Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir leben in einer Zeit multipler Krisen. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen von Corona, Krieg, Inflation, Energie- und Klimakrise treffen auch die Menschen in Deutschland wie unter einem Brennglas. Ich bin froh, in dieser Zeit Ministerin einer Regierung zu sein, die Notwendiges tut und die klare Handlungsspielräume sucht, sie findet und dann auch nutzt.
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Mein Ministerium ist das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; das heißt, mein Ministerium steht für die ganze Bandbreite unserer Gesellschaft. Wir haben all jene im Blick, die von diesen Krisen besonders stark betroffen sind. Insbesondere im dritten Entlastungspaket konnten wir verankern, dass Familien und Kinder ganz besonders davon profitieren; auf ihrer Unterstützung liegt der klare Schwerpunkt dieses Paketes. Familien bekommen ein höheres Kindergeld in Höhe von 237 Euro für das erste, zweite und dritte Kind und bekommen 250 Euro für das vierte Kind. Mit der Einführung des Bürgergeldes wird es für die Familien, die sie besonders brauchen, noch zusätzliche Entlastungen geben: eine Erhöhung der Regelbedarfe um 11,75 Prozent. Außerdem steigen auch die Freibeträge für Zuverdienste von Schülern und Schülerinnen, Studierenden und Auszubildenden auf 520 Euro, um nur einige Punkte zu nennen.
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Heute haben wir im Kabinett eine Erhöhung des Wohngeldes und die Verbreiterung des Kreises der Bezugsberechtigten beschlossen. Damit werden zukünftig statt unter 1 Million nun 2 Millionen Haushalte für das Wohngeld bezugsberechtigt sein. Außerdem wird auch der Heizkostenzuschuss deutlich erhöht werden.
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Das sind wichtige Bausteine hin zu einer Armutsvermeidung in Deutschland. Das zentrale Projekt dafür ist in dieser Legislaturperiode aus meinem Hause aber die Kindergrundsicherung. Sie wird einkommensschwache Familien unterstützen, weil es einen Garantiebetrag für alle Kinder, unabhängig von der Familienkonstellation, und einen einkommensabhängigen Zusatzbetrag geben wird.
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Werte Abgeordnete, Kinder haben in der Pandemie viel einstecken müssen; aber Kinder brauchen Zukunft. Deshalb haben wir in dem jetzt dem Bundestag vorliegenden Haushalt 50 Millionen Euro für ein Zukunftspaket für Bewegung, Kultur und Gesundheit vorgesehen, womit wir die Resilienz von Kindern und Jugendlichen gezielt unterstützen wollen, vor allen Dingen aber auch ihre Selbstwirksamkeit, weil Kinder und Jugendliche selber darüber bestimmen sollen, wie diese 50 Millionen Euro verausgabt werden sollen.
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Zu einem gesunden Aufwachsen gehören aber auch die frühkindliche Bildung von Anfang an und die Chancengerechtigkeit. Darum bin ich auch so froh, dass es uns gelungen ist, das KiTa-Qualitätsgesetz auf den Weg zu bringen: 4 Milliarden Euro zusätzlich für die Länder für Kitaqualität, für eine Verbesserung des Fachkraft-Kind-Schlüssels, für insgesamt eine Verbesserung der Qualität sowie der Möglichkeiten für gesunde Ernährung, Bewegung und Gesundheit – aber vor allen Dingen für die sprachliche Förderung von Anfang an.
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Sie wissen: Das Bundesmodellprogramm „Sprach-Kitas“ läuft aus. Das Bundesmodellprogramm „Sprach-Kitas“ war ein sehr erfolgreiches Projekt. Es hat über elf Jahre lang alle mitgenommen und gezeigt, wie wichtig die Spracherziehung bereits in der Kita ist. Es ist rundum evaluiert; es ist von allen Seiten als erfolgreich anerkannt. Deswegen ist jetzt der Zeitpunkt, dieses Programm in die Regelfinanzierung zu überführen; das sieht auch das KiTa-Qualitätsgesetz vor. Eines der zentralen Kriterien für die Kitaqualität ist die Sprachförderung. Deswegen setze ich mich dafür ein, dass wir das gemeinsam hinkriegen. Vor allen Dingen setze ich mich dafür ein, dass wir mit den Ländern auch zu einer guten Übergangsregelung kommen.
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Sie wissen, es hakt noch. Aber ich bin überzeugt: Wenn alle es gemeinsam wollen, dann schaffen wir das. Es ist ganz zentral wichtig, dass die Fachkräfte ein klares Signal von uns für eine Weiterbeschäftigung bekommen, damit sie nicht in der Luft hängen. Deswegen setze ich mich inzwischen permanent dafür ein, dass wir diesen Übergang gemeinsam hinbekommen. Dafür braucht es aber die Bereitschaft der Länder. Von diesem Hause gibt es Signale, für diesen Übergang zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen. Aber lassen Sie uns endlich zusammen an einen Tisch kommen! Wir haben einfach keine Zeit mehr.
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Am Montag feiern wir den Tag der Deutschen Einheit. Der 3. Oktober erinnert uns an Sternstunden der Demokratie: an den Zusammenbruch einer Diktatur und an den friedlichen Übergang zur Demokratie im vereinten Deutschland
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in einem geeinten Europa. Aber auch 32 Jahre später ist Demokratie nichts Selbstverständliches, wie man an so manchem Zwischenruf in diesem Haus immer wieder feststellen muss. Es ist an jeder und an jedem, einen persönlichen Beitrag zu leisten, unsere Demokratie mitzugestalten und zu stärken. Wir als Bundesregierung unterstützen all die, die sich zusammenschließen, die etwas dafür tun, um diese Demokratie zu stärken und zu fördern. Deswegen bringen wir das Demokratiefördergesetz auf den Weg; es befindet sich in der Ressortabstimmung.
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Das sind die wichtigsten Schwerpunkte, die ich Ihnen mitteilen wollte. Jetzt freue ich mich auf Ihre Fragen.
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Vielen Dank. – Wir beginnen die Regierungsbefragung zu den einleitenden Ausführungen der Bundesministerin, Frau Lisa Paus, und zum Geschäftsbereich sowie zu den vorangegangenen Kabinettssitzungen und mit allgemeinen Fragen.
Das Wort hat zuerst aus der CDU/CSU-Fraktion der Kollege Christoph de Vries.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Frau Ministerin, ich hätte mir, ähnlich wie bei Ihrer Vorgängerin auch schon, einen Satz zum Kinderschutz in Deutschland gewünscht; dieser ist ausgeblieben. Deswegen möchte ich Sie dazu fragen. Die Bundesinnenministerin Faeser hat als Reaktion auf das Urteil des EuGH gesagt:
Für mich ist wichtig, dass wir für die Ermittlungsbehörden die IP‑Adressen verfügbar haben müssen … der Europäische Gerichtshof gibt uns ja diesen Spielraum, gerade die IP‑Adressen zu speichern und auch zu nutzen.
In ihrer Auffassung werde sie auch von Bundeskanzler Olaf Scholz unterstützt.
Ich frage Sie als Familienministerin und damit auch als oberste Kinderschützerin in Deutschland: Unterstützen Sie das Vorhaben der Innenministerin, die IP‑Adressenspeicherung zur Ermittlung und zur Strafverfolgung gesetzlich zu verankern, damit jährlich Tausende Fälle von Kindesmissbrauch in Deutschland aufgeklärt werden können?
Frau Paus.
Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen versichern: Der Kinderschutz hat oberste Priorität in dieser Bundesregierung. Ich bin froh, dass jetzt mit dem EuGH-Urteil Klarheit über das herrscht, was wir können und was wir nicht können. Wir brauchen auf jeden Fall eine Regelung auf europäischer Ebene und auf nationaler Ebene. Das ist einfach deswegen notwendig, weil Europa leider zum zentralen Hort von Bildern von Kindesmissbrauch geworden ist; deswegen müssen wir auch mit aller Klarheit dagegen vorgehen.
Sie wissen aber auch beispielsweise um die Stellungnahme des Bundesrates. Deshalb müssen wir natürlich den Kinderschutz gesetzlich so absichern, dass er endlich dauerhaft Bestand hat. Vorratsdatenspeicherung war immer Ihr Lieblingsprojekt. Wir haben mehrfach erleben müssen, dass es sowohl vom Bundesverfassungsgericht als auch vom EuGH kassiert worden ist. Von daher sind wir in der Ressortabstimmung zu einer guten Lösung. Völlig klar ist: Der Kinderschutz hat oberste Priorität; aber eine Kontrolle privater Chats wird es nicht geben.
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Herr de Vries, Sie können eine Nachfrage stellen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Gestern haben sich die Innenminister einstimmig für eine verbindliche Speicherung der IP‑Adressen ausgesprochen. Da Sie die Frage nicht beantwortet haben, möchte ich sie wiederholen: Unterstützen Sie persönlich die Bundesinnenministerin, die dafür sehr ausdrücklich eingetreten ist, in dem Ziel, eine Speicherpflicht für IP‑Adressen in Deutschland gesetzlich zu verankern, oder nicht? Oder favorisieren Sie andere Lösungen?
Wir sind dazu im Gespräch. Ich kann Ihnen sagen: Für mich hat Kinderschutz oberste Priorität. Die Möglichkeiten, die verfassungsrechtlich gegeben sind, möchte ich auch nutzen. Aber völlig klar ist auch, dass es eine anlasslose Massenüberwachung nicht geben kann, insbesondere nicht im privaten Chatbereich. Genau mit dieser Ausgewogenheit müssen wir das miteinander schaffen. Richtig ist aber auch, dass wir derzeit beim Vollzug in der Breite noch zu schlecht sind, dass wir noch zusätzliche Dinge tun können, beispielsweise dafür sorgen, dass Unternehmen nicht nur melden, sondern auch gleich löschen müssen. All das ist, glaube ich, wichtig. Damit können wir viel für den Kinderschutz erreichen, und das ist dringend notwendig.
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Vielen Dank. – Ich eröffne jetzt die Fragerunde für Nachfragen zum gleichen Thema. Ich will das nur noch einmal sagen, weil die Fragestellungen schon mal ausufern. Es geht um den Kinderschutz und die IP‑Adressen. Als Nächstes hatte sich Frau Mihalic gemeldet.
Ganz herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, Herr Kollege de Vries, ich will eingangs meiner Frage erst einmal darauf hinweisen, dass in Sachen Vorratsdatenspeicherung, IP‑Adressenspeicherung in der Zeit, in der Sie dieses wunderbare Land regiert haben, rein gar nichts passiert ist, was irgendwie den Ermittlerinnen und Ermittlern hätte weiterhelfen können.
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Im Übrigen kann ich auch auf die Vereinbarung im Koalitionsvertrag hinweisen. Sie haben die gestrige IMK und auch die Justizministerkonferenz angesprochen. So eindeutig, wie Sie das hier darstellen, war das Bild nicht.
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Aber was uns in dieser Frage selbstverständlich eint, ist ja das, worum es im Kern geht: Wie können Kinder oder natürlich auch andere vor solchen schrecklichen Verbrechen geschützt werden? Was kann eigentlich ganz konkret getan werden?
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Frau Ministerin, Sie haben vorhin in Ihrer Antwort schon ein paar Andeutungen gemacht. Vielleicht können Sie noch ein bisschen näher ausführen, was in Fragen des Kinderschutzes hier für uns alle von so essenzieller Bedeutung ist.
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Frau Ministerin.
Hintergrund ist ja, dass es den Entwurf einer Richtlinie der Europäischen Kommission gibt, die wesentliche Verbesserungen für den Kinderschutz erreichen würde: zum Beispiel eine Plattform auf europäischer Ebene, zum Beispiel zusätzliche gesetzliche Regelungen, damit Unternehmen eben nicht nur melden, sondern auch direkt löschen. Das wäre ein großer Fortschritt in diesem Bereich, damit diese furchtbaren Bilder von Kindesmissbrauch schnell aus dem Netz verschwinden.
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Sie möchten keine Nachfrage mehr stellen. – Dann habe ich jetzt die Kollegin Breher auf der Liste.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, juristisch ist es geklärt: Die Speicherung von IP‑Adressen ist möglich. Da Sie die Frage meines Kollegen noch nicht beantwortet haben, frage ich Sie noch einmal: Sind Sie persönlich für die Speicherung der IP‑Adressen, wie das europäische Recht sie zulässt, ja oder nein?
Sehr geehrte Frau Abgeordnete, es ist eben juristisch nicht alles geklärt. Darauf wurde ja gerade schon hingewiesen. Es gibt unterschiedliche Einschätzungen sowohl der Justizminister als auch der Innenminister. Vor allen Dingen geht es ja darum, wie man es einstuft. Ja, ich bin der Meinung, dass Bildaufnahmen von Kindesmissbrauch schwere Verbrechen sind. In dem Zusammenhang muss man doch noch mal prüfen, wie man insgesamt damit umgeht. Aber es geht ja nicht einfach nur so um die Speicherung von IP‑Adressen; es geht in dem Zusammenhang um den ganzen Reigen. Für mich ist klar: Eine Kontrolle privater Chats darf es nicht geben.
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Ich gehe davon aus, dass es zum Thema „Kinderschutz und IP‑Adressen“ keine Nachfrage mehr gibt. Oder? – Noch mal Herr de Vries. Sie hatten eigentlich schon gefragt.
Danke, Frau Präsidentin, dass Sie die Frage zulassen. – Es sind ja auch andere Möglichkeiten ins Spiel gebracht worden, mit dem Urteil umzugehen. Frau Ministerin, Sie sagten, Sie sind in der Koalition darüber im Gespräch. Was halten Sie denn von dem von Herrn Justizminister Buschmann favorisierten Verfahren, dem sogenannten Quick Freeze, mit dem er Daten nachträglich sichern will, die gar nicht gespeichert worden sind, weil er keine Speicherpflicht möchte? Wie bewerten Sie das?
Auch dazu sind wir noch in der Abstimmung. Die fachliche Bewertung ist bei mir jedenfalls noch nicht vollständig abgeschlossen.
Wir sind immer noch beim Kinderschutz, IP‑Adressen. – Dann habe ich jetzt noch eine Nachfrage der Kollegin aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank. – Erst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass wir die Bundesfamilienministerin befragen. Deswegen würde ich auch gern fragen wollen, liebe Lisa Paus, was Sie im Bereich Prävention vorhaben, gerade auch in Bezug auf die UBSKM. Da stehen ja einige Veränderungen an.
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Herzlichen Dank für die Frage. – Sie haben völlig recht. Weil Kinderschutz so eine hohe Priorität in dieser Koalition hat, wollen wir gemeinsam ein Gesetz auf den Weg bringen, das den Kinderschutz noch einmal verstärkt. Ein zentraler Bestandteil dessen ist, dass wir jetzt in diesem Herbst tatsächlich noch mal eine Kampagne zum Thema Prävention machen wollen. Insgesamt bin ich der Auffassung, dass grundsätzlich Förderungen von verschiedensten Einrichtungen, in denen sich Kinder und Jugendliche befinden, immer mit Schutzkonzepten einhergehen sollten. Da sollten wir von der Bundesebene vorangehen. Aber das gilt natürlich auch für entsprechende Maßnahmen von Kommunen und Ländern. Es sollte Standard werden, dass Förderungen und Schutzkonzepte für Kinder und Jugendliche Hand in Hand gehen müssen.
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Vielen Dank. – Ich gehe jetzt weiter in der Liste der Fragesteller/-innen. Als Nächstes ist die Kollegin Josephine Ortleb aus der SPD-Fraktion an der Reihe.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Frau Ministerin, während wir hier stehen, versuchen Abtreibungsgegner/-innen, Frauen in Konfliktsituationen im Süden Deutschlands daran zu hindern, Schwangerschaftsberatungsstellen zu besuchen. Wir sind der Meinung, Frauen haben ein Recht auf einen sicheren, anonymen und ungehinderten Zugang zu diesen Beratungsstellen, gerade weil sie ja verpflichtet sind, diese Beratung in Anspruch zu nehmen. Wir sehen einen dringenden gesetzlichen Handlungsbedarf. Daher die Frage an Sie: Wie stehen Sie, wie steht Ihr Haus dazu? Was haben Sie da vor? – Vielen Dank.
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Auch ich sehe da Handlungsbedarf. Es handelt sich dabei um sogenannte Gehsteigbelästigungen. Das hat mit dem Demonstrationsrecht so erst mal nichts zu tun, sondern es geht ja um Bedrohung von Personen, die die entsprechenden Einrichtungen aufsuchen wollen. Deswegen müssen wir das klar abtrennen von der natürlich bestehenden Demonstrationsfreiheit in Deutschland. Wenn Menschen direkt bedroht werden, dann ist das mehr als nicht okay; dann ist das aus meiner Sicht tatsächlich etwas, was wir ahnden sollten. Deswegen arbeiten wir an einer neuen gesetzlichen Regelung, dass so etwas eine Ordnungswidrigkeit wird.
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Sie dürfen eine Nachfrage stellen.
Vielen Dank. – Es ist gut, zu wissen, dass wir da gemeinsam kämpfen. Für mich wäre nur noch die Nachfrage wichtig, ob es da schon einen zeitlichen Horizont gibt, weil es, wie gesagt, wirklich dringend ist. Frauen in Deutschland sind im Moment daran gehindert, diese Beratungsstellen zu besuchen.
Wir sind zügig dabei. Ich würde sagen: Damit können Sie in diesem Jahr noch rechnen.
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Zum gleichen Thema gibt es zwei Nachfragen. – Zuerst ist die Kollegin Frau von Storch dran.
Vielen Dank. – Können Sie vielleicht einmal beschreiben, inwieweit Frauen gehindert werden, eine Beratungsstelle aufzusuchen, wenn sie am Bordstein angesprochen werden, um auf irgendetwas hingewiesen zu werden? Insoweit wird das Reden mit einer Frau, die einen bestimmten Ort aufsuchen will, kriminalisiert. Können Sie einmal beschreiben, ob und inwieweit man das überhaupt unter Ordnungswidrigkeit erfassen kann oder ob das ein ganz normaler Vorgang ist – jemand spricht jemand anderen an –, der sich jeden Tag millionenfach auf der Straße ereignet?
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Frau von Storch, ich kann mir vorstellen, dass Sie an einer entsprechenden Aktion vielleicht schon einmal teilgenommen haben. Alles, was ich darüber weiß und erfahren musste, ist, dass es sich leider nicht einfach um ein nettes Gespräch oder eine Frage nach dem Weg oder Ähnliches handelt,
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sondern dass die Ansprache sehr oft lautstark ist und extrem eskaliert. Diese Einrichtungen, die oftmals nicht einfach nur Schwangerschaftsberatungsstellen sind, sondern eine Vielzahl von Beratungsangeboten anbieten, berichten, dass Menschen sich nicht mehr in diese Einrichtungen trauen. Daher ist der Tatbestand der Bedrohung, glaube ich, durchaus existent.
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Deswegen, finde ich, ist es mindestens angezeigt, das als Ordnungswidrigkeit in diesem Zusammenhang zu ahnden.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Schauws, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Frau Ministerin, für die sehr klare Antwort gerade auf die Frage, die sich wirklich nicht nachvollziehen lässt.
Heute, am 28. September, ist – für den, der das nicht weiß – der sogenannte Safe Abortion Day, also der Tag der sicheren Schwangerschaftsabbrüche. Es ist in der Tat so, dass diejenigen, die entsprechende Beratungsstellen aufsuchen müssen, belästigt werden – zum Teil auch von betenden Gruppen vor den Beratungsstellen – oder sich vielleicht bedroht und eingeschüchtert fühlen. Und es gibt auch einige Menschen hier in diesem Haus auf der rechten Seite, die an diesen Versammlungen, glaube ich, schon teilgenommen haben.
Frau Ministerin, Sie haben gerade schon den Zeithorizont genannt. Es gibt ja bisher keine Regelung, die besagt, dass die Länder dem folgen müssen. Deswegen meine Frage: Können Sie noch einmal sagen, warum es so wichtig ist, dass Sie jetzt sehr schnell eine bundeseinheitliche Regelung vorlegen. Wir sind sehr froh, dass Sie das tun. Aber vielleicht können Sie noch einmal sagen, warum das so wichtig ist für die Länder und was es letztendlich für die Ratsuchenden bedeutet.- Danke.
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Gehsteigbelästigung ist leider kein neues Phänomen. Aus meiner Sicht hat sich gezeigt, dass es notwendig ist, das bundesweit einheitlich klar zu regeln, weil es noch Unsicherheiten gibt und gab hinsichtlich der Anwendung – in welcher Situation –, insbesondere auch im Verhältnis zum Demonstrationsrecht. Deswegen, finde ich, ist es einfach angezeigt, diese Klarheit zu schaffen, indem wir Gehsteigbelästigung als Ordnungswidrigkeit einstufen.
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Die nächste Frage zum gleichen Thema stellt die Kollegin Katja Mast aus der SPD-Fraktion.
Zuerst einmal, vielen Dank, Frau Ministerin, dass Sie gesagt haben, dass wir das im Laufe dieses Jahres regeln können; denn sonst steht diese weltweite Initiative – „40 Days for Life“ nennt sie sich – in einem halben Jahr wieder an der gleichen Stelle: 40 Tage lang. Deshalb ist die heutige Botschaft: nicht noch einmal 40 Tage! – Insofern freue ich mich ganz besonders über diese Äußerung.
In meinem Wahlkreis in Pforzheim stehen regelmäßig Vertreter dieser Initiative in Sichtweite der Pro-Familia-Beratungsstelle, aktuell gegenüber, an einer vierspurigen Straße. Ich finde es ist nicht nur wichtig, zu berücksichtigen, ob die Frauen angesprochen werden; vielmehr geht es auch darum, dass sie, ohne erkannt zu werden, ohne Beobachtungsgefühl,
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ohne Stigmatisierung durch Gebete, Gesänge oder Plakate letztendlich ihrer Pflicht – die wir ihnen in § 218a StGB auferlegt haben –, in eine Beratungsstelle zu gehen, nachkommen können.
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Deshalb ist meine Frage, ob Sie glauben, dass wir auch regeln können, dass weder angemeldete Gottesdienste noch Demonstrationen
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noch Einzelpersonen sich dauerhaft in unmittelbarer Nähe zu solchen Beratungsstellen oder auch zu Arztpraxen aufhalten können. Denn das findet aktuell in Stuttgart statt.
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Frau Mast, Sie weisen da auf weitere wichtige Realitäten hin, die wir in Deutschland beobachten. Deswegen werden wir im Zuge der Beratungen zu diesem Gesetz, zu der Ordnungswidrigkeit miteinander klären müssen, ob es dabei auch um Mindestabstände oder Ähnliches geht. All das werden wir dann miteinander im Verfahren klären, denke ich.
Vielen Dank. – Noch einmal eine Ansage zur Zeit: Es sollten hier keine Statements abgegeben oder Reden gehalten werden, sondern einzelne Fragen gestellt werden. Ich bitte, darauf zu achten, sonst kommen wir mit dieser Fragestunde nicht durch.
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Die nächste Frage zum Thema stellt die Kollegin Reichinnek aus der Fraktion Die Linke.
Vielen Dank für die Gelegenheit, Frau Ministerin. Ich freue mich auch sehr über Ihre Aussagen bezüglich der Gehsteigbelästigung; das ist ein sehr wichtiges Thema.
Wir sind gerade im Kontakt mit unseren Genossinnen und Genossen der Linksfraktion in Hessen. Da ist das Problem, dass die dortige schwarz-grüne Regierung gerne auf den Bund zeigt, der dann wiederum auf die Länder zeigt. Wie können Sie denn garantieren, dass diese Regelung, die Sie jetzt erarbeiten, dann auch wirklich umgesetzt wird? Also, ist da etwas in Planung, damit dieses Ping Pong nicht weitergeht?
Danke für den Verweis auf den Safe Abortion Day, der ist sehr wichtig und richtig, und es ist gut, dass das jetzt alle wissen. Ergänzend würde ich gerne etwas zum § 218a fragen; das ist ein großes Problem, der muss auch noch weg. Diese Entscheidung haben Sie als Koalition jetzt in eine Kommission vertagt. Wie ist denn da der Umsetzungsstand? Wann wird sich diese Kommission konstituieren, und wann geht es richtig los? – Vielen Dank.
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Ich fange mit der ersten Frage an. Wenn sich hier im Deutschen Bundestag eine Mehrheit findet, das unter entsprechenden Bedingungen zu einer Ordnungswidrigkeit zu machen, dann ist es meines Wissens nicht zustimmungspflichtig im Bundesrat und würde damit dann überall in Deutschland gelten.
Zur Expertenkommission. Wir haben im Koalitionsvertrag die Einsetzung einer solchen Kommission miteinander vereinbart; darauf haben Sie richtigerweise hingewiesen. Wir sind da auch schon sehr, sehr weit. Wir sind uns über den Arbeitsauftrag dieser Kommission schon weitgehend einig. Sie wissen, er hat zwei Komponenten: Zum einen geht es darum, zu überlegen, welche Möglichkeiten es gibt, den § 218 aus dem Strafgesetzbuch herauszunehmen. Auf der anderen Seite geht es eben auch um das Thema „Leihmutterschaft und Eizellspende“. Wir sind in den Schlussberatungen, und ich bin auch sehr zuversichtlich, dass ich Ihnen in Kürze die entsprechende Kommission vorstellen kann, die eine Sachverständigenkommission sein wird.
Vielen Dank. – Bevor ich den nächsten Fragesteller aufrufe: Frau von Storch, Sie haben gerade „Kindermörder“ hereingerufen,
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und dafür erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf.
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Ich erteile Ihnen für diesen Begriff einen Ordnungsruf. Niemand ist hier ein Kindermörder und die Kollegin schon gar nicht.
Der nächste Fragesteller ist Herr Brandner. Und auch wenn das Thema sehr wichtig ist und auch emotional, bitte ich, auf die Wortwahl zu achten.
Jetzt, Herr Brandner, dürfen Sie Ihre Frage stellen.
Ja, das tue ich immer. Also, ich sage nichts – ganz, ganz wenig – Unbedachtes und vor allem schon gar nicht, wenn Sie dabei sind.
Ich bewundere Ihre Kreativität, wenn es darum geht, neue Ordnungswidrigkeiten/Tatbestände zu schaffen, weil sich irgendwelche Frauen, die über vierspurige Straßen hinweg von einer Menschengruppe beobachtet werden, bedrängt fühlen.
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Das finde ich erstaunlich und wünschte mir eine solche Kreativität auch einmal, wenn Sie gegen Ökoterroristen vorgehen, die sich stundenlang auf Straßen festkleben und wichtige Infrastruktur blockieren. Aber da ist ja der Fantasie nicht Tür und Tor geöffnet; also, vielleicht machen Sie da ja auch noch irgendwas.
Meine Frage geht nochmals zur Abtreibung an sich:
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§§ 218, 218a, 219 – § 219a ist ja abgeschafft. Sie wollen das Gesamtgefüge abschaffen, § 218 abschaffen. Bis zu welchem Schwangerschaftsmonat schwebt Ihnen denn Straffreiheit für einen Schwangerschaftsabbruch vor?
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Herr Brandner, ich habe gerade schon darauf hingewiesen, dass diese Bundesregierung sich darauf verständigt hat, eine Sachverständigenkommission einzuberufen; das wird auch in Kürze erfolgen. Die ist in der Federführung des Bundesgesundheitsministeriums. Mein Haus und das Bundesjustizministerium sind auch daran beteiligt. Wir werden darüber sprechen, inwieweit es weiterhin sinnvoll ist, das Thema im § 218 Strafgesetzbuch zu regeln oder ob es nicht auch andere Möglichkeiten gibt. Und das andere Thema, das in dieser Kommission erarbeitet werden soll, ist das Thema „Leihmutterschaft und Eizellspende“. Und auf der Grundlage der fachlichen Beratung durch diese Sachverständigen werden wir dann das Ganze evaluieren. Dem werde ich nicht vorgreifen.
Sie dürfen eine Nachfrage stellen, 30 Sekunden.
Ach, ich brauche nur 5 Sekunden. – Mich persönlich interessiert Ihre persönliche Auffassung. Was schwebt Ihnen da vor? Bis zu welchem Schwangerschaftsmonat sollte Schwangerschaftsabbruch, Abtreibung straflos sein?
Ich habe schon darauf hingewiesen: Ich greife dieser Arbeit der Sachverständigenkommission nicht vor. Ich bin allerdings der Meinung, dass die Regelung im Strafgesetzbuch keine gute ist, weil mit dieser Regelung Frauen stigmatisiert und kriminalisiert werden. Deswegen glaube ich, dass es im Jahr 2022 sinnvoll ist, das im Rahmen einer Sachverständigenkommission zu erörtern und gegebenenfalls zu anderen Regelungen zu kommen. Ich finde, das hat im Strafgesetzbuch eigentlich nichts zu suchen.
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Frau Ministerin, wir haben in Deutschland seit Jahrzehnten ein extrem niedriges Geburtenniveau. Wir liegen bei 1,4 Kindern pro Frau. Das führt dazu, dass von der Elterngeneration zur nächsten Elterngeneration die Generation um ungefähr 25 Prozent, plus das eine oder andere, kleiner wird.
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Das passiert, obwohl wir wissen, dass der Kinderwunsch bei jungen Menschen höher ist. Das passiert auch, weil – das muss man erkennen – sich die Geburtenzahl bei Menschen mit Migrationshintergrund, die gut integriert sind, dieser Zahl annähert.
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Wir haben also ein gesellschaftliches und systemisches Problem.
Ich möchte Ihnen hier die Frage stellen – zum Ersten –: Was tun Sie, um die Menschen in Deutschland über die verheerenden Folgen der demografischen Katastrophe aufzuklären, die im Bereich der Rentenversicherung, im Bereich der Sozialversicherungen, im Bereich der Gesundheitsvorsorge vorhanden sind? Und zweitens: Was tun Sie, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken und eine kräftige, kinderfreundliche Politik zu machen? Denn das, was Sie bisher genannt haben, zum Beispiel die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ist hier erkennbar völlig insuffizient.
Frau Ministerin.
Herr Abgeordneter, ich beschäftige mich seit vielen Jahren intensiv mit den entsprechenden Thesen, und ich kann Ihnen sagen, dass Sie, wenn Sie sich das mal statistisch anschauen, feststellen werden, dass dort, wo es in westlichen Ländern eine besonders konservative Haltung zum Thema Familie, zur Rolle der Frau und zum Thema „Die Frau muss gebären
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mindestens soundso viele Kinder“ gibt, in dieser Zeit exakt das Gegenteil passiert.
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Die Wahrheit ist: Frauen lassen sich das im 21. Jahrhundert nicht mehr gefallen. Frauen wollen vielmehr selbstbestimmt leben. Es geht eben darum, gute Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu schaffen.
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Und da können wir uns zum Beispiel die skandinavischen Länder anschauen, die das in der Tat noch besser hinkriegen als wir. Dann stellen wir auch fest: Wenn es eine entsprechende soziale Infrastruktur gibt, wenn gewährleistet ist, dass es eine gute frühkindliche Erziehung in den Kindertagesstätten und auch Ganztagsschulen gibt und Eltern ihre Kinder mit gutem Gewissen in die Einrichtungen geben und Vereinbarkeit von Familie und Beruf leben können, dann steigen die Geburtenraten entsprechend.
Wir und auch die Vorgängerregierungen haben einiges gemacht. Ich nenne zum Beispiel das Elterngeld, den Ausbau der Kinderbetreuung in Kindertagesstätten und der Ganztagsbetreuung in den Grundschulen; aber da ist noch Luft nach oben. Wenn wir gute Bedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hinkriegen, dann werden auch die Geburtenraten steigen. Ein Zwang zur Geburt ist wirklich abwegig; ich wüsste auch nicht, wie das auf dem Boden unseres Grundgesetzes in irgendeiner Art und Weise denkbar wäre.
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Sie dürfen eine Nachfrage stellen.
Frau Ministerin, zunächst einmal möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Ihre offensichtlich aus Ihrer ideologischen Blase stammenden Äußerungen,
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wir wollten einen Zwang zur Geburt, sind natürlich völliger Unsinn. Diese weise ich hier in aller Schärfe zurück.
Gott sei Dank.
Es geht darum, dass geeignete Maßnahmen ergriffen werden und dass auch eine Sensibilisierung bei den Menschen im Land stattfindet. Es muss den Menschen doch klar gesagt werden, dass das Anhalten der gegenwärtigen Geburtensituation auf allen politischen Ebenen, insbesondere bei Renten-
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und Sozialversicherung etc., verheerende Auswirkungen hat. Daher frage ich Sie noch einmal – die Frage haben Sie nicht beantwortet –: Sie betreiben zum Beispiel im Bereich der Klimapolitik Panikmache, weisen aber auf die größte Katastrophe und das größte Problem, das wir in Deutschland haben, nicht einmal hin, sondern versuchen, das immer abzuwiegeln.
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Achten Sie auf die Zeit!
Warum tun Sie das?
Frau Ministerin.
Weder Mutterpflicht noch Mutterkreuz ist da die Lösung.
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Wenn wir uns die Geburtenraten anschauen – ich hatte schon darauf hingewiesen –, beispielsweise in Japan, in Italien, in Spanien, ist festzustellen: Überall da, wo es ein eher konservatives, patriarchales Familienbild gibt, gibt es sinkende Geburtenraten und keine steigenden Geburtenraten. Deswegen kommt es auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf an. Daran arbeite ich in der Tat mit Hochdruck. Ich kann auch darauf verweisen, dass im Moment die Geburtenrate in Deutschland übrigens leicht steigt.
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Gibt es zum gleichen Thema Nachfragen? – Ich sehe eine Nachfrage aus der FDP-Fraktion.
Vielen Dank. – Frau Ministerin, das zeigt ja, dass wir, gerade um den demografischen Wandel aufzuhalten, gute und ausreichende Kitaplätze brauchen. Die Ampelkoalition hat jetzt mit dem KiTa-Qualitätsgesetz ein wichtiges Gesetz auf den Weg gebracht, das Investitionen von 4 Milliarden Euro beinhaltet. Wie läuft im Augenblick der Mittelabruf dafür? Wir wollen ja nicht nur gute und qualitätsvolle Kitaplätze gewährleisten, sondern mit Mitteln aus dem KiTa-Investitionsprogramm auch mehr Plätze schaffen.
Der Mittelabfluss ist wirklich gut. Durch die Unterstützung vom Bund wurde unter anderem ermöglicht, dass im 5. KiTa-Investitionsprogramm zusätzliche 90 000 Kitaplätze in Deutschland geschaffen werden können.
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Ich habe noch eine Nachfrage zum Thema „Kinderwunsch, Geburtenzahlen“ aus der AfD-Fraktion.
Frau Präsidentin, vielen Dank. – Frau Ministerin Paus, wir haben unwidersprochen eine demografische Krise; das geht auch an die Fraktion Die Linke; das will ich mal kurz anmerken. In diesem Zusammenhang schrumpft auch der Anteil der Erwerbstätigen, und das führt unmittelbar zu einem Fachkräftemangel und hat natürlich auch Einfluss auf die Rentenkassen. Das ist ja völlig klar: Mehr Rentenbezieher und weniger Einzahler ergeben ein Problem. Wenn wir das, wie es insbesondere die FDP vorhat, über Zuwanderung lösen wollen, gehen wir natürlich nicht an die Ursache; denn Zuwanderung kommt von außen, die Ursache liegt hier im Land. Das ist also eine symptomatische Herangehensweise.
Ich möchte an der Stelle – mit Erlaubnis der Präsidentin – das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zitieren.
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Dort heißt es:
Die annahmegemäß konstant bleibende jährliche Zuwanderung kann den demografischen Effekt zunehmend weniger kompensieren.
Andere Institute sagen sogar: Eine Kompensation ist ausgeschlossen. – Welche Lösungsmöglichkeiten schweben Ihnen zu dem Thema vor?
Im Moment haben wir doch relativ viele neue Mitbürger/-innen aus der Ukraine unter uns, die vor dem Krieg in der Ukraine zu uns fliehen mussten. Von daher ist es jetzt nicht so, dass wir niemanden da hätten. Gleichzeitig ist es so, dass wir als Bundesregierung an der Fachkräfteoffensive arbeiten. Wenn wir allein denjenigen helfen würden, die hier sind
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und die sehr gute Abschlüsse haben, aber immer noch darunter leiden, dass wir es in Deutschland nicht hinbekommen, qualifizierte, gleiche Abschlüsse entsprechend anzuerkennen, dann wären wir schon einen großen Schritt weiter.
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Das ist nur eine der Maßnahmen, die ich Ihnen hier präsentiere, die wir angehen. Aber Sie wissen, wir arbeiten insgesamt daran. Es gibt die Fachkräfteoffensive. Die Strategie wird federführend koordiniert von meinem Kollegen Hubertus Heil zusammen mit Robert Habeck, dem Wirtschaftsminister,
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und der Bundesbildungsministerin. Wir werden einiges dafür tun, die Fachkräfte, die wir hier haben, abzusichern, sie weiter zu unterstützen und einzusetzen, aber auch zusätzliche Fachkräfte für den Wirtschaftsstandort Deutschland zu gewinnen. Er kann es wirklich sehr, sehr gut gebrauchen.
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Ich habe noch eine Nachfrage aus der Fraktion Die Linke von Frau Kollegin Gökay Akbulut.
Vielen Dank. – Ich habe auch eine Frage zum Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“. Frau Ministerin, letzte Woche wurde von der EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet wegen der Nichtumsetzung der Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Die Richtlinie garantiert dem zweiten Elternteil einen bezahlten Urlaub von mindestens zehn Tagen nach der Geburt eines Kindes. Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um diesen Rechtsanspruch umzusetzen?
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Sie haben recht: Wir haben diesen Brief erhalten; aber – das macht es nicht besser – wir waren nicht die Einzigen, die diesen Brief erhalten haben. Was es besser macht, ist, dass wir den Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie bereits vor der Sommerpause im Kabinett verabschiedet haben, dieser inzwischen im Bundestag vorliegt und die normalen Beratungen durchläuft. Wir werden das im zeitlichen Rahmen umsetzen. Dann hat sich das Vertragsverletzungsverfahren auch in Luft aufgelöst.
