sind Sie jetzt auch keine lieben Freunde mehr?
Kollege Frieser, bleiben Sie nach dem, was ich Ihnen jetzt dargestellt habe, immer noch bei der Meinung, wie Ihre Vorredner auch, dass mit unserem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und der Staatsferne – bzw. Staatsnähe – doch eigentlich alles zum Besten bestellt sei?
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Sie haben die Möglichkeit zur Antwort.
Der Empfehlung vom Kollegen Wanderwitz zufolge soll ich einfach Nein sagen; aber das käme dann doch etwas kurz rüber.
Frau Präsidentin, ich habe mich bemüht, die Redezeit einzuhalten. Das ist nicht meine Verantwortung.
Das erkenne ich vollständig an.
Herr Frömming, ich verlange ja nicht von jedem, dass er zuhört, auch nicht bei solchen Reden. Ich verlange auch nicht, dass er den Inhalt sofort begreift, auch nicht bei solchen Reden, will aber an dieser Stelle nicht arrogant werden.
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Keiner der Redner hier hat betont, dass alles in Ordnung ist. Also, man muss schon wirklich geneigt sein, in eine Diskussion miteinander zu treten. – Das ist das eine.
Dass es Fehler gibt, ist selbstverständlich. Deshalb: Wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie gemerkt, dass ich mich in der Tat eines fremden Zitats bedient habe, nämlich eines von Herrn Plasberg, der gesagt hat: Politischer Übereifer, der zumal auch spürbar wird, ist etwas, wovor der öffentlich-rechtliche Rundfunk – wie übrigens andere Medien auch – nicht gefeit ist. – Das erhöht gerade die Kontrolle, die wir als Parlament, die wir als Politiker haben, und deshalb hat es überhaupt keinen Sinn, alles outzusourcen. Wir geben jede Form von politischer Verantwortung ab. Wir haben schon die Frage der Finanzierung outgesourct; das macht jetzt eine Kommission. Sie machen nun den Vorschlag: Schafft doch eine Enquete-Kommission! Also, wir müssen uns als Politiker schon selber einig werden, wie wir die Kontrolle, und zwar nicht die inhaltliche, sondern ausschließlich die logistische, der Reformbedürftigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks regeln. Dafür bedarf es Ihres Hinweises nicht.
Danke.
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Ich schließe die Aussprache.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir führen diese Debatte in einer Zeit energiepolitischer Widersprüche; jedenfalls scheint es so zu sein. Hier in Deutschland kreist die Debatte ganz wesentlich um die Energiesicherung, um die Frage: Wie kommen wir mit einem stabilen System durch die nächsten beiden Winter? Zeitgleich findet in Ägypten die Klimakonferenz, die COP 27, statt, die uns drängt, zu dekarbonisieren. Hier sorgen wir dafür, dass Kohlekraftwerke oder auch Ölkraftwerke zur Verfügung stehen. Dort wird darüber gesprochen, dass sie möglichst nicht mehr lange zur Verfügung stehen. Heute Morgen war in der Atomdebatte Ähnliches zu beobachten: Wir verlängern die Laufzeit einer Technik, bei der sich Deutschland entschieden hat, dass es sie nicht mehr will und nicht mehr braucht. Gleichzeitig arbeiten wir im Moment mit Hochdruck daran, die erneuerbaren Energien nach vorne zu bringen, die Netze auszubauen, Wind- und Solarenergie zum Backbone der zukünftigen Energiesicherheit des Landes zu machen.
Beides wiederholt sich in dieser Debatte und wird in einem Gesetz zusammengeführt. Wir brauchen in dieser angespannten Lage für diesen Winter auch die Kapazitäten von zwei Braunkohlekraftwerken, die sonst Ende dieses Jahres aus dem Betrieb gegangen wären: Neurath D und E, jeweils mit 600 Megawatt. Gleichzeitig müssen wir sehen, dass wir die Emissionen, die wir dieses Jahr möglicherweise zu viel in die Atmosphäre geben, möglichst schnell reduzieren. Entsprechend ist der Gegenschuss, dass wir drei Kraftwerke mit jeweils 1 000 Megawatt im Rheinischen Kohlerevier nicht 2038 vom Netz nehmen, sondern 2030.
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Damit lösen wir das, was sich als Gegensatz in dieser widersprüchlichen Zeit gegenübersteht, in einem Gesetz auf, schaffen jetzt, in der Zeit der Not, Versorgungssicherheit und machen gleichzeitig einen klaren Schritt Richtung Horizont, in Richtung in der Perspektive, die wir als Sicherheit für die Zukunft brauchen.
Man muss die Augen schon sehr fest zudrücken, wenn man glaubt,
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dass die Erderwärmung, die Klimakrise, in Zukunft die geopolitische Lage der Welt, nicht auch dieses Land extrem gefährden wird. Es heißt immer „Klimaschutzpolitik“, aber ich wiederhole, was an anderen Stellen schon gesagt wurde: Das Klima braucht überhaupt keinen Schutz. Wir schützen nicht das Klima, wenn wir Klimaschutz betreiben. Wir schützen ein Leben in Sicherheit und Freiheit. Und dazu ist es dringend notwendig, dass die Emissionen runtergehen.
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Sehr geehrte Damen und Herren, das Ganze ist voraussetzungsreich. Wir binden den Ausstieg daran, dass eine alternative Energieversorgung da ist. Es gibt verschiedene Schritte der Überprüfung und Reservemöglichkeiten. Und natürlich ist das Gesetz nur dann etwas wert, wenn es Wirklichkeit wird. Das heißt, der Ausbau der Erneuerbaren muss im Rheinischen Revier wie überall schnell vorangehen. Wir brauchen die Anbindung ans Gas- bzw. möglichst schnell ans Wasserstoffnetz, und wir brauchen Kraftwerke, die Gas- bzw. Wasserstoff-ready sind und dann auch produzieren können. Damit ist auch ein industrielles Projekt verbunden; denn diese Kraftwerke gibt es ja noch gar nicht.
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Die müssen designt, entwickelt und gebaut werden. Hiermit verbinden sich Arbeitsplätze, verbindet sich ein großvolumiger Auftrag für deutsche Ingenieurskunst, meinetwegen auch andere Ingenieurskünste, aber so, wie ich die Sache sehe, sind es gerade deutsche Unternehmen, die versuchen, diese Technik nach vorne zu bringen. Das, was dieses Land ökonomisch immer stark gemacht hat, nämlich im Maschinenbau, in der Innovationstechnik stark zu sein und Exportprodukte zu schaffen, die dann in der Welt verkauft werden, braucht es auch in der nächsten Zukunft. Also, was wir hier schaffen, ist nicht nur Klimaneutralität und Energiesicherheit, sondern ein Booster für den nächsten Schub der Wertschöpfungskette hier in Deutschland.
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Arbeitsplätze und Exportmöglichkeiten auf der Basis einer klimaneutralen Energiewelt, das ist die industriepolitische Perspektive für dieses Land.
Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich kurz zu dem zweiten Gesetz kommen, dem Energiesicherungsgesetz, das jetzt in schöner Tradition immer wieder novelliert wird. In diesem Fall geht es darum, dass eine weitere Regelung geschaffen wird, eine Rechtsgrundlage auch für die mögliche – ich betone: mögliche – Enteignung beweglicher Güter.
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Zu diesen Gütern gehören beispielsweise Daten, die man hat und die der Energiesicherung in Deutschland zur Verfügung stehen müssen; oder um Röhren bzw. Anbindungspipelines aus der Bauphase von Nord Stream 2, die es noch gibt, die aber jetzt für die Anbindung von alternativen Kapazitäten in der deutschen Ostsee gebraucht werden.
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– Ihnen ist hoffentlich nicht entgangen, dass, erstens, Putin kein Gas mehr liefert und, zweitens, die Röhren kaputt sind. Wenn Sie jetzt, nachdem die Röhren ein fettes, 250 Meter großes Loch haben, immer noch sagen: „Die Alternativen brauchen wir nicht“, dann haben Sie Ihren Kopf so tief in den Sand gesteckt, dass Sie nicht einmal mehr Ihre eigenen Füße sehen. Ich bitte Sie, wenigstens die Nachrichtenlage zur Kenntnis zu nehmen, wenn schon die politische Lage immer an Ihrem Interesse vorbeigeht.
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Sehr geehrte Damen und Herren, wir brauchen beides: Wir brauchen die Rechtsgrundlage, und wir brauchen die Daten und die Röhren, um die Versorgungssicherheit in diesem Land sicherzustellen. Ich danke für die Einbringungsmöglichkeit über die Fraktionen und bitte um Zustimmung.
Danke schön.
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Das Wort hat die Kollegin Anne König für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der zunächst für das Jahr 2038 geplante Ausstieg aus der Kohleverstromung in Deutschland ist das größte Einzelprojekt für Klimaschutz in Europa. Beschlossen wurde er von der CDU-geführten Bundesregierung unter Angela Merkel. Nun soll der Ausstieg in NRW noch einmal um acht Jahre auf das Jahr 2030 vorgezogen werden, und das geschah auf Initiative der CDU-geführten Landesregierung in NRW unter Hendrik Wüst. Das ist ein wichtiger Schritt für mehr Klimaschutz.
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Wenn wir aber acht Jahre früher aus der Kohle aussteigen, dann müssen wir logischerweise auch den Strukturwandel im Rheinischen Revier um acht Jahre vorziehen. Er muss damit doppelt so schnell umgesetzt werden; denn der noch frühere Ausstieg halbiert den Zeitraum, der jetzt noch zur Verfügung steht. Für das Rheinische Revier wird damit der Strukturwandel zur immensen Herausforderung. Das Ziel ist ehrgeizig; in Anbetracht der Folgen des Klimawandels ist es das richtige. Aber es muss auch richtig gemacht werden. „Richtig gemacht werden“ heißt, dass es eben nicht mit der isolierten Abschaltung der Kraftwerke getan ist. Klimaschutz, Arbeitsplätze, Umweltschutz und wirtschaftliche Entwicklung müssen zusammen gedacht und verfolgt werden. Das nennt man „nachhaltige Politik“. Nachhaltige Politik darf sich nicht allein auf die Abschaffung der Kohleverstromung beschränken. Ein ganzes System muss abgelöst und neugestaltet werden.
Es ist noch sehr viel zu tun, damit der Strukturwandel nicht scheitert. Hier ist vor allem die Bundesregierung in der Pflicht. Die unvollständige Liste der Aufgaben umfasst das Folgende:
Es geht erstens um den Ausbau von erneuerbaren Energien und von wasserstofffähigen Gaskraftwerken. Allein in den nächsten neun Jahren werden laut Experten an 250 Tagen jährlich die erneuerbaren Energien nicht ausreichen. Dafür muss Vorsorge getroffen werden.
Es geht zweitens um die Ertüchtigung der Infrastruktur – ich nenne nur Stichworte: Verkehr, Stromtrassen, Gaspipelines, Wasserwirtschaft.
Es geht drittens um die Transformation des regionalen Wirtschaftssystems. Es muss die Schaffung von Arbeitsplätzen beschleunigt und die Wertschöpfungskapazität bewahrt werden. 14 000 Beschäftigte in der Kohleindustrie und 93 000 Beschäftigte in der energieintensiven Industrie, insgesamt 2,5 Millionen Menschen aus dem Rheinischen Revier vertrauen auf die bereits gemachten Zusagen. Der Strukturwandel darf dem Ausstieg keinesfalls hinterherhinken. Deshalb muss Olaf Scholz das, wogegen er sich als Finanzminister noch gesperrt hat, jetzt als Kanzler endlich liefern, nämlich verlässliche und auskömmliche Fördertöpfe für den Strukturwandel.
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Nicht zuletzt geht es viertens um die Renaturierung des Tagebauumfelds und um die Zukunft der nun vom Braunkohleabbau verschonten Dörfer.
Zusammenfassend ergibt sich daraus eines: Das Gesetz darf nicht alleine stehen. Es muss zwingend Teil eines Gesamtkonzepts sein. Der Strukturwandel muss beschleunigt werden. Die Hilfen für diese Herkulesaufgabe müssen eher und planbarer bereitgestellt werden.
Ich sehe mit Sorge auf die Energiepolitik der Ampelregierung: Wie wollen Sie die beschleunigte Energiewende in den Griff bekommen? Wir hören zwar von Ihnen, die erneuerbaren Energien müssten weiter ausgebaut werden, doch derzeit fürchten zum Beispiel die Biogaserzeuger um ihre Existenz. Die von Ihnen geplante rückwirkende Erlösabschöpfung, die auf den Umsatz berechnet werden soll, zerstört das Vertrauen und die Lebensgrundlage derer, die auf diese Technologie gesetzt haben.
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Wer wie Sie seine energie- und finanzpolitischen Maßnahmen nicht im Zusammenhang denkt, macht keine gute Politik, macht keine nachhaltige Politik.
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Ich bin außerdem besorgt, weil Sie die Kernkraftwerke nur noch bis April im Streckbetrieb laufen lassen.
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Kernkraft und Biogas sorgen für gesicherte Leistung, die wir derzeit noch als Backup dringend benötigen. Wind und Sonne sind eben nicht immer verfügbar, und ausreichende Speicherkapazitäten fehlen bisher.
Wir werden daher die Beratung Ihres Gesetzentwurfs ebenso kritisch wie konstruktiv begleiten. Dieses Vorhaben muss ein Erfolg werden; das schulden Sie den Menschen im Rheinischen Revier. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion setzt sich darum für einen soliden Strukturwandel statt einer isolierten Abschaltung ein.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat nun Dr. Nina Scheer das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Koalitionsvertrag hat sich die Ampelkoalition vorgenommen, den Kohleausstieg idealerweise auf 2030 vorzuziehen. Damit verbunden ist natürlich auch eine zügige Umsetzung. Mit dem heute in erster Lesung zu beratenden Kohleausstiegsbeschleunigungsgesetz nehmen wir uns einen Teil dessen vor, indem wir das Rheinische Revier fokussieren und einen entsprechend vorgezogenen Ausstieg in dieser Region vornehmen.
Wenn man sich die aktuelle Lage anschaut – es ist schon angeklungen –, erkennt man eine Entwicklung dahin gehend, dass aus Gründen der Energiesicherheit das Vorhalten von Reserven bzw. von Kohleenergie temporär nötig ist. Deswegen möchte ich hier noch mal betonen, dass es sich um eine temporäre Angelegenheit handelt; denn in diesen Zeiten wird manchmal geunkt, dass das alles nicht so richtig niet- und nagelfest sei, was hier gemacht wird. Es ist sehr wohl ein Unterschied, ob man hier gesetzliche Rahmenbedingungen schafft, die einem soliden Ausstieg aus der Kohle bis 2030 den Weg ebnen – mit allem, was dazugehört –, oder ob man aus einer akuten Notsituation heraus temporäre Hilfsmaßnahmen ergreift, die mögliche Ausfälle, mögliche Minderversorgung kompensieren. Das ist ein großer Unterschied; das möchte ich hier noch mal ganz deutlich machen.
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Insofern sind die Kraftwerksmengen auch klar beziffert: Es geht um zwölf Kohlekraftwerke mit einer Leistung von knapp 7 Gigawatt zusätzlich. Die Braunkohlekraftwerke erzeugen zunächst einmal bis 30. Juni 2023 und die Steinkohlekraftwerke bis maximal März 2024 diese kurzfristig herauszuholenden Mengen.
Ich möchte jetzt aber noch kurz darauf eingehen, wie der beschleunigte Kohleausstieg bis 2030 im Rheinischen Revier strukturiert ist. Hinsichtlich der Organisation hat es eine Verständigung zwischen dem nordrhein-westfälischen Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie und RWE gegeben. Uns liegt eine Einigung vom 4. Oktober 2022 vor. Diese Einigung wird in Form eines öffentlich-rechtlichen Vertrages auch gesetzliche Grundlage werden. Darin ist unter anderem vorgesehen, dass die Kraftwerksblöcke Niederaußem K und Neurath F, deren Stilllegungspfad nach dem aktuellen gesetzlichen Stand spätestens am 31. Dezember 2038 enden müsste, nun schon zum 31. März 2030 stillgelegt werden.
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Ich habe gerade schon erwähnt, dass vor dem Hintergrund der Krise die Möglichkeit eines Stilllegungspfads bis 31. März 2024 besteht. Die Bundesregierung hat zudem bereits diese Laufzeitverlängerungs- und Reserveoptionen in der gerade genannten Form.
Man hat sich jetzt zusätzlich noch auf etwas verständigt. Das ist auch wichtig für die Regionen vor Ort, weil es sich natürlich immer auch um Regionen handelt, in denen Menschen leben; das möchte ich betonen. Es handelt sich um Braunkohletagebaugebiete, in denen Menschen leben, Natur existiert, in denen übrigens auch Windkraftanlagen ausgebaut wurden, die jetzt einer weiteren Abbaggerung zum Opfer fallen. Aber es werden auch – darauf hat man sich verständigt – Ortschaften erhalten. Das ist etwas, was man bei dieser Verständigung hervorheben muss. Das möchte ich hier kurz erwähnt haben.
