Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Geschätzte Frau Präsidentin! Auch wenn ich jetzt denke: „Warum gehen die alle, wenn ich mit der Rede anfange?“, möchte ich als Allererstes hervorheben, dass wir jetzt hier einen Gesetzentwurf vorliegen haben, den ich gemeinsam mit den Kollegen Sven-Christian Kindler und Dennis Rohde vorbereiten durfte, und ich will damit zeigen, wie diese neue Ampelkoalition auch schon gearbeitet hat, als der Bundeskanzler noch gar nicht gewählt war.
Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen: Wir haben in den nächsten Monaten neben all den Aufgaben, die der Koalitionsvertrag an uns heranträgt, ganz wesentliche Überlegungen zu treffen: Wie stabilisieren wir unsere Wirtschaft? Wie stabilisieren wir unsere Sozialsysteme? Wie stabilisieren wir insbesondere die betroffenen Unternehmen in der nächsten Zeit, in der Phase, in der wir noch nicht genau wissen, wie es mit Corona weitergeht?
Dementsprechend legt Ihnen die Koalition einen Gesetzentwurf vor, der als eines der Elemente neben der Frage „Kurzarbeit und Überbrückung“ ganz essenziell für deutsche Unternehmen ist.
Er umfasst Änderungen, die sich auf das Stabilisierungsfondsgesetz und – wir sehen es ja sehr schön an der Anzeigetafel – das Wirtschaftsstabilisierungsbeschleunigungsgesetz beziehen.
Bei beiden Gesetzen geht es letztlich darum, wie wir größeren, aber auch mittelständischen Unternehmen helfen, wenn sie in Liquiditätsschwierigkeiten kommen. Eigentlich sollten diese Gesetze zum Ende des Jahres auslaufen. Das hätte bedeutet, es hätten keine weiteren Anträge mehr bearbeitet werden können. Das hätte bedeutet, es hätten weitere Hilfen, trotz der Notwendigkeiten, die uns Corona aufzwingt, nicht mehr so erfolgen können, wie es nötig wäre. Wir als Koalition sind zu dem Ergebnis gekommen – ich danke da den Kollegen –: Ja, wir verlängern; aber wir verlängern nicht ad infinitum, sondern wir sagen ganz klar, dass wir aus dieser Situation irgendwann auch rauskommen müssen.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass wir zum Ende des Monats Juni 2022 die möglichen Hilfen aus diesem Fonds beenden werden. Das bedeutet: Ab dann wird es keine neuen Beschlüsse mehr geben. – Gleichzeitig beheben wir aber auch einen Konstruktionsfehler des alten Gesetzes, nämlich dass die Antragsfristen quasi noch bis zum Ende des Gesetzentwurfes gelten. Das gibt allen beteiligten Unternehmen, seien sie klein, seien sie mittel, seien sie groß – ich nenne hier nur das Beispiel Lufthansa –, die Möglichkeit, Hilfen vom Staat dann zu bekommen, wenn sie in ihrer Liquidität gefährdet sind.
Zweitens – und das ist ganz wichtig – machen wir aber auch etwas, was für meine Fraktion von ganz besonderer Bedeutung ist – das ist auch ein Signal an die Kapitalmärkte –: Wir haben durch die bisherige Form der durch die Große Koalition eingebrachten Gesetze ein Volumen von – Achtung! – 600 Milliarden Euro gehabt, die bereitgestellt wurden. Diese 600 Milliarden Euro waren ein Sicherheitspuffer; ich billige der alten Regierung auch durchaus zu, dass dieser richtig war. Aber er war zu hoch, weil – das möchte ich deutlich sagen – es erkennbar nicht notwendig war, so viel zu helfen. Es wurden etwa im Bereich der Unternehmenshilfen von den bis zu 100 Milliarden Euro, die wir angeboten haben, maximal 8 Milliarden Euro genutzt. Das reduzieren wir jetzt. Wir brauchen diese 100 Milliarden Euro nicht. Stattdessen geben wir dem Kapitalmarkt, geben wir denjenigen, die Deutschland auch in Zukunft Hilfen am Kapitalmarkt geben werden, denen, die unsere Bonds zeichnen werden, ein deutliches Signal und reduzieren den Betrag von 100 Milliarden auf 50 Milliarden Euro.
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Und bevor jetzt hier Kritik kommt: Das ist immer noch das Zehnfache dessen, was bisher in Anspruch genommen wurde. Es ist damit ausreichend.
Bei den ausgestellten Garantien gehen wir von 400 Milliarden Euro zurück auf 100 Milliarden Euro, weil diese Garantien bisher nicht genutzt wurden. Auch das ist ein Zeichen, das wichtig ist.
Ich will dabei zum Schluss meiner Rede den Zusammenhang mit dem, was auch in der nächsten Woche noch auf uns zukommt, deutlich hervorheben. Da geht es um die Frage, wie wir im Haushalt insgesamt stehen. Weil die wirtschaftliche Entwicklung so ist, wie sie ist, weil wir auch beim Thema Nachhaltigkeit – das sage ich jetzt besonders in Richtung meiner neuen Freunde von den Grünen – einen erheblichen Umbau unserer Industrie brauchen, werden wir sehr viele Haushaltsmittel benötigen. Dafür muss der Bundeshaushalt die entsprechenden Volumina haben. Deswegen, glaube ich, zeigen wir mit diesem Gesetzentwurf auch sehr deutlich, dass die Flexibilität des Haushalts gegeben ist und ausreichend Mittel zur Verfügung stehen.
Meine Damen und Herren, zum Schluss: Heute reden wir darüber, wie wir helfen, wie wir stabilisieren. Aber wir müssen auch ganz klar erkennen: Wir werden bei Maßnahmen – und das sage ich in Richtung Arbeits- und Sozialministerium, aber auch in Richtung Wirtschaftsministerium – sehr genau gucken, wie wir in den nächsten Monaten aus der Situation „Corona“ herausgleiten; denn wir können diese Hilfssysteme nicht dauerhaft anbieten. Wir müssen aus einer Stagnation herauskommen.
Deswegen schließe ich auch für den Kollegen Rohde – weil ich nicht immer Shakespeare oder Goethe zitieren will – mit Herrn Willy Brandt, aus der Regierungserklärung 1969: „Unser Ziel lautet: Stabilisierung ohne Stagnation“.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist richtig, in dieser schweren Krise alles dafür zu tun, um eine Pleitewelle zu verhindern. Das hat Die Linke immer unterstützt. Es ist auch richtig, diese Hilfen jetzt zu verlängern. Aber wir kritisieren, dass die neue Koalition die Fehler in dem alten Gesetz nicht korrigiert. Dabei haben wir doch alle erlebt, dass die staatlichen Hilfen die Beschäftigten nicht abgesichert haben.
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Für uns Linke ist klar: Wenn Konzerne mit Milliarden gerettet werden, dann darf es keine Entlassungen und dann darf es kein Lohndumping geben.
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Wir können auch nicht akzeptieren, dass diese Konzerne ihr Geld weiter in Steueroasen verschwinden lassen. Öffentliches Geld muss öffentlichen Interessen dienen.
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Das Beispiel Lufthansa verdeutlicht das Problem. Die Lufthansa wurde gerettet, aber über 30 000 Menschen wurden entlassen. Über 30 000 Menschen!
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Die Bundesregierung wurde durch die Beteiligung in Form dieser Staatshilfe zum größten Eigentümer.
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Aber anstatt um die Jobs zu kämpfen, haben Olaf Scholz und Peter Altmaier geschwiegen. Das darf auf gar keinen Fall Schule machen. Deswegen muss das Gesetz geändert werden.
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Wir wundern uns schon, dass sich SPD und Grüne nicht dafür einsetzen. Die SPD hat damals gesagt: Mit der CDU/CSU ist nicht mehr drin. – Die Grünen haben mit uns zusammen in der Opposition für ein besseres Gesetz gekämpft. Und jetzt sind sie an der Regierung und legen hier ein „Weiter so ohne Änderungen“-Gesetz vor. Was für eine Enttäuschung!
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Meine Damen und Herren, mit öffentlichem Geld müssen öffentliche Interessen gesichert werden. Das gilt auch für die Coronaimpfstoffe. Eine Pandemie kann nur weltweit besiegt werden. Deshalb muss die neue Bundesregierung schleunigst die Blockade zur Freigabe der Patente beenden.
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Sie muss aufhören, diese Lobbytätigkeit für die Pharmaindustrie! Geben Sie endlich die Patente frei! Das werden Sie von uns heute und in Zukunft noch sehr häufig hören.
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Vielen Dank.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist das Ziel der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, gerade in der Opposition, dass die Mobilität bezahlbar und dass sie für alle Menschen im Land erreichbar bleibt. Die Teilhabe an Mobilität ist in Deutschland ganz wichtig.
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Ich muss Ihnen nicht sagen, wie wichtig es gerade in Bezug auf den aktuellen Wandel ist, dass wir zu einer klimafreundlichen, zuverlässigen, aber eben auch bezahlbaren Mobilität kommen. Vor dem Hintergrund des Koalitionsvertrags, sehr geehrte Damen und Herren der links-gelben Regierung,
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appellieren wir an Sie: Tun Sie doch nicht so, als wären viele Projekte in diesem Land bereits abgeschlossen, als könnten wir einfach alles auf den Prüfstand stellen. Nein, wir brauchen auch in Zukunft wichtige Verkehrsprojekte in diesem Land.
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Wir appellieren an Sie: Schaffen Sie die Rahmenbedingungen dafür, dass Millionen Menschen nicht durch Mehrkosten belastet werden; denn viele Menschen in diesem Land sind auch in Zukunft darauf angewiesen, täglich zur Arbeit, zur Kita, zur Schule, zum Arzt zu kommen – mit dem ÖPNV, aber auch mit dem Auto, sehr geehrte Damen und Herren.
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Das ist die Grundvoraussetzung für gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land.
Mit dem heute vorgelegten Antrag bringen wir Vorschläge ein. Wir fordern Sie auf, an der Pendlerpauschale festzuhalten und sie weiterzuentwickeln. Agieren Sie technologieoffen, und schaffen Sie den Umstieg auf eine CO2-neutrale Mobilität, und haben Sie dabei alle Interessen im Blick. Es geht nicht nur um den ÖPNV; es geht auch um die Autofahrer in diesem Land.
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Bitte vernachlässigen Sie deshalb auch nicht die synthetischen Kraftstoffe. 2030 werden im Land immer noch 30 Millionen Autos mit Verbrennungsmotor unterwegs sein. Geben Sie deshalb das klare Bekenntnis, die Energiesteuersätze für Diesel und Benzin nicht zu erhöhen! Reformieren Sie stattdessen sowohl die Besteuerung der Kraftstoffe als auch die Kfz-Besteuerung im Lichte einer CO2-Bepreisung! Befreien Sie die nichtfossilen Bestandteile von Kraftstoffen von der Energiesteuer; aber erkennen Sie auch die Notwendigkeit der Steuervergünstigungen beim Agrardiesel für die Wettbewerbsfähigkeit von Landwirtschaft, Forstwirtschaft, aber auch von vielen Familienunternehmen in unserem Land an.
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Sehr geehrte Damen und Herren, es gibt viele Technologien in unserem Land. Das ist ein Schatz, den es zu heben gilt. Wir werden uns auch in der Opposition bei den großen Fragen der Mobilität der Zukunft konstruktiv und kritisch einbringen. Wir haben auch eines im Blick: die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Es gibt viele Millionen Pendlerinnen und Pendler in unserem Land; auch ihnen fühlen wir uns verpflichtet.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Johann Saathoff.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst einmal aus dem Koalitionsvertrag zitieren:
Wir wollen die 2020er-Jahre zu einem Aufbruch in der Mobilitätspolitik nutzen und eine nachhaltige, effiziente, barrierefreie, intelligente, innovative und für alle bezahlbare Mobilität ermöglichen.
Wenn man den kennen würde, würde man diese Anträge nicht stellen.
Ich will an dieser Stelle deutlich machen, dass der Klimaschutz der rote Faden dieses Koalitionsvertrages ist. Und da gibt es verschiedene Sektoren: Es gibt den Stromsektor, es gibt den Wärmesektor und den Mobilitätssektor. Beim Stromsektor sind wir schon sehr gut aufgestellt: Der Anteil der erneuerbaren Energien liegt bei 50 Prozent. Beim Wärme- und Mobilitätssektor haben wir allerdings deutlichen Aufholbedarf. Wir sind weit entfernt davon, die Sektorziele bei der Mobilität tatsächlich zu erfüllen; deswegen müssen wir hier etwas machen. Wir machen Klimaschutz aber nicht, um die Menschen zu ärgern, um sie zu irgendetwas zu zwingen, was sie nicht wollen, oder um Dinge teurer zu machen. Vielmehr machen wir Klimaschutz einzig und allein mit dem Ziel, die Lebensgrundlage dieser Erde zu sichern.
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Damit ist klar: Es geht um die Lebensräume für unsere Kinder und Enkelkinder. In den Anträgen wird suggeriert, man solle einfach nichts machen. Ich halte das für unverantwortlich.
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Das ist die Garantie dafür, dass unsere nachfolgenden Generationen keine Lebensgrundlage haben werden. Dafür wollen wir nicht verantwortlich sein.
Zur Ehrlichkeit gehört: Es werden Veränderungen auf uns zukommen. Wir werden mit Veränderungen umgehen können müssen. Die Automobilkonzerne in Deutschland stellen um auf Elektromobilität. Ich erlebe das bei mir zu Hause in Emden. Das Werk wird zum Standort für Elektromobilität komplett umgebaut. Dabei entstehen natürlich Unsicherheiten bei den Menschen. Trotzdem ist es die richtige Entscheidung.
Ich will an dieser Stelle aber auch deutlich machen, dass nicht nur die Frage: „Wie wird ein Pkw angetrieben?“ wichtig ist, sondern auch die Frage: „Mit wie vielen Ressourcen bauen wir eigentlich Autos?“. Dafür bietet Ostfriesland eine ganze Menge Grundlagen, die vielleicht auch für den Rest Deutschlands wichtig sein werden. Perspektivisch will ich sagen, dass Batteriezellfertigung natürlich dort hingehört, wo gleichzeitig ein Hafen ist, kluge Menschen, Automobilproduktion und Unmengen von erneuerbaren Energien sind – wo immer das sein mag. Diese Standortfaktoren müssen Sie im Blick haben.
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Gleichzeitig gilt für uns als SPD: Mobilität ist Teil der Daseinsvorsorge. Sie muss erhalten und bezahlbar bleiben. Mobilität ist die Voraussetzung für gleichwertige Lebensverhältnisse im Land, zu denen wir alle miteinander verpflichtet sind. Die Rahmenbedingungen für die Transformation der Mobilität sind in ländlichen Räumen ganz andere als in der Stadt. Wir brauchen also nicht einen Generalplan, sondern passgenaue und klimafreundliche Mobilitätsangebote. Wir werden das nicht alleine schaffen können; vielmehr müssen wir das in engem Austausch mit den Kommunen machen. Die Kommunen brauchen unsere Hilfe, aber auch wir brauchen die Hilfe der Kommunen, um diese Herausforderungen zu meistern.
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Bei den ländlichen Räumen geht es natürlich um den Ausbau der Infrastruktur insgesamt, sowohl was das Straßen- und Schienennetz als auch Ladesäulen und 5-G-Netze angeht. Wir haben uns vorgenommen, all das künftig maßgeblich zu verbessern.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man die Anträge liest, dann denkt man: Es geht eigentlich gar nicht so sehr um Mobilität, sondern um das generelle Verständnis für Klimaschutz. In den Anträgen geht es eigentlich um Kritik an einzelnen Maßnahmen, die dazu führen, den Klimaschutz voranzubringen. In Ostfriesland würde man dazu sagen: Woor keen Nüst is, dor sünd ok keen Eier.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Herr Saathoff, ich habe das Letzte zwar nicht verstanden – das ist nicht schlimm –, aber ich wollte Ihnen zum Geburtstag gratulieren: Herzlichen Glückwunsch!
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Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Dr. Dirk Spaniel.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Besteuerung von Kraftstoffen ist mittlerweile nichts anderes mehr als ein Programm zur Ausbeutung der Menschen in diesem Land.
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Zu Ihrem Antrag, verehrte Kollegen der CDU/CSU-Fraktion: Teile Ihres Antrags lesen sich wie die Forderung der AfD-Fraktion aus der letzten Legislaturperiode. Sie fordern die Steuerbefreiung für nichtfossile Kraftstoffe. Das haben wir auch schon gefordert; dazu gibt es eine Drucksachennummer. Damit wir das hier alle verstehen. Jahrelang haben Sie sich in Wegelagerermanier die Energiesteueranteile für E10- bzw. B7-Diesel steuerlich bezahlen lassen, obwohl sie gar nicht CO2-relevant waren. Wahrscheinlich sind Sie erst durch unsere Drucksachen aus der letzten Legislaturperiode darauf gekommen. Bemerkenswerter ist aber, dass Ihnen die politisch verursachten Kraftstoffpreise einen Tag nachdem Sie aus der Regierung ausgeschieden sind auffallen. All das, was Sie hier fordern, hätten Sie in den letzten 16 Jahren umsetzen können.
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Liebe Kollegen, gute Opposition muss man lernen. Den Nachholbedarf der CDU/CSU-Fraktion erkennt man übrigens auch an handwerklichen Fehlern. Sie sprechen hier unter Punkt II.5 von der Mineralölsteuer. Liebe Kollegen von der CDU/CSU, gerne mache ich Sie darauf aufmerksam, dass Sie die Mineralölsteuer bereits im Jahr 2006 abgeschafft haben. Sie reden hier also von einer Steuer, die es gar nicht mehr gibt, weil Sie sie abgeschafft haben.
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Das ist die Stelle, wo in einem Cartoon normalerweise stehen würde: Ohne Worte.
Zu unserem eigenen Antrag. Wir fordern die sofortige Aussetzung der CO2-Abgabe auf alle Kraftstoffarten. Das reduziert den Preis für den Liter Kraftstoff um circa 10 Eurocent. Flankieren wollen wir die Senkung der Benzinkosten durch eine sofortige Erhöhung der Pendlerpauschale. An einzelne Personen auf der Regierungsbank, die gerade nicht da sind und die vielleicht nicht wissen, wie die Pendlerpauschale funktioniert: Es besteht die Möglichkeit zur Nachfrage.
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Viele Menschen in unserem Land bringen die hohen Benzinpreise an die Grenzen ihrer finanziellen Belastbarkeit. Und Sie wollen diesen Menschen den ÖPNV aufzwingen. Der wird übrigens durch Ihre Brennstoffemissionshandelsgesetzgebung auch teurer. Das ist eine Unverschämtheit. Sie ziehen allen Menschen in diesem Land – nicht nur den Autofahrern – das Geld für Mobilität aus der Tasche.
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Wir sind offenbar die einzige Interessenvertretung der Autofahrer und der arbeitenden Menschen in diesem Land und in diesem Parlament.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Stefan Gelbhaar.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Was bin ich froh, dass die CSU-Verkehrspolitik vorbei ist!
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Gelegentlich war das ganz unterhaltsam, aber in der Summe bleibt es ein Desaster. Sie von der Union haben 16 Jahre lang die Klimakrise und die soziale Ungerechtigkeit auch im Bereich Mobilität verschärft.
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Pkw-Maut, Beratermillionen, Dieselgate, Bahnschulden – Sie hinterlassen einen verkehrspolitischen Scherbenhaufen.
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Ihr Antrag, den Sie jetzt hier vorgelegt haben, belegt das sogar noch eindrücklich. Sie schreiben da zum Beispiel, dass das Auto in vielen Regionen unverzichtbar sei, gerade auf dem Land. Das ist doch nichts anderes als ein Schuldeingeständnis. Wo war denn die ÖPNV-Offensive auf dem Land für die ländlichen Regionen? Nichts haben Sie da hinbekommen, nichts haben Sie da unternommen! Das muss jetzt anders werden.
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Mobilität ist nicht nur Auto. Um einen Aspekt zu benennen: Die Bürgerinnen und Bürger haben der Union die unnötig teure Mobilität zu verdanken – wegen des verschleppten Umstiegs auf Elektromobilität, wegen der Vernachlässigung von Bus und Bahn, wegen immer teurerer Tickets. Herr Schreiner, es sei Ihnen einmal gesagt: 79 Prozent höhere Ticketpreise nur im Zeitraum zwischen 2000 und 2018, 57 Prozent bei der Bahn, das ist eine deutlich krassere Steigerung als bei den Preisen für das Auto.
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Herr Scheuer hat immer sehr gerne von der Spritpreisbremse gesprochen. Ich habe ihn nie etwas dazu sagen hören, dass ihm die Ticketpreise nicht egal wären. Nein, die sind ihm egal gewesen. Und da liegt der Fehler.
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Wir werden da einen anderen Weg gehen. Die Ampelkoalition hat sich auf eine deutliche Steigerung der Mobilität mit Bus, Bahn und Fahrrad verständigt. Genau das wird der Verkehrsminister umsetzen.
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Noch ein Wort zum Diesel. Wissen Sie: Die Ampelkoalition verbindet drei unterschiedliche politische Ansätze und Ideen.
({7})
Die gesellschaftlichen Konflikte sind Teil dieser Koalition, und das ist auch gut so. Gesellschaftliche Konflikte werden in der Zukunft nicht mehr abmoderiert. Wir werden sie ausdiskutieren, und wir werden trotz aller Unterschiede gemeinsam mit dem Ministerium Lösungen suchen und finden, entlang von Wort und Sinn des Koalitionsvertrages. Das bedeutet auch, dass wir sozial gerecht klima- und umweltschädliche Subventionen abbauen werden. Das haben wir so vereinbart.
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Jeder Autofahrer findet in diesem Land sehr schnell und unproblematisch einen Anwalt. Das ist auch gut so. In dieser Koalition gibt es jetzt einen Anwalt für Klima, Umwelt und, ja, für die Verkehrswende. Die Regierungsarbeit hat gestern begonnen. Es gibt keinen Grund für uns, die vergeudete Amtszeit der Union nachträglich schönzufärben. Ihre Schaufensteranträge bringen da nichts, und deswegen lehnen wir sie ab.
Vielen Dank.
({9})
Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Thomas Lutze.
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Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Präsidentin! Ich nehme positiv zur Kenntnis, dass die Union tatsächlich den ÖPNV und den Radverkehr ausbauen will. Die Überschrift Ihres Antrages hätte übrigens fast von uns stammen können. Dass diese beiden sehr wichtigen Punkte aber als Punkte neun und zehn ganz hinten in Ihrer Aufzählung der Forderungen verankert sind, zeigt den Stellenwert dieser Thematik bei der Union. Nur zum Vergleich: Die Betankung der rund 32 000 in Deutschland zugelassenen Traktoren – bei allem Respekt vor unserer Landwirtschaft – hat bei Ihnen Platz fünf. Mit dem ÖPNV fahren aber jeden Tag Millionen Menschen.
Ebenso ist für Millionen Berufstätige die Pendlerpauschale eine wesentliche Säule beim Einkommen. Was Sie vollkommen ausblenden, ist die Tatsache, dass es in Deutschland auch sehr viele Menschen gibt, die täglich zur Arbeit pendeln, aber so wenig Geld verdienen, dass sie von der Pendlerpauschale überhaupt nicht profitieren. Wir brauchen also andere Instrumente, um den Weg zur Arbeit für die Beschäftigten finanzierbar zu machen.
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Eine Möglichkeit wäre ein attraktiver, das heißt flächendeckender und kostenloser ÖPNV.
({1})
Bleibt die Kfz-Steuer. Sie besteuert den Besitz des Autos und nicht die Nutzung. Belohnt wird hier das Vielfahren. Wenn ich mein Auto nämlich möglichst oft nutze, dann wird die Kfz-Steuer pro gefahrenem Kilometer billiger. Lasse ich mein Auto öfter stehen und nutze Bus, Bahn oder das Fahrrad, wird mein Auto pro gefahrenem Kilometer teurer. Das ändert auch der Maßstab „CO2-Ausstoß“ nicht. Eine Pauschalsteuer im Straßenverkehr hat leider auch eine negative Lenkungswirkung.
Fazit: Lassen Sie uns die Verkehrspolitik so ausrichten, dass niemand auf sein Auto angewiesen ist – also nicht Autofahren verbieten oder verteuern, sondern die Alternativen zum Auto besser und billiger machen, und das auch im ländlichen Raum.
Im Übrigen bin ich auch für die Freigabe der Patente für die Impfstoffe.
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Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Bernd Reuther.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, da haben Sie ein schönes Sammelsurium zusammengeschrieben. Lieber Kollege Schreiner, da sind auch einige richtige Punkte dabei. Ich frage mich nur: Warum haben Sie die denn in den vergangenen zwölf Jahren, als die Union den Verkehrsminister gestellt hat, nicht schon angegangen und umgesetzt? Das ist doch die Frage!
({0})
Dann widmen Sie einen ganzen Absatz der Kritik am Verkehrsteil des Koalitionsvertrages. Da frage ich mich, warum der gerade ausgeschiedene Verkehrsminister Andreas Scheuer dieser Tage noch gesagt hat, dieses Kapitel hätte er ohne Probleme unterschreiben können. Da müssen Sie sich doch fragen lassen: Finden Sie den Verkehrsteil jetzt gut, oder finden Sie ihn nicht gut?
({1})
Wir setzen uns auf jeden Fall in der neuen Bundesregierung dafür ein, dass Mobilität auch in Zukunft bezahlbar bleibt und das Brennstoffemissionshandelsgesetz sinnvoll weiterentwickelt wird. Das haben wir mit unseren Partnern auch so im Koalitionsvertrag festgehalten. Sozial gerechte Energiepreise sorgen dafür, dass besonders Menschen mit geringen Einkommen nicht zu stark belastet werden.
Gleichzeitig behalten wir das ökologisch Notwendige im Blick. Deswegen halten wir weiterhin an einem steigenden CO2-Preis im Verkehrssektor fest. Das ist ein wichtiger Anreiz, um die Emissionen nachhaltig zu senken. Die letzte Bundesregierung hat hier viel zu wenig getan, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wir Freien Demokraten gehen allerdings noch einen Schritt weiter: Mit einem starken sozialen Ausgleich entlasten wir insbesondere Menschen mit geringem Einkommen. Auch für die steigenden Spritkosten, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union – seien Sie unbesorgt –, werden wir in der neuen Bundesregierung eine Lösung finden, damit wir die Pendler im ländlichen Raum – Sie wissen es, ich komme selber aus einem sehr ländlichen Wahlkreis – weiterhin entlasten.
({3})
– Wesel, Niederrhein.
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– Bitte. Gern geschehen.
Bezahlbare Mobilität hört allerdings nicht beim Pkw auf. Um die Emissionen im Verkehr weiter zu senken, müssen wir stärker auf den ÖPNV setzen. Deswegen gleichen wir in einem ersten Schritt die pandemiebedingten Einnahmeausfälle der Verkehrsbetriebe aus und erhöhen die Regionalisierungsmittel ab dem nächsten Jahr. Damit werden wir verhindern, dass die Ticketpreise weiter so stark anziehen wie unter Ihrer Regierungsverantwortung.
