Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Geschätzte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es heute? Wenn man sich für den einfachen Weg entscheidet, könnte man
sagen: Es geht um 200 Milliarden Euro. Das ist aber eine zu einfache Antwort; denn es geht um etwas anderes. Es geht um etwas, was für die Bürgerinnen und
Bürger und für die Unternehmen wichtig ist, nämlich um die Einhaltung des Versprechens, dass die Ampelkoalition noch vor dem Winter dafür sorgt, dass
ausreichende Finanzmittel sowohl in der Heizperiode 2022/2023 als auch in der Heizperiode 2023/2024 und dass ausreichende Mittel für Gas und Strom für
Unternehmen und Bürger vorhanden sein werden. Dieses Versprechen, das die Koalition gegeben hat, löst sie mit diesem Gesetzentwurf ein.
({0})
Bevor sich die CDU/CSU wieder aufregt, gebe ich noch einmal den Hinweis darauf, dass wir mit diesem Gesetz die Voraussetzungen dafür schaffen, dass
diese Finanzmittel, diese 200 Milliarden Euro, jederzeit zur Verfügung stehen.
Die Gaskommission, die wir haben, hat uns in sehr kluger Weise gesagt, wir müssten folgende zwei ganz wesentliche Dinge tun: Wir müssen erstens sofort
helfen. Da sage ich allen: Eine Soforthilfe wird nicht zu 100 Prozent gerecht sein. Wer meint, eine hundertprozentige Gerechtigkeit versprechen zu können, der
versucht, den Einzelfall ad infinitum zu regeln, und wird am Ende nicht dafür sorgen, dass jedem einzelnen Bürger, jedem einzelnen Unternehmer, dem berühmten
Bäcker geholfen wird. Wir machen das dadurch, dass wir bereits im Dezember entsprechende Zahlungen ermöglichen.
({1})
Zweitens – das ist sehr, sehr wichtig – zeigen wir auf, dass auch die Mittel für das Jahr 2023 bereits vorhanden sind und wir jederzeit auf sie
zurückgreifen können. Ich möchte hier auch noch mal in Richtung CDU/CSU sagen: Das ist keine reine Verschiebung in der Buchhaltung, sondern es sind, wie wir zum
Erstaunen der CDU/CSU im Haushaltsausschuss feststellen konnten, tatsächliche Bewegungen, die dafür sorgen, dass die entsprechenden Papiere beim
Wirtschaftsstabilisierungsfonds liegen und auch jederzeit genutzt werden können.
Meine Damen und Herren, wir sorgen so dafür, dass wir für die Gaspreisbremse, die Strompreisbremse, die Stützungsmaßnahmen für die Unternehmen und
auch für Härtefälle jederzeit ausreichende Mittel haben. Das ist die Verantwortung dieser Ampelkoalition, und diese nimmt sie auch wahr.
({2})
Ich möchte dann auch deutlich sagen: Das ist genau wieder diese Trias, die von dieser Koalition erfüllt wird:
Wir sorgen erstens neben dieser Regelung mit Regelungen in Sozialgesetzen dafür, dass die Schwächsten unserer Gesellschaft geschützt werden. Wir
nehmen also unsere soziale Verantwortung wahr.
Wir sorgen zweitens aber auch dafür, dass wir dann, wenn es um den Anreiz zum Sparen und die Frage geht, wie viel gegeben wird, ökologisch denken. Wir
sorgen dafür, dass das Thema Sparen auch ein Teil dieses Systems ist, dass es nicht einfach nur heißt: „Hauptsache, jeder hat genug Geld, und es wird einfach
geheizt“, sondern dass Nachhaltigkeit ein Teil der Hilfe ist. Auch das ist ein Anliegen dieser Koalition.
Wir sorgen drittens dafür – das halte ich für sehr wichtig –, dass die Bürger, aber noch mehr die Unternehmen Planungssicherheit bekommen.
Hier meine inständige Bitte an die CDU/CSU. Erinnern Sie sich doch einmal daran, was Sie dieser Koalition noch vor einem Monat gesagt haben: Ihr macht
nichts! Ihr lasst die Bürger im Stich! Ihr besorgt kein Geld! Ihr müsst Hunderte von Milliarden Euro haben. Wo sind die?
({3})
Ich kann Ihnen das ganz genau sagen: Hier in diesem Gesetz sind diese 200 Milliarden Euro. Sie haben die Möglichkeit, hier an dieser Stelle dann auch
zuzustimmen.
({4})
Meine Damen und Herren, ich gehe auch gerne auf die Kritik des Bundesrechnungshofes ein. Ich glaube, ohne ihn würde ein Teil von Checks and Balances
in unserer Demokratie fehlen. Aber dennoch ist ein Bundesrechnungshof nicht unfehlbar; das haben wir ja gestern gehört.
({5})
– Ja, dass die Linken bei dieser Aussage besonders klatschen, ist mir klar. – Wir mussten feststellen, dass der Bundesrechnungshof selber sagte, dass
er die Frage der Finanzierung der 200 Milliarden Euro noch gar nicht geprüft hat. Er gab sogar zu, dass es sachliche Zusammenhänge über die Jahre gibt, konnte
aber dann nicht sagen, wie die eigentliche Lösung wäre.
Ja, bei Haushalten gilt die Jährlichkeit; ich bin mir sicher, Herr Middelberg wird nachher wieder versuchen, das alles irgendwie zu skandalisieren.
Aber ich will Ihnen eines deutlich zum Thema Jährlichkeit sagen: Es war Ihre Fraktion, die selber aus guten Gründen viele Sondervermögen aufgestellt hat, denen
wir als FDP in der Opposition auch in Teilen zugestimmt haben, in Fällen, die übrigens von der Verfassung auch vorgesehen sind. Die Verfassung verbietet keine
Sondervermögen. Da ist es dann auch notwendig, zu prüfen: Machen wir es mit einem Sondervermögen?
({6})
Ich sage Ihnen deutlich: Wenn Sie von der CDU/CSU erklären: „Wir wollen keine Sondervermögen“, dann frage ich mich: Hätten Sie den Opfern im Ahrtal
gesagt: „Ach, übrigens, ob ihr im nächsten Jahr noch Geld kriegt, das können wir euch noch nicht sagen; das können wir euch erst im November sagen, wenn wir den
Haushalt für das nächste Jahr beschließen“?
({7})
Hätten Sie gesagt: „Ob ihr bei der Bundeswehr Investitionen machen könnt, das können wir euch erst gegen Ende des Jahres sagen, wir machen das nicht“?
Nein. Auch da: Sie machen ein Sondervermögen. Ja, ich gestehe zu: Sie sind sogar bereit, für Sondervermögen die Verfassung zu ändern.
Dann sage ich Ihnen zudem – das erwarte ich dann auch von der CDU/CSU –: Wenn die CDU/CSU das hier – berechtigt im Rahmen ihrer Oppositionsaufgabe –
kritisiert, dann sollte sie etwas tun, was sie bisher in Haushalts- und Finanzdebatten nicht tut, nämlich ihre Alternative wirklich durchgerechnet darzulegen.
Sie darf nicht einfach sagen: Alternativen? Ist nicht unsere Aufgabe; Alternativen darlegen können wir eigentlich gar nicht. – Das ist Ihr Problem von der
CDU/CSU! Daran müssen Sie sich in den nächsten Minuten hier im Plenum messen lassen.
({8})
Meine Damen und Herren, ich will ganz deutlich sagen: Wir führen mehr Parlamentsrechte ein. Wir sorgen für Kontrollen. Wir sorgen an ganz vielen
Stellen dafür, dass zu diesen 200 Milliarden Euro in den nächsten Wochen die Umsetzungsgesetze kommen – mit Parlamentsbeteiligung. Beteiligen Sie sich daran!
Bitte machen Sie endlich mal Vorschläge, die konkret durchgerechnet sind, und nicht einfach nur pure, simple Opposition. Dafür ist die Sache zu ernst.
Herzlichen Dank.
({9})
Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Mathias Middelberg.
({0})
Geschätzte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um das gleich klarzustellen: Auch wir wollen einen Schutzschirm für die Menschen und für die
Betriebe in unserem Land in dieser Krise.
({0})
Das Problem ist aber: Heute geht es gar nicht um diesen Schutzschirm, heute geht es auch nicht um Gaspreisbremse, Strompreisbremse und
Unternehmenshilfen. Das steht hier heute gar nicht zur Debatte, das steht auch nicht zur Entscheidung.
({1})
Heute steht zur Entscheidung – da widerspreche ich Ihnen ausdrücklich, Herr Fricke; denn Sie haben versucht, das genau andersherum darzustellen –,
dass Sie von uns einen Geldsack haben wollen, gefüllt mit 200 Milliarden Euro.
({2})
Den wollen Sie sich in den Keller Ihrer Regierung stellen und sich dann überlegen, was Sie mit dem Geld anfangen.
({3})
Das ist die Wirklichkeit. Das ist die Wahrheit.
({4})
Ich sage Ihnen: Die Wirklichkeit ist, dass wir keinen konkreten Vorschlag für Ihre Gaspreisbremse haben.
({5})
Wir haben bisher nur einen Kommissionsvorschlag. Den Vorschlag, den die Kommission entwickelt hat, haben wir schon vor anderthalb Monaten auf unserem
Bundesparteitag beschlossen. Das ist das Thema.
({6})
Für Ihre Strompreisbremse liegt nichts Konkretes vor, und für die Unternehmenshilfen liegt nichts Konkretes vor. Sie verlangen von uns, dass wir
Alternativen rechnen sollen.
({7})
Wir würden gerne rechnen, aber dann müssten wir von Ihnen eine Berechnungsgrundlage kriegen.
({8})
Was wollen Sie denn machen? Kein Mensch in diesem Land weiß, was Sie konkret machen. Nein, das Gegenteil ist doch richtig. Wie Sie zu Recht sagen: Die
Menschen in diesem Land sind in größten Sorgen, teilweise in Angst, weil sie nicht wissen, ob sie die Abschläge an ihren Energieversorger bezahlen können. Die
Betriebe in diesem Land können nicht planen und können nicht rechnen. Sie können keine Investitionen tätigen, keine Bestellungen. Sie wissen nicht, ob sie einen
Auftrag im nächsten Jahr annehmen können, weil sie nicht wissen, mit welchen Energiepreisen sie ihre Produktion kalkulieren können. Sie wissen gar nicht, ob sie
wettbewerbsfähig anbieten können.
({9})
In dieser Unsicherheit warten die Menschen auf diese Regierung, die heute im Übrigen ja gar nicht anwesend ist. Sämtliche Minister sind
weggelaufen.
({10})
Wir entscheiden heute über 200 Milliarden, die Sie bewilligt haben wollen, und wir sehen keinen Minister. – Ah, Frau Stark-Watzinger ist da;
hervorragend. Aber keiner der Ressortminister, keiner der irgendwie zuständigen Minister ist heute da. Das an sich ist schon ein Skandal.
({11})
Die Menschen in diesem Land warten darauf, dass diese Regierung endlich handelt. Aber sie tut es nicht. Sie beschäftigen sich permanent mit sich
selbst und Ihren internen Streitereien.
({12})
Den ganzen Sommer über haben Sie mit internem Streit verplempert.
({13})
Im Juli haben Sie uns eine Gasumlage, eine zusätzliche Belastung der Verbraucher, vorgeschlagen. Zwei Monate hat Herr Habeck gebraucht, um diesen
Fehler zu korrigieren.
Ungenügend – das sage ich ganz deutlich – ist Ihr Regierungshandeln auch bei der Frage: Wie steigern wir das Angebot bei Strom und Gas? Ihr fauler
Kompromiss zu den Kernkraftwerken mag über diesen Winter hinwegretten.
({14})
Im nächsten Winter hilft er ganz sicher nicht. Frau Grimm, die Wirtschaftsweise, die auch den Vorschlag für die Gaspreisbremse ausgerechnet hat, den
Sie ja so toll finden,
({15})
hat Ihnen vorgerechnet, dass der Strompreis dann, wenn Sie die drei Kernkraftwerke bis Ende 2024 weiterbetreiben würden, um bis zu 12 Prozent
niedriger sein würde.
({16})
Wenn die Menschen in diesem Land im nächsten Jahr 12 Prozent mehr für ihren Strom zahlen, dann haben sie das dem Frieden in dieser Ampel und der
grünen Ideologie zu verdanken. Das ist die Wirklichkeit.
({17})
Jetzt sage ich Ihnen etwas zum Thema Finanzierung. Wir würden Sie bei Ihrem Schutzschirm wirklich gerne unterstützen, und das ist ehrlich gemeint.
({18})
Es geht nicht darum, dass sich diese Opposition einer Unterstützung verweigert. Aber ich sage es noch mal: Wir wollen dann von Ihnen wenigstens mal
ein konkretes Konzept für die Gaspreisbremse, für die Strompreisbremse und eine Berechnung für die Unternehmenshilfen auf dem Tisch sehen. Dies könnten wir dann
prüfen. Damit könnten wir uns auseinandersetzen wie normale Menschen. Die überlegen doch auch erst: „Was kaufe ich mir? Was kostet es?“, und dann gehen sie zur
Bank und holen sich das Geld. Und Sie erklären uns hier, es wäre logisch, wenn man es genau umgekehrt machen würde.
({19})
Nein, es ist Schwachsinn, was Sie machen, und das ist nicht zu begründen.
({20})
Sie wissen nicht, wofür Sie das Geld brauchen. Sie wissen nicht, wann Sie das Geld brauchen. Trotzdem wollen Sie von uns eine Blankozusage über
200 Milliarden Euro.
({21})
Das kann man gar nicht gutheißen. Das ist unmöglich.
Ihre Finanzierungsmethode ist maximal unsolide. Das hat Ihnen auch der Bundesrechnungshof in dieser Woche vorgehalten,
({22})
der Ihnen erklärt hat, dass es verfassungsrechtlich ausgesprochen fragwürdig ist, was Sie machen.
({23})
Sie wollen sich jetzt 200 Milliarden Euro in den Keller legen und wollen alle diese Kredite auf dieses Jahr rechnen, damit Ihr Finanzminister, der ja
versprochen hat, dass er die Schuldenbremse im nächsten Jahr einhält
({24})
– er hat ja dann, künstlich herbeigeführt, die Taschen voller Geld –, dann im nächsten Jahr sagen kann: Ich halte die Schuldenbremse ein. – Das ist
schlicht ein Umgehungsmanöver und nichts anderes.
({25})
Ehrlich wäre,
({26})
wenn wir in diesem Jahr einen Nachtragshaushalt beraten und verabschieden würden.
({27})
Es wäre völlig okay, wenn Sie den jetzt erarbeiten und vorlegen.
({28})
Für das nächste Jahr machen wir das dann im regulären Haushaltsverfahren.
({29})
Dann sagen Sie, wie viel Geld Sie zu welchen Zwecken brauchen und wann Sie es brauchen.
({30})
Dann sagen Sie bitte auch, an welchen Stellen im Haushalt Sie einsparen wollen. Da haben Sie bisher überhaupt nichts auf die Leiste gebracht, obwohl
Sie es in Ihrem eigenen Koalitionsvertrag versprochen haben.
({31})
Dann würden wir gerne eine Berechnung der Mehreinnahmen sehen, die wegen der gestiegenen Preise gewaltig sind.
({32})
Am meisten verdient daran der Finanzminister.
({33})
Dann haben Sie von Verfassungs wegen Spielraum bei der Schuldenbremse bei rückläufiger Konjunktur; das wissen Sie hoffentlich. Wenn es dann nicht
reicht – auch das sage ich –, können wir über die Notlagenklausel sprechen. Uns liegt daran – das sage ich Ihnen jetzt ganz deutlich –, dass wir jährlich
präzise abrechnen und dass wir die Verfassung und das Haushaltsrecht einhalten.
({34})
Von uns werden Sie heute keine Pauschalermächtigung zu 200 Milliarden Euro schlichter Schulden kriegen, bei denen wir nicht ansatzweise wissen, wofür,
wann und wie das Geld ausgegeben werden soll.
Herzlichen Dank.
({35})
Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dr. Matthias Miersch.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Middelberg, man muss immer überlegen, welche Worte man hier wählt. Wenn Sie von
„Schwachsinn“ reden: Ich wäre an Ihrer Stelle sehr vorsichtig, diese Begrifflichkeit heute tatsächlich zu nutzen.
({0})
Denn Sie verweigern hier heute die Grundvoraussetzung dafür, dass wir die Bevölkerung und die Unternehmen in diesem Land schützen können. Das ist Ihr
Handeln heute zu dieser Minute.
({1})
Sie beschweren sich in Ihrer Rede, dass Minister nicht da sind.
({2})
Ehrlich gesagt, es ist nicht die Stunde der Regierung, sondern es ist die Stunde des Parlaments, jetzt, hier, heute die Grundlagen zu schaffen. Und
das machen Sie nicht.
({3})
Sie werfen der Ampelkoalition vor, nicht zu handeln. Das, was wir hier machen, ist die Ergänzung zu einem 100‑Milliarden-Euro-Entlastungspaket, das,
was wir schon dreimal in diesem Jahr gemacht haben. Jetzt kommt noch ein Paket von 200 Milliarden Euro dazu, was diesem Land Sicherheit gibt. Das ist das, was
wir hier heute tun, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Wenn Sie so tun, als wüssten Sie nicht, worum es geht,
({5})
dann frage ich mich wirklich, wo Sie eigentlich die letzten Wochen und Monate gewesen sind.
({6})
– Ja, das tut weh; ich weiß. Das war wirklich eine Vorlage, Entschuldigung. – Sie sagen, Sie hätten irgendwas auf Ihrem Parteitag beschlossen. Was
haben wir denn hier die ganze Zeit gemacht? Wir haben darum gerungen, wie wir den Bürgerinnen und Bürgern und wie wir den Unternehmen helfen können.
({7})
Dazu hat eine Expertenkommission getagt.
({8})
– Nun regen Sie sich nicht ganz so auf, sondern hören Sie erst mal zu; dann können Sie ja erwidern. – Bei dieser Expertenkommission war sogar nur ein
Sozialdemokrat beratendes Mitglied. Da war keiner hier aus diesem Parlament, sondern wir waren beratend dabei. Diese Expertenkommission hat Vorschläge
vorgelegt.
Gestern hat der Bundeskanzler an dieser Stelle gesagt, dass die Bundesregierung die Eckpunkte dieses Beschlusses vorlegt.
({9})
Insofern sind die 200 Milliarden Euro, die wir jetzt brauchen, die Grundbedingung dafür, dass wir spätestens im März für alle Verbraucherinnen und
Verbraucher eine Gaspreisbremse bekommen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({10})
Das, was wir hier machen, ist die Grundbedingung dafür, dass wir ab 1. Januar 2023 die Industrie in diesem Land schützen, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
({11})
Und das, was wir jetzt hier machen, ist die Grundbedingung, dass wir bereits im Dezember den Haushalten helfen und dort die Energiebremsen einziehen,
liebe Kolleginnen und Kollegen. Darum geht es.
({12})
Aber ich sage Ihnen auch – das ist parlamentarisches Beraten; Kollege Fricke hat darauf hingewiesen –: Es gibt Parlamentsvorbehalte, die wir jetzt
einziehen. Insofern werden wir hinter die Forderung der Regierung nicht blind einen Haken setzen,
({13})
sondern wir haben als SPD-Fraktion durchaus Punkte, die wir im parlamentarischen Verfahren klären wollen.
Zum Beispiel: Die Versorger in der Kommission haben gesagt, dass sie erst ab März organisatorisch in der Lage sind, die Bremsen zu ziehen. Wir wollen,
dass wir uns die Phase Dezember bis Februar noch mal genau angucken; denn wir wissen: Das ist natürlich die Hochzeit des Heizens.
({14})
Insofern werden wir auch darüber reden, ob es zum Beispiel eine rückwirkende Bremse geben kann, ob es noch eine weitere Abschlagszahlung geben darf,
ob überhaupt gerechtfertigt ist, dass man dann, wenn man weiß, dass das Parlament eine Bremse einzieht, in diesen Monaten überhaupt noch überhöhte
Abschlagszahlungen fordern kann. Das sind Dinge, die wir noch klären müssen, und dazu sind wir ja auch hier aufgerufen.
({15})
Und genauso wird es darum gehen, ob wir – das ist immer das Problem bei schnellen Lösungen; der Kollege Fricke hat das Gerechtigkeitsmomentum
angesprochen – auch bei der Gaspreisbremse eine Obergrenze einziehen können, um die Ungerechtigkeiten zu verhindern, die entstehen, wenn ich beispielsweise die
berühmte Villa mit dem Pool gleichermaßen fördere. Auch das wollen wir im weiteren Verfahren prüfen. Die Versorger sagen, ihnen fehlen Daten. Dann müssen wir
gucken, wie wir sie ihnen besorgen. Das ist ein wichtiges Gerechtigkeitsmomentum.
({16})
Schließlich geht es auch darum, all die in den Blick zu nehmen, die neben Gas mit Pellets oder mit Öl heizen.
({17})
Auch das ist eine Frage, die wir hier adressieren und die wir im parlamentarischen Verfahren klären. Deswegen gibt es weitere Vorschläge für
Härtefallfonds etc.
({18})
Aber die Grundbedingung, um einsteigen zu können, ist, dass wir die finanziellen Mittel haben, den Menschen tatsächlich zu helfen. Und insofern:
Vielleicht überlegen Sie es sich noch mal.
({19})
Ich glaube, die Debatte dauert noch 60 Minuten. Das, was Sie hier machen, ist verantwortungslose Oppositionspolitik. Insofern bitte ich Sie noch mal,
diese Dinge tatsächlich zu hinterfragen. Es ist die Grundbedingung dafür, dass wir diesem Land helfen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({20})
Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Albrecht Glaser.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Regierung hat das Energiegeschäft mit Russland eingestellt, weil sie das zur Erreichung
außenpolitischer Ziele für erforderlich hielt.
Wenn die Regierung dies tut, dann muss sie einen Plan für die daraus entstehenden Folgen haben. Sie muss wissen, dass Deutschland bisher 46 Prozent
der Ölimporte und 55 Prozent der Gasimporte aus Russland bezieht. Sie muss wissen, dass weder die dahinterstehende Energiemenge noch die erforderliche Logistik
hierfür zeitnah ersetzbar ist. Diese Regierung muss auch wissen, dass die Energieträger Mineralöl und Gas 60 Prozent der Endenergie darstellen, die hier im Land
verbraucht wird. Strom macht 20 Prozent der Endenergie aus und die Erneuerbaren 8,8 Prozent. Aus diesen wenigen, jedoch fundamentalen Zusammenhängen ergibt
sich, dass die Energieimporte von Russland knapp ein Drittel der Energiebasis dieses Landes ausmachen.
Die schlagartige Beendigung dieses Energieimports muss also zu einer ebenso schlagartigen Energiekrise in Deutschland führen. Sie bedeutet exorbitante
Preiserhöhungen für alle Abnehmer, Versorgungsengpässe und Versorgungsunterbrechungen. Da Energie die Lebensader für eine moderne Volkswirtschaft und eine
zivilisierte Gesellschaft ist, handelt es sich bei dem, was wir jetzt erleben, um einen Anschlag auf diesen Staat, und der ist von dieser Regierung ausgeführt
worden.
({0})
Eine Regierung, die unablässig den Begriff der Verantwortung im Munde führt, muss diese bei einem solchen extraordinären Regierungsversagen auch
tragen. Stattdessen legen Sie uns zum zweiten Mal in diesem Jahr einen Beschluss zur Durchbrechung der Schuldenbremse vor. Im Juni haben Sie zusätzlich
116 Milliarden Euro wegen der Pandemie und wegen des russischen Angriffskriegs verlangt, wie Sie dort schreiben. Heute wollen Sie weitere 200 Milliarden Euro
und verweisen erneut auf den russischen Angriffskrieg und die Einstellung der Gaslieferungen und – was die Höhe des Kredits angeht – darauf, dass es ein
deutliches Zeichen an Russland sei. Das möge verstehen, wer will. Dabei steht überhaupt noch nicht fest, wer wann was bekommen soll. Und Russland zeigen Sie,
dass wir mächtig Schulden zur Krisenbewältigung machen müssen. Ein außerordentliches Zeichen der Stärke!
({1})
Die Kreditmittel sollen in einem umgewidmeten Sondervermögen sofort aufgenommen, dort für 2023 und 2024 gebunkert und bis 2058 durch unsere Enkel
getilgt werden.
({2})
Dass das alles so nicht geht, hat Ihnen der Rechnungshof erklärt, mit dem Sie aber gar nicht reden. Deshalb werden wir den Durchbrechungsbeschluss
auch ablehnen. Sie behandeln die Schuldenbremse genauso wie die EU‑Staaten den Stabilitäts- und Wachstumspakt.
Die vorübergehende Unterstützung von Bürgern und Unternehmen muss sein. Aber sie ist keine Lösung des deutschen Energieproblems und wird schnell
unbezahlbar. Sie ist nur vertretbar, wenn Sie sofort mit einer neuen Energiepolitik beginnen, auf alle Fälle einer Energiepolitik, bei der die Kernenergie
vorkommt.
({3})
Die Kernenergie empfiehlt übrigens auch Greta, wenn Ihnen das weiterhilft.
Wer Energieversorgung allein auf Wind und Sonne stützt, hat die Trivialphysik nicht verstanden. Er produziert damit die nächsten Energiekatastrophen.
Der Rest der Welt außerhalb Deutschlands weiß dies und handelt entsprechend. Wir richten uns im Traumland ein und meinen, wir kommen um die nächsten Krisen
drumherum. Wir kündigen Ihnen an: Sie werden stattfinden, und Sie werden dafür politisch bezahlen.
({4})
Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dr. Sebastian Schäfer.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Putin und seine Truppen eskalieren ihren Terrorkrieg auch in dieser Woche immer
weiter. Drohnenangriffe bedrohen die Zivilbevölkerung. Das ist brutal und niederträchtig. Die Energieversorgung in der Ukraine wird zunehmend zerstört – ganz
gezielt jetzt vor dem Winter. Das ist der Hintergrund für unsere Debatte heute Morgen, und das dürfen wir bei unserer doch stark nach innen gerichteten Debatte
nicht vergessen.
({0})
Die Sorge um die wirtschaftliche Entwicklung, um unseren Wohlstand treibt uns alle in diesem Hohen Haus um. Na ja, fast alle: Manche wünschen sich ja
immer mehr Krise. Aber es geht doch darum, einen gemeinsamen Weg zu finden, wie wir unseren Wohlstand erhalten und künftig auf eine tragfähige, nachhaltige
Grundlage stellen können.
({1})
Das ist keine nationale Frage. Das bleibt eine europäische Aufgabe. Da sehen wir elementare Fortschritte; das ist ja in der Nacht deutlich geworden.
Weitere Gespräche sind notwendig. Die Energieminister werden das nächste Woche in Brüssel weiter konkretisieren.
Entscheidend bleibt, dass Putins Kalkulation nicht aufgeht und die EU solidarisch und geschlossen bleibt. Ich will daran erinnern, dass wir mit
unserer Fixierung auf russisches Pipelinegas aus einer miserablen Situation gestartet sind und bei unseren europäischen Partnern sehr viel Vertrauen verloren
haben.
Es ist richtig, dass wir jetzt mit dem Abwehrschirm den wirtschaftlichen Folgen des russischen Angriffskriegs so entschlossen begegnen. Wir setzen mit
den 200 Milliarden Euro ein klares Zeichen, dass wir der russischen Aggression trotzen, und zwar so lange, wie das notwendig ist.
({2})
Es geht um Sicherheit, Vertrauen und Entlastung in diesem und im nächsten Winter: für unsere Bürgerinnen und Bürger, für unsere Unternehmen, für
unsere sozialen Einrichtungen.
Als Haushaltspolitiker sage ich Ihnen: Wir nutzen all unsere Kontrollrechte als Parlamentarierinnen und Parlamentarier.
({3})
Wenn es um solche Summen geht, ist das selbstverständlich.
({4})
Wir werden uns über den Abfluss aus dem WSF engmaschig informieren lassen. Ab 1. Januar wird der Haushaltsausschuss monatlich über die
Programmausgaben unterrichtet.
({5})
Der Erfolg der Maßnahmen und Programme wird kontrolliert und evaluiert. Wir verhindern Mitnahmeeffekte. Es wird in Unternehmen, die Stützungsmaßnahmen
erhalten, keine Boni geben.
({6})
Wir werden in dieser Krise nur gemeinsam bestehen. Und bei allem Verständnis für Ihre Kritik: Mit Ihrem kleinen politischen Karo kommen wir in dieser
Situation nicht weiter.
Herzlichen Dank.
({7})
Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Dr. Gesine Lötzsch.
({0})
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Morgen werden Menschen in sechs Großstädten, auch hier in Berlin, unter dem
Motto „Solidarischer Herbst“ auf die Straße gehen. Aufgerufen haben unter anderem Gewerkschaften und Sozialverbände. Wir als Linke unterstützen diese
Demonstrationen.
({0})
Diese Solidarität schließt auch die Menschen ein, die vor dem Krieg Russlands gegen die Ukraine geflüchtet sind. Aber ich sage: Die Solidarität muss
auch für die Menschen gelten, die aus anderen Kriegs- und Krisengebieten zu uns gekommen sind. Auch sie brauchen unsere Unterstützung.
({1})
Der Brandanschlag auf die Unterkunft für geflüchtete Menschen in Nordwestmecklenburg hat in meiner Fraktion Trauer und Entsetzen ausgelöst. Darum
müssen wir hier im Bundestag ganz deutlich sagen: Jeder Politiker und jede Politikerin ist verpflichtet, so zu sprechen, dass daraus keine Stichworte für solche
Verbrechen werden, meine Damen und Herren.
({2})
Eine Frage bleibt bei dem heute vorliegenden Gesetzentwurf unbeantwortet. Wer soll eigentlich die gigantischen Strom- und Gasrechnungen bezahlen? Wir
haben eine klare Position. Wir sagen: Die Rechnung müssen die Krisengewinnler bezahlen.
({3})
Doch die Bundesregierung sträubt sich mit Händen und Füßen gegen eine gerechte Besteuerung von Rüstungsunternehmen und Stromkonzernen. Wir brauchen
endlich eine Übergewinnsteuer, wie es sie auch in anderen europäischen Ländern gibt.
({4})
Es besteht doch die große Gefahr, dass wie in der Finanzkrise und in der Coronakrise die Kosten wieder auf die Gering- und Normalverdiener abgewälzt
werden. In den Haushaltsberatungen, in denen wir ja gerade stecken, sehen wir schon, wo der Rotstift angesetzt wurde, zum Beispiel bei den Sprach-Kitas – ein
für mich unfassbarer Vorgang.
({5})
Der Finanzminister steht auf der Schuldenbremse und lässt soziale Einrichtungen am ausgestreckten Arm verhungern. Wir sagen Ihnen: Wir brauchen einen
echten Inflationsausgleich für Krankenhäuser und Pflegeheime. Der Fuß muss dauerhaft von der Schuldenbremse, meine Damen und Herren.
({6})
Nach allen Vorschlägen, die uns ja nun zur Kenntnis gekommen sind – allerdings noch nicht in Gesetzescharakter –, ist schon klar ersichtlich, dass,
wenn es um die Verteilung der 200 Milliarden Euro geht, Einkommensmillionäre und Vermögende viermal besser bedient werden als Menschen mit geringen Einkommen.
Und Menschen mit geringen Einkommen bekommen ja noch den Auftrag, weiter zu sparen. Ich möchte hier einfach mal sagen: Wer zum Beispiel in einer kleinen Wohnung
mit Fernwärme versorgt wird und seine Heizung schon auf null gestellt hat, der kann sie nicht auf minus zwei herunterregeln. Das ist technisch einfach
unmöglich. Das müssen Sie sich mal überlegen.
({7})
Was wir fordern, sind echte Anreize für Vermögende, Energie zu sparen. Glauben Sie wirklich, Herr Merz lässt jetzt seinen Privatjet stehen, weil die
Energiepreise steigen? Nein, für Millionäre und Milliardäre wurden keine Anreize geschaffen, um effektiv Energie zu sparen.
({8})
Augenscheinlich wollen Sie Ihren reichen Wählerinnen und Wählern nicht auf die Füße treten.
Der Bundesrechnungshof – das ist schon erwähnt worden – hat das 200-Milliarden-Euro-Sondervermögen scharf kritisiert und hält es für
verfassungswidrig. Sondervermögen schießen ja im Augenblick wie Pilze aus dem Boden. Das Besondere an diesen Vermögen ist, dass die Abgeordneten kaum
beeinflussen können, wie die Bundesregierung mit dem Geld umgeht. Sie wollen uns die Katze im Sack verkaufen, und das können wir nicht akzeptieren, meine Damen
und Herren.
({9})
Wir sind in der Situation, dass immer weniger Menschen Vertrauen in die Demokratie haben. Nur noch 39 Prozent der Ostdeutschen haben noch Vertrauen in
die Demokratie. Darum, denke ich, müssen wir alle Verfahren, die wir hier beschließen, demokratisch gestalten, und Sondervermögen gehören nicht dazu.
({10})
Wir haben Ihnen unseren Antrag vorgelegt, die Schuldenbremse auch für 2023 auszusetzen. Dann brauchen wir kein Sondervermögen; dann können wir das
ordentlich aus dem Bundeshaushalt finanzieren. Wir sind für Vernunft statt Ideologie. Schließen Sie sich unserer Meinung an!
Herzlichen Dank.
({11})
Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Christoph Meyer.
({0})
Guten Morgen, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Middelberg, Sie haben Ehrlichkeit in der Debatte eingefordert. Sie haben
sich darüber beschwert, dass Christian Lindner und Herr Habeck nicht anwesend sind. Dabei wissen Sie doch ganz genau, dass die beiden heute auf Einladung der
Ministerpräsidentenkonferenz genau zu den Themen sprechen, zu denen auch wir hier sprechen.
({0})
Sie wissen auch, dass wir versucht haben, den Termin nach hinten zu verschieben. Das ist aber an Ihren Unionsministerpräsidenten gescheitert. Sie sind
derjenige, der mehr Ehrlichkeit bräuchte, Sie!
({1})
Meine Damen und Herren, das Gleiche gilt für den Umgang mit der Kritik des Rechnungshofs. Die Kritik daran, dass wir mit Sondervermögen gegen das
Prinzip der Jährlichkeit des Haushalts verstoßen, ist nicht neu.
({2})
Ich frage mich nur, warum die Union diese Kritik, wenn sie in Ihren Augen jetzt so relevant ist, in den letzten Jahren nie aufgenommen hat.
Kommunalinvestitionsförderungsfonds, DigitalPakt Schule, Ausbau der Ganztagsbetreuung, Kinderbetreuungsfinanzierung – Sie haben immer die Hand gehoben, auch
noch beim Bundeswehrsondervermögen Anfang dieses Jahres. Die Bedenken haben Sie niemals vorgetragen. Warum jetzt? Was ist eigentlich anders? Einen geheimen
Vorbehalt hatten Sie damals ja wohl nicht. Sie dokumentieren mit Ihrer Positionierung momentan schlicht ein weiteres Mal, dass Sie kein Verständnis von seriöser
Oppositionsarbeit haben
({3})
und dass Sie in keiner Weise bereit sind, die mittelbaren Folgen Ihrer gescheiterten Sicherheits- und Energiepolitik der letzten Jahrzehnte hier mit
uns zusammen zu korrigieren.
({4})
Nun komme ich zum Sondervermögen „Wirtschaftsstabilisierungsfonds“.
({5})
Im Jahr 2020 haben Sie diesen Fonds mit 600 Milliarden Euro aufgefüllt. Seriöse Oppositionsarbeit in den Zeiten der Coronakrise haben Ihnen Grüne und
FDP vorgemacht. Wir haben nämlich zugestimmt
({6})
und uns nicht mit dem billigen Trick, sich in einem Entschließungsantrag hinter dem Rechnungshof zu verstecken, ohne eigene Antworten zu haben, in die
Büsche geschlagen.
({7})
Wir haben die Garantien, die Sie damals groß aufgeblasen haben, gar nicht benötigt. Wir mussten das jetzt korrigieren. Deswegen sind die
200 Milliarden Euro, die wir jetzt an Kreditermächtigungen in den Wirtschaftsstabilisierungsfonds einstellen, nach unserer Auffassung für die nächsten zwei
Jahre genau richtig dimensioniert.
Da Sie jetzt mehrfach gesagt haben, dass Sie nicht wissen, wofür das Geld ist: Der Zweck ist doch eng umrissen.
({8})
Wir reden über die Gas- und die Strompreisbremse, wir reden über Unternehmenshilfen, und wir reden über die Refinanzierung durch die KfW. Das könnten
Sie alles nachlesen, wenn Sie denn die entsprechenden Unterlagen lesen würden. Wir senden mit diesem Wirtschaftsstabilisierungsfonds und dem Abwehrschirm ein
Signal der Entschlossenheit – das wurde schon angesprochen – an die Bürgerinnen und Bürger, an die Unternehmen, dass sie sich auf die Unterstützung des Staates
in dieser Krise verlassen können.
Das Einzige, was sich in dieser Woche geändert hat, ist, dass die Union – wir haben es eben von Herrn Middelberg gehört – nicht mehr zur
Schuldenbremse steht.
({9})
Das hat sich in den letzten Monaten schon angekündigt. Es gab immer ein paar Haushaltspolitiker, die noch „Schuldenbremse!“ gerufen haben.
({10})
Die Fachpolitiker bei Ihnen haben bereits in den letzten Haushaltsberatungen und auch jetzt Forderungen nach Mehrausgaben und Aufwüchsen gestellt. Sie
können sich darauf verlassen, dass die Ampel auch im nächsten Jahr an den Prinzipien der Generationengerechtigkeit festhalten wird,
({11})
dass wir die Schuldenbremse einhalten werden und dass wir die Kritiker Lügen strafen werden. Wir werden nächstes Jahr neu darüber diskutieren.
Vielleicht entschuldigen Sie sich dann. Vielleicht kommen Sie dann auch zu einer seriösen Oppositionspolitik zurück.
({12})
Ich danke Ihnen.
({13})
Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Christian Haase.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es herrscht Verunsicherung in unserem Land. In Familien ist das Thema Energiekosten
täglich auf dem Tisch, genauso wie bei jedem Meeting in jedem Unternehmen.
Wahrscheinlich bekommen auch Sie täglich Anrufe von besorgten Bürgerinnen und Bürgern und Unternehmen: Da ist der Bäcker aus meinem Wahlkreis, der von
einer Verzehnfachung der Gaspreise berichtet. Es kommen viele Leute von weither, um sein Brot zu kaufen, aber eine Verdoppelung der Brotpreise will er seinen
Kunden nicht zumuten. Bereits in der Coronakrise hat er einen Teil seiner Alterssicherung eingesetzt; das will er nicht noch mal tun. Wenn die Regierung jetzt
nicht handelt, schließt er seinen Betrieb.
({0})
Da ist die Witwe. Ihr Vermieter teilt mit, der Heizkostenabschlag werde sich verdreifachen. Sie weiß nicht, wie sie das von ihrer Witwenrente bezahlen
soll. Sie spart schon, wo sie kann. Der Garten ist längst zum Ersatz des Supermarktes geworden.
({1})
Da ist der Inhaber eines Modehauses. Die Verkaufsräume leeren sich deutlich spürbar. Selbst am verkaufsoffenen Sonntag kommt es nicht zum erhofften
Konsumschub, und am Montag bringen die Leute die Mäntel zurück, weil sie sie sich doch nicht leisten können. Selbst der Habeck-Pulli wird zum Ladenhüter, und
dabei ist die Coronakrise noch gar nicht überwunden. Meine Damen und Herren, deshalb ist es richtig und wichtig, jetzt über Strompreisbremsen zu sprechen, jetzt
über Gaspreisbremsen zu sprechen und nicht nur die Finanzierung auf den Weg zu bringen, sondern endlich zu sagen, wie wir den Menschen und Unternehmen in diesem
Land helfen wollen.
({2})
Wenn Sie Ihren Abwehrschirm hier so loben, dann sage ich Ihnen: Dieser Schirm hat keinen Stock. Mit Ihrem Schirm stehen die Leute weiterhin im Regen,
weil Sie den zweiten Teil einfach nicht angehen wollen.
({3})
Es war doch allen klar: Nah dem Einfall von Putin in die Ukraine wird es zu einer Energiekrise kommen. Der Kanzler hat gesagt, er wusste das schon im
Herbst. Aber außer dass er Nord Stream 2 durchgewunken hat, hat er nicht darauf reagiert. Er hätte ja schon an der Stelle etwas tun können; das hat er nicht
gemacht. Was hätte eine Regierung als Antwort auf Putins Energieknebel tun müssen?
({4})
Angebotsausweitung wäre die Antwort gewesen: Biogasdeckel weg, Kohlekraftwerke aus der Reserve, Laufzeitverlängerung bei Kernkraftwerken, LNG als
Ersatz. All das hat die Regierung getan, aber zu langsam, zu spät und immer nur halbherzig, meine Damen und Herren.
({5})
Das wäre zu Beginn des Krieges notwendig gewesen. Das wäre ein Wumms für den Energiemarkt gewesen, und dann hätte es die Spekulationen und diesen
Doppel-Wumms von heute nicht gegeben.
({6})
Zuletzt konnten wir das ja an dem inszenierten Schauspiel zur Kernkraftverlängerung sehen. Da wird gesagt: Ja, wir haben jetzt was getan. Bis zum
15. April 2023 werden die Laufzeiten verlängert. – Heute bekommen wir einen Beschluss vorgelegt, in dem steht: Die Krise dauert bis Juni 2024. – Das passt doch
nicht zusammen. Sie sind nicht bereit, die Dinge auch mal zu Ende zu denken.
({7})
Wer glaubt, dass heute irgendwas Konkretes beschlossen wird, der irrt. Wir sollen hier einen Geldsack mit Schulden füllen, ohne zu wissen, was mit dem
Geld passiert. Die Gaskommission hat geliefert.
({8})
Ihre Regierung, Frau Haßelmann, liefert nicht. Die Strompreisbremse, so hört man, soll erst im November finalisiert werden.
({9})
Ihre Entscheidungsverweigerung frustriert die Familien und Unternehmen in diesem Land. Und wenn Herr Miersch sagt: „Wir gucken uns das mal im Januar,
Februar an und werden dann irgendwann im Frühjahr entscheiden“, dann nenne ich das „soziale Kälte“, Herr Miersch.
({10})
Das ist soziale Kälte und kein Respekt vor den Menschen in diesem Land.
({11})
Es wird Insolvenzen geben – das fängt jetzt an; das können Sie schon an den Zahlen ablesen –, und jeder dieser Betriebe geht auf Ihre Kappe, liebe
Ampel.
({12})
Wenn Sie das Gesetz hier allein als Signal an die Märkte verstehen, dann sage ich Ihnen: Wir arbeiten hier nicht für Märkte, wir arbeiten für die
Menschen und Unternehmen in diesem Land; das ist wichtig.
({13})
Wir brauchen die Entscheidung über die Bremsen jetzt. Aber Sie verwenden lieber drei Viertel Ihrer Redezeit darauf, uns als CDU/CSU zu beschimpfen,
statt Ihre Konzepte endlich offenzulegen und den Menschen in diesem Land zu helfen.
({14})
Wenn Sie endlich liefern, kommen wir hier gerne in den nächsten zwei Wochen zu einer Sondersitzung zusammen und entscheiden, wie es mit der
Gaspreisbremse und Strompreisbremse weitergeht. Wir sagen Ja zu niedrigen Energiepreisen. Wir sagen Nein zu Ihrer Finanzierung. Schalten Sie Ihre Ampel mal auf
Grün!
Danke schön.
({15})
Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Dr. Wiebke Esdar.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir stellen heute 200 Milliarden Euro zur Verfügung, um gut durch diese Energiekrise zu kommen. Herr
Haase, es ehrt Sie ja, dass Sie die Verunsicherung in der Bevölkerung aufgreifen – das ist ja genau das, was unser Handeln leitet: dieser Verunsicherung etwas
entgegenzusetzen –; aber es wäre folgerichtig, wenn die Union dann eine Oppositionspolitik betreiben würde, die diese Verunsicherung nicht hochjazzt, sondern
konstruktive Vorschläge einbringt, damit wir um die besten Lösungen ringen können.
({0})
Meine Damen und Herren, wir setzen heute den Rahmen dafür, dass wir eine Gas- und Wärmepreisbremse für diejenigen einführen können, die am meisten
darunter leiden, und zwar mit Planungssicherheit, weil wir schon jetzt Mittel bereitstellen können, mit denen wir die Abschlagszahlungen im Dezember
finanzieren, mit denen wir aber auch schon die Hilfen für den Winter 2023/2024 planen können. Wir setzen den Rahmen für einen Härtefallfonds, der dann
denjenigen helfen kann, die weitere Hilfen benötigen, und zwar Unternehmen, aber auch Forschungseinrichtungen, Bildungseinrichtungen von Kitas bis zu
Hochschulen, Krankenhäuser und alle Verbraucherinnen und Verbraucher. Wir setzen einen weiten Rahmen mit diesem Gesetz.
({1})
Wir setzen heute auch den Rahmen dafür, dass wir mit der Energiepreisbremse in den Markt eingreifen, weil es notwendig ist. Damit ist klar, dass in
dieser Krise weiter gilt: You’ll never walk alone.
Herr Middelberg – ich würde mich freuen, wenn Sie mir auch zuhören würden –, wenn Sie hier von einem Blankoscheck sprechen, den wir hier ausreichen,
dann haben Sie, glaube ich, entweder die vorliegenden Änderungsanträge nicht gelesen oder es ist Ihr Ziel, die Menschen bewusst in die Irre zu führen.
({2})
Was wir heute beschließen werden, ist, 200 Milliarden Euro in einem Sondervermögen bereitzustellen. Wir sperren diese Mittel aber sofort wieder. Heute
ist die Stunde des Parlaments – Matthias Miersch hat es gesagt –: Wir werden erst dann auszahlen, wenn die Bundesregierung uns die konkreten Gesetzentwürfe und
Vorlagen vorstellt. Dann gilt es, darüber abzustimmen. – Herr Middelberg, ich fände es immer noch schön, wenn Sie mir zuhören würden; denn Sie können noch etwas
lernen.
({3})
Wir zahlen erst dann aus, wenn die konkreten Maßnahmen vorliegen. Wir stärken das Parlament mit Berichtspflichten, und zwar nicht nur gegenüber dem
Haushaltsausschuss. Wir werden als SPD-Fraktion – das kann ich versichern – sehr stark abwägen und so auszahlen, dass es am Ende sozial ausgewogen sein
wird.
({4})
Ganz wichtig – auch da würde ich mich über die Zustimmung der CDU freuen –:
({5})
Wir werden sicherstellen, dass Unternehmen, die von der Hilfe des Staates profitieren, keine Dividenden und keine Boni auszahlen werden. Wer von
Steuergeldern profitiert, muss darauf verzichten. Das ist sozial gerecht.
({6})
– Doch, Herr Middelberg, das beschließen wir. Schauen Sie sich mal die Änderungsanträge an, die wir im Übrigen vorgestern auch im Haushaltsausschuss
vorliegen hatten!
({7})
Meine Damen und Herren, wir haben die Kraft, diesem Erpressungsversuch Putins standzuhalten. Wir werden mit diesen 200 Milliarden Euro soziale Härten
abfedern, wir werden unseren Wirtschaftsstandort sichern. Das tun wir als Staat mit staatlichen Eingriffen. Darum zeigt sich meines Erachtens heute einmal mehr,
dass insbesondere in der Krise die Mär „Der Markt wird es schon regeln“ nicht gilt.
({8})
Darum muss neben dem akuten Krisenmanagement, das wir jetzt betreiben, eine der Lessons learned sein: Wir brauchen resilientere Lieferketten; die
müssen wir aufbauen. Wir brauchen mehr eigene Produktionskapazitäten hier in Deutschland, zum Beispiel bei der Medikamentenversorgung, um nicht wieder in eine
Abhängigkeit von anderen Ländern zu kommen. Und wir brauchen den massiven Ausbau erneuerbarer Energien, um zu mehr Energiesouveränität zu kommen.
({9})
Darum brauchen wir ein umfassenderes Verständnis von Daseinsvorsorge, einer Daseinsvorsorge, die nie wieder so abhängig von internationalen
Marktmechanismen und einzelnen Despoten sein kann. Darum zeigt sich auch: Die umfassende Daseinsvorsorge, die wir brauchen, gehört in die öffentliche Hand.
Herzlichen Dank.
({10})
Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Peter Boehringer.
({0})
Frau Präsidentin! Die Regierung sagt uns auch in der letzten Lesung ihres Gesetzentwurfs heute noch immer nicht, wie die planwirtschaftlichen,
garantiert hochbürokratischen und niemals gerecht umsetzbaren Gaspreisdeckelungen ausgestaltet werden sollen. Wer bekommt Geld? Welche Preise werden wo
gedeckelt? Wie soll das operativ umgesetzt werden? Das alles wird erst in Monaten per Verordnung geregelt. Der vorliegende Gesetzentwurf ist schlicht nicht
entscheidungsreif.
({0})
Testfrage an Sie alle, ob Sie den lächerlich kurzen, im Gesetz enthaltenen Wirtschaftsplan des 200-Milliarden-Euro-Fonds auch gelesen haben: Wie viel
Geld sieht er für die angekündigten Dezemberzahlungen vor? Nun, ich sage es Ihnen: Hier stehen genau null Euro. Das Gleiche für die Gaspreisbremse, die
Strompreisbremse und weitere Stützungsmaßnahmen: null Euro. Frau Esdar, man kann nicht sperren, was im Wirtschaftsplan gar nicht drinsteht. Das geht einfach
nicht. Da ist nichts zu sperren, wir haben da nichts, jedenfalls nicht für 2022.
({1})
Und doch soll der Bundestag heute zustimmen, dass 200 Milliarden Euro neue Schulden in die Rücklage eines zweckentfremdeten, sonst vollkommen
undefinierten Schattenhaushalts gepackt werden.
({2})
Es wäre absurd, der Regierung einen solchen Blankoscheck auszureichen.
({3})
Der einzig richtige Weg für ein solches Gesetz wäre ein Nachtragshaushalt 2022 über die nur recht kleine Summe, die als geplante
Dezemberenergiezahlung an Menschen und Unternehmen tatsächlich ausgezahlt wird. Der Finanzminister – nicht anwesend – will jedoch mehr als das 20‑Fache in den
2022er-Haushalt einstellen, was seine Zwölfmonatsbilanz an Neuverschuldung dann auf glatte 500 Milliarden Euro bringt. Auch der Bundesrechnungshof hat, genau
wie schon seit Jahren die AfD, nun festgestellt: Der Buchungstrick der Reservebildung ist sehr wahrscheinlich verfassungswidrig. – Wir sagen: Er ist
verfassungswidrig.
