Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/23/2022

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich bitte beginnen, indem ich den Angehörigen von Rainer mein ganz herzliches Beileid ausdrücke. Er war auch für unser Haus immer ein wichtiger Ansprechpartner, ein wichtiger Ratgeber. Wir werden ihn vermissen. Die gesetzliche Regelung zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung, die wir heute besprechen, ist der Tatsache geschuldet, dass es in der letzten Legislaturperiode den Aufbau eines großen Defizits in der Krankenversicherung gegeben hat. In dieser Größenordnung kann man sagen: historisch. Es ist entstanden durch den demografischen Wandel in unserer Gesellschaft und durch bessere Technologie, aber auch dadurch, dass hier Strukturreformen ausgeblieben sind. Das ist keine Kritik, sondern das ist der Tatsache geschuldet, dass andere Schwerpunkte im Vordergrund standen: die Pandemiebekämpfung. Somit ist es ein geerbtes Defizit. Aber das werden wir gemeinsam beseitigen. Wir müssen es beseitigen in dem Geist, dass wir keine Schuldzuweisungen machen, sondern gemeinsam darangehen. Dabei haben wir uns im Haus von drei Grundprinzipien leiten lassen. Das wichtigste Grundprinzip will ich in den Vordergrund stellen – daran werden wir in der gesamten Legislaturperiode nicht rütteln –: Wir wollen keine Leistungskürzungen. In einer Zeit, wo die Menschen bedroht sind durch Krieg, Inflation, steigende Energiepreise, möglicherweise Rezession, sind Kürzungen bei der Gesundheitsversorgung nicht vermittelbar. Mir wird das immer wieder vorgeschlagen. Ich lehne dies ab. Wir müssen in einer solchen Zeit zusammenhalten. Es kann nicht sein, dass die Menschen in einer solchen Phase Kürzungen im Bereich Gesundheit, Einschränkungen im Leistungskatalog erleben. Das werden wir nicht mitmachen. Diesem Grundprinzip tragen wir durch diese Reform Rechnung. ({0}) Ich bitte dafür auch um die Unterstützung im ganzen Haus. Diese Sicherheit müssen wir den Menschen bieten: Auch in der Gefahr und im Wandel – auf die Gesundheitsversorgung kann man sich verlassen. Zum Zweiten. Es ist richtig, dass wir zuerst an Effizienzreserven herangehen, bevor wir Beitragssätze erhöhen. In diesem System sind viele Effizienzreserven. Einige der wichtigen Effizienzreserven gehen wir hier an. Ich werde nachher ein paar Beispiele nennen. Was durch Effizienzreserven nicht gewinnbar ist, das muss dann fair verteilt werden. Die Lasten, die dann übrig bleiben, müssen über Steuermittel, aber auch über moderate Beitragssatzerhöhungen, auch unter Beteiligung der Arbeitgeber, getragen werden. Das sage ich ausdrücklich; denn die Zusatzbeiträge werden ja paritätisch gezahlt. Es kann nicht sein, dass Arbeitnehmer und Steuerzahler alle Beiträge zahlen und sich die Arbeitgeber nicht beteiligen. Eine faire Verteilung auf alle Schultern ist richtig, und die stärksten Schultern müssen das meiste tragen. Wieso sind hier noch Effizienzreserven vorhanden? Wie kann das überhaupt sein? Ich bringe ein Beispiel: Die Krankenkassen haben durch die Wettbewerbsverzerrungen, die es früher gegeben hat, ganz unterschiedlich hohe Rücklagen. Es gibt Krankenkassen, die haben hohe Rücklagen, und es gibt Krankenkassen, die haben sehr niedrige Rücklagen. Das verzerrt natürlich den Wettbewerb. Somit müssen diese Rücklagen zuerst einmal der Versorgung zugeführt werden. Wenn wir das nicht tun, dann passiert das, was jetzt auch, als das angekündigt wurde, zu sehen war: Die Krankenkassen, die viele Rücklagen haben, stocken zum Beispiel ihre eigenen Vorstandsaltersrückstellungen massiv auf. Das sind tatsächlich auch Krankenkassen – ich möchte hier wirklich nicht in eine polemische Vergleichsdebatte einsteigen –, wo die Vorstände deutlich mehr verdienen als der Bundeskanzler. Auch darüber muss nachgedacht werden. Also, die Altersrückstellungen sind zu hoch. Hier werden Vergütungen gezahlt, die unvergleichbar sind mit dem, was der normal GKV-Versicherte verdient. Diese Rückstellungen zurückzuführen, halte ich für richtig, insbesondere in einer Zeit, wo wir sonst an die Beitragssätze heranmüssten oder die Versicherten belasten müssten. ({1}) Ich will kurz ein paar Beispiele dafür bringen, wo wir Effizienzreserven gehoben haben, wodurch aber die Versorgung nicht schlechter wird. Ein Beispiel ist: Wir bereinigen im Krankenhaus das Pflegebudget. Die Pflegekosten werden jetzt – das ist gut – über die Kostendeckung direkt erstattet. Es gibt aber parallel zum Pflegebudget noch eine Restkonstante in der Fallpauschale. Somit wird dort die Pflege doppelt abgerechnet. Das haben wir beseitigt. Das ist einfach fair und richtig. Dadurch wird die Versorgung nicht schlechter. Ein weiteres Beispiel. Wir haben im Bereich der Arzneimitteltherapie dafür gesorgt, dass sehr hohe Preise, mit denen neue Medikamente in den Markt kommen, nicht mehr lange gelten. Das kann in dieser Form sowieso nur noch in Deutschland passieren. Wir sind der innovationsfreundlichste Pharmamarkt in ganz Europa. Die Pharmafirmen wollen vieles verändern, aber sie wollen kein anderes Vergütungssystem in Europa, nur unseres. Wir haben den Zeitraum, in dem diese hohen Preise unverändert gelten, auf sechs Monate gekürzt. Das ist einfach fair. Es kann nicht sein, dass ein Preis, der belegterweise zu hoch ist, länger als sechs Monate in der überhöhten Form gilt. Das ist einfach unfair. Das ist eine Effizienzreserve, die dem Lobbydruck der vergangenen Jahre geschuldet ist. Das haben wir beseitigt. In einer solchen Zeit müssen wir – bei allem Verständnis für die Lobbygruppen, die bei uns jeden Tag vorsprechen – gemeinsam für die Versicherten, für die Verbraucher, für die Steuerzahler, für die Beitragszahler einstehen. Das haben wir mit dieser Reform gewagt, und werden das auch weiter tun. Bei unberechtigten Angriffen werden wir dem Lobbydruck standhalten. Das sind wir den Versicherten, den Menschen in Deutschland schuldig. Sonst steigt der Beitragssatz unnötigerweise. Das ist nicht hinzunehmen. ({2}) Es war nicht alles durch das Heben von Effizienzreserven – ich könnte weitere Beispiele bringen – zu kompensieren, am Schluss ist doch noch etwas übrig geblieben, was wir fair verteilen müssen. Da belasten wir den Steuerzahler. Der Zuschuss steigt um 2 Milliarden Euro. Wir arbeiten kurzfristig mit einem Darlehen von 1 Milliarde Euro, um die Schuldenbremse nicht zu überschreiten. Und wir erhöhen den Beitragssatz um 0,3 Prozentpunkte. Auch das ist nicht unfair. Im Gegensatz zur Verwendung von Steuermitteln zahlen hier die Arbeitgeber die Hälfte mit, also die Arbeitgeber werden mit ins Boot genommen. ({3}) – Ja, auch die gesetzlich Krankenversicherten. Aber es sind nur 0,15 Beitragssatzpunkte mehr. ({4}) Mehr ist das nicht. Der allergrößte Teil dieser Reform, nämlich 90 Prozent, wird, um es auf den Punkt zu bringen, nicht durch die Erhöhung des Beitragssatzes auf der Arbeitnehmerseite bezahlt. 90 Prozent! 10 Prozent haben wir Arbeitnehmern und Arbeitgebern zugemutet. Das halte ich für vertretbar. Es sind 10 Prozent für sie, 90 Prozent werden über andere Quellen generiert. Ich komme zum Schluss. Man kann hier Folgendes feststellen: Nach der Reform ist vor der Reform. Wir brauchen langfristig gesehen eine wesentliche Strukturreform der Krankenversicherung, der Art und Weise, wie wir das bezahlen. Ich habe jetzt erst einmal Effizienzreserven mobilisiert, was in keinem Fall zu einer Verschlechterung der Versorgung führt, aber langfristig müssen wir natürlich eine Reform vornehmen, und daran arbeiten wir. Wir müssen die Beiträge für Arbeitslosengeld‑II-Empfänger fairer gestalten und erhöhen. ({5}) Wir müssen den Bundeszuschuss dynamisieren. Es kann nicht sein, dass, obwohl die Menschen immer älter werden, der Bundeszuschuss nicht dynamisiert wird. Wir arbeiten noch an dieser Reform. Ich bitte um Verständnis, dass wir erst einmal die Effizienzreserven heben, dann gehen wir an diese Reform. Diese Brücke werden wir überschreiten, das werden wir erreichen. Ich werde kurzfristig – das möchte ich noch sagen – hinsichtlich der erheblich gestiegenen Energiekosten durch die Inflation, was in den Krankenhäusern und in der Pflege durch die Eigenanteile zu Mehrbelastungen führt, an dieser Stelle Vorschläge vorbringen. Aber wir müssen das getrennt sehen: Effizienzreserven heben – die Reform von heute –, eine Finanzreform – die Reform von morgen – und die Beseitigung der Belastungen beim Eigenanteil in der Pflege und in den Krankenhäusern – die Reform, die ebenfalls in Kürze vorgestellt werden wird. So werden wir das gemeinsam schaffen. Bitte unterstützen Sie diese Reformen. Verschonen Sie uns mit Polemik. Lassen Sie uns gemeinsam über Lösungen nachdenken. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({6})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion der Bayerische Staatsminister für Gesundheit und Pflege Klaus Holetschek. ({0})

Klaus Holetschek (Gast)

Politiker ID: 11003153

Frau Präsidentin! Hohes Haus! Lieber Kollege Lauterbach! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erst einmal will ich feststellen, dass es gut ist, dass wir uns heute über die essenziellen Themen im Bereich „Gesundheit und Pflege“ unterhalten und nicht über Corona. Das ist auch noch ein wichtiges Thema, aber jetzt geht es mal an die Substanz. ({0}) Themen, die die Menschen bewegen, sind: Wie finanzieren wir das System? Wir müssten über die Pflegeversicherung sprechen – das ist auch ein Desaster –, über Krankenhausfinanzierung – da sind wir auch noch nicht weiter – oder über sektorenübergreifende Versorgung; dazu haben wir auch noch nichts gehört. Das alles sind Themen, die wichtig sind. Stattdessen legen Sie heute ein Gesetz mit dem Titel „Finanzstabilisierungsgesetz“ vor. Wissen Sie, was es ist? Es ist ein Versorgungsdestabilisierungsgesetz. Eigentlich hätte es der Finanzminister einbringen müssen und nicht Sie, Herr Kollege Lauterbach. ({1}) Die Wahrheit ist doch, dass Gesundheitspolitik inzwischen entweder vom Justizminister oder vom Finanzminister gemacht wird. Das ist keine Polemik, sondern es ist meine Erfahrung auch aus den Diskussionen in der Gesundheitsministerkonferenz, in denen zum Schluss immer der Satz kommt: Ich muss mal schauen, was der Herr Lindner dazu sagt. – Es ist eine Kapitulation, wenn Gesundheitspolitik nicht mehr von den Gesundheitspolitikern gemacht wird. ({2}) Natürlich ist uns klar, dass die GKV die Basis des Gesundheitssystems ist. Wir sind, wie wir alle wissen, im Moment in schwierigen Zeiten – ich nenne nur Inflation und Energiekosten. Wenn die Beiträge steigen, dann ist das kein gutes Signal für die Menschen in unserem Land vor diesem schweren Winter, der uns bevorsteht. ({3}) Sie steuern auf einen Kassencrash zu, auf einen Blackout bei der Versorgung, wenn Sie so weitermachen. Da nützt es nichts, wenn Sie ankündigen: Wir werden etwas vorlegen. – Jetzt müssen Sie vorlegen! Jetzt müssen Sie es machen! ({4}) In Ihrem Koalitionsvertrag steht ja auch, dass die GKV-Beiträge für Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II erhöht werden und auskömmlich sein sollen. ({5}) Wir reden da von 10 Milliarden Euro. Also, es muss hier etwas passieren. Es darf nicht bei der Ankündigung bleiben, dass man das irgendwann tut und irgendwann macht. Die 2 Milliarden Euro Bundeszuschuss sind da einfach viel zu wenig. Auch die Dynamisierung des Zuschusses ist notwendig und richtig. ({6}) Sie sehen doch: Die Krankenkassen werden abgeschöpft. Das ist kontraproduktiv. ({7}) – Erst hören, dann stören. Das ist ein wichtiger Satz. Der gilt überall, ({8}) im bayerischen Landesparlament, aber auch im Deutschen Bundestag, dem ich selber von 1998 bis 2002 angehörte. – Also, wir wissen, dass das Abschöpfen der Krankenkassenreserven der falsche Weg ist, meine Damen und Herren. Wenn ich heute lese, dass sogar Ihr Projekt der Einrichtung von Gesundheitskiosken von den Kassen nicht mehr finanziert wird, weil diese sehen, dass die Politik, die Sie machen, der falsche Weg ist, dann sollte Ihnen das schon zu denken geben, lieber Herr Kollege. ({9}) Die Steigerungen werden, wie wir wissen, weitergehen. Die Aufnahme der ukrainischen Flüchtlinge war richtig und wichtig, aber durch ihre Überführung in das Leistungssystem wird noch einmal ein Defizit von 1 Milliarde Euro entstehen. Das kommt noch auf das Ganze obendrauf. Wir stehen vor ganz schwierigen Zeiten. Natürlich wollen wir zusammenhalten, Herr Kollege Lauterbach, das ist unbestritten. Länder und Bund gemeinsam – das machen wir in der GMK, glaube ich, auch immer deutlich. ({10}) Aber Sie setzen nun einmal die falschen Schwerpunkte. Die Abschaffung des Budgets für die Neupatientenregelung – wissen Sie, was das ist? Das ist eine Leistungskürzung, Herr Kollege Lauterbach. Das können Sie schönreden, wie Sie wollen. ({11}) Wenn man sich die Wartezeiten auf eine Versorgung mit einer Psychotherapie ansieht, dann stellt man fest: Das ist eigentlich eine Leistungskürzung. Reden Sie doch nicht drumherum. Das nützt doch nichts. Machen Sie sich ehrlich in diesen Fragen! ({12}) Oder Thema „Parodontitistherapie bei den Zahnärzten“. Es ist irre, was da abläuft. Dabei geht es um Grundversorgung, das geht an die Grundfesten. Das hatten wir gerade erst in den Katalog aufgenommen, jetzt schaffen Sie es wieder ab. ({13}) Das Pflegebudget. Mit Verlaub, ich halte das wirklich für einen Irrsinn. Wir brauchen in der Pflege jetzt große Würfe. Wir brauchen bessere Arbeitsbedingungen. Wir brauchen wirklich eine Revolution in der Pflege. Ich nehme das Wort nicht oft in den Mund, aber es ist so. ({14}) Wir müssen mutig sein und nach vorne gehen, und Sie kürzen jetzt das Pflegebudget. Sie nehmen Bereiche heraus wie zum Beispiel Hebammen, aber auch andere, die nicht mehr refinanziert werden, und schaffen so noch einmal eine Verschärfung in diesem wichtigen Bereich. Statt dass wir alles tun, damit man in der Pflege spürt, dass wir hinter ihr stehen, gehen Sie hier kontraproduktiv genau den falschen Weg. ({15}) Ich will auch noch etwas zum Thema Arzneimittel sagen. Die Pharmabranche und alle da wollen einen Beitrag leisten. ({16}) Darum geht es gar nicht. Und sie müssen auch einen Beitrag leisten. Aber wie will man das machen, ohne einen Dialog mit den Unternehmen zu führen, ohne einen Pharmadialog anzustoßen? Wir werden den Innovations- und Forschungsstandort Deutschland kaputtmachen. ({17}) Wir feiern ihn für die Impfstoffe, für Paxlovid und für andere Medikamente, aber wir machen ihn hier kaputt. Denn wissen Sie, Wirtschaft hat etwas mit Vertrauen zu tun. Wenn Unternehmen nicht mehr in die Rahmenbedingungen vertrauen können, dann werden sie den Standort verlagern. Das ist der Fehler. Es geht nicht darum, einen gerechten Beitrag zu bringen. Es geht darum, wie man das macht, wie man den Dialog führt und wie man mit diesen Unternehmen umgeht, die Innovation und Forschung für die Menschen machen. Es geht um die beste Medizin für die Menschen, und das muss uns bewegen und muss uns auch gemeinsam nach vorne treiben. ({18})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Holetschek, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung aus der FDP-Fraktion von Herrn Ullmann?

Not found (Gast)

Na klar. ({0})

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Holetschek, ich danke Ihnen, dass Sie die Frage zulassen. – Wie Sie wissen, komme ich aus Unterfranken. Sie kritisieren jetzt in Ihrer Rede ausgiebig die Fehlentscheidungen der vorherigen Gesundheitsminister, die auch aus der Union kamen. Meine Frage konkret an Sie für uns in Bayern: Ist die Bayerische Staatsregierung, die der Aufgabe der Krankenhausfinanzierung nicht nachkommt, jetzt dazu bereit, die Finanzierung der Krankenhäuser in Bayern voranzutreiben? ({0})

Not found (Gast)

Herr Kollege Ullmann, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für diese Frage. – Bayern investiert 643 Millionen im Rahmen der dualen Krankenhausfinanzierung. Seit 1972 sind 25 Milliarden Euro in bayerische Krankenhäuser geflossen, davon 60 Prozent in den ländlichen Raum. Jetzt müssen die Hausaufgaben gemacht werden zum Thema DRGs. Das ist aber nicht unsere Aufgabe, das ist die Aufgabe, die auf Bundesebene angegangen werden muss. Wir warten darauf, dass die entsprechenden Maßnahmen endlich ergriffen werden. ({0}) Ich will Ihnen noch einmal sagen: Ich glaube, dass die Situation zu explodierenden Beiträgen bei den Kassen führt, vielleicht sogar zu Schließungen, zu einer weiteren Konzentration; was nicht gut ist. Deswegen müssen wir gegensteuern. Ich würde mir wünschen, Herr Kollege Lauterbach, dass wir jetzt ein Moratorium für Bürokratieabbau auf den Weg bringen. Auch das ist ein wichtiges und zentrales Thema. ({1}) Wir müssen es tun. Die Menschen glauben nicht mehr, dass wir das schaffen, wenn wir es jetzt nicht tun. Wir dürfen nicht nur darüber reden. ({2}) Zum Schluss eine Bitte: Kündigen Sie dieses Programm nicht mehr an, machen Sie es jetzt! Energiekosten, Pflege, Reha, Krankenhäuser – wir kriegen einen kalten Strukturwandel im ländlichen Raum. Die Krankenhäuser werden es nicht schaffen. Expertenschätzungen zufolge: 2,8 Milliarden Euro Sachkostensteigerung dieses Jahr, 1,7 Milliarden Energiekosten – das ist nicht mehr tragbar. Wir dürfen nicht mehr warten. Jeder Tag, an dem nichts passiert, ist ein verlorener Tag. ({3}) Das gilt auch für Pflegeeinrichtungen. Das Wohngeld wird nicht ausreichen. Zu den Rehaeinrichtungen: Wir zerstören jetzt Strukturen, die wir nachher wieder brauchen. Denken Sie an Long und Post Covid; Ihnen brauche ich das nicht zu sagen, weil Sie um die Bedeutung wissen. Wenn wir bei der Reha nichts machen, dann wird die entsprechende Struktur bald nicht mehr da sein. Seien Sie mutig! Setzen Sie sich in der Koalition durch! Machen Sie Gesundheitspolitik für die Menschen in unserem Land! Die haben es verdient, nach der Pandemie erst recht. ({4})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Maria Klein-Schmeink. ({0})

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Raum! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Herr Minister Holetschek, ich muss sagen: Was für ein Offenbarungseid, den Sie hier inszeniert haben, angesichts 16 Jahren unionsgeführter Gesundheitspolitik! ({0}) Das ist ja nicht zu glauben. Sie haben große Klagen geführt, haben aber vergessen, zu erwähnen, wer eigentlich verantwortlich ist für das, was wir hier an Krise vorfinden. ({1}) Sie haben recht: Wir haben ein Defizit von 17 Milliarden Euro aus Ihrer Regierungszeit geerbt. Wir haben einen Haushalt geerbt, in dem null Vorsorge für die Deckung dieser 17 Milliarden Euro vorgesehen war. ({2}) Sie haben einen Wahlkampf geführt, in dem Sie – anders als wir – jede Antwort schuldig geblieben sind, wie Sie mit diesem Defizit umgehen wollen; jede Antwort! ({3}) Wir haben gesagt, was wir den Menschen zumuten werden. ({4}) Wir haben gesagt: Wir werden das gerecht lösen. Wir haben aber auch gesagt: Es wird teurer werden. – All das haben Sie nicht getan. ({5}) Zusätzlich haben Sie 16 Jahre lang vergessen, die großen Krisen im Gesundheitswesen anzugehen. Sie haben zu Recht die Krankenhausreform angesprochen. Dieses Problem ist aber nicht neu, sondern es ist ein altbekanntes. ({6}) Schon 2009, als ich hier im Bundestag angekommen bin, war das schon ein altbekanntes Problem. Wir wissen, dass wir es mit Versäumnissen auf der Länderebene zu tun haben, ({7}) und wir wissen auch, dass wir ein Entgeltsystem auf Bundesebene haben, das den Erfordernissen nicht gerecht wird. Deshalb, meine lieben Zuhörer hier, steht die Reform der Krankenhausfinanzierung genau jetzt auf der Tagesordnung. Wir gehen sie an. ({8}) Wir haben innerhalb von wenigen Monaten Ergebnisse vorliegen. ({9}) Wir haben Vorschläge vorliegen. Wir werden als Erstes den Bereich Pädiatrie angehen, wir werden als Zweites den Bereich Geburtshilfe angehen, und wir werden die Krankenhausfinanzierung insgesamt auf eine neue Grundlage stellen.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Frau Klein-Schmeink.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Punkt eins ist die Strukturreform. Wir werden die Krankenhausreform breiter fassen, weil wir große Verschränkungen mit den Ländern haben. Da werden wir Sie brauchen. Ich werde Sie an all das erinnern, was Sie jetzt gerade gesagt haben. ({0}) Es wird nicht möglich sein, zu sagen: Hier Bund, mach mal, und wir Länder halten die Hände auf. – Wir brauchen eine vernunftgeleitete, eine wissenschaftlich fundierte Krankenhausplanung. Davon sind wir derzeit weit entfernt; höchstens in NRW gibt es diese Schritte. Wir brauchen zusätzlich – das ist der zweite Punkt – eine Reform der Versorgung insgesamt: integrierte Versorgung, kooperierende Versorgung, Gesundheitszentren, die gerade in den ländlichen Räumen die Versorgung sichern können. ({1}) Dazu höre ich vonseiten der CDU/CSU nichts, außer der großen Klage, dass wir mehr Hausärzte brauchen. ({2})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Frau Klein-Schmeink, ich versuche schon die ganze Zeit, eine Lücke zu finden, um die Frage zu stellen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung aus der CDU/CSU-Fraktion von Frau Zeulner?

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. Gerne. ({0})

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Kollegin, vielen herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich habe eine ganz konkrete Frage: Was tun Sie aktuell, um im Bereich Krankenhäuser und soziale Infrastruktur insgesamt – ich denke zum Beispiel an die ambulanten Pflegedienste im ländlichen Raum, die mit hohen Spritkosten umgehen müssen – Entlastungen zu schaffen? Bitte ganz konkret: Was tun Sie jetzt? Denn jetzt ist Handlung dringend nötig. ({0})

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich glaube, Sie haben dem Minister nicht zugehört. Sie haben wahrscheinlich auch nicht wahrgenommen, dass wir vonseiten der Fraktion Vorschläge für einen Energie- und Inflationsschutzschirm gemacht haben. ({0}) Wir sind in der Diskussion. ({1}) Das wird in den nächsten Wochen entschieden, und wir werden handeln. Ich sage eines: Wir handeln in dieser Zeit schneller als Sie in den ganzen letzten Jahren. ({2}) Wir werden dafür sorgen, dass unsere wichtige Infrastruktur unterstützt und so erhalten wird. Wir werden daran arbeiten, zukunftsgerechte Lösungen zu erstellen. Das ist doch der Punkt! ({3})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage von der Fraktion Die Linke?

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Na gut, eine Frage.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Gut, eine noch.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das verlängert ja meine Redezeit. ({0})

Ates Gürpinar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005073, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich bin Ihnen ganz besonders dankbar, dass Sie diese Frage zulassen, Frau Klein-Schmeink. Vielen Dank auch an die Präsidentin. – Sie haben gerade gesagt, dass Sie eine auskömmliche Finanzierung in der Pädiatrie und Geburtshilfe angehen wollen. Ich will Sie in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass in Ihren Koalitionsvertrag auch die Finanzierung der Notfallversorgung aufgenommen wurde. Ich möchte fragen, weil Sie es – bewusst oder unbewusst – nicht zum ersten Mal auslassen – also nicht Sie, sondern die Koalition an sich –, ob Sie das Projekt begraben haben oder ob Sie es noch angehen werden. Es wird die Kolleginnen und Kollegen in der Notfallversorgung sehr interessieren, ob Sie da zuverlässig sind oder nicht. ({0})

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist eine sehr gute Frage; denn sie gibt mir die Gelegenheit, einen Eindruck, der entstanden sein könnte, richtigzustellen. Natürlich gehen wir auch die Notfallversorgung an. ({0}) Das ist der dritte Punkt, den wir innerhalb der großen Reform angekündigt haben und jetzt auch angehen werden. Sie können sicher sein: Genau das werden wir tun. ({1}) Jetzt kommen wir zum Punkt: Was sind denn eigentlich die Antworten auf die Fragen der Zukunft? Mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz können wir nur einen Übergang schaffen, eine einmalige Lösung, weil der Rückgriff auf Reserven nur einmal möglich ist. Wir brauchen ganz klar eine Strukturreform bei der Finanzierung. Wir haben in der Ampel wichtige Schritte im Koalitionsvertrag verankert, und auf die werden wir auch hinarbeiten. Genau das werden wir tun. ({2}) Der springende Punkt ist – Sie alle wissen das –: Wir sind jetzt in einer Dreifachkrise. Wir sind in einer Krise, in der wir sehr gut aufpassen müssen, wie viel Belastung wir den einzelnen Haushalten, den einzelnen Versicherten, den Menschen hier im Lande zumuten können. Und da haben wir einen guten Ausgleich gefunden zwischen der Belastung über den Anstieg von Beitragsmitteln: ({3}) Wir haben gleichzeitig den Rücklagenabbau, ({4}) und wir haben einen Beitrag zur Effizienzsteigerung, den die verschiedenen Leistungserbringer erbringen werden. ({5}) Wir werden dieses Ziel nicht aus den Augen verlieren und eine regelbasierte Refinanzierung installieren, ({6}) wo es um gesamtgesellschaftliche Aufgaben geht. Und da sage ich Ihnen einmal eins: 16 Jahre lang haben Sie genau das nicht angepackt. ({7}) Sie haben es auch in der letzten Wahlperiode nicht angepackt. ({8}) Sie hatten im Koalitionsvertrag stehen, ({9}) dass Sie die Beiträge für die ALG‑II-Beziehenden steuerfinanziert anheben werden. Das haben Sie nicht gemacht, und das in Zeiten höchster Rücklagen. Das ist doch der Punkt. ({10}) Dann haben Sie noch etwas anderes gemacht. Sie haben die Betriebsrentner freigestellt von höheren Beiträgen ({11}) und haben das nicht steuerrefinanziert gemacht, sondern uns in dieser Wahlperiode ebenfalls übergeholfen. So war Ihre Art und Weise, Gesundheitspolitik zu machen. ({12}) Da kann ich nur sagen: Das Erbe der Ära Jens Spahn war sehr, sehr teuer. Wir gehen das jetzt an. ({13}) Da können Sie sicher sein. Es ist auch ganz klar: 2024 werden wir weitere Schritte gehen müssen in Richtung gerechter Finanzierung, stabiler und regelgeleiteter GKV-Beiträge. Das werden wir angehen. ({14}) Da können Sie sicher sein. Wir werden unseren Beitrag tatsächlich leisten, ({15}) um Verantwortung für ein stabiles Gesundheitswesen zu übernehmen. Genau das haben Sie nicht getan. ({16})

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kürzlich traf ich im friesischen Dangast eine Frau, die mit Tränen in den Augen vor dem Schwimmbad stand. Diese Frau weinte, weil sie es sich finanziell schlicht nicht leisten kann, mit ihren Kindern ins Schwimmbad zu gehen, während Ukrainer kostenlosen Eintritt haben. ({0}) Dieses Beispiel zeigt exemplarisch, was in Deutschland schiefläuft. Während ukrainische Nobelkarossen vor deutschen Zahnarztpraxen stehen und Ukrainer sich auf Kosten der deutschen Beitragszahler die Zähne richten lassen, wissen viele Deutsche nicht mehr, wie sie angesichts der gestiegenen Lebenshaltungskosten selbst ihre Grundnahrungsmittel finanzieren sollen. ({1}) Dass die Ukrainer diese Leistungen annehmen, das kann man ihnen nicht vorwerfen. Der Fehler liegt einzig und allein bei der deutschen Regierung, die auf dem Rücken der einheimischen Bevölkerung Ausländern ein kostenloses Rundum-sorglos-Paket anbietet. Dass ein Ukrainer, der mit der Mercedes-S‑Klasse vorfährt, mehr staatliche Unterstützung bekommt als eine deutsche alleinerziehende Mutter, ist irre. ({2}) Dass jemand, der nicht arbeiten geht, finanziell besser dasteht als jemand, der Vollzeit arbeitet, ist irre. Dass man wegen angeblicher Überlastung der Krankenhäuser die Menschen zur Maske zwingt und zum Impfen nötigt, aber zugleich zulässt, dass zahllosen Krankenhäusern wegen der Energiekosten die Insolvenz droht, ist irre. Diese gesamte Politik ist irre. ({3}) Sie weigern sich beharrlich, die Ursachen der Probleme anzugehen. Die einzige Lösung, die Sie kennen, ist, immer mehr Geld der Steuerzahler umzuverteilen. Sie treiben damit das Land in die Inflation und die Bürger massenhaft in die Armut. Schlimmer noch: Sie bestrafen konsequent Leistung. Genauso wie Sie mit dem Bürgergeld jeden bestrafen, der fleißig ist und arbeiten geht, bestrafen Sie mit diesem Gesetz alle Krankenkassen, die solide gewirtschaftet haben. Sie nennen das Stabilisierungsgesetz, aber in Wahrheit destabilisieren Sie die Kassen, indem Sie die vorhandenen Reserven einiger Kassen sozialistisch umverteilen. Sie sind leistungsfeindliche Sozialisten. ({4}) Wer anständig und vernünftig arbeitet, der ist bei Ihnen der Dumme. Und die FDP präsentiert sich hier einmal mehr als reiner Alibiwurmfortsatz für rot-grüne Spinnereien. Sie machen inzwischen alles mit und haben jede Position, die Sie im Wahlkampf vertreten haben, vollkommen aufgegeben. ({5}) Neben der Massenverarmung der Bevölkerung durch immer mehr Inflation und staatliche Umverteilung sehen Sie auch der Zerstörung des deutschen Gesundheitswesens tatenlos zu. Zahllosen Krankenhäusern, Rehaeinrichtungen, Physiotherapeuten droht durch die gestiegenen Energiekosten und die Inflation die Insolvenz. Sie reden hier von Stabilisierung. Zur wirklich notwendigen Stabilisierung im Gesundheitswesen legen Sie aber keinerlei Ansatz vor. Das ist absolut unverantwortlich. ({6}) Mit Ihrer Politik haben Sie alles in Schieflage gebracht. Es ist höchste Zeit, Deutschland wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen. Hören wir auf, jedem illegal Eingereisten und jedem Ukrainer ein Rundum-sorglos-Paket zum Nulltarif zur Verfügung zu stellen. Beenden wir den grünen extremistischen Wahnsinn, der sich Energiewende nennt, und sorgen wir für bezahlbare Energie für jedermann. Sorgen wir für allzeit verfügbare und bezahlbare Arzneimittel, indem wir die Produktion in Deutschland und Europa stärken. Das wäre vernünftig und gut. Das wäre Ursachenbekämpfung. ({7}) Ihr hier vorgelegtes Gedankengut des leistungsfeindlichen Sozialismus ist das leider nicht. Übrigens: Die eingangs erwähnte alleinerziehende Mutter wählt in zwei Wochen bei der Landtagswahl in Niedersachsen AfD, weil wir als Einzige eine vernünftige Politik vertreten, wie sie in über 90 Prozent der Länder weltweit normal ist. Ich hoffe, das machen viele Menschen. Vielleicht kommen Sie dann einmal zum Nachdenken. Herzlichen Dank. ({8})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Professor Dr. Andrew Ullmann. ({0})

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist gut, dass in der letzten Bundesregierung Olaf Scholz für die Staatsfinanzen zuständig war und nicht jemand aus der Union, ({0}) sonst sähe unser Bundeshaushalt so aus wie die GKV-Finanzen. ({1}) Wir ständen vor einem Scherbenhaufen. Um es klar zu sagen: Dieses Gesetz macht mir auch keine Freude. Es ist nämlich keine Freude, höhere Zusatzbeiträge zu erheben. ({2}) Es ist kein gutes Gefühl, zu Leistungserbringern zu gehen und zu sagen, dass wir trotz ihrer hochwertig erbrachten medizinischen Leistungen Einsparungen vornehmen müssen. Aber was ist die Alternative? Ohne ein Gesetz wie dieses würden die Beitragszahlerinnen und ‑zahler im kommenden Jahr Beitragssteigerungen von mehreren hundert Euro erleben. ({3}) So etwas ist nicht verantwortbar in Zeiten von Inflation und Energiekrise. ({4}) Es ist daher richtig, dass wir die Finanzierungslücke von 17 Milliarden Euro nun im kommenden Jahr angehen – eine Zahl, die uns nicht überrascht und seit einiger Zeit im Raum steht. Der Bundesgesundheitsminister hat erste gute Vorschläge unterbreitet. Ich bedanke mich auch an dieser Stelle ausdrücklich bei unserem Finanzminister, der einer Erhöhung des Bundeszuschusses trotz der sehr angespannten Haushaltslage zugestimmt hat. Zudem bin ich auch froh, dass sich der geplante rückwirkend erhobene Solidarbeitrag für pharmazeutische Unternehmen im Kabinettsbeschluss nicht mehr wiederfindet. Bei dieser Regelung hatte ich ordnungspolitische Bedenken angemeldet. Es ist gut, dass die Bundesregierung das überarbeitet hat. ({5}) Zudem ist es mir auch wichtig, dass wir von der FDP im vorliegenden Entwurf den Auftrag zu Strukturreformen im Gesundheitswesen gesetzlich verankert haben. Die Defizite in der gesetzlichen Krankenversicherung werden in den kommenden Jahren nicht weniger. Aufgrund der Alterung der Gesellschaft und der angespannten wirtschaftlichen Situation werden die Einnahmen voraussichtlich geringer und die Ausgaben weiter steigen. Ja, meine Damen und Herren, wir haben tatsächlich ein Ausgabenproblem; ({6}) denn die Fehlanreize im Gesundheitssystem sorgen für ein teures, aber wenig effizientes System. ({7}) Wir müssen gemeinsam an die Strukturen herangehen, um die Kosten im Griff zu behalten. Es geht bei dieser Entwicklung um das große Ganze. Es geht darum, ob eine Krankenversicherung, deren Leistungsspektrum staatlich organisiert wird, funktionieren kann. Die gesetzliche Krankenversicherung steht vor allem wegen des politischen Missmanagements schlechter da als die private Krankenversicherung. ({8}) Die private Krankenversicherung denkt mit ihrem Finanzierungssystem, mit der Bildung von Rücklagen, an die Zukunft. Die Umlagefinanzierung der gesetzlichen Krankenkasse ist in Zeiten des demografischen Wandels nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Ich halte es trotzdem für unsere gemeinsame Aufgabe, die Zukunft der gesetzlichen Krankenversicherung zu sichern. Dafür ist dieses Gesetz ein erster Schritt, aber sicherlich, meine Damen und Herren, nicht der letzte. ({9}) Dabei geht es nicht nur um Strukturreformen innerhalb der Abrechnungssysteme, sondern um Reformziele, die sich CDU/CSU nicht getraut haben in den Jahren der Regierungszeit anzugehen. Unsere Fortschrittskoalition ({10}) in der Ampel hat sich ambitionierte Ziele gesetzt – Ziele, die einer dringlichen Umsetzung bedürfen; denn anders werden unsere Erwartungen in ein gutes Gesundheitssystem scheitern. Meine Damen und Herren, unser Gesundheitssystem muss menschlicher, digitaler, ambulanter, vernetzter, bedarfsgerechter und innovativer werden. Und für die Leistungserbringer wird das System auskömmlich finanziert sein. Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz ist ein erster notwendiger, aber schmerzlicher Schritt. Doch die nächsten wichtigen Reformschritte sind bereits vorgezeichnet. So machen wir unser Gesundheitssystem resilienter und zukunftssicher für alle. Ich freue mich auf die Diskussionen in unserem Ausschuss. Herzlichen Dank. ({11})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Ates Gürpinar. ({0})

Ates Gürpinar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005073, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben gesagt, wir sollten nicht polemisch werden. Ich darf daran erinnern, dass Sie mit der Polemik angefangen haben, indem Sie das Gesetz „Finanzstabilisierungsgesetz“ genannt haben. Ich glaube, das ist die erste Polemik, die Sie sich geleistet haben, und dann müssen Sie mit manchen – leider auch üblen – Reaktionen rechnen. ({0}) Ich möchte anfangen mit dem Problem der Schätzung; denn das erste Problem ist, wovon Sie ausgehen. Sie sagen: Es geht um 17 Milliarden Euro, die im nächsten Jahr fehlen werden. – Ich möchte daran erinnern, dass das sehr niedrig berechnet ist. Es gibt andere Berechnungen. Das Institut für Gesundheits- und Sozialforschung ist von 24,6 Milliarden Euro ausgegangen, und das war im Juni dieses Jahres. Da waren die ganzen Kosten, die im Winter auf die Leistungserbringerinnen und ‑erbringer zukommen werden, noch gar nicht drin. Die Krankenhäuser, die Pflege – Bereiche, die sehr energieintensiv sind – müssen die ganzen Energiekosten tragen, sind da aber noch gar nicht berücksichtigt. Deswegen sind auch die 17 Milliarden Euro definitiv zu wenig; der Betrag wird nicht ausreichen. Was Sie beschreiben, ist Polemik, weil Sie schon von einem viel zu geringen Betrag ausgehen, den Sie nächstes Jahr ausgleichen müssen. ({1}) Das Problem ist aber – Sie haben es gerade genannt –, wie das Ganze stabilisiert werden soll. Sie behaupten die ganze Zeit: Es kommt nicht so viel auf die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler zu. Der GKV-Spitzenverband sieht das anders. Der geht davon aus, dass eigentlich 11 Milliarden von diesen 17 Milliarden Euro bei den Beitragszahlenden landen. Warum? Zum einen durch die Anhebung des Zusatzbeitragssatzes um die von Ihnen genannten 0,3 Prozentpunkte. Das ist in diesem Winter übrigens schon eine beachtliche Summe, weil es nicht das Einzige ist, was auf die Menschen zukommt. ({2}) Ich darf noch mal daran erinnern, dass die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung vor allem von den Mittelverdienenden und Geringverdienenden geleistet wird, weil die Höherverdienenden dort gar nicht einzahlen, unter anderem auch einige von Ihnen nicht. Das heißt, es geht vor allem an das Geld derer, die schon jetzt zu wenig haben. Das eigentliche Problem ist aber – es wird dann wirklich absurd –, dass Sie selbst schreiben – ich zitiere –: Diese Lasten müssen auf verschiedene Schultern verteilt werden und können nicht allein den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern auferlegt werden. Und dann schreiben Sie: So sind auf der Einnahmenseite neben höheren Bundesmitteln auch die Finanzreserven der Krankenkassen heranzuziehen. Nun möchte ich Sie fragen, woher die Reserven dieser Krankenkassen eigentlich kommen, wenn nicht von den Beitragszahlenden, Herr Lauterbach. ({3}) Die haben diese Reserven nämlich mitaufgebaut. Deswegen ist die Aussage des GKV-Spitzenverbands richtig, dass 11 Milliarden der 17 Milliarden Euro von den gesetzlich Versicherten geleistet werden – direkt oder indirekt. Nun könnten wir eine große Lösung vorschlagen, nämlich endlich eine solidarische Gesundheitsversicherung zu machen. Das wäre dringend nötig. Sie schreiben ja auch ganz schön, dass das alles solidarisch geleistet werden soll, auch wenn Sie es selbst nicht tun. Wir haben auch eine kleine Lösung vorgeschlagen, die Sie jetzt einfach übernehmen könnten; wir haben dazu Anträge eingereicht. Würden Sie die annehmen, würde weitaus mehr Geld zur Verfügung stehen als bei dem, was Sie vorschlagen. Zum einen wollen wir die Beitragsbemessungsgrenze nicht sofort auflösen – das ist natürlich unser Ziel –, sondern zunächst einmal anheben auf das Niveau der Rentenversicherung West. Das heißt, es gibt eine Anhebung. Das betrifft dann nicht die Geringverdienenden, die dadurch nicht mehr zahlen müssen, das betrifft dann auch nicht die Mittelverdienenden, die jetzt im Winter schon nicht mehr über die Runden kommen, sondern das betrifft tatsächlich diejenigen, die gut verdienen. Das wären 12,65 Milliarden Euro, die Sie damit mehr in der Tasche hätten. – Das ist der erste Punkt. ({4}) Der zweite Punkt. Ich bin ja, glaube ich, selten mit Herrn Holetschek, obwohl auch aus Bayern, einer Meinung: Warum reformieren Sie nicht die Beitragszahlungen der ALG‑II-Beziehenden durch den Bund? Das wären weitere 2,6 Milliarden Euro, um die es hier gehen würde. Damit können Sie jetzt beginnen. ({5}) Drittens. Wir reden auch über eine Reduzierung der Mehrwertsteuer; sie hat ja nicht immer Sinn gemacht. Aber wenn wir bei den Arzneimitteln den ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwenden würden, dann wäre das, weil es ein sehr stark regulierter Markt ist, tatsächlich etwas, was bei den Erbringern ankommen würde. Das wären weitere 5 Milliarden Euro. All das haben wir in Anträgen vorgelegt. Setzen Sie sie um! Dann müssen Sie den Titel „Finanzstabilisierungsgesetz“ nicht mehr ändern, um selbst nicht polemisch zu sein. Vielen Dank. ({6})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dr. Christos Pantazis. ({0})

Dr. Christos Pantazis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005174, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Eine Krise jagt die nächste“ – selten hat eine Redewendung unsere Zeit so treffend beschrieben wie diese. Coronapandemie, Klimawandel und nicht zuletzt der russische Angriffskrieg mit der Folge drastisch gestiegener Energiepreise und hoher Inflationsraten haben zu einem Konjunktureinbruch in Deutschland geführt. ({0}) Diese Entwicklung setzt auch die gesetzliche Krankenversicherung unter Druck. Seit Jahren wachsen hier die Ausgaben mit jährlich rund 4 Prozentpunkten spürbar stärker als die Einnahmen. Wesentlicher Grund dafür ist ein anhaltender Reformstau. Infolgedessen sehen wir uns mit einem milliardenschweren Defizit konfrontiert, das allein im nächsten Jahr 17 Milliarden Euro betragen soll – 17 Milliarden! Das ist genau die Zahl des Tages, über die wir im Rahmen der heutigen ersten Lesung des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes beraten, und die Lücke, die es im kommenden Jahr kurzfristig zu schließen gilt. Herr Minister, ich will in diesem Zusammenhang nicht verhehlen, dass ich es Ihnen hoch anrechne, Ihren Amtsvorgänger hierfür nicht zu kritisieren. Aber zur Wahrheit gehört auch: Ihr Vorgänger im Amt hat seine Hausaufgaben nicht gemacht und Ihnen dieses Defizit vererbt. ({1}) Ihr Vorgänger im Amt hat es trotz wirtschaftlich guter Rahmenbedingungen nicht vermocht, Strukturreformen entschieden anzugehen, sondern sich vielmehr auf populäre, allerdings teure Leistungsreformen konzentriert, die uns jetzt auf die Füße fallen. Deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, wirkt es, gelinde gesagt, etwas wohlfeil, nun aus der Opposition heraus vehement Strukturreformen einzufordern und nach Jahren der Blockade sich unsere nachhaltigen Finanzierungsvorschläge anzueignen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, obwohl wir die Finanzen der gesetzlichen Krankenkassen in einem sehr schwierigen Zustand vorgefunden haben – das ist vorhin schon erläutert worden –, bekennt sich die Fortschrittskoalition auch weiterhin – ich zitiere gern aus der Koalitionsvereinbarung – „zu einer stabilen und verlässlichen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung“. Das von der Bundesregierung hier vorgelegte GKV-Finanzstabilisierungsgesetz begrüßen wir von der Stoßrichtung her; denn ohne kurzfristig greifende Maßnahmen müssten die Zusatzbeiträge in den kommenden Jahren von derzeit durchschnittlich 1,3 Prozent um rund 1 Prozentpunkt steigen. In Anbetracht ansteigender Energiepreise sowie hoher Inflationsraten wäre das für die wirtschaftliche Entwicklung schlichtweg Gift und könnte für private Haushalte womöglich die Grenze der Belastbarkeit überschreiten. Insofern sieht der vorliegende Gesetzentwurf vor, die Lasten solidarisch auf mehrere Schultern zu verteilen. So sollen Beitragsreserven von Kassen und Gesundheitsfonds herangezogen, aber auch ein erhöhter Bundeszuschuss sowie ein Darlehen an die GKV gewährt werden. Im Rahmen von Effizienzverbesserungen werden neben der Pharmaindustrie auch Apotheken, Zahnärztinnen und Zahnärzte sowie Ärztinnen und Ärzte ihren Beitrag zur Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung leisten müssen. Diese Lastenverteilung ermöglicht es, die Zusatzbeiträge lediglich in einem moderaten Rahmen in Höhe von 0,3 Prozentpunkten zu erhöhen. Der hier vorliegende Entwurf verfolgt also das Ziel, die GKV-Finanzen zu stabilisieren, ohne dabei auf Leistungskürzungen zurückgreifen zu müssen, was ich für meine Fraktion ausdrücklich begrüße. ({2}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegenden Gesetz wird ein kurzfristiger Ausgleich des Defizits von 17 Milliarden Euro erreicht. Die Fortschrittskoalition vertritt allerdings den Anspruch, die GKV-Finanzen langfristig, verlässlich und somit krisenfest aufzustellen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, halten wir tiefgreifende Strukturreformen im Gesundheitssystem für unumgänglich. Von der Krankenhausfinanzierung über die Ambulantisierung bis hin zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege werden wir Reformvorhaben anhand unserer Koalitionsvereinbarung sukzessive abarbeiten. Denselben Anspruch hegt meine Fraktion, wenn es um die nachhaltige Finanzierung der GKV geht. Auch hier werden wir uns an den Leitplanken des Koalitionsvertrages orientieren. Das schließt ausdrücklich die regelhafte Dynamisierung des Bundeszuschusses sowie höhere Beiträge für die Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II aus Steuermitteln mit ein. ({3}) Meine Fraktion strebt weiterhin eine ausgewogene Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung an. Dabei spielt auch die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze eine gewichtige Rolle. ({4}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Das Wesen der parlamentarischen Demokratie ist der Kompromiss, und in Zeiten, wo eine Krise die nächste jagt, muss der Parlamentarismus genau hierdurch seine Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen. Schließlich geht es um nicht weniger als die zentrale Säule unseres Solidarsystems, die gesetzliche Krankenversicherung. Diese gilt es zu stützen, und es gilt, die Lasten dabei gerecht zu verteilen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Tino Sorge. ({0})

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute einmal mehr darüber, wie wir das gesetzliche Versicherungssystem, die gesetzliche Krankenversicherung zukunftsfest machen können. ({0}) Ich bin jedes Mal total irritiert, wenn Sie aus der Ampelkoalition, insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der SPD, sich hierhinstellen und so tun, als hätten Sie die letzten Jahre überhaupt nicht mitregiert, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Also, ich darf nur daran erinnern: Sie haben 23 Jahre dieses Land mitregiert – 23 Jahre! Wir haben in der letzten Legislatur gemeinsam und auch auf ausdrücklichen Wunsch von Herrn Bundesgesundheitsminister Lauterbach viele gute Dinge auf den Weg gebracht. Ich darf nur an die Verbesserungen in der Pflege erinnern. Ich darf an die Neupatientenregelung erinnern. Ich darf an die Verbesserungen bei der Zahngesundheit erinnern. Und das Erste, was Sie jetzt zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung vorschlagen, ist, diese guten Regelungen wieder zurückzudrehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Da wundern Sie sich allen Ernstes, lieber Herr Bundesgesundheitsminister, dass unisono alle Akteure dieses Gesundheitssystems sagen: Das geht so nicht. – Der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, der sich ja relativ selten so deutlich zu Wort meldet, hat gesagt – ich darf zitieren –: Bei diesem Gesetzentwurf handelt es sich um ein völlig sinnloses Sammelsurium. – Zitat Ende. Und ich darf auf Folgendes hinweisen: In meinem Bundesland Sachsen-Anhalt haben gestern 20 Akteure des gesamten Gesundheitssystems, von Ärzten, Krankenkassen bis hin zum Deutschen Gewerkschaftsbund, eine gemeinsame Resolution auf den Weg gebracht, in der sie sagen: In dieser Form geht das nicht. Das legt die Axt an die Wurzel unseres Gesundheitssystems. – Spätestens da, lieber Herr Kollege Lauterbach, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel, sollten bei Ihnen die Alarmglocken ganz laut schrillen. ({3}) Frau Kollegin Klein-Schmeink, hören Sie endlich auf mit den Ausflüchten. Sie regieren seit fast einem Jahr. Hier kommen nur Konjunktive: Sie möchten, Sie werden, Sie sollten. – Wo ist denn die Unterstützung für die Kliniken? Wo ist denn die Soforthilfe? Wir haben als Unionsfraktion vor der Sommerpause einen Antrag vorgelegt, in dem wir gefordert haben, die Kliniken aufgrund der extrem gestiegenen Energiekosten zu unterstützen. Nichts passiert! ({4}) Sie treiben die Kliniken in die Insolvenz. Und wenn Sie jetzt nicht zeitnah nachlegen, passiert gar nichts. ({5}) Die Finanzreform und die Pflegereform sind auf 2023 verschoben. Lieber Kollege Lauterbach, Sie haben eine Krankenhaus-Kommission eingesetzt. Diese Kommission wird ein Langzeitprojekt – keine Ergebnisse. Insofern, handeln Sie endlich und kommen Sie aus dem Ankündigungsmodus heraus, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Sorge, gestatten Sie eine Zwischenfrage von der Kollegin Klein-Schmeink?

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich. ({0})

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Tino Sorge, Sie haben eine ganze Reihe von Problemen angesprochen, die wir alle von der Regierung der letzten Wahlperiode geerbt haben. ({0}) Was haben Sie denn unternommen, um eine grundlegende Krankenhausstrukturreform auf den Weg zu bringen? Was haben Sie gemeinsam mit Ihrem Kollegen Herrn Minister Holetschek denn unternommen, um zum Beispiel die ländliche Versorgung zu stabilisieren und voranzubringen? Was haben Sie unternommen, um die Zusammenarbeit zwischen den Gesundheitsberufen zu stärken, sodass wir die Versorgung sicherstellen können? Sie zählen viele Dinge auf. Sie haben an ganz vielen Punkten beispielsweise auch nicht gesagt, wie Sie das finanzieren wollen. Ich würde ganz gerne von Ihnen hören: Erstens. Warum hat es eine grundlegende Krankenhausreform im Zusammenspiel mit den Ländern bisher nicht gegeben? Zweitens. Was tun Sie, um die Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe wirklich voranzubringen? Was haben Sie getan? Und drittens. Wie wollen Sie die in Rede stehende Lücke finanziell schließen? Sie klagen nur darüber. Aber wie wollen Sie das – ganz konkret – refinanzieren? Ich habe noch nichts Schriftliches von Ihnen gesehen! ({1})

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Kollegin, Klein-Schmeink. Das gibt mir die Möglichkeit, noch einmal detailliert auf die ganzen Gesetzesvorhaben, die wir in der letzten Legislatur auf den Weg gebracht haben, einzugehen. Sie waren offensichtlich häufig nicht da. ({0}) Erstens: das Pflegeberufereformgesetz. Wir haben die Ausbildung in der Pflege reformiert. Wir haben die Leistungen für Angehörige von Pflegebedürftigen reformiert. Wir haben im Rahmen eines großen gesellschaftlichen Konsens beschlossen, zusätzlich Geld ins System zu geben. Wir haben erstmals dafür gesorgt, dass beispielsweise Alzheimer-Erkrankte einen Anspruch auf Pflegeleistungen haben. ({1}) Zweitens. Wir haben mit dem Krankenhauszukunftsfonds Milliarden auf den Weg gebracht, damit die Digitalisierung in den Krankenhäusern vorangetrieben wird. Wir haben drei große Digitalisierungsgesetze auf den Weg gebracht. Ich frage mich, wo Sie in der Zeit waren, wenn das alles an Ihnen vorbeigegangen ist, liebe Frau Kollegin. ({2}) Jetzt hören Sie endlich auf, immer so zu tun, als hätten Sie nie politische Verantwortung getragen. Sie tun mittlerweile in jedem Bereich so, als hätten Sie nie im Bundestag gesessen. Sie müssen endlich auch pragmatische Lösungen vorlegen und dürfen nicht immer nur ankündigen und sagen: Sie werden, Sie wollen und Sie möchten. – Ich sage Ihnen ganz klar: Wenn Sie Vorschläge erarbeiten, dann tun Sie doch wenigstens das, was Sie im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Da stehen an der einen oder anderen Stelle durchaus gute Sachen. Das System würde um 10 Milliarden Euro entlastet werden – das wurde angesprochen –, wenn Sie die Beiträge für die ALG‑II-Bezieher in der richtigen Höhe abführen würden. Es gibt eine Menge guter Vorschläge. Aber stattdessen drehen Sie die Neupatientenregelung zurück, und das, obwohl Patienten das erste Mal viel schneller Termine beim Facharzt bekommen haben. Die Ärzte beschweren sich jetzt und sagen, sie hätten Personal eingestellt, das sie wieder entlassen müssen. Hören Sie doch auf, diese Regelung zurückzudrehen, was eher marginale Summen einspart, sondern gehen Sie die strukturellen Probleme an, liebe Frau Kollegin Klein-Schmeink, liebe Ampelkoalition. ({3}) Es rächt sich jetzt, dass sich der Bundesgesundheitsminister, der Bundesfinanzminister und der Bundesjustizminister nicht über den Weg trauen; Klaus Holetschek hat es angesprochen. Es kann doch nicht sein, dass der Bundesgesundheitsminister bei jedem strukturellen Vorhaben sagt: „Ich muss erst einmal Christian Lindner fragen“, der dann sagt: Ich habe das mit Karl Lauterbach ganz anders besprochen. – Das ist doch eine Bankrotterklärung für die Gesundheitspolitik in diesem Land. ({4}) Ich sage Ihnen ganz klar: Machen Sie nicht solchen Murks wie bei der Gasumlage. Denken Sie jetzt schnell an die Kliniken, sonst gehen viele Kliniken im Herbst in die Insolvenz. Das wird zu Versorgungsengpässen führen. Das haben die Patienten nicht verdient. Das haben die Leistungserbringer nicht verdient. Noch ein Wort zum Schluss. Lieber Herr Kollege Lauterbach, wenn Sie schon mit vielen Worten den Akteuren im System danken, wenn Sie sagen: „Danke, liebe Ärzte, danke, Apotheker, danke, Pflegekräfte, dass wir mit euch so gut durch diese Pandemie gekommen sind; vielen Dank, innovative Pharmaindustrie“, dann ist es für diese Menschen ein Hohn, wenn Sie als erste Maßnahme ein Preismoratorium durchführen und sagen: Wir kürzen, es gibt weniger Geld, wir erhöhen den Apothekenabschlag. – Die Betroffenen empfinden das als Leistungskürzung. Hier zu sagen, es gebe keine Leistungskürzung, entspricht nicht der Wahrheit. Vielen herzlichen Dank. ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dr. Janosch Dahmen. ({0})

Dr. Janosch Dahmen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004962, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren, die Sie auf der Tribüne und andernorts zuschauen! Die Debatte, die wir hier erleben, ist von einigen aus diesem Hause in einem Maße unredlich geführt, das wirklich seinesgleichen sucht. Ich muss sagen: Das eine ist, eine Fehlerkultur hier in den letzten Tagen offenzulegen, bei der man jedes Mal, wenn es darum geht, was in der Vergangenheit nicht richtig gelaufen ist, mit Gejohle reagiert und einfach so tut, als sei es vergessen, und nicht einen Hauch von Demut an den Tag legt für Dinge, die falsch gelaufen sind und die jetzt korrigiert werden müssen. ({0}) Das andere – und das ist viel schlimmer – ist, eine Oppositionsarbeit zu betreiben, die sich offensichtlich jeder Rechenschaft entzieht, wie denn Vorschläge, wie mit der Situation, die jetzt nun mal vorzufinden ist, umgegangen werden soll und wie das Defizit von 17 Milliarden Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung aufgelöst werden soll, aussehen könnten. Ich habe nicht gehört, dass aus den Unionsreihen die Aufhebung der Schuldenbremse gefordert wird. ({1}) Ich habe nicht gehört, dass Sie fordern, dass die Beiträge für die Menschen in diesem Land in einem Maße angehoben werden sollen, die keiner in diesem Winter stemmen kann. Ich habe nicht gehört, dass Sie fordern, dass Leistungskürzungen im Gesundheitswesen als Ausgleich für dieses Defizit durchgeführt werden sollen. Und sich einfach hinzustellen, ohne einen Hauch eines Vorschlags, wie das Defizit aufgelöst werden soll, das ist bei allen Fehlern der Vergangenheit heute unredliche Oppositionsarbeit. Ich muss Ihnen sagen: Das hätten wir uns nicht getraut. ({2})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Dahmen, gestatten Sie eine Frage oder Zwischenbemerkung von dem Kollegen Sorge aus der CDU/CSU-Fraktion?