Zudem ist es wichtig, zu erwähnen – und das müssen wir im Zusammenhang mit dem Kohleausstiegsbeschleunigungsgesetz meines Erachtens noch mal adressieren –, dass in dem Eckpunktepapier bzw. nach der Verständigung auch vorgesehen ist, Anpassungen an einem anderen, ebenfalls relevanten Bestandteil des Kohleausstiegs vorzunehmen, nämlich dem Strukturstärkungsgesetz. Das ist nicht Bestandteil des hier vorliegenden Gesetzentwurfs; im Kohleausstiegsbeschleunigungsgesetz ist das noch nicht enthalten. Aber neben dem Kohleausstiegsgesetz gehörte immer auch dieser zweite Teil, das Strukturstärkungsgesetz, dazu. Es gibt auch schon eine Verständigung darüber, wie dieses Gesetzespaket an den beschleunigten Kohleausstieg anzupassen ist.
Hier sind insbesondere das Investitionsgesetz für die Kohleregionen und die Schaffung nachhaltiger Wertschöpfungsketten vor Ort und die dafür erforderliche zielgenaue und zügige Mittelbereitstellung zu flankieren.
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Auch die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren für zukunftsorientierte Industrien muss hiermit einhergehen. Auch ein ganz wichtiger Punkt ist die Anpassung der flankierenden arbeitspolitischen Maßnahmen wie etwa des Anpassungsgeldes, abgekürzt APG. Das möchten wir auch ganz gerne adressieren, möglichst noch in diesem Gesetzgebungsverfahren, und zwar in einer Form, die uns parlamentarisch möglich ist, um wirklich zu gewährleisten, dass diese Maßnahmen, auf die man sich schon verständigt hat – das ist, wie gesagt, nichts, was ich mir gerade ausgedacht habe, sondern darauf hat man sich schon verständigt –, wirklich zeitnah umgesetzt werden.
Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen – das haben wir auch heute Morgen in der Debatte um die Beendigung der Atomenergie adressiert –: Es ist wichtig für den Industriestandort und auch für die Gewährleistung von Energiesicherheit, dass wir so schnell wie möglich auf erneuerbare Energien umsteigen. Deswegen müssen natürlich auch die strukturellen Veränderungen, die in den ehemaligen Kohleregionen vorzunehmen sein werden, unter der Prämisse nachhaltiger Energiegewinnungsmöglichkeiten stehen,
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um nachhaltige Arbeit mit Zukunft zu schaffen. Das ist auch eine Antwort – damit schließe ich – auf den Inflation Reduction Act in den USA; –
Kollegin, Sie sprechen auf Kosten Ihrer Fraktionskollegen.
– denn wir müssen Wertschöpfung im Land halten.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Steffen Kotré für die AfD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Minister Habeck, das ist schon ungeheuerlich, Sie wollen jetzt also der Nord Stream AG die Gasröhren wegnehmen. Ohne Grund. Sie sagen: Das ist eine Enteignung. – Aber wenn wir ins Gesetz gucken, sehen wir: Diese Enteignungen entbehren jeder Grundlage. Das sind schwammige Begriffe, die hier in diesem Gesetz stehen. Diese Regelungen öffnen der Willkür Tür und Tor, und das sieht man eben hieran. Da werden also der Nord Stream AG die Röhren weggenommen, und damit wird auch noch verhindert, dass eventuell eine Reparatur stattfinden kann. Aber vielleicht ist das ja gewollt. Vielleicht ist es so, dass selbst die Bundesregierung jetzt Hand in Hand geht mit denjenigen, die unsere Gasversorgung bei Nord Stream 2 torpedieren.
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Die Bundesregierung macht also nicht nur die weltdümmste Energiepolitik; sie macht auch eine sehr, sehr gefährliche Politik der Zerstörung unserer Energieversorgung. Nun soll die Braunkohle acht Jahre vor dem ausgehandelten und gesetzlichen Termin abgeschaltet werden, und das ist eben noch dümmer als ohnehin.
Wir haben auch eine Bundesregierung, die die deutschen Interessen mit Füßen tritt. Wie sonst soll man es denn bezeichnen, dass die Bundesregierung die staatsterroristischen Anschläge auf Nord Stream einfach hinnimmt?
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Für alle Beobachter ist klar: Uns haben Verbündete angegriffen. Die Ostsee wird von der NATO ausgeleuchtet. Da schwimmt kein Fisch ungesehen hindurch, und so kann es nicht anders sein, als dass die Informationen ja bei der NATO liegen müssen. Aber die werden einfach nicht abgefragt.
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Was macht die Bundesregierung stattdessen? Sie ärgert sich, dass sie das nicht Putin in die Schuhe schieben kann.
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Sie lässt die Schuldigen laufen, sie nimmt den Schaden in Kauf, sie macht uns damit lächerlich in der Welt.
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Wer vertraut uns denn noch? Wer traut uns denn noch Stabilität zu, wenn wir hier den Schwanz einkneifen
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und kuschen? Das, meine Damen und Herren, ist an Erbärmlichkeit nicht zu überbieten.
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Die Bundesregierung versucht nun, abzulenken. Sie schreibt auf ein Gesetz „Energiesicherungsgesetz“ drauf, und in Wirklichkeit brauchen wir dieses Gesetz nicht. Die Bundesregierung hat ja selbst die Energieverknappung zu verantworten, könnte den Gashahn wieder öffnen, den Strom mit Kohle und Kernenergie fließen lassen, tut sie aber nicht. Sie will lieber enteignen. Aber das ist ja das Merkmal von Links-Grün: eher umverteilen, als Werte schaffen.
Die Politik der Ampel ist verlogen. Sie spricht davon, die Versorgungssicherheit zu stabilisieren; aber mit der Abschaltung der Kernenergie und dem Kohleausstieg tut sie genau das Gegenteil. Sie spricht von Transparenz; aber das Wirtschaftsministerium verweigert widerrechtlich die Einsicht in wichtige Dokumente und Unterlagen. Sie sagt, dass sie die Umwelt schützen will, stellt aber überall Windindustrieanlagen auf und holzt dafür Wälder ab.
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Die Kernkraftwerke sollen abgeschaltet werden, obwohl selbst die Experten in den Ministerien davon abgeraten haben. Und dass der Wirtschaftsminister Habeck diese Fakten verschleiert, die Offenlegung verhindert und dabei ausgerechnet das Umweltinformationsgesetz mit Füßen tritt, das legt die Heuchelei der Bundesregierung so richtig offen.
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Von Transparenz, Umweltschutz und Demokratie spricht diese Bundesregierung nur; in Wirklichkeit verschleiert sie, schädigt die Umwelt und letztlich auch die Demokratie, meine Damen und Herren.
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Im vorliegenden Gesetzesentwurf will sich die Bundesregierung die Möglichkeit der Enteignung von beweglichen Sachen absegnen lassen, um Notmaßnahmen durchzuführen. Dazu gehört garantiert nicht der Diebstahl der Röhren von der Nord Stream 2 AG. Diese Notmaßnahmen wären gar nicht notwendig ohne die Politik der Bundesregierung. Ohne die Verachtung der Souveränität Deutschlands würde kein anderer Staat zum Beispiel Nord Stream 2 angreifen. Ohne die Politik der Energieverknappung gäbe es letztendlich keine Engpässe, meine Damen und Herren.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Die Bundesregierung hat keinerlei Existenzberechtigung mehr vor diesem Hintergrund.
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Die AfD wird alles dafür tun, bald wieder eine patriotische, zukunftsgewandte und für das Volk da seiende Politik zu machen. Dafür steht die AfD.
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Das Wort hat der Kollege Michael Kruse für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Dieser Redeslot ist ja Fluch und Segen zugleich. Man hat immer die Möglichkeit, mit ein paar Vorurteilen, mit dem, was hier gerade erfunden wurde, aufzuräumen. Das habe ich mir heute auch als Ziel gesetzt.
Ich habe mich, nachdem ich mir systematisch die AfD-Reden angeschaut habe, mal damit auseinandergesetzt, was Sie uns eigentlich alles vorgeworfen haben. Dann habe ich das, was wir schon alles erledigt haben, danebengelegt. Und siehe da: Wir haben in diesem Jahr in der Energiepolitik und vor allem für die Energiesicherheit in diesem Land mehr Dinge erledigt, als Sie überhaupt zu kritisieren in der Lage sind.
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Weil das so viel ist, werde ich meine gesamte Redezeit darauf verwenden, Ihnen einmal zu sagen, was wir schon alles getan haben.
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Wir haben im Gasbereich Vorgaben für die Gasspeicherfüllstände gemacht. Wir haben den Erwerb von Gasmengen über die THE organisiert und damit die Speicherbefüllung auf 99,6 Prozent – Stand heute – vorangetrieben. 99,6 Prozent – wer hätte das gedacht?
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Wir haben die Sicherung der Gasspeicher vor russischem Einfluss durch die Treuhandverwaltung ermöglicht. Wir haben dafür gesorgt, dass die Gasspeicher nicht ohne Genehmigung außer Betrieb genommen werden können. Wir haben die Gasimporte erhöht: aus Norwegen, aus den Niederlanden. Wir haben die LNG-Importe aus der ganzen Welt diversifiziert. Wir haben dafür gesorgt, dass in der Nordsee neue Gasfelder erschlossen werden können. Und ja, wir sind im Bereich des LNG-Imports Kooperationen mit unseren Nachbarländern eingegangen. Wir haben die Pipelines umgerüstet. Wir sorgen jetzt dafür, dass die Pipelines Gas auch von Westen nach Osten transportieren können, siehe beispielsweise Frankreich.
Wir haben das LNG-Beschleunigungsgesetz auf den Weg gebracht, und wir haben damit für einen schnelleren Ausbau der Pipelines gesorgt. Wir haben die FSRUs an den Start gebracht. In Wilhelmshaven geht es Ende 2022 los, die zweite FSRU in Wilhelmshaven. Sie merken, ich habe gar nicht genug Zeit, um das alles zu erzählen.
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Die FSRU in Brunsbüttel wird noch Ende 2022 in Betrieb gehen. Wir haben eine FSRU in Lubmin; eine zweite FSRU in Lubmin ist geplant. Wir sorgen jetzt dafür, dass wir auch die Rohre dafür haben, damit diese FSRUs uns Gas liefern können. Denn anders als Russland sind diejenigen, die die FSRUs betreiben, ja willens und in der Lage, uns Gas zu liefern.
Wenn Sie das auch nicht wollen, dann wollen Sie in Wahrheit nicht, dass wir Gas in diesem Land haben. So einfach ist es.
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Wir haben auch in Stade eine FSRU in Anbahnung für Mitte, Ende 2023. Wir haben den Bau von festen LNG-Terminals in den nächsten Jahren auf den Weg gebracht. Dabei sorgen wir dafür, dass sie nicht nur Gas importieren können, sondern auch Wasserstoff-ready sind, zum Beispiel für Ammoniak, ein Wasserstoffderivat.
Wir haben mit 738 Millionen Euro in dieser Nacht, in der Bereinigungssitzung, dafür gesorgt, dass wir auch im kommenden Haushalt eine ordentliche Finanzierung für den Hafenbau und den Ausbau der LNG-Infrastruktur zur Verfügung haben.
Wir haben die Stützung und Übernahme von Uniper organisiert. Wir haben Insolvenzen in diesem Bereich verhindert.
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Wir haben Anreize geschaffen zur Verbrauchsminderung, bei Industrie und auch bei privaten Endverbrauchern.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das hier ist die stolze Ergebnisliste einer Ampelkoalition, die so viel im Energiebereich auf den Weg gebracht hat wie die letzten drei Regierungen zusammen nicht. Das nächste Mal, wenn ich mehr Redezeit habe, geht es weiter mit Strom und Öl.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Auch die FDP unterstützt jetzt ein Gesetz, das notfalls Enteignung ermöglicht, wenn es die Versorgungssicherheit mit Strom, Gas und Treibstoffen erfordert. Respekt, FDP!
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Bürgerinnen und Bürger, für Die Linke war stets klar: Daseinsvorsorge darf nicht der Profitlogik unterworfen werden. Die Energiewirtschaft gehört unter gesellschaftliche Kontrolle. Jeden Tag sieht man an der Tankstelle, wie Konzerne ihre Macht missbrauchen. Die explodierenden Preise bei Strom-, Gas- und Ölprodukten wurden zu einem erheblichen Teil durch Spekulation verursacht.
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Shell, Total, EON und andere missbrauchen ihre Marktmacht, um maximal abzuzocken. Dass Gashändler vor Europas Küsten 30 vollbeladene LNG-Schiffe zurückhalten und für steigende Preise Gas künstlich verknappen, ist unerträglich.
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Der Markt regelt eben nicht alles.
Jetzt, in der Energiekrise, ausgelöst durch Russlands Angriffskrieg und Spekulanten, schlägt die Koalition vor, Konzerne und Produkte zu enteignen, wenn es für die Energieversorgung notwendig ist. Das ist richtig.
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Aber dass die Koalition beim Lebensnerv Energieversorgung nach den Erfahrungen dieses Jahres noch immer auf private Konzerne setzt, ist absolut unverständlich. Die Bevölkerung, kleine und mittlere Unternehmen haben keinen Bock, weiter abgezockt zu werden. Die Menschen wollen eine Enteignung der Abzocker, wie Die Linke es seit Jahren fordert.
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Nutzen wir Artikel 14 Absatz 2 und 3 des Grundgesetzes! Vergesellschaften wir die Energiewirtschaft, und zwar jetzt!
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Kolleginnen und Kollegen, der Klimawandel kennt auch bei unseren aktuellen Energieproblemen keinen Halt. Seine Folgen – Hitze, Dürre und Überschwemmungen – sind unübersehbar. Die Linke bleibt dabei: Kohleausstieg bis 2030. Fast würde ich mich über den entsprechenden Gesetzentwurf freuen. Die vorgeschlagene Beschleunigung des Kohleausstiegs verringert aber leider nicht die Menge der Kohle, die verbrannt werden wird.
Liebe Grüne, so wie es ist, bleibt das Gesetz wirkungslos. Da müssen Sie nachbessern. Notwendig wäre es, Deutschland in zwei Strompreiszonen, in Nord und Süd zu trennen – das würde die Sektorkopplung fördern und zu einem schnelleren Ersetzen der Kohlekraftwerke durch erneuerbaren Strom führen –, den Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung mit Wasserstoffelektrolyse und anderen Speichern zu verbinden, damit wir eben keine Kohlekraftwerke mehr als Notreserve benötigen. Und wir fordern ein anderes Energiesystem, das flexible Erzeugung mit flexiblem Verbrauch kombiniert, mit bezahlbaren Kosten, sozial und gerecht.
Vielen Dank.
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Für die SPD-Fraktion hat nun Bengt Bergt das Wort.
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Moin, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Werte AfD, ich glaube, man muss Ihnen mal den Unterschied zwischen Enteignung und Diebstahl erklären. Es wird seit Jahrzehnten in Deutschland enteignet. Das hat nichts mit Diebstahl zu tun. Im Infrastrukturbau ist das ganz normal: Wenn Autobahnen irgendwo lang müssen und man muss die Flächen haben, dann wird das bezahlt. Das ist etwas ganz Normales.
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Denn privates Eigentum ist ein hohes Gut. Es genießt den besonderen Schutz unserer Verfassung. Dieser Schutz ist Basis für Vertrauen und Wertschöpfung in unserem Land. Enteignungen sind schwere Eingriffe in diese Eigentumsrechte – so weit, so klar –, und deswegen sind sie auch nur in einem wirklich engen verfassungsrechtlichen Rahmen nach Artikel 14 des Grundgesetzes überhaupt möglich, und zwar mit einer entsprechenden Entschädigung. Alles andere würde das Vertrauen in unseren Rechtsstaat gefährden, werte Damen und Herren; denn der Staat hat den Auftrag, das Eigentum zu schützen.
Aber es gibt Szenarien, in denen wir das Vertrauen in unseren Rechtsstaat nur gewährleisten, indem wir für das Interesse aller die Interessen Einzelner zurückstellen. Es ist dabei wichtig, dass wir dieses konkrete Mittel auch in Krisenzeiten nutzen können; denn in so einer Krise – ich glaube, das ist unbestritten – befinden wir uns jetzt. Darum brauchen wir die Novelle des Energiesicherungsgesetzes, die wir gerade vorbereiten.
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Denn wir mussten nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine lernen, dass Privateigentum nicht nur geeignet ist, Marktinteressen zu befriedigen und ein Angebot für die Nachfrage sicherzustellen. Nein, wenn es um kritische Infrastrukturen wie Gasspeicher, Pipelines und Ähnliches geht, kann das auch als Waffe eingesetzt werden. Darum haben wir im Frühjahr reagiert – das wurde gerade schon genannt –: Wir haben die damalige Gazprom Germania auf gesetzlicher Grundlage unter staatliche Kontrolle gestellt. Das war auch richtig so, das war gut, und es hat uns das beschert, was wir jetzt haben: Wir haben gerade die absurde Situation, dass wir so viel Gas verfügbar haben, dass der Preis in den Keller gerauscht ist. Wir sind bei 9 Cent auf dem Spotmarkt, wir sind auf den Terminmärkten sogar bei 12 Cent pro Kilowattstunde.