({4})
Die 200 Milliarden Euro werden 2022 nicht benötigt. Ihr Einstellen heute in den WSF dient einzig der Umgehung der Schuldenbremse, die derzeit
glücklicherweise noch ausgesetzt ist. Warum geht das überhaupt? An dieser Stelle ist auch die Union unehrlich; denn noch die unionsgeführte GroKo hat 2021 einen
weiteren Trick erfunden, wonach Kredite schon und nur im Jahr der Kreditermächtigung auf die Schuldenbremse angerechnet werden, die praktischerweise in
Coronazeiten ausgesetzt war und es heute immer noch ist. Zum Glück liegen diese Tricks nun endlich in Karlsruhe. Kehren Sie zum Recht zurück! Das gilt für
alle.
({5})
Unser heute abzustimmender Antrag gibt Ihnen die Chance auf eine saubere Etatisierung der erforderlichen Gelder. Stimmen Sie einfach zu! Dann kann den
Menschen und Unternehmen geholfen werden, die unter der aktuellen Falschpolitik leiden. Für eine nur symptomatische Linderung der dümmsten Energiepolitik der
Welt mit Steuergeld sind die Schadenssummen aber viel zu hoch. Nötig ist das ursächliche Abwenden des existenziell gefährlichen Energienotstands. Wir sagen das
seit Monaten; schon vor dem Ukrainekrieg haben wir das gesagt. Hören Sie endlich auch beim Energiethema auf die rationale Stimme der AfD!
Herzlichen Dank.
({6})
Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Felix Banaszak.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den 16 Jahren, als Bündnis 90/Die Grünen
({0})
– warten Sie ab, Herr Merz! – in Opposition zu unionsgeführten Bundesregierungen stand, hat diese Fraktion in zentralen Fragen bei der Bewältigung
großer Krisen die Regierung an jeder Stelle gestützt. Das war bei der Finanzkrise so, das war bei der Griechenlandrettung so, und das war bei der Pandemie so.
Warum haben Sie diese Größe nicht?
({1})
Warum haben Sie diese Größe nicht, Herr Merz? Warum suchen Sie zwanghaft nach irgendeiner Möglichkeit, abzulehnen, was diese Regierung zur Abfederung
der Energiekrise für die Gesellschaft, für die Wirtschaft jetzt vorhat?
({2})
Monatelang sind Sie durchs Land gezogen und haben gesagt: „Bloß keine Gasumlage!“, ohne ein Wort zur Finanzierung. Jetzt gibt es keine Gasumlage;
jetzt gibt es eine Gaspreisbremse und eine Strompreisbremse mit einer soliden, haushaltsrechtlich vollkommen akzeptablen Finanzierung,
({3})
und Sie geben hier zu Protokoll – und ich hoffe, dass das viele Menschen sehen –: Die Unionsfraktion und Herr Merz wollen nicht, dass es jetzt
Planbarkeit für die Unternehmen und für die Gesellschaft gibt, dass sie über diesen und über den nächsten Winter kommen.
({4})
Man muss ja schon fragen, wie Sie es eigentlich mit sich vereinbaren können, sich hier zu beschweren, diese Regierung hätte so viel Zeit ins Land
gehen lassen,
({5})
es gäbe keine Planbarkeit, wie sollten die Unternehmen denn jetzt wissen, wie es weitergeht,
({6})
und dann verhindern zu wollen, dass wir bis Juni 2024 die finanzielle Grundlage dafür schaffen, dass diese Entlastung stattfindet? Das ist nicht mehr
dialektisch; das ist doch schon schizophren.
({7})
Herr Middelberg, mich wundert ja nicht, dass Sie die Anträge und die Gesetzesvorlagen der Regierung nicht lesen oder zumindest nicht ausreichend
lesen.
({8})
Aber Sie haben anscheinend Ihren eigenen Entschließungsantrag nicht gelesen, wenn Sie behaupten, dass gar nicht klar sei, wofür das Geld ausgegeben
werden soll.
Meine Damen und Herren, mit diesem Wirtschaftsstabilisierungsfonds machen wir eigentlich viel mehr, als im Namen steckt. Er heißt
„Wirtschaftsstabilisierungsfonds“; aber eigentlich ist es ein Fonds zur Stabilisierung der Gesellschaft, der freien und der demokratischen, der resilienten, der
widerstandsfähigen Gesellschaft, gegen Wladimir Putin und gegen seine Helfershelfer hier in Deutschland. Das ist das, was hier zur Debatte steht.
({9})
Die Gaspreiskommission hat vor nicht allzu langer Zeit einen guten Vorschlag vorgelegt, der aktuell in der Regierung und im Parlament diskutiert wird,
um umzusetzen, was jetzt notwendig ist: mit der Gaspreisbremse dafür zu sorgen, dass die Spitzen abgefedert werden, mit der Strompreisbremse dafür zu sorgen,
dass auch bei den Strompreisen eine reale Entlastung erfolgt, unter anderem natürlich darüber – das schreiben Sie auch in Ihrem Entschließungsantrag –, dass
Übergewinne abgeschöpft und an die Allgemeinheit zurückgeführt werden. Aber Sie müssen doch anerkennen, dass es Härtefälle gibt, die darüber nicht abgedeckt
werden können. Das betrifft einzelne Unternehmen; das betrifft aber auch soziale Einrichtungen, die Krankenhäuser und viele mehr, mit denen wir uns auch
beschäftigen müssen. Deswegen werden wir uns von Ihrer Obstruktionspolitik nicht beirren lassen.
Herr Merz, Sie sind gerade bei den „16 Jahren“ aufgeschreckt. Sie beschweren sich hier immer, dass wir Ihnen 16 Jahre schlechte Regierungspolitik
vorhalten.
({10})
Ich muss sagen: Die letzten 16 Monate Oppositionspolitik finde ich nicht besser. Das hat mich nicht überzeugt.
({11})
Sie sagen immer nur, was nicht geht, warum man irgendetwas nicht tun dürfe. Ich finde es gut, dass Sie das den Bürgerinnen und Bürgern so transparent
machen.
Ein Letztes, meine Damen und Herren: Mit dem, was wir jetzt tun, ist die Arbeit noch nicht getan. All das muss noch in Gesetze gegossen werden.
({12})
Darüber hinaus müssen wir eine dritte Aufgabe sehr ernst nehmen. Wir stabilisieren die Wirtschaft gegen die Rezession, wir stabilisieren die
Gesellschaft gegen diese Angriffe, und jetzt müssen wir auch unsere Energieversorgung weiter stabilisieren – mit mehr Effizienz, mit mehr Einsparungen. Damit
werden wir in den nächsten Monaten noch einige Zeit verbringen. Vielleicht werden Sie dann noch ein bisschen konstruktiver.
Vielen Dank.
({13})
Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dennis Rohde.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man der Debatte bis hierher gefolgt ist, muss man, glaube ich, eines am Anfang noch mal
feststellen: Wir haben dieses Paket nicht gewollt. Es war nicht Bestandteil der Koalitionsverhandlungen. Wir haben zum Zeitpunkt der Bildung dieser Koalition
nicht darüber diskutiert.
({0})
Dass wir heute über 200 Milliarden Euro diskutieren, hat sich niemand ausgesucht. Das ist allein Ergebnis des Angriffskrieges von Wladimir Putin,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Wir reagieren, und wir reagieren auf unterschiedlichste Art und Weise. Eine Reaktion ist, dass wir in einem wirklichen Rekordtempo die Infrastruktur
für erneuerbare Energien, für LNG, für späteren nachhaltigen Wasserstoff ausbauen. Noch nie wurden Infrastrukturprojekte in Deutschland so schnell
vorangebracht. Das ist etwas, was wir immer wieder betonen sollten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Aber zur Wahrheit gehört: Neue Märkte erschließen, neue Kapazitäten ausbauen – das wird nicht von heute auf morgen gehen. Das wird Zeit brauchen, auch
wenn wir optimistisch sind, dass die ersten LNG-Schiffe dieses Jahr noch anlanden. Aber wir wollen in dieser Zeit, die wir brauchen, um Angebot und Nachfrage
wieder in Einklang zu bringen, die Bürgerinnen und Bürger nicht alleine lassen, sondern sie spürbar entlasten. Wir wollen, dass sie durch die nächsten Winter
kommen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deshalb diskutieren wir heute über diese 200 Milliarden Euro.
({3})
Die Union spricht hier von Parteitagsbeschlüssen und sagt, dass es doch konkrete Vorschläge gebe. Ich wäre als europäischer Konservativer in diesen
Tagen sehr vorsichtig mit Schnellschüssen. Das kann kräftig nach hinten losgehen.
({4})
Ich finde, wir brauchen nicht den erstbesten, sondern den besten Vorschlag, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Deswegen ist genau richtig, was jetzt passiert ist – Matthias Miersch hat es gesagt –, nämlich dass man diejenigen, die wirklich Erfahrung in diesen
Bereichen haben, in eine Expertenkommission geholt hat und dass die Politik dabei ist, wenn diskutiert wird: Wie schaffen wir es, Entlastungen in diesem Land
sicherzustellen? Eben weil da Expertinnen und Experten diskutieren, die Politik zwar dabei ist, aber erst bei der Umsetzung aktiv wird, ist es doch richtig,
dass dieses Parlament heute quasi als sein Hoheitsrecht sagt, was das Ganze kosten darf. Das, was wir heute beschließen, nämlich den Rahmen von 200 Milliarden
Euro, ist gelebtes Königsrecht; das ist Haushaltsrecht.
({6})
Es ist damit eben das Gegenteil eines Blankoschecks.
Ich will es noch deutlicher machen: Wir beschließen heute die Summe. Und ja, die konkreten Maßnahmen werden erst in den nächsten Wochen auf uns
zukommen. Aber wir stellen sicher, dass jede Maßnahme, ganz egal, ob über den gesetzlichen oder den Verordnungsweg, die Geld kostet, wieder durch den Deutschen
Bundestag muss. Wir behalten das Heft des Handelns in der Hand. Ich finde, das ist auch wichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({7})
Ich habe in der Debatte immer wieder den Vorwurf gehört, das sei alles so intransparent, da würden Säcke gefüllt und in Keller gebracht.
({8})
Das ist wirklich sehr intransparent. Es ist so intransparent, dass jeder hier im Haus mitbekommen hat: Es geht um 200 Milliarden Euro. – Das ist das
Erste.
({9})
Das Zweite: Es ist so intransparent, dass der Wirtschaftsplan, die konkrete Verausgabung, am Ende auch wieder im Haushaltsausschuss diskutiert und
beschlossen werden muss. Es ist so intransparent, dass jeder Bürger nachher im Wirtschaftsplan sehen kann: Wie viel ist denn von den 200 Milliarden Euro
abgeflossen? Wie viel ist noch drin? Wofür wurde es ausgegeben?
Ich finde, das, was wir hier machen, ist das Gegenteil von Intransparenz. Wir verstecken es nicht in einigen Einzelplänen, hier mal eine Maßnahme, da
mal eine Maßnahme,
({10})
sondern wir bündeln und stellen es gebündelt dar. Das ist maximale Transparenz, und es ist das Gegenteil von Intransparenz, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
({11})
Es geht bei diesem Vorwurf auch gar nicht um die Sache. Ich stelle mir einmal vor, wir hätten das gemacht, was Christian Haase hier gefordert hat: Wir
würden das in die nächsten Haushaltsverhandlungen mit einbringen,
({12})
wir würden schauen, was wir dann konkret etatisieren. Wenn wir das machen würden,
({13})
dann würden Sie uns doch vorwerfen, wir würden für keine Planungssicherheit sorgen, wir würden nur Monat für Monat schauen und wir wären uns der Größe
dieser Krise nicht bewusst.
({14})
Ihnen geht es doch nicht um Kritik; Ihnen geht es plump ums Dagegensein.
({15})
Das ist der Unterschied – Felix Banaszak hat das gerade gesagt; und ich will das, weil wir in diesen Konstellationen immer mit in
Regierungsverantwortung sind, hier auch noch mal sagen – unserer heutigen Koalitionspartner zu unserem vorherigen Koalitionspartner. Als der WSF eingeführt
wurde, war auch noch nicht klar, wie teuer das Ganze wird und für was genau am Ende verausgabt wird. Als der WSF eingeführt wurde, haben wir über 600 Milliarden
Euro diskutiert. Grüne und FDP haben aufgrund ihrer staatspolitischen Verantwortung zugestimmt und haben nicht dieses Kasperletheater aufgeführt.
({16})
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Der Rahmen, den wir heute setzen, ist richtig und angemessen. Wir, der Deutsche Bundestag, behalten das Heft
des Handelns in der Hand. Von daher, glaube ich, kann jeder Parlamentarier heute mit gutem Gewissen zustimmen.
Vielen Dank.
({17})
Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Florian Oßner.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wäre die Bundesregierung eine Privatperson, so hätte ihr inzwischen jede vernünftige
Bank das Konto gesperrt oder alle Kreditkarten eingezogen.
({0})
Kaum ist das Limit erschöpft, wird die nächste Karte ausgereizt. Die Finanzpolitik der Ampel entpuppt sich immer mehr als ein gefährliches
Schneeballsystem. Für jedes neue Problem wird ein neuer als Sondervermögen deklarierter Schuldentopf aufgemacht. Mit Verlaub bemerkt an meinen Vorredner, Herrn
Banaszak von den Grünen: Also, es hat wirklich nichts mit Größe zu tun, wenn man hier Blankoschecks und Schuldentöpfe aufmacht.
({1})
Von Dennis Rohde habe ich gelernt, dass es zum Königsrecht gehört, Schulden zu machen und Blankoschecks auszustellen.
({2})
Dies ist die Problemlösung à la Ampel, jedoch nicht die Problemlösung, wie wir sie als CDU und CSU vertreten.
({3})
– Nur die Ruhe. Im Gegensatz zu Ihnen komme ich noch zu den Inhalten und dem, was man machen kann.
Wir, die Union, kämpfen für eine Entlastung der Bürger und Unternehmer.
({4})
Jedoch ist für uns nicht nachvollziehbar – alle Ampelvorredner haben das bestätigt –: Nach welcher Berechnung sich diese 200 Milliarden Euro
zusammensetzen, bleibt völlig offen – ebenso, wie neben der Gas- nun die Strompreisbremse schlussendlich gestaltet ist und wie Nutzern von Öl- und
Pelletheizungen, die komplett vergessen wurden, geholfen wird. Der komplette ländliche Raum wird meiner Ansicht nach vergessen. Die Ampel hat zuerst ein
Preisschild erstellt, ohne zu wissen, wie das fertige Produkt am Ende aussehen soll. Als Union hätten wir eine vernünftige Reihenfolge gewählt: erst die
konkreten Maßnahmen benannt, dann erklärt, wie es zu finanzieren ist. Das wäre die richtige Vorgehensweise, und nicht ein derartiger Blankoscheck.
({5})
– Jetzt, lieber Otto Fricke, werden wir konkret.
({6})
Mit unserem Entschließungsantrag bieten wir konkrete Lösungsvorschläge an,
({7})
wie man den hohen Energiepreisen begegnen kann.
Erstens. Es gehören wirklich alle Optionen der Energieerzeugung in unserem Land auf den Tisch. Nur wenn wir es packen, die Energieknappheit in den
Griff zu bekommen, werden die Energiepreise auch wieder sinken.
({8})
Deshalb müssen wir alle drei noch im Betrieb befindlichen Kernkraftwerke begrenzt bis 2024 weiterlaufen lassen. Damit würden alle Stromkunden durch
niedrige Preise entlastet. Das sogenannte Machtwort von Scholz ist deshalb schier unverantwortlich.
({9})
Hier stellen Sie rot-grüne Parteiideologien vor die Interessen unseres Landes.
({10})
Deutschland hat bereits heute einen massiven Wettbewerbsnachteil aufgrund der weltweit höchsten Strompreise.
({11})
Jetzt in dieser Energiemangellage binnen nur weniger Monate zusätzlich Produzenten aus dem Markt zu nehmen, macht uns noch abhängiger und treibt die
Preisspirale zusätzlich nach oben.
({12})
Wir müssen deshalb alles daran legen, unsere Spitzenposition bei grundlastfähigen erneuerbaren Energien weiter auszubauen. Schon heute ist
beispielsweise der Anteil von Wind, Wasser, Sonne und Biomasse in Bayern – liebe Grüne: in Bayern – mit 52 Prozent fast doppelt so hoch wie im
Bundesdurchschnitt. Das ist eine wahre Erfolgsgeschichte.
({13})
Zweitens. Wir müssen verzichtbare Projekte einsparen. Ein Blick in den Haushalt 2023 zeigt: Es gebe Einsparmöglichkeiten zuhauf. Beispiele: Der Bund
finanziert weiterhin Projekte, die eigentlich Länderangelegenheit sind, wie die Nachfolge-9‑Euro-Tickets.
({14})
Das Kanzleramt wird für die enorme Summe von 777 Millionen Euro erweitert. Das Bürgergeld wird eingeführt mit Mehrkosten von sage und schreibe
4,8 Milliarden Euro, was die Arbeit verteuert und Nichtstun noch attraktiver macht, obwohl jede helfende Hand in unserem Land gebraucht wird. Das braucht in
dieser Krisenzeit wirklich keiner. Also, weg damit!
({15})
Drittens. Liebe Ampel, verzichten Sie auf alle Ihnen lieb gewordenen und jetzt wieder bestätigten Haushaltstricks! Mit unserer Kritik stehen wir im
Übrigen nicht allein da, sondern haben hier den Bundesrechnungshof fest an unserer Seite.
({16})
Der kommt in seinem Bericht zu einem vernichtenden Fazit: „Die Etatisierung der Mittel in einem Sondervermögen verstärkt die bereits bestehende
Intransparenz des Bundeshaushaltsplans.“ Ich möchte es an einem Beispiel festmachen: Würden wir alle Ausgaben im Sondervermögen im nächsten Jahr mit dem
regulären Kernhaushalt 2023 summieren, wären wir nicht bei den veranschlagten 445 Milliarden Euro, sondern bei sage und schreibe 613 Milliarden Euro, also
38 Prozent höher als ausgewiesen. Das hat wirklich überhaupt nichts mit Transparenz zu tun.
({17})
Am Ende wird entscheidend sein: „Die vorgesehene Kreditaufnahme ‚auf Vorrat‘ verstößt“ auch „gegen den verfassungsmäßigen Grundsatz der
Jährlichkeit“. Wir hatten das heute schon mehrfach angesprochen.
({18})
Der vorgesehene Notlagenbeschluss, Frau Präsidentin des Deutschen Bundestages, braucht nach Artikel 115 II GG zwingend den erforderlichen zeitlichen
Veranlassungszusammenhang. Das heißt, die Mittel dürfen nur in unmittelbarem Zusammenhang zur Energiekrise stehen und für nichts anderes verwendet werden. Wir
lassen uns da überraschen.
Liebe Ampel, mit so einer Finanz- und Haushaltspolitik ist wahrhaft kein Staat zu machen. Ich rate Ihnen: Stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu,
und sorgen Sie gemeinsam mit uns für eine ehrliche Entlastung bei den Energiepreisen ohne Rekordschulden und ohne Schattenhaushalte!
Herzliches „Vergelts Gott!“ fürs Zuhören.
({19})
Nächster Redner: für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Michael Kellner.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir entscheiden heute als Parlament, ob wir mit dem 200 Milliarden Euro schweren
Abwehrschirm die Substanz und die Zukunftskraft unserer Volkswirtschaft absichern. Wir entscheiden mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds auch darüber, dass
wir nicht nur einzelnen Branchen helfen, sondern allen Unternehmen. Wir zeigen hier Handlungsfähigkeit in den Zeiten der Krise. Wenn ich hier die Debatte
zusammenfasse und höre, was die Union vorschlägt, dann muss ich sagen, sie stehen für Verhaltensstarre. Die Ampel handelt, die Union hampelt.
({0})
Mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds finanzieren wir die Strom- und Gaspreisbremse und orientieren uns dabei am Vorschlag der
ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme.
({1})
Das machen wir übrigens auch bei der Strompreisbremse. Mit der Gaspreisbremse entlasten wir alle Unternehmen und privaten Haushalte und schaffen damit
Planungssicherheit.
Ich finde den Vorschlag der Gaskommission richtig, in einem ersten Schritt zu entlasten, indem wir über die Versorger gehen. Das hilft schnell. Wir
schlagen damit eine finanzielle Brücke bis zur regulären Einführung der Gaspreisbremse im kommenden Jahr.
Die Gaspreiskommission schlägt in einer zweiten Stufe vor, die Preise für industrielle Verbraucher bei 7 Cent/kWh ohne Abgaben für Gas zu deckeln.
({2})
Für andere Unternehmen und private Haushalte schlägt sie einen Bruttopreis von 12 Cent/kWh vor. Das klingt teurer, kommt aber für die
Industrieunternehmen und für Gewerbe und private Haushalte auf dasselbe hinaus. Es werden mit einem Grundkontingent größere Teil übernommen. Aber es wird nicht
alles übernommen. Wir brauchen Preise als Steuerungs- und Sparanreiz; denn wir müssen weiter sparen.
({3})
Vor dem Sommer starteten wir bereits ein Energiekostendämpfungsprogramm für energie- und handelsintensive Unternehmen. Mit dem jetzigen Abwehrschirm
in Höhe von 200 Milliarden Euro können wir diese Engführung überwinden und alle Unternehmen unterstützen. Das Energiekostendämpfungsprogramm und das
ursprünglich geplante KMU-Programm gehen in dieser Maßnahme auf; denn es geht nicht darum, weiter darüber zu diskutieren, welche Branchen besonders unterstützt
werden müssen und welche nicht, sondern maßgeblich darum, allen Unternehmen zu helfen, und zwar so schnell und so unbürokratisch wie möglich. Auch das haben wir
aus den Coronahilfen gelernt.
Wir wollen, nachdem wir heute den WSF beschließen, im November im Bundestag beraten. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, noch in diesem Jahr die Gas-
und Strompreisbremse einzuführen und Planungssicherheit für die Unternehmen zu gewährleisteten.
({4})
Aktuell sind wir in der Feinabstimmung mit der EU-Kommission, weil die Bremsen dem europäischen Beihilferecht genügen und mindestens bis Ende 2023
gelten müssen. Denn – und das will ich noch einmal ganz deutlich sagen – wenn sich die Speicher nach diesem Winter lehren, müssen wir diese mit alternativen
Gasquellen schnell wieder füllen. Gerade deswegen ist das Sparen so wichtig.
Und wir müssen an die Ursache der Krise heran, an die Abhängigkeit von fossiler Energie. Wir dürfen uns als Volkswirtschaft keine zwei Jahre Pause
leisten. Die Dekarbonisierung, auch als Wettbewerbsvorteil unserer Wirtschaft, muss weitergehen.
({5})
Dafür brauchen die Unternehmen Planungssicherheit bei den Betriebskosten und eine Unterstützung bei den Investitionen in die Transformation. Es ist
entscheidend, dass wir die nächsten zwei Jahre dafür weiter nutzen.
({6})
Zum Schluss sage ich in aller Deutlichkeit: Bei der Auswahl des Paketes werden wir sehr darauf achten, dass der Mittelstand nicht schlechter behandelt
wird als die Industrie. Das ist mein Ziel. Ich danke daher für die Unterstützung dieses wichtigen Vorhabens.
({7})
Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Kevin Kühnert.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Vorfeld dieser Debatte über den WSF habe ich in die Protokolle des Deutschen Bundestages
geschaut, um mir zu vergegenwärtigen, wie das eigentlich aussah, als vor zweieinhalb Jahren der WSF, damals unter den frisch aufkommenden Bedingungen der
Coronapandemie, auf den Weg gebracht wurde. Es ist ganz erstaunlich, welche Zitate man in der damaligen Plenardebatte zu diesem Thema finden kann. Ich möchte
einen kleinen Ausschnitt präsentieren, damit Sie ein Gefühl dafür kriegen, wie relativ manche Wertevorstellungen von einigen hier im Haus sind.
Damals wurde an diesem Pult zum Beispiel geäußert:
Es gibt Situationen, da muss man vielleicht auch Entscheidungen treffen, deren Wirkung man nicht bis zum langen Ende bedenken und sehen kann. Aber man
muss Entscheidungen treffen, um in der Situation die größte Not zu bekämpfen.
Das hat der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier, CDU, hier im Plenum gesagt.
({0})
Ihr damaliger Fraktionsvorsitzender Herr Brinkhaus, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, sagte Folgendes:
Wir werden in dieser Krise, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch entscheiden; denn das Schlimmste, das man in einer Krise machen kann, ist, sich
wegzuducken und nichts zu tun, zu warten, bis der Sturm vorübergeht.
({1})
Das sind weise Worte, die Herr Brinkhaus damals gesprochen hat. Aber leider wollen Sie sich heute, in einer vergleichbaren Situation der Krise und mit
genau diesem Instrument vor Augen, nicht mehr so recht daran erinnern.
({2})
Es geht noch weiter: Sie haben damals in der Debatte im Deutschen Bundestag den damaligen demokratischen Oppositionsfraktionen, Grünen und FDP,
großherzig dafür gedankt, dass sie trotz einer unklaren Gemengelage, in der nicht bis ins letzte Detail schon alles entschieden war, ihre staatspolitische
Verantwortung auch in der Opposition wahrgenommen und eingelöst haben, dass die demokratische Mehrheit zusammensteht.
({3})
Warum sind Sie heute eigentlich nicht zur selben staatsmännischen und ‑fräulichen Tat fähig, meine Damen und Herren?
({4})
Stattdessen verstecken Sie sich hinter ziemlich fadenscheinigen Argumenten: 200 Milliarden Euro, aber man wisse ja gar nicht so genau, wofür das
eigentlich aufgewendet werden solle.
({5})
Sagen Sie das eigentlich auch Ihren sechs Ministerpräsidenten, die in der Ministerpräsidentenkonferenz unter Punkt 4 genau dafür ihre Zustimmung
gegeben haben?
({6})
Unter der Nennung von 200 Milliarden Euro als Rahmen für die Kreditermächtigung steht dort in einzelnen Bulletpoints – Sie können das alles
nachlesen –, wofür genau das am Ende gedacht ist:
({7})
zur Implementierung einer Gaspreisbremse für den Grundbedarf und für die Industrie in Deutschland, zur Absicherung, und zwar kurzfristig, der
Strompreisbremse in Deutschland, für die Liquiditätshilfen für Betriebe, gerade für die energieintensiven, in Deutschland und vieles anderen mehr.
({8})
Da steht das drin. Das hat Ihren Ministerpräsidenten gereicht, um zu sagen: Jawohl, dahinter versammeln wir uns.
({9})
Vielleicht ist das einfach der Unterschied zwischen Leuten, die Verantwortung tragen in einem Land, und Leuten, die es jetzt einfach mal ganz nett
finden, aus der Opposition heraus ein bisschen krakeelen zu können.
({10})
In Ihrem Entschließungsantrag, den ich sehr genau gelesen habe, steht, „mit vollen Händen“ würde das Geld jetzt ausgegeben werden, „übermäßige
Haushaltspolster“ lege die Regierung hier an. Das ist eine verräterische Sprache, die da zum Ausdruck kommt. Denn „übermäßige Haushaltspolster“ unterstellt
nicht, wer vielleicht noch ein paar Detailfragen zur genauen Umsetzung hat,
({11})
sondern „übermäßige Haushaltspolster“ unterstellt jemand, der findet, dass das einfach eine unangemessen große Hausnummer ist, über die wir hier
sprechen. Das wäre aber eine spannende Einschätzung in Zeiten, in denen BDI und andere davon ausgehen, dass wir in den nächsten Jahren vielleicht noch viel mehr
brauchen werden, um die Volkswirtschaft in Deutschland und die Gesellschaft durch diese Krise zu bekommen. Sie kleckern schon am Anfang der Krise.
({12})
Sehen Sie: Es ist das gute Recht der demokratischen Opposition, die Regierungskoalition zu kritisieren, Ungeduld zum Ausdruck zu bringen und auch
harte Fragen zu stellen. Es ist auch das gute Recht der demokratischen Opposition, dabei keine wirklich greifbaren eigenen Pläne vorzulegen, wie wir auch heute
in der Debatte noch mal gemerkt haben.
({13})
Wir erwarten aber von der demokratischen Opposition Klarheit und Wahrheit darüber, wo sie eigentlich selbst in dieser Debatte steht. Dazu gehört, dass
man nicht behauptet, aus politisch handwerklichen Gründen heute nicht zuzustimmen, wenn man eigentlich aus politisch taktischen Gründen nicht zustimmen
will.
({14})
Sie wollen heute aus politisch taktischen Gründen nicht zustimmen, weil die nächsten Monate schwierig und ungewiss werden und Sie da lieber kein
Risiko eingehen.
({15})
Stehen Sie doch einfach dazu und schreiben Sie dann nicht in Ihren Entschließungsantrag: „Es braucht eine pragmatische Politik, die das Wohl des
Landes über wahl- und parteitaktische Fragen stellt.“ Diesem Anspruch werden Sie heute leider selbst nicht gerecht. Das erledigt die Koalition für Sie. Wir
schreiten daher jetzt zur Tat und stimmen zu.
Ich danke Ihnen recht herzlich.
({16})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits die Coronapandemie hat der deutschen Wirtschaft einen Vorgeschmack darauf
gegeben, was es heißt, wenn wichtige Rohstoffe knapp werden. Die Folge: massive Preissteigerungen, eine gedrosselte Produktion und Produktionsstopps. Mit
staatlichen Stützungsmaßnahmen hat die Große Koalition 2020/2021 eine Pleitewelle in der deutschen Wirtschaft verhindert.
Die Coronakrise hat gezeigt: Der Produktionsstandort Deutschland ist ohne eine verlässliche Rohstoffversorgung massiv gefährdet. Und der russische
Angriffskrieg macht deutlich: Deutschland ist nicht nur bei Energierohstoffen, sondern auch bei vielen mineralischen Rohstoffen von einzelnen Ländern viel zu
abhängig geworden, Rohstoffe, die im Zweifelsfall auch als geostrategische Waffe gegen Deutschland, gegen Europa eingesetzt werden. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, unsere Rohstoffabhängigkeit zu reduzieren,
({0})
damit sich unsere Volkswirtschaft auch in stürmischen Zeiten international behaupten kann.
Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir ein Bündel von Maßnahmen. Eine Fokussierung, liebe Freundinnen und Freunde von den Grünen, allein auf die
Kreislaufwirtschaft reicht hier bei Weitem nicht aus; denn bei zwei Drittel der von der EU-Kommission als kritisch eingestuften Rohstoffe liegt die
Recyclingrate bei unter 1 Prozent – unter 1 Prozent! Das unterstreicht: Wir müssen beim Recycling deutlich besser werden. Aber wir müssen uns auch beim
Rohstoffabbau im In- und Ausland viel stärker engagieren.
({1})
Denn nur dann werden wir in Deutschland eine hohe Wertschöpfung und vielversprechende Arbeitsplätze sichern können. Denn gerade für
Zukunftstechnologien sind kritische Rohstoffe zwingend erforderlich: ohne Scandium keine Elektrolyse, ohne Platin kein Rechenzentrum, ohne Seltene Erden keine
E‑Autos. Über 90 Prozent der in der EU verarbeiteten Seltenen Erden kommen heute aus China.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zahlen zeigen sehr deutlich: Es besteht dringender Handlungsbedarf. Deutschland und Europa sollten weder bei der
digitalen Transformation noch bei der Klimatransformation vom Wohlwollen Chinas, Russlands oder anderer Länder abhängig sein.
({2})
Vor diesem Hintergrund müsste die Bundesregierung jetzt eigentlich alles daransetzen, die Rohstoffbezugsländer zu diversifizieren, deutsche
Unternehmen in Drittländern bei Exploration, Genehmigung, Abbau und Verarbeitung politisch und finanziell deutlich wirksamer zu unterstützen, etwa durch eine
verstärkte Nutzung bestehender Rohstoffpartnerschaften oder durch neue Partnerschaften und Handelsabkommen. Stattdessen bringt das grün geführte
Bundeswirtschaftsministerium das bereits ausverhandelte EU‑Freihandelsabkommen mit dem rohstoffreichen Land Chile in Gefahr. Warum? Weil die Grünen das
Nachhaltigkeitskapitel nachverhandeln wollten, um ihre Parteibasis zu besänftigen.
Liebe Freundinnen und Freunde von den Grünen, hören Sie endlich mit Ihren parteipolitischen Spielchen auf! Dies schadet der Europäischen Union und
Deutschland massiv.
({3})
Machen Sie endlich das, was der Wirtschaftsstandort Deutschland jetzt dringend braucht und was auch Sie für Ihre Energiewende benötigen: Setzen Sie
mithilfe von Rohstoffpartnerschaften und Handelsabkommen alles daran, unsere Rohstoffbezugsquellen zu diversifizieren!
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Blick sollte sich auch auf die heimische Rohstoffgewinnung richten.
({5})
Deutschland verfügt über einige energetische und mineralische Rohstoffvorkommen, die bisher jedoch nicht genutzt werden.
Liebe Ampelfraktionen, Ihr Koalitionsvertrag zielt auf eine Erleichterung des heimischen Rohstoffabbaus ab.
({6})
Das ist angesichts der angespannten geopolitischen Lage umso wichtiger; es ist richtig. Aber nach fast einem Jahr Ampelregierung drängt sich die Frage
auf: Wie ernsthaft verfolgen Sie eigentlich dieses Ziel?
({7})
Zum Hintergrund: Zu der geplanten Novellierung des Bergrechts gab es im Mai ein Fachgespräch. Das Bundeswirtschaftsministerium lud insgesamt
30 Experten ein: Rechtsanwälte, Vertreter des Öko-Instituts, Landes- und Bundesbeamte. Darunter war jedoch nur ein einziger Vertreter der rohstoffgewinnenden
Industrie. Eine echte Einbindung der Industrie hat bis heute nicht stattgefunden, und bei der laufenden Novellierung des Raumordnungsgesetzes muss man die
Erleichterungen für den Rohstoffabbau mit der Lupe suchen.
({8})
Das ist kein Fortschritt; das ist Stillstand. Also, ziehen Sie hier endlich die Praktiker heran, damit die geplante Novellierung der einschlägigen
Gesetze einen tatsächlichen Beitrag zur Rohstoffsicherung leistet!
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ereignisse der letzten Jahre haben gezeigt: Eine verlässliche Rohstoffversorgung ist für unsere Volkswirtschaft
existenziell. Deutschland braucht ein Gesamtkonzept zur Rohstoffsicherung, das neben den bereits genannten Punkten auch die strategische Bevorratung von
kritischen Rohstoffen etwa mithilfe einer Rohstoffbevorratungsrücklage umfasst und Maßnahmen zur effizienteren Ressourcennutzung vorsieht. Wir von der
Unionsfraktion haben in unserem Antrag skizziert, aus welchen Bestandteilen ein Gesamtkonzept bestehen sollte. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Regierungsfraktionen, das ist die von Ihnen so oft geforderte konstruktive Oppositionsarbeit. Sie haben die Chance, unserem Antrag zu folgen und die Weichen
richtig zu stellen. Wir sind gespannt, wie konstruktiv Sie sind.
Vielen Dank.
({10})
Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Sebastian Roloff.
({0})
Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe sieben Minuten und nicht fünf, um das gleich am Anfang zu sagen, auch
wenn das die Aufmerksamkeit des Hauses wahrscheinlich nicht erhöht. Ich glaube, die meisten von Ihnen kennen das Brettspiel „Die Siedler von Catan“. Das mag ein
vereinfachender Vergleich sein, aber er bringt es schon auf den Punkt, wie die deutsche Wirtschaft funktioniert. Wenn man nicht die nötigen Rohstoffe hat und
sich die Rohstoffe, die einem fehlen, nicht durch Verhandlungsgeschick organisiert, dann hat man keine Chance, zu gewinnen. Genau das gilt auch für die deutsche
Wirtschaft.
({0})
Die Ampel hat den Wert von Rohstoffen erkannt, und ich freue mich, dass die Union dieses Thema – drei Wochen, nachdem wir den deutsch-französischen
Vorschlag zum EU‑Gesetz über kritische Rohstoffe diskutiert haben – hier auf die Tagesordnung setzt. Der Antrag verspricht einiges, und – wie ich es hier an der
Stelle gelegentlich sage – die Analyse ist oft richtig. Einige Forderungen – ich werde darauf eingehen – finden meine Unterstützung.
({1})
Spannend wird es, wenn man ins Detail geht. Ganz oft reden wir auch nicht über Neues. Mal sehen; wir gucken mal.
Zum Beispiel fordern Sie die Unterstützung von unternehmerischen Rohstoffaktivitäten im Ausland und verweisen auf die japanische Agentur JOGMEC. Das
ist richtig, es steht aber auch schon im deutsch-französischen Vorschlag; das haben wir schon vor drei Wochen aufs Gleis gesetzt. Sie fordern neue
Rohstoffpartnerschaften und Diversifizierung; wir haben es gerade wieder gehört. Auch das ist richtig. Frau Dr. Brantner war in Südamerika, der Bundeskanzler
und der Bundeswirtschaftsminister waren in Kanada.
({2})
Dementsprechend sind wir da schon dran.
Die Einbindung von Rohstoffen in eine nationale Sicherheitsstrategie hat Annalena Baerbock schon thematisiert. Das ist auf dem Weg, und die
Praktikerinnen und Praktiker, die bei der Novellierung des Bergrechts eine Rolle spielen, sind auch schon eingebunden. Dementsprechend sind wir da auf Linie;
aber wir haben es schon aufs Gleis gesetzt, während Sie heute darüber reden wollen.
Es ist korrekt, dass wir eine größere Diversifizierung brauchen, insbesondere was die Abhängigkeit von China betrifft. Wir wissen auch, dass China mit
Blick auf Seltene Erden wahrscheinlich ein wichtiger Handelspartner sein kann. Aber wir haben spätestens am Beispiel von Russland gesehen, warum das keine
sinnvolle Entwicklung ist. Dementsprechend müssen wir da Vorsicht walten lassen und andere Alternativen auftun.
Klar ist auch – das ist der nächste Stichpunkt, der in diesem Zusammenhang immer kommt –, dass das Lieferkettengesetz gerade vor diesem Hintergrund
dringender erforderlich ist denn je. Klar ist auch, dass das für die Unternehmen keine zusätzliche Belastung sein darf und dass das gut umsetzbar ausgestaltet
werden muss. Wir brauchen es aber gerade mit Blick auf die Menschenrechtssituation in schwierigen Ländern, mit denen wir jetzt teilweise noch Handel treiben,
umso dringender. Deswegen dürfen wir keinesfalls auf das Lieferkettengesetz verzichten oder sein Inkrafttreten verzögern.
Ernüchternd ist leider, dass Sie sich in dem Antrag wieder vor allem auf große Abbauvorhaben fokussieren. Ich weiß nicht, warum Sie kleinere
Bergbauvorhaben immer so ein bisschen ignorieren. Ich glaube, dass diese auch eine Möglichkeit sein können, die Vielzahl der Projekte und das Angebot auf dem
Markt zu erhöhen. Ich glaube, dass sie so etwas wie ein Schattendasein führen, und das finde ich schade. Im Übrigen hat das Kabinett am Mittwoch den 15. Bericht
über die Aktivitäten des Gemeinsamen Fonds für Rohstoffe und der einzelnen Rohstoffabkommen zur Kenntnis genommen und beschlossen. Darin können wir sehen, dass
wir in diesem Bereich einen starken Entwicklungseffekt haben. Leider konzentrieren wir uns da im Moment noch zu sehr auf Agrarrohstoffe und Institutionen. Ich
glaube, wir sollten noch mal darüber nachdenken, das zu verändern und auch da zu diversifizieren.
Wir brauchen mutige Schritte. Ich kann mir zum Beispiel gut vorstellen, dass wir mittelfristig so eine Art Rohstoff-Google-Maps brauchen. Das klingt
jetzt vielleicht ein bisschen naiv, aber als Grundlage kann das Geologiedatengesetz dienen. Die Daten, die man da hat, kann man breiter aufstellen. Man kann sie
ergänzen und kann dann entsprechend gucken, welche potenziellen Rohstoffvorkommen man hat, und diese Informationen zum Beispiel bei der Planung oder beim Abbau
nutzen. Da müssen die Länder prüfen, inwieweit man auf die Daten zugreifen kann und inwieweit wir zum Beispiel noch ein Explorationsprogramm des Bundes
dazuschalten können. Solche innovativen Ideen braucht es.
Wir haben in diesem Bereich eine hervorragende Forschungslandschaft. Wir müssen aufpassen, dass sie nicht ausgedünnt wird, zum Beispiel durch die
fehlende Nachbesetzung von Lehrstühlen. Wir müssen Alternativen zu importierten Rohstoffen finden, wo immer es möglich ist. Mein Kollege Thews wird auf die
Kreislaufwirtschaft noch mal eingehen, weil es selbstverständlich klar ist, dass man Rohstoffstrategien nicht ohne Kreislaufwirtschaft denken kann. Das ist ja
völlig klar: Jedes Produkt, das zumindest teilweise recycelbar ist, muss nicht neu hergestellt werden. Dafür braucht es keine Rohstoffe, und das ist ein ebenso
wichtiger Punkt wie das Förderprogramm „Nachwachsende Rohstoffe“ aus dem Landwirtschaftsministerium. Da werden innovative biobasierte Produkte besonders
gefördert, zum Beispiel Bioverbundwerkstoffe aus Naturfasern – die brauchen wir für den Karosseriebau; Porsche macht es schon in Kleinserie –, und das ist genau
der richtige Weg, den wir weitergehen müssen.
({3})
Darüber hinaus kann ich mir vorstellen, dass wir die Agentur für Sprunginnnovationen ausweiten und eine Challenge – zum Beispiel über Unabhängigkeit
von kritischen Rohstoffen – schaffen. Das hätte, glaube ich, auch was Fortschritte, was den Kreativwettbewerb etc. betrifft, einen guten Effekt, und anhand des
von der EU definierten Begriffs der kritischen Rohstoffe könnten alle Interessierten – vom Forschungsunternehmen bis zum kleinen Garagenbastler – Ideen
einreichen. Wir wissen, dass gute Ideen auch schon spontan entstanden sind und irgendwo herkommen können, wo man sie vielleicht nicht unmittelbar erwartet.
Neue Fördermethoden, die dazu dienen, aus alten Abraumhalden noch kritische Rohstoffe zu gewinnen, sind aus meiner Sicht ebenso förderwürdig wie neue
Produkte, die bisher kritische Rohstoffe gebraucht haben, aber anders konstruiert werden und ohne kritische Rohstoffe klarkommen.
({4})
Neu entwickelte Materialien, die dieselben Eigenschaften haben, wären aus meiner Sicht genauso förderwürdig.
Ich habe ja gesagt, dass es auch durchaus Übereinstimmungen gibt. Ich unterstütze zum Beispiel Ihre Forderung, die Verordnung zur „Natur auf Zeit“
möglichst schnell umzusetzen. Ich glaube, dass das gerade auch für Planungsverfahren sinnvoll sein kann. Ja, wir haben alle den großen Auftrag, die Akzeptanz in
der Bevölkerung, wenn es um die Förderung von Rohstoffen geht – egal ob das die Kiesgrube vor Ort ist oder etwas anderes –, zu steigern.
({5})
Zum Abschluss. Sie machen ja, wie gesagt, gute Vorschläge. Sie sagen aber: Das geht alles nur im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel. – Also ein
Riesenvorbehalt! Wir wissen alle, dass die Bäume im Haushalt gerade alles andere als in den Himmel wachsen. Dementsprechend entwertet das Ihren Antrag ein
bisschen. Das finde ich sehr schade. Ich freue mich aber auf die weitere Diskussion mit Ihnen; denn vielleicht kriegen wir auch zusammen was hin, in der
Koalition auf jeden Fall. Aber vielleicht gibt es auch konstruktive Momente der CDU/CSU. Wir freuen uns darauf.
Vielen Dank.
({6})
Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Dr. Malte Kaufmann.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute zwei Anträge zur Rohstoffsicherung für Deutschland, einen von den
Kollegen der CDU/CSU-Fraktion und einen von der AfD-Fraktion. In der deutschen Wirtschaft brennt es mittlerweile lichterloh. Drastische Energieverteuerung und
ein zunehmender Mangel an verschiedensten Rohstoffen und Vorprodukten sind die größten Probleme. Beide Probleme haben eine gemeinsame wesentliche Ursache, und
zwar die weltfremde ökosozialistische Ideologie der Grünen.
({0})
Das muss man einfach so sagen.
Akuter Rohstoffmangel und ein historischer Einbruch des deutschen Exports sind die Folgen einer verfehlten Außenwirtschaftspolitik. Es gibt beinahe
keinen Wirtschaftsbereich, der vom Rohstoffmangel nicht betroffen wäre. Holz, Metalle, Gummi, Kunststoff sind in Deutschland zur Mangelware geworden.
Unternehmen in den Bereichen Bau, Maschinenbau, Elektrotechnik, Medizin, Chemie und viele andere klagen über überdimensionale Preissteigerungen und akute
Lieferengpässe. Die Folgen sind drastisch: Preiserhöhungen, Inflation, Auftragsverluste und eine Pleitewelle, die Sie noch im Ausschuss diese Woche verleugnet
haben.
Mehr noch: Durch das unsägliche Lieferkettengesetz, ein langjähriger Wunsch der Grünen, laufen deutsche Unternehmer aller Branchen nun Gefahr, für
irgendwelche Missstände bei ihren ausländischen Lieferanten in Haftung genommen zu werden, weil die dortigen Rahmenbedingungen möglicherweise nicht Ihren
Standards entsprechen; Stichwort „feministische Außenpolitik“. Das ist doch ein Irrsinn, meine Damen und Herren.
({1})
So ein Unfug würde vielen anderen Ländern, beispielsweise China, nicht im Traum einfallen.
({2})
Dort akzeptiert man den bewährten Grundsatz – hören Sie gut zu! –, dass jedes Land
({3})
– ich habe „beispielsweise China“ gesagt – seine gewachsene Kultur hat,
({4})
die man nicht oberlehrerhaft von außen verändern darf.
({5})
Deshalb verfolgen diese Länder eine pragmatische Außenhandelspolitik, die sowohl dem eigenen Volk als auch der Wohlstandsmehrung in den Lieferländern
dient.
Deutschland dagegen frönt einer ideologiegetriebenen, grünen Außenhandelspolitik, die am Ende gar niemandem dient – weder uns selbst noch den
potenziellen Lieferländern.
Außerdem müssen wir weg von einer grünen Energiepolitik, die uns schadet; denn unser Land braucht günstige, nicht teure Energie. Sie, Kollegen von den
Grünen, wollen ja teure Energie. Wir brauchen aber günstige Energie als Lebensader für die deutsche Wirtschaft.
({6})
Und wir brauchen grundlastfähigen Strom.
({7})
Sehen Sie endlich ein, dass ein Industrieland wie unseres ohne Kernkraft nicht am Leben bleiben wird. Ihr fauler Kompromiss, drei AKWs 100 Tage länger
laufen zu lassen, ist doch völlig ungeeignet, um die Energiekrise unseres Landes auch nur im Ansatz zu bewältigen.
({8})
Deshalb: Lassen Sie die noch laufenden drei Kernkraftwerke dauerhaft am Netz! Holen Sie auch die drei wieder zurück, die derzeit noch reaktivierbar
sind! Öffnen Sie Nord Stream 2! Dann wird der Strompreis sofort sinken,
({9})
und Bürger und Unternehmen können endlich aufatmen.
Vielen herzlichen Dank.
({10})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen bei der Rohstoffversorgung vor erheblichen Herausforderungen:
Erstens. Die Coronapandemie und der russische Angriffskrieg haben deutlich gemacht, wie fragil manche Rohstofflieferketten sind.
Zweitens. Im Bereich der metallischen Rohstoffe bestehen zentrale Abhängigkeiten, vor allen Dingen von China.
Drittens. Seit Langem wissen wir um die strategische Bedeutung von Rohstoffen für Zukunftstechnologien und die grüne Transformation.
Leider, Herr Rouenhoff, hat die Vorgängerregierung hier zu lange gezögert.
({0})
Deswegen gehen wir es jetzt aktiv an. Wir machen eine aktive Rohstoffpolitik. Ich skizziere in drei Punkten, was das bedeutet:
Erstens: Diversifizieren durch europäische und internationale Zusammenarbeit. Wir beleben die Rohstoffpartnerschaften, die es gibt, die aber bis jetzt
hauptsächlich auf dem Papier existieren. Wir hinterlegen sie jetzt mit konkreten Projekten, mit konkreten unternehmerischen Aktivitäten. Das ist richtig und
wichtig.
({1})
Herr Rouenhoff, Sie haben zum EU-Chile-Freihandelsabkommen gesprochen. Offensichtlich wissen Sie nicht, dass die chilenische Regierung das Abkommen
noch nachverhandeln möchte, um genau im Rohstoffbereich eine Erleichterung für die Weiterverarbeitung in ihrem Land zu erreichen. Das ist der aktuelle Stand.
Das unterstützen wir; denn es ist in unserem Interesse, dass Weiterverarbeitung nicht nur in China stattfindet, sondern auch in Ländern wie Chile. Das ist unser
Ziel. Da gehen wir auf die chilenische Regierung zu. Genau das sind die Partnerschaften der Zukunft, wie wir sie uns vorstellen.
({2})
Natürlich geht es uns auch darum, dass die Rohstoffe, deren Förderung wir unterstützen werden, auch unter Einhaltung von hohen ökologischen, sozialen
und menschenrechtlichen Standards abgebaut werden. Absolut! Wir wollen keine Kinderarbeit bei der Rohstoffgewinnung, die wir unterstützen. Wir wollen keine
Wasserverschwendung, sondern die beste deutsche Technologie, um Wasser zu sparen, um grüne Energie damit zu verknüpfen. Das ist der Vorteil, den wir als
Deutsche haben, wenn wir in diese Länder gehen: dass wir die besten Technologien haben und dass unsere Unternehmen eben auch mit indigenen Völkern umgehen
können. Das ist das, was uns ausmacht und was wir nicht aufgeben sollten; das fehlt aber in Ihrem Antrag.
({3})
Wir appellieren nicht nur an Unternehmen, zu diversifizieren, sondern wir unterstützen sie gezielt dabei. Das reicht von der klassischen
Projektabsicherung über UFK-Garantien bis zu – das ist das, was wir jetzt planen – Beteiligungen an Rohstoffgewinnung, Weiterverarbeitungs- und
Recyclingprojekten, zum Beispiel durch einen gemeinsamen deutsch-französischen, wenn möglich sogar durch einen europäischen Rohstofffonds.