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Unser Ziel ist es schließlich, die Fahrgastzahlen im ÖPNV deutlich zu steigern. Dazu zählen wir auch digitale und innovative Mobilitätsdienste. Diese wurden in der Vergangenheit ebenfalls sträflich vernachlässigt, und es fehlen die richtigen Rahmenbedingungen. Dabei haben wir besonders im ländlichen Raum die Chance, das Mobilitätsangebot zu verbessern und den Menschen hier eine Ergänzung zum klassischen ÖPNV zu bieten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die neue Bundesregierung wird die Versäumnisse der letzten Jahre nicht nur aufarbeiten und beseitigen. Wir werden neue Schritte wagen und die Modernisierung unseres Landes vorantreiben; denn nur wer mehr Fortschritt wagt, kann den Wohlstand unseres Landes langfristig sichern.
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Herzlichen Dank.
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Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Dr. Wiebke Esdar.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vorfahrt für die Bahn, ein starker ÖPNV und bis zum Jahr 2030 30-mal so viele Elektroautos wie heute auf unseren Straßen – damit der Verkehr jetzt endlich klimafreundlich wird, brauchen wir wirklich einen Aufbruch in der Mobilitätspolitik, und den liefern wir mit dem jetzt unterzeichneten Koalitionsvertrag.
Wir haben drei Kernelemente in unserem Plan. Erstens. Wir müssen massiv in die Schiene investieren. Die Bahn muss in ganz Deutschland zum Rückgrat der Mobilität werden – auch im ländlichen Raum. Wir brauchen einen klugen Ausbau der Schieneninfrastruktur und des Bahnbetriebs. Wir wollen den Schienengüterverkehr bis 2030 auf 25 Prozent steigern, und wir wollen die Verkehrsleistung im Personenverkehr verdoppeln.
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Zweitens wollen wir, dass Länder und Kommunen in die Lage versetzt werden, die Attraktivität des ÖPNV wirklich zu steigern: durch eine engere Taktung und durch eine bessere Erreichbarkeit, auch über die Tarifzonen hinweg. Wir wollen die Fahrgastzahlen im öffentlichen Verkehr massiv steigern. Dazu sollen zudem Busse und Bahnen zeitnah klimaneutral fahren. Es gibt schon Pilotprojekte. In Bielefeld durften wir uns in der letzten Woche über die ersten mit Grünem Wasserstoff betriebenen Busse freuen.
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– Auch der Wasserstoffbeauftragte unserer Fraktion klatscht. – Das sind erste Pilotprojekte. Jetzt wird es darum gehen, dass wir das in der Breite umsetzen, damit es auch wirklich einen klimafreundlichen Effekt gibt.
Schließlich wollen wir, drittens, Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität und zum Innovationsstandort für autonomes Fahren machen. Wir wollen dafür den Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur massiv vorantreiben: 1 Million öffentlich zugängliche Ladepunkte in den nächsten Jahren und 15 Millionen vollelektrische Pkws auf den Straßen bis 2030. Damit können wir die Verkehrswende, die in vielen Kommunen und Städten schon begonnen wurde, endlich unterstützen und die Bundesinvestitionen, die dafür benötigt werden, liefern.
Meine Damen und Herren, auf dem Weg zur Klimaneutralität gilt im Koalitionsvertrag ein ganz klarer Grundsatz: Das, was gut fürs Klima ist, wird günstiger; das, was schlecht fürs Klima ist, muss teurer werden. Um dies sicherzustellen, haben wir parteiübergreifend – meine Damen und Herren, da waren Sie von der Union auch dabei – einen verlässlichen, moderaten CO2-Preisanstieg vereinbart. An dem wollen wir festhalten.
Wir dürfen gleichzeitig – auch das ist klar – auf diesem Pfad natürlich nicht diejenigen vergessen, die auch heute noch auf den Verbrennungsmotor angewiesen sind, weil sie auf dem Land leben und ihnen auf ihrem Pendelweg eben noch kein gut ausgebauter ÖPNV zur Verfügung steht. Wir wollen diejenigen weiter unterstützen. Wir wollen sicherstellen, dass Mobilität bezahlbar bleibt, indem wir einerseits noch stärker auf attraktive Kaufanreize für strombetriebene Pkws setzen, zudem aber auch den steigenden CO2-Preis über ein Klimageld ausgleichen und die EEG-Umlage neu finanzieren.
Es war in der letzten Wahlperiode auch richtig, dass wir gemeinsam mit der Union – meine Damen und Herren, da verwundert mich Ihr Antrag schon; sie haben das scheinbar vergessen – beschlossen haben, die Pendlerpauschale für Langstreckenpendler befristet anzuheben. Seit diesem Jahr wurde sie auf 35 Cent angehoben, und bis 2024 wird sie auf 38 Cent erhöht. Meine Damen und Herren, ich finde, Ihr Antrag ist, wenn ich das mal so sagen darf, ziemlich peinlich. Sie haben, in der Opposition angekommen, wohl vergessen, was Sie zuletzt beschlossen haben.
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Und, Herr Schreiner, dass Sie in Ihrem Redebeitrag – das kommt obendrauf – den Eindruck erwecken, wir würden hier die Pendlerpauschale abschaffen, ist, ehrlich gesagt, auch ziemlich peinlich. Ich hoffe, dass da ein bisschen mehr Niveau in die Oppositionsarbeit hineinkommt.
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Ich will außerdem erwähnen, dass Sie auch mit Ihrer Forderung zu den Energiesteuersätzen für Diesel und Benzin einen falschen Eindruck erwecken. Sie wissen genauso gut wie wir, dass die Europäische Kommission die EU-Energiesteuerrichtlinie vorgelegt hat und nicht der Koalitionsvertrag Anlass für eine Angleichung der Besteuerung von Diesel und Benzin ist. Ich wette, wir sind uns an diesem Punkt relativ schnell einig: Wenn die Richtlinie die Anhebung der Energiesteuer auf Dieselkraftstoff zur Folge haben sollte, dann können und dann sollten wir diese höhere Besteuerung des Diesels in der Kfz-Steuer korrigieren. Wir können das korrigieren, aber erwecken Sie nicht den Eindruck, im Koalitionsvertrag würden Dinge stehen, die da nicht stehen.
Ich will ganz kurz auf den Antrag der AfD eingehen. Meine Damen und Herren, Sie machen weiter mit der Leugnung des menschengemachten Klimawandels. Sie wollen daraus ableitend den CO2-Preis kippen und das Brennstoffemissionshandelsgesetz abschwächen. Sie haben wieder Sündenböcke gefunden, die, wenn wir ehrlich sind, keine Sündenböcke sind. Es wäre ehrlicher, wenn Sie mal auf den Weltmarktpreis für Rohöl oder den starken Dollar eingehen würden.
Meine Damen und Herren, wenn es Ihnen wirklich darum geht, zu erfahren, wie wir Haushalte mit kleinen Einkommen entlasten wollen, dann lesen Sie den Koalitionsvertrag noch einmal ganz genau. Da finden sich auch in den Kapiteln zur Kindergrundsicherung und zum Mindestlohn gute Anreize.
Herzlichen Dank.
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Ich rufe Sie später auf. Es gab hier gerade noch Blickkontakt wegen einer Kurzintervention. – Herr Spaniel hat jetzt das Wort zu einer Kurzintervention.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Esdar, Sie haben hier unterstellt, dass wir in unserem Antrag den Klimawandel leugnen. Ich muss das jetzt hier an dieser Stelle im Plenum einmal richtigstellen. Die AfD-Fraktion hat zu keinem Zeitpunkt den Klimawandel geleugnet.
({0})
Sie hat lediglich betont, dass der von den Menschen verursachte Einfluss sehr gering ist. Das hat übrigens auch gar nichts mit den Themen zu tun, die wir hier heute diskutieren.
Sie unterstellen permanent, dass durch die Elektromobilität oder die Steigerung des öffentlichen Personennahverkehrs die Emissionen reduziert werden. Wir wissen eigentlich alle in diesem Plenum: Erstens. Sie können den ÖPNV nicht in dem Maße ausbauen, wie Sie das hier propagieren. Zweitens. Die Emissionen, die durch Elektromobilität entstehen – das bestätigen viele Studien –, führen gerade nicht dazu, dass Sie die CO2-Emissionen in unserem Land reduzieren, weil der Strom, den Sie brauchen, sowohl für Bus und Bahn als auch für Elektromobilität, auf viele Jahre aus Kohlekraftwerken kommen wird. Das bestätigen alle Studien. Das heißt also: Ihr Plan führt nicht dazu, dass wir die Emissionen in diesem Land reduzieren; er führt nur dazu, dass das Leben für die Menschen, die Auto fahren, unendlich teuer wird. Dies ist unsere Argumentation.
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Frau Esdar, möchten Sie antworten?
Herr Spaniel, richtig zuhören hilft.
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Ich habe vom menschengemachten Klimawandel, den Sie immer wieder leugnen, gesprochen. Richtig zuhören hilft auch bei dem von mir genannten Beispiel aus Bielefeld, wo von Grünem Wasserstoff angetriebene Busse fahren. Genau das haben wir im Koalitionsvertrag vor:
({1})
Wir wollen die auf erneuerbare Energien setzenden Antriebe – Stichwort „Grüner Wasserstoff“ – fördern. Das ist, glaube ich, ziemlich klar.
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Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Christoph Ploß.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wie sieht die Mobilität der Zukunft aus? Das ist eine Frage, die wir nicht nur in der vergangenen Legislaturperiode mit vielen Initiativen der CDU/CSU-Fraktion schon in die richtige Richtung beantwortet haben, sondern die auch in dieser Legislaturperiode eine wichtige Frage sein wird.
Da muss man ganz zu Beginn dieses Redebeitrags erst einmal eines klarstellen, weil einige hier Geschichtsklitterung betreiben: Es gab noch nie so viele Investitionen in die Schiene und in den öffentlichen Nahverkehr wie unter der unionsgeführten Bundesregierung in der letzten Legislaturperiode, meine Damen und Herren.
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Ich kann eines sagen: Wir werden auch als Opposition, wir werden als CDU/CSU-Fraktion einen Schwerpunkt auf den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und auf Investitionen in die Schiene legen und in den nächsten Jahren sehr, sehr viele Anträge und Initiativen für den Schienenausbau in Deutschland einbringen.
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Aber es sind natürlich – das muss man, glaube ich, hier ganz klar benennen – viele Menschen in unserem Land auch in Sorge, weil sie im Moment widersprüchliche Aussagen von den Regierungsfraktionen dazu hören.
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SPD und Grüne sagen: Mobilität soll teurer werden. Autofahren muss teurer werden. Es soll nicht sein, dass Personen, die zum Beispiel im ländlichen Raum wohnen, mit dem Auto zur Arbeit in die Großstadt fahren. – Das sind alles Aussagen, die wir von SPD und Grünen hören.
Dann hören wir auf der anderen Seite – Christian Lindner, jetziger Finanzminister, hat es kurz vor der Wahl gesagt; auch Volker Wissing, jetziger Verkehrsminister, hat es kurz vor der Wahl gesagt; klare Beteuerung der FDP –, dass der Benzinpreis nicht verteuert wird und dass die Mobilität in unserem Land für die Bürger nicht teurer wird. Ich sage eines ganz klar, auch in Richtung FDP: Wir als CDU/CSU-Fraktion werden genau darauf achten, dass diese Versprechen, die Sie noch wenige Tage vor der Bundestagswahl gegeben haben, erfüllt werden.
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Wenn Sie der Pflegekraft, die morgens zur Frühschicht ins Krankenhaus muss, sagen, sie soll im Winter das Rad nutzen – sie hat vielleicht gar keine U- oder S-Bahn-Station vor der Tür –, wenn Sie den Menschen, die im ländlichen Raum oder in den Randgebieten der Großstädte wohnen, sagen: „Ihr dürft jetzt nur noch mit dem Rad oder dem öffentlichen Nahverkehr fahren“, dann wird das unser Land spalten. Die Frage, die wir im Deutschen Bundestag beantworten müssen, ist nicht „Schiene oder Auto?“, sondern wir brauchen Schiene und Auto. Wir müssen in diesem Zusammenhang das Auto klimafreundlich machen. Wir müssen dafür sorgen, dass Autofahren bezahlbar wird und dass wir die CO2-Ziele erfüllen.
Es gibt noch einen weiteren Punkt, der nicht nur uns als CDU/CSU-Fraktion, sondern vielen Menschen in unserem Land Sorge macht: Sie gehen nicht technologieoffen an das Thema heran. Wenn Sie nicht dafür sorgen, dass den 30, 35 Millionen Menschen in den 20er-, 30er-Jahren, die dann immer noch mit dem Verbrennungsmotor unterwegs sein werden, zum Beispiel günstige E‑Fuels und günstige klimaneutrale Kraftstoffe zur Verfügung stehen, dann wird das dazu führen, dass sich diese Menschen Mobilität nicht mehr leisten können.
Deswegen sage ich eines ganz klar: Wir werden im Sinne der vielen Millionen hart arbeitenden Menschen in unserem Land darauf achten, dass Mobilität bezahlbar bleibt, dass Mobilität technologieoffen bleibt – auch in dieser Legislaturperiode – und dass wir mit Innovation und sozialer Marktwirtschaft die Herausforderungen angehen. Darauf werden wir achten, und dafür werben wir um Unterstützung.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Matthias Gastel.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ganz schön mutig von der CDU/CSU, einen solchen Antrag zu stellen. Sie sind es gewesen, die drei Legislaturperioden in Folge die Bundesverkehrsminister gestellt haben und eine ganze Reihe von falschen Entscheidungen und Dingen, die liegen geblieben sind, zu verantworten haben.
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Sie waren es, die das Ministerium jahrelang lahmgelegt haben mit einer unsinnigen Ausländermaut. Sie waren es, die den Bundesverkehrswegeplan mit 1 360 Straßenbauprojekten völlig überfrachtet haben.
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Sie waren es, die einseitig auf die Straße gesetzt und die Schiene vernachlässigt haben.
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Lieber Kollege Ploß, sehen Sie doch einmal in den Haushaltsplan dieses Jahres,
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wie viel Geld für die Straße und wie viel für die Schiene vorgesehen ist! Sie sind es, die die Elektrifizierung und die Digitalisierung der Schiene verschleppt haben.
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Und Sie sind es, die es zu verantworten haben, dass die Klimaziele im Verkehrsbereich krass verfehlt worden sind. Das ist Ihre Verantwortung Ihrer jahrelangen falschen Verkehrspolitik.
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Die Ampelkoalition hat viele Vereinbarungen getroffen, um diesen Stillstand aufzulösen und die notwendigen Entscheidungen herbeizuführen.
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Wir haben ehrgeizige Ziele für die Stärkung des öffentlichen Verkehrs und des Schienengüterverkehrs getroffen. Wir wollen erheblich mehr in die Schiene als in die Straße investieren. Wir werden mehr Oberzentren an den Fernverkehr der Bahn anbinden und die Bahn wieder in die Fläche bringen. Wir werden Strecken elektrifizieren; ein wesentlicher Beitrag für die Stärkung des Güterverkehrs auf der Schiene und für die Klimaziele im Verkehrsbereich.
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Wir werden dafür sorgen, dass es mehr Gleisanschlüsse in Industriegebieten gibt und mehr Terminals für den kombinierten Verkehr, damit die Verlagerung auf die Schiene gelingt. Wir werden das Straßenverkehrsgesetz und die Straßenverkehrs-Ordnung ökologisch reformieren und den Städten und Gemeinden mehr Handlungsspielräume eröffnen. Das ist gut für den Radverkehr und gut für den Fußverkehr.
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Unter zu vielen CSU-Verkehrsministern ist zu vieles zu lange liegen geblieben. Vieles davon wird die Ampel anpacken.
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Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Alois Rainer.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit nunmehr circa einer halben Stunde beraten wir unseren Antrag „Mobilität für alle bezahlbar halten, Pendler und Wirtschaftsverkehr schützen“. Dabei wurden drei Dinge deutlich: Die Ampel steht für Pendler und Unternehmen, die auf das Auto angewiesen sind, auf Rot. Pendler werden mehr zahlen, und die Pendlerpauschale wird infrage gestellt. Unternehmen erleiden im europäischen Vergleich Wettbewerbsnachteile durch die im Koalitionsvertrag angekündigte Angleichung von Diesel- und Benzinpreisen. Meine Damen und Herren, das Dieselprivileg ist in Wahrheit kein Privileg, sondern ein Ausgleich einseitiger Belastungen der Betroffenen.
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Zweitens. Im gesamten Bereich der Verkehrspolitik steht die Ampel auf Gelb. Liebe geschätzte Kollegen der Grünen, ganz schön mutig, Herr Gastel, diesen Koalitionsvertrag zu unterschreiben. Nach den vollmundigen Ankündigungen in der letzten Legislaturperiode unterschreiben Sie einen Koalitionsvertrag, in dem ich grüne Politik sehr wenig sehe. Es steht nur drin: Klimaschädliche Subventionen sollen abgeschafft werden. – Ich bin am Ende der Tage gespannt, wie dieser Konflikt mit der FDP zu schaffen ist. Wir werden darauf schauen. Wir werden ein genaues Augenmerk darauf haben, wie Sie das am Ende der Tage lösen werden.
Ich sage Ihnen eines: Noch nie wurde in der Bundesrepublik so viel in den Radverkehr investiert wie in der letzten Legislatur.
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Noch nie wurde so viel in die Bahn investiert wie in der letzten Legislatur. Dieses Investitionsministerium, lieber Andreas Scheuer, hat den Namen in den letzten Jahren auch verdient gehabt.
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Wir werden ganz genau darauf schauen, was von diesen Investitionen am Ende der Tage auch übrig bleibt.
Für uns ist es wichtig: Wir brauchen weiterhin bezahlbare Mobilität. Ganz wichtig ist, wenn wir von Subventionen reden, dass beim Agrardiesel keine Mehrbelastung für unsere Land- und Forstwirte kommt; denn die Steuervergünstigung beim Agrardiesel fördert die Wettbewerbsfähigkeit vieler Familienbetriebe in unserem Land.
Ich freue mich auf die aufmerksame Arbeit mit Ihnen. Ich sage nicht: Ich freue mich auf die Opposition. – Auf die freue ich mich nicht.
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Ich freue mich auf eine aufmerksame Arbeit mit Ihnen. Glauben Sie uns: Wir werden ein wachsames Augenmerk haben auf das, was in der Verkehrspolitik passiert, was in der Infrastrukturpolitik passiert und wie in unserem Land investiert wird.
Vielen herzlichen Dank.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die neue Koalition bringt heute eine gesetzliche Änderung zu Regelungen der Ganztagsfinanzierung ein. Damit schaffen wir Klarheit und vereinfachen die Investitionen in die Schulkindbetreuung in zwei Punkten.
Der erste Punkt ist, dass die Laufzeit der Beschleunigungsmittel in Höhe von 750 Millionen Euro um ein Jahr verlängert wird. Es hat sich gezeigt, dass diese Gelder nicht so abfließen konnten, wie es eigentlich geplant war. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Lieferengpässe in der Bauwirtschaft, Planungsengpässe im Handwerk, Folgen von Hochwasser, die Pandemie. All diese Gründe lagen vor. Wir als Ampelparteien haben diesen Schritt bereits in der letzten Sitzungswoche angekündigt. Heute setzen wir ihn um.
Bitte erlauben Sie mir an dieser Stelle einen ganz herzlichen Dank an meinen Kollegen Sönke Rix und an Herrn Seestern-Pauly. Wir drei haben das verhandelt. Vielen herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit gleich von Anfang an.
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Jetzt wird eine Partei, nämlich die CDU/CSU-Fraktion, sagen: Wir haben das doch noch vor Ihnen eingebracht. – Wissen Sie was: Wir hätten nicht so schnell handeln müssen, hätten Sie die handwerklichen Fehler erst gar nicht gemacht. Ihnen haben wir es zu verdanken, dass wir so schnell agieren mussten. Sie wussten nämlich, als das Gesetz damals verabschiedet wurde, dass es diese Probleme gibt. Ihnen ging es gar nicht um die Unterstützung der Kommunen. Womöglich ging es Ihnen auch gar nicht um die Ganztagsschulen. Sie wollten einfach so schnell wie möglich ein Konjunkturmittel auf den Weg bringen, und Symbolik hatte bei Ihnen Vorrang. Deshalb haben Sie diese Fehler gemacht, und diese Fehler korrigieren wir. Das ist unser Plan.
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Ich habe in meiner Rede angekündigt, dass es nicht nur darum gehen kann, sondern dass es um ein ganzheitliches Denken geht, dass es darum geht, Fortschritt voranzubringen, dass es darum geht, die Kommunen und die Länder zu unterstützen und die besten Bildungseinrichtungen für die Kinder in diesem Land zu schaffen. Deshalb gehen wir noch einen zweiten Schritt: Wir sorgen dafür, dass nicht nur diese Mittel, sondern die gesamten Ganztagsmittel von allen in Anspruch genommen werden können, dass sie unbürokratisch und einfach abfließen können. Wir machen das Ganze viel einfacher, viel unkomplizierter, viel unbürokratischer, und wir überführen die Bonusmittel in die Basismittel, sodass die Inanspruchnahme auch erfolgen kann. Das nenne ich: ganzheitliches Denken und Handeln.
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Es ist wichtig und richtig, dass wir das so machen, liebe Kolleginnen und Kollegen; denn wir haben gemeinsam ein Bekenntnis zur Ganztagsschule gegeben. Wir haben das im Bundesrat verhandelt. Das Ergebnis ist da. Jetzt geht es nicht um Bund gegen Länder, Länder gegen Kommunen oder wie auch immer, sondern es geht darum, dass wir dieses Ziel gemeinsam entschlossen und ehrgeizig verfolgen.
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Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das kann ich Ihnen auch sagen: Wir werden bei diesem einen Punkt nicht stehen bleiben. Wir haben uns wirklich vorgenommen, die Bildungseinrichtungen in diesem Land bestmöglich zu fördern. Sie können es in unserem Koalitionsvertrag nachlesen: Wir setzen nicht nur auf Quantität; wir setzen nicht nur auf Investitionen. Wir setzen auch auf Qualität, weil auch das zur bestmöglichen Förderung der Bildungseinrichtungen gehört. Wir werden das Gute-KiTa-Gesetz nicht nur verlängern, sondern wir werden es in ein Betreuungsqualitätsgesetz überführen, bei dem es darauf ankommt, die besten Kindergärten für unsere Kinder zu schaffen.
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Um beste Startchancen für unsere Kinder und Jugendlichen zu schaffen, werden wir auch die Schulsozialarbeit in den Schulen erweitern. Die Schulkinderbetreuung wird durch das Investitionsprogramm ergänzt, wo Digitalisierung, moderne Schulen, klimagerechte Bauten und Barrierefreiheit nicht nur gedacht, sondern auch umgesetzt werden.
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Auch die Schulkinderbetreuung wird von diesem Land in Richtung Qualitätsrahmen in der Bildung in einer Ganztagsschuleinrichtung gefördert werden. Das gehört zu den Vorhaben des Bildungsministeriums. Sie sehen: Unsere Ziele in diesem Bereich sind wahnsinnig hoch. Das ist auch richtig und wichtig in diesem Land.
Es ist übrigens auch unumgänglich, dass wir noch ein sehr, sehr wichtiges Thema rausholen: Das ist der Bereich der Fachkräftesicherung. Hier brauchen wir einen großen Kraftakt, nicht nur Symbolik, sondern das Handeln einer entschlossenen Regierung, damit wir die Menschen davon überzeugen können, dass dieses Berufsbild nicht nur attraktiv, sondern auch wichtig für unsere Gesellschaft ist.
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Diese Regierung wird aber noch weiter gehen. Wir packen es an, Kinderarmut zu bekämpfen. Wir wollen nicht, dass jedes fünfte Kind in Armut aufwächst. Wir wollen Alleinerziehende nicht im Stich lassen. Wir haben so vieles vor, um diese Gesellschaft umzubauen. Sie von CDU und CSU finden zumindest erst mal die Fristverlängerung richtig. Das finde ich, ehrlich gesagt, gut. Ich bin gespannt, ob Sie auch dementsprechend abstimmen werden. Uns reicht das nicht. Das ist erst der Anfang. Alles andere sind unsere Hausaufgaben, die wir in der kommenden Zeit umsetzen werden. Bereits in den ersten 100 Tagen werden Sie hier einiges von uns vorgelegt bekommen.
Dann wird es darauf ankommen, ob es Ihnen tatsächlich um Kinder und Jugendliche in diesem Land geht, ob Sie uns darin unterstützen werden, dieses Land voranzubringen, ob Sie uns darin unterstützen werden, dieses Land gerechter zu machen. Dann wird sich abzeichnen, ob es Ihnen um Kinder geht, spätestens dann, wenn wir nicht nur im Bundestag, sondern auch im Bundesrat darüber entscheiden werden.
Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Nadine Schön.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Koalition schlägt heute vor, dass wir die Fristen für die Kommunen zum Abruf der Mittel für den Ganztagsausbau verlängern, und zwar um ein Jahr bis Ende nächsten Jahres. Gut so! Super Initiative! Das schafft Planungssicherheit für Kommunen, und das trägt dazu bei, dass wir den Rechtsanspruch auf einen Nachmittagsplatz, den wir gemeinsam beschlossen haben, auch realisieren können. Das ist richtig, und das ist gut.
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Aber warum erst jetzt? Bereits vor vier Wochen, am 11. November, haben wir als Unionsfraktion genau das hier im Plenum beantragt, und Sie haben nicht zugestimmt.
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Eine Woche später, am 18. November, haben wir von der Unionsfraktion hier einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem genau das drinstand. Sie haben nicht zugestimmt.
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Jetzt kommen Sie vier Wochen später mit genau dem gleichen Gesetzentwurf. Der einzige Unterschied ist, dass oben steht: Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen. – Da frage ich: Ist das wirklich Politik für Familien? Ist das Politik für Kommunen in unserem Land, wenn Sie hier parteipolitische Egoismen über die Sache stellen? Ich finde das nicht gut.
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Hätten Sie unserem Antrag vor vier Wochen zugestimmt, dann wäre in vielen Kommunen Planungssicherheit gewesen. Es ist ein Riesenunterschied, ob eine Kommune am 11. November weiß, dass sie die Mittel im nächsten Jahr noch abrechnen kann, oder erst Mitte Dezember. Da ist doch das Kind in vielen Kommunen längst in den Brunnen gefallen.
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Da haben die Kommunen dem Bauträger schon gesagt, dass sie nicht mehr weiterbauen können, weil die Mittel nicht mehr abzurechnen sind. Und selbst wenn sie es doch mal rückgängig machen: Die Arbeit, die Mühe, den Aufwand hätten Sie den Kommunen doch ersparen können. Und das nur aus parteipolitischem Kalkül? Das kann ich nicht verstehen. Das ist absolut unverständlich. Hätten Sie vor vier Wochen zugestimmt, hätten die Kommunen Planungssicherheit gehabt, die Baumaßnahmen wären weitergegangen. Das wäre eine bessere Lösung gewesen.
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Jetzt sagen Sie, Frau Deligöz, es liegt daran, dass die Union das irgendwie falsch aufgesetzt hat. Ich kann Ihnen sagen: Schon als wir das Paket im Rahmen des Konjunkturpakets damals geschnürt haben, haben wir als Familienpolitiker der Union gesagt, es wäre besser, wenn die Fristen länger laufen würden. Der Bundesfinanzminister hat darauf bestanden, dass wir genau diese Fristen einsetzen; weil es, wie er gesagt hat, ein Konjunkturpaket ist. Und im Sommer dieses Jahres haben wir gesagt: Wir müssen Bonusmittel und Basismittel in einem Topf zusammenlegen. – Das hat der Bundesfinanzminister abgelehnt.