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Jetzt machen wir uns auf den Weg, dafür zu sorgen, dass die Preise auch bei den Verbrauchern ankommen, und zwar über die Gas- und Strompreisbremse; das wurde schon gesagt. Auch das ist ein staatlicher Eingriff. Die Möglichkeiten der staatlichen Eingriffe zur Treuhand und zur Enteignung, die wir für Infrastrukturen und für Energieträger geschaffen haben, haben das gesellschaftliche Vertrauen also nicht geschwächt, sondern ganz im Gegenteil: Sie haben es gestärkt. Das war ein wesentlicher Beitrag für mehr Versorgungssicherheit in Deutschland, meine Damen und Herren.
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Nun zeichnen sich kritische Infrastrukturen dadurch aus, dass sie eine besondere Bedeutung haben – sonst würden sie nicht „kritisch“ heißen –, und sie sind wichtig für die Gewährleistung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens in diesem Land. Die von mir gerade angesprochenen Gasspeicher und Pipelines gehören dazu, in dieser Krise allemal. Aber es gibt auch kritische Güter. Das sind Güter, die unerlässlich dafür sind, dass wir die Infrastruktur überhaupt nutzen können. Ich meine Güter, die zwar wichtig, aber auch sehr knapp am Markt sind und im Extremfall auch nicht mehr zu beschaffen sind, wie zum Beispiel diese Rohre. Mit der Änderung des Energiesicherungsgesetzes müssen wir es in irgendeiner Weise schaffen, diese Rohre in unseren Besitz zu bringen, um damit die Sicherheit dieses Landes gewährleisten zu können.
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Das wird alles vergolten werden, das wird alles bezahlt werden. Damit stärken wir die Versorgungssicherheit in Deutschland weiter, meine Damen und Herren.
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Anders gesagt: Während sich die Union mit Strafen für Klimakleber beschäftigt, kümmert sich die Ampelkoalition um die großen Herausforderungen in diesem Land.
Die Enteignung kritischer Güter ist zugegebenerweise sehr riskant und sehr abstrakt. Aber sie muss gemacht werden, damit wir sicherstellen können, dass wir weiterkommen in diesem Land und dass wir die Produktion und die einzelnen Heizungen im Land laufen lassen können. Deswegen haben wir auch frühzeitig entschieden, LNG-Infrastruktur an den deutschen Küsten aufzubauen, um Flüssiggas beziehen zu können: Wilhelmshaven, Brunsbüttel, Stade, Lubmin; das muss ich jetzt nicht alles wiederholen. Von den Speichern, in denen das Gas dann eingespeichert wird – in Jemgum, Etzel, Kraak und vielen anderen –, wird es ins Netz gespeist, und wir werden damit gut durch den Winter kommen. Das ist ein Erfolg dieser Ampel.
Es ist aber trotzdem ein Problem, dass auch die beste Infrastruktur noch gebaut werden muss. Damit die Fließbänder laufen, damit die Wohnungen warm bleiben, müssen die schwimmenden Terminals mit dem Gasnetz verbunden werden. Und da haben wir die große Herausforderung; denn wir alle kennen die angespannte Situation auf dem Weltmarkt. Wir sehen, was in Sachen Stahlproduktion los ist, und wir wissen, wie viele stahlrohrproduzierende Firmen es überhaupt noch gibt. In Deutschland gab es noch zwei; eine ist gerade ins Straucheln geraten.
Also müssen wir als Staat, als Ultima Ratio, auch in der Lage sein, privates Eigentum zu nutzen, um diese Infrastruktur zu bauen und das wirtschaftliche und soziale Leben in diesem Land aufrechtzuerhalten: Opfer im Kleinen bringen, um das große Ganze zu schützen. Ja, Enteignungen sind schwere Eingriffe in das Privateigentum. Darum bin ich auch der Meinung, dass wir diese Eingriffe nur in Krisen vornehmen dürfen. Trotzdem ist es aber wichtig, dass wir aktuell eventuell Einzelne belasten, um Schaden von allen abzuwenden. Denn das ist unser Auftrag hier im deutschen Parlament. Wir sind die Vertretung aller hier in Deutschland. Das muss im Mittelpunkt stehen.
In diesem Sinne vielen Dank.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. Georg Kippels das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir als Rheinländer würde an einem 11.11. nachmittags um diese Zeit eigentlich eher der Sinn nach Frohsinn, Freude und Geselligkeit stehen. Das kann er aber nicht, weil wir keine normalen Zeiten haben. Wir haben die Aufgabenstellung, uns mit sehr ernsten, elementar wichtigen Fragestellungen für unser Wirtschaftssystem und auch für unsere Gesellschaft zu beschäftigen. Deshalb bin ich sehr dankbar, gerade auch als Vertreter des Rheinischen Reviers heute zu diesem Thema hier sprechen zu dürfen.
In Ihren Eingangsbemerkungen, Herr Minister, haben Sie die Fragestellung, mit der wir konfrontiert sind – nämlich auf der einen Seite dem Klimawandel Rechnung zu tragen und auf der anderen Seite eine durch die Kriegslage in der Ukraine erschwerte Stromversorgung hier vor Ort auszubauen, zu revitalisieren oder sicherzustellen –, recht nüchtern und sachlich beschrieben. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Aber erst im weiteren Verlauf der Debatte ist eigentlich deutlich geworden, dass diese Thematik in ihrer historischen Entwicklung – nämlich der Strukturwandel – eine weitere wichtige Facette dieses gesamten Prozesses ist.
Erinnern wir uns doch bitte an das Jahr 2018, in dem die Kohlekommission mit der Aufgabenstellung ins Leben gerufen worden ist, die Energiewende zu gestalten, den Kohleausstieg als planbaren strukturierten Prozess aufzunehmen
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und im weiteren Verlauf den Umbau des gesamten Wirtschaftssystems unter Einbindung der Unternehmen und vor allen Dingen der Mitarbeiterschaft zu gestalten. Erinnern wir uns auch, dass zum damaligen Zeitpunkt, nach diesem sehr ausgewogenen gesamtgesellschaftlichen Kompromiss, noch ein Zeitraum bis 2038 als angemessen betrachtet wurde. Eigentlich alle Beteiligten – die 28 Akteure dieser Kohlekommission – gingen davon aus, dass diese doch wirklich ausgewogenen Betrachtungen dazu führen könnten, dass mit Ablauf der Arbeit Anfang des Jahres 2020 und dann im Gesetzgebungsverfahren im Frühsommer 2020 mit dem Kohleausstiegsgesetz und mit dem Strukturstärkungsgesetz eigentlich allgemeiner Konsens und Zufriedenheit eintreten würden.
Das war in der Tat nicht so. Die Klimadiskussion hat an Fahrt aufgenommen. Das ist nachvollziehbar, und wir haben wahrscheinlich alle die derzeitigen Beratungen in Kairo sehr aufmerksam verfolgt. Insofern haben wir eine vollkommen andere Ausgangslage. Wir haben bedrohliche Versorgungssituationen durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine zu gewärtigen. Wir müssen die allgemeine Wirtschaftslage, die Inflation und auch Lieferketten sowie allgemeine geopolitische Krisensituationen auf dem Handelsmarkt unter Kontrolle bekommen, und gleichzeitig müssen wir uns dieser Aufgabenstellung aus dem Jahre 2018 jetzt unter vollkommen veränderten Bedingungen widmen. Die Finanzlage ist eine andere. Die Auswirkungen der Coronapandemie sind unverändert noch vorhanden.
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Also ist es unverzichtbar, dass wir dies, genauso wie das in der Vergangenheit passiert ist, ganzheitlich betrachten.
Insofern bin ich Frau Kollegin Dr. Scheer sehr dankbar, dass sie im Rahmen ihres Redebeitrags – wahrscheinlich in Erinnerung an die Verhandlungen aus der letzten Legislaturperiode um die beiden Gesetze – erkannt hat, dass ich nicht auf der einen Seite einfach nur Blöcke an- oder abschalten kann, sondern dass das ein Bestandteil unseres gesamtgesellschaftlichen Wirtschafts- und Personalgefüges ist und dass ich alle Beteiligten, die darin Verantwortung übernehmen wollen – Unternehmer, KMUs, natürlich auch Investitionsgesellschaften, aber auf der anderen Seite eben auch die Arbeitnehmerschaft als ausführende Mitwirkende –, in diesen Prozess sozialverträglich einbinden muss.
Die Stichworte, die damals in der Kohlekommission prägend waren und die gesamte Diskussion geleitet haben, waren: Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit für alle Beteiligten, Sozialverträglichkeit für die Arbeitnehmerschaft und Umweltverträglichkeit der technischen Maßnahmen. Lassen Sie uns deshalb hier und heute in dieser Diskussion, auch wenn der Titel nur den Kohleausstieg erfasst, genau diesen Fragestellungen sehr viel Aufmerksamkeit widmen. Lassen Sie uns das gemeinschaftlich in einem aber auch wirklich ausgewogenen Gesetzgebungsverfahren behandeln, damit nicht nur die Entscheidungen im Raume stehen, sondern auch diejenigen, die an diesem Prozess verantwortlich mitwirken müssen, mitgenommen werden.
Erinnern wir uns vor allen Dingen an das damalige Versprechen, das mit dem Bericht der Kohlekommission abgegeben wurde, dass in diesem ganzen Prozess, auch heute unter den veränderten Bedingungen, niemand ins Bergfreie fällt.
Herzlichen Dank und Glück auf!
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Das Wort hat der Kollege Konrad Stockmeier für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem Gesetzespaket ergreift die Ampel eine weitere Maßnahme, um in Zeiten des Energiekrieges und sehr hoher Inflation das heimische Energieangebot auszuweiten. Das ist von zentraler Bedeutung. Das wollen und müssen wir als verlässlicher Akteur am Strommarkt in der EU tun.
Sie wissen, meine Damen und Herren, dass wir Freie Demokraten uns in diesem Zusammenhang auch bezüglich der Kernkraftwerke mehr hätten vorstellen können. In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, liebe Wählerinnen und Wähler, möchte ich noch mal klarstellen, was das Selbstverständnis der Freien Demokraten in Zeiten des Energiekrieges ist, nämlich einerseits zielsicher, pragmatisch und schnell auf die Krise zu reagieren und andererseits Betrieben und Haushalten eine wirklich begehbare Brücke in eine klimaneutrale Energieversorgung zu bauen. Das erfordert Maßnahmen, die wir in normalen Zeiten so nicht ergriffen hätten.
In diesem Zusammenhang muss ich insbesondere folgende Anmerkung an den grünen Koalitionspartner richten: Dieses Gesetzespaket umfasst auch, dass Lützerath der Kohle weichen wird – und ich betone an dieser Stelle: leider. Mitglieder Ihrer Partei haben in NRW damit um Zustimmung geworben, dass das genau so nicht kommen wird, entweder wider besseres Wissen, was ich unaufrichtig finde, oder aus einer Realitätsverweigerung heraus, was ich in Zeiten des Krieges unverantwortlich finde.
Dabei sage ich Ihnen in aller Klarheit: Ich bitte Sie herzlich, in der weiteren Arbeit an der Bewältigung der Kriegsfolgen solche Verhaltensweisen wirklich hinter sich zu lassen.
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Das sind wir den Menschen in Europa, in der Ukraine und in Deutschland schuldig – für Wohlstand, für Frieden, für gesellschaftlichen Zusammenhalt und auch für die Freiheit.
Herzlichen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Außenpolitiker der Union hatten gestern die Chance, mit dem Chef von MINUSMA, mit Herrn Wane, über den Einsatz zu sprechen. Wir haben in diesem Gespräch die große Sorge von Herrn Wane verspürt, dass, wenn sich nach Frankreich nun weitere Nationen aus diesem Einsatz abmelden würden, die Situation in Mali zusehends unhandhabbar wird. Deshalb sind wir dringend dazu aufgefordert worden, unseren Beitrag weiter zu leisten.
Er hat auch von den Schwierigkeiten berichtet, die er hat, bestimmte Kernelemente der Unterstützung zu bekommen; wir wissen das auch. Wir können in diesem Einsatz nicht zufrieden sein mit der Frage der Helikopterunterstützung, der Luftnahunterstützung. Das wird im Augenblick von El Salvador und dann schon bald von Bangladesch geleistet, deren Soldaten sicherlich hoch engagiert sind, die aber beim Umgang mit dem Gerät, was ihnen dafür zur Verfügung steht, nicht an das heranreichen, was eigentlich unser Maßstab ist.
Wir haben diesen Antrag hier im Deutschen Bundestag gestellt, weil wir wissen, dass es bei allen Fraktionen, auch bei denen, die diesen Einsatz unterstützen, große Bauchschmerzen gibt wegen der gegenwärtigen Situation dieses Einsatzes. Unsere Soldaten sind angesichts der gegenwärtigen Lage – ich hatte das Thema Luftnahunterstützung angesprochen – letztlich gezwungen, viel Arbeit im Camp zu vollbringen, statt tatsächlich effektiv bei den Menschen in Mali zu wirken.
Wir haben Schwierigkeiten mit der malischen Regierung. Frau Agnes Strack-Zimmermann, die FDP-Ausschussvorsitzende des Verteidigungsausschusses,
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hat im Sommer kritisiert, das Verteidigungsministerium würde mit einer anderen Stimme als das Außenministerium mit der Regierung in Bamako reden. Wir beobachten, dass die Regierung in Bamako Unterstützung von russischen Söldnertruppen bekommt – Truppen, von denen wir wissen, dass sie vor Völkerrechtsbrüchen und vor der Missachtung von Menschenrechten nicht zurückschrecken. Das können keine Partner von MINUSMA, keine Partner der deutschen Bundeswehr in der Region sein.
Bei diesen ganz vielen offenen Fragen hat uns die Bundesregierung im Mai einen Antrag zur Fortsetzung des Mandates vorgelegt, der letztlich keine wesentlichen Veränderungen vorgesehen hat. Sie hat angekündigt, dass für den Fall, dass bestimmte Parameter nicht eingehalten werden, der Einsatz überprüft werden muss. Wir stellen fest, dass einzelne Parameter dieses Einsatzes nicht eingehalten werden können, zum Beispiel das Thema Luftnahunterstützung. Trotzdem gibt es seitens der Bundesregierung keinen neuen Ansatz, keine Weiterentwicklung des Konzeptes in Sachen Mali.
Unser Antrag soll dazu beitragen – ich möchte es wirklich als Einladung an die anderen Fraktionen verstehen –, dass wir in den nächsten Wochen doch tatsächlich diesen Einsatz in der Form evaluieren, dass wir uns überlegen: Kann er so weitergehen? Ich glaube, nein. Und wenn er weitergeht, was unser Ziel sein muss, müssen wir uns überlegen: In welcher Form muss er weitergeführt werden?
Ganz konkret stelle ich zum Beispiel die Frage: Wenn wir solche Schwierigkeiten haben, die notwendige Luftnahunterstützung zu bekommen, und auf Nationen wie El Salvador und Bangladesch angewiesen sind, warum können wir als Bundesrepublik Deutschland dies nicht selbst mit unseren Tiger-Kampfhubschraubern und unseren NH90-Transporthubschraubern leisten? Mir will nicht in den Kopf, warum wir nicht in der Lage sind, diesen Schritt zu gehen. Das wäre ein kraftvolles Zeichen auch gegenüber den Vereinten Nationen.
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Die Situation in Mali ist ausgesprochen fragil. Wir wissen aber, dass, wenn es zu einem totalen Kollaps der Region käme, wir nicht nur massive negative Auswirkungen auf die Bevölkerung, die Menschen in der Region und auf die Entwicklung dieser Region insgesamt hätten, sondern auch die Terrorgefahr wieder steigen würde – weltweit. Denn der Terror richtet sich natürlich auch gegen Industrienationen. Nicht zuletzt könnten viele Menschen gezwungen sein, ihr Land zu verlassen, was wir auch nicht wollen.
In diesem Sinne wünsche ich uns eine gute Beratung dieses Antrags und hinterher eine breite Mehrheit dafür.
Danke schön.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich grüße Sie alle herzlich an diesem Freitagnachmittag. Ich sehe Sie in aller Frische.
Wir fahren in der Debatte mit Dr. Karamba Diaby für die SPD-Fraktion fort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Weltgemeinschaft schaut derzeit auf die Klimakonferenz in Ägypten. Die Folgen der Klimakrise treffen besonders den Globalen Süden. Im Frühjahr habe ich mir bei einer Reise nach Mali und Niger selbst ein Bild der dramatischen Lage machen können. Es ist unsere Pflicht, dort Verantwortung zu tragen, wo die humanitäre Versorgungslage besonders schlecht ist. Die Sahelregion ist nicht nur durch die Klimakrise geschwächt. Die Menschen dort und speziell in Mali sind auch durch eine fragile Sicherheitslage gefährdet. Deswegen begrüße ich, dass wir heute erneut über unser Engagement in Mali sprechen. Aber in Ihrem Antrag, liebe Union, beziehen Sie sich wieder einmal stark auf die Themen Migration und Sicherheit und argumentieren damit an den wirklichen Ursachen und Herausforderungen vorbei.