Es ist auch das Gebot der Stunde, dass wir hier nicht rein national handeln, sondern im europäischen Verbund. Es macht keinen Sinn, wenn Deutschland
und Frankreich sich gegenseitig und mit den Italienern einen Rohstoffwettbewerb liefern, sondern hier müssen wir gemeinsam an einem Strang ziehen. Deswegen
haben wir einen deutsch-französischen Input in den europäischen Prozess gegeben. Das ist für mich der richtige Ansatz. Hier gibt es nur eine europäische
Antwort, die wir auch gemeinsam gut vorbereiten.
({4})
Zweitens: Recycling, Recycling, Recycling. Das haben Sie vorhin selber angesprochen, Herr Rouenhoff. Wir haben hier Recyclingquoten, die wirklich
nicht akzeptabel sind. Weil diese Rohstoffe so wertvoll sind, müssen wir hier dringend vorankommen. Wir werden auch bei uns die Normen, Standards und, wo nötig,
die rechtlichen Grundlagen verbessern, um das Recycling in Deutschland und Europa voranzubringen. Wir brauchen mehr Forschung. Herr Roloff, Sie haben es
richtigerweise angesprochen. Ja, es gibt tolle neue Technologien für die Substitution und die Effizienz. Diese müssen wir fördern und voranbringen. Da eröffnen
sich ganz neue Möglichkeiten. Das ist die Zukunft. Darin müssen wir jetzt auch entsprechend investieren.
Dritter Punkt. Die Versorgungssicherheit rückt auch die Gewinnung von heimischen Rohstoffen in den Fokus. Das gehört dazu. Hier führen wir einen
Dialog, eine gesellschaftliche Debatte um mehr Akzeptanz für die Förderung heimischer Rohstoffe. Das ist eine schwierige Debatte. Wir werden sie gut führen,
damit wir am Ende eine höhere Akzeptanz dafür haben.
Es geht also darum, dass wir erstens internationale Partnerschaften mit Leben erfüllen, dass wir zweitens beim Recycling vorankommen, indem die
Rohstoffe in unserem Land besser und immer wieder genutzt werden, und dass wir drittens beim heimischen Rohstoffabbau mit hohen ökologischen Standards auch
unseren Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten.
({5})
Das sind die drei Pfeiler unserer aktiven Rohstoffpolitik.
Wenn die Opposition dabei mitmacht, dann freue ich mich darüber. Ich lade Sie herzlich dazu ein. Ich freue mich auf eine neue, aktive Rohstoffpolitik,
die wir als Deutschland endlich voranbringen können.
Danke.
({6})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Worum geht es? Es geht um eine extrem hohe Abhängigkeit bei Rohstoffen. Deutschland ist der
fünftgrößte Rohstoffverbraucher der Welt, und mehr als 99 Prozent der im Bergbau gewonnenen Metalle kommen aus dem Ausland. Und dann wird im Unionsantrag etwas
nebulös von „geopolitischen Spannungen“ gesprochen. Ich sage: Reden wir doch offen über die beiden Elefanten im Raum: Das ist die Rohstoffabhängigkeit von
Russland, und das ist die Rohstoffabhängigkeit von China.
Zu Russland. 44 Prozent der deutschen Nickel- und Palladiumimporte, 41 Prozent der Titanimporte und 22 Prozent des Rohaluminiums kommen aus Russland.
Deswegen stehen diese und weitere Rohstoffe auch aus gutem Grund nicht auf der EU-Sanktionsliste – im Übrigen genauso wenig wie Gas. Aber was wir im laufenden
Wirtschaftskrieg gemeinsam gelernt haben, ist: Die Gegenseite schlägt dort zurück, wo sie es sich aussucht. Das können wir uns nicht aussuchen. Sie schlägt dort
zu, wo es wehtut, wie wir an den aktuellen Energiepreisen merken, meine Damen und Herren.
({0})
Reden wir über den zweiten Elefanten im Raum. Das ist die Rohstoffabhängigkeit von China. Es gibt eine Reihe von relevanten Rohstoffen, wo wir bis zu
100 Prozent von chinesischen Importen abhängig sind. Im Gegensatz zu Russland bleibt diese Abhängigkeit auch längerfristig ein Problem, und zwar, weil fast die
Hälfte der weltweiten Bergbauproduktion von China betrieben wird. Das lässt sich nicht einfach so wegdiversifizieren, meine Damen und Herren.
Warum sage ich das? Weil sich im Zuge der Rivalität mit China auch die Wirtschaftspolitik verschärft. Im klassischen Imperialismus galt noch: „The
flag follows the trade.“ Heißt: Staatliche Aktionen orientierten sich am ökonomischen Handel. Heute, im Niedergang der westlichen Hegemonie, gilt andersherum:
„The trade follows the flag.“ Heißt: Handelskonflikte orientieren sich an geopolitischen Konflikten. Und davor stehen wir möglicherweise auch bei China. Die USA
haben bereits ein Halbleiterembargo gegen China verhängt, und Wirtschaftsminister Habeck hat in treuer Gefolgschaft eine robustere Handelspolitik gegenüber
China angekündigt. Ich kann nur eines sagen: Wir sind gut beraten, die Finger von einem weiteren Wirtschaftskrieg zu lassen, diesmal mit China, meine Damen und
Herren.
({1})
Dafür gibt es Gründe. Unsere Abhängigkeit von vielen mineralischen Rohstoffen aus China ist größer als die von Gas aus Russland. Und was der laufende
Wirtschaftskrieg in der Bevölkerung anrichtet, das sehen wir doch hoffentlich, meine Damen und Herren. Ähnlich wie im Wirtschaftskrieg mit Russland gilt
diesmal: Es gibt kaum ein Land in der EU, das so abhängig vom Handel mit China ist wie Deutschland. Deswegen darf man da nicht blindlings in den nächsten
Wirtschaftskrieg hineinlaufen. Ich sage Ihnen: Noch einen Handelskonflikt, diesmal härter und schlimmer als der mit Russland, wird die Bevölkerung nicht
mitmachen, das hält sie nicht aus, meine Damen und Herren.
({2})
Es gibt noch einen weiteren Grund. Sie wollen die Abhängigkeit von russischem Gas reduzieren und erneuerbare Energien ausbauen. Aber deswegen wird die
Abhängigkeit von chinesischen Rohstoffen ansteigen. Warum? Bei Seltenen Erden sind wir zu 100 Prozent auf chinesische Importe angewiesen. Die braucht man für
Solaranlagen und Windkraftanlagen. Bei Grafit sind wir zu 90 Prozent auf chinesische Importe angewiesen. Das braucht man auch für Solaranlagen. Und bei Gallium
sind wir zu 60 Prozent auf chinesische Importe angewiesen. Auch das braucht man für die Solarindustrie. Das heißt, die Nachfrage nach Öl und Gas wird
langfristig sinken, aber die Abhängigkeit von Metallen und Seltenen Erden wird genau deswegen ansteigen. Für das Industriezeitalter waren fossile Brennstoffe
die Treiber. Aber in der Zeit der Energiewende und der Digitalisierung braucht es jetzt mehr Kobalt, Lithium, Seltene Erden usw. usf.
Deswegen am Ende noch mal langsam zum Mitschreiben: Diversifizierung, Kreislaufwirtschaft, Recycling – alles richtig, alles wichtig. Aber lassen Sie
um Gottes willen die Finger von einem weiteren Wirtschaftskrieg, diesmal mit China. Die Bevölkerung wird das nicht mittragen. Sie gefährden die Digitalisierung,
Sie gefährden die Energiewende, und Sie gefährden die Klimaziele.
Danke schön.
({3})
Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Reinhard Houben.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte ein bisschen auf die Vorredner eingehen. Herr Rouenhoff, ich kenne Sie als seriösen
Abgeordneten, der sich einbringt in die Themen, die er vorträgt. Deswegen sage ich zum Ersten: Ihr Antrag hat Aspekte, die wir gerne debattieren wollen.
Deswegen: Vielen Dank für diese Begleitung
({0})
eines Prozesses – das sage ich andererseits auch –, den die Bundesregierung im Grunde schon längst angestoßen hat.
({1})
Wir können gerne debattieren. Ich halte das für ein wichtiges Thema. Sie haben das richtig dargestellt. Rohstoffpolitik hat vor allen Dingen eine
Langfristperspektive. Ich möchte nur eine Bemerkung zur letzten Legislaturperiode machen: Aus welchen Gründen auch immer, in der letzten Legislaturperiode ist
in dem Bereich fast gar nichts passiert.
Mit dem Timing von Anträgen ist das so eine Sache; manchmal kommen sie zeitlich nicht ganz so geschickt. Der BDI hat gestern Abend eine vielstündige
Veranstaltung zum Thema Rohstoffe gemacht. Ich bin gestern später da gewesen; ich weiß nicht, ob Sie da waren, Kolleginnen und Kollegen von der Unionsfraktion.
Dort hat unter anderem der Wirtschaftsminister selbst gesprochen; da war ich noch nicht anwesend. Frau Brantner hat dann in einer Debatte für die
Bundesregierung Stellung genommen. Ich sage Ihnen: Dort hat sich die Bundesregierung positioniert zu dem, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben.
Wir haben im Koalitionsvertrag eines festgestellt: Wir können nicht einerseits sagen, dass wir Industriestandort bleiben wollen, und erwarten, dass
andere Länder uns zu möglichst günstigen Preisen Waren und Rohstoffe liefern, wenn wir andererseits nicht bereit sind, sozusagen im eigenen Vorgarten
entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Das haben wir in den Koalitionsverhandlungen erkannt und auch so formuliert. Das fängt natürlich bei der Kiesgrube an,
endet dort aber nicht, meine Damen und Herren. Weil Seltene Erden angesprochen worden sind, sage ich: Es gibt Aktivitäten im Erzgebirge, um Vorkommen an
Seltenen Erden zu heben. Es ist unsere Aufgabe, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass diese Maßnahmen in Deutschland erfolgreich, schnell, aber eben
auch umweltverträglich umgesetzt werden. Das ist unser Ziel.
({2})
Zu den Ausführungen zur Rohstoffabhängigkeit. Das ist doch im Grunde deutsche Realität seit 200 Jahren. Seitdem Deutschland Industrieland geworden
ist, sind wir abhängig von Rohstofflieferungen. Ja, wir hatten vor allen Dingen Steinkohle, Braunkohle und Erze für Stahl, andere Rohstoffe aber eben noch nie.
Wenn Kautschuk als Beispiel für Rohstoffmangel genannt wird, Herr Kollege, dann muss ich sagen: Ich habe noch nie einen Kautschukbaum in Deutschland wachsen
sehen; aber das ist vielleicht nur eine andere Kleinigkeit.
Eine Bemerkung noch zu den weltpolitischen Bedingungen. Meine Damen und Herren hier in diesem Hohen Hause, wenn es einen Handelskonflikt mit China
geben wird, dann werden wir den hier nicht auslösen. Das wird auch nicht die Europäische Union sein.
({3})
Das wird ganz alleine davon abhängen, wie sich Peking in Zukunft verhält, vor allen Dingen im Verhältnis zu Taiwan.
({4})
Meine Damen und Herren, dabei geht es nicht um die Frage, ob wir gewinnen oder verlieren.
({5})
Ich weiß ja nicht, wie Sie das sehen, aber ich finde, wir haben eine gewisse politisch-moralische Verpflichtung, freie Demokratien zu verteidigen, so
wie wir das im Moment bei der Ukraine tun. So werden wir es in Zukunft auch tun müssen.
({6})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung arbeitet daran; Frau Brantner hat das dargestellt. Sie sammelt im Moment ganz schön viele Bonusmeilen,
wenn ich das richtig verstanden habe, um weltweit Partnerschaften voranzubringen. Wir sind dabei, mithilfe von unterschiedlichsten Handelsverträgen die
Rahmenbedingungen zu verbessern. Jetzt wird die Union wieder sagen: Wann wird denn CETA ratifiziert? – Da gilt immer noch das Wort von Bernd Westphal: in diesem
Herbst.
({7})
Also, meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist aktiv. Rohstoffe sind ein Langfristthema. Wir haben damit begonnen und werden es langfristig,
nicht nur mit ausländischen Partnern, sondern auch hier in Deutschland, lösen.
Vielen Dank.
({8})
Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Bernhard Loos.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann es nicht oft genug betonen: Eine gesicherte und nachhaltige
Rohstoffversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen ist für den Standort Deutschland von herausragender Bedeutung. Unsere Rohstoffversorgung steht auf drei Säulen,
die auch in einer Rohstoffstrategie eine zentrale Rolle spielen müssen: erstens Förderung heimischer Rohstoffe, zweitens Import von benötigten Rohstoffen sowie
drittens Gewinnung von Sekundarrohstoffen durch Recycling.
Mit unserem Antrag wollen wir auf einige grundlegende Entwicklungen reagieren: erhebliche Nachfrageveränderungen, Zunahme von Handelsstreitigkeiten,
Marktverzerrungen durch staatliche Eingriffe und dominierende Marktmacht einzelner Erzeuger oder Erzeugerländer.
Im Jahr 2011 hatte die damalige unionsgeführte Bundesregierung die Deutsche Rohstoffagentur beauftragt, ein Rohstoffmonitoring zu kritischen
Rohstoffen zu entwickeln, die Unternehmen regelmäßig auf Preis- und Lieferrisiken hinzuweisen, bei der Erstellung der Ausweichstrategien mitzuhelfen. Dieser
Ansatz muss weiter ausgebaut werden.
({0})
In der Nationalen Sicherheitsstrategie müssen konkrete Maßnahmen benannt werden, mit denen eine sichere und bezahlbare Rohstoffversorgung
gewährleistet werden soll. Der „FAZ“ vom 17. Oktober 2022 konnten wir entnehmen, dass Deutschland eine „Wirtschaftssicherheitspolitik“ braucht, so die
Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Brantner. Wenn dies heißt, gemeinsam mit europäischen Partnern und gemeinsam mit der Industrie entsprechende Vorsorge zu
treffen, dann unterstützen wir dies. Wir wollen auch, dass geprüft wird, ob die Einführung einer Rohstoffbevorratungsrücklage die Resilienz von Unternehmen
gegenüber Lieferkettenunterbrechungen stärken würde. Wir wollen aber nicht – falls die Überlegungen der Bundesregierung dies bedeuten sollten –, dass man der
Industrie vorschreibt, was in welchem Umfang wie zu bevorraten ist.
Deutschland ist bei vielen Rohstoffen zumeist vollständig auf den Import angewiesen. Wir müssen daher verstärkt daran arbeiten, alternative
Versorgungsmöglichkeiten zu erschließen. Die Substitution von Primär- durch Sekundärrohstoffe muss hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Die in Deutschland
bereits hochentwickelte Kreislaufwirtschaft sollte sich zukünftig noch entschiedener am Leitbild der Ressourceneffizienz orientieren und noch stärker auf die
Rohstoffversorgung der deutschen Wirtschaft ausrichten.
({1})
Wichtig ist aus unserer Sicht, den Austausch zwischen Industrie, Forschung und Verwaltung zu verbessern, um die Gewinnung und Nutzung von sekundären
Rohstoffen gezielt voranzubringen. Die Entsorgungswirtschaft stellt bereits gut 15 Prozent der in Deutschland benötigten Rohstoffe bereit. Durch den Rückgriff
auf Sekundärrohstoffe werden jährlich Rohstoffimporte im Wert von mehr als 10 Milliarden Euro eingespart.
Verantwortung für eine gesicherte Rohstoffversorgung heißt aber auch, bei uns im eigenen Land Rohstoffe abzubauen und sie nicht nur im Ausland zu
beschaffen. Es braucht ein größeres Engagement bei der Gewinnung von Rohstoffen im Inland. Die Ampelkoalition hat im Koalitionsvertrag vor einem Jahr die zwei
folgenden schönen Sätze geschrieben:
Wir wollen unsere Wirtschaft bei der Sicherung einer nachhaltigen Rohstoffversorgung unterstützen, den heimischen Rohstoffabbau erleichtern und
ökologisch ausrichten.
Wir wollen das Bundesbergrecht modernisieren.
({2})
– Aber, Herr Houben, was ist bisher geschehen, und wohin soll die Reise überhaupt gehen? Das fragen sich nicht nur die betreffenden Unternehmen zum
Beispiel im Bereich der Gipsindustrie.
({3})
Fakt ist: REA-Gips hat aktuell einen Anteil von noch circa 55 Prozent am deutschen Gips-Rohstoffmix. Ein verstärktes Recycling würde die
Gesamtthematik mengenmäßig nur um etwa 10 Prozent entlasten. Ebenso wenig können Importe die entstehenden Versorgungslücken ausgleichen. Deshalb bedarf es
sowohl der Neuerschließung von Gipsabbauflächen als auch der Beseitigung bestehender Hindernisse bei erforderlichen Produktionssteigerungen in existierenden
Gewinnungsarealen.
Verantwortung für die Energieversorgung heißt, zu prüfen, ob und wie wir in Deutschland mehr Öl und Gas gewinnen können, und eben nicht nur,
Fracking-Gas in den USA einzukaufen, nach dem Motto „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Dazu gehört es, neue Genehmigungen für die Offshoreförderung von Öl und
Erdgas jenseits der erteilten Rahmenbetriebserlaubnisse zu ermöglichen und das Verbot kommerzieller, unkonventioneller Fracking-Vorhaben auf Basis des Berichts
der Expertenkommission Fracking zeitnah zu evaluieren.
Den Kurswechsel des grünen Bundeswirtschaftsministers gegen den Wortlaut des Ampelkoalitionsvertrages in Sachen Nordseegasförderung und die positiven
Signale zur Schaffung der völkerrechtlichen Voraussetzungen unterstützen wir ausdrücklich. Ich betone aber auch: Es darf keine Rückschritte durch eine neue
rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen geben. Das wäre das falsche Signal.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Roloff hat zum Unionsantrag eingangs schon
gesagt: Vieles ist unterwegs. Das Problem ist richtig beschrieben; aber im Grunde genommen ist da nicht viel Neues, nicht viel Innovatives in diesem Antrag.
Wenn ich mir den Antrag der AfD angucke, muss ich sagen: Hier geht es anscheinend um Rohstoffabbau um jeden Preis. Nachhaltigkeit? Fehlanzeige!
Menschenwürde und Menschenrechte? Fehlanzeige! Und Umweltschutz? Sowieso Fehlanzeige! So kann man nachhaltige Umweltpolitik, nachhaltige Rohstoffpolitik auf
keinen Fall machen. Da sind die Unternehmen und die Menschen in Deutschland schon längst weiter.
({0})
Das können nicht die Antworten sein, insbesondere auch nicht in so einer Krise. Man kann mit den Ideen von vorgestern nicht die Probleme von morgen
lösen. Wir werden innovative Lösungen brauchen. Da bietet Deutschland einiges, insbesondere im Bereich der Kreislaufwirtschaft. Schade, dass Sie diesen Lösungen
in Ihren Anträgen nicht mehr Raum gegeben haben. In Deutschland kann da eine ganze Menge mehr passieren.
Wir müssen Transformation voranbringen, Transformation unserer Wirtschaft hin zu einer Kreislaufwirtschaft, und das Ganze so schnell wie möglich. Die
Menge an abbaubaren Rohstoffen auf dieser Welt ist nun mal begrenzt.
Gleichzeitig aber steigt der Ressourcenbedarf rasant an; 2060 wird er voraussichtlich doppelt so hoch sein wie 2011. Haben wir 2011 noch 79 Gigatonnen
Materialien verbraucht, werden es 2060 schon 167 Gigatonnen sein. Statt nun zu versuchen, Lösungen zu finden, indem man einen Kampf um Rohstoffe vom Zaun
bricht, wäre es dringend geboten, Kreislaufwirtschaft jetzt wirklich neu zu denken und voranzubringen – aus ökonomischen, aber natürlich auch aus ökologischen
Gründen.
Der Abbau von primären Rohstoffen verursacht nahezu immer mehr Treibhausgase als ein Recyclingprozess. Ein bekanntes Beispiel ist Aluminium. Für
Recycling von Aluminium benötigt man nur 5 Prozent der Energiemenge, die für die Herstellung aus dem Primärrohstoff Bauxit nötig ist. Europaweit werden im
stofflichen Recycling jährlich über 100 Millionen Megawattstunden Primärenergie eingespart. Dazu kommt, dass der Abbau und die Verarbeitung von Rohstoffen heute
bereits für 90 Prozent des Verlustes an Biodiversität verantwortlich sind.
Kreislaufwirtschaft – das ist meine feste Überzeugung – ist gelebter Klima- und Umweltschutz und schafft Unabhängigkeit von den volatilen Märkten,
aber auch Unabhängigkeit in Krisensituationen, wie wir sie jetzt erleben. Deswegen glaube ich, dass wir im Bereich der Kreislaufwirtschaft noch viele
Möglichkeiten haben, hier Lösungen zu finden. Die Europäische Union importiert 78 Prozent des benötigten Lithiums aus einem einzigen Land, aus Chile; wir haben
das vorhin schon gehört. Diese Abhängigkeit sollte Anlass genug sein, das Lithiumrecycling in Deutschland mit Hochdruck voranzutreiben. Die Industrie in
Deutschland setzt bisher nur 12 Prozent Rohstoffe aus Recyclingprozessen ein. Das müssen wir dringend ändern.
({1})
Wir müssen Produkte recyclingfähig herstellen. Wir brauchen eine Einsatzquote für Rezyklate.
Liebe Union, Sie haben das jahrelang verhindert und sich immer dagegen ausgesprochen. Wir müssen durch geeignete Rahmenbedingungen den Absatz von
Rezyklaten und Sekundärmaterialien fördern und dadurch Investitionssicherheit für Kreislaufwirtschaftsunternehmen schaffen. Das alles sind Maßnahmen, für die
sich die SPD-Fraktion schon lange einsetzt und die die Union immer wieder blockiert hat. Da wundert es nicht, dass die Forderung nach einer Förderung der
Kreislaufwirtschaft in Ihrem Antrag ganz hinten vorkommt. Ich hoffe, das ist keine Bewertung der Kreislaufwirtschaft; denn das hätte sie nicht verdient.
({2})
Die Union hat in den letzten Jahren Maßnahmen zur Förderung der Kreislaufwirtschaft immer wieder mit dem Hinweis blockiert, man dürfe die Wirtschaft
nicht zu sehr belasten, man müsse auf die EU warten und deren Beschlüsse nur eins zu eins umsetzen.
Das waren verpasste Chancen, und das zeigt sich auch in Ihrem Antrag.
Herr Kollege, kommen Sie zum Ende.
Die Anträge, die uns vorliegen, sind rückwärtsgewandt und wenig innovativ.
Vielen Dank.
Dann müssen Sie jetzt auch klatschen. Es ist jetzt Schluss.
({0})
Was ist los an diesem Freitag? Ich weiß es auch nicht. – Jetzt hat der Kollege Bernd Schattner für die AfD-Fraktion das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die nachhaltige Sicherung von und Versorgung mit strategischen Rohstoffen ist das Rückgrat einer
Industrienation wie Deutschland. Der hier vorliegende Antrag der Union hat allerdings mal wieder einige Lücken und Widersprüche. Sie wollen zum einen
Rohstoffpartnerschaften identifizieren, ausbauen und neu abschließen, tragen aber gleichzeitig die für Deutschland desaströse Sanktionspolitik gegen Russland
als größten Rohstoffexporteur der Welt mit.
({0})
Gleichzeitig schreiben Sie in Ihrem Antrag, dass Sie in Erwägung ziehen, umweltschädliches Fracking in Deutschland zu betreiben, um auf der anderen
Seite die Rohstoffgewinnung im Zuge der Transformation hin zu Klimaneutralität zu unterstützen. Was darf’s denn jetzt bitte davon sein? Meine Damen und Herren,
mehr Heuchelei geht doch gar nicht. Sie belügen den Wähler bewusst und in voller Absicht.
({1})
Sie wollen anders sein, Sie wollen eine Opposition sein. Sie sind weder anders, geschweige denn eine echte Opposition. In Ihrer
Regierungsverantwortung besiegelten Sie den Kohle- und Atomausstieg und unterstützten Werte, die man als links-grün, aber definitiv nicht als konservative
Politik bezeichnen kann.
({2})
Für uns als AfD steht aktuell fest: Deutsche Energie und deutscher Strom geht nur mit Kohle und Atom.
({3})
Ihr Antrag ist wie immer gut gemeint, aber handwerklich schlecht gemacht; denn er versucht nur, die Symptome zu lindern, traut sich aber nicht an die
Ursachen heran. Es spricht für sich, dass diejenigen, die immer wieder von sich als „Volksparteien“ sprechen, immer stärker gegen das deutsche Volk agieren.
Statt des Versuchs, eine diplomatische Lösung in dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine zu finden, wählen Sie den Weg einer weiteren Eskalation. Sie sind
auf der Seite derer, die weiter Waffen und andere Rüstungsgüter in die Kriegsgebiete liefern wollen, und tragen damit massiv zur Eskalation bei. Der Lösungsweg
von uns als der AfD ist ein anderer: Wir versuchen immer wieder, die Bundesregierung zu einer diplomatischen Option zu bewegen – leider bis jetzt umsonst.
Für uns überraschend ist vor allem die Position der Grünen als angebliche Friedenspartei in diesem Konflikt. Tönten Sie im Wahlkampf noch groß mit
Sprüchen wie „Keine Waffen in Kriegsgebiete!“, so liefern Sie heute nicht nur in die Ukraine, sondern weiterhin auch an Staaten wie zum Beispiel
Saudi-Arabien.
Aber in Sachen Doppelmoral kennen Sie sich ja wunderbar aus: Wenn Sie genauso viel Energie in die Bewältigung der Strom- und der Gaskrise investieren
würden wie beim Feiern nach Ihrem Parteitag, müssten die deutschen Steuerzahler, die diese Party finanzierten, weder frieren noch Angst um ihren Wohlstand
haben.
Meine Damen und Herren, Rohstoffe wie Gas und Öl zu bezahlbaren Preisen sind momentan nur mit einem fairen Handel mit Russland zu erreichen. Mit
teuren Importen aus den USA und Katar machen wir uns nur noch abhängiger, als wir es jetzt schon sind.
({4})
Liebe Kollegen, gestatten Sie mir am Ende meiner Rede noch ein paar Worte zu den Ereignissen in Ludwigshafen bei mir in meinem Heimatort. Ich danke
meinem Fraktionsvorsitzenden Tino Chrupalla, dass er in seiner gestrigen Rede bereits der beiden ermordeten Handwerker gedacht hat. Für mich als
Rheinland-Pfälzer ist das Schweigen der Landesregierung und allen voran von Ministerpräsidentin Marie-Luise Dreyer jedoch das Enttäuschendste überhaupt. Ein
weiteres Mal versagt sie bei einer Tragödie. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie die Reaktion ausgefallen wäre, wenn es sich bei den beiden Ermordeten eben
nicht um zwei deutsche Handwerker gehandelt hätte.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort gebe ich an die Kollegin Dr. Sandra Detzer für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern – der Kollege Houben hat es schon gesagt – haben wir sehr interessant diskutiert
auf dem Rohstoffkongress des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, des BDI.
({0})
Ganz breit waren Unternehmer/-innen, war Politik, war Zivilgesellschaft vertreten. Und es war vollkommen klar, dass sich alle einig sind: Die
Zeitenwende ist auch bei der Rohstoffpolitik angekommen.
Die internationalen Rohstoffmärkte – es ist, glaube ich, ganz zentral, diesen Punkt gerade aus Unionssicht mal durchzudenken – stellen eben nicht mehr
zu jeder Zeit die gebrauchten Rohstoffe zur Verfügung. Und wenn sie das dann doch tun, dann eben nicht zu Preisen, die für unsere Industrie wettbewerbsfähig
sind.
Genau diese Verfügbarkeit, auch diese Preisstabilität brauchen wir natürlich. Wir haben jetzt gesehen, dass das beim Gas das Problem ist. Das gilt
ganz besonders natürlich in puncto kritische, in puncto strategische Rohstoffe, die wir jetzt für die Transformation unserer Wirtschaft brauchen. Da geht es um
Lithium, Magnesium, Kobalt; die Vorredner/-innen haben das aufgezählt. Das bedeutet aber auch: Es ist Zeit für eine echte Rohstoffstrategie in Deutschland und
vor allen Dingen in Europa. Wir diskutieren in Europa momentan sehr, sehr viel über die Frage des gemeinsamen Gaseinkaufs, gemeinsamer Gaspreise. Das ist im
Kern auch die künftige Debatte, die wir über Rohstoffe führen werden.
Ich bin der Parlamentarischen Staatssekretärin Brantner extrem dankbar, dass sie da zusammen mit Frankreich einen klugen Vorschlag gemacht hat, wie
wir in der Sache weiterkommen können.
({1})
Denn das ist genau das, womit auch die Operationalisierung dieses deutsch-französischen Motors funktionieren kann.
({2})
Warum ist es jetzt so wichtig? Das ist, glaube ich, auch ein Punkt, der im Unionsantrag ein bisschen unterbelichtet ist. Warum brauchen wir diese
Rohstoffsouveränität? Weil wir wissen, dass wir den Mittelstand, dass wir unsere Wirtschaft, aber auch unsere Gesellschaft vor massiven Krisen besser schützen
müssen. Das ist in der Vergangenheit leider nicht genug passiert.
({3})
Wir haben leider gesehen, dass sich ganz viele politische Akteure darauf verlassen haben, dass der Weltmarkt diese Rohstoffe zur Verfügung stellt.
Genau deswegen ist diese Rohstoffsouveränität zentral.
Es hat mich übrigens sehr gefreut, dass Sie die JOGMEC erwähnt haben, die japanische Rohstoffagentur. Japan ist uns meines Erachtens ungefähr zehn
Jahre in der Rohstoffsouveränität voraus.
({4})
Japan hatte die Zeitenwende bereits 2010. China hat damals die Einfuhr der Seltenen Erden nach Japan gestoppt. Daraufhin hat die japanische Regierung
sich sehr, sehr kluge Gedanken über Rohstoffsouveränität gemacht.
Ich habe gestern wie seit Längerem viel mit der BGR und der Deutschen Rohstoffagentur – DERA – geredet, und die haben gesagt: Mensch, wir warnen seit
Jahren, fast schon seit Jahrzehnten vor Klumpenrisiko bei der Rohstoffbeschaffung. Wir sind immer gegen geschlossene Türen gelaufen. Es hat nicht funktioniert,
davon was umzusetzen. – Jetzt ist es endlich so weit; Rohstoffe sind in aller Munde. Das ist die gute Nachricht: Wir haben hier ein Window of Opportunity.
({5})
Frau Kollegin, Sie kommen zum Ende, bitte.
Ich komme zum Schluss. – Niemand muss globalen Partnerinnen und Partnern, aber auch Wettbewerberinnen und Wettbewerbern Böses unterstellen. Es ist
ganz klar, dass wir für eine faire Globalisierung so viel Kooperation wie möglich brauchen. Doch die Situation ist ernst.
Frau Kollegin.
Der chinesische Marktanteil bei den Rohstoffen ist zu hoch. Deswegen ist es gut, dass Rohstoffsouveränität das Gebot der Stunde ist.
Herzlichen Dank.
({0})
Herr Brandner, Ihnen erteile ich einen Ordnungsruf. Sie haben die Kollegin Detzer persönlich beleidigt, indem Sie ihr zugeschrieben haben, sie sei
unterbelichtet.
Jetzt kommt der Kollege Hagen Reinhold für die FDP-Fraktion zu Wort.
({0})
Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich beginne meine Rede damit, mal was zu beleuchten, was wir noch gar nicht so
richtig auf dem Schirm haben. Wir reden nämlich sehr oft davon, was für Rohstoffe wir jetzt gerade brauchen, und versuchen so, in die Zukunft zu schauen. Ich
prognostiziere uns mal: Wir wissen noch nicht, wie der Rohstoffmix in zehn Jahren aussieht, und das ist auch gut und richtig so.
Warum sage ich das? Weil wir, wenn wir dieses Haus betrachten, in den letzten Jahren ganz andere Debatten hatten. Noch vor zwei Jahren haben wir hier
über Holz- und Sandknappheit diskutiert. Die letzte Rohstoffstrategie ist gerade mal zwei Jahre her: 2020. Das Wort „Erdgas“ steht dreimal drin, und zwar im
Zusammenhang mit der Aussage: Wir haben langfristige Lieferverträge und deshalb Versorgungssicherheit in Deutschland.
Daran sieht man schon: Es ändert sich was. Was brauchen wir dazu? Forschung und Entwicklung. Warum nämlich? Da eine Wirtschaft, die selbst verstanden
hat, dass eine immer höhere Nachfrage auf immer knappere einzelne Materialien stößt, eine schlechte Zukunftsperspektive hat. Deshalb gibt es ja Leute, die
sagen: Lasst uns doch statt Lithium in den Akkus andere Materialien verwenden!
Deshalb sind wir längst auf dem Weg bei Forschung und Entwicklung hin zu Materialien, die eine größere Verfügbarkeit und auch eine heimische
Verfügbarkeit haben. Deshalb schreibt sich diese Fortschrittsregierung Forschung und Entwicklung auf ihre Fahnen. Das ist ein Teil der Lösung, die wir
brauchen.
({0})
Ich komme zu einem bemerkenswerten Vorgang. Eine Fraktion hat versucht, herauszufinden, wie das funktioniert, für die nächsten Jahre vorauszuschauen,
und das ist die Alternative für Russland.
({1})
Ist ja eigentlich auch kein Wunder; denn Sie haben sich ja von Russland und von China – das haben Sie auch in Ihrer Rede klargemacht – noch deutlich
mehr abgeguckt, als wir bisher gedacht haben, nämlich: Wir können einen sehr planwirtschaftlichen Ansatz nehmen. Das sind Länder, die das machen, und das haben
Sie sich abgeschaut. Sie wollen jetzt nämlich die Bundesregierung auffordern, zu definieren, welche Gewerbezweige der Wirtschaft in Deutschland welche
Rohstoffe, Vor-, Zuliefer- und Endprodukte für die nächsten Jahre brauchen. Das wollen Sie festschreiben. Das kann man in Ländern machen, die ihr Volk knechten.
Da kann man nämlich sagen: Wir bauen in den nächsten fünf Jahren so und so viele Autos, so und so viele Motorroller
({2})
und so und so viele Waschmaschinen. – Da klappt das. In einem Land wie Deutschland, das innovativ ist, das fortschrittlich ist, klappt Planwirtschaft
nicht. Deshalb ist Ihr Antrag unsinnig und mehr nicht.
({3})
Sie sprechen davon, dass wir in den Ländern, von denen wir Rohstoffe beziehen, tätig werden sollen. Das machen wir längst über
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen der EU, bei denen in der Frage, wie wir mit Ländern umgehen, Ungleichgewichte beachtet werden, indem wir zum Beispiel
kleineren Ländern Zollfreiheit in die EU gewährleisten, während sie uns gegenüber Zölle erheben können. Und warum machen wir das europäisch
({4})
und nicht so, wie Sie in Ihrem Antrag schreiben, nationalstaatlich und auf deutscher Ebene? Weil kluge Gründungsväter der Europäischen Union längst
erkannt haben: In Europa gibt es nur zwei Typen von Staaten – kleine Staaten und solche, die noch nicht verstanden haben, dass sie klein sind.
({5})
Deshalb schließen wir uns zusammen und handeln europäisch, weil nur so solche Abgaben durchzusetzen sind.
Wenn wir über Seltene Erden reden und mal schauen, wo es sie gibt, dann stellt man fest – es ist schon angeklungen –: Seltene Erden haben wir auch bei
uns. Aber die Veredelungsprozesse haben starke Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Genau das ist der Grund, warum wir mit Lieferkettengesetzen überprüfen
wollen, woher wir sie bekommen. Das ist übrigens auch der Grund, warum wir sie nicht in Europa produzieren, obwohl wir es teilweise könnten.
In einer Zeit, in der die Unternehmen stark gefordert sind, ist zwar die Frage, ob die Kontrollen der Lieferketten nicht vielleicht zumindest ein oder
zwei Jahre später umgesetzt werden sollten als vorgesehen, nicht aber, dass wir als Wirtschaftsnation vorangehen und überprüfen. Ich habe da keine Toleranz, Sie
ja. Sie schreiben in Ihrem Antrag, man solle akzeptieren, was in den Ländern passiert, gesellschaftlich und auch arbeitstechnisch, und nennen das „Toleranz“.
Also ich habe für Kinderarbeit weder Toleranz noch sonst irgendwas übrig und lehne das deshalb ab.
({6})
Lassen Sie mich die letzten Sekunden meiner Redezeit dazu verwenden, zu sagen, dass mir im Unionsantrag noch eines aufgefallen ist, nämlich dass die
Diskussion fehlt, mit der Wirtschaft zusammen für Rohstoffe zu sorgen. Dafür hat ein kluger liberaler Wirtschaftsminister mal unter anderem die Deutsche
Rohstoffagentur gegründet, um die Wirtschaft zu unterstützen. Im Rahmen von Gesetzesvorhaben, wo Sie das anprangern, nennt man so was „Verbandsanhörung“ und
„Diskussion mit den unterschiedlichen Akteuren“. Das macht diese Bundesregierung selbstverständlich.
Herr Kollege.
Deshalb ist Ihr Antrag in den Teilen, die Sie dem Koalitionsvertrag entnommen haben, sehr gut, im Rest ausbauwürdig.
Danke schön.
({0})
Klaus-Peter Willsch hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Die Ampel hat im Koalitionsvertrag – das ist ja schon angesprochen worden –
verbesserte Rahmenbedingungen für die Erkundung heimischer Rohstoffe angekündigt. Das geht also in Richtung „Selbst gewinnen, was wir können“. Sie hat aber
bisher absolut keine Initiative in diese Richtung auf den Weg gebracht.
({0})
Die Sicherung der Rohstoffversorgung ist essenziell für unser Land. Deshalb fordern wir von der CDU/CSU von dieser Regierung: Alle Optionen müssen auf
den Tisch, und zwar schnell!
({1})
Ein größeres Engagement Deutschlands bei der Gewinnung von Rohstoffen im In- und Ausland ist umgehend erforderlich. Wir brauchen neue
Rohstoffpartnerschaften – das ist von Kollegen schon ausgeführt worden – und eine enge Zusammenarbeit mit den EU-Mitgliedstaaten; denn der Zugang zu kritischen
und strategisch wichtigen Rohstoffen ist auch im Krisen- und Kriegsfall existenziell.
Die Energiemärkte sind weitgehend europäisch, und am Ende hängen wir alle an denselben Brennstoffen. Für uns darf das nicht bedeuten, dass wir die
Hände in den Schoß legen und uns einfach darauf verlassen, dass uns die europäischen Partner oder die USA im Ernstfall versorgen werden. Wir müssen selbst
vorsorgen. Was zählt, ist die Tat. Deutschland muss seinen Beitrag leisten. Es mehren sich die kritischen Stimmen bei europäischen Partnern. Deutschland muss
seinen Beitrag leisten – das ist ein Gebot europäischer Solidarität –, und eben nicht nur mit Flatterstrom, sondern mit grundlastfähigen Energien. Da ist von
dieser Regierung leider nichts zu erwarten.
Was wäre wenn? Notfallpläne für einen Lieferstopp gibt es nicht. Seit Monaten ist klar, dass wir in der Energieversorgung zum Jahresende mit einer
weiteren Verknappung zu rechnen haben. Wir warten auf ein Konzept. Heute Morgen ist über 200 Milliarden Euro diskutiert worden. Nur Überschriften und nichts
Konkretes!
({2})
Ihr müsst endlich mal aus den Puschen kommen und konkret was auf den Tisch legen, was ihr in diesem Land vorhabt.
({3})
Ich will ein Beispiel nennen. Bei den diesjährigen Wirtschaftsgesprächen zusammen mit der „FAZ“ in Frankfurt hat Christian Kullmann, Evonik-Chef und
Präsident des VCI, die dramatische Situation am Beispiel der Chemieindustrie sehr passend beschrieben. Eintracht Frankfurt hatte wenige Tage zuvor in Sevilla
den Europa Cup gewonnen; die Strecke Frankfurt–Sevilla sind 1 830 Kilometer. Stellen Sie sich einen Zug vor – dieses Bild hat sich aufgedrängt –, der in
Frankfurt ankommt und so lang ist, dass das Zugende noch in Sevilla steht! Er hat die Frage in den Raum gestellt: Was glauben Sie, wie lange die deutsche
chemische Industrie mit diesem Zug voller Gasdruckkesselwagen produzieren könnte? – Sechs Stunden, war die Antwort. Sechs Stunden!
({4})
Das zeigt das Volumen, das wir dort brauchen. Wir diskutieren das Ganze leider viel zu sehr unter der Überschrift „Gas als Energieträger“; für Chemie,
für Pharma, für die Düngemittelproduktion ist es unverzichtbarer Produktionsrohstoff.
({5})
Doch ist nicht nur hier, beim Gas, die Abhängigkeit extrem hoch und damit das Potenzial für Erpressbarkeit, sondern auch bei Rohstoffen; es sind schon
einige davon aufgezählt worden. Bei Silizium, Kobalt, Nickel sind wir auf Herkunftsländer angewiesen, deren innere Verfasstheit häufig nicht gerade zum Vorbild
gereicht, um es mal vorsichtig auszudrücken. Bei mineralischen Rohstoffen wie Seltenen Erden ist die Abhängigkeit insbesondere von China erwähnt worden. Wir
haben jetzt im Umgang mit Russland gesehen: Putins Clique zögert nicht, Energie als Waffe einzusetzen. Ebenso würden die Kommunisten in Peking nicht zögern,
ihre wirtschaftliche Macht gegenüber deutschen Unternehmen auszuspielen. Rotchina macht schon jetzt Druck bei jeder sich bietenden Gelegenheit, wenn ihnen
irgendwas nicht passt. Reden Sie mal mit den Freunden in Litauen; da können Sie interessante Geschichten dazu erfahren, wie der Umgang zwischen Partnern im
Außenwirtschaftsbereich ist.
({6})
Wir müssen aktiv in den weltweiten Wettbewerb um die Rohstoffe einsteigen. Energiewende und Digitalisierung steigern die Nachfrage nach Rohstoffen
drastisch, und gleichzeitig verschärft der Ukrainekrieg die bereits vorhandenen Lieferengpässe. Auch der links-gelben Ampel muss langsam klar werden, dass es
ohne den Einsatz von vielfältigen Rohstoffen keine Produktion, keine Gebäude und keinen Transport gibt. Wenn die Ampel nicht bald initiativ wird, haben wir
Stillstand in unserem ganzen Land.
({7})
Das hat nicht nur Auswirkungen auf Arbeitsplätze und Wohlstand, das ist auch für unsere Wehrhaftigkeit entscheidend. Ich will Ihnen mal ein Beispiel
nennen: Im modernen Jet F‑35, die fünfte Generation – die haben Sie gerade beschafft –, sind 700 Kilogramm sogenannte Seltenerdmetalle verarbeitet. Das zeigt,
dass das auch in der Frage, wie wir unsere Sicherheit garantieren können, ein wichtiger Punkt ist.
({8})
Schauen wir auf Lithium. Der Wettlauf ist in vollem Gange. Ich hoffe, dass die Grünen wirklich zu Schritten hier in Deutschland bereit sind. Wir
wissen, dass dieses begehrte Element in Gesteinslagen unter dem Oberrheingraben, gelöst in salzigem Thermalwasserreservoir, in ansehnlicher Menge vorhanden ist.
Das war alles nicht so interessant, bis sich die Lithium-Ionen-Batterien durchgesetzt haben. Aber jetzt ist es interessant. Wir müssen da herangehen und die
Vorkommen gewinnbar machen, um die Lithiumabhängigkeit vom Ausland zu verringern.
Das Thema „kritische Rohstoffe“ muss als strategisch wichtiges Thema für die nationale Sicherheit begriffen werden. Da bin ich gespannt, vor allen
Dingen auf die Grünen. Es ist eben viel von Recycling gesprochen worden – das ist auch wichtig –, aber natürlich müssen wir auch eigene Ressourcen heben. Wie
sich da diejenigen verhalten, die ich immer nur als solche erlebt habe, die verhindern wollen – „Not in my backyard“ ist Prinzip Ihrer Politik –,
({9})
darauf bin ich gespannt. Ich bin aus Hessen. Ich habe den ersten Minister der Grünen erlebt, Joseph Fischer.
So, Herr Kollege.
Ich bin ich gleich zu Ende.
Aber das ist schon so lange her mit Joschka Fischer. Deswegen habe ich Sorge, dass es länger dauert.
Der hat als Erstes planmäßig die Nuklearbetriebe ALKEM und NUKEM vernichtet. Durch eine schikanöse Genehmigungspraxis.
Herr Kollege.
({0})
Und er hat sich als Nächstes die Humaninsulinproduktion vorgenommen. So arbeiten Grüne in der Praxis.
Herr Kollege, sind Sie so nett?
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und danke der Präsidentin für ihre Geduld.
({0})
Bengt Bergt hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. – Moin, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Eigentlich lohnt es sich ja kaum, auf den
Antrag der AfD einzugehen – er ist technisch wieder mal schlecht gemacht –; aber die Leute da draußen sollen wirklich mal erfahren, was das für eine Truppe ist,
die hier sitzt. Die AfD verbindet in perfider Weise jedes ihrer Anliegen mit der unerträglichen Hetze
({0})
gegen Andersdenkende und Andersgläubige. So verlangen Sie dieses Mal allen Ernstes, wir sollen anderen Ländern keine LGBTQ-Rechte aufzwingen und
lokale Kulturen einfach tolerieren.
({1})
Gerade eben wurde schon das Beispiel Kindersklavenarbeit genannt. Das können wir nicht tolerieren. Das zeigt aber sehr deutlich, was Sie für ein
Menschenbild haben, meine Damen und Herren. Das ist schäbig und armselig.
({2})
Dabei sollte jeder wissen, dass die Einhaltung von Bürger- und Menschenrechten nicht nur eine Frage von Moral und Anstand ist, sondern auch ein
Standortfaktor. Denn dort, wo Menschen frei leben und denken dürfen, bringen sie sich in die Wertschöpfung ein, und dort lassen Investoren auch gern ihr Geld,
meine Damen und Herren. Doch leider zeigen Sie einmal mehr: „Anstand und wirtschaftliche Fachkenntnis“ ist echt nicht Ihr Thema.
({3})
Nun zu Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union. Als Energiepolitiker und zuständiger Berichterstatter für das Thema Windenergie ist
es mir natürlich ein Anliegen, dass wir die Energiewende vorantreiben und die Wertschöpfung in Deutschland halten und weiter ausbauen.
Es gibt in Deutschland 344 000 Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien. Das sind 40 000 mehr als in der chemischen Industrie. Das zeigt das
Potenzial, das dahintersteckt. Was hat das alles mit sicherer Versorgung zu tun? Ziemlich viel. Denn zum Beispiel für die Produktion von Windenergieanlagen
werden bis 2040 weltweit etwa 22 Millionen Tonnen verschiedener Rohstoffe benötigt: Stahl, Zink, Kupfer, und zwar aus der ganzen Welt, aus Chile, aus Südafrika,
aus China. Das ist sehr, sehr viel.
Insofern behandeln Sie in Ihrem Antrag ziemlich wichtige Anliegen, aber aus der falschen Perspektive heraus. Rohstoffpartnerschaften und eine
Diversifizierung der Rohstoffquellen sind wichtig. Das ist geschenkt; alles gut. Aber etwas verwundert bin ich da schon; denn viele der Punkte waren bereits
Teil der Rohstoffstrategie der letzten Bundesregierung, und da waren Sie, glaube ich, dabei.
({4})
Wir haben von Frau Dr. Brantner gehört, dass das weiter angepasst und forciert wird. Also, Sie wärmen hier jetzt kalten Kaffee auf. Wie immer – der
Kanzler hat das schon angedeutet –: Wenn Sie ein Korn finden, sind wir schon dabei, das Mehl zu mahlen und den Kuchen zu backen.
({5})
Von daher brauchen wir uns das gar nicht weiter anzugucken; das passt so weit schon.
({6})
Aber was ist mit den Umwelt- und Klimaschutzaspekten? Auch diese spielen bei der Frage der Rohstoffgewinnung und des Rohstoffimports eine immer
größere Rolle.
({7})
Dazu mal ein Beispiel: Der Methanausstoß muss deutlich reduziert werden; denn Methan fällt zum Beispiel bei der Gewinnung und Veredlung von fossilen
Brennstoffen an, beim Transport in die EU oder auch nach Deutschland. Auf 20 Jahre betrachtet ist Methan 83‑mal klimaschädlicher als CO2. Es ist deshalb gut,
dass wir die Methanstrategie gemeinsam mit der Wirtschaft weiter forcieren; aber in Ihrem Antrag findet sich kein Wort dazu.
Was ist mit den sozialen Aspekten? Wettbewerbsfähigkeit, Schaffung von Wertschöpfung, Jobs, Umwelt- und Klimaschutz, Einhaltung von Bürger- und
Menschenrechten – das alles muss zusammengedacht werden. Dazu in dem Antrag – kein Wort.
Lassen Sie sich noch ein bisschen was zu den Themen „Rohstoffabhängigkeiten“ und vor allem „Diversifizierung“ sagen. Man darf ja ruhig noch mal daran
erinnern, dass die Ampelkoalition in einem Jahr die Rohstoffabhängigkeiten abbauen muss, die die CDU-geführten Bundesregierungen 16 Jahre lang aufgebaut haben,
meine Damen und Herren.
({8})
Man darf auch noch mal daran erinnern, dass ausgerechnet diejenigen, die jetzt nach mehr Unabhängigkeit brüllen, 16 Jahre jede einzelne
Windenergieanlage in Deutschland bekämpft und beklagt haben.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, das geht eben nicht: Mehr heimische Rohstoffe nutzen wollen, aber gleichzeitig die Nutzung der
wichtigsten Rohstoffe über Jahre und Jahrzehnte bekämpfen, nämlich Sonne und Wind,
({10})
und die gibt es auch noch umsonst.
({11})
Stattdessen versuchen Sie im Antrag, ziemlich billig und durch die Hintertür einen Weg für unkonventionelles Fracking zu eröffnen.
({12})
Für alle, die nicht genau wissen, was das ist. Das ist ein Chemiecocktail, der in den Boden reinverpresst wird, um den Klimakiller Nummer eins,
nämlich Methan, also Erdgas, aus dem Boden zu holen, und das wollen Sie hier in Deutschland zulassen.
({13})
Wir brauchen Erdgas noch – noch! Aber wissen Sie, was besser ist für die Versorgungssicherheit und für das Klima als zwei Fracking-Bohrungen? Eine
Fracking-Bohrung in den USA, die schon ausgebeutet wird und die wir nutzen, um von diesem Zeug endlich loszukommen und endlich eine klimaneutrale, erneuerbare
Welt zu schaffen, meine Damen und Herren.