Dr. Janosch Dahmen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004962, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne, Herr Sorge.

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, lieber Herr Kollege Dahmen, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Mich würde ganz konkret interessieren: Werden Sie das, was Sie im Koalitionsvertrag vereinbart haben, nämlich die 10 Milliarden Euro an Zahlungen für ALG‑II-Bezieher dem Gesundheitssystem zur Verfügung zu stellen, zeitnah umsetzen? Mich würde vor allen Dingen interessieren, ob Sie der Meinung sind, dass jetzt die Abschmelzung der Kassenreserven, da sie ja im Vorfeld von den Versicherten aufgebracht worden sind, keine Leistungskürzungen bzw. indirekten Beitragssatzerhöhungen darstellt? ({0})

Dr. Janosch Dahmen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004962, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank für die Frage, Herr Kollege Sorge. Ich will Ihnen darauf antworten. Erstens. Selbstverständlich werden wir den Koalitionsvertrag umsetzen. Das beinhaltet auch, dass wir die Beiträge für ALG‑II-Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung auf das notwendige Finanzierungsmaß anheben werden. ({0}) Wir werden auch den Bundeszuschuss dynamisieren, um einen ordnungspolitischen Automatismus zur Finanzierung hineinzubringen, und werden nicht die Serie von Digitalreformen wiederholen, die unstrukturiert ohne Digitalstrategie ein Riesenloch aufgerissen haben und jetzt mit dazu beitragen, dass wir hier solch ein Finanzierungsdefizit haben. Zweiter Punkt Ihrer Frage. Ich bin nicht der Überzeugung, dass wir in Zeiten multipler Krisen irgendwo in der Ecke Reserven liegen lassen können, die wir brauchen, um die Not, die in diesem Land existent ist, abzufedern. ({1}) Insofern ist es richtig, jeden der beteiligten Stakeholder im Gesundheitswesen aufzufordern, zu sagen, wie wir gemeinsam einen Beitrag leisten können. Genau das tut das Gesetz, indem wir eben nicht sagen: „Eine der beteiligten Seiten muss alles schultern“, sondern bei den gesetzlichen Krankenversicherungen, bei den Krankenhäusern und im Bereich der niedergelassenen Ärzte gemeinsam schauen, wie ein Beitrag geleistet werden kann, um das Problem zu beheben. Das ist verantwortliche Politik. Ich will Ihnen sagen: In der Opposition sind wir immer zu unseren Haushältern gegangen und haben die Refinanzierung von Kritikvorschlägen hier im Parlament vorher abstimmen müssen. ({2}) Ich glaube, es war bei der FDP nicht anders. Ich kann sagen: So geht verantwortliche Oppositionsarbeit. ({3})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Dahmen, ich habe noch eine Zwischenfrage von der Kollegin Vogler aus der Fraktion Die Linke.

Dr. Janosch Dahmen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004962, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Vogler, gerne.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen. Sie haben ja gerade gesagt, dass Sie über die Schuldenbremse diskutieren wollen. Das finde ich auch sehr richtig. Da sind wir als Linke voll bei Ihnen; die Schuldenbremse hindert uns. Aber wir brauchen ja für die Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung eigentlich keine Sondervermögen zu heben, sondern wir haben als konstruktive Oppositionsfraktion ganz konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt, für die eigentlich auch eine Mehrheit hier im Hause möglich wäre. Sowohl Maria Klein-Schmeink, Ihre stellvertretende Fraktionsvorsitzende, als auch der Kollege Pantazis von der SPD und sogar der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Sepp Müller haben ja genau das gefordert, was wir in unserem Antrag zur Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze und der Pflichtversicherungsgrenze fordern. Ich frage mich dann schon: Wie lange wollen wir, die wir offensichtlich eine politische Mehrheit hätten, um diese sehr gute Idee umzusetzen, noch warten? Diese Idee kann tatsächlich das leisten, was Karl Lauterbach gefordert hat, nämlich starke Schultern mehr tragen zu lassen als schwache. Wenn wir diese Möglichkeit haben, warum kämpfen wir nicht darum, dafür hier eine parlamentarische Mehrheit zu bekommen, statt uns vom Förderverein der Privatversicherungsunternehmen, vulgo FDP, an der Nase herumführen zu lassen? ({0})

Dr. Janosch Dahmen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004962, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Kollegin Vogler. – Zunächst mal möchte ich Ihnen und Ihrer Fraktion zugutehalten, dass Sie im Gegensatz zur Union konkrete Vorschläge gemacht haben, was man denn tun kann. ({0}) Wenngleich die Frage der Refinanzierbarkeit nicht in all den Vorschlägen hinterlegt ist, will ich doch wohl sagen, dass wir, wie eben angedeutet, selbstverständlich im Verlauf der Legislatur weiter gehende, umfassendere, strukturelle Reformen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung einschließlich der Diskussion zu der Anhebung der ALG‑II-Sätze, der Dynamisierung des Bundeszuschusses und auch der Frage der Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze miteinander beraten und auch beschließen werden. Insofern: Zu sagen, dass diese Reform das letzte und abschließende Wort zur Weiterentwicklung und Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung ist, wäre falsch. Daher: Begreifen Sie dies als einen ersten Schritt, der von weiteren, sehr viel umfassenderen Reformen im kommenden Jahr gefolgt werden wird. ({1}) Lassen Sie mich fortfahren. Beim Thema Unredlichkeit kann ich es mir nicht verkneifen, einmal auf den bayerischen Gesundheitsminister Holetschek zu reagieren. Ich muss schon sagen: Dass Sie sich hierhinstellen und so tun, als hätten wir nicht überall und auch ausdrücklich in Bayern ein eklatantes Problem im Bereich der Investitionskostenfinanzierung, da gehört schon einiges dazu. ({2}) Das wissen Sie doch alle mit Verantwortung in den Ländern. Beispielsweise bei den Verhältnissen bei Ihnen in Bayern können Sie sich nicht einfach hierhinstellen und eine Zahl mit sechs Stellen in den Raum werfen, damit das so klingt, als sei das viel, wenn es faktisch bei dem realen Wertverlust doch bedeutet, dass Sie seit 1991 40 Prozent weniger Investitionskostenförderung im Bereich Ihrer Krankenhauslandschaft betrieben haben. ({3}) Hat das was mit unserer realen Situation jetzt zu tun? Na selbstverständlich. Die fehlenden Investitionen führen dazu, dass jedes Krankenhausbett bei Ihnen in Bayern so viel Energie verbraucht wie ein Einfamilienhaus mit einer ganzen fünfköpfigen Familie. Das führt dazu, dass die Not der Kliniken im Moment so groß ist, dass die Kosten so stark steigen und dass wir jenseits dieses Gesetzes selbstverständlich weitere Rettungsmaßnahmen für die stationäre Versorgung auf den Weg bringen müssen. ({4}) Und jetzt zu sagen, dass nicht mit einem einzigen Gesetz die gesamten Probleme der Gesundheitspolitik gelöst werden: ({5}) Ja, was ist denn das für ein Politikverständnis? Immer nur zu sagen: „Ja, Moment mal, hier liegt ein Vorschlag vor; aber es gibt auch noch andere Probleme, zu denen ist nichts gesagt worden“, das ist doch keine Politik. Das ist doch einfach nur Marktschreierei und Ablenkung. ({6}) Gehen Sie doch auf die Vorschläge ein! Bringen Sie Alternativen ein! Sagen Sie, wie Sie es refinanzieren wollen, und seien Sie ehrlich zu den Menschen! Erzählen Sie nicht vor einer Wahl: „Es gibt kein Problem“, wenn 17 Milliarden Euro fehlen, sondern sagen Sie, was das bedeutet! Inzwischen haben wir multiple Krisen, auf die wir reagieren müssen. ({7}) Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Wir tun das sehr verantwortungsvoll, indem wir mit allen Seiten sprechen. Dass jeder zunächst mal sagt: „Ich kann nichts geben, weil die Not bei mir groß ist“, ist doch selbstverständlich in diesen Zeiten. Das heißt aber nicht, dass wir nicht alle zusammenstehen und einen Beitrag leisten müssen. Das liefert das Gesetz. Zum Rettungsschirm: Ja, wir werden zum Thema Energiekostenausgleich für Kliniken und Pflegeversorgung was tun. ({8}) Ja, wir müssen bei der Inflationsbremse im Gesundheitswesen ansetzen und werden auf die Länder zukommen und sie beim Wort nehmen, dass wir das gemeinsam schultern. ({9}) Ja, auch Strukturreformen sind mit der Krankenhauskommission auf den Weg gebracht worden und werden hier eingebracht werden. 16 Jahre verfehlte Politik sind wirklich nicht in 16 Monaten aufzulösen. Was glauben Sie denn? Das ist einfach unredliche Opposition. Ich finde, da haben Sie noch eine Menge nachzuholen. Wir gehen hier die Probleme an und sind für ernstgemeinte Vorschläge offen und werden sie im parlamentarischen Verfahren gerne gemeinsam beraten. ({10})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Jörg Schneider. ({0})

Jörg Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004880, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei einem Aspekt des vorgelegten Gesetzes zur Arzneimittelversorgung geht es unter anderem um Grippeimpfstoffe. Sie sehen hier einen erhöhten Bedarf, und da sollten wir doch vielleicht mal fragen: Wo kommt er eigentlich her? Seit zweieinhalb Jahren schüren Sie Coronaängste, und das hört ja nicht auf – wirre Tweets des Herrn Ministers, eine verunglückte Desinformationskampagne –, und es verfängt. Viele Menschen vermeiden bis heute soziale Kontakte, verlassen die eigene Wohnung nur mit einer Maske vor dem Gesicht. Das ist ein Problem; denn soziale Kontakte ohne Maske sorgen dafür, dass das Immunsystem einer gewissen Belastung ausgesetzt wird, dass es trainiert wird. Dieses Training fehlt vielen Menschen. ({0}) Dieses Training fehlt vielen Menschen. Meine Partei hat darauf relativ früh reagiert. Wir haben gefordert, dass wir zur Normalität zurückkehren. Das haben Sie abgelehnt. Sie wollen jetzt mehr impfen. ({1}) Einmal mehr lösen Sie also mit erheblichem finanziellem Aufwand ein Problem, das wir ohne Ihre Politik überhaupt nicht hätten, meine Damen und Herren. ({2}) Ein Aspekt der Arzneimittelversorgung sind Lieferengpässe. Das hängt vor allen Dingen mit den Produktionsstandorten zusammen; die liegen nämlich in Indien und China. China fährt gerade mit einer irren Zero-Covid-Politik die Lieferketten vor die Wand, und das wird sich in Zukunft nicht bessern. ({3}) Die Inder haben zwar gerne die 10 Milliarden Euro Entwicklungshilfe angenommen, die Sie denen hinterhergeworfen haben, ({4}) orientieren sich aber mehr in Richtung Russland. Zuverlässige Lieferanten sind das für mich nicht. Dabei haben Sie in der Großen Koalition eigentlich ganz vernünftig angefangen. ({5}) Im Koalitionsvertrag steht, dass Sie eine Rückverlagerung der Produktion von Arzneimitteln zu uns wünschen. Ich darf Sie dafür loben, weil das eine alte Idee der AfD ist, die Sie da übernommen haben. ({6}) Jetzt wäre doch eigentlich die Gelegenheit gewesen, in diesem Gesetz mal endlich Ihren Worten Taten folgen zu lassen und Anreize zu setzen für diese Rückverlagerung der Produktion. Und Sie? Sie machen genau das Gegenteil: Sie ziehen die Schrauben an, und mit den Vorschlägen, die Sie dort gemacht haben, werden Sie auch noch den letzten Arzneimittelproduzenten nach Asien vertreiben, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({7}) Wir haben hier in Deutschland schon längst die weltdümmste Energiepolitik, und das nächste Kapitel ist jetzt noch die weltdümmste Arzneimittelpolitik. ({8}) Wir haben genau in diesem Zusammenhang einige Vorschläge gemacht. Wir wollen doch in die gleiche Richtung; also folgen Sie dem doch bitte! Sorgen wir gemeinsam dafür, dass der Arzneimittelproduktionsstandort Deutschland gestärkt wird, und sorgen wir auch gemeinsam dafür, dass die Menschen hier in Deutschland jederzeit sicher mit Arzneimitteln versorgt werden! Folgen Sie unseren Anträgen! Ich danke Ihnen. ({9})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Maximilian Mordhorst. ({0})

Maximilian Mordhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005158, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wurde angesprochen: 17 Milliarden Euro Defizit; darüber müssen wir reden. Ich glaube, jeder, der in der Grundschule den Matheunterricht besucht hat, sollte wissen, dass das schwierige Entscheidungen erfordert. Mich wundert vor allem, dass vor diesem Hintergrund die Unionsfraktion ihren ersten Rede-Slot dem Vertreter einer Landesregierung in Deutschland gibt, die in den letzten Jahren die größte Nehmermentalität an den Tag gelegt hat, die wir erlebt haben, ({0}) die unter anderem mit dafür verantwortlich ist, dass wir jetzt in dieser Situation sind. ({1}) Lieber Herr Holetschek, Sie haben sich gewundert, dass nicht der Bundesfinanzminister dieses Gesetz einbringt. Sie sind aber selbst hier und reden. Ich habe mich schon gefragt: Warum machen Sie das eigentlich? Fünf Stunden Anreise aus Bayern; nachher geht es wieder fünf Stunden zurück. Was Sie machen wollen, haben Sie überhaupt nicht vorgestellt. ({2}) Das kann doch nicht alles nur für ein Selfie mit Jens Spahn gewesen sein. ({3}) Stattdessen lesen Sie einen Wunschzettel vor. Ich hab mal ein bisschen mitgeschrieben: Beiträge sollen niedrig bleiben, der Bundeszuschuss soll hoch, beim Wohngeld soll noch mehr gemacht werden. – Was wollen Sie denn machen? Wir haben als Bund eine schwierige finanzpolitische Lage. Die Länder werden Überschüsse erzielen. Da stimmt etwas in der Verhältnismäßigkeit nicht. Ich würde mir wünschen, dass Sie beim nächsten Mal, wenn Sie hier vortragen – es ist ja schön, wenn die Bundesratsbank nicht ganz leer ist –, aber auch mal ein bisschen darüber berichten, was Bayern denn tun möchte, um dieses gemeinsame Problem zu lösen. ({4}) Ich will deswegen für die FDP-Fraktion ganz klar sagen – ich habe Ihnen vor allem auch in dieser Woche sehr genau zugehört –: Wir haben auf einer Seite die Situation, dass wir die Schuldenbremse einhalten müssen, weil wir sonst finanzpolitische Probleme bekommen. Die Zinskosten werden schon nächstes Jahr auf 30 Milliarden Euro steigen, und wer nicht wie Die Linke ein Subventionsprogramm für Banken und Investmentfonds machen will, der muss wenig Schulden machen. ({5}) Auf der anderen Seite haben wir extreme Herausforderungen zu bewältigen. Und dann sehe ich von der Unionsfraktion die ganze Woche nur neue Ausgabenvorschläge. Es hat nicht mal ein Jahr gedauert, dass Sie ohne jegliche Finanzierungsvorschläge immer wieder neue Ideen haben, wo man mehr Geld ausgeben könnte, wo man weniger Geld einnehmen könnte. Wir haben das bei allen möglichen Debatten erlebt. Ich würde mir wünschen, dass wir in Ihnen auch als Oppositionsfraktion eine stärkere Unterstützerin im Bereich finanzpolitische Solidität, bei der möglichst einzuhaltenden Schuldenbremse und ausgeglichenen Haushalten bekommen. Das wäre etwas, wovon wir in Deutschland profitieren können, nicht von diesen immer größer und länger werdenden Wunschzetteln. ({6}) Wir werden jetzt unangenehme Entscheidungen treffen. Karl Lauterbach hat es vorgestellt; das wurde dann gleich nach seiner Rede wieder abgeräumt. Er hat um möglichst wenig Polemik gebeten. Aber wir werden unangenehme Entscheidungen treffen. Das muss man den Menschen auch mal ehrlich sagen. Ich bin der Überzeugung, wir müssen diesen Weg, den wir jetzt beschritten haben, weitergehen und Entscheidungen für notwendige Maßnahmen als Ampelregierung auch dann treffen, wenn sie kurzfristig unpopulär sind. Ich würde mir wünschen, dass möglichst viele aus der Opposition diesen Mut auch haben und dass wir gemeinsam dafür einstehen, einerseits finanzpolitische Solidität zu gewährleisten, aber andererseits auch die Herausforderungen zu bewältigen, ({7}) die jetzt vor uns stehen, ohne in Populismus zu verfallen. Vielen Dank. ({8})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Diana Stöcker. ({0})

Diana Stöcker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Eines ist klar: Die Finanzen der gesetzlichen Krankenkassen werden im kommenden Jahr ein enormes Defizit aufweisen. Nicht klar ist aber, wie hoch der Fehlbetrag nun tatsächlich sein wird. Die 17 Milliarden Euro – das zeichnet sich jetzt schon ab – werden nicht ausreichen, und die Folgejahre sehen nicht besser aus. Daher ist es umso wichtiger, strukturelle und vor allem nachhaltige Reformschritte zu gehen, und zwar jetzt. Ankündigungen haben wir genug gehabt. ({0}) Herr Minister, was Sie bei diesem Gesetzentwurf machen, ist kreativlos, mit heißer Nadel gestrickt und rein auf kurzfristigen Ertrag angelegt. Sie drehen allein an den Stellschrauben Rücklagen, Einnahmen und Ausgaben aller beteiligten Akteure. Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein formulierte kürzlich zu Recht: Schnelles Geld durch schnelle Schnitte – sämtliche Bereiche unseres Gesundheitswesens werden bis zur Schmerzgrenze belastet. Herr Minister, mit dem vorliegenden Entwurf schaffen Sie ein Destabilisierungsgesetz – das haben verschiedene Kollegen hier auch schon so genannt – und gefährden sowohl das Gesundheitssystem als auch die Versorgung der Versicherten und Patienten in Deutschland. Von wegen, die kriegen nichts mit, keine Leistungskürzungen. Und nicht nur das: Sie gefährden zudem Deutschland als Standort für Innovation und Investition. ({1}) Flickschusterei tritt an die Stelle von sogar in Ihrem Koalitionsvertrag festgeschriebenen strukturellen Maßnahmen. Warum setzen Sie den höheren Zuschuss an die gesetzlichen Krankenkassen für Arbeitslosengeld-II-Bezieher nicht um? Damit würden die gesetzlichen Krankenversicherungen auf einen Schlag und jedes Jahr um rund 10 Milliarden Euro mindestens entlastet werden, und zwar nachhaltig und langfristig. ({2}) In jedem Wirtschaftsbetrieb gilt Kostentransparenz: Dort, wo und wie die Kosten entstehen, müssen sie auch abgebildet und gedeckt werden. Für die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung gilt dies bisher nicht. Eines der größten Löcher in der gesetzlichen Krankenversicherung entsteht genau dadurch, dass die Gesundheitsversorgung der Menschen, die Arbeitslosengeld II beziehen, einfach nicht kostendeckend durch den Bund finanziert wird. ({3}) Es geht dabei nicht um Kleingeld, liebe Frau Baehrens, sondern um 10 Milliarden Euro pro Jahr, ein Leck, das aktuell durch Ihre Regierung, Herr Minister, repariert werden könnte. ({4}) Die Gesundheitsversorgung von Menschen, die Arbeitslosengeld II beziehen, wird in der jetzigen Struktur von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen, mitgetragen, und diese werden nun mit einer Beitragserhöhung zusätzlich zu den sonstigen gestiegenen Lebenshaltungskosten zur Kasse gebeten. Zudem werden die Beiträge, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den vergangenen Jahren bereits in ihre Krankenkassen geleistet haben, stark abgeschmolzen, obwohl sie eine wichtige Rücklage für die Krankenkassen und die Liquiditätsreserve für den Gesundheitsfonds sind. Die Sorge treibt unsere Bürgerinnen und Bürger zu Recht um, dass die abgebauten Reserven der Kassen absehbar zu weiteren Beitragssteigerungen führen werden. Warum dynamisieren Sie dahin gehend den Bundeszuschuss nicht – der Ausgleich aus Steuermitteln steht doch in Ihrem Koalitionsvertrag –, und zwar jetzt und nicht wieder als Ankündigung? ({5}) Ein einmaliger zusätzlicher Bundeszuschuss, wie Sie ihn vorschlagen, verknüpft mit einem Bundesdarlehen, stellt sicher keinen nachhaltigen Finanzierungsbeitrag zur Sicherung der GKV-Finanzierung dar. Diese Ampel hat offensichtlich nicht mal die Kraft, die eigenen Vorhaben umzusetzen. Wir fordern Sie daher auf, den vorliegenden Gesetzentwurf zu überarbeiten und unser Gesundheitswesen nicht weiter zu belasten. Der vorgelegte Entwurf löst nicht die Probleme der Krankenversicherung, er schafft neue und ist daher der falsche Weg. ({6})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Heike Baehrens. ({0})

Heike Baehrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die gesetzliche Krankenversicherung hat sich in Pandemiezeiten als stabiler Faktor erwiesen, und trotzdem hat diese größte Gesundheitskrise der Nachkriegszeit Spuren hinterlassen: Überfällige Reformen wurden hintangestellt, finanzielle Polster aufgebraucht. Entschiedene Maßnahmen sind jetzt notwendig, um die gute und solidarische Gesundheitsversorgung in unserem Land für alle zu sichern. ({0}) In Krisenzeiten gilt es, die Reihen zu schließen und zusammenzustehen. Da ist es mehr als befremdlich, wenn die Fraktion, die in den letzten zehn Jahren das Gesundheitsministerium geführt, die Gesundheitsminister gestellt und ganz wesentlich zu der aktuellen Kostendynamik beigetragen hat, jetzt mit dem Finger auf die Ampelregierung zeigt. Sie als CDU/CSU waren es – nur mal ein Beispiel –, die trotz offensichtlicher jahrelanger Ausgabenzuwächse bei patentierten Arzneimitteln die Reformen im AMNOG-Verfahren auf die lange Bank geschoben haben, und das, obwohl allen Kennern der Reformbedarf längst klar war. Das gehen wir jetzt an. ({1}) Der vorliegende Gesetzentwurf bietet eine gute Grundlage, um die dringend notwendige zeitnahe Stabilisierung der Kassenfinanzen zu gewährleisten. Aber uns allen ist klar, dass damit noch keine nachhaltige Konsolidierung erreicht wird. Um unser Gesundheitssystem auf einem guten Qualitätsniveau funktions- und leistungsfähig zu erhalten, ist es notwendig, Effizienzreserven zu heben und die überfälligen Strukturreformen auf den Weg zu bringen. Das haben wir uns als Ampelkoalition nicht nur vorgenommen, sondern das packen wir an, ({2}) im ersten Schritt mit den nun zu diskutierenden Maßnahmen zur kurzfristigen Kostendämpfung, aber im zweiten Schritt eben mit den langfristig wirksamen Strukturmaßnahmen, die bis Ende Mai nächsten Jahres vorliegen werden. Selbstverständlich werden wir dafür sorgen, dass Krankenhäuser, Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen nicht von den aktuellen Preissteigerungen überfordert werden. Auch daran arbeitet die Regierung gerade mit Hochdruck, und Minister Karl Lauterbach hat zugesagt, in Kürze dazu einen konkreten Vorschlag vorzulegen. Ja, ich habe es vorhin bereits gesagt: In Krisenzeiten heißt es, zusammenzustehen: Jede und jeder muss einen Beitrag dazu leisten, damit die Krise nicht zum Kollaps wird. Dass die Kritik an diesem Gesetzentwurf nun aus allen unterschiedlichen Richtungen kommt, kann ich verstehen. Es zeigt aber auch, dass hier alle ein Stück weit in die Verantwortung genommen werden. ({3}) Da muss ich doch noch mal auf das eingehen, was der Gesundheitsminister aus Bayern vorhin hier gesagt hat. ({4}) Denn es reicht nicht, wenn die CDU- und CSU-Ministerpräsidenten oder -Gesundheitsminister hier immer nur mit dem Finger auf den Bund zeigen und das Geld vom Bund einfordern. Janosch Dahmen hat es vorhin beim Thema Krankenhäuser auf den Punkt gebracht: Jahrelang haben hier die Bundesländer keine ausreichende Investitionsfinanzierung gemacht und damit Mittel aus dem Solidarsystem herausgesaugt. ({5}) Wir haben heute die Situation, dass in vielen Bereichen die Krankenhäuser tatsächlich marode und dringend auf Hilfe angewiesen sind, und das ist im Wesentlichen die Verantwortung, die auf Länderseite wahrgenommen werden muss. ({6}) Ich sage Ihnen auch: Wir werden Sie im nächsten Jahr stellen. Denn wenn es um die notwendigen Strukturreformen geht, werden wir auch darüber reden müssen, ob nicht die Arzneimittel bei der Mehrwertsteuer entlastet werden müssen. Es ist doch nicht nachvollziehbar, dass Tierarzneimittel mit einem niedrigen Mehrwertsteuersatz belastet werden, aber die Humanarzneimittel mit dem vollen Mehrwertsteuersatz. Und dann diskutieren wir mal, ob die Länder bereit sind, ihre Verantwortung wahrzunehmen. ({7}) Ob es in diesem Gesetzentwurf ausreichend gerecht zugeht oder ob das eine oder andere vielleicht noch geändert werden muss, werden wir sehr sorgfältig im Rahmen des nun beginnenden parlamentarischen Verfahrens prüfen und diskutieren. Für meine Fraktion jedenfalls kann ich schon jetzt sagen, dass wir durchaus noch Redebedarf haben, wie wir auch das auf den Weg bringen können, was wir ganz konkret im Koalitionsvertrag miteinander vereinbart haben. Lassen Sie uns heute und im weiteren parlamentarischen Verfahren intensiv und respektvoll diskutieren. Vielen Dank. ({8})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Georg Kippels ({0})

Dr. Georg Kippels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als letzter Redner in dieser Debatte habe ich noch mal die gute Gelegenheit, die Aufmerksamkeit auf einen ganz speziellen Punkt zu lenken. Gesundheit ist ein hohes Gut, und Gesundheit ist ein teures Gut, im wahrsten Sinne des Wortes: Jeden Tag investieren wir 1 Milliarde Euro in unser Gesundheitssystem. Die finanziellen Herausforderungen sind jetzt ausführlich dargestellt worden, und ich wende mich einer Bemerkung von Minister Lauterbach zu, der davon gesprochen hat, dass wir innovationsbereit bleiben und keine Leistungskürzungen vornehmen wollen. Machen wir die Probe aufs Exempel anhand dieses Gesetzes, und wenden wir uns den seltenen Krankheiten zu, die dort mehr am Rande erwähnt werden, aber von prominenter Bedeutung sind. Was sind seltene Krankheiten? 4 Millionen Menschen in Deutschland leben mit einer solchen Erkrankung, aber es sind insgesamt circa 8 000 verschiedene Krankheitsbilder. Derzeit gibt es 138 Medikamente in diesem Bereich, die man nach einer 20 Jahre alten EU‑Verordnung Orphan Drugs nennt. Eine spezielle Zulassungsmethode ist angewendet worden. Bei schweren und tödlich verlaufenden Erkrankungen und ohne entsprechende Vergleichstherapien werden diese Medikamente von der EMA, der Europäischen Arzneimittel-Agentur, zugelassen und können dann in die Therapie kommen. Was ist das tatsächliche Verbreitungsbild? Nicht mehr als 5 von 10 000 Menschen dürfen von einer Krankheit betroffen sein, um diese als seltene Krankheit zu kategorisieren. Die Medikamente für seltene Krankheiten sind äußerst aufwendig und vor allen Dingen sehr teuer zu entwickeln, weil die Patientengruppen sehr klein sind und die Möglichkeiten für die Durchführung von Studien infolgedessen sehr erschwert sind. Was sagt das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz zu diesem Themenbereich? Es ist eine vielleicht zunächst mal belanglose Regelung, nämlich die Tatsache, dass die Umsatzschwelle, die für die Vergütung und Einordnung dieser Medikamente gilt, von jährlich 50 Millionen Euro auf 20 Millionen Euro reduziert wird. Das klingt zunächst nach nicht besonders viel, hat aber für die Anwendung und vor allen Dingen die Forschung für diese Medikamente eine enorme Tragweite; denn überschreitet man die Umsatzschwelle, ist das Medikament nach der normalen Regelung der Zusatznutzenbewertung des AMNOG – Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz – aus dem Jahre 2011 einer Zulassung zu unterziehen. Das ist ein sehr komplexes Verfahren und für diese Medikamente vor allem deshalb so problematisch, weil häufig zu diesem Zeitpunkt die notwendigen Studien der Phase III mit entsprechenden Daten nicht vorliegen und die ganz konkrete Besorgnis besteht, dass auf diese Art und Weise die Medikamente entweder vom Markt genommen werden oder aber erst gar nicht in die Anwendung kommen. Zusätzlich gibt es dann noch Regelungen, die sich im Hinblick auf die Kombinationstherapien mit einem Zwangsabschlag beschäftigen. Die Vorgaben für den Zusatznutzen sind geregelt, und auch bei Verwürfen durch unwirtschaftliche Packungsgrößen gibt es Abschläge. Insgesamt: Die gesamte Maßnahme führt dazu, dass eine wirklich gute Entwicklung in Deutschland zur Entwicklung der Orphan Drugs gestoppt wird und möglicherweise ein Rückfall in die Zeit vor Inkrafttreten des AMNOG erfolgt. Damit haben wir eine Leistungskürzung durch die Hintertür und damit auch eine Schädigung der Innovationsfähigkeit der deutschen Pharmaindustrie. ({0}) Wie wichtig gerade erste kleine Schritte sind, haben wir bei BioNTech erlebt. Deshalb: Entweder ist diese Regelung für die seltenen Krankheiten schlicht und ergreifend ein Systemfehler im Gesetzentwurf – das wäre ein Skandal –, oder aber sie ist beabsichtigt; das wäre ein noch viel größerer Skandal. Deshalb, Herr Minister, nehmen Sie diese Regelung für die Orphan Drugs raus, und machen Sie Politik für Menschen mit seltenen Erkrankungen. Vielen Dank. ({1})

Mario Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Bundeswirtschaftsminister! Es ist, glaube ich, die vierte Debatte in dieser Woche, die wir zum Thema Energiekrise führen. ({0}) Unser Antrag ist auch der einzige konstruktive und intensive Antrag, der im Parlament in dieser Woche vorhanden ist. ({1}) Die Lage ist ausgesprochen kritisch. Viele prominente Fälle – – ({2}) – Sie brauchen jetzt nicht dazwischenzurufen. Schauen Sie sich einfach die Fälle an, die wir derzeit im Land haben. Dann werden Sie sehen, dass die Lage dramatisch ist und Sie auf diese Lage nicht reagieren. ({3}) Toilettenpapierhersteller Hakle hat wegen hoher Energie- und Materialkosten Insolvenz angemeldet. Eine Metallgießerei mit drei Standorten und 160 Mitarbeitern in Brandenburg hat wegen der fast auf das Dreifache gestiegenen Stromkosten Insolvenz angemeldet. Eine Bäckerei in Ostfriesland, 99 Jahre alt – nächstes Jahr 100-jähriges Jubiläum –, steht wegen der so stark steigenden Energiekosten vor der Insolvenz. Jedes dritte Unternehmen im industriellen Mittelstand befindet sich angesichts der gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise in einer so kritischen Lage, dass die eigene Existenz infrage steht. Fast jedes zehnte Unternehmen in Deutschland hat bereits die Produktion gedrosselt oder ganz eingestellt. Viele Unternehmer haben Angst, dass ihr Unternehmen bald draufgeht, dass ihr Lebenswerk infrage gestellt wird, dass es keine Jobs mehr gibt, dass die Familien in Gefahr sind. Das ist eine dramatische Situation, und auf diese Situation reagiert diese Bundesregierung in keiner anständigen Art und Weise. ({4}) Jetzt werden wir höchstwahrscheinlich von Einzelnen wieder die Aussage „Ja, die Ursachen …“ und „16 Jahre“ bekommen, diesen Evergreen, den wir hier immer und immer wieder hören. ({5}) Die Wahrheit ist eben nur: Die Ursache für die jetzigen Probleme sind die letzten 16 Wochen, nicht die letzten 16 Jahre. ({6}) Hätte die Bundesregierung ideologiefrei die Dinge angepackt, die wir anpacken wollten, nämlich das Angebot zu erhöhen, dann wären die Probleme heute nicht so groß, wie sie es sind. Hätte die Bundesregierung den Energiepreisdeckel gemacht, ({7}) den wir ihr schon vor 16 Wochen vorgeschlagen haben, wäre die Lage heute nicht so dramatisch. ({8}) Hätte man die wirklich Betroffenen entlastet und nicht mit der Gießkanne, um an allen Ecken und Enden Veränderungen herbeizuführen, ({9}) dann würden die Rentner auch jetzt zum 1. Oktober ihre 300 Euro Energiegeld bekommen. Das ist aber nicht der Fall. Unsere Vorschläge lagen auf dem Tisch. ({10}) – Es liegt doch auf der Hand, warum Sie jetzt so dazwischenrufen: weil aus Ihren eigenen Reihen immer wieder genau die gleichen Vorschläge kommen – nur nicht hier im Parlament: „SPD-Arbeitnehmerflügel fordert Gaspreisdeckel“, „Staatlicher Gaspreisdeckel soll stattfinden“, solche Aussagen hört man auch aus weiten Teilen der SPD. Wir hören, dass Christian Lindner sagt, dass wir bei der Angebotsseite die Kernkraftwerke aufstocken müssen und dass wir bei den drei Kernkraftwerken bleiben müssen. Wir hören von Herrn Habeck, dass er sagt, bei der Biomasse sollten wir endlich was tun. ({11}) Die niedersächsischen Bauern sagen, wenn sie ihre jetzt schon bestehenden Biogasanlagen vollständig ausnutzen dürften, könnten sie 5 Prozent des russischen Gases ersetzen. Sie können es aber nicht machen, weil die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür von Ihnen derzeit nicht geschaffen werden. ({12}) Es fällt wirklich schwer, aber unsererseits gilt weiterhin die ausgestreckte Hand. Wir reichen die Hand für eine konstruktive Zusammenarbeit und für die Lösung dieser Probleme. Unsere Vorschläge liegen seit Tagen und Wochen auf dem Tisch. Wir sagen klar: Wir müssen alles für eine sichere Energieversorgung mobilisieren. Wenn das Angebot knapp ist, steigt der Preis – einfache Regel, erstes Semester Betriebswirtschaftslehre, Herr Habeck. Deshalb müssen wir Kernkraftwerke weiterlaufen lassen, den Biogasdeckel wieder anheben. Auch eine entsprechende Änderung im Baugesetzbuch ist notwendig, um das mit dem Biogas hinzubekommen. Deswegen: Der erste Punkt bleibt das Angebot. ({13}) Das zweite Thema ist weiterhin, die Bürger zu entlasten und für eine bezahlbare Grundversorgung zu sorgen. Dafür haben wir den Preisdeckel vorgeschlagen, und zwar auf einem Niveau von 75 Prozent, um Anreize zu setzen, Energie zu sparen, und gleichzeitig Sicherheit für alle Einkommensgruppen zu gewährleisten. Das Dritte ist, die Unternehmen anständig zu unterstützen. Das tun Sie nicht. Stand 7. September 2022 haben 586 Unternehmen 3 208 Anträge gestellt, um aus Ihrem Fonds Mittel zu bekommen. Davon sind 24 – 24! – positiv beschieden worden. ({14}) Das ist lächerlich und keine Unterstützung, so wie der Mittelstand sie braucht. ({15}) Herr Habeck, Sie haben ja am Beginn dieser Woche ein Fußballbild bemüht, um die Debatte zu beschreiben. Ich bin manchmal im Stadion, und wenn ich da so auf die Mannschaft runterschaue, dann sehe ich, dass die Fans relativ leidensfähig sind. Die murren nicht immer. Aber wenn sie merken, dass die Mannschaft da unten nur gegeneinander agiert und nicht gemeinsam aufs Tor geht und nicht die wesentlichen Dinge im Auge hat – und das ist das, was wir derzeit bei der Bundesregierung erleben –, dann müssen Sie sich nicht wundern, dass es dafür keinen Applaus mehr gibt, sondern dass es dafür erhebliche Kritik gibt. Sie sind mit dafür verantwortlich, dass wir ein solches Chaos und ein solches Gegeneinander in dieser Regierung erleben. Wir haben den Gegenvorschlag auf den Tisch gelegt. Folgen Sie diesem! ({16})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Timon Gremmels. ({0})

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, jeder von uns kann Beispiele aus seinem Wahlkreis dafür nennen, wie die Situation vor Ort ist. Ich war in den letzten Wochen unter anderem bei einem Müller in einer von 150 Mühlen, die noch selber Mehl mahlen und nicht einem Industriekonzern untergeordnet sind. Dieser Müller hat mir gesagt: Noch zahlt er 5 Cent pro Kilowattstunde, doch sein Mühlgraben ist ausgetrocknet, und das Angebot für den nächsten Ersten des Monats – da läuft sein Stromvertrag aus – liegt bei 70 Cent pro Kilowattstunde. Das schafft er nicht, und er sagt, dann kann er hier eben kein Mehl mehr mahlen. Welche Auswirkungen das auf die Nahrungsmittelpreise, auf die Nahrungsmittelverfügbarkeit hätte, das kann sich jeder vorstellen. Ich hatte auch ein Gespräch mit einer Bäckerei in meinem Wahlkreis, die vor einem Jahr in einen neuen Ofen investiert hat. Man dachte: Super, das wird jetzt alles effizienter werden. Auch diese Bäckerei steht jetzt vor den großen Problemen, die die steigenden Energiepreise mit sich bringen. Diese Menschen wenden sich an uns und sagen: Wir brauchen Unterstützung. – Ich kann sagen: Ja, diese Koalition liefert, diese Koalition handelt. Wir unterstützen. Hier gilt das Wort unseres Kanzlers Olaf Scholz, meine Damen und Herren: Keiner wird alleine gelassen – „You’ll never walk alone“. ({0}) Ganz konkret hat diese Bundesregierung für die große exportorientierte Industrie das Energiekostendämpfungsprogramm auf den Weg gebracht. Es wurde jetzt angekündigt, dass es um eine Mittelstandsschiene für kleine und mittlere Unternehmen erweitert werden soll. Es ist genau das richtige Signal, dass es jetzt Programme gibt, die sich am Mittelstand, am Handwerk orientieren. Es ist gut, dass das angekündigt wurde. Es ist gut, dass das, wenn ich den Minister richtig verstanden habe, auch rückwirkend – per Abschlagszahlung, als Zuschuss – erfolgen soll. Das hilft konkret. Das ist konkretes Handeln, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({1}) Mir fällt es sehr schwer, nachzuvollziehen, dass es administrative Probleme gibt, weil die Schnittstellen nicht da sind, weil die Computerprogramme neu programmiert werden sollen, weil es Probleme gibt, welches Instrument der Auszahlung man wählen soll. Ich komme mir vor wie vor zwei Jahren in der Coronapandemie, weil wir schon damals all diese Probleme hatten. Ich glaube, wir müssen dringend gucken, dass wir Strukturen schaffen, die auch nachhaltig wirken. Mein Appell an die Union, die das heute hier zum Thema macht, lautet: Sie sollten mal gucken, was in den von Ihnen regierten Ländern ist. Ich höre, dass sich einige Länder bei der Frage der Auszahlung weigern, ihre Infrastruktur zur Verfügung zu stellen; denn diese Länder seien noch mit der Abwicklung der Coronaprogramme, insbesondere der Schlussabrechnungen, beschäftigt. Das kann auch nicht sein. Wir befinden uns in der Situation der größten nationalen Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Es darf nicht sein, dass Bund und Länder gegeneinander Politik betreiben, ({2}) sondern wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass die Zahlungen schnell ausgeführt werden. Wir erwarten, dass die Länder auch ihren Beitrag leisten ({3}) und dass sie ihre Möglichkeiten, wie bei der Coronapandemie, konstruktiv zur Verfügung stellen, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({4}) Deswegen ist es gut, dass wir an dieser Stelle handeln. Wir machen ja noch mehr. Auch die großartige Erfindung des Kurzarbeitergeldes, die der damalige Arbeits- und Sozialminister Olaf Scholz auf den Weg gebracht hat ({5}) und die uns schon in der Coronapandemie geholfen hat, wird jetzt weiter genutzt. Auch das ist etwas, was Menschen in einer schwierigen Situation Sicherheit gibt – und das ist auch gut, meine sehr verehrten Damen und Herren. Und wir haben noch was gemacht: Wir haben eine Energiepreisbremse auf den Weg gebracht. Wir sagen: Die Zufallsgewinne, die jetzt entstehen, die müssen abgeschöpft werden. ({6}) Das ist eine Frage der Solidarität. Damit es auch die rechte Seite in diesem Hause versteht: Es ist eine Frage des Patriotismus. Es kann nicht sein, dass die Firmen jetzt schon wieder Auswege und Schlupflöcher suchen, um das nicht zahlen zu müssen. ({7}) Mein Appell heute hier lautet: Die Unternehmen – auch die Industrie, auch die Energiewirtschaft –, die an dieser Stelle richtige Gewinne machen, müssen sich solidarisch, müssen sich patriotisch verhalten und dürfen nicht Auswege suchen, ({8}) sondern sie müssen das Geld zahlen, was wir brauchen, um die Menschen zu entlasten. Das muss an dieser Stelle auch mal deutlich gesagt werden. ({9}) Ja, wir müssen auch weitere Dinge tun. Schneller, als wir es vorhatten, müssen wir das Strommarktdesign überarbeiten. Aber, meine Damen und Herren, das ist eine Operation am offenen Herzen. Das kann man nicht von heute auf morgen mal eben schnell durchpeitschen. Das braucht Zeit. Der Strommarkt ist europäisch vernetzt. Wenn wir hier Fehler machen, dann droht eine große Katastrophe; das sage ich an dieser Stelle. ({10}) – Ja, ich höre immer Ihre klugen Vorschläge hier vorne. Es ist aber in der Tat so, dass wir da ganz behutsam rangehen müssen. ({11}) Herr Czaja, Sie haben gerade gesagt, was man alles hätte tun müssen. Ich nenne Ihnen jetzt mal zwei Dinge, die hätten getan werden müssen: ({12}) Wenn Herr Seehofer und später Herr Söder als Ministerpräsident von Bayern SuedLink nicht verhindert hätten, nicht gegen jede Leitung gekämpft hätten, wenn sie nicht die 10‑H-Regelung eingeführt hätten, dann wären wir heute deutlich weiter, ({13}) dann hätte insbesondere Bayern diese Probleme nicht, vor denen wir heute stehen. Deswegen: Ducken Sie sich nicht aus der Verantwortung! Ich mache es mir jetzt nicht so leicht und rekurriere auf die letzten 16 Jahre. ({14}) – Ja, das ist jetzt ja ein Jahr her. ({15}) – Nein, das mache ich nicht. – Aber Herr Söder ist heute noch in der Verantwortung. Deswegen sage ich: Heute muss er liefern! Auch heute gilt: Er muss die 10‑H-Regelung endlich komplett abschaffen. Auch jetzt muss er seinen Widerstand gegen Stromtrassen aufgeben. ({16}) Das hat nichts mit den letzten 16 Jahren zu tun; ({17}) das hat mit der Gegenwart zu tun. Jetzt muss gehandelt werden, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({18}) Sie machen hier in der Kernzeit so eine Debatte auf und gehen in Ihrer spannenden Rede gar nicht darauf ein, dass wir heute Morgen um 7 Uhr eine Anhörung im Energieausschuss hatten zum EnSiG 3.0 – Energiesicherungsgesetz 3.0 –, wo wir intensiv diskutiert haben, wie wir kurzfristig und schnell die Potenziale heben. ({19}) – Nein. – Beim EnSiG 3.0 gibt es zum Beispiel bei den Netzen Effizienzmöglichkeiten. Bei der Windkraft, beim Gas und bei der Photovoltaik, da werden wir in der nächsten Woche hier etwas auf den Weg bringen, was ganz schnell hilft, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({20}) – Ja, nächste Woche ist die dritte Lesung. Da Sie hier reinschreien: ({21}) Das Versagen liegt doch bei Ihnen. Sie haben doch immer gegen Windkraft gekämpft, und Sie kämpfen doch auch heute noch gegen Windkraftanlagen. ({22}) Gucken wir mal auf Ihre Bilanz dort, wo Sie mitregieren. Letzte Woche war der IHK-Mittelstandsausschuss bei mir in Kassel. Wir haben auch über Energiepolitik diskutiert. Dabei ging es gar nicht in erster Linie um Förderprogramme. Da ging es darum, dass die Bürokratie und Genehmigungsverfahren ellenlang dauern. Ein Unternehmen hat gesagt, sie könnten schon heute auf Photovoltaik setzen, wenn die entsprechenden Verfahren kürzer gewesen hätten. Das Gleiche bei der Windkraft. Zum Beispiel in Hessen, wo Sie regieren, beträgt die Planungszeit für eine Windkraftanlage 38,2 Monate. Das muss geändert werden! Wir müssen schneller werden. Wir müssen schneller erneuerbare Energien aufs Tableau bringen. Das ist die Antwort, die uns aus der Krise hilft. Das hilft auch dem Bäckermeister vor Ort. Erneuerbare Energien sind auf lange Sicht der Kostensenker. In diesem Sinne: Alles Gute und Glück auf! ({23})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Enrico Komning. ({0})

Enrico Komning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004787, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Lieber Herr Czaja, die wirtschaftliche Lage der Unternehmen, speziell der mittelständischen Unternehmen, als dramatisch zu bezeichnen, ist aus meiner Sicht schon fast ein Euphemismus. In meiner Heimatstadt Neubrandenburg schließen sich verzweifelte Unternehmer zusammen, und sie gehen auf die Straße. Dem ersten Unternehmeraufstand letzte Woche folgten fast 3 000 Menschen. Ich sage Ihnen: Das ist erst der Anfang. Die Menschen, die Unternehmer, sie wehren sich gegen eine Politik der Ideologen, der Ökolobbyisten und der Ahnungslosen, und das ist gut so, meine Damen und Herren. ({0}) Liebe Kollegen von der Union, in einem gebe ich Ihnen und Ihrem Antrag recht: Ursache für die flächendeckende Existenzbedrohung sind natürlich keine unternehmerischen Entscheidungen, aber sehr wohl politische Entscheidungen, die Sie, Herr Czaja, und Sie, meine Damen und Herren Kollegen von der Union, allen voran zu vertreten haben. Die heute explodierenden Energiepreise sind doch nur die seismischen Erschütterungen, die die Welle zum Tsunami machen. Ihre Bundeskanzlerin Merkel und Ihr Wirtschaftsminister Altmaier haben dieses Land energetisch laut scheppernd an die Wand gefahren. ({1}) Natürlich ist es auch der Gaskrieg; auch der Gaskrieg ist schuld. Aber auf wessen Mist ist der denn bitte schön gewachsen? Sie sanktionieren in trauter Eintracht mit der Ampelregierung den größten Rohstofflieferanten der Welt. Das kann man zwar machen, aber dann müssen Sie mit den entsprechenden Reaktionen rechnen. ({2}) Sie haben mit dem Schicksal der Deutschen gepokert, ohne Blatt und offen – ein wirklich mieser Bluff! ({3}) Und jetzt, meine Damen und Herren, ist Holland oder, besser gesagt, Deutschland in Not. Sie kommen mit einem Antrag voller planwirtschaftlicher Lösungen: staatlich festgelegte Preise, Verstaatlichung von Gasspeichern. Es ist im Grunde ein Gruselkabinett an Forderungen, die Sie hier stellen. Liebe Kollegen von der Union, ich verstehe Ihren Ansatz, den Sie mit diesem Antrag verfolgen. Aber dieses ausschließliche Herumdoktern an Symptomen verspricht doch keine energiepolitische Perspektive. Die erreichen Sie nur durch Freiheit und durch Marktwirtschaft. Staatswirtschaft war noch nie die Lösung. Staatswirtschaft ist immer das Problem. ({4}) Verlassen Sie den Weg dieser entsetzlichen sozial-ökologischen Transformation, den Weg zu einer staatlich kontrollierten Kreislaufwirtschaft; denn er führt zu Deindustrialisierung, zu Massenarmut und zu Unfreiheit. Sie drücken sich mit Ihrem Antrag um das eigentliche Problem; das ist nämlich die Energiewende. Verabschieden Sie sich endlich von diesem Monstrum. ({5}) Nur dann schaffen Sie auch eine wirkliche, echte Perspektive für Bürger und Unternehmen. ({6}) So aber, liebe Union, können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. Dieser Krieg, diese Energiekrise zeigen einmal mehr: Deutschland kann nur als starkes Land bestehen, wenn es eine Zukunft im Konzert der Nationen haben will. Deshalb, meine Damen und Herren – gerade da oben auf der Tribüne, aber auch meine Damen und Herren Kollegen der Union –: Lassen Sie uns gemeinsam diesen Kamikazeflug der Bundesregierung stoppen, demonstrieren Sie mit uns am 8. Oktober hier in Berlin gegen diese Politik. Beenden wir diesen Energiewende-Irrsinn, finden wir zurück zu Marktwirtschaft und Freiheit. Nicht nur die Menschen in unserem Land, auch der Mittelstand wird es Ihnen danken. Vielen Dank. ({7})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dieter Janecek. ({0})

Dieter Janecek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004312, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Czaja, die wirtschaftliche Situation ist für viele Betriebe in Deutschland besorgniserregend. Für manche geht es an die Existenz. Wir haben steigende Energiekosten durch den russischen Angriffskrieg. Allein die Ersatzbeschaffung für russisches Gas in diesem Jahr kostet uns um die 60 Milliarden Euro, im nächsten Jahr 100 Milliarden Euro. Volkswirtschaftlich sind das gigantische Verluste. ({0}) Wir erleben die Unterbrechung der internationalen Lieferketten, auch durch Entscheidungen in China, etwa durch die Null-Covid-Politik dort. Die Zinswende der Zentralbanken belastet natürlich auch Unternehmen, zum Beispiel im Bausektor, in der Immobilienwirtschaft. Dort haben wir jetzt einen deutlichen Downturn zu erwarten. Und auch die in der Sache berechtigten höheren Lohnforderungen sind natürlich aufgrund von Inflation für viele Unternehmen erst mal eine Belastung. Diese Probleme betreffen aber zurzeit nicht uns singulär; sie betreffen alle europäischen Länder: Glashersteller in Frankreich, Stahlwerke in Spanien, Düngemittelfabriken in Polen. Viele Branchen stehen vor großen Herausforderungen, und daher brauchen wir auch europäische Lösungen. Der Unionsantrag nennt nicht mit einem Wort Europa. Das zeigt, wie beschränkt Sie hier wieder agieren. Das war doch schon in der Vergangenheit das Problem. ({1}) Wir brauchen eine europäisch abgestimmte, koordinierte Energiepolitik. Frankreich zum Beispiel leidet zurzeit unter den extrem hohen Strompreisen, weil sich dieses Land von der Atomkraft völlig abhängig gemacht hat. Deswegen mussten wir diesen Sommer und diesen Herbst aushelfen, um Frankreich zu stabilisieren. ({2}) Deutschland hat sich in der Vergangenheit durch Vorgängerregierungen in einer Art und Weise von russischem Gas abhängig gemacht, was uns heute in diese Bredouille, in diese schwierige Situation, gebracht hat. Das heißt, die undurchdachte Energiepolitik der Vergangenheit ist ein Grund für das Desaster heute, und wir müssen damit umgehen. ({3}) Das gehört auch zur Ehrlichkeit: Hätten Sie uns nicht in die Abhängigkeit von solchen Autokraten geführt, würden wir heute anders dastehen. ({4}) Wenn Sie sagen wollen, dass wir mit zu wenig Dynamik handeln würden, ist das wirklich eine Feststellung, die lachhaft ist. Es gab kein Wirtschaftsministerium in den letzten Jahrzehnten, das so dynamisch auf eine Krise reagiert hat wie dieses Wirtschaftsministerium unter Robert Habeck. ({5}) Wir haben bei Regierungsübernahme leere Gasspeicher übernommen. Jetzt, in schwierigster Lage, haben wir volle Gasspeicher. ({6}) Seitdem können wir übrigens auch Preise wieder drücken, weil wir in der Lage sind, dass wir nicht mehr zu jedem Preis einkaufen müssen. Wir müssen die Einkaufspolitik der Europäischen Union beim Thema Gas bündeln. ({7}) Natürlich müssen wir auch den Unternehmen helfen. Deswegen steht jetzt in den Verhandlungen im Kabinett, im Parlament ganz konkret an, dass wir ein Energiekostendämpfungsproramm für alle energieintensiven Betriebe auf den Weg bringen und insbesondere auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen stützen. ({8}) Wir können aber auch die dysfunktionalen Energiemärkte, die wir vorfinden, nicht so im Bestand lassen. In einer solchen Krisensituation geht es auch darum, Zufallsgewinne abzuschöpfen. Deswegen setze ich sehr auf die Verhandlungen im EU-Ministerrat kommende Woche. Diese werden alles andere als einfach; denn man kann natürlich auf den Märkten auch schon Ausweichbewegungen sehen. Sie versuchen, sich vor solchen Zufallsgewinnabschöpfungen sozusagen zu verstecken. Aber aufgrund der Tatsache, dass es bei der Produktion von Strom ganz andere Renditen als beim Verkauf gibt, ist es notwendig, das anzugehen und zu sagen: Das geben wir zurück an die Kunden, an die Unternehmen, damit wir den Strompreis senken können. Größte Aufgabe der Politik ist jetzt, die Preise nach unten zu bringen. ({9}) Das leisten wir mit einer Ausweitung des Angebots bei LNG, beim Eingriff in den Strommarkt, beim Hochfahren der Kohlekraftwerke: ({10}) All das bringen wir auf den Weg, und wir haben in den letzten Wochen entschlossen gehandelt. ({11}) Wir entlasten auch die energieintensiven Unternehmen bereits jetzt mit über 1,7 Milliarden Euro bei der Energie- und Stromsteuer durch die Verlängerung des Spitzenausgleichs um ein Jahr. Die Anpassung der Insolvenzregelung ist in Planung, Unternehmen sollen nicht mehr ihr Fortbestehen über die nächsten zwölf, sondern nur noch über vier Monate nachweisen. Dass wir das tun, auch das ist krisenrelevant. Ganz zum Schluss möchte ich auf das Relevanteste eingehen. Wir können jetzt abfedern; wir können helfen. Das tun wir mit der finanziellen Stärke unseres Staates. Ich bin der Meinung: Wir sollten in einer solchen Krisensituation eher mehr finanzielle Stärke nutzen als weniger. ({12}) Es geht jetzt auch um das Thema „Energieeffizienz und Zukunftsinvestitionen“. Im „Handelsblatt“ gab es heute ein gutes Editorial dazu. Es ist in einer solchen Krise auch die Chance verborgen, dass wir uns jetzt wettbewerbsfähig aufstellen. Deswegen ist der Klima- und Transformationsfonds der Bundesregierung, der auf 35 Milliarden Euro erhöht worden ist, ein relevantes Instrument, um nach vorne zu schauen. Wir müssen uns unabhängig machen von russischer Energie. Aber wir müssen jetzt auch die Maßnahmen ergreifen, damit wir wettbewerbsfähig mit erneuerbaren Energien, Energieeffizienz, neuen Geschäftsmodellen in eine bessere Zukunft schauen. Ich danke Ihnen. ({13})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Janine Wissler. ({0})