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Sie fordern eine Evaluation nach der anderen. Ich sage: Wir können uns auch überevaluieren. Stattdessen sollten wir unseren Blick in die Zukunft richten und nach adäquaten Lösungen und Alternativen suchen. Daher begrüße ich den Vorstoß des UN-Generalsekretärs Guterres, MINUSMA durch eine Nachfolgemission der Afrikanischen Union zu ersetzen. Darüber, liebe CDU/CSU, diskutieren wir in meiner Fraktion übrigens schon seit Ende September. Fest steht: Eine AU-Mission könnte zentraler Baustein dafür sein, dass die jetzige Mission in Mali schrittweise ausläuft.
Was bedeutet das? Erstens. Die Nachfolgemission braucht finanzielle, logistische und materielle Unterstützung der internationalen Partner. Zweitens. Eine politische Transition und die Umsetzung des Friedensabkommens müssen weiterhin Ziel bleiben. Drittens. Ein Übergang muss Schritt für Schritt und eng mit MINUSMA sowie mit Mali abgestimmt werden.
Aber die AU-Mission in Mali wird nicht von heute auf morgen realisierbar sein. Deswegen ist es wichtig, den Einsatz der Bundeswehr nicht übereilt zu beenden oder nach Niger zu verlegen, wie einige das vorschlagen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nein, Afrika ist kein Problemkontinent mehr, den wir finanziell unterstützen müssen, damit wir Migrationsströme abwehren. Das afrikanische Selbstbewusstsein steckt längst nicht mehr in den Kinderschuhen, es hat sich emanzipiert. Ich nenne dafür drei authentische Stimmen. Erste Stimme. Der Präsident der Afrikanischen Union, Macky Sall, machte auf dem Forum für Frieden und Sicherheit in Dakar deutlich, dass Afrika nicht mehr auf externe Akteure zählen könne, stattdessen müssten Lösungen von innen heraus entwickelt werden. Zweite Stimme. Herr Musah, der Kommissar von Frieden und Sicherheit der ECOWAS, fragte: Warum immer im Außen nach Lösungen suchen? Dritte Meinung. Frau Darnal vom Stimson Center fasst zusammen: Lösungen müssen von lokalen Akteuren definiert werden. Sie müssen auch von lokalen Akteuren umgesetzt werden. Internationale Akteure sollten unterstützen, aber die Führung muss aus Afrika kommen.
Ich sage: Das neue afrikanische Selbstbewusstsein müssen wir respektieren, wenn wir ein langfristiger Partner sein wollen. Mit Blick auf das internationale Geschehen wird klar: Mali ist nicht isoliert. Mali hat erkannt, dass ein Alleingang mit Russland nicht zielführend ist. Das merken wir auch bei einigen Veröffentlichungen. Mali ist auch mit Frankreich und den regionalen Organisationen im Austausch.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine wertegeleitete Außenpolitik bedeutet für mich nicht Abzug, sondern Engagement und Verantwortung. Engagement und Verantwortung heißt für mich auch, dass wir den Transitionsprozess in Mali aktiv unterstützen. Erst gestern habe ich mit dem Leiter von MINUSMA, Herrn Wane, über den Einsatz in Mali gesprochen. Er betonte, dass die 2024 geplanten Neuwahlen gefährdet sind, wenn wir uns jetzt militärisch zurückziehen.
Ziel unserer Mission ist, dass es den Menschen vor Ort besser geht. Das bleibt auch weiterhin dringend notwendig; denn 2 000 Schulen mussten in Mali schließen, und 1,2 Millionen Menschen sind vom Hunger dort bedroht. Es ist also entscheidend, dass wir unserer internationalen Verantwortung sowohl auf der Weltklimakonferenz als auch bei den multilateralen Friedensmissionen nachkommen.
Deshalb: Lassen Sie uns im Gespräch bleiben; denn es ist wichtig, dass wir Entscheidungen treffen, bei denen wir die Menschen in Mali und afrikanische Organisationen einbeziehen.
Danke schön.
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Für die AfD-Fraktion erhält das Wort der Abgeordnete Joachim Wundrak.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag befasst sich heute wohl zum sechsten Mal in diesem Jahr mit den Bundeswehreinsätzen in Mali und im Sahel, dieses Mal auf Antrag der Union. Ich darf daran erinnern, dass wir, die AfD-Fraktion, diese Einsätze in jeder dieser Debatten in diesem Hause als gescheitert bezeichnet und dringend den Abzug der deutschen Soldaten aus Mali gefordert haben.
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Die Union stellt nun in ihrem Antrag ebenfalls fest, dass die Einsätze MINUSMA und EUTM völlig gescheitert sind, da sich nach mehr als neun Jahren die sicherheitspolitische Gesamtlage nicht nur nicht verbessert hat, sondern ein regionalpolitischer Scherbenhaufen festzustellen ist.
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Weiter wird festgestellt, dass alle anderen westlichen Akteure ihre Truppen bereits abgezogen haben
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oder den Abzug planen. Präsident Macron hat erst vor zwei Tagen das offizielle Ende der Operation Barkhane verkündet. Die dadurch entstandenen Fähigkeitsverluste haben die Gefährdungslage in einem Maße erhöht, dass die Bundeswehr ihren Auftrag in Mali nicht erfüllen kann.
Statt aber nach der zutreffenden Analyse dieses Desasters die einzig logische Konsequenz zu ziehen, nämlich die sofortige Beendigung der Einsätze und den Abzug der deutschen Soldaten zu fordern, ergeht sich der Antrag der Union in Forderungen nach Entwicklung von neuen Strategien und zusätzlichen Evaluationen. Die Union muss sich an dieser Stelle die Frage gefallen lassen: Welche umfassende Strategie für Mali und den Sahel hat sie denn in all den Jahren entwickelt, in denen sie für die Einsätze verantwortlich war?
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Statt den Abzug zu fordern, wird im Antrag unterstellt, dass wohl das Engagement der internationalen Gemeinschaft in Mali nicht groß genug gewesen sei.
So wird die Bundesregierung in diesem Antrag der Union aufgefordert, Fähigkeitslücken zu identifizieren und für das Schließen dieser Fähigkeitslücken zu sorgen. Dies würde in der Konsequenz – wir haben das eben auch schon gehört – die weitere und signifikante Erhöhung des deutschen militärischen Beitrags in Mali bedeuten, da, wie gesagt, alle anderen westlichen Akteure die richtige Konsequenz gezogen haben, nämlich den Abzug. Wir kennen dieses Phänomen der schleichenden Auftragserweiterung, des Mission Creep, aus anderen Einsätzen zur Genüge. Wir sollten dem Beispiel der Franzosen folgen, die auch in Afghanistan rechtzeitig vor der Katastrophe ausgestiegen sind.
Schließlich wird dann der Antrag der Union richtig abenteuerlich: Zur Schließung der militärischen Fähigkeitslücke bei der „Luftnahunterstützung“ wird die Bundesregierung aufgefordert, unverzüglich am Markt verfügbare Hubschrauber zu beschaffen – für eine Fraktion, die in den letzten 30 Jahren überwiegend Verantwortung für die Bundeswehr und damit auch für die Rüstung getragen hat, eine wirklich erstaunlich unrealistische Forderung.
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Wie lang sollen die Soldaten in Mali denn auf die zu beschaffende Luftunterstützung warten? Dies wäre nach meiner Erfahrung eher in Jahren als in Monaten zu beziffern. Aus meiner Sicht ein absoluter Unsinn.
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Wir lehnen den Antrag der Union daher ab, obwohl wir der Analyse der Situation in Mali weitgehend zustimmen können; denn mit den vorgeschlagenen Maßnahmen der Ausweitung des Einsatzes werden Sie den Einsatz in Mali weder politisch noch militärisch zum Erfolg führen können. Sie werden scheitern und noch mehr Schaden anrichten, materiell und an Leib und Leben unserer Soldaten.
Wir empfehlen dagegen, unserem Antrag zuzustimmen und die Bundeswehreinsätze in der Sahelzone schleunigst zu beenden. Ich wiederhole hier meine Forderung an die Bundesregierung vom Frühjahr dieses Jahres.
Aber bitte sehr schnell, Herr Abgeordneter.
Holen Sie die Truppe aus der Sahelzone zurück, bevor wir das Scheitern dieser Mission außer mit Milliarden von Euro auch mit Leib und Leben unserer Soldaten bezahlen müssen! Wir haben Wichtigeres zu tun, –
Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss.
– nämlich die Konzentration auf Landes- und Bündnisverteidigung. Dies ist der verfassungsgemäße Auftrag der Bundeswehr. Deutschland wird eben nicht im Sahel verteidigt.
Ich danke für die Aufmerksamkeit. – Ich danke für die Geduld.
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Das Wort hat Merle Spellerberg für Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele von uns hier haben am Dienstag wie jedes Jahr vor Weihnachten auf den gelben Bändern des BundeswehrVerbandes wieder unsere Verbundenheit mit den Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz niedergeschrieben. Diese Bänder sind jetzt wieder auf dem Weg, unter anderem in den Norden Malis, in das Camp Castor in Gao. Ich bin dem BundeswehrVerband sehr dankbar, dass wir so auch abseits dieser Reden im Plenum und unserer Gespräche mit der Truppe vor Ort die Gelegenheit haben, diese Verbundenheit und unseren höchsten Respekt vor dem Einsatz zum Ausdruck bringen zu können.
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Denn gerade auch Mali – das wissen wir hier alle – ist die gefährlichste Mission, in der die Bundeswehr derzeit aktiv ist. Das dürfen wir niemals vergessen. Deswegen würde ich eigentlich auch gerne sagen, dass ich froh bin, an dieser Stelle wieder darüber sprechen zu können. Ich hatte allerdings tatsächlich ein bisschen Schwierigkeiten, den Zeitpunkt nachzuvollziehen. Der Kollege Karamba Diaby ist darauf schon eingegangen. Die UN-Mission wird evaluiert. Sinnvoll wäre es, dann noch einmal darüber zu sprechen.
Die Militärregierung ist für uns ein mindestens unbequemer Partner. In der Zusammenarbeit – das ist kein Geheimnis – haben wir in den letzten Monaten immer wieder mit Problemen und Behinderungen umgehen müssen: mangelnde Überfluggenehmigungen, Verhinderung von Rotation. Das lag in Teilen aber eben auch an der Umstellung der Verfahren auf UN-Ebene und daraus resultierenden Verzögerungen, nicht ausschließlich an mangelndem Goodwill der Transitionsregierung. Dass Mali etwa die Hoheit über seinen eigenen Luftraum haben will, ist erst einmal nachzuvollziehen, gerade auch mit Blick auf die koloniale Vergangenheit. Doch was nicht im Sinne der malischen Regierung sein kann, ist, die Arbeit der Mission so zu erschweren, wie es eben in Teilen passiert ist. Deswegen ist es unfassbar wichtig, dass wir Schritt für Schritt wieder daran arbeiten, die Zusammenarbeit zu verbessern.
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Wir brauchen eben abseits dessen eine bessere Aufstellung des Mandates. Wir brauchen auch selber eine bessere Aufstellung im MINUSMA-Hauptquartier und – auch das wurde schon angesprochen – die Zusammenarbeit mit der Afrikanischen Union.
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Es ist unfassbar wichtig und gut, dass auf UN-Ebene MINUSMA evaluiert wird. Wenn das passiert ist, müssen auch wir daraus unsere Schlüsse ziehen und uns anpassen. Die UN braucht es als Stabilitätsanker in der Region. Denn wer, wenn nicht die Afrikanische Union und die Vereinten Nationen kann diese Rolle hier verantwortungsbewusst übernehmen? Russland wohl kaum.
Eine Sahelstrategie, wie Sie sie fordern, braucht es definitiv. Da gibt es unsererseits gar keine Differenzen. Deswegen arbeitet das Auswärtige Amt kontinuierlich auch daran.
Das 2015 verabschiedete Friedensabkommen von Algier hat durchaus einige Erfolge vorzuweisen und Sicherheit und Stabilität in Teilen hervorgebracht. Trotzdem bleibt die Gesamtlage herausfordernd. Anschläge durch Terrorgruppen sind gerade im Norden Malis leider Alltag. Zu oft müssen Menschenleben beklagt werden. Die wirtschaftlichen Probleme sind tiefgehend und die staatlichen Strukturen höchst instabil. Aber gerade in Gao gibt es bekanntermaßen wenige Anschläge. Dort herrscht mehr Sicherheit. Dazu tragen unsere Truppen durch ihre Präsenz bei.
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Was wir am Anfang des Jahres bei der Reise der Außenministerin immer wieder gehört haben: Vertrauen in den Staat kommt nicht einfach nur durch Wahlen. Ja, Wahlen sind wichtig. Aber wenn weder deine Sicherheit geschweige denn deine Freiheit und das Recht auf Entfaltung gewährleistet sind, dann liegen die Prioritäten häufig erst mal woanders. Was sowohl Soldatinnen und Soldaten als auch die Menschen vor Ort immer wieder gesagt haben: Im Norden ist Bamako ziemlich weit weg. – Deswegen ist es wichtig, dass wir dort sind, dass wir unterstützen.
Um Stabilität im Sahel zu erreichen, braucht es die Gewährleistung von menschlicher Sicherheit auf ganz vielen verschiedenen Ebenen. Dazu trägt MINUSMA als Gesamtansatz der UN bei, und Deutschland trägt zu MINUSMA bei.
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Die Debatte über die Weiterführung und Strategie ist eine, die wir im globalen Kontext führen müssen. Das betrifft sowohl die Ausstattung als auch die Ausrichtung für eine dauerhafte Stabilität in der Sahelzone zusammen mit den beitragenden Staaten in den Vereinten Nationen. Wenn wir jetzt überstürzt die Zelte abbrechen und unsere Partner/-innen zurücklassen, dann verlieren wir zum einen das Ansehen unserer internationalen Partner/-innen, zum anderen das Vertrauen der Menschen in Mali, und vor allem hinterlassen wir zusätzlich ein Vakuum, das Russland nur zu gerne füllen würde. Auch das kann nicht im Interesse unserer Sicherheitspolitik sein.
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Ich würde an dieser Stelle in meiner verbleibenden Zeit gerne wirklich noch auf konkrete Vorschläge und Ideen in Ihrem Antrag eingehen, aber es sind einfach nicht so viele zu finden.
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– Ja, wir haben ihn gelesen. – Falls Sie doch noch Ideen haben, dann würde ich mich tatsächlich freuen, diese gemeinsam im Ausschuss zu diskutieren; denn zum Beispiel die russischen Desinformationskampagnen, die Sie angesprochen haben, sind ein Problem. Wenn Sie da also doch noch Ideen haben, dann freue ich mich, darüber in den Austausch zu kommen.
Am Ende steht für uns fest: Das Mandat MINUSMA ist für uns kein Selbstzweck und darf es niemals sein. Wir unterstützen Mali wertegeleitet, für Sicherheit, für Stabilität, den Schutz von Menschenrechten und Menschenleben. Wir unterstützen die Menschen in Mali.
Danke.
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Für Die Linke spricht Andrej Hunko.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Ich habe ein bisschen ein Déjà-vu. 20 Jahre lang wurde uns hier immer wieder der Afghanistan-Einsatz schöngeredet. Mittlerweile gibt es eine Enquete-Kommission, die diesen Einsatz aufarbeitet. Was dabei herauskommt, ist zum Beispiel, dass eine ehrliche Evaluierung und auch eine Konsequenz aus dieser ehrlichen Evaluierung über die 20 Jahre gefehlt haben. Etwas Ähnliches möchte ich jetzt beim Einsatz in Mali nicht erleben.
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Wir diskutieren heute einen Antrag außerhalb der üblichen Mandatsverlängerung, einen Antrag der CDU/CSU, der in seiner Analyse völlig eindeutig ist. Ich zitiere:
Trotz inzwischen neunjähriger MINUSMA-Mission und intensiver Unterstützung Malis im Rahmen der European Training Mission (EUTM) MALI sind keine Verbesserungen erkennbar.
Und:
Auch regionalpolitisch zeigt sich ein Scherbenhaufen, sowohl was die Situation in einzelnen Staaten anbelangt als auch die Beziehungen Bamakos zur Region.
Und so weiter und so fort. Der ganze Analyseteil ist eine Abrechnung mit dem Einsatz, den Sie selbst über viele Jahre hier vorangetrieben haben.
Eigentlich wäre die Konsequenz – was die meisten westlichen Akteure mittlerweile gemacht haben, vor allen Dingen die Franzosen –, sich aus diesem Einsatz zurückzuziehen.
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Aber Sie fordern die Beschaffung von Hubschraubern, um diesen Einsatz militärisch noch mehr auszustatten. Ich halte das für falsch.
Die Reden, die Frau Spellerberg und Herr Diaby hier gehalten haben, erinnern mich auch sehr an die Debatte zu Afghanistan. Es wurde immer schöngeredet, es wurde gesagt: „Wenn wir jetzt abziehen, dann wird es noch schlimmer“; am Ende war das Fiasko viel größer. Aber es gibt einige Aspekte in den Reden, die ich teile: Ich teile die Kritik am CDU/CSU-Ansatz, Mali und die Sahelzone ausschließlich unter sicherheitspolitischen Aspekten zu sehen. Ich teile die Kritik an der immer noch bestehenden kolonialen Attitüde, mit der gegenüber diesen Staaten umgegangen wird. Ich habe das hier schon mal gesagt: Die Staaten in der Region emanzipieren sich zunehmend und bestehen auf ihre Souveränität. Insofern teile ich auch den Ansatz von Macky Sall aus dem Senegal, dass die Lösungen von innen kommen müssen.