({14})
Wir müssen uns eine grundlegende Frage stellen.
Herr Kollege, ich dachte, das war schon der Punkt, weil die Redezeit um ist.
Ich komme zum Ende. – Letzter Satz. Wir stellen uns die grundlegende Frage: Wie wollen wir weitermachen? Wollen wir, wie die Union, weiter
Kohlenstoff aus dem Boden holen, der 300 Millionen Jahre eingelagert wurde, den verbrennen und freisetzen?
Herr Kollege.
Oder wollen wir endlich in eine neue, saubere zukünftige Welt gehen, wie wir als Ampel es tun?
Vielen Dank.
({0})
Kathrin Henneberger hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir den Antrag der CDU/CSU tatsächlich durchgelesen
({0})
und mich dabei gefragt, in welchem Jahrhundert wir eigentlich leben. Dieser Antrag zeigt wahrlich eines ganz deutlich: Ihr habt die Ursache der
Biodiversitäts- und Klimakrise sowie die Ursache der globalen Ungerechtigkeit immer noch nicht verstanden.
({1})
Oder – noch tragischer –: Ihr wollt sie nicht verstehen; denn das würde bedeuten, ihr müsstet eure Politik grundsätzlich infrage stellen.
({2})
Denn Rohstoffe sind endlich, Ökosysteme sind nicht grenzenlos belastbar, und die Kipppunkte unserer globalen Klimasysteme drohen wir derzeit zu
überschreiten. Als Antwort auf diese globalen Krisen kompromisslos national und kurzsichtig handeln zu wollen ohne Rücksicht auf die sozialen und ökologischen
Folgen der Förderung von Rohstoffen in anderen Regionen der Welt,
({3})
ist neokolonial.
({4})
In eurem Antrag habt ihr keinen Punkt, was die Einhaltung von Menschenrechten, indigenen Rechten oder Sozialstandards betrifft.
({5})
Ich sehe hier auch keine Forderung, die die Auswirkungen auf die lokale Umwelt durch Rohstoffabbau überhaupt anspricht.
Statt auszubeuten, als gäbe es kein Morgen auf unserer Erde,
({6})
sollte es besser das Ziel sein, unseren Rohstoffbedarf in absoluten Zahlen zu senken und achtsam mit unserer Lebensgrundlage umzugehen.
({7})
Eine neue Rohstoffstrategie sollte die Grundlage haben, eine gerechte Wirtschaft aufzubauen, die nicht auf Menschenrechtsverletzungen, Ausbeutung von
Arbeiterinnen und Arbeitern und der Zerstörung unserer Lebensgrundlage beruht,
({8})
sondern in der Wohlstand gerecht verteilt wird, die ein gutes Leben für alle Menschen bietet statt ein reiches mit Privatflugzeug für nur ein paar
wenige.
({9})
Stattdessen möchte die Union lieber exzessiv Fracking, Öl- und Gasförderung betreiben.
({10})
Ich war im Sommer in einer Region Amazoniens, wo Erdöl gefördert wird.
({11})
Vergiftung von Wasser, Böden, Landnahme der Territorien indigener Bevölkerungen, Ursache und Verstärkung von gewaltsamen Konflikten – das sind die
Auswirkungen. Ich habe eine Frau besucht, die aufgrund ihres langen Engagements für Umweltschutz und gegen die Erdölfirmen massiv bedroht wird, so sehr, dass
sie Polizeischutz braucht.
({12})
Auch das sind die Auswirkungen einer rücksichtslosen Rohstoffpolitik, wie Sie sie auch in Ihrem Antrag fordern. Da wünsche ich mir doch etwas mehr
Mut, neue Wege zu gehen.
({13})
Wenn wir nach dem Pariser Klimaabkommen gehen, dann darf es kein Weiter-so bei der Erschließung neuer Erdöl- und Gasfelder geben. Stattdessen müssen
wir uns sehr dringlich unabhängig machen von den Fossilen und die Energiewende mit den Erneuerbaren global ausbauen.
({14})
In diesem Zusammenhang möchte ich mich auch bei den Ministerien bedanken, die sich für Klimapartnerschaften sehr engagieren und diese weiter
ausbauen.
Mit Fracking – das möchte ich noch mal betonen – fangen wir gar nicht erst an. Wir werden Grund- und Trinkwasser nicht durch Verunreinigung
gefährden.
({15})
Frau Kollegin.
Was wir wirklich brauchen, ist eine Rohstoffwende. Wir müssen eine Kreislaufwirtschaft aufbauen und soziale wie ökologische Standards bei
Lieferketten umsetzen.
Vielen Dank.
({0})
Esra Limbacher ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es stimmt: Unsere Versorgungssicherheit mit Energie und Rohstoffen ist aufgrund des
russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, der Lieferkettenprobleme weltweit und der weiterhin auftretenden Auswirkungen der Pandemie mehr und mehr
gefährdet. Das trifft beispielsweise die energieintensive Industrie sowie viele mittelständische Unternehmen in unserem Land besonders hart.
Heute wurde schon viel gesagt. Ich will die Möglichkeit nutzen, heute von einem Treffen von vor zwei Tagen zu berichten, das ich mit der chemischen
Industrie in unserem Land, nämlich dem VCI, dem Dachverband der chemischen Industrie, hatte. Auch viele mittelständische Unternehmen sind in diesem Bereich
tätig. Sie haben mir von den großen Sorgen und auch den Nöten berichtet, die momentan in dieser Branche vorherrschen. Sie sind doppelt betroffen, weil sie zum
einen Erdgas als wichtigen Energieträger haben und zum anderen auch gleichzeitig als wichtigen Rohstoff für viele Basischemikalien benötigen.
Chemische Erzeugnisse sind für 90 Prozent aller Produktionserzeugnisse in unseren Unternehmen in Deutschland notwendig. Ohne die Chemieindustrie – das
kann man sagen – steht die ganze Wirtschaft in unserem Land still, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Warum sage ich das? Wenn wir über Rohstoffe reden, ist es, glaube ich, unglaublich wichtig, den Grund zu erfahren, warum wir die Rohstoffe hier in
unserem Land überhaupt brauchen. Wir brauchen sie momentan vor allen Dingen, um unsere Wirtschaft am Leben zu halten, um unsere Industrie am Leben zu halten.
Deswegen will ich die Möglichkeit hier nutzen, um ein klares Bekenntnis zum Industriestandort Deutschland auszusprechen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
glaube, genau in dieser Zeit ist es besonders wichtig, zu sagen: Wir stehen zu unserer Industrie. Wir machen alles, damit sie weiterleben kann.
({1})
Wir lassen sie nicht im Stich.
Deswegen war es auch besonders wichtig, heute dem Gesetzentwurf zuzustimmen, der beim vorherigen Tagesordnungspunkt zur Abstimmung stand. So können
wir die Entlastung durch eine Gaspreisbremse auf den Weg bringen können. Da haben Sie sich nicht nur enthalten, sondern Sie haben auch dagegengeredet.
({2})
Ich finde, es spricht Bände, welche Partei, welche Koalition und welche Bündnisse in diesem Parlament überhaupt noch hinter unserer Industrie und
unserer Wirtschaft stehen. Sie tun es sicherlich nicht.
({3})
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat sich die Ampelkoalition in ihrem Koalitionsvertrag ambitionierte Ziele gesetzt, um eine nachhaltige
Rohstoffversorgung sicherzustellen sowie den heimischen Rohstoffabbau zu erleichtern und ökologisch auszurichten. Das hat seine Richtigkeit und Notwendigkeit
zum Zeitpunkt der Verhandlungen gehabt, und es ist heute immer noch aktuell und auch vor dem Hintergrund des Gesagten umso wichtiger.
Ich will aber die Wortwahl des Kollegen Roloff aufgreifen. Er hat von den „Siedlern von Catan“ gesprochen. Bei diesem Brettspiel gibt es auch eine
Entwicklungskarte. Ich finde, die sollten wir jetzt ziehen. Es gibt – das wird immer notwendiger – immer mehr neue Materialien, Werk- und Rohstoffe, die wir
benötigen. Hier müssen wir viel, viel mehr in Innovationen und in die Entwicklung neuer Patente investieren. Da ist der Staat gefordert.
Ebenso – lassen Sie mich das noch erwähnen – müssen wir auf das Potenzial heimischer Rohstoffe schauen. Wir sehen, dass die Vorkommen, die im
Oberrheingraben zwischen Basel und Frankfurt entdeckt worden sind, 20 Prozent unseres Bedarfs, was Lithium betrifft, decken können. Ich glaube, liebe
Kolleginnen und Kollegen, da müssen wir noch mal genauer hinschauen.
Wir sind in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage in unserem Land. Wir müssen alles dafür tun, dass unsere heimische Wirtschaft, insbesondere
natürlich die Industrie und die mittelständischen Betriebe, bestehen können. Dafür tun wir alles Mögliche in dieser Koalition. Wir handeln, um genau das zu
erreichen.
Vielen Dank.
({4})
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Vertreter der Wehrbeauftragten! Die Präsidentin hat
es gerade vorgelesen: Wir beraten heute über den Antrag „Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte – Stabilisierung sichern, Wiedererstarken
des IS verhindern, Versöhnung im Irak fördern“ oder über das, wie wir es nennen, Irakmandat. Dabei ist das viel zu kurz gegriffen.
Rund 280 Soldatinnen und Soldaten sind an sechs Standorten in vier Ländern im Einsatz. Die Bundeswehr leistet ihren Beitrag im Rahmen der
internationalen Einsätze NATO Mission Iraq und der Anti-IS-Operation Inherent Resolve. Schwerpunkt des deutschen Anteils ist die Beratung der Führung der
irakischen Streit- und Sicherheitskräfte auf strategischer Ebene mit dem Ziel, ebenjene zu befähigen. Sie sind es, die dafür sorgen, dass der IS im Irak nicht
wieder Fuß fassen kann. Der Einsatz findet auch im Kontext des zivilen Engagements von VN und EU statt, die mit der United Nations Assistance Mission for Iraq
und der European Union Advisory Mission in Iraq vertreten sind.
Die sicherheitspolitische und die innenpolitische Lage ist mehr als kompliziert. Das besagt auch der Überprüfungsbericht der Bundesregierung, der nun
erstmals dem Parlament vorgelegt wurde. Dort heißt es – ich zitiere –:
Auch wenn IS aktuell keine akute strategische Bedrohung für Irak darstellt, ist die Terrororganisation weder besiegt noch nachhaltig eingedämmt.
Seit dem Angriff der USA und seiner Verbündeten in 2003 – für uns in Deutschland und Europa das markanteste Datum der jüngeren Geschichte des Irak –
musste das Land sich enormen Herausforderungen stellen. Die größte bleibt das Erstarken des IS in Irak und Syrien. Das Undenkbare wurde Realität. Die Gruppe
„Islamischer Staat“ rief im Sommer 2014 das sogenannte Kalifat aus. Schätzungen gehen davon aus, dass zum Zeitpunkt der größten Raumkontrolle bis zu
12 Millionen Menschen in Irak und Syrien unter seiner Herrschaft lebten und litten. In diesem Territorium wurde gefoltert, gemordet, Menschen wurden
drangsaliert, ein brutales Regime wurde durchgesetzt. Insbesondere gegenüber Minderheiten, wie den Jesidinnen und Jesiden, kannte der IS keine Gnade.
Das sogenannte Kalifat wurde zum Sehnsuchtsort von Dschihadisten weltweit.
({0})
Propagandistisch hochprofessionell rekrutierte die Gruppe „Islamischer Staat“ neues Kanonenfutter für seine zerstörerischen Pläne. Auch Tausende
europäische – auch deutsche – Dschihadistinnen
({1})
reisten an, um für das sogenannte Kalifat zu kämpfen. Es bleibt, auch im Rückblick, Wahnsinn. Gut, dass das vorbei ist.
({2})
Was nicht vorbei ist, sind Anschläge und Angriffe durch die Gruppe „Islamischer Staat“ und andere Milizen. Auch die innenpolitische Lage ist mehr als
herausfordernd. In etwa zeitgleich zu unserer Bundestagswahl wurden im Irak letztes Jahr Wahlen abgehalten. Die Regierungsbildung dauert, nun fast ein Jahr
später, weiterhin an. Erst in der letzten Woche wurde der Präsident Abdul Latif Rashid durch das Parlament gewählt. Er hat nun Mohammed Shia al-Sudani mit der
Bildung eines Kabinetts beauftragt.
Al-Sudani steht vor einer Mammutaufgabe, in einer ethnisch pluralen, wenig geübten Demokratie ein Kabinett zusammenzustellen, das die Gesellschaft
Iraks bestmöglich abbildet und professionell miteinander und für das Land arbeiten kann. An diesem Wochenende soll das Kabinett vorgestellt werden. Ich wünsche
viel Erfolg. Gut, dass es endlich vorangeht!
({3})
Wenn wir deutsche Soldatinnen und Soldaten in einen Einsatz schicken, dann ist das – und die Formulierungen unserer Mandate tragen auch dazu bei, wenn
wir ehrlich sind – immer mit sehr hohen Erwartungen an Erfolge verbunden – fast so, als wären wir es in Deutschland gewohnt, dass, wenn der Staat sich was
vornimmt, das auch immer ohne Probleme und Rückschläge gelingt. Es ist richtig, ambitioniert zu sein. Es ist richtig, zu hinterfragen, welchen Beitrag wir
leisten. Es ist richtig, genau zu überlegen, bevor wir unsere gut ausgebildeten Soldatinnen und Soldaten in ein für sie potenziell gefährliches Mandat
entsenden. Mein Eindruck ist: Die Bundesregierung tut genau das.
({4})
Deutschland hat einen guten Ruf, sowohl bei der Zentralregierung in Irak als auch in Erbil. Es ist auch ein Teil unserer globalen Verantwortung, dass
wir diesen guten Ruf zum Vorteil Iraks, zum Vorteil der Region und zum Vorteil Europas nutzen.
Wir hier im Parlament beschließen das Mandat. Die Regierung setzt es um. Und an erster Stelle sind es die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die
dies jeden Tag mit hohem persönlichen Einsatz und einer hohen Professionalität tun. Ihnen gilt unser besonderer Dank, insbesondere in diesen für Irak sehr
herausfordernden Zeiten.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie auch im Namen meiner Fraktion heute um Zustimmung für dieses Mandat.
({6})
Das Wort hat der Kollege Dr. Johann Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es vorwegzunehmen: Die CDU/CSU-Fraktion wird dem Antrag zustimmen. Das fällt uns leicht, weil
wir dieses Mandat immer befürwortet haben. Es ist richtig, den Kampf gegen IS-Terroristen fortzusetzen. Es ist richtig, für Stabilität im Irak zu sorgen,
Flüchtlingsursachen zu bekämpfen. Deutschland hat hier eine wichtige Rolle, und die CDU/CSU-Fraktion steht hinter diesem Mandat.
({0})
Sie sehen: Wir nehmen Verantwortung wahr. Dass dies neuerdings auch die Grünen tun, Frau Kollegin Nanni, das haben Sie überzeugend dargelegt; aber das
hätten Sie all die vergangenen Jahre auch schon machen können.
({1})
Es ist schon auffällig, dass Sie jetzt auf einmal zu der Erkenntnis kommen, wie wichtig dieses Mandat ist. Das ist in den vergangenen Jahren nicht
geschehen.
({2})
Es war schon immer, Frau Kollegin Brugger, wichtig, gegen Terroristen zu kämpfen
({3})
und vor allen Dingen Jesidinnen zu schützen. Das will ich an der Stelle mal sagen: In dieser Region haben der Kampf für Frauenrechte und der Schutz
von Frauen eine hohe Bedeutung. Wer sich für feministische Außenpolitik einsetzt, der muss sich für die Frauen im Irak einsetzen, der muss sich für Jesidinnen
einsetzen, der muss sich übrigens auch für Iranerinnen einsetzen, und da sehen wir von Ihnen überhaupt nichts.
({4})
Große Worte hier ersetzen keine Taten dort vor Ort.
({5})
Das Mandatsgebiet bleibt gleich. Wir wären allerdings dafür gewesen, den Luftraum von Syrien einzubeziehen. Die Fähigkeiten bleiben erhalten:
Luftbetankung, bodengestütze Luftraumüberwachung, Teilnahme an AWACS-Flügen, aber auch die Ausübung von Stabsaufgaben innerhalb des NATO-Verbundes. Die
sozialdemokratische Fraktion hatte hier in der letzten Legislaturperiode große Probleme, das im NATO-Rahmen zu tun. Schön, dass auch dieser Lerneffekt gelungen
ist, dass die Sozialdemokraten jetzt auch die NATO wieder mehr wertschätzen und sagen, dass es eine sinnvolle Aufgabe der NATO ist, in dieser Region aktiv zu
werden.
({6})
Ich muss sagen: Der staatspolitische Bildungsprozess in den Koalitionsfraktionen, insbesondere bei Grünen und SPD, hat Erfolge gezeigt.
({7})
– Kollege Lechte, die FDP war ja schon immer dafür.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, woran es fehlt – das möchte ich ausdrücklich bemängeln –, ist irgendeine Strategie dieser Bundesregierung für diese
Region. Wissen Sie: Einsätze der Bundeswehr sind wichtig; sie sind ein notwendiges Mittel. Sie sind das letzte Mittel. Aber man kann nicht erst den Einsatz
machen und dann mal über eine Strategie für die Region nachdenken. Man braucht erst eine Strategie für den Nahen und Mittleren Osten, und dann kann der Einsatz
ein Element davon sein. Das ist genauso in der Sahelzone. Sie haben für keine der Konfliktregionen am Rande Europas, die uns bedrohen, irgendeine
außenpolitische Strategie. Und die muss vorgelegt werden.
({8})
Was wir sehen, sind Einzelreisen. Da reist der Wirtschaftsminister nach Katar, findet es großartig, sich dort zu treffen. Menschenrechte, Schutz von
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern spielen an der Stelle mit einem Mal nicht mehr eine so große Rolle. Abschlüsse übrigens gleich null: Kein Kubikmeter LNG
wird von dort hier ankommen. Da reist der Bundeskanzler nach Saudi-Arabien – grundsätzlich richtig. Ergebnis: Die OPEC drosselt ihre Liefermenge. Das schadet
uns eher, bringt große Probleme für die Biden-Administration, nutzt nur Putin. Man sieht: Sie machen Einzelaktionen, die alle nicht durchdacht sind. Es fehlt
jede durchdachte Strategie für den Nahen und Mittleren Osten, und das ist doch die Region, aus der nach wie vor die meisten Flüchtlinge auch in unsere Richtung
kommen. Und eine solche Strategie ist einzufordern.
({9})
Daher muss ich Ihnen wirklich sagen: Ihnen ist das vorgemacht worden. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit der Libyen-Konferenz, mit dem
EU‑Türkei-Abkommen, mit dem E3+3-Format viele Dinge in die Welt gesetzt, die es wert wären, fortgesetzt zu werden. Da bleibt diese Bundesregierung nach wie vor
gefordert.
Wir stimmen heute zu. Aber unsere Erwartung ist, dass Sie endlich einen strategischen Ansatz für diese wichtige Region formulieren. Auch darüber
würden wir dann gerne mit Ihnen diskutieren und das unterstützen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({10})
Der Kollege Dr. Nils Schmid hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich rede gern über die durchdachte Strategie der Bundesregierung, die hinter diesem Mandat
steht.
({0})
Wir wissen, dass der Irak vor einer unverändert hohen Herausforderung steht, was die Sicherheitslage anbelangt, und um die damit verbundenen
Einschränkungen einer stabilen wirtschaftlichen und politischen Entwicklung. Deshalb sind wir der Auffassung, dass, gerade weil der Irak ein potenzieller
Stabilitätsanker im Nahen Osten sein kann, wir die Mission der Bundeswehr in Bagdad und in Erbil und auch das Element der Unterstützung der Luftwaffe in
Jordanien weiter unterstützen sollten.
Die politische Lage im Irak ist durch ein zerklüftetes Parlament mit schwieriger Regierungsbildung gekennzeichnet. Aber – Frau Nanni hat es
angesprochen – es ist vom Parlament jetzt immerhin ein neuer Staatspräsident gewählt worden. Es gibt eine Regierungsmehrheit, eine Koalition, die sich gebildet
hat. Für den Nahen Osten ist es durchaus ungewöhnlich, aber begrüßenswert, dass der Ort dieser politischen Machtentfaltung das Parlament ist und dass man
versucht, solche regulären Prozesse der Regierungsbildung über die Stärkung von Institutionen hinzubekommen.
Ich kann Ihnen sagen, dass die Unterstützung und Absicherung dieser Staatlichkeit durch die Bundeswehreinsätze ein ganz wichtiger Baustein ist und
dass uns gerade die politischen Eliten des Irak im Parlament und in der Regierung gespiegelt haben, dass sie den Einsatz der Bundeswehr wünschen. Wir waren mit
einer kleinen Delegation der SPD im September vor Ort. Ob es Parlamentarier waren, ob es Regierungsvertreter waren – klare Ansage: Dieser Einsatz der Bundeswehr
ist politisch gewollt. Unsere Bundeswehrsoldatinnen und ‑soldaten sind im Irak willkommen.
({1})
Wir haben auch einen Evaluierungsbericht vorgelegt, um zu dokumentieren, dass die Bundesregierung gerade auch im Irak den vernetzten Ansatz verfolgt.
Ein besonders erfolgreiches Element dieser Evaluierung ist die Feststellung der Tatsache, dass in den letzten Monaten und Jahren Millionen von
Binnenvertriebenen, die vor dem IS geflohen sind, zurückkehren konnten und dass damit humanitäre Hilfe, Entwicklungshilfe und der Sicherheitsaspekt Hand in Hand
gehen. Es gibt aus meiner Sicht wenig Einsatzbereiche, in denen durch diesen vernetzten Ansatz während der Einsatzzeit der Bundeswehr schon so viele
Fortschritte gesehen wurden. Deshalb ist gerade im Sinne des Verständnisses von menschlicher Sicherheit dieser Einsatz einer, den wir breit unterstützen
sollten.
Ich will aber auch nicht verhehlen, dass es Sorgen gibt. Gerade von der Reise, die wir dorthin gemacht haben, bringen wir solche Sorgen mit:
Eine betrifft die Flüchtlingslager in Syrien, wo sich Zehntausende überwiegend syrische und vor allem auch irakische Staatsbürgerinnen und
Staatsbürger aufhalten. Das sind wahre Brutstätten des Terrorismus. Viele dieser Flüchtlingslager in Syrien sind unter Kontrolle des IS. Wir können noch so
viele Militäreinsätze fahren: Wenn immer wieder eine neue Generation von Terroristinnen und Terroristen heranwächst, dann kommen wir aus der Spirale der Gewalt
nicht heraus. Deshalb müssen wir dem Irak helfen, seine Staatsbürgerinnen und Staatsbürger möglichst aus diesen Lagern herauszuholen und im Irak wieder in die
Gesellschaft einzugliedern.
Der zweite Problempunkt ist die Lage der Jesiden. Die Rückkehr nach Sindschar, einem angestammten Siedlungsgebiet der Jesidinnen und Jesiden, ist
leider noch nicht möglich. Immer nur die Rückkehrhoffnung vorzuhalten, ist zu wenig. Wir müssen damit rechnen, dass auf Jahre hinweg Teile der Jesidinnen und
Jesiden eben nicht in ihre Heimat zurückkehren können, und deshalb festen Aufenthalt und auch eine wirtschaftliche und eine Bildungsperspektive in anderen
Gebieten des Nordiraks brauchen. Wir brauchen neue Ansätze in der Zusammenarbeit mit den irakischen Behörden, um diesen Flüchtlingen ein menschenwürdiges Dasein
anzubieten.
({2})
Schließlich stehen sowohl die Regionalverwaltung im Norden des Iraks, in Kurdistan, wie auch die Zentralregierung in Bagdad vor einer großen
Herausforderung. Die letzten Jahre im Irak waren geprägt von dem Einsatz von Sicherheitskräften, der Wiederherstellung von Sicherheit, der Stärkung der
Sicherheitskräfte. Jetzt geht es darum, den nächsten Schritt zu gehen, nämlich die zivilen staatlichen Institutionen wieder aufzubauen und zu stärken. Der
Sicherheitsstaat muss zu einem zivilen Staat werden. Die Peschmerga im Nordirak müssen Verwalter werden: in den Ministerien, in der staatlichen Verwaltung.
Und – lassen Sie es uns offen benennen – im gesamten Irak ist Korruption ein Riesenproblem. Deshalb ist die Stärkung der zivilen Verwaltung, der
Unabhängigkeit der Justiz, die Stärkung der Transparenz bei öffentlichen Auftragsvergaben etwas, was wir ebenfalls im Rahmen des vernetzten Ansatzes unbedingt
unterstützen sollten.
({3})
Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es gibt noch einiges zu tun. Wir haben klare Vorstellungen davon, wo wir gemeinsam mit unseren Partnern im
Irak ansetzen sollten. Wir sind dort ein geschätzter Partner. Deshalb bitte ich um Zustimmung für dieses Mandat.
Herzlichen Dank.
({4})
Vielen Dank. – Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass die namentliche Abstimmung demnächst geschlossen wird. Wer also noch abstimmen will, möge das
bitte in den nächsten Minuten tun.
Ich gebe jetzt das Wort Jan Nolte für die AfD.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir lehnen das hier vorliegende Mandat aus verschiedenen Gründen ab.
Zum einen ist da die Rechtsgrundlage für den Einsatz in Syrien selbst zu nennen. Die Bundesregierung beruft sich ja hier zum einen auf das
Selbstverteidigungsrecht und zum anderen auf eine UN-Resolution von 2015. Beide Rechtsgrundlagen sind heute aber nicht mehr überzeugend, weil sie noch von einem
IS ausgehen, der über quasi-staatliche Strukturen verfügt. Und dieser IS, meine Damen und Herren, ist seit Jahren besiegt.
Auch die Bundesregierung scheint auf diese Rechtsgrundlagen lieber nicht vertrauen zu wollen; denn unsere eigenen Soldaten dürfen den syrischen
Luftraum seit diesem Jahr nicht mehr verletzen. Gleichwohl hat die Bundesregierung offensichtlich kein Problem damit, andere Staaten durch Luftbetankung dazu zu
befähigen, diese Luftraumverletzungen auch in Zukunft zu begehen.
Wir arbeiten bei diesem Einsatz mit der Türkei zusammen, die illegale Drohnenangriffe in Syrien fliegt und Teile des Landes seit 2016
völkerrechtswidrig besetzt hält.
Und wir arbeiten natürlich auch mit den USA zusammen, die die Kontrolle über die syrischen Ölfelder übernommen haben. Aber, meine Damen und Herren, um
das gleich klarzustellen: Natürlich handeln die USA hier nur aus selbstlosen Motiven. Was denn auch sonst? Sie haben nämlich erklärt, dass sie sich das syrische
Öl nur genommen haben, um es vor dem IS zu beschützen. Das ist doch nett von den USA. Da muss sich der syrische Staat offenbar freuen.
({0})
Meine Damen und Herren, erwarten Sie nicht, dass die Alternative für Deutschland bei diesem Unrecht gegen einen souveränen Staat auch noch mitmacht.
Wir stimmen hier heute mit Nein.
Der zweite wichtige Punkt ist die Stabilisierung des Irak. Da haben wir die gleichen Probleme wie bei so vielen anderen Einsätzen: kein klares
Konzept, keine echte Erfolgskontrolle, und eine Exit-Strategie gibt es sowieso nicht. Die Bundesregierung kann überhaupt nicht erklären, wie sich das deutsche
Engagement der letzten Jahre konkret auf die Sicherheitslage im Irak ausgewirkt hat. Es gab keine echte Evaluation. Man weiß nicht, was sich bewährt hat und was
sich nicht bewährt hat. Dementsprechend kann es auch keine tragfähige Strategie für die Zukunft geben.
Die Bundesregierung ist offenbar damit zufrieden, einfach so ihren Beitrag zu leisten und einfach so ein bisschen im Nebel herumzustochern. Uns reicht
das nicht. Hier braucht man eine tragfähige Strategie, und die sehen wir nicht. Das liegt auch daran, dass die Sicherheitslage im Irak so volatil ist. Wir
wissen doch überhaupt nicht, ob die Soldaten, die wir heute ausbilden, in einem Jahr nicht Teil einer Rebellen- oder Terrorgruppe sind, die den Irak weiter
destabilisiert. Dieses Mandat unter diesen Bedingungen fortzuführen, ist verantwortungslos.
({1})
Wenn das Narrativ bemüht wird, dass die Bundesregierung durch diesen Einsatz ja letztlich die Sicherheit von uns allen schützen würde, indem sie
Islamisten in Syrien und dem Irak zurückdrängt, dann habe ich einen Gegenvorschlag: Wir haben doch jetzt gerade, während ich hier stehe und diese Rede halte,
mehr als 600 vollziehbar ausreisepflichtige Gefährder hier in Deutschland. Das sind Menschen, denen man jederzeit zutrauen würde, einen Terroranschlag zu
begehen. Ich würde sagen: Wir sprechen das nächste Mal über Islamisten im Irak und in Syrien, wenn diese Gefährder endlich aus Deutschland abgeschoben sind.
({2})
Noch einmal die Frage: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich
jetzt die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt
gegeben.
Ich gebe jetzt das Wort dem Kollegen Ulrich Lechte für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass Sie, Herr Kollege Wadephul, an diesem Mandat kaum etwas zu kritisieren gefunden
haben, das spricht ja für die Arbeit der Ampel.
({0})
Die SPD kann in dieser Ampel endlich befreit aufspielen.
({1})
Frau Nanni hat frischen Wind in die Sicherheitspolitik der Grünen gebracht. Aber die Kontinuität der CDU in der Außenpolitik ist ein echtes Plus
({2})
für die Stärke des Parlaments, und dafür meinen herzlichen Dank.
({3})
Auch wenn unser Fokus derzeit zu Recht auf die abscheulichen Kriegsverbrechen der russischen Armee in der Ukraine gerichtet ist, dürfen wir auch die
schrecklichen Verbrechen der Terrororganisation „Islamischer Staat“ im Irak und in Syrien nicht vergessen.
({4})
Seit 2014 hatten die IS‑Terroristen ganze Landstriche erobert und dort die Bevölkerung tyrannisiert. Besonders die Gruppe der Jesiden wurde Opfer von
Folter, Vergewaltigung, Versklavung und definitiv Völkermord. Seitdem konnte der IS erfolgreich bekämpft werden, und er ist eben nicht mehr in der Lage, Gebiete
zu kontrollieren. Das ist ein gemeinsamer Erfolg der lokalen Sicherheitskräfte und des internationalen Engagements, an dem sich auch Deutschland beteiligt.
({5})
Es ist also auch ein Erfolg unserer Soldatinnen und Soldaten. Vielen herzlichen Dank dafür!
({6})
Aber, meine Damen und Herren, trotz dieser Erfolge müssen wir den IS weiterhin als Bedrohung ernst nehmen. Er kontrolliert zwar keine Gebiete mehr,
aber er existiert weiterhin im Untergrund und verübt Terroranschläge, vor allem gegen kritische Infrastruktur und Vertreter des irakischen Staates. Das wirkt
sich unmittelbar auf die Sicherheitslage und das Sicherheitsempfinden im Land aus. Insbesondere Angehörige von Minderheiten sind da betroffen. So schilderten
bei einer öffentlichen Anhörung des Menschenrechtsausschusses hier im Bundestag die Vertreter der jesidischen Gemeinschaft ihre Furcht, erneut Opfer zu werden.
Diesen Hilferuf dürfen wir nicht unerhört lassen, meine Damen und Herren.
({7})
Auch die irakische Regierung und die kurdische Regionalregierung bitten um die Fortsetzung der militärischen Unterstützung durch internationale
Partner und insbesondere auch durch Deutschland. Auch diese Bitte dürfen wir nicht unerhört lassen. Denn im Irak gibt es gute Anzeichen für eine positive
Entwicklung. Nach einem monatelangen Machtkampf ist Abdul Latif Rashid zum neuen Präsidenten des Irak gewählt worden, und eine neue Regierung wird gebildet. Es
hat sich auch eine aktive Zivilgesellschaft entwickelt, und die Meinungsfreiheit ist gerade im regionalen Vergleich sehr weitgehend. Diese Entwicklung muss vor
den Destabilisierungsversuchen der IS‑Terroristen geschützt werden.
Was auch für die Fortsetzung des Einsatzes spricht, ist das Ergebnis unseres Überprüfungsberichtes. Wir als FDP hatten ja gefordert, dass alle
Bundeswehreinsätze evaluiert werden, und dies haben wir als Ampel im Koalitionsvertrag auch so vereinbart. Das Ergebnis sehen Sie nun: Mit diesem Mandat liegt
dem Bundestag zum ersten Mal ein solcher Überprüfungsbericht vor.
({8})
Vielen Dank an das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium für diesen Bericht. Das ist ganz eindeutig eine Verbesserung unserer
Entscheidungsgrundlage.
({9})
Verbesserungsvorschläge zu den Evaluierungen können natürlich vorgenommen werden. Aber der Union sei auch zugerufen: Wenn so wenige Zahlen aus euren
Zeiten vorliegen,
({10})
ist es auch schwierig, vernünftig zu evaluieren. Auch das werden wir als Ampel erneut richten. Ihr werdet also, falls ihr jemals wieder in die
Verantwortung hier im Hause zurückkommt,
({11})
einen weitaus besser geführten Laden vorfinden, als wir das im vergangenen Dezember getan haben.
({12})
Meine Damen und Herren, unser Engagement im Irak beschränkt sich nicht auf den Einsatz der Bundeswehr – der ist wichtig, wäre aber allein nicht
ausreichend. Im Sinne des vernetzten Ansatzes wird er ergänzt durch umfangreiches politisches und ziviles Engagement.
({13})
Dazu gehört die Stärkung der Fähigkeiten und der Bürgernähe der Polizei, um die Legitimität dieser wichtigen Institution für alle Staaten dieser Welt
zu erhöhen,
({14})
die Ausbildung irakischer Spezialistinnen und Spezialisten zum Minenräumen – ich habe gerade gegendert, liebe grünen Freunde –,
({15})
die Unterstützung von Programmen für die Deradikalisierung und Reintegration von ehemaligen IS-Anhängern,
({16})
die Aufarbeitung von IS‑Verbrechen durch die Sammlung, Sicherung und Auswertung von Beweismitteln, die psychosoziale Unterstützung von Opfern von
Menschenrechtsverletzungen, Unterstützung für Basisgesundheitsversorgung sowie die Förderung von Wasser-, Hygiene- und Sanitärversorgung.
Mit diesem umfassenden Engagement hat Deutschland dazu beigetragen, dass ein Großteil der Menschen, die im Zuge des IS-Terrors vertrieben wurden,
inzwischen in ihre Heimatgemeinden zurückkehren konnten – ein großer Erfolg. Unsere Hilfe wird fortgesetzt, und das Zusammenwirken dieser vielen Maßnahmen im
vernetzten Ansatz trägt dazu bei, die Resilienz gegen den IS zu fördern und die eigene Sicherheitsverantwortung Iraks zu stärken.
Wir bitten Sie daher um Zustimmung zu diesem Mandat.
Vielen Dank.
({17})
Ich sage jetzt nichts dazu, ob es das Gegenteil von Ordnungsrufen wie Bienchen oder Punkte gibt, wenn man was besonders richtig macht, lieber
Kollege,
({0})
sondern ich gebe viel lieber das Wort der Kollegin Zaklin Nastic für die Fraktion Die Linke.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Etwa einen Monat ist es her, dass die 15‑jährige Zainab Essam Majed al-Khazali von einer US-amerikanischen
Kugel in den Kopf getroffen und getötet wurde.
({0})
Das passierte, während US-Soldaten in der Nähe eines Wohngebiets trainierten. Unser tiefes Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen. Die dafür
Verantwortlichen gehören aber zur Rechenschaft gezogen. Es darf im Irak keine Verschleierungen mehr geben!
({1})
Auf meine Nachfrage diesbezüglich ans Auswärtige Amt sagte man, es gebe keine eigenen Erkenntnisse dazu.
({2})
Wir erwarten von einer Ampelregierung, die nicht nur gendert, sondern sich auch wertebasiert und feministisch nennt, dass sie alles dafür tut, dass
der Tod der jungen Zainab aufgeklärt wird und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden,
({3})
aber auch der Tod der 500 000 unschuldigen irakischen Kinder, die Opfer von westlichen Sanktionen wurden,
({4})
über die die Chefzynikerin der US-Außenpolitik Albright einst sagte, sie seien den Preis wert – die Madeleine Albright, die Sie von den wertebasierten
Grünen vor zwei Jahren noch auf Ihrer Fraktionsklausur als Stargast gefeiert haben. Schämen Sie sich eigentlich für nichts?
({5})
Auch dieser Krieg der USA begann mit einer gigantischen Lüge; denn wir wissen alle, dass Massenvernichtungswaffen niemals von George Bushs siegreichen
Truppen im Irak gefunden wurden, dafür aber das gesamte gesellschaftliche System zerschlagen wurde
({6})
und ein nach dem Prinzip „Teile und herrsche!“ funktionierendes, auf konfessionellen Kriterien fußendes Korruptionssystem geschaffen wurde. Deswegen
dauert seit etwa einem Jahr auch die Regierungskrise an.
Aus diesen US-Verbrechen speiste
({7})
und speist sich der fürchterliche IS‑Terror. Ihr zuständiger Staatssekretär antwortet auf Nachfrage dazu, die NATO-Truppen würden – Zitat –
({8})
die seit 2014 im Kampf gegen den IS erreichten Erfolge und Fortschritte konsolidieren und absichern.
({9})
Wir alle wissen, dass der IS immer noch da ist, dass er mittlerweile wieder stärker ist und dass sich mindestens 10 000 IS‑Kämpfer derzeit in Irak und
Syrien aufhalten.
In Syrien wächst eine neue Generation von Terroristen heran. Allein im Lager al‑Hol, aus dem Sie sich übrigens seit Jahren weigern radikalisierte
deutsche Staatsbürger zurückzunehmen, wachsen täglich neue Terroristen heran.
Meine Damen und Herren, hören Sie endlich auf, sich als Lakai von gescheiterten US-Abenteurern aufzuspielen!
({10})
Hören Sie auf, dafür Steuergelder und vor allen Dingen das Leben von deutschen Soldaten zu riskieren!
({11})
Das Mandat widerspricht übrigens ausdrücklich dem Willen des irakischen Parlaments, das 2020 alle ausländischen Truppen aufgefordert hat, das Land zu
verlassen.
Die Linke lehnt das Mandat ab.
({12})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte die Kritik des Kollegen Wadephul aufgreifen, dass es der Bundesregierung an einer
Konzeption, an einer Strategie für den Irak fehlt. Er hat das kritisiert und beanstandet. Wir haben das übrigens schon in der Debatte zum letzten Antrag dazu
beanstandet und haben Sie aufgefordert, hier nachzuliefern.
Ich möchte festhalten, dass keine Rednerin und kein Redner aus den Koalitionsfraktionen auf diese inhaltliche Kritik,
({0})
dass es keine Irakkonzeption und Irakstrategie in der deutschen Außenpolitik gibt, auch nur mit einem Satz geantwortet hat.
({1})
Nichts ist dazu gekommen.
({2})
Das ist eine ziemlich dramatische Feststellung; denn die Stabilisierung des Irak ist ein wesentlicher Baustein für die Stabilisierung der gesamten
Region.
({3})
Ratlosigkeit können wir uns nicht leisten,
({4})
weil es in unserem Interesse ist, dass diese Region stabilisiert wird. Wir haben es ja erlebt, und darum können wir nicht so tun, als wüssten wir
nicht, was zu tun ist. Wir sehen es jetzt auf dramatische Weise im Iran: Auch dort ist die Politik dieser Bundesregierung und der Europäischen Union von
Ratlosigkeit gekennzeichnet.
({5})
Es ist in unserem Interesse, es ist europäische Verantwortung, in dieser Region für Stabilität zu sorgen. Die Amerikaner werden es nicht tun; sie
haben auch die Autorität dazu verloren. Wir Europäer tun es, oder wir werden mit den Folgen der Instabilität bei uns in Europa konfrontiert werden.
({6})
Unsere Kritik ist, dass Sie den Bundeswehreinsatz benutzen und missbrauchen als ein Alibi und als einen Ersatz für nicht vorhandene Politik und
politische Strategie. Das ist ein Missbrauch der Bundeswehr.
({7})
Unsere Kritik bezieht sich zum Zweiten auf den schlampigen Umgang, auch den verfassungsrechtlich problematischen Umgang mit der Parlamentsbeteiligung.
Das ist ja ein besonderer Fall, dass das Parlament außenpolitischem Verhalten zustimmt, ein besonderer Fall in unserer Verfassung. Bei Ihrem Umgang mit dem
Parlament wird die Bundesregierung den sich aus dieser besonderen Verantwortungsteilung zwischen Exekutive und Legislative ergebenden Fragen nicht gerecht.
Die Bundesregierung hat bislang nicht überzeugend begründet, warum dieser Einsatz überhaupt mandatspflichtig ist. Ich zitiere die
Bundesverteidigungsministerin aus der Einbringungsdebatte:
… ich sage es noch mal deutlich: Es geht um eine Beratung durch unsere Soldaten.
Mandatspflichtig aber wird ein Einsatz erst, wenn damit die qualifizierte Erwartung verbunden ist, dass es zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommt.
Der Nachweis ist nicht geführt worden. Sie müssen dem Parlament gegenüber begründen, dass es ein mandatspflichtiges Verhältnis gibt, oder eben feststellen, dass
das nicht der Fall ist.
({8})
Herr Kollege, möchten Sie die Zwischenfrage des Kollegen Lechte zulassen?
Ja.
Bitte sehr.
Herr Dr. Röttgen, ich bin ein wenig irritiert ob Ihrer Rede, da, ad eins, die Verhältnisse im Nahen Osten, zumindest bezüglich des Iran, den Sie
erwähnt haben, schon seit der Revolution im Iran sehr schwierig sind. Da war ich gerade zwei Jahre alt. Das heißt, Sie haben seit der Revolution 1979, als wir
Chomeini heruntergeflogen haben, vermutlich mehr Verantwortung in der bundesrepublikanischen Politik getragen als ich. Sie waren in der vergangenen Periode der
Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses und erzählen heute, dass dieses Mandat eigentlich nicht mandatierungswürdig wäre.
Also, ich komme gerade nicht mehr mit
({0})
ob dieser Tatsache, dass Sie uns als Bundesregierung heute Dinge vorwerfen, die ihre Wurzeln offensichtlich schon in den letzten Perioden hatten, als
Sie in den verantwortungsvollen Positionen waren. Der Auswärtige Ausschuss ist derjenige, der sich um Mandate kümmert. Ich habe solche Kritik von Ihnen als
Vorsitzendem des Auswärtigen Ausschusses nie zur Kenntnis genommen. Könnten Sie dazu kurz Stellung nehmen?
({1})
Ich nehme dazu gerne Stellung. Erstens finde ich es völlig legitim und richtig, dass man fragt: Was ist an Fehlern passiert, auch in der
Vergangenheit? Es gibt übrigens eine Vergangenheit von zehn Jahren, von zwanzig Jahren.
({0})
Es haben auch unterschiedliche Parteien in diesem Zeitraum regiert; manche regieren immer noch. Das ist völlig legitim.
Es wird aber eine Plattitüde in der Reaktion der Koalition auf Kritik,
({1})
dass Sie, wenn Sie jetzt etwas falsch machen und sich Fehler leisten, dann sagen: Aber ihr habt ja auch in der Vergangenheit regiert. – Sie müssen zu
den Fehlern und den Entscheidungen von heute selbstständig stehen und dürfen nicht immer nur mit einem Reflex auf die Vergangenheit antworten.
({2})
– Ich bin noch nicht fertig, ich komme noch zur Sache. Ich wollte das nur zu dieser Reflexhaftigkeit,
({3})
wie Sie auf Kritik an Ihrer heutigen Politik antworten, anmerken.
Der Punkt, Herr Kollege Lechte, ist: Dieses Mandat hat sich grundlegend gewandelt. Genau das ist der Punkt. Dieses Mandat ist, als die Grünen es noch
abgelehnt haben,
({4})
als Anti-IS-Mandat gestartet zur militärischen Bekämpfung des „Islamischen Staates“, der territoriale Macht im Irak, auch in Syrien errungen hatte. So
ist dieses Mandat gestartet. Und die Veränderung liegt darin, dass Ende des letzten Jahres, also zu der Zeit, als die Ampel schon regierte, auch die sogenannte
Koalition der Willigen den militärischen Kampf gegen den „Islamischen Staat“ eingestellt hat.
({5})
Darum sagt die Bundesverteidigungsministerin richtigerweise: Unsere Soldaten machen dort Beratung.
Das ist heute nicht mehr der Kampfeinsatz, der es war. Der ist erfolgreich abgeschlossen worden. Aber Sie segeln immer noch unter der Flagge des
Anti-IS-Mandates. Genau das ist unsere Kritik. Es ist inhaltlich etwas ganz anderes geworden. Aber Sie stehen nicht dazu, Sie sagen das nicht, sondern Sie
benutzen es als ein Alibi für nicht vorhandene Irakpolitik. Das ist genau die Kritik.
({6})
Das ist die Veränderung, die sich in Ihrer Regierungszeit vollzogen hat.
({7})
Das ist meine Antwort auf Ihre Frage.
Herr Kollege, Ihre reguläre Redezeit beträgt jetzt noch einige Sekunden.
Einige Sekunden. – Sie nehmen zweitens – das ist wirklich zu beanstanden – in inhaltlich unzutreffender Weise die Autorität des
Bundesverfassungsgerichts für eine grundsätzliche Streitfrage in Anspruch.
({0})
Sie behaupten, das Bundesverfassungsgericht habe bestätigt, es handele sich hier um ein System kollektiver Sicherheit, was die verfassungsrechtliche
Voraussetzung für die Legalität dieses Einsatzes wäre. Das ist nicht der Fall. Das Bundesverfassungsgericht hat das nicht in der Sache entschieden. Und dass Sie
die Autorität des Verfassungsgerichts missbrauchen –
Herr Kollege, einige Sekunden!
({0})
– und gegenüber dem Parlament manipulativ etwas Falsches behaupten, ist ein inakzeptabler, schlampiger, vielleicht aber auch manipulativer Umgang
mit der Wahrheit gegenüber diesem Parlament. Das beanstanden wir.
({0})
Herr Kollege!
Unzulänglichkeit im Handwerk drückt sich in Unzulänglichkeit von Politik aus.
({0})
Ich kann ja das Bedürfnis verstehen, dass bei einer besonders kurzen Redezeit ein besonders großer Wunsch besteht, sie zu verlängern. Aber es steht
dann natürlich erst recht in keinem Verhältnis. Deswegen konnte ich auch die Zwischenfrage nicht zulassen, lieber Herr Kollege; denn der Wunsch dazu kam schon
jenseits der Redezeit, die hier angemeldet worden ist.
Der Kollege Dr. Kristian Klinck hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Dichter Muti Ibn Iyas schrieb einst über seine Heimatstadt Bagdad – ich
zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:
Es war Morgen in Bagdad, wir zechten, … unsere Gläser waren wie wirbelnde Sterne. … über unseren Köpfen Kronen aus goldenem Jasmin.
Ibn Iyas schrieb dies zur Blütezeit Bagdads, etwa zur Zeit Karl des Großen, als die westliche, abendländische Geschichte begann. Zu diesem Zeitpunkt
war es schon etwa 1 000 Jahre her, dass Alexander in Babylon eingezogen war, und es war 4 000 Jahre her, dass die Sumerinnen und Sumerer im Zweistromland damit
begannen, das fruchtbare Land zu bewirtschaften.
Meine Damen und Herren, der heutige Irak ist eines der ältesten Siedlungsgebiete der Menschheit. Er könnte aufgrund seiner natürlichen Ressourcen und
der Begabung seiner Menschen ein wohlhabendes Land sein, doch die Situation ist dort oftmals schwierig. Ethnische und religiöse Bruchlinien bestehen fort. Lange
Zeit wurde um die Regierungsbildung gerungen.
Und doch gibt es Fortschritte, und es gibt Hoffnung. Die höchsten Staatsämter wurden neu besetzt. Es bilden sich Ansätze eines demokratischen
Parteiensystems auf echter politischer Grundlage über ethnisch-religiöse Grenzen hinweg. Den irakischen Sicherheitskräften gelingt es immer besser, im Land für
Sicherheit zu sorgen. Das zeigt der Überprüfungsbericht, den die Ampelkoalition auf den Weg gebracht hat. Wir Ampelparteien halten es für wichtig, dass Mandate
geprüft werden. Das ist ein echter Fortschritt im Regierungshandeln. Wenn das schon früher Standard gewesen wäre, hätten wir uns eine Menge Ärger erspart.
({0})
Meine Damen und Herren, die Ziele des Irakeinsatzes sind realistisch: einen Beitrag zur Stabilisierung der Region zu leisten, insbesondere durch den
Fähigkeitsaufbau der Streit- und Sicherheitskräfte. Damit die neue Regierung handeln kann, damit die Wirtschaft sich erholen kann, damit Kinder zur Schule gehen
können, benötigt der Irak vor allem eines: Er braucht Sicherheit. Dass Sicherheit die Grundlage von allem ist, zeigen die kurdischen Autonomiegebiete, in denen
sich im Schutz der Sicherheitskräfte ein lebendiges, wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben entwickelt hat. Unser gemeinsames Ziel lautet, ein
vergleichbares Sicherheitsversprechen auf den gesamten Irak zu übertragen. Wenn gute Regierungsführung, Volksbildung und weitere Demokratisierung folgen, wird
der Irak einen sehr positiven Weg gehen.
({1})
Ein solches freiheitliches und zivilisiertes Gesellschaftsmodell wäre für die gesamte Region attraktiv. Doch ein solches Modell hat auch Feinde. Der
sogenannte „Islamische Staat“ ist im Irak nach wie vor aktiv, und wir müssen ihm weiterhin entschieden entgegentreten. Und: Das rückständige und brutale
Mullah-Regime im Iran verfolgt das Ziel, den Irak zu destabilisieren. Geld, Propaganda, Drohnenangriffe, Raketenbeschuss: Der Iran setzt alle Mittel ein. Das
iranische Regime hat mit dem brutalen Mord an Mahsa Amini und vielen anderen Menschen auf schändlichste Weise gezeigt, dass es längst jede Legitimität verloren
hat. Mit unserer Entscheidung für das Mandat zeigen wir: Wir lassen den Mullahs Übergriffe auf den Irak nicht durchgehen. Wir stehen an der Seite des Irak.