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Möchten Sie noch eine Nachfrage stellen?
Ja. – Die Zahlen zur Inanspruchnahme von Elterngeld durch Väter sind in den letzten Jahren in Deutschland konstant niedrig geblieben. Es sind etwa 33 Prozent aller Väter, die es überhaupt in Anspruch nehmen. Die Einführung eines bezahlten Urlaubs würde die Partnerschaftlichkeit in der schwierigen Phase nach der Geburt und bei der Erziehung besser stärken. Wie will die Bundesregierung die stärkere Nutzung von Elterngeld durch das zweite Elternteil vorantreiben, um die Gleichstellung von Eltern zu verbessern?
Sie haben völlig recht, dass es ein wichtiger Bestandteil der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist, wenn man gleich von Anfang an gemeinsam dabei ist, nicht nur bei der Geburt, sondern auch in der intensiven Phase in der ersten und zweiten Woche nach der Geburt. Deswegen haben wir das im Koalitionsvertrag verankert und sind dazu auch in der Abstimmung.
Ich würde gerne in der Liste weitergehen, wenn das möglich ist. – Die nächste Fragestellerin wäre Ulle Schauws.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, geschlechtsspezifische Gewalt und auch Menschenhandel sind leider immer noch furchtbare Realität, und zwar nicht nur in diesem Land. Deswegen gibt es die Istanbul-Konvention. Die Umsetzung der Konvention ist ein sehr wichtiges Anliegen der Regierung. Das Recht auf Schutz vor Gewalt muss für Frauen und Kinder, für alle vulnerablen Gruppen vorbehaltlos gelten. Ein wichtiger Teil davon ist die Monitoringstelle zur Beobachtung, Begleitung und Bewertung der Umsetzung der Istanbul-Konvention. Wir hatten gerade heute im Ausschuss eine Aussprache dazu mit den entsprechenden Institutionen. Es ist aber auch ein wichtiger Teil der Europaratskonvention gegen Menschenhandel. Können Sie uns sagen, wann die Berichterstatterstellen ihre Arbeit aufnehmen und wann die Aufgaben bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention von den Berichterstatterstellen in welcher Form übernommen werden?
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Sie haben recht: Die Istanbul-Konvention ist ganz entscheidend, nicht nur, um auf das Thema aufmerksam zu machen, sondern auch, um den Schutz in allen Staaten zu verankern, die sie unterzeichnet haben. Deutschland ist ebenfalls ein Unterzeichnerland. Aber auch bei uns gibt es noch das eine oder andere zusätzlich umzusetzen.
Die Arbeit des Deutschen Instituts für Menschenrechte lief ja schon etwas länger. Es ist jetzt alles gut vorbereitet. Die zwei Berichterstattungsstellen, zum einen für das Thema „geschlechtsspezifische Gewalt“, zum anderen für den Menschenhandel, werden aktuell eingerichtet, sodass all diejenigen, die davon betroffen sind, sich an diese Stellen wenden können. Damit werden wir eine noch bessere Datengrundlage haben, aber vor allen Dingen auch konkret Abhilfe schaffen können.
Darüber hinaus erarbeitet mein Haus – das ist auch im Koalitionsvertrag verankert – eine bundesgesetzliche Regelung zur Absicherung des Schutzes vor geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt. Unter anderem im November wird es den Runden Tisch mit den Ländern, aber auch mit den entsprechenden Fachverbänden dazu geben, damit wir bei den gesetzlichen Regelungen endlich einen großen Schritt vorankommen.
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Sie dürfen eine Nachfrage stellen.
Vielen Dank. – Es ist eine gute Nachricht, dass es jetzt weitergeht. Im weiteren Verlauf der Umsetzung der Istanbul-Konvention gibt es weitere Schritte, zum Beispiel die Einrichtung einer Koordinierungsstelle, die auch im Koalitionsvertrag verankert wurden. Was treiben Sie jetzt speziell im Haus voran? Es geht ja um eine ressortübergreifende Umsetzung der Istanbul-Konvention. Mit welchen Häusern werden Sie zum Thema Istanbul-Konvention zusammenarbeiten, und was werden die nächsten Schritte sein?
Wir brauchen die bundesgesetzliche Regelung. Diese soll grundsätzlich auch eine finanzielle Absicherung der entsprechenden Einrichtungen enthalten. Dazu werde ich natürlich mit allen anderen Ressorts sprechen. Ich hatte schon darauf hingewiesen, dass es noch die eine oder andere Ergänzungsnotwendigkeit bei der nationalen Umsetzung der Istanbul-Konvention gibt. Da sind natürlich insbesondere auch das Bundesjustizministerium und das Bundesinnenministerium gefragt.
Eine weitere Frage zu diesem Thema: Frau von Storch aus der AfD-Fraktion.
Vielen Dank. – Gewalt gegen Frauen, das ist der Inhalt der Istanbul-Konvention. Jeder Mensch auf der Welt ist gegen Gewalt an Frauen. Aber nicht jeder Mensch auf der Welt weiß möglicherweise, was mit „Frau“ gemeint ist, und danach frage ich. Im erläuternden Bericht zu der Konvention stehen zweierlei Dinge. Zunächst steht hier:
Im Zusammenhang mit dem vorliegenden Übereinkommen basiert der Begriff „Geschlecht“ auf den beiden Geschlechtern – männlich und weiblich ...
„Mann“ und „Frau“ steht im erläuternden Teil des Berichtes. – Im Widerspruch dazu steht später:
Im Sinne dieser Definition wurde der Begriff „Geschlecht“ nicht als Synonym der in diesem Übereinkommen verwendeten Begriffe „Frauen“ und „Männer“ gedacht.
Insofern ist die Konvention hier erklärungsbedürftig.
Meine Frage ist: Welche Interpretation der Definition von „Frau“ legen Sie der Konvention zugrunde?
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Eins: das biologische Geschlecht, Chromosomen XX? Zwei: die juristische Definition, so wie es in Deutschland aktuell rechtlich der Fall ist – der Staat kann das anders regeln -? Oder drei: „Jeder entscheidet, wie er es gerne möchte – so wie das in Deutschland, auf jeden Fall hier im Hause, praktiziert wird –; jeder kann sein Geschlecht selbst bestimmen, und wenn man das nicht anerkennt, gibt es einen Rieseneklat“? – Eins, zwei oder drei?
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Ich finde, die Istanbul-Konvention ist da sehr stimmig. Sie sagt ganz klar: Eine Frau ist eine Person weiblichen Geschlechts. Sie haben in den späteren Ausführungen darauf hingewiesen, dass Sie das eins zu eins nur auf das biologische Geschlecht beziehen. Das ist aber nicht die Definition der Istanbul-Konvention. Das ist auch nicht die Definition dieser Bundesregierung, und das ist auch nicht die Definition der rechtlichen Lage in Deutschland.
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Haben Sie noch eine Nachfrage zu diesem Thema? – Nein.
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Ich würde dann in der normalen Frageliste weitergehen, wenn es zu diesem Thema keine weiteren Nachfragen gibt. – Dann ist jetzt die Kollegin Heidi Reichinnek aus der Fraktion Die Linke dran.
Vielen Dank.- Ich würde gerne noch auf ein anderes Thema zu sprechen kommen. Sie wissen, wie wir alle hier im Haus, dass die Schlangen vor den Tafeln immer länger werden; da stehen auch immer mehr Kinder. Wir haben neulich vom Kinderhilfswerk, von der Arche gehört, dass da verzweifelte Eltern anrufen, weil schon Mitte des Monats kein Essen mehr im Kühlschrank ist. Es steht zu befürchten, dass jetzt viele Kinder zu Hause frieren, weil die Nebenkosten einfach nicht gedeckt werden können. Die Armutsquote von Kindern in Deutschland ist leider seit Jahren nicht gesunken, sondern steigt. Das alles ist jetzt nichts Neues. Deswegen freue ich mich sehr, dass Sie so eine starke Befürworterin der Kindergrundsicherung sind.
Die momentane Situation wird aber noch eine ganze Weile andauern. Bis dahin haben wir einen Kindersofortzuschlag von grandiosen 20 Euro und eine kleine Erhöhung beim Kindergeld. Deswegen möchte ich Sie als Ministerin und auch Ihr Haus fragen: Ist in Ihren Augen ausreichend, was die Regierung bisher geleistet hat, oder werden Sie sich dafür einsetzen, dass weitere Schritte folgen, bis es endlich eine Kindergrundsicherung geben wird?
Ich finde, diese Bundesregierung hat mit dem ersten, zweiten und dritten Entlastungspaket wirklich Geld in relevanter Größenordnung zur Verfügung gestellt, insbesondere für die, die es besonders nötig haben.
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Auch ich erlebe, dass die Schlangen vor den Tafeln länger werden. Ich bin übrigens Schirmherrin der Tafeln; von daher ist mir das bekannt und ein besonderes Anliegen. Deswegen sind wir als Bundesregierung auch gut beraten, zielgenau zu entlasten, und das haben wir getan. Ich habe es bereits in meinem Eingangsstatement gesagt, weil es mir so wichtig ist: Es gibt nicht nur das zusätzliche Kindergeld, sondern mit der Reform von Harz IV zum Bürgergeld wird auch der Satz für die Kinder deutlich angehoben, um über 11 Prozent. Zusätzlich wird es eine Erhöhung des Kinderzuschlags geben. Ich habe auch die Wohngeldreform und die Energiepreispauschale angesprochen. Wir arbeiten ebenfalls mit Hochdruck an dem Thema Strompreisbremse und an der Frage, wie es mit den Gaspreisen weitergeht. Das Gesamtpaket muss stimmen.
Ich kann nur sagen: Die Bundesregierung sieht das Problem, auch ich sehe das. Und wir arbeiten daran. Wir haben Etliches auf den Weg gebracht. Ich glaube, für den Moment ist es erst einmal gut, wenn wir uns mit den aktuellen Fragen beschäftigen, und dann werden wir schauen, wie es über den Winter geht. Ich bin jemand, der auf jeden Fall immer ansprechbar ist, wenn es zusätzliche Probleme gibt, und werde diese Probleme dann auch angehen und lösen.
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Sie dürfen eine Nachfrage stellen.
Ich möchte gern konkreter zur Kindergrundsicherung nachfragen. Das ist natürlich ein Prozess; aber der hätte in unseren Augen durchaus ein bisschen ambitionierter angegangen werden und schneller stattfinden können.
Nun gibt es Berechnungen der Personalräte der Jobcenter, die sich die Konzepte von SPD und Grünen angeschaut haben. Sie haben an Fallbeispielen festgestellt, dass zum Beispiel eine alleinerziehende Mutter oder eine Familie mit drei Kindern nach den Kindergrundsicherungskonzepten am Ende deutlich weniger hat als jetzt durch die Sozialleistungen. Mit dem Konzept der FDP fange ich gar nicht erst an. Werden Sie sicherstellen, dass am Ende der Diskussionen eine Kindergrundsicherung herauskommt, die wirklich die Bedarfe der Kinder und Jugendlichen deckt?
Das ist jedenfalls der Anspruch. Deswegen gibt es in diesem Zusammenhang verschiedene Arbeitsgruppen, die interministeriell arbeiten. Unter anderem ist verankert, dass das soziokulturelle Existenzminimum berechnet wird und dann einfließen soll. Wir sind derzeit in entsprechenden Beratungen. Ich hätte auch gerne schneller Ergebnisse. Aber es ist tatsächlich eine komplexe Angelegenheit. Ich kann Ihnen aber sagen, dass mein klares Ziel ist, dass wir Ende dieses Jahres, Anfang nächsten Jahres Eckpunkte zur Kindergrundsicherung vorstellen können.
Ich habe weitere Nachfragen zu diesem Thema: aus der CDU/CSU-Fraktion zunächst die Kollegin Wulf. – Frau Bär muss noch warten.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben uns jetzt schon einen Zeitplan für die Einführung der Kindergrundsicherung skizziert. Mich würde aber noch interessieren: Wie wollen Sie angesichts der Preisentwicklung, die wir derzeit haben – der Inflation und der Energiepreisentwicklung –, sicherstellen, dass das Geld, das an die Haushalte geht, auch für die Kinder, für die Bedarfe der Kinder ausgegeben wird, bei den Kindern tatsächlich ankommt und nicht in den allgemeinen Ausgaben der Haushalte untergeht?
Mein Erleben ist, dass derzeit wirklich nicht die Zeit ist, gerade bei denen, die besonders bedürftig sind, irgendetwas wegzulegen. Kinderarmut – dass jedes fünfte Kind in Deutschland in Armut aufwachsen muss – ist eigentlich eine Schande; ich glaube, das hat sich inzwischen herumgesprochen. Aber im Moment geht es nicht darum, ob ein Kind zusätzliche Buntstifte bekommt, ob es neue Schuhe tragen kann oder gebrauchte tragen muss. Im Moment reden wir davon, dass die Kühlschränke leer sind. Wir reden nicht über schlechte Ernährung, sondern wir reden über zu wenig Ernährung; das ist die Situation.
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In dieser Situation zu insinuieren, dass die Steigerung um knapp 12 Prozent durch die Überführung von Hartz IV in das Bürgergeld für irgendetwas anderes draufgehen könnte, weil die Eltern sich womöglich nicht um ihre Kinder kümmern, das finde ich, ehrlich gesagt, nicht okay.
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Sie dürfen eine Nachfrage stellen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich möchte zurückweisen, dass ich so etwas in irgendeiner Weise suggeriert hätte. Ich habe nur auf die allgemeine Situation von Familien, die in Armut leben, hingewiesen. Das ist tatsächlich ein wichtiges Thema. Auch in meinem Wahlkreis sind sehr viele Kinder von Armut betroffen. Deshalb spielt aus meiner Sicht das Paket zur Bildung und Teilhabe tatsächlich eine sehr große Rolle. Nach Schätzungen werden über 200 sozialpädagogische Stellen aus diesem Paket finanziert; das kommt Kindern, die in Armut leben, direkt zugute.
Meine Frage an Sie – im Koalitionsvertrag steht, dass Teile des Bildungs- und Teilhabepaketes in der Kindergrundsicherung aufgehen sollen –: Wie wollen Sie sicherstellen, dass die Bildungsleistungen für Kinder, die in Armut leben, weiterhin bei den Kindern ankommen und die Kindergrundsicherung nicht zur Bildungsbremse wird?
Wenn Sie sich mit dem Bildungs- und Teilhabepaket so gut auskennen, dann wissen Sie, dass ein Viertel der Mittel für das Bildungs- und Teilhabepaket nach wie vor in bürokratischen Strukturen versickert.
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Unter anderem deswegen wollen wir das in die Kindergrundsicherung überführen, jedenfalls was den Geldleistungsteil angeht. Bei dem, was die Kommunen bekommen, sind wir der Meinung, dass das sehr wahrscheinlich bestehen bleiben wird. Aber in der Tat: Dieses bürokratische Monster „Bildungs- und Teilhabepaket“ einer ehemaligen Familien- und Arbeitsministerin fortzuführen, ist etwas, was ich nicht sinnvoll finde.
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Nächste Nachfrage zum Thema: Frau Bär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, mich würde beim Thema „Finanzen und Kinder“ ganz besonders interessieren, was für Lösungen Sie jetzt anbieten. Bei allen Vorschlägen, die wir machen, kommt von Ihrer Seite immer das Schlagwort: Dafür haben wir dann doch die Kindergrundsicherung. – Nur, wie gesagt: Wir haben sie vielleicht irgendwann. Ich sage jetzt schon – Stand: heute –, dass ich noch nicht davon überzeugt bin, dass Sie dieses große Paket wirklich geschnürt bekommen werden, bei den vielen Ministerien, die da beteiligt sind, und bei dem Eindruck, den wir haben, dass das wenig ambitioniert ist.
Meine konkrete Frage ist: Was machen Sie jetzt besonders für kinderreiche Familien? Wir haben in der Diskussion erlebt, dass für diese Regierung Familien ab dem dritten Kind irgendwie nicht mehr existieren. Deswegen meine ganz konkrete Frage: Wie helfen Sie jetzt, in der Energiekrise, in der Finanzkrise, Familien mit mehr als zwei Kindern? Was tun Sie konkret für kinderreiche Familien, die ganz besonders von Armut betroffen sind?
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Frau Bär, Ihnen ist bekannt, dass das Kindergeld für das erste, zweite, dritte Kind auf 237 Euro steigt und es für das vierte Kind nicht weniger, sondern 250 Euro gibt, für das fünfte und sechste ebenfalls. Von daher: Diese Bundesregierung denkt an Familien, auch an kinderreiche Familien. Ansonsten finde ich, dass jedes Kind dem Staat gleich viel wert sein sollte. Darüber hinaus sollten Familien, die einkommensschwächer, die bedürftiger sind, mehr Unterstützung bekommen und nicht andersherum.
Das ist genau das, was die Bundesregierung tut. Deswegen erhöhen wir nicht nur das Kindergeld, sondern verbessern auch den Kinderzuschlag, auf mindestens 250 Euro. Wir erhöhen den Kinderregelsatz und weiten den Bereich der möglichen Bezieher/-innen von Wohngeld deutlich aus, auf 2 Millionen Haushalte. Ich muss an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen: Es lohnt sich wirklich, sich anzuschauen, ob man wohngeldberechtigt ist. Viele Menschen haben inzwischen die Möglichkeit, Wohngeld zu beziehen. Es lohnt sich, entsprechende Anträge zu stellen. Zusätzlich – das wissen Sie – gibt es die Energiepreispauschale, die auch gezielt in diesen Haushalten ankommt. Es gibt ein großes Gesamtpaket, das gezielt für Familien mit Kindern wirkt, und das lasse ich mir von Ihnen auch nicht kaputtreden.
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Sie dürfen eine Nachfrage stellen.
Also, wir sind so konstruktiv, dass wir nichts kaputtreden wollen. Wir setzen uns einfach für die Belange von Kindern ein.
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Deswegen die Nachfrage: Wie schaut es eigentlich mit dem Austausch mit Ihren Kolleginnen aus? Ganz konkret: Wie sind Sie im Austausch mit der Bundesbauministerin? Wir haben in Deutschland eine sehr, sehr niedrige Eigentumsquote, mit die niedrigste in Europa. Da ist meine Nachfrage: Wie sollen es sich Familien überhaupt noch leisten, ein Haus zu bauen oder sich eine Wohnung anzuschaffen? Wie weit sind da Ihre Gespräche? Wie wollen Sie Familien mit Kindern, die sich ein Nest bauen wollen, das im Deutschland des Jahres 2022 überhaupt noch ermöglichen?
Sehr geehrte Frau Abgeordnete, ich habe vollstes Verständnis für alle Familien, die sich ein Nest bauen wollen. Sie erklären jetzt aber insbesondere die Familien als bedürftig, die sich keine Eigentumswohnung leisten können. Da würde ich doch etwas anders differenzieren
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und sagen: Wir sollten uns doch stärker auf diejenigen konzentrieren, die jetzt wirklich mit dem Rücken zur Wand stehen. Deswegen finde ich die Prioritätenliste, die die Bundesregierung gemacht hat, richtig. Es muss jetzt tatsächlich darum gehen, dass diejenigen, die die Miete nicht mehr zahlen können, entsprechende Unterstützung bekommen. Deswegen hat das Kabinett heute unter anderem eine Wohngeldreform beschlossen, die nicht nur sicherstellt, dass der Adressatenkreis deutlich größer wird, sondern auch, dass man maximal 40 Prozent – was auch schon sehr, sehr viel ist – des Einkommens für die Miete ausgeben muss. Derzeit müssen Haushalte teilweise 50 und mehr Prozent für die Miete ausgeben. Das geht definitiv nicht. Deswegen finde ich, dass die Wohngeldreform, die wir auf den Weg bringen, ein großer Schritt ist.
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Ich habe zu diesem Thema noch zwei Nachfrager, und die werde ich auch zulassen. Dann werde ich die Regierungsbefragung etwas verlängern müssen – bzw. der Kollege, der nach mir hier sitzt –, um die FDP in der ersten Fragerunde noch zu Wort kommen zu lassen.
Die nächste Nachfrage zum Thema Kindergrundsicherung kommt aus der AfD-Fraktion: Frau Harder-Kühnel.
Frau Bundesministerin, die Bundesregierung hat für 2023 diese sagenhafte Kindergelderhöhung von 18 Euro für das erste und zweite Kind beschlossen und wirklich großzügige 12 Euro für das dritte Kind vorgesehen sowie eine leichte Erhöhung des Kinderzuschlags. Mit diesen Almosen kann sich die Regierung hier zwar als Wohltäter aufspielen – was Sie auch gerade getan haben –, aber vergessen wir nicht: Gerade die durch die Politik der Ampelregierung verursachten Explosionen bei den Energie- und Lebenshaltungskosten fressen diese moderaten Kindergelderhöhungen etc. mehrfach auf. Diese Minizahlungen wirken nicht, wenn man für Energie ein Mehrfaches dieser Erhöhungen aufwenden muss. Inwieweit beabsichtigen Sie hier kurzfristig eine wirkliche Nachbesserung, um Familien zügiger und angemessener zu unterstützen?
Werte Abgeordnete, die Kindergelderhöhung und auch die anderen Erhöhungen liegen über der derzeitigen Inflationsrate, und wegen der Entwicklung der Energiepreise ergreifen wir ja zusätzliche Maßnahmen. Unter anderem wird auch in dieser Woche noch mal intensiv darum gerungen, wie das Thema Gaspreise geregelt werden soll.
Mit diesem Gesamtpaket – da bin ich tatsächlich sehr, sehr zuversichtlich – werden Familien und insbesondere Familien mit weniger Geld gut durch diesen Winter kommen; denn, wie gesagt: Die Aufstockung liegt über der Inflationsrate, und wegen der Energiepreise ergreifen wir weitere Maßnahmen. Im Gesamtpaket macht das alles sehr viel Sinn, sodass wir hoffentlich alle gut über den Winter kommen.
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Wenn das Wetter mitspielt, genau. – Sie können sich darüber gerne dann mit den Familien unterhalten, wenn diese die ersten Abschlagszahlungen auf ihre Stromrechnung leisten müssen.
Aber was Sie vor allem beachten müssen – Sie haben es vorhin selber erwähnt –: Die Bertelsmann-Stiftung hat eine Studie herausgegeben, nach der jedes fünfte Kind in Deutschland in Armut lebt. Das heißt, 2,8 Millionen Jugendliche und Kinder unter 18 Jahren leben in Armut. Durch die verantwortungslose Energie- und Wirtschaftspolitik der Ampel verschärft sich diese Schieflage zusätzlich, ganz besonders bis zum nächsten Frühjahr.
Welches ganz konkrete Konzept haben Sie, der Kinderarmut langfristig zu begegnen? Bei dieser moderaten Erhöhung beim Kindergeld und beim Kinderzuschlag sowie der einen oder anderen Sozialleistung kann es ja wohl nicht bleiben.
Sehr geehrte Abgeordnete, Ihre Einschätzung zur Arbeit der Bundesregierung teile ich ausdrücklich nicht.
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Lassen Sie mich darauf verweisen, dass wir mit Hochdruck an der Einführung der Kindergrundsicherung arbeiten, die eben mehr ist als die Einzelteile des bisherigen Systems. Die Eckpunkte dazu werden spätestens Anfang kommenden Jahres vorliegen. Dann können Sie sich darüber ein Bild machen.
Ansonsten ist der klare Fahrplan, dass wir bis zum vierten Quartal des kommenden Jahres einen Gesetzentwurf vorlegen und dass wir noch in dieser Legislaturperiode gemeinsam erleben werden, dass die Kindergrundsicherung, die 2025 ausgezahlt wird, bei den Familien in diesem Land ankommt.
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Vielen Dank. – Dann habe ich eine Fragestellerin aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wenn es richtig ist, was auf dem Zettel steht, ist es Nina Stahr.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, ich möchte auf das Vorurteil zurückkommen, dass ärmere Familien dann, wenn sie mehr Geld bekommen, dieses Geld nicht den Kindern zukommen lassen. Ich möchte Sie fragen, ob Ihnen die Bertelsmann-Studie bekannt ist – ich gehe davon aus, dass das so ist –, die genau diese Vorurteile widerlegt und die besagt: Wenn ärmere Familien mehr Geld bekommen, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder eine Kindertageseinrichtung besuchen, aber auch die Musikschule, den Sportverein. Diese Studie belegt, dass mehr Geld in armen Familien mehr Teilhabe für deren Kinder bedeutet.
Basierend auf diesen Erkenntnissen, möchte ich Sie fragen: Was, glauben Sie, Frau Ministerin, wird der Paradigmenwechsel, den die Kindergrundsicherung mit sich bringen wird, für Auswirkungen für ebendiese Familien haben?
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Sehr geehrte Frau Stahr, Sie haben völlig recht: Nicht nur diese eine Studie, sondern auch alle anderen Studien haben gezeigt, dass dieses sich hartnäckig haltende Vorurteil wirklich jeglicher fachlicher Grundlage entbehrt. Umso wichtiger ist es, dieses Ergebnis einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen.
Mit der Kindergrundsicherung könnte es uns tatsächlich gelingen: Mit der entsprechenden existenziellen Absicherung gibt es auch mehr Möglichkeiten zur Teilhabe. Armut ist nicht nur ein materielles Problem,
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sondern mit ihr sinkt auch die Chancengerechtigkeit. Armut bedeutet für jedes einzelne Kind erst mal: „Diese Gesellschaft will mich nicht. Für mich ist alles schwerer und schwieriger.“
Das hat von Anfang an furchtbare psychosoziale Wirkungen, die sich im Lauf des Lebens kaum komplett aufholen lassen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir eben ein Fünftel unserer Kinder und Jugendlichen nicht einfach hinten runterfallen lassen, sondern dass wir sie durch die Kindergrundsicherung gezielt unterstützen. Damit werden wir insgesamt eine freundlichere und kindergerechte Gesellschaft. Auch das täte uns allen gut.
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Vielen Dank, Frau Ministerin. Es gibt keine weitere Nachfrage. – Dann ist von der FDP-Fraktion noch der Kollege Nico Tippelt dran.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Frau Ministerin, gern würde ich mich bei Ihnen nach den digitalen Antragsverfahren zu Familienleistungen erkundigen. Leistungen, die Bürger sehr häufig beantragen, sind etwa die Anmeldung bei der Gemeinde, die Beantragung von Elterngeld, das Mutterschaftsgeld und das Kindergeld, die Anmeldung zur Familienversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung, Meldungen im Zusammenhang mit dem Mutterschaftsgeld und dem Mutterschutz. Eltern haben in den ersten Tagen nach der Geburt ihres Kindes zweifellos Besseres zu tun, als sich mit so viel Bürokratie zu beschäftigen.
Inzwischen haben wir ja alle rechtlichen Hürden beseitigt, damit die Antragstellung künftig in einem gemeinsamen und digitalen Verfahren erledigt werden kann. Einige Bundesländer sind hier weiter als andere. Bremen etwa hat eine erfolgreiche App und ein Verfahren mit dem klingenden Namen „ELFE – Einfach Leistungen für Eltern“. Daher meine Frage an Sie: Wie können wir die bundesweite Umsetzung eines einheitlichen, einfachen und digitalen Prozesses beschleunigen?
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, eine sehr, sehr gute Frage. Sie wissen, wir als Bundesregierung haben die Digitalstrategie miteinander verabredet, in der wir eben nicht wie frühere Regierungen einfach neue Visionen aufgeschrieben haben, sondern in der wir miteinander vereinbart haben, tatsächlich Dinge abzuarbeiten und zu ermöglichen. Deswegen kann ich zu alldem, was Sie da gerade ausgeführt haben, nur sagen: Das ist alles noch in keinem guten Zustand, aber wir arbeiten mit Hochdruck daran.
Das ermöglicht es mir, noch mal darauf hinzuweisen, dass es bei der Kindergrundsicherung auch wichtig ist, welche materiellen Bestandteile es hat. Aber das Entscheidende für den Erfolg der Kindergrundsicherung ist, dass Leistungen nicht nur zusammengeführt, sondern vor allen Dingen auch digital erbracht werden. Auch dazu laufen die Arbeiten.
Ich verspreche mir tatsächlich einen entscheidenden qualitativen Unterschied, wenn alle die Leistungen möglichst automatisiert bekommen und digital in Anspruch nehmen können, damit eben auch all diejenigen, die bisher anspruchsberechtigt sind, aber bei denen das Geld nicht ankommt, weil das Antragsverfahren so kompliziert und schwierig ist, endlich die Leistungen bekommen, die sie brauchen.
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Eine Nachfrage, Herr Kollege Tippelt.
Eine Nachfrage. – Das klingt fantastisch. Haben Sie schon eine Vorstellung von der Zeitschiene? Können Sie schon sagen, wann es losgeht?
Ich kann Ihnen klar sagen, dass der Prozess der technischen Umsetzung, wie man das also digital machen kann, nicht erst beginnen wird, wenn wir das Gesetz auf den Weg gebracht haben, sondern beides läuft derzeit parallel.
Es ist ja einfach unsinnig, erst ein Gesetz zu machen und hinterher festzustellen: Das Gesetz kann man so nicht umsetzen. – Vielmehr muss beides exakt parallel laufen, damit wir dann eben sehr schnell am Start sind. Die Arbeiten dazu laufen.
Herr Präsident! Gemäß § 42 der Geschäftsordnung beantrage ich die Herbeirufung des zuständigen Ministers für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck. Wir wissen: Er ist ab 16 Uhr entschuldigt. Aber eine gute Dreiviertelstunde wird er noch Zeit haben, im Plenum zu verbringen. Die Brisanz der Lage und die Tatsache, dass Herr Habeck bei der Debatte vielleicht noch ein bisschen lernen kann, begründen diesen Antrag.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Landsleute! Ich denke, es gibt für eine Aktuelle Stunde kein wichtigeres Thema als genau dieses Thema Blackout. Das haben wir heute auch an der durch die Bundesregierung nicht beantworteten Frage 7, was einen Blackout angeht, gesehen.
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Das ist das, was die Bürger umtreibt. Das ist das, was den Mittelstand umtreibt, was die Wirtschaft umtreibt, die Industrie umtreibt. Und dann kommt natürlich noch das verheerende Szenario von gestern dazu, der Sabotageangriff auf Nord Stream 1 und Nord Stream 2.
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Das laute Schweigen der Bundesregierung zeugt ja eigentlich davon, dass hier bis jetzt keine Antworten gegeben wurden. Deshalb, denke ich, ist es wichtig, dass wir hier in der Plenardebatte auch darüber reden.
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Zu den Hintergründen und zur Verantwortung wissen wir aktuell wenig bis nichts. Eines steht fest: Es richtet sich gegen Deutschland, gegen unsere Wirtschaft, und das zeigt auch, wie verwundbar wir sind.
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In Anbetracht der aktuellen Lage werde ich mich nicht festlegen, hier heute einen Schuldigen zu benennen, wie es Spitzenpolitiker anderer Parteien, Ihrer Fraktionen, ja bereits gemacht haben. Für die steht ja schon fest: Russland hat seine eigenen Leitungen sabotiert. – Wenn Sie solche Behauptungen aufstellen, muss man wirklich die Frage stellen, ob Sie dafür eigentlich auch stichhaltige Beweise haben.
Ich weiß hier und heute nur, dass viele Szenarien denkbar, jedoch nur einige wahrscheinlich sind. Lassen Sie mich kurz auf ein paar Fakten eingehen, um sich selbst ein Bild machen zu können.
Im August dieses Jahres forderte Polens Präsident Andrzej Duda, man solle Nord Stream 2 abreißen. Gestern, nachdem vermeintliche Bilder von austretendem Gas im Internet veröffentlicht wurden, kommentierte der polnische Europaabgeordnete und ehemalige polnische Außenminister Radoslaw Sikorski sogleich auf Twitter: „Danke, USA“. Und der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki wird von der „Wirtschaftswoche“ bei der Einweihung einer Kompressorstation der Baltic Pipe in der Nähe von Stettin zitiert:
Die Ära der russischen Vorherrschaft beim Thema Gas geht zu Ende – eine Ära, die von Erpressung, Drohungen und Zwang geprägt war.
Damit kann nun norwegisches Erdgas über Dänemark nach Polen fließen.
Schon Anfang Februar dieses Jahres kündigte der Präsident der Vereinigten Staaten, Joe Biden, an, sollte Russland die Ukraine angreifen, werde es kein Nord Stream 2 mehr geben; man werde dem ein Ende setzen. Nord Stream 2 wurde daraufhin durch den Bundeskanzler Olaf Scholz als Sanktionsmittel eingesetzt. Die CDU unter ihrem Vorsitzenden, Herrn Merz, forderte schon im März Sanktionen gegen Nord Stream 1. Die FDP-Fraktion war durch Beschluss auch ganz eifrig dabei, Nord Stream 2 abreißen zu wollen.
So viel dazu, wie die Unterstützung des Mittelstandes und der Wirtschaft aussieht! Da muss Ihnen gestern ja wirklich ein Herz aufgegangen sein, meine Damen und Herren.
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Die CIA warnte laut aktueller Medienberichte die Bundesregierung bereits im Sommer dieses Jahres, es könne zu Angriffen auf Pipelines und Unterwasserkabel kommen. Wenn das so gewesen sein sollte, muss die Frage erlaubt sein: Weshalb haben sie nicht die Bundesregierung oder die parlamentarischen Vertreter oder zum Beispiel auch den Verteidigungsausschuss unterrichtet? Weshalb spricht die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Strack-Zimmermann, jetzt schon vom schuldigen Russland? Da muss man wieder die Frage stellen: Haben Sie mehr Erkenntnisse, und warum liegen sie dem Parlament nicht vor?
Warum schweigen aktuell alle Vertreter der Bundesregierung, wie Bundeskanzler, Wirtschaftsminister, Außenminister, Verteidigungsminister, zu dieser Situation? Kann die Sicherheit von Deutschland und Europa – das fragen sich viele Bürger und auch Unternehmer – noch gewährleistet werden, oder folgen Ihrem Wirtschaftskrieg nun kriegerische Auseinandersetzungen in weiteren Teilen unsers Kontinents, Herr Habeck?
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Ihre Aufgabe als Bundesregierung ist es doch, die kritische Infrastruktur zu schützen. Das ist die Aufgabe der Bundesregierung. Wir fordern deshalb eine schnelle und lückenlose Aufklärung ohne Vorverurteilung, und wir fordern die sofortige Reparatur, die schnellstmögliche Instandsetzung der Nord-Stream-Leitungen. Hier geht es um unser Land und um unsere Bürger.
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Wie Sie alle wissen und sehen, werden die Probleme, vor denen wir stehen, immer komplexer: die galoppierende Inflation, die Destabilität unserer Währung, die fehlende Souveränität in der Energieversorgung. Gerade jetzt sehen wir all diese Probleme, die Sie alle hier in diesem Haus aufgebaut haben: die Schwierigkeiten bei der Sicherung des Lebensunterhalts vieler Bürger, die nicht abnehmenden Migrationsströme, die noch dazukommen, und nun auch noch Angriffe auf die Infrastruktur, ohne die wir eigentlich nicht existieren können. Wir brauchen eine bezahlbare, verfügbare und grundlastfähige Energieversorgung – auch mit russischem Gas.
Das ist genau das, was unsere Wirtschaft und unseren Wohlstand auch begründet hat. Diesen Motor bringen Sie, werte Bundesregierung, zügig und nachhaltig zum Stillstand.
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Sie erklären auch, dass die Lieferung schwerer Waffen in Kriegsgebiete Konflikte beenden würde, und machen sich damit eines neuen Stellvertreterkrieges der USA schuldig –
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
– vor unserer Haustür und auf dem Rücken des ukrainischen, des russischen und wahrscheinlich bald des deutschen Volkes.
({0})
Deshalb: Klären Sie lückenlos diesen Anschlag auf die Gaspipelines 1 und 2 auf!
Herr Kollege, bitte.
Beenden Sie die wirtschaftlichen Sanktionen!
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Beenden Sie den Wirtschaftskrieg, und schaffen Sie Frieden auf dem Kontinent Europa!
Vielen Dank.
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Ich weise darauf hin, dass bei der Aktuellen Stunde die Redezeit auf fünf Minuten begrenzt ist und ich künftige Zeitüberschreitungen nicht mehr zulassen werde, Herr Kollege Chrupalla.
Nächster Redner ist der Kollege Timon Gremmels, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erstens. Was wir hier gerade erlebt haben, war eine Inszenierung der AfD. Wie kann es denn sein, dass bei Wahrnehmung des Minderheitenrechts,
({0})
zu der Antwort der Bundesregierung auf eine mündliche Anfrage aus der Fragestunde heraus eine Aktuelle Stunde verlangen zu können, zehn Minuten später der Fraktionsvorsitzende der AfD hierhinkommen und ein fertiges Redemanuskript vorlesen kann?
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Das ist ein Missbrauch dieses Parlamentsrechts.
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Wir haben das zur Kenntnis genommen, und wir werden daraus auch unsere Schlüsse ziehen. Sie treten das Recht des Parlaments mit Füßen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({3})
Zweitens. Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Die Regierungskoalition hatte heute eine Aktuelle Stunde geplant, die den Tod einer jungen Frau in Polizeigewahrsam zum Thema hatte, mit der wir ein Signal Richtung Iran, Richtung der dort demonstrierenden Zivilgesellschaft senden wollten.
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Das wäre ein wichtiges Signal des deutschen Parlaments in Richtung der Opposition im Iran gewesen.
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Und Sie machen hier Ihre billigen Spielchen. Man muss den Menschen draußen an den Bildschirmen auch mal deutlich sagen, was Sinn und Zweck dieser Geschichte ist.