Janine Wissler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005260, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man sich den Antrag der Unionsfraktion anschaut, dann reibt man sich schon verwundert die Augen, was Sie darin so alles fordern: Preisdeckel, staatliche Eingriffe in den Strommarkt, Verstaatlichung von kritischer Infrastruktur – ({0}) Maßnahmen, die Sie bis vor Kurzem noch als sozialistisches Teufelszeug gegeißelt hätten. Offenbar merken auch Sie, Herr Merz: Der Markt regelt es eben nicht. ({1}) Ja, die aktuelle Energiekrise ist eine Folge verfehlter Energiepolitik. Die Energiewende wurde verschleppt. Und gerade Sie von der Union haben vor Ort oft gegen jedes neue Windrad gekämpft. Sehenden Auges wurde dadurch die Abhängigkeit von fossilen Energien und Energieimporten gefestigt. Wir könnten längst bei 100 Prozent Erneuerbaren sein, zumindest im Strombereich. Dann hätten wir diese fatale Abhängigkeit nicht, und wir wären beim Klimaschutz deutlich weiter. ({2}) Meine Damen und Herren, die Inflation verschärft die Spaltung zwischen oben und unten. Sie stürzt viele Menschen und viele Unternehmen in Existenznöte. Zu Recht gibt es deshalb Proteste, die ja auch erste Wirkung zeigen. Immerhin bekommen jetzt auch Rentner und Studierende Hilfe. Aber die Einmalzahlungen verpuffen angesichts der dauerhaft hohen Preise für Lebensmittel und Energie. Wir schlagen deshalb für niedrige und mittlere Einkommen ein monatliches Inflationsgeld von mindestens 125 Euro vor und eine sofortige und deutliche Erhöhung der Hartz‑IV-Regelsätze; das ist dringend notwendig. ({3}) Aber auch das wird nicht reichen, um die explodierenden Gaspreise auszugleichen. Dafür brauchen wir einen Gaspreisdeckel. Viele Menschen bekommen in diesen Tagen Briefe von ihren Gasversorgern und erfahren, dass sich ihre Abschlagszahlungen verdreifacht bis verzehnfacht haben. Familien und Rentner sollen dreistellige oder gar vierstellige Beträge für Gas zahlen, und zwar monatlich. Das kann man durch direkte Hilfen überhaupt nicht ausgleichen. Dafür muss man die Spekulation bekämpfen, in den Strommarkt eingreifen und einen Preisdeckel einführen, meine Damen und Herren. ({4}) Spanien, Portugal, Belgien, Großbritannien und andere Länder tun das. In Frankreich dürfen die Energiepreise nur um 4 Prozent steigen. Wir fordern ein kostengünstiges Grundkontingent für Strom und Gas sowie ein gesetzliches Verbot von Strom- und Gassperren, damit niemand in diesem Land im Winter frieren muss. ({5}) Und: Hoher Verbrauch muss im Gegenzug deutlich teurer werden. Mit der Gasumlage wollen Sie die Kosten der Gaskrise auf die Verbraucher abwälzen, die zufälligerweise mit Gas heizen, worauf Mieterinnen und Mieter überhaupt keinen Einfluss haben. Sie haben ja selber gemerkt, dass das Quatsch ist, aber Sie haben den nächsten Quatsch gleich hinterher beschlossen, nämlich die Senkung der Mehrwertsteuer für alle Gaskunden. Das ist zwar teuer, gleicht aber die Mehrkosten bei vielen, die alte Verträge haben, überhaupt nicht aus. Die Gasumlage, meine Damen und Herren, ist Murks, sie ist falsch, und deshalb muss sie abgeschafft werden. ({6}) Es ist richtig, Herr Minister Habeck, Gasversorger zu retten und in die staatliche Hand zu überführen, um einen Kollaps bei der Versorgung zu verhindern. Das muss aber aus Steuermitteln erfolgen, und das sollte auch dauerhaft sein. Denn Energieversorgung gehört als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge in die öffentliche Hand und unter demokratische Kontrolle. ({7}) Wieder einmal werden Verluste sozialisiert und Gewinne privatisiert. Einige Konzerne machen Riesengewinne in dieser Krise. Deshalb brauchen wir eine Übergewinnsteuer. Die haben viele Länder eingeführt; die EU-Kommission empfiehlt das sogar. Führen Sie sie endlich ein! ({8}) Meine Damen und Herren, Finanzminister Lindner beklagt, dass es einsam um ihn werde beim Festhalten an der Illusion, die Schuldenbremse im nächsten Jahr noch einhalten zu können. Ja, es ist nicht einfach, wenn das eigene Weltbild auf die Realität trifft, den Kürzeren zieht und alle außer einem selbst es merken. ({9}) Die Schuldenbremse muss ausgesetzt, besser noch abgeschafft werden. ({10}) Wir brauchen Investitionen in die Energiewende, den Ausbau des ÖPNV, wir brauchen Investitionen in den Klimaschutz. Das ist die Verantwortung gegenüber kommenden Generationen und nicht das Klammern an ein offensichtlich schädliches Dogma. Vielen Dank. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Houben, FDP-Fraktion. ({0})

Reinhard Houben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004763, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Vorbemerkung zum Thema „Dynamik von Ministerien“: Meine erste Veranstaltung als Mitglied des Deutschen Bundestages seit 2017 war eine Debatte über die Reform des Postgesetzes – wahrhaftig ein schwerwiegendes Thema. In den Jahren danach ist es dem letzten Wirtschaftsminister nicht gelungen, ein solches Gesetz auf die Reihe zu bringen. Und ich finde es dann schon stark, Herr Czaja, dass Sie dem jetzigen Minister und seinem Ministerium nun fehlende Dynamik vorwerfen. Sie können ja mit den Entscheidungen nicht einverstanden sein; das ist vollkommen in Ordnung. Aber wenn ich sehe, was dieses Ministerium, neben vielen anderen, in dieser Krise in unserem Land leistet: Es ist sehr dynamisch, meine Damen und Herren. Da brauchen wir uns überhaupt nicht zu verstecken. ({0}) Meine Damen und Herren, ich bin selbst Unternehmer. Mein Unternehmen handelt mit Elektroinstallationsmaterialien. Ich habe zu Hause mal geguckt: Wie hoch ist denn unser Energiekostenanteil am Umsatz? Und der ist so niedrig, dass mein Unternehmen keine Unterstützung braucht. Daneben gibt es aber die Bäckereien, die Ziegelhersteller, die Papierhersteller usw. usf. Diese müssen unterstützt werden. Aber wenn die Wirtschaft selbst, der Mittelstand gegenüber der KfW erklärt: „Zu mindestens 53 Prozent haben wir natürlich Probleme mit steigenden Energiekosten, aber wir kommen damit klar“, dann haben wir doch die Aufgabe, Lösungen zu finden, die möglichst zielgenau sind. Und da sind wir – es ist ja eben dargestellt worden – mitten in der Debatte. ({1}) Ich halte es nicht für klug, hier so ein Füllhorn an Lösungen für unterschiedlichste Gruppierungen auszuschütten, wie Sie das tun. Ich frage mal, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union: Haben Sie Ihren Antrag eigentlich mit den Haushältern abgestimmt? ({2}) Haben Sie das abgestimmt? ({3}) Ich finde es interessant: Sie eröffnen Möglichkeiten zum Ausgeben von Geld im satten dreistelligen Milliardenbereich, ({4}) und die einzige konkrete Finanzierung, die Sie vorschlagen, ist das EEG-Konto, wo im Moment schätzungsweise 17 bis 18 Milliarden Euro liegen. Deswegen halte ich den Antrag an dieser Stelle nicht für seriös. ({5}) Wir müssen natürlich auch, meine Damen und Herren, mit einer Illusion aufhören, die auch Ihr Antrag suggeriert. Wir werden, selbst wenn wir diese Gas- und Kohlekrise überstanden haben – der Weltmarktpreis von Öl hat sich ja schon relativ beruhigt –, eines sicherlich nicht haben, nämlich ein Preisniveau bei Energie, wie es vor dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine war. Deswegen müssen wir und muss auch die Wirtschaft selbst erkennen, dass bestimmte Geschäftsmodelle nur dann funktionieren, wenn entsprechend preiswerte Energieträger eingebaut werden. Und das sind natürlich zum großen Teil auch ({6}) sogenannte alternative Energien. ({7}) Erlauben Sie mir zum Abschluss, meine Damen und Herren – auch für Sie persönlich, Herr Czaja –, eine Bemerkung: Wir haben natürlich im Moment kein Nachfrageproblem, sondern ein Angebotsproblem. ({8}) – Ja, aber welche Lösungen bieten Sie denn in Ihrem Antrag an, was die Angebotsseite angeht? Da sehe ich nicht sehr viel, meine Damen und Herren. ({9}) Denn selbst die Union ist nicht in der Lage, den Gasweltmarktpreis hier festzulegen. Also, das ist doch nun wirklich nicht wahr. ({10}) Natürlich ändert sich der Preis, wenn das Angebot erhöht wird; deswegen werden ja LNG-Terminals in Deutschland gebaut. Dazu waren Sie in den letzten Jahren in Ihren jeweiligen Koalitionen nicht in der Lage – mal so als Bemerkung nebenbei. Und sicherlich ist es kurzfristig, für die nächsten zwei Winter, sinnvoll, die zwei bis drei Atomkraftwerke, die einsatzfähig sind, länger laufen zu lassen. ({11}) In diesem Sinne: Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Houben. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Julia Klöckner, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Herr Minister Habeck! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Erlebe dein grünes Wirtschaftswunder.“ Das haben die Grünen im Bundestagswahlkampf plakatiert. ({0}) – Oder im Landtagwahlkampf, soll mir auch recht sein. ({1}) Robert Habeck hat dieses Wunder dieser Tage dann noch mal konkretisiert. Ich zitiere, wie er sich dieses grüne Wirtschaftswunder vorstellt: Wenn mit dem Gassparen alles gut geht und wir Glück mit dem Wetter haben, dann haben wir eine Chance, gut durch den Winter zu kommen. ({2}) Aber ich kann Ihnen sagen: In dieser schwierigen Situation brauchen wir keinen Bundesschamanen, der auf gutes Wetter hofft, ({3}) sondern wir brauchen einen Wirtschaftsminister, der die richtigen Entscheidungen in dieser Situation trifft. ({4}) Lieber Herr Houben und auch Herr Janecek, Sie sprechen davon, was Sie alles vorhaben und bauen wollen. Nur: Von Versprechungen und Ankündigungen kann kein Metzger, kann kein Busunternehmen, kann kein Bäcker, kann kein Handwerker seine Rechnungen bezahlen. Sie fragen: Welche Vorschläge haben Sie denn? Wenn Sie sich diesen Antrag mal durchlesen, wissen Sie es. Aber vielleicht hat man Ihnen im Büro die falschen Unterlagen vorgelegt. ({5}) Ich kenne unseren Antrag. Wir schlagen zum Beispiel vor, dass der Deckel bei der Biomasse einfach mal wegkommt. Wenn es heißt „all-in“, warum haben Sie denn da einen Deckel drauf? ({6}) Und wenn Sie die Angebotsseite beim Strom erweitern wollen, damit am Ende der Preis sinkt, warum setzen Sie denn nicht durch, dass die Kernkraftwerke länger laufen? Damit kriegen wir es hin. Das steht im Antrag drin. Ich finde das ziemlich konkret, lieber Herr Houben. ({7}) Dann will ich hier auch mal mit zwei, drei Märchen aufräumen. Es ist ja die ganze Zeit Ihre Leier – daran halten Sie sich fest wie an irgendeinem Gerüst; Sie sprechen die ganze Zeit davon –, dass wir keine LNG-Terminals gebaut hätten. Mir sind die Grünen in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht dadurch aufgefallen, dass sie die Kämpfer und Demonstranten für LNG-Terminals waren – das Gegenteil war der Fall. ({8}) Und dann sage ich noch etwas zu dem, was Herr Gremmels zu Bayern meinte. ({9}) Die Leier klappt ja auch nicht mehr ganz. Laut Bundeswirtschaftsministerium ist das Bundesland mit den meisten erneuerbaren Energien der Freistaat Bayern. ({10}) Bundesland Nummer eins bei der Biomasse, Nummer eins bei der Photovoltaik, Nummer eins bei der Geothermie. ({11}) – Und bei der Windkraft sind wir vor Baden-Württemberg unter den Grünen. – Mit Offshore ist es in Bayern derzeit ein bisschen schwierig. ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die aktuelle Situation ist schlichtweg dramatisch. Es gibt explodierende Energiepreise. Und es geht auch um die Energieversorgung – es geht ja nicht mehr nur um den Preis, sondern auch darum, dass Unternehmen mittlerweile gar keinen Vertrag mehr angeboten bekommen. Natürlich sagt die Bundesnetzagentur: Wir müssen unseren Gasverbrauch senken. – Die Industrie hat 20 Prozent geschafft. Aber das ist nicht nur Grund zur Freude; denn ein Drittel der Ersparnis rührt daher, dass Unternehmen ihre Produktion eingestellt haben und deshalb kein Gas mehr brauchen. Das geht an die Substanz, das geht an die Lebenswerke, das geht an unseren Wohlstand, das geht an die Wirtschaftsfähigkeit dieses Landes, und die Wettbewerbsfrage wird ganz neu gestellt. Aber dass Sie in dieser Zeit noch nicht mal CETA ratifizieren und es in dieser Woche schon wieder von der Tagesordnung nehmen, ({13}) das zeigt doch, dass Sie die ganze Zeit nur am Schwätzen sind und nichts machen. Und davon kann kein Unternehmen die Mitarbeiterlöhne bezahlen. ({14}) Die Erzeugerpreise sind um 46 Prozent höher als im Vorjahr. Das ist der höchste Wert seit Beginn der Statistik. Dann schaue ich mir mal das nächste Märchen an: Die CDU/CSU hat uns in die Abhängigkeit von Russland gebracht. – Einen besonderen Sinn für subtilen Humor haben Sie ja, muss ich sagen. Also, ich kann Ihnen ein paar Namen von Mitgliedern der SPD-Fraktion nennen. Die sind sehr, sehr eng mit Russland verbunden. Ich weiß nicht, ob sie Russisch sprechen, aber das Geld können sie annehmen. Ich kann Ihnen auch sehr deutlich sagen: 2014 gab es eine Anfrage an den damaligen Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel zum Verkauf des Erdgasspeichers an das russische Gazprom-Unternehmen. Die Antwort war: Eine Unterbrechung russischer Erdgaslieferungen hätte laut Bundesregierung keine schädlichen Folgen bzw. wäre unbedenklich. ({15}) Also, wenn Sie in die Geschichtsbücher gucken, dann gucken Sie mal genauer rein. Sie waren beteiligt. ({16}) Deshalb – damit möchte ich schließen – will ich sehr klar sagen: Es geht darum, dass wir die Angebotsseite erweitern, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– dass wir einen Basispreis für Gas einführen und dass wir vor allen Dingen die kalte Progression jetzt rückwirkend ausgleichen und den Unternehmen mit Superabschreibungen und mit besserer Verlustverrechnung helfen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Julia Klöckner, kommen Sie bitte zum Schluss.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Denn am Ende geht es ums Überleben und nicht ums Diskutieren. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ich war jetzt sehr gnädig, nicht? – Nächster Redner ist der Kollege Andreas Mehltretter, SPD-Fraktion. ({0})

Andreas Mehltretter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005147, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der britische „Guardian“ hat letzte Woche Goldman Sachs zitiert, der Gaspreis könne sich bis zum Ende des Winters wieder halbieren. Der Grund: Die gemeinsamen europäischen Anstrengungen seien erfolgreich, sie würden einen Gasmangel im Winter verhindern. ({0}) Es ist sicher viel zu früh, um wirklich Entwarnung zu geben. Es ist uns völlig bewusst: Die Bürgerinnen, die Bürger und die Unternehmen stehen vor riesigen Herausforderungen, bei denen sie Unterstützung brauchen. Es ist aber auch klar: Es ist die Arbeit unserer Ampelkoalition, die tatsächlich eine ermutigende energiepolitische Perspektive gibt. ({1}) Es ist die Ampelkoalition, die dafür gesorgt hat, dass die Gasspeicher fast komplett gefüllt sind. Es ist die Ampelkoalition, die Entlastungspakete von mittlerweile 95 Milliarden Euro auf den Weg gebracht hat. ({2}) Und es ist die Ampelkoalition, die den Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich beschleunigt hat. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wer nur markige Sprüche ohne jede Substanz von der Seitenauslinie aufs Spielfeld brüllt, der muss sich schon fragen lassen, warum er eigentlich noch ernst genommen werden sollte. ({4}) Sie werfen uns in dem Antrag eine verfehlte Krisenpolitik vor, während Sie vieles fordern, was wir gerade sowieso schon umsetzen. ({5}) Verstehen Sie das unter ernsthafter Oppositionsarbeit? ({6}) Sie nennen uns Verhinderer, verhindern aber gleichzeitig immer noch mit Vorgaben wie der 10‑H-Regelung in Bayern den Ausbau der Windenergie. Merken Sie eigentlich, dass das nicht so wirklich zusammenpasst? Sie sind sich nicht einmal zu schade, uns in Ihrem Antrag vorzuwerfen, wir würden bewusst Blackouts in Kauf nehmen. Diesen verleumderischen Populismus können Sie sich sparen, liebe Union! ({7}) Wie wollen Sie denn eigentlich die erneuerbaren Energien ausbauen? Dazu steht in Ihrem Antrag nix. Sie denken immer noch ausschließlich fossil; ({8}) das wird hier wieder mal deutlich. Mit den Fossilen allein werden wir aber die Krise nicht bewältigen. Gut, dass Sie nicht mehr im Kanzleramt und im Wirtschaftsministerium sitzen! ({9}) Meine Damen und Herren, wie sieht denn die Lage wirklich aus? Der letzte Stresstest hat gezeigt, dass wir bei der Energieversorgung durchaus ein Problem haben, ({10}) nämlich Länder mit schwarzen Regierungsparteien im Süden Deutschlands. ({11}) Sie haben den Ausbau der Windkraft verhindert. Sie haben den Ausbau der Stromnetze verhindert. Und Sie tun immer noch so, als wären Kernkraftwerke mit Leckagen die Lösung für alle Probleme, ({12}) obwohl Sie selbst 2011 den Ausstieg aus guten Gründen besiegelt haben. ({13}) Meine Damen und Herren, wir müssen die Versorgung mit Strom und Gas sicherstellen. Timon Gremmels hat gerade sehr deutlich gemacht, was wir dafür alles tun und warum wir damit so erfolgreich sind, dass sogar Friedrich Merz’ Branchenfreunde uns loben. Wir wissen aber natürlich, dass die Energiepreise viele gerade vor existenzielle Herausforderungen stellen. Wir wissen, dass wir noch nicht überall die notwendige Unterstützung leisten. Aber wir werden dafür sorgen, dass niemand von den Energiepreisen überfordert ist. Wir werden niemanden alleine lassen. Das gilt! ({14}) Ein reduzierter Preis für den Grundbedarf an Strom? Der kommt. Ein reduzierter Preis für den Grundbedarf an Gas? Daran wird gerade mit Hochdruck gearbeitet. Die notwendige Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen? Die bringt das Wirtschaftsministerium gerade auf dem Weg.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?

Andreas Mehltretter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005147, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. – Meine Damen und Herren, das alles, was die Union hier fordert, haben wir schon lange mit dem Entlastungspaket III beschlossen. Wir haben diese Woche auch die ersten Gesetze zur Umsetzung in den Bundestag eingebracht. Wir haben eine Wohngeldreform und das neue Bürgergeld auf den Weg gebracht. Wir setzen unsere Zusagen jetzt Stück für Stück um. Das ist seriöse Politik. ({0}) Ganz im Gegenteil zu dem unseriösen Schauspiel, das Sie aufführen. Hier im Bundestag lamentieren Sie, dass alles nicht schnell genug geht. Gleichzeitig verhindern Sie mit Ihren Ministerpräsidenten im Bundesrat, dass das Entlastungspaket schnell umgesetzt wird. ({1}) Sie behindern Entlastungen, anstatt sie mit uns voranzutreiben. So schaut es aus. ({2}) Liebe Union, vor der Sommerpause haben Sie gedroht, vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen, wenn wir wegen der Energiekrise die Schuldenbremse noch einmal aussetzen würden. Gleichzeitig fordern Sie jetzt Dutzende Milliarden an weiteren Entlastungen in diesem Antrag, ohne ein Wort zur Gegenfinanzierung – vom EEG-Konto abgesehen. Was gilt denn nun? Oder kann es sein, dass Sie einfach gerne Forderungen aufstellen, die logisch gar nicht zusammengehen? ({3}) Meine Damen und Herren, wir stehen vor einer extrem schwierigen Situation. Wir müssen alles Erforderliche tun, damit wir gemeinsam gut durch die Krise kommen. Vieles haben wir schon beschlossen und umgesetzt, einiges wird noch kommen. Wir sorgen dafür, um es auf den Punkt zu bringen, dass die Lichter und die Heizungen nicht ausgehen und dass niemand von den Rechnungen dafür überfordert wird. ({4}) Darauf können Sie sich verlassen. Danke. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Malte Kaufmann, AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Malte Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005099, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Viele Bürger in Deutschland machen sich zurzeit zu Recht große Sorgen wegen eines drohenden Blackouts. Millionen Menschen sind entsetzt über die immer weiter steigenden Preise für Strom, Heizung, Benzin und Güter des täglichen Bedarfs. Aber nicht nur die Bürger trifft es, auch die Wirtschaft leidet extrem unter den hohen Preisen. Erste Traditionsfirmen sind schon insolvent; das wurde angesprochen. Eine Pleitewelle droht. Dahinter stecken Schicksale von Tausenden Unternehmerfamilien und Hunderttausenden Angestellten, die ihre Arbeit verlieren werden. Nicht selten zerrinnt derzeit das unternehmerische Werk von Generationen innerhalb kürzester Zeit zwischen den Fingern. In einer derart krisenhaften Situation muss doch das Gebot der Stunde lauten: Alle Register müssen gezogen werden, alle verfügbaren Energielieferanten müssen genutzt werden, damit diese dramatische Preisspirale gestoppt wird. ({0}) – Ja, die Windkraft, die im Moment verfügbar ist, natürlich. – Deshalb ist es richtig, was die CDU fordert. Die drei derzeit noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke weiterlaufen zu lassen, wäre das Gebot der Stunde, meine Damen und Herren. ({1}) Als AfD-Fraktion geht uns das nicht weit genug. Legen Sie endlich Ihre ideologischen Scheuklappen ab, und machen Sie moderne Kerntechnologie in Deutschland wieder grundsätzlich möglich! Im Unionsantrag sind weitere Punkte enthalten, die wir schon lange fordern: zum einen die Absenkung von Stromsteuern und Netzentgelten und zum anderen die Rücknahme der unsäglichen Gasumlage. Schaffen Sie die wieder ab! ({2}) Herr Minister Habeck, Sie haben am Mittwoch Ehrlichkeit und Verantwortungsbereitschaft eingefordert. Dabei sind Sie es mit Ihrer Verschleppungstaktik in Bezug auf die Kernkraftwerke, der zutiefst verantwortungslos agiert. ({3}) Zumindest hat Ihre Rede gezeigt, dass Ihre Nerven ganz offensichtlich blank liegen. Sie sind als Wirtschaftsminister vollkommen überfordert, wenn Sie in dieser Situation nicht mal wissen, was eine Insolvenz ist. ({4}) Sie ahnen wahrscheinlich, dass das drohende Desaster für Deutschland für immer mit Ihrem Namen und mit dem Namen Ihrer Partei verbunden sein wird. Den Kollegen von der FDP sei gesagt: Wenn Sie sich dieses politische Schicksal ersparen wollen, beenden Sie das endlose Chaos, und schalten Sie nicht die Kernkraftwerke ab, sondern schalten Sie diese unsägliche Ampel ab. ({5}) Das wäre ein großer Dienst für unser Land. Vielen herzlichen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Sandra Detzer, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Sandra Detzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005039, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Der Hashtag #DankeHabeck trendet in diesen Tagen auf Twitter. ({0}) Und das ist auch völlig klar. Denn da ist endlich ein Wirtschaftsminister, der anpackt, statt nur auszusitzen, ({1}) endlich ein Wirtschaftsminister, der den Krisen die Stirn bietet, statt sie nur auszusitzen, ({2}) und dessen Ernsthaftigkeit und Schnelligkeit ganz genau passt zu den massiven Sorgen der Menschen und vieler Betriebe in diesem Land. ({3}) – Ja, das tut weh. Ich glaube, dass Ihnen das wehtut, liebe Union. ({4}) Ich nehme jetzt einfach die Überschrift Ihres Antrags, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, und ich dekliniere das mal durch. Punkt eins. Wir geben Bürgerinnen und Bürgern eine energiepolitische Perspektive. Wir sichern akut die Gasversorgung vieler Hunderter Stadtwerke ab, indem wir Uniper stabilisieren und damit Millionen Haushalte vor Kälte und Dunkelheit bewahren. Wir bauen LNG-Terminals in Rekordzeit, und wir haben das größte Ausbaupaket für die Erneuerbaren beschlossen. Damit durchbrechen wir endlich den Fluch des Gasfetischs, mit dem die Union dieses Land an den Rand der Funktionsfähigkeit geführt hat. ({5}) Punkt zwei. Wir bringen die Preise unter Kontrolle. Wir führen eine Strompreisbremse ein, die beim Basisverbrauch die Kosten für Haushalte und KMU senkt. Wir bereiten eine Gaspreisbremse vor, damit wir dann einen fixen Preis für den Grundbedarf haben und Marktpreise für alles, was darüber hinausgeht. Und wir senken die Umsatzsteuer auf Gas, um ganz unmittelbar die Gaspreise zu senken. Dritter Punkt – das bezieht sich auch wieder auf die Überschrift Ihres Antrags –: Wir verhindern Insolvenzwellen. Der Rettungsschirm für energieintensive Unternehmen wird auf alle Branchen im Mittelstand, im Handwerk ausgeweitet. ({6}) Damit greifen wir rund 1 Million Betrieben unter die Arme, die momentan nicht wissen, wie es weitergeht. ({7}) Jetzt fehlt nur noch die Zusage des Finanzministers. Der Vorschlag des BMWK liegt auf dem Tisch, und wir werden ihn dann unverzüglich umsetzen. ({8}) Die Lage ist ernst, meine Damen und Herren, und es ist gut, dass es in diesem Land endlich einen Wirtschaftsminister gibt, der dieser Aufgabe gewachsen ist. Herzlichen Dank. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Vielleicht könnten wir uns wieder ein bisschen beruhigen. – Nächster Redner ist der Kollege Tilman Kuban, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Tilman Kuban (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Detzer, Sie haben mal wieder gezeigt, dass Sie Twitter leider nicht verstanden haben. ({0}) Aber in dieser Woche haben wir eh schon einiges erlebt. Der dünnhäutige Minister Habeck hat in seiner Rede gefragt, ob wir hier im Fußballstadion seien. ({1}) Um ein Fußballspiel zu gewinnen, Herr Minister, muss man nicht den Gegenspieler anbrüllen oder wie Zidane Kopfstöße verteilen, sondern man muss eine Spielidee haben, neue Spielzüge einüben und gute Mitspieler haben. Ich sage Ihnen: Um Tore zu schießen, braucht man einen anderen Weg. Ihre Politik der Gasumlage erinnert mich ehrlicherweise ein bisschen an Andy Möller: „Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien!“ – Es war ein klassisches Eigentor. ({2}) Die Zahlen der Gasumlage sind ja auch beeindruckend. Sie zahlen jetzt 8 Milliarden Euro an das finnische Staatsunternehmen Fortum zur Rettung von Uniper. Das kann man hier in Deutschland eigentlich kaum jemandem erklären. Sie belasten danach einseitig die Gaskunden mit einer Umlage. Ich frage mich manches Mal: Wer in diesem Haus will eigentlich diese Umlage? Wer in Deutschland will eigentlich diese Umlage? Sie erklären den Leuten erst, Gas sei die Brücke in die Zukunft, sie sollen ihre alte Ölheizung rausschmeißen, und dann belasten Sie einseitig die Gaskunden. ({3}) Das ist keine solidarische Politik, die Sie da machen. ({4}) Wenn Sie sich dann in diesem Haus hinstellen und lamentieren, bei der Windkraft sei nicht alles vorangegangen, dann sage ich Ihnen: Die Verbandsklagerechte und die Naturschutzvorgaben ({5}) waren keine Erfindungen der CDU/CSU. Am Ende – auch das sage ich Ihnen – hat jeder Rotmilan in diesem Land, den Sie immer schützen wollten, mehr Windkraftanlagen verhindert als der Bürgerprotest vor Ort. Es war Ihre Meinung, die Sie vorangetrieben haben, Frau Dr. Detzer, auch in Baden-Württemberg. ({6}) Wir legen heute konkrete Konzepte vor, einen Dreiklang: das Angebot zu erhöhen, die Preise zu senken und die besonders hart Betroffenen in diesem Land zu entlasten. ({7}) Was Deutschland jetzt braucht, ist die Erhöhung eines Angebotes. Der Bundeskanzler hat gesagt: Man muss alles tun, um dieses Angebot zu erhöhen. – Aber wo ist es denn? Wo ist denn die nationale Kraftanstrengung, die Sie angekündigt haben? ({8}) Ob bei Atom, bei Kohle, bei Biomasse, bei neuen Gasquellen, bei Windkraft, bei PV oder bei Geothermie: Sie reden nur, Sie machen nicht. Das ist unser Vorwurf. Es ist Fehlanzeige. ({9}) Was Deutschland jetzt braucht, ist eine Preisbremse für den Strommarkt. Wir haben das Merit-Order-Prinzip auch in unserem Antrag angepriesen, Herr Kollege Janecek. Wir sagen: Es braucht einen europäischen Großhandelspreis fürs Gas. Der europäische Bezug ist durchaus gegeben; das wüssten Sie, wenn Sie den Antrag gelesen hätten. Was machen Sie bisher, um für Entspannung auf dem Strommarkt zu sorgen? Fehlanzeige! Was Deutschland jetzt braucht, ist ein Industriestrompreis. Die Arbeitsplätze bei den kleinen und mittelständischen Unternehmen sind im Wanken. Millionen von Menschen fragen sich, ob sie im nächsten Jahr noch ihren Job behalten. Die Franzosen und Niederländer haben ihn bereits eingeführt. Und wenn ich daran erinnern darf: Es war der Bundeskanzler, der der Industrie hier im letzten Jahr einen Industriestrompreis von 4 Cent versprochen hat. ({10}) Ich frage mich: Wo ist dieser Industriestrompreis? Am Ende Fehlanzeige! ({11}) Was Deutschland jetzt braucht, ist, dass Sie aufhören, die besonders hart Betroffenen zu vergessen: erst die Studenten und die Rentner, jetzt vor allem die kleinen Einkommen. Sie entlasten am Ende die Wohngeldempfänger, und Sie entlasten bei der Abmilderung der kalten Progression diejenigen mit einem Jahreseinkommen ab 35 000, 40 000 Euro. Wen Sie vergessen haben, das sind die Menschen mit kleinen Einkommen, diejenigen in diesem Land, die jeden Tag aufstehen, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Kuban, kommen Sie zum Schluss bitte.

Tilman Kuban (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– zur Arbeit gehen und ihre Kinder zur Kita bringen, die wirklich malochen. Dass eine SPD in diesem Land diese Menschen vergisst, ist ein echter Skandal und keine Fehlanzeige. ({0}) Deswegen: Folgen Sie unserem Antrag!

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Kuban, kommen Sie bitte zum Schluss.

Tilman Kuban (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir geben 1 000 Euro für kleine Einkommen. Das ist der richtige Weg. Danke schön. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Nächster Redner ist der Kollege Sebastian Roloff, SPD-Fraktion. ({0})

Sebastian Roloff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kuban, ich gratuliere zu einer tollen Rede für Youtube. Es wäre schön gewesen, wenn es ein bisschen seriöser und mehr faktenorientiert gegangen wäre, aber das Video können Sie gut teilen. Da freue ich mich für Sie. ({0}) Ich würde gerne zu Ihrem Antrag zurückkommen. Ich bin nämlich immer ganz begeistert, wenn die Union hier einen Antrag vorlegt, weil ich immer ganz gespannt bin, ob man ihn in Bausch und Bogen verwerfen muss oder ob man auch Ansätze einer konstruktiven Oppositionsarbeit findet. Letzteres ist selten. Aber es gibt in diesem Antrag richtige Punkte und richtige Ansätze. Ich werde gleich darauf eingehen. Ob die immer realistisch gegenfinanziert sind und ob Sie das jetzt einfach nur fordern, obwohl wir es schon auf den Weg gebracht haben, ist noch mal die nächste Frage. Aber einiges aus diesem Antrag ist durchaus zu gebrauchen. Wir haben ja schon bei einigen Grundsätzen Probleme. Wenn Sie sich hierhinstellen und sagen: „Es geht um Schnelligkeit und Zielgenauigkeit, und wir brauchen jetzt sofort wirksame Maßnahmen“, dann klingt das super. Das kann man so sagen. Aber in der Praxis ist natürlich die Frage: Wie macht man es? Wenn man zum Beispiel bei der Energiepreispauschale gesagt hätte: „Wir klammern Einkommen ab einer gewissen Höhe aus“, hätten wir viele, viele Monate gebraucht – man hätte auch Einkommensteuererklärungen usw. betrachten müssen –, um das umzusetzen. Es klingt super, das zielgenau zu machen, aber dann wäre das Geld in 18 Monaten gekommen und nicht jetzt, und dementsprechend muss man sich manchmal entscheiden. ({1}) Die Bundesregierung und die Koalition handeln. Beispielsweise sind zu nennen das Kurzarbeitergeld – das haben wir heute schon mehrfach gehört; das werde ich in jeder Rede hier sagen, weil es eines der Meisterstücke der alten und der jetzigen Regierung ist –, das Energiekostendämpfungsprogramm und auch Maßnahmen für kleine und mittlere Unternehmen; wir kommen im Detail noch darauf zu sprechen. Hier ist übrigens ganz besonders wichtig, dass wir die Soloselbstständigen nicht vergessen. Diese vergessen wir nicht, aber in der Ausgestaltung der Programme und in den konkreten Antragsangelegenheiten muss das entsprechend abgedeckt sein. Ein Thema, das uns alle besonders umtreibt, zumindest unsere Seite des Hauses, ist die Frage von Strom- und Gassperren. Es ist gut und richtig, dass die Regierung vereinbart hat, dass diese zu vermeiden sind. Wir erwarten – das darf ich ganz ausdrücklich sagen – hier von der Bundesregierung eine entsprechend schnelle Umsetzung; denn Menschen, denen im wahrsten Sinne des Wortes der Saft abgedreht wird, sind die Allerärmsten. Da brauchen wir sehr schnell Fortschritte. ({2}) Wie ich schon gesagt habe, sind einige Punkte in Ihrem Antrag nicht verkehrt. Ich persönlich war nie Fan der Gaspreisumlage. Ich glaube, dass wir eine sozial gerechte Ausgestaltung brauchen ({3}) und dass wir insbesondere seit der Verstaatlichung von Uniper eine andere Ausgangslage haben. Ich bin froh, dass Robert Habeck auf eine schnelle juristische Prüfung gedrängt hat und diese angestoßen hat. Ich gehe von schnellen Ergebnissen und Reaktionen aus. Ebenso gehe ich davon aus, dass die Kommission zum Thema Gaspreis ihrer Verantwortung gerecht wird und schnell zu konkreten Lösungen kommen wird, die wir schnell umsetzen können. Das muss noch dringend in diesem Jahr sein. ({4}) Ich bin begeistert – das meine ich gar nicht schnippisch –, dass Sie einen Gaspreisdeckel für den Grundbedarf fordern. Das habe ich schon im Juni hier gesagt. Da wurde von Ihnen herzlich gelacht und das als nette Forderung des DGB kommentiert. Ende Juli ist Herr Spahn dann darauf aufgesprungen. Ich freue mich, dass Sie das mittlerweile fordern. Ob Sie das umsetzen würden, wenn Sie selber regieren würden, darf man vielleicht hinterfragen. Ich glaube aber, dass das richtig ist und dass wir auf dem Weg zu einem Konsens sind. Leider – und das ist das Aber – bleiben Sie Ideen zur Gegenfinanzierung schuldig, und dieses Muster setzt sich fort. Sie fordern, die Netzentgelte für 2023 auszusetzen, die Stromsteuer auf den EU-Mindestsatz zu senken etc. Das kann man alles machen, aber wie soll das gehen ohne Steuererhöhungen und ohne neue Schulden? Alleine der Verzicht auf die Gasumlage – das haben wir in den letzten Tagen schon mehrfach gehört – würde 34 Milliarden Euro kosten. Das Geld muss irgendwo herkommen. Wenn man Ihren Fraktionsvorsitzenden – er ist nicht mehr da – heute auf N24 gesehen hat, dann hat man gemerkt, dass es ihm überhaupt nicht um Lösungen geht. Da stellt sich Herr Merz hin und sagt, die Schuldenbremse sei Gesetz, die müssten wir einhalten, und im Übrigen seien die Länder beim Entlastungspaket überrannt worden. Das heißt, einerseits hören wir seit einer Stunde von Ihnen, dass das, was wir machen, alles zu wenig sei, andererseits suggerieren Sie, das sei doch irgendwie zu viel, das könnten wir uns nicht leisten. Hören Sie auf, zu zündeln! Hören Sie auf, hier so moralisch zu agieren; denn das ist wirklich nicht glaubwürdig, wenn man sich die Details anschaut. ({5}) Wir müssen die wirtschaftspolitische Situation größer denken. Wir haben einen Angebotsschock. Auch das habe ich im Juni hier gesagt. Da wurde damals noch groß auf Ihrer Seite gejohlt. Das haben wir verstanden. Er hat jetzt zu einem Nachfrageschock geführt. Der GfK-Konsumklimaindex zeigt eine Senkung der Nachfrage, und damit ist klar, dass sich die Situation gravierend verschärfen wird. Wir brauchen daher Anreize für die Konjunktur. Ich bin froh, dass es erste Maßnahmen zur Schaffung von Nachfrage gibt. Ebenso ist jetzt unsere Hauptaufgabe, den Kollaps des Energiesystems zu verhindern. Es ist wichtig, dass wir die Energieversorgung sicherstellen und bei Bedarf auch kraftvoll zupacken. Uniper ist hierfür das beste Beispiel. Klar ist, dass das nur eine Übergangslösung sein kann. Im Juni hatten wir eine Diskussion zu den bayerischen Wasserkraftwerken, die die CSU 2003 verscherbelt hat, weil man Geld für den Haushalt gebraucht hat. Eine wirklich visionäre Energiepolitik hätte anders ausgesehen. Die Situation jetzt eröffnet auch Chancen, Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. ({6}) Kommunale Daseinsvorsorge ist bei der Frage der Energiesicherheit niemals zu vernachlässigen, im Gegenteil, ich glaube, sie kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Die Stadtwerke München – das darf ich als Abgeordneter aus München sagen – sind hier ein leuchtendes Beispiel, wie man es hinbekommt, als kommunale Hand sich über viele Jahre visionär am Klimaschutz, an Klimaneutralität zu orientieren. Wir sollten bei Zukunftsfragen des Energiemarktes mehr über Kommunalisierung und Stärkung der Daseinsvorsorge nachdenken. Dass wir den Antrag trotz einiger guter Punkte nicht mittragen können, wird Sie nicht wahnsinnig überraschen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Roloff. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Andreas Lenz, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aggression Russlands bedingt auch große Herausforderungen für die Energieversorgung. Gerade jetzt in einer Zeit von Energieknappheit müssen wir alles, aber auch wirklich alles machen, um die Angebotsseite bei der Energieversorgung zu stärken. Wir müssen Potenziale bei den Erneuerbaren heben, aber eben auch bei den konventionellen Kapazitäten. Damit entlasten wir bei den Energie- und insbesondere bei den Strompreisen. Wir helfen damit den Verbrauchern, den Unternehmen, dem Handwerk und dem Mittelstand. Diese Hilfe ist dringend notwendig. Es geht wirklich um jede Kilowattstunde; der Minister hat es ja mehrmals selbst gesagt. Es ist eben auch eine Stromkrise. Das ist mittlerweile hoffentlich jedem klar. Lassen Sie also die AKWs am Netz. Hören Sie auf die Stellungnahmen im Zusammenhang mit den Stresstests und auf die Verbände. Machen Sie alles, um ernsthafte Netzschwierigkeiten, im schlimmsten Fall einen Blackout, zu verhindern. ({0}) Sie tun häufig so, als ob das nur ein Mantra der Union sei, ansonsten würde das niemand fordern, niemand sagen. Hören Sie auf den Sachverständigenrat der Bundesregierung, der das sagt. Sprechen Sie mit Frau Professor Grimm. Das sagt übrigens auch Ihr Koalitionspartner, die FDP. Das sagt auch das europäische Ausland; Sie sind doch auch im Energieministerrat. Das sagen selbst Abgeordnete der Grünen im Europaparlament. Beispielsweise wirft der schwedische Grünenpolitiker Take Aanstoot Deutschland vor, keine Verantwortung für die Energiesicherheit zu übernehmen. Nehmen Sie diese Stimmen ernst, wenn Sie uns schon nicht glauben. ({1}) Lassen Sie die Kernkraftwerke befristet am Netz. Überwinden Sie an dieser Stelle Ihre Ideologie. Sie sparen damit weiter Gas und entlasten den Markt und die Preise. Es droht die Deindustrialisierung Deutschlands. Ich rate jedem, das entsprechend ernst zu nehmen. ({2}) Es war immer das produzierende Gewerbe, das uns in der Vergangenheit über Krisen hinweggetragen hat, sei es die Finanz- und Wirtschaftskrise oder auch andere Krisen. Übrigens, wenn die Industrie aus Deutschland verschwindet, dann gibt es auch nichts mehr zu transformieren hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft, dann ist sie einfach weg. Die Emissionen sind aber nicht weg, sie entstehen dann an anderen Orten der Welt. Also schützen Sie den Mittelstand, schützen Sie das Handwerk durch Entlastungen und ein höheres Angebot an Energie. ({3}) Ansonsten verspielen Sie den Wohlstand dieses Landes, meine Damen und Herren. Handeln Sie also. Es sind übrigens erst zwei Kohlekraftwerke wieder ans Netz gegangen. Die Betreiber brauchen hier Planungssicherheit, nicht nur für diesen Winter. Wir werden auch im nächsten Winter eine Energieknappheit haben. Stärken Sie außerdem die Erneuerbaren. Da haben Sie uns an Ihrer Seite. Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch, zum Beispiel zum Biogas-Deckel. Wir haben heute Morgen bei der Anhörung noch weitere Vorschläge, die auch unseren Vorschlägen entsprachen, gehört. Setzen Sie diese um. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. ({4}) Der Minister hat gestern gesagt, dass weitere Entlastungen notwendig sind und auch kommen werden. Darauf hoffen wir. Aber fangen Sie doch zunächst damit an, dass Sie nicht weiter belasten. Nehmen Sie diese vermurkste Gasumlage vom Tisch, gerade jetzt, wo Uniper ja verstaatlicht wird. Wenn ich mir die Diskussionen vergegenwärtige, gerade auch die letzten Beiträge, dann stelle ich mir die Frage: Wer in diesem Parlament ist denn eigentlich noch für die Gasumlage? Wer steht denn noch zu diesem Konzept? Es ist aus meiner Sicht so, als würde man beginnen, eine Jacke falsch zuzuknöpfen: Es wird meistens nicht besser, wenn man sie weiter zuknöpft. ({5}) Entknöpfen Sie diese Jacke. Schaffen Sie die Gasumlage ab, und nehmen Sie diesen Vorschlag vom Tisch. Belasten Sie somit die Verbraucher nicht noch mehr. Herzlichen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Lenz. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Felix Banaszak, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Felix Banaszak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005016, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland steht zweifelsohne vor großen wirtschaftspolitischen Herausforderungen: die Energiepreise, die Energieverfügbarkeit, die Inflation, die drohende Rezession, der Fachkräftemangel. Der Fachkräftemangel betrifft das Handwerk, er betrifft Teile der Industrie und ganz offensichtlich auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. ({0}) Anders kann ich mir das nicht erklären. Mir wäre das unangenehm. Herr Czaja, Sie haben gestern in einem Sharepic geschrieben, der Wirtschaftsminister handelte wie ein wirtschaftspolitischer Praktikant. Frau Klöckner, Sie haben gerade von einem Schamanen gesprochen. Ich würde mich schämen, ({1}) den Minister, der gerade den Karren aus dem Dreck zieht, zu beschimpfen und dann so eine dünne Suppe wie diesen Antrag zu servieren: zwei Seiten voller Widersprüche. ({2}) Sie müssen sich schon entscheiden. Sie waren 16 Jahre lang eine staatstragende Regierung und haben sich jetzt für eine Klamaukopposition entschieden, was den epochalen Herausforderungen, vor denen wir stehen, einfach nicht gerecht wird. ({3}) Sie können doch nicht ernsthaft in einem solchem Antrag schreiben: Wir wollen einen Gaspreisdeckel; ({4}) aber wir wissen nicht, wie wir das bezahlen wollen. Wir wollen keine Gasumlage, aber wir wollen auch nicht diskutieren, was die Alternative wäre. – Was ist Ihre Alternative? Wollen Sie die Gasversorger pleitegehen lassen? Wollen Sie, dass die Stadtwerke pleitegehen? Wollen Sie, dass die Energieversorgung ausfällt? Oder wollen Sie das Geld woanders hernehmen? Diese Fragen müssen Sie beantworten. ({5}) In diesem Antrag und in allen Reden in dieser Woche kam von Ihnen immer nur: Nein, keine Gasumlage, keine neuen Steuern, keine neuen Schulden. ({6}) Das ist mathematisch ein Ding der Unmöglichkeit. Ich frage mich: Wie wenig ernst kann man sich als Opposition in einer so epochalen Krise nehmen? ({7}) Sie sprechen in diesem Antrag von einer „energiepolitischen Perspektive“ für die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen. Diese energiepolitische Perspektive – es ist angesprochen worden – geben wir. Das muss man doch mal anerkennen: Ein grüner Wirtschaftsminister baut reihenweise LNG-Terminals auf, ({8}) schafft neue fossile Infrastrukturen, lässt Kohlekraftwerke länger laufen, bringt AKWs in einen Reservebetrieb, um kurzfristig agieren zu können. Meine Damen und Herren, da draußen demonstrieren heute in Berlin und deutschlandweit wieder junge Menschen für ihre Zukunft, dafür, dass sie einen noch lebenswerten Planeten vorfinden. ({9}) Wir brauchen doch nicht nur eine energiepolitische Perspektive für die nächsten drei Wochen, sondern eine für die nächsten drei Jahrzehnte. Das bedeutet, endlich alle Hürden über Bord zu werfen, die den Ausbau der Erneuerbaren blockieren. ({10}) 10 H in Bayern! Wir haben es in Nordrhein-Westfalen geschafft, mit Ihnen die Abkehr von der 1000-Meter-Abstandsregel zu vereinbaren. Vielleicht braucht es eine grüne Regierungsbeteiligung in Bayern, damit das auch in Bayern möglich ist. Vielen Dank. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Olaf in der Beek, FDP-Fraktion. ({0})

Olaf In der Beek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Fassen wir mal zusammen: Es ist doch völlig unstrittig: Wir leben in schwierigen Zeiten. Der Angriffskrieg Putins und der daraus folgende Wirtschafts- und Ressourcenkrieg hat massive Auswirkungen in Europa und auch in Deutschland; damit habe ich schon genauso oft „Europa“ gesagt, wie in Ihrem Antrag steht. Die Bundesregierung und die Fraktionen der Ampel arbeiten jeden Tag mit Hockdruck daran, die Probleme zu lösen und die aktuellen Herausforderungen zu meistern. ({0}) Genau das, was Sie in Ihrem Antrag fordern, tun wir Tag für Tag als Regierung und Fraktionen. ({1}) Wir arbeiten daran, Perspektiven zu geben, Preise unter Kontrolle zu bringen und Insolvenzen zu verhindern. ({2}) Aber eines wird uns nicht passieren: Wir werden sicher nicht in Aktionismus verfallen. Die Ampel arbeitet klar und strukturiert. ({3}) Lassen Sie mich ein paar Sätze zu Ihren Ideen sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion. Sie wollen also die Gasumlage abschaffen und einen Gaspreisdeckel sowie einen Bürgerbasispreis einführen. ({4}) Das hört sich alles toll an; aber nur weil Kosten gedeckelt werden, liebe Union, muss die Differenz trotzdem irgendjemand zahlen. Oder glauben Sie, dass das Geld vom Himmel fällt? Ich bin gespannt auf Ihre Vorschläge, wie das mit der Schuldenbremse in Einklang zu bringen ist. ({5}) Ich nehme es vorweg: Gar nicht! Vielleicht sollte der Kollege Czaja mit seinem Bruder sprechen, unserem Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus von Berlin, der wird ihm das vielleicht erklären. ({6}) Wenn ich mir Ihre Sammlung von Ideen anschaue, muss ich mich schon sehr wundern, was aus der Partei Ludwig Erhards eigentlich geworden ist. Fiskalpolitisch bewegen Sie sich auf dem Niveau der Linkspartei; aber sei’s drum. ({7}) Vielen steht das Wasser bis zum Hals, und gerade im Hinblick auf die Energiesicherheit und Bezahlbarkeit handeln wir. Ein entscheidender Schritt ist zum Beispiel der Umgang mit den deutschen Rosneft-Töchtern. So gewährleisten wir unter anderem durch die Untertreuhandstellung der PCK-Raffinerie in Schwedt die Versorgungssicherheit in Ostdeutschland. Als Liberaler ist es mir natürlich immer lieber, wenn der Markt wirken darf und sich staatliche Eingriffe in Grenzen halten, aber in der jetzigen Situation müssen wir pragmatisch handeln. Das ist auch unser Verständnis von der Aufgabe des Staates. Wenn der Gas- und Strommarkt nicht mehr im Sinne der Verbraucher funktioniert, dann muss der Staat in Ausnahmefällen eingreifen. Das tun wir beispielsweise bei der Verstaatlichung von Uniper. Und ja, der Staat muss sich auch um den Mittelstand und um die vielen Betriebe in Deutschland kümmern. Aber verunsichern Sie doch nicht die Menschen und erzählen Märchen, dass die Bundesregierung nichts unternehmen würde. Wir wissen, dass gerade die Preise für Strom und Gas für viele an der Schmerzgrenze liegen oder diese schon deutlich überschritten haben. Deswegen müssen wir nun alles dafür tun, um die Energiepreise schnellstmöglich zu senken. ({8}) Wir haben mit den drei Entlastungspaketen bereits Maßnahmen ergriffen und werden immer wieder zielgerichtet nachsteuern. Ich bin zuversichtlich, dass das Ministerium in Kürze Vorschläge für eine schnelle Einführung der vereinbarten Strompreisbremse vorlegen wird, die wir dann hier in diesem Haus debattieren werden. ({9}) Und natürlich muss alles auf den Strommarkt, was wir zu bieten haben, um die Preise zu senken. Kohle holen wir schon zurück; das tut mir als Klimapolitiker weh, aber es ist notwendig. Und können wir es uns wirklich leisten, auch auf andere Energiequellen zu verzichten? Wollen wir uns vorwerfen lassen, dass wir nicht alles dafür getan haben, den Menschen bei den absurd steigenden Preisen zu helfen? Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, das können wir nicht. Deshalb werden wir auch weiter verantwortungsvolle Entscheidungen in der Ampel treffen. Das gilt sicherlich auch für die letzten verbleibenden Kernkraftwerke. ({10}) Das ist unsere Verantwortung, und daran dürfen die Menschen uns auch messen. Danke schön. ({11})

Lisa Paus (Minister:in)