({2})
In diesem Zusammenhang war mein Vorredner von der AfD wohl nicht völlig transparent. Sehr geehrter Herr Nolte, völkerrechtliche Vorbehalte gegen das
Mandat sind unsubstanziell. Mir drängt sich vielmehr die Frage auf, ob die Gründe für die Ablehnung Ihrer Fraktion nicht darin liegen, dass der Iran ein enger
Verbündeter für den Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine ist
({3})
und dass die politische Nähe Ihrer Fraktion zu Putin in dieser Frage mittlerweile handlungsleitend geworden ist. Die AfD gibt ein verheerendes Bild
ab, nicht nur in der Außen- und Sicherheitspolitik.
({4})
Meine Damen und Herren, niemandem von uns fällt es leicht, unsere Soldatinnen und Soldaten in einen Auslandseinsatz zu schicken und sie für Monate von
ihren Familien zu trennen. Ich weiß, dass Sie alle diese Verantwortung sehr ernst nehmen. Deswegen bekräftige ich: Der Auftrag der Bundeswehr im Irak ist
sinnvoll, er ist legitim, und die Bundeswehr erfüllt ihn gut. Der Dienst unserer Soldatinnen und Soldaten verdient die allergrößte Anerkennung.
({5})
Meine Damen und Herren, ein letzter Gedanke. Wenn wir heute auf den Irak schauen, stellen sich Fragen, die so alt sind wie die ersten Hochkulturen:
Wie können wir Sicherheit für alle schaffen? Wie kann es gelingen, die Ressourcen der Natur so gut und nachhaltig zu nutzen, dass alle Menschen ein gutes Leben
führen können? Das sind Grundfragen der Menschheitsgeschichte, ja, des Menschseins an sich, und vor diesen Grundfragen sind wir alle gleich. Wenn wir auf den
Irak schauen, schauen wir auch auf uns selbst. Deswegen sagen wir den Irakerinnen und Irakern: Wir stehen an eurer Seite. Ihr könnt euch selbst helfen, ihr
könnt euch eine gute Zukunft aufbauen, und bei eurer Selbsthilfe unterstützen wir euch. Deutschland steht an der Seite des Irak – im Sinne der Freiheit, im
Sinne der Zivilisation und im Sinne der Menschlichkeit. Deswegen stimmen wir dem Mandat zu.
({6})
Thomas Röwekamp hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten Wochen und Monaten haben wir uns in der Verteidigungs- und
Sicherheitspolitik ganz maßgeblich mit dem verbrecherischen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und den Folgen beschäftigt. Wir haben gemeinsam in der Mitte
dieses Parlaments wichtige Entscheidungen dazu getroffen: zur Finanzierung und besseren Ausstattung unserer Bundeswehr. Wir als CDU/CSU-Fraktion sind gemeinsam
mit der Regierung dabei, die Bündnis- und Verteidigungspolitik in der NATO neu auszurichten. Es werden Maßnahmen ergriffen, um unsere Truppenstärke an der
Ostflanke der NATO zu verstärken. Das alles ist richtig und selbstverständlich mit Unterstützung unserer Fraktion erfolgt. Ich sage das an dieser Stelle ganz
bewusst; denn all diese Maßnahmen machen wir in der Mitte des Parlaments, ohne die Ränder des Parlaments. Weder die Linken noch die AfD haben diesen notwendigen
Maßnahmen für die Bewahrung unserer Sicherheit und für die Verteidigung unserer Freiheit zugestimmt. Sie haben sich vor der Verantwortung gedrückt, und das tun
sie auch bei dieser internationalen Verantwortung.
Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass neben der notwendigen Verteidigung unseres Landes an den Außengrenzen der NATO unser Frieden und unsere
Freiheit auch in anderen Regionen dieser Welt bedroht sind, unverändert auch durch den „Islamischen Staat“. Ja, es mag sein, dass die kriegerischen
Auseinandersetzungen, die verfestigten Strukturen des „Islamischen Staats“ überwunden sind, aber nach UN‑Berichten halten sich noch immer 10 000 IS‑Kämpfer im
Irak und in Syrien auf. Und das tun sie nicht nur, um vor Ort für Unruhe zu sorgen. Es ist deswegen im nationalen Sicherheitsinteresse, dass wir auch an der
Südflanke der NATO unsere Verteidigungsfähigkeit sicherstellen. Es ist notwendig und unverzichtbar, dass wir uns weiter an internationalen Missionen und
insbesondere an diesem Einsatz im Irak beteiligen.
({0})
Wir als CDU/CSU-Fraktion stimmen deswegen der Fortsetzung dieses Mandates trotz der in den Vorreden geäußerten rechtlichen und inhaltlichen Bedenken
zu, weil wir sie in der Sache für richtig halten.
({1})
Lassen Sie mich an dieser Stelle an die Adresse der SPD sagen, die sich nun rühmt, dieser Einsatz sei das erste Mal evaluiert worden: Meine sehr
verehrten Damen und Herren, ich gehe davon aus – und nehme das für unsere Fraktion in Anspruch –, dass wir keiner einzigen Mandatsverlängerung in diesem Hause
zugestimmt haben, von der wir nicht überzeugt waren, wenn die Evaluation die Fortsetzung dieses Einsatzes nicht für zwingend erforderlich gehalten hat. Das
haben wir immer so gehalten, auch bevor diese Regierung die Verantwortung übernommen hat.
({2})
Lassen Sie mich ein letztes Wort an die Flügel dieses Parlamentes richten, die sehr bemüht waren, eine inhaltliche Begründung für die Ablehnung der
Fortsetzung dieses Mandats zu finden. Die Wahrheit ist doch, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Linken: In Ihrer Programmatik sind Sie grundsätzlich
gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr,
({3})
und deswegen sind Sie gegen diesen Einsatz. Und all Ihre Bemühungen, irgendwelche Begründungen dafür zu finden, sind fadenscheinig und nicht
glaubwürdig.
({4})
Wenn Sie dagegen sind, dann sagen Sie es einfach. Sie wollen die NATO abschaffen. Sie wollen die Bundeswehreinsätze in den internationalen Missionen
begrenzen.
Das gilt übrigens auch für die AfD. Auch Sie wollen grundsätzlich keine Auslandseinsätze der Bundeswehr. Dann sagen Sie es doch hier einfach, anstatt
irgendwelche verschwurbelten Erklärungen zu finden.
Wir stimmen zu, meine Damen und Herren.
({5})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Souveränität Europas wird auch im Weltraum entschieden. Im Moment verlieren wir dort jeden
Tag an Einfluss und an Souveränität. Alleine Elon Musk hat 2022 1 500 Satelliten ins All geschossen, aus Europa kamen ungefähr 10. Aber das ist nicht nur eine
wirtschaftliche Frage oder eine Frage von wirtschaftlicher Abhängigkeit, sondern es ist auch eine Frage von Geopolitik geworden. Ohne die Unterstützung von Elon
Musk und seiner Starlink-Satelliten hätte es die Ukraine sehr viel schwerer im Krieg gegen Russland. Die Frage, wie lange diese Unterstützung andauert,
entscheidet im Ergebnis nur er. Deswegen ist es wichtig, dass Europa in diesem Bereich endlich die Initiative ergreift und aktiver wird. Deswegen begrüßen wir,
meine Fraktion, diese europäische Satelliteninitiative ausdrücklich.
Es geht jetzt nicht darum, Elon Musk und Jeff Bezos im Massenmarkt zu überholen – das wird nicht funktionieren –, und es wird auch nicht
funktionieren, dass wir politisch ein neues Google bauen; dafür sind sie zu weit weg. Aber was gelingen muss, ist, dass wir ein hochsicheres System entwickeln,
mit dem wir besonders kritische Kommunikation absichern können. Was auch gelingen muss, ist, dass wir eigene Startkapazitäten in Europa voranbringen, mit denen
es auch mal möglich ist, kurzfristig einen kompromittierten Satelliten aus dem All zu ersetzen. Wir reden heute über Angriffe auf Tiefseekabel, über Angriffe
auf Pipelines. Wir werden morgen über Angriffe auf Satelliten sprechen, und ich will diese Debatte darüber, wie wir unsere Infrastruktur im All schützen wollen,
nicht erst morgen führen, wenn es zu spät ist, sondern jetzt.
Meine Damen und Herren, es gibt einen ganz zentralen Punkt, bei dem wir uns von den USA viel abschauen können. Die großen Innovationen kommen dort
nicht vom Staat und auch nicht immer nur von den großen Platzhirschen. Vielmehr sind es oft die kleinen und mittleren Unternehmen, die den großen Fortschritt
bringen.
({0})
Und wir haben in Deutschland das große Glück, dass wir eine breite Palette von Start-ups und kleineren Unternehmen im New-Space-Bereich haben, die
allesamt vor dem Sprung ins All stehen. Von denen wird vielleicht nur einer von zehn durchkommen. Aber die, die durchkommen, werden in zehn oder zwanzig Jahren
den Unterschied für Deutschland und Europa machen. Ob sie durchkommen, entscheidet sich erstens danach, ob ihnen diese Initiative faire Wettbewerbsbedingungen
schafft. Es muss klar sein: Es dürfen nicht nur die größten Anbieter gefördert werden, sondern es müssen vor allem die besten Ideen gefördert werden.
({1})
Meine Damen und Herren, gerade für die deutschen Unternehmen entscheidet es sich zweitens auch danach, ob sich Deutschland ambitioniert an dieser
Initiative beteiligt. Die Entscheidung darüber wird in den nächsten Wochen auf der ESA-Ministerratskonferenz fallen. Wir haben das Thema heute auf die
Tagesordnung gesetzt, weil wir die Aufmerksamkeit darauf lenken wollen, dass dort eine wichtige Weichenstellung ansteht. Wenn sich Deutschland hierbei hinten
anstellt, kommt es später nicht mehr nach vorne.
Die Bundesregierung handelt an dieser Stelle für uns bei Weitem zu unambitioniert. Wir wünschen uns, dass Deutschland gerade im Bereich der
Satelliteninitiative eine Führungsrolle einnimmt, investiert und damit auch die Chance hat, die Leitlinien mitzubestimmen. Die anderen Länder Europas warten
nicht auf uns, und unser Anspruch sollte doch zumindest sein, dass wir auf Augenhöhe mit Frankreich agieren. Aber diese Ambitionen sehe ich in der
Bundesregierung nicht, und ich sehe sie schon gar nicht im Bundeshaushalt.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer im Weltraum erfolgreich sein will, der braucht Mut, der braucht Energie, der braucht Begeisterung, und der braucht
eine Vision. Ich habe jetzt schon oft New-Space-Unternehmen besucht, und ich erlebe es immer wieder, dass die Mitarbeiter förmlich dafür brennen, dass
irgendwann einmal ein Produkt von ihnen ins All geschossen wird, um die Erde kreist und von dort aus das Leben auf unserem Planeten besser und sicherer macht.
Dieses Bild vermisse ich in der Bundesregierung. Man kann sagen, da brennt die ganze Hütte. Aber es brennt kein Minister für die Raumfahrt. Da geht noch
mehr.
({3})
In diesem Sinne: Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Ich wünsche mir eine ambitionierte deutsche Bundesregierung bei der nächsten
ESA-Ministerratskonferenz.
({4})
Johannes Schätzl hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Umweltkatastrophen, der schreckliche Krieg in Europa und selbst die Angriffe auf unsere
Bahninfrastruktur haben uns noch mal gezeigt, wie wichtig es ist, unsere Infrastruktur gegen Katastrophen, aber auch gegen Angriffe von außen und innen zu
schützen.
Unsere kritische Infrastruktur braucht eine digitale Infrastruktur als Kommunikationsgrundlage. Genau aus diesem Grund ist die digitale Infrastruktur
auch in vielen Fällen selbst kritische Infrastruktur. Zu ihrem Schutz gehören digitale und technische Souveränität, sichergestellt durch nationale
Handlungsfähigkeit und resiliente Systeme.
Mit Blick auf die Manipulationen bei der Deutschen Bahn müssen wir aber feststellen: Für Resilienz braucht es eben mehr als Redundanz. Brauchen wir
Redundanz? Ja. Brauchen wir einen ganzen Katalog an Maßnahmen für resiliente Netze? Ja. Brauchen wir dazu Satellitenkommunikation als Backup- oder
Ausweichstrategie? Ja. Sind diese Erkenntnisse vollkommen neu? – Nein.
Auf nationaler Ebene legt die Bundesregierung mit der Gigabit-Strategie fest – ich zitiere –: Das Streben nach Resilienz im Netz ist eine
Daueraufgabe. – Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir definieren dieses Streben nach Resilienz als Daueraufgabe, und ja, das ist richtig.
({0})
Zu dem Teil Ihres Antrages zum Bereich der Satellitenkommunikation legte die Europäische Kommission am 15. Februar dieses Jahres einen Vorschlag vor,
um die Widerstandsfähigkeit unserer Telekommunikationsnetze zu verbessern. Es ist wichtig, Herr Brandl – da gebe ich Ihnen vollkommen recht –, dass wir bei
diesem Thema Tempo machen. Europa hat bisher kein eigenes Netz. Das muss sich jetzt ändern. Dazu brauchen wir auch den deutschen Mittelstand, dazu brauchen wir
Start-ups.
({1})
Das fordern Sie auch sehr konkret in Ihrem Antrag. Ich finde das wichtig und richtig.
Man muss aber auch sagen, dass die Bundesregierung gemeinsam mit Italien dazu bereits eine Forderung gestellt hat. Ein Kompromiss zeichnet sich ab.
Ich würde das Thema als durch Regierungshandeln erledigt betrachten.
({2})
Sie fordern eine strategische Positionierung der EU zu diesem Vorhaben. An dieser Stelle gibt es ein Briefing des EU‑Parlaments zu genau diesem Thema
„Weltraumgestütztes Konnektivitätssystem“. Auch hier: erledigt durch Regierungshandeln.
Sie wollen, dass die Fragen der Cybersicherheit beim Aufbau des Netzes mitgedacht werden. Hierzu gibt es ein von der EU beschlossenes Papier zur
EU‑Cybersicherheitsstrategie. Auch hier: erledigt durch Regierungshandeln.
Und Sie fordern, dass Deutschland eine führende Rolle bei diesem Projekt einnehmen soll. Ich glaube, Herr Dr. Brandl, dazu brauchen wir aber keinen
Beschluss;
({3})
das ist eine Selbstverständlichkeit. Aus diesem Grunde: erledigt durch Regierungshandeln.
({4})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Resilienz in der Kommunikation ist ein wichtiges Thema. Wir werden dieses Thema gemeinsam auch mit Ihnen, liebe
Opposition, weiter begleiten. Ich finde Ihren Antrag als Diskussionsgrundlage gut; die meisten Punkte sind aus meiner Sicht allerdings durch Regierungshandeln
erledigt.
Vielen Dank.
({5})
Eugen Schmidt spricht für die AfD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Die Union beantragt, die digitale Souveränität durch den Aufbau eines europäischen Satelliteninternets zu stärken.
Ein wiedererstarktes Deutschland und ein gesundes Europa sind natürlich in unserem Sinne. Aber die Europäische Union, so wie sie jetzt ist, können wir nur
ablehnen. Sie ist ein Bürokratiemonster, unterminiert die Demokratie und die Nationalstaaten.
({0})
Natürlich brauchen wir eine schnelle Antwort auf die dominierende Satellitenvorherrschaft der USA. Das ist klar. Deutschland konnte als rohstoffarmes
Land nur durch technischen Vorsprung stark werden. In den letzten Jahrzehnten büßen wir davon leider immer mehr ein. Insofern ist der Unionsantrag nicht völlig
falsch.
Dennoch bleibt er ein faules Ei. Sie von der Union sind seit 2009 in der Regierung. Warum ist seitdem nichts geschehen? Der Starlink-Gründer Elon Mask
schaffte es, seine Technologie innerhalb weniger Jahre zu gefährlicher Überlegenheit zu entwickeln. Was haben Sie in der Zeit gemacht?
({1})
Sie haben Deutschland abgewirtschaftet, unsere Energieinfrastruktur schwer geschädigt und den Grundstein dafür gelegt, dass diese Ampelversager es
überhaupt schaffen konnten, unser Land innerhalb nicht einmal eines Jahres an den Rand des Ruins zu treiben.
({2})
Die Union möchte, dass Deutschland eine führende Rolle in diesem Projekt einnimmt. – Gut! Aber wie wollen Sie ohne Strom, Gas und Industrie dieses
Projekt umsetzen? Wie wollen Sie das den Millionen Deutschen erklären, die diesen Winter in ihren Wohnungen frieren müssen und deren letzte Reserven von der
irren Inflation einfach aufgefressen werden?
({3})
Woher wollen Sie die Fachkräfte nehmen, während immer mehr deutsche Spezialisten abwandern? In unserem Land funktioniert seit Kurzem nicht einmal mehr
die Postzustellung. Was wollen Sie mit den Millionen ungebildeten Sozialmigranten erreichen, die Sie hier seit Jahren herankarren? Das sind keine
Wissenschaftler, Informatiker oder Ingenieure.
({4})
Hier findet eine ungebremste Migration von überwiegend Ungebildeten und Analphabeten statt.
({5})
Das verdanken wir Ihrer zerstörerischen Ideologie, die dieses Land an den Abgrund führt.
({6})
Unabhängig davon: Wem würde dieses Satellitensystem wirklich nützen? Und vor allem: Wer würde es ausnutzen?
({7})
Was bedeutet es, wenn Frau von der Leyen, eine Person mit einer Neigung zu Korruption, eine Frau, die lügt, Geld verbrennt oder an Pfizer verschenkt,
ein europäisches Satellitennetz kontrolliert?
({8})
Wer bestimmt dann über die Zensur? Entscheidet Frau von der Leyen dann über Inhalte, die sich die Bürger anschauen dürfen?
({9})
Und was wird Frau von der Leyen machen, wenn ein Land mal nicht nach der autokratischen Pfeife der EU tanzt,
({10})
beispielsweise ein Land wie Ungarn, Polen oder seit Kurzem Italien? Nach Gutsherrenart die Satelliten ausknipsen?
Dieser EU können wir nicht vertrauen. Ja zu einem europäischen Satellitennetz unter der Führung unabhängiger Nationalstaaten und einer Regierung in
Deutschland, die nicht an dessen Abschaffung arbeitet. Darum AfD! Den Antrag lehnen wir ab.
Danke.
({11})
Ich weise darauf hin, dass die Zeit der namentlichen Abstimmung gleich vorbei ist. Wenn Sie Ihre Stimme noch abgeben möchten – auch die Kolleginnen
und Kollegen draußen –, dann sollte das bald geschehen.
Ich gebe jetzt das Wort der Kollegin Dr. Anna Christmann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unter Raumfahrt stellen sich ja viele als Erstes die Raketen und Raumschiffe vor, die
man so kennt. In der Tat ist es aber viel wichtiger, was auf diesen Raketen transportiert wird, nämlich Satelliten, die ganz wichtige Dienste für unsere Erde,
für unseren Planeten leisten. Das betrifft die Erdbeobachtung, die zum Beispiel zur Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion eingesetzt wird, die
Navigation, damit wir uns überall orientieren können, oder die Ermöglichung sicherer Kommunikation. In der Ukraine sehen wir gerade, was diese für eine
entscheidende Bedeutung haben kann. Für die Menschen dort ist es ein wahnsinniger Mehrwert, dass sie in dieser fürchterlichen Kriegssituation über Satelliten
kommunizieren können. Das unterstreicht: Es ist sehr wichtig, dass sich Europa auf den Weg macht zu einer souveränen Kommunikation durch ein
Satellitennetzwerk.
({0})
Weil wir das als Bundesregierung natürlich unterstützen, haben wir auch eigene Projekte, um Satellitenproduktion und unsere Industriekompetenzen in
diesem Bereich zu stärken. Ich will die Kleinsatelliteninitiative erwähnen, für die wir in diesem Jahr schon 10 Millionen Euro ausgeben, übrigens vor allem für
Studierendengruppen, für den Nachwuchs, der in diesem Bereich später die Start-ups gründet, die dann für einen wichtigen Technologiestandort sorgen. Das sieht
man bei den Microlaunchern, die alle aus Studierendengruppen entstanden sind. Hier setzen wir mit der Kleinsatelliteninitiative, die es schon gibt, einen
starken Fokus.
({1})
Zur Konnektivitätsinitiative. Es ist richtig, dass wir heute darüber diskutieren und dass wir eine führende Rolle einnehmen. Ich frage mich nur, warum
wir das nicht schon am Anfang dieses Jahres getan haben. Als ich ins Amt kam, habe ich immer gehört: Ja, da gibt es dieses Projekt, das ist etwas
Industriepolitisches, und wir müssen ganz vorsichtig sein, dass das nicht in die falsche Richtung geht. – Da habe ich gefragt: Ja, aber was sind denn unsere
Positionen? Wie können wir das positiv entwickeln und vorantreiben? Ich möchte nicht gerne hören, warum wir das alles nicht so gut finden. Was sind unsere
Punkte, die wir einbringen?
Das haben wir sehr konkret getan in diesem Sommer. Wir haben uns gemeinsam mit Italien und anderen dafür eingesetzt, dass die Regulierung für die
Konnektivitätsinitiative Start-up-freundlich wird, dass es mehrere Aufträge geben wird und nicht einen Großauftrag, dass es mehrere Phasen geben wird und – wir
bleiben weiter dran – dass es natürlich auch ein Budget geben muss für Ankerkundenaufträge. Das darf nicht alles ausschließlich öffentliche Infrastruktur sein.
Kooperationen zwischen staatlichen und kommerziellen Akteuren sind wichtig. Dann kann es ein nachhaltig erfolgreiches Projekt für die Souveränität Europas und
für Sicherheit und Unabhängigkeit in Europa werden.
({2})
Deswegen wäre mein Appell an die Antragsteller: Wir freuen uns, wenn Sie mit dabei sind. Wir haben jetzt auf europäischer Ebene auch die Verhandlungen
über den Trilog. Ich glaube, es ist sehr hilfreich, wenn sich auch die EVP-Fraktion entsprechend einbringt und diese Punkte noch stärker unterstützt. In der
Vergangenheit gab es, glaube ich, auf europäischer Ebene zu häufig eine „German Vote“, eine Enthaltung dieser Bundesregierung. Das wollen wir anders machen. Wir
bringen uns sehr aktiv in diese Initiative ein. Wir arbeiten gerade daran, dass die Regulierung ein Start-up-, ein New-Space-freundlicher Entwurf wird, und wir
werden uns natürlich auch sehr aktiv bei der anstehenden ESA-Ministerratskonferenz engagieren. Denn es ist wichtig, dass wir aus Deutschland heraus Treiber für
einen souveränen Raumfahrtstandort Europa sind.
Vielen Dank.
({3})
Danke sehr. – Ist denn noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme bei der namentlichen Abstimmung nicht abgeben konnte? – Aber jetzt
fix. – Okay, wir wollen aber jetzt keine Unfälle provozieren. Daher gebe ich zunächst noch das Wort der Kollegin Anke Domscheit-Berg für Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Sommer veranstaltete die Europäische Union einen Wettbewerb, in dem europäische und
afrikanische Studierende aufgefordert wurden, sich einen Namen für das dritte europäische Satellitenprogramm auszudenken, das ja tatsächlich noch recht spröde
European Secure Connectivity Initiative heißt. Neben Galileo, dem Satellitenprogramm, dem wir GPS für unsere Navis verdanken, und Copernicus, dem sogenannten
„Auge Europas“, das Bilddaten liefert, sollen in diesem Projekt unzählige neue Satelliten für ein schnelles Kommunikationsnetz sorgen, das durch
Quantenverschlüsselung auch hochsichere Datenübertragung erlaubt. Damit sollen unter anderem kritische Infrastrukturen vernetzt und die Widerstandsfähigkeit
erhöht werden. Kommerzielle Anbieter sollen Internet per Satellit in jedes Dorf bringen und – laut dem erwähnten Namenswettbewerb – auch nach ganz Afrika.
6 Milliarden Euro sollen sich die EU, die Mitgliedsländer und die Industrie dafür teilen, in einer Public-private-Partnership organisiert.
Aber da gibt es viele offene Fragen: Wessen Interessen werden denn eigentlich von wem und wie stark vertreten, und wer hat das Sagen in dieser PPP?
Wem gehört eigentlich die Infrastruktur, und wer reguliert wie was, Zugang und Preise? Ein unbezahlbares Satelliteninternet nützt ja weder dem Dorf in Portugal
noch dem in Afrika.
({0})
Das alles fragt die CDU in ihrem Antrag allerdings nicht, da sie die Interessen der Wirtschaft vertritt. Sie verlangt vor allem die Beteiligung
deutscher Unternehmen und die von Start-ups und KMU in sämtlichen Bereichen. Aber offenbar ist die CDU nicht up to date; denn die EU hat bereits kommuniziert,
dass ein Drittel des Projektvolumens an KMU und Start-ups vergeben werden sollen.
({1})
Das ist schon ein gigantisches Förderprogramm für kleine und junge Unternehmen im Bereich New Space.
Die Linke fordert stattdessen eine Orientierung an Interessen der Bürger/-innen.
({2})
Denn der EU-Rats-Proposal nennt nämlich nur Europa und – ich zitiere – „geografische Gebiete von strategischem Interesse“. Das, meine Damen und
Herren, klingt null nach Internet für ganz Afrika. Das klingt nach Abschottung der Festung Europa mithilfe neuer Satelliten, nach Grenzschutz und Frontex, die
auch explizit genannt werden. Zwei Drittel aller von Frontex schon jetzt mit Drohnen entdeckten Flüchtlingsboote im Mittelmeer wurden übrigens libyschen
Behörden gemeldet, die für ihre Folterlager bekannt sind.
({3})
Soll diese widerwärtige Praxis nun mit Satelliten effizienter werden? Die Bundesregierung muss im Trilog klarstellen, was die konkreten Ziele sind und
wer welchen Nutzen davon haben wird.
({4})
Die Rede war in Europa übrigens auch von der Sicherung europäischer „Assets im All“; denn die Frequenzen der Datenübertragungen seien ja endlich. Das
stimmt. Es erinnert an die Verteilung der ebenfalls endlichen IP‑Adressen, ohne die keine einzige Webseite im Internet auffindbar ist. Westliche Staaten und
große Konzerne teilten sich seinerzeit den globalen IP-Adresskuchen auf, und für Afrika, den ganzen Kontinent, blieben winzige Krümel. Das darf sich nicht
wiederholen; denn von der Weltraumnutzung dürfen nicht nur reiche Länder profitieren.
({5})
Globale Gerechtigkeit muss für Europa die Wertebasis sein. Als Linksfraktion werden wir die Umsetzung auch dieses Projektes daran messen.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank. – Jetzt frage ich noch mal: Ist noch jemand hier, der seine oder ihre Stimme nicht abgeben konnte? – Das ist nicht der Fall. Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Herzlichen Dank
dafür.
Ich gebe jetzt das Wort dem Kollegen Maximilian Funke-Kaiser für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht erst seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, dem
Angriff auf die Gaspipeline in der Ostsee oder der Sabotage an den Kommunikationsnetzen der Deutschen Bahn sollte uns klar sein, dass die infrastrukturelle
Souveränität, die digitale Souveränität und jeweils deren Sicherheit eines der obersten Ziele unserer Politik sein muss.
Ähnlich wie es die Kolleginnen und Kollegen von der Union in ihrem Antrag beschreiben, ist die Secure Connectivity Initiative der Europäischen
Kommission auch für uns ein sehr begrüßenswertes Vorhaben. Bereits vor der Zeitenwende wurden hier Weichen gestellt in Richtung neuer Internet- und
Kommunikationsstrukturen, insbesondere für den Sicherheitsbereich, übrigens auch mittels der Gigabit-Strategie von unserem Digitalminister Volker Wissing.
Und, ja, die Raumfahrt ist nicht nur ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor, sondern wirkt auch als Innovationsmotor, als Innovationsmultiplikator in alle
Lebensbereiche hinein. Als Treiber für wichtige Technologien hat sie enorme Bedeutung und wird auch in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen.
Aber nach Stand der Dinge liegen Deutschland und Europa im Vergleich zu China oder zu den Vereinigten Staaten im Space Race und auch bei der
satellitengestützten Quantenkommunikation einmal mehr weit hinten. Deshalb ist es unser Ziel, mit dieser Initiative aufzuholen und Europa im Weltall auf
Augenhöhe zu bringen und eine Stärkung der geostationären Souveränität und der Sicherheit zu erreichen.
Nachdem ich das gesagt habe, gebe ich tatsächlich gerne einmal zu, dass Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, einige gute Punkte
enthält.
({0})
Ich erwähne aber auch, dass wir das Thema im Blick haben. Deshalb hätten wir uns selbstverständlich gefreut, wenn wir entsprechende Initiativen
Ihrerseits in früheren Jahren erlebt hätten.
({1})
Wie gesagt: Wir haben das im Blick.
Dazu gehört die von Ihnen angesprochene führende Rolle Deutschlands.
({2})
Dazu gehört die klare strategische Positionierung. Dazu gehören die Rolle der Start-ups und der kleinen und mittelständischen Unternehmen in unserem
Land und auch die Frage der Cybersicherheit.
Ihr Antrag wirkt daher ein Stück weit wie ein Sammelsurium von berechtigten, aber längst bekannten Punkten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({3})
So hat beispielsweise der BDI bereits während Ihrer Regierungszeit gemeinsam mit mehreren deutschen Raumfahrt-Start-ups darauf hingewiesen, dass junge
Unternehmen viel stärker berücksichtigt und ihr Innovationspotenzial und Marktverständnis für die Gestaltung der europäischen Raumfahrtpolitik genutzt werden
sollten.
({4})
Wir als FDP-Bundestagsfraktion unterstützen das selbstverständlich.
Das Thema „maritime Startplattformen“ beispielsweise in Bremerhaven ist auch schon sehr lange bekannt. Es war auch schon während Ihrer Regierungszeit
bekannt. Umgesetzt oder geändert wurde gar nichts.
Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass ein Widerspruch aufgelöst werden müsste. Das ist obsolet; denn schaut man sich das aktuelle Proposal zur
Verordnung an, dann stellt man fest, dass bei der ersten von zwei Säulen, also der „Secure Connectivity Initiative“, die Anwendung durch Regierungen etc.
deutlich im Fokus liegt. Die Frage „Privat versus Staat“ stellt sich also gar nicht mehr. Natürlich gehört es zu unserem allgemeinen politischen Interesse, dass
wir bei europäischen Vorhaben selbstverständlich die Kompetenzen und Fähigkeiten der deutschen Raumfahrindustrie und vor allem der deutschen Raumfahrt-Start-ups
einbeziehen.
({5})
Wir alle haben ein Interesse daran, dass diese Initiative zum Erfolg wird. Dafür muss die EU jetzt auch aus den Fehlern in den vergangenen Jahren
lernen. Was heißt das?
Erstens. Wir benötigen ein Raumfahrt-Ökosystem, welches Forschung sowie europäische innovative Start-ups und mittelständische Unternehmen miteinander
verbindet.
Zweitens. Die Einbindung von Start-ups und kleinen und mittelständischen Unternehmen ist keine Beiläufigkeit. Sie ist die Grundlage für unseren Erfolg
im Weltall. Staatlich orchestrierte Raumfahrtindustrie ist ein Stück weit Vergangenheit. New Space ist die Zukunft; denn nur so wird eine nachhaltige und
unabhängige Wertschöpfung made in Europe entstehen.
Drittens. Das neue europäische Programm muss bereits bestehende und gut finanzierte Initiativen miteinander verknüpfen.
Und nicht zuletzt: Deutsche Alleingänge – und das suggeriert Ihr Antrag leider – darf es nicht geben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({6})
Liebe Union, als FDP setzen wir uns für diese europäische Initiative ein, insbesondere im Sinne der deutschen Start-ups, der KMUs und weiterer
Unternehmen. Zwar wird aktuell sehr viel über die französischen Unternehmen und Freunde diskutiert; es werden aber keine Alleingänge vollzogen. Gemeinsam und
zielgerichtet muss der Weg sein.
Ihr Antrag nennt zwar wichtige Punkte – zu denen ist alles gesagt –, zeigt allerdings keine neuen Wege auf. Gerne können wir hierzu parlamentarisch in
einen konstruktiven Austausch gehen.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.
Zustimmen können wir Ihrem Antrag allerdings nicht.
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Kevin Leiser, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Wir alle kennen das Intro der Serie
„Raumschiff Enterprise“: „Der Weltraum, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2200.“ – „Raumschiff Enterprise“ skizziert eine Welt, in der die Menschheit
frei und gemeinschaftlich das Weltall erkundet.
Doch wir schreiben das Jahr 2022. Die Weltraumpolitik muss sich heute orientieren an Systemgegensatz, der Enge im Orbit und Abhängigkeiten.
Zum Systemgegensatz. Anders als bei „Raumschiff Enterprise“ fordern heute Autokratien wie Russland und China die freien Gesellschaften heraus – auch
im Weltraum. China und Russland haben in der Vergangenheit Satelliten abgeschossen – völlig rücksichtslos. Danach rasten Tausende Trümmerteile durch den
Erdorbit. Davon geht eine Gefahr für andere Satelliten aus.
Zur Enge im Orbit. Anders als bei „Raumschiff Enterprise“ ist heute der relativ kleine Erdorbit von entscheidender Bedeutung. Im Erdorbit bewegen sich
bereits über 24 000 Objekte. Der Weltraumschrott gefährdet Satelliten. Der freie Platz im Erdorbit wird kleiner.
({0})
Zur Abhängigkeit. Anders als bei „Raumschiff Enterprise“ ist unsere Zivilisation heute existenziell abhängig von irdischen Weltraumsystemen. Ohne
Satelliten ist unser Verkehr stark beeinträchtigt, bricht unsere Stromversorgung zusammen und geben Geldautomaten kein Geld mehr aus. Das macht
Satellitensysteme zu Zielen für Abschüsse, Störungen und Cyberangriffe.
Aus Systemgegensatz, der Enge im Orbit und Abhängigkeiten resultieren Konsequenzen für eine fortschrittliche Weltraumpolitik:
Erstens. Wir benötigen resiliente Weltraumsysteme. Dabei wollen wir gemeinsam agieren mit unseren Partnern in EU und NATO.
({1})
Zweitens. Satellitenabschüsse müssen verboten und geächtet werden. Die Bundesregierung ist bereits einer entsprechenden Initiative bei den Vereinten
Nationen beigetreten. – Herr Brandl, da sind Sie leider zu spät. Wie Herr Schätzl schon ausgeführt hat, ist das bereits erledigt durch Regierungshandeln.
({2})
Drittens. Zivile und militärische Nutzung des Weltraums müssen zusammengedacht werden. Dabei hat sich die Zusammenarbeit der Bundeswehr mit dem
Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt im Weltraumkommando in Uedem bewährt. – An dieser Stelle vielen Dank an unsere Soldatinnen und Soldaten und die
zivilen Beschäftigten für ihren Dienst und ihre Arbeit.
({3})
Viertens. Wir werden die Überwachung von Objekten im Erdorbit wesentlich verbessern. Was für Objekte sind da überhaupt im Erdorbit? Wie bewegen die
sich? Die Fraktion der CDU/CSU will Satelliten in den Weltraum schicken. Aber im Gegensatz zur Bundesregierung machen Sie sich keine Gedanken, wie man sie
überwachen könnte.
({4})
Das ist, als würde man eine Reise in ein fremdes Land antreten, ohne Karte.
Für Frau Merkel war das Internet „Neuland“.
({5})
Deshalb verwundert es nicht, dass CDU/CSU im Weltraum die Orientierung verlieren.
({6})
Im Gegensatz dazu arbeitet die Fortschrittskoalition intensiv an Strategien zur Nutzung des Weltraums. „Raumschiff Enterprise“ ist noch weit weg. Aber
mit unserer Fortschrittskoalition
({7})
brechen wir auch mit unserer Weltraumpolitik zu neuen Weiten auf.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es schön, dass wir heute, noch vor der ESA-Ministerratskonferenz, eine Debatte zu
Raumfahrtthemen haben, und ich finde es wichtig, dass wir diese Debatte unter das Signet der Souveränität stellen. Ich glaube, es ist wichtig, zuerst zu
definieren: Was bedeutet eigentlich Souveränität? Souveränität bedeutet nicht, dass wir alles selber machen können. Souveränität bedeutet, dass wir in
bestimmten Bereichen so stark und strategisch gut aufgestellt sind, dass auch andere nicht ohne uns können. So definiert es die EFI, die Innovationsweisen, und
so sehen auch wir das. Wir können nicht alles. Aber bei dem, was wir machen, müssen wir exzellent sein.
Was schließt man daraus für das, was wir heute machen? Die Frage ist: Wollen wir aufholen, oder wollen wir vorangehen? Das ist beim Thema Souveränität
ein ganz entscheidender Punkt; denn, ganz ehrlich, diese Diskussion über dieses Thema würden wir ohne Elon Musk gar nicht führen. Ich glaube nicht, dass ein
EU‑Kommissar und die Legacy-Industrie, die sich manchmal bei bestimmten Aufträgen als sehr etabliert präsentiert, sich auf das Thema Satelliteninternet gestürzt
hätten, wenn nicht Elon Musk gesagt hätte: Ich starte 4 000 Satelliten. – Das hätten viele vor wenigen Jahren als verrückt angesehen.
Deshalb ist es auch kein Problem, dass Elon Musk das macht; das Problem ist eher, dass wir das nicht machen. Wir müssen es richtig machen. Wenn ich
jetzt hier die ganze Zeit höre: „Das ist alles durch Regierungshandeln erledigt“, dann möchte ich jedem, der so was behauptet, empfehlen, einmal nach Brüssel zu
reisen, in eine Sitzung des Wettbewerbsrats oder des COREPER zu gehen und zu sehen, wie die Dinge laufen. Erledigt ist hier überhaupt gar nichts, bevor nicht
tatsächlich entsprechende Verträge gemacht werden.
({0})
Wir haben hier die Frage in den Vordergrund gestellt: Was ist denn eigentlich die Strategie? Man kann mit einer Initiative nicht erfolgreich sein,
wenn man das Ziel nicht klar definiert: Wollen wir sichere Behördenkommunikation machen, oder wollen wir ein preiswertes Internetsystem machen für ganz Europa,
für jeden Anwender, vielleicht auch noch für Afrika? Das ist ein ganz anderer Antritt, dahinter liegen ganz verschiedene Kostenstrukturen. Wenn Sie zwei
widersprüchliche Ziele verfolgen, dann kann es passieren, dass Sie keines davon erreichen. Deshalb hat sich die alte Bundesregierung beim Punkt Strategie sehr
deutlich positioniert.
Ich formuliere es mal als Kompliment an die Kollegin Christmann: Sie stellen eine ganz exzellente Kontinuität in der Raumfahrtpolitik dar. – Und zu
den vielen Kritikpunkten, die ich hier vorhin gehört habe, junge Kollegen, kann ich nur sagen: Das sind alles die Dinge, die die alte Bundesregierung gemacht
hat. – Ich bin ja sehr dankbar dafür, dass wir hier Kontinuität haben.
Weil hier gefragt wurde: „Was habt ihr eigentlich getan?“, will ich sagen: In der letzten Wahlperiode war Deutschland erstmals Investor Nummer eins im
Bereich Raumfahrt in Europa mit 3,4 Milliarden Euro.
({1})
Unsere Erwartungshaltung ist, dass auch die neue Regierung Investor Nummer eins bei dieser ESA-Ministerratskonferenz sein wird und weiter diese
Führungsrolle lebt.
Wir haben – weil auch das Argument kam – als einen von sechs strategischen Punkten vor drei Jahren definiert, den Anteil der KMUs signifikant zu
erhöhen. Den haben wir verzweieinhalbfacht. Was uns sehr wichtig war und was ich bei dieser Initiative auch weiterhin als sehr wichtig erachte, ist, dass die
KMUs und Start-ups nicht die Unterauftragnehmer der Großen sind, sondern sie selbst First Tier sind, dass sie vorne in der Auftragskette stehen, um tatsächlich
souverän zu sein.
({2})
Was haben wir noch vorangebracht? Insbesondere haben wir einen ersten Schritt in Richtung „Staat als Ankerkunde“ unternommen, und wir haben ein System
aufgebaut, wo wir am Ende jetzt drei neue Launcher-Anbieter kommen sehen. Wir haben es mit wenig öffentlichem Geld geschafft – ich glaube, es war etwas mehr als
ein halbes Prozent der Mittel –, dass der erste Anbieter schon über 150 Millionen Euro privates Wagniskapital erhalten hat. So hebeln wir das staatliche Geld;
so kann man erfolgreich sein. Und genau das – das haben wir beim Quantencomputing übrigens auch gemacht – ist unsere Erwartungshaltung an diese Initiative: dass
es Wettbewerb gibt, dass Start-ups und KMUs mitmachen können, dass diese auf der ersten Ebene mitmachen und dass der Staat als Ankerkunde auftritt und das
staatliche Geld am Ende hebelt.
Wir haben genug Investitionsruinen im Technologiebereich gesehen. Wir haben mit den Launchern und dem Quantencomputing einen anderen Weg
aufgezeigt.
Kommen Sie zum Schluss, bitte.
Unsere Erwartungshaltung ist, dass sich die Bundesregierung dafür einsetzt, es aber auch durchsetzt. Wir werden euch an den Taten messen. Wir
wünschen viel Erfolg. Ein guter Weg wäre es, diesem Antrag jetzt zuzustimmen.
({0})
Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Maik Außendorf, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bedeutung von sicheren und souverän betriebenen Satelliten hat nicht zuletzt durch
den Angriffskrieg auf die Ukraine und die Sabotageakte in den letzten Wochen zugenommen. Sie sind essenziell für sichere Kommunikation, Forschung und Wirtschaft
und um die Digitalisierung in unserer Gesellschaft voranzubringen.
Der vorgelegte Antrag der Union bezieht sich auf den Vorschlag der EU‑Kommission, ein eigenes Satellitensystem für Kommunikation voranzubringen. Das
ist gut so. Da sind wir uns im Ziel einig. Ich möchte mal auf Punkte eingehen, von denen Herr Brandl schon einige angesprochen hat:
In Punkt 4 Ihres Antrags fordern Sie Cybersicherheit, die Sicherheit unserer Infrastruktur im All. Herr Brandl, ich darf Sie zitieren. Sie haben
gesagt: „Wir werden morgen über Angriffe auf Satelliten sprechen.“ Ich kann Ihnen versichern, wir Grünen reden schon seit Jahren darüber, zuletzt vor einigen
Wochen bzw. Monaten, als wir über das 100-Milliarden-Euro-Verteidigungspaket gesprochen haben. Da haben wir nämlich gefordert, die Cybersecurity, die
Satelliteninfrastruktur mit in den Blick zu nehmen.
({0})
Sie haben es verhindert. Sie wollten es nicht. Deswegen haben wir jetzt keine Mittel dafür.
({1})
Wir müssen da aber auch selbstkritisch sein. Als Bundesregierung müssen wir auch da besser werden. Wir haben lange gefordert, dass das Dachgesetz für
KRITIS, für die kritische Infrastruktur, auf den Weg gebracht wird. Die Regierung, das BMI, arbeitet daran. Aber es ist klar, dass wir da Gas geben müssen. Das
erwartet die Öffentlichkeit von uns, und das werden wir auch tun.
Noch einmal zurück zum Begriff „verteidigen“. Sie haben hoffentlich nicht Space Wars und Waffen im All im Sinn; denn – das hat der Kollege von der SPD
eben schon angesprochen – es gibt UN‑Abkommen, die das verbieten. Da sollten wir auch bei bleiben; denn sonst haben wir Riesenprobleme.
({2})
– Genau. – Ganz sicher ist, dass wir international zusammenarbeiten müssen. Es bringt nämlich gar nichts, wenn wir da nur national agieren. Der
Weltraum ist nämlich nicht national kontrollierbar.
Das Problem ist – nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Einsatzes von Waffen –, dass Weltraumschrott produziert wird. Wir haben jetzt schon das
Problem, dass wir Tausende Kleinstteile im Orbit haben. Die sind eine Gefahr für Astronauten, aber auch für die Geräte, die dort herumschwirren. Das könnte im
schlimmsten Fall dazu führen, dass wir irgendwann gar keine Raketen mehr sicher ins All kriegen, weil wir einen Schrottgürtel um das All haben. Das ist ein
Punkt, der in Ihrem Antrag leider komplett fehlt: der verantwortungsvolle Umgang mit Weltraumschrott. Auch das müssen wir regulieren, und auch das muss
international geschehen.
({3})
Internationale Regulierungen und Abkommen sind auch nötig, weil, wie eben schon angesprochen, Starlink ein Problem ist. Die haben nämlich Tausende von
Satelliten in einer Umlaufbahn und blockieren damit praktisch den ganzen Orbit. Da braucht es Zusammenarbeit.
Ich fasse noch mal zusammen: Die Union bringt zwar einige wichtige Punkte, vergisst aber die zentralen Elemente – Weltraumschrott und Regulierung –,
fordert Cybersicherheit, die sie mit ihrer Verweigerungshaltung zum 100-Milliarden-Euro-Paket selber verhindert hat. Währenddessen gehen die EU und die
Bundesregierung mit der kommenden Raumfahrtstrategie voran. So sorgen wir für Souveränität und Sicherheit im Weltraum. Machen wir es so!
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege Außendorf. – Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Sebastian Roloff, SPD-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich auch immer, wenn wir über Spacethemen sprechen. Ein bisschen
bedauerlich ist, dass die CDU/CSU an ihrem eigenen Antrag nicht so richtig interessiert ist; aber wenn die wichtigen Leute da sind, freuen wir uns. Die
ESA-Ministerratskonferenz – es ist schon gesagt worden – ist für uns alle, die wir uns für Luft- und Raumfahrtthemen engagieren, ein wesentlicher Meilenstein
für die Entwicklung in den nächsten Jahren.
Wir müssen, mit Schwerpunkt auf die nächsten drei Jahre, die Zeichnungen und Budgets vereinbaren. Wir sind mit dem Wirtschaftsministerium, mit der
Industrie, mit KMUs, mit Verbänden, mit Start-ups seit Wochen und Monaten im Gespräch, um das vorzubereiten und zu prüfen, welche Projekte zu priorisieren sind
und was besonders wichtig für die Zukunft der deutschen Raumfahrt ist. Klar ist, dass nicht für alles Mittel da sind, leider. Die Haushaltssituation ist ja noch
mal angespannter und nicht so, wie wir uns das erhofft hatten.
Aber es gibt einige Projekte, die unbedingt, würde ich zumindest sagen, unsere Unterstützung brauchen. Das betrifft zum Beispiel die Secure
Connectivity Initiative, die in dem Antrag thematisiert wird – völlig zu Recht –, die wichtig ist, um eine europäisch autonome und sichere Internetkommunikation
zu ermöglichen.
({0})
Weitere Programme sind relevant: das Telekommunikationsprogramm ARTES, die robotische Mondmission EL3, Raumtransportsysteme wie die Ariane 6. Es ist
völlig klar, dass wir da jetzt einen gemeinsamen Kraftakt brauchen, dass hierfür die nötigen Mittel aufgewandt werden.
Wir haben es schon gehört: Raumfahrt ist kein Nischenthema. Da geht es nicht um irgendwelche Leute, die meinen, sich als Weltraumtouristen aufspielen
zu müssen. Raumfahrt ist jetzt schon für Landwirtschaft, Pharmazie, Telekommunikation, IT, die Autoindustrie, Klimaschutz etc. relevant. Raumfahrttechnologien
können auch über einen Spillover-Effekt Auswirkungen auf Bildung und Forschung haben. Dementsprechend ist jeder Euro, den wir in die Raumfahrt investieren, gut
angelegt. Deshalb hoffe ich auf einen gemeinsamen Kraftakt des Hauses mit Blick auf die Ministerratskonferenz.
({1})
Selbstverständlich ist auch die Wertschöpfungswirkung in diesem Wachstumsmarkt nicht zu unterschätzen; das unterstreicht das Investitionsargument noch
mal. Und wir reden von über 10 000 Arbeitsplätzen mit guten Arbeitsbedingungen im Space-Bereich und bei Zulieferern, die meisten tarifgebunden. Das weiß die
Bundesregierung, und deswegen arbeiten wir an einer neuen nationalen Raumfahrtstrategie. Hiermit haben wir vor wenigen Wochen mit einer Impulsveranstaltung
angefangen. Die Arbeit wird die nächsten Wochen und Monate weitergehen, und es ist richtig, dass wir uns hier innovative Ziele setzen.
Zum Abschluss weise ich noch einmal darauf hin – ich sehe leider keine Haushälterin und keinen Haushälter, sonst hätte ich prominent bei ihr oder ihm
auf der Matte gestanden, weil wir jede Chance nutzen müssen –, dass wir jetzt einen gemeinsamen Kraftakt brauchen, um für die deutschen Zeichnungen die nötigen
Mittel zu akquirieren.
Vielen Dank.
({2})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meere üben auf mich und wahrscheinlich auch auf viele von Ihnen eine unglaubliche
Faszination aus. Sie sind Orte der Erholung und Orte, die eine ja fast magische Anziehungskraft auf viele von uns ausüben. Sie sind gleichzeitig auch Schätze
der Artenvielfalt, Verbündete für den Klimaschutz und nicht zuletzt auch Wirtschaftsfaktor; viele Länder leben vom Tourismus an den Meeren oder eben auch von
der Fischerei. Und was für mich besonders faszinierend ist, ist, dass vieles, was da unten in den Meeren lebt, bis heute noch gar nicht richtig erforscht ist.
Ganze Schätze für Wissenschaft und Forschung schlummern da unten noch, und ich finde, das macht sie noch mal ganz besonders faszinierend.
Zu den besonders faszinierenden Meeren auf unserer Erde gehört das Weddellmeer, das größte Meer in der Antarktis. Um das einordnen zu können: Es ist
sechsmal so groß wie die Bundesrepublik. 14 000 Arten leben am Boden des Weddellmeers, es gibt riesige Krill- und Fischvorkommen, die größten Krillvorkommen
weltweit. Und gerade diese Krillvorkommen sind wichtige Grundlagen für Nahrungsnetze weltweit. Das Weddellmeer wird, wie viele andere antarktische Meere auch,
zu Recht als Quelle des Lebens beschrieben. Und es ist auch unsere Verantwortung, uns international dafür einzusetzen, diesen Schatz der Natur, diesen Schatz
der Artenvielfalt zu erhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Ich bin diesem Haus sehr dankbar, dass es gelungen ist, einen breit getragenen Antrag genau zu diesem Thema vorzulegen. Das Problem ist: Dieser
wertvolle Raum, dieses wertvolle Weddellmeer ist akut bedroht, unter anderem durch Fischerei, durch Rohstoffhunger und ganz besonders natürlich auch durch die
weiter eskalierende Klima- und Biodiversitätskrise. Dabei zeigt sich an den Meeren wie an fast keinem anderen Ort, wie eng Klima- und Biodiversitätskrise
zusammenhängen:
Die Klimakrise führt zur weiteren Versauerung der Meere. Das hat konkret zur Folge, dass zum Beispiel in den antarktischen Meeren die Krillvorkommen
wegsterben. Das wiederum hat zur Folge, dass Fische bis hin zu Walen, Meeressäugern sterben und damit ganze Nahrungsnetze zusammenbrechen. Das zeigt, wie auch
die Klimakrise dazu führt, dass die Biodiversitätskrise weiter eskaliert und die Aussterbekatastrophe bei den Arten weiter zunimmt.