Sie haben sich dabei eine Frage ausgesucht, bei deren Beantwortung Staatssekretärin Brantner doch völlig zu Recht gesagt hat:
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Es ist völlig gleichgültig, ob Nord Stream 1 und Nord Stream 2 nun Lecks haben, wie diese Lecks entstanden sind, ob das Anschläge waren, wer hinter den Anschlägen steckt, weil aus der einen Pipeline noch nie Gas gekommen ist und es aus der anderen seit Wochen kein Gas mehr gegeben hat. – Das ist völlig irrelevant. Wir brauchen Nord Stream 1 und Nord Stream 2 nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Und warum brauchen wir die nicht? Weil wir als Bundesregierung rechtzeitig Vorsorge betrieben haben.
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Wir haben nach dem 24. Februar 2022, nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine, nach Beginn dieses völkerrechtswidrigen Krieges, dafür gesorgt, dass Vorsorge betrieben wird. Wir haben die leeren Gasspeicher gefüllt, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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91 Prozent Füllstand zu Beginn der Aktuellen Stunde ist der heutige Stand. Das ist das, was wir gemacht haben.
({10})
Wir haben LNG-Terminals aus dem Boden gestampft im wahrsten Sinne des Wortes. Am 24. Februar gab es diese noch nicht. Am 21. Dezember – nach jetzigem Planungsstand –
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gehen die ersten LNG-Terminals ans Netz, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das macht diese Bundesregierung, das macht diese Koalition, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Wir lassen Kohlekraftwerke länger laufen – ja –, und wir werden auch intensiv darüber diskutieren, wie es mit der Atomkraft weitergeht und ob man es zumuten kann, dort noch in einen Streckbetrieb zu gehen. Das sind auch für diese Koalition harte Diskussionen, die wir führen. Das machen wir aber alles, damit es keinen Blackout gibt, damit wir im Winter Strom haben, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Herr Brandner, geht es Ihnen wirklich darum, heute mal zu diskutieren, wie es denn mit der Energieversorgung in Deutschland aussieht? Wir haben anderthalb Stunden mit dem Chef der Bundesnetzagentur im Ausschuss für Klimaschutz und Energie gesprochen. Anschließend war er eine Stunde im Wirtschaftsausschuss. Wo waren Sie denn?
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Wo waren denn Ihre Fragen? Ihnen ging es doch gar nicht um die Thematik. Ihnen ist es doch in keiner Sekunde darum gegangen, wie die Energiesicherheit in Deutschland ist.
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Ihnen geht es darum, hier Ihre Show abzuziehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das müssen Sie aber wissen. Sie veröffentlichen Ihre Videos immer schön bei Youtube. Dann sollen die Youtuber dort mal gucken.
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– Nein, ich bin überhaupt nicht neidisch auf das, was Sie da machen. – Ich kann Ihnen nur eins sagen, liebe Youtube-Gemeinde: keine relevanten Fragen der AfD im Ausschuss für Klimaschutz und Energie zu diesen Themen. Die gab es nicht, sie waren nicht vorhanden, und deswegen ist das alles Show, was Sie hier abziehen.
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Und ich sage Ihnen auch noch was. Ich habe Ihnen gerade dargelegt, was wir als Bundesregierung und als die sie tragenden Fraktionen Stand heute alles schon machen. Darüber hinaus haben wir aber noch ganz viel in der Pipeline.
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– In der Ideenpipeline. Die ist bei Ihnen ja leer, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir haben eine Ideen- und Konzeptpipeline. Da ist bei Ihnen nur heiße Luft drin, Herr Brandner.
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Und wir haben wirklich noch einiges in der Pipeline. Ich sage Ihnen nur mal, was wir diese Woche machen werden. Wir werden das EnSiG 3.0, Energiesicherungsgesetz 3.0, auf den Weg bringen, indem wir Biogas anheben, indem wir Windkraft anheben, indem wir PV – Photovoltaik – anheben, indem wir die Planung beschleunigen, indem wir die Leitungen besser nutzbar machen. All das kommt noch in diesem Jahr,
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kommt zeitnah, um die Energiesicherheit in Deutschland sicherzustellen. Die Menschen in diesem Land können sich auf diese Koalition verlassen.
In diesem Sinne: Alles Gute und Glück auf!
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Vielen Dank Herr Kollege Gremmels. – Nächster Redner ist der Kollege Andreas Jung, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu der Frage dieser Aktuellen Stunde „Drohen im Winter Blackouts – ist die Versorgung gesichert?“ hat die Bundesregierung bei den Übertragungsnetzbetreibern einen zweiten Stresstest in Auftrag gegeben, also bei denen, die sich nicht so sehr mit Politik beschäftigen, sondern mit Physik. Die Übertragungsnetzbetreiber sind zu zwei sehr klaren Ergebnissen gekommen.
Erstes Ergebnis: In diesem Winter droht nach wie vor das Risiko von Blackouts, und es droht unter ungünstigen Annahmen auch das Risiko eines Energienotstandes. – Eindeutig aufgeschrieben in diesem Stresstest.
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Sie haben zweitens eine Empfehlung abgegeben, die sie als dringende Empfehlung formuliert haben, unmissverständlich: Deshalb gilt es jetzt, in der Krise, alle Möglichkeiten der Energieerzeugung zu nutzen, um einen solchen Notstand abzuwenden. – Wir fordern Sie, die Bundesregierung, auf: Handeln Sie so, wie Ihre Experten das fordern.
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Tun Sie alles, nutzen Sie alle Möglichkeiten, um eine solche Notlage mit unabsehbaren Konsequenzen abzuwenden.
Gestern haben wir den Minister gehört. Er hat mitgeteilt: Das Szenario hat sich zugespitzt. Gegenüber dem Stresstest gehe die Bundesregierung jetzt davon aus, dass die Situation in Frankreich gravierender sei als zuvor angenommen und dass die Lage sich damit noch mehr zugespitzt hat. – Deshalb: Tun Sie alles! Wo Sie etwas machen, haben Sie unsere Unterstützung. Das will ich an einem konkreten Beispiel festmachen.
Wir fordern seit Monaten: Räumen Sie den Deckel bei der Bioenergie ab. Setzen Sie nicht einseitig auf die Kohle, sondern ebnen Sie gerade dieser nachhaltigen Form der Energieerzeugung den Weg.
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Und jetzt wird es gemacht. Wir haben in der letzten Sitzungswoche Ihren Entwurf angeguckt. Da war eine Änderung drin, ein Deckel sollte weg, aber es sollte der Deckel im Baugesetzbuch bleiben. Der sollte unberührt bleiben. Ich habe hier an diesem Pult angekündigt: Wir werden einen Antrag einbringen. Wir werden darauf dringen, dass der wegkommt. – Sie haben diese Initiative jetzt aufgegriffen. Im Ausschuss heute früh haben wir gemeinsam den Weg bereitet. Wir haben dem zugestimmt. Der Deckel im Baugesetzbuch kommt weg. Das ist ein richtiger und wichtiger Schritt.
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Er kommt zu spät. In den Schlussfolgerungen zum Stresstest schreiben Sie, im nächsten Winter werde mehr Bioenergie zur Verfügung stehen. Das hätte früher erreicht werden können, wenn wir unseren Antrag bereits im Sommer beschlossen hätten. Aber jetzt ist es ein richtiger Schritt.
Zweitens: Kernenergie. In diesem Stresstest steht: Nutzen Sie alle Möglichkeiten der Energieerzeugung. – Da steht nicht: Lassen Sie zwei Kernkraftwerke am Netz, und schalten Sie das dritte ab. – Deshalb bitten wir Sie, dass auf Grundlage der Analyse von Robert Habeck von gestern – die Lage hat sich zugespitzt; es ist noch ernster als vor Wochenfrist gedacht – tatsächlich alle Möglichkeiten genutzt werden – und das auch bei der Kernenergie. Ich sage deutlich: Es bleibt bei den Grundsatzbeschlüssen: Ausstieg aus der Kernenergie genauso wie Ausstieg aus der Kohle.
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Das ist unsere Haltung, das ist unser Beschluss. Aber jetzt in der Krise, befristet, müssen die Möglichkeiten hier und da genutzt werden. Deshalb dürfen sichere Kernkraftwerke zum Jahresende, in dem Winter, wo die eigenen Experten sagen: „Da droht eine Notlage“, nicht abgeschaltet werden. Treffen Sie hier die notwendigen Entscheidungen. Jetzt ist noch Zeit.
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Drittens. Bei der Kohle ist heute noch mal bestätigt worden – da sind Sie ja seit Längerem dran –, dass lediglich zwei Steinkohlekraftwerke am Netz sind, acht Monate nach dem 24. Februar zwei. Warum? Weil die Regeln, die Sie dazu gemacht haben, so kompliziert sind, teilweise widersprüchlich, weil sie keine Verlässlichkeit für die Betreiber mitbringen. Auch hier gilt der Grundsatzbeschluss, geht es um Klimaschutz. Aber in der Krise muss etwas nützen, und dann muss man es besser machen, als Sie es bisher tun; sonst wird das, was Sie machen wollen, hier nicht zum Erfolg führen. Auch da sind jetzt Entscheidungen notwendig.
Letzte Bemerkung, zur Gasumlage. Die hat uns heute früh im Ausschuss beschäftigt. Wir haben hierüber im Bundestag in der letzten Sitzungswoche diskutiert. Wir haben einen Antrag gestellt: Aufhebung der Gasumlage. Der wurde von den Ampelfraktionen abgelehnt. Seitdem gibt es aber eine Entwicklung, und alle Ampelparteien erklären jetzt: Die Gasumlage soll nicht kommen. – Das haben wir heute früh im Ausschuss beantragt: Aufhebung der Gasumlage. Die Ampelfraktionen haben aber geschlossen dagegengestimmt. Jetzt gilt es aber, Farbe zu bekennen.
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Wir bringen das diese Woche noch mal in den Bundestag. Wer die Gasumlage nicht will, der muss sie aufheben – sie ist ja beschlossen; sie kommt in drei Tagen –; sonst kommt in wenigen Tagen eine Gasumlage, die keiner will. Jetzt haben Sie es noch in der Hand. Sie sind gefordert, jetzt die Reißleine zu ziehen. Die Menschen erwarten hier jetzt Klarheit.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Jung. – Nächster Redner ist der Kollege Dieter Janecek, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Chrupalla, Sie müssen das am Ende mit Ihrem Gewissen ausmachen und sich fragen, ob Sie morgens noch in den Spiegel schauen können, wenn Sie hier als Sprachrohr der russischen Propaganda auftreten.
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Das tun Sie wiederholt. Sie waren letztes Jahr in Moskau auf einer Konferenz, auf der Sie die Abschaffung der Sanktionen gefordert haben,
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und Sie stellen hier schwurbelige Vermutungen in den Raum zu Nord Stream 2,
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zu den Anschlägen, die offensichtlich passiert sind. Sie sind derjenige, der Wladimir Putin hier im Deutschen Bundestag vertritt. Das werden wir deutlich aussprechen und Sie dabei auch beim Namen nennen.
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Die Lage ist viel zu ernst, um sich mit einer solchen Folklore länger auseinanderzusetzen. Die Lage ist so, dass die Bundesregierung nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine am 24. Februar drastische und umfassende Maßnahmen in die Wege geleitet hat. Wir haben Ende September, und die Gasspeicher sind jetzt voll. Das ist ein großer Erfolg dieser Bundesregierung.
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Wir haben gestern die Ankündigung von Robert Habeck gehört – das will ich zugestehen: das fällt uns Grünen gar nicht leicht –, dass auch die Notreserve von zwei Atomkraftwerken genutzt werden soll für den kommenden Winter, damit wir gut durch diesen Winter kommen
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und auch entsprechende psychologische Signale an den Markt gerichtet werden.
Wir haben auch Dank zu sagen der Industrie, auch den Haushalten, die beim Thema Energieeinsparung angepackt haben, leider auch – das muss man bitter sagen – bei den hohen Preisen, die wir in den letzten Monaten vorgefunden hatten, ausgelöst durch diesen Angriffskrieg, auch zum Teil durch Produktionsstilllegungen und einen Abbau der Produktion in vielen Betrieben.
Wir handeln jetzt, indem wir Wirtschaftshilfen auf den Weg bringen. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung in den nächsten Stunden auch zu einer Einigung kommt, wie wir beim Thema Gaspreisdeckel vorankommen. Und auch eine Strompreisbremse ist nicht nur im Gespräch, sondern wird zeitnah umgesetzt werden.
Es gehört aber auch zur Wahrheit: All diejenigen, die – ich habe in der Fragestunde aufmerksam zugehört – jetzt nur Negativszenarien in den Raum stellen,
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die immer nur die Katastrophe herbeibeschwören, leisten keine verantwortliche Oppositionsarbeit.
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Wir müssen den Menschen die Maßnahmen, die wir zur Stabilisierung der Märkte, für die Unternehmen, für die Verbraucher auf den Weg gebracht haben, erklären. Natürlich müssen wir jetzt bereit sein; denn wir kennen das Szenario des kommenden Winters nicht. Wir können nicht lügen und sagen: Wir wissen, wie alles sein wird.
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Das wissen wir nicht. Aber wir können sagen, dass wir bis zum jetzigen Tag alles getan haben, um die extremsten Szenarien zu vermeiden. Das ist Wahrheit,
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und auch Wahrheit gehört in der Politik mal gesagt.
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Persönlich neige ich nicht zu Pessimismus. Ich sage es Ihnen ganz deutlich: Wir werden jetzt aller Voraussicht nach auch sinkende Preise im Bereich Gas und auch im Bereich Strom sehen – durch die Maßnahmen der Bundesregierung, konstruktiv unterstützt von der Union in vielen Bereichen; das will ich ausdrücklich loben.
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Wir sehen, dass wir dadurch, dass wir die Herausforderung beim Füllen der Gasspeicher angenommen haben, jetzt plötzlich in der Lage sind, wieder Gas auszuspeichern, das heißt, es dem Markt wieder zuzuführen, wodurch wieder etwas mehr Stabilität entsteht.
Wir sprechen intensiv mit unseren europäischen Partnern. Die Politik von Ihnen von der AfD ist es ja immer, isoliert zu handeln.
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Wir handeln im europäischen Verbund. Deswegen lösen wir die Krise. Wenn wir handeln würden wie Sie, wäre unsere Volkswirtschaft längst ruiniert.
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Und dass Sie hier als Büttel Russlands auftreten, ist ohnedies eine Schande für dieses Parlament; das will ich mal so deutlich sagen.
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Das heißt, die Szenarien im Strombereich sind: Wir handeln, wir schaffen Sicherheit, wir helfen mit entsprechenden Haushaltsmitteln. Wenn es nach uns geht, nach der Grünenfraktion, dann ist jetzt die Zeit, die finanziellen Freiräume zu nutzen. In der Haushaltspolitik ist jetzt nicht die Zeit der schwäbischen Hausfrau, um es mal so deutlich zu sagen – oder „Hausmanns“; ich wurde gerade böse angeschaut aus meiner Fraktion, zu Recht.
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– Sie können lachen und spotten, wie Sie wollen, aber das Problem ist, dass Ihnen außer Panikmache und Angstmache nichts einfällt. Und dann noch Ihr Verhalten hier, Herr Chrupalla. Sie stellen sich hierhin und stellen die Frage: „Wer hat denn den Anschlag auf Nord Stream 2 gemacht?“, und tun so, als wären wir das selber gewesen. Was ist denn das für ein Handeln Ihrer Fraktion? Sie tun so, als wären Sie eine nationale Opposition. Dabei sind Sie letztlich, wenn man mal Ihre Sprache nimmt, der Feind des deutschen Volkes.
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Das wäre sozusagen die Feststellung, wenn man Ihre Sprache benutzen würde. Das, was Sie hier vorbringen, ist ja intellektuell gar nicht mehr zu fassen.
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Entscheidend ist jetzt, dass wir in dieser schwierigen Zeit entschlossen handeln, aber auch, dass wir den Leuten nicht erzählen, dass alles automatisch gut wird. Es wird jetzt erst eine schwere Zeit kommen, bevor es besser wird.
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Wir helfen gemeinsam, wir sind solidarisch. Wir helfen vor allem den Schwächsten, damit sie da durchkommen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Janecek. – Nächster Redner ist der Kollege Ralph Lenkert, Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Ja, viele haben Angst vor dem kommenden Winter. Und da gibt es zwei Sorgen. Die erste Sorge ist: Gibt es Strom? – Und die zweite Sorge ist: Kann ich ihn mir leisten? – Auf beide Fragen muss die Bundesregierung, muss die Koalition eine Antwort geben.
Jetzt komme ich zur Sicherheit. Dass die Stromversorgung gefährdet ist, hätte ich mir im Frühjahr nicht träumen lassen. Aber seitdem in Frankreich ein Atomkraftwerk nach dem anderen havariert, seitdem ein Atomkraftwerk nach dem anderen, teilweise zehn Jahre jünger als die deutschen Atomkraftwerke, nicht mehr funktioniert, fängt man an, sich Sorgen zu machen. Das ist ein Problem. Deswegen hat man in Deutschland Kohlekraftwerke wieder freigegeben. Aber warum sind die noch nicht am Markt? Und warum haben wir überhaupt noch Probleme?
Dazu möchte ich mal ganz einfach sagen: Der Stresstest, der hier immer erwähnt wird, war richtig. Ich hatte bisher geglaubt, dass wir ein Problem haben, wenn kein Wind weht oder wenig Wind da ist und gerade viel Strom benötigt wird. Da haben wir aber kein Problem. Wir haben ein Problem in Deutschland, wenn viel Wind im Norden weht und im Süden viel Strom gebraucht wird.
({0})
Das muss mir mal jemand erklären: Wenn im Norden kein Wind weht und im Süden viel Strom gebraucht wird, haben wir kein Problem, aber dann, wenn im Norden viel Wind weht. Wie geht das zusammen? Das ist Folge des Marktdesigns, das durch die Liberalisierung gekommen ist. Und das beruht auf folgendem Schwachsinn: Wenn ein Unternehmen, ein Großhändler im Süden, den billigen Windstrom aus dem Norden kaufen will, weil er da ist, dann kriegt er ihn. Wenn die Stromleitungen aber zu klein sind, um den Strom durchzulassen, dann kriegt er den Strom trotzdem zu diesem Preis. Zugleich werden aber die Windräder stillgelegt und in Süddeutschland, weil ja die Windräder eigentlich liefern sollten, teure Gaskraftwerke runtergefahren. Um nun den Strombedarf zu decken, werden dann teurere Redispatch-Kraftwerke, also ältere und damit noch teurere Gaskraftwerke oder Ölkraftwerke, hochgefahren. Diesen Schwachsinn muss man doch beenden. Wenigstens in dieser Situation sollten Sie sich von diesem irren Marktdesign trennen.
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Natürlich muss man die Stromversorgung auch dadurch sichern, dass man mehr Strom bereitstellt. Die Union hat ja schon gesagt: Den Biogasdeckel hätten wir schon im Frühsommer aufheben können. 10 Prozent unseres Stromverbrauchs könnten wir mit zusätzlichem Biogas decken, wenn denn der Deckel aufgehoben wird, wenn denn entsprechend gehandelt wird. Das ist jetzt im Parlament, leider sehr spät, aber hoffentlich nicht zu spät.
Natürlich gibt es weitere Möglichkeiten. Mittelfristig und langfristig sorgen wir am besten für Sicherheit in der Energieversorgung, indem wir die Nutzung fossiler Rohstoffe beenden. Wenn wir kein fossiles Gas brauchen, dann ist es egal, welche Leitung wie läuft. Das ist Fakt. Deswegen haben die Landesregierungen mit linker Beteiligung ein 100-Milliarden-Programm gefordert, zum einen für den Ausbau erneuerbarer Energien, für den Ausbau von Speichern und zum anderen, um sicherzustellen, dass die Menschen die Energie bezahlen können, dass auch kleine und mittlere Firmen überleben und über den Winter kommen. Dieses Paket könnten wir hier verabschieden.
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Aber – ich sage es ganz offen – wenn es um die Menschen geht, sind Ihnen 100 Milliarden Euro zu teuer; wenn es um Rüstung geht, sieht das anders aus.
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Jetzt möchte ich noch einen weiteren Punkt benennen: Die Spekulation ist ein riesiges Problem. Windstrom kostet in der Erzeugung circa 5 Cent in Deutschland, Solarstrom circa 6 Cent. Kohlestrom ist für zwischen 4 und 8 Cent zu haben. Wie hoch ist Ihr Strompreis? Die Spanne dazwischen sind neben Abgaben Spekulationsgewinne. Es ist so, dass einige Unternehmen im ersten Quartal dieses Jahres mehr Gewinn gemacht haben als im gesamten letzten Jahr. Da kann die FDP natürlich keine Übergewinne erkennen, logischerweise – wahrscheinlich brauchen Sie eine Brille.
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Aber diese Übergewinne müssen kassiert werden. Sie müssen kassiert werden! Das ist zwingend erforderlich.
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Deswegen fordert Die Linke, die Spekulationen zu beenden. Das kann man am besten, indem man einen Preisdeckel einführt. Jetzt sofort!
Aber selbst der Preisdeckel wird nicht reichen, um sicherzustellen, dass Bürgerinnen und Bürger bei einer sicheren Energieversorgung auch die Energie bezahlen können. Deswegen fordern wir ein sogenanntes Wintergeld in Höhe von monatlich 125 Euro für jeden Haushalt plus 50 Euro für jede Person im Haushalt, die über eins hinausgeht, damit die Energie bezahlbar ist.
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Wir fordern, Strom- und Gassperren zu verbieten. Und – ich kann es nur wiederholen – wir fordern einen Energiepreisdeckel, einen Preisdeckel auf Heizenergie, auf Strom und Gas, auch für unsere kleinen und mittleren Unternehmen, damit sie weiterproduzieren können, die Arbeitsplätze erhalten bleiben und damit unsere Gesellschaft gesichert ist.
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So gewinnt man Sicherheit und nicht mit solch billigen Anträgen wie von der AfD.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Lenkert. – Nächster Redner ist der Kollege Michael Kruse, FDP-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst mal: Das Thema ist heute recht kurzfristig eingetrudelt. Es geht um Blackout. Ein Blick in die Tageszeitungen und aktuellen Meldungen lässt nur eines zu: Der einzige Blackout, den ich heute erkennen kann, ist der, dass in Ihrer Geschäftsstelle schon wieder Räume durchsucht werden müssen, weil Sie es nicht mal schaffen, Ihre eigenen Parteifinanzen zu ordnen, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von der AfD.
({0})
Blackouts hat es also bei Ihren Finanzen gegeben, aber nicht im deutschen Strommarkt; denn wir sorgen dafür, dass es auch im nächsten Winter genügend Strom geben wird. Das Einzige, worüber ich mich wirklich freue, ist, dass die Berliner Staatsanwaltschaft
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jetzt ganz entschlossen gegen Clankriminalität vorgeht – offensichtlich.
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Die Ampel tut seit Beginn dieses russischen Angriffskrieges, den Sie wieder nicht geschafft haben zu erwähnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD-Fraktion – aber gleich haben Sie ja noch mal eine Gelegenheit –, alles dafür, dass wir unsere Energiesouveränität wieder zurückerlangen.
Es gibt in diesem Land das Energiesicherungsgesetz. Es ist von 1975 und ist jahrzehntelang nicht angepasst worden. In dieser Woche haben wir dazu die dritte Novelle innerhalb dieses Jahres verabschiedet. Mit der ersten haben wir sichergestellt, dass die deutschen Gasspeicher zum jetzigen Zeitpunkt so voll sind wie noch nie zu diesem Zeitpunkt. Wir sorgen für Energiesouveränität in Deutschland, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.
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Es ist auch ganz spannend, was wir in dieser Woche so alles machen. Wir haben noch mehr Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien vereinbart. Wir haben den LNG-Turbo noch mehr angeschmissen: Wir sorgen für einen weiteren Standort eines LNG-Terminals. Und ja, wir sorgen auch für Planungssicherheit für die Kohlekraftwerke, die bis 2024 ans Netz zurückkehren können; und das wissen die Betreiber heute schon.
Jetzt wird es spannend: Wenn Sie doch eigentlich immer fordern, dass wir genau das tun sollen, liebe AfD, wie kommt es dann, dass Sie es wieder nicht geschafft haben, den entsprechenden Anträgen zuzustimmen? Ich will es Ihnen sagen: Sie haben überhaupt gar kein Interesse daran, den Blackout in diesem Land zu verhindern. Wer Ihnen auf Social Media folgt, weiß: Sie sehnen ihn ja geradezu herbei.
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Wir werden Ihnen diesen Gefallen nicht tun, weil uns die Menschen und Unternehmen in diesem Land am Herzen liegen.
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Deswegen werden wir dafür sorgen, dass es keinen Blackout im kommenden Winter gibt.
Und ja, die Koalition hat Beachtliches geleistet.
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Ich möchte auch einmal Lob für die Koalitionspartnerinnen und Koalitionspartner aussprechen.
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Es ist für uns wesentlich leichter, zu formulieren, dass die Kernkraftwerke länger laufen müssen. Es gab dazu einen Stresstest. Dieser Stresstest war ja sehr wichtig, um zum Beispiel zu erkennen, wo genau im Winter noch Potenziale gehoben werden müssen, um zu erkennen, wo Redispatch-Bedarf besteht, der noch kontrahiert werden muss. Es ist nicht leicht für eine Partei, deren Gründung im Wesentlichen auf der Forderung nach dem Ende der Kernenergie beruht, und selbst für einen Minister dieser Partei, zu erkennen, dass es offensichtlich notwendig sein könnte, die Kernkraftwerke in diesem Land länger laufen zu lassen.
Aber wenn Herr Habeck in der Lage ist, das zu erkennen, obwohl er in seinem Leben immer ein ganz anderes politische Ziel verfolgt hat, dann müsste es Ihnen doch auch möglich sein, zu erkennen, dass Sie auf dem falschen politischen Kurs sind, wenn Sie fordern, dass die Pipelines Richtung Russland repariert werden müssen; denn dadurch fließt sowieso kein Gas mehr.
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Stattdessen müssen wir dafür sorgen, dass die Pipelines, über die Tag für Tag sehr viel Gas nach Deutschland kommt – nämlich aus Frankreich neuerdings und aus Norwegen –, geschützt werden, und zwar vor all denjenigen, die sich das wünschen, was auch Sie sich eigentlich herbeiwünschen, nämlich einen Blackout und Katastrophen in diesem Land, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen.
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Und wir handeln. Wir sorgen dafür, dass dieses Land Energiesouveränität zurückgewinnt, und wir sorgen dafür, dass die Preise gesenkt werden.
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Wir werden noch heute eine Sondersitzung im Ausschuss für Klimaschutz und Energie durchführen, um dafür zu sorgen, dass die Senkung der Mehrwertsteuer nicht nur für Gas, sondern auch für Fernwärme gilt.
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In diesem Monat, in diesen Tagen erhalten die deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Energiepreispauschale, die genau dabei hilft, damit umzugehen, wenn die Energiepreise in den nächsten Monaten steigen. Wir als FDP haben in der Koalition durchgesetzt, dass die kalte Progression abgebaut wird. Zwei Große Koalitionen hintereinander waren dazu nicht in der Lage. Und last, but not least sorgen wir dafür, dass sich den Grundbedarf an Energie auch weiterhin jeder in diesem Land leisten kann.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Kruse. – Als Nächstes hat das Wort der Kollege Enrico Komning, AfD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Lieber Kollege Gremmels, Sie haben ja eine mangelnde Anwesenheit der AfD heute im Wirtschaftsausschuss angesprochen. Ich muss das hier mal richtigstellen und darf sagen, dass die AfD fast vollständig da war.
({0})
Dass die SPD mit wirtschaftspolitischer Blindheit geschlagen ist, wissen wir ja alle. Dass sich das auch auf Ihr Augenlicht auswirkt, ist doch sehr bedauerlich.
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Ich war heute zusammen mit einigen anderen Wirtschaftspolitikern beim „Nordic Talking“ der IHK Nord, und dort wurde ein Papier zu den Auswirkungen der Energiekrise ausgeteilt. Frau Nestle, Sie waren ja auch da. Ich fand die Beiträge von der AfD und auch von der CDU – das muss ich ehrlich sagen – sehr vernünftig, sehr hilfreich.
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Frau Nestle, vielleicht übergeben Sie das Papier nachher Herrn Kellner,
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damit das Wirtschaftsministerium auch weiß, wie vernünftige Mittelstands- und Handwerkspolitik gemacht wird.
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Meine Damen und Herren, die Energie- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung führt Deutschland, den Mittelstand und das Handwerk in eine der schwersten ökonomischen Krisen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, und das verantworten Sie, meine Damen und Herren Kollegen von der Bundesregierung. Industrieunternehmen wandern ab, Mittelständler und Handwerker gehen scharenweise pleite, und die Bürger wissen nicht mehr, wie sie ihre Heizkosten bezahlen sollen.
Seit Februar dieses Jahres ist wegen der explodierenden Preise die energieintensive Produktion um knapp 7 Prozent regelrecht eingebrochen. Der deutliche Rückgang des Stromverbrauchs – allein von Mai auf Juni um 5 Terawattstunden – liegt aber nicht an sparsamen Bürgern, sondern an stillstehenden Fließbändern. Und man sieht es auch schon in den Läden: So leere Regale, wie es sie heute gibt, gab es seit DDR-Zeiten nicht mehr.
Deutschland war dank der katastrophalen Energiewende schon in den letzten Jahren eines der teuersten Energieländer der Welt – zulasten unserer Standortattraktivität. Ein Pfund, mit dem wir jedoch bis heute noch wuchern konnten, war die relative politische, rechtliche und soziale Stabilität des Standorts. Aber auch diese ist jetzt nicht nur gefährdet, sie ist Schnee von gestern. Abgesehen von Ihrem Maßnahmenchaos – Übergewinnsteuer: ja oder nein? Gasumlage: ja, jetzt wieder nein, oder vielleicht doch; wir wissen es nicht –: Mit der Zerstörung der zwei Nord-Stream-Pipelines hat sich die Lage fundamental zum Schlechten verändert, und die Bundesregierung hat nicht den Hauch eines Plans.
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Die Sicherheit des Stromnetzes in Deutschland, meine Damen und Herren, steht nicht erst seit heute auf der Kippe. Die Energiewende mit der Abkehr von grundlastfähigen Energieträgern erfordert inzwischen so viele Eingriffe in das Stromnetzt wie nie zuvor. Stromexperten sind sich einig, dass sich nicht die Frage stellt, ob es einen Blackout gibt, sondern wann er kommt. Die vorgeblich vollen Gasspeicher, auf die Sie als Bundesregierung ja immer so stolz verweisen, reichen nur dann für den Winter, wenn es Nachschub gibt.
({6})
So reicht das Gas – es wurde heute schon angesprochen – vielleicht für acht bis zehn, höchstens zwölf Wochen. Das bringt uns bis Anfang Dezember, vielleicht bis Weihnachten.
({7})
Und dann, liebe Bundesregierung?
Allein der Stromanteil von Gas im Jahr 2021 lag bei gut 10 Prozent. Wenn der jetzt auch noch wegfällt, potenziert sich das Blackout-Risiko. Die Beschwichtigungen der Bundesregierung heute in der Fragestunde sind durchsichtig und nützen vor allem niemandem. Ebenso wenig wie die arroganten und ausweichenden Antworten von Frau Dr. Brantner auf die Nachfragen der AfD.
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Meine Damen und Herren, ein Blackout in Deutschland würde wirtschaftliche Verwerfungen in Größenordnungen nach sich ziehen, die niemand heute absehen kann; von den gesellschaftlichen will ich gar nicht reden. Es gilt, den Blackout jetzt unbedingt zu vermeiden, und das heißt: Nicht zwei, sondern alle drei aktiven Kernkraftwerke müssen am Netz bleiben und so viele andere wie möglich wieder hochgefahren werden.
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Die Wiederinbetriebnahme der stillgelegten Kohlekraftwerke muss jetzt und unbürokratisch eingeleitet werden.
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Zur Vermeidung eines Blackouts brauchen wir jetzt grundlastfähigen Strom.
Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, haben geschworen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Fangen Sie endlich damit an!
Danke sehr.
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Vielen Dank, Herr Kollege Komning. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Nina Scheer, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Kollege Timon Gremmels hat ja gerade auch schon in Richtung der hier beantragenden Fraktion der AfD angemerkt, dass die Rede offenkundig vorbereitet war. Insofern bitte ich, tatsächlich einmal unter die Lupe zu nehmen, ob hier Missbrauch stattfindet im Hinblick darauf, wenn auf das Instrument einer Aktuellen Stunde aus der Fragestunde heraus zurückgegriffen wird.
({0})
Wenn ein Redner eine vorbereitete Rede vorträgt, kann man ja vielleicht noch zugestehen, dass es sich um eine Rede aus der Schublade handelt – von dieser Sorte, so mag man manchmal glauben, mögen Sie ja vielleicht auch ein paar haben –;
({1})
aber jetzt hat schon der zweite Redner hier am Pult seine Rede wortwörtlich abgelesen. Nichts gegen Ablesen – –
({2})
– Ja, aber warum? Die Frage ist ja, wie das sein kann, wenn eine Aktuelle Stunde gerade mal vor einer Dreiviertelstunde beantragt wurde.
({3})
– Na ja. – Gut. Die Botschaft ist gesetzt.
({4})
Ich möchte mit Ihnen darüber auch gar nicht in einen Dialog treten.
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Es sollten nur alle wissen, dass das, was Sie hier aufführen, offenkundig
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ein inszeniertes Manöver ist. Und damit ist dazu, glaube ich, auch alles gesagt.
({7})
Ich komme zur Sache, die Sie hier zum wiederholten Male aufgeworfen haben, und auf die Frage, die im Detail von Staatssekretärin Brantner natürlich schon beantwortet wurde.
({8})
Es ist insofern unwahr, wenn Sie unterstellen, dass sie nicht beantwortet wurde.
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Man darf natürlich eine fachliche Antwort auf eine Frage, die erst in der Zukunft zu beantworten ist, nicht mit zu hoher Erwartungshaltung überfrachten. Es gibt Fragen zu zukünftigen Geschehen, die mit den heutigen Kenntnissen schlichtweg nicht zu beantworten sind. Das liegt nun mal einfach im Wesen von Zukunft. Man kann aber seitens der Bundesregierung und des Parlaments Vorsorge treffen.
Die Vorsorgeaufgaben, die von der Bundesregierung und vom Parlament hier angegangen wurden, sind enorm, und die entsprechenden Maßnahmen bewegen sich genau auf der Linie, durch die Versorgungssicherheit und Daseinsvorsorge vielfach abgesichert werden.
Wir haben mit dem LNG-Beschleunigungsgesetz Vorsorge durch Diversifizierung getroffen.
Wir haben mit einer mehrfachen Überarbeitung des Energiesicherungsgesetzes Vorsorge getroffen.
Es sind Ersatzkraftwerke in Bereitschaft versetzt worden und sind zum Teil schon in die Bereitstellung gegangen.
Wir haben für die Liefer- und Transportwege Erleichterungen geschaffen, damit die Versorgung der Kraftwerke auch wirklich gewährleistet ist.
Wir haben gerade heute im Ausschuss eine weitere Novelle des Energiesicherungsgesetzes beraten und werden diese in dieser Woche noch im Plenum verabschieden. Hier benennen wir im Zusammenhang mit einem Erneuerbare-Energien-Booster
({10})
all die Mengen, die wir im Bereich der erneuerbaren Energien schon aus bestehenden Anlagen herausziehen können, um weitere Energiemengen zu liefern.
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All das wissen Sie ganz genau – Sie haben ja heute Morgen im Ausschuss als Fraktion genauso wie die anderen Fraktionen teilgenommen –, es sei denn, Sie haben nicht zugehört. Sie hätten sonst vernehmen können, dass diese Instrumente auf den Weg gebracht wurden und natürlich auch wirken werden.
Wir haben zudem eine Situation, in der die Gasspeicher schon zu über 90 Prozent gefüllt sind. Wir werden in der Tat auch anderes gemeinsam in die Umsetzung bringen. Ich möchte da auf die Aussagen aus dem Parlament in Richtung Bundesregierung verweisen, die wir in die Beschlussempfehlung des Ausschusses hineingenommen haben. Da ist von uns parlamentarisch auch noch einmal festgehalten worden, dass wir für den Fall des Eintritts einer Notfallsituation, die übrigens von der Bundesnetzagentur, wie von Frau Brantner auch schon erläutert, für diesen Winter nicht befürchtet und auch nicht prognostiziert wird, Vorsorge treffen dahin gehend, dass eben nicht ins Mark der gesellschaftlichen Handlungsfähigkeit eingegriffen werden wird, sondern die Betätigung sowohl im wirtschaftlichen als auch im gesellschaftlichen Bereich so weit wie möglich aufrechterhalten bleiben muss, weil wir natürlich wissen, dass nur eine funktionsfähige Gesellschaft auch in der Lage dazu ist, uns systematisch aus der Krise herauszuführen. „Systematisches Herausführen“ heißt natürlich, dass wir auf Alternativen setzen müssen.
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Denn eins ist klar: Diese Krise ist eine fossile Energiepreiskrise – eine fossile! Wenn wir es nicht schaffen, schnellstmöglich und auch systemisch auf erneuerbare Energien umzusteigen, dann wird es umso schwerer, solche Situationen zu vermeiden, in die wir durch die Folgewirkungen des russischen Angriffskriegs manövriert wurden.
Noch ein Letztes in den paar Sekunden Redezeit, die mir noch bleiben: In der Tat hat die mögliche Sabotage – das gilt es noch zu untersuchen – an den Pipelines Nord Stream 1 und 2 rein gar nichts mit der Versorgungssicherheit zu tun – das wissen Sie –; denn da fließt zurzeit überhaupt kein Gas durch.
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Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Scheer. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Andreas Lenz, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich betonen, dass ich es schade finde, dass die eigentlich anberaumte Aktuelle Stunde zum Thema Iran nicht stattfinden kann.
({0})
Ich erhielt gerade eine herzzerreißende Nachricht eines deutsch-iranischen Paars aus meinem Wahlkreis, das sich an mich gewandt und gesagt hat, sie hoffen darauf, dass mit dieser Aktuellen Stunde diese Schicksale in die Öffentlichkeit kommen.