Ich fasse das alles zusammen: Wir haben über 4 Milliarden Euro in diesen Mali-Einsatz investiert. Wenn man sich vorstellt, dass diese Ansätze zivil genutzt worden wären, wären wir, glaube ich, sehr viel weiter.
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Ich denke, es ist gut, dass wir über Mali diskutieren, aber dieser Militäreinsatz in Mali sollte eher früher als später beendet werden.
Vielen Dank.
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Für die FDP-Fraktion erhält das Wort Alexander Graf Lambsdorff.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Hunko, wenn dieser Antrag eines nicht ist, dann ist es: eindeutig. Aber er enthält einen Kernsatz, der, glaube ich, der Ausgangspunkt der Debatte ist; er sollte jedenfalls der Ausgangspunkt der Debatte sein. Ich stimme diesem Kernsatz vollumfänglich zu. Der lautet wie folgt:
Gleichwohl bleibt die Stabilität der Sahel-Region im Sicherheitsinteresse Deutschlands und Europas. Die Folgen wachsender Instabilität und zunehmender Migration werden in Europa unmittelbar zu spüren sein.
Das stimmt, das ist so. Aber was folgt daraus? Daraus folgt, dass wir ein Engagement in der Region brauchen, und zwar ein Engagement im vernetzten Ansatz, das politische, entwicklungspolitische, militärische und sicherheitspolitische Komponenten zusammendenkt. Das ist die Konsequenz aus diesem Kernsatz des Unionsantrages.
Dann kommen wir zu einer Diskussion über die Instrumente; die kann man führen. Das eine Instrument, das wir haben, nimmt interessanterweise den Gedanken des vernetzten Ansatzes schon im Namen auf. Das „I“ in „MINUSMA“ heißt „Intégrée“; es ist die Mission Intégrée, die integrierte vernetzte Mission der Vereinten Nationen in Mali.
Fangen wir mit dem Politischen an. Die politische Unterstützung der Vereinten Nationen für die Gewährleistung von Grunddienstleistungen an die Bevölkerung ist unentbehrlich; Bamako alleine kann es zurzeit ohne die Vereinten Nationen nicht leisten. Es gibt einen Übergangsplan zur Demokratie mit einem Wahlkalender: ein Verfassungsreferendum im März, Kommunalwahlen im Juni, Parlamentswahlen im November und im Februar 2024 die Präsidentschaftswahlen – all das unter Ägide der Vereinten Nationen. Das ist der demokratische, der politische Fahrplan.
Militärisch – das problematisiert der Antrag zu Recht, und wir diskutieren es in der Koalition ja genauso –: Klar, es gibt Probleme – und man darf sie auch nicht kleinreden – mit der Rotation, mit MedEvac, mit der Luftnahunterstützung, mit der Bürokratie, mit den Drohnen. Ich war gerade über eine Woche in diesen drei Ländern – Mali, Burkina Faso und Niger – unterwegs. Ich habe dem Außenminister von Mali sehr klar gesagt und diesen Punkt sehr deutlich gemacht: Für die Entscheidung darüber, ob unsere Soldatinnen und Soldaten bleiben können, muss sich das verbessern. – Er hat das auch konstruktiv aufgenommen.
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Ich hoffe, dass sich daraus was entwickelt, genauso wie aus dem Gespräch mit dem speziellen Vertreter des Generalsekretärs, Herrn Wane, mit dem wir uns vor einigen Tagen hier in Berlin getroffen haben.
Was Sie allerdings im Antrag über die Präsenz im Feld schreiben, liebe Union, ist schlicht falsch. Sie schreiben, es gäbe keine Präsenz der Bundeswehr im Feld wegen der Probleme, die es an der einen oder anderen Stelle gibt. Das stimmt einfach nicht. As we speak – während wir hier stehen –, ist die Aufklärungskompagnie in Ansongo im Einsatz in einer vierwöchigen Mission zur Sicherung der Straße von Mali nach Niger. Die sind draußen im Feld in einem vierwöchigen Einsatz außerhalb des Lagers. Also, es ist nicht ganz so schlecht, wie Sie es hier teilweise anklingen lassen.
Der dritte Punkt im militärischen Kontext. Sie schreiben: Es sind russische Söldner in Gao. – Ich war selbst in Gao, ich habe es gesehen; ich bin am Eingang des Camps vorbeigefahren. Aber jetzt mal im Ernst: Ein paar russische Söldner können doch nicht ausschlaggebend dafür sein, wie wir über 1 200 Bundeswehrsoldaten entscheiden. Entschuldigung!
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Wir bewundern die ukrainische Armee für ihren Widerstand, ihren Kampf gegen die russischen Streitkräfte. Dann kommen drei Dutzend Söldner, und wir ziehen unsere Leute deswegen zurück? Nein, im Gegenteil. Das russische Engagement in Afrika ist ja Teil eines großen Einkreisungsplans gegen Westeuropa.
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Belarus, Serbien, Syrien, Libyen, Algerien, die Zentralafrikanische Republik, jetzt auch Mali: Russland verfolgt eine Politik zur Kontrolle der Migrationsrouten. Erinnern wir uns bitte an die Bilder von der belarussisch-polnischen Grenze. Das war ein ganz kleiner Vorgeschmack auf das, was passiert, wenn wir den Russen die Kontrolle im Sahel überlassen. Von daher glaube ich: Das kann keine Antwort sein. Es kann kein Kriterium sein, wegen ein paar Söldnern, die sich in so ein großes Konzept einfügen, jetzt den Rückzug anzutreten. Das darf nicht passieren!
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Sie verlangen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, eine Evaluierung. Da kann ich Sie beruhigen: Die läuft. Innerhalb der Bundesregierung wird sie im Dezember kommen. Innerhalb von MINUSMA selber wird man eine Evaluierung machen, die wird im Januar dem Sicherheitsrat vorgelegt. Wir werden beides hier im Deutschen Bundestag debattieren und daraus auch unsere Schlüsse ziehen.
Das Fazit, meine Damen und Herren. Wir brauchen eine Diskussion über die Instrumente. Wie sind wir wo erfolgreich? Wir brauchen ein regionales Engagement. Die Lage in Mali ist schwierig. In Burkina Faso haben wir eine Beratermission der Bundeswehr. Wir haben in Niger zurzeit die Mission Gazelle, wo wir uns jetzt zurückziehen und unser Footprint erheblich kleiner wird. Wir brauchen den vernetzten Ansatz; wir müssen Sicherheit, Entwicklung und Politik weiterhin zusammendenken. Und – das ist ein Punkt, wo ich dem Unionsantrag zustimme – wir brauchen eine strategische Orientierung. Auch ich würde mir deswegen eine Sahelstrategie aus dem Auswärtigen Amt wünschen, die wir hier im Deutschen Bundestag debattieren und mit der wir die öffentliche Debatte führen können.
Herzlichen Dank.
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Für die CDU/CSU erhält das Wort Armin Schwarz.
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Hochverehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben diesen Antrag einbringen müssen, weil die Bundesregierung keine Entscheidung darüber trifft, wie es mit unserem militärischen Einsatz in Mali weitergeht. Es ist ein Zaudern, ein Zögern, ein vages Andeuten aus der Regierung zu hören; aber es gibt keine klare Aussage.
Man hört aus dem grün geführten Außenministerium, man möchte unsere Soldatinnen und Soldaten in Mali belassen. Dafür gibt es gute Gründe; Kollege Graf Lambsdorff hatte eben gerade darauf hingewiesen, dass es dafür sehr gute Gründe gibt. Aus dem rot geführten Verteidigungsministerium hört man Tendenzen, man würde unsere Soldatinnen und Soldaten lieber nach Hause holen. Der Bundeskanzler schweigt – mal wieder.
Ich sage sehr deutlich: In dieser Situation ist es geboten, eine klare Aussage zu treffen; denn man braucht eine Entscheidung. Ich will sehr deutlich darauf hinweisen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es wurde uns zugesagt, dass im Herbst dieses Jahres eine Entscheidung seitens der Bundesregierung darüber getroffen werden soll, wie es mit unserem Mali-Engagement weitergeht. Ich halte es auch für richtig, dass das so gesagt wurde. Nur: Wir haben mittlerweile November, und eine Aussage oder eine Tendenz ist nicht erkennbar.
Ich begrüße es, dass wir jetzt hören, dass eine Strategie für die Sahelzone vorgelegt werden soll. Dazu fordern wir ja auch ausdrücklich auf. Aber es wird dann auch Zeit, meine Damen und Herren. Insofern bitte ich Sie sehr: Geben Sie diesbezüglich Gas im Interesse unserer Soldatinnen und Soldaten!
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Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Leidtragenden sind in der Tat unsere Soldatinnen und Soldaten. Auch hohe Militärs sagen hinter vorgehaltener Hand: Für einen gefährlichen Auslandseinsatz braucht man Klarheit. Man muss auch – Herr Kollege, ich teile diese Einschätzung ausdrücklich – zeigen, welche Instrumente man hat, und klar sagen, welche Kooperationen man hat, mit welchen Partnern innerhalb von MINUSMA man agiert. Ich bin da ausdrücklich Ihrer Auffassung. Nur, das muss dann auch geschehen.
Gestatten Sie mir daher einen Blick auf die aktuelle Lage vor Ort. Ich stelle fest: Nach langem Hin und Her ist jetzt für November wieder die Möglichkeit gegeben, mit Überflugrechten für Personalrotation zu sorgen und Versorgungsflüge zu starten. Ich sage: Gott sei Dank. Dann frage ich aber auch: Was ist mit Heron 1? Unsere Aufklärungsdrohne bleibt am Boden. Weswegen ist das so? Weil offensichtlich Moskau nicht möchte, dass wir mit unseren Heron‑1-Drohnen wissen, was die „Wagner“-Gruppe dort macht. Man muss das in dieser Deutlichkeit artikulieren. Das bedeutet, wir sind ohne Bild ausgestattet.
Sie müssten das jetzt bitte zusammenfassen. Ihre Redezeit ist schon überschritten.
Ich komme zum letzten Satz.
Ja, das wäre gut.
Es gibt noch so viel zu sagen, Frau Präsidentin. Selbstverständlich, ich fasse zusammen: Es ist eine ernste Situation. Wir müssen eine konzertierte Aktion fahren, und vor allen Dingen müssen wir für unsere Soldatinnen und Soldaten Klarheit schaffen. Das sind wir ihnen schuldig.
Und der allerletzte Satz:
Aber jetzt müssen Sie wirklich zum Schluss kommen.
Unsere Interessen werden natürlich mit allen Risiken auch in der Sahelzone vertreten. Und insofern bitte ich sehr, liebe Bundesregierung: Kommen Sie zu einer entsprechenden Bewertung! Die Soldatinnen und Soldaten und die Region werden Ihnen dafür danken.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Nächster Redner ist Christoph Schmid für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie Sie es vermutlich schon geahnt haben oder wissen – ich bestätige es Ihnen gerne –: Ich komme aus Bayern. Und wenn es eine Konstante in der bayerischen Landespolitik gibt, dann die Tatsache, dass dort im Landtag gute und sinnvolle, noch dazu vernünftig ausgearbeitete Anträge der Oppositionsparteien zunächst von der CSU niedergestimmt und dann ein halbes Jahr später als eigene Anträge und Ideen verkauft werden. Das ist tatsächlich die einzige Konstante, die es dort gibt.
Dreimal dürfen Sie raten, worauf ich heute gehofft hatte, als es hieß: Von der Union kommt ein Antrag zur Sahelzone. Zwar arbeiten wir schon lange an Lösungen für die Situation in der Sahelzone, aber ich gebe zu: Ich hatte eine gewisse Hoffnung, eine kleine Hoffnung, dass in Ihrem Antrag der eine oder andere Aspekt enthalten sein könnte oder ausgearbeitet würde, den man in die Überlegungen miteinfließen lassen könnte. – So kann man sich täuschen. Das, was Sie uns da vorgesetzt haben, ist inhaltlich weder relevant noch neu, und sprachlich ist es zumindest in Teilen fragwürdig.
Den Einsatz militärisch zum Erfolg führen zu wollen, klingt für mich und für viele andere dann doch zu sehr nach billigem Säbelrasseln, wenn der Erfolg, den man sich dann erwartet, überhaupt nicht klar und präzise definiert wird. Und das haben Sie ganz einfach nicht gemacht. Also mache ich es für Sie. Was bedeutet für Sie politischer Erfolg, und was erhoffen Sie sich von militärischem Erfolg? Weil Sie es eben nicht ausbuchstabiert haben, kann ich es nur zwischen den Zeilen des Antrags herauslesen. Ich will es an zwei Beispielen greifbar machen. Sie schreiben, dass für eine Wirkung in der Breite des Landes – ich zitiere – „zum einen das Engagement der internationalen Gemeinschaft und zum anderen die innenpolitische Stabilität Malis sowie die Mitwirkungsbereitschaft der malischen Regierung nicht groß genug“ waren.
Wäre jetzt also die Änderung dieses Zustands der von Ihnen erhoffte politische Erfolg? Zumindest vermute ich das. Warum sagen Sie das dann aber nicht? Vor allem aber sagen Sie uns nicht, wie Sie das erreichen wollen.
Beim militärischen Erfolg, den Sie erringen wollen, würde ich folgenden Satz als Messlatte für die von Ihnen erhofften Verbesserungen nehmen. Ich zitiere:
De facto gibt es nun keine robuste Mission unter westlicher Führung, die einen Verfolgungsdruck gegenüber den terroristischen Gruppen aufrechterhält.
Mal unabhängig davon, dass man hier hineininterpretieren könnte, dass Sie von der Bundeswehr eine aktive Rolle bei der Terrorbekämpfung in Mali erwarten würden, hätte ich in einem möglicherweise ein wenig naiven Politikverständnis jetzt erwartet, dass Sie dann zumindest auch beschreiben, wie Sie diesen militärischen Erfolg anstreben – aber auch hier: War wohl nichts.
Sie folgen dem Rest Ihres Antrages, nämlich schwammig zu formulieren, nichts präzise zu definieren und vorab leider auch nicht genügend zu recherchieren; denn am Ende Ihres Antrags stellen Sie zwei Forderungen auf, mit denen sich der Deutsche Bundestag jetzt an die Regierung wenden soll. Davon sind die meisten entweder durch vergangenes oder andauerndes Regierungshandeln bereits erledigt, liegen in der Zuständigkeit der EU oder der UNO und eben nicht bei uns, oder es sind schlicht und ergreifend Plattitüden. Beispiele gefällig? – Gerne.
Forderung 1 bis 4: Die Sahelstrategie ist, wie von Frau Spellerberg erwähnt, längst in Arbeit. Auch die Gespräche mit der Regierung in Niger zu einer möglichen Nachfolge für die Mission Gazelle laufen auf Hochtouren.
Bei Forderung 4 haben Sie anscheinend vergessen, warum wir, im Übrigen mit Ihrer Zustimmung, gemeinsam entschieden haben, EUTM auslaufen zu lassen und so gut wie beendet haben.
Die Forderungen 11 und 12 liegen dagegen ganz und gar in der Verantwortung der Vereinten Nationen, nämlich MINUSMA tatsächlich so auszugestalten, wie es die UN auch erwarten würde.
Umso wichtiger ist es, dass die Verteidigungsministerin und auch die Außenministerin – und da bin ich ihnen sehr dankbar – in den Gremien der UNO und bei den Gesprächen auf internationaler Ebene auch den Finger in die Wunde legen und definieren, wo wir den Nachholbedarf sehen: Probleme bei der Rotation, fehlende Überfluggenehmigungen, aufgrund der fehlenden Luftunterstützung geringere, ja manchmal auch kaum mehr vorhandene Operationsfähigkeit. Das ist für unsere Soldatinnen und Soldaten nicht nur ärgerlich, sondern im schlimmsten Fall sogar ein Risiko.
Darum bin ich der Bundesministerin, aber auch der Wehrbeauftragten sehr dankbar, dass sie klar artikuliert haben, dass wir dort schnelle Lösungen erwarten. Ich darf an der Stelle allen Soldatinnen und Soldaten danken, die in Mali im Einsatz sind oder waren: Ich versichere Ihnen, dass wir um unsere Verantwortung für Ihren Einsatz wissen.
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Welche Lösungen gibt es aber nun? Sicherlich nicht die platteste aller Antworten, wie von Herrn Wundrak formuliert,
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nämlich sofort abzuziehen. Wir wissen alle, dass es keine Schwarz-Weiß- oder Ja-Nein-Antworten gibt.
Ja, Herr Kollege Schwarz, für Lösungen und für Entscheidungen braucht man Grundlagen. Ich glaube, Karamba Diaby hat bereits den sehr guten Vorschlag erwähnt, den auch Gabriela Heinrich aufgegriffen hat: das Ganze tatsächlich in eine robuste Mission der AU, der Afrikanischen Union, zu überführen. Dafür braucht es aber auch eine Übergangsperspektive und ein aktives Engagement Deutschlands in der Region. Wir werden als SPD-Fraktion daher gemeinsam mit der Regierung an echten Lösungen arbeiten, die in Mali und der Sahelzone eben nicht so leicht zu erreichen sind.