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Wenn Sie hier Fingerpointing betreiben wollen, liebe Frau Deligöz, dann zeigen Sie wenigstens auf den Richtigen, dann zeigen Sie auf Ihren Kanzler, und beschuldigen Sie jetzt nicht die Falschen! – Wenn er nicht da ist, ist das nicht meine Schuld; es ist nicht unser Kanzler.
Planungssicherheit für Kommunen und ein verlässlicher Ausbaupfad für die Familien und Kinder in unserem Land, das ist uns als Union wichtig. Wir werden Gesetzentwürfe nicht danach bewerten, von wem sie kommen, sondern danach, was drinsteht. Heute steht das Richtige drin. Deshalb werden wir zustimmen. Schade, dass es vier Wochen zu spät kommt.
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Sönke Rix.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal, liebe Kollegin Nadine Schön: In dem jetzigen Gesetzentwurf steht ja ein bisschen mehr drin als in dem Gesetzentwurf der Union von letzter Sitzungswoche.
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Ich finde, es gehört zur Fairness dazu, das mit zu erwähnen. Jedenfalls freue ich mich über die Zustimmung, die signalisiert worden ist.
Es ist auch eine Anerkennung, zu sehen: Die jetzige Ampelkoalition will sogar noch mehr Bürokratie abbauen, noch mehr Möglichkeiten schaffen, dass die Förderung, dass das Geld tatsächlich vor Ort ankommt. Das haben wir nämlich zusätzlich berücksichtigt. Deshalb legen wir einen eigenen Gesetzentwurf vor, liebe Kollegin Schön.
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Aber wir können mit dem Schwarzer-Peter-Spiel jetzt die ganze Zeit weitermachen. Wie gesagt, ich bedanke mich auch ganz herzlich bei der Ampelkoalition, dass wir diesen Gesetzentwurf jetzt auf den Weg gebracht haben.
Ich bedanke mich aber auch bei der Union, dass da die Einsicht gekommen ist. Denn seien wir doch einfach mal selbstkritisch: Wir haben das als Große Koalition damals in unserem Gesetzentwurf nicht so gehabt. Dafür gibt es nicht die Verantwortung eines Einzelnen, des Finanzministers oder der Bundeskanzlerin – wir haben das als Parlament so beschlossen, und nun haben wir diesen Fehler eingesehen. Jetzt haben wir erkannt: Die Kommunen brauchen längere Planungssicherheit, und die geben wir ihnen, und das ist gut so, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Dass Ganztagsbetreuung an Grundschulen eine wichtige Maßnahme ist, darüber gibt es einen großen Konsens – das ist etwas Positives –, aber das war ja nicht immer so in diesem Hause. Wir wissen ganz genau, dass wir diese Förderung brauchen. Wir wissen eben ganz genau, wie wichtig es ist, dass die Kinder länger als die typische Schulzeit in der Schule gut betreut, aber auch gut gefördert werden; das ist nicht nur für die Familien, sondern auch für die Kinder selbst wichtig. Wir schaffen Möglichkeiten zur Förderung, Möglichkeiten für Räume, damit sie sich treffen können, Möglichkeiten zur Begegnung. Wir wissen genau, wie wichtig so etwas ist, gerade jetzt, in der Coronapandemie. Deshalb ist es gut, dass wir hier dieses Geld zur Verfügung stellen – weit mehr als die 750 Millionen Euro, sehr viel Geld –, damit die Kommunen und die Länder ihren Aufgaben nachkommen und die Ganztagsförderung ausbauen können.
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Ein Stück weit ist die Förderung von Ganztagsbetreuung auch eine Präventionsarbeit; denn wir werden durch die Förderung Möglichkeiten schaffen, dass die Kinder sich positiv entwickeln können. Es geht nicht darum, dass zwischen der Schulzeit und der Zeit zu Hause noch jemand auf die Kinder aufpasst, sondern es geht um Förderung. Wir wissen: Das ist eine Prävention im Hinblick auf Armut; denn Bildungschancen bedeuten auch Prävention im Hinblick auf Armut.
Eine vernünftige Ganztagsbetreuung – das ist in diesem Haus überwiegend Konsens – ist sinnvoll. Deshalb ist das gut angelegtes Geld. Es ist gut, dass wir jetzt dafür sorgen, dass dieses Geld unbürokratischer an die Länder und Kommunen ausgezahlt werden kann. Ich finde, da können wir heute diesen Gesetzentwurf auch mit großer Mehrheit auf den Weg bringen.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Martin Reichardt.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Hier im Parlament werden Abgeordnete aufgrund der G-Regeln getrennt. In diesem Land ist es wieder so weit, dass Menschen ausgegrenzt und diffamiert werden.
Zu diesen Diffamierten und Ausgegrenzten zählen auch Millionen Eltern und Kinder,
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die dem Coronaregime, wie es die Regierung nennt, nicht folgen, die sich dem Druck zur Impfung durch 2 G nicht unterwerfen; sie werden ausgegrenzt. Für diese Menschen stehe ich hier auf der Tribüne – aus Solidarität, besonders mit den mutigen Eltern und Familien, die die Spaltung Deutschlands verhindern wollen und dafür auf die Straße gehen.
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Eines muss festgestellt werden: Die AfD steht als einzige Partei gegen die Spaltung Deutschlands, für Einheit.
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Heute geht es um die in der Sache richtige Laufzeitverlängerung des Investitionsprogramms zur Ganztagsfinanzierung. Aber schon der erste Satz des Gesetzentwurfes liest sich wie ein Hohn:
Die Entwicklung und Erziehung von Kindern zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten … sind wichtige gesellschaftspolitische Ziele.
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Meine Damen und Herren, eine Repressionspädagogik hat in Deutschland Einzug gehalten: in die Betreuung, in die Klassenzimmer und auch in den Gesamtbereich Schule und Erziehung. Kinder erleiden seit 20 Monaten, dass Lehrer und Politiker darüber bestimmen, wie sie ihre fundamentalsten Rechte und Bedürfnisse wahrnehmen können: Wann darf ich frei atmen? Mit wem darf ich wann wo spielen? Und mit wem darf ich wann wo reden oder nicht?
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Meine Damen und Herren, Depressionen, selbstverletzendes Verhalten, Selbstmordgedanken, das sind die Folgen einer desaströsen Politik, die sich an unseren Kindern versündigt.
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Kinder werden entgegen den Ergebnissen aller Studien als Treiber der Pandemie dargestellt, befeuert noch vom neuen Gesundheitsminister Lauterbach. Auch die neue Familienministerin will Kinder durch Tests, Maskentragen und Kontaktbeschränkungen malträtieren. Und natürlich Impfen, Impfen, Impfen. Die Impfung schützt vor schweren Verläufen, die es bei gesunden Kindern fast nicht gibt, meine Damen und Herren.
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Kinder werden durch die Impfung also nicht vor einer für sie gefährlichen Krankheit geschützt, sondern sie sollen geimpft werden, um vor den gefährlichen Maßnahmen der Regierung geschützt zu sein, meine Damen und Herren.
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Sie führen die Kinder in eine vermeintlich letzte Schlacht gegen das Virus und nehmen dabei schwerste Kollateralschäden an den Kindern in Kauf.
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Wie weit wollen Sie noch gehen?
Die Stimmen der gepeinigten Kinder werden in diesem Hause nicht gehört. Ich möchte daher in der Vorweihnachtszeit eine zitieren: Ich habe immer mal Gedanken daran gehabt, dass ich nicht mehr kann. Aufgeben ist aber meine letzte Option. Klar gibt es immer Momente, wo es etwas besser geht. Aber gerade im Moment fühlt es sich total hoffnungslos an.
Vielen Dank.
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Der nächste Redner: für die FDP-Fraktion Matthias Seestern-Pauly.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Ministerinnen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute geht es um ein wichtiges Thema, nämlich den Ganztagsausbau, die dazugehörigen Fristen und die Finanzen. Deshalb freue ich mich sehr, dass die beiden zuständigen Ministerinnen heute hier bei uns vor Ort sind. Sehr geehrte Ministerinnen Stark-Watzinger und Spiegel, wir Freien Demokraten freuen uns auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit Ihnen; denn gute Bildung und echte Chancen sind zentral für unsere Kinder. Deshalb freue ich mich auch, dass wir uns als Ampel in diesem Bereich so viel vorgenommen haben.
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Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus unseren Wahlkreisen haben uns in der letzten Zeit geschrieben; sie wünschen sich Rechtssicherheit und einfachere Verfahren, und das zu Recht.
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Genau das liefern wir heute als Ampel. Wir legen ein Gesetz vor, das beides sicherstellt. Zum einen verlängern wir die Frist für die Verausgabung der Mittel des sogenannten Beschleunigungstopfes um ein Jahr bis zum 31. Dezember 2022. Damit entsprechen wir den Wünschen von Ländern und Kommunen. Zum anderen – das ist der qualitative Unterschied zum Gesetzentwurf der Union – führen wir die sogenannten Bonusmittel und die Basismittel zusammen. Dieser Schritt ist richtig; denn auf diese Art und Weise vereinfachen wir Strukturen.
Einfache Strukturen – das ist in der Vergangenheit immer wieder deutlich geworden – sind unglaublich wichtig, wenn wir den Ganztagsausbau zügig voranbringen wollen.
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Wir alle wissen, dass viele Projekte in unserem Land mittlerweile nicht mehr am Geld, sondern an bürokratischen Hürden scheitern. Genau das, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, unterscheidet unser Gesetz von Ihrem Entwurf, der lediglich – das ist angesprochen worden – ein Minimalvorschlag ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, als FDP, SPD und Grüne erfüllen wir mit diesem Gesetz auch ein erstes Versprechen aus unserem Koalitionsvertrag, und das am ersten Tag nach der Wahl einer neuen Bundesregierung.
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Damit machen wir sofort einen ersten Schritt zur Stärkung der Ganztagsbetreuung; denn für uns Freie Demokraten ist klar: Es braucht eine qualitativ hochwertige Ganztagsbetreuung in der Grundschule. Nur so schaffen wir beste Chancen für unsere Kinder, und nur so stärken wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Ebenso klar ist für uns, dass eine gute Ganztagsbetreuung nur im konstruktiven Miteinander von Bund, Ländern und Kommunen gelingen kann. Deshalb bringen wir hier heute dieses Gesetz auf den Weg; denn die Freien Demokraten und die gesamte Ampelkoalition sind verlässliche Partner unserer Kommunen.
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Daher bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
Abschließend möchte ich noch eines sagen: Das, was die Kolleginnen und Kollegen von der Union in den vergangenen Wochen, aber auch heute gemacht haben und noch machen, ist vor allem eines: unredlich.
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Sie inszenieren sich als vermeintlicher Wächter der Kommunen, vergessen aber dabei, zu erwähnen, dass wir die notwendige Fristenanpassung Ihretwegen brauchen. Genau deshalb ist Ihr Agieren mehr als durchsichtig. Das hilft im Übrigen niemandem; ganz im Gegenteil: Sie schaffen damit die Unsicherheit bei den Kommunen, die Sie ja angeblich vermeiden wollen.
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Sie haben, als Sie noch in der Verantwortung standen, nichts unternommen. Stattdessen ist Ihnen dieses Problem erst pünktlich nach der Wahl aufgefallen. Ich hoffe wirklich sehr, dass Sie in den kommenden vier Jahren nicht mehr durch lauten Budenzauber ohne Substanz auffallen, sondern sich eher darauf konzentrieren, sich hier mit konstruktiver Oppositionspolitik einzubringen.
Herzlichen Dank.
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Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Nicole Gohlke.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt beschäftigen wir uns zum dritten Mal innerhalb von drei Sitzungswochen mit drei parlamentarischen Initiativen zum gleichen Sachverhalt. Die von der Großen Koalition festgelegte Frist für den Mittelabruf, für den beschleunigten Ausbau des Ganztags soll weg. Richtig so; denn wenn wir das nicht beschließen, strafen wir letztlich die Adressatinnen und Adressaten der Leistung ab, die Kinder. Also lassen Sie uns das beschließen, und stellen Sie die finanziellen Mittel am besten gleich dauerhaft bereit.
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Aber dann, Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns bitte auch mal zu den wirklich großen Baustellen in der Bildung kommen, zum Beispiel: Was ist eigentlich mit dem fehlenden Personal? Das ist jetzt schon knapp, und wir haben noch nicht mal den Rechtsanspruch auf Ganztag.
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Darüber reden Sie hier wenig, und davon ist übrigens auch keine Rede im Koalitionsvertrag der Ampel.
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Darüber zu reden, wäre jetzt dringend nötig.
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Denn wenn der Rechtsanspruch kommt, dann werden 600 000 zusätzliche Betreuungsplätze gebraucht, und dafür werden dann 35 000 zusätzliche Vollzeitstellen gebraucht. Kolleginnen und Kollegen von der Ampel, ich frage mich: Wie wollen Sie die denn dann einfach aus dem Hut zaubern? Ich glaube, man kann es nicht oft genug betonen: Wir brauchen dringend eine Offensive des Bundes für mehr Personal in der Bildung und mehr Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter.
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Frau Gohlke, lassen Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Deligöz zu?
Ja.
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Frau Kollegin Gohlke, Sie haben gesagt, wir hätten nicht darüber geredet. Ich hoffe, Sie haben mir zugehört; denn in meiner Rede habe ich einen ganz wichtigen Punkt gesetzt. Ich habe gesagt, dass wir genau dafür eine Strategie brauchen, um Bund, Länder, Kommunen, die Träger, alle, die damit befasst sind, an einen Tisch zu holen und gemeinsam nach einer Lösung zu streben. Sind Sie und Ihre Fraktion bereit, mitzuarbeiten, wenn es so weit ist, und uns dabei behilflich zu sein? Die Frage ist doch nicht, ob wir was machen werden; das steht schon fest. Die Frage ist: Sind Sie so weit, uns dann darin zu unterstützen?
Ich beantworte die Frage gerne. Ich habe in meiner Rede beide antragstellenden Fraktionen adressiert, die Ampelfraktionen und auch die Unionsfraktion. Zum Gesetzentwurf der Unionsfraktion muss ich sagen: Darin ist relativ wenig die Rede davon, wie man an mehr Personal kommt; da geht es tatsächlich nur um die Fristverlängerung. Das halte ich für zu kurz gesprungen.
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Aber zu Ihnen: Mir ist aufgefallen, dass schon im Koalitionsvertrag die Frage, wie man eigentlich zu mehr Personal in der Bildung kommt, und zwar wirklich über so ziemlich alle Bildungsbereiche hinweg, großzügig ausgeklammert wurde.
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Ich glaube, das hat relativ viel damit zu tun, dass dann die Frage aufkommt, wie man das finanziert. An der Stelle hat sich ja die FDP durchgesetzt. Die FDP hat alles unter einen großen Finanzierungsvorbehalt gestellt. Ich glaube, genau deswegen ist da eine Leerstelle.
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Und darauf machen wir natürlich aufmerksam.
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Wenn Sie die Frage stellen, ob wir gerne weiter konstruktiv an dem Ausbau des Ganztags und an der Verwirklichung des Rechtsanspruchs mitarbeiten, dann sagen wir natürlich: Ja, von Herzen gerne; das machen wir auch schon seit vielen Jahren.
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Einen weiteren Punkt möchte ich an dieser Stelle dann noch machen: Wenn es um die Verteilung der Bundesmittel auf die Länder geht, dann kommt immer sofort – auch in diesem Gesetzentwurf – der Königsteiner Schlüssel ins Spiel. Aber, Kolleginnen und Kollegen, der Königsteiner Schlüssel zementiert letztlich die soziale Ungleichheit. Die soziale Spaltung in der Bildung lässt sich nur überwinden, wenn man für eine sozial gerechte Verteilung der Finanzmittel sorgt. Deswegen brauchen wir einen bundesweiten Sozialindex und keinen Königsteiner Schlüssel.
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Das, liebe Ampel, wäre ein wirkliches Aufbruchssignal. Damit könnten Sie dann auch das Jahrzehnt der Bildungschancen, das Sie ja versprechen, tatsächlich einläuten.
Im Übrigen finde ich, eine Pandemie ist nur weltweit zu besiegen. Die neue Bundesregierung sollte schleunigst die Lobbytätigkeit für die Pharmaindustrie beenden. Geben Sie endlich die Patente frei!
Vielen Dank.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als vor knapp 20 Jahren die damalige Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn die Initiative ergriffen hat, mit 4 Milliarden Euro die Ganztagsbetreuung in den Ländern auszubauen, da hat es hier teilweise doch kritische Reaktionen gegeben. Die damalige Kultusministerin von Baden-Württemberg, Frau Schavan, hat das unschöne Wort „Suppenküchen“ geprägt, die dort errichtet werden sollten.
Heute stellen wir fest: Etwa die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler im Grundschulalter nutzen Ganztagsangebote, nicht in allen Ländern gleichermaßen. Aber wir sehen: Das hat einen großen Schub ausgelöst. Weil wir wissen, dass es noch viel mehr Familien gibt, die das wollen und die diese Ganztagsangebote auch brauchen, müssen wir jetzt einen neuen Schub in der Ganztagsoffensive auslösen und mehr Ganztagsbetreuung in Grundschulen schaffen. Heute machen wir dazu den ersten Schritt.
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Wenn wir heute über Verfahrensvereinfachungen, Entfristungen und Töpfe, die zusammengelegt werden müssen, reden, dann mögen das keine anregenden bildungspolitischen Begriffe sein. Aber es ist ganz wichtig, dass wir das tun, weil wir damit Verlässlichkeit für die Schulträger schaffen, sodass sie ihre Investitionen unter schwierigen Rahmenbedingungen fortsetzen können, und wir schaffen Verlässlichkeit für die Familien, indem wir am Tag nach der Regierungsbildung sagen: Das ist für uns ein ganz wichtiger Punkt; wir schaffen diese Plätze im Ganztagsbereich. Die Kommunen und die Familien können sich darauf verlassen, dass wir das machen.
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Dieses Gesetz wird eingebettet sein in den Aufbruch für Bildungschancen, den wir uns als Koalitionsfraktionen vorgenommen haben. Dieser Aufbruch wird getragen sein von drei Grundüberzeugungen, von drei Begriffen: Fortschritt, weil Fortschritt für uns eben auch sozialer Fortschritt ist, der gleiche Chancen schafft; Aufstieg, weil wir früh gleiche Chancen schaffen wollen und weil wir da investieren wollen, wo das Geld am dringendsten benötigt wird; und Respekt, weil wir für jeden Ausbildungsweg, für jede Lebensleistung, aber auch für die, die in dem System jeden Tag arbeiten und das umsetzen sollen, Respekt aufbringen wollen.
Dafür haben wir uns viel vorgenommen. Ich will drei Beispiele nennen. Zum Ersten – es ist schon genannt worden –: Wir fangen an bei der Kita. Wir werden nicht nur die hohen Investitionen auf Grundlage des Guten-KiTa-Gesetzes verstetigen, sondern wir werden auch das Gute-KiTa-Gesetz mit neuen Qualitätsmaßstäben zu einem neuen Gesetz weiterentwickeln. Und natürlich, Frau Gohlke, ist das auch im Koalitionsvertrag explizit festgelegt, versehen mit einer Fachkräfteoffensive im Erzieherbereich. Es ist doch ganz logisch, dass der Bund das nicht alleine machen kann, sondern dass wir das, weil es sich um Landespersonal handelt, mit den Ländern zusammen machen werden. Und da ist auch Die Linke gefordert, dort, wo sie an den Landesregierungen beteiligt ist, diesen Weg mitzugehen und mitzuhelfen, Fachkräfte zu gewinnen.
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Wir wollen in neue Kitas investieren, in Erweiterungen, in mehr Qualität, zum Beispiel bei der Sprachförderung. Das sind wichtige Punkte, auf die sich die Familien dann auch verlassen können.
Zum Zweiten. Wir wollen in die Schulen investieren, die den größten sozialen Herausforderungen gegenüberstehen. Dabei geht es uns nicht darum, dass wir als Erstes deren Defizite betrachten, sondern, dass wir vor allen Dingen sehen, welche Potenziale in diesen Schulen, die mit schwierigen sozialen Lagen konfrontiert sind, stecken. Wir werden ein Startchancenprogramm machen, das genau auf diese Potenziale ausgerichtet ist: mit mehr Schulsozialarbeit, mit mehr Geld für gute Schulgebäude, mit Schulbudgets. Wir machen das, weil wir an diese Schulen glauben, weil wir an die Lehrerinnen und Lehrer glauben, die jeden Tag in diesen Schulen arbeiten, und weil wir an die Schülerinnen und Schüler und ihre großen Potenziale glauben und ihnen helfen wollen, diese zu heben. Deshalb werden wir in Schulen mit besonderen sozialen Lagen massiv investieren. Das ist gut angelegtes Geld.
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Zum Dritten. Respekt heißt, für jeden den passenden Ausbildungsweg zu finden. Respekt und Aufstieg heißt für uns: Nicht alle müssen studieren. Natürlich wollen wir das Recht auf den eigenen Ausbildungsweg verwirklichen und entwickeln deswegen auch das BAföG zu einem Instrument weiter, das endlich wieder mehr jungen Menschen, insbesondere aus Familien, in denen bis jetzt nur wenige studiert haben, die Chance gibt, ein Studium aufzunehmen.
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Aber BAföG, Ausbildungsgarantie, berufliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten, betriebliche Ausbildung, das sind für uns gleich wichtige Aufgaben. Wir haben uns vorgenommen, mit diesen Maßnahmen die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung nicht nur zu betonen, sondern tatsächlich auch in politisches Handeln umzusetzen.
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Meine Damen und Herren, dieser Koalitionsvertrag – das zeigen auch die Reaktionen aus den Verbänden, aus den Gewerkschaften, von allen, die im Bildungswesen tätig sind – weckt hohe Erwartungen und hat großen Optimismus ausgelöst.
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Diese hohen Erwartungen haben wir bewusst so gewollt. Wir haben uns in den Koalitionsverhandlungen darauf verständigt, nicht einfach irgendwie weiter so zu regieren und Bewährtes zu erhalten, sondern wir wollen einen Bildungsaufbruch; wir wollen ihn umsetzen. Die Koalitionsfraktionen haben große Lust dazu, das gemeinsam umzusetzen, mit einer Bundesregierung, die jetzt ins Amt gesetzt worden ist. Wir wollen vor allen Dingen Erfolg damit haben. Der Start dafür ist heute.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Kaczmarek. – Als letzter Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich der Kollegin Dr. Silke Launert, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Manchmal glaubt man, man ist im falschen Film. Genau dieses Gefühl hatte ich vorhin, liebe Ekin, als ich deine Rede hörte. Worum geht es? Ja, es stimmt: Es geht zunächst um einen Gesetzentwurf der Union. Der Hintergrund ist: Wir haben Mitte letzten Jahres in der Wirtschaftskrise gesagt, wir müssten die Konjunktur ankurbeln. Was haben wir gemacht? Da ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung eh kommen soll, haben wir 750 Millionen Euro als Beschleunigungsmittel vorgezogen und haben den Kommunen gesagt: Kommt, Kommunen, wenn ihr gleich investiert, kurbelt ihr die Wirtschaft an. Investiert! Die Gelder kommen eh.
Das war das Signal. Allerdings sollten diese Mittel – das war übrigens der Wunsch von Herrn Scholz – eng befristet werden. Warum? Konjunkturpaket bedeutet, nicht zwei Jahre zu planen, sondern die Mittel schnell auszugeben. Der Zeitplan war ambitioniert – das war von vornherein klar –, aber es war machbar. Das ist Sinn und Zweck dieses Konjunkturpaketes gewesen.
Die Frist läuft dieses Jahr aus. Nun haben wir seit einigen Monaten massive Verzögerungen am Bau, wodurch sich auch der Mittelabruf verzögert. Und deshalb kam der Hilferuf der Kommunen. Wir haben ihn gehört, und wir haben ihn aufgegriffen. Vor vier Wochen haben wir eine Verlängerung der Fristen zur Umsetzung dieser Investitionsmaßnahmen im Ganztagsbetreuungsbereich beantragt. Diese Beschleunigungsmittel soll es, wenn Maßnahmen nicht bis Ende Dezember fertig werden, länger geben, am besten ein Jahr, so wie Sie es jetzt auch beantragt haben.
Aber was hat man gemacht? Der Gesetzentwurf wurde von der neuen Mehrheit im Parlament in die Versenkung geschickt. Wir haben hier vor drei Wochen einen Gesetzentwurf vorgelegt. Und was hat man gemacht? Man hat ihn abgelehnt. Die Kommunen haben uns angefleht und gesagt, sie brauchten Planungssicherheit, das sei wichtig. Trotzdem hat man ihn abgelehnt.
Und jetzt kommt es – deshalb fühle ich mich im falschen Film –: Warum hat man ihn abgelehnt? Nicht, weil wir die Bösen sind, nein, das Argument war: Wir machen es besser. Man hat gesagt: Eigentlich habt ihr recht, aber wir machen in ein paar Wochen einen eigenen Antrag; dann machen wir das besser, dann tun wir noch irgendetwas dazu. – Das ist schon unglaublich! Faktisch heißt das: Bei einer völlig berechtigten Sache, einem so unglaublich wichtigen Anliegen – übrigens hat das der grüne Ministerpräsident jahrelang blockiert, man glaubt es kaum; schade, dass die ehemalige Familienministerin nicht da ist; die hätte das bestätigen können – lassen Sie die Kommunen, die diese Gelder brauchen, wochenlang hängen, nur weil es aufgrund der Pandemie zu Verzögerungen kommt. Die Machtdemonstration ist Ihnen wichtiger als das Anliegen. Also ganz ehrlich! Und dann ist wieder die Union schuld. Ich habe das Gefühl: Die FDP und die Grünen haben noch nicht kapiert, dass sie verantwortungsvoll handeln müssen, dass sie in der Regierung sind und nicht in der Opposition. Hier ging Machtdemonstration über die Sache.
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Das war wirklich so. Es ist eigentlich völlig lächerlich! Dass Sie das noch nicht einmal sehen, das ist das Abstruse! Noch dreister war dann das Argument – ich sage jetzt nicht, von wem es kam –, Schuld habe das Kanzleramt, das habe die Fristverlängerung blockiert. Ich kann Ihnen sagen: Die Mitarbeiter in der Arbeitsgemeinschaft, die Kanzleramtsmitarbeiter – sie waren informiert – sind im Dreieck gesprungen. Ich habe noch in der Debatte die telefonische Mitteilung gekriegt, dass das eine Lüge ist. Eine Lüge! Leider habe ich den Rednern zugehört und nicht auf mein Handy geschaut. Sonst hätte ich das schon vor drei Wochen klarstellen können. Es wird mit Unwahrheiten argumentiert. Unglaublich!
Die Sache aber ist völlig berechtigt. Deshalb stimmen wir auch zu. Wir stellen nicht Parteipolitik über die Sache. Wir lassen die Kommunen nicht hängen. Das ist wichtig! Sie brauchen Planungssicherheit. Wenn wir sie mit Investitionsprogrammen locken, damit sie investieren, dann können wir sie nicht, nur weil es zu Bauverzögerungen kommt, hängen lassen. Deshalb werden wir zustimmen. Bei uns stehen nicht die Partei und die Machtdemonstration über der Sache. Wir wollen weiterhin auf der Seite der Kommunen stehen.