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Deswegen freue ich mich auch, dass wir sie morgen nachholen, möchte aber schon jetzt betonen, wie wichtig das ist.
({2})
Ein Satz zur Gasumlage am Anfang meiner Ausführungen. Die Ampelchaos-Gasumlage, die Murksumlage, wird leider nicht besser. Auch in dieser Woche haben wir eigentlich keine Neuigkeiten dazu erfahren: von einer „muss-weg“-Oppositionsansage von Minister Habeck hin zu einer „muss-weg“-Ampelkoalitionsansage. Jetzt würde mich interessieren: Wer von der Ampel will denn eigentlich diese Gasumlage noch? Ich weiß es nicht.
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In der letzten Woche hat sich ja gezeigt, dass immer mehr Stimmen aus der Ampel für die Abschaffung der Gasumlage waren. Wir haben heute im Ausschuss nachgefragt: Was ist denn jetzt eigentlich mit der Umlage? – Man muss ja wissen: Wenn nichts gemacht wird, dann – so sieht es die Verordnung nach § 26 EnSiG vor – tritt die Gasumlage zum 1. Oktober in Kraft.
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Sie, Frau Nestle, haben in dieser Aktuellen Stunde die Möglichkeit, zu sagen, was jetzt passieren soll, also ob die Verbraucherinnen und Verbraucher ab dem 1. Oktober die Gasumlage bezahlen müssen bzw. die Versorger sie einziehen sollen oder nicht. Wir brauchen an dieser Stelle Klarheit, meine Damen und Herren.
Bevor ich jetzt auf die Frage eines Blackouts zu sprechen komme, möchte ich schon sagen: Die AfD schürt hier Ängste; und das macht die Situation im Moment nicht besser.
({5})
Wir haben eine gute, eine verlässliche Infrastruktur, um die Stromversorgung und auch die Gasversorgung zu gewährleisten. Aber wir sind natürlich anfällig. Das zeigen auch die Anschläge auf Nord Stream.
({6})
Das ist eine neue Eskalationsstufe. Aber ich warne auch davor, jetzt schon zu spekulieren, wer dahintersteckt.
({7})
Diese Spekulationen verbieten sich.
({8})
Ich möchte auch betonen, dass, nur weil in der Vergangenheit die Versorgung verlässlich war, das nicht heißt, dass es auch in Zukunft so sein muss. Insofern warnen wir seit März vor Engpässen, die im schlimmsten Fall natürlich auch zu einem Blackout führen könnten. Wir sagen seit März, dass wir einen befristeten Weiterbetrieb der AKWs wollen. Wenn ich mir die Ausführungen der Ministerien vom März dazu anschaue, muss ich feststellen: Sie sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. – Damals hieß es noch, das gehe nicht. Übrigens: Noch in der letzten Woche hat die Bundesumweltministerin einen Weiterbetrieb abgelehnt. Sie hat gesagt: zu teuer, zu risikoreich.
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Es kann doch nur ein Zeichen von Ampelchaos sein, wenn gestern der Weiterbetrieb zumindest der beiden AKWs im Süden verkündet wird.
Übrigens sagt der Stresstest der Netzbetreiber ganz klar, dass wir schwarzstartfähige, grundlastfähige Kapazitäten brauchen, gerade im Winter. Deswegen ist die Entscheidung für die Kernkraftwerke im Süden richtig. Aber es stellt sich doch natürlich die Frage, warum das Kraftwerk Lingen im Emsland nicht weiterbetrieben werden soll. Auch im Norden braucht man natürlich verlässliche, gesicherte Leistung.
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Herr Janecek sagte eben, es werde alles gemacht. Nein, es wird eben nicht alles gemacht, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Und daran messen wir Sie.
Der Winter 2023/2024 wird auch schwierig. Heute hat der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, gesagt, dass im nächsten Jahr der Winter genauso schwierig wird, wenn nicht sogar schwieriger als der kommende.
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Deswegen fordern wir Sie auf: Schaffen Sie jetzt schon Verlässlichkeit für die Kernkraftwerke, damit sie bis 2024 am Netz bleiben und entsprechend produzieren können, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Das gilt natürlich auch für die Kohlekraftwerke. Es sind bisher erst zwei Kraftwerke wieder ans Netz gegangen. Das liegt an der Brennstoffbevorratung, das liegt aber auch an der Befristung des Betriebs bis 30. April 2023.
Wir sehen, dass einige aus unserer Sicht wichtige Punkte, die wir gefordert haben, umgesetzt wurden: bei den Erneuerbaren, bei der Biomasse, bei PV, bei Energieeffizienz. Letzten Endes hoffen wir immer das Beste, müssen aber natürlich auf das Schlimmste vorbereitet sein. Deswegen noch einmal der Appell an Sie: Machen Sie wirklich alles, was zur Verfügung steht, um die Kapazitäten, die wir haben, ans Netz zu bringen, um die Potenziale bei Energieeffizienz, bei den Erneuerbaren zu nutzen! Dann hätten Sie uns auch an Ihrer Seite. Leider machen Sie das bislang noch nicht. Insofern bitten wir, unsere Vorschläge zur Kenntnis zu nehmen und auch umzusetzen.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Dann haben wir mehr Versorgungssicherheit im nächsten und im übernächsten Winter.
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Lenz. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Ingrid Nestle, Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Regierung nimmt die Situation auf den Energiemärkten und bei der Energieversorgung sehr ernst. Auch deshalb ist es so schändlich, dass Sie von der AfD dieses Thema, das für die Menschen im Land, für die Versorgungssicherheit, aber auch für die Preise so wichtig ist, gezielt für Desinformation nutzen.
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Es grenzt tatsächlich schon ein bisschen an Hohn, dass Sie dieses Thema jetzt heute hier in einer Aktuellen Stunde hochziehen.
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Denn es gibt drei Krisen im Energiebereich, die gerade gleichzeitig Europa erschüttern.
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Bei allen drei Krisen haben Sie gefordert, sie noch schlimmer zu machen. Ich gehe sie im Einzelnen durch: Es ist die große Energiekrise, die Europa derzeit erschüttert. Es ist der Angriffskrieg Putins, und es ist der Energiekrieg, den er gegen Europa führt.
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Es sind die Energiepreise, die er mit Absicht nach oben treibt. Es ist unsere Abhängigkeit von Putin.
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Sie von der AfD haben all die Jahre gefordert, die Abhängigkeit von Putin noch zu verstärken.
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Wir säßen viel tiefer in der Krise, hätten wir auf Sie gehört.
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– Danke für das Stichwort. Ja, genau das ist das richtige Stichwort, das Sie nennen.
Die zweite große Krise,
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in der die Energieversorgung Europas gerade ist, ist die miserable Verfügbarkeit der Atomkraftwerke in Frankreich. Die Atomenergie ist die zweite große Krise, die wir gerade haben.
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– Sie lachen und höhnen, weil Sie sich offensichtlich mit den Fakten nicht auseinandergesetzt haben. Sie haben ja noch nicht mal mitbekommen – so wie Sie sich gerade benehmen –, dass die Atomkraftwerke nur zur Hälfte laufen.
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Frau von Storch, mit Beleidigungen ist man nicht überzeugender.
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Sie können Zwischenrufe machen – das ist ja auch normal –, aber nicht mit Beleidigungen.
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– Frau Kollegin Storch, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf.
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Mehr als Beleidigungen ist da nicht zu holen. – Die dritte große Krise, die die Stromversorgung Europas derzeit in Atem hält,
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ist die Klimakrise. Noch nie hatten wir so eine schlechte Verfügbarkeit der Wasserkraft in Europa. Noch nie hatten wir eine solche Dürre. Die Dürre ist extremer, als sie in den extremsten Szenarien bisher angenommen worden ist, weil die Klimakrise da ist, weil eben die Welt nicht mehr ist wie vorher, weil die Klimakrise auch die Stromversorgung im Wasser-Strom-Bereich reduziert hat.
({1})
Und Sie? Sie haben uns all die Jahre immer gepredigt, dass wir nicht auf die Klimakrise achten sollten, dass es sie entweder nicht gibt oder sie nicht menschengemacht ist, dass wir jedenfalls blind reinlaufen sollen. Hätten wir auf Sie gehört, wir säßen noch viel tiefer in der Patsche.
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Zu dieser Kampagne der Desinformation passt, was Sie gerade abgezogen haben. Sie verweisen auf das Papier des DIHK, das gerade eben verteilt worden ist, und tun so, als würde das Ihre Position treffen. Sie versuchen, eine ernste, eine ehrliche, eine gute, eine wichtige Organisation für Ihre Ziele zu vereinnahmen.
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Ich will nur einen Punkt herausgreifen: Hier steht, der Ausbau der erneuerbaren Energien muss viel schneller kommen! Hier steht, die Windkraftanlagen werden viel zu oft abgeschaltet! Erst heute im Ausschuss haben Sie sich beklagt, weil wir genau das ändern,
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weil wir genau die Forderungen des DIHK umsetzen!
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Sie haben dagegen gesprochen! Sie haben uns dafür kritisiert, weil Sie eben nicht hinter diesen Forderungen stehen!
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– Kommen Sie mal wieder runter!
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– Ich habe so den Eindruck, Sie haben hier auch schon manchmal ganz schön rumgebrüllt.
Ja, es gilt, Flagge zu zeigen. Es gilt, Flagge zu zeigen, wenn Sie dieses Land mit Desinformation überziehen, weil wir in einer wirklich ernsten Lage sind.
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Deswegen haben wir diese Regierung. Und ja, wir ziehen alle Register. Wir haben das größte Paket mit erneuerbaren Energien aller Zeiten aufgelegt. Auch diese Woche kommt noch mehr Windstrom dazu. Es kommt noch mehr Biomassestrom dazu, es kommt mehr Solarstrom dazu, alles im Energiesicherungsgesetz. Wir haben die Kohlekraftwerke wieder an den Markt gebracht. Wir haben die LNG-Terminals reingebracht. Wir haben nochmals nachgeschärft bei den Kohlekraftwerken, selbst bei den Atomkraftwerken.
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Sie haben die Versorgungssicherheit beim Strom angesprochen. Sie können sich vorstellen, wie schwer uns das fällt. Selbst da haben wir gesagt: In einer Notreserve ist es denkbar, um die Versorgungssicherheit beim Strom aufrechtzuerhalten. Wir haben den Ausbau der Netze vorangebracht. Wir haben auf den Weg gebracht, dass die Bestandsnetze in diesem Winter noch stärker ausgenutzt werden können.
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Wir haben Putin ausgebremst, als er mit Gazprom Germania unsere Stromkunden ins Minus drücken wollte.
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Ja, wir haben gehandelt.
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Ein ums andere Mal haben wir gehandelt. Was Sie bringen, ist Desinformation.
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Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte aber trotzdem nicht versäumen, Sie an diesem Nachmittag zu begrüßen.
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Jetzt erhält das Wort der Kollege der FDP-Fraktion, Konrad Stockmeier.
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Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Kolleginnen und Kollegen der AfD-Fraktion, was Sie zum eigentlichen Titel dieser Aktuellen Stunde zu sagen hatten, nämlich „Den Blackout verhindern“, ist dürftig bis nutzlos.
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Es gibt Mandatsträger Ihrer Partei, die ja sehr, sehr gerne nach Osteuropa reisen. Die reisen immer nur ein bisschen zu weit. Die reisen jetzt in Gebiete, die Russland annektieren will, und spielen dort Wahlbeobachter. Herr Chrupalla, Sie rekurrieren in Ihren einleitenden Worten noch Merkwürdiges über Polen.
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Dafür bitte ich Polen an dieser Stelle im Namen des Hauses um Entschuldigung.
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Denn wenn es ein Land gibt, das weiß, was russische Bedrohung ist und was es bedeutet, im Konzert der EU-Partner unabhängig davon zu werden, dann ist es Polen.
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Wenn es darum geht, einen Blackout zu verhindern, dann verlieren Sie nicht wirklich irgendwelche nützlichen Worte dazu – im Gegenteil. Herr Chrupalla, ich zitiere Sie: Wir brauchen russisches Gas. – Ich bitte Sie eindringlich, diese Aussage zu überdenken. Und ich richte diese Bitte von dieser Stelle aus auch an den sächsischen Ministerpräsidenten.
({4})
Sie nehmen natürlich überhaupt nicht zur Kenntnis, welche Maßnahmen die Bundesregierung bereits unternommen hat, teilweise auch mit Unterstützung der CDU/CSU, wofür ich mich ausdrücklich bedanke. Wir haben im Rekordtempo LNG aufs Gleis gesetzt. Wir weiten die Versorgung mit Biogas aus. Wir treiben die Erneuerbaren voran. Es zeichnet sich jetzt auch eine Lösung für den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke ab, wo wir Freie Demokraten allerdings auch im Sinne einer Preissenkung explizit dafür eintreten, dass alle drei bitte schön am Netz bleiben.
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Und vor allen Dingen suchen wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnern nach Lösungen. Aber das ist Ihnen ja völlig fremd.
Sie ziehen nicht nur in der kurzen Frist die falschen Konsequenzen, sondern Sie sind auch völlig damit überfordert, strategisch in der mittleren und langen Frist so zu denken: dass Deutschland unabhängig wird von Energieträgern, die von Despoten geliefert werden.
Und ich sage Ihnen eines voraus: So schwer die Krise ist – und das ist sie unbestritten –, so sehr boostert sie längst im deutschen Mittelstand innovative Lösungen, die zum Beispiel im Bereich der Gebäudeenergie sogar mit bestehender Technik durch digitale Steuerungen zu Energieeinsparungen, zu mehr Energieeffizienz führen werden, die Sie sich nicht vorstellen können. Aber das ist ja nichts Neues. Sie können sich vieles nicht vorstellen.
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Ich sage Ihnen eines: Auf meiner Sommertour über die Marktplätze meiner Heimatstadt Mannheim kam eine Seniorin auf mich zu, die mir sagte: Wissen Sie was, Herr Stockmeier? Ich habe keine üppige Rente. Aber Putin greift nicht nur die Ukraine an. Putin greift unser freiheitliches, demokratisches System an,
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und wir müssen alle unseren Beitrag leisten, dass wir da durchkommen. Der Beitrag, den ich leisten kann, der ist gering, Herr Stockmeier, aber ich will ihn gerne leisten. – Dieser Seniorin, die ich vom Namen her nicht kenne, rufe ich von dieser Stelle aus zu: Sie wären würdiger, in diesem Hohen Haus zu sitzen und zu sprechen, als die gesamte AfD- Fraktion.
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Ich danke Ihnen herzlich.
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Das Wort erhält der Kollege Fabian Gramling für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir haben ein Gasproblem und auch ein Stromproblem. Die Erkenntnis ist ja in der Zwischenzeit auch beim Energieminister angekommen, was wir ausdrücklich begrüßen. Aber weil die Regierung monatelang gezögert und auch gezaudert hat, kann heute niemand von uns sagen, wie die Situation in diesem Winter sein wird. Ich möchte damit einmal ausdrücklich unterstreichen, dass wir als Unionsfraktion die Regierung im Ausschuss immer konstruktiv begleitet haben, dass wir auf die Einhaltung von Fristen verzichtet haben und dass wir wichtige Maßnahmen zügig mit vorangebracht haben. Die dritte Novelle des EnSiG zeigt, dass die Regierung immer nachgesteuert hat, was ich in dieser schwierigen Zeit auch absolut in Ordnung finde.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir bereits im März dieses Jahres Forderungen aufgestellt haben, welche die Regierung teilweise erst jetzt, im September und damit über sechs Monate später, aufgreift und umsetzt.
({0})
Verstehen Sie mich nicht falsch: Als Opposition haben wir absolut nichts dagegen, wenn Sie Ideen von uns – und sei es Wochen später – umsetzen. Wir haben aber bereits im März darauf hingewiesen, dass wir diese Zeit aktuell nicht haben, dass die aktuelle Situation es nicht zulässt, dass wir Wochen verstreichen lassen, ins Land laufen lassen.
({1})
Damit haben wir wertvolle Zeit verloren.
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Was unsere mahnenden Worte im März waren, das sind auch unsere mahnenden Worte jetzt im September: Nutzen Sie endlich alle Kapazitäten und Möglichkeiten, um auf den Winter bestmöglich vorbereitet zu sein!
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Das Zögern und Zaudern der letzten Monate hat der Versorgungsicherheit in unserem Land geschadet.
Das gleiche Spiel erleben wir in diesen Tagen und auch in diesen Stunden bei der Gasumlage. Diese Diskussion geht an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbei; denn schon heute wissen viele Menschen nicht, wie sie die Energierechnung von morgen überhaupt noch bezahlen sollen, wissen nicht, ob sie überhaupt genug Energie bekommen, und auch nicht, ob ihr Job im nächsten Jahr überhaupt noch sicher ist. Diese Unsicherheit in der Bevölkerung wird durch das Ampelchaos leider nur weiter befeuert.
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Und was macht die Regierung? Bis heute sind wenige Kohlekraftwerke ans Netz zurückgekehrt. Dafür ist die Gasverstromung auf einem neuen Rekordniveau. Die Menschen im Land sollen Gas sparen, während die Regierung das Gas verfeuert wie noch nie zuvor. Die Ampel hat den Sommer genutzt, um über Duschtipps zu informieren und zu diskutieren, statt sich in der Regierung einmal abzustimmen, wie man in den Herbst gehen möchte.
Heute hat das Kabinett beschlossen, dass Werbeanlagen von 22 bis 6 Uhr nicht beleuchtet werden dürfen. Auch das Beheizen privater Pools soll verboten sein – außer wenn sie dadurch frostfrei gehalten werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ja alles schön und gut; aber Spanien hat bereits vor der Sommerpause klare Regeln aufgestellt.
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Wir fordern, einen Bund-Länder-Gipfel einzuberufen, weil man besser an einem Tisch miteinander spricht als über eine Pressekonferenz.
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Wir begrüßen ausdrücklich die Erkenntnis des Ministers, dass zwei Kernkraftwerke in der Reserve bleiben sollen; das begrüße ich aus Sicht der Versorgungssicherheit. Aber ich frage mich schon, was dann mit dem dritten Kernkraftwerk, in Niedersachsen, ist. Das Kernkraftwerk Emsland muss, so ist es geplant, Ende des Jahres abgeschaltet werden
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– weil wir genug Windstrom haben: das kann man auch so sagen; wunderbar –, und stattdessen wird ein schwimmendes Ölkraftwerk angelandet, um genug Strom zu produzieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist absurd.
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Gerade in der kalten Jahreszeit brauchen wir, wenn wir kein Glück mit dem Wetter haben, wenn eine Dunkelflaute herrscht, ausreichend Grundlastleistung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Januar dieses Jahres hat die Klimaredaktion des WDR eine Bilderfolge „Entspannt in den Blackout“ veröffentlicht, mit flapsigen Tipps, was man bei einem Blackout so alles machen könnte. Diese Tipps fand ich schon damals deplatziert, weil ein Blackout für unser Land eine katastrophale Wirkung haben könnte.
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Das war vor dem Angriffskrieg Putins auf die Ukraine. Aber bereits damals gab es kritische Stimmen, dass die Ampelregierung zu wenig für die Versorgungssicherheit in unserem Land unternimmt.
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Heute ist die Situation anders: Es geht um Existenzen, es geht um Jobs, es geht um unseren Wohlstand. Deshalb fordere ich die Regierung auf: Handeln Sie jetzt, bevor im Winter nicht nur die Heizung ausgeht, sondern auch das Licht. Schließen Sie endlich Solidaritätsabkommen mit unseren europäischen Nachbarn ab! Und schaffen Sie alle Hürden, alle Deckelungen bei den erneuerbaren Energien ab!
Vielen Dank.
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Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist Robin Mesarosch für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Blackouts in Deutschland, darüber will die AfD reden. Ich finde, es ist ein guter Anlass, am Anfang zur Kenntnis zu nehmen, dass eine Partei, die immer vor sich herträgt, man dürfe in Deutschland nicht alles sagen, eine Stunde Zeit bekommt, damit sich 13 Abgeordnete im Bundestag zu ihrem Thema äußern können.
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Ich muss sagen, ich finde es gut, dass Sie das dürfen. Ich finde es nur schade, was Sie daraus machen, nämlich inhaltlich nichts.
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Dafür stiften Sie viel zu viel Chaos und Panik, was wir gerade in so einer Krise nicht brauchen.
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Wenn man sich mit Ihnen über Blackouts unterhält, muss man gar nicht so viel von unserem Stromnetz verstehen, man muss nicht viel von Technik verstehen, man muss sich vor allem mit Kommunikation auskennen – oder, in Ihrem Fall, besser mit Propaganda. Sie haben Glück: Ich kenne mich mit beidem aus,
({3})
mit unserem Stromnetz und mit Kommunikation. Deswegen kauen wir das jetzt beides einmal durch.
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Kommen wir zu dem technischen Teil. Sie werfen Blackouts hier immer so fröhlich durcheinander mit Stromausfällen. Halten wir erst mal fest, dass Blackouts etwas völlig anderes sind als Stromausfälle.
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Bei einem Blackout – ich vereinfache das einmal für Sie – fallen große Teile des europäischen Netzes aus, und man muss verdammt viel dafür tun, um das Netz in den Gebieten wieder zum Laufen zu bringen. Das passiert nicht in Deutschland, und es wird – ich greife meiner Erklärung jetzt einmal vor – auch diesen Winter nicht passieren.
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Ein Stromausfall ist etwas anderes, das passiert auf lokaler Ebene. Das ist auch schlimm und verursacht immer volkswirtschaftliche Schäden – in Unternehmen kann der Betrieb nicht weiterlaufen, zu Hause ist es unangenehm –, aber das ist etwas anderes als Blackouts. Um auch das vorherzuschicken: Die Zahl der Stromausfälle ist in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen.
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Also, dieses Chaos, in das Deutschland stürzt, das sehen irgendwie nur Sie, und da muss ich mich schon fragen: Warum?
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– Wenn Sie es als Ideologie bezeichnen, dass ich hier zwei Begriffe trenne, Blackouts einerseits, Stromausfälle andererseits,
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will ich Ihnen noch mal an einem Beispiel erklären, das Sie begreifen, warum es wichtig ist, auf den Unterschied zu achten: Sie regen sich jedes Mal auf wie Rumpelstilzchen, wenn man Sie alle als Nazis bezeichnet. So geht es dem handelsüblichen Stromausfall auch; der ärgert sich, wenn er als Blackout bezeichnet wird.
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Der Unterschied ist: Bei Ihnen trifft es leider zu.
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Auf den Stromausfall in Deutschland hat es nicht zugetroffen, dass es ein Blackout ist.
Worauf ich mich beziehe, ist Wissenschaft. Worauf Sie sich beziehen, ist irgendein Typ, den Sie auf Google oder in einer Telegram-Gruppe gefunden haben. Wenn Sie im Bundestag sitzen wollen, dann ist das der Anspruch, den ich an Sie stelle: nicht, dass Sie irgendwie zu Anstand zurückkehren oder meine Ideen übernehmen – die Hoffnung habe ich nicht –,
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aber dass Sie sich mit dem beschäftigen, was Sie Realismus nennen, und das tun Sie eben leider nicht.
Es wurden zwei Stresstests durchgeführt – das haben die Kolleginnen und Kollegen gesagt –, die doch klar gezeigt haben: Es droht kein Blackout in Deutschland, es wird nicht dazu kommen. Was – in einem Worst-Case-Szenario, wenn alle schlimmen Situationen zusammenkommen – notfalls notwendig sein kann, ist ein Lastabwurf. Das ist ein blödes Wort. Es meint, dass man gezielt Teile des Netzes kurzzeitig abschalten muss. Und das versuchen wir mit allen Mitteln zu vermeiden. Das bereiten wir jetzt vor, in dieser Krise, so rechtzeitig, wie es nur geht, mit allen Mitteln, die sinnvoll sind.
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Daran beteiligen Sie sich gar nicht. Sie erzählen diese Geschichte, die nicht stimmt. Wir suchen nach einer Lösung für das, was tatsächlich ein Problem ist, ein Problem sein könnte. Darin unterscheiden wir uns.
Warum haben wir überhaupt ein Problem? Na ja, Frankreich – man hat es eben gehört – hat ein Problem mit seinen Atomkraftwerken. Ich fand es interessant, dass Sie das als Gelegenheit genutzt haben, hier einzuwerfen, sie seien schon vor Jahren dafür gewesen, dass Deutschland mehr Atomkraftwerke bekommt. Zum Glück haben wir nie auf Sie gehört!
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In Frankreich laufen im Moment nur 27 von 56 Atomkraftwerken. Deutschland hat dieses Jahr bis zum Sommer schon mehr Strom exportiert als 2020 und 2021. Wir erzeugen in Deutschland viel Strom.
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Auch das ist eine Tatsache, die Sie aus irgendwelchen Gründen nie zur Kenntnis nehmen. Natürlich bekommen wir ein Problem, wenn Frankreich ein Problem hat. Aber, wie gesagt, das lösen wir mit Mitteln, die sinnvoll sind, und das lösen wir nicht mit mehr Panik von Ihrer Seite.
Diese Geschichte mit den Blackouts ist eine ganz alte Geschichte. Diese haben Sie schon früher erzählt, weil Sie gegen die erneuerbaren Energien waren. Erneuerbare Energien sind die günstigste Art, Strom zu erzeugen.
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Mit erneuerbaren Energien können wir ein Netz sicher am Laufen halten.
Zur damaligen Zeit haben Ihre Geschichten nicht verfangen. Jetzt wärmen Sie diese wieder auf. Auch das wird nicht zum Erfolg führen. Wir sagen ganz klar: Es wird keinen Blackout geben. Wir tun alles dafür, um den Lastabwurf zu vermeiden. Wir bitten Sie, damit aufzuhören, Panik zu schüren, da es keinen Grund dafür gibt.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Damit ist es auch gut für heute.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Pause ist jetzt vorbei. Wir sprechen über ein wichtiges Thema, in das ich Sie mit diesem Alltagserlebnis ein bisschen reinholen möchte. Sie kennen es vielleicht: Man trifft sich am Wertstoffhof, hat mühsam Dosen und Flaschen zusammengesammelt und unterhält sich. Am Ende dieses Dialogs fällt dann meistens der Satz: Diese ganze Mülltrennung bringt doch gar nichts; am Ende wird sowieso alles zusammengeworfen und verbrannt.
Klar ist: So pauschal stimmt das natürlich nicht. Deutschland hat ein gutes System, gerade mit der gelben Tonne, deren Inhalt weiterverwendet wird. Da geht es um Getränkekartons, Weißblech und auch um Plastikflaschen. Aber leider landet fast unser gesamter Restmüll – über 13 Millionen Tonnen – in der Müllverbrennung. Damit gehen wertvolle Stoffe wie Kupfer, Altglas oder Plastik verloren. Und das ist doppelt schwierig, zum einen, weil wir so einen höheren CO2-Ausstoß produzieren, und zum anderen, weil wir eben auch Rohstoffe verheizen und durch den Schornstein hinausblasen, und das in Zeiten einer weltweiten Rohstoffknappheit.
Mir ist selbstverständlich bewusst, dass wir heute nicht über eine Gesamtstrategie der Kreislaufwirtschaft beraten. Aber wir müssen uns schon fragen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ob wir die Müllverbrennung weiter subventionieren wollen. Ich meine, nein. In den vergangenen Jahren haben die Müllverbrenner rund 1 Milliarde Euro gespart, weil Abfallbrennstoffe nicht, wie es eigentlich sinnvoll gewesen wäre, von Anfang an in die CO2-Bepreisung miteinbezogen wurden. Währenddessen haben alle anderen das Geld für die CO2-Zertifikate bezahlt: die Industrie, Mieter/-innen, Autofahrer/-innen – die Müllverbrenner aber nicht. Das ist wirklich nicht fair; denn das Molekül CO2 ist ja nicht weniger schädlich, weil es aus dem Müllverbrenner statt aus dem Auspuff kommt. Deswegen müssen wir das ändern.
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Wir rechnen bei einer Einbeziehung der Müllverbrennung in die CO2-Bepreisung allein 2023 mit zusätzlichen 900 Millionen Euro Einnahmen im Klima- und Transformationsfonds. Das ist Geld, welches wir den Bürgerinnen und Bürgern wieder zurückgeben können, zum Beispiel über das Klimageld.
Jetzt sagen die ein oder anderen: Können die Müllverbrenner das denn überhaupt bezahlen? – Da muss ich ehrlich sagen: Wer die Energiepreise verfolgt hat, der stellt fest, dass es sehr, sehr große Mehreinnahmen bei Wärme und Strom gibt – das sind 460 Prozent Mehreinnahmen in diesem Jahr –, während sich die Kosten für die Müllverbrennung aber nicht verändert haben. Deswegen warne ich wirklich davor, die Einführung jeglicher Preisinstrumente der Klimapolitik jetzt irgendwie aufgrund der hohen Preise für fossile Energieträger verschieben zu wollen. Wir berauben uns der Mittel im Haushalt, und wir werfen zwei Dinge in einen Topf, die nicht zusammengehören; wir vergleichen Äpfel mit Birnen. Ein langfristiges Instrument zur Transformation wie den CO2-Preis zu vergleichen mit kurzfristigen, schockartigen Preissteigerungen, die wir im fossilen Bereich vorfinden, das ist absolut falsch.
Wer jetzt wieder die alte Diskussion aufmacht und versucht, Klimaschutz gegen soziale Gerechtigkeit auszuspielen, dem muss ich sagen: Dann sagen Sie doch jetzt gleich deutlich, dass Sie uns direkt in die nächste Energiekrise reinmanövrieren wollen, wo wir in ein paar Jahren wieder unsere Abhängigkeiten von fossilen Energien und unsere mangelnde Effizienz beklagen.
({1})
Der muss dann auch ehrlich sagen, dass er die Transformation weiter blockieren will, und zwar gerade den Menschen, die jetzt in den schlechtsanierten Häusern sitzen. Warum sitzen sie in diesen schlechtsanierten Häusern? Warum leiden viele jetzt unter den hohen Preisen für fossile Energieträger? Weil in der Vergangenheit die politische Mehrheit nicht mutig war, ordnungsrechtliche und preispolitische Instrumente anzuwenden und die Umweltfolgen in die marktwirtschaftlichen Berechnungen miteinzubeziehen, und das muss aufhören.
({2})
Der Bereich Abfall hat seinen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Das haben wir auch überparteilich im Rahmen des Klimaschutzgesetzes beschlossen; die Klimaziele wurden ja auch noch mal erhöht. 21 Millionen Tonnen CO2 entstehen jährlich aus der Abfallverbrennung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, an diese Emissionen müssen wir ran.
({3})
Klar ist auch: Jede erfolgreiche Maßnahme gegen die Klimakrise ist ein Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Denn Menschen mit hohem Einkommen haben einen größeren CO2-Fußabdruck, und sie müssen jetzt ihren fairen Anteil beitragen. Ärmere Menschen sind gerade von den Verteuerungen extrem stark – unverhältnismäßig stark – betroffen. Das sehen wir doch in der Diskussion, die wir jetzt führen.
Deswegen freue ich mich auf die weiteren Beratungen und auf mehr Klimaschutz, wenn wir es bald verabschiedet haben werden.
Vielen, vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Vielen Dank. – Als Nächstes erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Thomas Gebhart.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Worüber reden wir heute Nachmittag? Die Bundesregierung hat ein Gesetz vorgelegt. Dieses Gesetz sieht vor, dass ab dem 1. Januar 2023 für die Müllverbrennung in Deutschland eine CO2-Abgabe eingeführt wird. Die Folge wird sein: Die Müllgebühren in Deutschland werden im nächsten Jahr steigen. Das Geld, das die Menschen und die Unternehmen zusätzlich zahlen müssen, soll an den Bund gehen. Der Bund plant im ersten Jahr 900 Millionen Euro Mehreinnahmen ein, und dies in den Folgejahren steigend.
Fünf Punkte dazu:
Erstens. Deutschland ist im Moment in einer Krise. Wir haben ein massives Problem mit steigenden Preisen, mit der Inflation. Diese Inflation setzt den Menschen und den Unternehmen im Moment zu. Es wäre in dieser Situation die Aufgabe des Staates, die Menschen und die Unternehmen zu unterstützen, zu entlasten, die Inflation zu bekämpfen. Und was schlagen Sie mit diesem Gesetz vor? Sie schlagen das Gegenteil vor, nämlich die Menschen zusätzlich zu belasten. Mit diesem Gesetz wird die Inflation nicht bekämpft, sondern sie wird weiter angeheizt. Deswegen beim besten Willen: Dieses Gesetz passt schlicht und ergreifend nicht in diese Zeit.
Ein zweiter Punkt. Es ist ja überhaupt keine Frage, dass es notwendig ist, beim Klimaschutz voranzukommen. Und es ist überhaupt keine Frage, dass es grundsätzlich richtig ist, dass CO2 einen Preis bekommt.
({0})
Aber so wie es in diesem Gesetz vorgeschlagen ist, wird die CO2-Bepreisung gar keine Lenkungswirkung entfalten, und es ist mehr als fraglich, ob über diesen Mechanismus überhaupt Abfälle eingespart werden. Wenn man dies erreichen will, dann wäre es vielmehr wichtig, dass man am Anfang der Kette ansetzt, bei den Herstellern,
({1})
dass man dort Anreize setzt, dass Produkte von vornherein so gestaltet werden, dass am Ende möglichst wenig Abfälle entstehen und, wenn sie entstehen, davon möglichst viel und umfassend recycelt werden kann.
({2})
Ein dritter Punkt. Wenn ein CO2-Preis eingeführt wird – darauf hat der Sachverständigenrat vor Kurzem noch einmal deutlich hingewiesen –, dann braucht es gleichzeitig einen Rückerstattungsmechanismus.
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Denn es ist klar: Die CO2-Bepreisung muss einhergehen mit einer gleichzeitigen Entlastung. Die CO2-Bepreisung darf eben nicht zu einem reinen Einnahmeinstrument des Staates werden, sondern sie soll ein Lenkungsinstrument sein. In diesem Gesetz fehlt dieser Rückerstattungsmechanismus. So wie es hier vorgesehen ist, wird die CO2-Abgabe für die Müllverbrennung ein reines Einnahmeinstrument des Staates.
Ein vierter Punkt, der die Sache, finde ich, noch kritischer macht. Durch dieses Gesetz entsteht eine soziale Schieflage. Es ist doch völlig klar: Steigende Müllgebühren belasten Bezieher kleiner Einkommen verhältnismäßig viel stärker als die höherer Einkommen. Auch darüber müssen Sie sich im Klaren sein.
({4})
Fünfter und letzter Punkt. Es ist zu befürchten – das sagen ja viele Fachleute, die sich mit dieser Thematik beschäftigen –, dass, wenn Deutschland an dieser Stelle jetzt einen nationalen Alleingang macht – und das wäre ein nationaler Sonderweg –, Abfälle in andere Länder exportiert werden; Länder, die teilweise laxere Umweltstandards als wir in Deutschland haben,
({5})
Länder, die niedrigere Verbrennungspreise als wir in Deutschland haben. Mitunter wird in anderen Ländern Abfall sogar noch deponiert. Wenn dieser Effekt einträte, wenn also das Gesetz dazu führte, dass Abfälle teilweise exportiert werden, dann könnte es unterm Strich nicht nur keine Lenkungswirkung entfalten, sondern sogar zu einem Rückschritt im Klimaschutz führen, das heißt zu mehr Emissionen als heute. Und das kann einfach nicht gewünscht sein.
Meine Damen und Herren, es ist zu befürchten, dass dieses Gesetz, so wie es jetzt vorgelegt wird, zu einem reinen Einnahmeinstrument des Staates wird. Das passt nicht in die Zeit. Die Lenkungswirkung ist mehr als fraglich. Wenn es schlecht läuft, könnte es mit Blick auf den Klimaschutz sogar kontraproduktiv sein.
({6})
Deswegen ist meine eindringliche Bitte: Nehmen Sie diese Argumente ernst, und überprüfen Sie dieses Gesetzesvorhaben.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Als Nächstes erhält das Wort für die SPD-Fraktion Dr. Nina Scheer.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CO2-Bepreisung ist ein Instrument, um zwei Dinge zu erreichen: erstens, dass Brennstoffe, die CO2-intensiv sind, möglichst aus dem Markt gedrängt werden; das ist die eine marktwirtschaftliche Komponente. Wir haben aber auch noch eine zweite an den Markt anknüpfende Komponente, nämlich dass eine Bepreisung der Schädlichkeit – da ist CO2 mit adressiert; man kann aber auch andere Schadstoffe adressieren; es gibt verschiedene Dinge, die Schädlichkeiten aufweisen – Marktgerechtigkeit für all die anderen Produkte bringt, die eben nicht diese Schädlichkeit aufweisen. Auch dies ist eine Lenkungswirkung, die durch CO2-Bepreisung grundsätzlich eintreten kann.
Wir sind auf verschiedenen Pfaden – auf der europäischen Ebene über den Emissionshandel, auf nationaler Ebene über das Brennstoffemissionshandelsgesetz – dabei, uns dieser Preisgerechtigkeit, das heißt sowohl der Herausnahme ansonsten enthaltener stiller Subventionen als auch der Bepreisung von CO2, zu widmen.
In dem Entwurf des Brennstoffemissionshandelsgesetzes, der uns jetzt vorliegt und heute in erster Lesung beraten wird, ist angelegt, dass eine weitere Erhöhung der Kosten kommt. Wir müssen uns jetzt aber zugleich mit der Situation auseinandersetzen, dass diese Erhöhung nicht im luftleeren Raum steht und in puncto Lenkungswirkung ihr Ziel natürlich verfehlt, wenn Alternativen noch nicht greifbar sind bzw. jetzt akut die Frage der Überforderung von Menschen im Raum steht. Insofern sind wir an verschiedenen Stellen mit den Entlastungspaketen dabei, die Menschen zu entlasten: Die Bundesregierung hat schon 90 Milliarden Euro auf den Weg gebracht; wir haben schon bis zu 30 Milliarden Euro in die Umsetzung gebracht. An weiteren Paketen wird gearbeitet. Dieses Volumen zeigt die Dramatik und den Umfang, in dem zurzeit an Preisschrauben gedreht wird, um die Menschen zu entlasten, weil wir in einer massiven fossilen Energiemarktkrise stecken.