Politiker ID: 11004127

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörende! Der 16. Kinder- und Jugendbericht zeigt: Die politische Bildung junger Menschen ist ein Stützpfeiler unserer Demokratie, und sie ist heute wichtiger denn je. Denn sieben große Megatrends fordern die Demokratie besonders heraus: Klimakrise, Pandemie, Globalisierung, Digitalisierung, demografischer Wandel, Migration und erstarkender Nationalismus; dazu kommt aktuell sogar ein Krieg in Europa. ({0}) Das alles beeinflusst auch das Aufwachsen junger Menschen. Gerade in diesen Zeiten kommt deshalb politischer Bildung eine große Verantwortung zu. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Demokratie braucht Demokratinnen und Demokraten. Politische Bildung hat den Auftrag, junge Menschen zur Demokratie zu befähigen. Demokratie ist nichts, was man in der Schule lernt wie Vokabeln oder binomische Gleichungen. Demokratie lebt davon, dass wir sie jeden Tag miteinander leben. ({2}) Deshalb ist die wichtigste Botschaft dieses Berichtes: Politische Bildung gehört überall hin. Sie gehört in die Familie, in die Kita, in die Schule, in die Ausbildung, in Jugendbildungsstätten oder in Jugendverbände. Alle Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf politische Bildung, meine Damen und Herren. ({3}) Politische Bildung dauert im Grunde ein Leben lang. In der Jugendarbeit, beim gesellschaftlichen Engagement in Vereinen, in der Bundeswehr, in den Medien. Und immer geht es um die klassischen Fragen: Wie funktioniert unsere Gesellschaft? Wie kommen wir zu gemeinsamen Entscheidungen? Wie verabreden wir Regeln, an die sich auch alle halten? Das Ziel politischer Bildung ist aber auch ganz konkret: sich begegnen auf Augenhöhe und mit Respekt, lernen, sich eine eigene Meinung zu bilden, aber auch mit unterschiedlichen Meinungen umzugehen und sie zu tolerieren. Hier wird auch außerhalb der Schule viel geleistet. Das fördert mein Bundesjugendministerium sehr umfänglich mit dem Kinder- und Jugendplan und mit Programmen wie „Jugend erinnert“, den „Respekt Coaches“ und mit dem großen wichtigen Programm „Demokratie leben!“. ({4}) Aber Demokratieförderung ist eine Daueraufgabe. Deshalb werde ich zusammen mit Nancy Faeser das Demokratiefördergesetz einbringen, meine Damen und Herren. ({5}) Werte Abgeordnete, werte Zuhörende, ich will auch, dass 16‑Jährige wählen können in diesem Land, ({6}) und ich will, dass Kinderrechte im Grundgesetz endlich verankert werden. ({7}) Der Bericht plädiert übrigens ebenfalls für beides. Die Koalitionsparteien haben beides im Koalitionsvertrag vereinbart. Ich persönlich werde da definitiv nicht lockerlassen. ({8}) Eine weitere Diagnose des Berichtes lautet: Politische Bildung wirkt umso nachhaltiger, wenn sie mit handfesten demokratischen Erfahrungen einhergeht, wenn Demokratie gelebt wird. Wer früh mitentscheiden darf und erlebt, dass die eigene Meinung zählt, dass man sich auf demokratische Prozesse verlassen kann, der hat gute Chancen, dann auch wirklich ein Demokratiefan zu werden. Auch darum setzen wir den Nationalen Aktionsplan für mehr Kinder- und Jugendbeteiligung auf, meine Damen und Herren. ({9}) Wir stärken die politische Bildung, um Flagge zu zeigen, um zu vermitteln, warum Gleichheit, warum Pluralismus, warum Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Minderheitenschutz so wichtig sind. Denn es geht um nichts anderes als um den „unhintergehbaren Kern“ der Demokratie. So nennt ihn der Bericht. Weil es viele Zwischenrufe gab und weil ausgerechnet die, die es darauf anlegen, die Demokratie zu hintergehen, behaupten, politische Bildung müsse neutral sein, sage ich Ihnen eins: Politische Bildung ist niemals neutral. ({10}) Politische Bildung ist demokratische Bildung, und deshalb wird sie niemals neutral sein gegenüber Demokratiefeinden. ({11}) Politische Bildung ist auch deswegen so wichtig, weil sie junge und übrigens auch alte Menschen resilient dagegen macht, Verschwörungserzählungen und rechten Parolen auf den Leim zu gehen. ({12}) Deswegen müssen wir sie unterstützen, deswegen ist sie so wichtig. Ich danke der Kommission für diesen wirklich wertvollen Bericht, meine Damen und Herren. ({13})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Frau Kollegin Fester, Sie werden sich bedauerlicherweise mit einer Minute begnügen müssen. Aber so ist das vorgesehen. Der nächste Redner ist der Kollege Ralph Edelhäußer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ralph Edelhäußer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über den 16. Kinder- und Jugendbericht, einen Bericht, der im September 2018 bis Juli 2020 verfasst worden ist, also zu einer Zeit, in der die Auswirkungen der Coronapandemie noch gar nicht in vollem Umfang abschätzbar waren und man nicht wusste, welche Folgen sie hat. Eigentlich sind die entsprechenden gravierenden Einschnitte für unsere Jugendlichen und Kinder erst danach entstanden. Wir alle wissen, was damit zu tun hat. Es waren die Schulschließungen, es war der Wechselunterricht, es war auch die allenthalben ungenügende Ausstattung von Lernplattformen. Diese negativen Auswirkungen, die die jungen Menschen und die junge Generation erleiden mussten, haben natürlich auch etwas damit zu tun, dass sie nun Mängel in den Bereichen Kompetenzentwicklung und kognitive Fähigkeiten aufweisen. Hier ist es jetzt an uns allen, aber auch an allen politischen Ebenen runter bis zur Kommune, dass wir das in den nächsten Jahren ausgleichen müssen. Das Vertrauen in die Politik hat in den letzten Jahren gelitten, auch das in Politikerinnen und Politiker. Die Jugendlichen mussten massive Einschnitte in ihrer persönlichen Freiheit erfahren, zum Beispiel in ihrem Freizeitverhalten. Es war kein Freizeitverhalten möglich. Was macht der Jugendliche? Ein Jugendlicher will sich treffen, will zusammen sein mit Gleichaltrigen: Fehlanzeige! Das haben sie alles ausgehalten. Aber wir haben großartige Jugendliche, weil sie demokratisch handeln wollen, sie wollen junge Mitbürgerinnen und Mitbürger in unserem Land sein. Dafür einmal ein herzliches Dankeschön an die Jugend unseres Landes. ({0}) Nun gilt es aber auch, den Jugendlichen etwas zurückzugeben. Hier gibt der 16. Kinder- und Jugendbericht entsprechende Empfehlungen, was genau gemacht werden sollte, damit unsere Jugendlichen an unserer Demokratie partizipieren und sich auch aktiv einbringen können. Wie wahrscheinlich die meisten von Ihnen führe auch ich regelmäßig Gespräche mit unseren Jugendlichen. Sie geben natürlich eindeutig zu verstehen, dass es eine Zukunft ohne sie nicht geben kann. Sie wollen aktiv mitmachen. Sie wollen diese Zukunft aktiv gestalten. Eine Möglichkeit dazu sind die Freiwilligendienste. Deswegen werbe ich auch an dieser Stelle dafür und bin froh, dass sich so viele für ein soziales, ökologisches oder internationales Jahr interessieren. Hier erfahren die Jugendlichen, was es heißt, Arbeit und Leben zu koordinieren. Da lernen sie, was aktive Mitsprache, kritisches Denken, auch aktives Gestalten heißt. Wir haben erst in dieser Woche ein Fachgespräch im Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“ gehabt, wo man das live erleben konnte. Das ist grandios, das ist super. Es ist wünschenswert, wenn das am Ende des Tages auch im Bundeshaushalt des nächsten Jahres im Bereich der Freiwilligendienste Widerhall finden würde, ({1}) zum Beispiel durch eine Erhöhung der entsprechenden Stellen. Es gibt 100 000 Stellen und etwa 300 000 Nachfragen. Jetzt stellen wir uns einmal vor – das Delta von 200 000 kann sich jeder ausrechnen; es entspricht beispielsweise der Einwohnerzahl von Kassel –, was das bedeutet. Dieses große Potenzial wird nicht genutzt. Aber wir müssen es als Land doch einfach nutzen. Wir dürfen es nicht auf der Straße liegen lassen. ({2}) Denn diese Freiwilligendienstleistenden sind oft unsere Retter in der Not, ob in Kitas, in Schulen, in Horten, in Seniorenheimen oder im öffentlichen Bereich. Deswegen – wie auch im Bericht angemerkt – ist es wichtig, dass auch junge Menschen, die durch ihre Familie finanziell nicht so gut ausgestattet sind, die Möglichkeit haben, solche Freiwilligendienste annehmen zu können. Hier müssen wir dringend nachbessern. Hier muss das Ganze breiter aufgestellt werden. Die aktuelle Zeit, in der die Jugendlichen heranwachsen, ist eine schwierige Zeit. Wir wissen das alle. Corona ist noch nicht ganz vorbei, die Angst vor Armut, die Inflation, das Kriegsgeschehen, die Energiekrise – das sind auch Herausforderungen für die jungen Menschen in psychischer und physischer Hinsicht. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es in unserer Verantwortung, dass wir einen stabilen Rahmen geben, dass sie sich entfalten können und auch politische Verantwortung übernehmen können. Das klingt nicht nur gut, das ist es auch. Vielen herzlichen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Bahr, SPD-Fraktion. ({0})

Ulrike Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Ministerin Paus! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Endlich hört uns mal jemand zu. – Diese Rückmeldung bekam ich am vergangenen Montag von einer Teilnehmerin des Hearings Heimerziehung. Herr Kollege Edelhäußer war auch dabei. Mit dem Hearing konnte der Familienausschuss jungen Menschen, die in Einrichtungen der Jugendhilfe aufwachsen oder aufgewachsen sind, die Möglichkeit bieten, sich direkt an die Politik zu wenden. In Workshops hatten sie sich akribisch und ausführlich darauf vorbereitet. Das ist für mich gelebte Jugendpolitik; denn politische Bildung darf nicht Theorie bleiben. Sie braucht unbedingt auch politische Beteiligung und Selbstvertretung. Aufgabe der Politik, unsere Aufgabe ist es, dafür die Räume zu öffnen. ({0}) Der 16. Kinder- und Jugendbericht stellt diesen direkten Bezug zwischen politischer Bildung und Beteiligung sehr klar und deutlich fest. Politische Bildung vermittelt nicht nur Wissen, sie soll Demokratie praktisch erfahrbar machen. Damit ermöglicht sie, dass sich Jugendliche aktiv und gestaltend an Politik beteiligen. Politische Bildung befähigt Kinder und Jugendliche, sich entsprechend ihrer Interessen politisch zu informieren und sich eine Meinung zu bilden. Sie lädt ein zum Einmischen und Mitmischen, sie schult im kritischen Umgang mit Medien. Das muss regelmäßig geübt und angewendet werden und findet natürlich nicht nur in der Schule statt, sondern immer in der Familie, an außerschulischen Orten und in Jugendorganisationen. ({1}) Nach der letzten Reform des Kinder- und Jugendhilferechts haben Selbstvertretungsorganisationen nun einen Anspruch darauf, einbezogen und gefördert zu werden. Ich bin davon überzeugt, dass das die Bereitschaft zum Engagement erhöht. Anspruch auf Beteiligung, Förderung und Selbstvertretung sollten übrigens auch die Eltern erhalten und nutzen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir ist es wichtig, hier und heute auf die zu schauen, die normalerweise nicht im Fokus von Jugendverbandsarbeit und politischer Bildung stehen. In der Kinder- und Jugendhilfe ist die sogenannte Careleaver-Bewegung in den letzten Jahren immer stärker geworden. Junge Menschen, die im Heim groß geworden sind, standen lange am Rand der Gesellschaft. Nun haben sie gezeigt, welche Kraft sie entfalten können, wenn sie als Gesprächspartner ernst genommen werden, Raum bekommen und konsequent beteiligt werden. Die Erfahrung der eigenen Kompetenz, der Selbstwirksamkeit, ist das beste Mittel gegen Politikverdrossenheit und für eine lebendige Demokratie. ({3}) Da sind alle gefordert, die Verantwortung tragen, ob in Schule, Jugendhilfe oder auf den verschiedenen politischen Ebenen; denn Diskussionen mit jungen Menschen sind oft anstrengend, und das ist auch gut so. Wer sonst sollte ein Recht auf radikale Ansichten, auf Maximalforderungen, auf lautstarken Protest haben? Solange das gewaltfrei und im persönlichen Grundrespekt voreinander geschieht, ist das völlig in Ordnung und sogar notwendig. ({4}) Für die Politik gilt, dass die eigene Bequemlichkeit und das Beibehalten geordneter Abläufe keine guten Gründe sind, um jungen Menschen Beteiligung zu verwehren. Mit dem Nationalen Aktionsplan für Kinder- und Jugendbeteiligung schreibt die Bundesregierung ihre Jugendstrategie deutlich in diese Richtung fort. Ziel des Plans ist es, dass überall Räume entstehen, die echte Mitwirkung möglich machen. Meiner Meinung nach sollten wir diese Beteiligungsrechte auch zügig in unserer Verfassung verankern. Kinderrechte gehören ins Grundgesetz. ({5}) Denn junge Menschen haben das Recht auf Schutz, auf Bildung und Förderung und auf Beteiligung und Mitsprache in allem, was sie betrifft. Ich bitte darum die Kolleginnen und Kollegen von der Union, ihre bisherigen Positionen zu Kinderrechten noch einmal zu überdenken. Demokratie lebt von Beteiligung. Machen wir die Türen auf! Ich danke Ihnen. ({6})

Gereon Bollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005029, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der 16. Kinder- und Jugendbericht ist schon ein bisschen angegraut, aber in zwei Punkten von dringender Aktualität. Zum einen befasst er sich unter „Megatrends“ mit „Islamismus“. Dort heißt es, der Verfassungsschutz zähle rund 26 000 hier bei uns ansässige Personen zum islamistisch-terroristischen Potenzial. Die Islamisten stünden im Widerspruch zu den Grundsätzen der Volkssouveränität, der Trennung von Staat und Religion, der freien Meinungsäußerung und der allgemeinen Gleichberechtigung. Zugleich wird betont, es sei zwar unter Jugendlichen nach islamistischen Einstellungen zu fragen; die diesbezüglichen Befunde seien aber aktuell „erstaunlich rar“, und die gegenwärtigen Erkenntnisse zu diesem Phänomen nehmen sich „noch recht dürftig“ aus. Nun: Einerseits islamistische Gefahr – gegenwärtiger Forschungsstand: defizitär. Das ruft doch geradezu nach Befassung mit dem Thema, nach Studien, nach Expertengremien. Was aber macht die Bundesregierung? Die Kollegin von Frau Pau, die Innenministerin, sie löst den Expertenkreis Politischer Islamismus einfach auf. ({0}) – Verzeihung, Frau Paus; keine böse Absicht! Kopf in den Sand statt Schutz der Jugendlichen – das ist die Reaktion. Und die Folge? Die Islamismusexpertin Rebecca Schönenbach, Vorsitzende des Vereins Frauen für Freiheit, meint hierzu: Neben Frauen werden vulnerable Gruppen wie Jugendliche Islamisten überlassen, die versuchen werden, möglichst viele zu radikalisieren. Also das, meine Damen und Herren, ist Regierungskunst nach Art der Ampel. ({1}) Als zweiten Aspekt möchte ich Ihren Blick auf den sogenannten dreidimensionalen Demokratiebegriff richten, dem sich die Sachverständigenkommission angeschlossen hat. Es sind dies die formale, die prozesshafte und die substanzielle Dimension. Darunter versteht man den „unhintergehbaren Kern“ der Demokratie, nämlich die fundamentalen Prinzipien wie Gleichheit, Pluralismus, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Minderheitenschutz, also die Kernwerte unserer Verfassung. Es geht dabei um einen ganz wesentlichen Gesichtspunkt: Bei allem Bemühen um Konsens, bei aller Leidenschaft am Diskurs wird in einer Demokratie am Ende abgestimmt. Es gibt Gewinner und Verlierer. Wer verloren hat, kann aus dem Gemeinwesen aussteigen oder weiter mitmachen. Die Aussteiger emigrieren oder reagieren laut, unter Protest, manchmal mit Gewalt. Auf Letztes antwortet die Regierung dann autoritär, mit Suppression. Der Unterlegene kann sich aber auch entscheiden, die Mehrheitsmeinung mitzutragen. Dies wird aber nur gelingen, wenn diese nicht allzu weit von seinen eigenen Normen entfernt ist. Eine solche Mehrheitslösung kann nach dem bekannten englischen Philosophen und Vordenker der Aufklärung John Locke in seinem Werk „Zwei Abhandlungen über die Regierung“ nur unter folgenden Voraussetzungen gelingen: das Vorhandensein einer öffentlichen Kultur, die Existenz eines Fundamentes an vorpolitischer Bürgergemeinschaft und lebenspraktisch verankerter politisch-kultureller Homogenität des Gesellschaftskörpers. Heute würden wir wohl von „gemeinsamen Werten“ sprechen – oder eben auch von einer „Leitkultur“. Eine solche Leitkultur, meine Damen und Herren, muss den Jugendlichen jeglicher Herkunft vermittelt werden. Ansonsten droht unsere Demokratie zu scheitern. ({2}) Lassen Sie mich hinzufügen: Auch der Regierung, der Ampel, sollten diese Grundwerte dringend nahegebracht werden. Die Anfänge übergriffigen und autoritären Regierungshandelns durften wir ja bereits in der Coronapandemie erfahren. Vielen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nachfolgende Rednerin ist die Kollegin Katja Adler, FDP-Fraktion. ({0})

Katja Adler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als der Bericht am 11. November 2020 veröffentlicht wurde, hieß die Bundesfamilienministerin noch Franziska Giffey und die Bundeskanzlerin Angela Merkel und Deutschland befand sich zwischen dem ersten und dem zweiten Lockdown inmitten einer nahezu alles auf den Kopf stellenden Coronapandemie – eine Zeit, in der Schul- und Kitaschließung, Distanzunterricht, Fernstudium oder die Ein-Freund-Vorgabe das Leben von Kindern und Jugendlichen bestimmte. Wenig überraschend wird im 16. Kinder- und Jugendbericht diese prägende Coronakrise für die 13,5 Millionen Kinder und Jugendlichen in unserem Land als „Stresstest für die offene demokratische Gesellschaft“ bezeichnet. Nun, knapp zwei Jahre später, finden sich diese Kinder und Jugendlichen in einer gesellschaftlichen und politischen Situation wieder, die wir als multiple Krisensituation bezeichnen können. Mit der nicht enden wollenden Coronapandemie, dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, der Energiekrise, der Inflation und der drohenden Rezession befindet sich nicht nur Deutschland in einer umfassenden Zeitenwende – und mittendrin: unsere Kinder und Jugendlichen. Im Kontext dieser Megakrisen wird einmal mehr deutlich, dass Demokratie und demokratisches Verhalten nicht automatisch passieren. Dies muss von jeder neuen Generation neu gelernt und eingeübt werden. ({0}) Kritisch sein, Prozesse, Entscheidungen und Gegebenheiten hinterfragen, Verbündete finden, Mehrheiten bilden, für etwas einstehen, sich beteiligen – das alles ist Demokratie. Dafür braucht es Kenntnis, Kenntnis über unser demokratisches, freiheitliches politisches System, über Beteiligungsmöglichkeiten, Kenntnis aber auch über die Gefahren für unsere Demokratie. Es braucht politische Bildung. Dies zu vermitteln, ist unsere gesamtgesellschaftliche Aufgabe. ({1}) Wie oft hört man: „Was die da oben in ihrem Elfenbeinturm in Berlin entscheiden, kann ich doch eh nicht beeinflussen“? Es ist unsere Aufgabe, diese Annahme zu widerlegen und gleichzeitig über Beteiligungsmöglichkeiten zu informieren. Politische Bildung findet in ganz vielen und ganz unterschiedlichen Lebensräumen statt. 94 Prozent der Drei- bis Fünfjährigen und jedes dritte Kind unter drei Jahren wird in einer Kindertageseinrichtung betreut. Positiv ist, dass 12 von 16 Bundesländern in ihren Bildungsplänen Demokratiebildung als wichtigen Aspekt pädagogischer Bildungsarbeit in Kitas verankert haben. Politische Bildung findet natürlich auch in Schulen statt, und natürlich liegt ihre Ausgestaltung dann auch in der Zuständigkeit der Länder. Diese Länderkompetenz führt – das zeigt der Bericht auch auf – auch auf der politischen Bildungsebene zu Unterschieden in der Qualität und Quantität unter den Ländern und leider auch unter den einzelnen Schulformen. Wie großartig ist es, zu sehen, dass nun endlich auch wieder Schulklassen hier auf den Besuchertribünen Platz nehmen. Jeder Jugendliche sollte bis zu seinem Schulabschluss oder seinem 18. Geburtstag die Möglichkeit bekommen, wenigstens einmal in Berlin gewesen zu sein und den Deutschen Bundestag als das Herz unserer demokratischen Entscheidungen besucht zu haben. ({2}) Politische Bildung passiert aber auch außerhalb der institutionellen Bildungseinrichtungen. Dies müssen wir verstehen und lenken. Soziale Netzwerke werden heute von nahezu allen Kindern und Jugendlichen auch als ein Instrument ihrer Information genutzt. 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren nutzen Youtube mehrmals am Tag. 50 Prozent nutzen TikTok oder Instagram. Und auch hier werden politische Inhalte vermittelt, mittlerweile selbst von Influencerinnen und Influencern. Sie und auch Erklärvideos, Infokacheln, Reels machen heute Meinung. Umso wichtiger ist es, dass wir eine unabhängige Medienstruktur haben, dass wir sie stärken. Denn Medien müssen neutral und weltoffen sein, um eine eigene Meinungsbildung zu ermöglichen. Kinder und Jugendliche politisch zu bilden, bedeutet auch, sie für die Gefahren für unsere freiheitliche Demokratie zu sensibilisieren. Denn neben dem Thema „sexualisierte Gewalt“ folgt auf Platz zwei der Gefahren für Kinder und Jugendliche schon der politische Extremismus. Hier müssen wir sowohl auf den Rechts-, aber auch auf den Linksextremismus achten. ({3}) Die angesprochenen Risiken haben wir in der Fortschrittskoalition erkannt und auch als konkrete Handlungsaufgabe angenommen. Die von der Koalition erarbeitete Jugendstrategie wird alle Ressorts mit einbinden und über 160 Maßnahmen in neuen Handlungsfeldern bündeln. Ein guter Auftakt, auch als Dialog mit den Ländern, mit den Kommunen, der Zivilgesellschaft und den jungen Menschen, war die Bundesjugendkonferenz Anfang September. Ich lade alle Jugendlichen ein, diese Möglichkeit zu nutzen –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin Adler, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Katja Adler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

– und sich zu beteiligen. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Adler. – Nun spricht Heidi Reichinnek, Fraktion Die Linke, zu uns. ({0})

Heidi Reichinnek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuerst einmal möchte ich meinen großen Dank an alle aussprechen, die an diesem Bericht mitgewirkt haben; denn er zeigt umfassend auf, warum Kinder- und Jugendbeteiligung wichtig ist und wie sie erreicht werden kann. Die Bundesregierung stimmt in ihrer Stellungnahme auch allem zu, macht aber exakt nichts. Ich will Sie jetzt nicht in ein falsches Licht rücken: Sie machen nicht nichts. Sie kürzen den gesamten Bereich der Kinder- und Jugendpolitik um 400 Millionen Euro. Das sind 40 Prozent. Im Kinder- und Jugendplan steht ein Minus von fast 25 Prozent. Ich weiß, Sie sagen dann sofort: Ein Großteil der Kürzungen kommt durch die Nichtverlängerung des Coronaaufholpakets zustande, das wäre zeitlich befristet. – Das ist ein Argument, aber kein gutes. ({0}) Denn weder ist Corona vorbei, noch sind die Folgen ausgeglichen. Eine ganze Generation ist in den letzten Jahren abgehängt worden und hat als Ansage mitbekommen: Eure Interessen spielen für uns keine Rolle, und wenn ihr sie selbst vertreten wollt, na ja, dann viel Glück! – Da ist es fast schon symptomatisch, dass die grüne Ministerin ihre Redezeit überzieht, der FDP-Vizepräsident dann der jüngsten Abgeordneten im Bundestag die Redezeit um die Hälfte kürzt – und das in der Debatte zum Thema Jugendbeteiligung. Herzlichen Glückwunsch! ({1}) Der vorliegende Bericht sagt auf 640 Seiten immer und immer und immer wieder: Kinder und Jugendliche müssen stärker beteiligt werden. Wir können uns auch neue Zahlen anschauen. Im Kinderreport des Deutschen Kinderhilfswerks von 2022 liest man – Überraschung –: 83 Prozent der Befragten sagen, dass ihre Interessen eher wenig bis gar nicht berücksichtigt werden. 83 Prozent! Das macht dann richtig Bock auf Demokratie; das haben wir gerade gehört. Trotzdem fordern über drei Viertel der Kids, dass es mehr Kinder- und Jugendparlamente gibt. Sie wollen sich einbringen, sie wollen mitbestimmen, immer noch. Deswegen stehen sie heute auf der Straße und kämpfen für ihre Zukunft. Dafür muss man echt einmal Danke sagen. Zum Glück machen sie das noch. Ich wünsche ihnen heute viel Erfolg dabei. ({2}) Kinder und Jugendliche lernen Demokratie nicht darüber, dass sie die Anzahl der Abgeordneten auswendig lernen oder die Namen der Minister/-innen. Sie lernen das durch echte Beteiligungsstrukturen, in denen sie wirklich Entscheidungen treffen können: in der Schule, im Jugendklub, in Jugendhilfeeinrichtungen. Jugendliche brauchen Freiräume, um sich auszuprobieren, um auch einmal zu scheitern. Und das passiert vor Ort. Darum brauchen wir eine bessere Ausstattung in der Kinder-, Jugend- und Sozialarbeit, der Jugendhilfe, in Schulen und Kitas, damit dort Beteiligung gelebt werden kann. Das braucht Ressourcen und Personal, und das muss langfristig ausgestattet werden. Stattdessen gibt es immer wieder kurzfristige Projekte. Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen: Ich war Mitarbeiterin bei einem „Demokratie leben!“-Projekt. Ein tolles Konzept! Man muss den Antrag stellen; das muss sich der Träger leisten können. Wenn Sie es dann vielleicht geschafft haben, müssen Sie Zwischenberichte schreiben. Es gibt eine hochkomplexe Version, um das abzurechnen. Dann müssen Sie das Projekt bekannt machen. Dann müssen Sie Leute anwerben. Und wenn Sie dann endlich Zeit haben, mit den Kindern und Jugendlichen zu arbeiten, ist das Projekt schon wieder vorbei. Und dann sagen Sie: Hey, das können die Kommunen doch in den Regelstrukturen finanzieren. – Aber die Kommunen haben kein Geld. Ja, grandios! Da müssten Sie als Fortschrittskoalition doch einmal ran. Aber das machen Sie nicht. ({3}) Ihre Politik unterscheidet sich im Bereich Kinder- und Jugendarbeit von der der GroKo doch nur dadurch, dass Sie ein paar TikTok-Accounts haben – und die sind nicht einmal gut. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin; das war eine punktgenaue Landung. Vielleicht noch einmal kurz zur politischen Bildung. Das Präsidium hat folgende Funktion: Ich leite die Sitzung, die Schriftführerin zur Linken notiert die Redner, und die Schriftführerin zur Rechten notiert die Redezeiten. Damit das einigermaßen fair zugeht – das ist übrigens ein amtliches Dokument; die Redezeiten werden notiert –, achte ich darauf, dass es einigermaßen ausgeglichen ist. Nächste Rednerin ist die Kollegin Emilia Fester, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Emilia Fester (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005055, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe demokratischen Fraktionen! Aktuelle Zahlen aus diesem Jahr, wie zum Beispiel die Jugendstudie der Vodafone Stiftung, zeigen, dass 65 Prozent der jungen Menschen Interesse an Politik haben. Noch mehr nehmen sich als Teil einer Generation wahr, die etwas verändern will. Die Jugend ist politisch. Gleichzeitig sehen 73 Prozent der 14- bis 24‑Jährigen die Anliegen und Interessen der jungen Generation von der Politik nicht berücksichtigt. Heute versammeln sich vor dieser Tür – Frau Reichinnek hat es angesprochen – Tausende junge, mündige Menschen zu einem globalen Klimastreik. Sie engagieren sich und haben doch das Gefühl, überhaupt nicht gehört zu werden. Die große Politik ist für meine Generation verbunden mit Menschen, die nicht sprechen wie sie und die sich nicht mit ihrer Lebenswelt beschäftigen. ({0}) Zusätzlich ist Teilhabe immer noch eine Frage des Geldbeutels und des sozialen Hintergrunds. Das kann und darf nicht sein. Deswegen stärken wir als Ampel Freiwillige und bringen die Kindergrundsicherung als die größte jugendgerechte Sozialreform seit Langem auf den Weg. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nämlich auch unsere Verantwortung, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich junge Menschen als aktiven Teil unserer Demokratie verstehen können. ({2}) Ich habe noch zwei Sätze, Herr Präsident. – Deshalb ist es mir egal, wie viel Hass ich im Internet abbekomme. ({3}) Solange ein Großteil der jungen Menschen sich nicht mit Politik identifizieren kann, werde ich nicht damit aufhören, zu versuchen, ({4}) sie zu erreichen und zu vertreten, sie in ihrer Sprache anzusprechen und Politik erlebbar zu machen, ({5}) zum Beispiel auf Instagram. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. ({6})

Anne Janssen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005093, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als der von uns heute debattierte 16. Bericht über die Lage junger Menschen und die Bestrebungen und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe vor nunmehr zwei Jahren fertiggestellt wurde und dazu bereits aktuelle Problem- und Konfliktlagen für unser demokratisches System bewertet wurden, waren die Klimakrise, die Pandemie, das Fluchtgeschehen und weitere zentrale Herausforderungen ernsthafte Schwergewichte für unsere Gesellschaft. Dass nun noch Krieg, Inflation und eine Energiekrise hinzukommen, vergrößert den Bedarf an politischer und demokratischer Kompetenz enorm. Glücklicherweise sind unsere Jugendlichen bereits heute – das hörten wir heute schon mehrfach – sehr interessiert an ihrer Umwelt, ehrenamtlich engagiert, gut vernetzt, digital, mobil, proeuropäisch, kurzum: Demokraten von morgen. Dass die Folgen von Corona und Inflation aber aktuell auch die Strukturen der Demokratiearbeit bedrohen, so die Träger der politischen Bildung in der letzten Woche, besorgt mich. Denn durch die zweijährige Zurückhaltung zum Schutz vor Infektionen sind viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Präsenzveranstaltungen ferngeblieben. Dazu kommen jetzt enorme Kostensteigerungen für die Angebote der politischen Bildung, die so für viele Menschen zu teuer oder für die Anbieter einfach unwirtschaftlich wären. Doch der Bedarf an Austausch und Orientierung über gesellschaftliche Vorgänge ist größer denn je. Die anerkannten Träger der politischen Bildung bitten Sie, liebe Bundesregierung, nun um kurzfristige finanzielle Hilfe. Mit Blick auf Ihren Koalitionsvertrag und den Haushaltsentwurf wäre eine solche Stärkung der etablierten Strukturen in meinen Augen auch nur folgerichtig; denn fehlende Strukturen lassen sich nur schwer verstetigen. ({0}) Auch die Schulsozialarbeit ist als Schnittstelle zwischen Schule und außerschulischen Institutionen ein wichtiges Angebot zur Demokratieförderung. Dass Sozialarbeit und politische Bildung auch stärker im Coronaaufholprogramm für Kinder und Jugendliche berücksichtigt werden müssen, ist daher eine logische Forderung aus der von Ihnen im letzten Sommer angesetzten Expertenanhörung. Schade also, dass der Schwerpunkt Bildung trotz großer Defizite nun völlig im Nachfolgeprogramm fehlt. Da hilft auch die Ankündigung eines Startchancen-Programms der Bundesbildungsministerin wenig, wenn weder das Geld noch ein Konzept vorliegen. Ganz im Gegenteil: Der Aufschub bis ins Jahr 2024 bei diesem wichtigen bildungspolitischen Vorhaben ist ein bezeichnendes Statement der neuen Regierung auf Kosten unserer Kinder und Jugendlichen. ({1}) Liebe Bundesregierung, gern hätten wir die Handlungsempfehlungen des Berichts selbst umgesetzt. Doch nun sind Sie am Zuge. Unsere Kinder, Jugendlichen, Eltern und die Institutionen werden Sie an nicht mehr als Ihren eigenen Worten der letzten Jahre messen. Bitte enttäuschen Sie sie nicht. Vielen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Janssen. – Das Wort hat nun der Kollege Felix Döring, SPD-Fraktion. ({0})

Felix Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Bericht gibt mir die Möglichkeit, drei Botschaften von diesem Pult zu senden. Erstens. Weil sich politische Bildung immer dem Vorwurf ausgesetzt sieht, politisch nicht neutral zu sein, will ich das unterstreichen, was die Frau Ministerin zu Beginn der Debatte gesagt hat: Politische Bildung kann nie neutral sein; denn sie ist immer mit den Werten der Demokratie rückgekoppelt. Gleichheit, Pluralismus, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Minderheitenschutz sind nie verhandelbar, liebe Kolleginnen und Kollegen. Der vorliegende Bericht sagt auch: Sie sind der „unhintergehbare Kern“ unserer Demokratie. Deswegen gilt umso mehr: Politische Bildung kann niemals neutral sein. ({0}) Zweitens. Politische Bildung ist auch keine gesellschaftspolitische Feuerwehr, die man anrufen kann, wenn es brennt. Sie ist vielmehr das Material, das die Säulen unserer Demokratie vor Feuer schützt. Diesen Brandschutz, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es nicht zum Nulltarif. Folgendes Beispiel – wir alle kennen das aus unseren Wahlkreisen –: Es wird eine neue Schule gebaut. Ursprüngliche Kosten: 10 Millionen Euro. Dann verzögert sich das Ganze. Die Kosten für die Baumaterialien steigen. Plötzlich sind wir bei 17 Millionen, 18 Millionen Euro. Niemand käme ernsthaft auf die Idee, die Schule deshalb nicht fertigzubauen. Für mich gilt das gleichermaßen für die Kinder- und Jugendarbeit. Da müssen wir noch ein bisschen stärker werden, was die Finanzierung angeht. Ich lade alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die daran ein ernsthaftes Interesse haben, herzlich ein, mit mir darüber ins Gespräch zu kommen, wie wir in diesem Bereich vielleicht mittel- und langfristig eine Dynamisierung der Finanzierung hinbekommen. ({1}) Drittens. Politische Bildung darf nicht im luftleeren Raum stattfinden. Achtung, Negativbeispiel: Schließen Sie einmal die Augen. Stellen Sie sich vor, Sie stehen in einem deutschen Klassenraum, vor Ihnen 27 Achtklässlerinnen und Achtklässler, es riecht nach Pubertät. Jetzt haben Sie als Lehrer die Aufgabe, denen zu erklären, wie bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag Überhang- und Ausgleichsmandate entstehen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werden Sie bei diesem Unterfangen scheitern, weil es mit der Lebensrealität und den tatsächlichen Interessen der Kinder und Jugendlichen nichts zu tun hat. Positivbeispiel: Ein Kollege aus meinem Wahlkreis, mit dem ich mich neulich unterhalten habe, hat mit Anfang 20 in dem Krankenhaus, in dem er seine Ausbildung gemacht hat, eine Betriebsvereinbarung ausgehandelt, die da besagt, dass Azubis in diesem Krankenhaus nicht mehr ohne Praxisanleitung arbeiten dürfen. Das hat dafür gesorgt, dass auf jeder Station zwei zusätzliche Stellen im Bereich der Krankenpflege geschaffen wurden. Das Rüstzeug für diese Verhandlungen hat er durch Bildungsangebote seiner Gewerkschaft bekommen. Meine Damen und Herren, das ist interessengeleitete politische Bildung. Ich bin der festen Überzeugung: Jeder Mensch, egal ob ein Mitglied des Deutschen Bundestags oder ein kleines Kind, das gerade erst in die Kita gekommen ist, hat politische Interessen. Deswegen muss es die Aufgabe von politischer Bildung sein, jeden Mensch dazu zu befähigen, für diese Interessen einzustehen, sie auszuhandeln und sie auch durchzusetzen. Das sagt übrigens auch der vorliegende Bericht. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Döring. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Paul Lehrieder, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Jugendliche auf den Tribünen und auch draußen an den Bildschirmen! Aus einer bundesweiten repräsentativen Befragung des forsa-Instituts im Frühjahr dieses Jahres geht hervor, dass Politiker im Internet besonders häufig Ziel von Beleidigungen, Verleumdungen und Bedrohung werden. Ich gehe davon aus, dass fast alle Abgeordneten hier in diesem Haus in ihrer täglichen Arbeit schon mal mit unfairen Kommentaren, mit persönlichen Anfeindungen konfrontiert waren. Die weiblichen Abgeordneten sind leider überproportional von Hetze im Netz betroffen. ({0}) Auch ein Blick in die Kommentarspalten regionaler wie überregionaler Medien offenbart: Viele Beiträge haben mit konstruktivem Meinungsaustausch oft nichts gemein. Angesichts zunehmender sozialer und politischer Konflikte und vermehrt zu beobachtender antidemokratischer, diskriminierender und rassistischer Einstellungen in unserer Gesellschaft wird der politischen Bildung in Politik und Öffentlichkeit völlig zu Recht wieder deutlich mehr Aufmerksamkeit zuteil. Regional wie bundesweit laufen Förderprogramme und Projekte zur Extremismusprävention und Demokratieförderung. Auch im schulischen Bereich haben einige Bundesländer in den letzten Jahren die Bedeutung und den Umfang von Politikunterricht oder Demokratiebildung gestärkt. Unseren Beitrag leisten gerade auch wir als Abgeordnete regelmäßig bei den angeregten Diskussionen mit den zahlreichen Schulklassen, die uns jedes Jahr hier in Berlin besuchen. Ja, ich teile die positive Auffassung der Kollegin Katja Adler von der FDP, dass es toll ist, dass wir wieder Schulklassen hier in Berlin treffen dürfen, dass natürlich die Aufmerksamkeit von Schulklassen hier in Berlin im Reichstag oder im Paul-Löbe-Haus eine ganz andere ist, als wenn der Stoff theoretisch im Sozialkundeunterricht in der Schule behandelt wird. Der Ende 2020 vorgelegte 16. Kinder- und Jugendbericht, über den wir heute sprechen, hat den Schwerpunkt auf die Förderung demokratischer Bildung im Kindes- und Jugendalter gelegt und damit das Themenfeld umfassend betrachtet. Auf über 600 Seiten liefert der Bericht detaillierte Erkenntnisse über die vielfältigen sozialen und digitalen Räume, in denen junge Menschen politische Bildung erleben, und benennt Herausforderungen, mit denen unsere Demokratie konfrontiert ist. Der 16. Kinder- und Jugendbericht fordert größere Anerkennung, Aufwertung und Stabilisierung des Praxisfeldes sowie eine breitere Verankerung politischer Bildung für junge Menschen mit zeitgemäßen und jugendgerechten Angeboten. Dabei müssen wir zwingend eine nachhaltige Strategie im Blick haben, die auch der Langfristigkeit von Lern- und Bildungsprozessen gerecht wird. ({1}) Kollege Edelhäußer hat dankenswerterweise bereits auf die Freiwilligendienste hingewiesen. Das brauche ich nicht noch mal zu wiederholen; ich unterstreiche alles, was er gesagt hat. Ich möchte aber noch einen Bereich ansprechen; das sind die Beschäftigten im Sozialdienstleistungssektor und gerade auch die ehrenamtlich geführten Vereine, die ein Praxisbeispiel für vor Ort gelebte Demokratie sind. Ich denke an die Jugendfeuerwehren, ich denke an das Jugendrotkreuz, die Malteser, die Johanniter, die Musikkapellen, die Spielmannszüge, aber natürlich auch an die Vielzahl der Sportvereine, in denen junge Menschen demokratische Strukturen erlernen können, in denen man Toleranz hinsichtlich der Meinung des anderen entwickeln und in denen man sich natürlich auch gemeinsam eine eigene Meinung bilden muss. Herr Präsident, Sie lassen es schon wieder aufleuchten. Ich muss leider zum Ende kommen. Ich wünsche mir natürlich auch weiterhin engagierte Jugendliche, gerade jetzt nach Corona wieder, in einem regen, vitalen ehrenamtlichen Vereinsleben.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In dem Sinne wünsche ich Ihnen auch ein schönes Wochenende. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. Sie wollten doch Vorbild für die jungen Menschen sein. Insofern ist es angemessen, dass Sie die Redezeit auch einigermaßen einhalten. ({0}) - 21 Sekunden, aber egal. Nächste und letzte Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Ariane Fäscher, SPD-Fraktion. ({1})

Ariane Fäscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin Paus! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Interessierte! Was begegnet uns öfter, die Haltung in der Familie: „Jemand müsste mal den Müll runterbringen“, oder hier im politischen Raum die Auffassung: „Mein Problem müssen die da oben abstellen“, oder im Gegensatz dazu die Haltung: „Wer, wenn nicht ich, und wann, wenn nicht jetzt?“? Als wichtigen Teil der demokratischen Stabilisierung empfiehlt der 16. Kinder- und Jugendbericht zur Standortfrage der politischen Bildung in Deutschland eine verstetigte Finanzierung der politischen Bildung und der demokratischen Beteiligungs- und Beratungsstrukturen. Der Bericht fordert uns zudem auf, bereits in der Kita Demokratie wirklich zu leben, nicht nur darüber zu sprechen und in diese demokratische Bildung die Familien strukturell einzubeziehen. Wo institutionalisierte Beteiligung als Alibi oder als unwirksam wahrgenommen wird, dort sinkt die Bereitschaft junger Menschen, sich dauerhaft in langfristigen Strukturen einzubringen und die Demokratie mitzugestalten, nachhaltig. Wo stehen wir? Galt in früheren Generationen ein Aufstiegsversprechen ‑wer sich anstrengt, hat Zukunft –, erleben Menschen heute häufig eine Perspektive, die von multiplen Krisen und diffuser oder konkreter Zukunftsangst geprägt ist. Nicht selten löst dies ein Gefühl von Ohnmacht aus, das Gefühl, handlungsunfähig ausgeliefert zu sein. Unterstützt von sozialmedialen, desinformativ gefütterten Echokammern kann das dazu führen, dass sie sich gegen andere Menschen abgrenzen, andere herabwürdigen, um sich selbst etwas stärker, wichtiger, mächtiger zu fühlen. ({0}) Die Studien zeigen aber auch, dass die Wissensvermehrung allein nicht ausreicht, um solche demokratiegefährdenden Einstellungen zu verändern. Vielmehr wollen sich gerade junge Menschen zugehörig und anerkannt fühlen. Sie wollen ihre eigenen Lebensgeschicke kontrollieren und sind auf der Suche nach Teilhabe und Sinnstiftung. Fest im Koalitionsvertrag verankert ist daher der politische Wille der Koalition, nachhaltige Demokratieförderung in die Regelfinanzierung zu überführen. Der Begriff „Demokratiefördergesetz“ weckt aber bei den zivilgesellschaftlichen Organisationen in Deutschland, in denen 29 Millionen Menschen engagiert sind, im Ehrenamt engagiert sind, sehr hohe Erwartungen; denn diese Organisationen bieten den Erfahrungsraum, dass es sich lohnt, sich für die Gemeinschaft einzusetzen. ({1}) Sie sind vor Ort sichtbar, und spürbar kann man hier das Gemeinwesen mitgestalten und persönlich verändern. Auch dort prägt sich das demokratische Erleben. Neben der institutionellen politischen Bildung ist letztlich die wirksamste Prävention gegen Ohnmacht, Hass, Extremismus und Gewalt genau die im eigenen Tun erlebte Selbstwirksamkeit: Ich bringe mich ein; das ändert etwas. Deswegen werden wir mit der nationalen Ehrenamtsstrategie in der Folge dieses gesamte Feld verstetigt weiterentwickeln und in der Demokratie weiterhin den großen Raum für junge Menschen bieten, sich zu erfahren. Danke. ({2})

Jürgen Pohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004856, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegen! Werte Zuschauer daheim an den Geräten! Wir erleben in diesen Tagen eine dramatische Zuspitzung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung hin zu einer massiven Wirtschaftskrise. Wir wissen alle: Die Inflation hat aktuell den höchsten Wert seit fast 50 Jahren erreicht. So lag die Inflationsrate im August 2022 trotz Tankrabatt, trotz 9‑Euro-Ticket bei 7,9 Prozent. Speziell Verbraucherpreise für Energie stiegen laut Angaben des Statistischen Bundesamtes um ganze 35,6 Prozent, und dabei war der Preistreiber wohl der Gaspreis. Die Preise für den Liter Benzin oder Diesel – für den nicht anwesenden Kanzler zur Information – haben inzwischen wieder die 2-Euro-Marke durchbrochen, was insbesondere die Menschen im ländlichen Raum wie in meinem Wahlkreis in Nordthüringen in die Existenznot treibt. Die rasante Teuerung hat verschiedene Ursachen, so etwa die verfehlte Geldpolitik der EZB, die wir als Alternative für Deutschland von Anfang an kritisiert haben, aber auch die Folgen einer völlig verkorksten Coronapolitik mit Störung der Lieferketten und schließlich der von der Bundesregierung angezettelte Wirtschaftskrieg gegen die Russische Föderation. ({0}) Dieser Wirtschaftskrieg kommt angesichts der strukturellen Abhängigkeit Deutschlands von russischen Energien quasi einem volkswirtschaftlichen Selbstmord gleich. ({1}) Hinzu kommt, dass die Teuerung von der Politik weiterhin vorsätzlich gewollt und gesteuert ist. Der Bürger soll durch künstliche Preissteigerungen zu einem bestimmten Verhalten erzogen werden, damit politisch definierte Ziele wie zum Beispiel die globale Klimarettung und die schon heute wirtschaftsfeindliche Energiewende erreicht werden. Diese grüne Inflation befeuert die bereits bestehende Inflation ({2}) und betrifft in erster Linie die Haushalte im unteren Einkommensbereich, die ich hier vertrete. ({3}) Sie betrifft die Ärmsten der Gesellschaft, vor allem die Rentner, Behinderten und Alleinerziehenden. – Und jetzt lachen Sie weiter über die Probleme, die die Menschen da draußen haben. ({4}) Umso mehr muss daher über die Beseitigung hausgemachter Inflationsursachen nachgedacht werden, müssen etwa die horrende Besteuerung von Energie und die CO2-Abgabe im Fokus stehen. Es kann nicht sein, dass der Bürger täglich einen Kaufkraftverlust erleidet, während der Bund und die Länder horrende Steuermehreinnahmen verbuchen. Der Staat darf nicht auf Kosten der Bürger zum Profiteur der Krise werden! ({5}) Wir fordern daher, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, die das Angebot an Energie ausweiten. Gemeint sind hier die breite Erschließung einheimischer Quellen von Kohle und Gas sowie der Weiterbetrieb der Kernkraftwerke. Zudem sind alle Embargomaßnahmen gegen Russland umgehend zu beenden, damit mehr Öl und Gas nach Deutschland fließen. Und schließlich und endlich: Nehmen Sie endlich Nord Stream 2 in Betrieb! „Unser Land zuerst“, das ist das Gebot der Stunde. ({6}) Apropos Embargomaßnahmen: Nicht nur die Bundesregierung versagt in der aktuellen Krise kläglich, sondern auch die handzahme Opposition unter Merz; da ist gewaltig der Wurm drin. So ist der Sündenfall der CDU nicht etwa die kürzlich beschlossene Frauenquote. Sie ist schlichtweg unwichtig für unser Land. Nein, es war der Ruf des ach so wirtschaftskundigen CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz im März dieses Jahres nach einem Embargo gegen russische Gaslieferungen. Was für eine fatale Fehleinschätzung in Anbetracht der heutigen Debatte! ({7}) Schlimmer kann man die Deindustrialisierung Deutschlands nicht vorantreiben! Daher die Frage an die orientierungslose CDU: Wessen Interessen vertreten Sie? ({8}) Die Strategen der amerikanischen Gasindustrie mit ihren überteuerten Versorgungsangeboten sind offenbar Ihre Stichwortgeber und nicht das Grundgesetz mit seinen klaren Vorgaben zum Schutz des eigenen Volkes vor Armut und sozialer Not. ({9}) Aber, werte Bundesregierung, das Volk braucht Entlastung, und das beste Entlastungspaket, das Sie dem deutschen Volk geben können, ist Ihr Rücktritt. Das Volk hat es verdient! Danke schön. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Pohl. – Als Nächstes erhält das Wort die Kollegin Annika Klose, SPD-Fraktion. ({0})

Annika Klose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005108, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kolleginnen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich muss sagen: Heute fällt es mir schwer, diese Rede hier zu halten. ({0}) Denn wir haben einen unfassbar tollen Kollegen aus unseren Reihen verloren. Und an Tagen wie diesen denkt man noch mal mehr darüber nach, wofür man seine Lebensenergie so aufbringt. Ich finde es irgendwie frustrierend, mit solchen Schwurbelanträgen, wie denen, die hier vorliegen, meine Lebensenergie verschwenden zu müssen. ({1}) – Nein, ich werde nicht aufhören, zu reden, weil Sie hier Ihre verlogenen Thesen verbreiten. ({2}) Sie erzählen zum Beispiel von einem von der Bundesrepublik angezettelten Wirtschaftskrieg. Ich meine, wie verquer kann man eigentlich unterwegs sein? ({3}) Der Krieg wurde angezettelt von Russland, das die Ukraine angegriffen hat. ({4}) – Wir haben Sanktionen verhängt, weil es nicht in Ordnung ist und gegen das Völkerrecht verstößt, einfach ein anderes Land zu überfallen! ({5}) Auch wenn Sie das vielleicht in Ihrer Welt für in Ordnung halten, tut die Weltgemeinschaft das nicht – und wir schon gar nicht! ({6}) Jetzt möchte ich einen Blick werfen auf diesen Antrag, den Sie hier vorgelegt haben, zu dem Sie aber kein einziges Wort verloren haben. Aber es ist, ehrlich gesagt, schon eine intellektuelle Beleidigung, was Sie hier liefern! ({7}) Sie schreiben: „Bürgern helfen statt Luftschlösser bauen – Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Energiekrise und Inflation“, aber man liest in dem Antrag tatsächlich keinen einzigen sinnvollen Vorschlag. Sie schreiben als ersten Punkt: Die Europäische Zentralbank soll anhand ihrer Ziele das Mandat ausüben. – Ja, das tut sie doch. ({8}) Zweitens fordern Sie, die Embargomaßnahmen gegen Russland zu beenden, damit wieder mehr Gas nach Deutschland fließt. Es gibt überhaupt kein Gasembargo gegen Russland! Das haben Sie sich ausgedacht! Das stimmt nicht! ({9}) Gucken Sie doch mal: Nord Stream 1 ist sogar in Gebrauch, aber Putin sendet kein Gas. Haben Sie sich damit mal auseinandergesetzt? Sie verbreiten hier einfach Unfug, Entschuldigung! ({10}) Drittens ist Ihr Punkt: Wir sollen alle Maßnahmen ergreifen, um das Angebot an Energie auszuweiten. Ja, das tun wir doch. Die erneuerbaren Energien hat noch keine Bundesregierung so vorangetrieben wie diese. – Sie aber wollen Erdgas und Kohle. ({11}) Und dann sagen Sie, damit würde man die Bürger schützen. Haben Sie schon mal was vom Klimawandel gehört und den Kosten, die mit seinen Folgen einhergehen? Und wer trägt die am Ende? Das sind diejenigen, die am wenigsten haben in dieser Gesellschaft und auf diesem Globus. Das sind unsolidarische Maßnahmen ohne Ende! Am Schärfsten finde ich aber tatsächlich Ihren Punkt 5 c, den Sie in diesem Antrag auftischen. ({12}) Da fordern Sie nämlich, den – ich zitiere –: „Regelbedarf für die Grundsicherung für Arbeitsuchende … pauschal und existenzsichernd“ zu erhöhen. Ja, d’accord, natürlich muss das erhöht werden; denn die Menschen kommen nicht über die Runden. ({13}) Und deswegen werden wir auch zum 1. Januar 2023 mit der Einführung des Bürgergeldes den Regelsatz um 50 Euro anheben auf 502 Euro pro Monat. Und das ist richtig! ({14}) Sie fordern das, dann heißt es aber gleichzeitig in einer Pressemitteilung Ihres Fraktionsvizes, das Bürgergeld nehme der arbeitenden Bevölkerung jeden Leistungswillen, Bürgergeld nach Ampelplänen bedeute, dass viele, die heute hart arbeiteten, dann weniger hätten. ({15}) Das heißt, einerseits fordern Sie Sicherungsmaßnahmen, so wie wir, und andererseits fangen Sie dann an, Leute im Niedriglohnsektor dagegen auszuspielen ({16}) und verkennen, dass wir genau diese Gruppe unterstützen, mit all den Paketen und Maßnahmen, die wir die ganze Woche über vorgelegt haben. Da muss ich wirklich fragen, wie es eigentlich sein kann, dass Sie die Dreistigkeit haben, sich hierhinzustellen und zu erzählen, Sie würden genau diese Leute vertreten. ({17}) Entschuldigung, das ist mitnichten so, davon kann man nun wirklich nicht sprechen. Was Sie hier machen, ist, Hetze zu verbreiten und eben überhaupt keinen einzigen konstruktiven Vorschlag beizutragen. ({18}) Sie kommen Ihrer Verantwortung für dieses Land nicht nach, diese Bundesregierung aber schon. ({19}) Damit ist genug gesagt. Vielen Dank. ({20})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Klose. – Nächster Redner ist der Kollege Maximilian Mörseburg, CDU/CSU-Fraktion.