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Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Bürger! Nach monatelanger Untätigkeit der alten Regierung haben wir seit gestern eine neue Bundesregierung, eine Regierung, die zwar groß verkündet, eine sogenannte Zukunftsregierung zu sein, die aber offensichtlich die Gegenwart komplett ausblendet und ihre Prioritäten anderswo setzt. Während nämlich die Inflation in Deutschland das höchste Niveau seit fast 30 Jahren erreicht, macht man sich in der Koalition Gedanken über die Freigabe von Cannabis, eine feministische Außenpolitik, die Vergabe der Staatsbürgerschaft an jeden, der nach Deutschland kommt, usw. usf. Der Begriff „Inflation“ aber kommt im gesamten Koalitionsvertrag ein einziges Mal vor.
Dabei ist die Preisexplosion, die wir gerade vor allem in Deutschland erleben, das vergiftete Erbe der Merkel-Koalition mit tatkräftiger Unterstützung der Grünen.
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Steuern und Abgaben sind in Deutschland auf einem Höchststand, und die ebenso sinnlose wie sündteure CO2-Bepreisung heizt die Inflation an. Für viele Familien im Land wird es ein schlimmes Weihnachten werden, an dem man sich entscheiden muss, ob man zu Hause heizen wird oder stattdessen Lebensmittel oder Geschenke kauft. Die Lage ist ernst und akut, doch die neue Regierung nimmt sie nicht ernst.
Wir haben in Deutschland derzeit eine offizielle Inflationsrate von 5,2 Prozent. Was bedeutet das? Alles wird teurer, richtig. Aber auch das gesparte Geld wird abgewertet, die Altersvorsorgebeträge, alles verliert an Wert – 5,2 Prozent in diesem Jahr. Wenn jemand beispielsweise 20 000 Euro auf der Bank hat, dann sind diese 20 000 Euro im Laufe eines Jahres durch die Inflation 1 000 Euro weniger wert. Das sind die realen Auswirkungen der Inflation. Reiche haben mit der Inflation kein Problem. Sie haben in Immobilien und Aktien investiert, die mit der Inflation mitwachsen. Unternehmen haben mit der Inflation kein Problem, weil sie höhere Erzeugerkosten einfach an die Konsumenten weiterreichen. Staaten haben mit der Inflation auch kein Problem. Sie finden Inflation sogar eine gute Sache. Schließlich verschwinden gleichzeitig mit den Ersparnissen der eigenen Bürger auch die eigenen Schulden.
Es ist mir unbegreiflich, dass eine Partei wie die SPD, die sich doch in Sonntagsreden stets um die Sorgen der kleinen Leute kümmert, dieses gewaltige Problem einfach links liegen lässt. Die Ampel hat die kleinen Leute verraten und verkauft.
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So hässlich ist das, und darüber müssen wir reden. Wir müssen aber nicht nur reden, sondern wir müssen handeln, nicht irgendwann einmal in den nächsten Jahren, sondern hier und jetzt. Unser Antrag zeigt, wie das geht. Wir schieben dabei nicht Geld von der linken Tasche in die rechte, indem wir den Leuten zuerst hohe Steuern abnehmen und dann großzügig einen Teil davon wieder verteilen, sondern wir entlasten die Bürger sofort und merklich durch Steuersenkungen: Abschaffung der unseligen CO2-Steuer, damit Energie nicht unendlich verteuert wird und ärmere Familien nicht im Winter in kalten Wohnungen sitzen müssen, eine Herabsetzung der Umsatzsteuer für Energie auf null Prozent, damit die Menschen, die das Land am Laufen halten, mit dem Auto zur Arbeit fahren können, eine Anhebung des steuerlichen Grundfreibetrages, damit dem fleißigen Mittelstand mehr übrig bleibt. All das sind Maßnahmen, die kurzfristig umgesetzt werden können und unmittelbar Wirkung entfalten.
Lassen Sie mich hier auch noch kurz über die Rolle der Europäischen Zentralbank sprechen; denn wer über die Inflation spricht, der darf die EZB nicht übersehen. Die langjährige Nullzinspolitik und die Gelddruckorgien haben die Voraussetzungen für die Enteignung der deutschen Sparer geschaffen. Die haben nämlich die D-Mark aufgegeben, weil man ihnen versprochen hat, dass der Euro ebenso hart wird wie die D-Mark. Und statt dass jetzt die EZB diese Menschen schützt, die ihr ihr ganzes Erspartes anvertraut haben, erfüllt „Madame Inflation“ Lagarde pünktlich die Wünsche der Pleitestaaten im Süden. Dem muss Einhalt geboten werden. Verweisen wir die EZB auf den ihr nach den Verträgen zustehenden Platz! Stellen wir uns gemeinsam schützend vor den deutschen Sparer, und setzen wir endlich Maßnahmen um, die die Inflation wirksam bekämpfen!
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Cansel Kiziltepe, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist gut, dass wir heute über Inflation sprechen. Es ist ein Thema, um das sich viele Mythen ranken. Dabei betrifft es alle. Die Rechtsaußenfraktion hat ausnahmsweise mal ein wichtiges Thema aufgeschnappt. Da hört es aber auch auf. Auch eine kaputte Uhr ist zweimal am Tag richtig.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen an dem Antrag, wie offenkundig fehlerhaft das VWL-Grundwissen hier ist. Die Gedankenspiele um eine Preisstabilität von null sind leider irreführend. Inflation ist zu Recht unbeliebt. Wir merken sie an der Tankstelle oder im Supermarkt. Die Gefahr einer hohen Inflation leuchtet vielen schnell ein.
Doch eine zu geringe Inflation ist auch eine Gefahr für die Preisstabilität. Dann kommt die Deflation. Sie destabilisiert das Wirtschaftssystem, weil die Schulden von selbst wachsen. Es ist eine Situation, in der Ihr Rucksack immer schwerer wird, ohne dass Sie auch nur das Geringste dagegen machen könnten. Deswegen widerspricht Ihnen wirklich jede Notenbank der Welt bei einem Inflationsziel von null Prozent, und ja, auch der scheidende Bundesbankpräsident Jens Weidmann, dessen Rücktritt Sie für Ihre schlechte Argumentation nutzen wollen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muss die Gefahren der Inflation ernst nehmen, doch da helfen hektisch zusammengeschusterte Maßnahmenkataloge wenig. Sie bedienen einfach nur die Ängste der Menschen, ohne die Ursachen der Preisentwicklungen zu erklären. Es wird von Hyperinflation gesprochen, von Ketchupflaschen oder dem Fahren ohne Bremse. Dabei liegt die große Gefahr darin, dass die Sondereffekte überschätzt werden und die EZB zu schnell handelt. Dann wären die Jobs genau der Arbeiterinnen und Arbeiter in Gefahr, denen Sie hier scheinheilig zur Seite stehen wollen. Ihre falsche Analyse und Hysterie hilft niemandem weiter, doch damit ist Ihr Antrag großzügig gefüllt.
Nein, die Inflation ist nicht einfach die Schuld der EZB. Sie suchen einfach einen Sündenbock. Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache.
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Das von Ihnen verteufelte Gelddrucken der EZB ist erstens ein komplett falsches Bild, und zweitens hat eine steigende Geldmenge nichts mit der Inflation zu tun. Sie verbreiten hier ideologische und veraltete ökonomische Theorien.
Stattdessen steigen die Preise durch Probleme bei den globalen Lieferketten, ein knappes Angebot an Gas, Containern und Halbleitern und einen Anstieg der Energiepreise. Das kostet uns alle; aber die EZB kann keine Chips herbeizaubern oder den Gashahn mal wieder aufdrehen.
Wenn Sie also tatsächlich ein Ende der Nullzinspolitik wollen, dann sollten Sie sich für höhere Löhne einsetzen, statt hier populistische Sonntagsreden zu halten.
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Wir wissen alle, dass Ihre Sozialpolitik nur ein Feigenblatt ist, um Ihre nationalistische Politik zu kaschieren. Ihre Strategie ist es, den Menschen mit Gruselmärchen über Inflation Angst zu machen. Unsere Politik ist eine andere. Wir wollen Menschen eine Perspektive mit höheren Löhnen und einer ehrlichen Klimapolitik geben. Wir erhöhen den Mindestlohn, sichern die Rente, bekämpfen den Klimawandel auf breiter Front. Dafür stehen wir als SPD und als Ampelkoalition.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Dr. Hermann-Josef Tebroke, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Preise sind nicht stabil. Sie schwanken auch wegen Angebot und Nachfrage, und wenn sie im Zeitverlauf leicht ansteigen, ist das auch nicht schlimm, ganz im Gegenteil. In den letzten 40 Jahren haben wir in der Bundesrepublik Deutschland sowohl in D‑Mark- als auch in Eurozeiten Inflationsraten zwischen 1 Prozent und 6 Prozent gesehen, in den letzten Jahren nahe 2 Prozent. Nehmen wir das Jahr 2020: Da waren es 0,5 Prozent aufs Jahr gerechnet, natürlich vor allem auch wegen der Pandemie und der Maßnahmen, die wir gegen die Pandemie ergriffen haben.
Jetzt erholt sich zum Glück die Wirtschaft mit einigem Ruckeln, und die Preise steigen ebenfalls. Für das Jahr 2021 rechnen wir mit gut 2,9 Prozent; für das Jahr 2022 werden 2,5 Prozent angenommen. Das ist in der Höhe also weder ungewöhnlich noch unerwartet. Selbst eine Monatsrate von etwa 5 Prozent ist nicht unerwartet; das haben wir schon gesehen.
Wichtig ist der Trend, der sich da abzeichnet, und auch, dass wir uns fragen, was genau dahintersteckt. Das heißt: Welche Preise genau sind gestiegen? Was sind die Faktoren, weswegen sie gestiegen sind? Wie lange dauert die Wirkung dieser Faktoren an? Und vor allem: Wer ist betroffen?
Wenn private Haushalte, zumal solche mit niedrigem Einkommen, sich Sorgen machen, dann müssen wir das ernst nehmen. Aber das machen wir nicht, indem wir sie weiter verunsichern und verängstigen und wohlfeile, vermeintlich schnelle Hilfen anbieten. Das ist unseriös, und das ist auch populistisch, zumal wenn die Maßnahmen möglicherweise unzulässig, nicht umsetzbar, nicht zielgenau, nicht effizient sind oder wenn sie längst gefordert sind oder in Teilen auch schon umgesetzt werden. Alles das finde ich leider überwiegend in dem vorliegenden Antrag. Den lehnen wir also ab.
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So ist es nach dem Unionsrecht unzulässig, die Umsatzsteuer auf Energie auf null zu setzen oder das CO2-Emissionshandelssystem abzuschaffen oder die Energiesteuer gänzlich auf null zu setzen. Auch lehnen wir aus grundsätzlichen Erwägungen die Abschaffung der CO2-Bepreisung ab, genauso wie wir es ablehnen, der Mindestlohnkommission Vorgaben zu machen oder sogar eine Ad-hoc-Anpassung des Mindestlohns vorzunehmen.
Unsere Unterstützung findet vielleicht die Anpassung der steuerlichen Grundfreibeträge und auch der Eckwerte, aber nicht pauschal, sondern im Hinblick auf die Inflation, um die es hier geht. Das haben wir zuletzt in der alten Koalition 2019 mit dem Zweiten Familienentlastungsgesetz gemacht; allerdings sind wir da von 1,5 Prozent Inflation ausgegangen. Jetzt erwarten wir natürlich eine Nachbesserung durch die Koalition, die jetzt neu im Amt ist.
Zu der Reform der Energiebesteuerung haben wir in grundsätzlichen Zügen und in anderen und weiteren Zusammenhängen viele Vorschläge gemacht, etwa die Reduzierung der Stromsteuer und natürlich auch die Abschaffung der EEG-Umlage. Insofern kann ich hier sagen: Da sind wir längst unterwegs.
Meine Damen und Herren, natürlich müssen wir uns als Politik mit der Inflation, den Ursachen und den Wirkungen befassen – nicht nur für Unternehmen und Wirtschaftsbereiche, sondern eben auch für private Haushalte. Das machen wir als Union – das machen wir schon lange –, und das werden wir auch in Zukunft machen.
Es wäre viel wichtiger und ergiebiger, uns nicht mit der Diskussion solcher fragwürdiger Schnellschüsse befassen zu müssen, sondern uns grundlegender, intensiver und ehrlicher Gedanken darüber zu machen, wie wir uns gegen unerwünschte Effekte der Geldentwertung schützen können. Wie kommen wir raus aus der Pandemie? Sicher nicht, indem wir das Coronavirus weiter leugnen, sondern indem wir uns impfen lassen.
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Wie erreichen wir eine Reduzierung der Inflationsrisiken anfälliger Lieferketten? Wie kontrollieren wir die Entwicklung der Energiepreise? Und nicht zuletzt: Wie fördern wir inflationsgeschützte Vermögensbildung, gerade auch einkommensschwacher Haushalte, etwa durch Bildung von Wohneigentum und dergleichen mehr?
Auf die Debatte zu diesen Aufgabenstellungen freuen wir uns als Opposition.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Den Antrag der AfD lehnen wir ab.
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Vielen Dank, Herr Kollege Tebroke. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Lisa Paus, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die „Bild“-Zeitung bläst zum Sturm: „Der Teuer-Schock!“, in XXL, und die AfD verlängert das mit ihrem Antrag bis hier in den Deutschen Bundestag. Das ist einfach nur infam.
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Ja, es ist so: Im Vergleich zum November 2020 sind die Preise im Monat November 2021 um 5,2 Prozent gestiegen. Die 5,2 Prozent sind aber weit weg von einer XXL-Inflation oder gar irgendeiner Hyperinflation. Eine ähnlich hohe Inflation hatten wir übrigens sogar noch in den 90er-Jahren; in den 70er-Jahren hatten wir sie eigentlich ständig. Herr Tebroke hat schon darauf hingewiesen: In diesem Jahr sind das gar nicht wirklich 5,2 Prozent – das ist völlig irreführend –, sondern wir liegen im Jahr 2021 bei einer Inflationsrate von unter 3 Prozent.
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Ja, das sind mehr als 2 Prozent – das Ziel der EZB –, aber, ehrlich gesagt, angesichts der ganzen Effekte – der Deflation, die wir letztes und vorletztes Jahr hatten – ist das erstaunlich wenig, wenn man eben auch bedenkt, dass die Mehrwertsteuer wieder auf 19 Prozent erhöht worden ist, dass die Lieferketten immer noch brüchig sind und dass auch die Energiepreise – nachholend – wieder gestiegen sind.
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Es ist richtig: Das eine Prozent ist nicht nichts. Das müssen wir auch weiter beobachten, aber das ist weit weg davon, irgendwelche Hysterien auszulösen. Richtig ist auch: Wir müssen schauen, ob wir das für die Schwächsten abfedern müssen.
Was Sie von der AfD hier vorschlagen, ist aber das Gegenteil von dem, was wir jetzt brauchen; denn Sie setzen mit all diesen Maßnahmen, die in Ihrem Antrag stehen, einfach die Lohn-Preis-Inflationsspirale so richtig in Gang. Das ist das Gegenteil von dem, was wir brauchen.
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Sie treiben also die Inflation mit Ihrem Antrag in die Höhe und bewirken das Gegenteil.
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Frau Schielke-Ziesing hat gerade ja noch mal deutlich gemacht, dass die EZB wieder schuld ist, und laut Ihrem Antrag ist natürlich auch die neue Bundesregierung schuld.
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In einem Punkt bin ich sehr dankbar dafür, Herr Tebroke, wie Sie hier heute gesprochen haben. Leider hat Herr Linnemann – auch aus Ihrer Fraktion – sich deutlich anders geäußert. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mit Herrn Linnemann noch mal sprechen könnten; denn er spricht von „kalter Enteignung der Sparer“ und davon, dass Frau Lagarde dringend mal die Politik ändern muss.
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Das ist was anderes als das, was Sie heute gesagt haben, und deswegen würde ich mich freuen, wenn die Unionsfraktion insgesamt zu dem Schluss kommen würde, den Sie hier heute angekündigt haben.
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Wir alle miteinander wissen: Selbst wenn die EZB jetzt kurzfristig reagieren würde – und Sie wissen, die EZB muss ihre Politik mittelfristig ausrichten –, wäre erst in gut zwölf Monaten ein entsprechender Effekt zu sehen. Und auch alle die, die nun fragen: „Die Amerikaner machen das doch jetzt; warum macht die EZB das nicht?“, haben wohl nicht mitbekommen, dass die Amerikaner vor einem guten Jahr auf einem wesentlich höheren Inflationsniveau waren als wir. Deswegen ist es richtig, dass die Fed jetzt reagiert. In der Europäischen Union ist die Situation aber völlig anders, und deswegen reagiert die EZB aktuell völlig angemessen. Sie hat es im Blick, wird aber nicht kurzfristig hyperagieren.
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Auch wenn der Wirtschaftsweise der CDU was anderes behauptet: Der Sachverständigenrat der ehemaligen Bundesregierung hat noch mal deutlich gemacht, dass er davon ausgeht, dass der Inflationsanstieg vorübergehend ist und dass zum Jahresbeginn 2022 der Sondereffekt der reduzierten Mehrwertsteuer ausläuft, dass die Inflation insgesamt aber wahrscheinlich weiterhin erhöht sein wird, weil wir eben mit Corona noch nicht durch sind und die Krise wieder in vollem Gang ist. Das führt wahrscheinlich zu weiteren Lieferengpässen und Anpassungen der Energiepreise. Wir müssen – das ist die Kunst – das Schlimmste verhindern und dürfen gleichzeitig die Lohn-Preis-Spirale, die die AfD anheizen will, nicht aus dem Blick verlieren.
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Schauen wir mal in den Koalitionsvertrag, was er für Dinge vorgesehen hat, und da finden wir, dass der Instrumentenkasten dafür schon vorhanden ist. Im Koalitionsvertrag verankert ist: Kein Mensch wird in Zukunft aufgrund der Vereinbarungen der Ampel aus der Wohnung fliegen.
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Der Heizkostenzuschuss wird einmalig erhöht, auch um dem entgegenzutreten. Bevor eine Kindergrundsicherung in ganzer Schönheit eingeführt wird – worauf ich mich sehr freue –, werden wir einen Sofortzuschlag auch für den Kinderregelsatz einführen, um eben den ärmsten Kindern in diesem Land entsprechende Unterstützung zu geben.
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Und wir werden auch einen Mindestlohn von 12 Euro einführen, der für mindestens 20 Prozent der Beschäftigten zu einer Entlastung führen und sehr gut gegen die Inflation wirken wird.
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Sie können sich wirklich auf die jetzige Koalition verlassen. Bitte vertrauen Sie uns! Wir werden beobachten und das Ganze mit Augenmaß so gestalten, dass solche Vorschläge, wie die von der AfD, hier keinen Platz haben.
Danke.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Paus. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Jessica Tatti, Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie geht es Ihnen eigentlich beim Lesen von AfD-Anträgen?
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Mich packt da immer eine leicht morbide Spannung. Was kommt diesmal: völkisch-national, frauenfeindlich oder irgendwie verschwurbelt?
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Diesmal tut die AfD zumindest so, als ob sie sehr besorgt wäre wegen der in der Tat wachsenden sozialen Ungleichheit durch die hohe Inflation. Daraus folgen dann aber ziemlich skurrile Vorschläge.
Für die AfD ist es sozial, wenn die Besitzer von spritfressenden Luxusautos mehr profitieren als die Fahrer von Kleinwagen. Für die AfD ist es sozial, wenn die Bewohner von großen Villen, die viel beheizte Wohnfläche haben, mehr profitieren als Familien in beengten Mietwohnungen. Für die AfD ist es auch sozial, wenn Wohlhabende mit mehr als 800 Euro Zinserträgen weniger Steuern zahlen müssen, während Leute, die nichts auf der hohen Kante haben, leer ausgehen.
Das ist unsozial, das ist wirtschaftspolitischer Unsinn; denn die AfD entlastet Leute mit viel Geld viel stärker als die mit niedrigen und mit mittleren Einkommen. Aber Letztere leiden doch am meisten unter dem Verlust der Kaufkraft. Das ist also ein komplett falscher Weg.
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Die AfD ist eben nicht, auch wenn sie es noch so oft behauptet, die Partei der kleinen Leute.
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Es ist Die Linke, die konsequent für höhere Löhne und Sozialleistungen gekämpft hat.
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Die Ampelregierung ist mit dem Anspruch des sozialen Fortschritts angetreten. Machen Sie jetzt etwas gegen die soziale Ungleichheit in diesem Land! Verhindern Sie Stromsperren in diesem Winter!
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Gehen Sie die Erhöhung des Mindestlohnes unverzüglich an! Stoppen Sie die unerträgliche Tarifflucht vieler Unternehmen, und beenden Sie die Mietenexplosion und die massive Altersarmut! Das fördert gezielt diejenigen, die jetzt am härtesten von der Inflation getroffen werden. Das sind die wesentlichen Verbesserungen für Millionen Menschen in diesem Land. Eine solche Regierungspolitik wäre wirklich mal echter Fortschritt.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Tatti. – Als nächsten Redner rufe ich auf den Kollegen Pascal Kober, FDP-Fraktion.
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Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es liegt ein Antrag der Fraktion Alternative für Deutschland vor, in dem die Fraktion Maßnahmen von der Bundesregierung fordert, um die sozialen Folgen der Inflation zu mildern. Bei den von der AfD vorgeschlagenen Maßnahmen handelt es sich im Schwerpunkt um steuerpolitische Maßnahmen. Es geht darum, die Energiekosten durch Absenkung von energiebezogenen Steuern und Abgaben zu senken. Was Ihnen aber nicht gelungen ist – das ist eigentlich Anspruch an die eigene Arbeit in diesem Haus –, ist, dass Sie eins und eins zusammenzählen und dazu auch in der Lage und willens sind.
Wenn Sie auf der einen Seite Steuern und Abgaben senken, dann ist schon zu erwarten, dass Sie auf der anderen Seite diesem Haus und den Bürgerinnen und Bürgern auch erklären, wie Sie das finanzieren wollen.
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Sie können beispielsweise Ihre Reduzierung von Steuern und Abgaben über die Erhöhung von Schulden finanzieren.
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Sie können es durch die Erhöhung von anderen Steuern finanzieren. Oder Sie können es durch Absenkung staatlicher Leistungen finanzieren. Aber Sie sagen dazu kein Wort, und das genügt in diesem Hause nicht. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.
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Frau Schielke-Ziesing, Sie sitzen ja jetzt schon seit vier Jahren im Ausschuss für Arbeit und Soziales in diesem Hause. Jetzt gehe ich mal auf Ihre sozialpolitischen Forderungen ein. Da ist schon bemerkenswert, dass Sie es in diesen vier Jahren nicht für nötig erachtet oder es vielleicht auch nicht geschafft haben, die für die Hartz-IV-Gesetzgebung einschlägigen zwei – es sind nur zwei – Bundesverfassungsgerichtsurteile einmal zu lesen. So fordern Sie jetzt in Ihrem Antrag die Bundesregierung auf, den Hartz-IV-Regelsatz pauschal – also in einer Pauschale – für ein Jahr – also für einen geschätzten Zeitraum – zu erhöhen. Hätten Sie am besten beide – es steht in beiden drin, aber eines hätte gereicht – Bundesverfassungsgerichtsurteile gelesen, dann hätten Sie festgestellt, dass das Bundesverfassungsgericht beides ausschließt, nämlich Pauschalen und geschätzte Zahlen.
Ich darf mit Genehmigung des Bundestagsvizepräsidenten aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zitieren. Da heißt es im Urteil 2010, dass „die Festsetzungen der Leistungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren tragfähig zu rechtfertigen“ sein müssen. Weiter heißt es dort: Schätzungen „ins Blaue hinein“ laufen jedoch einem Verfahren realitätsgerechter Ermittlung zuwider und verstoßen deshalb gegen Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Artikels 20 Absatz 1 Grundgesetz. – Gleichlautendes hätten Sie auch im Urteil von 2014 lesen können.
Da möchte ich dann schon mal Sie und Ihre Kollegen Springer und Pohl, die heute noch nicht einmal an der Debatte teilnehmen,
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die aber auch Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales waren, bitten, einmal ein bisschen Anspruch an die eigene Qualität der Arbeit zu haben und solche Anträge nicht mehr in den Bundestag einzubringen.
Vielen Dank.
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Herr Kollege Kober, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion? – Sie waren ohnehin mit der Rede fertig; insofern erübrigt sich die Frage nach einer Zwischenfrage.
Das Wort erhält nunmehr der Kollege Dr. Martin Rosemann, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir über die Wirkung der Inflation, gerade auf Haushalte mit geringeren Einkommen, sprechen, dann ist das gut und richtig, aber dann müssen wir schon ein bisschen genauer hingucken und uns über die Ursachen klar werden. Die Ursachen für die aktuelle Inflation sind vor allem folgende:
Erstens. Wir hatten ja im Rahmen des Konjunkturprogramms eine Senkung der Mehrwertsteuer im vergangenen Jahr. Die gibt es jetzt nicht mehr. Insofern sind die Preise auch aus diesem Grund gestiegen.
Zweitens. Wir haben Lieferengpässe, die die Preise ansteigen lassen.
Drittens. Wir haben eine allgemeine, weltweite Rohstoffknappheit.
Viertens – das ist sicherlich richtig –: Auch die weltweiten Konjunkturprogramme führen im Moment ein Stück weit zu einer höheren Inflation.
Das sind aber alles vorübergehende Effekte. Wenn Sie sich mal mit dem beschäftigt hätten, was Expertinnen und Experten dazu sagen, dann wüssten Sie, dass die alle sagen: Diese Inflation, die wir im Moment beobachten, ist ein vorübergehendes Phänomen. – Deshalb sollten wir das Ganze nicht dramatisieren, vor allem nicht absurde Ängste schüren, wie die AfD es tut, mit Aussagen wie „Inflation zerstört Vermögen und Biografien“.
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Mit ihren Anträgen und den Reden, die die AfD hier hält, verunsichert sie gezielt die Bevölkerung, treibt damit die Inflationserwartung der Bevölkerung nach oben und ist damit – wie immer – Teil des Problems und nicht Teil der Lösung.
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Meine Fraktion und ich haben Vertrauen in die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank, gerade im Hinblick auf die mittel- bis langfristige Inflationsentwicklung. Freilich müssen wir auch politische Antworten darauf geben, und zwar zielgenau. Das Problem haben wir ja vor allem bei den Energiekosten und damit vor allem bei den Heizkosten. Da wird aber dann häufig übersehen, dass es ja für Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherungsleistungen einen automatischen Ausgleich gibt, weil die Kosten der Unterkunft vollständig übernommen werden.
Anders hingegen ist es bei geringen Erwerbseinkommen ohne Grundsicherungsanspruch. Deswegen haben wir noch in der Großen Koalition eine umfassende Wohngeldreform gemacht und werden jetzt mit der Ampelkoalition einen Heizkostenzuschuss für alle Empfängerinnen und Empfänger von Wohngeld einführen, damit die gut über den Winter kommen.