Nach der Kritik aber gerne auch das Angebot: Ich freue mich, wenn die Parteien aus der Mitte des Hauses gemeinsam Deutschlands internationaler Verantwortung, der Verantwortung für die Sahelregion und der Verantwortung für unsere Soldatinnen und Soldaten gerecht werden wollen. Ich freue mich daher auf die weiteren Diskussionen im Ausschuss; vielleicht kommt da noch was Konstruktiveres.
Danke für die Aufmerksamkeit.
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Letzter Redner in dieser Debatte ist Thomas Silberhorn für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sie können ein bisschen was gutmachen, indem Sie vielleicht nicht ganz so lange reden.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich verstehe nicht ganz, Herr Kollege Schmid, weshalb Sie so einen belehrenden Ton in diese Debatte bringen. Diesen Einsatz in Mali tragen viele Fraktionen dieses Bundestages seit fast zehn Jahren gemeinsam,
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und dem letzten Antrag auf Mandatsverlängerung haben auch wir im Mai dieses Jahres zugestimmt.
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Aber zum 31. Mai nächsten Jahres laufen diese Mandate aus, und deswegen ist jetzt der richtige Zeitpunkt, eine kritische Bestandsaufnahme einzufordern und zu fragen, wie denn unsere Zusammenarbeit in den Sahelstaaten künftig aussehen soll und ob ein weiteres militärisches Engagement in Mali überhaupt Sinn macht.
Lassen Sie mich vorab sagen: Die Sahelregion erfordert weiter unsere uneingeschränkte Aufmerksamkeit in Europa, und es ist klar, dass unsere Unterstützung notwendig bleibt. Aber insbesondere die Lage in Mali muss uns zunehmend Sorge bereiten. Es war nicht möglich, nach dem Abzug der französischen Kräfte der Mission Barkhane unsere Ausbildungsmission der Europäischen Union in Mali fortzusetzen.
Auch die Vereinten Nationen können ihren Stabilisierungsauftrag nur eingeschränkt wahrnehmen. Das Militärregime hat sich ausgerechnet die russische Söldnergruppe Wagner ins Land geholt, die derzeit damit beschäftigt ist, in Russland Strafgefangene und übrigens auch ausländische Söldner für den Angriffskrieg in der Ukraine zu rekrutieren. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass die Terrorismusbekämpfung in Mali durch diese Kräfte keine Fortschritte erzielt.
Herr Kollege Lambsdorff, es geht nicht um ein paar Söldner der russischen Wagner-Gruppe, sondern es geht um die Haltung der malischen Regierung. Die malische Regierung hat nämlich gleichzeitig den Einsatz der Bundeswehr und anderer VN-Truppen immer wieder massiv behindert. Wenn die Rettungsketten nicht eingehalten werden können, wenn die Versorgung eingeschränkt wird, wenn lange geplante Personalrotationen immer wieder verzögert werden, dann müssen wir doch mit aller Deutlichkeit feststellen: Hier werden rote Linien systematisch und immer wieder überschritten. Deswegen stellt dieses Verhalten der malischen Regierung unser Engagement infrage.
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Meine Damen und Herren, genau deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt, die Vorbereitungen für eine geordnete Beendigung des Einsatzes zu treffen. Dazu muss man ja in der Lage sein, wenn man das will. Wenn es eine Nachfolgemission der Afrikanischen Union gibt, dann würde ich das sehr begrüßen. Es wäre ein starkes Signal für die Afrikanische Union, zur Stabilisierung auf dem eigenen Kontinent beizutragen, und das würde neue, andere Möglichkeiten der Unterstützung für uns eröffnen. Aber selbst dann würde eine Fortsetzung der militärischen Unterstützung für Mali nur dann Sinn machen, wenn die malische Regierung mit den internationalen Truppen kooperiert, anstatt ihre Bemühungen zu konterkarieren.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.
Ich will nur sagen, dass unsere Angebote für Mali wie für Niger vergleichbar sind. In Niger ist die Ausbildung sehr erfolgreich.
Herr Kollege, bitte ein letzter Satz.
Wir können eben mit unserer Unterstützung nur verstärken, was vor Ort gelingt. Aber wir können die eigene Anstrengung nicht ersetzen. Diese eigene Anstrengung müssen wir vehement von Mali einfordern.
Vielen Dank.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir brauchen nicht drum herumreden: Es war noch nie so schwierig, ein ambitioniertes Ergebnis bei einer Weltklimakonferenz zu erreichen. Noch nie hat eine Klimakonferenz unter so schwierigen geopolitischen Vorzeichen stattgefunden. Der russische Angriffskrieg hat überall zur Spaltung geführt und vor allen Dingen bestehende Krisen wie die der Ernährungssicherheit weiter verschärft.
Aber zugleich ist genauso richtig: Selten war eine Klimakonferenz so wichtig wie heute.
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Denn die Klimakrise verschärft bestehende Krisen und Konflikte vom Sahel bis nach Afghanistan. Schon jetzt werden dreimal mehr Menschen durch die Klimakrise vertrieben als durch Konflikte. Im Südirak zum Beispiel ist fast die Hälfte aller kultivierbaren Flächen mittlerweile verloren. 95 Prozent der Fischbestände sind zurückgegangen. Das zeigt: Bei der Weltklimakonferenz in Scharm al-Scheich geht es um nicht weniger als um das Schicksal unseres Planeten.
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Wir haben ja, als wir als neue Bundesregierung angetreten sind, auch die eine oder andere Frage bekommen, warum wir jetzt um Gottes Willen auch noch Klimaaußenpolitik machen. Ich sage Ihnen: genau deswegen, weil bei meinen Reisen in andere Regionen der Welt nicht nur die Außenminister, sondern vor allen Dingen die Menschen vor Ort immer wieder deutlich gemacht haben: Wir verstehen, dass der russische Angriffskrieg für euch die größte Sicherheitsgefahr ist, aber für uns ist es mittlerweile die Klimakrise. – Auch unser Verhandlungsteam, das derzeit schon auf der Klimakonferenz in Ägypten ist, macht immer wieder deutlich: Viele Delegationen in Scharm al-Scheich kämpfen dort bei jeder Verhandlung buchstäblich um das Überleben ihres Landes. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns immer wieder vor Augen halten,
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dass derzeit für viele die internationalen Klimaauswirkungen eben Sicherheitsfragen sind.
Daher war es eine richtige und wichtige Entscheidung, dass wir als Bundesregierung gesagt haben: Wir können die größte Sicherheitsgefahr dieses Jahrhunderts nur gemeinsam als Bundesregierung anpacken. Deswegen wird die Verhandlungsdelegation jetzt vom Auswärtigen Amt als große geopolitische Aufgabe unserer Zeit geführt, aber eben im Team Deutschland. Der Bundeskanzler war gerade da. Andere Ministerinnen und Minister sind da, sind auf dem Weg, vom Entwicklungsministerium über das Umweltministerium, das Landwirtschaftsministerium, natürlich das Energie- und Wirtschaftsministerium bis zum Auswärtigen Amt.
Wir haben eine bewusste strategisch-politische Entscheidung getroffen, die Klimakrise endlich als das zu begreifen, was sie ist: die größte Sicherheitsgefahr unseres Jahrhunderts und unsere zentrale geopolitische Herausforderung. Deshalb habe ich beim Petersberger Dialog in Berlin im Frühsommer dieses Jahres auch eine bewusste strategische Entscheidung getroffen, die wir als Bundesrepublik Deutschland bisher anders gefahren haben, nämlich nicht mehr darum herumzureden, warum wir jetzt nicht über Loss and Damage, Schäden und Verluste, reden wollen, sondern deutlich zu machen: Ja, wenn die Sicherheitsgefahr vor allen Dingen durch die Industriestaaten verursacht ist, dann tragen die Industriestaaten dafür auch die Verantwortung. Deswegen haben wir uns als Bundesregierung mit Jennifer Morgan als Verhandlungsführerin so stark dafür eingesetzt, dass Loss and Damage endlich auf die Tagesordnung der Klimakonferenzen kommt.
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Das hat etwas aufgebrochen, was in der Vergangenheit viel verhindert hat, obwohl eigentlich Partner zusammengehören, weil diejenigen Länder, die mittlerweile am stärksten unter der Klimakrise leiden, auf der einen Seite standen und wir ihnen immer gesagt haben: „Lasst uns doch auch über Minderung reden“ und diese Länder auf der anderen Seite gesagt haben: „Ja, würden wir ja gerne. Aber dann erkennt doch an, dass Minderung uns jetzt auch nichts mehr hilft! Wir haben bereits die Situation wie auf Palau, dass unsere Häuser weggespült werden“. Mit diesem Aufbruch, endlich als Industriestaat der Bundesrepublik Deutschland und als Europäische Union – die EU-Delegation hat das mit aufgegriffen – Loss and Damage zu thematisieren, haben wir dieses gegenseitige Misstrauen aufbrechen können und gehen jetzt als Verstärker voran, um über Finanzierung und zugleich über Minderung zu sprechen.
Was aufgebrochen ist, zeigt sich jetzt auch in der ersten Woche der Klimakonferenz. Bei der ersten Sitzung zu Loss and Damage, die wir gemeinsam – das ist das neue Bündnis – mit unseren chilenischen Partnern dort moderiert haben, war das Interesse so groß, dass ein zweiter Saal geöffnet werden musste.
Genau diese Dynamik wollen wir jetzt für den zweiten Schwerpunkt unserer Verhandlungsführung, für die Minderung, nutzen. Dafür war es ein so wichtiges Signal, dass wir deutlich machen: Wir brauchen nicht nur Solidarität vom Globalen Süden mit Blick auf den russischen Angriffskrieg, sondern wir stehen bei der Klimafrage solidarisch für den Globalen Süden ein.
({4})
Daher auch herzlichen Dank – ich war ja heute Morgen bis fünf Uhr im Haushaltsausschuss – an die Haushälterinnen und Haushälter, dass wir die 6 Milliarden Euro im Haushalt verankert haben, ab 2025 dann jährlich. Danke, dass es jetzt einen globalen Schutzschirm gegen Klimarisiken für andere Länder gibt.
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Denn es ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass Teile pazifischer Inselstaaten vom steigenden Meeresspiegel verschluckt werden, obwohl sie – das ist die Antwort auf Ihren Zwischenruf von der AfD – so gut wie keine Verantwortung für die aktuellen Treibhausgase haben.
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Aber zugleich müssen wir deutlich machen, dass wir mit den krassesten Minderungszielen manche Schäden nicht verhindern können; sie sind da. Und umgekehrt – das war dann auch unsere Botschaft an die Staaten, die bereits so heftig betroffen sind; genau so wird ein Schuh daraus –: Ohne weitere krasse Minderungsziele werden wir niemals die Schäden der Zukunft bezahlen können.
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Es gibt gar nicht so viel Geld auf der Welt, um eine 2,7- oder 2,5-Grad-Welt, in die wir mit unseren derzeitigen Ambitionen hineinschlittern, in Zukunft zu bezahlen.
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– Zu diesem Zwischenruf hier von rechts außen: Es geht nicht darum, Sorgen zu schüren, sondern es geht darum, der Realität in die Augen zu blicken.
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Klimaschutz ist die beste Lebensversicherung. Klimaschutz rettet unsere Zukunft. Dafür treten wir gemeinsam an, mit unseren ambitionierten nationalen Zielen. Wir beschleunigen die Energiewende, wir gehen bis 2030 raus aus der Kohle, und wir werden alles dafür tun, dass nicht nur Deutschland klimaneutral wird, sondern die ganze Welt.
Herzlichen Dank.
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Das Wort erhält Dr. Thomas Gebhart für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In diesen Tagen fliegt ein Regierungsmitglied nach dem nächsten zur Klimakonferenz in Ägypten,
({0})
während die Klimapolitik hierzulande ein Glaubwürdigkeitsproblem hat und alles andere als vorbildlich ist.
2019 hat der Deutsche Bundestag ein Klimaschutzgesetz beschlossen und darin festgelegt, dass in den Bereichen, in denen CO2 emittiert wird, jährliche Einsparziele eingehalten werden müssen und die Bundesregierung mit einem Sofortprogramm nachsteuern muss, wenn in einem Jahr die Ziele nicht erreicht werden. Meine Damen und Herren, Matthias Miersch, Ihr SPD-Fraktionsvize, hat damals gesagt:
Wir werden sie
– die Ministerinnen und Minister –
nicht damit durchkommen lassen, wenn sie diese Ziele nicht erreichen.
({1})
Jetzt fragen wir heute einmal: Wie sieht die Realität der Ampelregierung denn aus? Insbesondere im Verkehrsbereich erreichen Sie die Ziele nicht.
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Sie haben im Sommer ein Sofortprogramm vorgelegt, und Ihr eigener Expertenrat hat dieses Sofortprogramm in der Luft zerrissen, weil es in keinster Weise die Anforderungen des Klimaschutzgesetzes erfüllt.
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Danach haben wir wochenlang nichts gehört. Es gab dann Eckpunkte. Sie haben sich bis heute nicht geeinigt; Sie haben bis heute kein Sofortprogramm beschlossen.
Und damit nicht genug, meine Damen und Herren. Statt die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes jetzt endlich einzuhalten, denken Sie laut darüber nach, das Klimaschutzgesetz aufzuweichen, und zwar in seinem Kern.
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Man stelle sich nur einmal ganz kurz gedanklich vor, was passieren würde, wenn eine unionsgeführte Bundesregierung sich erlauben würde, sich so zu verhalten. Ich bin mir sicher, Sie würden auf den Marktplätzen dieser Republik demonstrieren, und zwar Woche für Woche, angeführt von den Grünen – jenen Grünen, die dieses Nichthandeln heute mit zu verantworten haben.
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Meine Damen und Herren, sehen wir uns doch einmal die Politik in der Energiekrise in diesen Wochen und Monaten an. Auch dann müssen wir feststellen, dass der Klimaschutz an vielen Stellen hintenrunterfällt. Um Strom zu erzeugen, setzen Sie einseitig auf mehr Kohleverstromung. Das bedeutet einen höheren CO2-Ausstoß. Ja, in gewissem Maße brauchen wir in dieser Situation mehr Kohle; das ist klar. Aber zur Wahrheit gehört auch: Es gibt Alternativen, und wenn wir diese Alternativen nutzen würden, dann müssten wir in diesen Wochen und in den kommenden Monaten weniger Kohle verstromen. Wir würden weniger CO2 emittieren.
Ich will drei Alternativen ganz konkret nennen. Erstens: Bringen Sie doch endlich einen umfassenden Energiesparpakt auf den Weg, mit positiven Anreizen: Gutscheine für Bürger, die Energie einsparen, Prämien fürs Sparen. Weshalb gibt es das in dieser Situation noch nicht? Ein zweiter Punkt: Nutzen Sie die Potenziale der Bioenergie, und hören Sie auf, der Bioenergie in diesen Tagen erneut Steine in den Weg zu legen. Und ich nenne eine dritte Alternative: Nutzen wir in den kommenden beiden Jahren die drei Kernkraftwerke, die wir noch haben.
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Wir könnten in den kommenden Monaten weniger Kohle verstromen; wir könnten CO2 einsparen. Damit könnten Sie kurzfristig ganz konkret in Deutschland einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, und Sie würden unter Beweis stellen, dass Ihnen Klimaschutz am Ende wichtiger ist als Ihre eigene Ideologie.
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Meine Damen und Herren, der Klimawandel ist ein globales Problem. Ein Land alleine kann dieses Problem nicht lösen. Aber wir in den Industrieländern, wir in Deutschland haben eine besondere Verantwortung,
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einen maßgeblichen Beitrag zu leisten, dieses Problem zu lösen.
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Dieser Beitrag kann eigentlich nur darin bestehen,
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dass es uns gelingt, starkes Industrieland zu bleiben und gleichzeitig klimaneutral zu werden, dass es uns gelingt, Wohlstand und Wachstum zu generieren und Klimaschutz zu betreiben.
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Der Schlüssel, um das zu verbinden, liegt in technologischer Innovation. Meine Damen und Herren, sowohl vor dem Hintergrund der globalen Klimakrise als auch vor dem Hintergrund der aktuellen Energiekrise müsste das jetzt die eigentliche Antwort der deutschen Politik sein: dass wir uns besinnen auf unsere Stärken,
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dass wir voll auf technologische Innovationen setzen – erneuerbare Energien, Speichertechnologien, intelligente Stromnetze und vieles mehr.
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Holen wir doch die Wissenschaft, holen wir die Forscherinnen und Forscher,
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die Ingenieure, die Unternehmen mit ins Boot! Meine Damen und Herren, setzen wir jetzt die Rahmenbedingungen dafür, dass die Innovation vorankommt und dass sie vor allem schneller auf die Straße kommt!
Und kommen wir doch bitte einfach mal zum Ende der Rede!
Das wäre die Aufgabe der deutschen Politik, und ich appelliere an die Bundesregierung, jetzt genau das zu tun.