Klar ist aber auch: Wenn der Krill stirbt – das ist eine ganz besondere biologische Situation –, dann fällt auch die sogenannte biologische
Kohlenstoffpumpe aus. Was ist das? Der Stoffwechsel des Krills führt dazu, dass große Mengen Kohlenstoff aus dem Wasser gebunden werden; Krill frisst die
kleinen Mikroalgen. Das wird verstoffwechselt, sinkt auf den Boden, und Kohlenstoff wird dann über viele Jahrzehnte am Boden des Meeres gebunden. 35 Prozent des
Kohlendioxids aus dem Wasser werden über diese biologische Kohlenstoffpumpe gebunden, und zwar langfristig gebunden. Das zeigt auch noch mal, wie wichtig Meere
als Verbündete für den Klimaschutz sind.
Das Problem ist nur: Die Klimakrise führt zur Versauerung, Versauerung führt zum Sterben des Krills. Stirbt der Krill, wird weniger Kohlenstoff
gebunden, und die Klimakrise eskaliert weiter. Das ist das, was wir meinen, wenn wir sagen, dass Klima- und Biodiversitätskrise eine Zwillingskrise sind. Dieses
dramatische Zuspitzen der Krisen, diese fatale Spirale der ökologischen Krise müssen wir durchbrechen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Ein wichtiger Beitrag, den wir dabei leisten könnten, wäre, international ein wirksames Schutzabkommen für das Weddellmeer auf den Weg zu bringen. Nur
7 Prozent der Meere weltweit sind geschützt. Unser Ziel muss eigentlich sein – da hat sich die Bundesregierung ja dankenswerterweise der Koalition der besonders
ambitionierten Staaten angeschlossen –, 30 Prozent der Meeresflächen zu schützen. Das Weddellmeer könnte dazu einen riesigen Beitrag leisten; denn es könnte mit
rund 2 Millionen Quadratkilometern das größte Schutzgebiet weltweit werden, ein riesiges Schutzgebiet im Meer. Es muss unser Anspruch sein, dieses Ziel weiter
voranzutreiben.
Deshalb – und das fordern wir ja auch in unserem Antrag – ist es wichtig, dass wir alle diplomatischen Möglichkeiten nutzen und dass wir den
Vorschlag, das Weddellmeer als Schutzgebiet auszuweisen, immer wieder bei den entsprechenden Konferenzen einbringen, auch in einer Zeit, wo das diplomatisch
natürlich nicht einfacher wird, weil auch hier gerade Länder wie zum Beispiel China oder Russland auf der Bremse stehen. Es ist wichtig, China in die
Verantwortung zu nehmen, gerade als Präsidentin der diesjährigen UN‑Naturschutzkonferenz, und zum Beispiel auch mit Japan zu sprechen, Japan zu gewinnen,
stärker mitzuwirken beim globalen Meeresschutz. Das sind die Dinge, die wir machen müssen und die wir auch in unserem Antrag fordern, in dem wir sagen, dass wir
alle diplomatischen Möglichkeiten nutzen wollen.
Wichtig ist natürlich, dass die Bundesregierung an dieser Stelle als Antreiberin auftritt. Ich glaube, dass die Bundesregierung in ihrer Amtszeit
bisher schon einige richtige und gute Schritte gemacht hat, zum Beispiel mit der Benennung eines Meeresbeauftragten, mit der Ankündigung einer Meeresstrategie,
indem die Bundesregierung mitgewirkt hat, ein globales Plastikabkommen auf den Weg zu bringen, oder, ganz konkret hier bei uns vor Ort, indem zusätzliche Mittel
bereitgestellt werden, um Munitionsaltlasten aus Nord- und Ostsee zu bergen. Das sind wichtige Beiträge. Das auch auf internationaler Ebene voranzubringen, ist
unser Ziel, meine Damen und Herren.
({2})
Vieles von dem, was ich beschrieben habe – jetzt auch die UN‑Biodiversitätskonferenz, die UN‑Klimakonferenz zu nutzen –, scheint weit weg. Wir können
aber auch hier ganz konkret einen Beitrag leisten, indem wir zum Beispiel auf Fisch aus Aquakulturen verzichten und indem wir auf
Fischöl-Nahrungsergänzungsmittel verzichten, die auf Krill basieren und die die Überfischung der Weltmeere weiter antreiben. Auch wir als Verbraucherinnen und
Verbraucher können einen konkreten Beitrag leisten.
Klar ist aber: Die Hauptverantwortung bleibt bei Politik und Wirtschaft. Und damit Politik und Wirtschaft ihre Verantwortung ernster nehmen, –
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
– ist es wichtig, die Aussterbekatastrophe, die Klimakatastrophe ganz oben auf die politische Agenda zu setzen, den Meeresschutz weiter
voranzubringen. Genau dafür geben wir mit unserem Antrag Rückenwind, meine Damen und Herren.
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner hat der Kollege Klaus Mack, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 14 000 Kilometer von Berlin entfernt befindet sich ein faszinierender Kontinent, die
Antarktis. Sie kommt uns manchmal vor wie ein ferner, fremder Planet. Das Festland ist fast völlig überdeckt von einer dicken Eisschicht. 90 Prozent des Eises
der Erde befinden sich hier. Das Eis der Antarktis ist deshalb auch ein Gradmesser der globalen Erwärmung. Die Anzeichen der Erderwärmung konnten wir in
Deutschland in diesem Jahr mit einem weiteren Hitzesommer spüren. Aber auch in der Antarktis gibt es erste Anzeichen des Klimawandels, wenn auch nicht so stark
wie am Nordpol. Doch wenn nur 10 Prozent der Inlandseisfläche schmelzen würden, stünde Hamburg bereits unter Wasser.
({0})
Die Bedeutung des Südpols für unser Klima und die Artenvielfalt wollen wir deshalb heute mit unserem gemeinsamen Antrag zum Weddellmeer
unterstreichen.
Es geht darum, eines der 14 Randmeere der Antarktis zu einem Meeresschutzgebiet zu erklären, und zwar zum mit Abstand größten Meeresschutzgebiet der
Welt. Ich danke allen beteiligten Fraktionen, dass wir dies gemeinsam und in großer Einigkeit auf den Weg bringen wollen.
({1})
Das Weddellmeer ist ein einzigartiges maritimes Ökosystem, sechsmal so groß wie Deutschland. Das natürliche Gleichgewicht wird dort kaum von
menschlichen Aktivitäten beeinflusst. Die Artenvielfalt gleicht der eines tropischen Korallenriffs. Kaiserpinguine gibt es zum Beispiel nur in der Antarktis.
Ein Drittel dieser Tiere erblickt auf dem Meereis das Licht der Welt; aber auch Robben und Wale sind dokumentiert.
„Die Uhren des Lebens gehen hier langsamer“, schreibt das Alfred-Wegener-Institut; denn Meerestiere müssen sich hier besonders anpassen. Eisfische
beispielsweise bilden Frostschutzproteine, die ein Gefrieren des Blutes verhindern. Ganz aktuell haben deutsche Forscher während der „Polarstern“-Expedition
einen überraschenden Fund gemacht: 60 Millionen Fischnester befinden sich auf dem Grund des Weddellmeers. Das ist das räumlich größte entdeckte Fischbrutgebiet
der Welt. Wir sprechen hier also von einer wahren Schatztruhe der Artenvielfalt, meine Damen und Herren.
({2})
Auch für unser Klima leistet das Weddellmeer einen entscheidenden Beitrag. Unsere Ozeane nehmen jedes Jahr rund ein Drittel des menschengemachten CO2
auf und speichern es. Das funktioniert – wir haben es gehört – über die sogenannte marine Kohlenstoffpumpe. Kaltes Wasser hat eine hohe Dichte. Die Wassermassen
sinken damit ab und nehmen das CO2 mit in die Tiefe. Dort wird es dann über Jahrhunderte gespeichert. Das Meeresgebiet rund um die Antarktis speichert so pro
Jahr knapp 2 Milliarden Tonnen an Kohlendioxid. Das ist mehr als der jährliche CO2-Ausstoß Russlands, des viertgrößten CO2-Emittenten der Welt.
Im Weddellmeer kommt die biologische CO2-Pumpe hinzu. Winzige, an der Wasseroberfläche schwimmende Algen nutzen die Energie der Sonne, um mit dem CO2
aus der Atmosphäre Biomasse aufzubauen. Stirbt das Phytoplankton ab, sinkt es. Dieser sogenannte Meeresschnee speichert damit das gebundene CO2 auf dem
Meeresboden. Faszination Natur! Wir haben also alle eine große Verantwortung, dieses komplexe System zu erhalten, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen.
Bereits im Jahr 2011 wurde auf internationaler Ebene beschlossen, weltweit ein Netzwerk an Schutzgebieten zu schaffen. Der Schutz des Rossmeeres wurde
2015 noch von China und Russland abgelehnt, aber 2016 dann doch beschlossen. Auch beim Weddellmeer gehen die Bemühungen bis 2016 zurück. Aber auch bei der
letzten Antarktis-Konferenz im Jahr 2020 sollte kein Durchbruch gelingen. Vermutlich wollten sich China und Russland die schmelzenden Polkappen für
Rohstoffabbau und größere Fischgründe zunutze machen.
Jetzt also ein neuer Anlauf: Bis 2030 sollen 30 Prozent der Erde unter Schutz gestellt werden. Ohne Meeresschutzgebiete ist das nicht erreichbar;
deshalb ist der Schutz des Weddellmeers entscheidend. Für die nächste Antarktis-Konferenz braucht die Bundesregierung deshalb eine breite Rückendeckung in
diesem Haus.
({3})
Denn eines gehört zur Wahrheit dazu: Die geopolitische Lage ist im Vergleich zu 2020 weitaus schwerer geworden. Wenn das Vorhaben überhaupt gelingen
kann, dann nur, wenn das Projekt auf höchster politischer Ebene angesiedelt wird. Unser Bundeskanzler und die Außenministerin müssen sich persönlich für das
Weddellmeer starkmachen.
({4})
Die Ausweisung des Weddellmeers muss zur Chefsache werden, meine Damen und Herren.
Auch wenn sich gerade die Machtverhältnisse in der Welt verschieben, die internationalen Herausforderungen größer werden, dürfen wir die
Biodiversitätsziele nicht aus den Augen verlieren. Der Klimawandel und der Verlust der Artenvielfalt lassen sich in totalitären Staaten vielleicht zum Teil
totschweigen. Die Auswirkungen werden aber auch dort spürbar werden. Deshalb sollten wir uns nicht entmutigen lassen. Wir haben die Aufgabe, unseren Planeten zu
schützen. Das sind wir unseren nachfolgenden Generationen schuldig.
({5})
Helmut Kohl sagte bereits 1982 im Deutschen Bundestag:
Wir stehen in der Pflicht, unsere natürlichen Lebensgrundlagen auch für künftige Generationen zu erhalten.
Ich danke den Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen für die gute Zusammenarbeit. Wenn man gemeinsam anpackt, kann man etwas Großes
erreichen. Setzen wir uns dafür ein, dass auch unsere Kinder und Enkel die Faszination von Kaiserpinguinen, Walen und Fischschwärmen im Weddellmeer noch
erforschen dürfen und dass sie davon nicht nur in den Geschichtsbüchern lesen können!
Ich danke Ihnen.
({6})
Vielen Dank, Herr Kollege Mack. – Nächster Redner ist der Kollege Daniel Schneider, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In unserem Antrag geht es um den Erhalt unserer Lebensgrundlagen und um Vorhaben von
elementarer Bedeutung für die Menschheit. Wir haben schon vieles davon gehört. Ich kann nicht versprechen, dass sich hier wenig wiederholen wird; aber es ist
eben wichtig.
Wir wollen heute wie zuletzt vor zwei Jahren ein wichtiges und möglichst einstimmiges Signal hinaus in die Welt senden. Wir fordern nun die
Bundesregierung dazu auf, sich international auf höchsten diplomatischen Ebenen für den Schutz des antarktischen Weddellmeeres sowie für weitere wichtige
Regelungen im globalen Meeresschutz einzusetzen.
Schon in der kommenden Woche beginnt die jährliche CCAMLR-Tagung in Australien. Ebendiese Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der
Antarktis arbeitet seit 2009 an der Einrichtung eines repräsentativen Netzwerkes von Meeresschutzgebieten rund um den Kontinent. Ich will hier noch ein paar
Punkte anbringen, die zeigen, warum globaler Meeresschutz für uns alle so wichtig ist, bevor ich zum 8 000 Seemeilen weit entfernten Weddellmeer übergehe.
Die Weltmeere bedecken mehr als 70 Prozent der planetaren Oberfläche und sind Heimat unzähliger Tier- und Pflanzenarten. Ihre Fischbestände bilden
eine wichtige Einkommens- und Nahrungsquelle für Milliarden von Menschen. Die Ozeane sind weltweit der wichtigste Sauerstoffproduzent. Jeder zweite Atemzug, den
wir tätigen, kommt quasi aus dem Meer.
Unsere Meere sind gigantische Kohlenstoff- und Wärmespeicher. Sie haben über 90 Prozent der atmosphärischen Erhitzung aufgenommen, mehr als ein
Drittel der menschengemachten CO2-Emissionen absorbiert und tragen so ganz natürlich zur Stabilität unseres Klimasystems bei. Hinzu kommen die ebenfalls
überlebenswichtigen Funktionen beim Küstenschutz und natürlich die ganze Romantik und unsere Sehnsüchte, die wir alle mit den Meeren verbinden.
Doch die marinen Ökosysteme stehen unter enormem Nutzungsdruck und reagieren oft sehr sensibel auf die kleinsten Veränderungen. Ich muss auch an die
drei großen Krisen unserer Zeit erinnern, die nicht nur an Land herrschen, sondern auch unsere Meere bedrohen: die Klimakrise, das Artensterben und eben auch
die Verschmutzung bzw. die Vermüllung unseres Planeten.
In Deutschland stellen wir die ambitionierte Verfolgung unserer Meeresoffensive durch unsere Beitritte zum Blue Leaders Club, zur High Ambition
Coalition for Nature and People sowie zur Global Ocean Alliance unter Beweis. Die Namen dieser wichtigen Initiativen sind schwer zu merken, recht kompliziert.
Aber das große gemeinsame Ziel, das uns in dieser Dekade alle eint, ist ganz klar und ganz einfach und dabei auch absolut alternativlos: Es geht um den
effektiven Schutz von mindestens 30 Prozent unserer Weltmeere bis zum Jahre 2030.
In diesem Sinne unterstützen wir auch das geplante BBNJ-Abkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt auf hoher See, also jenseits der nationalen
Zuständigkeiten oder Rechtsprechungen, ein noch fehlendes internationales Rahmenwerk für immerhin 43 Prozent der Erdoberfläche.
({0})
Jetzt zurück ins Südpolarmeer, ich sagte es gerade: 8 000 Seemeilen von hier – ein Ort, wo die Uhren langsamer ticken und unsere Forscherinnen und
Forscher eine sensationelle Artenvielfalt, wie wir sie sonst nur aus tropischen Korallenriffen kennen, entdecken. Unter dem Meereis wachsen Eisalgen und
Bakterien, welche von Krill und anderen Kleinstlebewesen abgeweidet werden. Dieses Zooplankton ist wichtig für das Leben in der Tiefe – das haben wir gerade
schon gehört – und zahlreicher Fische, Robben und Wale. Das Weddellmeer ist Heimat der legendären Kaiserpinguine und ein riesiges Brutgebiet für viele große
Vögel, so etwa für den Antarktischen Sturmvogel.
Die Folgen des Klimawandels werden hier aufgrund der Eisbedeckung und der Ozeanströmungen erst wesentlich später spürbar werden. Deshalb wollen wir
diesen Rückzugsort für kälteliebende Arten erhalten, um ihnen die Chance zu bieten, sich an die schleichenden Veränderungen ihres Lebensraumes anzupassen. Wir
müssen möglichst schnell die Emissionen von Treibhausgasen radikal drosseln und für effektiven Schutz der marinen Biodiversität sorgen. Dazu brauchen wir
großflächige Nullnutzungszonen und ein wissenschaftlich basiertes Monitoring der Artenvielfalt.
Meine Damen und Herren, ich möchte die Gelegenheit nutzen, um einmal Danke zu sagen. Ich bedanke mich in unser aller Namen bei unseren sehr
engagierten Meeresschützerinnen und Meeresschützern, beispielsweise vom World Future Council, von der Deutschen Umwelthilfe oder auch von Greenpeace, vom NABU,
vom WWF und vielen anderen. Da kann man ruhig auch mal Danke sagen.
({1})
Sie vertreten unsere Interessen überaus engagiert und natürlich auch überaus kompetent und mahnen immer wieder die wachsende Dringlichkeit angesichts
der steigenden Temperaturen und des Abschmelzens der Gletscher und Eisflächen an.
Doch im Rahmen der CCAMLR herrscht das Prinzip der Einstimmigkeit. China und Russland sind jetzt noch die letzten Länder mit Blockadehaltung aufgrund
ihrer wirtschaftlichen Interessen: Es geht um industriellen Fischfang, dabei leider auch um Krill als Futter in Aquakulturen oder als Nahrungsergänzungsmittel,
Stichwort „Omega 3“.
Dabei ist es so wichtig, dass die internationale Fischfangflotte einen möglichst großen Bogen um die bisher nahezu unberührten Regionen der Antarktis
macht. Aber die Geschichte des Rossmeeres macht Mut; wir haben es gerade auch von dem Kollegen Mack gehört. Rund zehn Jahre hat es gedauert, bis die
Außenminister John Kerry und Sergej Lawrow im Jahre 2016 den Durchbruch hinter verschlossenen Türen erreichten. Russland gab schließlich seine Blockadehaltung
auf.
Was auch Mut macht, ist die Erinnerung daran, dass CCAMLR aus dem Antarktis-Vertrag hervorgegangen ist. Vor über 60 Jahren beendete dieses erste
internationale Abkommen nach dem Zweiten Weltkrieg den Wettlauf der verfeindeten Blöcke um territoriale Ansprüche und bewahrte mitten im Kalten Krieg die
Lebenswelten vor kommerziellem Rohstoffabbau und militärischer Nutzung. Noch heute bildet der Antarktis-Vertrag die Grundlage für die friedliche Zusammenarbeit
der Völker im Dienste der Wissenschaft.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam diesen Antrag beschließen, damit sich die Bundesregierung bei bilateralen und multilateralen Treffen
sowie demnächst beim ersten Besuch von Olaf Scholz in Peking sowie bei weiteren sich bietenden Gelegenheiten für den globalen Meeresschutz einsetzen wird. – Wo
steht eigentlich immer die Zeit? Ach, da!
({2})
Das Weddellmeer wäre – das haben wir gerade auch schon gehört – das größte Meeresschutzgebiet der Welt. Das wissenschaftliche Fundament dafür liefert
das Alfred-Wegener-Institut, das Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, mit Sitz in Bremerhaven, unweit der schönen Hafenstadt Cuxhaven an der
Nordseeküste.
Herzlichen Dank.
({3})
Vielen Dank, Herr Kollege Schneider. – Herr Kollege Schneider, solange es da vorn nicht blinkt, können Sie unbesorgt weiterreden. Wenn es blinkt,
ist das der Hinweis darauf – mein stiller Ruf an Sie –, zum Ende zu kommen.
Nächster Redner ist der Kollege Andreas Bleck, AfD-Fraktion.
({0})
Werter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das antarktische Weddellmeer im Südlichen Ozean ist ein Wunder der Natur; meine Vorredner
sind darauf eingegangen. Noch schützt sich das Weddellmeer durch einen natürlichen Panzer von Schelf-, Pack- und Treibeis weitgehend selbst. Doch
Fischfangflotten schielen bereits jetzt auf die reichen Vorkommen an Krill und Riesen-Antarktisdorsch; der wurde hier noch nicht genannt. Deshalb unterstützt
die AfD grundsätzlich die Unterschutzstellung des Weddellmeeres.
({0})
2021 und 2022 waren auch für das Weddellmeer ereignisreiche Jahre. Deutsche Polarforscher haben dort mit 60 Millionen Eisfischnestern auf
240 Quadratkilometern das größte Fischbrutgebiet der Welt entdeckt. Zudem starb vor 100 Jahren der britische Polarforscher Ernest Shackleton, der dort mit der
„Endurance“ 1915 Schiffbruch erlitt. 100 Jahre nach seinem Tod wurde das Wrack nun wiederentdeckt.
Aus diesen Gründen scheint die Gelegenheit eigentlich günstig, das Weddellmeer endlich unter Schutz zu stellen. Ab dem 24. Oktober 2022 tagt die
Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis; es ist jetzt der sechste Anlauf für eine Unterschutzstellung.
Doch die Antragsteller SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP glauben selbst nicht wirklich daran, dass der Antrag der Europäischen Union auf
Unterschutzstellung des Weddellmeeres erfolgreich sein wird. Sie glauben zu Recht nicht daran. Die Beschlüsse der Kommission erfordern Einstimmigkeit. Die
Forderung der Antragsteller, eine möglichst breite Zustimmung zu erreichen, reicht demnach für die Unterschutzstellung nicht aus. Die Forderung der
Antragsteller, auf höchster diplomatischer Ebene alle Gesprächskanäle offenzuhalten, wirkt wie blanker Hohn, wenn man weiß, dass die Gegner dieses Antrags
ausgerechnet die Volksrepublik China und die Russische Föderation sind.
Der Bundeskanzler setzt ohnehin andere Prioritäten. Statt mit dem chinesischen Staatspräsidenten über die Unterschutzstellung des Weddellmeeres zu
verhandeln, möchte ausgerechnet der ehemalige Erste Bürgermeister von Hamburg den Hamburger Hafen an einen chinesischen Staatskonzern verhökern, und das gegen
den Willen aller zuständigen Bundesministerien.
({1})
Anschaulicher kann man sein Desinteresse an der Naturschutzpolitik und am Wohl des eigenen Landes sowie des eigenen Volkes nicht verdeutlichen.
Mit dem Ausschluss von Russland aus der Gruppe der 7, den Wirtschaftssanktionen sowie den Waffenlieferungen an die Ukraine war die Bundesregierung
stets bemüht, jedes noch so zarte Pflänzchen aufkeimender Gespräche mit Russland zu zertrampeln. Fakt ist: Auch wegen ihrer Außenpolitik ist die
Unterschutzstellung des Weddellmeeres leider schwieriger geworden.
({2})
China und Russland habe bereits bei der 40. Jahrestagung verdeutlicht, dass sie die im Antrag geforderten großflächigen Nullnutzungszonen ablehnen.
Allerdings hält die Europäische Union in ihrem Antrag weitgehend daran fest. Die Unterschutzstellung des Weddellmeers kann jedoch nicht gegen, sondern nur
gemeinsam mit China und Russland gelingen. Im Unterschied zu Deutschland nehmen die bevölkerungsreichen Länder China und Russland die Gewährleistung der
Ernährungssicherheit ernst. Im Weddellmeer geht es eben nicht nur um ökologische, sondern auch um ökonomische Interessen. Deswegen sollten wir alle unseren
ökologischen Imperativ dringend ablegen.
({3})
Das ist auch deswegen bemerkenswert, weil die Bundesregierung in der Ferne strengere und in der Heimat lockere Maßstäbe anlegt. Während die
Bundesregierung vor der eigenen Haustür die Nord- und Ostsee mit dem Ausbau von Windkraftanlagen zum Industriegebiet erklärt, setzt sie sich am anderen Ende der
Welt, im Weddellmeer, für die Unterschutzstellung mit großflächigen Nullnutzungszonen ein.
({4})
Das, werte Kolleginnen und Kollegen, grenzt nun einmal an naturschutzpolitische Heuchelei.
({5})
Ihr Antrag ist also ein Schaufensterantrag. Er verfolgt zwar das richtige Ziel, ist aber zum Scheitern verurteil und misst zudem mit zweierlei Maß.
Wir stimmen ihm dennoch zu.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Olaf in der Beek, FDP-Fraktion.
({0})
Ich will immer „Präsidentin“ sagen.
Herr Kollege, Sie dürfen mich auch mit „Frau Präsident“ anreden. Das ist kein Problem.
Nein, das würde ich natürlich nicht machen, Herr Präsident. – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident! In den Tiefen des
Weddellmeers schlummert eines der faszinierendsten und einzigartigsten Ökosysteme unseres Planeten. Das müssen wir uns immer und immer wieder ins Gedächtnis
rufen, wenn wir über den Schutz der Ozeane reden.
Doch wer es ernst meint mit dem Klima und der Natur, der muss die Meere in den Fokus rücken. Der Zustand unserer Ozeane ist nicht nur in Gefahr, er
ist hochgradig kritisch. Deshalb freue ich mich, dass wir trotz der krisenhaften Zeiten auch dieses Thema hier im Deutschen Bundestag diskutieren. Es ist ein
starkes Zeichen, dass wir so geschlossen und parteiübergreifend für dieses Ziel einstehen.
Dennoch – so ehrlich müssen wir sein –: Es ist ernüchternd, dass dies nach wie vor notwendig ist. Wenn wir über den internationalen Meeresschutz im
Allgemeinen und den Schutz des Weddellmeeres im Speziellen reden, dann reden wir auch zwangsläufig über Politik und Diplomatie. Natürlich, liebe Kolleginnen und
Kollegen, es könnte so einfach sein – ist es aber nicht. Die internationale Meerespolitik ist hochkomplex und diplomatisch aufgeladen. Aufgrund der
komplizierten Rechtslage und der Zuständigkeiten auf hoher See ist beim Meeresschutz eine intensive internationale Zusammenarbeit notwendig; das gilt nicht nur,
aber auch für die Einrichtung von Schutzgebieten.
Umso wichtiger wäre es nun, dass Deutschland sich hier klar positioniert und den Schutz des Weddellmeeres einfordert. Internationaler Klimaschutz geht
nicht ohne Meeresschutz, und internationaler Meeressschutz ist auch immer Diplomatie.
Dass die Meere und deren Schutz einen höheren Stellenwert in der internationalen Politik einnehmen müssen, sollte die außenpolitische Maßgabe unserer
Bundesregierung für die anstehenden Verhandlungen sein. Und das ist sie auch. Wie wir bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben, wird sich diese
Regierung deutlich mehr als zuvor für die Belange unserer Ozeane einsetzen.
({0})
Wenn wir eine echte Meeresoffensive wollen, dann reicht es nicht, wenn wir uns nur um Nord- und Ostsee kümmern. Es kann nicht sein, dass China und
Russland seit Jahren den effektiven Schutz der Meere blockieren. Und ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, mancher mag sagen, es gebe zurzeit wichtigere Themen.
Aber Krieg und Energiekrise dürfen nicht dazu führen, dass wir andere Herausforderungen unseres Planeten aus dem Blick verlieren. Denn wenn wir das Klima
schützen wollen, geht das nicht ohne konsequenten Schutz unserer Meere.
({1})
Und ja, die Unterschutzstellung des Weddellmeeres hat auch Symbolcharakter. Denn es braucht generell eine Offensive für die Meere. Im Sinne unserer
Ozeane setzen wir uns für die nachhaltige Nutzung und den Schutz ein. Beides sollten wir zusammen denken und nicht gegeneinander ausspielen. Deshalb ist es
neben der Nutzung der Meere eben auch wichtig, dass wir der Meeresnatur Räume geben, in denen sie sich geschützt vor externen Eingriffen entfalten kann.
Dass die Meerespolitik in dieser Koalition eine besondere Rolle spielt, haben wir auch schon daran gesehen, dass wir mit der „Polarstern II“ ein neues
Forschungsschiff finanzieren werden. Das kostet viel Geld, aber es ist gut angelegtes Geld. Denn wenn wir Klima- und Meeresschutz ernst nehmen wollen, dann
müssen wir auch mehr Forschung betreiben. Die Meere müssen besser geschützt werden, und wir müssen einfach mehr über die Meere wissen.
({2})
Dabei geht es natürlich auch um Biodiversität. Denn neben dem Klimawandel ist der Verlust der Artenvielfalt die größte ökologische Herausforderung
unserer Zeit. Der Schutz des Weddellmeeres wäre dabei nicht nur ein wichtiger Schritt für den Erhalt der Meeresnatur, sondern auch ein Zeichen für die
internationale Klima- und Umweltpolitik.
Noch etwas zum Schluss: Ich finde, wir sprechen in diesem Hohen Hause viel zu selten über die Ozeane.
({3})
Wenn wir unserer Verantwortung gegenüber unserem Planeten gerecht werden wollen, dann muss sich auch unser Bewusstsein für die Meere ändern.
({4})
Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Meere sind nicht alles, aber ohne unsere Meere ist alles wirklich nichts.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege in der Beek. – Da Sie nicht der Einzige sind, der seine Rede mit „Frau Präsidentin!“ beginnen wollte, kann ich nur sagen:
Die statistische Wahrscheinlichkeit ist auf Ihrer Seite – 83 Prozent Wahrscheinlichkeit, dass hier eine weibliche Präsidentin sitzt, gegen 16 Prozent
Wahrscheinlichkeit, dass es ein männlicher Präsident ist. Aber die Wirklichkeit holt Sie gelegentlich ein.
Nächster Redner ist der Kollege Ralph Lenkert, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Zum wiederholten Male fordert der Deutsche Bundestag, das Weddellmeer unter Schutz zu
stellen. Dieses einzigartige Meeresgebiet – größer als das Mittelmeer, gelegen zwischen Antarktischer Halbinsel und Ostantarktika – muss zum Schutz der
Kaiserpinguine, vieler Walarten, der Sturmvögel, des Antarktischen Seehechtes und des Krills erhalten bleiben.
({0})
Jahrhundertelang schützten Kälte und Sturm das Weddellmeer vor menschlicher Ausbeutung. Die Erderwärmung und der technische Fortschritt machen eine
wirtschaftliche Ausbeutung des Weddellmeers möglich, und es drohen schwere Schäden an diesem empfindlichen Lebensraum. Niemand soll die Fischgründe ausbeuten
oder die Rohstoffe vom Grunde fördern.
({1})
Wir stehen in der Pflicht, das Weddellmeer für unsere nachfolgenden Generationen zu erhalten, und deshalb unterstützt Die Linke erneut diesen
Antrag.
({2})
Aber dieser Antrag allein wird das Weddellmeer nicht retten, und es wird nicht reichen, Russland und China die Schuld am Scheitern des
Meeresschutzvertrages vorzuhalten, weil der letzte Versuch am Veto Russlands und Chinas scheiterte.
Kolleginnen und Kollegen, es ist auch der europäische Rohstoffhunger, der weltweit Natur- und Umweltzerstörung verursacht. 23 Prozent des nach
Deutschland importierten Zellstoffs stammen aus Brasilien – das ist jede vierte Küchenrolle –, und dafür wird Amazonas-Regenwald zerstört. Für Kobalt leiden
Menschen und Flüsse in Zentralafrika, für Lithium wird die Natur in Südamerika geopfert, für Zuchtlachs wird schon heute der Krill in der Antarktis
gefangen.
Nur wenn wir, die westliche Welt, unsere eigene Lebensweise ändern, nur dann werden andere Länder bereit sein, sich am Schutz der Natur und eben auch
am Schutz des Weddellmeers zu beteiligen.
({3})
Deshalb sind regionale Wertschöpfung, lange Lebensdauer und Reparierbarkeit von Produkten, eine sinnvolle Kreislaufwirtschaft und eine deutliche
Reduzierung von Wegwerfprodukten so enorm wichtig.
({4})
Damit erreichen wir Klima- und Umweltschutz schon vor internationalen Übereinkommen, und das fordert Die Linke.
({5})
Kolleginnen und Kollegen, wenn es Ihnen wirklich ernst ist mit dem Schutz des Weddellmeeres, des Regenwaldes, der Artenvielfalt, dann stellen Sie mit
uns die hiesige Wirtschaft endlich auf nachhaltiges Wirtschaften um.
Und: Die Linke fordert, 30 Prozent der deutschen Meeresgebiete unter Schutz zu stellen und mindestens in der Hälfte der Meeresschutzgebiete endlich
jede Nutzung zu beenden.
({6})
Denn mit Vorbild im eigenen Hoheitsgebiet wird das Fordern internationaler Übereinkommen glaubwürdiger. Ein besserer Meeres- und Artenschutz in Nord-
und Ostsee unterstützt die Verhandlungen zum Weddellmeer noch besser als ein Antrag des Bundestages.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank, Herr Kollege. – Die schleswig-holsteinische Kollegin Astrid Damerow, CDU/CSU-Fraktion, hat ihre Rede zu Protokoll gegeben, was ich
ausdrücklich lobend erwähnen will.
({0})
Vom Norden lernen heißt, siegen lernen, Astrid. So ist das eben.
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Dr. Franziska Kersten, SPD-Fraktion.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Als ich mitbekam, dass wir diese Woche einen Antrag zum Weddellmeer debattieren, musste
ich sofort an meinen Großcousin denken, der als Physiker am Alfred-Wegener-Institut genau zum Weddellmeer forscht. Das, was er mir von seinen Reisen in die
Antarktis erzählt hat, hat mich extrem fasziniert: Reisen in nahezu unberührte, weil sehr unzugängliche Regionen, das Eis, die vielen verschiedenen Tiere,
Erkenntnisse über die Geschichte unserer Erde, die man an meterlangen Bohrkernen nachvollziehen kann. Auch in der heutigen Debatte ist sehr klar geworden, was
das Weddellmeer so besonders macht. Ich möchte die wichtigsten Punkte noch einmal zusammenfassen:
Das Meeresökosystem Weddellmeer ist eine der letzten nahezu unberührten Regionen der Welt und macht ungefähr 10 Prozent unserer Weltmeere aus. Es ist
bekannt für seine herausragende Artenvielfalt, die auf den hohen Krill- und Fischvorkommen basiert.
Allein schon auf dem Grund des Weddellmeeres leben rund 14 000 verschiedene Tierarten, die teilweise nirgendwo anders zu finden sind, zum Beispiel
Glasschwämme und Kaltwasserkorallen, über die Hälfte der Gesamtpopulation einzelner Großvögel wie Kaiserpinguine und Sturmvögel sowie sechs Robbenarten und
zwölf Walarten.
Gleichzeitig ist das Weddellmeer auch wichtig für unser Klima: Unsere Meeresökosysteme speichern über ein Viertel der menschengemachten
CO2-Emissionen, sind Sauerstoffproduzenten und Klimaregulierer. Diese beiden Aspekte, Biodiversität und Klimaschutz, hängen direkt zusammen.
Am besten sieht man es am Beispiel der Wale, die sich von Plankton ernähren. Durch ihre Ausscheidungen verbessern sie dann die Nährstoffbasis für
Algen, die beim Wachsen wiederum CO2 aufnehmen. Diese Algen sind dann gleichzeitig Nahrung für andere Arten und Klimaregulierer.
Schützen wir die Meeresökosysteme und die Artenvielfalt im Weddellmeer nicht, werden wichtige Ökosystemleistungen zerstört und wird auch unser
Überleben gefährdet. Und der Schutz des Ökosystems Weddellmeer ist heute dringender denn je. Schon 2012 haben Forscher des AWI festgestellt, dass das Schelfeis
des Weddellmeeres, das bisher als stabil galt, im Zuge von Klimaveränderungen schneller schmilzt als bisher angenommen. Durch den Klimawandel wird diese bisher
fast unzugängliche Region voller Packeis also auf einmal Ziel von Fischfangflotten und anderen Begehrlichkeiten. Am Nordpol sehen wir ja jetzt schon, wie da um
Rohstoffe konkurriert wird. Die Zeit, zu handeln, ist jetzt!
({0})
Die internationale Staatengemeinschaft hat sich darauf geeinigt, 30 Prozent der Ozeane bis 2030 unter Schutz zu stellen. Aktuell sind aber nur circa
7 Prozent der Weltmeere unter Schutz gestellt und lediglich 2 Prozent streng geschützt, das heißt ohne schädliche menschliche Nutzung. Mit Ausweisung eines
Schutzgebietes im Weddellmeer würden wir diesem Ziel einen großen Schritt näherkommen und auf einer Fläche von circa 2,2 Millionen Quadratkilometern das größte
Meeresschutzgebiet weltweit erschaffen. Damit bliebe das Weddellmeer auch als wichtiger Ort für die Forschung erhalten, ob nun vom Alfred-Wegener-Institut oder
auch von anderen Einrichtungen. Wir brauchen möglichst viel Wissen über unsere Welt, um dem Klimawandel begegnen zu können.
Ich hoffe deshalb sehr, dass sich bei der Sitzung der Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis nächste Woche endlich Bewegung
in den Verhandlungen abzeichnet und wir sechs Jahre nach Antragstellung endlich das Schutzgebiet einrichten können. Denn unsere Meere dürfen nicht als
unerschöpfliche Ressource betrachtet werden, sondern als großer Wert, den wir nicht einfach verbrauchen und zerstören dürfen. Das schulden wir nicht zuletzt den
zukünftigen Generationen.
Vielen Dank.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in den letzten Tagen viel über die Energiepreiskrise gesprochen – zu Recht –, aber noch zu wenig
über die Mietenkrise. In Salzgitter stiegen die Mieten in einem Jahr um 13 Prozent, in Rostock um 12 Prozent. Deshalb stellen wir als Linke heute unser
„Krisenpaket Miete“ vor.
({0})
Was tut die Bundesregierung? Es gibt Heizkostenzuschuss und Wohngeldreform. Ja, aber es bekommen eben nicht alle Menschen Wohngeld. Zweitens muss man
aufpassen, den Energieriesen und Wohnungskonzernen wie Vonovia nicht auch noch Steuergeld in den Rachen zu werfen.
({1})
Deshalb brauchen wir einen bundesweiten Mietenstopp. Dafür kämpft der Mieterbund, dafür kämpfen viele Initiativen seit vielen Jahren. Das hat die SPD
im Wahlkampf auch unterstützt. Olaf Scholz und Sie, Herr Kühnert, tönten: Wir wollen den bundesweiten Mietenstopp. – Und jetzt? Außer Spesen nichts gewesen. Im
Koalitionsvertrag kein einziges Wort dazu. Ein bundesweiter Mietenstopp wäre auch das beste Mittel gegen Inflation; denn die geht zu einem erheblichen Teil auf
gestiegene Wohnkosten zurück.
({2})
Das bringt mich zu unserem zweiten Antrag. Indexmieten steigen automatisch mit der Inflation. Ein Plus von 10 Prozent kann sich doch kein Mensch
leisten. Auch bei diesen Verträgen muss ein Mietenstopp gelten.
({3})
Die Immobilienbranche wittert natürlich ihre Chance. Die Mietervereine berichten, dass bis zu 90 Prozent der neuen Mietverträge als Indexmietverträge
abgeschlossen werden.
({4})
Das darf nicht sein. Bei dieser Inflation müssen Indexmietverträge verboten werden.
({5})
Zum dritten Antrag. Bauministerin Geywitz sagte in den Medien mehrfach, das Kündigungsrecht müsse geändert werden. Das finde ich auch. Schon seit
Jahren ist es ein Problem, dass Mieterinnen und Mieter, die Mietschulden haben, sie aber rechtzeitig begleichen, trotzdem ordentlich gekündigt werden können.
Wir als Linke sind mit Anträgen dagegen mehrfach gescheitert. Aber jetzt, angesichts dieser Krise, ist das wirklich ein Pulverfass. Hunderttausende werden diese
Kostenexplosion nicht tragen können. Aber niemand darf wegen dieser Energiepreiskrise seine Wohnung verlieren.
({6})
Deswegen: Kündigungen müssen in der Krise verboten werden. Zwangsräumungen müssen ausgesetzt werden. Das haben wir in der Coronakrise doch auch
geschafft.
({7})
Aber leider geht es nicht voran, und ich höre immer, die FDP sei daran schuld. Nun habe ich keinen Zweifel daran, dass die FDP fest an der Seite der
Immobilienlobby steht. Ich meine, eine Minimietrechtsreform, wie sie im Koalitionsvertrag steht, ist in weiter Sicht. Jetzt blockieren Sie auch noch eine
gerechtere Verteilung des CO2-Preises. Aber auch beim Vorkaufsrecht, für das die SPD zuständig ist, geht es nicht voran. Ich frage mich, warum sich SPD und
Grüne immer wieder von der FDP die Hosenträger langziehen lassen.
({8})
Meine Damen und Herren, das ist unser „Krisenpaket Miete“. Ich bitte um Zustimmung. Das Wohnopoly muss beendet werden.
Vielen Dank.
({9})
Vielen Dank, Frau Kollegin Lay. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Zanda Martens, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Liebe Mieterinnen und Mieter! Ich freue mich sehr, dass
wir heute zum ersten Mal in dieser Legislatur über das Thema „Miete und Mietrecht“ debattieren. Noch mehr freue ich mich auf den angekündigten Gesetzentwurf des
zuständigen Bundesjustizministers Buschmann, in dem all die wichtigen mietrechtlichen Fragen geregelt wären, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben.
Mietpreisbremse, Kappungsgrenze, Mietspiegel, ein soziales Mietrecht – all das wollen wir, die Ampelkoalition, im Sinne der Mieterinnen und Mieter
verbessern. Angesichts der drängenden Probleme auf dem Mietmarkt muss das Gesetz jetzt zügig auf den Weg gebracht werden. Das haben wir dem
Bundesjustizministerium in verschiedenen Gesprächen nachdrücklich klargemacht. Ich hoffe, dass der Druck, den die Mieterinnen und Mieter spüren, wirklich
angekommen ist und wir Abgeordnete uns zeitnah an die Arbeit machen können mit einem konkreten Gesetzentwurf aus dem Justizministerium.
({0})
Bis es dazu kommt, greife ich heute dankend die Chance auf, die uns Die Linke mit ihren drei Anträgen zum Thema Miete bietet. Vieles davon und noch
mehr wird unser Gesetzentwurf behandeln, den wir demnächst hier im Plenum debattieren werden, und zwar genau mit dem Ziel, das Sie mit Ihren Anträgen anstreben,
nämlich Mieterinnen und Mieter vor den immer weiter steigenden Mieten und vor dem Verlust ihrer Wohnung zu schützen.
Was die Mieterinnen und Mieter aber heute noch mehr umtreibt und belastet als steigende Kaltmieten, sind die explodierenden Betriebskosten für Heizung
und Warmwasser.
({1})
Die einen müssen schon jetzt Abschläge zahlen, die sich verdoppelt oder verdreifacht haben, und die anderen haben Angst vor hohen Nachzahlungen, die
selbst für eine Mittelstandsfamilie nicht mehr zu wuppen sind mit der Folge, dass man schlimmstenfalls nach einer Kündigung des Mietvertrags auf der Straße
landet. Deshalb stelle ich als Berichterstatterin für das Thema Mietrecht in der SPD-Bundestagsfraktion fest: Die Gas- und Wärmepreisbremse sowie die
vorgeschalteten Einmalzahlungen müssen sofort, direkt und spürbar auch die Mieterinnen und Mieter entlasten. Sie dürfen nicht erst einem Betriebskostenkonto
gutgeschrieben werden oder den Mieterinnen und Mietern erst mit der nächsten Jahresabrechnung zugutekommen. Deshalb müssen bereits gezahlte höhere
Abschlagszahlungen entsprechend gekürzt und auch zukünftige Abschlagszahlungen aufgrund der Gas- und Wärmepreisbremse berechnet werden. So muss eine schnelle
und effektive Entlastung der Mieterinnen und Mieter aussehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Viele leiden schon jetzt unter den drastisch erhöhten Preisen für Gas und Wärme und haben auch noch hohe Betriebskostennachzahlungen aus dem Jahr 2022
zu erwarten. Der von der ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme vorgeschlagene Soforthilfefonds zum Schutz von Mieterinnen und Mietern sowie Eigentümerinnen und
Eigentümern sollte deshalb auch in den Fällen greifen, in denen die Mieterinnen und Mieter trotz staatlicher Einmalzahlungen und trotz Gas- und Wärmepreisbremse
die Betriebskostennachzahlungen nicht leisten können. Diese Menschen sind von einer Kündigung des Mietverhältnisses bedroht. Dazu darf es in Deutschland nicht
kommen, nicht, weil man die Betriebskosten nicht bezahlen kann.
Mit der Gaspreisbremse erreichen wir also genau das, was Die Linke mit zwei Ihrer Anträge beabsichtigt, nur anders und zielgerichteter, weil wir
direkt dort ansetzen, wo es momentan für Millionen Haushalte am schmerzhaftesten ist: bei den Heizkosten.
Ihr dritter Antrag betrifft die Indexmietverträge, also Mietverträge, bei denen die Mieterhöhungen anhand der prozentualen Steigerung der Inflation
berechnet werden. Sie sagen es in Ihrem Antrag selbst: Das war lange Zeit eine für Mieterinnen und Mieter sowie für Vermieterinnen und Vermieter geeignete, weil
sichere, Vertragsvereinbarung, die die Mietanpassungen für beide Seiten transparent und eindeutig regelte. Ja genau, das war der Fall. Indexmietverträge
brachten Vorteile für beide Vertragsparteien, bis die Inflationsrate – vor allem in den letzten Monaten – dramatisch stieg und zuletzt 10 Prozent erreichte. Das
heißt: Ja, wir müssen handeln, aber doch nicht gleich die Indexmieten abschaffen. Damit würden Sie ein ausgesprochen mieterfreundliches Instrument abschaffen,
das einen wirksamen Schutz vor willkürlichen Mietsteigerungen und Mietwucher bietet und im Übrigen die Mieterinnen und Mieter vor einer Umlage von
Modernisierungskosten schützt. Wenn das Problem bei Indexmietverträgen doch gerade darin liegt, dass der Index der Inflationsrate entspricht, dann müssen wir
dort ansetzen, um das Problem zu lösen, also den Index verändern, aber nicht die Indexmieten abschaffen. Möglich wäre hier zum Beispiel, anstatt auf die
Inflation auf den Nettokaltmietenindex abzustellen. Hier gibt es weiterhin nur moderate Steigerungen. Das wäre sowohl für Mieter/-innen als auch für
Vermieter/-innen eine sicher kalkulierbare, rechtssichere und auch leicht umsetzbare Lösung. Damit würden wir Transparenz, Sicherheit und Verlässlichkeit auch
für die Mieter/-innen sichern und gleichzeitig sicherstellen, dass die Mieten nicht so rasant steigen können.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt derzeit große unterschiedliche Bevölkerungsgruppen, denen wir zielgerichtet helfen und die wir unterstützen
müssen. Viele Mieterinnen und Mieter gehören sicherlich dazu. Wir haben ihre Probleme erkannt und arbeiten an gezielten, rechts- und treffsicheren Lösungen mit
der Unterstützung unseres Justizministers, Herrn Buschmann, an Lösungen, die die Probleme zielsicher lösen und nicht so wie nach dem vorliegenden Antrag der
Linken zur Indexmiete, mit dem die Situation noch verschlechtert würde. Knapp vorbei ist auch daneben.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nunmehr erhält das Wort der Kollege Dr. Jan-Marco Luczak, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gerne eine Sache an den Anfang stellen. Wir leben in einer wirklich
krisenhaften Zuspitzung. Viele Menschen haben existenzielle Angst, dass sie sich ihre Miete nicht mehr leisten können. Deswegen ist es natürlich absolut
richtig, dass wir hier im Deutschen Bundestag diese Sorgen, diese Nöte aufnehmen, dass wir uns darum kümmern und versuchen, den Menschen ihre Ängste zu nehmen.
Ich finde aber, wir müssen das schon seriös machen und vor allen Dingen auch konsequent in unseren Argumentationen sein.
Frau Kollegin von der SPD, Sie haben gerade gesagt: Es sind nicht allein die steigenden Kaltmieten, die die Menschen momentan belasten, sondern es
sind vor allen Dingen die sprunghaft angestiegenen Energiekosten. Das ist die „zweite Miete“, wie man sie zu Recht nennt. Dann finde ich es aber schon etwas
seltsam, dass Sie vonseiten der Ampel und speziell von der SPD nicht alles tun, damit die Nebenkosten eben nicht in diese Höhen steigen. Wir sind uns da auch
völlig einig: Es geht um die Gas-, aber vor allen Dingen auch um die Stromkosten.
Jetzt haben wir ein sogenanntes Machtwort des Kanzlers gehört, das erst mal kraftvoll daherkommt, aber im Kern eigentlich nur bedeutet, dass ein
einzelnes Atomkraftwerk ganze 15 Wochen weiterlaufen darf – 15 Wochen. Das trägt nicht dazu bei, dass die Versorgungssicherheit in unserem Land gesichert wird.
Das trägt – mit Blick auf unser Thema – vor allen Dingen aber auch nicht dazu bei, dass wir die Stromkosten wirklich nachhaltig in den Griff bekommen.
({0})
Wir haben doch Studien, die ganz deutlich zeigen: Wenn wir die Kernkraftwerke bis 2024 weiterlaufen lassen, dann würde der Strompreis um bis zu
12 Prozent reduziert werden. Das wäre eine wirkliche Entlastung.
({1})
Dazu hat der Kanzler, dazu hat die Ampel aber nicht die Kraft gehabt. Deswegen ist es absolut widersprüchlich, was Sie sagen.
({2})
Wir als Union sind sehr dafür, dass man den Menschen hilft.
({3})
Deswegen haben wir zum Beispiel beim Heizkostenzuschuss – darüber haben wir in dieser Woche im Plenum beraten – als Union zugestimmt. Es ist richtig,
den Menschen ganz direkt und unmittelbar zu helfen.
({4})
Der Heizkostenzuschuss ist der erste Baustein für diese direkten Hilfen. Der zweite große Baustein wird die Wohlgeldreform sein, angekündigt als die
größte Wohngeldreform seit Jahrzehnten.
({5})
– Klatschen Sie da mal nicht zu früh! Wir haben jetzt Mitte Oktober. Und wo sind wir denn in dieser Debatte?
({6})
Wir haben einen Gesetzentwurf. Wir haben noch keine Anhörung dazu gemacht.