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Darüber hinaus wird die Ampelkoalition eine Klimakomponente im Wohngeld einführen. Bei der Gelegenheit will ich nur mal erwähnen, dass wir auch vereinbart haben, dass es eine faire Teilung des CO2-Preises zwischen Vermietern und Mietern gibt; das haben wir ja leider mit der CDU/CSU-Fraktion nicht hinbekommen.
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Also, meine Damen und Herren, diese neue Koalition handelt – im Übrigen schon, bevor sie überhaupt ins Amt gekommen ist – entschlossen gegen Corona, mit dem Parlament und gemeinsam mit den Ländern, und diese Koalition kümmert sich gezielt um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Wir haben die Sonderregelung beim Kurzarbeitergeld als Brücke über die Krise verlängert. Wir haben den erleichterten Zugang zur Grundsicherung verlängert, die Wirtschaftshilfen verlängert und auch die Entschädigung für die sozialen Dienstleistungen im Rahmen des sogenannten SodEG.
Meine Damen und Herren, die Coronakrise zeigt doch, wie wichtig ein handlungsfähiger Sozialstaat ist, der zielgenau, unbürokratisch und auf Augenhöhe hilft. Das ist auch die Agenda der Ampelkoalition für die Sozialpolitik der kommenden vier Jahre. Nur wenige Stichworte: Mit der Kindergrundsicherung werden wir dafür sorgen, dass Kinder aus der Armut geholt werden und keine Familie Angst davor hat, wegen ihrer Kinder arm zu werden.
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Mit dem Bürgergeld werden wir dafür sorgen, dass alle, die arbeiten wollen, auch einen guten Weg in Arbeit finden, nicht mit dem Jobcenter vor der Nase, sondern mit dem Sozialstaat als Partner an der Seite. Vor allem werden wir als eines der ersten Vorhaben dieser Koalition den Mindestlohn auf 12 Euro erhöhen.
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Denn wer arbeitet, muss mehr haben, und Arbeit muss vor Armut schützen.
Ich lade Sie alle ein, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Politik für mehr Respekt hier in diesem Haus zu unterstützen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Rosemann. – Die CDU/CSU-Fraktion hat um eine Kurzintervention gebeten, die ich zulassen werde.
Bevor ich das tue, möchte ich aufgrund des Redebeitrages des Kollegen Pascal Kober darauf hinweisen, dass die Tatsache, dass Kolleginnen und Kollegen sich nicht im Plenarsaal befinden, unter Umständen auch darauf zurückzuführen ist, dass sie krank sind. Insofern wäre ich dankbar, jedenfalls in den Wintermonaten davon abzusehen, einen solchen Vorwurf zu erheben, weil das natürlich plenarprotokollarisch und vor allem auch in der Öffentlichkeit zu falschen Eindrücken führen kann.
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Nun bekommt die Kurzintervention der Kollege Klaus Wiener.
Vielen Dank, dass ich kurz Gelegenheit zu einer Äußerung habe. – Wir unterstützen den Antrag nicht; das hat Herr Tebroke gerade schon gesagt. Aber ich bin ein bisschen überrascht über die Gelassenheit, mit der man hier im Hohen Haus über die Inflation spricht.
Wir haben viel über den Euroraum gesprochen. Aber die Inflation ist eigentlich in vielen westlichen Industrieländern im Moment ein Thema. Das ist nicht nur im Euroraum der Fall, auch nicht nur in den USA. Insofern muss man sich schon überlegen, was dahintersteckt. Und tatsächlich haben wir es hier mit einer extremen Geldmengenausweitung zu tun. Ich teile auch nicht die These der SPD-Kollegin, die gesagt hat, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Geldmengenausweitung und der Inflation mehr gibt. Wir alle wissen, warum es im Moment keine Inflation gibt: Das Geld wird gehortet. Gucken Sie sich die Geldmenge M0 an; sie steigt exorbitant.
Ich muss auch noch mal darauf hinweisen, dass die Maßnahmen der EZB im Vergleich zu dem, was in den USA gemacht wurde, deutlich umfangreicher sind. Die Ausweitung der Bilanz der EZB liegt jetzt bei 60 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt; in den USA sind es gerade mal etwas über 30 Prozent. Wir haben einen negativen Einlagenzins; den hat es in den USA nie gegeben. Hier davon auszugehen, dass das für die Inflation kein Problem ist, halte ich für sehr gefährlich.
Zudem haben wir das Problem mit den Energiepreisen. Wir alle wissen, dass Energie teurer werden wird. Also, zu sagen: „Das ist ein vorübergehendes Phänomen“, halte ich für eine gefährliche These. Ich glaube, wir müssen uns das genau ansehen, damit wir hier auch die richtigen wirtschaftspolitischen Schlüsse ziehen, und ich würde auch der EZB raten, die richtigen geldpolitischen Schlüsse zu ziehen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Dr. Wiener. – Sie können gerne antworten, Herr Kollege Dr. Rosemann.
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– Es wäre nett, wenn Sie stehen blieben, nur aus Höflichkeit.
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Und man kann Sie auch besser sehen; also, man weiß dann genau, um wen es geht.
Sie haben das Wort, Herr Kollege.
Herr Kollege, ich kann nicht ganz nachvollziehen, wie Sie zu dem Schluss kommen, dass wir das Problem gewissermaßen wegreden oder unterschätzen würden. Das kann ich nicht nachvollziehen.
Wir, sowohl Kollegin Cansel Kiziltepe als auch ich, haben dafür plädiert, sich das Problem sehr genau anzuschauen und genau zu analysieren: Was sind die Ursachen für die aktuelle Inflation? – Ich empfehle Ihnen an der Stelle einfach mal entsprechende Ausführungen dazu vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zur Lektüre, die deutlich unterstützen, was wir gesagt haben, nämlich dass wir es überwiegend mit einem vorübergehenden Phänomen zu tun haben. Ich glaube, genau das ist unsere Aufgabe: uns auch mit diesen konkreten Hintergründen zu beschäftigen. Nichtsdestotrotz haben Sie natürlich recht, zu sagen: Wir müssen uns dieses Phänomen auch längerfristig anschauen: Welche längerfristigen Effekte spielen auch eine Rolle?
Es ist so, dass wir als Politik selbst in der Verantwortung sind, weil die Frage der Relevanz von Inflationserwartungen – das sage ich jetzt mal unter Ökonomen, vermute ich – in dem Zusammenhang eine Rolle spielt. Da ist auch die Frage relevant, was politische Akteure dazu sagen. Deswegen verbietet es sich eben, Dramatisierungen vorzunehmen und Ängste zu schüren, wie es die AfD hier getan hat, weil sie damit selbst die Ursachen für eine höhere Inflation legt.
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Was die Frage der längerfristigen Entwicklung angeht, will ich einfach nur sagen – ich dachte, das sei Grundkonsens unter den demokratischen Parteien in diesem Haus –, dass wir die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank achten und Vertrauen in die unabhängigen Entscheidungen der Europäischen Zentralbank haben. Natürlich können wir unter fachlichen Gesichtspunkten darüber diskutieren.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Aber für politisch Verantwortliche gebietet es sich, die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank zu achten. Angesichts der Tatsache, dass die Inflationsrate im Jahresvergleich bei 3 Prozent liegt, glaube ich, –
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
– dass wir auch die Europäische Zentralbank an der Stelle nicht zu kritisieren brauchen, sondern dass das Vertrauen in die Europäische Zentralbank, was das europäische Inflationsziel angeht, in jedem Fall gerechtfertigt ist. Und ich hoffe, Sie haben das auch.
Herr Kollege, bitte!
Herzlichen Dank.
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Ja, ich nehme die Wahl an.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind ja schon voll im Tagesgeschäft zurück, nachdem heute sozusagen Tag eins nach der Wahl des Kanzlers und der Vereidigung der neuen Bundesregierung ist. Nach den Übergaben gestern, nach den Reden, die ich gehört habe, nach den Bildern auch in den sozialen Netzwerken, die ich zu der Übergabe dieser Macht in Deutschland gesehen habe, ist es mir heute Morgen aber durchaus auch ein Bedürfnis, zu sagen, dass ich schon stolz bin, in einem Land zu leben, wo das so transparent und auch so friedlich läuft. Das ist ein großes Glück, und das sollte man bei allem Tagesgeschäft auch nicht vergessen.
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Ich wünsche der neuen Bundesregierung alles Gute im Sinne unseres Landes, auch wenn Sie natürlich davon ausgehen können, dass wir als Opposition durchaus den Finger in die Wunde legen.
Jetzt ist Frau Hessel gerade weg. Als Mitglied des Finanzausschusses freut es einen schon, dass die ehemalige Ausschussvorsitzende jetzt Staatssekretärin im Finanzministerium ist. Von daher noch mal herzlichen Glückwunsch! Ich bitte, dies auch noch mal weiterzugeben.
Jetzt zum Thema. Es liegen riesengroße Herausforderungen insbesondere vor dem Finanzministerium. Wir diskutieren die ganze Zeit über die Coronakrise. Der Klimawandel gehört auch weiter bekämpft. Das sind alles Dinge, die viel Geld kosten werden. Aber es gibt in Deutschland auch eine große Sorge vor der Inflation. Das ist einfach so, und ich habe ein Stück weit das Gefühl gehabt, dass das in der Debatte bisher ein bisschen zu entspannt gesehen worden ist und ein bisschen zu gelassen weggewischt worden ist. Denn es ist schon so: Wenn Sie mit den Menschen im Wahlkreis sprechen, dann steht genau diese Sorge vor der Inflation ganz oben auf der Liste. Da ist die Familie, die merkt, dass der Wocheneinkauf am Samstagmorgen teurer wird und das Budget sprengt. Da ist der Pendler oder die Pendlerin, der oder die morgens zur Arbeit fahren muss und merkt: Das Benzin, der Diesel wird immer teurer. Wie kann ich mir das eigentlich noch leisten? – Und da ist auch die Frage des Schreiners: Wenn ich überhaupt Holz bekomme, zu welchen Preisen eigentlich, und kann ich die dann an den Kunden weitergeben?
Von daher müssen wir diese Sorgen ernst nehmen. Es wurde genannt: 5,2 Prozent Inflation im Monat November sind tatsächlich der höchste Wert seit 30 Jahren. Deshalb denke ich, dass die Inflation eines der meistunterschätzten Probleme in unserem Land ist.
Da ist es schon spannend, sich mal den Koalitionsvertrag anzuschauen. Im Koalitionsvertrag kommt der Begriff „Inflation“ einmal vor, und zwar in dem Kontext, dass dort gesagt wird – Zitat –: Wir nehmen die Sorgen sehr ernst. – Also, Frau Paus, so einfach kann man das nicht wegwischen. Sie haben ja in den Koalitionsvertrag geschrieben, dass Sie die Sorgen der Menschen sehen, dass Sie diese sehr ernst nehmen. Aber ich sage auch: Liebe Ampel, Sie sind jetzt in der Regierung, Sie müssen jetzt Verantwortung übernehmen, Sie müssen jetzt auch etwas dagegen tun. Das Beschreiben der Probleme wie im Wahlkampf wird nicht mehr ausreichen. Und deswegen rufen wir Ihnen zu: Legen Sie jetzt ein Programm vor, um diesen Problemen zu begegnen!
Was ist dafür notwendig? Auf der einen Seite eine solide Haushaltspolitik, kein Geldausgeben nach dem Gießkannenprinzip; denn Geldschleusen, die Sie heute öffnen, werden morgen zu Inflation führen. Auf der anderen Seite: Ja, natürlich ist die EZB eine unabhängige Organisation. Aber das Finanzministerium kann auf europäischer Ebene durchaus das eine oder andere in dieser Richtung sagen und darauf hinwirken, dass man sich auf den eigentlichen Auftrag zurückbesinnt, nämlich Geldwertstabilität; dabei geht es dann auch um konkrete Entlastung.
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Eines hat mich schon gewundert. Wir haben ja 2020 das Zweite Familienentlastungsgesetz gemacht, mit dem wir die kalte Progression, also diese heimliche Steuererhöhung durch die Inflation, ausgeglichen haben. Die FDP hat uns immer kritisiert: Ihr macht keinen Tarif auf Rädern; das muss hier immer beschlossen werden. – Im Koalitionsvertrag kommt ein Tarif auf Rädern gar nicht vor; die kalte Progression kommt gar nicht vor. Ich gehe mal davon aus, dass das ein Versehen gewesen ist; Sie haben das offensichtlich vergessen.
Ich rufe Ihnen zu: Gehen Sie schnellstmöglich daran, die kalte Progression aufzulösen und den Grundfreibetrag und die Eckwerte zu erhöhen! Denn wenn Sie dies nicht tun, wäre dies eine heimliche Steuererhöhung um über 20 Milliarden Euro in der gesamten Legislatur. Das wollen wir mit Sicherheit nicht.
Herzlichen Dank.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Impfen ist aktuell das wirksamste Mittel, das wir zur Bewältigung der Pandemie haben. Und wir wissen auch, dass niedrige Impfquoten immer wieder neue Virusvarianten begünstigen, wie aktuell die Omikron-Variante. Sie ist wahrscheinlich in Afrika entstanden, auf einem Kontinent, auf dem bisher nicht einmal 7 von 100 Personen ihre erste Impfung bekommen konnten. Auf sechs Boosterimpfungen in den reichen Ländern erhält in den ärmsten Ländern der Welt gerade mal eine Person ihre Erstimpfung. Das kann doch so nicht weitergehen!
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Wir müssen viel mehr tun, um weltweit den Impfturbo zu zünden. Das geht aber nicht, solange die Profite der Pharmaindustrie wichtiger sind als das Recht auf Gesundheit. Vor 14 Monaten haben Indien und Südafrika bei der Welthandelsorganisation beantragt, zeitlich begrenzt für die Dauer der Pandemie die Patente auf Impfstoffe, Arzneimittel und Medizintechnik auszusetzen. Fachleute nennen das den sogenannten TRIPS Waiver. Viele, viele Hersteller weltweit stehen bereit, stehen in den Startlöchern, um Impfstoffe, Beatmungstechnik und Tests herzustellen. Sie dürfen es aber nicht – wegen der Patente.
Meine Damen und Herren, BioNTech, Pfizer und Moderna nutzen ihre Monopolstellung, um lukrative Verträge mit den reichsten Staaten abzuschließen, während der Rest der Welt in die Röhre schaut. Allein während meiner dreiminütigen Redezeit machen diese Unternehmen mit ihren Impfstoffen, deren Entwicklung und Produktion mit Zigmillionen Euro Steuergeldern unterstützt worden sind, 180 000 Dollar Gewinn, also fast 90 Millionen Dollar pro Tag. Reicht das nicht langsam?
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Karl Lauterbach, der seit gestern Gesundheitsminister ist, hat schon im Mai gesagt, das befristete Aussetzen der Patente sei als humanitäre Pflicht dringend geboten, weil sonst Impfstoffe nicht schnell genug in Indien sowie in afrikanischen und südamerikanischen Ländern ankämen. Und die jetzige Außenministerin Annalena Baerbock hat kurz vor der Bundestagswahl geschrieben – ich zitiere –:
Monopole auf geistiges Eigentum zur Bekämpfung einer weltweiten Pandemie dürfen den Zugang zu überlebenswichtigen Schutzmaterialien, Impfstoffen und Arzneimitteln nicht versperren.
Recht so!
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Nur leider haben Sie sich offensichtlich in Ihrem Koalitionsvertrag vom Förderverein der Pharmaindustrie, auch FDP genannt, über den Tisch ziehen lassen,
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und da ist nichts übrig geblieben als sogenannte freiwillige Produktionspartnerschaften, von denen niemand weiß, was das eigentlich sein soll. Das ist wirklich beschämend!
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Die Linke steht mit ihrem Antrag, die Patente freizugeben, an der Seite von nahezu allen Entwicklungshilfe- und Menschenrechtsorganisationen, 140 Nobelpreisträgern und Ex-Regierungschefs und sogar von Papst Franziskus und US-Präsident Biden.
Meine Damen und Herren, die Zeit läuft uns davon. Handeln Sie jetzt!
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Heike Baehrens, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gut, dass Sie mit Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, dieses wichtige Thema wieder auf die Tagesordnung setzen. Denn ja: Impfen ist weltweit der Schlüssel zur Bewältigung der Pandemie. Darum tun wir gerade alles, um so viele Menschen wie möglich zum Impfen zu motivieren und das Impfen in unserem Land zu beschleunigen. Ja, das ist wichtig.
Mindestens genauso viel Energie müssen wir aber tatsächlich darauf verwenden, dass die Impfstoffe weltweit zur Verfügung stehen, dass auch Länder mit schwachen Gesundheitssystemen und wenig Geld so schnell wie möglich impfen können. Denn wir wissen längst: Wir gewinnen den Kampf gegen das Virus erst, wenn sich die Menschen überall auf der Welt dagegen schützen können. – Diese Überzeugung darf nicht zur leeren Floskel verkommen, sondern sie muss unser Handeln bestimmen.
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In der letzten Legislaturperiode ist schon einiges passiert; aber wir wissen: Das ist nicht genug. Der WHO-Impfstoffverteilmechanismus Covax muss weiter unmittelbar mit Impfstoffkontingenten unterstützt werden. Wir müssen unsere Zusagen an Covax einhalten, und zwar planbar und verlässlich, damit auch die Verantwortlichen in den Ländern des Globalen Südens verlässlich planen und handeln können.
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Wir wären nach meiner festen Überzeugung gut beraten, wenn wir alles daransetzten, die Produktionskapazitäten massiv auszubauen, nicht nur in Europa, sondern auch im Globalen Süden. Unternehmen müssen ihr Know-how teilen, damit das Virus die Welt nicht endlos in Schach hält.
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Die großen Industrienationen haben die Pharmaindustrie in großem Umfang mit Forschungsmitteln und auch beim Aufbau von Produktionsstandorten unterstützt. Manche Staaten haben ihnen sogar mit öffentlichen Geldern das unternehmerische Risiko abgenommen. Vor diesem Hintergrund muss die Pharmaindustrie im Gegenzug auch einen fairen Beitrag zur Bewältigung dieser globalen Gesundheitskrise leisten.
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Ich möchte noch einmal ausdrücklich betonen: Impfstoff allen zugänglich zu machen, das ist kein karitativer Akt, sondern das ist Teil unserer globalen Verantwortung. Wenn wir die Gerechtigkeitslücke beim Impfstoffzugang schließen, dann ist das im Interesse aller Staaten, also auch in unserem eigenen wohlverstandenen Interesse, die Pandemie weltweit unter Kontrolle zu bringen. Wenn wir unkalkulierbare Überraschungen wie aktuell die Omikron-Variante verhindern wollen, dann muss auch ein Großteil der Menschen im Globalen Süden endlich die Chance auf Impfstoff bekommen.
Wir als SPD-Fraktion haben immer die klare Haltung vertreten, dass wir diese schlimmste weltweite Gesundheitskrise nur mit Solidarität überwinden. Wir werden mit unseren neuen politischen Partnern über die konkreten Schritte nun intensiv diskutieren und schnell handeln.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Baehrens. – Nächster Redner ist der Kollege Michael Hennrich, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute erneut einen Antrag der Linken zur Freigabe von Patenten für Impfstoffe, Therapeutika und Testungen.
Das letzte Mal haben wir das Thema im Mai dieses Jahres beraten. Ich kann mich noch relativ gut an die Woche erinnern. Es entstand unheimlich viel Aufregung, als der amerikanische Präsident Biden zwei Tage vor unserer Debatte auch für die Freigabe der Patente plädierte. Mittlerweile ist ein halbes Jahr ins Land gegangen, und von Joe Biden hat man zu dem Thema nichts mehr gehört – im Gegensatz zu den Linken.
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Deswegen ist es, glaube ich, wichtig, dass wir die Themen, die Probleme, aufarbeiten, die mit solch einer Patentfreigabe verbunden sind.
Sie führen zu Recht aus, dass die Pandemiebekämpfung weltweit erfolgen muss, und zwar nicht nur aus internationaler Solidarität, sondern auch, damit die Maßnahmen zum Infektionsschutz hier in Deutschland und in Europa nicht zu einer Daueraufgabe werden. Das zeigt auch die Omikron-Variante sehr deutlich.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Linken, das Kernproblem sind die fehlenden Produktionsstätten.
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Es handelt sich hier um eine neue Variante, um ein neues Molekül; es gibt keinerlei Erfahrung in diesem Bereich. Deswegen glaube ich, dass das Problem mit der Freigabe des Patentes nicht gelöst ist. Vielmehr müssen wir zusehen, dass wir die Expertise, die damit verbunden ist, das Know-how des Patentinhabers auf freiwilliger Basis weitergeben.
Da hat BioNTech Vorbildliches geleistet in den letzten Wochen und Monaten. Ich verweise zum Beispiel darauf, dass es im Juli dieses Jahres eine Vereinbarung zwischen Pfizer und BioNTech mit dem südafrikanischen Hersteller Biovac gab, Produktionsstätten in Afrika aufzubauen und 55 Länder der Afrikanischen Union mit Impfstoff zu versorgen.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vogler?
Ja.
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Wenn wir wirklich in die Tiefe gehen wollen, was der Kollege Hennrich hier ja offensichtlich versucht, dann müssen wir ein paar Details hinzufügen. – Mich würde interessieren, wie die CDU/CSU-Fraktion die Tatsache bewertet, dass BioNTech/Pfizer es der Bundesregierung zum Beispiel nicht einmal erlaubt hat, bereits bezahlte Impfdosen an die ärmeren Länder der Welt zu verschenken.
Wie bewerten Sie es, dass die Covax-Fazilität eigentlich bis Ende nächsten Jahres verfügbaren Impfstoff für 20 Prozent der Weltbevölkerung in Aussicht gestellt hat, aber bisher überhaupt nicht in der Lage ist, das zu garantieren? Wie bewerten Sie es, dass mit staatlichen Geldern, also mit Steuergeldern, die die Aldi-Kassiererin und der Busfahrer von ihrem Lohn abgezogen bekommen, Produktionsstätten gefördert werden, während der Ertrag trotzdem vollständig in den Taschen der Unternehmenseigner oder der Aktionäre und Aktionärinnen landet?
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Das ist doch vollkommen ungerecht. Diese schreiende Ungerechtigkeit muss einen als christlicher Mensch doch aufregen.
Wie bewerten Sie es, dass Deutschland eines der letzten Länder ist, das den TRIPS Waiver bei der Welthandelsorganisation blockiert? Warum schließen Sie sich nicht den vielen Stimmen an, die fordern, die Patente zeitlich begrenzt für den Fall der Pandemie aufzuheben? Denn genau für diese Situation ist der TRIPS Waiver, also die Möglichkeit, in das geistige Eigentum einzugreifen, in den Vertrag der Welthandelsorganisation geschrieben worden. Das ist genau diese Situation. Wenn wir es jetzt nicht anwenden: Warum sollten sich die Entwicklungsländer künftig noch an all die anderen Regelungen zum Vorteil der Industriestaaten, die im TRIPS-Abkommen auch vereinbart sind, halten wollen, –
Frau Kollegin.
– wenn sie merken, dass die wenigen Regeln, die zu ihren Gunsten sind, von uns nicht akzeptiert werden?
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Frau Vogler, zwei kurze Antworten dazu:
Erste Antwort. Wir haben geregelt, dass die Impfstoffverteilung über die Covax-Initiative erfolgt. Daran hält sich die Bundesrepublik.
Zweite Antwort. Noch mal: Das Aussetzen der Patente löst kein Problem. Der Impfstoff von BioNTech braucht 50 000 Verfahrensschritte zur Herstellung. Das setzt ein unglaubliches Know-how voraus. Dieses Know-how fehlt bei dieser neuen Technologie. Deswegen ist es besser, wenn wir auf Freiwilligkeit setzen und die Firmen zur Zusammenarbeit motivieren; ich habe das gerade in Bezug auf BioNTech ausgeführt. Das ist der Weg, um die Probleme zu lösen.
Ich will in diesem Zusammenhang noch mal sehr deutlich darauf hinweisen, dass die Unternehmen ihrer globalen Verantwortung gerecht werden. Ich habe gerade versucht, auszuführen, dass BioNTech eine Vereinbarung mit der südafrikanischen Firma Biovac getroffen hat, um Produktionsstätten aufzubauen. Was ganz wichtig ist: BioNTech und Pfizer haben sich verpflichtet, diesen Impfstoff zum Selbstkostenpreis abzugeben. – Das zeigt sehr deutlich, dass die Unternehmen ihrer globalen Verantwortung gerecht werden.
Vielleicht ist in der Tat die Feststellung richtig: Mit der Covax-Initiative allein lösen wir die Probleme nicht. – Insofern bin ich der letzten Koalitionsregierung und insbesondere Gesundheitsminister Jens Spahn dankbar, dass er die CEPI-Initiative auf den Weg gebracht hat, die dafür sorgt, dass wir Produktionskapazitäten aufbauen, um in Zukunft für solche Pandemien besser gerüstet zu sein. Auch die Europäische Union geht mit dem Projekt HERA in die richtige Richtung.
Unser Ziel muss es sein, dass wir Produktionskapazitäten schaffen, dass wir die Firmen motivieren, zusammenzuarbeiten und das Problem zu lösen. Mit dem Aussetzen der Patente streuen Sie nur zusätzlich Sand ins Getriebe. Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, löst keines der Probleme, die wir momentan haben. Deswegen lehnen wir diesen Antrag ab.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Hennrich. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Janosch Dahmen, Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich vorneweg sagen: Die globale Pandemiebekämpfung muss stärker in den Fokus unseres Engagements und unserer Aufmerksamkeit rücken. Insofern danken wir der Opposition, dass sie im Übergang von alter zu neuer Regierung dieses wichtige Thema aufgesetzt hat. Denn es ist völlig klar: Wir werden diese Pandemie nur beenden, wenn wir sie überall beenden. Hier müssen wir als wichtige und große Industrienation unserer globalen Verantwortung stärker als in der Vergangenheit gerecht werden.
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Ich glaube aber auch, dass niemandem auf der Welt geholfen ist, wenn wir auf komplexe Probleme unterkomplexe Antworten geben oder schnelle Forderungen aufstellen, die am Ende des Tages nur eins bewirken, nämlich dass Probleme in Debatten abgeschoben werden, die in eine Sackgasse führen, und dass nicht nach tatsächlichen Lösungen gesucht wird.
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Insofern ist, glaube ich, in der Phase, in der wir uns aktuell befinden, wichtig, dass wir uns unterschiedliche Problemdimensionen im Kontext der aktuellen Pandemie, im Kontext der Impfstoffe anschauen. Es gibt einerseits tatsächlich ein ethisches Problem beim Zugang zur Gesundheitsversorgung respektive beim Zugang zu den Impfstoffen. Es gibt eine epidemiologische Dimension, die, gerade wenn es um gemeinsame Anstrengungen und die konsequente Pandemiebekämpfung geht, weltweit sehr große Unterschiede erkennen lässt. Und wir haben tatsächlich im Bereich der Produktion, im Bereich logistischer Probleme große Defizite im Krisenmanagement, die es mit der internationalen Staatengemeinschaft dringend zu adressieren gilt.
Zum Einstieg das ethische Problem. Faktisch müssen wir im Moment tatsächlich feststellen, dass weltweit sechsmal mehr Menschen Auffrischimpfungen erhalten, als Menschen in den ärmeren Ländern Erst- und Zweitimpfungen erhalten. Das ist ein Problem, das wir angehen müssen; denn nur wenn wir es gemeinsam bekämpfen, kann es uns aus der Pandemie herausführen.