Vor diesem Hintergrund sind auch die Verhandlungen über diesen jetzt von uns eingebrachten Gesetzentwurf zu sehen – auch unter Bezugnahme der Vereinbarungen in der Ampelkoalition darüber, dass wir in diesem Jahr keine Erhöhungen wollen, weil wir keine Überforderungen der Menschen möchten. Das ist eine Verständigung, die sich natürlich auch in diesem Gesetzgebungsverfahren niederschlagen wird.
({0})
In diesem Sinne möchte ich den weiteren Beratungen nicht vorgreifen und erlasse uns ein paar Minuten, die an anderer Stelle dringend gebraucht werden.
({1})
Solche Übertragungen akzeptieren wir nicht so ohne Weiteres.
({0})
– Für die Allgemeinheit – das ist wunderbar, sehr lobenswert.
({1})
Als Nächstes erhält das Wort Karsten Hilse für die AfD-Fraktion.
({2})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Landsleute! Die grünen Kommunisten führen das fort, was die Spezialdemokraten und die grünen CDU-Genossen unter Frau Merkel begonnen haben:
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die nachhaltige Zerstörung unserer Wirtschaft und Lebensgrundlagen. Deutschland befindet sich in der dramatischsten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Die dümmste Energiepolitik der Welt – angetrieben von durchgeknallten Klimafundamentalisten –, die die über Generationen aufgebaute sichere und preiswerte Stromversorgung zerstörte, beschert den Menschen die höchsten Energiepreise der Welt. Traditionsunternehmen gehen reihenweise pleite oder kündigen an, noch in diesem Winter in die Insolvenz zu schlittern, oder verlagern ihre Produktion ins Ausland. Nun wurde auch noch dafür gesorgt, dass Deutschland nicht vielleicht doch noch Nord Stream 2 in Betrieb nimmt. Achtung Sarkasmus: Uns diese Entscheidung abzunehmen, ist ein wahrer Freundschaftsdienst, von wem auch immer. – Sarkasmus Ende.
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In dieser Situation durch eine Ausweitung der CO2-Steuer eine weitere Verteuerung der Energie vorzunehmen, ist dumm, verantwortungslos, ja geradezu kriminell.
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Immer deutlicher ist erkennbar, dass das Handeln des Wirtschaftszerstörungs- und Energieverknappungsministers nicht aus mangelnder Kompetenz herrührt,
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sondern dass er einfach nur knallhart den Plan abarbeitet, den ihm seine Auftraggeber aus Übersee ins Hausaufgabenheft geschrieben haben. Teil dieses Plans ist es natürlich, durch eine weitere Erhöhung der Energiepreise dieses Land zielgenau in den Ruin zu steuern, dass in den nächsten Monaten Millionen und Abermillionen wertschöpfende Arbeitsplätze abgebaut werden und dass dann Millionen von Haushalten frierender Arbeitsloser auf die wenigen Almosen des Staates warten, welche Sie vollmundig als „Entlastungspakete“ bezeichnen, die die Inflation aber innerhalb weniger Monate wegfrisst, also wertlos macht.
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Mit Minister Habeck haben die Deutschlandhasser und ‑zerstörer einen willfährigen Vollstrecker. Er weiß zwar nicht, was Insolvenz bedeutet und dass man ohne Energie nicht nur nicht heizen, sondern auch nicht arbeiten kann.
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Er glaubt, mit frisch gedrucktem Geld – es ist ja nur Geld – könnte er seine Träume von der Erlösung durch die Klimareligion nach wie vor umsetzen; koste es, was es wolle, und wenn es das eigene Volk ist.
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Verehrte Grüne aller Fraktionen, wacht endlich auf und verweigert diese Irrsinnsarbeit. Dieses Gesetz gehört, ebenso wie die erste Fassung, auf den Müllhaufen der Geschichte, ebenso wie alle anderen Gesetze und Verordnungen, in denen das Wort „Klimaschutz“, in welcher Verbindung auch immer, vorkommt. Weg damit!
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Es geht wirklich nicht länger um die wahnhafte Idee vom Klimaschutz, es geht längst um den Fortbestand Deutschlands, um unsere Heimat und unser Überleben.
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Jeder klar denkende Mensch weiß: Kostengünstige und bedarfsgerecht zur Verfügung stehende Energie ist der Schlüssel zu allem:
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zu einer funktionierenden Wirtschaft und damit zu Wohlstand für unsere Bürger. Unsere Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch: Weiterbetrieb der Kern- und Kohlekraftwerke, schnellstmöglicher Beginn der Schiefergasgewinnung,
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Kappen des Merit-Order-Prinzips – auch Bereichere-dich-auf-Kosten-der-Verbraucher-Prinzip –, Senkung der Energiesteuer, Streichung der irrsinnigen CO2-Steuer, Ausstieg aus dem CO2-Zertifikatehandel.
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Allein diese wenigen Maßnahmen würden binnen weniger Wochen und Monate zu einer spürbaren Entlastung der Märkte führen und den Preis für Energie wieder bezahlbar machen. Dann könnten Sie sich jede Gasumlage, aber auch viele Milliarden Euro Entlastungspakete sparen.
Lassen Sie endlich den Menschen die Freiheit, für sich selbst zu sorgen. Wer dieser Forderung nach Freiheit Nachdruck verleihen möchte, den lade ich recht herzlich ein, mit uns gemeinsam am 8. Oktober hier in Berlin ein deutliches Zeichen für Frieden, Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben zu setzen.
Vielen Dank.
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Als Nächstes erhält das Wort für die FDP-Fraktion der Kollege Olaf in der Beek.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir machen mit dem Brennstoffemissionshandelsgesetz einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung einer marktwirtschaftlichen und konsequenten CO2-Bepreisung. Das ist auch gut so. Der Emissionshandel ist das effektivste System zur Reduzierung von Emissionen. Geben wir allen CO2-Emissionen einen Preis, haben wir die Chance, uns endlich von lästigen und kleinteiligen Regulierungen zu befreien. Die würden Wirtschaft und Verbraucher viel mehr belasten als das, was einige jetzt an zusätzlichen Kosten befürchten. So schaffen wir Planungssicherheit für alle und regen Innovation und Fortschritt an.
Wer in Emissionsreduktion investiert, spart CO2-Kosten. Natürlich muss das auch für die Abfallverbrennung gelten. Sie muss genauso einer CO2-Bepreisung unterliegen wie andere Emissionsverursacher.
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Dass sie in den Geltungsbereich des BEHG aufgenommen werden soll, ist übrigens von Beginn an so vorgesehen und keine neue Idee, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wer hier überrascht sein sollte, der hat offensichtlich die letzten Jahre verschlafen.
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Es ist konsequent und fair, die Abfallverbrennung mit einzubeziehen. Wir schaffen damit gleiche Wettbewerbsbedingungen nicht nur zwischen den Sektoren, sondern auch innerhalb der Abfallverbrennung. Kraftwerke und Zementhersteller, die Abfälle als Ersatzbrennstoffe nutzen, zahlen den CO2-Preis über den EU‑Emissionshandel nämlich schon lange.
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Ein Vorwurf, der mir in der Debatte immer wieder begegnet: Ein CO2-Preis in der Abfallverbrennung würde keine Lenkungswirkung entfalten. Das BEHG ist in erster Linie ein Mengensteuerungsinstrument, damit wir unsere Klimaziele erreichen. Da muss jeder seinen Beitrag leisten, egal in welchem Sektor. Es gibt immer schlaue Wege, Emissionen zu vermeiden und damit Zertifikate einzusparen. Ich vertraue da voll auf die Kreativität und die Ideen unserer Abfallwirtschaft. Der CO2-Preis wird Anreize für mehr Abfalltrennung und Recycling setzen. Noch werden Kunststoffe und hochwertige Gewerbeabfälle in riesigen Mengen in Müllverbrennungsanlagen zulasten des Klimas mit verbrannt.
Verorten Sie sich gedanklich bitte einmal in Ihre Städte und Landkreise. Es würde mich nicht wundern, wenn bei einigen bis dato noch nicht einmal angekommen ist, dass Mülltrennung praktizierter Klimaschutz ist; denn die Müllverbrennung ist zum Teil so kostengünstig, dass der Aufwand einer getrennten Abfallsammlung gar nicht erst betrieben wird. Der CO2-Preis wird zukünftig helfen, dieses preisliche Missverhältnis zu beheben.
Und reden wir einmal über Belastungen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Was wir natürlich in Anbetracht der aktuell angespannten Lage ernst nehmen müssen, sind Bedenken, dass nun zusätzliche Kosten auf Menschen und Unternehmen zukommen könnten. Deshalb muss es natürlich eine Diskussion geben, ob wir das Inkrafttreten analog zur Verschiebung der CO2-Preiserhöhung um mindestens ein Jahr nach hinten verschieben, auch um kein falsches politisches Signal an die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen zu senden.
Trotzdem möchte ich die Diskussion auch in diesem Punkt auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Die vorliegenden Prognosen gehen davon aus, dass es sich auch in den kommenden Jahren noch um eine ein- bis zweistellige jährliche Summe pro Haushalt handelt. Aber sei’s drum: Alle Belastungen für Haushalte und Unternehmen müssen sorgfältig abgewogen werden. Das werden wir in den Berichterstatterrunden sicherlich tun.
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Wir haben im Koalitionsvertrag die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger per Klimageld und der Wirtschaft aus dem Klima- und Transformationsfonds beschlossen. Die zusätzlichen Einnahmen aus dem BEHG stehen dann genau dafür zur Verfügung.
Unser übergeordnetes Ziel muss es natürlich sein, europaweit alle CO2-Emissionen in einen einheitlichen Emissionshandel einzubeziehen.
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Wir unterstützen auch die Einbeziehung der Abfallwirtschaft in den EU ETS. Das BEHG ist das richtige Mittel auf dem Weg dorthin. Andere Staaten – lieber Kollege Gebhart, da muss ich wiedersprechen – sind da schon weiter als wir.
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In Schweden und Dänemark müssen Müllverbrennungsanlagen heute sogar die teureren EU‑ETS-Zertifikate kaufen.
Deutschland wird mit diesem Schritt seine Klimaziele zukünftig besser und effektiver erreichen. Nun freue ich mich auf die weiteren Beratungen mit den anderen Berichterstattern, um in den kommenden Wochen ein effizientes und zielgerichtetes Gesetz vorlegen zu können.
Vielen Dank.
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Für Die Linke erhält das Wort Dr. Gesine Lötzsch.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie bei jedem Gesetz stellt sich die Frage: Wer soll das letztendlich bezahlen? Wir können doch alle sicher sein, dass die Abfallentsorger die Kosten eins zu eins an die Bürgerinnen und Bürger weitergeben werden. Das darf nicht sein, meine Damen und Herren.
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Die Bundesregierung spricht ständig von Entlastungen; aber in jeder Woche sollen neue Erhöhungen beschlossen werden. Schauen Sie doch mal auf die Realität! Ein Kraftfahrer aus Niedersachsen berichtete, dass sein Energieversorger den Abschlag von 480 Euro auf 1 050 Euro im Monat erhöht hat. „Wie soll dieser Mann überleben?“, frage ich Sie.
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Meine Damen und Herren, wir erleben eine Preisexplosion, und nun sollen die Mieterinnen und Mieter noch zusätzlich mit CO2-Preisen belastet werden. Das lehnen wir ab. Die CO2-Preise sind der falsche Weg. Die Preise müssen gesenkt und nicht noch künstlich erhöht werden.
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Sie sagen: „Die Menschen müssen sparen“, und geben Spartipps. Die Menschen sparen doch jetzt schon, wo sie können, weil sie nämlich befürchten, dass sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können. Das sollten Sie doch einfach mal zur Kenntnis nehmen.
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– Sie hatten doch schon Ihren Redebeitrag, quatschen Sie doch nicht immer dazwischen!
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Die Aussetzung bzw. die Verschiebung des CO2-Preises, die Sie hier angekündigt haben, ist keine Lösung. Wir als Linke sind der Auffassung, dass die CO2-Preise endlich abgeschafft werden müssen; denn sie sind der falsche Weg.
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Die marktgläubige Klimapolitik ist nämlich sozial ungerecht. Es wurde ja immer davon geredet, dass der Markt alles regelt. Sie trifft immer die Menschen am härtesten, die für wenig Geld jeden Tag arbeiten gehen müssen oder gar keine bezahlte Arbeit haben. So wird eine echte Klimawende scheitern. Mit der Marktwirtschaft ist die Klimawende nicht zu haben, meine Damen und Herren.
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In der vergangenen Woche wurde hier darüber diskutiert, wie die Aufteilung des CO2-Preises zwischen Vermietern und Mietern geschehen soll. Bisher mussten die Mieterinnen und Mieter – ich will daran erinnern, weil in jeder Woche über neue Preiserhöhungen gesprochen wird – 100 Prozent bezahlen. Dann wollten Sie laut Koalitionsvertrag zu einer hälftigen Lösung kommen. Aber selbst dieser selbst auferlegten Verpflichtung sind Sie nicht nachgekommen.
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– Melden Sie sich doch zu einer Zwischenfrage. Das ist einfach ein bisschen unprofessionell von Ihnen, meine Kollegin.
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Meine Damen und Herren, die CO2-Bepreisung soll auch gelten, wenn Kohle und Abfall verbrannt werden. Aber viele Abfälle – häusliche Abfälle, Abfälle aus dem Gesundheitswesen, schadstoffbelastete Abfälle – müssen für eine schadlose Entsorgung thermisch behandelt werden. Das wissen Sie. Und Sie wissen auch, dass die Müllverbrennungspreise eins zu eins an die Menschen weitergegeben werden.
Wir fordern, dass Preise für Strom, Gas, Miete und Lebensmittel endlich beschränkt werden. Manchmal ist es nämlich so, dass für die Menschen schon eine kleine Preiserhöhung reicht, um das Fass zum Überlaufen zu bringen, dass sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können. Es ist die Verpflichtung von uns Politikerinnen und Politikern, insbesondere der Regierung, die Menschen vor Zahlungsunfähigkeit und Armut zu schützen. Beenden Sie also das Experiment CO2-Bepreisung!
Herzlichen Dank.
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Als Nächstes erhält das Wort für die SPD-Fraktion der Kollege Timon Gremmels.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Dr. Lötzsch, es gehört auch zur Wahrheit dazu, dass bei der Einführung der CO2-Bepreisung damals verhandelt und beschlossen wurde – und es wurde zum 1. Juli umgesetzt –, dass wir dafür die EEG-Umlage abschaffen. Jetzt so zu tun, als ob es eine einseitige Belastung und keine Entlastung gegeben hätte, ist schlichtweg falsch.
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Insofern: Ich weiß, Sie hatten nur drei Minuten, und daher hat die Zeit vielleicht nicht dafür gereicht, darauf hinzuweisen. Deswegen nehme ich von meinen fünf Minuten gerne etwas Zeit, damit die Bürgerinnen und Bürger zu Hause wissen, worüber wir hier diskutieren.
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Zur Wahrheit über das Brennstoffemissionshandelsgesetz gehört auch, sehr geehrter Herr Dr. Gebhart, dass nicht sozusagen auf der Ideenwiese dieser Koalition die Idee entstanden ist, das Gesetz jetzt zusätzlich auch noch auf den Abfall zu beziehen, sondern es war doch die Große Koalition 2019, die sich selbst ins Stammbuch geschrieben hat, sich bei der nächsten Novellierung auch um das Thema Abfall zu kümmern.
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Es hätte der Redlichkeit und Ehre gedient, wenn Sie das hier erwähnt hätten. Wenn Sie das heute anders sehen, weil Sie mittlerweile Opposition sind, dann ist das durchaus legitim. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass das eine Aufgabe ist, die wir als Große Koalition damals der nächsten Regierung ins Stammbuch geschrieben haben; auch das hätte zur Wahrheit dazugehört, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Ansonsten ist der Gesetzentwurf, der hier jetzt vorliegt, auch einer, mit dem wir eine wichtige Entscheidung des letzten Koalitionsausschusses – ich weiß nicht, ob meine grünen Kollegen das gelesen haben – hinterlegen werden, nämlich die Aussetzung der CO2-Bepreisung für das nächste Jahr,
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weil es in der jetzigen Zeit wirklich nicht vermittelbar ist, eine nächste Stufe der CO2-Preiserhöhung zu nehmen. Deswegen ist es richtig, dass sich der Koalitionsausschuss einheitlich darauf verständigt hat, die 5 Euro pro Tonne im nächsten Jahr auszusetzen, ein wichtiges Signal an die Bürgerinnen und Bürger, an die Zuschauer hier. Das wird im nächsten Jahr nicht kommen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Dieser politische Beschluss wird jetzt sozusagen auch im parlamentarischen Verfahren hier eingebaut.
Natürlich muss man das Thema Abfall adressieren, wobei ich Ihnen auch ganz deutlich sage: Ich finde, da habt ihr noch ein paar andere Ideen, wie man das Thema Abfallreduzierung, Rezyklat und Recyclingwirtschaft attraktiver gestalten muss. Es muss jetzt nicht das einzige Thema sein, es über den Preis zu machen. Das kann ein Baustein sein, ist aber nicht der ausschließliche, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Nur, jetzt werden wir uns damit systematisch beschäftigen. Aber ich kann mir für die SPD-Fraktion nur schwer vorstellen, wie wir die 5 Euro Erhöhung beim CO2-Preis sozusagen jetzt aussetzen, aber gleichzeitig für die Abfallverbrennung einführen. Das wäre, glaube ich, nicht im Geiste des Koalitionsausschusses. Insofern wäre das doch ein Weg, das jetzt systematisch umzusetzen und dann im Jahr 2024 in Kraft treten zu lassen. Ich glaube, das wäre eine Möglichkeit, die wir im weiteren parlamentarischen Verfahren umsetzen können.
Ich sage Ihnen: Wie bei jedem guten Gesetzentwurf der Bundesregierung gilt auch hier das Gesetz von Peter Struck: Es hat noch kein Gesetz den Deutschen Bundestag so verlassen, wie es eingebracht wurde. Insofern freuen wir uns jetzt auf die parlamentarische Beratung, Ihre Anregungen und auch auf weitere Änderungsvorschläge, die die Koalitionsfraktionen sicherlich in diesem Bereich einbringen werden.
Ich werde jetzt der Allgemeinheit die 1:30 Minuten schenken. In diesem Sinne: Alles Gute und Glück auf!
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Als letzter Redner in dieser Debatte erhält Dr. Andreas Lenz für die CDU/CSU das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sehen ja: Es ist durchaus noch Luft drin, es bewegt sich etwas, auch in der Ampelkoalition. Wir geben Ihnen gerne auch noch die entsprechenden sachlichen Argumente, warum es notwendig ist, hier etwas zu ändern. Zunächst möchte ich aber betonen, dass wir natürlich zu den Klimaschutzzielen stehen, dass sie wichtig sind; wir sind daran gebunden. Trotzdem müssen wir immer wieder diskutieren, wie eben der richtige Weg dorthin ist.
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Wir diskutieren heute das BEHG, das Brennstoffemissionshandelsgesetz. Die Ampel will hier die thermische Verwertung, durch die Energie gewonnen wird – teils Strom, teils aber auch Wärme –, einer CO2-Bepreisung unterlegen. Jetzt muss zum einen klar sein, dass wir gerade jetzt sämtliche Potenziale hinsichtlich der Energieerzeugung für die Versorgungssicherheit brauchen. Das gilt natürlich auch hinsichtlich der thermischen Nutzung von Müllverbrennungsanlagen.
Zum anderen dürfen gerade jetzt die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht zusätzlich belastet werden; es geht um rund 1 Milliarde Euro. Das ist Geld, das in der jetzigen Zeit lieber bei den Bürgerinnen und Bürgern bleiben sollte. Es muss doch klar sein, dass wir in der jetzigen Zeit entlasten müssen und nicht belasten dürfen. Darauf werden wir auch entsprechend achten.
Jetzt ist es so, dass insgesamt die Verbrennung von Abfall nicht eins zu eins mit der Nutzung von fossilen Brennstoffen verglichen werden kann. Hauptzweck bei Abfallverbrennungsanlagen ist die gemeinwohlverträgliche Abfallbeseitigung im Rahmen der Abfallhierarchie. Gerade bei der thermischen Verwertung ist es so, dass außerdem auch die Reduktion von Abfallvolumen Zweck ist, dass auch die Hygienisierung von Abfällen bezweckt wird. Ich will gerade auch das Stichwort „Sonderabfälle“ nennen. Da sagt sogar der Bundesrat, dass die Verwendung oder die Verbrennung von Sonderabfällen zwingend von einer entsprechenden Bepreisung ausgenommen werden muss. Hinsichtlich dieser Argumente brauchen wir hier einfach sachgerechte Lösungen, und dazu gibt es am Gesetzentwurf einfach noch viel zu ändern.
Vor allem muss ausgeschlossen werden, dass die Einführung einer CO2-Bepreisung bei der Müllverbrennung zu Abfallexporten führt. Es kann durchaus sein, dass eine nationale Maßnahme hier dazu führt, dass mehr Müll in Länder mit niedrigeren Standards exportiert wird und vielleicht sogar am Ende in Ozeane gelangt. Das kann doch letzten Endes nicht das Ziel dieser gesetzlichen Maßnahme sein.
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Hier muss schon im Vorfeld gewährleistet werden, dass dies nicht passiert. Wenn am Ende nur alles teurer wird, aber keine Lenkungswirkung entsteht und noch dazu mehr Müll exportiert wird, so müssen Sie doch auch selber konstatieren, dass dann mit Zitronen gehandelt wird und nicht mehr.
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Deswegen wollen wir das in dieser Form nicht.
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Insgesamt ist es also so, dass die Verbrennung nicht eins zu eins mit der entsprechenden Nutzung fossiler Brennstoffe verglichen werden kann. Im Übrigen ist es auch so – das ist auch ein Punkt, der berücksichtigt werden muss –, dass bei der Verbrennung von Abfällen teilweise auch Biomasse mit verbrannt wird, teilweise auch Holzabfälle.
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Es wäre dann so – da Lisa Badum immer dazwischenspricht, haben wir wohl einige Punkte erwischt –, dass Holzabfälle, beispielsweise also CO2-freie Brennstoffe, einer CO2-Bepreisung unterworfen werden würden. Das ist nicht mehr als ein Treppenwitz.
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Anzustreben sind zumindest europäische Lösungen. Die EU sieht eine Einbeziehung übrigens erst 2026 vor. Hier sollte eine bessere Abstimmung und auch eine entsprechende Angleichung erfolgen. Wenn im Ergebnis, wie gesagt, eine deutsche Lösung steht, dass der Müll dann im europäischen oder im außereuropäischen Ausland landet, ob in Deponien oder in Verbrennungsanlagen, dann ist das Ziel klar verfehlt. Dann rechnet man zwar die deutsche Bilanz entsprechend schön, aber der Umwelt und auch dem Klima ist damit in keiner Weise geholfen.
Deswegen setzen wir uns für sachgerechte Lösungen ein. Dabei bleibt uns wichtig – das gilt es, schon zu betonen –, dass gerade in der jetzigen Situation sämtliche Potenziale eben auch für die Versorgungssicherheit und im Sinne der Müllverbrennung genutzt werden müssen und dass die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht zusätzlich belastet werden dürfen.
Herzlichen Dank.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Panzerhaubitzen: geliefert; Gepard: geliefert; Raketenwerfer: geliefert. Meine Damen und Herren von der Union, es ist schon peinlich, dass Sie diesen Antrag jetzt wieder zur Abstimmung vorlegen. Die Beschlussvorlage entbehrt jeder Beschlussgrundlage.
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In Dauerschleife, liebe Kolleginnen und Kollegen, tun Sie mit Ihren Schaufensteranträgen zu Waffenlieferungen so, als sei die Union dabei der größte Unterstützer der Ukraine. Das sind Sie in Wahrheit nicht.
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Auf übelste Weise hat Ihr Partei- und Fraktionsvorsitzender gerade wieder Menschen diffamiert, die alles verloren haben: ihr Eigentum, ihr Zuhause,
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ihren Job, ihre Freunde, ihre Väter, ihre Angehörigen. Das sind Rufe aus der schlimmsten Ecke der Parteienlandschaft, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU. Schämen Sie sich!
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Der Kreml dankt Ihnen für diesen Propagandaquatsch.
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Ihnen geht es mit diesen Anträgen einzig und allein darum, einen Keil in die Koalition zu treiben.
Ich war, nachdem wir hier das erste Mal über die Sachen beraten haben, selber in Kiew. Dort versteht man die Oppositionsscharmützel nicht, die Sie hier machen. Lediglich die falsche, weil vollkommen verkürzte Botschaft bleibt hängen, der Bundestag würde weitere Waffenlieferungen für die Ukraine ablehnen. Diese Botschaft schwächt die Ukraine und stärkt den Kreml. Sie sollten in Ihrer Fraktion mal klären, ob Sie dieses Spiel weitertreiben wollen.
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Aber gleichzeitig, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir natürlich überlegen, ob wir es der Union manchmal nicht zu leicht machen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass wir unterschiedliche Auffassungen zur Intensität der militärischen Unterstützung der Ukraine hier im Bundestag und auch in der Koalition haben. Angesichts der fortdauernden russischen Kriegsverbrechen brauchen wir mehr Schutz, mehr Geschwindigkeit, mehr Schlagkraft für die ukrainischen Streitkräfte. Dazu führen wir die konstruktiven Gespräche in der Ampel,
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weil wir nur so die Ukraine vor der faschistoiden Diktatur und ihrem genozidalen Angriffskrieg schützen und bei ihrer Verteidigung unterstützen können.
Unsere Unterstützung macht dabei einen Unterschied vor Ort, übrigens auch im Kopf vieler Russen. Die ehrliche Abstimmung über diesen Krieg findet gerade tatsächlich woanders statt: nicht durch Putins Schein- oder Schwindel- oder Lügenreferenden – wie auch immer Sie das nennen wollen –, sondern durch die Abstimmung mit den Füßen derjenigen Russen, die sich für Putins Wahnsinn nicht mehr zur Verfügung stellen wollen. Es ist auch unsere Unterstützung, die deren Wahrnehmung über die Sinnlosigkeit des Krieges prägt und sie zur Flucht verleitet.
Aber eines muss uns allen natürlich auch klar sein: Wenn wir die Ukraine schützen, dann schützen wir auch uns. Ich stimme der Ministerin Lambrecht ausdrücklich zu, wenn sie sagt, dass wir der europäischen Friedensordnung zu neuer Kraft verhelfen müssen. Für mich bedeutet das, dass wir gemeinsam und im transatlantischen Verbund mit unseren internationalen Partnern einmal mehr über die qualitative und quantitative Steigerung unserer Unterstützung beraten müssen. Deutschland hat die wirtschaftlichen, politischen und militärischen Fähigkeiten, eine solche Unterstützungsallianz anzuführen.
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Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.
Ja, komme ich. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, Putin hat in den letzten Tagen keine 300 000 Mann starke Verhandlungsdelegation mobilisiert. Er will den militärischen Druck ohne Rücksicht auf Verluste, auch den Verlust des Lebens seiner Landsleute. Wladimir Putin ist und bleibt die größte Gefahr für russischsprachige Menschen in der Welt. Die Ukraine braucht unsere Unterstützung. Die müssen wir ausweiten und Ihren Antrag natürlich ablehnen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Als Nächstes erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Johann David Wadephul.
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Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für die klaren Aussagen, Herr Kollege Wagener – die auch der Bundeskanzler in den letzten Tagen noch einmal öffentlich wiederholt hat –, zur Qualifizierung der sogenannten Referenden, der Scheinreferenden, die dort durchgeführt wurden; zum Bekenntnis zur Unterstützung der Ukraine und zur klaren Qualifizierung eines völkerrechtswidrigen Krieges, den Wladimir Putin führt.
Mir ist es wichtig, zu Beginn dieser Debatte und vor der Abstimmung, die wir nachher durchführen werden, die gemeinsame Betrachtungsweise, die die Ampelkoalition mit der größten Oppositionsfraktion, der CDU/CSU-Fraktion, teilt, herauszustreichen. Weil noch Rednerinnen und Redner von ganz links und ganz rechts kommen, ist es mir wichtig, zu betonen, dass wir in den zentralen Einschätzungen dieses Krieges und den Folgerungen, die daraus zu ziehen sind, übereinstimmen, und das ist auch gut so. Dennoch ist diese Abstimmung notwendig. Ich bin nach wie vor etwas unglücklich darüber – und will das hier auch zum Ausdruck bringen –, dass Sie eine Abstimmung hier im Deutschen Bundestag so herabqualifizieren und einen Antrag von vornherein zum Schaufensterantrag disqualifizieren. Der Kollege Schmid hat in der letzten Woche den Antrag der Union, darüber abzustimmen, sogar als schäbig bezeichnet.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, Sie müssen Ihr Parlamentsverständnis überdenken. Hier ist der Ort der politischen Meinungsbildung in der Bundesrepublik Deutschland.
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Es ist eine Errungenschaft, dass das hier stattfinden kann. Wir sollten nicht – das sage ich Ihnen in aller Ernsthaftigkeit – den Rufern, insbesondere von ganz rechts, die Sie zu Recht bei vielen Gelegenheiten immer wieder adressieren, Futter geben und in den Chor dieser schmutzigen Rufer einstimmen, die das Parlament disqualifizieren und meinen, es gebe irgendeinen höheren Ort der politischen Meinungsbildung als hier. Nein, der Deutsche Bundestag muss entscheiden!
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Wir sind nun, Herr Kollege Wagener, beide Juristen und haben gelernt, insbesondere im zivilrechtlichen Bereich unserer Ausbildung, streitigen von unstreitigem Sachverhalt zu unterscheiden. Dass Sie das hervorragend können, sieht man schon daran, dass Sie den herausgehobenen Beruf des Richters ausgeübt haben, bevor Sie hier eingezogen sind. Es ist völlig unstreitig zwischen uns, dass Deutschland schon viel leistet, dass Deutschland Panzerhaubitzen liefert, dass Deutschland Geparden geliefert hat und vieles andere mehr.
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Aber es ist eben streitig – darauf sind Sie überhaupt nicht eingegangen, und dazu gibt es eine Meinung in Ihrer Koalition –, dass Deutschland insbesondere keine Schützenpanzer, keine Transportpanzer Fuchs und keine Kampfpanzer liefert. Das ist der streitige Punkt. Und was ist daran eigentlich ein Schaufensterantrag? Ein Schaufenster ist an dieser ganzen Geschichte nur, dass Vertreterinnen und Vertreter Ihrer Fraktionen und insbesondere der FDP-Fraktion dafür immer wieder in Talkshows auftreten. Hier aber im Deutschen Bundestag fehlt es an Bekennermut, Frau Kollegin Strack-Zimmermann!
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Sie überbieten sich ja von Talkshow zu Talkshow, aber hier bekennen Sie sich nicht.
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Sie haben in der letzten Sitzungswoche, Frau Kollegin Strack-Zimmermann, noch mal ausdrücklich gesagt – ausdrücklich gesagt! – und ich zitiere Sie:
Ja, meine Damen und Herren, wir als Freie Demokraten sind der Meinung, dass wir in der jetzigen militärischen Lage, in der die ukrainische Armee Stück für Stück ihr Territorium zurückholt, mindestens den Transportpanzer Fuchs und den Schützenpanzer Marder liefern müssen.
Recht haben Sie, Frau Strack-Zimmermann! Stimmen Sie so ab, wie Sie denken und wie Sie sich hier äußern.
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Es stellen sich nur zwei Folgefragen: Entweder ist Ihr politisches Gewicht und auch das derjenigen, die sich von der Fraktion der Grünen dazu äußern, beispielsweise auch der Kollege Roth, so gering innerhalb der Koalition, dass Sie sich nicht durchsetzen können, oder Sie wollen sich überhaupt gar nicht durchsetzen. Es gibt noch nicht mal einen Koalitionsausschuss zu dieser Frage. Über alle möglichen Fragen gibt es Koalitionsausschüsse – über eine so wichtige Frage, eine so existenzielle Frage jedoch nicht. Ich will andere Fragen dadurch nicht disqualifizieren, aber diese Frage hat eine ganz hohe Bedeutung. Gerade Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet sind natürlich eine schwierige Frage; das ist doch vollkommen klar. Aber wo es hier wirklich um Menschenleben geht, wo es darum geht, ob man zur Ukraine steht, da kriegen Sie es noch nicht mal hin, Olaf Scholz mindestens zum Koalitionsausschuss zu zwingen! So wenig wichtig ist Ihnen das Bekenntnis, das Sie immer wieder öffentlich äußern.
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Der Bundeskanzler hat jetzt noch mal gesagt: kein Alleingang. Dazu ist als Allererstes zu sagen: Alleingänge sind immer schlecht; das ist vollkommen klar. Aber, ehrlich gesagt, nach diesem Maßstab ist die Lieferung des Flugabwehrkanonenpanzers Gepard ein Alleingang; denn keiner liefert ein solches Waffensystem mit zwei 35-Millimeter-Kanonen mit der Durchschlagskraft. Das ist viel mehr, als ein Marder an Kampfkraft auf dem Gefechtsfeld hätte. Das ist ein Alleingang, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Argument ist in sich von vornherein schon falsch.
Zweitens hat der Bundeskanzler – und das sagen Sie auch immer wieder, und Ihr Parteivorsitzender hat es in einer Rede vor der Friedrich-Ebert-Stiftung auch für sich selber und für seine Partei eingefordert – immer wieder von der Führungsrolle geredet. Der Führungsrolle Deutschlands entspräche es doch, in dieser Situation mindestens die Initiative zu ergreifen, die Michael Roth vorgeschlagen hat, dass man im Konzert abgestimmt mit anderen europäischen und amerikanischen Verbündeten zu diesen Lieferungen kommt. Noch nicht einmal diese Rolle nehmen Sie wahr, und auch hier versagt die Bundesrepublik Deutschland, versagt die Bundesregierung. Darüber muss abgestimmt werden! Hier und heute ist Ihr Bekennermut in diesem Haus gefordert.
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Daran werden wir Sie messen.
Danke schön.
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Nächster Redner ist Dr. Ralf Stegner für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lage ist sehr ernst. Der Kriegsverbrecher Putin eskaliert seinen illegalen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Er veranstaltet gefakte Volksabstimmungen in besetzten Gebieten. Er schickt weitere Tausende junge Russen in den Tod. Er wirft Bomben auf die zivile Infrastruktur und Wohngebäude. Er lässt seine Schergen foltern, plündern, vergewaltigen. Und wer weiß, wer hinter diesen gefährlichen Sabotageakten gegen die europäische Energieinfrastruktur steckt.
In dieser Lage ist nichts so wichtig wie gute Vorbereitung, ein kühler Kopf, Entschlossenheit, aber auch Besonnenheit. Es ist auch richtig, dass wir hier im Parlament und in öffentlicher Debatte immer wieder diskutieren, wie und in welchem Umfang wir der Ukraine am besten helfen können, damit Putin mit seinem imperialistischen Angriffskrieg nicht durchkommt. Gleichzeitig tragen wir aber auch Verantwortung dafür, dass der Krieg sich nicht weiter ausdehnt, dass wir Putin ernst nehmen, ohne in Angststarre zu verfallen oder seiner Propaganda auf den Leim zu gehen, dass wir auf alles vorbereitet sind, aber auch alles dafür tun, dass es keinen Krieg gibt zwischen der NATO und der Atommacht Russland, dass wir solidarisch mit der Ukraine sind und zugleich die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen – die Angst vor einem versehentlichen Angriff auf das Atomkraftwerk, einem neuen Weltkrieg oder gar dem Einsatz von Atomwaffen. Auch die Existenzängste von einer kalten Wohnung, den schier unbezahlbaren Energie- und Lebenshaltungskosten sind nicht grundlos. Sie bergen sozialen Sprengstoff und verlangen von uns zügig praxistaugliche und gerechte Antworten.
Manche mögen all diese Sorgen beiseitewischen und sagen: Der nächste Panzer noch, dann kommt es zum Frieden. – Ich glaube, die Militärlogik alleine löst das Problem nicht. Ich muss Ihnen als überzeugter Anhänger von Abrüstung und Friedenspolitik auch sagen: Ich habe wie meine gesamte Fraktion dem Antrag zur Lieferung auch schweren militärischen Geräts zugestimmt. Die Behauptung in Ihrem Entschließungsantrag, dass wir hier Beschlossenes nicht umgesetzt hätten, ist schlicht falsch und wird durch Wiederholung nicht besser, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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„Führungsrolle“ heißt, dass wir uns an humanitärer und finanzieller Hilfe beteiligen, mit gutem Beispiel vorangehen, dass wir militärisch das leisten, was wir gemeinsam leisten wollen. Aber wir wollen keine Alleingänge machen. Nicht nur der Bundeskanzler, auch die Bevölkerung will das nicht. Lesen Sie einmal die „New York Times“; in Washington werden die gleichen Diskussionen geführt. Ich habe noch nie gehört, dass Biden verdächtigt wird, Putin-Freund zu sein, weil er es ähnlich formuliert wie der Bundeskanzler, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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In dieser Zeit gewaltiger Herausforderungen darf man sich auch als Abgeordneter einer Regierungsfraktion eine kritische, aber konstruktive Opposition, eine staatstragende Opposition wünschen. Was haben wir? Einen frisch gewählten Oppositionsführer, der über angeblichen Sozialtourismus ukrainischer Flüchtlinge herzieht. Sieht so Ihre Unterstützung für die Ukraine aus, meine sehr verehrten Damen und Herren?