Wenn wir mit denjenigen sprechen, die es am Ende umsetzen müssen, nämlich den Kommunen, dann sagen die uns, sie seien im August dieses Jahres das
erste Mal auf diese größte Reform angesprochen worden. Es ist überhaupt kein Personal vorhanden, es ist keine IT-Infrastruktur vorhanden, es sind keine Büros
vorhanden, um den Menschen dieses Wohngeld am Ende zuteilwerden zu lassen. Was Sie machen, wird grandios scheitern. Ihre eigene Gaspreiskommission sagt: Das
wird niemals zum 1. Januar in Kraft treten können, sodass das Geld dann bei den Menschen ankommt, sondern man braucht wahrscheinlich über viele Monate noch
andere Maßnahmen. – Sie sind viel zu spät. Wir als Union haben bereits im März beantragt, dass wir das machen müssen. Sie müssen schneller sein. Sie müssen
zügiger handeln. Und Sie müssen konsequenter handeln. All das fehlt Ihrer Politik, meine Damen und Herren.
({7})
Jetzt will ich aber schon noch etwas zu den Anträgen der Linken sagen.
({8})
Sie haben hier ja ganz viele Dinge vorgeschlagen; aber im Wesentlichen schlagen Sie einen Mietenstopp für sechs Jahre vor.
({9})
Das ist meines Erachtens ein bisschen seltsam. Sie scheinen einen sehr pessimistischen Blick auf das zu haben, was gerade in der Ukraine passiert,
dass Sie davon ausgehen, dass die krisenhafte Situation, dass dieser Angriffskrieg noch weitere sechs Jahre andauert.
({10})
Ich kann Ihnen nur raten: Vielleicht verändern Sie einfach mal Ihre Politik. Stimmen Sie dafür, dass man die Ukraine mit schweren Waffen unterstützt,
und reden Sie vielleicht auch mal mit Ihrem Freund im Kreml, dem Putin!
({11})
Vielleicht geht es dann ein bisschen schneller. Dann brauchen wir auch nicht sechs Jahre Mietenstopp, meine Damen und Herren.
({12})
Zur Sache. Was schlagen Sie in der Sache vor? Sie schlagen vor allen Dingen vor, dass der Mietenstopp auch ein Verbot von
Modernisierungsmieterhöhungen beinhalten soll. Wir haben ja zwei große Krisen. Was wir nicht vergessen dürfen, ist, dass wir unsere Klimaschutzziele alle
miteinander einhalten wollen. Und Sie selber haben einen entsprechenden Antrag auf Ihrem Bundesparteitag beschlossen: Die Sanierungsrate muss sich
verdreifachen, und zwar mindestens verdreifachen.
({13})
Das haben Sie auf Ihrem Bundesparteitag beschlossen. Und jetzt schlagen Sie uns hier im Plenum des Deutschen Bundestages vor, dass man
Modernisierungsmieterhöhungen nicht mehr machen darf, was bedeuten würde, dass all das, was wir benötigen, um CO2 einzusparen, um den Bestand energetisch zu
modernisieren, in keiner Weise mehr wirtschaftlich machbar ist. Das ist pure Ideologie, was Sie machen. Das ist widersprüchlich, und das kann nur abgelehnt
werden, meine Damen und Herren.
({14})
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lay von der Fraktion Die Linke?
Immer sehr gerne, Frau Lay. Sie wissen das.
Das verlängert auch Ihre Redezeit beachtlich.
({0})
Herr Kollege Luczak, ich freue mich wirklich ausgesprochen, dass Sie die Anträge unseres Bundesparteitages so intensiv studiert haben. Vielleicht
kann man dabei auch noch was lernen.
({0})
Ich will Sie eines fragen: Wir kennen uns schon sehr lange, und Sie verfolgen ja auch die Anträge, die wir hier im Bundestag stellen. Daher wissen Sie
sicherlich auch, dass wir hier im Bundestag schon immer gesagt haben: Die Modernisierungsumlage ist das falsche Instrument, um den Gebäudebestand klimaneutral
auszugestalten, weil die Mieterinnen und Mieter sie alleine zahlen. Die Modernisierungsumlage ist eine Einladung zu einer möglichst teuren und ineffektiven
Sanierung, weil sie am Ende des Tages nichts anderes darstellt als eine Möglichkeit zur legalen Mieterhöhung jenseits von Mietenspiegel und Mietpreisbremse. Das
ist die Lage. Stimmen Sie mir also zu, dass die Modernisierungsumlage das falsche Instrument ist? Was wir stattdessen brauchten, wäre eine angemessene und
effektive öffentliche Förderung und eine gerechte Kostenverteilung, die dafür sorgt, dass die Mieterinnen und Mieter die Kosten für die Sanierung nicht alleine
tragen.
({1})
Liebe Frau Kollegin Lay, was Ihre Anträge auf dem Bundesparteitag anbelangt: Die lese ich in der Tat zuweilen.
({0})
Lernen tue ich dadurch meistens wenig. Aber ich kriege Kopfschmerzen davon, und das liegt vor allen Dingen an den Inhalten, die den sozialistischen
Geist der vergangenen Jahrzehnte atmen. Damit kann ich herzlich wenig anfangen.
({1})
Das spiegelt sich aber auch in den Anträgen, die Sie hier eingebracht haben, wider.
Aber Sie haben mich gefragt, ob die Modernisierungsumlage das richtige oder das falsche Instrument ist. Ich bin sehr dafür, dass man die gewaltigen
Aufgaben angesichts der Herausforderungen, die vor uns liegen, zum Beispiel, wenn es darum geht, den Gebäudebestand energetisch zu sanieren, damit wir unsere
Klimaschutzziele auch wirklich erreichen, möglichst breit streut. Deswegen finde ich dieses Förderchaos, das die Ampel in einem Jahr betrieben hat – BEG,
KfW-Förderung abschaffen, dann war die Förderung wieder da, um gleich wieder zu verschwinden; da ging es um den Neubau, aber das hängt ja alles miteinander
zusammen –, falsch.
({2})
Wir brauchen eine klare und verlässliche Förderkulisse, damit es Investitionssicherheit und Planungssicherheit gibt.
({3})
Sonst kommen wir mit der energetischen Modernisierung nicht voran.
({4})
Ich will an dieser Stelle noch etwas anderes sagen. Ich weiß nicht, ob Sie das auch auf dem Bundesparteitag beklagt haben. Ich habe aber von vielen
Kolleginnen und Kollegen hier im Deutschen Bundestag gehört, dass sie beklagen, dass das Ziel der Ampel, 400 000 Wohnungen in diesem Jahr zu bauen – 100 000
davon sollen ja Sozialwohnungen sein –, nicht erreicht wird. Wir haben gesagt: Wir teilen dieses Ziel. Der Bedarf ist groß, er ist wahrscheinlich sogar noch
höher. Dafür muss man dann aber auch die richtigen Rahmenbedingungen schaffen.
({5})
Jetzt will ich meine Zeit gar nicht darauf verwenden, zu sagen, was ich von dem „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ halte, dessen Ergebnis aus meiner Sicht
außerordentlich ernüchternd, um nicht zu sagen: enttäuschend ist, weil auf 67 Seiten mehr oder weniger nur Formelkompromisse und Prüfaufträge niedergelegt
worden sind. Da steht viel zu wenig Konkretes, viel zu wenig, was in die Umsetzung geht.
({6})
Was mir aber wichtig ist: Was schaffen Sie damit, wenn Sie hier Anträge wie „Mietenstopp“ und vieles andere mehr einbringen? Sie schaffen damit doch
vor allen Dingen ein investitionsfeindliches Klima.
({7})
All diejenigen, die Geld für den Neubau, aber auch für die energetische Sanierung in die Hand nehmen wollen, schrecken Sie damit ab. Das wird am Ende
nicht funktionieren. Wir müssen einen Ausgleich zwischen den Interessen von Vermietern, von Eigentümern und Mieterinnen und Mietern schaffen. So wie Sie es
machen, immer nur eine Gruppe einseitig zu bevorzugen und völlig zu vergessen, dass es auch viele private Kleinvermieter gibt, wird das nichts. Das ist
Populismus, das ist Ideologie, und das lehnen wir als Union ab, meine Damen und Herren.
({8})
Vielen Dank, Herr Kollege Luczak. – Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Canan Bayram, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mal sagen:
({0})
Das Thema Miete und das Problem der Mieter/-innen ist ja nicht neu. In meinem Wahlkreis, in Friedrichshain-Kreuzberg, sind seit Jahren viele Menschen
neben all ihren alltäglichen Aufgaben, die sie haben, damit beschäftigt, zu protestieren, sich zu organisieren, dafür zu sorgen, dass ihre Wohnung, dass ihre
Häuser vor Spekulationen gerettet werden. Eigentlich wären wir jetzt in der Situation gewesen, Instrumente auf den Weg zu bringen, die diese Mieterinnen und
Mieter schützen. Aber die Krise im Energiebereich, die wir aufgrund dieses Angriffskrieges haben, verschärft die schon bestehende Mietenkrise weiter. Das heißt
für uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns noch mehr anstrengen müssen, um die Mieterinnen und Mieter zu schützen.
({1})
Wir haben dafür einige Instrumente vorgesehen. Wir haben uns zum Beispiel darauf geeinigt, dass wir die Mietpreisbremse verlängern und nachschärfen
wollen.
({2})
Das ist ein Instrument, mit dem wir die Neuvermietungen so aufstellen wollen, dass die Preise nicht ansteigen, und wir müssen darauf achten, dass es
in seiner Wirksamkeit gestärkt wird.
Dann haben wir uns darauf geeinigt, dass die Kappungsgrenze abgesenkt wird. Derzeit ist im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt, dass die Miete innerhalb
von drei Jahren bis zu 20 Prozent erhöht werden kann. In besonderen Wohnsituationen wie zum Beispiel im Land Berlin, wo es eine Wohnungsknappheit gibt, kann man
diese Kappungsgrenze auf 15 Prozent absenken. Wir haben uns als Ampel darauf geeinigt, dass wir die Kappungsgrenze auf 11 Prozent in drei Jahren absenken. Das
sind etwa 3,5 Prozent im Jahr; das entspricht einem Drittel der Inflation. Das ist eine Entlastung für die Mieterinnen und Mieter, meine Damen und Herren.
({3})
Diese Entlastung brauchen die Mieterinnen und Mieter ganz dringend. Ich bin zuversichtlich, dass wir den Gesetzentwurf bis zum Ende dieses Jahres hier
vorgelegt bekommen.
Ein weiteres Thema, das uns über viele Jahre beschäftigt hat, ist die sogenannte Schonfristzahlung. Es geht darum, dass, wenn aufgrund bestimmter
Schwierigkeiten eine Miete nicht rechtzeitig gezahlt wurde und der Vermieter das Mietverhältnis fristlos kündigt, die Zahlung dann aber geleistet wird, die
außerordentliche Kündigung geheilt, die ordentliche Kündigung aber nicht geheilt wird. Dazu muss ich sagen: Das ist kein Thema, das nur die Mieterinnen und
Mieter beschäftigt. Auch Richterinnen und Richter haben mich kontaktiert und gesagt: Frau Bayram, bitte sorgen Sie dafür, dass wir die Urteile nicht mehr
sprechen müssen, durch die Mieter/-innen ihre Wohnungen verlieren. – Auch das wollen wir in Angriff nehmen. Das haben wir im Zusammenhang mit dem
Entlastungspaket als Ampel vereinbart. Ich bin dem Koalitionspartner von den Freien Demokraten und dem Justizminister Herrn Buschmann dafür sehr dankbar, weil
wir auch damit Menschen in Not helfen, in ihren Wohnungen zu bleiben, meine Damen und Herren.
({4})
Ein weiteres Instrument, das gerade in meinem Wahlkreis, Friedrichshain-Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost, eine große Rolle spielt, ist das
Vorkaufsrecht. Wir brauchen das unbedingt. Wir können als Staat nicht auf das Vorkaufsrecht verzichten, und wir werden als grüne Fraktion auf allen Ebenen dafür
kämpfen. Darauf soll sich jeder einstellen.
({5})
Eines ist in dieser Debatte auch klar geworden: Wir sind in der Situation, dass die Mieten steigen. Die Klimaschutzziele sind wichtig; gleichzeitig
haben wir neben Corona die Energiekrise. Aber man darf es nicht so machen wie Frau Wagenknecht: Man darf nicht den Klimaschutz gegen die soziale Frage
ausspielen. Morgen wird in vielen Städten – unter anderem hier in Berlin – eine Demonstration unter dem Motto „Solidarischer Herbst“ stattfinden. Ich rufe Sie
alle auf, sich daran zu beteiligen; denn es muss doch klar sein: Wir werden die Mieter/-innen, wir werden das Klima nur schützen und die Krise bewältigen
können, wenn wir die Dinge zusammen angehen und gemeinsam kämpfen. Wir werden es nicht erreichen, wenn die eine Gruppe gegen die andere Gruppe ausgespielt wird,
meine Damen und Herren. Lassen Sie uns das gemeinsam anpacken!
({6})
Vielen Dank, Frau Kollegin Bayram. – Der nächste Redner ist der Kollege Roger Beckamp, AfD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
In der Literaturwissenschaft bezeichnet man eine immer wiederkehrende Erzählung als Topos. Ein Topos ist ein fest gefügtes, leicht wiederzuerkennendes
Muster, eine vertraute Geschichte: die böse Stiefmutter, der traurige Clown, die trügerische Ruhe …
({0})
So stand es vor ein paar Tagen in einem Beitrag der „FAZ“.
In linken Gedankenwelten nennt sich dieser Topos „heilsbringender Mietendeckel“. Konkret wünscht sich Die Linke hier und heute einen solchen
Mietenstopp für die nächsten sechs Jahre. Das Problem daran ist: Dieser fromme linke Wunsch widerspricht dem Grundgesetz der Ökonomie.
({1})
Es ist ganz einfach: Der Wert einer Sache bestimmt sich aus Angebot und Nachfrage. Wer versucht, seine schmutzigen Socken im Internet zu verkaufen,
wird feststellen, dass deren Wert gegen null tendiert.
Sozialisten haben häufig Schwierigkeiten, dieses Gesetz von Angebot und Nachfrage zu verstehen. Diese Schwierigkeiten hatte die SED schon immer, also
jene Partei, die heute hier diesen Antrag gestellt hat; sie nennt sich heute Die Linke.
({2})
Die Ergebnisse der Wohnungspolitik dieser Partei waren ein Desaster: 1989 wurden 65 Prozent aller DDR-Wohnungen mit Kohleöfen beheizt, 24 Prozent
hatten keine eigene Toilette, 18 Prozent hatten kein Bad, 40 Prozent der DDR-Mehrfamilienhäuser galten als schwer geschädigt,
({3})
11 Prozent waren gänzlich unbewohnbar, 200 Altstadtkerne in der DDR waren akut gefährdet. Die Devise hieß: Ruinen schaffen ohne Waffen.
({4})
Schon immer ist es dabei das Kalkül der Politiker, mit billigen Mieten politische Sympathien zu gewinnen. Dabei sind sie nur scheinbar billig; denn
die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben muss durch staatliche Subventionen ausgeglichen werden, oder der Markt stürzt ab. So auch beim letzten
Mietendeckelversuch in Berlin. Marxistisch ausgedrückt handelte es sich beim Vorzeigeprojekt des rot-rot-grünen Senats um Voluntarismus; denn die
Verantwortlichen stellten ihren Willen über die Realität. Wie so oft im Leben ist das schiefgegangen. Durch den Mietendeckel brach nämlich das Angebot bei den
gedeckelten Wohnungen innerhalb weniger Monate um über 47 Prozent gegenüber dem Vorjahr ein. Wohnungsbesitzer ließen ihre Wohnungen lieber leerstehen oder
nutzten sie selbst, als sie unter Wert zu vermieten.
Zudem werden eingefrorene Mieten weiteren staatlichen Zwang nach sich ziehen müssen; denn wenn man die Kosten einer Modernisierung – wir hatten das
Thema gerade – nicht mehr umlegen kann, wird es einen Zwang zur energetischen Sanierung geben müssen. Wenn sich ein Neubau nicht mehr rechnet, wird es einen
Zwang zum Bauen geben müssen. Wenn sich Vermieten nicht mehr lohnt und Eigentümer ihr Haus in Eigentumswohnungen aufteilen wollen – auch das Thema hatten wir
gerade –, muss die Aufteilung verboten werden usw. Zitat:
Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären.
Jetzt wissen Sie auch mal, was das bedeutet.
Die Wahrheit ist, dass die Betreiber einer solchen Politik – hier sitzen sie – das alles wissen und sehr gut verstehen.
Denn die „Verantwortlichen“ wollen das Wohnungsproblem gar nicht lösen, sondern zum Systemwechsel benutzen und den Markt abschaffen.
({5})
Friedrich Engels hat gesagt: „Erst wenn Wohnungen keine Ware mehr sind, kann das Recht auf Wohnraum für jedermann verwirklicht werden.“ Dass das
Gegenteil richtig ist, hat die Geschichte bewiesen, nicht nur in der DDR, sondern auch in allen anderen Ländern, in denen es einen Mietenstopp gab.
So die kluge Einsicht des früheren Berliner Finanzrichters Hans-Joachim Beck, von dem die vorgenannten Zeilen stammen. Und falls Sie nicht von einem
so klugen Finanzrichter lernen wollen, Frau Bayram, dann vielleicht von jemandem, der Ihnen nähersteht – das ist jetzt nur für Sie, Frau Bayram –, Zitat:
Wir brauchen keine Hausbesitzer, denn die Häuser gehören uns. Wir brauchen keine Fabrikbesitzer, die Fabriken gehören uns. Aus dem Weg, Kapitalisten,
die letzte Schlacht gewinnen wir!
Ton Steine Scherben! Die 68er unter uns erinnern sich vielleicht, auch die 68er bei der CDU. Bei klassischem Liedgut ist es immer wichtig, zu wissen,
wie es letztlich ausgeht. Manchmal erfüllen sich die Drohungen. Die Musikgruppe und ihr Sänger Rio Reiser machten es folgendermaßen – ich bin gleich fertig –:
Sie besetzten später kein Haus mehr; sie arbeiteten nicht in einer Fabrik. Sie verließen Berlin und zogen auf einen Bauernhof. Dort gingen sie fast pleite,
lösten sich auf, und Rio Reiser begann eine kommerzielle Karriere: „König von Deutschland“. Mit 46 Jahren starb er da auf dem Bauernhof, –
Herr Kollege, jetzt kommen Sie bitte zum Schluss.
– vermutlich an den Folgen seiner Alkoholkrankheit. So viel zu „Die letzte Schlacht gewinnen wir“.
({0})
Ich fand Ton Steine Scherben gut. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Thorsten Lieb, FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Glückwunsch an die Kolleginnen und Kollegen der Linkspartei, die nicht mehr
so zahlreich da sind. Im Unterschied zu Ihrer Justizsenatorin hier in Berlin haben Sie immerhin ein wichtiges Thema verstanden: Änderungen im Mietrecht erfolgen
per Gesetz und per Gesetzesänderung. Mehr Positives fällt mir allerdings nicht ein.
Ich halte es für einen Skandal erster Güte, wenn die Justizsenatorin hier in Berlin an Gerichtspräsidenten schreibt, um Entscheidungen im Mietrecht zu
beeinflussen.
({0})
Anstatt dass sich die Senatorin vor die Justiz stellt und den Einmischungsversuch zurückweist, hat sie den Brief noch selbst unterschrieben.
({1})
Es hätte Ihnen gut zu Gesicht gestanden, sich davon heute als Bundestagsfraktion ausdrücklich zu distanzieren.
({2})
Rechtsstaat und Unabhängigkeit der Gerichte sind unverzichtbar, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Während die Fortschrittskoalition sich in der Erkenntnis, dass sich ohne den Bau von ausreichend vielen bezahlbaren Wohnungen vor allem in
Ballungsgebieten mit Wohnraumknappheit keine angemessenen Mieten bilden können, darauf verständigt hat, konsequent zu evaluieren, die Wohlgeldreform angeschoben
und den Heizkostenzuschuss diese Woche verabschiedet hat, lesen wir hier Anträge geradezu aus dem sozialistischen Gruselkabinett, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
({3})
Wer Wohnungen mit Sanierungsstau, einer nicht mehr zeitgemäßen energetischen Bilanz und vor allem weniger Wohnungsangebot möchte, der sollte genau
diesen Anträgen zustimmen. Wir wollen das nicht, und deswegen lehnen wir heute die Anträge ab.
Wir Freien Demokraten sind überzeugt davon, dass überzogene Beschränkungen im gesamten Wohnungsbau genau das Gegenteil von dem erreichen, was wir
erreichen wollen: statt mehr Angebot, mehr Unternehmen, die sich auf diesem Markt engagieren, wenige größere Unternehmen, die wenig Interesse daran haben, sich
zu bewegen. So, liebe Kolleginnen und Kollegen, lösen wir bestimmt nicht die wohnungsbaupolitischen Probleme in diesem Land. Dann darf man sich auch nicht über
die Ergebnisse wundern.
Zu den Details des Antrages. Die Forderung nach einem Mietpreisstopp ist nicht nur als Problemlösung abwegig, sie ist auch noch verfassungsrechtlich
höchst problematisch; das ist heute schon angesprochen worden. Aber offenbar interessiert Sie neben der richterlichen Unabhängigkeit auch die Eigentumsgarantie
des Grundgesetzes nicht so sehr.
Was aber spannend war und im Übrigen in Ihrem Antrag mit veraltetem Zahlenmaterial völlig verschwiegen wird, ist, dass die Mieten aktuell eben genau
nicht Inflationstreiber sind. Sie sind das Gegenteil eines Inflationstreibers.
({4})
Aktuelle Daten aus dieser Woche vom September 2022: Gesamtindex Inflation plus 10 Prozent, Verbraucherpreisindex Energie plus 43,9 Prozent – das ist
die Herausforderung dieser Zeit; deswegen gehen wir die konsequent an –, Nahrungsmittel plus 18,7 Prozent und bei der Wohnungsmiete sage und schreibe plus
1,7 Prozent, also geradezu stabil. Wohnungsmieten sind daher keine Inflationstreiber. Das ist doch eigentlich eine gute Nachricht für Mieterinnen und Mieter.
Und da, wo das Problem liegt, bei den Nebenkosten, gehen wir es konsequent an, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Der Antrag auf Untersagung von Mietanpassung bei Indexmieten ist im Übrigen doch reine juristische Rosinenpickerei. Mietverträge mit Indexmieten – das
schreiben Sie selbst in Ihrem Antrag – haben sich in den vergangenen Jahren entsprechend unterdurchschnittlich entwickelt. Es besteht schlicht, wie der Blick
auf die Praxis zeigt, in diesem Bereich überhaupt kein Handlungsbedarf. Die Zahl, die Sie vorhin genannt haben, von angeblich 90 Prozent der Verträge als
Indexmietverträge teile ich nicht; da haben wir andere Informationen. Es wird in der Tat sehr viel weniger genutzt. Und – auch das ist spannend – es ist eine
Anpassungsmöglichkeit und keine Anpassungsverpflichtung. In Wahrnehmung von Verantwortung haben viele Verbände sogar schon dazu aufgerufen, das, wenn überhaupt,
nur moderat zu nutzen – deswegen auch an dieser Stelle kein Handlungsbedarf.
Natürlich, um das noch einmal klarzumachen, teilt die Koalition die Sorge um die Herausforderungen – die Kolleginnen und Kollegen haben es bereits
angesprochen –, und da machen wir konsequent weiter.
Eines macht aber die FDP-Fraktion ganz bestimmt nicht mit: Wir sind nicht bereit, Vermieterinnen und Vermieter als die alleinigen Reparateure einer
verfehlten Wohnungsbaupolitik leiden zu lassen und zu belasten. Das ist nicht Politik der FDP, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({6})
Aus unserem Blickwinkel stehen nämlich die Lösungen an ganz anderer Stelle: Wer mehr und vor allem mehr bezahlbaren Wohnraum möchte, muss Planungs-
und Genehmigungsverfahren umfassend beschleunigen und digitalisieren.
({7})
Dafür setzen wir uns als Koalition natürlich weiter ein. Notwendig ist ebenfalls eine Absenkung der Baukosten; auch darüber muss man dringend
nachdenken.
({8})
Und – das darf man nicht vergessen – in den angespannten Regionen sind auch die Kommunen aufgefordert, endlich konsequent weiter Flächenentwicklung zu
betreiben.
({9})
Wo keine Wohnungen sind, kann auch niemand wohnen, und dann steigen die Preise.
Zuletzt, nicht zu vergessen: Wir als Liberale sind die Partei des Eigentums. Deswegen wollen wir mehr Eigentumserwerb durch entsprechende Reformen im
Grunderwerbsteuerrecht ermöglichen.
({10})
Dann kommen wir zu guten Ergebnissen im Wohnungsmarkt. Das ist das Ziel.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Da wollen wir hin, und bestimmt nicht auf dem Weg, den Sie vorschlagen.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Lieb. – Nächster Redner ist der Kollege Kevin Kühnert, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Lay, um das gleich am Anfang einmal zu sagen,
({0})
weil Sie mich da direkt angesprochen haben: Natürlich habe ich das nicht vergessen, dass ich persönlich, aber auch zusammen mit meiner Partei im
letzten Jahr Wahlkampf für einen Mietenstopp gemacht habe, und davon nehme ich auch keinen Zentimeter Abstand. Ich halte diese Forderung zumindest in
angespannten Wohnlagen weiterhin für die genau richtige.
Nur, die Bundestagswahl ist so ausgegangen, wie sie ausgegangen ist,
({1})
zu Ihrem Schmerz, sicherlich auch zu dem Schmerz von manch anderen. Wir müssen mit den Mehrheiten arbeiten, die da sind, und die taugen im Moment
nicht für einen pauschalen bundesweiten Mietenstopp.
({2})
Auf dieser Grundlage müssen wir jetzt weiterarbeiten.
Dass diese Einschätzung unsererseits, was für Eingriffe in den Mietwohnungsmarkt es bräuchte, ehrlich gemeint ist, sehen Sie an den Stellen, wo unsere
Parteien gemeinsam Verantwortung tragen.
({3})
So hat der sozialdemokratische Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel gerade gestern etwas in Aussicht gestellt, was wir, denke ich, jetzt gemeinsam
im rot-rot-grünen Senat in Berlin machen werden, nämlich dort, wo wir es regeln können, auch auf Landesebene, bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften,
im nächsten Jahr zu einem tatsächlichen Mietenstopp und übrigens auch zu einem Kündigungsschutz zu kommen. Das ist etwas, was wir jetzt gemeinsam dort in Berlin
machen werden, wo wir die Möglichkeiten haben.
Ich möchte das auch ausdrücklich als Appell an die politischen Mehrheiten auf den jeweiligen Ebenen an dieser Stelle verstanden wissen: Nutzen Sie,
liebe Landespolitikerinnen und Landespolitiker, diese Möglichkeiten, wo immer sie sich bieten!
({4})
Was die Indexmietverträge angeht, hat meine Kollegin Martens vorhin das Notwendige dazu gesagt.
({5})
Der Nettokaltmietenindex wäre die richtige Antwort; denn selbstverständlich sehen wir im Moment, dass eine Kopplung der Mietpreisentwicklung an die
allgemeine Preisentwicklung nicht richtig ist. Ich will das übrigens auch unumwunden und deutlich sagen: Diese Verknüpfung ist etwas, was ich auch meiner
eigenen Partei nicht noch einmal für eine Programmaufstellung empfehlen würde. Hier ist man dem Irrtum aufgesessen, dass ein über die letzten Jahre relativ
konstanter Wert quasi als fix zu betrachten ist und sich nicht mehr wesentlich ändert. Wir erleben im Moment Tag für Tag das Gegenteil davon.
Das ist nicht der richtige Referenzrahmen, und nicht zuletzt hat auch der Vonovia-Chef zu Recht eine links und rechts um die Ohren bekommen, als er im
Frühjahr gesagt: Wenn jetzt die Inflation jährlich um 8 Prozent steigt, dann müssen auch die Mieten um 8 Prozent jährlich steigen. – Er konnte dann aber gar
nicht begründen, wo eigentlich sein Kostenaufwuchs in vergleichbarer Höhe sein soll. Also, insofern ist hier ein Learning. Trotzdem sehe ich es genauso: nicht
das Kind mit dem Bade ausschütten und dieses Instrument von Grund auf verdammen.
Ich höre manchmal in den letzten Tagen, die Indexmiete sei auch ein sehr beliebtes Instrument in den letzten Jahren gewesen, viel genutzt von
Mieterinnen und Mietern. Ich glaube, auch hier muss man in der Einschätzung ein bisschen vorsichtig sein. Gerade in überhitzten Wohnungsmärkten wie Berlin und
anderen Großstädten, wo wir eine niedrige Leerstandsquote haben, muss man einfach sagen: Wer zusammen mit 150 Leuten auf der Warteliste steht oder in der
Besichtigung ist, der führt keine offenen Verhandlungen über das Mietgestaltungsmodell,
({6})
sondern der unterschreibt das, was ihm unter die Nase gehalten wird. Daraus abzuleiten, dass es da eine besondere Beliebtheit des Indexmietmodells
gäbe,
({7})
das hielte ich dann doch für eine gewisse Verdrehung von Tatsachen. Das sollten wir den Leuten nicht in den Mund legen.
({8})
Mit Aufrufen zu freiwilligem Verzicht, gerade was Private angeht, bin ich sehr vorsichtig. Die Erfahrung zeigt, dass gerade diejenigen, denen das
herzlich wenig wehtut, sich gerne sofort beteiligen, um ihr Samariterherz mal zu entdecken. Dass große Wohnungskonzerne, die insbesondere im Bereich der
Vermietung an Transferleistungsempfängerinnen und ‑empfänger unterwegs sind, natürlich schnell dabei sind, zu sagen: „Großherzig verzichten wir auf
Kündigungsmöglichkeiten bei Zahlungsverzug“, ist wenig überraschend; denn es wird wenig Zahlungsverzug bei ihnen entstehen, und, wenn doch, dann können sich
Wohnungskonzerne, die Milliardenbeträge an Rendite ausschütten, das tatsächlich auch leisten. Tatsache ist aber auch, dass viele, gerade im kleineren Segment,
sei es, weil sie sehr renditeorientiert sind oder die Rücklagen nicht haben, das nicht machen. Wenn wir da in der Koalition ein Problem ausgemacht haben, dann,
glaube ich, sollten wir uns da wirklich an ernsthafte Instrumente heranmachen.
Das ist auch der Punkt. Die Kolleginnen und Kollegen der Koalition haben dargelegt, was wir uns mietenpolitisch vorgenommen haben, worauf wir uns
einigen konnten.
({9})
Die vielfache Betonung aus dem Justizministerium – ich schaue jetzt zum Parlamentarischen Staatssekretär rüber –, dass noch dieses Jahr Gesetzgebung
auf den Weg kommt, die Addition dieser vielfachen Betonung dessen kann ich nur als große Lust und Vorfreude im Ministerium begreifen. Daher freuen wir uns im
Gegenzug schon darauf, das bald schwarz auf weiß zu sehen und uns dann hier auch damit befassen zu können.
Abschließend kann ich mir doch nicht verkneifen, zu Herrn Beckamp von der AfD auch noch etwas zu sagen. Es ist schon interessant, zu sehen, dass hier
mir nichts, dir nichts einfach die Marktmechanismen für den Wohnungsmarkt, für etwas, was nach dem UN-Sozialpakt ein soziales Menschenrecht ist, erklärt werden.
Was Herr Beckamp hier im Prinzip den Menschen in Deutschland gesagt hat, ist: Marktregeln sollen auf dem Wohnungsmarkt komplett durchschlagen. Was baut der
Markt? Im Moment 14 Euro kalt pro Quadratmeter aufwärts im freifinanzierten Wohnungsbau.
({10})
Das ist das, was Sie den Menschen in Deutschland sagen. Gesprochen hat Ihre Soziale-Heimat-Partei in Deutschland, die AfD. Das wird auch nicht besser,
wenn man danach noch Rio Reiser bedient. Sie haben sich heute, wie Sie es so oft tun, eher an Slime orientiert, die damals schon gesungen haben: „Deutschland
muss sterben, damit wir leben können.“ Das ist das Motto Ihrer Partei und Ihrer Fraktion.
({11})
So machen Sie auch Politik in diesem Haus, bei der Wohnungsmarktpolitik und anderswo genauso.
({12})
Vielen Dank. – Nächster und abschließender Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Linke stellt insgesamt drei Anträge, die sich als, erstens, einen Stopp für
Mieterhöhungen über sechs Jahre, zweitens, ein Verbot von Kündigungen und, drittens, ein Verbot von Indexmieten zusammenfassen lassen.
Interessant war zu sehen, wie die Reaktionen auf diesen Antrag aus den Reihen der Koalitionsfraktionen ausgefallen sind. Die Kollegin Martens hat von
einigen guten Ansätzen gesprochen. Aus der Rede der Kollegin Bayram war durchaus Sympathie zu erkennen. Auch der Kollege Kühnert könnte sich einen Mietenstopp
vorstellen, während der Kollege Dr. Lieb von Rezepten aus der sozialistischen Mottenkiste gesprochen hat.
({0})
Ich stelle also fest: Die Ampelregierung ist sich beim Thema „Mieten und Mieterschutz“ völlig uneins. Das lässt nicht hoffen, dass es bald ein
abgestimmtes Gesetzespaket geben wird.
({1})
Was brauchen die Menschen in unserem Land? Sie machen sich Sorgen um steigende Mieten einerseits, aber auch um steigende Nebenkosten; das ist gar
keine Frage. Deswegen ist es richtig, dass die Wohngeldreform ebenso auf den Weg gebracht wird wie der Heizkostenzuschuss gestern. Aber wir müssen auch bald
Klarheit bekommen über die Gaspreis- und die Strompreisbremse, weil die Nebenkosten im Augenblick mehr als nur die zweite Miete sind. Das ist der entscheidende
Punkt dafür, ob Menschen sich Wohnen leisten können oder nicht. Hier ist Dezember zu spät, das nächste Frühjahr ist zu spät. Klarheit über die Gaspreis- und die
Strompreisbremse muss es alsbald geben, meine Damen und Herren.
({2})
Nun ist Ihr Antrag zum Mietenstopp auch inhaltlich von großen Mängeln geprägt. Wenn man zu Recht davon ausgeht, dass das Wohnungsbauangebot in
Deutschland in den nächsten Jahren wachsen muss, wenn wir Wohnungen barrierefrei ausbauen wollen und auch noch den Klimaschutz zu beachten haben, dann brauchen
wir ein größeres Angebot auf den Wohnungsmärkten. Aber wir werden ökonomisch kein größeres Angebot schaffen, wenn Sie die Erwerbsgrundlage sowohl für den
öffentlichen als auch für den privaten Wohnungsbau mit Ihrem Antrag völlig abwürgen.
Es ist obendrein auch noch unsozial. Stellen Sie sich mal vor, Sie haben eine Monatsnettokaltmiete von 1 000 Euro, und es gibt sechs Jahre
Mietenstopp. Bei einer angenommenen Inflation von 6 Prozent entsprechen diese 1 000 Euro nach sechs Jahren nur noch 700 Euro. Wenn aber die Löhne in etwa mit
der Inflation steigen, dann werden sich am Ende diejenigen, die sich auch Wohnungen im oberen Segment leisten können, durch Ihren Antrag unter dem
Gleichgewichtspreis einmieten können. Das heißt, Ihr Antrag ist letztlich auch eine Umverteilung von unten nach oben. Jedenfalls ist das ein Antrag ohne
ökonomischen Sachverstand.
({3})
Was brauchen wir stattdessen? Wir müssen im Wohnungsbau vorankommen. Es ist traurig, dass das Ziel von 400 000 Wohneinheiten dieses Jahr nicht
erreicht werden wird. Wir müssen auch den Herausforderungen begegnen, dass im Augenblick die Mischung aus Baukostensteigerungen und höheren
Refinanzierungskosten dazu führt, dass viele Wohnungsbauprojekte abgesagt werden. Es ist zu befürchten, dass die Fertigstellungen im Jahr 2023 noch unter der
Zahl des Jahres 2021 bleiben. Wir brauchen aber mehr Neubau, um die Preise senken zu können.
Deswegen sage ich: Lasst uns auf die Kommunen zugehen, um Bauland zu schaffen! Lasst uns Vorschriften entrümpeln! Und lasst uns dafür Sorge tragen,
dass eine Strategie entsteht, wie mehr Wohnraum geschaffen wird! Mit Ihren Anträgen werden Sie nichts davon erreichen, meine Damen und Herren.
({4})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Diese Ampel ist einmal als Fortschrittskoalition gestartet.
({0})
Wir stellen heute fest: Sie ist als Förderstoppkoalition gelandet.
({1})
Zuerst macht Habeck
({2})
für Tausende junge Familien den Traum vom Eigenheim kaputt.
({3})
Dann kommt Wissing diese Woche und stoppt ohne Vorwarnung, ohne Konsultation mit den Ländern von heute auf morgen auch die Breitbandförderung des
Bundes. Begründung: zu großer Erfolg, zu viele Anträge. Meine Damen und Herren, das ist Habeck II.
({4})
Das ist ein weiterer Frontalangriff der Ampel auf den ländlichen Raum in Deutschland.
({5})
Herr Wissing hat heute offenbar leider keine Zeit für das Thema. Bitte richten Sie ihm aus: Den Erfolg dieses Programms
({6})
hat er seinen beiden Vorgängern zu verdanken, Alexander Dobrindt und Andreas Scheuer.
({7})
Die haben die Breitbandförderung des Bundes von null an auf den Weg gebracht. In dem Moment, wo sie am besten lief, kommt Wissing und macht den
Habeck.
({8})
Meine Damen und Herren, erzählen Sie uns jetzt bitte nicht am Tag des historischen Doppel-Wumms mit 200 Milliarden Euro, Sie hätten dafür kein
Geld.
({9})
Ich habe nur noch drei Minuten. Ich könnte jetzt eine Stunde darüber reden, wofür die Ampel alles Geld hat und wofür sie alles neue Schulden macht.
Der ländliche Raum ist nicht darunter.
Meine Damen und Herren, die Ironie an dieser Geschichte ist ja, dass es gerade für diesen Zweck ein Sondervermögen „Digitale Infrastruktur“ im
Haushalt gibt. Da stehen 4 Milliarden Euro zur Verfügung. Die Bundesregierung konnte am Mittwoch im Haushaltsausschuss nicht erklären, warum sie dieses Geld
nicht genau jetzt genau dafür einsetzen möchte. Deswegen haben wir diese Aktuelle Stunde heute beantragt; denn vielleicht kann Sie es heute erklären. Vielleicht
kann die Bundesregierung heute auch die drei Fragen beantworten, die wir Herrn Wissing am Mittwoch gestellt haben: Erstens. Können alle Anträge, die bis
Dienstag eingegangen sind, mit Fördermitteln rechnen? Zweitens. Wann genau kommt ein neues Förderprogramm? Drittens. Können die Anträge, die jetzt erarbeitet
wurden, aber noch nicht eingegangen sind, nächstes Jahr wiederverwendet werden? Die Antwort von Wissing war am Mittwoch dreimal: Wir arbeiten an einer
Antwort. – Meine Damen und Herren, das ist ein Schlag ins Gesicht der Kommunen. Wenn Sie schon den Förderstopp machen, dann müssen Sie zumindest überlegen, was
Sie dann kommunizieren.
({10})
Herr Wissing kannte am Mittwoch nicht einmal die Zahl der betroffenen Kommunen in Deutschland. Ich habe es für Bayern herausgesucht: In Bayern haben
sich über 400 Kommunen für dieses Programm angemeldet. 19 haben bereits eine Förderzusage erhalten, 110 haben ihren Antrag eingereicht und zittern jetzt, 324
sind in der Antragserarbeitung, haben noch keinen Antrag eingereicht und müssen jetzt feststellen, dass sie für den Papierkorb gearbeitet haben. Diese ganzen
Kommunen haben in den nächsten Wochen alle Gemeinderatssitzungen, Marktratssitzungen oder Stadtratssitzungen. Auf der Tagesordnung wird überall ein Punkt
stehen – TOP 4, was auch immer –: „Aktueller Stand des Breitbandförderprogramms“. Was soll denn der Bürgermeister den Gemeinderäten sagen? Dass er sich auf den
Bund verlassen hat und damit jetzt der Beschissene ist?
Ich weiß, weil auch viele bei uns angerufen haben, dass viele Gemeinderäte und Bürgermeister diese Debatte heute verfolgen. Ich rate Ihnen: Hören Sie
gut zu, was Ihnen die Ampel gleich von diesem Pult aus darüber erzählt! Wenn Sie damit nicht zufrieden sind, dann hätte ich einen guten Tipp für Sie: Rufen Sie
beim FDP-Abgeordneten Ihres Vertrauens an! Die FDP stellt den Finanzminister, die FDP stellt den Digitalminister, die FDP hat uns diesen Förderstopp
eingebrockt,
({11})
Und die FDP könnte es, wenn sie es mit dem digitalen Aufbruch ernst meint, in Deutschland lösen.
({12})
Meine Damen und Herren, ich bin gespannt, was uns die Ampel jetzt hier zu sagen hat. Das Pult gehört Ihnen.
({13})
Vielen Dank, Herr Kollege Brandl. – Ich hoffe, dass die Telekom das schafft mit den vielen Anrufen.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Johannes Schätzl, SPD-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Erst mal vielen Dank für diese Aktuelle Stunde; denn wir sprechen jetzt über die wohl wichtigste
Infrastrukturmaßnahme dieses Jahrzehnts.
({0})
Wir sprechen heute über ein unglaubliches Tempo beim Glasfaserausbau. Das Tempo ist so hoch, dass wir heute über die Antragssituation sprechen müssen,
aber auch wollen.
Über 3 Milliarden Euro gebundene Mittel sprechen eine relativ klare Sprache. Das Graue-Flecken-Programm ist ein voller Erfolg.
({1})
Natürlich haben auch uns in den letzten 48 Stunden viele Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker kontaktiert. Tatsächlich hoffen wir, dass die
uns auch jetzt zuhören, weil wir versuchen, Antworten zu geben.
Zum einen – das ist klar – werden wir das Monitoring überprüfen müssen.
({2})
Wir werden uns – und dafür stehen wir im Wort – bis zum Ende dieser Legislatur an unseren Zielen messen lassen. 50 Prozent der Haushalte mit Glasfaser
zu versorgen, das ist ambitioniert, aber, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir werden das erreichen.
({3})
Wir stehen aber heute auch hier – und ich hoffe, das beantwortet Ihre Fragen –, um über die Überprüfung der Finanzierungssituation zu sprechen. Uns
ist vollkommen klar, dass wir zum einen die Finanzmittel im nächsten Haushalt noch mal überprüfen und wir zum anderen gemeinsam mit dieser Koalition dafür
sorgen werden, dass keine Förderlücke entsteht.
({4})
Wir wollen, dass frist- und ordnungsgemäß eingereichte Anträge bearbeitet werden. Natürlich brauchen unsere Kommunen Planungssicherheit. Der Minister
hat gesagt: Am Geld wird es nicht scheitern. – Ich nehme ihn beim Wort. Unsere Fraktion, diese Koalition wird ihn dabei unterstützen.
({5})
Es lohnt sich in dieser Aktuellen Stunde auch ein Blick in die Vergangenheit. Die aktuellen Antragszahlen sind vollkommen eindeutig: Unser Land hat
über Jahre den Ausbau verschlafen. Noch immer beseitigen wir eine Aneinanderreihung von falschen Entscheidungen. Wir haben die Verlegung von Kupfer- und
Koaxialkabeln gefördert, und das hat unserem Land geschadet. Das führt jetzt zu einem riesen Ausbaudruck. Wir haben in Kupfer und Koaxial investiert anstatt in
Glasfaser. Wir werden das jetzt ändern.
({6})
Die wichtige Frage ist, wie es weitergeht. Wir brauchen eine Klarstellung, um unsere eigenen Ziele zu erreichen. Deswegen wollen wir zum
frühestmöglichen Termin 2023 eine neue Förderrichtlinie erstellen, und zwar entlang der Gigabit-Strategie. Wir brauchen eine Förderrichtlinie, die mit einer
unverbindlichen Potenzialanalyse als Basis Synergien schafft. Wir brauchen eine Förderrichtlinie, die für Kommunen einfach umzusetzen ist, die in digitalen
Verfahren zu beantworten ist. Wir brauchen endlich eine Förderrichtlinie, die moderne Verlegetechniken mitdenkt.
Wir wissen: Die Glasfaserkabel müssen meistens in die Erde. Wir wissen aber auch – und wir wollen das –, dass wir sie nicht mehr alle auf 1,20 Meter
Tiefe legen. Wir wissen, dass wir alternative Verlegemethoden brauchen. Moderne Verlegemethoden werden dabei helfen, dass wir zukünftige Programme
kosteneffizienter gestalten können.
({7})
Für uns ist an dieser Stelle klar, dass der geförderte Ausbau von einem eigenwirtschaftlichen Ausbau flankiert wird. Wir setzen staatliches Geld klug
ein, und wir setzen es genau dort ein, im ländlichen Raum, wo der eigenwirtschaftliche Ausbau scheitert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe es eingangs erwähnt: Es handelt sich aus meiner Sicht um die wichtigste Infrastrukturaufgabe dieses
Jahrzehnts. Mit einem Ja, mit einem besseren Monitoring, mit Planungssicherheit für Kommunen, mit Finanzmitteln des Bundes und mit Unterstützung der Länder
werden wir in dieser Wahlperiode dafür sorgen, dass wir der Gigabit-Gesellschaft einen deutlichen Schritt näherkommen.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Joana Cotar, AfD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Werte Kollegen! Am Mittwoch bei der Regierungsbefragung gab uns Digital- und Verkehrsminister Volker Wissing eine Übersicht über die
Arbeit seines Ministeriums. Der Digitalisierung widmete er ganze sechs Sätze – sechs! Das zeigt, welche Priorität das Thema Digitalisierung bei der sogenannten
Fortschrittskoalition hat; ein Armutszeugnis, werte Kollegen.
({0})
Nun schaue ich ganz konkret in Richtung FDP. Sie haben die Digitalisierung in der letzten Legislaturperiode hier im Bundestag rauf- und
runtergespielt. Zu Recht! Nicht selten hatten Sie dabei meine volle Unterstützung;
({1})
denn das Land braucht den Fortschritt. 16 lange Merkel-Jahre haben dafür gesorgt, dass wir in fast allen Bereichen der Digitalisierung
hinterherhinken. Da war die Hoffnung groß, dass eine neue Regierung nun Schwung in die Sache bringt. Und was passiert? Was machen Sie? Sie stoppen die überaus
erfolgreiche Förderung der Gigabit-Strategie. Für schnelles Internet in diesem Jahr wollten Sie sorgen. Nichts ist! Dass am gleichen Tag, als Minister Wissing
hier erklärte – ich zitiere –, Digitalstrategie und Gigabit-Strategie ermöglichen „Deutschland endlich den umfassenden digitalen Aufbruch, auf den alle schon so
lange warten“ – das erzählt er hier an diesem Platz –, die Förderung für schnelles Netz gekappt wird, das kann doch nicht Ihr Ernst sein, werte Ampel! Hallo,
FDP, aufwachen!
({2})
Zuerst knicken Sie in der Coronapolitik ein. Das versprochene Ende aller Maßnahmen rückt in weite Ferne. Dann tricksen Sie mit dem Sondervermögen, das
Sie in der letzten Legislaturperiode der Regierung wirklich noch bitter vorgeworfen haben. Sie pochen auf die Einhaltung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, das
Sie vor zwei Jahren noch abschaffen wollten. Versprochene Steuerentlastungen sind vom Tisch, und in Sachen Kernenergie lassen Sie sich von den Grünen am
Nasenring durch die Manege ziehen. Jetzt kommt auch noch der Förderstopp für schnelles Internet. Können Sie morgens eigentlich noch in den Spiegel schauen,
verehrte Ex-Liberale?
({3})
Sie wissen doch ganz genau, dass die Menschen in ländlichen Regionen diese Förderung brauchen. Sie wissen, wie viele graue Flecken es in Deutschland
gibt.
({4})
Sie wissen, dass der Anteil von Glasfaseranschlüssen bei stationären Breitbandanschlüssen im OECD-Mittel bei 32,1 Prozent liegt, in Deutschland bei
6,4 Prozent. Selbst Mexiko, Costa Rica und Slowenien haben uns mittlerweile überholt. Wie können Sie sich hierhinstellen und versprechen, dass sich das ändert,
wenn Sie am gleichen Tag die Förderung einstellen, meine Damen und Herren?
Schnelles Netz, auch in den ländlichen Gebieten, ist heutzutage lebenswichtig. Die Versorgung der Bevölkerung, Wirtschaft, Schulen, Krankenhäuser und
Verwaltung steht und fällt mit den Fördergeldern des Bundes. Die Kommunen haben mit dem Geld gerechnet. Sie haben viel Arbeit in die Planung des Ausbaus
gesteckt, nur um jetzt zu hören: Ist nicht, ist halt kein Geld mehr da! Und sie erfahren das vor allen Dingen ohne Vorwarnung. Was ist denn das für eine Art,
miteinander umzugehen, werte Kollegen?
({5})
Herr Wissing behauptet, der Stopp hätte keine Verzögerung des Ausbaus zur Folge. Das ist falsch, das wissen Sie, und das wissen vor allen Dingen die
Betroffenen vor Ort, die sich nun entsetzt an uns wenden und von einem völlig falschen Signal für die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes
sprechen.
({6})
Der zügige Ausbau der Breitbandanschlüsse ist in der Gigabit-Strategie festgeschrieben. Allerdings scheint die Regierung ihre eigene Strategie eher
als Absichtserklärung denn als Handlungsanweisung zu sehen. Das kann sich Deutschland nicht leisten, meine Damen und Herren, und deswegen fordern wir die
unverzügliche Wiederaufnahme der Graue-Flecken-Förderung durch die Bundesregierung.
({7})
Diese muss gut durchdacht sein; denn dass bereits im Oktober alle Mittel abgeschöpft sind, deutet auf ein mögliches weiteres Problem hin, nämlich dass
die Verteilung der Fördergelder keine ordentliche Priorisierung hat. Besonders benachteiligte Gebiete sollten klar Vorrang haben. Die Steuergelder müssen
gezielt eingesetzt und dürfen nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden. Doch das ist im Moment nicht der Fall.
Es fehlt der Überblick, und nicht nur da: Der Überblick fehlt in der gesamten Digitalpolitik, da sich die Verantwortlichkeiten schon wieder auf
verschiedene Häuser aufteilen. Schon wieder weiß die rechte Hand nicht, was die linke tut. Gerade die FDP wollte dieses Chaos in der letzten Legislaturperiode
abschaffen. Jetzt stellen Sie den Digitalminister, und das Chaos geht weiter, meine Damen und Herren.