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Wir haben aber tatsächlich auch ein epidemiologisches Problem. Wenn wir uns anschauen, wie unterschiedlich hoch Inzidenzen und Impfquoten weltweit verteilt sind und wie Omikron jetzt zum Brandbeschleuniger einer weltweiten Ausbreitung dieser Pandemie wird, die sich natürlich überall da entwickeln kann, wo Impfquoten niedrig sind, wo Inzidenzen hoch sind, dann sehen wir, dass wir bei der Verteilung des Impfstoffs und der Frage, wie der Zugang zur Gesundheitsversorgung ermöglicht wird, weltweit nicht genug getan haben.
Insofern ist die Frage nach Produktion und Logistik richtig; die Antwort, die Patente freizugeben, greift aber viel zu kurz. Konkret geht es doch darum, dass wir am Scheideweg einer Situation stehen, möglicherweise eines Jahrzehnts unterschiedlicher Pandemien und Epidemien, wo die Fähigkeit zur Skalierung von Impfstoff- und Medikamentenproduktionsprozessen – diese kritische Ressource – ein ganz wichtiger Punkt hier in Deutschland und Europa sein muss. Und das müssen wir gemeinsam angehen, nicht nur mit der Forderung nach Patentfreigaben, sondern mit der Ausweitung von Produktionsprozessen und einem weltweiten Logistik- und Verantwortungsnetz.
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Wenn wir also näher hinschauen, dann sehen wir, dass in global vernetzten Lieferketten viele Teilaspekte – fehlende Fachkräfte; Komplexität von Produktion, was eben vom Kollegen Hennrich richtigerweise adressiert wurde; Verfügbarkeit von Lipiden, von Filtersystemen; unterschiedliche Produktionsmaterialien – darüber entscheiden werden, wie sehr sich Produktion skalieren lässt. Und wir sehen jetzt anhand der Erkenntnisse der letzten Tage, dass wir die bestehenden Impfstoffe in den nächsten zwei, drei Monaten kurzfristig werden anpassen müssen und einen riesigen Aufwuchs der Produktionskapazitäten brauchen. Da ist bisher nicht genug passiert. Das werden wir als neue Bundesregierung auch angehen. Vorausschauend geht es darum, in globaler Verantwortung mit den europäischen Nachbarstaaten diese Fähigkeiten nicht nur für die Bevölkerung in Europa, in Deutschland, sondern aus ureigenstem Interesse einer effektiven Pandemiebekämpfung auszuweiten.
Zum Thema Covax müssen wir sagen, dass wir nicht nur unseren Verpflichtungen dort mehr gerecht werden müssen; wir müssen auch das Verteilungsinstrument innerhalb von Covax unter die Lupe nehmen. Wir werden uns zusammen mit der neuen Bundesregierung dafür einsetzen, dass wir mit den internationalen Partnern diese Initiative ausweiten, verbindlicher machen, dass wir den Lieferverpflichtungen nachkommen und damit dann auch weltweit entsprechend besser helfen.
Zu guter Letzt: In drei Monaten steht das nächste Treffen der WTO-Staaten an. Und auch hier wird es darum gehen, dass wir uns in neuen Verhandlungen fragen: Wie können wir in internationalen Patenschaften dafür sorgen, dass diese kritischen Ressourcen ausgeweitet werden? Ich freue mich auf die Beratungen hierzu im weiteren Prozess. Ich bin mir sicher, dass Ihr Anliegen richtig ist; aber die Antworten sind komplexer als das, was Sie vorschlagen.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Dahmen. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Jörg Schneider, AfD-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Linke möchte sich mit „Big Pharma“ anlegen. Patente sollen freigegeben werden – für Afrika. Da habe ich Neuigkeiten für Sie: Corona spielt in Afrika keine Rolle.
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Dafür gibt es einen wichtigen Grund: Corona ist vor allen Dingen für ältere Menschen gefährlich. Das Durchschnittsalter in Afrika liegt bei 18 Jahren. Sie mögen jetzt einwenden: Omikron, Südafrika, viele positiv getestete Kinder in den Krankenhäusern. – Dazu gab es vor zwei Tagen einen interessanten Artikel in der „Welt“. Eine südafrikanische Ärztin stellte dort klar: Jeder Mensch, jedes Kind, das in Südafrika in ein Krankenhaus eingeliefert wird, wird auf Corona getestet, beispielsweise auch Unfallopfer. Und tatsächlich: Bei diesen Tests ist der Anteil der positiv Getesteten nach oben gegangen. Das heißt, es gibt in Südafrika mehr Menschen, die mit Corona im Krankenhaus sind, aber eben nicht wegen. Mit Corona, wegen Corona – das ist ein bedeutender Unterschied, der aber gerne vergessen wird, wenn es einfach darum geht, den Angstlevel hochzuhalten, meine Damen und Herren.
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Es ändert aber nichts daran: Ihr Antrag ist unnötig, und Ihr Antrag ist schädlich. Sie wollen die Arzneimittelproduktion nach Deutschland zurückverlagern; so steht es im Koalitionsvertrag. Das ist eine Forderung der AfD; die haben Sie übernommen. Dafür schon mal herzlichen Dank.
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Nur, damit uns das gelingt, müssen wir Vertrauen schaffen. Patentschutz ist Investitionsschutz. Patentschutz schafft Vertrauen. Wir müssen dieses Vertrauen ausbauen, erhöhen. Sie wollen dieses Vertrauen schädigen. Sie schädigen damit den Industriestandort Deutschland, meine Damen und Herren.
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Und wissen Sie: Wenn Sie sich mit „Big Pharma“ anlegen wollen, dann kritisieren Sie die doch bitte schön wegen der ganzen verpassten Impfversprechungen: „Die Impfung schützt dauerhaft.“ Falsch! In Großbritannien geht man davon aus, dass schon nach drei Monaten nachgeboostert werden muss.
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„Die Impfung hat keine Nebenwirkungen.“ Falsch! Mehrfach mussten die Impfempfehlungen deutlich eingeschränkt werden, weil wir erhebliche Nebenwirkungen hatten, bis hin zu Todesfällen. „Wenn 70 Prozent der Bevölkerung durchgeimpft worden sind, dann haben wir Herdenimmunität.“ Falsch! Es gibt Länder, die haben diesen Anteil deutlich überschritten, und die haben ein Infektionsgeschehen, das sich von unserem nicht wesentlich unterscheidet.
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Meine Damen und Herren, gerade von der Linken: Sie hätten dort durchaus Kritik äußern können. Aber das haben Sie sich nicht so ganz getraut; denn dann würde man vielleicht sagen: Die Linke, die ist ja impfkritisch. Die Linke, das sind ja Coronaleugner. – Und dann hätten die selbst ernannten sogenannten demokratischen Parteien Sie vielleicht aus diesem elitären Klub ausgeschlossen. Die einzige Partei hier im Bundestag, die tatsächlich den Mut hat, diese Kritik zu äußern, das ist meine AfD.
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Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Ihr Antrag ist unnötig, Ihr Antrag ist schädlich, und Ihr Antrag ist mutlos. Deswegen werden wir ihn ablehnen.
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Vielen Dank, Herr Kollege Schneider. – Das Wort erhält nunmehr der Kollege Professor Andrew Ullmann, FDP-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Staatssekretärin Dittmar! Ich muss doch auf Herrn Schneider kurz eingehen: So viel Quatsch hintereinander zu hören, damit die Zeit zu verschwenden, ist echt anstrengend.
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An dieser Stelle möchte ich etwas sagen, Herr Schneider: Wenn nicht getestet wird, weil die Testkapazitäten nicht vorhanden sind, wie in Afrika, dann sind die Zahlen natürlich niedrig. Deswegen stehen wir hier für die globale Gesundheit ein und sorgen dafür, dass diese Pandemie endlich auch global bekämpft wird. Und Sie leugnen das ständig hier im Bundestag. Ich sage Ihnen: Machen Sie endlich die Augen auf. Kapieren Sie endlich, dass SARS-CoV‑2 eine ernste Bedrohung für unsere Welt ist, auch für Südafrika.
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Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt gerne auf den Antrag der Linken eingehen. Es ist ja wie bei „Und täglich grüßt das Murmeltier“, und das wird langsam langweilig. Auch die Linken müssen begreifen, dass Patente für Innovationen sorgen, dass Patente für Forschungsanreize sorgen, dass Patente auch für gesundheitliche Sicherheit sorgen, und das nicht nur in unserem Land, in Deutschland, sondern auch weltweit. Denn wer Patentschutz global infrage stellt, stellt Innovation, Forschung und gesundheitliche Sicherheit infrage. Und dabei muss ein Punkt klar sein: Die vergangene Regierung war sich und die neue Ampelregierung ist sich ihrer globalen Verantwortung sehr wohl bewusst.
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Die Probleme der weltweiten Impfkampagne liegen woanders, nämlich in der Impfstoffverteilung, und die ist natürlich zu langsam. Aber auch andere Fakten werden ignoriert und sollten hier auch mal genannt werden. Die Europäische Union hat knapp 3 Milliarden Euro in Covax investiert. Die deutsche Bundesregierung hat 2,2 Milliarden Euro in ACT-Accelerator investiert, davon über 1 Milliarde Euro in Covax. Damit ist Deutschland der zweitgrößte Unterstützer von ACT-Accelerator, und damit übererfüllt Deutschland im Augenblick – wir ruhen uns natürlich nicht aus – seine Aufgaben.
Eine weitere Initiative, die wichtig ist: Die EU hat 1 Milliarde Euro bereitgestellt für die Herstellung von und den Zugang zu Impfstoffen, Arzneimitteln und Gesundheitstechnologien in Afrika. Wir als Ampel – davon können Sie ausgehen – wollen und werden den Aufbau von Produktionsstätten finanziell weiter unterstützen, wie es zum Beispiel in Südafrika und Senegal schon gelaufen ist. Das ist nachhaltige Politik. Das ist verantwortungsvolle globale Gesundheitspolitik.
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Ähnlich wie hier bei uns in Deutschland ist es auch global eine Herausforderung – da darf es Verbesserungen geben –, für Logistik, Aufklärung und niedrigschwellige Angebote von Impfstoffen zu sorgen.
Als ein Beispiel sei hier auch einmal Südafrika erwähnt: Nur 18 Prozent der Bevölkerung sind bereits vollständig geimpft, obwohl ausreichend Impfstoffe zur Verfügung stehen. Genügend Impfstoffe sind natürlich eine Voraussetzung; aber es braucht auch eine funktionierende Logistik, Aufklärung, niedrigschwellige Angebote und Vertrauen in den Staat.
Auch die Bedarfe für Impfstoffe sind fast gedeckt. Höhere Produktionskapazitäten für das Jahr 2022 werden prognostiziert, sodass es genug Impfstoff für jeden Menschen auf der Welt geben wird. Von weiteren Milliarden Impfstoffdosen für die nächsten Jahre ist auszugehen. Meine Damen und Herren, das zeigt: Die Steigerung der Produktionsmengen läuft auf Hochtouren, und ein Aussetzen des Patentschutzes kann und wird keine Beschleunigung bringen.
Es steht außer Frage, dass die Verteilung und die Verimpfung dieser Impfstoffe eine Herausforderung für alle Länder bleibt. Wir wollen schnell, unbürokratisch und koordiniert überschüssige Impfdosen spenden. Jedoch – das haben wir in der Vergangenheit erlebt, und das BMG hat es auch schon gesagt – warten zahlreiche Impfdosen, die an ärmere Länder gespendet werden sollen, auf ihre Ausfuhr. Die Herausforderung für Covax ist, dass man aufgrund fehlender Strukturen nicht schnell genug Drittländer findet, die die Dosen aufnehmen und verimpfen können. Deshalb, meine Damen und Herren, darf der Fokus nicht einseitig auf die Impfstoffe gelegt werden, sondern er muss auch auf Bemühungen gelegt werden, andere Maßnahmen durchzuführen. Das sind eigentlich die globalen Herausforderungen.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.
Letzter Satz. – Patentschutz ist kein Hindernis für die schnelle Bekämpfung von Krankheiten. Im Gegenteil: Die Aufhebung des Patentschutzes hätte eine Signalwirkung für die Pharmaunternehmen, nicht mehr in Forschung und Entwicklung zu investieren. Es ist wichtig, dass wir in Deutschland diese Forschung würdigen; denn wir verlieren sonst den globalen Kampf, nicht nur in dieser Pandemie, sondern auch in zukünftigen Pandemien.
Herzlichen Dank.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Thema, über das wir gerade debattieren, ist entgegen allen anfänglichen Hoffnungen leider zu einem Dauerbrenner in dieser Pandemie geworden. Bereits kurz nach der Coronapandemie war uns allen klar, dass wir dieses Virus nur global besiegen können.
Dazu gehört eben auch, dass wir gemeinsam daran arbeiten, allen Menschen auf der Welt möglichst schnell den Zugang zu einer Impfung gegen Covid-19 zu ermöglichen. Die Frage nach dem gleichen Zugang zur Impfung gegen das Coronavirus ist daher nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch eine Frage der effektiven Pandemiebekämpfung.
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Zur Wahrheit gehört leider aber auch, dass rund zwei Jahre nach dem Beginn der Pandemie eine riesengroße Impflücke zwischen den reicheren und den einkommensschwächeren Staaten der Welt klafft. Während die Impfquoten in Europa bei rund 70 Prozent liegen, liegt die Impfquote trotz aller internationaler Anstrengungen und Initiativen in den Ländern der Afrikanischen Union gerade einmal bei rund 5 Prozent. In anderen Staaten mit niedrigem Einkommen sieht die Lage nicht unbedingt besser aus.
Von einer flächendeckenden Durchimpfung der Weltbevölkerung sind wir meilenweit entfernt. Die Ausbildung von Fluchtmutationen wie aktuell der Omikron-Variante ist deshalb kein Zufall – im Gegenteil: Sie war abzusehen. Wir dürfen die Augen vor dieser Gefahr nicht länger verschließen. Es ist ein Fehler, wenn wir uns auf die Erhöhung der Impfquoten hierzulande beschränken. Die globale Gemeinschaft muss mehr tun.
({1})
Wir haben im Rahmen der Pandemie immer auf gemeinschaftliche Lösungsansätze gesetzt. Bereits jetzt ist Deutschland einer der wichtigsten Partner des Globalen Südens, wenn es um die Versorgung mit Impfstoffen gegen das Coronavirus geht. Deutschland hat als Geberland die Covax-Initiative mit über 1 Milliarde Euro unterstützt, und wir spenden bis Ende dieses Jahres Millionen von Impfdosen an andere Stellen.
Dieses Engagement müssen wir in der neuen Ampelkoalition fortführen und weiter ausbauen; denn wir sehen natürlich auch, dass sich Covax nicht so entwickelt hat, wie wir uns das erhofft haben. Bis Anfang Dezember hat Covax lediglich 644 Millionen der 5,5 Milliarden vertraglich zugesicherten Impfdosen an 144 Empfängerländer ausgeliefert, und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist viel zu wenig.
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Die Initiative leidet insbesondere darunter, dass sie nach wie vor nicht richtig ausfinanziert ist. Hinzu kommen nicht eingehaltene Lieferzusagen der Hersteller, Produktionsprobleme und lokale Exportbeschränkungen, wie wir sie leider beispielsweise in Indien hatten. Viele der genannten Probleme lassen sich nicht durch die Aufhebung des Patentschutzes lösen.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich behaupte nicht, dass eine Lockerung des Patentschutzes für Coronaimpfstoffe nichts bringen würde. Wir müssen alle möglichen Maßnahmen in der neuen Koalition offen diskutieren. Aber es muss auch allen klar sein: Die Lockerungen des Patentrechts sind keine Garantie dafür, dass der Zugang zu Impfstoffen für alle Staaten in Zukunft einfacher wird.
Bereits jetzt sehen wir ein enormes Wachstum im Bereich der weltweiten Produktionskapazitäten für Coronaimpfstoffe. UNICEF schätzt, dass die weltweite Impfstoffproduktion bereits dieses Jahr die 10-Milliarden-Marke überschreiten wird. Bis Mitte des nächsten Jahres wird die Produktion aller Wahrscheinlichkeit nach die 22-Milliarden-Marke überschreiten. Demgegenüber steht eine Weltbevölkerung von etwa 7,9 Milliarden. Die große Frage, die am dringendsten beantwortet werden muss, lautet also: Wie können wir es schaffen, die vorhandenen Impfstoffe global gerecht zu verteilen? Bei der Beantwortung dieser Frage hilft die Aufhebung von Patenten nur indirekt weiter.
Wir müssen zudem auch Folgendes bedenken: Die alte Bundesregierung war mit ihrer ablehnenden Haltung gegen die TRIPS-Initiative von Südafrika und Indien nicht alleine. Selbst wenn wir uns jetzt für die Unterstützung des TRIPS Waiver starkmachen, ist damit noch nichts gewonnen. Wir sollten uns deshalb nicht darauf versteifen, Verteilungsprobleme allein durch die Aufhebung von Patenten lösen zu wollen. Es macht Sinn, sich neben dieser Diskussion, die zweifelsohne geführt werden muss, besonders darauf zu konzentrieren, die aktuelle Bestell- und Verteilpraxis zu überdenken und für die Impfung notwendige Strukturen in den Covax-Zielländern zu verbessern und zu unterstützen.
Wir bleiben an diesem Thema dran, und wir werden noch viel dazu arbeiten müssen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Stamm-Fibich. – Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Stephan Pilsinger, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Linken demonstriert heute einmal mehr, dass eine politische Forderung nicht dadurch besser wird, dass man sie wiederholt stellt. Auch wenn sozialistisch geprägte Utopien selten der Realität nahekommen, dann gilt das in besonderer Weise am heutigen Tag, in dieser nie dagewesenen Krise.
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Einig sind wir uns in großer Mehrheit dieses Hohen Hauses und auch gesamtgesellschaftlich, dass flächendeckende Impfungen auf nationaler wie auf internationaler Ebene der einzige dauerhafte Ausweg aus dieser Krise sind. In ihrem Covid-19 Vaccine Market Dashboard prognostiziert die UNICEF, dass für das laufende Jahr eine weltweite Kapazität von mehr als 10 Milliarden Impfdosen notwendig wäre, im nächsten Jahr und in den Folgejahren von jeweils etwa 20 Milliarden – und dies nur mit den bislang zugelassenen Mitteln.
Aber woher kommen denn diese Mengen an Impfstoffen, werte Kollegen von der Linkspartei?
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Werden sie mal eben in volkseigenen Betrieben „Impfstoff“ um die Ecke angerührt? Nein, sicher nicht. Es ist eine großartige Errungenschaft, dass Wissenschaftler weltweit und auch in Deutschland hochwirksame Impfstoffe in sehr kurzer Zeit entwickelt und – in Kooperationen mit anderen professionellen Firmen – zum Massenprodukt gemacht haben. Nur wenn Pharmaunternehmen im Rahmen des Patentschutzes Planungs- und Rechtssicherheit haben, dass sich ihr Produkt eines Tages mal auszahlen könnte und die teilweise mehrere Milliarden Euro hohen Investitionen wieder kompensiert werden könnten, werden sie sich in dieses Wagnis begeben. Klar ist – und diese Realität muss auch die Linkspartei endlich einmal begreifen –, dass Innovationen und medizinischer Fortschritt nur gelingen, wenn das geistige Eigentum geschützt ist. Dies gilt auch in besonderer Weise für Impfstoffe und Medikamente in dieser Krise.
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Zu Recht schreiben Sie in Ihrem Antrag, dass es immer wahrscheinlicher wird, „dass wir uns auf absehbare Zeit auf wiederkehrende Impfungen wegen nachlassenden Impfschutzes oder neuer Virusvarianten einstellen müssen“. Entsprechende Impfstoffadaptionen, von denen wir alle profitieren, benötigen ein sehr hohes Know-how, sehr ausgereifte Technologien und Produktionsanlagen, top geschultes Personal und fein ausgeklügelte Lieferketten. Deswegen würde die Freigabe der Patente keinerlei Fortschritt in Entwicklung und Produktion bringen. Die Gefahr wäre vielmehr, dass dubiose Nachahmerfirmen, vor allem in autokratisch regierten Ländern, eine mehr als bedenkliche Brühe zusammenköcheln, die zumindest ich mir nicht injizieren lassen möchte.
Ich gebe Ihnen recht, wenn Sie schreiben:
Die Pandemiebekämpfung muss weltweit erfolgen – nicht nur aus Gründen internationaler Solidarität in Krisenzeiten, sondern auch, damit die belastenden und teuren Maßnahmen des Infektionsschutzes in Deutschland und der EU nicht zur dauerhaften Sisyphus-Aufgabe werden.
Das bekommen wir aber am besten hin, wenn wir als Europäer die Produktion der zugelassenen Impfstoffe zum Beispiel in afrikanischen Anlagen vor Ort finanziell fördern, um die Wertschöpfung vor Ort zu generieren und um möglichst kurze Lieferwege zu garantieren.
Daneben muss es uns als Deutsche und als Europäer ein hoher Anspruch sein, die sehr gut laufende Covax-Impfstoffinitiative mit weltweit mehreren Hundert Liefervereinbarungen zu forcieren. So helfen wir vielen benachteiligten Menschen in ärmeren Ländern und verhindern einen Bumerang aus neuen Mutationen zurück nach Europa – und nicht durch scheinbar moralisch gebotene Forderungen, wie Die Linke sie hier erneut vorbringt, die schlussendlich das Gegenteil des Notwendigen bewirken würden.
Vielen Dank.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will die erste außenpolitische Debatte nutzen, um der neuen Bundesregierung, insbesondere Außenministerin Annalena Baerbock, sozusagen stellvertretend durch Staatsminister Lindner, ganz herzlich zur Wahl zu gratulieren und der Bundesregierung, insbesondere dem Außenamt – aber das gilt, Frau Staatssekretärin, selbstverständlich auch für die Verteidigungsministerin –, die gute Zusammenarbeit mit der CDU/CSU-Fraktion anzubieten. Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode nicht nur mit der sozialdemokratischen Fraktion, sondern auch mit den Fraktionen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen viele außenpolitische Übereinstimmungen gehabt. Dies sollten wir fortführen. Auch wenn es selbstverständlich – in Abwandlung eines Satzes von Andrea Nahles – am Tag danach auch mal Wind von vorne geben soll – so möchte ich es norddeutsch diplomatisch sagen –, will ich doch unterstreichen, dass uns daran gelegen ist, in wichtigen bzw. zentralen außen- und europapolitischen Fragen zusammenzuarbeiten. Ich glaube, das zeichnet durchaus die deutsche parlamentarische Tradition aus.
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Wir erleben an der Grenze zur Ukraine eine Konzentration russischer Truppen, die ein Maß erreicht hat, das wirklich besorgniserregend ist – und das insbesondere vor dem Hintergrund, dass allgemein bekannt und anerkannt ist, dass Russland bei den jetzt noch andauernden Kampfhandlungen im Osten der Ukraine, aber auch schon bei der Annexion der Krim mit militärischer Unterstützung, aber durchaus auch mit vielen anderen hybriden Mitteln die Integrität und Souveränität der Ukraine mehrfach verletzt hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist ein Kontinuum deutscher Außenpolitik und europäischer Außenpolitik, dass die Souveränität der Ukraine in keiner Weise, auch nicht durch Russland, infrage gestellt werden darf. Ich denke, wir sollten gerade in dieser Zeit, in einer Übergangszeit, auch deutlich machen: Deutschland steht dazu. Wir stehen an der Seite der Ukraine. Sie muss souverän bleiben. – Jeder militärischen Intervention in der Ukraine müssen wir uns entgegenstellen. Da müssen wir an der Seite der Ukraine stehen. Wir müssen so etwas ablehnen und Russland dazu auffordern, alles zu unterlassen, was die Souveränität der Ukraine berührt.
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In diesem Sinne war es, glaube ich, wichtig, dass der amerikanische Präsident mit dem russischen Präsidenten ein deutliches Telefonat geführt hat und auch die Position des Westens deutlich gemacht hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Präsident Putin hat natürlich diesen Augenblick der Konzentration der Truppen nicht zufällig gewählt. Er weiß, dass es in Deutschland einen Regierungswechsel gibt. Er weiß, dass es auch in Frankreich eine politisch etwas instabile Situation gibt, weil Präsidentschaftswahlen bevorstehen. An dieser Stelle ist die allererste Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland, im westlichen Bündnis zu bleiben, gemeinsam mit der NATO, gemeinsam mit unseren Partnerinnen und Partnern in der Europäischen Union. Es ist auch sehr gut, dass Außenministerin Baerbock in diesen Tagen zuerst in Paris ist, wie es gute deutsche Tradition ist. Wir müssen mit unseren westlichen Partnern Putin ein Signal der Geschlossenheit geben. Nur das zählt.
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In diesem Zusammenhang möchte ich auch ausdrücklich begrüßen, dass die Außenministerin in den letzten Tagen vor der Übernahme Ihres Amtes in einem Interview klare Worte der Stärke gebraucht hat. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wer den Mund spitzt, der muss am Ende auch pfeifen. Das heißt, wir werden darauf achten, dass diese neue Koalition bzw. die neue Bundesregierung ihre Bündnisverpflichtungen einhält; denn es wird darauf geachtet, was Deutschland macht. Deutschland hat eine wesentliche Rolle im westlichen Bündnis, in der NATO, in der Europäischen Union. Es wird darauf geachtet, was Deutschland macht, aber es wird auch darauf geachtet, was Deutschland gegebenenfalls nicht macht.
Wenn wir zusagen, 2 Prozent des Bruttosozialproduktes für Verteidigung auszugeben – wir brauchen uns an der Zahl nicht festhalten; wir können auch sagen: 10 Prozent der Fähigkeiten der NATO beizutragen –, dann muss Deutschland diesen Beitrag auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten leisten. Alles andere zahlt nur auf das Konto von Putin ein. Das gefährdet die Ukraine, das gefährdet unsere osteuropäischen Bündnispartner, und deswegen muss Deutschland hier verlässlich sein. Dazu können wir Sie nur auffordern.
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Dazu gehört auch, dass schwierige Beschaffungsvorhaben durchgeführt werden müssen. Wir haben mit Interesse gelesen, dass Sie sich zur nuklearen Teilhabe bekennen, dass Sie das Nachfolgesystem für den Tornado beschaffen wollen. Wir haben allerdings auch gelesen, dass Frau Baerbock Zertifizierungsfragen erörtert hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren, an der Stelle muss auch klar sein, so schwierig das Thema nukleare Abschreckung ist: Jeder, der an der Stelle wackelt, gefährdet die Sicherheit des Westens. – Das darf Deutschland nicht riskieren.
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Deutschland muss hier klar bleiben, lieber Herr Kollege Nouripour. Ich bin ja mit Ihnen der Meinung.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Politik aus einem Guss und nicht nur im Kanzleramt, –
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Herr Kollege.
aber auch Klarheit bei den Grünen und Klarheit bei der grünen Außenministerin ist hier gefordert.