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Für die SPD-Fraktion erhält Adis Ahmetovic das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt kommen wir mal zurück zum Thema – Weltklimakonferenz, COP 27.
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Die Klimakrise ist eine der größten Herausforderungen in der Geschichte der Menschheit. Ihre Bewältigung ist eine Jahrhundertaufgabe.
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Diese Haltung und Überzeugung ist die Grundlage der Politik der neuen Bundesregierung.
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Als wir das Klimaabkommen von Paris im Jahr 2015 mitunterzeichnet haben, war es unser Ziel, unserem Planeten und den zukünftigen Generationen eine reelle Chance zu geben. Im Ergebnis war es so gesehen ein Erfolg: Zum ersten Mal haben sich 200 Nationen verpflichtet, gemeinsam an einer Sache zu arbeiten, einer Bedrohung für die Menschheit zu entkommen, trotz aller Spaltungen und Spannungen. Vereinbart wurden eine CO2-arme Zukunft, in der wir Treibhausgasemissionen senken, der Ausstieg aus der Kohle und Investitionen in den Ausbau von klimafreundlichen Technologien.
Mehr als 100 Länder haben versprochen, die Entforstung bis Ende 2030 zu stoppen und umzukehren. Ich setze hier insbesondere große Hoffnungen auf Brasilien. Mit dem Wahlsieg von Lula da Silva soll das Land zu einem Vorreiter im Umweltschutz werden – an dieser Stelle größte Solidarität mit Brasilien!
({3})
Auf EU-Ebene wurde das ambitionierte „Fit for 55“-Gesetzespaket beschlossen, welches vorsieht, die Emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken und bis 2050 sogar Klimaneutralität zu erreichen. Mit dem Vorsitz der G 7 kommen auch aus Deutschland diverse Initiativen. Deutschland ist bald mit 6 Milliarden Euro jährlich aus Haushaltsmitteln einer der größten Geldgeber bei der internationalen Klimafinanzierung.
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Deutschland setzt sich zudem dafür ein, dass das Versprechen der Industrieländer, 100 Milliarden Dollar pro Jahr zur internationalen Klimafinanzierung beizutragen, eingehalten wird. Für einen noch entschlosseneren Kampf gegen den Klimawandel sollen ein internationaler Klimaklub und ein globaler Schutzschirm gegen Klimarisiken eingerichtet werden.
Wir haben gemeinsam einen Ball ins Rollen gebracht. Deshalb möchte ich an dieser Stelle unserem Finanzminister Lindner, unserer Außenministerin Baerbock und unserem Bundeskanzler Scholz für das finanzielle und außenpolitische Engagement dieser Bundesregierung danken. – Vielen Dank, Frau Baerbock!
({5})
Zur bitteren Wahrheit gehört aber auch: Trotz des Klimaabkommens und weiterer nationaler Bemühungen, Emissionen zu senken, sind wir noch lange nicht am Ziel. Der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore hat recht, wenn er Anfang der Woche auf der Klimakonferenz COP 27 sagt:
Wir alle haben ein Glaubwürdigkeitsproblem.
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Wir reden, und wir fangen an zu handeln. Aber wir tun nicht genug.
Viele Länder, Deutschland inbegriffen, haben trotz Fortschritten die in Paris aufgestellten Maßgaben nicht erfüllt. Bereits jetzt liegt die globale Erderwärmung bei 1,2 Grad Celsius,
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und wir steuern auf eine Erderwärmung um 2,5 Grad Celsius zu, wenn wir nicht mehr tun. Die gravierenden sozialen und ökologischen Folgen bekommen die Menschen auf der ganzen Welt jeden Tag zu spüren. Es geht um existenzielle Fragen. – Und an dieser Stelle bitte ich um ein bisschen Demut von rechts außen; denn hier geht es auch um Menschenleben. Die ganzen unqualifizierten Zwischenrufe von der Seitenlinie machen die Sache wirklich nicht besser.
({8})
Extreme Wetterlagen, Waldbrände, lange Dürreperioden, sturzflutartige Regenfälle und Überflutungen oder verheerende Stürme beobachten wir nicht nur in Pakistan, Australien, den USA
({9})
oder Kenia, sondern auch bei uns in Deutschland,
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seien es die Überflutungen im Ahrtal ganz im Westen, die Waldbrände im Erzgebirge ganz im Osten oder eine Serie von Jahrhundertstürmen in Nord- und in Süddeutschland. Einige Teile der Welt werden auf Dauer unbewohnbar für die Menschen, was neue Migrationsmuster und eine Verschärfung von Konflikten rund um den Globus zur Folge hat.
Da macht es die Sache nicht einfacher, dass wir in Zeiten nachlassender internationaler Zusammenarbeit leben und geopolitische Spannungen sowie Nationalismus und Imperialismusgedanken in der Welt zunehmen. Der Krieg in der Ukraine führt uns das schmerzlich vor Augen. Wir leben in einer Zeitenwende, welche zu einer radikalen Neuausrichtung der Innen- und Außenpolitik Deutschlands geführt hat. Hierzu zählt unter anderem eine Neuausrichtung in der Klima- und Energiepolitik.
Meine Damen und Herren, wir können uns angesichts der brisanten Lage keinen Rückschritt, aber auch keinen Stillstand leisten. Was wir brauchen, sind weitere messbare Fortschritte. Wir als Deutschland sind gefragt. Wir müssen unsere Anstrengungen bei der Treibhausgasreduzierung weiter intensivieren. Wir müssen den globalen Ausbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft vorantreiben. Die nationalen Klimabeiträge müssen angepasst werden.
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Wir müssen uns für mehr Biodiversität und den Erhalt von Ökosystemen einsetzen. Ich betone noch einmal, dass wir die Zusage von 100 Milliarden Dollar pro Jahr für die internationale Klimafinanzierung zusammen mit unseren internationalen Partnerinnen und Partnern einhalten müssen. Nur so können wir dem Klimawandel entgegenwirken.
({12})
Die CDU/CSU meint es sicher gut, wenn sie sich um die Energiesicherheit in Deutschland sorgt und seit Monaten – und auch in diesem Antrag – wieder und wieder für einen Ausbau der Kernenergie plädiert.
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Olaf Scholz hat in seiner Rede auf der Weltklimakonferenz den Weg aber klar vorgegeben: Die Zukunft liegt nicht in der Kernenergie.
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Die Zukunft liegt im Ausbau der erneuerbaren Energien.
({15})
Es ist noch nicht zu spät, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen. Dafür setzen wir uns ein.
({16})
Der Antrag der Ampelkoalition ist gut, die FDP, die Grünen und die SPD machen es gemeinsam besser als die Vorgängerregierung. Deshalb werbe ich um Zustimmung zu diesem Antrag.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({17})
Für die AfD-Fraktion erhält das Wort Karsten Hilse.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Landsleute! Wenn irgendjemand in den letzten Wochen das Glück hatte, im Wald spazieren gehen zu können, freute er sich über die warmen Herbsttage und den Sonnenschein. Nur die Apokalyptiker reden mal wieder eine Katastrophe nach der anderen, Herr Guterres gar die „Klimahölle“ herbei. Großes Theater um den Zanfleuronpass in der Schweiz, der 2 000 Jahre unter dem Eis verborgen war und jetzt wieder frei liegt!
({0})
Das heißt allerdings im Umkehrschluss, dass es vor 2 000 Jahren mindestens genauso warm wie heute war, weil er ja damals schon frei lag. Es gibt Belege, dass es zeitweise noch wärmer als heute war, da die Baumgrenze dort lag, wo jetzt das Eis schmilzt. Das zeigen 8 000 bis 10 000 Jahre alte Baumstümpfe. Nachweislich waren die Alpen immer wieder fast komplett eisfrei – ein natürlicher Effekt eines natürlichen Klimawandels seit Hunderten Millionen Jahren.
({1})
Sie allerdings sehen, von Ihren Pseudowissenschaftlern und klimaverwirrten und offensichtlich klebstoffsüchtigen Terroristen getrieben, immer überall nur Krise, ja, Katastrophe
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und schüren Panik davor – eine Panik, die Ihnen helfen soll, noch mehr Geld von den Steuerzahlenden abzupressen, damit zum Beispiel Kanzler „Vergiss es“-Scholz in Scharm al-Scheich mal eben so 170 Millionen Euro Ablass an Ihre Klientel verteilen kann, zusätzlich zu den Milliarden, die eh schon in den großen Klimasumpf fließen – Geld, das dem deutschen Steuerzahler zugeführt werden müsste.
({3})
Da das schwedische Mädchen mit den Zöpfen nun auch nicht mehr so toll wirkt und mit ihrem Eintreten für Kernkraft für Sie eher kontraproduktiv ist, muss also etwas anderes her, und weil der Klimarummelplatz in Scharm al-Scheich
({4})
derzeit für neue Aufmerksamkeit bei den Medien sorgt, müssen Sie mit Ihren abgestandenen Parolen vom 1,5‑Grad-Pfad, von Verlust und Zerstörung aufgrund der Klimakrise der Medienmeute zeigen, dass Sie noch da sind. Aber die konkreten Zahlen auf den offiziellen Seiten der Wetterdienste zeigen, dass es keinen signifikanten Anstieg bei den Unwettern gibt.
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Natürlich gab und gibt es immer wieder verheerende Unwetter. Zur Katastrophe werden sie nur durch menschliches Versagen.
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Statt nun aber zum Beispiel im Ahrtal Verantwortung für verantwortungsloses Handeln zu übernehmen, machen Sie die Menschen selbst für diese Katastrophe verantwortlich, da sie zu viel CO2 ausgestoßen hätten. Wie erbärmlich!
({7})
Von welchem konkreten Temperaturwert aus sollen eigentlich 1,5 Grad Temperaturerhöhung nicht überschritten werden? Dazu steht weder in der Pariser Klimaübereinkunft noch in aktuellen Veröffentlichungen etwas. Dazu gibt es bis heute keine Antwort, weder von Politikern noch von Klimawissenschaftlern, die Vince Ebert zu Recht die „Homöopathen der Wissenschaft“ nannte. Im Gegenteil: Es werden sogar Daten gefälscht – die Klimawissenschaftler nannten es: „harmonisiert“ –, um die Temperaturen in der Vergangenheit niedriger darzustellen
({8})
und damit überhaupt eine signifikante Temperatursteigerung nachzuweisen.
Noch vor wenigen Jahren wurde die Durchschnittstemperatur zwischen 1850 und 1900, also bevor der Mensch das böse CO2 in die Luft blies, mit 15 Grad beziffert. In Werbefilmchen wurde den Menschen erklärt, dass der natürliche Treibhauseffekt die Durchschnittstemperatur der Erde von bitterkalten minus 18 Grad exakt um 33 Grad auf wohlige 15 Grad Celsius erhöhe.
({9})
Professor Levermann aus Potsdam nannte genau diese 15 Grad in einer öffentlichen Anhörung im Bundestag. Auf meinen Hinweis, dass die NASA, die NOAA und die WMO das Jahr 2016 mit 14,8 Grad als das wärmste Jahr seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen bezeichneten und dass das eine Abkühlung bedeuten würde, wusste er keine Antwort. Die Klimawissenschaftler wussten eine Antwort: In Orwell’scher Manier veränderten sie die vermutete Temperatur im vorindustriellen Zeitalter auf 14 Grad, und schon gab es eine signifikante Temperatursteigerung im Vergleich zu 1850.
({10})
In Anbetracht Ihrer katastrophalen Politik bedenken Sie bitte: Orwell hat seinen Roman „1984“ als Warnung geschrieben und nicht als Handlungsvorlage.
Ich wünsche Ihnen ein katastrophenfreies Wochenende.
({11})
Nächster Redner in dieser Debatte ist Olaf in der Beek für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei internationaler Klimapolitik ist es nicht nur, aber auch, an uns, voranzugehen und Konzepte und Ideen zu entwickeln, mit denen wir andere Staaten überzeugen und als Partner gewinnen können.
Wir haben uns den Pariser Klimazielen verpflichtet, und das bleibt weiterhin die absolute Maßgabe unseres Handelns. Daher begrüße ich es besonders, dass die Bundesregierung mit einem Klima-Team die ressortübergreifende Zusammenarbeit und Koordination in der internationalen Klimapolitik verbessern wird. Wie andere Staaten ihre Ziele erreichen, sollte ihnen aber selbst überlassen werden. Wir brauchen eine echte Wahlfreiheit für Klimaschutztechnologien. Nur wenn wir technologieoffen sind, werden wir die besten Ergebnisse erzielen.
({0})
Auch Negativemissionen werden international eine entscheidende Rolle spielen. Denn auch der Bericht des IPCC besagt, dass wir unsere Klimaziele ohne Negativemissionen kaum erreichen werden. Dafür brauchen wir auch international wirksame Marktimpulse, damit wir hier endlich vorankommen. Wir müssen Emissionen reduzieren; aber wir werden niemals alle Emissionen vermeiden können. Wirtschaftlich wäre das einfach nicht zu verantworten. Daher müssen wir auch offen für neue Technologien der CO2-Verwertung und ‑Speicherung sein, und wir müssen es weiter ernst meinen mit dem Klimaschutz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, selbstverständlich müssen wir beim globalen Klimaschutz ärmere Länder auch finanziell unterstützen, zum Beispiel bei der Klimaanpassung. Aber die Höhe der Geldmittel ist nicht der entscheidende Faktor zur Bewertung der Effizienz internationaler Zusammenarbeit. Denn wir brauchen mehr Kooperation, mehr Handel und mehr Austausch über neue nachhaltige Technologien, wie beispielsweise E‑Fuels oder Wasserstoff.
({1})
Hier wollen wir die klimaneutrale Zukunft gemeinsam mit unseren Partnern aktiv mitgestalten. Die Ratifizierung von CETA als europäisch-kanadisches Abkommen ist dafür zum Beispiel ein richtiger und wichtiger Schritt.
Wir brauchen eine Entwicklung hin zu einer sozialen und nachhaltigen globalen Marktwirtschaft. Die große Herausforderung unserer Zeit wird es sein, Wohlstand, Wachstum und Klimaschutz in Einklang zu bringen. Das ist nicht nur möglich, sondern auch realistisch.
Unsere Aufgabe als moderne Industrienation ist, hier voranzugehen, und zwar so, dass andere Länder Anreize haben, mitzugehen. Dafür müssen wir weiterhin auf verbindliche internationale Abkommen hinarbeiten. Das Ziel ist und bleibt ein für alle Staaten offener Klimaklub. Denn diejenigen, die ambitioniert sind, müssen vorangehen. Die G‑7-Staaten haben sich bereits dazu bekannt. Selbstverständlich sollen all diejenigen, die sich für mehr globalen Klimaschutz einsetzen, von der Mitgliedschaft in einem solchen Klimaklub profitieren.
Wir gehen voran und werden viele andere davon überzeugen, mitzugehen,
({2})
und zwar nicht mit warmen Worten, sondern mit wirtschaftlichen, politischen und ökologischen Argumenten. In vielen Ländern geht es natürlich auch um die Stärkung von Institutionen; denn Klimafinanzierung muss mit ökonomischer Stabilität, demokratischen Strukturen und Rechtsstaatlichkeit einhergehen. Als Deutschland und Europa konkurrieren wir wie nie zuvor mit China als Partnerland für Entwicklungs- und Schwellenländer. Um diese als Partner zu gewinnen, brauchen wir Angebote, von denen nicht nur beide Seiten, sondern auch das Klima profitiert.
Wir müssen Investitionen fördern statt blockieren, damit der globale Handel zukünftig nicht allein von China dominiert wird. Der Klimaklub wird auch den Weg hin zu einem globalen Handelssystem mit Emissionszertifikaten ebnen. Es ist nachweislich das effizienteste und kostengünstigste Instrument, um nachhaltig und länderübergreifend Emissionen zu senken. Bereits in Artikel 6 des Pariser Abkommens ist der Emissionshandel verankert. Bei der derzeitigen Klimakonferenz in Ägypten muss dafür der nächste Schritt gegangen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie gerade ausgeführt, liegt beim internationalen Klimaschutz weiter ein langer Weg vor uns. Lassen Sie uns diesen gemeinsam mit möglichst vielen Partnern aus anderen Ländern gehen. Stimmen Sie dem Antrag der Ampelfraktionen zu!
Danke schön.
({3})
Jetzt erhält das Wort für Die Linke Thomas Lutze.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir wissen, dass es einen Unterschied zwischen Wetter und Klima gibt. Aber wenn in den letzten acht Jahren die Durchschnittstemperaturen jedes Jahr höher waren als im jeweiligen Vorjahr,
({0})
dann läuft gehörig etwas aus dem Ruder. Nein, hier geht es schon lange nicht mehr um die Bewältigung eines Klimawandels;
({1})
hier geht es um die Abwendung einer Klimakatstrophe.
({2})
Hier passiert viel zu wenig, und das, was passiert, ist oft sozial ungerecht, weil die Hauptverursacher dieser Entwicklung meist verschont bleiben.