({8})
Liebe FDP, wenn Sie so weitermachen, dann fliegen Sie aus dem Bundestag. Wer so viele Versprechen bricht wie Sie, der bekommt irgendwann die Quittung.
Zeigen Sie endlich Profil in dieser linken Regierung! Nehmen Sie auch die Digitalisierung wieder ernst, und sorgen Sie dafür, dass die Förderung weitergeht.
Sonst müssen Sie sich 2025 keine Gedanken machen, ob Sie neben der AfD sitzen wollen oder nicht:
({9})
Dann sitzen Sie nämlich gar nicht mehr hier, und das wirklich verdient, meine Kollegen.
Herzlichen Dank.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie. Das ist der Schlussspurt.
Jetzt bekommt das Wort Dr. Paula Piechotta für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Liebe Frau Cotar, Sie haben recht: Wir haben das Graue-Flecken-Programm für die Stellen im Land, wo das Internet sehr langsam ist.
Frau Abgeordnete, wenn Sie noch das Präsidium kurz begrüßen würden.
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Danke.
Entschuldigung. Ich wollte mich erst an die Vorrednerin wenden. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Cotar, wir
haben jetzt viel über das Weiße-Flecken- und das Graue-Flecken-Programm gesprochen. Das ist ja für die Stellen im Land gedacht, wo das Internet noch nicht oder
nur sehr langsam verfügbar ist. Ich kann Ihnen versprechen: Wir machen auch bald das Braune-Flecken-Programm im Zusammenhang mit einem
Demokratiefördergesetz,
({0})
und dann wird das völlig faktenfreie Aufzählen von aus der Luft gegriffenen Aussagen von Ihnen ebenfalls der Geschichte angehören.
Als ich hier gerade hereinkam, hat einer der Kollegen von den SPD-Mietenpolitikern gesagt: Das ist sehr würdevoll, liebe Digitalpolitiker, dass nicht
unser Thema der letzte Tagesordnungspunkt am Ende der Doppelsitzungswoche sein muss. – Aber ich bin mir, ehrlich gesagt, nicht so sicher, dass eine Aktuelle
Stunde zum bayerischen Landtagswahlkampf, Herr Brandl, wirklich ein würdevoller Abschluss dieser Doppelsitzungswoche ist.
({1})
Wir können uns ja anschauen, was Sie hier versuchen zu skandalisieren. Sie versuchen, zu skandalisieren, dass zum ersten Mal die Gelder – und es ist
ein Programm, das auch unter Scheuer lief –
({2})
auch abfließen. Das ist ein Erfolg! Ich weiß, dass Sie das nicht kennen, weil das in GroKo-Zeiten nie passiert ist.
Herr Scheuer hat einen großen Anteil daran, dass es letztes Jahr einen Regierungswechsel gab. Er war nicht der einzige Grund; aber er hat mit seiner
wirklich phänomenal schlechten Regierungsbilanz im Verkehrs- und Digitalisierungsministerium einen großen Anteil daran, dass es letztes Jahr diesen
Regierungswechsel gab. Ich freue mich auch, dass er hier zuhört.
({3})
Aber wenn wir tatsächlich die Mittel, die er damals vorgeschlagen hat, einfach fortschreiben und nun die Kommunen in einer Woche – ich erinnere Sie
daran: ein Jahr hat 52 Wochen – Anträge mit einem Volumen von über 450 Millionen Euro stellen, und das im ersten Jahr, in dem die Mittel des Programms, das für
das ganze Jahr 3 Milliarden Euro vorsieht, abfließen, dann ist das ein Erfolg. Sie müssen sich entscheiden, ob Sie einen der wenigen Punkte, den wir von der
Vorgängerregierung übernommen haben und der nun gut läuft, wirklich skandalisieren wollen oder ob Sie nicht froh sein sollten, dass Programme in diesem Land
endlich laufen.
({4})
Ich kann ja verstehen, dass Sie von dem ablenken wollen, was in Bayern passiert; denn auch die bayerische Landesregierung hat ein Programm für die
Förderung der Breitbanderschließung und des freien WLAN aufgelegt. Da standen zum Beispiel 2021 320 Millionen Euro zur Verfügung. Ich glaube, Sie wissen nicht,
wie viel davon abgeflossen ist:
({5})
knapp die Hälfte, 145 Millionen. Und da sieht man, dass die Gelder des Bundes deutlich besser abfließen als die der bayerischen Landesregierung. Wenn
ich mir die Haushaltsreste im bayerischen Landeshaushalt gemäß aktuellem Bericht des bayerischen Rechnungshofs anschaue – Sie haben ja gesagt, es hörten so
viele bayerische Kommunalpolitikerinnen und ‑politiker zu; deswegen habe ich das noch mal herausgesucht –, dann stelle ich fest: Die Reste der Förderung der
Breitbanderschließung durch die bayerische Landesregierung belaufen sich auf 149,9 Millionen Euro. Haushaltspolitikerinnen und Haushaltspolitiker haben ein
Interesse daran, dass Gelder abfließen, weil sich nur dann, wenn die Gelder, die wir ins Schaufenster und in den Haushalt stellen, auch abfließen, in diesem
Land etwas verändert. Das ist der Unterschied. Wir haben im BMDV noch viel zu viele Programme – diese haben wir übernommen –, wo die Gelder noch nicht
abfließen.
({6})
Wir wollen, dass Gelder abfließen. Auch Ihre Kommunen profitieren, wenn die Gelder abfließen,
({7})
und Sie müssen sich entscheiden, ob Sie skandalisieren, dass Programme der Vorgängerregierung, die die aktuelle Regierung fortführt, nun gut laufen,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
({8})
Aber was ich auch verstehe, ist, dass Sie darauf nicht aufmerksam machen wollen. Sie sind ja dafür bekannt – es tut mir leid, dass diese Aktuelle
Stunde für Sie nach hinten losgeht –,
({9})
Programme wie zum Beispiel auf Bundesebene den DigitalPakt Schule aufzulegen, bei denen es Jahre gedauert hat, bis die Gelder überhaupt abfließen
konnten. Das lag daran, dass diese Programme so schlecht konzipiert waren.
Ich verstehe auch, dass Sie beim Thema Förderstopp sehr sensibel sind, weil Sie in Bayern die Eigenheimzulage bzw. das Baukindergeld Plus – das waren
sehr erfolgreiche und beliebte Programme – gestoppt haben. Da laufen Petitionen, damit diese weitergeführt werden. Wenn ich als CSU-Mitglied Landtagswahlkampf
in Bayern machen müsste, würde ich auch versuchen, davon abzulenken.
({10})
Lassen Sie mich zusammenfassen: Die Förderrichtlinie wird angepasst. Nächstes Jahr gibt es sogar noch viel mehr Geld, noch mal über 3 Milliarden Euro
genau für diese Programme.
({11})
Das, was aber in unserem gemeinsamen Interesse liegen sollte,
({12})
ist, dass noch viel mehr Mittel aus Förderprogrammen des BMDV, zum Beispiel auch für den Radverkehr, deutlich besser abfließen sollten als bisher.
({13})
Das ist eine Frage der guten Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Das funktioniert zwischen den verschiedenen Ländern unterschiedlich gut.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
({0})
Wenn wir wirklich etwas für die Menschen erreichen wollen, dann arbeiten wir da besser zusammen und skandalisieren nicht Dinge, die eigentlich gut
laufen.
Vielen Dank.
({0})
Da kommt doch noch Stimmung auf am Nachmittag; wunderbar.
({0})
Als Nächste erhält das Wort für Die Linke Anke Domscheit-Berg.
({1})
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele Kommunen, Landkreise und die Bundesländer hat es wie einen Schlag getroffen, als von
einem Tag auf den anderen die Breitbandförderung des Bundes gestoppt wurde. Unberechenbare Förderstrategien und widersprüchliche Signale sind aber Gift für
langfristige Projekte wie den Gigabit-Ausbau in Deutschland. Das muss gerade ein FDP-Minister wissen; denn ständig redet ja die FDP davon, wie wichtig es ist,
dass Unternehmen zum Beispiel verlässliche Rahmenbedingungen bekommen, um in die Zukunft zu investieren. Das ist aber für Kommunen, Landkreise und Bundesländer
auch nicht anders.
({0})
Mit knappen Ressourcen wurden komplexe Planungsprozesse bewältigt, und dann kommt Volker Wissing, spielt Monopoly und schickt praktisch alle, die
jetzt fertige Anträge einreichen wollen, zurück auf Los. Das kann so nicht bleiben, meine Damen und Herren.
Ein Problem dabei ist der eklatante Mangel an Transparenz. Dieser Stopp war ja für niemanden absehbar. Kein Dashboard im Internet hat den
Mittelabfluss gezeigt, keine Warnung wurde veröffentlicht, einfach nichts. Es gab null Kommunikation im Vorfeld.
({1})
Für die Kommunen war das ein Fahren an die Wand mit Höchstgeschwindigkeit. Da drücken sie auf die Tube. Mit der digitalen Infrastruktur wollen sie
endlich die Verkehrs- und Energiewende beschleunigen, mehr Menschen das Arbeiten im Homeoffice erleichtern; dann kommen die Wissing-Wand und der plötzliche
Stillstand.
Ein weiteres Problem war aber auch die offensichtliche Fehlplanung. Man kann doch nicht den schnellstmöglichen Ausbau zum Ziel erklären und dann gar
nicht genug darauf vorbereitet sein. Und übrigens: Wir haben in den Haushaltsberatungen gerade gehört, dass die Mittel auch im Haushaltsjahr 2023 nicht reichen
sollen. Sie müssten also das Breitbandförderbudget für das nächste Jahr auch noch mal aufstocken, weil es sonst eine Wiederholung dieser nicht nur peinlichen,
sondern schädlichen Situation geben wird.
({2})
Last, but not least: Der Digitalminister hat auch bei der Problemlösung versagt. Da heißt es lapidar: „Das Geld ist alle“, und wer nicht mehr ausbauen
kann, der hat offenbar Pech gehabt. Das Mindeste aber wäre doch, den in die Röhre guckenden Kommunen oder Landkreisen zuzusichern,
({3})
dass ihre Förderanträge mit Beginn des nächsten Förderzeitraums vor allen anderen bearbeitet und bewilligt werden.
({4})
Denn noch gilt hier die Aufgreifschwelle von 100 MBit/s. Ab Januar soll diese Schwelle aber wegfallen. Dann sind alle Gebiete, die unter 1 Gigabit
liegen, förderfähig. Meine Damen und Herren, eins darf nicht passieren: dass gerade die Regionen mit dem langsamsten Internet noch länger auf Glasfaser warten
müssen, weil dann durch das neue Förderprogramm so viel neue Konkurrenz aus Regionen dazukommt mit Förderanträgen von Nutzern, die schon deutlich schnelleres
Netz haben.
({5})
Alternativ können Sie auch den Wegfall der Aufgreifschwelle ein bisschen verschieben. Aber ich fürchte, Minister Wissing will gar nicht unbedingt den
schnellstmöglichen Gigabit-Ausbau für alle, weil ein langsamerer Ausbau für die Telekom-Industrie einfach attraktiver ist.
Dazu zwei Beispiele. Das Erste. Minister Wissing unterbindet nicht die sinnlose Ressourcenverschwendung durch den sogenannten Überbau, bei dem man
eine zweite Glasfaser dahin legt, wo schon eine liegt, weil dann zwei Unternehmen am Eigentum der Infrastruktur verdienen können, obwohl es zu wenig
Ausbaukapazitäten gibt und im Dorf nebenan vielleicht sogar noch gar nichts liegt. Das ist eine aktive Verlangsamung des Glasfaserausbaus im ländlichen Raum,
und das darf so nicht bleiben.
({6})
Der Markt soll das regeln, aber der regelt da nix. Der Markt führt zu anhaltender Ressourcenverschwendung bei gleichzeitiger struktureller
Benachteiligung ländlicher Räume.
({7})
Das lohnt sich für die Wirtschaft; denn in der Stadt wohnen schlicht mehr zahlende Kunden je Quadratmeter. Die Teilhabe an der digitalen Gesellschaft
hängt also zurzeit vor allem davon ab, wo sich diese Teilhabe für Unternehmen lohnt, und das ist falsch, meine Damen und Herren.
({8})
Das zweite Beispiel. Ein umfassenderer Förderstopp steht in Volker Wissings Gigabit-Strategie ja sogar schon drin als Maßnahme zur Gegensteuerung – da
müssen Sie sich jetzt mal kurz festhalten –, falls der Gigabit-Ausbau schneller als erwartet passiert, wenn also – Gott bewahre! – vor 2030 alle Haushalte
Gigabit-Netze bekommen können. Faktisch führt der Minister ein Tempolimit für den Breitbandausbau ein, damit die Dörfer in der Uckermark nicht zu schnell auf
der Datenautobahn fahren.
({9})
Ich bitte um Verständnis für diese kleine Verkehrsmetapher, aber ich habe den Verkehrsminister bisher nur als solchen wahrgenommen und nicht als
Digitalminister. Vielleicht dringt mein Appell so ein bisschen besser durch.
Also: Korrigieren Sie Ihre Fehler! Vom schnellen Netz hängt einfach viel zu viel ab.
Vielen Dank.
({10})
Für die Bundesregierung erhält das Wort die Parlamentarische Staatssekretärin Daniela Kluckert.
({0})
Verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bedeutung der digitalen Infrastruktur für unser Land
kann man nicht zu hoch schätzen. Sie ist wichtig für die soziale Teilhabe. Sie ist wichtig für die Mobilität. Sie ist wichtig für die Wirtschaft unseres Landes.
Deswegen reicht es nicht aus, sie da zu halten, wo sie momentan ist.
Wir haben mit der Digitalstrategie vorgelegt. Sie enthält auch eine Gigabit-Strategie, an die wir Versprechungen an die Menschen und an die
Unternehmen in Deutschland geknüpft haben. Wir haben gesagt: Bis 2030 gibt es Glasfaser überall, den neuesten Mobilfunkstandard gibt es dann überall. Aber wir
wollen uns auch an unseren Worten messen lassen. Deswegen haben wir klare Ziele bis 2025 formuliert.
({0})
In Deutschland haben wir eine Aufholjagd zu bewältigen. Wir sehen – ob im Westen oder Osten, ob im Norden oder Süden –: Die Nachbarn sind besser. Sie
sind besser, weil bei uns früher die falschen Entscheidungen getroffen wurden; diese sind jetzt zu korrigieren. Sie sind zu korrigieren mit privaten
Investitionen, aber auch mit Fördermitteln. Insgesamt haben wir bisher 13 Milliarden Euro Fördervolumen im Markt, und das Fördervolumen für 2022 beträgt
3,1 Milliarden Euro. Das ist ein Rekord. Es ist das größte Finanzvolumen, das für diesen Zweck jemals zur Verfügung gestellt worden ist, und es wird
kontinuierlich fortgeschrieben.
({1})
Die Kollegin von den Grünen, Dr. Piechotta, hat es ganz richtig gesagt: Es ist eine gute Nachricht, dass diese Mittel abgerufen worden sind. Es ist
eine gute Nachricht, dass wir bereits im Oktober sagen können: Wir sind schneller geworden beim Mittelabruf. Wir sind besser geworden beim Mittelabruf. Wir sind
so gut wie nie zuvor.
({2})
Das ist eine gute Nachricht, es ist eine hervorragende Nachricht. Das wollen wir.
({3})
Es ist überhaupt nichts Ungewöhnliches, dass Fördertöpfe einmal leer sind. Man muss dann überlegen, wie man damit umgeht.
({4})
Wir wollen den Gigabit-Ausbau mit Fördermöglichkeiten vorantreiben, aber wir haben auch die Gigabit-Strategie vorgelegt, die ganz viele Punkte
enthält. Das bedeutet, dass wir Bürokratie abbauen, Standards vereinfachen, Dinge zusammenlegen. Wir haben neue Verlegetechniken sozusagen auf die Überholspur
gesetzt
({5})
und werden diese demnächst auch vereinheitlichen. Das Gigabit-Grundbuch treiben wir voran, damit wir Informationen zusammenbringen, und wir gehen vor
allen Dingen den Bürokratieabbau an. Dieser zeigt schon Wirkung; denn die Fördermöglichkeiten sind deutlich einfacher geworden. Wir geben alles, damit der
Ausbau vorankommt. Die Wirkung ist groß, wie man sieht.
Wie geht es jetzt weiter? Das ist natürlich etwas, was die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister vor Ort interessiert. Das ist es, was die Menschen vor
Ort interessiert. Natürlich werden wir Lösungen für die Altanträge finden. Wir werden Lösungen finden für das, was da kommt. Wir werden neue Förderrichtlinien
festlegen, die an die derzeitige Situation angepasst sind.
({6})
Es ist natürlich klar, dass man hier keine Schnellschüsse abgeben kann, sondern dass man ernsthaft und seriös vorgehen muss.
Herr Brandl, Sie hatten gefragt, was Sie den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern sagen sollen. Sie sollten sagen: Für uns – für die Ampel – steht
die Digitalisierung, steht die digitale Infrastruktur ganz, ganz vorn auf der Prioritätenliste.
({7})
Wir haben Rekordhaushalte, die wir auch kontinuierlich fortschreiben. Bei uns ist die digitale Infrastruktur in guten Händen. Wir bringen Innovationen
auf die Straße. Auf uns kann man setzen, wenn es um die digitale Infrastruktur geht.
Vielen Dank.
({8})
Für die CDU/CSU-Fraktion erhält jetzt das Wort Dr. Inge Gräßle.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Herrn Brandl zustimmen. Ganz viele Menschen, Kommunalpolitiker, schauen gerade auf uns.
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, haben versagt. Frau Staatssekretärin, Sie haben versagt. Sie versprechen, Probleme zu lösen, die Sie jetzt erst
mit Ihrem Förderstopp kreieren,
({0})
Probleme, die die Kommunen ja längst schon gelöst haben. Die sitzen auf fertigen Anträgen und warten drauf, dass sie sie in ihren Computersystemen
wieder hochladen können.
({1})
Warum lassen Sie nicht einfach das zu, was in Ihrem eigenen Programm ursprünglich stand, nämlich dass die Anträge durch Verlängerung des alten
Programms bis Jahresende upgeloadet werden können? Ich bitte Sie wirklich: Lassen Sie es zu, weil Sie sonst das Gegenteil von Beschleunigung erfahren. Sie
erfahren Verzögerung.
({2})
Mir liegt eine Landkarte von der Stadt Schwäbisch Gmünd vor.
({3})
Schwäbisch Gmünd liegt nicht in Bayern, sondern in Baden-Württemberg.
({4})
Das ist mein Wahlkreis, 50 Kilometer von Stuttgart entfernt. Die grünen Punkte zeigen, wer schon schnelles Internet hat. Doch es gibt ganz viele rote
Punkte – ganz weit weg –, die symbolisieren: antragsreif. 30 Millionen Euro für 4 100 Haushalte, Läden, Geschäfte, ein Gewerbegebiet, Bauernhöfe. Denen haben
Sie jetzt gesagt: Leute, wir machen was viel Besseres. Wir machen neue Förderrichtlinien. Das heißt, ihr geht mit eurem ganzen Antragsverfahren zurück auf
Start. – Entschuldigung, aber das ist völlig inakzeptabel. Ich schäme mich für so viel Mangel an Professionalität.
({5})
Ich schäme mich dafür, dass Sie den Bund als politische Ebene völlig diskreditieren. Es trifft uns ja leider alle. Ich sage schon: Ich bin nicht bei
der Ampel, bitte nicht schlagen. – Sie haben ja gar keine Antworten auf dieses Problem gegeben. Sie versuchen, abzulenken, zu tarnen und zu täuschen.
({6})
Frau Dr. Piechotta, Sie sollten wirklich Gesundheitspolitik machen.
({7})
Ehrlich, Sie waren heute eine große Enttäuschung für mich. Leider waren Sie nicht die einzige Enttäuschung. Der Kollege Schätzl hat versucht, auf
einer Glatze Locken zu drehen.
({8})
Leute, ihr könnt es drehen, wie ihr wollt: Ihr könnt es nicht rechtfertigen. Es ist doch nicht zu rechtfertigen, es ist ein Vertrauensbruch. Es ist
ein Fehler, das zu machen. Gebt es zu, und bemüht euch, es zu finanzieren.
({9})
Das Haushaltsrecht sieht doch entsprechende Instrumente vor. Sie, Frau Staatssekretärin, verordnen jetzt bis Jahresende zehn Wochen Stillstand.
({10})
Dann geht es natürlich noch nicht weiter, sondern dann geht es von vorne los. Es geht zurück auf Start.
({11})
Dann werden komplexe Antragsverfahren neu begonnen. Dann werden die Kommunen nochmals vertröstet und vertröstet und vertröstet. Ich halte das für
absolut nicht zielführend. Und das Ganze als Beschleunigungsstrategie verkaufen zu wollen,
({12})
da muss ich Ihnen sagen: Es ist ja nicht so, dass die Leute blöd sind. So ist es ja nicht.
({13})
Diese Geschichte fällt Ihnen auf die Füße. Frau Staatssekretärin, ich hoffe, Sie haben die Poststelle in Ihrem Ministerium gut ausgestattet. Es rollt
eine Welle von Protestbriefen auf Sie zu.
({14})
So kann man doch nicht mit anderen staatlichen Ebenen umgehen.
Warum war dieses Graue-Flecken-Förderprogramm so erfolgreich? Es hat so gut funktioniert,
({15})
weil die verschiedenen politischen Ebenen so gut zusammengearbeitet haben. Es tut mir leid, es sagen zu müssen – es kommt ja so oft nicht vor-: Aber
dieses Programm hat funktioniert.
Deshalb: Seien Sie so gut, und springen Sie über Ihren Schatten! Bemühen Sie sich, es weiterzuführen. Denn das Graue-Flecken-Förderprogramm hat auch
Auswirkungen auf das Weiße-Flecken-Förderprogramm. Im Weiße-Flecken-Förderprogramm gibt es eine Möglichkeit, unvorhergesehene Mehrkosten zu teilen. In
Baden-Württemberg zahlt natürlich auch das Land 40 Prozent. Aber das Land wird nur dann zahlen, wenn der Bund zahlt. Das heißt, wir sprechen nach Ihrer
Entscheidung über eine Kürzung von real 90 Prozent.
({16})
Das ist ein vollständiger Stopp des gesamten Breitbandausbaus. Ich kann Ihnen nur sagen: So kann man nicht schaffen. Ich schäme mich wirklich für
Sie.
({17})
Fremdschämen ist es in diesem Fall;
({18})
denn es ist so unprofessionell. So kann man die Leute nicht verladen. Sie verladen die Leute, und das ist durch nichts zu rechtfertigen. Es wäre
schön, wenn Sie einfach aufhören würden, zu versuchen, es zu rechtfertigen.
Danke.
({19})
Für die SPD-Fraktion erhält jetzt das Wort Johannes Arlt.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Dr. Gräßle, Sie haben gerade von Schämen gesprochen.
({0})
Wissen Sie, wofür ich mich schäme? Ich stehe 2022 am Rednerpult des Deutschen Bundestags
({1})
und schäme mich dafür, dass in der größten Wirtschaftsnation Europas nicht jeder Haushalt einen Internetanschluss hat,
({2})
keinen Breitbandanschluss, nicht einmal einen normalen Internetanschluss. Dafür schäme ich mich.
({3})
Wenn Sie als die Partei, die den Breitbandausbau, die Verfügbarkeit von Mobilfunk und die Digitalisierung jahrzehntelang behindert hat, eine Aktuelle
Stunde zu diesem Thema beantragen, dann ist das nur noch lächerlich.
({4})
Vielleicht darf ich Sie an Folgendes erinnern: 1982 – da war ich noch nicht mal geboren –
({5})
hat die sozialliberale Koalition das weltweit erste flächendeckende Glasfasernetz beschlossen. 1982! Dann kam die geistig-moralische Wende. Und was
war der erste Regierungsbeschluss? Man hat den Ausbau des ersten Glasfasernetzes wieder zurückgenommen. Das ist das Fundament des Problems, über das wir heute
diskutieren.
({6})
Ihr Haus hat jahrelang
({7})
durch Missmanagement verschleppt und behindert. Herr Minister Scheuer ist nicht durch gute Ideen aufgefallen, sondern hat gute Ideen sogar noch
torpediert.
Schauen wir uns die Resultate Ihrer Politik an! Bei der Breitbandverfügbarkeit liegt Deutschland unter dem Durchschnitt der EU-Mitgliedstaaten. Bei
der digitalen Wettbewerbsfähigkeit liegt Deutschland gemäß dem Digital Riser Report auf dem vorletzten Platz der G‑7-Staaten.
({8})
Also: Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Chuzpe, so eine Aktuelle Stunde zu beantragen!
({9})
– Ja, wir haben uns durchgesetzt; sonst gäbe es das Graue-Flecken-Förderprogramm überhaupt nicht, Frau Cotar.
({10})
Wir sollten nicht vergessen: Das Programm ist ein enormer Erfolg. 2022 sind bereits Anträge mit einem Volumen von 3 Milliarden Euro gestellt
worden.
({11})
Damit sind die Mittel für dieses Jahr bereits ausgeschöpft. Das zeigt – Frau Piechotta hat darauf hingewiesen –
({12})
den enormen Erfolg und den immensen Nachholbedarf, den Sie von der CDU/CSU verursacht haben. Ich erinnere nochmals daran: Gegen Ihren Widerstand
mussten wir dieses Programm durchsetzen, gegen die Widerstände Ihres Ministers Andreas Scheuer.
({13})
Wir werden mit diesem Programm 3,1 Millionen neue Anschlüsse schaffen, darunter für 12 300 Schulen, 710 Gewerbegebiete, 150 Krankenhäuser.
({14})
Wie notwendig das ist, möchte ich Ihnen anhand meines ländlich geprägten Wahlkreises, des größten deutschen Flächenwahlkreises, gern
verdeutlichen.
({15})
Ich bin mit drei SIM-Karten unterwegs wegen des schlechten Netzes. Offiziell habe ich 80 Prozent Netzabdeckung beim Mobilfunk, gefühlt eher
65 Prozent.
({16})
Hotels können ihren Gästen kein WLAN anbieten, weil es kein Internet gibt, nicht mal Festnetzanschlüsse. Für die Landwirtschaft steht kein Breitband
zur Verfügung.
({17})
Neue Firmen siedeln sich nicht in einer digitalen Wüste an. Das zu ändern, ist eine riesige Aufgabe.
({18})
Allein in meinem Landkreis sind dafür 4 210 Kilometer Tiefbauarbeiten notwendig. Erledigt sind bisher 1 573 Kilometer.
Ich möchte auch einen Ausblick geben. Jetzt, nachdem wir frei von den Fesseln der CDU/CSU sind,
({19})
zeigen wir als Ampelkoalition, wie wir den Ausbau richtig anpacken.
({20})
Wir schaffen den digitalen Überschallknall. Ab 2023 werden wir flächendeckend ohne Aufgreifschwelle fördern.
({21})
Das betrifft Haushalte, Schulen, Krankenhäuser, Gewerbegebiete, kleine und mittlere Unternehmen. Das sind europaweit einzigartige Förderbedingungen,
das ist Debürokratisierung, und das ist auf Sicht endlich die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse für den ländlichen Raum, in dem ich selber lebe.
Also: Mit der verabschiedeten Gigabit-Strategie werden wir die Verfahren beschleunigen und digitalisieren. Wir werden neue Verlegetechniken zur
Anwendung bringen. Wir werden für eine bessere Mobilfunkversorgung kämpfen,
({22})
auch an Bahnstrecken und anderen Verkehrswegen. Wir werden dafür sorgen, dass Breitbandanschlüsse in Zukunft wie Strom in jedem Haushalt Standard
werden.
Vielen Dank.
({23})
Ich bitte auch bei Zwischenrufen ein gewisses Niveau einzuhalten.
({0})
– Das ging gerade eine andere Richtung. Ich glaube, die betreffende Person weiß auch, was gemeint ist.
Als Nächstes erhält das Wort Maik Außendorf für Bündnis 90/Die Grünen.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Jahr 2022 wurde der Antragsprozess digitalisiert.
Der Breitbandausbau hat Fahrt aufgenommen. Jahrelang ist im Ausbau wenig vorangegangen.
({0})
Jetzt wurde das Geld eben mal schneller abgerufen. Das Graue-Flecken-Förderprogramm wird nachgefragt. Es ist also ein Erfolg.
({1})
Herr Brandl, ich habe eben einmal mitgeschrieben. Sie hatten die Formulierung gewählt, das sei ein Angriff der Ampel auf den ländlichen Raum
({2})
und ein Schlag ins Gesicht der Kommunen.
({3})
Jetzt überlegen wir doch einmal, worüber wir hier reden. Es ist ja kein Förderstopp.
({4})
Es ist ja nicht aufgehoben, sondern aufgeschoben.
({5})
Deshalb sage ich Ihnen als Atheist: Lassen Sie mal die Kirche im Dorf, Herr Brandl, auch in Bayern und ganz besonders in Bayern!
({6})
Natürlich ist das für die Kommunen erst einmal eine Enttäuschung; das ist ganz klar. In die Antragstellung ist schon viel Arbeit geflossen.
({7})
Aber noch einmal: Es ist nicht so, dass es nicht weitergeht. Wir sind permanent im Gespräch mit dem Ministerium und haben gemeinsam das Ziel, dass die
eingereichten Anträge, die dann auf der Förderrichtlinie von 2023 basieren, schnell und zügig bearbeitet werden. Wir sind guten Mutes, dass das auch so kommen
wird.
Mit der Gigabit-Strategie haben wir zusammen mit dem Ministerium einen Plan vorgelegt, Deutschlands Infrastruktur zu erneuern; denn nur mit einer
verlässlichen, flächendeckenden und modernen digitalen Infrastruktur wird es uns gelingen, die Teilhabe für alle zu ermöglichen und die damit verbundene
Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft zu erreichen. Da sind wir auf dem Weg. Natürlich muss jetzt schnell gehandelt werden. Zusammen mit dem
Ministerium sorgen wir dafür, wie gerade schon gesagt, dass die Anträge auch weiterhin unkompliziert bearbeitet werden können.
({8})
Jetzt kam aus Teilen der Telekommunikationsbranche und auch aus dem politischen Raum schon die Beschwerde, es gebe eine Förderflut, ein Fördertsunami.
Dem möchte ich entgegenhalten: Wir haben im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass der eigenwirtschaftliche Ausbau Vorrang hat.
({9})
Die Branche hat 50 Milliarden Euro zugesagt.
({10})
Da muss man auch einmal an die Branche auf ihre Beschwerde, es werde zu viel gefördert, zurückgeben: Es wird jetzt nur so viel gefördert, weil in der
Vergangenheit zu wenig gebaut wurde.
({11})
Jetzt komme ich noch einmal auf das Programm zurück. Was haben wir eigentlich erreicht dieses Jahr? Es wurden Anträge für 2 500 Projekte eingereicht,
die im Laufe des Jahres angegangen werden können. Das sind 3 Millionen Anschlüsse für Haushalte, Unternehmen, Schulen und Krankenhäuser, die jetzt über
schnelles Internet verfügen, darunter allein 12 300 Schulen. Da wird in die Zukunft investiert. 700 Gewerbegebiete werden im Laufe des Jahres davon profitieren.
Das alles im Rahmen des Graue-Flecken-Förderprogramms!
Zum Graue-Flecken-Förderprogramm muss man auch noch einmal sagen – es wurde ja eben beklagt, dass es da jetzt einen Aufschub gibt –: Es ist nicht so,
dass die grauen Flecken gar nicht versorgt sind. Sie haben ja jetzt schon mindestens 30 Mbit/s.
({12})
Das ist nicht viel. Aber jetzt zu sagen, das sei ein Schlag ins Gesicht der Kommunen, weil es vielleicht ein paar Wochen länger dauert, das geht
wirklich zu weit.
({13})
Ich komme noch einmal auf die Gigabit-Strategie zurück. Insbesondere wir Grüne haben uns für ein paar Maßnahmen eingesetzt, die besonders den Kommunen
und den kleinen und mittelständischen Unternehmen zugutekommen:
Erstens: Vorrang für das Betreibermodell. Wir haben für die Kommunen Musterverträge auf den Weg gebracht, damit sie es einfacher haben und Klarheit im
Antragsdschungel bekommen.
Zweitens: intelligente Clusterbildung. Gerade dadurch können die Kommunen und auch die KMUs vom geförderten Ausbau profitieren.
Drittens. Wir haben uns starkgemacht für alternative Verlegetechniken wie Trench- und Fräsverfahren.
({14})
Denn der wahre Grund, warum es nicht vorangeht, sind die mangelnden Kapazitäten in der Bauindustrie.
({15})
Da sind wir dran. Das Ministerium hat zusammen mit dem DIN an Normierungsnormen gearbeitet – das steht in der Schlussphase –, damit wir schneller
vorankommen mit neuen Verlegetechniken.
Zum Schluss: Es gilt das Wort des Ministers, der Breitbandausbau wird am Geld nicht scheitern. Als Ampel haben wir ehrgeizige Ziele für den
Ausbau.
({16})
Wir setzen uns auch weiter dafür ein, dass es schnellstmöglich mit dem Breitbandausbau weitergeht.
({17})
Für die FDP-Fraktion erhält jetzt das Wort Maximilian Funke-Kaiser.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine leistungsfähige und zukunftsorientierte Infrastruktur ist ein wesentlicher
Bestandteil und das Fundament unseres zukünftigen wirtschaftlichen Erfolgs. Glauben Sie mir, anders als andere haben das die Freien Demokraten im Blick.
({0})
Gerne, liebe Union, hole ich jetzt ein bisschen weiter aus und gehe auf das ein, um das es eigentlich geht: Es geht um die besten Standortbedingungen
Deutschlands und der Europäischen Union im harten Wettbewerb mit internationalen Konkurrenten, die – und das in aller Deutlichkeit – in den letzten Jahren
wesentlich besser ihre Hausaufgaben gemacht haben.
({1})
Während Deutschland lange Zeit auf altbewährte Konzepte gesetzt hat – verdiente Geschäftsmodelle, gar kein Zweifel, die uns lange Zeit Wohlstand
garantiert haben, die soziale Sicherheit ermöglicht haben –, haben andere Nationen geschaut, was man von Deutschland lernen kann. Sie haben gesehen, und sie
haben gelernt. Sie haben Gutes adaptiert, vielleicht nicht immer mit gleichem Erfolg; aber sie haben gesehen und gelernt. Und was haben sie auch gemacht? Sie
haben es besser gemacht. Was nicht gelaufen ist, haben sie vermieden und anders gemacht. Sie haben andere Sparten gesucht, andere Geschäftsmodelle und dabei
auch eine andere Infrastruktur.
Deutschland hat das in den letzten Jahren verpasst. Deutschland hat verpasst, sich in den letzten Jahren weiterzuentwickeln. Wir haben es auch
verpasst, unsere soziale Marktwirtschaft neu zu begründen. Viel zu lange haben wir auf die Erfolge der vergangenen Jahrzehnte gesetzt, davon gezehrt und dabei
wertvolle Zeit verspielt.
Doch um diese umfassenden Reformen kommen wir nicht umhin; denn an diesen hängen die sozialen Chancen künftiger Generationen. Letztendlich geht es um
die Neubegründung der sozialen Marktwirtschaft, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Prägend ist das Grundverständnis, dass wir neue Jobs ermöglichen, dass wir Menschen das Vorankommen erleichtern und als Grundlage die Erneuerung
dieser Wirtschaft erreichen wollen. Zum einen darf unser Land nicht länger den Erfindergeist, die Schaffenskraft und den Fleiß ausbremsen,
({3})
sondern es muss Aufstiegschancen ermöglichen. Gleichzeitig müssen wir den Weg bereiten für den Umbau, hin zu einer digitalen und klimaneutralen
Zukunft.
({4})
All das Gesagte gelingt nur mit den besten Standortbedingungen und der besten Infrastruktur, liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere der besten
digitalen Infrastruktur. Die haben Sie, liebe Union, in den letzten Jahren nicht geschaffen. Ansonsten stünden wir hier gar nicht. Sie haben uns in die jetzige
Problematik geritten.
({5})
Sie sind es, die den Fokus nicht auf eine zukunftsfähige Infrastruktur gelegt haben. Sie sind es, die die Trendwende in der Politik verweigert und auf
ein Weiter-so gesetzt haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({6})
Mal ganz ehrlich Richtung Bayern – ich komme selber aus Bayern –: Ihr Ministerpräsident hat Ihnen 2021 einen Bärendienst erwiesen, und das wissen
Sie.
({7})
Mit dem ewig gleichen Duktus kommt er immer und immer wieder an: Mit der Union ist immer alles besser; in Bayern funktioniert alles besser. Ich komme
selber aus Bayern, ich kann Ihnen sagen, liebe Freunde der CSU: In Bayern läuft nichts besser.
({8})
Und wenn doch, dann ist die Frage, in welchem Maßstab es besser läuft. Schauen Sie der Realität ins Auge, und hören Sie auf, zu träumen, liebe
Kolleginnen und Kollegen der CSU!
({9})
Jetzt kommen wir zum angeblichen Förderstopp. Falsch! Das ist billiger Populismus! Die Mittel sind schlicht ausgeschöpft. In einer Woche Anträge mit
einem Volumen von 500 Millionen Euro – das ist eine massive Überzeichnung. Warum? Weil wir keine Priorisierung in der Förderrichtlinie haben. Mehr Geld bedeutet
nicht automatisch bessere Infrastruktur und schnelleren Ausbau.
Das Beste ist: Diese Förderrichtlinie kommt von Ihnen. Das ist Ihre Förderrichtlinie.
({10})
Das ist also Ihr Förderstopp; den haben Sie zu verantworten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({11})
Wir Freien Demokraten achten auf das Recht, und wir sorgen dafür, dass diese Förderrichtlinie zum 1. Januar 2023 geändert wird, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
Ebenso lustig ist, dass Sie jetzt auf einmal bessere Gigabit-Infrastruktur wollen, und das schnell und bürokratiearm. Prima, das wollen wir auch, und
das machen wir auch mit der Gigabit-Strategie.
({12})
Sie wollen auf einmal auf eigenwirtschaftlichen Ausbau setzen. Ja, super! Das machen wir jetzt mit der Gigabit-Strategie. Die Bundesregierung macht
das alles schon.
({13})
Sie wollen jetzt zielgenau dort fördern, wo dringender Förderbedarf besteht. Prima! Das kommt mit der Gigabit-Strategie. Wir priorisieren die
Fördermittel. Das kommt mit der Förderrichtlinie zum 1. Januar 2023.
({14})
Sie sagen es selbst: Schnelligkeit und Effektivität; eigenwirtschaftlicher Ausbau hat Vorrang. Und jetzt beschweren Sie sich über eine fehlende
flächendeckende Förderung. Das merken Sie selbst: Das passt in keiner Weise zusammen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({15})
Also, machen Sie hier weniger Show, vorbei an den Tatsachen,
({16})
sondern konzentrieren Sie sich doch bitte endlich mal auf das, worum es wirklich geht, nämlich dass wir gemeinsam dieses Ziel erreichen! Angeblich
wollen Sie das ja auch. Ich finde das auch wirklich gut; denn wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Sie waren lange Zeit nicht dazu in der Lage. Dass Sie es
immer noch nicht sind, das beweisen Sie heute hier einmal mehr; denn sonst hätten wir heute dieses Thema gar nicht auf der Agenda.
Herr Kollege.
Bund und Länder müssen jetzt gemeinsam an einem Strang ziehen.
({0})
Diese Aktuelle Stunde ist das genaue Gegenteil davon. Sie ist Zeitverschwendung, um das in aller Deutlichkeit zu sagen.
In diesem Sinne: Herzlichen Dank.
({1})
Für die CDU/CSU-Fraktion erhält jetzt das Wort Michael Kießling.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe FDP, was ist mit Ihnen los?
({0})
Sie tragen die Digitalisierung als Monstranz vor sich her; Sie stellen den Digitalisierungsminister; Sie haben ein Ministerium, das „Digitalisierung“
im Namen hat. Und Sie stoppen ein erfolgreiches Programm?
({1})
Ausgerechnet der Digitalisierungsminister macht einen auf Habeck. Das ist das gleiche Schema wie bei der KfW-Förderung: Die Förderung läuft aus, und
es gibt keine Antwort auf die Fragen der Bürgermeister, der Kommunen vor Ort. Nichts! Auch heute haben wir wieder nichts gehört. Von der Staatssekretärin gab es
keine Antwort auf das, was die Leute draußen bewegt.
({2})
Herr Arlt, ich glaube, man kann hier als SPD alles behaupten, ohne irgendwas zu wissen.
({3})
Einfach mal was in den Raum stellen, einfach mal zu sagen, die SPD hat das Graue-Flecken-Programm entworfen. Wo sind wir denn eigentlich?
({4})
Sie wissen schon, wer der letzte Bundesverkehrsminister war, oder? Das war kein Kollege von Ihrer SPD.
({5})
Meine Damen und meine Herren, Sie als Koalition müssen schon wissen, was Sie wollen. War es ein erfolgreiches Programm, das überzeichnet ist und
ausgelaufen ist? Oder war es ein Programm, das man nachbessern, nachschärfen muss, weil es nicht erfolgreich war? Das geht querbeet, jeder Redner vertritt
andere Ansichten. Sie sollten sich in der Koalition mal einig werden: Wie treibe ich Digitalisierung voran, und wie behebe ich die grauen Flecken?
Und wenn das Programm ein Erfolg ist, warum stoppen Sie es?
({6})
Herr Schätzl, Sie haben gesagt: Wir wollen keine Förderlücke. – Was machen Sie denn jetzt? Schauen wir bloß mal auf das KfW-Programm zurück: Das wurde
gestoppt.
({7})
Oder andersherum: Es gibt keine Förderung mehr, also gibt es auch kein Geld mehr. – Was ist passiert? Das KfW-Programm läuft nicht weiter, es wird
nicht mehr mit dem energetischen Maßstab gebaut, den wir gerne hätten.
({8})
Das Gleiche wird hier auch passieren. Sie wissen, dass Infrastrukturprojekte länger dauern. Die Kommunen haben Vorarbeit geleistet, sie haben Geld
investiert. Sie wollen jetzt abgeben, sie warten auf dieses Geld. Und jetzt sagen Sie: Stopp! Und wir wissen nicht, wann das Geld kommt. Sie reden von Januar,
wir haben gehört, im Juli, vielleicht wird es auch Herbst. Das ist doch keine Antwort. So geht man doch nicht mit Kommunen, mit der kommunalen Ebene um!
({9})
Wir wollen die Menschen in die Zukunft mitnehmen. Wenn ich die Menschen in die Zukunft mitnehmen will, dann muss man schauen, dass die Basis stimmt,
dass wir eine flächendeckende Breitbandversorgung brauchen. Sie haben gesagt: Das Graue-Flächen-Programm ist gut, es wird vorangetrieben, es wird ausgenutzt,
wir schreiten voran. – Und jetzt stoppen Sie es. Also, meine Damen und Herren, das ist doch wirklich der falsche Ansatz.
({10})
Sie sagen, dass Sie bis 2025 50 Prozent der Haushalte mit Glasfaser erschließen wollen.
({11})
Aber Sie wissen nicht, wie es vorangeht, wenn das Geld ausgeht. Wie wollen Sie denn da die Kommunen mitnehmen? Wir brauchen doch auch die Baukapazität
vor Ort. Sie können doch nicht den Kommunen sagen: Heute gibt es leider kein Geld mehr. Sie haben zwar einen wunderbaren Antrag ausgearbeitet mit den Gremien,
mit Unternehmen, mit Ingenieurgesellschaften, haben Geld ausgegeben. Jetzt können Sie den Antrag aber nicht abgeben. – Und die Kommunen wissen nicht, wie es
nächstes Jahr weitergeht. Genau das ist ja die Frage; darum haben wir ja die Aktuelle Stunde beantragt.
Klar kann ein Programm mal überzeichnet sein.
({12})
Aber da müssen Sie doch die Antworten finden;
({13})
Sie dürfen nicht einfach sagen: Stopp! Wir überlegen mal, was wir machen könnten, und dann schauen wir vielleicht mal weiter. – Das ist doch keine
Politik; das ist doch keine verantwortungsvolle Regierungspolitik, meine Damen und Herren.
({14})
Mit Ihrem Förderstopp schädigen Sie letztendlich den ländlichen Raum. Wenn Sie gleichwertige Lebensbedingungen möchten, dann brauchen Sie auch
Glasfaser und den flächendeckenden Breitbandausbau vor Ort. Sie sagen immer: Wir brauchen die Digitalisierung. Wir brauchen Breitband an der letzten
Milchkanne. – So schafft man das natürlich nicht, meine Damen und Herren.
({15})
Egal ob es jetzt Absicht oder einfach nur Inkompetenz war
({16})
– na gut, wir können auch „beides“ sagen; wir können es auch kumulieren –: Fakt ist, dass Sie als Ampelregierung, als links-geführte
FDP-Regierung,
({17})
es nicht schaffen, bei den wichtigsten Fragen der Infrastruktur eine Antwort zu bieten, meine Damen und Herren.
({18})
Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen – dann wünsche ich Ihnen auch ein schönes Wochenende –: Unter unserem Verkehrsminister Andreas Scheuer
wäre dieses Fiasko nicht passiert.
({19})
Letzter Redner in dieser Debatte ist Dr. Jens Zimmermann für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle erst mal fest: Auch am Freitagnachmittag bekommt man im Bundestag was für
sein Geld geboten.
({0})
Das ist eine gute Nachricht für alle Zuschauenden, die heute an diesem Nachmittag noch dabei sind.
Ob man diese Aktuelle Stunde gebraucht hätte? Da gehen die Meinungen auseinander. Ich habe den Eindruck, die Union versucht berechtigterweise, sobald
irgendetwas passiert, sofort darauf einzugehen und schnell eine Aktuelle Stunde zu beantragen.
({1})
In der letzten Woche durften wir hier über eine Buchveröffentlichung reden; heute dürfen wir über ein erfolgreiches Förderprogramm reden. Ich bin mir
nicht immer sicher, ob diese Schnellschüsse am Ende wirklich auch sinnvoll sind.
({2})
Aber sie geben uns zumindest Gelegenheit, hier auch über erfolgreiche Projekte zu reden, meine Damen und Herren.
({3})
Das Schöne an der Sache ist ja, dass Sie sogar was dazu beigetragen haben. Ex-Minister Scheuer sitzt ja da in Ihren Reihen. Ich sage ganz klar: Wir
haben gemeinsam das Graue-Flecken-Förderprogramm auf den Weg gebracht, wir haben gemeinsam das Weiße-Flecken-Programm auf den Weg gebracht. Olaf Scholz hat den
Digitalfonds aufgelegt, der gut gefüllt ist. Wenn ich mir die Zahlen anschaue, sehe ich: Wir haben 12,85 Milliarden Euro für den Breitbandausbau mobilisiert.
Das Interessante dabei ist ja – um das Problem mal klar zu skizzieren –, dass von diesen 12,85 Milliarden Euro über 10 Milliarden Euro noch nicht ausgegeben
worden sind. Das heißt, diese Projekte sind alle noch in der Pipeline. Da wird vor Ort gebaut, da wird vor Ort geplant. Und das ist ja erst mal eine gute
Nachricht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Gleichzeitig ist es total faszinierend – mir war das nicht bewusst, aber in der Opposition hat man ja auch Zeit, nachzudenken –, dass Sie von der
Union offenbar plötzlich Fans eines allein öffentlich geförderten Ausbaus sind.
({5})
Ich hätte mir das ja acht Jahre lang gewünscht. Ich habe mir immer gewünscht, dass wir eine große deutsche Glasfasergesellschaft errichten und das
selbst in die Hand nehmen. Aber es war doch immer auch Ihr Wunsch, dass privat betriebener Ausbau und öffentlich geförderter Ausbau nebeneinander stehen. Und
jetzt haben wir die ganzen Jahre gemeinsam weit über 3 Milliarden Euro jährlich, so wie auch in diesem Jahr, zur Verfügung gestellt. Die werden auch abgerufen,
und das ist doch gut, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({6})
Deswegen ist mir die Aufregung ein bisschen zu groß.
Ich verstehe es voll und ganz: Wenn Anträge jetzt noch in der Pipeline sind, dann ist das mehr als ärgerlich. Aber Sie müssen schon noch eine Frage
erlauben. Sie haben ja den Förderstopp bei der KfW aus dem Frühjahr angesprochen. Der hat auch mich total geärgert. Aber es macht doch einen Unterschied, liebe
Kolleginnen und Kollegen, ob der Etat eines Förderprogramms im März oder ob er Ende Oktober leer ist. Wissen Sie was? Am 24. Dezember ist Weihnachten. Nur zur
Info, nicht dass Sie da auch überrascht sind.
({7})
– Natürlich gibt es ein Nachfolgeprogramm.
({8})
Das hat die Frau Staatssekretärin gesagt; das haben, glaube ich, alle Rednerinnen und Redner der Koalition gesagt. Dazu hat ja auch Kollege Scheuer –
das ist die Wahrheit – beigetragen. Er hat sich in Brüssel dafür eingesetzt, dass die Aufgreifschwelle bei den Förderprogrammen in Zukunft fällt. Das war sein
politischer Erfolg. Was macht die Ampel? Sie baut auf diesem politischen Verhandlungserfolg in Brüssel auf und wird im neuen Jahr ein neues Förderprogramm mit
ordentlichen finanziellen Mitteln auf den Weg bringen. Deswegen verstehe ich Ihre Aufregung darüber nicht, dass es da nicht weitergehen soll.
({9})
Es geht weiter.
({10})
Es geht sogar mit einem besseren Programm weiter, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({11})
Insofern: Gut, dass wir das hier an dieser Stelle klarstellen konnten. Ich glaube nicht, dass alle Kommunen, die die Beantragung einer Förderung
planen, bis November warten wollten, bis sie ihre Anträge abgeben.
({12})
Das erscheint mir ein bisschen komisch. Und ab dem neuen Jahr werden wieder Haushaltsmittel zur Verfügung stehen; dann haben wir wieder Geld.
Aber ein Punkt ist mir an dieser Stelle auch noch wichtig. Wir müssen doch mal erkennen: Die wahren Probleme im Breitbandausbau werden momentan nach
wie vor durch mangelnde Baukapazitäten verursacht. Sie werden dadurch verursacht, dass wir immer noch auf die DIN-Normen für die alternativen Verlegetechniken
warten. Daran müssen wir arbeiten, damit das Geld auch ausgegeben werden kann. Denn es hilft doch nichts, wenn Förderantrag nach Förderantrag rausgehauen wird
und immer mehr in der Pipeline ist. Am Ende ist für die Bürgerinnen und Bürger da draußen das Wichtigste, dass Glasfaser bei ihnen an der Tür ankommt.
Herzlichen Dank.
({13})