Vielen Dank.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich vorab erst einmal Herrn Dr. Wadephul danken für das Angebot einer guten Zusammenarbeit in der Außenpolitik. Ich glaube in der Tat, wir sollten die Tradition eines breiten Konsenses in der Außenpolitik aufrechterhalten, auch unter der neuen Regierungskonstellation. Ich kann sagen – ich glaube, im Namen aller Koalitionsfraktionen –, dass wir daran sehr interessiert sind. Ich freue mich auch, dass die erste Aktuelle Stunde, die Sie als Fraktion beantragt haben, der Außenpolitik gewidmet ist.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, morgen ist der 50. Jahrestag der Verleihung des Friedensnobelpreises an Willy Brandt. In seiner Dankesrede prägte er den Satz: Krieg ist nicht die Ultima Ratio, Krieg ist die Ultima Irratio. Und damit ist klar: Friedenspolitik, Entspannungspolitik sind Leitlinien deutscher Außenpolitik und dieser Bundesregierung, gerade auch mit Blick auf die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine und den russischen Truppenaufmarsch an der Grenze der Ukraine.
Deshalb ist für uns als SPD in dieser Situation eines glasklar: Diplomatie ist das Gebot der Stunde, meine Damen und Herren.
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Deshalb begrüßen wir das direkte, intensive Gespräch zwischen den Präsidenten Biden und Putin, und deshalb sind wir uns auch der besonderen Verantwortung Deutschlands für das Minsk-Abkommen bewusst. Deutschland ist im Normandie-Format Garantiestaat dieses Abkommens, und wir wollen dieses Abkommen umsetzen. Es ist der einzig verfügbare Rahmen für eine nachhaltige Friedenslösung in der Ostukraine.
Das bedeutet aber auch, dass Russland sich seiner Verantwortung in diesem Konflikt bewusst sein muss. Es kann nicht sein, dass die russische Regierung den Krieg in der Ostukraine als innerukrainischen Konflikt abtut und sich quasi als eingebildeter Vermittler geriert. Nein, Russland ist Konfliktpartei. Russland ist Aggressor. Russland hat Völkerrecht gebrochen und die europäische Friedensordnung massiv gestört.
Deshalb ist für uns entscheidend, dass wir schnell wieder zu einem Normandie-Treffen kommen mit substanziellen Fortschritten bei der Umsetzung des Abkommens, und zwar aller Teile des Abkommens und vonseiten aller betroffenen Parteien. Es ist für uns entscheidend, dass der NATO-Russland-Rat begleitend wiederbelebt wird. Dazu sollte auch Russland sich wieder der diplomatischen Kontakte zur NATO bemühen. Und es ist für uns entscheidend, dass das Recht auf Selbstbestimmung aller Staaten der ehemaligen Sowjetunion, sei es die Ukraine, Belarus oder Georgien, respektiert wird. Diese Völker verdienen es, selber demokratisch darüber entscheiden zu können, welchen Weg sie gehen.
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In seiner Regierungserklärung 1969 hat Willy Brandt neben der Entspannungspolitik das Gleichgewicht der Kräfte als notwendige Voraussetzung für Entspannung und Dialog beschrieben. Die Erfolge der Brandt’schen Außenpolitik waren nur möglich durch die Westbindung, die NATO-Mitgliedschaft und eine modern ausgestattete Bundeswehr. Das waren zwei Seiten einer Medaille. Deshalb ist es richtig, dass sich auch heute die Regierung der Bundesrepublik Deutschland klar zu diesen Grundsätzen bekennt und ausgehend von diesen Grundsätzen auch auf den Ukraine-Russland-Konflikt schaut. Deshalb bin ich Kanzler Scholz und der gesamten Bundesregierung dankbar, dass sie von Tag eins an deutlich gemacht haben, dass eine russische Aggression gegen die Ukraine Konsequenzen haben wird. Ich will noch einmal betonen: Für uns ist es klar, dass, ausgehend von dem Rahmen der deutsch-amerikanischen Verständigung in diesem Sommer, alle Optionen auf dem Tisch liegen und dass natürlich neue Sanktionen im Falle einer solchen Aggression verhängt werden.
Ich will aber auch deutlich sagen: Wir sollten in dieser Krise bis zum letzten Moment darum kämpfen, dass eine diplomatische Lösung gefunden wird. Kleine praktische Schritte sind jetzt notwendig, meine Damen und Herren: vertrauensbildende Maßnahmen, dass der Waffenstillstand wieder voll belebt wird, dass die Übergänge an der Konfliktlinie geöffnet werden, dass die OSZE-Mission ihrem Auftrag ungehindert nachkommen kann, dass wir diese Mission auch finanziell und technisch voll unterstützen. Dass wir so den Menschen in der Ukraine eine friedliche Adventszeit bescheren können, das ist unser Wunsch und unser politisches Bestreben, meine Damen und Herren.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Schmid. – Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Alexander Gauland, AfD-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zuerst möchte ich einmal rügen, dass die Außenministerin bei der ersten außenpolitischen Debatte nicht da ist.
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Wir haben keine Entschuldigung gehört.
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– Wo ist die Außenministerin?
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– Dann muss man sich offiziell entschuldigen.
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Meine Damen und Herren, kommen wir zum Thema: Ja, es ist ungemütlich, was da an der Grenze zwischen der Ukraine und Russland passiert: weniger, weil man einen Anmarsch der Russen befürchten muss, als vielmehr, weil solche Situationen außer Kontrolle geraten können. Es ist deshalb gut und richtig, wenn die Bundesregierung mit unseren Verbündeten ihre diplomatischen Möglichkeiten nutzt, um die Lage zu entspannen. Weniger gut und richtig ist es, die Schuld an dieser Entwicklung immer nur bei einer Seite zu suchen.
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Außenpolitik, meine Damen und Herren, und Diplomatie sollten von den Realitäten ausgehen. Und Realität ist nun einmal, dass Russland die Ordnung an seinen Grenzen als nicht befriedigend empfindet. Ich will hier nicht den alten Streit wiederbeleben, ob es im Rahmen der Wiedervereinigungsverhandlungen eine mündliche Zusage gab, die NATO nicht über die ehemalige DDR hinaus zu erweitern, wie es Herr Teltschik sagt – so viel an die Kollegen der CDU. Das ist Geschichte.
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Aber Gegenwart ist, dass Russland immer eine rote Linie dort gezogen hat, wo es um alten russischen Siedlungsraum geht.
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Die Ukraine und Weißrussland sind eben nicht mit Polen und Ungarn zu vergleichen und eben auch nicht mit den im Rahmen der Hitler-Stalin-Paktes annektierten baltischen Staaten. Wir haben es insoweit eben noch nicht mit einer allseits akzeptierten Friedensordnung zu tun – trotz des Vertrages von 1994.
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Ja, meine Damen und Herren, ich kenne das Gegenargument des Westens, es gäbe keine Einflusssphären mehr und auch diese Länder seien frei, ihre Bündnisse zu wählen. Dieses Argument mag völkerrechtlich richtig sein.
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Politisch trägt es nicht, meine Damen und Herren.
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Denn auch die Amerikaner haben 1961 in der Kuba-Krise völlig zu Recht darauf bestanden, dass Mittelstreckenraketen in ihrem Hinterhof für den Weltfrieden nicht inakzeptabel seien.
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Auch Kubas Souveränität musste damals hinter der Einflusssphäre einer Großmacht zurückstehen, liebe Freunde; und das sollten sich vor allem die Kollegen der CDU hinter die Ohren schreiben.
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Übrigens: Das ist genau wie auf der anderen Seite Finnland, dessen Neutralität auch nicht eine ganz freiwillige war und ist.
Es gibt nun einmal historisch-politische Gegebenheiten, die die Handlungsfreiheit eines Staates auch ohne rechtliche Verpflichtung einschränken.
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Deshalb ist es nicht klug, auf etwas zu bestehen, was von Russland als eine nicht hinzunehmende Provokation betrachtet wird:
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die immer stärkere Verflechtung der Ukraine, aber auch Georgiens, mit westlichen Sicherheitsstrukturen. Auch wenn es den regelbasierten Multilateralisten schwerfällt: Der Sicherheit und Unabhängigkeit der Ukraine ist mit einer auch von Russland akzeptierten Neutralität besser gedient als mit Waffenlieferungen oder einer NATO-Mitgliedschaft, meine Damen und Herren!
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Solange Russland die Phantomschmerzen eines zerbrochenen Reiches mit sich herumschleppt, sollte der Westen dies bei seinen Reaktionen berücksichtigen und jeder weiteren Ausdehnung seiner Ordnung gegen die russische Grenze entsagen. Denn nicht, meine Damen und Herren, zuvörderst das Völkerrecht, sondern vor allem die politische Klugheit sichert das friedliche Zusammenleben von Völkern und Staaten. Meine Damen und Herren, gerade wir Deutschen hätten die Aufgabe, dies auch der Ukraine deutlich zu machen.
Ich bedanke mich.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gauland, als ich eben Ihre Worte vom alten russischen Siedlungsraum gehört habe, habe ich an meine Jugend gedacht; da hat es auch hier Äußerungen gegeben, was alles zu Deutschland gehören würde: „3geteilt? niemals!“, „Von der Etsch bis an den Belt“ und all so etwas. Ich sage Ihnen eins: Die Basis der gemeinsamen Ordnung, der Friedensordnung in Europa ist, dass sich niemand mehr auf solchen Unsinn berufen kann.
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Die Basis ist die Unantastbarkeit der Grenzen und das Verbot, Grenzen einseitig gewaltsam zu ändern. Und in diesem gemeinsamen Europa sind Sie offensichtlich noch nicht angekommen.
Ich will einen weiteren Punkt hinzufügen – es wird ja dieser Tage viel von Teltschik oder von Hans-Dietrich Genscher geredet –: Ja, es gibt diese Äußerungen. Aber ich will mal eins deutlich sagen: Es ist nicht die NATO, die 120 000 Soldatinnen und Soldaten an der Grenze eines souveränen Staates in Gefechtsbereitschaft konzentriert hat. Egal ob das der Vorbereitung einer Invasion oder der bloßen Erpressung der Ukraine dient: Dies ist mit den Regeln, mit dem Geist des Vertrages über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa nicht vereinbar. Und da ist auch Russland Vertragsbestandteil.
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Herr Schmid und Herr Wadephul, Sie haben zu Recht darauf verwiesen, dass es gut ist, wenn in dieser Situation Präsident Biden und Präsident Putin miteinander sprechen. Aber das ist für uns auch ein Problem. Denn was macht Putin gerade? Er nutzt die Destabilisierung in Europa, um auf großer Bühne zu simulieren, er spiele in einer Liga mit der Großmacht USA. Ich finde, da beginnt für uns die außenpolitische Herausforderung – nicht nur als Deutsche, sondern als Europäer. Wir können uns in dieser Form nicht zum Spielball machen lassen.
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Es ist deswegen unsere Verantwortung, dieses Stück Selbstbewusstsein zu haben, dass für die Sicherheit in Europa auch wir unseren Teil zu tragen haben. Dabei gilt der alte Grundsatz von Egon Bahr: Amerika ist unverzichtbar, und Russland ist unverrückbar. – Deswegen glaube ich, dass es wichtig ist, dass wir das Normandie-Format wieder instand setzen, dass es eine klare und schnelle Initiative gibt, die die Ursache des Konfliktes, den Putin zum Anlass nimmt, um sein Spiel mit den USA zu spielen, endlich aus der Welt schafft.
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Dazu bedarf es der Verlässlichkeit. Und Verlässlichkeit heißt: Europa wird seine politische und seine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Ukraine nicht nur nicht einstellen, sondern wir wollen sie ausbauen. Wir wollen mit der Ukraine zusammenarbeiten, beim Umstieg in eine Wasserstoffwirtschaft.
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Wir wollen dieses politische System. Wir wollen auch Freiheit für die Menschen hier an dieser Stelle haben. Eine stabile und prosperierende Ukraine ist im europäischen Interesse.
Zu dieser Debatte gehört auch Ehrlichkeit. Es stimmt: Es gibt keine militärische Lösung dieses Konflikts. Ich sage auch deutlich: Gute Beziehungen zur Ukraine richten sich gegen niemanden, auch nicht gegen Russland. Sicherheit in Europa wird es nicht gegen Russland geben,
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aber wir wollen Sicherheit in Europa mit Russland. Deswegen ist der NATO-Russland-Rat wichtig. Aber dies geschieht auf einer spezifischen Grundlage: Sicherheit und Zusammenarbeit kann es nur auf der Basis der vertraglich vereinbarten Friedensordnung dieses Kontinents geben. Und wer diese Friedensordnung militärisch infrage stellt, der darf nicht glauben, dass anschließend business as usual weitergeht,
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der stellt dadurch die gesamten politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union infrage. Das kann nicht im Interesse Russlands sein; denn wenn Putin so weitermacht und diese Beziehungen infrage stellt, dann wird er nicht in einer Liga mit den USA spielen, sondern als Vasall Chinas enden.
Sie haben nach der Haltung der Bundesregierung in diesem Konflikt gefragt. Ich kann Ihnen sagen: Die wichtigste Haltung ist, Europa in dieser Frage zusammenzuhalten. Deswegen ist es gut, dass die deutsche Außenministerin heute in Paris, in Brüssel und in Warschau ist.
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Vielen Dank, Herr Kollege Trittin. – Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Ali Al-Dailami, Fraktion Die Linke, zu seiner ersten Parlamentsrede.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit großer Sorge beobachten auch wir als Linke derzeit die Entwicklung an der russisch-ukrainischen Grenze und den sich dort weiter zuspitzenden Konflikt. Um es klar zu sagen: Als Linke lehnen wir jegliche militärische Drohgebärden ab, egal von welcher Seite. Und wir sagen auch klar: Krieg darf niemals das Mittel der Politik sein!
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Ja, der militärische Aufmarsch und die Konzentration der russischen Truppen sind gefährlich. Aktionen auf der Gegenseite sind aber nicht weniger problematisch. Die Aufrüstung der Ukraine durch die USA, die Türkei und weitere NATO-Staaten sowie die Stationierung von NATO-Militärausbildern in der Ukraine sorgen für erheblichen Zündstoff in diesem Konflikt und dieser Region.
Militärmanöver und eine massive Hochrüstungspolitik haben sich bisher immer als kontraproduktiv erwiesen, mehr noch, sie haben zu dieser explosiven Lage zumindest beigetragen, und das muss sofort eingestellt werden. Notwendig sind stattdessen Vereinbarungen zur Rüstungskontrolle, aber auch zur gemeinsamen Abrüstung.
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Genauso kontraproduktiv wie die Aufrüstung ist es, zu glauben, dass man diesen Konflikt mit einer Spirale von Sanktionen eindämmen oder gar befrieden kann. Ich sage Ihnen: Das Gegenteil ist der Fall. Das hat die Vergangenheit eindrücklich bewiesen. Auch deshalb lehnen wir als Linke diese fatale Sanktionspolitik konsequent ab.
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Vielmehr muss es jetzt darum gehen, die Verhandlungen wieder aufzunehmen, und dazu gehört das Anknüpfen an die Minsker Abkommen. Deutschland und Frankreich, die an diesen Vereinbarungen schon beteiligt waren, kommen hier eine besondere Aufgabe, aber auch Verantwortung zu.
Was wir jetzt brauchen, ist kein Säbelrasseln, sondern eine kluge, durchdachte, also deeskalierende und auf den Dialog setzende Politik.
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Dazu gehört keine einseitige Parteinahme, sondern vor allem das Anerkennen der Interessen und Sorgen der beteiligten Akteure. Ja, es geht um die territoriale Integrität der Ukraine. Zu sehen ist aber auch die Sorge Russlands, dass die NATO – nachweisbar – immer weiter in Richtung des russischen Staatsgebietes vorrückt.
Hier will ich sehr deutlich sagen: Die ehemalige Bundeskanzlerin hat so einiges falsch gemacht; aber sie lag goldrichtig damit, als sie sich all jenen widersetzt hat, die gefordert haben, der Ukraine Waffen zu liefern, mit denen dann womöglich versucht worden wäre, diesen Konflikt weiter zu eskalieren. Die neue Bundesregierung wäre gut beraten, diesen Verzicht zu erneuern, insbesondere dann, wenn jetzige Regierungsmitglieder genau dies forderten. Ich sage Ihnen: Es kann und darf doch nicht das Ziel deutscher Außenpolitik sein, mit Waffenlieferungen in Krisengebiete immer weiter Öl ins Feuer zu gießen, meine Damen und Herren.
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Zur historischen Verantwortung Deutschlands gehört es, dafür Sorge zu tragen, dass alles dafür getan wird, dass es in Europa nicht zu einem neuen großen Krieg kommt. Zur historischen Verantwortung gehört es aber auch, sich zu fragen, wie es denn wahrgenommen wird, wenn die neue Bundesregierung sich anschickt, weiter aufzurüsten, und so auf dem Weg ist, zur ausgabenstärksten Militärmacht in Europa zu werden. Auch aus diesem Grunde lehnen wir diese Aufrüstungspolitik – Stichwort „bewaffnete Drohnen“ – rigoros ab.
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Meine Damen und Herren, noch ist es Zeit, den seit Jahren andauernden Konflikt zumindest so weit zu befrieden, dass wir wieder zum Dialog und somit zu einer Politik der Entspannung kommen. Denn wenn eine Entspannungspolitik im hochideologisierten Kalten Krieg möglich war, dann ist sie es heute allemal. Alles andere wäre verantwortungslos und eine Bankrotterklärung.
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Ein letzter Satz: Als deutsche Bundesregierung können und sollten Sie aus den eben genannten Gründen eine Vermittlerrolle einnehmen. Verspielen Sie das nicht durch eine einseitige Parteinahme!
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank. – Ich grüße Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, und erteile nunmehr das Wort dem Kollegen Alexander Graf Lambsdorff für die FDP-Fraktion.
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Ganz herzlichen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte beginnen mit einem Dank an die Kolleginnen und Kollegen von der Union, die hier in der ersten großen außenpolitischen Debatte der neuen Legislaturperiode die Hand gereicht haben zur Zusammenarbeit, zu Kontinuität. Ich finde das aller Ehren wert. Wir werden darauf eingehen bei jeder Gelegenheit, die sich bietet, lieber Johann Wadephul.
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Ich möchte allerdings, lieber Johann, in diesem Zusammenhang einen Kritikpunkt, den du hier vorgetragen hast, gleich widerlegen.
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Und zwar hast du ja infrage gestellt, ob es denn dieser Koalition gelingen werde, Kontinuität bei so absolut zentralen bündnispolitischen Fragen wie beispielsweise der nuklearen Teilhabe zu wahren. Mit Erlaubnis der Präsidentin zitiere ich einmal aus dem Koalitionsvertrag, Thema „nukleare Teilhabe“:
Solange Kernwaffen … im strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben.
Das, meine Damen und Herren, war der Koalitionsvertrag 2013.
Ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag 2018:
Solange Kernwaffen … im Strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben.
Mit Erlaubnis der Präsidentin zitiere ich jetzt aus dem Koalitionsvertrag dieses Jahres, von 2021:
Solange Kernwaffen im strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben.
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Meine Damen und Herren, mehr Kontinuität in einer so wichtigen bündnispolitischen Frage kann es kaum geben,
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und ich muss Ihnen sagen: Das ist genau das, worauf wir setzen: In den Kernpunkten der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland wird es Kontinuität geben.
Aber, meine Damen und Herren, es wird auch Wandel geben; es wird Wandel auch in der Außenpolitik geben, genau deswegen, weil sich natürlich auch die Außenpolitik anderer Akteure wandelt. Nehmen wir bitte nur einmal die russische Außenpolitik dieses Jahres: Im April das große Manöver Sapad, viel größer als sonst. Östlich, nördlich, südlich der Ukraine große Truppenstationierungen: Kursk, Woronesch, Rostow. Im Juni dann der Gipfel Putin/Biden, Gott sei Dank. Wir dachten: Mensch, vielleicht wird es ein bisschen kooperativer. – Was passiert? Im September tauchen „Wagner“-Söldner in Mali auf, wo die Bundeswehr stationiert ist. Im Oktober erklärt die Russische Föderation den Abbruch der Beziehungen zur NATO. Im November hält Wladimir Putin Reden auf der Valdai-Konferenz und bei seinen Botschaftern und erklärt, er suche keinen Konflikt an der Westgrenze. Aber gleichzeitig sehen wir im November und Dezember erneut einen enormen Truppenaufwuchs, eine enorme Truppenkonzentration an der Staatsgrenze zur Ukraine.
Meine Damen und Herren, auf solche Situationen müssen wir eingehen. Es gibt in der russischen Außenpolitik diesen Satz: Wer nicht auf Lawrow hören will, der bekommt es mit Schoigu zu tun. – Also: Wer nicht auf den Außenminister hört, bekommt es mit dem Verteidigungsminister zu tun. – Das ist aber nicht als etwas zu verstehen, das nachgelagert, nacheinander passiert; das geschieht ja die ganze Zeit gleichzeitig. Die Russische Föderation – und das ist nicht unser Wunsch; aber das ist eine Realität, mit der wir umzugehen haben – setzt das Militär als außenpolitisches Instrument ein; genau das ist hier auch wieder der Fall.
Meine Damen und Herren, es ist nicht unser Wunsch, so zu operieren. Aber das bedeutet eines ganz klar – und damit sind wir wieder beim Thema Kontinuität; Kollege Nils Schmid hat es, wie ich finde, hervorragend gesagt –: Unsere gesamte Politik gegenüber der Russischen Föderation müssen wir im Bündnis machen, in der festen Verankerung des Westens. Von dort aus unterstützen wir die Ukraine, von dort aus versuchen wir, Entspannung zu erreichen. Deswegen ist es so wichtig, dass der Koalitionsvertrag auch beim Thema NATO so klar ist.
Und mir ist Folgendes wichtig: Als Willy Brandt Bundeskanzler war – er ist hier schon zitiert worden –, gab die Bundesrepublik 3,7 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für die Bundeswehr aus. 3,7 Prozent! Da werden wir nicht hinkommen wollen; aber, lieber Johann Wadephul, im Koalitionsvertrag steht klar drin: Wir wollen 3 Prozent für unsere internationale Politik ausgeben, auch um den in der NATO eingegangenen Verpflichtungen nachkommen zu können. – Also, ich glaube, dass auch hier unsere bündnispolitische Treue vollkommen klar ist.
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Bei den 3 Prozent ist aber auch die Entwicklungszusammenarbeit dabei – 0,7 Prozent ODA-Quote –, und es ist eine Stärkung unserer Diplomatie dabei. Diplomatie ist ja genau das, womit wir jetzt gerade versuchen, die Lage zu entspannen. Die russisch-amerikanischen Konsultationen begrüße ich; aber was ich besonders begrüße, ist, dass die amerikanische Seite vor den Gesprächen mit Russland die NATO-Verbündeten, auch die Bundesrepublik Deutschland, so intensiv konsultiert hat, dass mit der Ukraine gesprochen worden ist, dass es heute ein Gespräch der Bukarest 9 mit den USA gibt. Man könnte glauben, man hat im Weißen Haus unseren Koalitionsvertrag gelesen; denn wir wollen die Russlandpolitik unter besonderer Berücksichtigung auch der Interessen unserer mittel- und osteuropäischen Partner gestalten. Das finden wir gut. Genau das ist unser Ziel, mit Diplomatie zur Deeskalation beizutragen – für die Unterstützung der Ukraine, für Frieden in Europa.
Herzlichen Dank meine Damen und Herren.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich darf das Wort nunmehr erteilen Christian Petry von der SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der europäische Aspekt ist auch in dieser Debatte ein wesentlicher Aspekt. Herr Kollege Wadephul hat es gesagt: Die Ukraine muss ein souveräner Staat bleiben. Ich sehe zwar nicht die akute Gefahr, dass sich das ändert; aber dass das ein Grundsatz europäischer Politik sein muss – ich glaube, da sind die Demokraten hier in diesem Hause einer Meinung –, das ist ein zentraler Punkt, den wir auch in der Europapolitik immer wieder betonen müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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120 000 Soldaten an der Grenze können da nicht über Nacht hinkommen. Die können auch nicht einfach so hinfahren und dort übernachten. Es muss eine entsprechende Vorbereitung geben, eine entsprechende Logistik geben, das wird nicht über Nacht gehen. Ich glaube, das ist schon zu bemerken. Wir müssen natürlich genau hinschauen, wie diese Bedrohungslage sich auswirkt. In Gesprächen, die ich mit Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine, in Kiew, geführt habe, habe ich wahrgenommen: Erstaunlicherweise wird in Kiew diese Bedrohung als nicht so hoch angesehen, wie wir dies vermuten müssen. Aber dennoch wird dort letztlich gesehen, welches Gefährdungspotenzial darin steckt: Ob damit Fakten im Donbass geschaffen werden? Russische Pässe, Rubel, jetzt auch russisches Militär, ähnlich wie in Abchasien oder Südossetien in Georgien? Ist das das Ziel dieser Intervention, die kommen könnte? Auch das wäre etwas, was wir mit aller Energie zurückweisen müssten. Die europäische Gemeinschaft muss hier solidarisch zusammenstehen und ein gemeinsames Signal setzen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wie sagt man so schön: Ein Bock stößt selten alleine. – Türkische Drohnen im Einsatz bei der Ukraine, amerikanische Abwehrraketen im Einsatz bei der Ukraine, auch das sind Verstöße gegen das Minsker Abkommen. Auch das zeigt, dass die Diplomatie, dass das Normandie-Format – Nils Schmid hat es gesagt – reaktiviert werden muss. Das wurde schon mehrfach gefordert; ich bin sehr dafür. Dort müssen wir sehr klar zum Ausdruck bringen, dass auch diese Dinge – wechselseitige Provokationen oder darüber Hinausgehendes – nicht gehen. Auch das muss von europäischer Seite entsprechend benannt werden. Eine einseitige Vorgehensweise halte ich selbstverständlich für falsch, weil sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, sicher nicht zielführend ist. Darauf müssen wir achten.
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– Vielen Dank für den Beifall von der linken Seite; das freut mich sehr.
Wo geht die Reise hin? Wir haben es heute schon mehrfach gehört: In Russland führt der Weg unter Putin von der Demokratie zur Autokratie. Die unverrückbare Wahrheit ist aber, dass wir in Europa europäische Politik nur mit Russland machen können, dass wir eine dauerhaft stabile europäische Politik nur mit Russland machen können.
Situationen, wie sie sich jetzt in der Ukraine abzeichnen oder in Georgien schon Alltag sind – in Moldawien ist die Situation eingefroren, aber Potenzial steckt auch in diesem Konflikt, von Belarus gar nicht zu sprechen –, wollen wir aber nicht dauerhaft hinnehmen. Das sind Dinge, wo wir tatsächlich aufpassen müssen und wo wir – das ist mein Appell an dieser Stelle – eine Stärkung der europäischen Politik neben dem Normandie-Format brauchen. Wenn wir europäische Souveränität wollen, eingebettet in eine NATO-Strategie, dann ist es absolut notwendig, auf europäischer Ebene mit unseren Partnern, mit Frankreich und allen anderen zu handeln. Das ist aufgrund der unterschiedlichen Ausgangslagen nicht einfach, aber unabdingbar. Wenn wir es zum 50. Jahrestag der Friedensnobelpreisverleihung an Willy Brandt ernst meinen mit dem Ziel der Entspannung und irgendwann wirklich mal wieder zu einer Abrüstungsdebatte kommen wollen, damit wir uns hier nicht permanent über Aufrüstung unterhalten müssen,
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dann müssen wir sagen: Wir brauchen die europäische Souveränität. Wir brauchen ein klares Signal, keine Erpressung, keine Aggression, keine wechselseitigen Provokationen. Wir brauchen die – Jürgen Trittin hat es so genannt – stabile Friedensordnung in Europa, die von allen eingehalten werden muss. Dazu gehören selbstverständlich die Ukraine und auch Russland. Wir müssen unseren Beitrag dazu leisten, in einer gestärkten Vorgehensweise der Europäischen Union. Das ist die Forderung.