Union und Koalition legen hier Anträge vor, die den aktuellen Anforderungen nicht gerecht werden: viele schöne Worte, Aufrufe zum gemeinsamen Handeln, bei den Finanzen eher Zurückhaltung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit schnell dahergeschriebenen Formelkompromissen in der Koalition kann man sich zwar die eine oder andere Scheibe rausschneiden, sodass es gerade noch in die Parteitagsstrategie reinpasst; ausreichen tut das allerdings nicht.
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Hier geht schon lange nicht mehr nur um Südseeinseln, die drohen abzusaufen; hier geht es um die Existenz unseres Planeten, der Menschheit. Ich bin 53 Jahre alt. Mit etwas Glück komme ich bis zu meinen letzten Jahren noch ungeschoren davon. Meine aktuell sechsjährige Tochter wird dieses Privileg allerdings nicht haben, wenn nicht ganz schnell etwas passiert.
Als Mitglied des Verkehrsausschusses hat man Zugang zu Studien, die belegen, dass der Verkehrsbereich das höchste Potenzial bei der CO2-Einspeisung hat. In der Statistik steht allerdings auch, dass der Verkehrssektor anteilig den geringsten Beitrag dazu leistet, dies volkswirtschaftlich auch umzusetzen.
Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht nur zu einfach, es ist für meine Begriffe auch – wie soll man sagen? – etwas schwierig, die Automobilflotte einfach vom Verbrenner auf Batterien zu transformieren. Das wird weder das Klima noch die Arbeitsplätze retten.
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Notwendig ist eine echte Mobilitätswende, bei der der ÖPNV, der Güter- und der Personenfernverkehr auf der Schiene sowie der Fuß- und Radverkehr wieder Vorrang bekommen. Das muss ausgebaut und wesentlich preiswerter gestaltet werden.
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Sie als Koalition – das sage ich an der Stelle noch mal ganz klar und deutlich – hatten ein sehr tolles 9‑Euro-Ticket auf den Weg gebracht. Der aktuelle Formelkompromiss mit dem 49‑Euro-Ticket ist zwar eine Verbesserung gegenüber dem Stand von vorher, er wird aber nur einen sehr bescheidenen klimapolitischen Beitrag leisten, weil kaum jemand vom Auto auf den ÖPNV umsteigen wird. Machen Sie es wie in Luxemburg: Dort ist der ÖPNV kostenlos. Das wäre mal mutig.
({6})
Wenn jetzt das Argument kommt: „Es ist zu teuer“, dann muss ich die Kollegen von der FDP fragen: Was kostet denn die Einführung eines Tempolimits? Im Prinzip so gut wie gar nichts.
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– „Können wir nicht machen!“ Deswegen hat es Luxemburg auch nicht gemacht; genau.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Letzter Gedanke. – Das liebe Geld ist die eine Sache; es geht bei der Abwendung der Klimakatastrophe eben auch um Geld. Nehmen Sie, anstatt die Bundeswehr aufzurüsten, Geld in die Hand – für den Kampf gegen die Klimakatastrophe!
Vielen Dank.
({0})
Für die SPD-Fraktion erhält das Wort Dr. Nina Scheer.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist viel zu tun in der Klimapolitik, und es ist überhaupt nicht die Zeit, die Hände in den Schoß zu legen. Gleichwohl bringt es nichts, sich nur auf die unausweichlich zu beschleunigenden Dinge zu fokussieren, sondern es gilt, auch immer wieder auf das zu schauen, was gelungen ist, und darauf, welche Fortschritte schon gemacht wurden. Man kann ja nur in der Orientierung an diesen Dingen Hoffnung schöpfen und Anknüpfungspunkte finden, um weitere Schritte nach vorne zu gehen. Stagnation in Form von Hoffnungslosigkeit – dass dieser große Schritt, die Erreichung des 1,5‑Grad-Ziels bzw. 2‑Grad-Ziels, nicht mehr gemacht werden könnte – könnte der größte Feind der Klimapolitik werden.
({0})
Es ist wichtig, an diese Dinge anzuknüpfen; denn sie helfen uns, tatsächlich zu den Ambitionsfaktoren zu kommen, zu den Beschleunigungsfaktoren, die wir für eine effektive Klimaschutzpolitik brauchen. Insofern ist es wichtig, hervorzuheben, dass neun von zehn Ländern, die weltweit am meisten Treibhausgase emittieren, anerkannt haben, dass wir dieses Ziel erreichen müssen.
({1})
Diese Erwähnung ist keine Schönfärberei, sondern notwendige Bedingung, um auf den internationalen Konferenzen überhaupt einen gemeinsamen Nenner zu haben und einen Abgleich zu bekommen, wo wir überhaupt stehen. Nur so können wir die Handlungsnotwendigkeiten unterstreichen. Zugleich haben wir uns international darauf verständigt, dass wir siebenmal mehr Treibhausgasemissionen einsparen müssen, um diese Ziele tatsächlich zu erreichen. Das ist eine große Hausnummer.
Ich möchte noch mal darauf zurückkommen – das ist auch schon von meinem Vorredner erwähnt worden –, dass die G‑7-Präsidentschaft eine bedeutende Rolle spielen kann.
({2})
Wir hatten in der Tat Jahre, in denen Europa, aber durchaus auch Deutschland eine weltweite Vorbildfunktion beim Ausbau erneuerbarer Energien hatte. Es ist wichtig, immer wieder auf diese Vorreiter- und Vorbildfunktion zu fokussieren, gerade um an die Hoffnung anzuknüpfen, die wir international brauchen.
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das weltweit vielfach kopiert wurde, ist in Deutschland entstanden. Das Wort „Energiewende“ ist mitunter unübersetzt in den Sprachgebrauch anderer Länder übergegangen; das hat seinen Grund.
({3})
Auch die IRENA, die Internationale Agentur für erneuerbare Energien, entstand aufgrund einer Initiative, die aus Deutschland kam. Sie ist ein wichtiges Vorbild dafür, in welche Richtung Klimaschutzpolitik zu gehen hat, wenn man die Energiewirtschaft in den Mittelpunkt rückt. Die Energiewirtschaft ist im Hinblick auf die Verantwortlichkeit für die Emissionen natürlich zentral, auch wenn es weitere wichtige Bereiche gibt, ohne die Klimaschutz nicht zu erreichen ist, etwa die Bereiche Landwirtschaft oder Verkehr. Aber ohne den Wandel in der Energiewirtschaft werden die Klimaschutzziele nicht erreichbar sein.
Ich möchte kurz auf die Erfolge eingehen, die in der kurzen Zeit schon erzielt wurden, weil es – aus dem von mir schon zu Anfang erwähnten Grund – wichtig ist, an diese Erfolge anzuknüpfen.
({4})
Es ist wichtig, dass wir als reiches Land viel Geld bereitstellen. 6 Milliarden Euro sind nicht zwar genug, aber sie sind eine Hausnummer, mit der wir zur internationalen Klimafinanzierung beitragen.
({5})
Es ist gut, dass wir das jetzt verankert haben. Es ist wichtig, Entwicklungspartnerschaften einzugehen;
({6})
denn Vernetzung ist wichtig, um Know-how-Transfer durchzuführen.
Es ist auch wichtig, dass jetzt endlich erstmals „Losses and Damages“, Verluste und Schäden, als Tagesordnungspunkt aufgenommen wurden. Denn ohne anzuerkennen, dass wir als Industrienation eine sehr große Verantwortung haben und hier tatsächlich helfen müssen, um diese Verluste auszugleichen, wird es auch keine Solidarität und keine Mitwirkung der Länder geben, die in uns längst sehr wohl die Verantwortlichen erkannt haben.
Ich möchte auch erwähnen, dass die feministische Außenpolitik wichtig ist,
({7})
weil wir sehen, dass es in vielen Bereichen, in vielen Ländern gerade die Frauen sind, die vor Ort die Initiative ergreifen.
({8})
Das ist auch für die Finanzierungsinstrumente wichtig. Die Banken, die das erkennen, haben mehr in die Zukunft investiert als die Banken, die die Augen davor verschließen.
Schließen möchte ich mit einem Element: Es ist auch wichtig, dass wir nicht auf die Atomenergie setzen. Wer auf Atomenergie zur klimafreundlichen Gewinnung von Energie setzt, der hat die Probleme nicht erkannt, der hat die mangelnde Dürreresistenz von Atomenergie nicht erkannt und der führt die Klimapolitik in eine Sackgasse. Das möchte ich abschließend gesagt haben.
Vielen Dank.
({9})
Letzter Redner in dieser Debatte ist Thomas Heilmann für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind spät dran – sehr spät dran, leider. Das gilt natürlich für die Bewältigung der Klimakrise insgesamt; aber es gilt auch für diese Debatte. Das gilt für Ihren Antrag, und, Frau Ministerin, das gilt natürlich auch für die Vorbereitungen auf die COP, die wir als CDU/CSU-Fraktion enttäuschend finden, und ich werde Ihnen gleich sagen, warum.
({0})
– Sie da drüben lachen. Die Vorgängerregierung wird hier und da auch sicher mal zu Recht angegriffen. Aber es war Frau Merkel, die die Klimakonferenzen zum Erfolg geführt hat. Wenn Sie die Protokolle nachlesen und die Zeitzeugen hören, erkennen Sie:
({1})
Ohne ihren Beitrag wäre das Pariser Klimaabkommen nicht zustande gekommen. Das hat auch etwas mit Vorbereitung zu tun.
({2})
Fangen wir so herum an. Frau Baerbock, Sie haben sehr zu Recht zum Anfang Ihrer Rede dramatische Bilder gewählt. Ich teile Ihre Sicht – auch wir als Fraktion tun das –, was die Größe der Aufgabe anbetrifft. Nun reden wir hier nicht untereinander, sondern für das Publikum, das vor den Bildschirmen sitzt.
({3})
Es ist Tradition im Deutschen Bundestag, dass man vor einer COP eine ausführliche Debatte führt und sie nicht nachträglich – deswegen ist es übrigens auch so leer hier im Raum – zusätzlich als Tagesordnungspunkt hier aufnimmt. Normalerweise gibt es auch Debatten in Ausschüssen. Der Auswärtige Ausschuss hat sogar einen neuen Unterausschuss, den Unterausschuss Internationale Klima- und Energiepolitik. Er hat aber gar nicht getagt; die Sitzung ist ausgefallen.
({4})
– Sie wissen genau, Frau Badum, was ich meine. Ich will jetzt nicht zu lange in Tagesordnungsfragen eintauchen.
Aber im Kern geht es vor allem um Folgendes: Die Glaubwürdigkeit dieser Bundesregierung ist doch eindeutig dadurch unterminiert, dass Sie jetzt erst den Antrag vorlegen, dass Sie die Verabredung, dass wir die Klimaziele erneuern, nicht eingehalten haben, dass Deutschland die Hausaufgaben da nicht gemacht hat, dass Sie Ihr Klimaschutz-Sofortprogramm nicht haben umsetzen können.
Frau Badum, Sie gucken mich jetzt so an. Natürlich weiß ich auch, dass das nicht allein an den Grünen liegt, sondern dass Sie sich in der Koalition nicht einig werden können. Das macht die Sache aber nicht besser. Denn es ist nicht gut, wenn Deutschland unglaubwürdig oder, um es etwas moderater zu sagen, mit einem Glaubwürdigkeitsdefizit zur COP fährt.
({5})
Wenn ich mir dann die Reden hier anhöre, die zu diesem Tagesordnungspunkt gehalten werden, dann habe ich das Gefühl, wir reden über völlig unterschiedliche Dinge.
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– Nein, innerhalb Ihrer Ampel, meine ich. – Was Herr in der Beek gesagt hat, findet sich gar nicht in Ihrem Antrag. Er hat da von Wohlstand, Wachstum und Technologie geredet und davon, dass wir andere Staaten überzeugen können. Aber in Ihrer eigenen Koalition konnten Sie für den Antrag wohl offensichtlich nicht überzeugen. Jedenfalls steht kein Wort darin.
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Ich wollte Sie auf zwei, wie ich finde, verräterische Formulierungen in Ihrem eigenen Antrag hinweisen. Die eine ist: Sie fordern die Bundesregierung, die Sie ja stellen, auf, zeitnah eine ambitionierte Klimaaußenschutzpolitikstrategie vorzulegen.
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– Ja, natürlich können Sie nicht die Union auffordern. Warum legen Sie denn nicht einfach eine Strategie vor?
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Ja. Von wem denn?
Von den Grünen.
Ach so.
Lieber Herr Kollege, danke, dass Sie die Zwischenfrage an einem Freitagnachmittag erlauben. – Ich freue mich sehr, dass wir einen neuen Unterausschuss – den Unterausschuss Internationale Klima- und Energiepolitik – im Bundestag haben, der eben wirklich die Klimaaußenpolitik repräsentiert; denn das ist genau das, was die vorherige Regierung nicht gemacht hat. Sie hat unsere Sicherheit mit fossilen Energiedeals – Stichwort „Russland“ – verkauft. In dieses Dilemma wollen wir nicht mehr kommen, und deswegen denken wir jetzt Klima- und Außenpolitik zusammen.
Meine Frage an Sie: Wir hatten ja das Glück, eineinhalb Stunden mit der Außenministerin Annalena Baerbock im Unterausschuss zu diskutieren. Wo waren Sie bei dieser Sitzung, Herr Heilmann?
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Wie Sie wissen, Frau Badum – um auf den letzten Teil der Frage zuerst einzugehen –, bin ich nicht Mitglied dieses Unterausschusses; es gibt im Ausschuss eine geteilte Verantwortung. Ich bin im Ausschuss für Energie und Klima; da sehen wir uns ja auch regelmäßig, wie Sie wissen. Deswegen war ich zu dem Gespräch nicht eingeladen. Ich wäre sicher gerne gekommen. Das ist aber eine eher formale Frage.
Zu Ihrer wichtigeren ersten Frage. Die alte Bundesregierung hat, von den Grünen in dem Grundsatz zumindest unterstützt, die Strategie geäußert: Wir wollen versuchen, so schnell wie möglich erneuerbare Energien aufzubauen – jetzt werden Sie sagen, das ist zu langsam gegangen; das lasse ich jetzt mal weg –,
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und als Brückentechnologie – das ist nämlich der Punkt bei Ihrem Thema – setzen wir Gas ein. Sie haben immer gefordert, dass wir aus der Braunkohle schneller aussteigen. Sie haben gesagt, dass wir aus Atomkraftwerken aussteigen. Aber irgendeine Übergangsenergie wird man ja brauchen.
Ich will Ihnen ja zugeben, dass wir alle gemeinsam – und damit auch wir – den Fehler gemacht haben, uns einseitig auf russische Lieferungen zu verlassen. Auch ich – ich will gar nicht von anderen reden – habe mir nicht vorstellen können, dass Wladimir Putin bereit ist, derartige Kriege – das muss man ja im Plural sagen – anzuzetteln. Das betrifft natürlich den Krieg gegen die Ukraine, aber auch den Energiekrieg, den er angezettelt hat. Diese Abhängigkeit bei der Lieferung von Gas als Brückentechnologie ist ohne Wenn und Aber ein Fehler.
Die Abhängigkeit von Russland in der Gaslieferung war ein Fehler; darum will ich auch gar nicht herumreden. Aber die Frage, ob Gas nicht eigentlich eine sinnvolle Brückentechnologie in Richtung Erneuerbare ist, war nie streitig. Ich kann mich übrigens auch nicht erinnern, dass die Grünen in der letzten Legislaturperiode dazu irgendeinen Antrag gestellt haben, mit dem dazu aufgefordert wurde, das zu ändern.
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Zurück zu der Frage. Ich persönlich glaube, dass man hätte besser vorbereitet sein können. Sie hätten eine Klimaaußenpolitikstrategie schon vorlegen können; dann müssten Sie sich jetzt nicht selber dazu aufrufen.
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Das ist übrigens die erste Forderung in Ihrem Antrag.
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Die zweite Forderung Ihres sehr langatmigen Antrags ist: Man soll eine möglichst inklusive und partizipative Weltklimakonferenz gestalten. – Ja, meine lieben Kollegen von der Ampel, die läuft doch schon längst. Olaf Scholz ist schon wieder zurück. Wieso schreiben wir heute in einen Antrag, dass man das möglichst gestalten soll? Das ist doch einfach alles nur Politphraserei.
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Wir müssten uns über die Fragen unterhalten: Wie gehen wir denn mit „Losses and Damages“ um? Wie wäre denn der Verteilungsmodus? Da steht übrigens in Ihrem Antrag, dass wir den Forderungen der G 77 entgegenkommen sollen. Was heißt das eigentlich genau? Wie meinen Sie das eigentlich?
Ich hätte dazu gerne eine vernünftige Debatte und nicht nur ein Gespräch mit der Außenministerin in den zuständigen Ausschüssen gehabt. Ich hätte lieber einen gemeinsamen Antrag vorgelegt; dafür gab es gar keinen Raum. Das war bei Vorbereitungen übrigens auch mal anders. Insofern ist es leider so, dass Sie recht haben, Frau Ministerin: Es war noch nie so schwierig. – Es war auch noch nie so wichtig. Aber leider gehen wir auch so schlecht vorbereitet wie selten in eine solche Konferenz, und das bedauern wir ausdrücklich. Deswegen ist unser Antrag besser als der der Koalition.
Vielen Dank und schönes Wochenende.
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