Maximilian Mörseburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005159, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute einen Antrag der AfD-Fraktion zur Bekämpfung von Inflation und Energiekrise. Ihr Abgeordneter Weyel wünscht dem gesamten Land derweil einen dramatischen Winter ({0}) und dass die Energiekrise Deutschland hart treffe, weil er sich davon ein paar Prozent mehr für die AfD erhofft. Damals waren die Mikros noch an, aber ich glaube, das ist eine Äußerung, die bei Ihnen häufiger fällt. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist entgegen dem, was Sie ja sonst behaupten, das Gegenteil von Patriotismus! ({1}) Das erklärt diesen handwerklich und inhaltlich schwachen Antrag genauso wie die Äußerung von Herrn Pohl gerade hier am Rednerpult. Sie erklären die ausbleibenden Gaslieferungen mit einem Embargo und eben nicht mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und Putins Erpressungsversuchen gegen die freie Welt. ({2}) Aber auch sonst kann man mit den meisten Ihrer Vorschläge nicht viel anfangen. Zum Beispiel habe ich mich schon gewundert, dass Frau Dr. Weidel als Volkswirtin einen Antrag unterschreibt, in dem zur Bekämpfung der Inflation Maßnahmen genannt werden sollen und nachher im Mindestlohn die aktuelle Preisentwicklung mitberücksichtigt werden soll. Also die aktuelle Preisentwicklung im Mindestlohn berücksichtigen? Wenn die Löhne steigen, weil die Preise gestiegen sind, dann steigen doch die Preise wiederum, weil die Löhne gestiegen sind! Es ist volkswirtschaftlicher Quatsch, was Sie da schreiben in dem Antrag! ({3}) Aber Sie hören da nicht auf! Sie schreiben, dass Sie die zukünftige Preisentwicklung berücksichtigen wollen im Mindestlohn – die zukünftige. Haben Sie denn die eigene angetriebene Inflation in Ihrer Berechnung des Mindestlohnsatzes auch schon mit drin? Die Lohn-Preis-Spirale bedankt sich sehr herzlich bei den ahnungslosen Erfüllungsgehilfen hier im Parlament. ({4}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, Tatsache ist jedoch, dass dieser Winter einer der schwierigsten werden könnte, den jedenfalls die meisten von uns je erlebt haben. Als Unionsfraktion sind wir der Meinung, dass wir den Menschen die Angst nehmen müssen. ({5}) Unser Wirtschaftsminister stellt sich aber leider hin und nimmt den Bürgern nicht die Angst, sondern sagt: Wir können es vielleicht durch den Winter schaffen, vielleicht haben wir eine Chance mit dem richtigen Wetter. – Das klingt für mich nicht nach Angstnehmen. Es klingt für mich vor allem nicht danach, als könnten wir zurzeit drei Kernkraftwerke entbehren, insbesondere in Baden-Württemberg – wo ich herkomme –, wo 15 Prozent des Strombedarfs durch Kernenergie gedeckt wird und wo man fast die Hälfte der Haushalte mit Kernenergie versorgen kann, meine sehr geehrten Damen und Herren! ({6}) Zudem möchte die Bundesregierung an der umstrittenen Gasumlage festhalten, die bereits obsolet ist und zudem rechtlich fragwürdig. Sie wollen den Leuten also Geld wegnehmen, statt sie zu entlasten, gleichzeitig aber mit der Gießkanne inflationstreibende Maßnahmen über verschiedene Teile der Bevölkerung ausbreiten. Klüger wäre es gewesen, jeweils 1 000 Euro an diejenigen zu geben, die es wirklich nötig haben, anstatt 300 Euro für alle, auch für Sie und mich. ({7}) Nun planen Sie mit der nächsten Maßnahme steuerfreie Zahlungen in Höhe von 3 000 Euro. Zugegebenermaßen, in Sachen Inflation ist die Einmalzahlung per se nicht die schlechteste Variante. Aber wenn wir Inflation bekämpfen möchten und gleichzeitig sozial entlasten, liebe Bundesregierung, dann müssen wir uns darauf einigen, dass wir eben nur diejenigen unterstützen, die es wirklich nötig haben, und diejenigen in Ruhe lassen, die den Laden am Laufen halten! ({8}) Natürlich freue ich mich für die Leute, gerade in meinem Wahlkreis in Stuttgart mit den großen Unternehmen, die von diesen 3 000 Euro steuerfrei ganz bestimmt profitieren werden; ich freue mich für sie. Aber ist das denn zielgerichtete Hilfe? Und was sagen Sie dem Bäckermeister, den ich letzte Woche besucht habe, der diese 3 000 Euro seinen Leuten gar nicht auszahlen kann? Was sagen Sie dem Bäckermeister, der das nicht bekommen wird, sein Nachbar, der beim Daimler schafft, aber schon? Was sagen Sie diesen Leuten, und was machen Sie, wenn aus Ihrer Unterstützungsleistung am Ende eine Umverteilung von unten nach oben wird? Meine sehr geehrten Damen und Herren, alles in allem wirken diese Maßnahmen der Bundesregierung leider unkoordiniert, nicht vom Ende gedacht. Wie so vieles in Ihrer Koalition versuchen Sie eben, alle glücklich zu machen. Ich verstehe das, aber es funktioniert nicht. Am Ende macht man damit eben nicht alle glücklich, sondern kann keinem so richtig helfen. Wenn Sie sich jedoch auf die Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft besinnen, indem sie den Schwächsten helfen und die anderen in Ruhe lassen, dann können wir diese Krise gut meistern. Wir unterstützen Sie gern dabei. Vielen Dank. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Mörseburg. – Nächster Redner ist der Kollege Felix Banaszak, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Felix Banaszak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005016, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Mörseburg, der Grat zwischen Dialektik und Schizophrenie ist schmal. Ich glaube, Sie sind da gerade in bisschen ausgerutscht. ({0}) Sie haben die ganze Woche damit verbracht, von dieser Bundesregierung zu fordern, dass sie überall hilft, überall Geld gibt. Dabei haben Sie kein Wort zur Gegenfinanzierung gesagt. Jetzt über zielgerichtete Hilfe zu sprechen, dabei gerade die Schwächsten anzusprechen und gleichzeitig gegen das Bürgergeld zu polemisieren, das funktioniert in ein und derselben Rede nicht, ohne dass Sinn und Verstand verlorengehen. ({1}) Meine Damen und Herren, wenn man die Probleme, vor denen wir stehen, lösen will, muss man sie erst mal verstehen. ({2}) Da helfe ich der AfD gerne nach. Warum haben wir die Inflation? Die Inflation ist da, weil die Energiepreise gestiegen sind. Diese wirken sich wiederum auf energieintensive Industrien und das Handwerk aus, was sich dann beispielsweise auf die Lebensmittelpreise auswirkt. Warum sind die Energiepreise gestiegen? Weil wir auf der einen Seite einen Mangel haben, ({3}) verursacht durch den Kriegsverbrecher Wladimir Putin und zum anderen durch Spekulation, die auf diesen Mangel aufbaut. Das bedeutet: Die Ursachen der Inflation sind der Wirtschaftskrieg, den Wladimir Putin mithilfe von Energie führt, und der brutale Angriffskrieg gegen die Ukraine, den er vom Zaun gebrochen hat. Da Sie sich gerade wieder als Sachverwalter der Russischen Föderation hier im Deutschen Bundestag geriert haben, ({4}) sage ich Ihnen: Sie schreiben in Ihrem Antrag, es gebe eine „grüne Inflation“. Wenn diese Inflation irgendeine Farbe hat, dann ist diese so braun wie Ihr Gedankengut. ({5}) Wenn wir jetzt über die Bekämpfung der Inflation sprechen, dann, glaube ich, müssen wir einen Fehler dringend vermeiden. Wir haben einen Angebotsschock, den ich gerade beschrieben habe. Aber dieser Angebotsschock zeigt jetzt schon Wirkung: ({6}) Das Konsumverhalten der Menschen ändert sich, ihr Konsum geht zurück. Sie fragen sich: Will ich gerade jetzt meine Wohnung renovieren? Will ich jetzt ein Auto kaufen? Will ich jetzt irgendwelche Konsumgüter kaufen, da ich doch nicht genau weiß, wie ich am Ende meine Strom- und Gasrechnung bezahlen soll? Wir müssen in zweierlei Hinsicht darauf reagieren. Erstens. Wir müssen auf der Angebotsseite nachsteuern. Das tun wir intensiv, und das werden wir in den nächsten Wochen und Monaten weiter tun. ({7}) Wir weiten die Energiekapazitäten aus, unter anderem durch den schnelleren Ausbau der Erneuerbaren; sämtliche Deckel sollen weg. Zweitens werden wir aber auch darauf reagieren, indem wir insbesondere die unterstützen, die unter diesen angestiegenen Preisen besonders leiden. Sich jetzt in eine noch tiefere Rezession, als sie sich eh schon andeutet, hineinzusparen, wäre ökonomisch tatsächlich irrsinnig. Mario Draghi hat es an anderer Stelle einmal richtig gesagt: „Whatever it takes“. Das wird diese Bundesregierung tun: ({8}) Unternehmen stabilisieren, die Gesellschaft stabilisieren, die Bürgerinnen und Bürger in diesen schweren Zeiten stabilisieren, damit Sie es in Ihrem Job noch ein bisschen schwerer haben werden als eh schon. Vielen Dank. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Susanne Ferschl, Fraktion Die Linke. ({0})

Susanne Ferschl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei Energie und Lebensmitteln explodieren die Preise. Die Inflation ist so hoch wie seit 50 Jahren nicht mehr. Für Beschäftigte bedeutet das, dass sie jeden Tag ärmer werden, auch wenn sie täglich zur Arbeit gehen. Aufs Jahr gerechnet, verlieren sie ein komplettes Monatseinkommen. Das ist doch Wahnsinn. ({0}) Der Finanzminister hat versprochen: In diesem Land wird im Winter niemand hungern und niemand frieren. Mal ganz abgesehen davon, dass diese Äußerung allein schon eine politische Bankrotterklärung ist, frage ich mich: In welchem Paralleluniversum lebt eigentlich Christian Lindner? ({1}) Die Tafeln sind so überfüllt, dass sie die Menschen abweisen müssen. Strom- und Gaskunden rufen verzweifelt bei ihren Energieversorgern an. Ich zitiere aus dem „Handelsblatt“: „Sie schreien, sie weinen, einige drohen sogar mit Selbstmord, weil sie jetzt schon nicht mehr wissen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen.“ Statt leere Versprechen zu geben, muss diese Bundesregierung endlich handeln. ({2}) Wir brauchen für Privatkunden, aber auch für kleine und mittelständische Betriebe endlich einen wirksamen Preisdeckel für Gas und Strom. Halb Europa hat seit Monaten einen solchen Preisdeckel, und die Übergewinne werden dort besteuert, um die Bevölkerung zu unterstützen. Bei uns läuft es umgekehrt. Da zieht die Bundesregierung den Leuten durch die Gasumlage noch zusätzlich das Geld aus der Tasche, während Energie- und auch Lebensmittelkonzerne den Reibach ihres Lebens machen. Was für eine absurde Politik! ({3}) Genauso absurd ist das Gefasel über eine drohende Lohn-Preis-Spirale: Da schlägt ein – wohlgemerkt sozialdemokratischer – Kanzler steuerfreie Einmalzahlungen vor, die noch dazu freiwillig sind. Ja, wo bleibt denn das Tariftreuegesetz und die Erleichterung durch Allgemeinverbindlicherklärungen? Die Beschäftigten brauchen nämlich deutliche, dauerhafte Tarifsteigerungen, keine einmaligen Notgroschen. ({4}) Merkt die Bundesregierung eigentlich, dass hier eine gefährliche Mischung aus Verzweiflung auf der einen und tiefem Frust über die soziale Ungerechtigkeit auf der anderen Seite entsteht? ({5}) Diese interessengeleitete und ungerechte Politik hilft dem Trupp hier rechts außen. Die wollen nämlich nach eigenen Aussagen, dass es Deutschland schlechtgeht. ({6}) Sie wünschen sich einen dramatischen Winter. Sie von der AfD fordern in Ihrem Antrag einen Inflationsausgleich zum Mindestlohn, dem Sie hier nicht mal zugestimmt haben. Sie fordern eine Erhöhung der Regelsätze, obwohl Ihr Redner heute Morgen das Bürgergeld noch diffamiert hat und gesagt hat, es würde alle bestrafen, die fleißig arbeiten. Ihre Scheinheiligkeit und Doppelzüngigkeit sind wirklich durch nichts zu überbieten! ({7}) Deshalb ein Appell an die Bundesregierung: Behalten Sie bitte Ihre Energiespartipps für sich! Hören Sie auf, auf gutes Wetter im Winter zu hoffen! Machen Sie eine Politik im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung in diesem Land, um die dort nicht weiter zu stärken. Vielen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Ferschl. – Nächster Redner ist der Kollege Jens Teutrine, FDP-Fraktion. ({0})

Jens Teutrine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005238, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meistens ist es gar nicht so interessant, was Politiker sagen. Viel häufiger ist es interessant, worüber Politiker auch mal schweigen, wozu sie nichts sagen. ({0}) Der AfD-Redner hat nichts zu dem russischen Angriffskrieg gesagt. Er hat nichts über die Kriegsverbrechen gesagt und die Folter an Soldatinnen und Soldaten. ({1}) Er hat nichts über die Vergewaltigungen gesagt. Er hat nichts über die Verschleppungen von Kindern gesagt. Stattdessen unterstellt er dieser Bundesregierung, einen Wirtschaftskrieg zu führen. In Wahrheit müssen Sie den Täter beim Namen nennen: Wladimir Putin führt einen Angriffsangriff. ({2}) Das haben Sie verschwiegen, und das verschweigen Sie immer wieder ganz bewusst. ({3}) Es gibt etwas – das wird jetzt vielleicht einige Zuschauer überraschen –, das viele Abgeordnete in diesem Haus gemeinsam haben, sogar Abgeordnete der AfD: An diesem Wochenende werden sie nämlich wieder in ihre Wahlkreise fahren. Sie werden wieder mit den Menschen sprechen. Der Unterschied ist nur, dass die meisten Abgeordneten der demokratischen Parteien in ihre Wahlkreise nach Deutschland fahren und Ihre Abgeordneten lieber nach Russland fahren, wie die vier Landtagsabgeordneten. ({4}) Frau Weidel sagt dann, sie würden eine Privatreise unternehmen und man wusste von allem nichts. Andere AfD-Abgeordnete sagen: Wir wussten davon, dass die in die Kriegsgebiete reisen wollen und dass das vom Landtag in Sachsen-Anhalt finanziert wird. ({5}) Sie machen Wahlkreisarbeit in Russland und tun so, als würden Sie die Interessen der Menschen in Deutschland vertreten. ({6}) Wenn Sie sagen: „Deutschlands Interessen zuerst“, meinen Sie: Putins Interessen zuerst. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Teutrine, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Jens Teutrine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005238, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, ich erlaube keine Zwischenfrage. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kleinen Moment, bitte. – Herr Kollege Brandner, ich erteile Ihnen für den Zwischenruf „Lügner“ einen Ordnungsruf. ({0}) Und ich warne Sie noch mal: Die nächste Maßnahme von mir wird ein Ordnungsgeld sein. Ich kündige das bereits jetzt an. Das muss ich tun, weil diese ständigen Zwischenrufe Ihrerseits den Ablauf massiv stören. Herr Teutrine, Sie haben das Wort. ({1})

Jens Teutrine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005238, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber es ist richtig, dass die Bundesregierung weiter um Entlastungen ringt. Es sind schon einige auf den Weg gebracht worden. In dieser Woche haben wir beispielsweise das Inflationsausgleichsgesetz eingebracht, um die Mehrbelastungen für die Mitte der Gesellschaft abzufedern, für diejenigen, die arbeiten gehen. Die Grünen haben in der Debatte transparent gemacht – der Kollege Audretsch –, dass sie dieses Vorhaben nicht unterstützt hätten, dass es ein Kompromiss ist und eine Entscheidung gegen andere Entlastungen. Umso wichtiger ist es, dass es den Bundesfinanzminister Christian Lindner gibt, damit sich auch jemand für Entlastungen der Mitte der Gesellschaft starkmacht; denn die hat es auch verdient und ist ebenfalls von der Inflation betroffen. ({0}) In den letzten Tagen wurde ja auch viel über das Bürgergeld gesprochen, über den Inflationsausgleich für Menschen in der Grundsicherung. Im Hartz‑IV-System wären es 20 Euro mehr gewesen, beim Bürgergeld sind es jetzt 50 Euro pro Monat mehr. Die Kollegin der CDU/CSU hat eben dazwischengerufen, welche Katastrophe es sei, dass man das Bürgergeld erhöht. ({1}) Ich finde, die Union hat eine wichtige staatspolitische Verantwortung, nämlich die Regierung zu treiben. Es ist wichtig, dass Sie die Regierung treiben und sie kritisieren und das nicht den Rändern überlassen. Es ist wichtig, dass Sie eigene Vorschläge machen, von denen wir sogar einige unterstützen, beispielsweise was den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke angeht. Aber es gehört auch zu einer konstruktiven Oppositionsarbeit, dass man nicht sechs Monate im Ausschuss fordert, dass der Regelsatz erhöht wird, und sich jetzt beschwert, dass der Regelsatz erhöht wird. Kritisieren Sie uns hinsichtlich der Sanktionen oder einer nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt! Aber es ist unehrlich, dass Sie in der Öffentlichkeit die Erhöhung des Bürgergeldes kritisieren, wenn Sie selbst das in den letzten Monaten immer und immer wieder gefordert haben. ({2}) Seien Sie wenigstens so ehrlich und sagen Sie heute, dass Sie gegen eine Erhöhung der Gelder für Menschen am Existenzminimum sind! ({3}) Es ist richtig, Menschen zu unterstützen, die von Sozialleistungen abhängig sind. Es ist aber auch richtig, die Mitte der Gesellschaft in den Blick zu nehmen. Genauso richtig ist es, bei den Ursachen der Inflation anzusetzen und das Angebot zu erweitern. Als Fraktion stehen wir weiterhin dazu, dass es richtig ist, die klimaneutralen Kernkraftwerke weiter zu betreiben. ({4}) Das ist eine Frage der Vernunft. Es kostet uns ebenfalls Geld, sie im Reservebetrieb zu halten. Aber es ist notwendig, um angesichts der aktuell steigenden Strompreise eine dämpfende Wirkung zu erzielen. Es geht um den Dreiklang: Ja, wir müssen die Menschen am Existenzminimum absichern. Aber die Inflation reicht bis in die Mitte der Gesellschaft, und diese Menschen müssen ebenfalls entlastet werden. Auch Unternehmen und Selbstständige müssen entlastet werden. ({5}) Neben LNG-Terminals und der Anwendung von Biogasmasse müssen wir aber auch über den Weiterbetrieb von klimaneutralen Kernkraftwerken diskutieren. Wir werden uns dafür starkmachen. Wir freuen uns auf eine Opposition, die auch da die Regierung treibt. Ich freue mich auf die weitere Debatte im Ausschuss. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Takis Mehmet Ali das Wort. ({0})

Takis Mehmet Ali (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005148, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir eine Bemerkung, bevor ich auf den Antrag eingehe. In der letzten Debatte kein Wort über Kinder mit Behinderung verloren zu haben, erst recht nicht über mit Mädchen mit Behinderung, empfinde ich als No-Go; ich empfinde das als ziemlich mies. Ich glaube, das kriegen wir demnächst in diesem Haus besser hin. Jetzt zum Antrag, und ich bleibe bei den Menschen mit Behinderung. Ich erkläre Ihnen gerne, warum der Antrag der AfD fachlich und sachlich nicht korrekt ist und auch überhaupt nicht mit unserem Rechtsverständnis einhergeht. Grundsätzlich sind die Länder für die Eingliederungshilfe zuständig. Das haben wir 2016 ganz klar geregelt. Die Länder haben dafür gekämpft, dass sie weiterhin für die Eingliederungshilfe zuständig sind. Wir unterstützen sie sogar darin, indem wir im Rahmen des BTHG-Umsetzungsprozesses 5 Milliarden Euro dazugeben; das wird auch so umgesetzt. Nach § 94 SGB IX sind eindeutig die Länder dafür zuständig, ebenso wie für den Sicherstellungsauftrag. Die AfD zeigt letztendlich, dass sie nicht verstanden hat, was sie beantragt. Was passiert momentan in den Kommunen? Die Länder müssen auch in dieser Krise mehr Verantwortung übernehmen. ({0}) Momentan meistern wir ganz viel aufseiten des Bundes. Jetzt sind die Länder gefordert, auch mal Flagge zu zeigen im Rahmen der Eingliederungshilfe, indem sie die überhöhten Kosten der Leistungserbringer übernehmen. Im Übrigen steht im Antrag, dass die Kosten für besondere Wohnformen im Bereich der Eingliederungshilfe gestiegen sind. Ich sage Ihnen eines: Wir haben 2019/2020 die Übergangsvereinbarung zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in allen Ländern eingeführt und erfolgreich gemeistert. Und wir haben eine budgetneutrale Umstellung durchgeführt. Das heißt: Auf der einen Seite übernehmen die Einrichtungen immer noch die Stromkosten, auf der anderen Seite übernimmt die Sozialhilfe nach SGB XII die Gaskosten. Was fordern Sie hier überhaupt? Das haben wir doch schon geregelt, bevor Sie dieses Problem überhaupt erkannt haben, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({1}) Seitens der SPD-Fraktion haben wir darauf zusätzlich reagiert. Was haben wir gemacht? Ich habe gestern ein Schreiben an alle Sozialminister/-innen gesendet mit der Bitte, dass sie die Sachkosten der Leistungserbringer bei der Eingliederungshilfe anerkennen sollen. Statt mit irgendwelchen Fake-Angeboten gegenüber den Leistungserbringern anzutreten, müssen sie die tatsächlichen Sachkosten anerkennen. ({2}) Das steht so im Gesetz, und das muss auch so umgesetzt werden, meine sehr geehrten Damen und Herren. In diesem Zusammenhang muss man vielleicht noch mal erwähnen, dass wir bei den Vorbereitungen der Wirtschaftshilfen natürlich auch an die Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens denken werden. Dafür stehe ich in Kontakt mit dem Wirtschaftsministerium, aber auch mit dem Ministerium für Arbeit und Soziales. Wir werden die Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens nicht vergessen und diese auch bei den Wirtschaftshilfen berücksichtigen. Jetzt komme ich aber noch auf einen ganz peinlichen Fakt in Ihrem Antrag. Sie fordern tatsächlich, dass die Energiepauschale in Zukunft auch an die WfbM-Beschäftigten ausgezahlt werden soll. Soll ich Ihnen was sagen? Wenn Sie sich die Entlastungspakete angesehen hätten, hätten Sie gewusst, dass die Energiepauschale in diesem Monat schon an die WfbM-Beschäftigten ausgezahlt wird. Alle WfbM-Beschäftigten in den EGH-Einrichtungen erhalten in diesem Monat die 300-Euro-Pauschale. Und ich sage Ihnen noch etwas: Sie haben sogar on top im Juli die 200-Euro-Einmalzahlung für Bezieher der Grundsicherung bekommen. Das sind 500 Euro für die WfbM-Beschäftigten! Sie aber fordern in diesem Antrag die Pauschale, weil Sie das komplette System nicht verstanden haben. Die Regierung hat das erledigt, bevor Sie das Problem überhaupt erkannt haben. ({3}) – Das wird reichen. Wir sind mit weiteren Hilfen beschäftigt. Lassen Sie mich noch etwas loswerden. Herr Kleinwächter, wenn Sie sich wirklich um die Sorgen in diesem Land kümmern würden, hätten Sie nicht so viel Zeit, in den Morgen- oder Abendstunden durch die Flure der SPD-Abgeordnetenbüros zu schlendern und sich vor einen Adler in Regenbogenfarben zu stellen, um die offene Gesellschaft zu diffamieren und der LGBTIQ-Szene in diesem Land die Rechte abzuerkennen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege!

Takis Mehmet Ali (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005148, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist nicht richtig. Diesem Faschismus werden wir entgegenwirken. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Peter Aumer das Wort. ({0})

Peter Aumer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004004, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich dachte eigentlich immer, dass in diesem Haus alle dasselbe Ziel haben sollten. Leider haben sowohl der Antrag als auch die Rede des Kollegen Pohl gezeigt, dass das nicht der Fall ist. ({0}) Wir stehen vor riesigen Herausforderungen. Es gibt ja nicht nur eine Krise; es sind drei Krisen: die Coronakrise, die Ukrainekrise und die Energiekrise. Da gibt es viel zu tun, viel auf den Weg zu bringen, damit wir den Menschen in unserem Land helfen, eine gute Zukunft zu haben. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das bedeutet, dass wir unserer Verantwortung gerecht werden müssen, jeder an seiner Stelle: die Opposition als Opposition, aber vor allem die Regierung, die handeln muss, nicht nur angetrieben von der Opposition. Das, glaube ich, kommt auf jeden Fall zu kurz. Aber was hier gar nicht hilft, sind die Anträge der AfD. ({1}) Allein schon der Titel wird der Ernsthaftigkeit der Krise nicht gerecht. Meine sehr geehrten Damen und Herren der AfD, Sie streuen den Menschen in unserem Land Sand in die Augen, sonst nichts. Aber das sind wir von der AfD ja gewohnt. ({2}) Das Maßnahmenpaket der AfD ist eine Ansammlung von Punkten, die nicht lösungsorientiert sind oder, Herr Brandner, rechtlich nicht umsetzbar. Es ist sicherlich nicht die Zeit politischer Luftschlösser; da haben Sie recht. Aber es ist auch nicht die Zeit des politischen Wünsch-dir-Was, so wie das die AfD sieht. Meine sehr geehrten Damen und Herren, nur ein Beispiel aus dem Antrag – das ist schon kurz angesprochen worden –: Sie fordern, die Regelbedarfe für die Grundsicherung für Arbeitsuchende „pauschal und existenzsichernd“ zu erhöhen. Ja, was heißt denn das? ({3}) Man sollte in einer sozialpolitischen Debatte durchaus wissen, was man in einer so grundlegenden Frage fordert. Wenn Sie damit nicht zurechtkommen, sollten Sie sich zurückhalten. ({4}) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, warum verfangen die Botschaften der AfD? ({5}) Weil die Regierung, die jetzt Stärke zeigen und verantwortlich handeln müsste, der Verantwortung nicht gerecht wird. Sie haben, meine sehr geehrten Damen und Herren der Ampelkoalition, kein Konzept zur Überwindung der Krisen, in denen wir stecken. Sie machen leider ideologiegetriebene Politik und nicht Politik für die Menschen dieser Welt. ({6}) Ich habe sehr früh im Deutschen Bundestag gelernt, dass Politik mit dem Betrachten der Wirklichkeit beginnt. Beginnen Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren der Ampel, die Betrachtung der Wirklichkeit in unserem Land! Schauen Sie dafür mal ins Protokoll, oder hören Sie sich die Debatte von gestern an! Die Umweltministerin hat zum Thema Atomausstieg und zu unserem Antrag gesagt: Wir wollen das Rad der Geschichte der Atomkraft in Deutschland nicht zurückdrehen. – Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wollen das Rad auch nicht zurückdrehen; aber wir wollen, dass die schwere Krise so angegangen wird, dass wir den Menschen und den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land helfen. Davon ist bei Ihnen relativ wenig zu spüren. Deswegen: weniger Ideologie, mehr Pragmatismus – damit helfen Sie den Menschen. ({7}) Meine sehr geehrten Damen und Herren der Ampel, dass Sie kein Konzept haben, merkt man in vielen Bereichen: Sie haben ein drittes Entlastungspaket gemacht; das vierte steht höchstwahrscheinlich in naher Zukunft an. Menschen mit Behinderungen sind – das ist vorhin angesprochen worden – in den Entlastungspaketen zum Teil leider nicht berücksichtigt worden. Es gibt Forderungen der Werkstätten, auch der Lebenshilfe, Korrekturen vorzunehmen. Das haben Sie in Ihrer Rede auch unterschlagen. Dass Sie kein Konzept haben, zeigt aber auch die nächste Debatte. Wir sprechen gleich über Kurzarbeit. In der Ausschusssitzung war die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur diese Woche bei uns. Eine Frage an sie: Wie schaut denn die Finanzierung des Kurzarbeitergeldes aus? – Die Aussage der Vorstandsvorsitzenden war: Wir sind nicht auf diese Krise vorbereitet. ({8}) – Ich habe das mitgeschrieben. Das war die klare Aussage von Andrea Nahles. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist ein Armutszeugnis für die Ampel. Sie waren selber mit dabei. ({9}) – Ich habe sehr gut zugehört, weil es meine Frage war, und ich habe das aufgeschrieben. Sie können gerne im Protokoll nachlesen. Jetzt habe ich leider nur noch zwölf Sekunden Redezeit. Deshalb kann ich den Rest meiner Rede nicht mehr so fortführen wie gedacht. Ich bitte Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren der Ampel: Werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht! Wir unterstützen Sie dort, wo weniger Ideologie, sondern die Menschen und die Wirtschaft im Mittelpunkt stehen. Das, glaube ich, muss unser gemeinsames Ziel sein. Herzlichen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn das Wort. ({0})

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der AfD zeigt einmal mehr das Profil der AfD: Sie vertreten die Interessen des Kreml. ({0}) Sie setzen auf die Spaltung der Gesellschaft – der Kollege Mörseburg hat es schon erwähnt –, weil Sie davon vermeintlich profitieren. Das ist Ihr explizites Ziel. ({1}) Aber da haben Sie alle anderen Parteien gegen sich. ({2}) Und Sie setzen auf einfache Antworten. Ein kluger Mensch hat einmal gesagt: Auf jedes komplexe Problem gibt es eine einfache Antwort, ({3}) und die ist falsch. Das ist bei Ihnen auch wieder der Fall. So setzen Sie in Ihrer ersten Forderung auf die Geldpolitik der EZB. Das wäre richtig, wenn wir eine nachfragegetriebene Inflation hätten. Die haben wir aber gar nicht; wir haben eine angebotsgetriebene Inflation. ({4}) Da nützt Geldpolitik der EZB gegen die Inflation gar nichts. Im Gegenteil – der Kollege Banaszak hat es schon gesagt –: Es gibt die Gefahr, dass die Nachfrage abzusinken droht. Das heißt: Jetzt wäre eine expansive Fiskalpolitik notwendig, um der Krise Herr zu werden und die Rezession einigermaßen in den Griff zu bekommen. ({5}) Was jetzt statt einer Zinserhöhung notwendig wäre, ({6}) – um Gottes willen, bloß keine AfD-Regierung! –, ({7}) ist eine Politik, die darauf setzt, die Energieversorgung zu sichern und die Preise in den Griff zu kriegen, und das machen wir. Im letzten Paket der Koalition haben wir vereinbart, dass wir an die Strompreise und die Gaspreise rangehen werden; das ist ein zentraler Punkt. ({8}) Wir müssen aber auch umverteilen, indem wir Menschen mit geringen und mittleren Einkommen entlasten. Und das macht diese Bundesregierung. Wir erhöhen den Regelsatz in der Grundsicherung um 50 Euro. Das ist die stärkste Hartz-IV-Erhöhung, die es je gegeben hat. ({9}) Wir erhöhen das Wohngeld und weiten den Bezug aus, damit es auch Menschen erhalten, die jetzt noch knapp über der Grenze liegen. Wir erhöhen das Kindergeld, um die Mitte der Gesellschaft, die Familien, zu entlasten. Und – um auch das noch einmal klarzustellen –: Wir sind auch dafür, dass die kalte Progression bei Beziehern kleiner und mittlerer Einkommen ausgeglichen wird. Dissens zwischen FDP und Grünen gab es bei der Frage, ob wir die kalte Progression auch bei Beziehern hoher Einkommen ausgleichen wollen; ({10}) der Kollege Audretsch hat das gesagt. Im Gesamtpaket passte das aber; deswegen werden wir dem Gesetz zustimmen. Aber wir sind natürlich für die Entlastung der Menschen mit kleinem und mittlerem Einkommen. Da stehen wir auf einer Seite, da sind wir gemeinsam unterwegs. ({11}) Was wichtig ist: Wir setzen in dieser Krise auf Solidarität. Daher müssen wir noch mal gucken, dass die breiten Schultern auch mehr tragen. ({12}) Das ist, glaube ich, für die nächsten Monate wichtig. Wir brauchen auch Solidarität beim Energiesparen, weil wir nur durch diese Krise kommen, wenn wir alle gemeinsam Energie sparen. ({13}) Dazu können Menschen mit hohen Einkommen mehr beitragen. Sie können mehr Energie sparen, auch wenn sie es finanziell gar nicht unbedingt nötig haben. Sie von der AfD setzen auf die Spaltung der Gesellschaft. ({14}) Alle anderen setzen auf Solidarität. Sie werden mit Ihren Spaltungsversuchen nicht gewinnen. Die Solidarität wird gewinnen. Vielen Dank. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Natalie Pawlik für die SPD-Fraktion. ({0})

Natalie Pawlik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005177, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Wenn man mit der heißen Luft aus AfD-Anträgen heizen könnte, wäre das vermutlich der sinnvollste Beitrag, den Sie zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen liefern. ({0}) Was Sie in Ihrem Antrag als „Luftschlösser“ bezeichnen, sind handfeste Maßnahmen, die den Menschen in unserem Land durch diesen Winter helfen werden: die Strompreisbremse, die Erhöhung des Kindergeldes, die Verlängerung für den Bezug von Kurzarbeitergeld, ({1}) die Verhinderung von Strom- und Gassperren, die Übergewinnsteuer und vieles mehr. Die Einmalzahlungen für besonders betroffene Gruppen habe ich dabei noch gar nicht erwähnt. ({2}) Wir schaffen damit mittel- und langfristig angelegte Lösungen, die unsere Gesellschaft durch diesen Winter bringen, und wir werden noch mehr tun. ({3}) Die AfD nennt für die steigenden Preise unterschiedliche Gründe: die Bundesregierung, die etablierten Parteien, die ominöse grüne Inflation. ({4}) Sie erwähnen sogar den Krieg in der Ukraine, aber Sie erwähnen nicht mit einem einzigen Wort, wer für diesen Krieg verantwortlich ist. ({5}) Putins Regime hat diesen schrecklichen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen. Dort liegt die Verantwortung dafür, ({6}) dass Tausende Menschen gestorben sind, Familien auseinandergerissen wurden, Unschuldige ihr Zuhause verloren haben und Millionen Menschen sich derzeit Sorgen machen um ihre Zukunft und ihre Existenz. Es hat auch einen Grund, warum Sie diese Ursache nicht benennen: weil Sie Freundschaften pflegen zu den Kriegsverbrechern dieser Welt, ({7}) weil Sie Ihre hässlichen Narrative in unsere Gesellschaft tragen wollen, weil Sie hetzen und spalten. Das ist das Einzige, was Sie können. ({8}) Sie haben absolut kein Interesse an klugen und konstruktiven Lösungen für die Menschen in diesem Land. Sie nutzen jegliche Krise für Ihren ideologischen, menschenverachtenden Populismus und Ihr parteipolitisches Kalkül. ({9}) Doch unsere Gesellschaft ist klüger, ({10}) und unsere Gesellschaft ist stärker als Ihr Hass und Ihre Hetze. ({11}) Viele Menschen haben Angst, in den kommenden Wochen und Monaten entscheiden zu müssen, ob sie den Kühlschrank füllen, das Auto betanken oder ihre Wohnung heizen. ({12}) Ich bin froh, dass unsere Ministerinnen und Minister Tag und Nacht daran arbeiten, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht dazwischen entscheiden müssen. Wir lassen die Menschen mit ihren Sorgen und ihren Nöten nicht allein, und das ist auch gut so. ({13})

Anette Kramme (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003162

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben, dass Putin den sozialen Frieden in unserer Gesellschaft ins Fadenkreuz nimmt. Energie wird als Waffe eingesetzt. Wir erleben: Er will unsere Gesellschaft sozial destabilisieren, indem er Öl und Gas abdreht. Er will unsere Solidarität mit der Ukraine untergraben, indem er die Preise hochtreibt. Aber auch diesen Konflikt wird der Kriegsherr im Kreml nicht gewinnen. Wir bleiben solidarisch und sozial, nach innen und nach außen. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Bundesregierung haben mit aller Entschlossenheit gehandelt. Wir haben Entlastungspakete auf den Weg gebracht; sie sichern vor allen Dingen die Menschen ab, die sozial besonders betroffen sind. Aber wir alle wissen: Ein starker Sozialstaat braucht auch einen starken Arbeitsmarkt. In der Coronakrise haben wir unser stärkstes Instrument in der Arbeitsmarktpolitik eingesetzt, das Kurzarbeitergeld – mit Erfolg. Wir haben es geschafft, Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben zu halten. Ja, das war teuer; aber Massenarbeitslosigkeit wäre uns noch viel teurer zu stehen gekommen. ({1}) Deswegen ist es auch in der aktuellen Krise so wichtig, dass wir auf das Kurzarbeitergeld zurückgreifen können, dass wir schnell handeln können, wenn sich die Lage zuspitzt. Wir brauchen dazu eine neue gesetzliche Grundlage, weil die alte ausgelaufen ist. Uns war es wichtig, dass wir mit der neuen Verordnungsermächtigung für Vereinfachungen und Erleichterungen sorgen. Das hilft Beschäftigten und Unternehmen, aber auch der Bundesagentur für Arbeit. So kann darauf verzichtet werden, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Zukunft ihre Zeitkonten leeren müssen, bevor sie in Kurzarbeit gehen. Für Unternehmen kann die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge wieder eingeführt werden. Zudem kann auf die Anrechnung von Nebenjobs verzichtet werden, sofern sie nur den Umfang eines Minijobs haben. Liebe Kollegen und Kolleginnen, wir wollen jetzt eine neue gesetzliche Ermächtigungsgrundlage schaffen, damit wir nach dem Auslaufen der alten keine Schutzlücken haben. ({2}) Ich bitte Sie um Unterstützung bei diesem so wichtigen Vorhaben. Es sichert den sozialen Frieden in Zeiten des Krieges. Herzlichen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Jana Schimke für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jana Schimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir alle hier sind uns einig, dass das Kurzarbeitergeld eines der wichtigsten arbeitsmarktpolitischen Instrumente ist, das wir in Krisenzeiten haben. Man muss aber dennoch festhalten – und das ist das Dramatische an der heutigen Debatte –, dass die Ampelregierung immer noch an einer Sozial- und Arbeitsmarktpolitik wie in Hochkonjunkturzeiten festhält. Ich will Ihnen das erläutern: Die Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld ging dramatisch zurück. Wir hatten in Coronazeiten mit dem erleichterten Zugang zum KUG noch 4,6 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Kurzarbeit. Zum Juni dieses Jahres sank der Anteil auf nur noch 0,8 Prozent. Bei meiner Kritik, die ich hier heute äußere, geht es gar nicht um das KUG, vielleicht nicht einmal um den erleichterten Zugang. Meine Kritik zielt darauf ab, dass die Bundesregierung noch immer nicht erkannt hat, welche Maßnahmen wir jetzt eigentlich bräuchten, um Arbeitsplätze in diesem Land zu erhalten und die Existenz von Unternehmen zu sichern. ({0}) Es geht nämlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht mehr um die Frage, wie man eine Krise überbrückt; es geht um die blanke Existenz. Und mit der Einführung der Gasumlage – ich muss das einmal fachfremd in dieser Sozialdebatte einbringen – etablieren Sie ein Instrument, das dazu führen wird, dass sich Unternehmen vom Markt in Deutschland verabschieden werden. ({1}) Die Gasumlage führt dazu, dass die finanziellen Belastungen von Betrieben derart steigen, dass sie hier in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig produzieren können. Was tun sie? Sie setzen sich ins Ausland ab oder machen ganz dicht. Da können Sie sich Ihr Kurzarbeitergeld auch sparen, so bedauerlich das ist. ({2}) Das Kurzarbeitergeld hilft in dieser Krise nicht mehr, meine Damen und Herren. Und statt einer Gasumlage brauchen wir einen Gaspreisdeckel; ({3}) den haben wir hier heute vorgeschlagen. Das wäre die einzig wirksame, gute Maßnahme, die unser Land, die unsere Wirtschaft in dieser Zeit braucht. ({4}) Die neue BA-Chefin Andrea Nahles – das will ich an der Stelle auch gesagt haben – wies kürzlich auf die dramatische Finanzlage der Bundesagentur für Arbeit hin. Wenn wir davon ausgehen, dass die Inanspruchnahme von KUG unter erleichterten Bedingungen künftig möglicherweise steigen wird, dann wird es natürlich auch teurer, liebe Kolleginnen und Kollegen. Nur: Die 26 Milliarden Euro Rücklage, die wir uns in wirtschaftlich guten Zeiten erarbeitet haben, sind weg. Die BA lebt von Steuergeld und braucht sogar noch mehr, nämlich 2 Milliarden Euro zusätzlich. ({5}) Und was sagt die BA-Chefin, zu der Sie ja politisch eine besondere Nähe haben, noch, liebe Kolleginnen und Kollegen? Sie sagt, dass sie nicht auf eine weitere Krise vorbereitet ist. Wir sind nicht auf eine weitere Krise vorbereitet. Wir können uns solche Instrumente nicht mehr leisten. ({6}) Deshalb wird nicht einmal mehr ausgeschlossen, dass auch der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung künftig steigen wird. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das noch als Letztes. Die größte Sünde in diesem Vorschlag ist die weitere Anrechnungsfreiheit bei Minijobs. Diese Regelung haben wir in der Coronakrise eingeführt, weil wir wollten, dass Menschen, die nicht arbeiten gehen konnten, sich dennoch etwas in der Landwirtschaft oder im Handel dazuverdienen konnten. Dieses Ziel hatte das Instrument. Das wird jetzt fortgeführt. Man kriegt Kurzarbeitergeld und darf noch etwas obendrauf verdienen. Können wir uns das wirklich noch leisten? Ich glaube, nicht, meine Damen und Herren. Machen Sie weniger Leistungsausweitungen! Machen Sie mehr angebotsorientierte Politik! Führen Sie ein Belastungsmoratorium für die deutsche Wirtschaft ein! Bauen Sie Bürokratie ab! Schaffen Sie mehr Flexibilisierung! So haben wir vielleicht noch eine Chance, durch diese Krise zu kommen. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Beate Müller-Gemmeke das Wort. ({0})

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Die Zeit ist gerade schwierig, weil Putins Krieg in der Ukraine alles verändert hat. Sie ist auch schwierig, weil uns jetzt die Fehler der Union einholen: ({0}) die verfehlte Energiepolitik, die Abhängigkeit von russischem Gas. ({1}) Frau Schimke, Sie können in dieser Woche noch so oft über die Gasumlage reden. Es ist so: Es geht hier um die verfehlte Energiepolitik. Bundeswirtschaftsminister Habeck muss jetzt wegen der verfehlten Energiepolitik unsere Energieversorgung in wenigen Monaten komplett umbauen. ({2}) Wir haben Entlastungspakete auf den Weg gebracht ({3}) und müssen jetzt schnell Hilfen für kleine und mittlere Unternehmen bereitstellen. Heute geht es um die Beschäftigten und den Arbeitsmarkt, um Sonderregelungen beim Kurzarbeitergeld; denn wir wollen natürlich auch Kündigungen und Arbeitslosigkeit verhindern. ({4}) Noch wissen wir nicht, was durch die hohen Energiepreise auf dem Arbeitsmarkt passieren wird. Wir wollen aber vorbereitet sein und geben deshalb der Bundesregierung Werkzeuge an die Hand. Dabei halten wir eine gute Balance: Einerseits kann die Bundesregierung durch eine Reihe von Verordnungsermächtigungen mit dem Kurzarbeitergeld gezielt und schnell reagieren; andererseits ist das alles natürlich zeitlich eng befristet, bis zum 30. Juni 2023. Das ist auch angemessen; denn die Verbesserungen beim Kurzarbeitergeld kosten natürlich. Sie dürfen auch nicht zu Fehlentwicklungen führen. Das müssen wir nach einer gewissen Zeit auch neu diskutieren, und zwar dort, wo solche Beratungen hingehören: in den zuständigen Ausschüssen und hier im Parlament. ({5}) Mit dem heute vorliegenden Gesetz machen wir die Bundesregierung handlungsfähig. Sie kann den Zugang zum Kurzarbeitergeld erleichtern, die Bezugsdauer verlängern, Unternehmen bei den Sozialversicherungsbeiträgen entlasten, die Leiharbeit einbeziehen oder eben auch nicht. Sie kann auch entscheiden, ob das Kurzarbeitergeld mit einem anrechnungsfreien Minijob aufgebessert werden kann. Das bedeutet: Falls es Turbulenzen auf dem Arbeitsmarkt gibt, kann die Bundesregierung das Kurzarbeitergeld schnell und unbürokratisch so ausgestalten, dass es den Unternehmen wirklich hilft. ({6}) Davon profitieren natürlich alle: Die Unternehmen können ihre Beschäftigten halten, weil sie bei den Lohnkosten entlastet werden. Die Beschäftigten haben weiterhin Einkommen und Perspektive, weil sie ihren Arbeitsplatz behalten. Mit den Sonderregelungen beim Kurzarbeitergeld schaffen wir also mehr soziale Sicherheit. Diese ist gerade in schwierigen Zeiten ganz besonders wichtig. Deshalb hoffe ich – das sage ich vor allem in Richtung Union –, dass wir das Gesetz nächste Woche gemeinsam mit großer Mehrheit auf den Weg bringen. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die AfD-Fraktion hat nun die Abgeordnete Gerrit Huy das Wort. ({0})

Gerrit Huy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005091, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Gesetzentwurf zur Anpassung der Verordnungsermächtigungen zur Kurzarbeit gibt es einige sinnvolle Verbesserungen, denen wir uns nicht verschließen, zum Beispiel eine flexiblere Antragstellung oder die Möglichkeit eines anrechnungsfreien Hinzuverdienstes. Aber ich frage Sie mal, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien: Wozu ist das Kurzarbeitergeld eigentlich da? Sie wissen es doch: für vorübergehende Auftragseinbrüche einzelner Firmen oder einzelner Branchen, für eine konjunkturelle Delle von nicht länger als einem Jahr. Für einen flächendeckenden Einsatz über mehrere Jahre hingegen ist es nicht konzipiert und auch nicht finanziert. ({0}) Dass Sie jetzt die coronabedingte Verlängerung der Bezugsdauer auf zwei volle Jahre weiterführen wollen, zeigt doch sehr deutlich, dass Sie selbst nicht an eine schnelle Verbesserung der Lage glauben. ({1}) Sie begründen Ihr Gesetz damit, möglichst viele Arbeitsplätze erhalten zu wollen. Das ist ein vernünftiges Ziel. Das wollen wir auch. Die AfD möchte, dass es den Bürgern in unserem Land gut geht. ({2}) Aber dazu braucht es eine funktionierende Wirtschaft, und die haben wir nicht mehr. Ergebnis Ihrer Politik! Ungerührt schreiben Sie: „Bereits jetzt sind die Geschäftserwartungen der Unternehmen für die nächsten Monate äußerst pessimistisch.“ Dank der zunehmenden Proteste haben Sie das wenigstens wahrgenommen. Aber da Sie nur sehr ungern etwas wahrnehmen, was Ihrer Klimaideologie im Wege steht, ({3}) möchte ich diese Erkenntnis noch etwas nachschärfen. ({4}) Nicht nur die nächsten Monate sind für unsere Wirtschaft äußerst prekär. Die von Ihnen angerichteten Verwerfungen könnten auf Jahre hinaus bestehen bleiben. Vielleicht sollen sie es ja sogar. Oder haben Sie sich wirklich überlegt, was danach kommt, wenn vielleicht der Krieg zu Ende gegangen ist oder gar nicht zu Ende geht? Was, frage ich, wird in den nächsten Jahren dann besser? Werden die horrenden Energiepreise wieder sinken? Dazu brauchen wir natürlich wieder preiswerte Energiequellen. ({5}) Den einfachsten und preiswertesten Weg schließen Sie von vornherein aus, nämlich russisches Gas. Alles andere ist viel, viel teurer. Was wird dann aus unseren über 7 000 energieintensiven Betrieben und ihren Millionen von Arbeitsplätzen? Sollen sie einfach kaputtgehen, oder sollen sie auswandern? Viele Grüne sagen genau das. ({6}) Energieintensive Betriebe haben in Deutschland keine Zukunft, sagen sie ganz offen. ({7}) – Meine Damen und Herren, wir regieren nicht. Leider nicht, sonst sähe es hier besser aus. ({8}) Es ist Ihnen hoffentlich klar, dass praktisch die gesamte deutsche Industrie energieintensiv ist und auch fast der gesamte deutsche Außenhandel. Denn – Sie haben das bemerkt – wir exportieren keine Bananen. ({9}) Wir exportieren Technologiegüter. Diese sind praktisch sämtlich energieintensiv. Um international wettbewerbsfähig zu sein, genügt es nicht, die um das 15‑Fache gestiegenen Preise etwa auf das Fünffache zu senken; denn auch mit Energiepreisen, die fünfmal so hoch wie vor den Coronamaßnahmen sind, ist man nicht wettbewerbsfähig; ({10}) das gilt übrigens auch für unsere inländischen Bäcker, die ihre Brötchen schon jetzt nicht mehr kostendeckend verkaufen können. Das ist Politik vorbei am Volk! ({11}) Glauben Sie nur nicht, dass Sie unsere Gesellschaft mit immer neuen Entlastungspaketen und Schutzschirmen auf Kurs halten können. Diese sind weder zielgenau noch dauerhaft finanzierbar. Sie sind nämlich gerade dabei, Ihre Lohn- und Ertragsteuern gegen die Wand zu fahren. Wer die Industrie kaputtmacht und Millionen Arbeitsplätze vernichtet, hat auch keine Ertragsteuern mehr ({12}) und kann auch keine Schutzschirme und Entlastungspakte mehr finanzieren, auch nicht über immer neue Schulden. Unser Credit Rating wird sinken. Wir werden nichts mehr finanzieren können. Wenn dann noch einer der EU-Staaten, denen wir verbotene Haftungsverpflichtungen gegeben haben, kaputtgeht, sind auch wir pleite. Die Regierungen der letzten Jahre haben schon schlechte Politik gemacht, aber Sie sind gerade dabei, unserem Land den letzten Dolchstoß zu versetzen. ({13}) Dann kommt auch Ihr Kurzarbeitergeld zu spät. Nach den Coronamaßnahmen hat die Bundesanstalt für Arbeit nämlich keine Rücklagen mehr.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Gerrit Huy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005091, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Das heißt, der Steuerzahler müsste ran. Aber der hat auch kein Geld mehr, wenn er seinen Arbeitsplatz verliert.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Abgeordnete, achten Sie bitte auf die Zeit.

Gerrit Huy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005091, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Letzter Satz. – Viele Firmen, meine Damen und Herren, versuchen es nämlich gar nicht mehr mit Kurzarbeitergeld, weil sie am Ende des Tunnels kein Licht mehr sehen. Deswegen: Beenden Sie die Symptomkurierung! Adressieren Sie endlich die wirklichen Probleme! Danke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Jens Beeck das Wort. ({0})

Jens Beeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! So ganz genau weiß ich jetzt gar nicht, was ich sagen soll. Normalerweise muss man sich ja, wenn zwei Oppositionssprecher gesprochen haben, verteidigen. Aber wenn ich Sie gerade richtig verstanden habe, bestätigen Sie genau das, was wir auch sehen: Wir machen heute das absolut Richtige, indem wir diese Verordnungsermächtigung vorlegen. ({0}) Wir bedanken uns zunächst mal dafür, dass Sie das auch erkannt haben, liebe Kollegin von der Union und liebe Kollegin von der AfD. ({1}) Der entscheidende Punkt ist aber, Frau Schimke: Sie haben ja im Grunde gar nicht zu dem jetzigen Gesetzentwurf gesprochen. Was wir hier heute machen, nämlich die Verordnungsermächtigungen zu verlängern, ist genau der richtige Weg – das wissen Sie auch –, den wir in der Vergangenheit auch schon gegangen sind. Das Kurzarbeitergeld gehört mit zu den absoluten Preziosen in unserem Sozialstaat. 1910 – Sie werden das alle wissen – gab es das erste Mal im Bereich der Kali-Gesetze so etwas wie ein Kurzarbeitergeld, 1924 wurde als Vorläufer die Kurzarbeiterunterstützung eingeführt, 1927 ist das Kurzarbeitergeld wegen der Hyperinflation das erste Mal in das deutsche Recht gekommen. Danach hat es sich verstetigt und sich das erste Mal in den 60er-Jahren bewährt. Das waren genau die Dinge, die wir heute auch haben: bei den Kali-Gesetzen die Produktionsunterbrechung, danach die Hyperinflation. Immer war es das richtige Instrument. Wir wissen sehr wohl – das hat die Kollegin Müller-Gemmeke gerade ja gesagt –, dass das nicht die Lösung der Probleme ist. Aber sie ist die notwendige Brücke in unseren Arbeitsmarkt bis zur Lösung der Probleme. ({2}) Sie ist an der Stelle auch durch nichts anderes zu ersetzen. Zum Teil hat man den Eindruck, dass Sie, Frau Schimke, gar nicht mehr wissen, dass Sie an der letzten Regierung beteiligt waren. ({3}) Wir, die wir beim letzten Mal dabei waren, wissen aber alle noch, dass die Große Koalition die Beiträge zur gesetzlichen Arbeitslosenversicherung von 3,0 auf 2,6 Prozent und dann mit zwei weiteren Verordnungen auf 2,5 und danach auf 2,4 Prozent abgesenkt hat. Das konnte sie machen, weil wir eine Rücklage von etwa 26 Milliarden Euro hatten, und jetzt ist die weg. Wir hatten diese Rücklage deswegen, weil wir dachten: In den Jahren 2008/2009 hat es etwa 20 Milliarden Euro gekostet, um den Arbeitsmarkt zu stabilisieren. Dieses Geld brauchen wir jetzt nicht mehr. – Tatsächlich – das haben Sie gerade etwas ausgelassen – sind wir jetzt in einer – das gilt für das Kurzarbeitergeld so wie für vieles andere auch – Multi- und Dauerkrise, mit der Folge, dass wir ganz andere Summen aufwenden müssen: über 20 Milliarden Euro im Jahr 2020, über 20 Milliarden im Jahr 2021. ({4}) – Ja, das war Corona, genau. – Da haben wir das Geld eingesetzt; das ist auch vernünftig gewesen. Aber wir haben es mit genau den Mechanismen eingesetzt, die wir jetzt vorschlagen zu verlängern. Wir haben es vielleicht nicht ganz zielgenau eingesetzt, weil Sie die gesamten Rücklagen damit verbraucht haben. Das ist ein entscheidender Unterschied, und das wird überhaupt nicht hinreichend von Ihnen gewürdigt. Das ist im Grunde das nächste große Entlastungspaket für die Menschen, die Unternehmen, die Beschäftigten in unserem Land, ({5}) wiederum im Volumen von über 40 Milliarden Euro wie in den beiden letzten Jahren, die nicht mehr aus Rücklagen kommen, Kollege Whittaker. Vielmehr haben wir 17 Milliarden Euro im letzten Jahr und 7 Milliarden Euro im vorletzten Jahr dazugegeben – erst als Darlehen, dann haben wir sie erlassen. Also: Wir stärken dieses arbeitsmarktpolitische Instrument massiv mit Steuermitteln. ({6}) – Es war ein Darlehen, das wir erlassen haben; dadurch ist es ein Zuschuss geworden. Das wissen Sie doch. Stellen Sie doch eine Zwischenfrage, dann habe ich mehr Zeit und kann es Ihnen erklären. Aber vielleicht wissen Sie es auch so. ({7}) Fest steht jedenfalls, dass wir keine Rücklagen hatten. Die Vorsitzende der Bundesagentur war gerade im Ausschuss. Da haben wir alle gehört, dass jetzt auch keine Rücklagen da sind. Sie alle werden nachgeguckt haben, bevor Sie sich heute in diese Debatte begeben haben. Wir hatten mit 2,2 Milliarden Euro Aufwendungen im Jahr 2022 gerechnet. Diese waren etwa am 28. April dieses Jahres schon verbraucht. Jetzt sind wir bei einem noch deutlich höheren Betrag. Und deswegen werden wir an dieser Stelle ein weiteres Mal als Bund – falls es dazu kommt, dass diese Instrumente genutzt werden müssen – helfen. Diese Fortschrittskoalition, die die Bundesregierung tragenden Fraktionen in diesem Haus bekennen sich sehr klar dazu, dass wir keinen Beschäftigten, kein Unternehmen alleinlassen. Wir tun, was erforderlich ist – zielsicher, wirkmächtig und ohne große Diskussion. Und wir freuen uns dabei auf Ihre Unterstützung. ({8}) Einen letzten Satz will ich an dieser Stelle noch sagen. Auch wenn wir während Corona einen Aufwuchs des Haushalts der BA – auch wegen der erheblichen Ausgaben im Bereich KUG – auf über 60 Milliarden hatten, ist das nicht einhergegangen mit einem Aufwuchs an Stellen in der BA. Deswegen will ich an dieser Stelle – ich hoffe, in unser aller Namen – den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der BA, die uns durch die letzten Krisen gebracht haben, ganz herzlich Danke schön sagen. Auf sie können wir uns fest verlassen, auch falls es zu einer weiteren Krise am Arbeitsmarkt kommt. Dafür ganz herzlichen Dank! ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Pascal Meiser für die Fraktion Die Linke. ({0})

Pascal Meiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004819, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Kurzarbeitergeld hat sich auch in der Coronapandemie bewährt und mit dazu beigetragen, dass nicht noch mehr Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren. Deshalb unterstützen wir als Fraktion Die Linke auch in der aktuellen Krise ausdrücklich, die in der Pandemie geschaffenen Sonderregelungen für das Kurzarbeitergeld zu verlängern. ({0}) Erstens. Kurzarbeit ist gut. Aber eine Politik, die verhindert, dass Unternehmen überhaupt unverschuldet in Probleme geraten und Kurzarbeit in Anspruch nehmen müssen, ist besser. Deshalb ist es höchste Zeit, dass die Bundesregierung endlich für eine Energiepreisbremse sorgt und einen echten Rettungsschirm für unverschuldet in Not geratene Unternehmen aufspannt. Es ist doch völlig grotesk, dass die Bundesregierung bei diesen Fragen über den gesamten Sommer – nach meinem Eindruck – völlig untätig geblieben ist und der Bundeswirtschaftsminister lieber darüber philosophiert hat, ob wir es mit einer Welle von Produktionseinstellungen oder mit einer Welle von Insolvenzen zu tun bekommen, statt dagegen tätig zu werden, meine Damen und Herren. ({1}) Zweitens. Ich glaube, es ist an dieser Stelle dringend notwendig – mein Vorredner hat es auch schon getan –, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundesagentur für Arbeit unser aller Dank dafür auszusprechen, was sie in den letzten beiden Jahren bei der Kurzarbeit geleistet haben. Gerade erst wurden wir im Ausschuss für Arbeit und Soziales darüber informiert, dass trotz alledem weiter Hunderttausende Anträge auf Kurzarbeit noch nicht abschließend bearbeitet sind. Wenn wir jetzt auf eine neue Kurzarbeitswelle zurollen, dann sollte jedem klar sein, dass dafür in der Bundesagentur dringend mehr Personal benötigt wird. ({2}) Andernfalls werden erneut andere wichtige Aufgaben wie schon in der Pandemie hinten runterfallen, und das muss angesichts der anstehenden Herausforderungen tunlichst vermieden werden. Drittens. Wenn Sie wollen, dass die Kurzarbeit auch dazu dient, Beschäftigte in den betroffenen Branchen zu halten, wiederholen Sie nicht die Fehler der letzten beiden Jahre. Sorgen Sie dafür, dass insbesondere Beschäftigte mit niedrigen Einkommen eine bessere Absicherung erhalten, statt sie auf Minijobs oder das Jobcenter zu verweisen. ({3}) Und führen Sie noch dazu, zumindest in dieser Krise, ein Mindestkurzarbeitergeld von 1 200 Euro für Vollzeitbeschäftigte ein. ({4}) Noch ein Wort zur Finanzierung. Formal ist natürlich richtig – wie Sie in Ihrem Gesetzentwurf schreiben –, dass mit dieser Ermächtigung keine Kosten verbunden sind, sondern dass erst mit dem Erlass einer solchen Verordnung Kosten entstehen. Doch klar ist auch: Das alles wird Geld kosten, und zwar nicht wenig. Ich wüsste schon mal gerne, mit welchen Summen die Bundesregierung hier kalkuliert und woher das Geld dann kommen soll. Aus den Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit – das haben wir, glaube ich, hier gehört – sicherlich nicht; denn die sind aufgebraucht. Ich befürchte, dass Sie auch hier noch keine Lösung haben. Dass diese Verordnung in Zukunft durch die gesamte Bundesregierung erlassen wird und nicht mehr alleine durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales – und somit der Bundesfinanzminister auch ein Vetorecht hat –, stimmt mich zumindest nicht zuversichtlich, was die Anwendung der entsprechenden Verordnung angeht. ({5}) Ich mache Ihnen einen konkreten Vorschlag: Wenn wir jetzt dazu kommen, dass die BA tatsächlich wieder Zuschüsse aus Steuermitteln braucht, dann ziehen Sie doch zur Finanzierung diejenigen Unternehmen heran, die während der Pandemie tatsächlich Kurzarbeitergeld in Anspruch genommen und trotzdem Milliarden an Dividenden ausgeschüttet haben. Das wäre mal ein Vorschlag, mit dem Sie zeigen könnten, dass Sie es ernst meinen –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege.