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Ja, Herr Merz, Sie haben sich nach öffentlicher Empörung halbherzig entschuldigt; Fachleute nennen so etwas „nonpology“. Aber das Hauptproblem ist nicht der Begriff „Sozialtourismus“, sondern Ihre Haltung, die dahintersteckt, Ihre diffamierenden Äußerungen gegenüber den vielen Ukrainern, die vor Tod und Zerstörung flüchten, die ihre Angehörigen besuchen und die jede Unterstützung verdienen und nicht den Zynismus Ihrer Worte.
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Schlimmer noch: Ein paar Tage vor der wichtigen Landtagswahl in Niedersachsen haben Ihre Berater offenbar die Ansicht vertreten, dass Ihnen ein Stück Fremdenfeindlichkeit noch ein paar Prozentpunkte am rechten Rand bringen könnte.
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Parallel wirbt der stellvertretende CSU-Vorsitzende für ein rechts-faschistisches Bündnis in Italien.
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Sie haben keine Brandmauer nach rechts, Sie haben eine Zeltplane; da geht es links und rechts wieder raus, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das ist ein Problem in der Situation, die wir haben; um das einmal klar und deutlich zu sagen.
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Da gilt das, was Helmut Schmidt einmal über Franz Josef Strauß gesagt hat:
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Wenn man sich selbst nicht beherrschen kann, soll man keine Verantwortung für dieses Land übernehmen. – Herr Oppositionsführer, das will ich Ihnen ganz deutlich sagen: Wer so redet, vergiftet die Atmosphäre und macht keine staatstragende Opposition.
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Aber zum Glück heißt der Bundeskanzler Olaf Scholz. Er steuert besonnen und mit ruhiger Hand das Regierungsschiff in schwerer Wetterlage.
Die Koalition besteht aus drei verschiedenen Parteien. Ja, wir haben unterschiedliche Auffassungen. Aber wir arbeiten zusammen bei dem, was wir tun. Und wir können bei allem, was wir tun, gar nicht so schlecht werden, dass wir schlechter werden als Sie – ganz ehrlich.
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Wir werden uns auf die Dinge einigen, die wir tun wollen, und die Bevölkerung kann sich darauf verlassen, dass wir abwägend handeln, dass wir entschlossen handeln, dass wir im Bündnis handeln. Die Menschen können sich auf uns verlassen. Bei Ihnen, bei dem, was Sie tun, sind sie verlassen. Ihr Antrag ist überflüssig, und wir lehnen ihn ab.
({10})
Das Wort erhält Dr. Malte Kaufmann für die AfD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn zum wiederholten Male ganz klar sagen: Die AfD-Fraktion verurteilt den Krieg Russlands gegen die Ukraine aufs Schärfste. Dies haben wir immer wieder zum Ausdruck gebracht, sowohl hier im Plenum wie auch in den Ausschüssen.
({0})
Dieser Krieg ist für alle beteiligten Menschen entsetzlich; er produziert unsägliches Leid, und zwar auf allen Seiten. Jeder weitere Tag dieses Krieges bringt viel Leid und Tod mit sich. Deshalb müssen wir alles Sinnvolle dafür tun, dass diese militärische Auseinandersetzung möglichst bald aufhört.
Der Weg, den die Union mit ihrem Antrag der immer noch intensiveren Waffenlieferungen gehen möchte, ist aber der falsche.
({1})
Er führt direkt hinein in die weitere militärische Eskalation, und er widerspricht der jahrzehntelang bewährten Strategie Deutschlands, keine Waffen in akute Krisengebiete zu liefern. Diejenigen, die diesen brandgefährlichen Weg beschreiten wollen, wissen leider nicht, was sie damit in Wirklichkeit anrichten. Sie glauben, der russische Präsident Putin sei mittlerweile „geschwächt“, es komme dort bald zum „Umsturz“, und dann werde alles wieder gut. Ich empfehle diesen Ahnungslosen ein gestern erschienenes Interview mit Professor Baberowski, der einer der renommiertesten deutschen Osteuropahistoriker ist. Er sagt in aller Klarheit, dass sich die Reihen um Putin mittlerweile geschlossen haben und man seitens der russischen Regierung umso entschlossener an den Kriegszielen festhalten wird, je größer die Bedrängnis von außen ist. Je größer also der militärische Druck wird, den die NATO-Staaten zugunsten des Nicht-NATO-Mitglieds Ukraine aufbauen, umso unberechenbarer werden die Reaktionen sein, bis hin zu einer nuklearen Dimension, die zwingend verhindert werden muss.
({2})
Um den Krieg nun nicht weiter eskalieren zu lassen, sondern so schnell wie möglich zu beenden, ist jetzt die Stunde der Diplomatie gekommen.
({3})
Leider hat Deutschland seine früher einmal errungene Stellung als Nation, die gute Beziehungen zu allen Ländern dieser Erde unterhält, verloren.
({4})
Heute haben wir eine Außenministerin, die sich in rhetorischer Aufrüstung gefällt. Russland werde „ruiniert“ durch die Sanktionen – so beispielsweise sagte es Frau Baerbock voller Selbstgewissheit in die laufenden Kameras. Komischerweise steigen jedoch bei uns die Energiekosten ins Unermessliche, während Energiekonzerne in Russland Rekordgewinne einstreichen.
Wir als AfD setzen auf Diplomatie. Der vorliegende Entschließungsantrag der CDU/CSU aber setzt auf militärische Eskalation. In Ihrem Antrag, werte Kollegen, sind auf knapp zweieinhalb Seiten die Wörter „Waffen“ bzw. „Waffensysteme“ 19‑mal zu lesen – davon 7‑mal in der Formulierung „schwere Waffen“ –, aber kein einziges Mal das so wichtige Wort der Diplomatie. Wie kann das sein?
({5})
Dabei muss es das Ziel diplomatischer Bemühungen sein, ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen herbeizuführen, gefolgt von Friedensverhandlungen für eine langfristige, stabile Koexistenz von Russland und der Ukraine.
Statt einer weiteren Eskalation wünschen wir uns eine Friedensinitiative – das könnten Sie einmal bei der Bundesregierung beantragen –, beispielsweise im Rahmen der OSZE, sowie humanitäre Hilfsleistungen.
({6})
Lassen Sie uns alles tun, um den Frieden in Europa wiederherzustellen!
Vielen herzlichen Dank.
({7})
Das Wort erhält für die FDP-Fraktion Dr. Marcus Faber.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! 216 Tage. 216 Tage, an denen die Ukrainerinnen und Ukrainer um ihr Leben fürchten, weil ihre Wohnhäuser, Krankenhäuser und Kindergärten bombardiert werden. Ganze Städte werden dem Erdboden gleichgemacht. Putins Truppen vergewaltigen, morden, verüben Kriegsverbrechen der brutalsten Art – und das alles mitten in Europa. Aber wir schreiben heute auch Tag 216, an dem sich die Ukrainerinnen und Ukrainer gegen diese brutale Bedrohung zur Wehr setzen. Sie kämpfen für ein Leben in Frieden und Freiheit. Das nötigt uns großen Respekt ab, meine Damen und Herren.
({0})
Die Ukrainerinnen und Ukrainer wollen nicht im System Putin leben. Sie wollen nicht in einem System Putin leben, das keine freie Presse kennt. Sie wollen nicht in einem System Putin leben, das keine freien und unabhängigen Wahlen kennt. Und sie wollen nicht in einem System Putin leben, in dem man verhaftet wird, wenn man ein weißes Blatt Papier gen Himmel streckt. Die Menschen in der Ukraine wollen all das nicht. Daher kommt ihre unglaubliche Motivation; deshalb kämpfen sie diesen ungleichen Kampf.
Bei den Gesprächen während meines Besuchs in Charkiw, in Kramatorsk, in Slowjansk wurde immer wieder eine Sache sehr, sehr klar: Das wirksamste Mittel, um den russischen Vormarsch aufzuhalten, ist eine deutliche Intensivierung und Beschleunigung von Waffenlieferungen an die Verteidiger.
({1})
– Sprechen Sie gerne mit den Ukrainerinnen und Ukrainern, machen Sie es einfach! – Ich bin daher sehr dankbar, dass diese Bundesregierung ihre sicherheitspolitischen Prioritäten neu gesetzt hat und dass wir hier gemeinsam daran arbeiten, diese Zeitenwende umzusetzen, meine Damen und Herren.
({2})
Spätestens seit dem gemeinsamen Antrag zur Lieferung von schweren Waffen vom 28. April besteht darüber hier im Haus auch eine breite politische Einigkeit. Ich möchte mich daher an dieser Stelle bei allen bedanken, die diese Einigung vom 28. April mitgetragen haben: bei der SPD, bei den Grünen, bei den Freien Demokraten, aber auch bei der oppositionellen Union.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich möchte mich Ihrem Antrag von heute zuwenden. Sie fordern hier mehr Transparenz bezüglich der Abgabe von sensitivem militärischen Material. Ich hoffe, dass für Sie das Internet kein Neuland ist. Sie können nachlesen, was die Bundesrepublik abgegeben hat, weil es auf der Webseite der Bundesregierung steht.
({3})
Das gilt auch für viele weitere Punkte in Ihrem Antrag, die bereits umgesetzt sind.
({4})
Die Bundesregierung engagiert sich in Ringtauschvereinbarungen mit Griechenland und der Slowakei. Schnellstmöglich werden so Schützen- und Kampfpanzer – postsowjetisches Gerät – zur Verfügung gestellt. Der Flugabwehrkanonenpanzer Gepard, Stinger-Raketen und demnächst auch das IRIS‑T-Luftverteidigungssystem: Alles wird geliefert; alles das ist unterwegs. – Alle diese Punkte können Sie streichen.
({5})
Artilleriesysteme sind bereits seit Monaten sehr erfolgreich in Aktion. Auch das scheint an Ihnen vorbeigegangen zu sein. Erst letzte Woche wurden vier zusätzliche Panzerhaubitzen nebst Munition zugesagt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ausgebildet wird in Deutschland seit Monaten. Diese Ausbildung, zum Beispiel an den Panzerhaubitzen, muss fortgesetzt werden.
Beim Thema Munition liefert Deutschland alle Kalibergrößen, unter anderem auch die Vulcano-Artillerie-Munition mit gesteigerter Reichweite. Das können Sie alles nachlesen. Seit der Veröffentlichung sparen Sie sich auch den Weg zur Geheimschutzstelle. Das war Ihnen laut Antrag auch sehr wichtig. Auch dieser Punkt hat sich erledigt.
({6})
Die Koalition hat einen Sonderstab Ukraine eingesetzt, der sich in enger Abstimmung mit dem BMVg befindet. Damit ist auch dieser Punkt Geschichte.
({7})
Radarsysteme, zum Beispiel COBRA, kommen aus Beständen der Bundeswehr. Das alles ist nachlesbar – auch zu den 50 gepanzerten Waffensystemen Dingo.
Aufklärungsmittel, Schutzausrüstung, Gewehre, Panzerabwehrwaffen: Ich könnte das hier endlos fortsetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein sehr ernstes Thema, über das wir heute reden.
({8})
Menschen sterben, Menschen werden verwundet.
({9})
Das verlangt auch eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema und nicht diesen Antrag, den Sie uns hier vorlegen.
({10})
Wir haben heute den 28. September 2022, und Sie legen uns hier einen Antrag vom 21. Juni 2022 vor.
({11})
Wir diskutieren ja gerade die Regierungserklärung vom 22. Juni 2022. Das wird der Ernsthaftigkeit des Themas nicht gerecht.
({12})
Deswegen fordere ich Sie auf: Nehmen Sie sich des Themas „Putins Krieg gegen die Ukraine“ ernsthaft an – in den Anträgen, die Sie hier vorlegen, aber auch in den Ausführungen, die Sie machen –,
({13})
und werfen Sie nicht Kriegsflüchtlingen „Sozialtourismus“ vor! Dann wäre uns allen hier, glaube ich, schon geholfen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Als Nächstes erhält das Wort Andrej Hunko für Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ende August stimmten 77 Prozent der Menschen in Deutschland der Aussage zu, dass sie dafür sind, dass der Westen Verhandlungen über eine Beendigung des Krieges einleitet. Auch wir halten das für notwendig und richtig. Leider ist dahin gehend seit Ende August gar nichts passiert. Im Gegenteil! Wir erleben seit Ende August eine weitere Eskalation des Krieges auf verschiedenen Ebenen. Ein Teil dieser Eskalation ist die Teilmobilmachung in Russland von offiziell 300 000 Reservisten; wahrscheinlich sind es noch mehr. Wir sagen: Diese immer weitere Eskalation und auch die Entgrenzung dieses Krieges müssen dringend verhindert werden.
({0})
Was diese Teilmobilmachung angeht: Wir Linken treten dafür ein, dass Kriegsunwilligen aus Russland und übrigens auch Kriegsunwilligen aus Belarus und aus der Ukraine eine unkomplizierte Aufnahme in der Europäischen Union ermöglicht wird. Wir denken, dass da zum Beispiel humanitäre Visa notwendig sind.
({1})
Ein weiterer Teil der Eskalation der letzten Tage ist der Anschlag auf die Erdgaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2. Wir wissen nicht genau, was passiert ist. Wir wissen, dass es höchstwahrscheinlich ein staatlicher Akteur war, und wir denken, dass es dringend notwendig ist, diesen Anschlag, der ein Anschlag auf die Energiesicherheit und auf die Energieinfrastruktur in Deutschland und in Europa ist, aufzuklären. Deswegen ist mein Vorschlag, dass hier eine internationale Untersuchungskommission eingerichtet wird, am besten wahrscheinlich im Rahmen der OSZE, weil dieser Anschlag ganz dringend aufgeklärt werden muss.
({2})
Meine Damen und Herren, wir brauchen dringend einen Ausweg aus dieser immer weiter gehenden Eskalation. Ich sehe in dem Antrag der CDU/CSU leider auch einen Schritt in Richtung weiterer Eskalation. Wir brauchen den Weg zurück zur Diplomatie, wenigstens, um die Entgrenzung dieses Krieges zu verhindern, besser noch für einen Waffenstillstand, noch besser für einen Frieden. Es müssen aber Schritte in diese Richtung unternommen werden. Da findet gegenwärtig nichts statt, aber das fordere ich hier ein.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Nächste Rednerin ist Sara Nanni für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Russland führt seinen Krieg gegen die Ukraine in allen Dimensionen: zur Luft, zu Land und zur See, aber auch im Cyber- und Informationsraum. Russland führt seinen Krieg gegen die Ukraine mit allen Mitteln: Kampfhubschraubern, Panzern und Fregatten, aber auch Hunger, Energieverknappung und Desinformation.
({0})
Wir sind in Deutschland zur Luft, zur See, an Land nicht betroffen. Aber wir sind betroffen, wenn die Lebensmittelpreise durch den Krieg steigen, und dadurch, dass Russland gezielt Ackerflächen angreift. Wir sind betroffen, wenn der Gashebel zum Erpressungsinstrument werden soll, wenn kritische Infrastruktur angegriffen wird. Und wir sind betroffen, wenn es darum geht, die Bereitschaft der deutschen Bevölkerung zur Unterstützung der Ukraine durch Desinformation zu schmälern.
Und da, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, haben Sie Russland in dieser Woche richtig in die Karten gespielt.
({1})
Ihr Fraktionsvorsitzender – Sie, Herr Merz – hat in einem Interview bei Bild TV Ukrainer/-innen, die vor dem Krieg nach Deutschland flohen, unterstellt, Sozialleistungen zu Unrecht in Anspruch zu nehmen. Ich werde das Wort, das Sie dafür benutzt haben, hier nicht wiederholen.
Was genau treibt Sie da um?
({2})
Abgesehen davon, dass das eine gängige rechtspopulistische Unterstellung gegenüber Geflüchteten im Allgemeinen ist: Was treibt Sie da um? Wissen Sie, wessen Spiel Sie da mitspielen?
Putin weiß: Der Kampfeswille der Ukrainer und auch die Unterstützung der Partner der Ukraine haben dafür gesorgt – auch mit Waffen, ja –, dass Russland dabei ist, diesen Krieg zu verlieren.
({3})
Will Putin das Blatt wenden, muss er an beidem ansetzen: an der Moral der Ukrainer/-innen und an der Unterstützung der Partner der Ukraine.
Herr Merz und die Union helfen ihm diese Woche – natürlich ohne Absicht – bei beidem. Sie tun so, als könne man den Ukrainer/-innen nicht über den Weg trauen. Als Fraktionsvorsitzender der größten Oppositionsfraktion, als Parteivorsitzender der CDU,
({4})
der gerne nach Kiew und ins Baltikum fährt, um sich als Unterstützer der Ukraine zu inszenieren, säen Sie Zweifel an der Integrität von Menschen, die vor Krieg und Vernichtung geflohen sind und Schutz in Deutschland gesucht haben.
({5})
Das ist ein Schlag ins Gesicht aller Geflüchteten aus der Ukraine
({6})
und Wasser auf die Mühlen derjenigen, die sich wünschen, Deutschland zwänge die Ukraine zur Kapitulation.
({7})
Die russische Propaganda nimmt es direkt auf. Was für ein gefundenes Fressen!
Von Sicherheitspolitik des 21. Jahrhunderts – das steht schon mal fest – haben Sie keine Ahnung; denn sonst wäre Ihnen so was nicht passiert.
({8})
Zur Qualität des Antrags hat der Kollege Faber gerade ausführlich ausgeführt.
({9})
Bleibt mir nur, eines zu sagen: Gut, dass Friedrich Merz nicht Bundeskanzler ist.
({10})
Es folgt Dr. Joe Weingarten für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Uns liegt hier ein inhaltlich veralteter und in seinen Zielen weitgehend erledigter Antrag der CDU/CSU zur Debatte vor. Er belegt, wie sprunghaft, ziellos und an der vermeintlichen Tagesstimmung ausgerichtet die Außen-, Wirtschafts- und Verteidigungspolitik der Union ist.
Die falsche Forderung des Fraktionsvorsitzenden Merz aus dem Frühjahr nach sofortigem Abnahmestopp für das russische Gas,
({0})
die irrlichternden Vorschläge des sächsischen Ministerpräsidenten nach einer Annäherung an Russland, dieser Antrag, der nichts mehr mit der militärischen Realität in der Ukraine zu tun hat: eine ununterbrochene Kette von Fehleinschätzungen und falschen Ratschlägen.
({1})
In diesen Kontext gehören auch die Äußerungen des CDUCSU/-Fraktionsvorsitzenden zum angeblichen „Sozialtourismus“ von ukrainischen Kriegsopfern nach Deutschland. Es ist das Mindeste, Herr Kollege Merz, diesen massiven politischen Fehler einzugestehen.
({2})
Aber dieses Eingeständnis muss auch Folgen für Stil und Inhalt der Unionspolitik haben. Damit können Sie, Herr Kollege, gleich anfangen. Kehren Sie bitte zurück zur Sachlichkeit. Hören Sie auf, eine Verteidigungspolitik zu kritisieren, die Versäumnisse korrigiert, die unter 16 Jahren Unionsverantwortung entstanden sind.
({3})
Und verzichten Sie künftig auf die Hybris und die Arroganz, mit der Sie die Unterstützung der Bundesregierung und insbesondere der Bundesverteidigungsministerin für die Ukraine diskreditieren.
({4})
– Gemach, gemach, der Blutdruck. So jung seid ihr alle nicht mehr. – Denn dieser Antrag zeigt, wie falsch Sie liegen. Deutschland unterstützt die Ukraine massiv mit entscheidendem militärischen Material: Panzerhaubitzen, Lkw, Gepard, Brückenlegepanzer, Mars II, IRIS‑T, jetzt der Dingo. Die ukrainischen Streitkräfte behaupten sich in ihrem Kampf gerade auch aufgrund der strategisch richtigen Unterstützung durch Deutschland. Wir helfen dort, wo es am sinnvollsten ist: bei der Logistik, bei der Luftabwehr und bei der Feuerkraft der Artillerie. Wir bleiben gleichzeitig dabei: Dieser Krieg ist militärisch begonnen worden, aber er muss politisch beendet werden.
({5})
Dazu gehört die vom Bundeskanzler energisch betriebene Abstimmung mit unseren G‑7-Partnern
({6})
genauso wie die politische Unterstützung des Widerstandes gegen das Putin-Regime und Russland sowie der Ausbau weltweiter Zusammenarbeit der demokratischen Staaten.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der CDU/CSU zeigt: Es gibt keine ernsthafte politische Alternative in unserem Land zur Politik der Ampelkoalition.
({8})
Schwarzmalerei, Aktionismus zu betreiben und die Verängstigung der Bevölkerung zu schüren, ist keine sinnvolle Politik.
({9})
Deshalb lehnen wir den Antrag der Union ab und stimmen der Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses zu.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort erhält Thomas Erndl für die CDU/CSU.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir müssen hier eine ehrliche Debatte führen. Es kann nicht sein, dass Kolleginnen und Kollegen der Ampelkoalition in Talkshows, in den sozialen Medien immer eine komplett andere Botschaft senden als hier in diesem Parlament. Das ist doch unglaublich.
({0})
Es geht hier doch um das Selbstverständnis des Parlaments. Wenn wir uns am 28. April, vor genau fünf Monaten, einig waren, dann muss es doch auch Ihr Anspruch sein, dass dieser Beschluss von der Regierung umgesetzt wird.
({1})
Es kann doch nicht sein, dass Sie sich hierhinstellen und sagen, zehn Haubitzen auf 1 300 Kilometer Frontlinie sind eine ausreichende Unterstützung des größten und wirtschaftsstärksten Landes auf diesem Kontinent.
({2})
Dass dieser Antrag heute zur Abstimmung kommt, liegt doch an Ihrer Verzögerungstaktik und nicht an einer ehrlichen inhaltlichen Auseinandersetzung, meine Damen und Herren.
({3})
Ich gebe Ihnen ein paar Anregungen, und vielleicht kann ich auch noch einen Einwurf machen. Ich zitiere gerne aus einem Tweet des Kollegen Faber vom August, der noch einmal unterstreicht, wie denn eigentlich die Situation ist – auf Deutsch übersetzt –:
Ich schäme mich für mein Land. Es tut mir leid, wir werden versuchen, besser zu werden.
Ich glaube, besser kann man auch nicht zusammenfassen und beschreiben, wie unsere Unterstützung der Ukraine ausschaut.
Ich gebe Ihnen einmal ein paar Anregungen, weil die Dinge nämlich glasklar vor einem liegen. Dass die Atomkraftwerke nötig sind, damit wir gut durch den Winter kommen, liegt doch glasklar vor uns. Dass die Gasumlage kontraproduktiv ist, liegt glasklar vor uns. Und trotzdem streitet, zögert und zaudert diese Regierung. Das ist genauso bei der Unterstützung der Ukraine.
Die Ukraine kann nur mit massiver Unterstützung von uns weiter bestehen. Auch das liegt glasklar auf dem Tisch. Und es liegt ebenso glasklar auf dem Tisch, dass es nie wieder eine Zusammenarbeit mit Putins Russland geben kann und wird. Es ist auch absolut unvorstellbar, dass auch nur ein Quadratmeter ukrainisches Territorium unter russischer Kontrolle verbleibt. Die Botschaft an die Führung in Moskau muss doch sein: Egal was du tust, egal womit du drohst, es wird nicht erfolgreich sein.
Hier sind wir an einem Wendepunkt in der Geschichte, an dem Deutschland Führungsstärke beweisen muss: Führung, die jetzt einfach nicht sichtbar ist; Führung, die Taten statt Worte braucht und wo die Taten auch der Zielsetzung entsprechen müssen. Es kann doch nicht sein, dass die Bundesregierung als Zielsetzung ausgibt, dass die ukrainischen Truppen die Russen vertreiben sollen, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen muss, und dann nicht mit allen Möglichkeiten die Ukraine unterstützt. Ein ukrainischer Sieg und damit Frieden in Europa kann nicht erreicht werden, wenn wir der Ukraine nicht alle Fähigkeiten geben, alle Möglichkeiten geben, ihn zu erkämpfen. Da brauchen wir Nägel mit Köpfen.
({4})
Da müssen endlich Taten folgen.
Wir brauchen endlich eine dauerhafte Unterstützungskonferenz unter der Führung Deutschlands, die erstens sicherstellt, dass wir die Ukraine kurzfristig mit allem bei der Industrie verfügbaren Material unterstützen – das heißt, grünes Licht für Marder und Leopard 1 –,
({5})
und die zweitens sicherstellt, dass wir dauerhaft – in drei, sechs und auch in zwölf Monaten noch – unterstützen und liefern können. Ich habe nicht gesehen, dass für die in die Ukraine gelieferten Haubitzen oder auch die Artilleriegeschosse Ersatz nachbestellt wurde. Das ist doch ein Armutszeugnis, meine Damen und Herren.
({6})
Drittens müssen wir auch für mehr Kampfkraft mit Leopard 2 sorgen – eine Gemeinschaftsaktion, wie es Wissenschaft und auch Kollegen der Ampelkoalition vorgeschlagen haben.
Viertens – ich komme dann auch zum Ende, Frau Präsidentin – braucht es bereits jetzt die Konzeption, wie die ukrainische Armee in der Zukunft ausgestattet ist, sodass sie eine Abschreckungswirkung entfalten kann, dass es nie wieder ein feindlicher Soldat wagt, ukrainisches Territorium zu betreten.
Meine Damen und Herren, das ist doch das, was Europa von Deutschland erwartet. Das ist das, was Führung bedeutet. Wir brauchen auch keine weiteren Anträge zu stellen, wenn die Regierung endlich einmal beherzt die Dinge in die Hand nimmt.
Also, die Ankündigung allein reicht aber nicht. Sie müssen jetzt schon zum Schluss kommen.
Ich bin am Ende.
({0})
Führung bedeutet, dass wir jetzt die Kräfte der Freiheit mit Nachdruck und Entschlossenheit unterstützen. Es geht um das Selbstverständnis des Parlaments, und deswegen bitte ich um Unterstützung für den Antrag.
Herzlichen Dank.
({1})
Letzter Redner in dieser Debatte ist für die SPD-Fraktion Bernd Westphal.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Union! Bitte hören Sie auf mit Ihren Phrasen, Deutschland würde nicht genug tun. Wir stehen an der Seite der Menschen in der Ukraine, die sich tapfer verteidigen.
({0})
Wir kommen unseren Verpflichtungen nach. Sie reiten ein totes Pferd. Steigen Sie bitte ab davon.
({1})
Diese Bundesregierung unter der Führung von Olaf Scholz versucht, in den Bündnissen auf europäischer Ebene, in der Präsidentschaft der G 7 und natürlich auch in der NATO, die Geschlossenheit, den Zusammenhalt zu organisieren, die es heute braucht, um diese Hilfe zu organisieren. Wir haben seit dem 24. Februar eine Situation,
({2})
wo diese Geschlossenheit noch nie so deutlich war wie jetzt. Das ist auch ein Verdienst unseres Bundeskanzlers Olaf Scholz, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({3})
Alle Ministerien und alle Ministerinnen und Minister dieser Ampelregierung versuchen, zu organisieren, dass wir Sicherheit in einer historisch schwierigen Situation haben, um unsere Wirtschaft zu stabilisieren, sodass wir Arbeits- und Ausbildungsplätze in die Zukunft führen können. Wir sorgen vor allen Dingen dafür, dass dieses Land sicher mit Energie beliefert wird. Das hat damit zu tun, dass zum Beispiel LNG-Terminals in einem enormen Tempo gebaut werden,
({4})
weil wir spätestens seit gestern wissen, dass wir von Russland keine Energie mehr durch die Pipeline bekommen werden. Deshalb ist es richtig, diese Infrastruktur aufzubauen und mit unseren europäischen Partnern dafür zu sorgen, dass die Energieversorgung gesichert ist.
({5})
Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage aus der CDU/CSU zu?
Nein, Frau Präsidentin. – In einem weiteren internationalen Bereich wird dafür gesorgt, dass Energie eingekauft wird. Hier müssen wir jetzt das Angebot erhöhen, damit wir Stabilität bei den Preisen und vor allen Dingen in der Versorgungssicherheit bekommen. Diese Regierung hat durch die Setzung der richtigen Rahmenbedingungen dazu beigetragen, dass wir unsere Speicher füllen, dass wir jetzt Erdgas zur Verfügung haben, um durch den nächsten Winter zu kommen. Genau hier verdient diese Bundesregierung Unterstützung, weil sie eben an diesen Dingen arbeitet, und wir im Parlament geben ihr die Rahmenbedingungen dafür.
Herr Merz, wenn Menschen vor Bomben, vor Panzern, vor zerstörter Infrastruktur fliehen, dann ist es mehr als zynisch, das als Sozialtourismus zu beschreiben.
({0})
Ich kann Ihnen nur sagen: Diese Brandmauer gegen rechts zu halten, ist auch Ihre Aufgabe als Vorsitzender der größten Oppositionspartei.
({1})
Sie nennen sich christlich. Ich kann Ihnen nur sagen: Was ist das für ein Menschenbild?
({2})
Sie nennen das vielleicht Nächstenliebe.
({3})
Ich kann Ihnen sagen: Das, was ich in diesem Land erlebe, ist eine humane Orientierung. In den 90er-Jahren haben wir Menschen vom Balkan aufgenommen, als sie von dort geflohen sind. Wir haben 2015 Menschen aus Syrien hier aufgenommen. Und auch jetzt erkennen wir in unserem Land Solidarität, Menschlichkeit. Diese menschliche Orientierung wird gelebt. Ich bin froh, dass diese Gesellschaft anders denkt als Sie. Sie haben sich mit diesen Äußerungen disqualifiziert, auf dem Stuhl mit der hohen Lehne Platz zu nehmen.
Herzlichen Dank.
({4})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Aktuell leben etwa 250 000 junge Menschen in Pflegefamilien oder in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Dort – endlich – finden sie das, was sie in ihren Herkunftsfamilien vermissen mussten: Sicherheit, Geborgenheit, Orientierung und das Zutrauen in ihre eigenen Stärken – dass sie eines nahen Tages auf eigenen Beinen stehen können.
Für diese Kinder, die zu ihrem Schutz aus ihren Herkunftsfamilien herausgenommen werden mussten, hat der Staat eine ganz besondere Verantwortung. Für Tom zum Beispiel, ein 16-Jähriger, der in einer betreuten WG lebt und nach der zehnten Klasse eine Ausbildung bei einem Anlagenbauer beginnen möchte. Er hat keine Familie, die ihn finanziell unterstützen könnte. Darum möchte er sparen, um die WG mit 18 verlassen zu können, um sich eine eigene Wohnung suchen zu können. Aber heute muss Tom 25 Prozent seines Einstiegsgehalts an das Jugendamt abgeben und die eigene Unterbringung mitbezahlen, während seine Freunde über ihr Einkommen frei verfügen können.
Wir wollen Tom und all die anderen Minderjährigen, die in Pflegefamilien oder Einrichtungen leben, finanziell entlasten, meine Damen und Herren.
({0})
Genau das machen wir mit diesem Gesetz, das die Kostenheranziehung in der Kinder- und Jugendhilfe abschafft, so der offizielle, korrekte Terminus.
Heute geht es im Kern deshalb um drei Dinge: Erstens. Kinder und Jugendliche können künftig ihr Einkommen komplett behalten. Zweitens. Wer alleinerziehend ist und mit seinem Kind in einer Wohngruppe betreut wird, muss nicht noch 25 Prozent an das Jugendamt abgeben. Drittens. Auch die Lebens- und Ehepartner/-innen werden nicht mehr an der Kostenheranziehung beteiligt. – All das macht einen entscheidenden Unterschied im Leben der Betroffenen.
({1})
Frau Ministerin, ich möchte Sie eigentlich nur unterstützen. Ich finde nämlich, dass es gerade wieder laut wird. Ich möchte alle Abgeordneten bitten, die Gespräche am Rande nach außen zu verlagern. Auch bei der AfD-Fraktion wäre es schön, wenn Sie die Gespräche hinten nach außen verlagern könnten. – Sie kriegen es nicht einmal mehr mit. – Wunderbar. Vielen Dank dafür. – Bitte die Gespräche hier drinnen einstellen. – Danke.
So, bitte schön, Frau Ministerin.
({0})
Wir schaffen die Kostenheranziehung ab, und das macht einen entscheidenden Unterschied im Leben der Betroffenen. Als Jugend- und Familienministerin möchte ich nämlich diesen jungen Menschen den Start in ein selbstständiges Leben erleichtern und sie motivieren, Verantwortung zu übernehmen, und in die Lage versetzen, Verantwortung übernehmen zu können.
({0})
Meine Damen und Herren, es geht um nichts weniger als um Chancengerechtigkeit, Chancengerechtigkeit gegenüber Gleichaltrigen, die sich eben auf familiäre Unterstützung verlassen können. Ich bitte Sie deshalb um Unterstützung für dieses Gesetz.
Danke schön.
({1})
Es folgt Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Für die überwiegende Mehrheit der hier anwesenden Kolleginnen und Kollegen ist die Jugendzeit schon mehrere Jahre oder zum Teil sogar Jahrzehnte her.
({0})
– Frau Fester, bei Ihnen natürlich nicht, bei mir schon ein bisschen mehr. – Aber vielleicht können Sie sich trotzdem heute noch an die Anschaffung erinnern, die Sie von Ihrem ersten eigenen Geld getätigt haben, an etwas, auf das Sie lange gespart haben. Vielleicht denken Sie jetzt an Ihren ersten Ferienjob zurück, mit Stolz an den vom hart erarbeiteten Geld bezahlten Führerschein oder die langersehnte Stereoanlage. Denn, wofür das erste selbstverdiente Geld ausgegeben wurde, daran erinnert man sich im Leben meist sehr lange.
Warum erwähne ich das? Wenn wir über den Gesetzentwurf zur Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe debattieren, wird manchmal der Eindruck erweckt, dass die Kinder und Jugendlichen, die im Rahmen der Jugendhilfe in einer betreuten Wohngemeinschaft, im Betreuten Einzelwohnen, in einer Pflegefamilie, in einem Heim oder in vergleichbaren Einrichtungen untergebracht sind, um einen Großteil ihres Geldes gebracht werden, weil ihnen der Staat finanziell einiges abverlangt.
Richtig ist: Die Kinder und Jugendlichen werden mit der sogenannten Kostenheranziehung an den Kosten ihrer Hilfe beteiligt. Dies ist in den §§ 91 bis 94 SGB VIII geregelt. Das Jugendamt schickt einen Kostenbescheid, in dem der festgesetzte Betrag steht. Bis zum Inkrafttreten des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes betrug der Kostenheranziehungssatz immerhin 75 Prozent des Einkommens des jungen Menschen. Am 10. Juni 2021 – das ist noch gar nicht so lange her – ist das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz in Kraft getreten. Seit diesem Stichtag gelten für die Kostenheranziehung junger Menschen in der Jugendhilfe neue Regelungen. Die Kostenheranziehung liegt maximal bei 25 Prozent aus dem aktuellen Monatseinkommen. Statt des durchschnittlichen Monatseinkommens des Vorjahres ist nun das Einkommen des Monats, in dem die Leistung oder die Maßnahme erbracht wird, maßgeblich. Bei jungen Volljährigen, die nach § 41 SGB VIII – Hilfe für junge Volljährige – untergebracht sind, findet keine Heranziehung des Vermögens statt. Nicht herangezogen werden zudem Einkommen aus Praktika, Schülerjobs bis maximal 150 Euro pro Monat, Einkommen aus Ferienjobs und ehrenamtlichen Tätigkeiten, zum Beispiel Jugend- oder Bundesfreiwilligendienste, und die Summe von 150 Euro als Teil einer Ausbildungsvergütung. Schon jetzt ist es so, dass das Jugendamt im Einzelfall von der Heranziehung komplett absehen kann. Diese Ausnahmen, die es jetzt schon gibt, bleiben in der Diskussion um die Kostenheranziehung leider oft unerwähnt.
Auf Seite 78 des Koalitionsvertrages steht: „Heim- und Pflegekinder sollen eigene Einkünfte komplett behalten können.“ Diese Forderung wird in den Stellungnahmen der Jugend- und Fachverbände ausnahmslos als wichtiger und notwendiger Schritt zur Teilhabeförderung von jungen Menschen begrüßt. Jedoch sind im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Abschaffung der Kostenheranziehung bei der geplanten Entlastung nicht alle jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe berücksichtigt. Diese Kritikpunkte werden in der Anhörung sicherlich noch ausführlich thematisiert werden.
Wir wissen, dass junge Menschen, die außerhalb ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen, mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert sind. Die sogenannten Careleaver, junge Menschen, die im Heim oder in Pflegefamilien aufgewachsen sind und sich im Übergang in ein eigenständiges Leben befinden, brauchen unsere Unterstützung und Motivation, um für einen erfolgreichen Weg in ein eigenständiges, selbstbestimmtes und finanziell selbstständiges Leben auf Dauer Verantwortung übernehmen zu können. Dabei wollen wir sie gern bestmöglich unterstützen. Dennoch müssen wir prüfen, ob eine vollständige Abschaffung der Kostenbeteiligung auch aus pädagogischen Gesichtspunkten der richtige Weg ist.
({1})
Ich freue mich auf die geplante Anhörung und die weitere konstruktive Diskussion. Und jetzt freue ich mich auf den Redebeitrag unserer Ausschussvorsitzenden, Frau Bahr.
Danke.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, einen schönen guten Abend von meiner Seite, auch an die Besucherinnen und Besucher auf den Tribünen.
Ich leite zur nächsten Rednerin über. Das ist die Kollegin Ulrike Bahr, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Junge Menschen, die im Heim oder in Pflegefamilien aufwachsen, müssen sich an den Kosten beteiligen, wenn sie selbst Geld verdienen. Mit dieser sogenannten Kostenheranziehung soll bald Schluss sein; denn sie ist weder pädagogisch sinnvoll noch gerecht. Verbände der Erziehungshilfe, Heimräte, Pflegeeltern und natürlich junge Menschen, die betreut aufwachsen oder aufgewachsen sind, fordern die Abschaffung schon seit Langem. Darum bin ich wirklich glücklich darüber, dass wir jetzt vollenden, was wir mit dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz 2021 begonnen haben.