Nächste Woche am 13. tagt der Rat für Auswärtige Angelegenheiten der EU. Dann können die Außenminister bereits ein Signal der Geschlossenheit setzen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Glück auf!
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Vielen Dank, Herr Kollege Petry. – Es erhält das Wort der Kollege Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da die Debatte bereits fortgeschritten ist, möchte ich die Gelegenheit nutzen, auf den einen oder anderen Aspekt einzugehen, der bereits angesprochen wurde, ohne alles Richtige, was von vielen Fraktionen bereits gesagt wurde, zu wiederholen.
Johann David Wadephul hat sich zum Koalitionsvertrag und zu den außenpolitischen Aspekten geäußert. Jawohl, wir haben uns ein wenig die Augen gerieben, als wir gelesen haben, was von den Dingen, die uns in den letzten vier Jahren in der Großen Koalition beschwert haben, laut diesem Koalitionsvertrag möglich sein könnte. Es war uns nicht möglich, eine Entscheidung zu treffen zur Anschlussbeschaffung von Flugzeugen, die wir im Rahmen der nuklearen Teilhabe brauchen. Es war uns nicht möglich, bewaffnete Drohnen anzuschaffen, weil die SPD das leider nicht mitgemacht hat. Wir sind gespannt darauf, wie es der neuen Koalition gelingt, das hinzukriegen. Ich freue mich, lieber Omid Nouripour, wenn du als – vielleicht – Parteivorsitzender der Grünen auf einem Parteitag durchsetzt, dass amerikanische Kampfflugzeuge für die nukleare Teilhabe oder bewaffnete Drohnen für die Bundeswehr angeschafft werden.
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Wenn du das hinkriegst, dann wirst du meinen Respekt haben; aber bis dahin sei uns Skepsis bitte schön erlaubt.
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Das Schöne an dieser Debatte ist, dass wir uns in der Mitte des Hauses völlig einig sind in der Bewertung dessen, was das Hauptthema unserer Aktuellen Stunde ist, nämlich dass wir die Art und Weise, wie Russland massiven Druck auf die Ukraine ausübt, aufs Schärfste verurteilen. Ich finde es total zynisch, was der außenpolitische Berater des russischen Präsidenten, Herr Uschakow, im Anschluss an das Telefonat der beiden Präsidenten – USA, Russland – gesagt hat: Er wisse gar nicht, worum es gehe, wohin Russland die Soldaten verlegen solle, sie würden sich ja auf russischem Staatsgebiet aufhalten.
Erster Vorschlag: Diese Truppen könnten dahin zurückverlegt werden, woher sie kommen, nämlich hinter den Ural; ein großer Teil dieser Streitkräfte ist sonst in Sibirien stationiert. Zweiter Vorschlag: Sollen wir aus dieser Aussage den Schluss ziehen, dass wir unsere einseitige Zusage der NATO gegenüber Russland, dass wir keine substanziellen Streitkräfte östlich des früheren NATO-Gebiets stationieren, um zu zeigen, dass wir friedliche Absicht haben und nicht militärisch drohen, einkassieren, weil sie offensichtlich aus russischer Sicht keine Rolle spielt? Das kann ja wohl nicht deren Ernst sein. Diesen Zynismus weise ich aufs Schärfste zurück. Ich glaube, das ist ein Stück weit entlarvend mit Blick auf die Haltung der russischen Regierung.
Im Hinblick auf die Situation im Konflikt Russland/Ukraine ist die völkerrechtliche Bewertung sonnenklar. Wer hier nun sagt, Völkerrecht könne man durch „politische Klugheit“ relativieren, der bewegt sich auf dem Terrain des 19. und 20. Jahrhunderts.
An die Adresse der AfD sage ich: Wäre es wirklich im Sinne Deutschlands, wenn Völkerrecht relativiert werden könne durch politische Realitäten? Das würde für ein Land wie Deutschland, das friedliebend ist und das vielleicht nicht so groß ist wie andere Länder auf dieser Erde, bedeuten, dass wir uns dem Druck etwa Chinas, Russlands oder von mir aus auch anderer großer Staaten beugen müssten. Im Gegenteil ist es gerade im Sinne Deutschlands und im Sinne deutschen Patriotismus, dass man sagt, Völkerrecht hat unbedingten Vorrang vor allen anderen Dingen. Das, finde ich, sollte man deutlich sagen.
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Zum Ukraine-Konflikt müssen wir nüchtern feststellen, dass sowohl aus russischer als auch aus westlicher und ukrainischer Sicht vieles von dem, was wir 2014 nach dem Einmarsch Russlands auf der Krim und der Einmischung in der Ostukraine erwartet und befürchtet hatten, so nicht eingetreten ist. Auch aus Sicht Russlands geht die Rechnung ja nicht auf, dass sich durch diese Aktion die Ukraine ein Stück weit von Europa, von der Europäischen Union entfremden würde. Im Gegenteil: Ich glaube, dass innerhalb der Ukraine die Haltung pro Europäische Union durch diese Aggression Russlands eher noch zugenommen hat. Ich glaube auch, dass Putin nüchtern feststellen muss, dass diese Aktion, die im Frühjahr 2014 begonnen hat, sehr viel Geld und sehr viele Ressourcen bindet, nicht nur militärisch, sondern auch ökonomisch, und dass das ein Abenteuer war, das letztlich in eine Sackgasse geführt hat.
Unsererseits besteht natürlich die Erwartung – das sage ich in Anwesenheit des werten Herrn Botschafters –, dass die ukrainische Regierung alles dafür tut, dass dieses Land ein starkes, prosperierendes Land wird, das auch als Vorbild für alle diejenigen dient, die meinen, man könne unter russischer Vorherrschaft vielleicht besser leben als in einer freien, demokratischen, pluralistischen und marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaft. Deswegen mein Appell an die ukrainische Regierung: Lassen Sie uns gemeinsam den Weg weiter voranschreiten, damit die Ukraine zu einem leuchtenden, zu einem positiven Beispiel für die ganze Region, für ganz Mittelosteuropa wird! Das hilft uns ganz entscheidend beim Zurückdrängen dieser russischen Aggression.
Danke schön.
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Vielen Dank, Herr Kollege Hardt. – Zu seiner ersten Rede darf ich jetzt Robin Wagener von den Grünen das Wort erteilen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Aktuellen Stunde heute debattieren wir eine der größten friedenspolitischen Herausforderungen unserer Zeit: die wiederholten militärischen Drohgebärden und Eskalationen des Kremls gegen die Ukraine. Gestern haben wir das hohe Fest der Demokratie hier in diesem Haus gefeiert, den friedlichen Wechsel, die friedliche Übertragung von Macht. Wir feiern die funktionierende Demokratie und den Rechtsstaat – als Mitglied in einer Union der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts,
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einer Europäischen Union, die Leitstern vieler Menschen ist und bleibt, zum Beispiel der Menschen in der Ukraine.
Diese Vision von Demokratie, Freiheit, Sicherheit und Recht hat die vielen Tausend Menschen in der Ukraine vor acht Jahren bewegt und auf den Euromaidan gebracht. Sie forderten diese Werte ein. Sie forderten Demokratie, Gerechtigkeit, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Menschenwürde und die Annäherung an die Europäische Union – ein Weg, der jedem europäischen Staat offensteht, der sich zu den Werten der EU bekennt und sie fördert, ein Weg, auf dem es für jeden, der ihn beschreitet, Herausforderungen und Hürden gibt, aber keine roten Linien von außen. Die Menschen in der Ukraine forderten das Recht auf eine souveräne Entscheidung über die Zukunft ihres Landes.
Es war und bleibt dieser unbedingte Wille auf einen eigenständigen, demokratisch legitimierten Weg, den die Regierung in Russland nicht begreifen kann und nicht anerkennen will. Auch acht Jahre nach dem Euromaidan, nach bedeutsamen Reformen und erfolgreichen demokratischen Wahlen in der Ukraine leugnet das russische Staatsoberhaupt weiter die Souveränität der Ukraine, ignoriert deren Verfassung und degradiert unseren Partner zu einem vermeintlichen „künstlichen Konstrukt“. Es sind derlei Aussagen in Verbindung mit den wiederkehrenden militärischen Bedrohungen – sei es im Asowschen Meer oder mit den Truppenaufmärschen an der Grenze jetzt gerade –, die schmerzhaft deutlich zeigen, dass sich Präsident Putin in offener Ablehnung zu den Werten positioniert, die wir gemeinsam in Europa vereinbart haben.
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Meine Damen und Herren, mit der Charta von Paris haben wir 1990 eine gemeinsame europäische Friedensordnung geschaffen, eine Friedensordnung, in der die Stärke des Rechts gilt und nicht das Recht des vermeintlich Stärkeren,
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eine Friedensordnung, in der Konflikte am Verhandlungstisch und nicht auf Schlachtfeldern gelöst werden. Präsident Putins militärische Drohgebärden an der Grenze zur Ukraine richten sich gegen die gesamte europäische Friedensordnung. Seit 2014 erleben wir einen Krieg im Donbass mit weit über 13 000 Todesopfern auf der ukrainischen Seite. Allein in diesem Jahr sind bereits über 76 ukrainische Soldaten trotz eines vereinbarten Waffenstillstands getötet worden. Auch auf russischer Seite führt die Aggression des Kremls zu weiteren Opfern. Und dabei ist für uns alle doch eines klar: Jedes einzelne Kriegsopfer ist ein verlorenes Menschenleben zu viel.
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Auf der besetzten Krim sehen wir die Konsequenzen russischer Herrschaft: Unabhängige Medien werden unterdrückt, Menschenrechte verletzt. Und von der Kontaktlinie im Donbass erreichen uns Berichte, wonach russische Scharfschützen an der Kontaktlinie ausgebildet werden und dabei makabre Signaturen auf ihren Opfern hinterlassen. Diese bittere ukrainische Realität wird viel zu selten debattiert, wenn wir uns mit den Phantomschmerzen des Kremls beschäftigen.
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Mit Blick auf Putins jüngste Eskalation ist eines glasklar: Wir können und werden als Europäerinnen und Europäer eine Politik der vorgehaltenen Waffe nicht teilnahmslos hinnehmen und schon gar nicht den Einsatz von Waffengewalt.
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Sollte es zu einer weiteren Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine kommen, dann steht fest, dass dies erhebliche wirtschaftliche und politische Konsequenzen hätte. Aber wir sind als Politikerinnen und Politiker gewählt, um all unsere Kraft darauf zu lenken, solche Eskalationen zu verhindern. Wir sind gewählt, um die Macht des Wortes zu nutzen und im Dialog die Spannungen abzubauen, aber nicht in einem Dialog zum schönen Schein, sondern ernst gemeint und mit substanziellen Gesprächen über die Wiederherstellung der vollen territorialen Integrität und Souveränität der Ukraine – so wie wir es im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben.
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Damit ist auch klar, dass uns unser Weg nach Moskau in diesen Fragen stets über Kiew führen wird – im Dialog mit der russischen Regierung für den Frieden und die Freiheit, gemeinsam mit unseren europäischen und amerikanischen Partnerinnen und Partnern und immer unter Anerkennung der vollen Souveränität derjenigen, um die es geht: der Menschen in der Ukraine.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Wagener. – Das Wort erhält für die FDP-Fraktion der Kollege Michael Georg Link.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist es eine gute Idee, Kollege Wadephul und weitere Kollegen der Unionsfraktion, dass wir heute die erste Aktuelle Stunde zur Außenpolitik machen; denn die Bundesregierung, vor allem aber auch dieses Parlament, der Bundestag, stellen sich sofort der internationalen Verantwortung. Es ist wichtig, dass wir hier so weit wie möglich gemeinsame Akzente setzen.
Diese Haltung haben wir übrigens auch dem Koalitionsvertrag zugrunde gelegt. Wir haben gewusst, dass wir nicht in einem luftleeren Raum verhandeln, sondern in einer Situation, in der sowohl die Europäische Union als auch Deutschland gewachsenen Bedrohungen ausgesetzt sind. Das finden Sie in unseren Formulierungen wieder, die wir zum Beispiel zum Thema China und zum Thema Russland gewählt haben. Wir stellen uns diesen Bedrohungen, und wir wissen, dass wir da mehr machen müssen und mehr gemeinsam machen wollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist viel Richtiges und Wichtiges über die gesamte Situation, in der wir uns befinden, gesagt worden. Lassen Sie mich vielleicht noch etwas über die Motivation hinzufügen, die – so verstehen wir es – insbesondere vonseiten der russischen Führung kommt. Lassen Sie mich eines deutlich sagen: Wenn wir Kritik an Russland äußern, so ist das niemals Kritik am russischen Volk. Es ist niemals Kritik an der russischen Kultur, Sprache oder an dem engen Verhältnis mit Russland, das wir wollen. Es ist eine klare Kritik an der russischen Führung, die diesen Staat und dieses großartige Volk mit einem Denken des 19. Jahrhunderts, des Nullsummenspiels in einer geopolitischen Zwangsjacke hält, das der heutigen Welt nicht angemessen ist.
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Was wir vielmehr feststellen, ist ein schon seit mehreren Jahren in Russland andauernder simultaner Prozess des steigenden innenpolitischen Drucks und des steigenden Drucks auf Nachbarn. Das ist ein Prozess, der manchmal in Zeitlupe stattfindet, weshalb wir ihn nicht so genau verstehen. Aber wir müssen ihn lesen. Wir müssen uns auch mehr mit russischen Quellen beschäftigen; denn diese Zunahme des simultanen Drucks findet ganz kontrolliert statt, und sie ist kein Zufall. Je länger Putin regiert, desto mehr treibt ihn und auch die russische Führungsschicht die Frage um: Wie wird das eines Tages mit der Machtsicherung weitergehen? Deshalb wird immer mehr Repression nach innen angewandt. Wir sehen es aktuell: Die Duma besteht ausschließlich aus administrierten Parteien und Systemparteien. Memorial und die Einrichtungen anderer unliebsamer internationaler Kontakte werden geschlossen. Die deutschen politischen Stiftungen werden es immer schwerer haben, dort tatsächlich zu arbeiten. Die letzten Wahlen durften durch die OSZE nicht regulär beobachtet werden; eine geradezu lächerliche kleine Mission hätte nur zugelassen werden sollen. Gott sei Dank hat die OSZE richtig darauf reagiert und gesagt: So eine Farce machen wir nicht. – Und so weiter.
Simultan beobachten wir eine ganz massive Zunahme des Drucks auf die Nachbarstaaten. Das wird exemplarisch am heutigen Thema deutlich. Da ist es wichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir hier auf die russischen Quellen schauen. Einer der Chefhistoriker des Kremls, Sergej Karaganow, spricht von einem dritten Kalten Krieg, den man auch gewinnen könne, und er bringt Beispiele, wie er mithilfe Chinas gewonnen werden könnte.
Andere sprechen nicht nur vom Kalten Krieg. Der Präsident selbst – lassen Sie mich mit Genehmigung der Präsidentin ein Zitat vom 12. Juli 2021 von Wladimir Putin selbst bringen, das in Deutschland wenig beachtet wurde – sagt Folgendes über das Verhältnis zur Ukraine: Es war die sowjetische Nationalitätenpolitik, die auf staatlicher Ebene die These von drei getrennten slawischen Völkern – dem russischen, dem ukrainischen und dem belarussischen – festschrieb statt der großen russischen Nation eines dreieinigen Volks, bestehend aus Großrussen, Kleinrussen und Weißrussen. – Er fährt an anderer Stelle fort: Gemeinsam waren wir schon immer um ein Vielfaches stärker und werden es auch in Zukunft sein. Schließlich sind wir ein Volk. – So auf der Homepage, veröffentlicht unter dem Namen Wladimir Putins, des russischen Präsidenten, am 12. Juli 2021 in russischer Sprache.
Das ist die Denkweise, mit der wir es zu tun haben. Das ist die Realität, an der wir arbeiten müssen. Deshalb dürfen wir nicht bei einem Wunschdenken ansetzen. Ja, wir müssen Gespräche anbieten; es ist die Stunde der Diplomatie. Wir müssen aber auch Stärke zeigen. Wir müssen deshalb auch, aufbauend auf der deutsch-US-amerikanischen Erklärung vom Juli – Kollege Schmid hat sie angesprochen –, ein glaubwürdiges und abschreckendes Szenario aufbauen, in dem deutlich wird, dass wir dies nicht akzeptieren können und dass wir als Europäer uns nicht auseinanderdividieren lassen.
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Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir jetzt die Instrumente stärken, die wir haben, dass wir an die OSZE erinnern. In der Tat: Wir haben dort eine deutsche Generalsekretärin, Helga Schmid, die – man kann es nicht oft genug sagen – eine fantastische Arbeit in ihrer Position macht.
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Es ist entscheidend, dass wir sie und die Institutionen der OSZE stärken, ihre Arbeit zu machen: beim Beobachten der Situation im Donbass, beim Beobachten von Wahlen, bei der Beobachtung der Einhaltung der Menschenrechte, aber auch gerade in dem so oft unterschätzten ersten Pfeiler der OSZE, also gerade dort, wo wir ja eigentlich alle Instrumente hätten, vertrauensbildend zu wirken. Aber Russland muss sie auch zulassen.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
In diesem Sinne: Liebe Kolleginnen und Kollegen, stärken wir den Multilateralismus, und arbeiten wir gemeinsam in dieser Wahlperiode für dieses Ziel!
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Link. – Für die SPD-Fraktion erhält nunmehr das Wort der Kollege Wolfgang Hellmich.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich auch bei der CDU/CSU-Fraktion für die Gelegenheit, heute ein paar historische Einblicke in einer so wichtigen Debatte über eine aktuelle Konfliktlage geben zu können – das könnte auch dem Herrn Gauland bei der Frage des lebenslangen Lernens helfen –; denn gestern vor 30 Jahren wurde das Abkommen von Belowesch unterzeichnet. Die Wenigsten wissen es noch.
Für die Ukraine war das keine geopolitische Katastrophe, wie es Putin heute glauben machen will – der Kollege Link hat die Motivationen gerade alle ganz richtig beschrieben –; nein, es war der Beginn des Weges der Ukraine in ein demokratisches Europa, mit unserer ganzen Unterstützung.
In diesem Vertrag einigten sich die drei Staatsoberhäupter von Russland, Weißrussland und der Ukraine auf die volle Souveränität ihrer Staaten, auf die territoriale Integrität, die Sicherung der Rechte der Bürgerinnen und Bürger auf der Grundlage der UN-Menschenrechtskonvention und auf das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten.
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Und heute? Nichts davon wird mehr von Putin eingehalten. Ich sage bewusst „Putin“ und danke auch für den Hinweis des Kollegen Link; denn es sind nicht die Bürgerinnen und Bürger Russlands, sondern es ist die russische Nomenklatura gemeint, die in Moskau herrscht. Seit 2014, der Verabschiedung der geltenden russischen Militärdoktrin, sehen wir uns mehr und mehr mit einer Russischen Föderation konfrontiert, die jeden Anspruch, mit ihren Anrainerstaaten partnerschaftlich umzugehen, aufgegeben hat. Deshalb verstehen Sie auch diese Militärdoktrin so gut: Ihr völkischer Gedanke, den Sie hier immer wieder verbreiten, ist ein Bestandteil der Grundlage russischer Militärdoktrin.
In Russland wird das vielleicht Patriotismus genannt; bei uns ist das ein völkischer Nationalismus,
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der nicht Grundlage internationaler Politik sein darf und sein kann; denn er ist die Ursache für Krieg und Katastrophen, wie wir in ausreichendem Maße erlebt haben. Das wollen wir nicht mehr. Das ist nicht Grundlage von Politik.
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Aber er ist die Grundlage eines zunehmenden Expansionismus Russlands mit Mitteln der hybriden Kriegführung. Von der offenen Annexion der Krim – viele Punkte sind beschrieben – über die faktische Besetzung des Ostens der Ukraine und die Sperrung ukrainischer Häfen gipfelt diese Politik in der offenen Drohung mit Truppen und schwerem Gerät an der ukrainischen Grenze. Wie ist eine solche Politik zu verstehen? Wir haben eine Übung im Frühjahr dieses Jahres vielleicht noch als Show of Force gesehen. Aber vielleicht war tatsächlich Ziel der Übung, schweres Gerät und Combat-Ready-Truppen an die ukrainische Grenze zu bringen. An den Fall des politischen Auftragsmords im Berliner Tiergarten und den Fall Skripal will ich gar nicht erinnern. Aber dieses gehört alles in ein und dasselbe Bild der Strategie einer Politik, die auf Erpressung, auf Drohung und im Zweifelsfall auf das Inkaufnehmen eines Krieges, der Auseinandersetzung mit militärischen Mitteln, aus ist.
Diese Drohungen Putins flankieren seine Forderung, keine Osterweiterung der NATO zu garantieren und die Ukraine als russisches Einflussgebiet zu tolerieren. Das ist für uns keine Grundlage von Politik und klar abzulehnen.
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Nein, auch die Ukraine selbst verweist mit dem Blick auf den Vertrag auf ihre volle Souveränität und Integrität. Dabei findet sie nicht nur unsere volle Unterstützung, sondern auch die volle Unterstützung des gesamten demokratischen Westens.
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Ist bei irgendeiner NATO-Konferenz im Laufe der letzte Wochen – ich kenne keine – die Aufnahme der Ukraine in die NATO beschlossen worden? Nein. Sind Raketen in der Ukraine stationiert worden, mit der russisches Territorium unmittelbar und direkt bedroht wird? Nein. Das ist nicht so. Es werden aber Potemkinsche Dörfer von Putin aufgebaut, um dann sagen zu können: Das legitimiert mein völkerrechtswidriges Handeln und Verhalten.
Ich hoffe, viele Telefonate und Konferenzen in diesen Tagen führen zu dem, was die ukrainischen Menschen selber haben wollen: Sie wollen in Frieden leben, sie wollen Deeskalation, sie wollen keine militärische Auseinandersetzung. 14 000 Tote in der Ukraine sind Mahnung genug für Russland und für Putin, in demokratische Strukturen, in Gespräche, in Verhandlungen zurückzukehren. Die Türen sind alle offen. Die Rückkehr in das Normandie-Format, die Rückkehr des NATO-Botschafters Russlands nach Brüssel: All das sind Punkte, auf die wir setzen müssen.
Herr Putin, lassen Sie von jetzt an jegliche Form militärischer Machtdemonstration! Wir brauchen Gespräche, Deeskalation und Frieden und keine Kriegstreiberei.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Wolfgang Hellmich. – Letzter Redner in dieser Debatte und auch für den heutigen Tag ist der Kollege Thomas Erndl für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Hellmich, ich danke Ihnen für die klaren Worte, weil die Situation in der Tat sehr besorgniserregend ist.
Rund 100 000 russische Soldaten stehen an der ukrainischen Grenze – und das bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr. Diese russische Provokation müssen wir klar verurteilen. Sie ist Teil der hybriden Vorgehensweise gegenüber dem Westen und unserer osteuropäischen Partner. Sie geht von der Desinformation im Internet über Migrationsfragen in Belarus bis hin zu den Raketen in Kaliningrad, nur 500 Kilometer von hier. Viele andere Beispiele wurden auch von meinem Vorredner aufgezeigt.
Soeben hat mir der ukrainische Botschafter Melnyk – mich freut, dass er die Debatte hier auf der Tribüne verfolgt – in einem Gespräch die konkrete Bedrohungslage und die Perzeption, die Wahrnehmung, der Bevölkerung geschildert. Wir dürfen nicht vergessen: Im Osten der Ukraine herrscht schon Krieg. Täglich werden dort Soldaten verletzt; 70 ukrainische Soldaten sind in diesem Jahr gefallen. Wir reden also nicht über theoretische Szenarien, sondern über tagtägliche Gewalt im Osten Europas. Deshalb muss für uns hier im Hause klar sein: Wir müssen eine weitere Eskalation der Gewalt mit allen Mitteln verhindern.
Wir zeigen uns solidarisch mit der Ukraine und stehen zu dem Prinzip, dass jedes Land seine außenpolitische Orientierung frei wählen kann. Rote Linien aus Moskau dürfen wir nicht akzeptieren – und militärische Aggression schon gar nicht.
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Deshalb ist es jetzt unbedingt notwendig, dass auch die neue Bundesregierung die moderierende Rolle fortführt, die Bundeskanzlerin Merkel in den vergangenen Jahren eingenommen hat. Das geht aber nur aus einer Position der Stärke heraus, und das bedeutet in erster Linie, vor allem, Einigkeit und Klarheit innerhalb der Bundesregierung.
Bisher lebten zumindest Teile der SPD in einer Traumwelt, in der klare Sprache gegenüber Russland Fehlanzeige war. Natürlich brauchen wir Dialog und Gesprächsbereitschaft, aber wir brauchen auch Härte und klare Signale gegenüber Moskau.
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Ich bin schon ziemlich bestürzt, dass Herr Mützenich am ersten Tag der neuen Regierung der Außenministerin in die Parade fährt und ihr die Russland-Politik aus den Händen reißen will. Das ist nicht die Außenpolitik „aus einem Guss“, die Sie im Koalitionsvertrag aufgeschrieben haben. Ich meine, das schwächt unsere Position. Außerdem, glaube ich, brauchen wir eine klare Position zu Nord Stream 2.
Es stellen sich die Fragen: Wie geht es jetzt weiter in der Ukraine? Wird das Normandie-Format fortgeführt? Kann die Regierung zu dem Gipfel, der in Berlin stattfinden soll, einladen? Und was ist letztendlich mit den Defensivwaffen, mit der Verteidigungsfähigkeit der Ukraine, die auch Robert Habeck vor einigen Monaten erwähnt hat? Ich glaube, wir brauchen jetzt mehr Klarheit von dieser Regierung.
Meine Damen und Herren, wir werden mit Russland auf vielen verschiedenen Wegen konfrontiert. Russland ist die zentrale sicherheitspolitische Herausforderung in Europa, und der können wir nur aus einer Position der Stärke heraus begegnen; das muss ich hier noch einmal betonen.
Konkret bedeutet das eine starke Bundeswehr, eine starke NATO und starke transatlantische Beziehungen. Deshalb ist es schade, dass das 2‑Prozent-Ziel nur verklausuliert im Koalitionsvertrag aufgeschrieben ist
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und die Fortführung zentraler europäischer Rüstungsvorhaben, wie zum Beispiel FCAS, im Koalitionsvertrag gar nicht verankert ist. Ohne solche Projekte bleibt die Vision eines starken, eines souveränen Europas ein Wunschtraum. Dass Sie unsere NATO-Partner mit dem Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag als Beobachter verwirren, kommt dann noch dazu und ist unserer Ansicht nach auch nicht hilfreich.
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Meine Damen und Herren, Sicherheit in Europa gibt es nur mit Russland. Deshalb ist es wichtig, dass die Bundesregierung jetzt eine klare Position findet, die unsere Interessen und die Interessen Europas aufnimmt und sich keinen Träumereien hingibt. Jede Aggression Russlands muss harte Konsequenzen mit sich bringen. Diese klare Botschaft muss auch von der neuen Bundesregierung klar formuliert werden.
Herzlichen Dank.
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