Pascal Meiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004819, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

– und soziale Gerechtigkeit auch in dieser Krise einen Wert hat. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Dagmar Schmidt das Wort. ({0})

Dagmar Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004401, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! In den vergangenen zwei Jahren, in der Pandemie, hat das Kurzarbeitergeld Millionen Arbeitsplätze gerettet. Die Sonderregelungen im Bereich des Kurzarbeitergeldes haben in der Krise entscheidend zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes beigetragen. Wir konnten mit der Kurzarbeit Menschen in wirklich schwierigen Zeiten im Job halten. Wenn die Lage sich verbessert, müssen die Unternehmen nicht erst neue Fachkräfte suchen. Die eingearbeiteten Fachkräfte waren und sind noch da und können sofort wieder loslegen. Ja, es ist richtig: Kurzarbeit war und ist ein teures Instrument; aber Arbeitslosigkeit kommt uns deutlich teurer zu stehen. Deswegen war und ist es richtig, auf die Kurzarbeit zu setzen. An der Stelle möchte ich auch von meiner Seite – weil ich weiß, sowohl aus meinem Wahlkreis als auch durch das, was wir von Andrea Nahles erfahren haben, dass es eine wirklich harte Zeit ist für diejenigen, die das alles in den Agenturen abwickeln mussten und müssen – ein ganz, ganz herzliches Dankeschön sagen. ({0}) Die Pandemie ist noch nicht vorbei, und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat schon jetzt erhebliche Auswirkungen auf Lieferketten, auf den Energiesektor und damit auf Betriebe und ihre Beschäftigten. Wir stehen also vor einem mit großen Unsicherheiten behafteten Winter. Aber auch das haben wir gehört: Der Arbeitsmarkt ist robust; Fachkräfte werden gebraucht. Wir beobachten, dass sich die Arbeitsmarktlage und die Konjunktur entkoppelt haben. Wir wissen aber nicht, Frau Schimke, ob das so bleibt, was mit den Lieferketten passiert und ob es nicht in einzelnen Branchen auch besondere Entwicklungen gibt. Und genau deswegen wollen wir vorbereitet sein. Wir müssen und wir werden alles tun, um Arbeitsplätze zu schützen und Unternehmen, die unverschuldet in Existenznöte geraten, zu helfen. Neben den Wirtschaftshilfen, die Minister Habeck aufstellt, ist das Kurzarbeitergeld ein ganz wesentlicher Baustein, um dieses Ziel zu erreichen. ({1}) Die Bundesregierung hat schnell gehandelt und die Verordnung zum vereinfachten Zugang zum Kurzarbeitergeld, die regulär Ende des Monats ausgelaufen wäre, bis zum Jahresende verlängert. Wir wissen nicht, wie sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt in den kommenden Monaten entwickeln wird. Aber sicher ist eins: Am Silvesterabend um Mitternacht werden nicht alle Krisen überwunden sein. Und deshalb treffen wir Vorsorge und geben der Regierung erneut die Möglichkeit, die Erleichterungen zum Zugang zum Kurzarbeitergeld – wenn nötig – über dieses Jahr hinaus weiter zu verlängern und diesen Instrumentenkasten zur Bekämpfung der Krise zur Verfügung zu haben. Das würde konkret bedeuten, dass Betriebe auch weiterhin die Möglichkeit zu diesem vereinfachten Zugang haben, wenn mindestens 10 Prozent ihrer Beschäftigten vom Arbeitsausfall betroffen sind. Es müssten weiterhin nicht zuerst Erholungsurlaub genommen oder Zeitguthaben aufgebraucht werden; es müssten keine Minusstunden aufgebaut werden. Das heißt, wir entlasten die Betriebe durch weniger Bürokratie. Und das ist in Zeiten wie diesen ein wichtiger Schritt. ({2}) Es ist insgesamt ein wichtiges Signal an Beschäftigte und Betriebe: In Zeiten wie diesen stehen wir weiter an eurer Seite. Aber wir dürfen in dieser Krise nicht nur Brücken bauen, sondern wir müssen in dieser Krise auch die Weichen richtig stellen. Deswegen ist es mir besonders wichtig, dass die Sozialversicherungsbeiträge dem Arbeitgeber nur bei Weiterbildung voll erstattet werden können, damit Anreize gesetzt werden, die freie Zeit mit sinnvoller Qualifizierung zu nutzen. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, große Herausforderungen liegen vor uns als Gesellschaft. Es gibt nicht den einen Hebel, die eine Maßnahme, der oder die uns die Krise vom Hals schafft. Wir werden an vielen verschiedenen Stellen gleichzeitig sachlich diskutieren und klug handeln müssen. Ein Baustein in diesem Netz aus Hilfen und Maßnahmen, ein Baustein, um uns gut durch diese Zeit zu bringen und gleichzeitig die Weichen für die Zukunft zu stellen, ist das Kurzarbeitergeld. Ich freue mich auf Ihre Zustimmung. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Markus Reichel für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Markus Reichel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005185, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist gut, dass wir heute miteinander diese Debatte zum Kurzarbeitergeld führen. Wir müssen darüber sprechen. Ich will aber alle darauf hinweisen, dass wir, wenn die Verordnungsermächtigungen in Kraft treten, an diesem Ort in der nächsten Zeit keine Debatten mehr zu diesem Thema haben werden. Ich werde das bedauern. ({0}) Völlig klar ist: Das Kurzarbeitergeld unterstützte unsere Wirtschaft, unseren Arbeitsmarkt während der Coronaeinschränkungen wirklich enorm. Es gab keine Massenarbeitslosigkeit, die Arbeitgeber konnten ihr qualifiziertes Personal halten. Aber das ließen wir uns als Gesellschaft auch eine Menge kosten. Der frühere BA-Vorsitzende Detlef Scheele hat die Gesamtkosten auf 46 Milliarden Euro insgesamt während der Coronazeit geschätzt. Das bedeutet, die Kassen sind nicht nur leer, sie sind mehr als leer. Wir werden natürlich die Frage stellen, woher das Geld in Zukunft kommen soll. Die Situation heute ist aber in keiner Weise mit der Situation während Corona zu vergleichen. Erst gestern war ich im Gespräch mit Handwerkern in Dresden. Ich bin mir sicher, Sie alle führen solche Diskussionen bei sich in Ihren Wahlkreisen, aber ich will sie trotzdem zusammenfassen: Diese Handwerker, diese Mittelständler sind in einem festen Klammergriff aus Inflation, aus steigenden Energiepreisen, aus steigenden Lohnkosten und aus Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel. Diese Kombination ist neu! ({1}) Jeder einzelne dieser Faktoren hat mehrere Ursachen. So viel gehört zur Wahrheit aber auch dazu: Jede einzelne dieser Ursachen wurde durch die Politik dieser Bundesregierung in den letzten Monaten noch verstärkt. Das Kurzarbeitergeld wurde ursprünglich konzipiert – Herr Beeck, Sie hatten das angeführt –, um zeitweilige Nachfrageausfälle zu überbrücken. Es ist nicht geschaffen als Ausgleich für das gleichzeitige Auftreten von enormen Kostensteigerungen, Lieferkettenproblemen und Nachfragerückgang. Es ist kein Instrument, welches auf Dauer angelegt ist. Und die Energiepreise werden in den nächsten Monaten nicht sinken, und zwar aus unterschiedlichen Gründen. ({2}) Das Problem ist, der Krieg in der Ukraine dauert nun länger als sechs Monate. Es war doch nun wirklich absehbar, in welche Situation wir in diesem Herbst hineinlaufen werden. Wir als CDU/CSU haben das in den vergangenen Monaten doch oft im Ausschuss angesprochen: Das Kurzarbeitergeld muss zielgenauer und gerade auch für den Mittelstand gestaltet werden. ({3}) Jetzt bekommen wir aber einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem dasselbe System einfach weitergeführt wird. Ich muss schon sagen: Deutschlands Arbeitnehmer und Arbeitgeber hätten da schon etwas mehr Aufmerksamkeit verdient. Hier hat das BMAS „kurzgearbeitet“. Weder BMAS noch die BA versuchen, überhaupt Alternativen zu skizzieren. Wer im Gesetzentwurf beim Punkt „Alternativen“ sucht, der findet als einzige Alternative, den Gesetzentwurf nicht zu verabschieden. Ich finde, da machen Sie es sich wirklich ein bisschen einfach. Wie kann denn das Kurzarbeitergeld für Dauerbelastungen weiterentwickelt werden? Ich gebe da mal einige Anregungen: Die Abrechnung muss vereinfacht werden. Die BA schiebt einen riesengroßen Berg an Bescheiden vor sich her. ({4}) Das bringt Unsicherheiten in die Unternehmen. Es kann doch nicht sein, dass eine Unternehmerin über drei Jahre nicht sicher sein kann, ob sie einen gegebenen Zuschuss überhaupt als solchen verbuchen kann. Ich muss auch sagen: Die betreffenden BA-Mitarbeiter wären an anderer Stelle besser eingesetzt. ({5}) Wir brauchen einen besseren Bezug zur konkreten Unternehmensrentabilität. So können wir mehr Genauigkeit und weniger Gießkanne ermöglichen. Insgesamt kann auch am Kurzarbeitergeld nicht vorbeigehen, dass sich die Arbeitswelt massiv verändert hat. Hier ließe sich doch auch mal etwas Neues wagen, sodass Arbeitskräfte nicht während des Kurzarbeitergeldbezugs nahezu vollständig dem Arbeitsmarkt entzogen sind. ({6}) Aber am wichtigsten wäre in der aktuellen Situation, dass die Bundesregierung rasch zielgenaue Unternehmenshilfen umsetzt. Das Entlastungspaket der Bundesregierung vernachlässigt nicht nur die Wirtschaft insgesamt; nichts davon, was Sie versprochen haben, haben Sie bislang auch wirklich auf den Weg gebracht. ({7}) Und jetzt machen Sie einfach das Naheliegende und verlängern rasch das Kurzarbeitergeld. Aber ich sage Ihnen: Damit alleine werden Sie die Probleme der Unternehmen nicht einmal ansatzweise lösen. ({8}) Dazu müssen Sie die wirklichen Ursachen der Probleme unserer Unternehmen bekämpfen, und das bedeutet: Senken Sie den Strompreis und damit auch den Gaspreis, indem Sie rasch die verfügbaren Kraftwerkskapazitäten erhöhen und nicht vermindern. ({9}) Verzichten Sie auf die Gasumlage. Setzen Sie jetzt rasch Hilfen für energieintensive KMU auf, so wie Sie es für Großunternehmen bereits gemacht haben. ({10}) Ergänzen Sie das durch Kredite für Unternehmen. Und – ganz wichtig – verzichten Sie auf den Ausbau der Grundsicherung durch das Bürgergeld. ({11}) Sie werden hier der Wirtschaft in einer beträchtlichen Größenordnung Arbeitskräfte entziehen, und das ist das Letzte, was das Land momentan braucht. ({12}) Also zusammenfassend: Das Kurzarbeitergeld –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege Reichel, das müssen Sie jetzt in einem Satz machen.

Dr. Markus Reichel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005185, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– ist unter bestimmten Bedingungen ein hervorragendes System, um den Arbeitsmarkt zu stützen. Sie als Koalition sind jetzt aber in der Pflicht, durchdachte Konzepte für eine Verbesserung der Unternehmenshilfen vorzulegen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Frank Bsirske für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Frank Bsirske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005034, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Abgeordnete! Das Kurzarbeitergeld ist ein Erfolgsmodell. Es mildert Einkommensverluste, bewahrt Beschäftigung und hält Arbeitskräfte im Unternehmen. Es ist wirklicher Unsinn, Frau Schimke, zu behaupten, dass wir das Kurzarbeitergeld nicht mehr bräuchten. ({0}) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ermöglichen wir dem Bundeskabinett, flexibel von verschiedenen Komponenten des KUG Gebrauch zu machen. Wir beschränken uns aber nicht darauf, mit dem KUG ein wirksames Instrument zur Abmilderung von Krisenfolgen bereitzustellen, sondern betten das KUG zugleich in ein Set weiterer Hilfen ein. Unter anderem öffnen wir das Energiekostendämpfungsprogramm für weitere energieintensive Unternehmen. Für den Mittelstand will Robert Habeck eine zusätzliche Programmstufe vorschlagen. Sie soll nicht nur das produzierende Gewerbe umfassen, sondern auch das Handwerk und die Dienstleistungswirtschaft. Das würde – ja – einen zweistelligen Milliardenbetrag aus dem Haushalt kosten, aber das sollten uns diese dringend benötigten Hilfen wert sein. ({1}) Damit nicht genug. Aus den Einnahmen der geplanten Zufallsgewinnabschöpfung werden wir eine Strompreisbremse für den Basisverbrauch der privaten Haushalte und KMU finanzieren. ({2}) Und wir brauchen einen Gaspreisdeckel für eine Grundbedarfsmenge, so wie ihn die Niederlande gerade einführen und ihn die britische Regierung jetzt angekündigt hat. Das darf nicht an mangelnder Finanzierungsbereitschaft scheitern. ({3}) Die Inflation ist ja nicht nachfrageseitig getrieben, sondern durch die hohen Energiepreise bei Gas und Öl angebotsseitig und muss vor allem durch gezielte Investitionen in Energieeffizienz und erneuerbare Energien bekämpft werden. ({4}) Dabei gilt es, die Situation gerade der kleineren Unternehmen und der Handwerksbetriebe in den Blick zu nehmen. Uns alle erreichen doch dramatische Botschaften von kleineren Unternehmen, von Bäckereien, von Gärtnereien, die nicht mehr wissen, wie sie angesichts der gestiegenen Preise, insbesondere für Gas, durch diesen Winter kommen sollen. Hinzu kommt ein sich abkühlendes Konsumklima. Das belastet Unternehmen zusätzlich. Darum brauchen wir jetzt einen breiten Rettungsschirm auch für kleine und mittlere Unternehmen, und das darf nicht an mangelnder Finanzierung scheitern. ({5}) Zentral ist jetzt, ökonomische Strukturbrüche und Arbeitslosigkeit so weit wie möglich zu vermeiden und nicht aus dogmatischen Gründen eine mögliche Rezession zu verschärfen. Aktuell haben wir nämlich nicht nur einen Angebotsschock aufgrund hoher fossiler Energiepreise, sondern es droht auch ein Nachfrageschock, der zu mehr Arbeitslosigkeit, Firmenpleiten, zu weniger Einnahmen und am Ende auch zu mehr Schulden führt. In der Pandemie ist dieser Gefahr mit einer aktiven Finanz- und Wirtschaftspolitik begegnet worden. Arbeitsplätze und Betriebe wurden so abgesichert. Das jetzt nicht zu wiederholen, das jetzt nicht wiederholen zu wollen, stellt eine Gefahr für die deutsche Wirtschaft und für den sozialen Frieden dar. ({6}) Die kommende Krise ist um ein Vielfaches größer als die Coronakrise. In den Griff bekommen können wir sie nur, wenn der Staat genug Geld bereitstellt, um die Energiepreise auf ein vertretbares Maß zu senken. Dieser Verantwortung gilt es sich jetzt zu stellen. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Bernd Rützel für die SPD-Fraktion. ({0})

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte zum Schluss der Debatte zusammenfassen: Ich hoffe, dass Einigkeit darüber besteht, dass das Kurzarbeitergeld ein riesengroßer Schutzschirm für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land ist, für die Arbeitsplätze und auch für die Wirtschaft, die ihr Personal behalten kann; es ist mehrfach angesprochen worden. Ich hoffe, dass jeder dieser Meinung ist und das Kurzarbeitergeld grundsätzlich für richtig und gut befindet. ({0}) Ja, wir sind seit Längerem im Krisenmodus: gestörte Lieferketten, Fach- und Arbeitskräftemangel, Pandemie, Inflation und seit dem brutalen Angriffskrieg von Putin gegen die Ukraine extrem hohe Preise für Energie aufgrund der Knappheit. Natürlich löst das Kurzarbeitergeld nicht alle Probleme, aber es baut viele Brücken, zum Beispiel, wenn es Unternehmen schlechter geht. Seit dem 13. März 2020, also seit zweieinhalb Jahren, sind wir immer wieder dabei – Staatssekretärin Anette Kramme hat es erläutert, auch Dagmar Schmidt hat es erläutert –, unsere Gesetze punktuell anzupassen und der Regierung die Möglichkeit zu geben, nachzusteuern, damit die Maßnahmen schnell greifen, damit wir flexibel sind. ({1}) Ja, Kurzarbeit kostet richtig viel Geld. Frau Schimke, Sie haben gesagt, das könnten wir uns nicht mehr leisten. – Doch, wir müssen es uns leisten, und wir werden es uns leisten. Denn wenn wir das nicht tun, dann wird es viel teurer, mit ungeahnten Folgen für die gesamte Wirtschaft. „The German Kurzarbeitergeld“, wie es auf der ganzen Welt genannt wird, ist ein Instrument, auf das wir stolz sein können, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Der Besuch der neuen Chefin der Bundesagentur für Arbeit im Ausschuss für Arbeit und Soziales vor zwei Tagen ist mehrfach angesprochen worden. Andrea Nahles sagte uns: Der Arbeitsmarkt ist robust. – Da hat sie recht. Natürlich ist er robust. Noch nie waren so viele Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt wie heute – noch nie! Gleichzeitig gibt es fast 900 000 offene Stellen. Aber nichts ist in Stein gemeißelt. Wir müssen vorbereitet sein. Die Situation kann sich schnell ändern. Deswegen haben wir entsprechenden Spielraum geschaffen. Am Ende der Debatte ist es mir ein persönliches Anliegen, etwas zu Rainer Keller zu sagen. Wir haben ihn noch vor zwei Tagen gesehen. Er war hier und hat seine Arbeit gemacht. Plötzlich und unerwartet ist er nicht mehr bei uns. Wir werden immer an dich denken, lieber Rainer. ({3})

Dr. Herbert Wollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005262, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Zuhörer und Zuhörerinnen! Die gute Nachricht von heute Nachmittag lautet: Der Sport steht innerhalb weniger Wochen zum vierten Mal auf der Tagesordnung dieses Plenums. Dies zeigt die Bedeutung des Sports, auch wenn wir heute relativ reduziert hier vor Ort sind. Die Bedeutung des Sports für Gesundheit und für das soziale Zusammenleben hat den Bundestag erreicht. Das, meine Damen und Herren, könnte so weitergehen. Die schlechte Nachricht dieses Nachmittags lautet dagegen: Ihr Antrag, liebe CDU/CSU-Abgeordnete, ist eigentlich überflüssig; denn Sie rennen offene Türen ein. ({0}) – Danke. – Ich werde das im Weiteren begründen. Diabetes, Übergewicht, Bewegungsmangel und depressive Störungen: Gewiss hat die Pandemie dazu beigetragen, dass diese Krankheiten in den Vordergrund rückten. Die Pandemie wirkte wie ein Brennglas auf schon bestehende Defizite. Sie wurden uns durch die Pandemie nur in größerer Deutlichkeit vor Augen geführt. Viele der Probleme, wie zum Beispiel die Gewichtszunahme bei Kindern, beobachten wir aber im Grunde schon seit circa 20 Jahren. Diese Gesundheitsprobleme wurden nicht durch das Virus selbst ausgelöst – das wissen wir alle –, sondern zum Teil durch die notwendigen Pandemieschutzmaßnahmen, die wir ergriffen hatten, um Schlimmeres zu verhindern. Nun tragen wir alle gemeinsam Verantwortung dafür, die unerwünschten Wirkungen der Pandemiemaßnahmen abzumildern. Diese Bundesregierung – das wissen Sie von der CDU/CSU eigentlich auch – hat schon vor Monaten mit der Planung eines Bewegungsgipfels begonnen, unabhängig von der Forderung, die Gegenstand Ihres Antrags ist. ({1}) – Ich kann das begründen. – In diesem Zusammenhang erinnere ich an den präventionspolitischen Abend des DOSB im Juli, wo auch Ihr gesundheitspolitischer Sprecher, Herr Tino Sorge, auf dem Podium anwesend war; der hätte Ihnen eigentlich davon berichten können. Staatssekretärin Sabine Dittmar hat schon damals gesagt, es werde einen Bewegungs- und Gesundheitsgipfel geben. Sie wissen vielleicht – oder sollten es wissen –: Am 28. September 2022, also nächste Woche, wird zum ersten Mal eine gemeinsame Sitzung des Gesundheits- und Sportausschusses stattfinden. Es wird einen sehr kompetenten Gesprächspartner geben: Professor Wolfarth, Chefarzt für Sportmedizin und Rehabilitative Medizin an der Charité Berlin, gleichzeitig Olympiaarzt. Sie können daran erkennen, dass die Ampel die Verbindung von Sport und Gesundheit als sektorenübergreifende Aufgabe längst erkannt hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen wir darauf zurück, warum wir den Antrag ablehnen werden. Die Wirklichkeit hat Ihre Forderungen schlicht und einfach überholt. Wir werden ihn übrigens auch ablehnen, weil er von bekannten Allgemeinplätzen nur so wimmelt. Der Bewegungsgipfel ist längst Chefinnensache im Innenministerium. Der Termin steht fest: Es wird der 13. Dezember dieses Jahres sein. ({2}) – Ja, aber jetzt wissen Sie es. Okay. ({3}) Es gab noch nie eine solch hochkarätig besetzte Initiative zum Thema Sport, Bewegung und Gesundheit. Es werden die Ministerinnen Faeser, Paus, Lemke sowie Minister Lauterbach daran teilnehmen; auch das werden Sie noch nicht wissen. Neben dem DOSB mit Herrn Weikert und dem Deutschen Behindertensportverband werden alle relevanten Stakeholder angesprochen und vor Ort sein. Das Wichtigste wird sein: Wir werden als Ergebnis des Bewegungsgipfels ganz konkrete Ziele und Verpflichtungen für alle Beteiligten formulieren. Sie sehen also: Die von Ihnen aufgeführten Vorschläge sind zwar gut gemeint, aber ehrlich gesagt: Wir als Ampel brauchen keine Nachhilfe in Sachen Sport, Bewegung und Gesundheit. ({4}) – Nein, die brauchen wir nicht. Ich habe jetzt leider nur noch 30 Sekunden Redezeit und will hier keine weiteren Gräben aufreißen. Ich denke, im Sportausschuss brennen wir alle für die Sache. Im Herzen tragen wir den Sport alle mit uns. ({5}) Wir sind unheimlich kompetent. Wir haben unter anderem Olympiasieger in unserem Ausschuss. ({6}) Ich möchte eigentlich, dass die Stimmung in diesem Gremium besser wird. Zum Schluss möchte ich noch einmal sagen: Wie wichtig Sport auch gerade für Kinder und Jugendliche ist, sehen wir daran, dass der Breitensport die Grundlage des Leistungssportes ist. Und der letzte Satz sagt alles: Zum ersten Mal seit 16 Jahren hat der Deutschland-Achter das Finale bei einer Weltmeisterschaft nicht erreicht. Das ist ein Zeichen dafür, dass wir für den Leistungssport, aber natürlich auch für den Breitensport etwas tun müssen. Danke. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Fritz Güntzler das Wort. ({0})

Fritz Güntzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004285, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer auf den Rängen! Ich finde es gut, dass wir wieder einmal über den Sport debattieren. Ich glaube, wir können gemeinsam feststellen, dass über den Sport hier im Plenum viel zu selten gesprochen wird. Von daher mag man unseren Antrag beurteilen, wie man will. Aber ich glaube, dass wir hier über Sport reden, ist schon ein Erfolg für sich. ({0}) Die aktuelle Lage des Sportes sollte uns alle interessieren. Der Sport in Deutschland ist ein wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft und unseres gesamten Zusammenlebens. Ein paar Zahlen: Wir haben 87 600 Sportvereine, in denen 23,4 Millionen Menschen engagiert sind. Man sollte nicht vergessen: Über 8 Millionen Menschen sind darüber hinaus ehrenamtlich engagiert, sei es als Vorstandsmitglied, als Übungsleiter oder anderweitig. Nach Berechnungen des DOSB werden fast 500 Millionen Arbeitsstunden pro Jahr ehrenamtlich geleistet. Ich finde, das ist ein Dankeschön an die Ehrenamtlichen wert, meine Damen und Herren. ({1}) Die Coronapandemie – Kollege Dr. Wollmann hat darauf hingewiesen – hat die gesamte Gesellschaft vor große Herausforderungen gestellt, natürlich auch den Sport. In Schulen, Vereinen, Fitnessstudios konnte man nicht mehr Sport treiben wie bisher. Das blieb nicht ohne Auswirkungen. Darüber haben wir uns im Sportausschuss mehrfach unterhalten. Mitgliederrückgänge sind nicht in dem Umfang entstanden wie befürchtet, aber doch gerade bei jungen Menschen sehr hoch. Von daher ist es, glaube ich, unser Augenmerk wert, dass wir hier gegensteuern. Gerade der Bewegungsmangel bei jungen Menschen hat nach Studien um 44 Prozent zugenommen. Wir haben feststellen können, dass der Schwimmunterricht nicht mehr im bisherigen Maß stattfindet. Es ist fast halbiert worden. Der Behindertensportverband hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass fast nur noch 55 Prozent der Menschen mit Behinderung Sport treiben. Das alles sind Zahlen, die uns nicht glücklich machen. Von daher müssen wir handeln. Wir sollten gemeinsam handeln. Der Bewegungsgipfel, der nicht nur von uns gefordert wird, sondern auch vom Deutschen Olympischen Sportbund, ist nicht das alleinige Instrument, aber ein Instrument. Wir sind froh – Herr Kollege, Sie haben schon darauf hingewiesen –, dass die Opposition so wirkt. Wir hatten das Gefühl, dass Sie zwar angekündigt haben, aber dass nichts geschah. Wir haben jetzt erstmals öffentlich gehört, wann dieser Gipfel stattfinden soll. Von daher finde ich es gut, dass unser Antrag dazu geführt hat, dass im Innenministerium doch ein bisschen Bewegung aufgekommen ist; denn bis jetzt hat der Sport dort, glaube ich, noch nicht die Rolle gespielt, die er eigentlich verdient hätte. Von daher freuen wir uns über den Gipfel, und wir freuen uns, dass unser Antrag in diesem Sinne Erfolg gehabt hat. ({2}) Das hätte auch alles schon früher kommen können. Wir haben viel Zeit verloren. Ich glaube schon, dass der Antrag bezüglich der Erwartungshaltung an einen solchen Gipfel hilfreich sein kann, „Konzertierte Aktion“ wird es bei Ihnen ja auch oft genannt. Wir müssen uns ein klares Lagebild mit allen Betroffenen machen, wir müssen die Handlungsfelder definieren. Der DOSB hat Vorschläge gemacht und schon einmal neun Handlungsfelder benannt. Wir müssen – und das ist mir am wichtigsten – auch konkrete Lösungsansätze erarbeiten; denn wir wollen, dass Deutschland sich wieder mehr bewegt. Es ist auch in der Anhörung im Sportausschuss deutlich geworden, dass wir hier Nachholbedarf haben. Wir hatten in den 70er-Jahren eine Trimm-dich-Bewegung. Daran könnten wir wieder ansetzen. Es gibt erste Ideen, und das sollten wir unterstützen; denn wir sind die, die die Rahmenbedingungen schaffen können. Wir müssen etwas tun. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, Herr Dr. Wollmann: Wenn Sie als Ampelkoalition sagen, Sie brauchten keine Nachhilfe – das hätte ich als Vertreter einer Regierungsfraktion auch immer gesagt –, dann ist das nicht Ausdruck einer ehrlichen Analyse. Ich glaube, Sie bleiben hinter den Erwartungen gewaltig zurück. Im Koalitionsvertrag lese ich, dass es einen Entwicklungsplan Sport geben soll, dass Sie die Sportinfrastruktur weiter fördern wollen. Genau das Gegenteil machen Sie. Sie haben die Mittel für das Sportinfrastrukturprogramm gekürzt. ({3}) Sie nehmen den Kommunen die Gelder. Sie machen genau das Gegenteil von dem, was Sie im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Daher bitte ich Sie: Machen Sie ein bisschen mehr. Die Nachhilfe ist, glaube ich, angesagt. Sie rühmen sich jetzt mit dem ReStart-Programm nach Corona, einem Neustart, der kommen sollte. Dafür haben Sie lediglich 25 Millionen Euro hinterlegt. Das war der Haushaltsausschuss, nicht einmal diese Bundesregierung. Die Mittel werden zwar von 2022 nach 2023 fortgeschrieben, aber für 2023 ist der Haushaltsansatz null. Sie machen gar nichts, obwohl Sie damals angekündigt haben: Das Geld wird nicht reichen, wir werden etwas drauflegen. – Das muss man nur einmal durchrechnen. Von den 25 Millionen Euro gehen allein 5 Millionen Euro für Werbemaßnahmen drauf; 16 Millionen Euro werden letztendlich bei den Sportvereinen landen. Das sind 67 Cent pro Mitglied in einem deutschen Sportverein. Das ist eigentlich gar nichts. Das ist ein Klacks. Ich bitte Sie – so viel müssen Sie vielleicht aus dem Nachhilfeunterricht mitnehmen –, dass Ihre Haushälter ein wenig mehr Geld drauflegen, damit Sie die Erwartungen, die im Sport da sind, einfach erfüllen. Sie haben also noch erheblich Luft nach oben. Wir werden Sie dabei unterstützen. Denn das eint uns im Sportausschuss: Wir sind alle sportbegeistert. Die einen können auch besser Sport treiben als die anderen. ({4}) Manche sind auch im FC Bundestag aktiv und beweisen jeden Dienstag in der Sitzungswoche, dass sie fußballerisches Können haben. Also: Bewegen wir uns alle. Nutzen Sie die Möglichkeit. Herr Hartewig hatte in der letzten Debatte darauf hingewiesen, dass es einen Lauftreff für Abgeordnete gibt. Das gilt auch für uns. Auch wir Abgeordnete sollten uns hier und da ein bisschen mehr bewegen. Herzlichen Dank. Ein schönes Wochenende. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Abgeordnete Philip Krämer hat nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. ({0})

Philip Krämer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005114, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich muss als Vorbemerkung sagen: Ich finde die Sportpolitik immer sehr angenehm, weil wir alle gemeinsam daran arbeiten, den Sport voranzubringen. Das ist im Verhältnis zu anderen Politikfeldern echt gut. Ich freue mich auf weitere Auseinandersetzungen, weil wir natürlich im Kern doch unterschiedliche Ansichten haben. Liebe Sportpolitiker der CDU/CSU-Fraktion – das wird Sie jetzt nicht verwundern –, Ihr Antrag „Bewegungsgipfel jetzt ausrichten – Deutschland durch Sport gesünder machen“ vom 5. Juli ist eher eine Bestätigung für die Sportpolitik der Ampel und der Regierungskoalition. ({0}) Im Juni, also schon vor der Antragstellung, hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser bereits den Bewegungsgipfel ausgerufen und am letzten Montag auch terminiert. Ich glaube, das ist ein gutes Vorgehen. Die Bundesregierung wird ihn – das haben wir eben auch gehört – am 13. Dezember ausrichten. Die finale Planung ist angelaufen. Es werden vier Ministerien und auch der Deutsche Olympische Sportbund daran teilnehmen. Dementsprechend gehe ich davon aus, dass das auf einem guten Weg ist. Aber das haben Sie anscheinend auch verpasst, genauso wie Sie leider auch viele Gelegenheiten im Sportbereich in den letzten Jahren verpasst und vergeben haben: Bei dem Bewegungsgipfel im Dezember wird es um die Zukunft des Sports und den Ausbau von Strukturen im Breitensport gehen. Wir legen dabei ein besonderes Augenmerk darauf, wie wir Menschen, ob weiblich, männlich, divers, ob jung oder alt, ob mit oder ohne Einschränkungen, für Sport und Bewegung stärker begeistern können. Wir werden ressortübergreifend, über vier Ministerien hinweg, eine Gesamtstrategie entwickeln. Das ist beschlossene Sache. ({1}) Wir werden dabei einen besonderen Fokus auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen legen. Das ist mir hier auch noch sehr wichtig. Das, was Sie im Antrag schreiben, stimmt ja: Die Menschen in Deutschland treiben weniger Sport. Studien zeigen: 44 Prozent der Kinder bewegen sich seit der Pandemie weniger. Daran müssen wir gemeinsam über die verschiedenen Ebenen hinweg arbeiten. Aber wir haben im Blick, wie stark und wichtig der Einfluss des Sports auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist. Wir haben im Blick, wie herausragend die gesellschaftliche Bedeutung von Sport ist, wie sehr Sport den sozialen Zusammenhalt fördert, die Integration und Inklusion vorantreibt. Wir stellen durch das Programm ReStart insgesamt 25 Millionen Euro bereit, um das Vereinsleben und die ehrenamtlichen Strukturen in den Vereinen nach Corona wiederzubeleben. ({2}) Weil wir die Kinder im Blick haben, die besonders in der Pandemie zurückgesteckt haben, wenn es um das Miteinander in Sporthallen und auf Sportplätzen ging, haben wir in der Novelle zum Infektionsschutzgesetz gemeinsam ausgeschlossen, dass pandemiebedingte Schließungen von Sporthallen erfolgen müssen. Das ist ein gutes Zeichen für die Menschen, insbesondere für die Kinder und Jugendlichen in den Sportvereinen. ({3}) Dabei ist aber der Bedarf an Sanierung und Neubau – Sie hatten es ja angesprochen, und wir sprechen es sicherlich in jeder Rede zur Sportpolitik an – unbestritten. Insbesondere der Umbau hin zu klimaneutralen und ‑positiven Gebäuden wird eine Generationenaufgabe sein, die gerade für finanzschwache Kommunen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten eine große Herausforderung darstellt. Dennoch – das muss man, glaube ich, doch noch mal deutlich machen – waren die Investitionen des Bundes für die Sportstätteninfrastruktur im Jahr 2022 auf dem höchsten Stand aller Zeiten. Von daher ist es schon verwunderlich, dass die CDU/CSU-Fraktion in 16 Jahren ({4}) offenbar einen Sanierungsstau hat anwachsen lassen ({5}) und dessen Beseitigung in wirtschaftlich schweren Zeiten nun der jungen Koalition anlasten möchte. Das ist tatsächlich, glaube ich, was man unter Haushaltsehrlichkeit versteht: Wenn man denn auf der einen Seite mehr Geld, eine relativ große Summe, fordert, dann muss man auf der anderen Seite auch deutlich machen, wo man dieses Geld einsparen will, und das ist in wirtschaftlich schweren Zeiten genau die Kunst von Haushaltsführung. ({6}) Wir als grüne Fraktion wissen aber, dass Sport einen festen Platz in unserer Gesellschaft hat. Darum muss er – für alle – nachhaltig gefördert werden. In diesem Jahr nehmen wir etwa mit dem Bundesprogramm „Sanierung kommunaler Einrichtungen in den Bereichen Sport, Jugend und Kultur“ die klimagerechte Sanierung und Modernisierung kommunaler Einrichtungen in den Bereichen Sport, Jugend und Kultur in den Fokus und unterstützen hier mit 476 Millionen Euro. Das wird möglicherweise im Haushaltsverfahren – wir werden entsprechende Debatten führen – noch etwas ausgebaut werden können. Mit diesem Programm werden Projekte unterstützt, die vorbildhaft hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit sind. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf Sportstätten und insbesondere auf Schwimmbädern, da hier ein besonderer Sanierungsbedarf existiert. Ich freue mich, dass wir etwa mit den Special Olympics World Games 2023 oder auch der EURO 2024 – vielleicht sogar in einigen Jahren mit Olympischen und Paralympischen Spielen – in den nächsten Jahren spannende Sportgroßveranstaltungen in Deutschland haben werden. Wichtig ist mir aber, dass diese Veranstaltungen auch immer mit einer Unterstützung des Breitensports einhergehen müssen. Das bedeutet, dass einerseits die vielen Vereine und Aktiven in die Vorbereitungen einbezogen werden, dass andererseits aber auch nicht nur Investitionen in den Spitzensport, sondern eben auch in die vielen Sportstätten des Breitensports in den Kommunen mitgedacht werden. Sportgroßveranstaltungen als Motor des gesamten Sports zu verstehen, das könnte auch zu mehr Akzeptanz in der breiten Gesellschaft führen. Liebe Union, wie Sie sehen: Wir haben das Problem im Blick. Wir werden der aktuellen Entwicklung entgegensteuern und Versäumtes aufholen. Und wir möchten die Bedingungen für alle Sporttreibenden in Deutschland verbessern. Und darum werden wir die Mittel bereitstellen, um den Sport und auch die Menschen im Ehrenamt, die ihn tragen, zu unterstützen. Der Bewegungsgipfel wird im Dezember aber, wie angekündigt, stattfinden. Und wir kämpfen an vielen Stellen gemeinsam mit Verbänden, Organisationen, Vereinen, aber auch eben mit der Opposition – es ist mir, wie gesagt, sehr wichtig, das noch einmal zu betonen –, um die Sportbedingungen in diesem Land zu verbessern. Sie können uns dabei gerne unterstützen. Ihren Antrag im Konkreten benötigen wir dafür aber nicht. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die AfD-Fraktion erhält nun der Abgeordnete Jörn König das Wort. ({0})

Jörn König (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004788, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Sportler! Als Vorbemerkung: Wir begrüßen es auch sehr, dass der Sport, unter anderem durch diesen Antrag, jetzt so häufig Thema im Plenum ist, und freuen uns, dass wir auch heute darüber reden können. Aber eines steht mal fest: Die Union hat ein schlechtes Gewissen. ({0}) Die unionsgeführte Regierung hat in den Pandemiejahren die Grundrechte ohne jede Datengrundlage eingeschränkt. Sie haben damit massiv das Sporttreiben und auch den Schulsport verhindert. Ich zitiere den Corona-Expertenrat: Eine Ermächtigung des Gesundheitsministeriums, um von anderen Gesetzen abzuweichen, ist verfassungswidrig. – Gestern hatten wir von Ihnen die beiden Anträge im Plenum zu „pandemiebedingten Lernrückständen“, die eigentlich „Lernrückstände durch verfassungswidrige Maßnahmen“ hätten lauten müssen. Heute nun wollen Sie „Deutschland durch Sport gesünder machen“; jedenfalls schreiben Sie das in Ihrem Antragstitel. Wie soll das gehen? Es soll ein sogenannter Bewegungsgipfel stattfinden. Wie gesagt: Sie, die Union, werden geplagt von schlechtem Gewissen. Jetzt kommen Sie mit lauter Anträgen ins Plenum, um Ihr Versagen in der Coronamaßnahmenzeit zu reparieren. ({1}) Ihr Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn hat sogar ein Buch geschrieben über seine – ich zitiere die „Welt“ – „zahlreichen Fehler“ in der Pandemie. ({2}) Das vermeidbare Versagen der Union ist zu kritisieren und zu verdammen. Die Kurskorrektur zur Reparatur ist ausdrücklich zu begrüßen. Denn fehlendes Vermögen zur Umkehr auch bei völligem Versagen, das war das Hauptmerkmal während der lähmenden Merkel-Zeit. ({3}) Dem Antrag „Bewegungsgipfel jetzt ausrichten“ werden wir zustimmen; denn er ist, wie gesagt, der richtige Versuch, die inzwischen jahrzehntelange Vernachlässigung des Sportes zu reparieren. Endlich – endlich! – hat auch das Innenministerium bestätigt, dass ein Bewegungsgipfel im Dezember stattfinden wird. Viel besser aber und viel weitreichender als die Reparatur mit lauter Einzelmaßnahmen, wie die Union es im Antrag vorschlägt, wäre jedoch eine umfassende Stärkung des gesellschaftlichen Stellenwerts des Sports in Deutschland. Wäre Sporttreiben so angesagt wie zum Beispiel in den 80er- oder 90er-Jahren, dann hätten wir viele der heutigen Probleme erst gar nicht. Sport stabilisiert den Bewegungsapparat, beugt Krankheiten wie Knochenschwund, Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes vor. Gesundheitsvorsorge durch Sport wird immer wichtiger; denn der Altersdurchschnitt der Deutschen steigt im Zuge des demografischen Wandels. Schätzungen zufolge können mit 1 investierten Euro in den Sport 3 Euro bei den Gesundheitskosten gespart werden. Sportliche Aktivitäten, besonders im Sportverein, sind gut für die Persönlichkeitsentwicklung gerade junger Menschen. ({4}) Dabei werden neben grundlegenden kulturellen Werten auch klassische Tugenden wie Geradlinigkeit, Gerechtigkeitssinn, Ehrlichkeit, Disziplin, Pünktlichkeit, Ordnungssinn, Fleiß und Pflichtbewusstsein vermittelt. ({5}) Mannschaftssportarten sind ideal geeignet, um ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln. Aktivitäten in Sportvereinen verbinden Menschen unterschiedlichster sozialer oder auch ethnischer Herkunft. Nichts eint so sehr wie gemeinsame Aufgaben, Ziele und Erfolge. Genau deshalb hat die AfD-Fraktion einen Antrag mit dem Titel „Stärkung des gesellschaftlichen Stellenwerts des Sports“ beigestellt. Er ist Teil unserer Antragsserie „Sportnation Deutschland“, in der wir breite und umfassende Vorschläge für eine Wiedergeburt des fast totgesparten Sportes vorlegen werden. ({6}) Wie Sportpolitik also richtig geht, können Sie bei der Alternative für Deutschland lernen. Allein in dieser Wahlperiode, die gerade mal ein Jahr alt ist, haben wir insgesamt 14 Sportanträge eingebracht. Schreiben Sie einfach bei uns ab! Da können Sie noch was lernen! Sport frei und vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Philipp Hartewig für die FDP-Fraktion. ({0})

Philipp Hartewig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Sportfreunde! Die sportliche Betätigung eines jeden Einzelnen kann ganz unterschiedlich aussehen, ob als Einzel- oder Mannschaftssport, ob organisiert im Verein oder bei der gemeinsamen Feierabendrunde, ob in Sporthallen, draußen auf Anlagen oder im Wald. Sport ist der Spaß an der Bewegung, an neuen Herausforderungen und manchmal auch die Begeisterung am Wettkampf. Sport in seiner ganzen Vielfalt und Faszination fördert Gesundheit, Wohlbefinden und Zusammenhalt. Er hat große Bedeutung für alle Generationen in unserem Land. Die vergangenen Jahre waren für den Sport, insbesondere unter den coronabedingten Einschränkungen, besonders hart, und die Situation ist – auch im Hinblick auf die aktuelle Energiesituation – sehr belastend. Mit den aktuellen Erkenntnissen und im Rückblick auf die vergangenen zweieinhalb Jahre muss die Politik aber auch so ehrlich sein und sagen: Viele der sportbezogenen Maßnahmen waren falsch und kontraproduktiv. ({0}) Sportstättenschließungen waren in den letzten beiden Wintern mit das Schlimmste, was man machen konnte. Die Auswirkungen davon sind immens und werden uns noch lange beschäftigen. Daher ist es umso wichtiger, jetzt noch mal zu betonen: Die Bundesländer können keine Sportstättenschließungen aufgrund von Corona mehr vornehmen. Auch hier hat die Koalition einen Pflock eingeschlagen. Das ist ganz wichtig für den Sport. Und das ist ein wichtiges Signal an alle Vereine in diesem Land. ({1}) Sport ist hinsichtlich seiner positiven Auswirkungen eine echte Querschnittsmaterie. Daher haben Sie, Herr Kollege Güntzler, zu Recht nicht nur in Ihrem Antrag, sondern auch in Ihrer Rede thematisiert, dass wir das als Querschnittsaufgabe denken müssen, und das werden wir auch tun. Der für Dezember geplante Bewegungsgipfel soll mehr als nur ein gutes und wichtiges Signal für mehr Bewegung in Deutschland sein. Wir werden ressortübergreifend mit den Ministerien die Maßnahmen zur Förderung eines aktiven Lebens in der Bevölkerung abstimmen. Wir werden uns – Kollege Wollmann hat es zutreffend gesagt – bereits nächste Woche als Sportausschuss gemeinsam mit dem Gesundheitsausschuss austauschen. Ich freue mich schon auf den Austausch und auf die Expertise unseres gemeinsamen Sachverständigen Professor Wohlfarth. ({2}) Tragpfeiler einer vitalen Gesellschaft ist aber auch vor allem der organisierte Sport. Der organisierte Sport ist auch für mehr Bewegung in Deutschland starker Verbündeter. In jeder Gemeinde findet sich mindestens einer der 85 000 Sportvereine. Der lokale Sportverein ist Anlaufpunkt für nach Gemeinschaft und Bewegung suchende Menschen jeden Alters. Denn dass sich so viele Menschen unter den 23 Millionen Mitgliedern in Sportvereinen sportlich betätigen können, liegt insbesondere an den Ehrenamtlichen vor Ort. Ob Trainer, Platzwart, Fahrer für Auswärtsspiele, Camp-Organisator oder in der Vorstandsarbeit – sie alle machen den Vereinssport erst so richtig möglich. Ihnen bzw. euch gilt es zu danken. Wir als Koalition wissen um den Wert des Ehrenamts und verstehen es auch als gemeinsame Aufgabe, die Rahmenbedingungen im Ehrenamt zu verbessern. Denn ihr bringt Deutschland erst richtig in Bewegung. ({3}) Es gibt aber noch einen anderen großen Bereich, der in der Debatte um Sport und Bewegung oft zu kurz kommt und der insbesondere in den letzten Jahren besonders drangsaliert wurde: Das ist die gesamte Fitnessbranche. Nicht nur im Vereinssport, sondern auch in den Tausenden Fitnessstudios gibt es teils rund um die Uhr beste Bedingungen für körperliche Bewegung. Hinter den rund 10 Millionen Mitgliedern in Fitnessstudios in Deutschland stehen meist mittelständische Studioinhaber, Personal Trainer, Hersteller modernster Geräte für vielfältigen und individuellen Fitnesssport. Die ganze Branche sprüht vor Innovationen. In individuellen Terminen und Kursangeboten wird in den Studios nicht nur bei Verletzungen oder körperlichen Leiden rehabilitiert, Fitnessstudios sind für Millionen Menschen auch wichtige Alltagsbegleiter für körperliches und mentales Wohlbefinden und letztlich eine weitere tragende Säule in der Gesundheitsprävention. Sportvereine und Fitnessbranche sind zusammen Verbündete und wichtige Partner bei unserem gemeinsamen Anliegen. Wie auch andere sind sie derzeit durch die aktuellen Energiepreise erheblich belastet. Ich möchte an dieser Stelle an uns in diesem Haus appellieren, bei weiteren möglichen Maßnahmen, bei Diskussionen darüber, insbesondere die Lage des Sports stärker zu berücksichtigen. Denn der Sport stärkt auch in Krisenzeiten. ({4}) Zum Abschluss noch zwei Bemerkungen. Als Erstes – passend zum heutigen #BeActive Day als Start der Europäischen Woche des Sports – der Hinweis, dass an vielen Orten in den kommenden Tagen spezielle Mitmachangebote auch an öffentlichen Plätzen stattfinden – eine gute Gelegenheit, um zusammenzukommen und vielleicht eine neue Sportart zu finden. Und zuletzt noch der Appell an uns selbst: Schützen wir den Sport, stärken wir den Sport, und gehen wir selbst sportlich als Vorbilder voran. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. André Hahn für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Weg in die Opposition hat der CDU/CSU offenbar geholfen, über die Ausrichtung des Sports tatsächlich mal ernsthaft nachzudenken. In Ihrem Antrag steht viel Richtiges, auch manches, was Die Linke seit Jahren fordert. Deshalb werden wir dem Antrag auch zustimmen. Der Bewegungsgipfel soll nun endlich am 13. Dezember dieses Jahres stattfinden. Ich habe gehört, dass die Vorbereitungen dafür in Hinterzimmern bereits im Gange sind. Ich meine, es gibt gute Gründe, nicht nur die Koalitionsfraktionen, sondern den gesamten Sportausschuss an diesem Prozess inhaltlich zu beteiligen. Denn die aktuellen Probleme und Herausforderungen im Sport können wir nur gemeinsam bewältigen. ({0}) Im Koalitionsvertrag gibt es eine Reihe von Ankündigungen und Versprechungen im Bereich des Sports, die wir als Linke unterstützen. Nur, klar ist auch: Das, was die Ampel bislang geliefert hat, ist einfach zu wenig. ({1}) Grund dafür sind mitnichten nur weltpolitische Entwicklungen. Hier geht es auch um hausgemachtes Versagen. Aus Sicht der Linken darf es nicht wieder passieren, dass – wie schon während der Coronapandemie – flächendeckend Sportstätten und insbesondere Schwimmbäder geschlossen werden. Dass der Sport in den bisherigen drei Entlastungspaketen – oder Päckchen, muss man ja sagen – keine Rolle spielt, ist ein Armutszeugnis für diese Bundesregierung. Ohne den Antrag der Linken, das Thema Energiekrise endlich auf die Tagesordnung des Sportausschusses zu setzen, würde sich die Koalition gern weiter um diese gravierenden Probleme herumdrücken. Jetzt steht das Thema am 9. November auf der Tagesordnung. Im Übrigen rächen sich jetzt auch die viel zu geringen Investitionen in die energetische Sanierung der Sportstätten. Der Bund muss hier endlich einen wirksamen Beitrag mit mindestens 1 Milliarde Euro pro Jahr in den kommenden zehn Jahren leisten. ({2}) Die Vorschläge der Linken dazu liegen auf dem Tisch. Kurz noch zum Programm „Neustart nach Corona“; Kollege Güntzler hat ReStart angesprochen. Die dafür vorgesehenen Mittel in Höhe von 25 Millionen Euro werden definitiv nicht ausreichen. Das ist knapp 1 Euro pro Mitglied im DOSB. Das ist zu wenig. ({3}) Der Bewegungsgipfel im Kanzleramt darf keine Alibiveranstaltung bleiben. Wir erwarten dort verbindliche Zusagen zur Unterstützung des organisierten Sports in den aktuellen Krisenzeiten. Mein CSU-Kollege Stephan Mayer hat im Sportausschuss gefragt, ob die von Herrn Habeck angekündigten Hilfen für kleine Unternehmen auch für die Sportvereine gelten. Eine Antwort der Regierung hat er nicht bekommen. ({4}) Der Antrag von CDU/CSU greift, wie eingangs gesagt, viele Punkte auf, die wir seit Langem fordern. Deshalb haben wir kein Problem damit, einem vernünftigen Vorschlag der Union zuzustimmen. Vielleicht wäre es ganz sinnvoll – letzter Satz –, wenn auch die Union endlich ihre Verweigerungshaltung aufgeben würde und einem der vielen guten Anträge der Linken auch mal zustimmt. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Bettina Lugk das Wort. ({0})

Bettina Lugk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005135, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Opposition hat uns in ihren Anträgen deutlich skizziert, welche Probleme sie momentan in der Sportpolitik dieses Landes sieht. Während Sie noch Anträge schreiben, sind wir längst bei der Lösung der Probleme; die Aussage dürfte Ihnen bereits bekannt vorkommen. ({0}) Natürlich gibt es Herausforderungen, die noch nicht gelöst sind; denn wir leben offenkundig in schwierigen Zeiten. Zwischen dem Beschluss des Koalitionsvertrages und dem heutigen Plenarbeitrag hat sich vieles verändert, und klar: Wir wollen sicherlich an der einen oder anderen Stelle weiter sein, stellen uns aber der Realität. Der Kollege Wollmann und der Kollege Krämer haben bereits ausgeführt, wie es sich mit dem Bewegungsgipfel verhält. Hier setzen wir etwas um, und zwar gemeinsam mit der Bundesregierung und den Ländern. Doch es gibt auch viel Gutes, auf das wir heute stolz sein können. Im nächsten Jahr begrüßen wir hier in Berlin eines der größten Sportfeste der Welt: die Special Olympics World Games mit 7 000 Athletinnen und Athleten, 20 000 Volunteers und internationalen Delegationen, die wir in 216 „Host Towns“ empfangen werden. Schon in diesem Jahr haben wir mit den European Championships in München eine Sportveranstaltung von internationaler Bedeutung zu Gast gehabt: neun Sportarten mit 4 000 Athletinnen und Athleten aus mehr als 50 Ländern. 1,4 Millionen Sportbegeisterte waren im Publikum, in den Stadien und erzeugten eine extrem motivierende Atmosphäre. Ich finde, das ist eine großartige Bilanz, die sich sehen lassen kann. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die European Championships haben weit über die Stadien und die Wettkampfstätten hinaus gewirkt. 27,1 Millionen Menschen haben sich allein in der ARD die Wettkämpfe angeschaut. Athletinnen wie Malaika Mihambo und Gina Lückenkemper sind für noch mehr Menschen ein Vorbild geworden, besonders für Kinder und Jugendliche, die jetzt davon träumen, an großen Sportwettkämpfen teilnehmen zu können und vielleicht sogar eines Tages auf einem Treppchen stehen zu dürfen. Ein sportbegeisterter Vater erzählte mir kürzlich in München von genau dieser Vorbildfunktion des Spitzensportes. Nachdem die ganze Familie Leichtathletik im Fernsehen geschaut hatte, übte der Sohn gleich: Er sprang mit Anlauf und vollem Karacho aufs Sofa. So entsteht eine Dynamik, in der Leistungs- und Spitzensport zusammenspielen. Wenn unsere Spitzensportlerinnen und Spitzensportler erfolgreich sind, dann motiviert das unseren Nachwuchs, ebenfalls aktiv zu werden. Und je mehr Kinder und Jugendliche Sport treiben, desto besser steht es um die Zukunft unserer Leistungskader in 5, 10 oder 15 Jahren. Die Breite braucht die Spitze, und der Spitzensport braucht den Breitensport. ({2}) Deshalb arbeiten wir daran, auch in der Breite bessere Voraussetzungen zu schaffen. Die Kollegen sind bereits auf das Programm „ReStart“ im Sport eingegangen, mit dem wir die Vereine bei der Wiederaufnahme von Aktivitäten nach zwei Jahren Coronapandemie aktiv unterstützen wollen; denn es muss wieder attraktiver sein, Kinder und Jugendliche in den Vereinen zu trainieren – klar, weil uns die sportliche Betätigung der Jüngeren am Herzen liegt; aber auch, weil hier Inklusion und Integration gelebt werden und wir so auch neue Talente entdecken können, die in absehbarer Zeit die paralympische oder olympische Weltspitze erreichen können. ({3}) Auch in den Schulen müssen wir Kinder und Jugendliche wieder mehr in Bewegung bringen, auch durch eine intensivere Zusammenarbeit der Schulen, Sportvereine und Verbände. Gerade die Schulen bieten eine Möglichkeit, Kinder und Jugendliche mit Sportarten in Kontakt zu bringen, die in den Medien leider weniger häufig präsent sind. Hier ist das Ganztagsschulkonzept, das in vielen Ländern verfolgt wird, eine Chance. So können wir in allen olympischen und nichtolympischen Sportarten eine breitere Basis aufbauen, gerade im Jugendbereich. In diesem Zusammenhang ist mir eine Sache noch ganz besonders wichtig. Neben den vielen wunderbaren Sportarten, die man ausüben und ausprobieren kann, gibt es eine Fähigkeit, die aus meiner Sicht alle Kinder erlernen müssen: Das ist das Schwimmen. Wer als Kind Schwimmen lernt, erfährt, dass Motivation, Fleiß und Ausdauer sich lohnen, dass es etwas bringt, an Dingen dranzubleiben, auch wenn es manchmal schwierig ist. Und wer schwimmen gelernt hat, kann später Leben retten, sein eigenes, aber vielleicht auch das anderer Menschen. ({4}) Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft und andere Vereine der Wasserrettung haben seit Beginn der Pandemie mit Problemen zu kämpfen gehabt, angehende Rettungsschwimmerinnen und Rettungsschwimmer auszubilden. Dies trifft gleichzeitig auf den Umstand, dass viele Kinder nicht an Schwimmkursen teilnehmen konnten, sodass pandemiebedingt ein Rückstand entstanden ist, der aufgeholt werden muss. Darum müssen wir jetzt zusammen mit den Kommunen und den Schwimmvereinen sicherstellen, dass im Zuge der Energiekrise zumindest die Schwimmbäder geöffnet bleiben. Denn wir müssen darauf bestehen, dass jedes Kind in Deutschland, ob mit oder ohne Behinderung, Zugang zu einem Schwimmkurs hat. ({5}) Sehr geehrte Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sport macht uns stärker. Sport bringt uns zusammen. Gerade in Zeiten wie diesen können wir nicht darauf verzichten, den gesellschaftlichen, den gesundheitlichen und den jugendpolitischen Wert des Sports zu schätzen. Lassen Sie uns gemeinsam mit unseren Partnern im Bundesinnenministerium, in den Ländern, in den Kommunen, in den Sportverbänden und Vereinen systematisch und zielorientiert und nicht schnell und kopflos arbeiten, damit der Sport in Deutschland spitze bleibt. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Jens Lehmann das Wort. ({0})