({0})
Bis 2021 mussten Jugendliche drei Viertel ihres selbst verdienten Geldes abgeben. Diese Praxis hat wirklich fast jede Motivation erstickt, eine Ausbildung zu beginnen oder eine Arbeit aufzunehmen. Mit der Reform im letzten Jahr ist vieles besser geworden. Von dem Geld, das junge Menschen mit Schülerjobs oder einer Ausbildung verdienen, dürfen sie 150 Euro ohne jeden Abzug behalten, bei Ferienjobs oder Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeit sogar das gesamte Selbstverdiente. Insgesamt ist die Kostenheranziehung auf 25 Prozent gedeckelt. Das ist schon viel besser. Aber: Der bürokratische Aufwand ist riesig; denn Grundlage für die Höhe der Kostenheranziehung sind jetzt immer die Einkünfte des laufenden Monats. Damit müssen sowohl die Einrichtungen als auch die Jugendämter Monat für Monat nachhalten, wie hoch die Kostenbeiträge für junge Menschen sind – ein Aufwand, der Zeit und Energie bindet für eine Regelung, die ich für pädagogisch enorm fragwürdig halte.
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Neben dieser pädagogischen Wirkung ist für mich aber auch die Frage der sozialen Gerechtigkeit wichtig. Junge Menschen, die in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe oder in Pflegefamilien aufwachsen, sind auch materiell meistens nicht auf der Sonnenseite des Lebens. Ein Verzicht auf die Kostenheranziehung kann hier für ein wenig Ausgleich sorgen. Wer zu Hause aufwächst, lebt durchschnittlich bis zum 24. Geburtstag bei den eigenen Eltern, und zwar ohne für Miete oder Verpflegung zu bezahlen. Und war es früher vielleicht einmal üblich, sogenanntes Kostgeld abzugeben, so ist das heute nicht mehr der Fall. Verantwortungsvolle Eltern ermutigen ihre Kinder allerdings, Geld anzusparen, mit dem sie später den Führerschein, die erste Wohnungseinrichtung, eine eigene Reise oder andere Dinge bezahlen können.
Das ist durchaus auch ein Erziehungsziel in der Heimerziehung. Ich habe im Gespräch mit Careleavern, die in Jugendhilfeeinrichtungen aufgewachsen sind, erst kürzlich gehört, dass sie sich wünschen, mehr rund um das Thema Geld zu lernen; denn zum Erwachsenwerden zählen nicht nur Kochen und Wäschewaschen, sondern auch der Umgang mit Geld, mit Banken und mit dem Finanzamt. Dafür ist in Pflegefamilien und Heimen weniger Zeit als bei jungen Menschen, die in ihrer Familie aufwachsen; denn auch nach der Reform des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes sollen die jungen Menschen spätestens mit dem 21. Geburtstag auf eigenen Beinen stehen.
Ich hoffe darum auf die Zustimmung der Länder und Kommunen, um die Kostenheranziehung endlich komplett abzuschaffen. Sie sparen damit Verwaltungskosten und im Idealfall auch einiges an Startbeihilfen für junge Menschen, die beim Auszug aus den Jugendhilfeeinrichtungen dann selbst in der Lage sind, eine Kaution für die erste eigene Wohnung zu hinterlegen und sich einzurichten. Sie sparen auch, weil mehr junge Leute Lust haben und motiviert sind, eine Ausbildung zu beginnen, Erfahrung in Jobs zu sammeln und damit zu erleben, dass sie für sich selbst sorgen können und ihre Arbeit geschätzt wird.
Es ist außerdem richtig, dass junge Menschen in Eltern-Kind-Einrichtungen sich nicht mehr an den Kosten beteiligen sollen. Hier bekommen meist sehr junge Mütter Hilfe, um ihre Kinder selbstständig und verantwortungsvoll betreuen und erziehen zu können. Auch für sie ist es wichtig, eine Berufsausbildung zu machen, um eines Tages auf eigenen Beinen stehen zu können. Das gilt natürlich auch für junge Väter.
So weit, so gut. Ein breites Bündnis unterschiedlicher Träger hat aber auch eine Schwachstelle im vorliegenden Gesetzentwurf identifiziert: Junge Menschen mit Behinderung profitieren von der Abschaffung der Kostenheranziehung nämlich nicht, wenn sie eine Ausbildung machen und dafür ein sogenanntes Ausbildungsgeld erhalten. Die Begründung dafür lautet, das Ausbildungsgeld sei eine Leistung zum Lebensunterhalt. Dieser Lebensunterhalt sei aber bereits durch die Hilfen zur Erziehung, den Heimplatz oder die Unterbringung in einer Pflegefamilie abgedeckt.
Im Sinne einer wirklich inklusiven Kinder- und Jugendhilfe müssen wir hier noch einmal genauer hinsehen. Gemeinsam mit meiner Fraktion und der Ampel möchte ich das in der anstehenden Anhörung tun. Wir müssen kreative Wege finden, um auch für Jugendliche mit Behinderung finanzielle Anreize für eine Ausbildung zu setzen, mit der sie ihr individuelles Potenzial ausschöpfen können.
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Das nützt jedem Einzelnen in der Lebens- und Arbeitszufriedenheit und auch uns allen als Gesellschaft. Gerade wenn Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe künftig inklusiv arbeiten, entstehen sonst neue Ungerechtigkeiten und Spaltungen.
Ich wünsche mir von Ihnen allen und von den Landesregierungen einen breiten Rückhalt für den anstehenden wichtigen Schritt zur Stärkung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die in öffentlicher Verantwortung aufwachsen. Und ich bin zuversichtlich, dass wir den eingeschlagenen Weg mit der inklusiven Ausgestaltung der Kinder- und Jugendhilfe dann noch weitergehen werden.
Ich danke Ihnen.
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Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen darauf hinweisen, dass die namentliche Abstimmung in fünf Minuten geschlossen wird. Wer also bis jetzt seine Stimme noch nicht abgegeben hat, den bitte ich, das noch zu tun.
Die nächste Rednerin in der Debatte ist Nicole Höchst, AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir von der AfD-Fraktion sind sehr froh, dass dieses wichtige Thema jetzt in einen Gesetzentwurf gegossen wird. Wir hatten in der letzten Legislatur dazu einige Ideen aus der Anhörung mitnehmen können. Es ist fürwahr wichtig, dieses Signal an Jugendliche zu senden, die aufgrund ihrer Lebensstruktur, ihrer bisherigen Lebensplanung in der Kinder- und Jugendhilfe gelandet sind und gegenüber Kindern, die flächendeckend zu Hause aufwachsen, benachteiligt sind. Es ist wichtig, das Signal zu senden, dass sich Leistung lohnt. Dafür stehen wir von der AfD ein.
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Das ist ja generell etwas, was wir immer wieder in Richtung Regierung sagen: dass Leistung wieder zählen muss in diesem Land. Dementsprechend ist es aus unserer Sicht wichtig, dieses Vorhaben jetzt anzugehen. Es ist wichtig und richtig, diese benachteiligten Kinder und Jugendlichen zu unterstützen, statt bei ihnen auch noch abzusahnen.
Frau Kollegin Bahr, Sie haben eine wichtige Schwachstelle schon selbst identifiziert. Es kann natürlich nicht sein, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderung, die ja eh besonders benachteiligt sind, noch zusätzlich hintanstehen, weil bei ihnen eine andere Berechnungsgrundlage gilt. Das hätten wir jetzt angemerkt. Das ist dringend nachzubessern; denn wir sehen, dass es für Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigung in Form einer Behinderung noch viel schwerer ist, sich ein Leben in diesem Land aufzubauen.
Meine Damen und Herren, im Deutschland heutzutage gibt es keine Zukunftsplanung mehr, wie wir sie noch aus den 70er-, 80er- oder gar 90er-Jahren kennen. Auch Jugendliche mit den besten Startchancen können nicht mehr sicher davon ausgehen, dass sie, wenn sie Geld sparen, auch Zinsen bekommen, dass sie, wenn sie sich anstrengen und eine Ausbildung machen, hinterher auch in Arbeit und Broterwerb kommen. Umso mehr müssen wir ein Augenmerk auf die Schwächsten unserer Gesellschaft haben, die durch ihr Elternhaus einen schwierigen Start ins Leben hatten.
Meine Damen und Herren von der Regierung, wir freuen uns, dass wir das an dieser Stelle konstruktiv begleiten können. Es ist uns ein Anliegen, dass gerade Kinder und Jugendliche, die in diesen Einrichtungen gelandet sind – sie konnten es sich ja nicht aussuchen –, Starthilfe von uns allen bekommen, dass wir uns als Gesellschaft solidarisch zeigen und sagen: Ja, hier strecken wir die Hand aus und zeigen euch: Tut etwas! Versucht, euch hier mit uns zusammen eine Zukunft aufzubauen, und ihr werdet dafür belohnt!
Vielen herzlichen Dank.
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Für die FDP-Fraktion hat das Wort Martin Gassner-Herz.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Meine Damen und Herren! Leider hat nicht jedes Kind das Glück, sorglos auf der Blümchenwiese in einer intakten Familie groß werden zu dürfen. Zu viele lernen die Härten des Lebens schon viel zu früh kennen. Für knapp 60 000 Kinder im Jahr werden Kindeswohlgefährdungen festgestellt. Bei Inobhutnahmen übernimmt dann der Staat die Verantwortung für sie. 127 000 Kinder und Jugendliche leben in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe. Sie haben kein Elternhaus, das ihrem Start ins Leben als eigenständige Persönlichkeit einmal Rückenwind geben wird. Die Gegenwinde des Schicksals kennen sie dafür oft viel zu gut, oft besser als die meisten Erwachsenen.
Weil wir Politiker für sie eine ganz besondere Verantwortung haben, sollten wir uns alle Mühe machen, jede Schwierigkeit, die wir beeinflussen können, aus dem Weg dieser jungen Menschen zu räumen.
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Noch mehr: Wir sollten sogar den Anspruch haben, ihnen für den Start in die Eigenständigkeit unter die Flügel zu pusten. Die Kostenheranziehung tut genau das Gegenteil davon. Darum muss sie weg.
Wer in einer Jugendhilfeeinrichtung lebt und alles richtig macht, Stolpersteine überwindet, fleißig lernt, sich den Schulabschluss erkämpft und dann einen Ferienjob annimmt oder eine Ausbildung beginnt, der bekommt Post vom Jugendamt: Vom selbst erarbeiteten Verdienst soll die Unterbringung im Heim mitbezahlt werden – ein Schlag in die Magengrube, eine schreiende Ungerechtigkeit.
Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes selbst verdientes Geld, an diesen Stolz auf die eigene Leistung, an das Freiheitsgefühl, vor niemandem rechtfertigen zu müssen, warum man sich damit jetzt genau diesen kleinen, langgehegten Traum erfüllt? Die bisherige Regelung nimmt gerade den Jugendlichen, die dieses Erlebnis von Selbstwirksamkeit am allerdringendsten brauchen, diesen Erfolg. Es ist eine urliberale Forderung, dass sich Anstrengung lohnen muss. Diejenigen, die die schwierigsten Startchancen haben, müssen wir befähigen, ihren eigenen Weg zu gehen und ihre persönliche Aufstiegsleiter zu erklimmen.
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Wir leben in schwierigen Zeiten. Niemals war es deutlicher, dass die größte Unterstützung für junge Menschen ist, wenn wir ihre Hürden beseitigen. So ist es beim Bürgergeld, bei der geplanten Kindergrundsicherung und aktuell bei der Abschaffung der Kostenheranziehung. Wir ermutigen und befähigen zum Aufbau eines eigenständigen und selbstbestimmten Lebens.
Bereits in der letzten Legislaturperiode haben wir Freien Demokraten die Abschaffung beantragt. Wir konnten da bereits eine Senkung von 75 auf 25 Prozent erreichen. Der letzte Schritt, den wir jetzt gehen, war aber mit der Vorgängerregierung nicht möglich. Sie wollten die unnötige Bürokratie behalten und mit dem reduzierten Beitrag irgendeinen pädagogischen Auftrag verbinden – wir haben das eben wieder gehört –, den Sie schon damals nicht plausibel begründen konnten.
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Mich befremdet diese Botschaft an diese jungen Menschen, die viel zu jung schon viel zu viel erfahren haben, welche Härten das Leben bereithält. Unsere Ampelpartner waren in den Koalitionsverhandlungen sofort auf unserer Seite, und weil das Signal „You’ll never walk alone“ gerade jetzt, gerade am unteren Ende der Aufstiegsleiter so wichtig ist,
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haben wir diesen Schritt auf Initiative der Freien Demokraten noch vor die anstehende große Reform des SGB VIII gezogen.
Weil ich zuvor in der öffentlichen Verwaltung tätig war, sei mir gestattet, darauf hinzuweisen, dass die Regelung auch deswegen wegmuss, weil der Aufwand zur Ermittlung und Durchsetzung der Kostenheranziehung in keinem Verhältnis zu dem sehr zweifelhaften Nutzen steht.
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Bürokratie, die keinen sinnvollen Zweck erfüllt, brauchen wir nicht.
Mit der Abschaffung der Kostenheranziehung in der Kinder- und Jugendhilfe gehen wir einen längst überfälligen Schritt zu mehr Selbstbestimmung. Wir geben jungen Menschen die Zuversicht: Deine Anstrengung wird sich lohnen. Zukunftsträume werden endlich greifbar, weil das hart erarbeitete Geld gespart werden kann für die Kaution für die erste Wohnung, für die Bahnfahrt ans Meer, einfach für die vielen kleinen Dinge, die den Alltag schöner machen, für den Führerschein, der vorher einfach nicht drin war.
Uns muss bewusst sein, dass unsere Entscheidungen nicht nur faktische, sondern auch symbolische Wirkungen haben. Den Wert von Arbeit und Anstrengung derer zu erkennen, die unter besonders schwierigen Umständen täglich nach Kräften strampeln, ist daher das Mindeste, was wir ihnen schuldig sind.
Vielen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Anliegen des vorliegenden Gesetzentwurfs, die Abschaffung der Kostenheranziehung, ist absolut richtig und wird von uns als Linksfraktion natürlich unterstützt.
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Junge Menschen werden durch die Kostenheranziehung in der stationären Jugendhilfe ungerechtfertigt belastet. Es ist demotivierend, wenn sie zum Beispiel von ihrer meist sowieso viel zu geringen Ausbildungsvergütung auch noch Geld dafür zahlen müssen, dass sie einen Jugendhilfebedarf haben. Der kommt ja, wie wir alle wissen, nicht von ungefähr, sondern hat Gründe, die die jungen Menschen nicht beeinflussen können. Aber genau das wird suggeriert, und dieses Problem bekommt viel zu wenig Beachtung. Die Kostenheranziehung gibt den Jugendlichen das Gefühl, sie seien selbst schuld an ihrer Situation und müssten deswegen eben auch zahlen. Das kann wirklich nicht in unserem Sinn sein.
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Hinzu kommt – wir haben es jetzt mehrfach gehört –, dass junge Menschen so kein Geld ansparen können, zum Beispiel für einen Führerschein. Das verhindert in diesem konkreten Beispiel nicht nur Mobilität und Teilhabe, sondern möglicherweise auch Chancen auf Ausbildung und Arbeit. Ich kenne das Gegenargument. Einige sagen nämlich: Na ja, die jungen Menschen können das Geld ja dann woanders beantragen. – Aber seien wir mal ehrlich: Ist es unser Ziel, junge Menschen von Amt zu Amt zu schicken, sie Antrag um Antrag ausfüllen zu lassen, oder wollen wir sie dabei unterstützen, eigenverantwortlich ihr Leben und dementsprechend auch ihre Finanzen zu regeln?
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Es ist doch für uns Fachkräfte – ich komme ja wie einige wenige hier aus dem Bereich – eine unglaubliche Belastung, zu sehen, wie sehr diese Abgabe, die dem Staat wirklich gar nichts bringt – das hat der Kollege von der FDP gerade gut dargestellt –, junge Menschen frustriert. Es spricht also alles dafür, diese Praxis endlich zu beenden.
Auch der damit verbundene Arbeitsaufwand im Jugendamt ist absolut unnötig. Diese Ressourcen werden an anderer Stelle viel dringender gebraucht. Die im Entwurf dargestellten 29 Minuten pro Fall sind in meinen Augen noch relativ gering gerechnet. Hinzu kommt, dass Bescheide oft angefochten werden, weil die Berechnung unklar ist oder unterschiedlich gehandhabt wird. Der vorliegende Gesetzentwurf könnte hier eine deutliche Verbesserung herbeiführen. Aber, liebe Koalition: Er könnte; denn die Formulierungen sind leider sehr missverständlich. Das produziert neue Fehler und mehr Widersprüche. Das sagen nicht nur wir; das sehen Sie auch in zahlreichen Stellungnahmen. Hier muss also dringend nachgebessert werden.
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Genauso brauchen wir Lösungen, um Benachteiligungen von jungen Menschen in geförderten Ausbildungen – also denen mit Inklusionsbedarf – auszuschließen. Auch hier sind noch Fragen offen. Das haben wir zum Glück koalitions- und oppositionsübergreifend schon festgestellt.
Ein weiterer Kritikpunkt sind die Kosten von geschätzten 18,6 Millionen Euro, die den Kommunen aufgebürdet werden. Natürlich klingt das im ersten Moment nicht viel, vor allem weil wir ja viele Jugendämter haben. Aber seien wir einmal ehrlich: Die Kommunen sind chronisch unterfinanziert, und wir wissen, dass die Kommunen in der Praxis Druck auf die Jugendämter ausüben, möglichst wenige oder nur geringe Hilfen zu bewilligen. Ich mache weder den Kommunen noch den Jugendämtern einen Vorwurf, sondern nur den Politikern, die die Jugendhilfe nicht vernünftig ausfinanzieren. Also: Auch hier muss noch einiges geleistet werden.
Trotz alledem bin ich optimistisch, dass wir diese Fragen gemeinsam klären und im Sinne der Kinder und Jugendlichen sowie ihrer Familien lösen können. Deswegen sage ich wirklich zum ersten Mal an dieser Stelle: Ich freue mich auf die Beratungen mit Ihnen.
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Für Bündnis 90/Die Grünen hat Denise Loop das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute den Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe. Worum es bei der Kostenheranziehung geht und wie viele junge Menschen davon betroffen sind, haben die Ministerin und auch einige Kolleginnen und Kollegen hier schon sehr ausführlich dargelegt. Sie haben genau erklärt, was das für die einzelnen jungen Menschen in der Jugendhilfe bedeutet.
Dass wir, nachdem in der letzten Wahlperiode schon eine Absenkung auf 25 Prozent erfolgte, erneut über dieses Thema sprechen, haben wir nicht zuletzt auch den Jugendlichen und jungen Menschen selbst zu verdanken. In Selbstorganisation und Vereinen organisiert, haben sie zu Recht nicht lockergelassen und immer wieder eindrücklich und anschaulich erklärt, wie sie durch die Kostenheranziehung benachteiligt werden – auch neulich bei einer Veranstaltung hier im Bundestag. Ich könnte Ihnen von vielen betroffenen jungen Menschen erzählen, die ich als Jugendamtsmitarbeiterin vor meinem Mandat betreut habe. Ihre Geschichten sind ganz unterschiedlich; aber gemeinsam haben sie, dass es nicht ihr Verschulden ist, dass sie nicht in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen können.
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In Hilfeplangesprächen, in denen mit den jungen Menschen gemeinsam über ihre Zukunft gesprochen wird, wurde mir oft die Frage gestellt: Frau Loop, warum soll ich denn überhaupt eine Ausbildung machen, wenn das Gehalt eh wieder abgegeben werden muss? Das ist doch ungerecht. – Und ja, das ist es. Deswegen werden wir die Kostenheranziehung für junge Menschen, junge alleinerziehende Mütter und Väter, die in Einrichtungen der Jugendhilfe leben, abschaffen.
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Für uns steht die Selbstbestimmung der jungen Menschen im Vordergrund. Wir müssen ihre Handlungsspielräume stärken, gerade in den unsicheren Phasen der Übergänge von Schule hin zu Studium oder Ausbildung, beim Auszug und bei den Schritten in ein eigenständiges Leben. Gerade junge Menschen, die nicht in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen können, brauchen zuverlässige und sichere Unterstützung. Der Staat hat hier eine Verpflichtung, diese sicheren Rahmenbedingungen für junge Menschen zu gewährleisten.
Bei der Veranstaltung hier im Bundestag mit den jungen Menschen, die in den Einrichtungen der Jugendhilfe oder Pflegefamilien aufgewachsen sind, wurde die berechtigte Frage gestellt: Würde man so mit den eigenen Kindern umgehen? Würden wir ihnen ein Viertel ihrer hart erarbeiteten Einkünfte abnehmen? Ich denke, die Antwort ist klar: Das würden wir nicht. Deshalb werden wir es auch nicht bei den jungen Menschen tun, die in Wohngruppen oder in Pflegefamilien aufwachsen.
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Ich freue mich auch sehr auf die Beratungen.
Vielen Dank.
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Für die CDU/CSU hat das Wort Anne Janssen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedes Kind hat es verdient, in einer intakten Familie, einem fürsorglichen Umfeld und bei den eigenen Eltern aufzuwachsen. Dennoch bleibt dies bedauerlicherweise Tausenden Kindern und Jugendlichen in Deutschland verwehrt. Keines dieser Kinder hat sein Schicksal selbst zu verantworten, also sollte auch keines dieser Kinder unter den ohnehin erschwerten Lebensbedingungen zusätzlich stigmatisiert werden.
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Da, liebe Regierung, stimme ich Ihnen zu.
Es stellt sich heute die Frage: Inwieweit benachteiligt die derzeitige Kostenheranziehung von bis zu 25 Prozent die arbeitenden Jugendlichen, und welche Gedanken liegen ihr zugrunde? Tatsächlich haben die vollstationären Leistungen zum Ziel, die Heranwachsenden in eine eigenverantwortliche Lebensführung zu begleiten, und zu dieser gehört eben auch die wirtschaftliche Selbstständigkeit. Die Kostenbeteiligung wurde keineswegs als Gegenfinanzierung der pädagogischen Hilfen gedacht oder soll die Jugendlichen für ihr Schicksal bestrafen. Ihr liegt allein der Erziehungsgedanke zugrunde.
Ebenso möchte ich klarstellen, dass die Jugendlichen ihren Verdienst aus einem Ehrenamt, einem Schüler- oder einem Ferienjob selbstverständlich auch heute schon behalten dürfen – das hörten wir vorhin schon –, genauso wie die Leistung bereits heute individuell vom Jugendamt geprüft und Zuschüsse für außerordentliche Aufwendungen gezahlt werden. So darf zum Beispiel ein mir bekanntes Pflegekind heute schon seine volle Vergütung behalten, weil es für seine Ausbildung ein Auto benötigt. Auch der Führerschein wurde durch das Jugendamt mitfinanziert. Die Pflegefamilie versicherte mir, dass völlig unabhängig vom Verdienst des Jugendlichen selbst mit dem Pflegesatz und dem Kindergeld bereits alle Ausgaben gedeckt sind, eben auch diese für Taschengeld, Kleidung und Hobbys. Das sind Dinge, die Jugendliche in ihrer Herkunftsfamilie spätestens mit einem eigenen Einkommen selbst tragen müssten. Oder haben Sie während ihrer eigenen Ausbildung noch Taschengeld von Ihren Eltern bekommen? Ich nicht.
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Auch das, liebe Bundesregierung, ist ein bestehendes Ungleichgewicht. Und der Pflegevater sucht den Erziehungsgedanken in Ihrem Gesetzentwurf vergebens.
Ja, ein Einkommen als eigene Leistung ist unerlässlich für die Selbstständigkeit, aber das Bewusstsein von gleichzeitigen Ausgaben ebenso. Bei dieser nötigen Lehre sollte nicht der Verwaltungsaufwand Ihr Handeln bestimmen. Letztlich werden uns die parlamentarischen Beratungen und die Anhörung der Sachverständigen über die Eignung Ihres Vorhabens aufklären. Diese warten wir also ab.
Vielen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mein Mann und ich haben einen Pflegesohn. Sein Name ist Mark. Er ist ein toller, engagierter und erfolgreicher junger Mann, der seit seinem 15. Lebensjahr Teil unserer Familie ist.
Als Jugendlicher hat man Wünsche, die einem die Familie nicht immer erfüllen kann: den Führerschein, eine Reise ins Ausland, ein neues Handy. Auch Mark hatte diese Wünsche, und wie viele Jugendliche in seinem Alter wollte er arbeiten gehen, um sich diese Wünsche erfüllen zu können. Doch als er einen Schülerjob gefunden hatte, hieß es: Von den 450 Euro, die du verdienst, gehen 337 Euro zurück an das Jugendamt. Dieses Geld wird einbehalten, weil du finanzielle Hilfen vom Staat beziehst. – Als Pflegeeltern standen mein Mann und ich vor einem großen Problem: Wie soll man einem Teenager erklären, dass er einen Großteil seines selbst verdienten Geldes nicht behalten darf, während seine Schwestern arbeiten gehen und das Geld nicht abgeben müssen?
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Wie kann es sein, dass ohnehin traumatisierte Kinder dafür zur Kasse gebeten werden, dass ihre biologischen Eltern sich nicht um sie kümmern können? Das ist für einen jungen Menschen massiv demotivierend und völlig unverständlich, erst recht, wenn man als Pflegekind meistens bereits einen schwierigen Start ins Leben hatte.
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Häufige Konsequenz ist, dass diese Jugendlichen enttäuscht und demoralisiert werden und in einigen Fällen nicht arbeiten werden, somit nicht selbst für ihre Wünsche Geld erwirtschaften können und keine wertvollen ersten Einblicke in die Arbeitswelt erhalten. Dabei könnten ihnen genau diese Einblicke später als Türöffner für die ersten eigenen Vollzeitjobs dienen.
Als Mark 20 war, bekam er einen tollen Ausbildungsplatz zum Chemikanten. Er war fleißig und verdiente seinen ersten eigenen Lohn, der sich auf circa 1 000 Euro belaufen sollte. Doch da er noch bei uns in Pflege war, sollte er neben den steuerlichen Abzügen erneut 750 Euro an den Staat zurückzahlen, da er nach wie vor zu Hause wohnte und als unser Pflegesohn gemeldet war. Wir beschlossen daraufhin gemeinsam mit Mark und dem Jugendamt, Mark aus der Pflege herauszunehmen, obwohl er natürlich weiterhin bei uns wohnte, damit er sein volles Ausbildungsgehalt beziehen konnte. Dies bedeutete für uns als Pflegeeltern im Umkehrschluss, dass wir neben dem Kindergeld keine staatliche Unterstützung für den Unterhalt von Mark mehr beziehen würden. Wir haben das gerne gemacht; aber mit dem Gehalt einer Tagesmutter und eines Tapetendruckers in Schichtarbeit war es für uns eine große finanzielle Herausforderung. Das wird es für viele andere Pflegeeltern auch sein, die sich eine solche Lösung im Sinne ihres Pflegekindes im Zweifel schlichtweg nicht leisten können.
So wie Mark ging es von 2017 bis 2020 circa 80 000 Kindern und Jugendlichen in Deutschland, die in einer Pflegefamilie, Einrichtung oder sonstigen Wohnform der Jugendhilfe lebten und ein eigenes Einkommen hatten. Sie wurden und werden bis heute zu den Kosten der Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe aus ihrem Einkommen herangezogen. Dies widerspricht dem Auftrag des Staates, jungen Menschen ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.
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Ohnehin bereits häufig traumatisierten Kindern und Jugendlichen wird der Start in ein eigenständiges Leben durch zusätzliche Hürden erschwert. Um diese Situation zu verbessern, werden wir die Kostenheranziehung von jungen Menschen und Leistungsberechtigten nach SGB VIII sowie für Ehegatten und Lebenspartner aufheben.
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So können Jugendliche und Pflegefamilien vollständig über das Einkommen, das sie erzielen, verfügen. Dadurch erzielen wir zuvorderst eine Entlastung der in Pflege befindlichen Kinder und Jugendlichen und nebenbei auch eine enorme Entlastung der Pflegefamilien und eine bürokratische Entlastung der betroffenen Kommunen.
Mark studiert heute Umwelttechnik und hat es geschafft, im Rahmen seines Studiums einen Arbeitsplatz in Australien zu bekommen. Wir als seine Pflegefamilie sind unendlich stolz auf ihn. Gleichwohl wünschte ich, dass er es in seiner Kindheit und Jugend einfacher gehabt hätte. Genau deshalb bin ich, sind wir mehr als froh und glücklich darüber, dass dieser Gesetzentwurf heute in die erste Lesung im Deutschen Bundestag geht.
Vielen Dank.
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Der letzte Redner in der Debatte ist Dr. Hermann-Josef Tebroke, CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Natürlich habe auch ich viel Sympathie für den vorliegenden Gesetzentwurf, und ich darf das auch für unsere Fraktion insgesamt sagen. Wer verkündet nicht gern Erleichterungen und Entlastungen! Aber so leicht, meine Damen und Herren, können und dürfen wir uns die Entscheidung auch nicht machen. Der Kollege Lehrieder und die Kollegin Janssen haben bereits auf die gültigen Regelungen verwiesen und darauf, dass vor einem Jahr das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz nach einem intensiven Beratungs- und Beteiligungsprozess so verabschiedet wurde, an dem im Übrigen auch die kommunalen Spitzenverbände beteiligt waren.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll noch einmal nachgelegt werden, nachgebessert werden und eine generelle Kostenbefreiung erreicht werden. Aber, meine Damen und Herren, gibt es neue Argumente? Die Fragen sind unverändert, zum Beispiel: Ist es ein richtiges Signal, wenn der Staat, wenn die Allgemeinheit die Kosten der Unterkunft eines jungen Menschen übernimmt und den Empfänger von jeglichen Beiträgen freistellt?
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Bedeutet Teilhabe, die Erfahrung von Selbstwirksamkeit möglicherweise nicht auch, mit eigenen Mitteln zum gemeinsamen Haushalt beitragen zu können?
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Wie wirkt dieser Nachlass, der in Rede steht, eigentlich auf andere junge Menschen, die vielleicht in einem finanziell schwächer aufgestellten Haushalt leben und vom selbstverdienten Geld selbstverständlich etwas zur Deckung der Haushaltskosten ihrer Eltern beisteuern?
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Ist die in Rede stehende Kostenbeteiligung für junge Menschen mit eigenem Einkommen unzumutbar?
Die Kollegin hat bereits darauf hingewiesen, dass es ihr natürlich darum geht, auf den Einzelfall abzustellen. Darum eröffnet die aktuelle Regelung den Jugendämtern bereits die Möglichkeit, in Härtefällen von den Kostenerhebungen abzusehen.
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Damit komme ich zur Perspektive der Kommunen, meine Damen und Herren. Warum, liebe Ampelfraktion, überlassen Sie es den Jugendämtern vor Ort nicht, im Einzelfall zu entscheiden?
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Mit immer konkreteren Vorgaben und erhöhten Standards schränkt der Bund die Möglichkeiten vor Ort ein. Und dann macht er auch noch Geschenke zulasten der Kommunen. Sie werden einwenden – das kam gerade schon von der Kollegin –, es handele sich doch nur um 18 Millionen Euro. Aber es geht eben auch ums Prinzip, und darauf möchte ich an dieser Stelle hinweisen.
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Das typische Muster ist doch: Erst kommt die Kostenbefreiung, dann kommt die Erhöhung des Standards, und dann wird es für alle Kommunen richtig teuer; so war es auch in anderen Fällen. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung agiert nicht nach dem Konnexitätsprinzip in dem Sinne, dass derjenige, der eine Leistung bestellt, auch bezahlt, sondern nach dem Verwaltungskonnexitätsprinzip: Derjenige, der eine Leistung ausführt, ausführen muss, hier die Kommunen, trägt die Kosten und bezahlt dann auch, wenn sich die Standards ändern und Ausgaben dadurch steigen, auch wenn von Dritten veranlasst.
Meine Damen und Herren, bitte erlauben Sie, dass ich an dieser Stelle darauf hinweise, dass ich mir durchaus Sorgen mache um die Situation der Kommunen, die im Moment alles andere als rosig ist.
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Ich möchte Sie anlässlich dieses Gesetzentwurfs daran erinnern, dass wir, wenn wir jetzt in den Beratungsprozess einsteigen – auf den ich mich freue –, bitte auch Rücksicht nehmen, wer die Umsetzung des Gesetzes, das wir möglicherweise beschließen, verantwortet, und dann auch die entsprechende Unterstützung mit auf den Weg geben.
Ich freue mich auf die Beratung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne! Angesichts der derzeitigen Energiekrise in Deutschland ist das Dauerthema Corona etwas in den Hintergrund geraten. Doch leider holt uns dieses Thema immer wieder ein: kürzlich bei dem völlig überflüssigen Infektionsschutzgesetz und heute bei der aus meiner Sicht ungerechtfertigten Rückforderung von Coronasoforthilfen.
Erinnern wir uns: Am 22. März 2020 wurde infolge des Ausbruchs von Corona in Deutschland der erste Lockdown verhängt. Dies betraf unter anderem Gaststätten, Hotels, Einzelhandel, Kosmetik, Freizeiteinrichtungen und Sport. Es wird Sie vielleicht verwundern, wenn ich das so sage, aber aus meiner Sicht war dieser erste Lockdown vollkommen gerechtfertigt und auch angemessen. Es war eine bisher unbekannte Krankheit, und da war es richtig, mit diesen drastischen Maßnahmen darauf zu reagieren. Aber vieles, was danach kam, angefangen von den weiteren Lockdowns über die Kontaktverbote – wir erinnern uns an Weihnachten 2020, Ostern oder Pfingsten 2021, als viele ältere Bürger keinen Besuch von ihren Kindern und Enkeln bekommen durften – bis hin zu diesem staatlich verordneten Impfwahn und der völlig sinnfreien einrichtungsbezogenen Impfpflicht, war unsozial, war unangemessen und war ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
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Aber darüber wollen wir heute nicht sprechen. Wir sprechen über den Zeitraum von März bis Juni 2020. Positiv kann man zunächst anmerken, dass diese Zuschüsse für deutsche Verhältnisse schnell und unbürokratisch ausgezahlt wurden. Da kann man der damaligen Regierung und auch den Förderbanken der Länder ruhig auch mal ein Lob aussprechen.
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Die Anträge waren auch recht einfach gehalten: Man musste lediglich Namen, Anschrift, Steuernummer, Bankverbindung angeben und ein Kreuz setzen, dass man von den Coronaeinschränkungen betroffen ist. Das haben auch sehr viele Kleinunternehmen genutzt und Mittel zwischen 9 000 und 30 000 Euro, je nach Mitarbeiterzahl, beantragt. Insgesamt wurden 2,2 Millionen Anträge gestellt und Zuschüsse von circa 13,5 Milliarden Euro ausgezahlt. Übrigens hatte die Bundesregierung damals rund 50 Milliarden Euro eingeplant; das zeigt, dass die Ausmaße wesentlich größer eingeschätzt worden waren, als sie tatsächlich eintraten.
Nun, nach mehr als zwei Jahren werden diese Antragsteller aufgefordert, eine Art Verwendungsnachweis vorzulegen. Dabei wird quasi rückwirkend eine Richtlinie gestrickt, nach der man für die drei Monate April, Mai, Juni einen Liquiditätsengpass nachweisen muss. Hier kommt schon der erste Knackpunkt: Obwohl es sich um Bundesmittel handelt, sind die Berechnungsbögen der Länder für diesen Liquiditätsengpass total unterschiedlich. So werden zwar die Umsätze, die man in diesem Zeitraum erzielt hat, richtigerweise berücksichtigt, die Personalkosten jedoch nicht.
Stellen wir uns also folgenden praktischen Fall vor: Ein Gastwirt musste sein Restaurant schließen, konnte aber mit den Zuschüssen weder seine Kosten noch seinen Lebensunterhalt bestreiten. Er macht also Außerhausverkauf und öffnet Ende Mai nach Ende des Lockdowns trotz Beschränkungen sein Restaurant. Er erzielt damit, ganz logisch, auch Umsätze. Diese werden bei der Ermittlung des Liquiditätsengpasses richtigerweise berücksichtigt. Aber um diese Umsätze zu erzielen, brauchte er natürlich auch Personal, das er aus der Kurzarbeit zurückholte. Diese Personalkosten darf er aber bei der Ermittlung des Liquiditätsengpasses nicht abziehen. Liebe Kollegen, man muss kein Steuerberater sein, um zu erkennen, dass diese Regelung völliger Unsinn ist und jedweden betriebswirtschaftlichen und steuerlichen Vorschriften widerspricht.
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Aber in vielen Bundesländern wie Thüringen, Sachsen, Brandenburg oder Nordrhein-Westfalen wird genauso verfahren. Interessanterweise werden in einigen anderen Ländern wie Niedersachsen, Berlin oder Hamburg die Personalkosten anerkannt. Das kann doch nicht richtig sein. Wir brauchen einheitliche Regelungen für ganz Deutschland. Diese können nur so aussehen, dass die Personalkosten natürlich Berücksichtigung finden.
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Liebe Kollegen, es gab auch Missbrauch; das ist ganz normal. Ich habe ja beschrieben, dass die Antragstellung einfach war. Es gab natürlich auch Scheinfirmen, also Leute, die sich mit einem gefakten Namen und einer Steuernummer diese Zuschüsse beschafft haben. Das ist natürlich kriminell. Es gab Antragsteller wie Handwerk und Industrie, die in diesem Zeitraum nicht so hohe Verluste hatten wie ursprünglich befürchtet. Diese haben aber ihre Zuschüsse meistens schon freiwillig zurückgezahlt. Diejenigen, die diese Mittel missbräuchlich beantragt haben, sind entweder damals schon ermittelt worden oder längst verschwunden.
Sie treffen also mit Ihren Rückforderungen auf Basis einer sehr zweifelhaften Richtlinie genau die kleinen Unternehmen, die im März 2020 von heute auf morgen schließen mussten und in erhebliche Schwierigkeiten gebracht wurden. Das ist weder gerecht noch den Betroffenen vermittelbar. Deshalb meine Bitte an die Bundesregierung und auch an die Länder: Schaffen Sie Transparenz und Gerechtigkeit bei der Prüfung der Coronasoforthilfen!