Jens Lehmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mein Herz gehört dem Sport. ({0}) So wie viele andere Menschen treibe ich regelmäßig Sport, um fit zu bleiben und um das körperliche Wohlbefinden zu stärken. Aber ich mache mir große Sorgen um die Sportnation Deutschland. Nicht nur sinkt seit Jahren die Medaillenausbeute bei Olympischen Spielen, obwohl die Anzahl der Wettbewerbe steigt. Auch der Breitensport leidet. 2021 hatten wir knapp 23,4 Millionen Mitglieder in Sportvereinen. Den gleichen Wert hatten wir zum Zeitpunkt meines zweiten Olympiasieges im Jahr 2000. Bis 2020 wuchs die Mitgliederzahl stetig weiter bis zur Rekordzahl von über 24,2 Millionen Vereinsmitgliedern. Wir sind also durch die Coronapandemie um über 20 Jahre zurückgeworfen worden. Das ist ein trauriger Trend, dem wir schnellstens gegensteuern müssen. Als Union haben wir mit den Coronahilfen einen wichtigen Beitrag geleistet. Dank dieser Hilfen sind nur 1 Million Sportfreunde aus den Vereinen ausgetreten. Ohne diese Maßnahmen wären es vermutlich deutlich mehr gewesen. ({1}) Vermutlich würde es auch viele Profisportvereine und ‑ligen nicht mehr geben. Bewegungsmangel ist aber in vielen Bereichen der Gesellschaft ein immer größer werdendes Problem mit all seinen im Antrag beschriebenen Folgen. Das hat verschiedene Ursachen, angefangen bei zu wenig Angeboten in Kitas und Schulen über Barrierefreiheit in Sportstätten und den Föderalismus bis hin zu Corona und zur aktuellen Energiekrise. Deshalb braucht es jetzt einen Bewegungsgipfel mit allen beteiligten Ebenen und Gruppen. Nachdem wir im Frühjahr den Antrag eingebracht haben und ihn heute zur Abstimmung stellen, ist der Ampel überraschenderweise drei Tage vor der heutigen Abstimmung zufällig und natürlich vollkommen losgelöst von unserem Antrag faktisch das Gleiche eingefallen. ({2}) Uns jedoch geht es um die Sache. ({3}) Und wenn Sie demnächst wieder keine Idee haben: Wir helfen gern. ({4}) Als Union begrüßen wir grundsätzlich Ihre Bereitschaft zur Ausrichtung eines Bewegungsgipfels. Aber im Dezember kommt er einfach viel zu spät; er muss jetzt kommen. Denn die Vereine und alle Sportler brauchen angesichts der explodierenden Energiekosten keine Belehrungen. Sie brauchen jetzt Perspektiven für die kommenden Monate und nicht erst im Winter. Werte Kollegen, anstatt Spartipps wie „Jede Kilowattstunde zählt“ zu geben, sparen Sie sich lieber den Atomausstieg bis Ende dieses Jahres, und verschieben Sie den in Richtung 2024, um bis dahin eine stabile und preiswerte Energieversorgung für unsere Sportnation und Industrienation zu schaffen! ({5}) Gesellschaft, Industrie und Sportvereine werden es Ihnen gleichermaßen danken. Werte Kollegen der Ampelfraktionen, halten Sie nicht an der B-Variante unseres Antrages fest, sondern stimmen Sie doch gleich dem Original zu! Jetzt, wie es in unserem Antrag heißt. Jetzt bewegen sich die Leute noch draußen. Schauen Sie doch einfach mal raus auf die Reichstagswiesen! Dort wird gerade der Berlin-Marathon vorbereitet. Wenn ich Ihre rhetorischen Klimmzüge sehe, um irgendeine Begründung zu finden, unseren Antrag abzulehnen, finde ich es einfach nur traurig für den Sport in Deutschland. Auf dem Bewegungsgipfel können Sie beispielsweise erklären, warum Sie den Investitionspakt Sportstätten auslaufen lassen. Sie stellen keine Haushaltsmittel dafür bereit, obwohl Sie im Koalitionsvertrag ankündigen – Zitat – eine „Offensive für Investitionen in Sportstätten von Kommunen und Vereinen“ ausweiten zu wollen. Stattdessen beenden Sie die von der Union eingebrachte Sportstättenförderung. Um mal eine Zahl zu nennen: Der Sanierungsstau bei kommunalen Sportstätten beträgt laut DOSB rund 31 Milliarden Euro. Wenn Sie es ernst meinen mit dem Sport in Deutschland, wenn Sie wollen, dass die Bevölkerung Sport treibt, sich in Vereinen engagiert, sich fit hält, gesünder lebt, dann haben Sie jetzt die Möglichkeit dazu. ({6}) Meine Damen und Herren, stimmen Sie unserem Antrag zu! Lassen Sie uns gemeinsam jetzt den Sport in Deutschland analysieren, vorantreiben und verbessern. Machen wir gemeinsam den Sport wieder attraktiv für die Menschen in Deutschland. Unser Antrag ist schließlich ganz in Ihrem Sinne. Im Koalitionsvertrag haben Sie vereinbart, das Ehrenamt zu fördern, weil es den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt, und betonen dabei die besondere Rolle des Sports. Und Sie kündigen einen „Entwicklungsplan Sport“ an. Bislang haben wir davon noch nicht viel gesehen. ({7}) Aber glücklicherweise können wir alle bei Zustimmung zu unserem Antrag den Auftakt zu diesem Entwicklungsplan Sport machen, indem wir ein umfassendes Lagebild erstellen. Stimmen Sie also unserem Antrag zu! Dann setzen Sie einen Teil Ihres Koalitionsvertrages um. Danke. ({8})

Cansel Kiziltepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004328

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Klimaschutz im Gebäudebereich ist nicht nur eine technische Frage, sondern sie ist zuallererst eine soziale Frage. Wie diese große Aufgabe zu lösen ist, zeigt das Kohlendioxidkostenaufteilungsgesetz. Bisher tragen die Mieterinnen und Mieter den CO2-Preis alleine. Dass das nicht so bleiben kann, haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart. Hier räumen wir einen Konstruktionsfehler ab, den die Union in der letzten Legislatur verschuldet hat. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Ampel haben wir vereinbart, ein Stufenmodell für die Umlage des CO2-Preises einzuführen. Eine faire Lösung zu finden, war viel Arbeit. Vielen Dank an alle beteiligten Ampelressorts! ({1}) Wir haben den Zeitplan eingehalten. Wir haben am 25. Mai dieses Jahres diesen Gesetzentwurf in der Bundesregierung beschlossen, den wir heute hier in erster Lesung beraten. Mit dem vorgesehenen Stufenmodell werden einerseits Mieterinnen und Mieter entlastet und weiterhin zu sparsamem Heizverhalten angereizt. Andererseits gilt es, für Vermieterinnen und Vermieter Anreize zu schaffen, in Energieeffizienz ihrer Gebäude zu investieren. Damit kann der seit 2021 erhobene CO2-Preis bei Wärme endlich seine klimapolitische Lenkungswirkung entfalten, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Die Wirkung wird kurzfristig durch die Folgen des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands überdeckt werden. Die Krise hat massive Auswirkungen auf unsere Energieversorgung und die Energiekosten. Doch wir müssen langfristig denken. Wir dürfen gar nicht erst von Despoten wie Putin erpressbar sein. Auch hierfür liefert das Gesetz einen Beitrag. ({3}) Mit dem CO2-Kostenaufteilungsgesetz wollen wir eine faire Aufteilung der Kosten zwischen Mietenden und Vermietenden schaffen. Die Verantwortung darf nicht einseitig auf den Schultern der Mieterinnen und Mieter abgeladen werden. Das Stufenmodell für Wohngebäude knüpft an den CO2-Ausstoß des vermieteten Gebäudes an. Je niedriger die energetische Qualität eines Gebäudes ist, umso größer ist der Anteil der Vermieterin beziehungsweise des Vermieters und umso kleiner ist der Anteil der Mieterinnen und Mieter an den CO2-Kosten. ({4}) Die Umsetzung kann ohne größeren Aufwand im Rahmen der Heizkostenabrechnung erfolgen. Vermieterinnen und Vermietern werden mit der Brennstoffrechnung alle für die Berechnung erforderlichen Daten an die Hand gegeben. Es ist eine bürokratiearme Lösung für einen sehr komplexen Sachverhalt. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gesetz soll am 1. Januar 2023 in Kraft treten; daran halten wir fest. Gleichzeitig war uns aber auch klar: In der aktuellen Situation sind weitere Energiepreissteigerungen zu verhindern. Wir wollen auch kein Öl ins Feuer gießen, und deshalb haben wir im dritten Entlastungspaket die Anhebung des CO2-Preises verschoben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, darüber hinaus bringen wir weitere Maßnahmen zur Entlastung bei den Heizkosten auf den Weg. Wir zahlen einen zweiten Heizkostenzuschuss und führen in Rekordzeit eine Wohngeldreform in historischem Maßstab durch. ({6}) Wir wollen nämlich die Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen schnell und zielgenau unterstützen; denn sie sind es, die besonders stark von den steigenden Energiepreisen betroffen sind; da möchten wir unterstützend eingreifen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Ulrich Lange für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will das sperrige Wort gar nicht verwenden. Es soll eine faire Aufteilung der CO2-Kosten sein; so will es uns die Ampel glauben machen. Aber was heißt schon fair und gerecht in diesem Zusammenhang? Ich glaube, an dieser Stelle müssen Sie Ihren Gesetzentwurf selber noch mal genau lesen. ({0}) Man sollte nicht damit beginnen, Mieterinnen und Mieter gegen Vermieter auszuspielen. ({1}) Denn es gibt nicht die eine übermächtige Seite, und es gibt nicht den einen, den Guten, und den anderen, den Bösen. ({2}) Ich erlaube mir, darauf hinzuweisen, dass zwei Drittel der Mietwohnungen in privater Hand kleiner Vermieter sind, die Ihren bürokratischen Wahnsinn jetzt bearbeiten müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Wir brauchen keine ideologische Lösung, sondern eine sachgerechte, klimagerechte und bezahlbare. Da zeigt sich natürlich schon der Konstruktionsfehler dieses Gesetzentwurfes, den wir heute in der ersten Lesung diskutieren; denn das Gesetz orientiert sich eben nicht daran, wie gut oder schlecht der energetische Standard des Gebäudes ist, sondern daran, wie viel tatsächlich geheizt wird, also wie viel CO2 ausgestoßen wird. Wird mehr geheizt, auch bei offenem Fenster, übernimmt der Vermieter den höheren Anteil an den CO2-Kosten. Da fehlt die Anreizwirkung, die Sie gerade behauptet haben. Die können wir in diesem Gesetzentwurf tatsächlich nicht erkennen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Die Pflicht zur energetischen Sanierung für den Vermieter müssen Sie natürlich auch entsprechend entlohnen. Da müssen Sie mit investieren. Aber genau die entsprechenden Förderprogramme haben Sie dieses Jahr entweder gekürzt oder gestrichen, ({5}) oder Sie haben es angeblich neu aufgesetzt, und darauf warten wir heute noch. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist keine verlässliche Politik, weder für Vermieter und Vermieterinnen noch für Mieter. So schafft man keinen Wohnraum, so schafft man kein klimagerechtes Bauen. So schafft man kein Zuhause für die Menschen. ({6}) Wie wollen Sie denn mit großen Familien umgehen, mit alten Menschen umgehen, die definitiv einen höheren Wärmebedarf haben? Da wird sich der Vermieter überlegen: Nehme ich den Ein-Personen-Haushalt oder die große Familie? Das sind doch die Dinge. Das, was Sie hier vorgelegt haben, Frau Staatssekretärin, das ist nicht gerecht und fair. Nein, das ist unsozial, es ist kontraproduktiv gegenüber Familien und älteren Menschen. Das ist eigentlich genau das, was Sie versprochen haben, nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Dann kommt ein extrem kompliziertes Zehnstufenmodell über die Brennstoffabrechnung und den Ausweis des Abrechnungsverfahrens. Eingruppierungsstufen müssen dann ermittelt werden, natürlich am Ende mit der Heizkostenabrechnung. Aber schauen Sie sich doch heute schon mal eine Heizkostenabrechnung an: Es kommen zehn Stufen dazu. Und dann machen wir auch noch ein Heizkostenabrechnungsbrennstoffverfahren, am besten noch eine Verordnung dazu; dann wird es richtig gut. Dann haben wir Bürokratie pur und keine wirkliche Anreizwirkung, für keine der Parteien in einem Mietverhältnis. ({8}) Das ist Bürokratie, aber das ist nicht Qualität, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({9}) Da muss ich Sie von der FDP etwas fragen. Wir haben da mal gelesen: „Entbürokratisieren wir das Land.“ Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP; so haben Sie getönt. Das, was Sie jetzt tun, ist die Hyperbürokratisierung des Landes. Sie machen es schlechter, nicht besser damit. ({10}) Sie haben offensichtliche Schwächen in dem Entwurf; das haben sogar schon Ihre Bauminister in den Ländern festgestellt. Schauen Sie sich mal an, was diese Länderminister Ihnen so auf den Weg geben – Lesen bildet. Dazu kann ich Ihnen wirklich nur raten. Wir müssen Vermieter auch dabei unterstützen, zu sanieren und energetisch entsprechend aufzurüsten. ({11}) Klimaschutz geht nicht mit Federstrich und Gesetz; Klimaschutz geht nur mit Investitionen. Und genau da haben Sie seit Januar gröblich versagt, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({12}) Was Sie hier machen, ist keine Politik für bezahlbaren Wohnraum; für 400 000 Wohnungen. Es ist keine Politik für klimagerechtes Bauen. Es ist ideologische Umverteilung. Es ist genau das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Zum Glück gibt es parlamentarische Beratungen. Danke schön. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Rednerin ist Hanna Steinmüller für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Hanna Steinmüller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005230, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lange, Sie sind ein bisschen die Antwort auf die Frage schuldig geblieben, was genau Ihre konkrete Lösung für das Dilemma ist, wie Sie die Kosten fair verteilen möchten. ({0}) Kleine Gedächtnisstütze: Es war Ihre Koalition, die dafür gesorgt hat, dass die Belastungen durch den CO2-Preis momentan zu 100 Prozent von den Mieterinnen und Mietern getragen werden. ({1}) Offen ist, wo das fair ist, wo das energetische Sanierungen anreizen soll. Mir ist es schleierhaft, und ich frage mich, was Ihre konkreten Vorschläge sind. Die sind Sie leider schuldig geblieben. ({2}) Unser Ziel ist klar: Wir wollen mehr energetische Sanierung; denn je besser das Haus saniert ist, desto niedriger ist der Energieverbrauch. Damit sind Mieterinnen und Mieter am Ende auch unabhängiger von steigenden Preisen. Deswegen ist es eine wichtige Maßnahme, dass wir energetische Sanierung anreizen. ({3}) Dabei nehmen wir Vermieterinnen und Vermieter in die Pflicht; das stimmt. Niemand zwingt eine Vermieterin oder einen Vermieter, dafür zu sorgen, dass das Haus schlecht saniert bleibt; das kann man ändern. Dafür gibt es Fördermittel; die wurden auch nicht gestrichen. ({4}) Das, was strittig war, ist die Neubauförderung. Sanierung ist immer durchfinanziert. Sie können natürlich weiter vor sich hin murmeln; aber Sie sollten schon die Realitäten annehmen. ({5}) Unser Ziel ist, dass es eine energetische Sanierung gibt. Von daher der Appell: Nutzen Sie die Förderungen. Das Klima und die Mieter/-innen danken Ihnen. Die Beratungen zum Gesetzentwurf laufen schon. Es gibt aus unserer Sicht noch einige offene Fragen; aber dafür gibt es ja die Beratungen. Da bleibt noch die Harmonisierung der Stufen, also die Gleichbehandlung der besten und der schlechtesten Häuser. Wir fordern einen Onlinerechner, damit es für die Kleinvermieter, die Sie ja immer erwähnen, einfacher ist, das Ganze nachzurechnen, und damit es für die Mieterinnen und Mieter auch transparent ist, wie die Kosten zusammenkommen. Wir fordern – da besteht schon Einigkeit – eine Verlängerung der Fristen für die Selbstversorger; auch die haben Sie erwähnt. Das haben wir bereits gelöst. Wir müssen auch noch mal diskutieren über Ausnahmen beim Milieuschutz und beim Denkmalschutz. ({6}) – Deswegen gibt es ja gesetzliche Beratungen. Wäre ja langweilig, wenn man immer alles durchnicken müsste. ({7}) Also, mit dem Gesetzentwurf bringen wir Klimaschutz und Mieter/‑innenschutz zusammen. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen. Vielen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Marc Bernhard spricht für die AfD-Fraktion. ({0})

Marc Bernhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004669, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor man eine Steuer einführt, (Hanna Steinmüller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Steuer! sollte man erst mal prüfen, ob die Menschen sie überhaupt bezahlen können. Unzählige Male habe ich hier im Deutschen Bundestag vor der Einführung der CO2-Steuer darauf hingewiesen, dass viele Millionen Menschen die Steuer eben nicht bezahlen können. ({0}) – Ja, warum sind wir denn sonst hier? Wenn sie sie alle bezahlen könnten, dann wären wir nicht hier. Ja, also sie können sie offensichtlich nicht bezahlen. – Seitdem sind die Mieten, die Heizkosten, die Stromkosten, die Lebensmittelkosten, die Spritpreise immens gestiegen. Bereits im letzten Jahr mussten 7,4 Millionen Menschen in ihren Wohnungen frieren, 400 000 Haushalten wurde der Strom abgestellt, und mehr als 60 Prozent der Menschen können keinen einzigen Cent mehr für die Jahresabrechnung der Nebenkosten zurücklegen. Die wissen also heute schon, dass sie im Januar die Nachzahlung gar nicht leisten können. Anscheinend haben Sie jetzt auch gemerkt, dass Ihre Politik mit Ihrer verkorksten Energiewende die Mittelschicht direkt in den Bankrott treibt. ({1}) Und jetzt wollen Sie mit Ihrem Kohlendioxidkostenaufteilungsgesetz – welcher Sprachakrobat hat sich eigentlich dieses Wortungetüm ausgedacht? - ({2}) den Leuten wahrscheinlich vorgaukeln, dass Sie sie mit diesem Gesetz wirklich entlasten wollten bei der CO2-Steuer. Aber tatsächlich machen Sie doch nur eins: Sie verschieben die Belastung von einer Bevölkerungsgruppe auf die andere: von den Mietern zu den Vermietern, von denen über 60 Prozent Kleinvermieter sind, die allermeisten über 60 Jahre alt, und die bessern sich durch diese Miete ihre Rente auf. Diese Menschen, die in der Regel über 40 Jahre lang gearbeitet haben, ihre Steuern bezahlt haben, Sozialabgaben geleistet haben und damit unser Land am Laufen gehalten haben, bestrafen Sie jetzt mit diesem Gesetz auch noch dafür, dass sie ihre Ersparnisse dafür verwendet haben, den dringend benötigten Wohnraum in unserem Land zu schaffen. ({3}) Sie zwingen mit diesem Gesetz diese Kleinvermieter dazu, Wohnungen entweder gar nicht mehr zu vermieten, weil Kosten und bürokratischer Aufwand den Nutzen übersteigen, oder Sie nötigen diese Menschen, die Kaltmiete zu erhöhen, weil niemand, der Wohnungen zur Verfügung stellt, am Ende auch noch draufzahlen kann. Sie verschlimmern also mit diesem Gesetz die Situation für die Menschen weiter, da es unweigerlich dazu führen wird, dass weniger Wohnungen zur Verfügung stehen und sich die Mieten weiter erhöhen. Dabei könnte es doch so einfach sein: Die völlig vermurkste Energiewende beenden und es einfach so machen, wie unsere europäischen Nachbarn durch die Senkung von Steuern und Abgaben, wie beispielsweise Polen, Italien, Belgien, Holland, Frankreich, Spanien usw. Wir fordern daher erstens, die Mehrwertsteuer auf Energie auf null zu senken. Zweitens fordern wir, die aktiven Kernkraftwerke weiterlaufen zu lassen und die drei vor Kurzem abgeschalteten Kernkraftwerke wieder einzuschalten. Allein diese einzige Maßnahme würde dafür sorgen, dass der Strompreis sich sofort halbieren würde und ein Blackout in diesem Winter sicher verhindert werden könnte. ({4}) Drittens fordern wir vor allem, die CO2-Steuer einfach komplett abzuschaffen; dann könnten wir uns nämlich diesen ganzen Unsinn heute sparen, liebe Freunde. Ja, könnten wir! ({5}) Hören Sie endlich auf, die Menschen mit Waschlappen- und Duschempfehlungen oder mit Taschenspielertricks wie diesem Gesetz für dumm zu verkaufen! Sorgen Sie dafür, dass die Menschen endlich wirklich entlastet werden, im Winter nicht frieren und eben nicht im Dunkeln sitzen müssen! ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Daniel Föst spricht jetzt für die FDP-Fraktion. ({0})

Daniel Föst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004716, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Dass bei der AfD nicht mal die gesamte eigene Fraktion klatscht, das kann ich nachvollziehen. Die sind wahrscheinlich alle in Moskau. Ich verstehe ja die Skandalisierung durch die Union; ich verstehe es ja. Denn wir haben jetzt ein Gesetz vorgelegt, das man beschreiben kann mit: Was lange währt, wird endlich gut. – Deswegen verstehe ich ja, dass ihr eine Skandalisierung betreibt, weil ihr es selbst nicht hinbekommen habt. Ich bin jetzt übrigens nicht wieder bei „16 Jahre Union“; das werde ich nicht wieder machen. ({0}) An diesem Punkt muss ich euch an einer Stelle recht geben: Dass ihr eine 50 : 50-Verteilung in der letzten Legislatur verhindert habt, macht dieses Gesetz erst möglich. Eine 50 : 50-Verteilung wäre wirklich ungerecht gewesen, genauso wie eine 100 : 0-Aufteilung ungerecht ist. Im Gebäudebestand haben sowohl der Eigentümer als auch der Nutzer die Möglichkeit, Energie zu sparen. Dass wir Energiesparen durch einen Preis, den wir dann aufteilen, anreizen, ist goldrichtig. Deswegen wäre ich nie auf die Idee gekommen, den CO2-Preis infrage zu stellen. Dieser ist übrigens keine Steuer. ({1}) Aber um das der AfD zu erklären, dafür reicht die Zeit nicht. Das würde nämlich auch nach Jahren nicht funktionieren. Dass wir Anreize dafür setzen, dass der Eigentümer investiert und dass der Nutzer spart, das ist doch goldrichtig. Es ist notwendig. Eine 100 : 0-Aufteilung – ich weiß, Kollege Lange feixt, und Kollege Luczak feixt – bedeutet: Nur eine von zwei Parteien zahlt alles, obwohl sie nicht alles beeinflussen kann. Das empfinde auch ich als Freier Demokrat als ungerecht. ({2}) Was gerecht ist, ist tatsächlich dieses Gesetz. Herr Lange regt sich auf, dass es sich auf den Verbrauch konzentriert, also auf die tatsächlich emittierte Menge CO2. Aber das ist ein längst überfälliger Schritt in die richtige Richtung. Ich möchte nur daran erinnern – in der letzten Legislaturperiode haben wir hier im Deutschen Bundestag darüber diskutiert –: Die deutsche Volkswirtschaft hat in den letzten zwölf Jahren 395 Milliarden Euro in die energetische Gebäudesanierung investiert. Weil wir das mittelbar über Effizienzen, über Energieausweise gemacht haben, war der Effekt nahezu null. Trotz gigantischer Investitionen haben wir die Emissionen nicht senken können. Das jetzt endlich auf die tatsächlichen Emissionen von CO2 umzustellen, ist ein längst überfälliger Schritt; das hat mit Bürokratie nichts zu tun. ({3}) Zum anderen. Ich hatte schon die Vorstellung, wir können es mit dem Gebäudeenergieausweis machen. Der Gebäudeenergieausweis ist verbreitet, er ist akzeptiert. Aber dann hättet ihr von der Union den auch rechtssicher ausgestalten müssen, und das kriegen wir in der Geschwindigkeit nicht hin. ({4}) Dieser Ausweis ist schlichtweg nicht rechtssicher ausgestaltet. Deswegen nehmen wir den Weg über die tatsächlichen CO2-Emissionen; auch das ist wichtig. Was ebenso wichtig ist und was weder Ihre Idee von „Die Mieterinnen und Mieter zahlen alles“ noch die Idee der 50 : 50-Verteilung adressiert: Die Ausdifferenzierung auf zehn Stufen reizt auch kleine Investitionen in den Bestand an. Was nämlich tatsächlich nicht funktioniert, ist, von jedem zu erwarten, dass er sofort alles durchsaniert. Das geht nicht. Also haben wir ein System gewählt, in dem man sich durch einfache Maßnahmen in der Stufe verbessert, durch überschaubare Investitionen, zum Beispiel – jetzt komme ich wieder mit meinem Lieblingsthema – in smarte Thermostate oder Smart-Home-Technik, die nur wenige Tausend Euro und nicht gleich mehrere Zehntausend Euro kosten. Genau diesen Anreiz müssen wir endlich setzen. Ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist, werte Kolleginnen und Kollegen von der Union: Die Zeit, im Gebäudebestand CO2 zu reduzieren, läuft uns davon. Gleichzeitig haben wir einen Mangel an Fachkräften, an Arbeitskräften. Wir haben einen Mangel an Material, wir haben einen Mangel an Genehmigungskapazitäten. Deswegen ist es wichtig, dass wir schnelle, kleine Investitionen anreizen. Genau das bewirkt dieses Gesetz. Deswegen ist es auch fair und richtig. ({5}) Über einen weiteren Punkt müssen wir noch mal diskutieren. Sie alle kennen das Struck’sche Gesetz. Ich habe zwar jetzt wahrgenommen, dass Herr Luczak gar nicht mitdiskutieren will – er sagte ja, wir diskutierten zu viel –, aber okay. Wir müssen überlegen, ob wir alternative Brennstoffe, die CO2-arm sind, die CO2-frei sind, in diesem Gesetz nicht besser berücksichtigen sollten. Denn im Endeffekt geht es um den CO2-Ausstoß im Bestand. Da sind alternative Brennstoffe tatsächlich ein Punkt. Darüber müssen wir noch mal diskutieren. Kollegin Steinmüller hat völlig zu Recht angemerkt, dass der Gesetzentwurf in Bereichen, in denen ich als Eigentümer nicht aktiv werden kann – in Milieuschutzgebieten unter gewissen Voraussetzungen, im Bereich Denkmalschutz der Gebäude –, erst mal mit Ausnahmen versehen ist. Das halte ich für richtig. Ein großes Thema sind noch die Nichtwohngebäude. ({6}) Liebe Union, wenn ihr da von der Skandalisierung wegkommt, bringt doch – ich meine das ganz ernsthaft – Vorschläge ein! Ich bin ja wirklich bereit und offen dafür, zuzuhören. Aber wenn man sich darüber aufregt, dass der Name zu kompliziert ist, dann zeigt das natürlich schon ein bisschen, dass man relativ wenig Weiteres anzumerken hat. In dem Sinne schließe ich, Frau Präsidentin. – Vielen Dank für die Debatte. Das wird ein gutes Gesetz. Es gleicht eine Unfairness aus, es beschleunigt die Sanierung im Bestand, und es ist dringend notwendig. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch hat das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit diesem Gesetzentwurf sollen die Menschen zu Energieeinsparungen – wörtlich – „angereizt“ werden. Ich frage Sie: In welcher Realität leben Sie denn eigentlich? Die Menschen sparen doch jetzt schon, wo sie können, weil sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können. Das müssen Sie doch mal zur Kenntnis nehmen. ({0}) Sie treiben mit Ihrer Politik die Menschen in die Armut. Die Aussetzung bzw. die Verschiebung des CO2-Preises ist eben keine Lösung. Ich bin der Auffassung: Wir müssen diese CO2-Preise endlich abschaffen! ({1}) Die marktgläubige Klimapolitik ist nämlich sozial ungerecht. Sie trifft immer die Menschen am härtesten, die für wenig Geld jeden Tag arbeiten gehen müssen oder gar keine bezahlte Arbeit haben. Daran wird eine echte Klimawende scheitern. Die Klimakrise ist nur dann zu stoppen, wenn die Verteilungskrise gelöst wird. Doch eine Vermögensteuer steht zum Beispiel immer schön in den Wahlprogrammen von SPD und Grünen, nur nicht in den Koalitionsvereinbarungen. ({2}) Da ist doch was faul. Da müsste sich was ändern, meine Damen und Herren. ({3}) Die Bundesregierung will nun, dass Mieter und Vermieter Energie sparen. Bisher mussten – das ist ja schon dargestellt worden – die Mieter den CO2-Preis zu 100 Prozent zahlen. In Ihrem Koalitionsvertrag haben Sie sich verpflichtet, diesen Preis hälftig, also fifty-fifty, zwischen Mietern und Vermietern aufzuteilen. Das wird aber mit diesem Gesetzentwurf nicht passieren. Der Berliner Mieterverein rechnet sogar damit, dass vier von fünf Haushalten mehr als 50 Prozent des CO2-Preises zahlen müssen. Das ist schwer ungerecht, meine Damen und Herren. ({4}) Der Mieterbund rechnet vor, dass die CO2-Abgabe für eine Wohnung im Jahr 2022 rund 67 Euro für Gas und 98 Euro für Heizöl ausmacht. Bis 2025 soll der Preis für Gas auf 125 Euro und für Öl auf 180 Euro steigen. In Anbetracht der explodierenden Preise ist das für viele Menschen nichts anderes als eine offene Drohung. Dem stellen wir uns entgegen, meine Damen und Herren. ({5}) Sie wollen mit dem CO2-Preis einen finanziellen Anreiz zum Energiesparen schaffen. Das Problem ist, dass die Mieterinnen und Mieter überhaupt keinen Einfluss darauf haben, ob die Vermieter ihr Haus energetisch sanieren oder nicht. Dieses Modell trifft besonders arme Menschen, die in schlecht sanierten Häusern wohnen. ({6}) Das ist im höchsten Maße ungerecht, und das können wir nicht hinnehmen. ({7}) Meine Damen und Herren, wir fordern in unserem Antrag, dass der CO2-Preis zu 100 Prozent von den Vermietern zu tragen ist. Ich sagte ja, wir wollen den CO2-Preis abschaffen. Nur so schaffen wir einen starken finanziellen Anreiz für die energetische Sanierung von Wohnhäusern. Natürlich wissen wir, dass es viele Kleinvermieter gibt. Wir wollen, dass die Kleinvermieter durch einen Härtefallfonds entlastet werden. Das wäre der richtige Weg. Das wäre der gerechtere Weg. Dafür kämpfen wir. Vielen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion hat Martin Diedenhofen das Wort. ({0})

Martin Diedenhofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kennen Sie eigentlich Gernot Hassknecht? Sie wissen schon, das ist der „heute-show“-Comedian, der sich in einer Lautstärke über die Politik aufregt, dass man seinen Fernseher eigentlich einige Stufen leiser drehen muss, außer man will Stress mit den Nachbarn riskieren. Ein bisschen so wie Gernot Hassknecht ging es mir auch, als ich im vergangenen Jahr die Diskussion zur Aufteilung des CO2-Preises verfolgt habe. Denn eigentlich gab es ja einen Kompromiss, der von Regierungsseite ausverhandelt wurde. Die SPD-Fraktion war damit einverstanden, sogar die ehemalige Kanzlerin hatte zugestimmt. Nur die Unionsfraktion blockierte den Vorschlag. ({0}) Sie war der Ansicht, dass Mieterinnen und Mieter die Kosten alleine tragen sollten, und das, obwohl die gar keinen Einfluss darauf haben, welche Heizung in ihrem Keller steht oder wie gut ihre Fenster isoliert sind. Denn das alles entscheiden die Vermietenden, die den CO2-Preis in vollem Umfang an die Mieterinnen und Mieter weitergeben können. Allein dieses Verhindern langfristiger Lösungen für zig Mieterinnen und Mieter seitens der Union macht schon wütend. Jetzt, ein Jahr später, schießen bei uns infolge von Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine die Preise zusätzlich in die Höhe. Viele Menschen wissen gar nicht mehr, wie sie die nächsten Rechnungen bezahlen sollen, und obendrauf müssen die Mieterinnen und Mieter in diesem Jahr nun auch noch die kompletten CO2-Kosten alleine stemmen. Und all das, weil die Union lieber Politik zugunsten der großen Bau- und Wohnkonzerne gemacht hat, anstatt Millionen von Menschen langfristig zu entlasten, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Ich sage: Diese Klientelpolitik und Ungerechtigkeit ist es, die Menschen an Politik zweifeln lässt und die einen wie Gernot Hassknecht vollkommen zu Recht zum Ausrasten bringt. ({2}) Wir werden dafür gewählt, Lösungen zu schaffen und zum Wohle aller Menschen zu handeln. Was die Unionsfraktion damals blockiert hat, werden wir jetzt durchsetzen und so Millionen von Menschen entlasten. Genau das ist es übrigens auch, was wir als Ampel seit Beginn der Krise konsequent in allen Bereichen machen: Wir entlasten die Bürgerinnen und Bürger und tun alles dafür, dass wir gemeinsam gut durch diese schwierige Zeit kommen. Was wir jetzt wollen, ist ein faires System, in dem sich Mietende und Vermietende die CO2-Kosten aufteilen. Denn beide Parteien können etwas dazu beitragen, dass weniger ausgestoßen wird: Mieterinnen und Mieter durch sparsames Heizen und die Vermietenden durch Sanierungsmaßnahmen, etwa an der Gebäudehülle, oder durch den Einbau einer neuen Heizung. Wie der Kollege Föst bereits gesagt hat: Schon kleine Sanierungsfortschritte werden durch das Stufenmodell angereizt und belohnt. Und genau das ist auch gut so. Menschen, die ein Eigenheim besitzen, rüsten seit Anfang des Jahres so schnell um, dass mancher Wärmepumpenhersteller mit der Produktion gar nicht mehr hinterherkommt und Solarinstallateure bis ins nächste Jahr ausgebucht sind. Für Mietshäuser hingegen ist der Anreiz weniger ersichtlich. Die steigenden Nebenkosten zahlen nämlich diejenigen, die darin wohnen. Das ist ungerecht für Menschen, die in schlecht sanierten Gebäuden wohnen und häufig über ein kleines Einkommen verfügen. Ich freue mich sehr darauf, den Gesetzentwurf weiter im parlamentarischen Verfahren zu beraten. Wir werden sicherlich über den einen oder anderen Punkt noch mal sprechen. Ich bin sehr überzeugt, dass ich mich am Ende unserer Verhandlungen nicht wieder aufregen muss; denn im Gegensatz zur Union ist die Ampel in der Lage, faire Lösungen zu finden. Und so schonen wir dann auch den Blutdruck von Gernot Hassknecht. Herzlichen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Jan-Marco Luczak hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Föst, Sie wissen ja, dass ich Sie sehr schätze. Aber mich wundert es schon ein bisschen, welchen Sinneswandel Sie – insbesondere als FDP-Fraktion – durchlaufen haben. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass wir vor gut einem Jahr die Diskussion hatten, wie wir mit der Aufteilung der CO2-Kosten umgehen. Damals hat Ihr Kollege Herr Theurer – immerhin Fraktionsvize – gesagt, man dürfe bei diesem Vorschlag, der vonseiten der SPD kam – die 50 : 50-Aufteilung –, das Verursacherprinzip nicht auf den Kopf stellen und man möge dieses ideologische Abkassieren der Vermieter verhindern. Ich muss sagen, das finde ich schon bemerkenswert. Sie haben in Ihrer Rede gerade auch gesagt, fifty-fifty, das würden Sie als ungerecht empfinden. Dann frage ich mich aber schon, wieso dieser Vorschlag, nämlich die 50 : 50-Aufteilung, ohne irgendwelche sonstigen Voraussetzungen Ihrem Vorschlag zugrunde gelegt ist – nicht bei den Wohngebäuden, aber bei den Nichtwohngebäuden. Das passt doch nicht zusammen. Das ist doch völliger Quatsch, was Sie hier erzählen; Entschuldigung. ({0}) Wir sind uns doch völlig einig: Natürlich wollen wir ein Gesetz haben, das dem überragenden Ziel des Klimaschutzes dient. Deswegen ist es ja auch richtig. Wir müssen eine Lösung finden, die dazu führt, dass Brennstoff eingespart wird, dass weniger CO2 emittiert wird und dass wir am Ende das 1,5‑Grad-Ziel erreichen. Aber da muss man doch schon mal fragen: Erreicht dieser Gesetzentwurf, den uns die Ampel hier vorlegt, dieses Ziel? ({1}) Hat er die entsprechende Lenkungswirkung? ({2}) Dazu muss man sich mal die Beteiligten angucken. Die Vermieter. Wir haben über die energetische Sanierung gesprochen, bei der Sie einen Anreiz setzen wollen. Die spielt nach diesem Gesetzentwurf keine Rolle. Ob ich ein grottig schlecht saniertes Gebäude bzw. ein Gebäude habe, das noch nie angefasst worden ist, oder ob ich ein hocheffizientes Gebäude habe, das spielt nach Ihrem Gesetzentwurf überhaupt keine Rolle. Es kommt vielmehr alleine darauf an, wie viel Brennstoff verbraucht wird. ({3}) Ich will Ihnen das an zwei Beispielen festmachen: Nehmen Sie ein Haus mit identischen Nutzern. Aber die Witterungsbedingungen sind unterschiedlich: mal ein kalter Winter, mal ein warmer Winter. Dann wird der Brennstoffverbrauch unterschiedlich sein. Und weil der Brennstoffverbrauch dann unterschiedlich sein wird, haben Sie einmal eine gute Klasse und einmal eine schlechte Klasse, in die das Haus eingeordnet wird, ohne dass es irgendwelche Unterschiede gibt. ({4}) Oder nehmen Sie zwei identische Häuser, wo Sie die gleichen Witterungsbedingungen haben, aber mit unterschiedlichen Nutzern: einmal eine Familie mit vielen Kindern, mit Senioren. Wir alle miteinander wissen: Die haben und die brauchen mehr Wärme in der Wohnung, die werden mehr heizen. Auch dann haben Sie wieder zwei unterschiedliche Klassen von Häusern mit unterschiedlichen Verteilungen, obwohl der Sanierungszustand der Häuser völlig identisch ist. Da fehlt bei Ihrem Vorschlag doch jede Logik. Das ist doch nicht gerecht. ({5}) Das Gleiche gilt auch für die Mieterseite. Wir sind uns doch alle einig: Das Verbrauchsverhalten von Mieterinnen und Mietern spielt eine ganz entscheidende Rolle an dieser Stelle. Gucken Sie es sich an folgenden Beispielen an: Wenn Sie Mieterinnen und Mieter haben, die ein eher großzügiges, um nicht zu sagen: verschwenderisches Nutzungsverhalten haben, führt das am Ende dazu, dass ein Haus in eine schlechte Klasse eingruppiert werden kann, weil sehr viel Brennstoff verbraucht wird, wenn die Heizung hochgedreht wird. ({6}) Das führt wegen der schlechten Klasse dazu, dass die Kosten für die Mieterinnen und Mieter am Ende reduziert werden, weil die Aufteilung dann zulasten des Vermieters ist. Umgekehrt – um das mal positiv zu wenden –: Bei Mieterinnen und Mietern, die alles machen, was wir wollen – die klimabewusst sind, die ihre Heizung ein Stück weit runterdrehen und sozusagen Verzicht üben –, führt das dazu, dass ein solches Haus in eine bessere Klasse einsortiert wird, mit der Folge, dass diese Mieterinnen und Mieter, die sparsam gewesen sind, am Ende höhere Kosten tragen müssen. Das ist doch absurd! Das ist völlig kontraproduktiv, was Sie hier vorschlagen. ({7}) Nicht zuletzt – ich habe es ja gerade schon angesprochen –: Was sind denn am Ende die Auswirkungen von diesem Gesetz? Diejenigen, die gezwungen sind, ihre Heizung ein Stück weit höher zu drehen – die Senioren, die älteren Menschen in unserem Land, die Familie mit kleinen Kindern, weil kleine Kinder, weil Senioren es eben wärmer haben müssen –, werden auf dem Wohnungsmarkt zukünftig noch viel mehr Probleme haben, eine Wohnung zu finden. Denn alle Vermieter sagen natürlich: Wenn die bei mir einziehen, verbrauchen die viel Energie und verursachen hohe CO2-Kosten, die ich am Ende tragen muss. Dann nehme ich doch lieber den berufstätigen Single, der im Fitnessstudio duscht, der nie zu Hause ist, der verursacht keine Kosten. – Das ist sozialpolitisch völlig verfehlt, was Sie uns an der Stelle vorschlagen. ({8}) Man kann ja darüber diskutieren, ob eine CO2-Kostenumlage angesichts der ohnehin schon galoppierenden Preise überhaupt noch notwendig ist, um eine Lenkungswirkung zu entfalten und Menschen zu sparsamem Verhalten anzuregen. Wenn man das trotzdem will, dann muss es aber ein einfaches, bürokratiearmes Modell sein, das mit einer echten Lenkungswirkung versehen ist und am energetischen Zustand festgemacht ist. Da müssen wir, wenn wir das wollen, hin. Und wir brauchen eine verlässliche und auskömmliche Förderung, um Vermieterinnen und Vermieter anzureizen, in den Gebäudebestand zu investieren. Darüber können wir reden, möglicherweise auch im parlamentarischen Verfahren. Allerdings würde ich schon sagen: Ihr Gesetz ist vom Ansatz her so falsch konstruiert, dass es wie bei einem falsch geknöpften Hemd ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt können Sie nicht mehr weiterreden, Herr Luczak.

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn man es von vornherein falsch zuknöpft, wird man es oben auch nicht mehr geradekriegen. Deswegen nutzt auch ein parlamentarisches Verfahren an der Stelle nichts. Ziehen Sie Ihren Gesetzentwurf lieber zurück, und präsentieren Sie uns was Ordentliches. Dann können wir auch miteinander ins Gespräch kommen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Lisa Badum hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Lisa Badum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004659, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Luczak, ich bin wirklich verwirrt. ({0}) Ich habe Ihre Rede nicht verstanden. ({1}) Lesen Sie das Gesetz einfach noch mal durch. Es geht tatsächlich darum, Lenkungswirkung bei den Vermieterinnen und Vermietern zu erzeugen für Wärmedämmung und für erneuerbare Energiequellen. Das ist das Ziel des Gesetzes. Zum Thema Energieverbrauch möchte ich Ihnen noch sagen: Wir reden heute nur über die Aufteilung des CO2-Preises. Die Energiekosten tragen die Mieterinnen und Mieter weiterhin; das wird von Ihnen ja unterschlagen. Das heißt, ich als Mieter oder Mieterin merke selbstverständlich, wenn ich mehr Energie verbrauche. Dieses Bild vom kettenrauchenden Mieter, der stundenlang im Unterhemd am Fenster an der gluckernden heißen Heizung hängt, bzw. von jemandem, der sich im Unterhemd in die heiße Wohnung setzt, ist – Entschuldigung – ein Bild von Mieterinnen und Mietern, das Sie auf 40 Millionen Menschen in Deutschland beziehen. Es ist einfach populistisch, und das werden wir nicht akzeptieren. ({2}) Bitte steigen Sie in die Sachdebatte ein. Es ist doch klar: Wer in gut gedämmten Häusern wohnt, der muss sich diesen Winter etwas weniger Sorgen machen bei dieser Energiekrise, die wir haben. Das Problem ist leider: Durch die sehr geringe Sanierungsrate von 1 Prozent in den letzten Jahren haben dieses Privileg nur wenige Auserwählte in diesem Land. In der Masse heizt Deutschland weiter auf die Straße hinaus. Das ist die traurige Wahrheit. Ich muss die 16 Jahre Merkel jetzt leider noch mal anbringen. ({3}) – Ja, es ist so. – Warum stehen wir an diesem Punkt? Nach 16 Jahren Merkel – sie hat es 1997 das erste Mal angekündigt – ({4}) wurde die CO2-Bepreisung im Gebäudebereich eingeführt. Auch die ergänzenden Instrumente – wie die gezielte Förderung von Sanierungen mit hohen Standards, von Wärmepumpen, von Solarthermie, von PV – sind über die letzten Jahre liegen gelassen worden. ({5}) Wäre in den letzten Jahren wirklich spürbar Klimaschutz in den Gebäuden betrieben worden – wir reden hier von einem Drittel des CO2-Ausstoßes –, dann bräuchten wir die CO2-Bepreisung nicht; aber so ist es eben nicht gekommen. Das sind die Fakten. Deswegen brauchen wir den CO2-Preis weiter als planbares Klimaschutzinstrument. Wir haben jetzt einen schockartigen Anstieg von fossilen Preisen in diesem Jahr. Wir müssen auch mittel- und langfristig die nächsten Jahre planen, wie wir unsere Gesellschaft transformieren, und deswegen ist dieses Instrument so wichtig und notwendig. Die Vermieterinnen und Vermieter, die dämmen, die erneuerbare Wärmequellen nutzen, wollen wir belohnen. ({6}) Von daher macht es einfach keinen Sinn, dass die Mieterinnen und Mieter – das sind die Hälfte aller Bundesbürgerinnen und Bundesbürger – diesen CO2-Preis weiter allein zahlen. ({7}) Daher ist dieses Gesetz überfällig. Wir mussten es aus der letzten Legislatur übernehmen, müssen es jetzt beschließen. Und ich freue mich auch sehr auf die Beratungen. Wir Grüne hätten uns auch ein anderes, noch einfacheres Modell vorstellen können, nämlich dass die Vermieter 100 Prozent der Kosten übernehmen. ({8}) Das wäre noch simpler gewesen. Wir können uns mit dem Stufenmodell anfreunden, –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Lisa Badum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004659, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– aber wir haben noch einige Nachbesserungsbedarfe. ({0}) Es ist zum Beispiel wichtig, dass auch die Mieterinnen und Mieter, die an der Fernwärme hängen, –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Lisa Badum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004659, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– mit einbezogen werden. Ich freue mich auf eine konstruktive Zeit und eine gute Verabschiedung des Gesetzes am Ende. Danke schön. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir alle machen uns bei den Menschen, die hier für uns Dienst tun, sehr unbeliebt, wenn zu viel Zeit überzogen wird. Deswegen meine herzliche Bitte, die Zeit einzuhalten. Für die, die rund um uns herum arbeiten, soll nach den anstrengenden Sitzungszeiten irgendwann einmal Feierabend sein – nicht für uns, wir arbeiten ja weiter. Deswegen bin ich bei dem Abbrechen ein bisschen lauter. Jetzt hat der Kollege Andreas Mehltretter das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Andreas Mehltretter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005147, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit 2021 zahlen Unternehmen, die Heizöl oder Erdgas in den Markt bringen, einen CO2-Preis dafür. Mit dem Brennstoffemissionshandelsgesetz haben auch CO2-Emissionen von Gebäuden einen Preis bekommen. Trotzdem hat der Gebäudesektor im letzten Jahr die erlaubte Jahresemissionsmenge um 2 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente überschritten. Das liegt sicher nicht allein, aber auch an einem Designfehler des CO2-Preises: So wie der CO2-Preis im Gebäudesektor jetzt ausgestaltet ist, kann er eben kein Anreiz für die Sanierung von Gebäuden sein. Den CO2-Preis zahlen die Mietenden, Investitionsentscheidungen treffen aber die Vermietenden; das passt nicht. Das ist weder zielführend noch fair. Das wollen wir ändern. Deswegen setzen wir jetzt um, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Mit dem Stufenmodell sorgen wir dafür, dass der CO2-Preis endlich seine Lenkungswirkung auch wirklich entfalten kann. Wir sorgen dafür, dass der CO2-Preis bei den Richtigen ankommt. Sind Wohnungen gut saniert, dann setzen wir einen Anreiz für ein energiesparendes Heizverhalten, weil dann die Mieterinnen und Mieter den Großteil der CO2-Kosten tragen. Das ist klimapolitisch auf jeden Fall richtig. Genauso wichtig ist es aber auch, in schlecht sanierten Wohnungen den Anreiz dafür zu setzen, dass die Gebäude endlich auf Stand gebracht werden. Deshalb zahlen in solchen Fällen die Vermieterinnen und Vermieter den Großteil der CO2-Kosten. ({0}) Damit kann der CO2-Preis seine Funktion auch wirklich erfüllen. Es wird dann für Vermieterinnen und Vermieter finanziell attraktiver, dass sie sich um eine neue Heizung oder bessere Dämmung in ihren Gebäuden kümmern. Und genau so soll der CO2-Preis in allen Bereichen wirken. Übrigens haben die Vermietenden damit nicht nur einen Einfluss auf die CO2-Kosten, sondern insgesamt auf die Heizkosten ihrer Mieterinnen und Mieter, auch wenn es in der Debatte hier oft anders dargestellt wird. Sanierungsstau bedeutet eben auch, dass die Mietenden zu viel fürs Heizen zahlen müssen. Das hat auch eine große sozialpolitische Dimension: In den zugigen Buden wohnen eben nicht die Menschen, die ihre Wohnung überheizen. Da wohnen diejenigen, die sich schon längst einen zweiten Pulli angezogen haben, weil sie sich die Heizkosten gar nicht leisten können. Genau deswegen machen wir dieses Gesetz doch, Frau Lötzsch. ({1}) Meine Damen und Herren, wenn wir die Energiewende schaffen wollen, dann müssen wir endlich bei der energetischen Sanierung und bei der Modernisierung von Heizungen einen Zahn zulegen. Der Preis für CO2 kann nur wirken, wenn er bei den Richtigen ansetzt; dann ist er auch ein wichtiger Baustein für die Wärmewende. Genau dafür sorgen wir mit diesem Gesetz. ({2})

Martin Erwin Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004862, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Hochverehrtes Präsidium! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden hier über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die doch wirklich dringend notwendigen Reformen: Reform der Finanzierung, Reform zur Qualitätssicherung, Reform der Programmredundanz, Reform der wettbewerbslosen Marktpositionierung, Reform der Kontroll- und Aufsichtsstrukturen. Vieles ist in den letzten Tagen und Wochen ans Tageslicht gekommen. Die Zwangsgebühren zahlenden Bürger sind entsetzt, nein, in Wirklichkeit sind sie wütend. ARD und ZDF wirken wie gelähmt, so als hätten sie total den Boden unter den Füßen verloren. Gott sei Dank nehmen sie aber trotzdem noch jeden Tag 23,1 Millionen Euro an Zwangsgebühren ein – täglich! –, dem Bürger abgepresstes Geld, egal ob er das Angebot des Rundfunks nutzt oder dieses ignoriert. Die Bürger sind mehrheitlich der Meinung: Alles wäre besser als das, was wir jetzt haben. ({0}) Wie die Made im Zwangsgebührenspeck frisst sich dieser öffentlich-rechtliche Rundfunk wettbewerbslos rund und fett. Vielen Bürgern erscheint heute der öffentlich-rechtliche Rundfunk als ein hochspendabler Arbeitgeber für die höhere und häufig leistungslose Führungskaste ({1}) oder auch als eine gut gefüllte Pensionskasse mit angeschlossenem Sendebetrieb. ({2}) Aus der ursprünglich fantastischen Idee nach dem Krieg, eine unabhängige Informationsinstitution zu schaffen, die sich nicht im Wettbewerb mit anderen Medien behaupten musste und muss, ist eine einzige wahre Farce geworden. Die Kriterien waren und sind: Transport einer wahren Informations- und Meinungsvielfalt, neutrale Abbildung aller gesellschaftlich relevanten Gruppen, sachlich aufbereitete Informationsvermittlung. Das sind heute in den Führungsetagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks keine relevanten Kriterien mehr. Die neuen Kriterien sind offenbar: mein Dienstwagen, meine Chefetage, meine Prunkbehausung, mein Massagesessel, mein Gehalt, meine Pension, meine Spesen. ({3}) Wir alle wissen, wovon die Rede ist. ({4}) Es ist allerhöchste Zeit für Reformen. Aber wir reden hier nicht nur über die skandalösen finanziellen Ausschweifungen. Und es reicht mitnichten aus, nur über eine Deckelung der Intendantengehälter und eine Reduzierung der Anzahl der anwesenden Journalisten auf dem CDU-Parteitag zu reden, so wie der beständig rechts blinkende und dann doch links-grün-rot abbiegende Quoten-Merz ({5}) medienwirksam vor einigen Tagen verkündete. Die Probleme liegen sehr viel tiefer: das Totalversagen der Aufsichts- und Kontrollgremien, deren Personal zumeist aus dem politischen oder politiknahen Raum kommt. Damit sind das Wegschauen, die Kumpanei und die Verfilzung in diesem zunehmend politmedial wirkenden Konstrukt doch schon ziemlich hinreichend erklärt. Da wird aus dem „Herrn Ministerpräsidenten Günther“ schon mal „der liebe Daniel“. ({6}) Da wird „dem lieben Daniel“ mal ganz schnell ein chefredaktioneller Schutzschirm aufgespannt, wenn er im Regen steht und nass zu werden droht. Dieser öffentlich-rechtliche Rundfunk ist so nicht mehr zeitgemäß. ({7}) Dieser Rundfunk ist nicht mehr die vierte Gewalt und damit der Kontrolleur der politischen Macht. Im Gegenteil: Er hat sich zum Herold und zum Stichwortlieferanten der politisch Mächtigen gewandelt. ({8}) Die Zwangsgebühren müssen abgeschafft werden. Niemand darf gezwungen werden, für grün-linke Bevormundungs- und Indoktrinationsanstalten zu zahlen. ({9}) Bei ARD und ZDF gibt es nur noch einen Aufwärtstrend, nämlich beim Durchschnittsalter der Zuschauer und bei den Mahnverfahren beim Beitragsservice. 84 Prozent der Bürger sind nicht mehr willens, Zwangsgebühren zu zahlen. – Ich streiche „Zwangsgebühren“; eigentlich soll es ja „Demokratieabgabe“ heißen. ({10}) Aber auch die zunehmende Durchdringung des Internets durch den Rundfunk muss begrenzt werden. Wenn die gewaltige Finanzmacht der Öffentlich-Rechtlichen die anderen Medien dort dominiert – und auf mittlere Sicht wird das so weit kommen –, dann droht die endgültige publizistische Verwahrlosung. ({11}) Aus Meinungsvielfalt wird dann sehr schnell eine gleichgeschaltete Meinungseinfalt. Wer jetzt nur die Spitzengehälter deckeln möchte, offenbart seine Ahnungslosigkeit oder seine opportunistische Bereitschaft zur Kameraderie. Gerade die digitale Revolution – das ist die Zukunft der Medien im Internet – wirft viele und auch höchst komplexe Fragen auf. Und um diese Fragen zu klären, ({12}) auch unter Einbezug von Experten, werden wir in den nächsten Tagen sehr vernünftige Vorschläge machen. Danke schön. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion hat Helge Lindh das Wort. ({0})

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn jemand wie die Made im Speck lebt, dann die AfD im Speck der Demokratie. Das ist die Zusammenfassung ihrer Existenz. ({0}) Angesichts dieser ernsthaften Krise sind aus unserer Sicht aber zwei Dinge notwendig, nämlich Flucht nach vorne und auch Flucht – und das schonungslos – in die Wahrheit. Das Instrument dafür ist Demokratisierung, und dessen Werkzeuge sind harte, konsequente und einheitliche Standards von Compliance, Governance, Integrität und Transparenz: Was passiert mit Whistleblower-Mechanismen? Sind sie wirklich unabhängig? Wie funktioniert die Aufsicht? Was ist mit Gehaltsstrukturen? Was für Verträge werden vergeben? Wie sieht es mit Verträgen für Produktionsgesellschaften aus? Was für Berater sind eingebunden? – Und vieles weitere: Sind Gremien wirklich in der Lage, ermächtigt zu werden? Sind sie juristisch gut beraten und unabhängig? – All das sind zentrale Fragen einer solchen Demokratisierung. Demokratisierung betrifft aus unserer Sicht aber auch die Situation der Mitarbeitenden. Sie sind nämlich doppelt verraten, einerseits durch Stimmungsmache gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und andererseits gerade durch die Führung ihrer Häuser. ({1}) Deshalb stehen wir an der Seite der Mitarbeitenden und ist die Antwort unter anderem Mitbestimmung für die Festen, aber auch für die Freien und für die festen Freien sowie auch ihre Beteiligung an dem Struktur- und Reformprozess. ({2}) Demokratisierung ist aber noch mehr. Demokratisierung ist auch entschiedener Mut zum Dialog mit der Bevölkerung, ({3}) gerade jetzt in der Krise, gerade in diesem Moment. „Dialog mit der Bevölkerung“ heißt übrigens nicht, den Anweisungen von Herrn Merz zu folgen. Und Herr Merz ist auch nicht, auch wenn er es manchmal denkt, die Bevölkerung. ({4}) Da komme ich zu einem wichtigen Punkt in diesem Zusammenhang, aus meiner Sicht einem unerhörten Punkt: Auf dem Bundesparteitag der CDU hat Herr Merz in eindeutig hämischem, latent drohendem, sehr spitzem Ton geredet von der stolzen Zahl von 58 Redakteurinnen und Redakteuren des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, mit denen man sich besonders liebevoll beschäftigen würde. Ich finde es gegenüber einer Berichterstattung absolut inakzeptabel, übergriffig und unanständig, so zu reden. ({5}) Diese perfide Strategie wirkt aber; denn zwei Intendanten fühlten sich nahezu gezwungen, im Nachhinein Rechtfertigungen zu äußern. Ich fand diese Rechtfertigungen nicht nötig und, ehrlich gesagt, falsch; aber der Druck war zu groß. Es geht aber noch weiter. Das große Thema, das Herr Merz als Parteivorsitzender und Fraktionsvorsitzender entdeckt hat, ist auch die Unausgewogenheit. Er benutzt dafür eine in rechtspopulistischen Kreisen sehr beliebte Nicht-Studie, derzufolge angeblich 90 Prozent der Volontärinnen und Volontäre grün-, links- oder SPD-orientiert wären. ({6}) Jetzt haben wir erstens folgendes Problem damit: Was sagt uns das? Es ist überhaupt keine wissenschaftliche Aussage. Zum Zweiten: Wollen wir eine Gewissensprüfung machen? Fangen wir jetzt an, bei Lehrerinnen und Lehrern oder bei den Mitarbeitenden des BMI nach der Parteiorientierung zu fragen? ({7}) Drittens: Bestimmen die Volontärinnen und Volontäre über das Programm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? Und viertens – das ist eine ganz interessante Frage –: Diese Volontärinnen und Volontäre kommen aus der Altersgruppe von 18 bis 24 Jahren. In dieser Altersgruppe haben die traditionellen Volksparteien ziemlich schlechte Ergebnisse, und die CDU hat mit 10 Prozent besonders schlechte Ergebnisse. Es ist doch nicht das Problem des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wenn zu wenige Leute die CDU wählen, sondern es ist ihr Problem und das Problem von Herrn Merz. ({8}) Kommen wir zum dritten Thema in dieser Debatte, das angesprochen werden muss: geschlechtergerechte Sprache, Gendern. In einer Talkshow sprach Herr Merz vom Rat der deutschen Sprache, und regelmäßig spricht er davon, dass man sich beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk an die allgemein anerkannten Regeln der deutschen Sprache zu halten habe. Erstens. Einen Rat der deutschen Sprache gibt es nicht. ({9}) Zweitens. Rechtschreibung ist nicht Sprache, und – man kann Humboldt lesen und auch Ludwig Wittgenstein – Sprache ist dynamisch, Sprache ist im Wandel. Sie wird weder von einem Rat noch von uns noch von einer Partei noch von Herrn Merz verordnet. ({10}) Drittens heißt es bei Herrn Merz ja – ich zitiere –: „die deutsche Sprache, die „Sprache von Goethe und Schiller, Kant und Hegel“. ({11}) Die deutsche Sprache heute ist aber auch die Sprache von Sevgi Özdamar und Feridun Zaimoglu, ist die Sprache von Donatella Di Cesare und Navid Kermani. ({12}) Deshalb frage ich mich, Herr Merz, auch in Ihrer Abwesenheit, ernsthaft: In welchem Museum leben Sie? ({13}) In keiner Region, weder städtisch noch ländlich, gibt es diese Gesellschaft, in der Sie leben. Deshalb: Erklären Sie mir bitte an anderer Stelle, wo der Zusammenhang besteht –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– zwischen Korruption und Fragen der fehlenden Compliance im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und der Lösung durch die Genderfrage! ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn Sie mir die Studie zeigen: Vielen Dank!