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Stoppen Sie die Rückforderungen bei den vom Lockdown betroffenen Kleinunternehmen!
Vielen Dank.
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Für die SPD-Fraktion hat das Wort Sabine Poschmann.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer! Ich möchte Folgendes in Erinnerung rufen: Der Kampf gegen die Coronapandemie stellte Anfang 2020 Regierungen weltweit vor bislang nicht gekannte Herausforderungen. Der Virus breitete sich rasant aus, und die Auswirkungen waren nicht absehbar. Es galt, Kontakte zu unterbinden, um die Ausbreitung zu verlangsamen bzw. zu stoppen. Für ein paar Wochen stand somit das Land faktisch still. Das bewahrte viele Menschen vor Erkrankungen. Aber natürlich hatten die Eindämmungsmaßnahmen auch negative Konsequenzen für die Gesellschaft und die Wirtschaft.
Zur Stabilisierung der Wirtschaft mussten unter hohem Zeitdruck und hoher Unsicherheit wichtige Entscheidungen getroffen werden. Die Bundesregierung reagierte zusammen mit den Bundesländern schnell und umfänglich. Es gab einen Strauß an Maßnahmen, mit denen insbesondere kleine und mittlere Unternehmen sowie Soloselbstständige unterstützt wurden. Dazu gehörten unter anderem die Coronahilfen, Kredite, Bürgschaften, steuerliche Maßnahmen, das ausgeweitete Kurzarbeitergeld, der Härtefallfonds, die Möglichkeit der staatlichen Beteiligung und ein umfangreiches Konjunkturprogramm.
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Zudem wurde über weitere Maßnahmen wie die Mehrwertsteuersenkung die Binnennachfrage gestärkt. Ziel war es, schnell und unbürokratisch Unternehmerinnen und Unternehmern und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu helfen und einen Wiederanlauf der Wirtschaft zu gewährleisten. Umsatzrückgänge wurden abgefedert, Arbeitsplätze erhalten und die Zahl der Insolvenzen reduziert.
Von März 2020 bis heute hat die SPD-Bundestagsfraktion mit sehr, sehr vielen unterschiedlichen Unternehmen gesprochen. Im Nachhinein haben wir in Zusammenarbeit mit dem Finanzministerium und dem Wirtschaftsministerium bestehende Programme entsprechend weiterentwickelt, sodass mehr Unternehmen in höherem Maße Hilfen erhielten. Insgesamt, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist Deutschland gut durch diese Krise gekommen.
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Für kleinere Unternehmen und Soloselbstständige, die oftmals weniger Reserven haben, wurde die Coronasoforthilfe konzipiert: Zuschüsse bis 9 000 bzw. 15 000 Euro für Soloselbstständige, Freiberufler und Kleinstunternehmen. Allein für dieses Programm wurden 50 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Um Zeit zu sparen und bestehende Strukturen zu nutzen, erfolgte die Abwicklung über die Länder. Das Ganze lief in Rekordzeit. Im März wurde das Programm im Kabinett beschlossen, und schon eine Woche später wurden den Ländern die Mittel zur Verfügung gestellt.
Bei der Ausgestaltung hatten die Länder einen Ermessensspielraum, den sie unterschiedlich nutzten. So bewilligten einige die Anträge ohne größere Prüfung, andere prüften umfangreicher. Gleiches zeigte sich bei der Schlussabrechnung. Der Bund hatte Stichproben für die Prüfung der Anträge im Nachhinein vorgesehen. Schließlich, meine Damen und Herren, geht es hier um Steuergelder. Einige Bundesländer haben sich jedoch entschieden, vollumfänglich zu prüfen. Dafür gab es Gründe, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen oder Bayern. Aber dies liegt auch in ihrer Entscheidungshoheit. Der Bund kann hier nicht im Nachhinein eingreifen. Erstens liegt die Verantwortung bei den Ländern, und zweitens sind die Prozesse sehr komplex. Aber vor allem funktionieren nachträgliche Änderungen nicht, weil gerade diese Ungleichbehandlungen nach sich ziehen würden. So gibt es Personen, die aufgrund der Anforderung keine Anträge gestellt haben, oder andere, die bereits Gelder zurückgezahlt haben.
Der Bund hat in jedem Fall nach den Soforthilfen sofort Konsequenzen gezogen und die weiteren Unterstützungsprogramme wie die Überbrückungshilfe I bis IV zentral über eine Plattform laufen lassen. So ist gesichert, dass gleiche Regelungen für alle gelten.
Den AfD-Antrag lehnen wir ab. Es ist nicht möglich, auf der einen Seite Schnelligkeit und Bürokratieabbau zu fordern, auf der anderen Seite jedes Detail regeln zu wollen. Die einzige Möglichkeit, die Ihnen vielleicht vorschwebt, wäre, das Geld großzügig an alle zu verteilen. Aber auch das geht nicht; denn wir sind verpflichtet, Arbeitsplätze und Unternehmen zu schützen, aber gleichzeitig verantwortungsvoll mit Steuergeldern umzugehen. Und das tun wir.
Herzlichen Dank.
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Tilman Kuban, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte AfD-Fraktion, Sie stellen sich hier in Ihrem Antrag als die Schutzheiligen der Unternehmen in Deutschland dar. Da möchte ich dann doch gerne einmal daran erinnern, dass Ihr Fraktionsmitglied Harald Weyel vor drei Wochen gezeigt hat, wie Sie wirklich ticken,
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als er erklärt hat, dass er sich darüber freue, dass diesem Land ein schlimmer Winter bevorstehe.
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Ich zitiere:
Man muss sagen: „Hoffentlich“, oder? Wenn es nicht dramatisch genug wird, dann geht es so weiter wie immer.
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Dass Sie diesem Land schlechte Zeiten wünschen und sich dann hier als heilige Samariter aufspielen wollen: Wie soll das zusammenpassen?
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Ich sage es Ihnen offen und ehrlich: Wer den Sumpf trockenlegen will, der sollte nicht die Frösche fragen. Sie sind es mit Sicherheit nicht, die sich um die Belange der Unternehmen in diesem Land kümmern.
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Nun ein paar inhaltliche Anmerkungen. Ja, in nicht allen Fällen waren die Rückforderungen rechtmäßig. Deswegen gibt es einige Klageverfahren. Dafür sind die Länder zuständig; die Kollegin Poschmann hat es gerade angesprochen. Sie sind für die Ausführung und auch für die Durchführung zuständig. Die Klagen, die sich auf bestimmte Punkte konzentrieren, betreffen ja insbesondere die Coronahilfen von 2020, die teilweise zu früh freigeschaltet wurden oder zu denen Informationen erst nachträglich geliefert worden sind. Deswegen wird das gerichtlich überprüft. Allerdings muss ich Sie leider belehren; denn in Ihrem Antrag beschreiben Sie die Überbrückungshilfen I bis IV. Bei denen gibt es noch gar keine Schlussabrechnung, weil die Rückzahlungsfristen verlängert worden sind.
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Deswegen haben Sie an dieser Stelle einfach mal wieder schlampig recherchiert.
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Genauso sieht es bei den vorgeschlagenen Stundungen aus. Diese gibt es in den meisten Ländern schon. Sie aber stellen sich hierhin und wollen erklären, dass das ein Novum sei. Deswegen sage ich Ihnen auch an dieser Stelle: Gucken Sie mal in den Infoportalen nach. Informieren Sie sich mal bei den Beratungsstellen der Förderbanken. Sie haben auch an dieser Stelle mal wieder schlampig recherchiert.
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Nun zu den Rückzahlungsmodalitäten. Viele Länder haben sie ja schon nachgebessert oder sind dabei, sie nachzubessern. Ich habe mir beispielsweise Niedersachsen mal genauer angeguckt: Der Wirtschaftsminister Bernd Althusmann hat dafür gesorgt, dass die Rückzahlungsfristen bis zum 30. Juni 2023 verlängert werden, weil die Unternehmen gerade in dieser Zeit Liquidität brauchen. Daher mein Appell in Richtung der Regierungskoalition, wenn wir jetzt über neue Hilfsprogramme angesichts der Energiekrise sprechen: Es gibt momentan einige Regelungen, die darauf hinweisen, dass erst die Rückzahlung erfolgt sein muss, bevor neue Hilfen bewilligt werden können. Bitte sorgen Sie dafür, wenn Sie jetzt die Hilfsprogramme ausgestalten, dass das nicht der Fall ist. Die Unternehmen brauchen die Liquidität. Deswegen gilt es, an dieser Stelle Maß und Mitte zu halten, damit unsere Unternehmen, gerade die kleinen und mittleren, überlebensfähig bleiben.
Wir halten fest: Das Anliegen des Antrags ist durchaus berechtigt. Gerade in Bezug auf den Bereich der Schausteller sind die Sorgen berechtigt. Aber Ihr Antrag ist verdreht, er ist veraltet, und er ist schlecht recherchiert. Deswegen muss man an dieser Stelle festhalten: Das Einzige, was älter ist als die Zeitung von gestern, ist die AfD-Fraktion in diesem Parlament.
Wir werden diesen Antrag ablehnen.
Vielen Dank.
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Für Bündnis 90/Die Grünen hat Katharina Beck das Wort.
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Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Wir sollten noch einmal Klarheit in das Thema Coronahilfen bringen. Denn hier und heute geht es um die ersten Hilfen, die Soforthilfen, die kurz nach Ausbruch der Coronapandemie im Frühjahr 2020 von der letzten Bundesregierung sehr schnell auf den Weg gebracht wurden, um Soloselbstständigen und kleinen Unternehmen in der akuten Krise beim Überleben zu helfen. Einige Bundesländer haben damals zusätzlich unbürokratische Einmalzahlungen hinzugefügt, mein Bundesland Hamburg beispielsweise 2 500 Euro. Und im Frühjahr 2020 flossen dann sehr schnell 13,4 Milliarden Euro an circa 1,8 Millionen Empfänger/-innen. Es war sehr wichtig, dass das so schnell ging.
Es ist aber auch wichtig, dass wir an dieser Stelle über eine Politik des lernenden Staates sprechen, gerade in Krisenzeiten, und darüber, wie wir mit Aspekten umgehen, die nicht ganz perfekt gelaufen sind. Denn bei der Konstruktion und auch bei der Kommunikation und Abwicklung gab es tatsächlich Herausforderungen. Ein Problem bei diesen allerersten Hilfen war, dass die Soforthilfen den Fokus auf die Erstattung von Fixkosten anstelle von Umsätzen gelegt hatten. Beispielsweise viele Selbstständige, die ihre Betriebe in ihren privaten Wohnräumen organisieren und hauptsächlich variable Kosten haben, waren also kaum anspruchsberechtigt. Und auch der Unternehmerlohn, der für viele Selbstständige das Gehalt ersetzt, wurde nur in wenigen Fällen bezuschusst.
Die damals unter diesen Bedingungen vereinbarten Anträge, die dies beschrieben haben, aber jetzt nachträglich, zweieinhalb Jahre später, wie Sie das fordern, noch zu ändern genauso wie die Ermittlungsmethodik, die verlässlich war und mit der man sich wirklich lange auseinandergesetzt hat, das würde zu einem unfassbaren Wirrwarr führen und wäre unfair denen gegenüber, die bereits zurückgezahlt haben, und es ist fraglich, ob das überhaupt rechtens wäre.
Stichwort „lernender Staat“: Das Problem wurde sehr schnell erkannt, und die gesamten Folgehilfen – die Überbrückungshilfen I bis IV, die Neustarthilfe – wurden dann nach den Erfahrungen bei den Soforthilfen an der besseren Bezugsgröße Umsatz orientiert. Und auch bei den aktuell in Arbeit befindlichen Hilfen für die kleinen und mittelständischen Unternehmen in der Energiekrise ist uns dieser Punkt sehr, sehr wichtig.
Aber auch Kommunikation und Administration der Hilfen laufen nicht überall rund, und es ist wichtig, dass wir uns da ehrlich machen. Es wurde damals beispielsweise gesagt – so hatten es viele gehört –, es seien Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssten, und in vielen Anträgen der Länder stand es eben anders. Und dann flatterten für manche überraschend Briefe mit den Rückforderungen der gezahlten Zuschüsse in die Briefkästen. Denn viele der Empfänger/-innen konnten eben keine – ich hatte es vorhin beschrieben – ausreichend hohen betrieblichen Fixkosten nachweisen, und da kann ich die Unzufriedenheit vieler Soloselbstständiger auch nachempfinden.
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Es war also für die Abmilderung der Folgen dann das Mindeste, die Rückzahlungsfristen deutlich zu verlängern und Stundungen zu ermöglichen.
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Es war ein Herzensanliegen der Bundesregierung, hier sofort tätig zu werden. Noch im Dezember letzten Jahres hat unser Wirtschaftsminister Robert Habeck als eine seiner ersten Amtshandlungen die Länder zu einem Rückzahlungsmoratorium aufgefordert, dem sehr viele nachgekommen sind. In Hamburg wurden die Rückzahlungen über eine Stundung bis Ende 2022 und über anschließende Ratenzahlungen sogar bis Ende 2024 ausgeweitet. Und wenn wir die Hilfen so in der Konstruktion nicht mehr ändern können, dann zumindest den Umgang damit, und das tun wir – für die Menschen.
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Der Staat könnte auch in der Kommunikation manchmal noch mehr lernen. Da wurde dann zum Teil gesagt, die Stundung sei nur in begründeten Fällen möglich, und nicht erklärt, wie das ging. Da wünsche ich mir dann manchmal, dass wir besser kommunizieren.
Aber mir ist es ein Riesenanliegen, an dieser Stelle noch mal auf die außerordentliche Relevanz der vielen Millionen Selbstständigen sowie Kleinst- und Kleinunternehmen für die deutsche Wirtschaft hinzuweisen. Wir sehen Sie! Sie haben nicht die größten Interessensvertretungen hier vor Ort. Aber über 40 Prozent der Beschäftigten in Deutschland arbeiten in diesen Klein- und Kleinstunternehmen. Sie sind das Rückgrat unserer Wirtschaft mit knapp 500 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Wir sehen Sie! Mir war wichtig, das hier noch mal ganz klar zu benennen. – Die Soforthilfen waren nicht perfekt, und uns da auch ehrlich zu machen, ist wichtig.
Frau Beck, letzter Satz.
Wir haben aber gehandelt und erleichtern die Rückzahlungen. – Dieser Antrag hilft da leider nicht. Deswegen lehnen wir ihn ab.
Vielen Dank.
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Für Die Linke hat Christian Görke das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mal ganz vorneweg an die Fraktion zu meiner Rechten: Sie brauchen sich bei den Coronahilfen nun wirklich nicht so aufspielen. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätte es überhaupt keiner Hilfen bedurft, weil Sie ja bis heute unter anderem das Delta-Virus als Wintergrippe ansehen. Wir können alle froh sein, dass Sie bei dieser Frage weder in den Ländern noch im Bund irgendwelche politische Verantwortung hatten und nichts zu melden hatten.
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Jetzt zur Sache. Die Coronasoforthilfe 2020 war der erste Rettungsanker, um schnelle Hilfe für Unternehmen und Selbstständige zu sichern. Auch Soloselbstständige, die keine Mitarbeiter beschäftigten, sollten unbürokratische Hilfe bekommen wegen der pandemiebedingten Einnahmeausfälle.
Am 23. März 2020 erklärte der damalige Bundesfinanzminister Olaf Scholz – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:
Wir gehen in die Vollen, um auch den Kleinstunternehmen und Solo-Selbstständigen unter die Arme zu greifen. … Deshalb gibt es vom Bund jetzt schnelle und unbürokratisch Soforthilfe. Ganz wichtig ist mir: Wir geben einen Zuschuss, es geht nicht um einen Kredit. Es muss also nichts zurückgezahlt werden. Damit erreichen wir die, die unsere Unterstützung jetzt dringend brauchen.
Die Praxis war und ist eine andere. Viele Soloselbstständige, die sowieso mit wenig Geld dastanden und das Geld dringend brauchten, sahen sich über Nacht geänderten Richtlinien ausgesetzt. 35 000 Unternehmerinnen und Unternehmer in Brandenburg – 35 000! –, darunter 20 000 Soloselbstständige, die auf die Zusagen des Bundes vertraut hatten, sind bis heute mit Rückzahlungsforderungen konfrontiert. Bildlich gesprochen ist es so: Man hat an der Kasse bezahlt, und dann ruft man dem Kunden, der schon 3 Kilometer weg ist, hinterher: Der Preis hat sich geändert!
Folgelogisch gab es Tausende Klagen von Niedersachsen bis Brandenburg, von Schleswig-Holstein bis Bayern. Und wenn es noch eines Beleges bedarf: Der Armutsbericht 2022 sagt deutlich: Die Soloselbstständigen sind die Verlierer der Pandemie. Mit 13,1 Prozent liegt die Armutsquote der Soloselbstständigen jetzt um 46 Prozent höher als bei der Erhebung von 2019; da waren es 9 Prozent.
Meine Damen und Herren der Grünen und der FDP, die mit uns in der Opposition waren und damals Forderungen und Positionen vertreten haben, die sich heute unseren ähneln: Damit die Pandemieverlierer in der anrollenden Wirtschaftskrise nicht wieder zu den Verlierern werden, bitte ich Sie ausdrücklich, hier zu handeln und noch einmal zu prüfen, ob nicht gerade bei den Soloselbstständigen auf diese ungerechtfertigten Rückforderungen verzichtet werden kann.
Vielen Dank.
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Für die FDP-Fraktion hat Karsten Klein das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will vielleicht zum Anfang noch mal betonen, dass es selbstverständlich für einen Freiberufler, für einen Kleinunternehmer, der jetzt mit einer solchen Rückforderung konfrontiert ist, zu einer extremen Situation führen kann, zu Liquiditätsengpässen, zu der Gefahr der Nichtfortführung des Unternehmens; das steht völlig außer Frage. Aber ich denke trotz allem, liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD, dass die sich nicht von Ihnen instrumentalisieren lassen wollen für die Botschaften, die Sie heute gerne hier aussenden würden.
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Deshalb finde ich, man muss das in der Gesamtschau schon noch mal ein bisschen in Relation stellen: Wir als Bundesrepublik Deutschland haben 1,8 Millionen Kleinunternehmen und Soloselbstständigen Soforthilfen gewährt. Wir haben es jetzt mit 68 000 Rückforderungen zu tun. Keine Frage, wie gesagt, für jeden Einzelnen kann das eine schlimme Bedrohung sein; aber die aktuelle Lage zeigt, dass wir doch ganz andere große Fragestellungen haben.
Die aktuell große Fragestellung ist – das ist auch der Ausgangspunkt, warum die Rückforderungen zum Beispiel für Soloselbstständige problematisch sein können – die aktuelle Energiekrise. Sie führt für viele zu existenzbedrohenden Situationen. Aber diese Gruppen sind nicht unbedingt deckungsgleich. Also, diejenigen, deren Existenz jetzt durch die Energiekrise bedroht ist, sind nicht unbedingt deckungsgleich mit denjenigen, die in der Coronakrise in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Denn es sind verschiedene Gruppen. Deshalb macht natürlich eine pauschale Verlängerung der Rückzahlungsfristen keinen Sinn und ist auch nicht sachgerecht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Was sachgerecht ist, ist das, was jetzt durchgeführt wird, nämlich eine Einzelfallbetrachtung. Außerdem – Kollege Kuban hat es ja schon erwähnt – gibt es schon Stundungsmöglichkeiten bis zu zwei Jahren – das wird teilweise etwas unterschiedlich gehandhabt –, und es gibt auch schon Fristverlängerungen, Ratenzahlungen. Also, ich denke, dass wir, alle demokratischen Kräfte in diesem Haus, schon einen sehr verantwortungsvollen Umgang mit diesen Problematiken zeigen.
Ich selbst bin aber eher ein Freund davon, dass man die Probleme auch an der Wurzel packt. Ich habe schon betont, dass es dabei in erster Linie um die Energiekrise geht. Deshalb – auch wenn wir nicht alle steigenden Preise ausgleichen können – müssen wir das Problem trotzdem an der Wurzel packen und die Strompreis- und die Gaspreisbremse endlich einführen; das ist jetzt die wichtigste Aufgabe, auf die wir uns konzentrieren müssen. Wir müssen alle Kraft darauf verwenden, das Angebot im Energiebereich zu erhöhen und den Preisdeckel einzuführen.
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Das will ich an dieser Stelle noch einmal betonen, weil man sonst durch den Antrag der AfD den Eindruck bekommen könnte, dass wir hier über ein ganz großes Problem für die wirtschaftliche Stabilität in Deutschland sprechen. Dem ist aber nicht so. Die wirtschaftliche Stabilität in Deutschland wird durch die Energiekrise bedroht; deshalb muss man das auch entsprechend einordnen.
Man kann natürlich aus dem Thema „Soforthilfen und Wirtschaftshilfen in der Coronakrise“ insgesamt lernen:
Als Erstes kann man aus den Soforthilfen lernen, dass sie nicht besonders treffsicher gewesen sind. Allein die 68 000 Rückforderungen und die 277 000 freiwilligen Rückzahlungen zeigen schon, dass dieses Instrument nicht besonders geglückt ist. Noch deutlicher wird es natürlich bei den sonstigen Wirtschaftshilfen, die die Bundesregierung, damals die Große Koalition, auf den Weg gebracht hat. Sie waren sehr aufwendig; sie waren sehr langwierig. Es hat sehr lange gedauert, bis die Hilfen überhaupt ausgezahlt worden sind – selbst die Abschlagszahlungen. Es gäbe bessere Instrumente in einer solchen Krise. Das waren damals schon die Vorschläge der FDP, und das gilt in dieser Krise selbstverständlich ganz genauso.
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Diese Instrumente, diese Vorschläge diskutieren wir jetzt gemeinsam.
Man kann aber noch eine zweite Sache aus dieser Sache mit den Wirtschaftshilfen lernen, und zwar, wenn man sich die Verlautbarungen und die Berichte vom Bundesrechnungshof anschaut, der sich sehr intensiv mit diesen Wirtschaftshilfen auseinandergesetzt hat und der noch mal festgestellt hat: Wirtschaftsförderung ist in erster Linie Zuständigkeit der Länder. Das kann in dieser Krise nur bedeuten – mit freundlicher Empfehlung auch ans Wirtschaftsministerium –, dass die Länder, die den letzten Tagen ja wieder sehr hohe Forderungen aufgestellt haben, sich endlich mal beteiligen könnten, wenn es darum geht, die Unternehmen in diesem Land zu retten – auch in dieser Energiekrise.
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Deshalb bin ich noch nicht sehr zuversichtlich. Aber ich bin doch sehr hoffnungsvoll, dass wir in den harten Debatten jetzt vielleicht auch mal bestimmte Aussagen ein bisschen geraderücken, wenn es darum geht, wie bei solchen Hilfsgewährungen die Mittelverteilung sein wird. Aber eins steht fest – ich denke, das sollte am Ende meiner Rede noch mal gesagt werden –: Natürlich werden wir hier einzelfallbezogen helfen, wenn es nötig ist; aber es ist nicht ein Problem, das die Stabilität dieses Landes gefährdet.
Vielen Dank.
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Für die CDU/CSU hat das Wort der Kollege Jan Metzler.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, es sind Ausnahmejahre, und man muss mit Bedauern feststellen: Wir sind immer noch in einer solchen Ausnahmezeit. In diesem Zusammenhang möchte ich festhalten, dass es genau in dieser Ausnahmezeit immer ein Gang ins Unbekannte ist. Das Wichtigste ist, dass man in einer solchen Zeit entscheidet. Das hat die damalige Bundesregierung getan. Wir sind zur Entscheidung gezwungen gewesen, weil wir uns letztlich einer Pandemie und damit der Bekämpfung eines Virus und der Bewältigung der damit verbundenen Probleme gegenübergestellt gesehen haben.
Meine Damen und Herren, ich fange jetzt auch nicht an, hier zu sagen: Bei uns ist quasi das Gras immer ganz besonders in die Höhe gewachsen. – Man muss im Sinne eines lernenden Staates – das ist auch schon zum Ausdruck gekommen – natürlich das eine oder andere reflektieren. In dem Zusammenhang fällt mir auch ein, dass ich – das hat damals die gesamte Union so gesehen – die Administration damals beispielsweise tendenziell eher bei den Finanzbehörden, bei den Finanzämtern gesehen hätte als an anderen Stellen; das festzustellen, gehört im Zusammenhang mit der datenbasierten Betrachtung dazu.
Aber ich möchte meine Redezeit auch nutzen, um generell an den Kollegen Klein anzuknüpfen und festzustellen: Im Bewilligungszeitraum von März bis Mai 2020 gab es ein Gesamtvolumen von 13,6 Milliarden Euro Soforthilfen, 1,8 Millionen Bezieher. Es gab 277 000 Rückzahlungen freiwilliger Art – das haben Sie bereits erwähnt –, und es ist, rund gerechnet, bei einer kleineren Menge zu Nachforderungen gekommen.
Auch die Unternehmen haben im Endeffekt diesen Gang ins Unbekannte gehabt, weil sie ihre Liquidität nicht komplett überblicken konnten. Deswegen ist das alles im Zusammenhang zu sehen, und zwar im Zusammenhang eines Nachfrageschocks, dem wir uns gegenübergestellt gesehen haben.
Jetzt befinden wir uns in einer Situation, wo wir es mit einem Angebotsschock zu tun haben. Kollege Klein hat völlig zu Recht gesagt, dass sich diese Krisen jetzt gegenseitig überlagern. Da es jetzt basierend auf dem Antrag der AfD so ist, dass wir uns noch einmal mit dem Thema Soforthilfe zu beschäftigen haben, möchte ich noch mal im Kern zu den Soforthilfen Folgendes sagen:
Erstens. Ja, Rückforderungen müssen rechtens sein.
Zweitens. Die Rückzahlungsfrist muss großzügig bemessen sein; das steht auch außer Frage.
Drittens. Gut ist es, dass hier prüfende Dritte involviert sind, die die Interessen der Mandantinnen und Mandanten letztlich entsprechend nachvollziehen und auch vertreten.
Das ist in diesem Zusammenhang alles zu benennen und eben auch zusammenzuziehen. Wenn in den Sonntagsreden immer erwähnt wird, dass Bürokratie die große Geißel sei, die uns alle verfolgt, dann müssen wir uns jetzt aber an der Stelle auch mal frei machen. Ich kann mich sehr genau an die Debatten damals im Wirtschafts- und Energieausschuss erinnern. Zu Beginn hieß es: „Es muss möglichst schnell und möglichst unbürokratisch in die Pipeline gehen“, was aus meiner Wahrnehmung – auch meine Vorrednerinnen und Vorredner sind in Teilen darauf eingegangen – der Fall war. Als es vier, fünf Wochen später zu den ersten Mitnahmeeffekten kam, hat sich aber dann sofort die Debatte wieder verdreht und gedreht. Wir als politisch Verantwortliche haben uns dann hier natürlich auch einer Debatte – auch intern – gegenübergestellt gesehen, wo es hieß: Wo sind die Verantwortlichen? Und wen hat man als Erstes entsprechend in Verantwortung heranzuziehen?
Auf genau einer solchen Gratwanderung befinden wir uns aktuell wieder: Wir haben auf der einen Seite im Endeffekt eine Gegenüberstellung zu vollziehen, möglichst alles rechtssicher abzubilden, aber auf der anderen Seite gilt es gleichzeitig, diese Gegenüberstellung gemäß den vorhandenen Möglichkeiten möglichst offen zu gestalten. Dazwischen muss sich im Endeffekt ja ein Mittelweg befinden. Das war damals nicht einfach, und im Zeitalter von sich überlagernden Krisen ist das heute genauso schwer.
Letzte Bemerkung. Die Tatsache, dass wir überhaupt Hilfe leisten konnten, beruht auf der Tatsache, dass wir einen Bundeshaushalt hatten, der das Ganze erst möglich gemacht hat.
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Das hat letztlich auch die Anerkennung des Grundsatzes nach sich gezogen, dass die schwarze Null eben kein Fetisch war, sondern dass Haushaltsdisziplin die Grundvoraussetzung zur Bereitstellung dieser Mittel war. Deswegen möchte ich in diesem Zusammenhang auch erwähnen – genau das gilt auch wieder an dieser Stelle –: Wir müssen sehr genau auch darauf achten, dass wir die Möglichkeiten, die uns der Bundeshaushalt gibt, nicht in dem Maß überdehnen, dass es am Tagesende nicht mehr möglich ist, zu helfen. Deswegen ist der Beitrag, den Haushaltsdisziplin mit sich bringt, einer, der gegenüber den nachkommenden Generationen wichtig ist und den wir hochhalten müssen.
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Insofern kann ich eigentlich nur eins sagen – ich knüpfe auch an dieser Stelle an den Kollegen Klein an –: Im Zeitalter eines Angebotsschocks ist es wichtig, dass man das Angebot auch in der Bewältigung der Krise ausweitet. Da kann ich nur sagen: Alles Gute auf diesem Weg!
Danke.
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Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben Jahre, in denen ganz offensichtlich ist, dass wir einen aktiven, eingreifenden Staat brauchen, dass wir die Wirtschaft nicht sich selbst überlassen können – so gern wir es wollten – und dass die Pandemie massive Effekte auf die Wirtschaft hat; das ist ganz offensichtlich. Wir kennen die Diskussionen über den Lockdown und seine Folgen, und die Pandemie dauert im Übrigen an. Wir kennen die Unterbrechungen der Lieferketten, und das war alles noch vor dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Anfang 2020 hatte die damalige Bundesregierung die Aufgabe, innerhalb kürzester Zeit – ohne Blaupausen, ohne Beispiele – Unternehmenshilfen auf den Weg zu bringen, um Insolvenzen und Betriebsaufgaben zu verhindern. Das hat funktioniert; die Coronahilfen waren ein voller Erfolg. Das war ein ganz maßgeblicher Teil im Bündel der Maßnahmen. Ich sage nicht, dass alles perfekt war. Aber auch der Internationale Währungsfonds bestätigte uns zum Beispiel, dass Deutschland sehr gut durch diesen Teil der Wirtschaftskrise gekommen ist und diese eben nicht die Auswirkungen hatte, die viele befürchtet haben.
Aber klar ist auch – das ist heute auch schon gesagt worden –: Der Bund kann nur den Rahmen setzen und ein großes Stück Geld zur Verfügung stellen. Für die Umsetzung sind oft die Länder verantwortlich, und das hat unterschiedlich gut funktioniert. Selbst in Ländern, wo es besser funktioniert hat, gab es Probleme bei der Antragsstellung, und es gab Fragen in der Abwicklung. Es hat natürlich zu lange gedauert, weil in diesen Krisen jede Minute zählt. Klar ist aber auch, dass es am Ende des Tages gut funktioniert hat.
Die Abwägung, vor der wir heute stehen, ist immer eine Frage zwischen der Sicherstellung der Erstattung und einer fairen Regelung im Zweifel des Einzelfalls. Wir stehen vor der Herausforderung, dass sich die Hoffnung, dass die Hilfen nur kurzfristig gewährt werden und dann schnell zurückgezahlt werden können und dann alles wieder gut ist, leider nicht erfüllt hat. Die Krisen sind mehr geworden. In diesem Jahr kam der Angriffskrieg hinzu. Die Pandemie ist nicht vorbei. Wir reden hier regelmäßig über die Inflation, über die Energiepreise. Das macht die Situation für Unternehmen noch viel herausfordernder.
Das bedeutet, die Abwicklung bzw. die Rückzahlung fällt in eine außerordentlich schwierige Zeit. Deswegen ist es gut und richtig, dass der Bund bereit ist, hier für Spielraum zu sorgen. Der Bund kann und will da keine Schulden erlassen oder Betrug, den es in einem kleinen Prozentsatz der Fälle auch gab, sozusagen belohnen. Aber die Frist für den Schlussbericht der Länder zum Beispiel auf das Jahresende zu schieben, schafft noch mal Spielraum.
Die Länder – ich habe es schon mal gesagt – sind zuständig für die konkrete Ausgestaltung, die Auszahlung und die Rückzahlung. Der Bund schafft nur die Rahmenbedingungen. Wir haben jetzt noch mal mindestens eine Atempause für drei Monate geschaffen. Diese Verlängerung verbessert die Zahlungsbedingungen, verbessert die Situation der Unternehmen. Wir müssen uns natürlich spätestens am Jahresende, wahrscheinlich früher, noch mal in die Augen schauen und uns fragen, ob das reicht und ob der Bund da im Rahmen seiner Möglichkeiten agiert hat oder ob wir das noch mal verlängern müssen. Ganz grundsätzlich sind wir zu der Diskussion natürlich bereit.
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Wichtig ist – deswegen stelle ich es noch mal ausdrücklich fest –: Es muss unser gemeinsames Ziel sein, dass niemand, kein Unternehmen, wegen der Rückzahlung in Probleme kommt und dass niemandem deswegen die Betriebsaufgabe oder die Insolvenz droht. Dabei liegt der Fokus ganz besonders auf Selbstständige, insbesondere auf Soloselbstständige. Bei diesen halten sich die Rücklagen massiv in Grenzen, und da ist noch viel weniger Spielraum. Da muss es auch möglich sein, über Stundungen zu angemessenen Lösungen zu kommen.
Das betrifft übrigens ganz oft Kulturschaffende, die arbeitsrechtlich in der Regel de facto Soloselbstständige sind, die regelmäßig fast prekäre Beschäftigungsbedingungen haben, insbesondere in Krisenzeiten. Diese hat die letzte Bundesregierung nicht vergessen, und auch diese Bundesregierung wird sie nicht vergessen; denn unsere Gesellschaft braucht die Kultur. Das müssen wir mit diesen Regelungen konkret zeigen.
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Wir können aber auch aus der damaligen Zeit lernen. Wir brauchen auch jetzt wieder schnelle Hilfe, Kurzarbeitergeld – ich habe neulich schon angekündigt: ich werde es in jeder Rede erwähnen –; aber auch das Energiekostendämpfungsprogramm und der Gas- und der Strompreisdeckel, bei denen wir jetzt hoffentlich schnell zu brauchbaren, zu greifbaren Ergebnissen kommen, machen den Unterschied.
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Der Unterschied zu damals ist: Die jetzige Bundesregierung
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hat die Möglichkeit, diese Programme schnell, aber auch rechtssicher umzusetzen. Ein starker Staat ist nötig. Das zeigt zum Beispiel eine Umfrage der bayerischen IHKs. Jetzt schon, wo wir wahrscheinlich erst am Beginn dieser Energiekrise sind, investieren 25 Prozent der Unternehmen nicht mehr in die Aufrechterhaltung ihres Kerngeschäfts, und 14 Prozent haben keine Gelder mehr für Bildung und Forschung. Wahnsinnige Warnzeichen, fatale Warnsignale, die wir ernst nehmen!
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Aktive Wirtschaftspolitik hält den Laden am Laufen, und dafür steht die Fortschrittskoalition.
Vielen Dank.
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Der letzte Redner in der Debatte ist für Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Dieter Janecek.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kleinstberufe, Soloselbstständige, kleine und mittlere Betriebe, Veranstaltungswirtschaft, Kulturschaffende – sie alle standen damals, im März 2020 und in der Folge, nicht nur vor der Angst, an einem schrecklichen Virus zu erkranken – wobei Sie als AfD den Leuten leider das Gegenteil erzählt haben; damit sind Sie auch für viele Tausende Tote in diesem Land verantwortlich –,
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sondern sie standen auch unmittelbar vor Existenzsorgen. Deswegen war es damals so schwierig. Das Handeln in der Ausführung und auch die Kommunikation – Frau Beck hat das erwähnt – waren auch aus meiner Sicht damals nicht geglückt. In manchen Formen der Kommunikation hieß es: „Das ist ein Zuschuss“, und in anderen: „Das ist das ein Kredit.“ Das passt natürlich nicht zusammen. Das muss man in der Rückschau so kritisch anmerken. Deswegen ist der Ärger auch verständlich.
Aber es war natürlich richtig, dass wir damals – übrigens auch gemeinsam – gehandelt haben und gesagt haben: Wir müssen jetzt schnell und umfassend reagieren mit der sogenannten Bazooka. – Ich bin zwar kein Militarist,
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aber es war zumindest ein Bild, das zu unserem Anliegen, dass wir allen helfen wollen, passend war. „You’ll never walk alone“ war sozusagen schon damals in der Coronapandemie das Motto. Das war richtig.
Was die Rückforderungen angeht, ist die Gerechtigkeitsfrage natürlich nicht nur in eine Richtung zu stellen – Herr Klein hat es ja auch angesprochen –: Es gibt ja Unternehmen, die Rückforderungen auch entsprechend geleistet haben. Denen jetzt zu sagen: „Wir erlassen das den anderen Betrieben“, würde sicherlich keine Wellen der Begeisterung auslösen. Deswegen ist es schon richtig, zu sagen: Wir prüfen das und verlängern lieber noch mal – Herr Roloff hat es gesagt – die entsprechenden Zeiträume der Rückzahlung. Die Prüfung geht bis zum Ende des Jahres, vielleicht noch ein bisschen länger.
Die Länder haben ja auch Spielräume, die gerade in so einer Energiekrise genutzt werden könnten, in der es zusätzliche Belastungen gibt, die – Herr Klein hat es richtigerweise gesagt – nicht alle Unternehmen gleich treffen. Aber jetzt ist vielleicht nicht der Zeitpunkt, um besonders inkulant zu sein, sondern jetzt ist der Zeitpunkt, um kulant zu sein.
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Die Aufarbeitung der Coronakrise und der damit verbundenen Maßnahmen überlasse ich anderen. Ich glaube, in der Zukunft, zunächst in diesem Winter, müssen wir schauen, dass insbesondere die Kultur- und Veranstaltungsbranche Rahmenbedingungen hat, mit denen sie auch arbeiten kann. Das ist ganz wichtig.
Vielen Dank.
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