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ansonsten: Unterlassen Sie diese Erpressungsversuche! Stehen wir gemeinsam, gerade in dieser Situation, –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, hallo!

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk! ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Maximilian Mörseburg hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Maximilian Mörseburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005159, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte am Freitagnachmittag hier anwesende Kolleginnen und Kollegen! Liebe AfD-Fraktion, die um diese Aktuelle Stunde gebeten hat und für die ich als Wahlkreisabgeordneter natürlich gerne die Eröffnung des Cannstatter Wasens, des Cannstatter Volksfestes, heute verpasse – vielen Dank dafür! ({0}) Aber es ist in der Tat gut, dass wir uns heute im Bundestag mit diesem Thema ganz zum Schluss noch auseinandersetzen. Wenn ich zum Beispiel bei Herrn Freser aus der AfD-Fraktion ({1}) in einer Pressemitteilung lese: „Solche Propaganda verdient keinen Cent Zwangsbeitrag“ – Herr Renner, Sie haben diese Worte ja auch gerade gewählt, weil irgendeine Grafik, jedenfalls Ihrer Meinung nach, verzerrt war –, dann wird mir mal wieder klar: Mit Ihnen kann man über kein politisches Thema sprechen, ohne dass Sie die verbale Bazooka auspacken. „Propaganda“, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist die systematische Verbreitung politischer Ideen mit dem Ziel, das allgemeine Bewusstsein in eine bestimmte Richtung zu lenken. ({2}) Was als Nächstes kommt, das werden Sie sich schon denken: Auf Ihre Partei trifft das ganz besonders zu. Nur Sie bauen einen eigenen TV-Kanal auf. Nur Sie wollen ein AfD-Studio in Berlin gründen; das steht auf Ihrer Homepage. Und wenn Frau Weidel dann davon spricht, dass sie einen Grundfunk mit neutraler Berichterstattung möchte, dann wissen wir doch, was das wäre, nämlich ein Sender, in dem Sie entscheiden, was neutral ist, und nicht der unabhängige Journalist. ({3}) Doch nur, weil die einen nicht wissen, wie man Probleme adressiert, ohne sich dabei wie ein Elefant im Porzellanladen zu benehmen, heißt das nicht, dass wir anderen nicht trotzdem darüber sprechen müssen. ({4}) Herr Lindh, Sie haben es jetzt gerade ausgeführt; ich fand das ein bisschen komisch. Ich finde, dass es schon ein Problem ist, wenn die Volontäre aus nur einem Milieu rekrutiert werden. ({5}) Ich glaube, dass es schon Probleme gibt. Die ungeheuerlichen Ereignisse beim RBB müssen angesprochen werden. Auch die Entwicklung des Programms und die Kosten sind natürlich ein Auftrag. Deswegen haben wir uns als CDU in der Tat auf dem Bundesparteitag mit diesem Thema auseinandergesetzt, und wir haben einige Punkte zusammengefasst: Erstens. Wir müssen notwendige Reformen auf den Weg bringen, ({6}) weil die Struktur des ÖRR intransparent ist und unzureichend kontrolliert wird. Wolfgang Jüttner, Ihr Parteikollege, Herr Lindh, ist seit zehn Jahren Mitglied im Rundfunkrat des NDR und sagt: Der Rundfunkrat beschließt einen Etat über rund 1 Milliarde Euro. Er ist der Meinung, dass nicht alle Mitglieder diesen Haushalt gründlich durchdrungen haben. Das ist richtig. Deswegen brauchen wir ein reformiertes Kontrollsystem, das sowohl neutral als auch wirkmächtig ist. Wir wollen, dass es auch eine stärkere Repräsentanz von Beitragszahlern in den Aufsichtsgremien gibt und dass betriebswirtschaftliche Expertise einfließen kann, zum Beispiel durch Wirtschaftsprüfer. Das ist jedoch nicht alles. Zweitens. Zu oft sieht man politische Unterhaltungsformate, in denen sich Sprache und Aussage der Beteiligten kaum unterscheidet. Zurück zu dem Problem, mit dem Sie sich auseinandergesetzt haben, Herr Lindh, das Sie aber leider nicht erkannt haben. Wir können diesen Verantwortlichen nur raten, dass sie sich für Vielfalt einsetzen, ({7}) aber Vielfalt eben nicht nur in Herkunft und Geschlecht, sondern auch in den Meinungen; denn das ist es, worauf es ankommt: in den Ausdrucksweisen und in den Meinungen. Es ist übrigens anders, als Sie es gesagt haben. Sie meinten, Herr Merz spreche nicht für das Volk. Für 86 Prozent spricht er eben doch in der Frage der Gendersprache; das sagt der MDR selbst. ({8}) Zur ausgewogenen Berichterstattung gehört auch, dass es eine gute Trennung zwischen Kommentar auf der einen Seite und Berichterstattung auf der anderen Seite gibt. Wir müssen auch beim Onlineformular, das sich an Jüngere richtet, darauf achten. Dort muss es deutlich kontrolliert werden. Wir wollen unabhängige Studien und Befragungen, die das prüfen. Zuletzt komme ich natürlich zu den Kosten. Diese Beiträge sind einfach nicht mehr vermittelbar und dürfen nicht weiter steigen. Wir schlagen vor, dass wir eine Veröffentlichungspflicht für die Gehälter und die Nebeneinkünfte der Leitungspositionen einführen und dass sich diese an den öffentlichen Einrichtungen orientieren und nicht an den privaten Medien. Klar, das gefällt nicht jedem. Wenn wir uns und wenn sich andere mit diesen Themen auseinandersetzen, dann ist das nicht Populismus, wie ein ARD-Chefredakteur den Kollegen von der FDP zuletzt vorgeworfen hat. Es heißt, dass das Vertrauen, das wir in den ÖRR eigentlich hatten, Schaden genommen hat. ({9}) Deswegen reden wir über solche Themen, auch über das Thema der Presseähnlichkeit. Natürlich müssen wir darauf achten, dass die privaten Qualitätsmedien in Zukunft nicht vom ÖRR vom Onlinemarkt verdrängt werden, weil sie exakt die gleichen Angebote in petto haben. ({10}) Die CDU setzt zu diesen Themen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eine Kommission ein, und diese Reformbereitschaft erwarten wir von allen, insbesondere von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten selbst. Vielen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Erhard Grundl hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Erhard Grundl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004733, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir über den Öffentlich-Rechtlichen reden, müssen wir uns klar werden, was wir wollen und was wir nicht wollen. Wollen wir in Deutschland eine Informationslandschaft, die dominiert ist von einer Berichterstattung à la Fox News? ({0}) Wollen wir eine Medienlandschaft, in der nur die skandalisierendste Schlagzeile und die Produktion vorkommt, die die höchste Einschaltquote bringt? Ich sage Ihnen: Das wollen wir nicht. Und das werden wir auch nicht zulassen. ({1}) Die tragende Säule unserer freien Demokratie ist eine vielfältige Medienlandschaft, in der es privat finanzierten Journalismus, gemeinnützigen Journalismus und öffentlich-rechtlichen Journalismus gibt. Der Qualitätsjournalismus des Öffentlich-Rechtlichen, der von Journalistinnen und Journalisten in unabhängigen Redaktionen erarbeitet wird: ({2}) Das ist das Fundament. Dieses Fundament wird im Zeitalter der Fake News noch viel, viel wichtiger werden. ({3}) Der ÖRR in Deutschland wurde nach dem Zweiten Weltkrieg und nach den Gräueltaten der deutschen Nationalsozialisten gegründet. Es sollte nie wieder einen zentralen staatlich gesteuerten Propagandasender geben. ({4}) Genau das wurde umgesetzt, indem es vielfältige, selbstverwaltete, föderal organisierte Sender gibt, die durch Gebühren finanziert werden. Der grundsätzliche Auftrag des Öffentlich-Rechtlichen wird von den Ländern im Medienstaatsvertrag festgelegt. Die Sender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unterstehen nicht der Kontrolle der Politik. Die Journalistin steht nicht ihrer Brötchengeberin gegenüber, wenn sie im Interview kritische Fragen stellt. ({5}) Denn der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist, wie ich sagte, beitragsfinanziert. Das ist seine Stärke. ({6}) Er ist unabhängig von Regierungsmehrheiten. Er ist unabhängig von Überlegungen eines Haushaltsausschusses im Bundestag oder eines Finanzministers, und das ist auch gut so. ({7}) Es steht außer Frage, dass Vetternwirtschaft oder gar Einflussnahme auf die Berichterstattung nicht sein dürfen. Darum erwarten wir klare Reformen in den Sendern, strikte Compliance-Regelungen, in denen Vergabeverfahren und Amtsausstattung geregelt sind. Weitreichende Finanzentscheidungen müssen durch Gremien getroffen werden. Es braucht transparente und nachvollziehbare Gehaltsstrukturen für Führungspositionen. Die Kontrollgremien müssen gestärkt werden. Die ehrenamtlichen Mitglieder der Rundfunkräte müssen gut ausgestattet sein. Sie brauchen zuarbeitende unabhängige Gremienbüros und medienpolitische Schulungen. Und die Arbeit der Redaktionen muss gestärkt werden. Diese Arbeit ist das Rückgrat für die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Bevölkerung. Ich möchte nicht die Räterepublik in den Redaktionen ausrufen. Aber was spricht eigentlich gegen rotierende Chefredaktionen? Was wir ablehnen, ist die sogenannte Rückbesinnung auf eine journalistische Grundversorgung. Wer den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nur für diese Grundversorgung lobt, der spricht ein vergiftetes Lob aus. Das Streichen von Unterhaltung aus dem Programmauftrag bedeutet eine eklatante Schwächung des Öffentlich-Rechtlichen. Dem stellen wir uns entschieden entgegen. ({8}) Ja, wir brauchen tiefgreifende Recherche und die aufwendige Doku. Aber ja, wir wollen auch Unterhaltung; denn gemeinsam erlebte Unterhaltung baut Brücken. ({9}) 4 Millionen Zuschauer/-innen bleiben nach dem „Tatort“ dran, um noch „Anne Will“ zu schauen; da kommen übrigens auch Sie von der AfD vor. Das zeigt: Das Zusammenspiel von Unterhaltung und Informationsangeboten ist attraktiv. ({10}) Wer also die Unterhaltung aus dem Programmauftrag streichen möchte, der möchte in der Konsequenz öffentlich-rechtliche Informationsangebote in unserer vielfältigen Medienlandschaft zurückdrängen. Das werden wir nicht zulassen. ({11}) Wir brauchen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk dringender denn je; denn wir dürfen die deutsche Medienlandschaft nicht federführend den Krakeeler/-innen und nicht den Profitgeiern überlassen. ({12}) Zum Schluss, verehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU und der CSU. Es wundert mich immer wieder, dass nirgends so aufgeregt und viel über das Gendern gesprochen wird wie in Ihren Zirkeln. Der Parteivorsitzende Merz schreibt dazu eifrig Gastbeiträge. Auch bei Ihrem Parteitag in Hannover musste das Gendern als zentrales und raumgreifendes Eingangsthema herhalten – ganz besonders das Gendern im Öffentlich-Rechtlichen. Man fragt sich: Ist das Ihr Topthema? Wollen Sie allen Ernstes unabhängigen Journalistinnen und Journalisten vorschreiben, wie sie zu sprechen haben? ({13}) Wenn es nicht so traurig wäre, dann könnte man darüber lachen, dass die wahren Gender-Nerds dieses Landes hier vereint auf der rechten Seite dieses Hauses sitzen. ({14}) „Get a life“, wie man in Niederbayern sagt. Legen Sie Ihre Sprachpolizistinnenuniformen zurück in den Wandschrank der Geschichte. ({15}) – Wenn Sie das Gendern so anficht, dann gibt es eine ganz einfache Empfehlung:

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Erhard Grundl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004733, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verwenden Sie die nächsten 2 000 Jahre die weibliche Form, und fühlen Sie sich mitgedacht. Vielen Dank. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will eine Vorbemerkung machen und kann da sehr gut an Herrn Grundl anschließen: Wir sollten uns in dieser Debatte schon über die Dimension aktueller Diskussionen klar werden, insbesondere mit Blick auf die Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Er wurde nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere nach dem Vorbild der britischen BBC, als Antwort auf die Gleichstellung aller Medien ({0}) zu Zeiten des Faschismus, also als Antwort auf Goebbels’ Propagandamaschinerie, gegründet und entwickelt. ({1}) Seitdem trägt der öffentlich-rechtliche Rundfunk den öffentlichen Auftrag, ein inhaltlich wie finanziell unabhängiges, vielfältiges Medienangebot zu schaffen. Es ist also nicht irgendeine Wahl, die man dort treffen kann. Vielfalt ist Auftrag – nicht als schönes Beiwerk, sondern als Mitgarant für demokratische Ordnung. ({2}) In diesem Auftrag erwächst eine große Verantwortung, die immer wieder eingefordert werden muss. Ich sage Ihnen: Die aktuellen Ereignisse lassen einen da schon manchmal verzweifeln. Da gibt es selbstherrliche Intendanzen. Da meinen welche, das sei ein Selbstbedienungsladen. Oder es versagen eben tragischerweise auch Kontrollstrukturen. Das ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht der Gebührenzahlerinnen und ‑zahler, sondern auch der eigenen Mitarbeitenden. Da haben Sie völlig recht, Herr Lindh. Deren oft unter prekären Bedingungen geleistete gute Arbeit gerät nämlich in Mithaftung und in Misskredit. Das dürfen wir nicht zulassen. ({3}) Gleichwohl gilt es, auch Folgendes festzuhalten: Dass die Aufklärung über solche Vorgänge auch in den betroffenen öffentlich-rechtlichen Medien selbst stattfindet, halte ich jedenfalls für bemerkenswert. Ich kann mir den Vorgang schwer in privaten Medien vorstellen. Meine Damen und Herren, die Beschäftigten, Freie und feste Freie müssen jetzt bei allen anstehenden Entscheidungen unbedingt gehört werden. Sie müssen mitentscheiden können. Und sie verdienen gleichzeitig unsere Unterstützung im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen. ({4}) Nicht genug, dass Journalistinnen und Journalisten offen während ihrer Arbeit, beispielsweise auf Demonstrationen, behindert, bedroht oder körperlich direkt angegriffen werden. Nein, jetzt wird einem populistischen Impuls folgend auch noch Berichterstattung verächtlich gemacht. Meine Damen und Herren von der CDU, Ihr letzter Parteitag war ein Beleg dafür, wie man genau mit diesen Fragen nicht umgehen sollte. Was beim NDR beispielsweise geschehen ist, ist ein noch viel schwierigeres Problem, weil das nämlich die Glaubwürdigkeit, die Vertrauenswürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks infrage stellt. Und deshalb müssen wir auch dagegen ankämpfen. Ich finde eben, dass es sich Politik bisweilen zu einfach macht; wir tragen nämlich auch konkrete Mitverantwortung. Vielleicht mal so ein Histörchen aus den Befreiungskriegen: Ich war 14 Jahre Fraktionsvorsitzende in Sachsen-Anhalt. Und als ich aufgehört habe, haben mir MDR-Kollegen gesagt: Wissen Sie, Frau Sitte, Sie haben in den ganzen Jahren zweimal angerufen. Das haben wir uns gemerkt, weil es halt so selten war. Aber es gibt Kollegen in Ihrem Landtag, die rufen zweimal wöchentlich an. – Das geschieht ja nicht versehentlich, sondern natürlich mit der konkreten Absicht, Einfluss zu nehmen. Deshalb muss man das dringend verändern, und zwar nicht erst, wenn ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe gefällt wird. ({5}) Schließlich nicht ohne Grund hat die antidemokratische Rechte weltweit den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Feindbild identifiziert. Wer mit diesen Wölfen heult, trägt nicht zu Lösungen bei, sondern zu Auflösungen. Das wollen Sie, und das wissen Sie natürlich. Die Versuche in Großbritannien und in Frankreich oder eben auch in anderen Ländern, den öffentlichen Rundfunk gefügig zu machen, sollten uns tatsächlich ein warnendes Beispiel sein. Aber genauso fatal wäre es jetzt, in eine Wagenburgmentalität zu verfallen. Die Politik muss bei diesen Reformen Mittreiber sein. Sie muss aber die Unabhängigkeit, die unabhängige Aufsicht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks tatsächlich stärken und, wie gesagt, nicht auf Gerichtsprozesse bzw. Urteile warten. Für diese nötige Entwicklung braucht es einen gesellschaftlichen Dialog – das sehe ich genauso, Herr Lindh –, und es braucht mehr Teilhabe und Mitbestimmung. Ein starker öffentlich-rechtlicher Rundfunk muss sich auf das besinnen, ({6}) was von ihm, im Unterschied zu privatwirtschaftlichen Medien, erwartet wird, und zwar nicht nur im Angebot, sondern in der gesamten Arbeitsweise. Abschluss: Wenn es die Öffentlich-Rechtlichen – so sagt der eine oder andere bisweilen – nicht gäbe, müsste man sie erfinden. Meine Lieblingsprogramme sind 3Sat und Arte. Aber treffender wäre doch wohl, zu sagen: –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

– wenn wir wollen – letzter Satz –, dass es sie weiter gibt, müssen wir sie neu erfinden. Ich danke. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Thomas Hacker hat für die FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Thomas Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004734, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wie es Ihnen so geht am Ende der Sitzungswoche, nachdem wir viel debattiert, viel diskutiert haben. Schauen wir also mit ein bisschen Spannung auf den letzten Tagesordnungspunkt, die Aktuelle Stunde, bevor wir alle zurück in unsere Wahlkreise, zurück in unsere Heimat dürfen. Viele Themen haben wir in dieser Woche diskutiert: Krieg in der Ukraine, das Leid der Menschen dort, die Auswirkungen auf unser Land, Inflation und Energiesicherheit. Zum Abschluss nun der öffentliche Rundfunk, Länderhoheit. Zu Beginn der Aktuellen Stunde auf Antrag der AfD haben wir nach fünf Minuten Impuls von Herrn Renner erfahren: Ja, wir brauchen eine Aktuelle Stunde, damit wir, die AfD, Ihnen in den nächsten Wochen Vorschläge zur Reform des öffentlichen Rundfunks vorlegen können. – Hätten Sie doch erst nachgedacht und die Vorschläge präsentiert. Dann könnten wir sie danach in einer Aktuellen Stunde diskutieren. Dann könnten wir uns mit den Vorschlägen auch auseinandersetzen. ({0}) So diskutieren wir im luftleeren Raum, was Ihre Gedanken angeht. Wir haben konkrete Vorstellungen, wie es mit dem öffentlichen Rundfunk weitergehen soll. Dabei ist ja das Ziel der AfD hinsichtlich der Zukunft des öffentlichen Rundfunks klar – ich bin sicher, Herr Jongen wird es gleich dezidierter und vielleicht auch noch etwas prägnanter darbieten –: Ihnen geht es um die Zerstörung des öffentlichen Rundfunks, um die Zerstörung der Glaubwürdigkeit, ({1}) aber auch um die Zerstörung der Strukturen. ({2}) Da kann ich Ihnen sagen: Für uns ist der öffentliche Rundfunk Teil unserer grundgesetzlich garantierten Medienvielfalt, Meinungsfreiheit und damit ein Grundsatz, der nicht verändert werden kann in unserem Grundgesetz, im Zuge unserer Konstitution. Öffentlicher Rundfunk, gemeinsam mit den freien Medien, ist der Garant der Meinungsvielfalt und damit unerlässlich. ({3}) Aber warum will die AfD den öffentlichen Rundfunk zerstören? Weil dort Fakten präsentiert werden. ({4}) Weil dort Informationen gegeben werden. Weil der öffentliche Rundfunk bei dem Großteil der Bürgerinnen und Bürger Glaubwürdigkeit besitzt. Die „Tagesschau“, „heute“ und andere Nachrichtensendungen, aber auch das Auftreten in den sozialen Medien, in der digitalen Welt: All das ist das Gegenteil von dem, was Sie produzieren durch Ihre Fraktionsmeinungen, durch Ihre Präsentationen im Internet. ({5}) Und wenn Sie sich, Frau von Storch, in Ihrer Bubble bewegen und dort Ihre Sicht auf das, was hier passiert – im Parlament, aber auch in diesem Land –, präsentieren, ist das das eine. Wenn andere – die große Mehrheit in diesem Hause, die Medien draußen und der öffentliche Rundfunk – die Wahrheit dagegen setzen, dann mag Sie das stören. Es ist aber für Bürgerinnen und Bürger draußen wichtig, um sich zu informieren. ({6}) Diese Glaubwürdigkeit ist der Erfolg vieler engagierter Journalistinnen und Journalisten, ({7}) die sich einsetzen, jenseits von Verfehlungen auf der Intendantenebene oder in der Verwaltung ihrer Häuser. Wenn wir mit der Deutschen Welle, die auch Teil des öffentlichen Rundfunks ist, Informationen in andere Länder geben, darüber, was in Russland passiert, wie der Kriegsverlauf in der Ukraine ist, dann mag Sie das stören. Für uns ist es aber wichtig; es gehört zur Wahrheit in dieser Welt. Aber, meine Damen und Herren, der Reformbedarf beim öffentlichen Rundfunk ist vorhanden; man kann ihn nicht leugnen. ({8}) Vielen in Deutschland ist der öffentliche Rundfunk zu satt, zu aufgebläht, zu schwerfällig, zu selbstverliebt. Governance-Strukturen sind offensichtlich missbrauchsanfällig und veraltet. Spitzengehälter und Dienstwagen von Intendantinnen werden diskutiert; und auch in anderen Fällen – nicht nur beim RBB, sondern auch in Hamburg, Kiel, München oder Sachsen-Anhalt – zeigen sich mangelnde Kostenkontrolle und Compliance-Fehler. Erste Reformen – auch das muss man konstatieren – sind auf den Weg gebracht. Der Medienänderungsstaatsvertrag hat den Rundfunkauftrag neu definiert; hier müssen wir anfangen. Information, Bildung, Kultur und – mit einem Nebensatz abgesetzt – dann erst die Unterhaltung. Veränderungen im Programm werden wir erwarten, werden wir beobachten und werden wir auch einfordern. Die Reform der Strukturen muss folgen; Aufsichts- und Gremienstrukturen müssen erneuert werden. Was macht der Verwaltungsrat? Was macht der Rundfunkrat? Welche Qualifikationsvoraussetzungen für die Räte sind notwendig? Reicht es, engagiert zu sein in einer gesellschaftlichen Organisation, oder muss es nicht auch Kompetenz und Qualifikation geben? Wir wollen den Rundfunk fitmachen für die Zukunft. Dazu müssen Bund und Länder gemeinsam arbeiten, Impulse der Gesellschaft aufnehmen und weiterentwickeln. Wir wollen aufgrund der komplizierten strukturellen Verfasstheit des öffentlichen Rundfunks die Länder besonders in die Pflicht nehmen –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Thomas Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004734, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

-, in die Pflicht, Länderegoismen hinter sich zu lassen und die Reform des öffentlichen Rundfunks voranzubringen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Thomas Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004734, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Darüber sollten wir an diesem Wochenende diskutieren – nicht nur an diesem Wochenende und nicht nur auf dem Oktoberfest oder auf dem Cannstatter Wasen. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Vielleicht sollte ich noch mal darauf hinweisen, dass die Redezeit in der Aktuellen Stunde genau fünf Minuten beträgt und nicht fünfeinhalb oder irgendwas anderes. Jetzt gebe ich das Wort dem Kollegen Dr. Marc Jongen für die AfD. ({0})

Dr. Marc Jongen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004768, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Damit sich an Missständen in Deutschland etwas ändert, muss es offenbar zuerst ganz schlimm kommen. Vorher werden Kritiker ignoriert oder lächerlich gemacht. Es brauchte erst die haarsträubenden Skandale in der ARD, bis die Staatsmedien in ihrer ganzen Verschwendungssucht, Dysfunktionalität und Parteilichkeit jetzt auf den Prüfstand kamen. Es wurde höchste Zeit. ({0}) Dass Frau Schlesinger, die mittlerweile entlassene Intendantin des RBB, sich eine Luxuskarosse mit Massagesessel gönnte, dass sie private Abendessen offenbar dienstlich abgerechnet hat – bei einem Jahresgehalt von 303 000 Euro plus Zulagen –, ist nur der sichtbarste Teil des Sumpfes. Das System Schlesinger ist überall. Die ARD ist tief in ihren Strukturen korrumpiert – materiell und vor allem geistig. ({1}) Übrigens, WDR-Intendant Tom Buhrow erhält 411 000 Euro Jahresgehalt plus über 300 000 Euro Pensionsrücklagen. Das ist mehr als der US-Präsident. Dabei heißt der Herr noch nicht einmal wirklich Tom, sondern Thomas. ({2}) Alles finanziert vom Geld der Zwangsgebührenzahler! Mit 8,4 Milliarden Euro füttern diese jährlich den unersättlichen Medienmoloch. Und wehe, ein Bürger widersetzt sich, weil er das Angebot vielleicht gar nicht nutzen will! Dann droht Erzwingungshaft, so 181 Tage lang vollstreckt an Georg Thiel, der dem WDR 600 Euro schuldete. Werte Regierungsparteien im Bund und auch in den Ländern, was Präsident Macron in Frankreich geschafft hat – Ihr großes Vorbild –, das müsste Ihnen doch auch möglich sein. Schaffen Sie endlich diese Zwangsgebühren ab! ({3}) Die sind auch keine Demokratieabgabe, wie WDR-Chefredakteur Schönenborn im Orwell’schen Neusprech sagte, sondern mittlerweile, ja, eine Propagandagebühr. Ich will jetzt gar nicht auf dem Fauxpas der „Tagesschau“ herumreiten, die allen Ernstes meldete, ein Tüftler aus Simbabwe – in Wahrheit ein notorischer Betrüger – habe einen energieerzeugenden Fernseher erfunden. ({4}) So viel zur Faktenchecker-Kompetenz unserer Staatsmedien, Herr Hacker! ({5}) Viel gravierender ist der politische Filz in den Aufsichtsgremien der ARD, der diese längst in ein Verlautbarungsorgan der Regierenden verwandelt hat. Schon in den 80er-Jahren sagte Franz Josef Strauß über den Unterschied zwischen ARD und ZDF: „Das ist der gleiche Unterschied wie zwischen ‚Prawdaʼ und ‚Iswestijaʼ“. ({6}) Heute bleibt einem bei diesem Witz das Lachen im Halse stecken, wenn man zum Beispiel sieht, welch peinliche Lobeshymne eine „Tagesthemen“-Moderatorin auf Wirtschaftsminister Habeck kürzlich gehalten hat. Warum ist er so beliebt? Ein neuer Politikertyp, ein Macher! – Das war schon nahe an Nordkorea. ({7}) Und kein Wunder: Von den Volontären bei ARD und ZDF wählen 57 Prozent die Grünen, 23 Prozent die Linkspartei, 12 Prozent die SPD, CDU und CSU landen bei 3 Prozent und die FDP bei 1 Prozent. Werte CDU und FDP, für ein paar Chefsessel haben Sie diesen Linksruck in Deutschland zugelassen und Ihre politische Seele verkauft. Sie sollten darüber mal nachdenken. ({8}) Die AfD wird natürlich konsequent draußen gehalten, wie ja auch aus den Talkshows – ({9}) Herr Mörseburg, wenn Ihnen das passierte, würden Sie vielleicht auch ein CDU-TV gründen; kommt ja vielleicht noch –, ({10}) obwohl wir dort für die demokratische Vielfalt sorgen würden, die Sie ja angeblich so lieben. Und wenn einmal ein AfD-Vertreter dort sitzt, dann fällt das politmediale Kartell kollektiv über ihn her, damit er auch ganz bestimmt kein Argument zu Ende führen kann. ({11}) Erziehung und Bevormundung des Publikums: Das verstehen unsere Haltungsjournalisten als ihre Hauptaufgabe. ({12}) Und so werden dem Publikum eben nur schöne Bilder von Flüchtlingen gezeigt; hässliche Realität wird ausgeblendet. Die Oma wird als Umweltsau denunziert, wenn es der vermeintlich guten Sache dient. ({13}) „Winnetou“-Filme werden nicht mehr gezeigt, weil das Denken des tumben Volkes entkolonialisiert werden muss. Im Kinder- und Jugendprogramm gibt es stattdessen geschmacklose Frühsexualisierung, vorzugsweise queer, und natürlich wird die Gendersprache mit ihren Stolperpausen – Ideolog/-innen, Sprachpolizist/-innen; Herr Grundl, Sie haben das sogar selbst gesagt – den Zusehern aufgedrängt, ob sie es wollen oder nicht. ({14}) Und sie wollen es eben vor allem nicht, Herr Hacker. ({15}) Über 40 Prozent der Deutschen haben nach einer Umfrage kein Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mehr. Das ist ein Alarmsignal. Unser Mediensystem hat sich überlebt. Es stammt aus einer völlig anderen Zeit – ohne Internet, mit knappen Sendefrequenzen – und muss grundsätzlich reformiert werden. Es kann nicht sein, dass es seine Privilegien jetzt auch noch auf das Internet ausdehnt, wie es zu geschehen droht. ({16}) Ich komme zum Schluss. Wir laden Sie dazu ein, in einer Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages diese Reform zu diskutieren und vorzubereiten. Unser Antrag dazu – federführend: Kollege Renner – geht in den Ausschuss. Verweigern Sie sich dieser Debatte bitte nicht – und vor allem bitte nicht mit so billigen Argumenten, wie wir sie heute gehört haben! Vielen Dank. ({17})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

In unserer Aktuellen Stunde folgen jetzt noch sieben Redner/-innen, und die nächste Rednerin ist die Kollegin Simona Koß für die SPD-Fraktion. ({0})

Simona Koß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005112, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Lehren aus ARD-Skandal ziehen: öffentlich-rechtlichen Rundfunk jetzt grundsätzlich reformieren“: So lautet der einigermaßen konstruktive Titel der heutigen Aktuellen Stunde – einigermaßen deswegen, weil sich die Vorfälle, über die wir reden, nicht bei der gesamten ARD ereignet haben, ({0}) sondern allein bei zwei Sendeanstalten, und zwar bei dem Rundfunk Berlin-Brandenburg und dem Norddeutschen Rundfunk. Auf die anderen sieben ARD-Anstalten – von Radio Bremen über den Hessischen Rundfunk bis hin zum Südwestrundfunk – beziehen sich diese Vorwürfe nicht. Und schaut man genauer hin, dann sieht man, dass wir es in beiden Fällen mit Führungsproblemen zu tun haben. Beim RBB stehen erhebliche Compliance-Verstöße im Raum, beim NDR geht es darum, dass eine Redaktionsleitung eine ihr unbequeme Berichterstattung unterbunden hat. ({1}) Ich will sehr, sehr vorsichtig sein; denn noch laufen die zum Teil staatsanwaltlichen und zum Teil senderinternen Untersuchungen. Aber das, was im Raume steht, hat mit dem Kopf der Anstalten, nicht aber mit dem Körper zu tun. Es ist – ich wiederhole mich – ein Führungsproblem. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – sowohl beim RBB als auch beim NDR – fühlen sich bei ihrer Ehre gepackt und rollen seit Beginn der Vorwürfe die Fakten auf. Ich bin sehr beeindruckt, in welcher Tiefe und mit welchem Nachdruck die Journalistinnen und Journalisten jetzt die Missstände recherchieren, ansprechen und aufarbeiten. Diese Aufarbeitung schmerzt ganz sicher an vielen Stellen, vor allem, weil sie unter den Augen der Öffentlichkeit stattfindet, ({2}) aber sie ist notwendig. Nur so kann es gelingen, verlorengegangenes Vertrauen wiederherzustellen. ({3}) Meine Damen und Herren, es streitet niemand ab, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk Reformen braucht. Vor allem brauchen die Anstalten eine deutliche Stärkung der Kontrollgremien. In Zeiten, in denen sich private wie öffentliche Unternehmen strenge Compliance-Regeln auferlegt haben, müssen selbstverständlich auch Führungspersönlichkeiten in Rundfunkanstalten ihr Handeln transparent darlegen. Die Zeit patriarchalisch handelnder Intendanten und Intendantinnen ist vorbei. ({4}) Schlimm genug, dass man das erwähnen muss. Was allerdings wirklich nicht auf den Prüfstand gehört, ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk an sich. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat bei uns seine Rolle darin, politisch und wirtschaftlich, unabhängig und natürlich ausgewogen demokratische Prozesse transparent und sichtbar zu machen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll die freie Meinungsbildung fördern, die kulturelle Vielfalt darstellen und einen umfassenden Überblick über das regionale, nationale und internationale Geschehen gewährleisten. ({5}) Selbstverständlich beziehen sich diese Anforderungen auf das Gesamtprogramm und nicht nur auf einzelne Sendungen bzw. Sendungsformate, und schon gar nicht geht es dabei um einen Verzicht auf Unterhaltungssendungen. Auch in Zeiten der dringend notwendigen Reformen stärken wir den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und damit die Pressefreiheit und die Pressevielfalt in Deutschland. ({6}) Am Rande bemerkt: Beides, Pressefreiheit und Pressevielfalt, nützt auch denen, die gerne über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk herziehen und ihn am liebsten abschaffen würden. Wir als Koalition stehen an der Seite des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der fraktionslose Matthias Helferich hat jetzt das Wort.

Matthias Helferich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005079

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Wenn deutsche Produktion für amateurhaftes Erziehungsfernsehen steht, das in der Parteizentrale der Grünen hätte gedreht sein können, wenn der Täter im „Tatort“ stets der 50‑jährige Weiße, aber nie der junge Syrer ist und Reportagen an der Grenze scharenweise Kinder mit Kulleraugen statt bärtiger Araber zeigen, dann, meine Damen und Herren, befinden wir uns in der Parallelgesellschaft von ARD und ZDF, die uns übrigens mehr kostet als der gesamte Staatshaushalt von Island. Das Treiben der ARD-Clanfamilie wurde lange von Ihnen allen gedeckt. Der linke Parteienstaat stand mit eiserner Entschlossenheit hinter seinem Propagandaapparat. Doch die Familienoberhäupter der Sendezentralen haben es mit ihren astronomischen Gehältern, Dienstwagen und sogar Massagesesseln nun etwas überreizt. Der etablierte Machtblock mit seinen Rundfunk- und Parteienzentralen reicht von den Grünen bis zur Union, und alle brauchen sie die ARD, um ihre bunte Agenda in die Köpfe der Leute zu hämmern; das D in ARD steht für Dressur. Grundsätzliche Reformideen für den Rundfunk kommen hingegen ausschließlich von der AfD. Es gibt aber noch eine weitere Möglichkeit der Gegenwehr, liebe Mitbürger da oben, und die lautet: Schaffung einer medialen Konterkultur. Da die Etablierten den Rundfunk für ihre Umerziehung missbrauchen, erlaube ich mir nun einen Werbeblock für oppositionelle Medien; ganz frei von GEZ-Gebühren, Herr Lindh. Bestellen Sie Literatur beim Jungeuropa- oder Antaios-Verlag! Lesen Sie die „Krautzone“ oder die „Junge Freiheit“! Abonnieren Sie den „Heimatkurier“ oder „Info-Direkt“ aus Österreich! Stöbern Sie in den Beiträgen von „Hallo Meinung“ und dem „Deutschland-Kurier“! Jeder Euro, jeder Like für alternative Medien ist eine saftige Ohrfeige für die Buhrows und Schlesingers. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Michael Frieser. ({0})

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn das Haushaltsvolumen in Island so interessant ist, empfehle ich einen sehr langfristigen Aufenthalt dort, um sich mit den entsprechenden Fragen auseinanderzusetzen. ({0}) Es fällt einem in dieser Debatte schon schwer, das eigentlich Aktuelle zu erkennen. Ich bitte, sich nicht immer gleich ins Bockshorn jagen zu lassen, wenn hier jemand mit einem Feuerwerk der schlechten Laune und der Desinformation ein Thema auf die Tagesordnung setzt. Davon sollten wir uns als Demokraten nicht beeindrucken lassen, wenngleich wir zum Kern vorstoßen sollten, der uns als Politik schon auch besorgen muss. Es geht natürlich erst einmal um Fehlverhalten. Es geht um persönliches Fehlverhalten. Es geht um Nepotismus. Es geht um die Bevorzugung von Freunden, Verwandten oder um Ähnliches. Das ist etwas, was man aufklären kann und auch aufklären muss. Man muss sich fragen: Was davon sind in der Tat strukturelle Probleme? Es reicht nicht, wenn wir sagen: Wir stehen fest an der Seite des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ein Blick in die Verfassung zeigt: Das ist allenfalls verfassungsgemäß; aber nicht mehr und nicht weniger. Es geht schon darum, dass wir erkennen, dass sich die Zeiten grundlegend verändert haben. Und es ist einfach wahr: Der sogenannte Content, der produziert wird – früher streng getrennt: öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Fernsehen sowie Printmedien –, hat sich, wenn man einen Blick auf die jeweiligen Seiten wirft, stark angenähert. Ist die Verantwortungsteilung noch gerecht? Funktioniert sie tatsächlich noch so, dass wir sagen können: „Printmedien haben im Grunde schlechtere Startvoraussetzungen für ihre Meinungsvielfalt“? Das Spannungsverhältnis Politik und Rundfunk ist übrigens ein sehr interessantes. Herr Lindh hat eine große Agenda aufgezeigt, was wir alles machen müssen und was wir verbessern müssen. Allein durch die Mitgliedschaft und die Mitwirkung der Politik in den Verwaltungsräten und Rundfunkräten war man nicht in der Lage, diese Fragen tatsächlich zu klären; dazu komme ich gleich. Es geht schon auch ein bisschen um die Flucht vor der Verantwortung, um das Ausgliedern der eigentlich zentralen Fragen bis hin zur eigentlich wichtigsten Frage, nämlich die der Finanzierung. Die haben wir mittlerweile auch in eine Kommission ausgegliedert. Was also gibt es noch zu besorgen? Denn wir sind uns doch alle einig: Eine inhaltliche Aufsicht will und darf keiner führen in einem die Medienvielfalt gewährleistenden öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Zuständigkeit der Länder – die natürlich wieder über eine Reform des Staatsvertrages verhandeln – ist klar. Aber ich glaube, es wäre schon besser, zu sagen: Die Politik soll, auch personell, auch bei den Rundfunkräten und den Verwaltungsräten, ein Stück Abstand gewinnen. Mir erschließt sich nicht ganz, warum das notwendig ist. Das Ansprechen des Umgangs mit Mitteln ist natürlich einfach und populistisch. Zum Beispiel die sogenannte Tatorteritis. Mein Gott, man darf doch mal die Frage stellen: Reichen nicht 16 Sendeanstalten mit ihren „Tatorten“, muss es auch noch das gesamte europäische Ausland sein? Nicht ganz zu Unrecht fragt man sich, ob zwei öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten beim bedauernswerten Ableben der Queen ganztägig berichten müssen. ({1}) Lässt sich das nicht tatsächlich zusammenlegen? Der zweite Punkt ist: Ein Blick in die Mediatheken macht es natürlich auch nicht besser. Eine Konzentration, um auch dem Betrachter, dem Gebührenzahler – das ist der eigentliche Arbeitgeber – die Möglichkeit zu geben, den Content, der produziert wird, zu finden, das wäre zumindest mal ein Ansatzpunkt. Und auf wessen Rücken wird das ausgetragen? Natürlich auf dem Rücken des Inhaltes. Für die sogenannten festen Freien – wir hoffen sehr, dass sich das ein Stück weit ändern kann und ändern wird –, die am Ende des Tages den Inhalt liefern, die aus all diesen Strukturen und diesen Finanzierungen die Berichterstattung vor Ort bewerkstelligen müssen, die einen Auftrag erfüllen müssen, der immer schwerer wird – man braucht einen Text, man braucht die Bilder und das Filmchen dazu, man braucht die Überschriften, die Untertitel –, wird es nicht leichter. Und zur Bezahlung kann man an dieser Stelle nur sagen: Die ist höchst bedauerlich. Schreiben wir uns ins Stammbuch: Wenn wir schon über Medien reden, dann geht es schon auch ein bisschen um die Deutsche Welle, liebe Ampel. Wenn man der Deutschen Welle – so wichtig sie ist; wir alle wissen das, und wir sind uns da alle einig – einen großen Aufgabenkatalog, nicht nur aus dem Koalitionsvertrag, gibt, dann muss man auch die entsprechenden Mittel bereitstellen und darf sie nicht verweigern. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Lamya Kaddor spricht jetzt zu uns für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Lamya Kaddor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005095, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren oben auf der Tribüne, unseren Zuhörern! Um das gleich zu Beginn klarzustellen: Ja, auch ich sehe natürlich einigen Reformbedarf bei den öffentlich-rechtlichen Sendern. Ich würde auch sagen: Die Lösungen müssen an der Struktur ansetzen; das ist ja klar. Aber was hier in den vergangenen Wochen teilweise an Dauerfeuer kommt, erschüttert die Grundfesten unseres Systems, und das kann ich als Innenpolitikerin in diesem Land nicht unkommentiert lassen. Die öffentlich-rechtlichen Medien sind eine tragende Säule unserer Demokratie. ({0}) Sie sind ein Garant von Freiheit und Vielfalt. ({1}) Wer Hand an ihr Fundament anlegt, richtet die Abrissbirne gegen unseren Rechtsstaat. ({2}) Es waren vor allem die Öffentlich-Rechtlichen, die in den vergangenen Jahren ausführlich und in der Regel sachlich beispielsweise über die Gefahren des Islamismus in diesem Land und in der ganzen Welt aufgeklärt haben. ({3}) Heute sind es vor allem diese Sender, die die rechtspopulistischen und rechtsextremen Umtriebe beleuchten, Fake News zerlegen und Verschwörungsideologien aufdecken. ({4}) Zudem geben sie gemäß ihrem Auftrag auch solchen Menschen eine reichweitenstarke Stimme, die lange Zeit gar keine Stimme hatten. Sie machen die Sorgen von jenen sichtbar, die sonst unsichtbar sind: Menschen mit Behinderungen, Menschen, die von Armut betroffen sind, Verlierer der Wiedervereinigung, alleinerziehende Mütter, Deutsche mit Zuwanderungsgeschichte, Geflüchtete, Homosexuelle, queere Menschen. ({5}) Und damit sind wir auch schon bei des Pudels Kern: Es geht um gesellschaftliche Minderheiten. Deren Positionen wahrzunehmen, Vorurteile über sie zu dekonstruieren, all das ist zentral für eine sozial gerechte Gesellschaft. ({6}) Diese Aufgabe übernimmt das öffentlich-rechtliche System heute wie kein anderes. Das ist der eigentliche Grund, warum Politikerinnen und Politiker der AfD und einige andere in diesem Hohen Haus dieses am liebsten abschaffen wollen. Sie wollen weder, dass solche Minderheiten großartig Gehör finden – sehen wir jetzt gerade –, noch wollen Sie Störfeuer haben, wenn Sie gegen sie agitieren in Ihrer Illusion von einer Mehrheitsgesellschaft, die Sie nicht einmal definieren können. ({7}) In Wahrheit üben Sie nämlich permanent Fundamentalkritik und schießen süffisant übers Ziel hinaus. Doch wohin das führt, sieht man an Polen und natürlich auch an Ungarn. Schamlos wie niemand sonst machen sich die Rechtskonservativen dort die Medien untertan, besetzen Chefetagen mit Günstlingen und geben ganz direkt Order, was zu berichten ist. Und gewiss müssen deren Führungskräfte nicht schon beim ersten begründeten öffentlichen Verdacht ihre Funktion aufgeben, wie übrigens etwa beim NDR. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn man nach Westen schaut, sieht man ähnliche Entwicklungen. Nehmen Sie die Schweiz. Schauen Sie nach Frankreich. Marine Le Pen reibt sich bereits die Hände in Vorfreude auf einen erhofften Bedeutungsverlust der Öffentlich-Rechtlichen nach Abschaffung der Rundfunkgebühren. Blicken Sie nach Großbritannien, wo Boris Johnson der altehrwürdigen BBC an den Kragen gegangen ist. Und warum? Weil es seinen Tories nicht passt, was sie berichtet haben. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht uns nichts an, welche Meinung Journalistinnen und Journalisten vertreten, was sie und über was sie berichten wollen – nicht Sie, nicht mich. Es herrscht Programmautonomie in diesem Land. ({9}) Die Öffis sind weder die Presseabteilung der Bundesregierung noch der Opposition. Sie leben von politischer Unabhängigkeit. Nur der freiheitlichen Grundordnung sind sie verpflichtet. Darf ich Sie an den Medienstaatsvertrag erinnern? § 26 des Medienstaatsvertrages, finde ich, kam hier viel zu wenig zur Rede: Auftrag der … Rundfunkanstalten ist, … die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. … Sie sollen … die internationale Verständigung, die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern. Kein Wunder also, dass sie bei reaktionären Backlashs die Ersten sind, die fallen, Beispiel Russland, Beispiel Türkei. Mal sehen, wie es nach dem Wochenende in Italien weitergeht. Was ohne starke Öffis passieren kann, können Sie in den USA studieren. ({10}) Die Demokratinnen und Demokraten in diesem Hohen Haus müssen zusammenstehen, um derartige Entwicklungen zu verhindern. Ohne vernünftiges öffentlich-rechtliches Fernsehen und Systeme ziehen dunkle Wolken auf. Wir wären nach dem Zweiten Weltkrieg nicht da, wo wir heute sind. Und vertun Sie sich alle nicht. Auch Deutschland ist nicht immun gegen Extremismus. In diesem Sinne profitieren wir als Gesellschaft im Ganzen von diesem System. Daher spielt es im Einzelfall auch keine Rolle, ob jemand das Fernseh-, Radio- oder Internetangebot tatsächlich nutzt. Die Freiheit, die die Öffentlich-Rechtlichen mit aufrechterhalten und befördern, dient uns allen; selbst Ihnen. Das sollte sich jeder vor Augen halten, wenn von irgendwo einmal wieder mit billigem Populismus versucht wird, das öffentlich-rechtliche System zum Einsturz zu bringen. Vielen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion hat jetzt Maximilian Funke-Kaiser das Wort. ({0})

Maximilian Funke-Kaiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005058, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eine historisch gewachsene und seinerzeit elementare Institution für Frieden, für Freiheit und für Demokratie. Das darf – das wurde auch schon das eine oder andere Mal in dieser Debatte genannt – nicht in Vergessenheit geraten. Es geht um Demokratisierung, es geht um Bildung, es geht um die Garantie der Mündigkeit der Menschen. Unsere Aufgabe ist es, aus der Geschichte zu lernen. Genauso ist es unsere Aufgabe, all jene Gräueltaten, die in der dunkelsten Zeit unserer Geschichte passiert sind, nicht zu vergessen. Dafür steht auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Wenn andere das möglicherweise anders sehen und der Meinung sind, dass man diese Kernaufgabe und den damaligen Begründungszweck anders sehen soll und dass das falsch ist, dann wäre das einmal mehr recht entlarvend. Ich denke, alle Demokraten in diesem Raum sind sich darüber einig, dass das hehre Ziel des ÖRR wichtig ist. Als Demokraten sind wir uns auch einig, dass nur eine ausgewogene und ganzheitliche intensive Berichterstattung diesem Ziel gerecht werden kann. Das muss auch Ziel einer jeden Debatte über den ÖRR sein. Genau das ist auch der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, sosehr richtig all diese Ziele sind, es ist genauso richtig, dass der ÖRR mit der Zeit gehen muss. Das bedeutet, anders, als es manch anderer gerne hätte, im Zweifel nicht die Zerschlagung oder andere Ideen. Es bedeutet zuallererst die Notwendigkeit der Anpassung an neue Realitäten. Insbesondere aber in Zeiten der Krise, in Zeiten, in denen jeder und jede den Gürtel enger schnallen muss, in Zeiten, in denen die Energieversorgung unseres Landes infrage gestellt ist, in denen eine Pandemie unsere Gesellschaft massiv auf die Probe gestellt hat, in denen Europa einen Angriffskrieg mit allen Konsequenzen erlebt, in denen unser wirtschaftliches Fundament am Bröckeln ist, wo Weichen für eine Neubegründung unseres Landes für unseren wirtschaftlichen Erfolg dringend benötigt werden, Generationen nicht vor einem Scherbenhaufen stehen sollen wegen verfehlter Politik, sollen Rundfunkbeiträge tatsächlich weiter steigen, sollen Beitragsgelder – wie berichtet – aus dem Fenster geschmissen werden, sollen keine Maßnahmen zur Effizienzsteigerung getroffen werden, wie es jetzt jeder in diesem Land macht – der mittelständische Betrieb oder das Kleinstgewerbe um die Ecke? Liebe Freunde, das kann nicht unser Ernst sein. ({1}) Wie sollen die Menschen in diesem Land noch irgendetwas ernst nehmen, wenn man solche Sachen hört, geschweige denn der ÖRR Dinge nicht machen muss, die gerade aktuell das gesamte Land tun muss? Es ist unsere Aufgabe als Politik, als Staat, verantwortungsvoll mit den Geldern in diesem Land umzugehen, für die Investition in die Zukunft dieses Landes und auch für die Sicherstellung des Wohlstands von morgen. Dass wir die Gesellschaft stärken, dass sie ihren sozialen Pflichten nachkommen kann. Das ist die Kernaufgabe des Staates. Genauso ist es, wie für uns als Staat, die Aufgabe des ÖRR, mit den Abgaben, die wir in dieses System geben, auch vernünftig zu haushalten. Also: verantwortungsvolles Wirtschaften mit den Abgaben auf der einen Seite und die Erfüllung des Auftrages auf der anderen Seite, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Wir als Freie Demokraten setzen uns für eine moderne, für einen schlanken öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein. Es geht um Nachrichten, es geht um politische Bildung, es geht um Dokumentation, ja, es kann auch um Kultur gehen. Aber sorry, Kultur bedeutet nicht, die x-te Quizshow, und es bedeutet auch nicht das Playback-Konzert. Ich würde mir weniger Traumschiff und Helene wünschen, ich würde mir mehr Bundestagsdebatten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wünschen. ({3}) Ich würde mir mehr objektive Berichterstattung darüber wünschen, mehr Geld für die Redakteure, statt mehr Cash und Privilegien für die Chefetage; den Beitrag für den ÖRR reduzieren, also weniger Abgaben für die Menschen durch Strukturreformen in der Verwaltung – das hat der Kollege Hacker vorhin auch gesagt –, ordentliche Kooperationen und Konzentration auf die Kernaufgaben, nicht erforderliche Parallelangebote abstellen. Mal ganz ehrlich: Wollen wir ein funktionierendes duales Mediensystem, dann braucht es Ausgewogenheit. Die Verhältnismäßigkeit zwischen den Rundfunkbeiträgen und dem Wettbewerb muss gewahrt sein. Es ist schlicht nicht Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, in Konkurrenz mit privaten Anbietern zu treten. Abschließend: Diese Reformen des ÖRR brauchen wir. Aber vergessen wir dabei nicht eines: Wir reden schon sehr lange über diese Reformen. Ich möchte an dieser Stelle auch an die flammende Eröffnungsrede des damaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert erinnern. Es gab damals sehr viel Applaus. Und was ist in der letzten Zeit, in den letzten Jahren passiert? Die Antwort kennen wir alle selber. Denken wir noch ein Stück weiter: Reformen braucht unser Land in Gänze. Herzlichen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Marco Wanderwitz hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Marco Wanderwitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen hier im Deutschen Bundestag an einem Freitagnachmittag und sprechen über ein Thema, für das wir kaum verfassungsrechtliche Zuständigkeit und Kompetenz haben. Ich denke mir bei mancher Debatte, die man aus den deutschen Landtagen sieht: Warum wird dort so viel über Themen diskutiert, für die die Landtage keine verfassungsrechtliche Kompetenz haben? Die Antwort, warum wir über ein Thema diskutieren, über das 16 Landtage berechtigterweise diskutieren, ist: weil die AfD der Meinung ist, hier diesen Antrag stellen zu müssen. ({0}) Die AfD ist es auch, die sich einreiht in den illustren Geleitzug von Diktaturen, die Fake News verbreiten, von Querdenkern, die Fake News verbreiten. Das tun eben auch Rechtsradikale so wie Sie regelmäßig. Wir haben heute hier wieder Beispiele gehört. Deswegen hat Frau Kollegin Sitte natürlich recht, auch wenn der Spruch nicht von Ihnen ist und auch nicht von mir, gleichwohl will ich ihn gern zitieren: Wenn es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch nicht gäbe, müssten wir ihn erfinden. – Dass Sie hier in diesem Haus sitzen, ist allein schon Grund dafür. Wir haben eine gutfunktionierende duale deutsche Medienordnung, die weit besser funktioniert als in den allermeisten Ländern dieser Erde, mit hoher Qualität, mit Pluralität und Vielfalt, und zwar von Öffentlich-Rechtlichen und Privaten. Ich glaube, die hohe Qualität der Privaten hat auch ein wenig damit zu tun, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk bei uns so eine hohe Qualität hat. Er ist staatsfern organisiert; er hat einen klaren Auftrag. Wir haben dazu eine gefestigte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, ({1}) Informationsauftrag, Bildungsauftrag, Kulturauftrag, auch ein wenig Unterhaltungsauftrag, vor allen Dingen aber redaktionelle Unabhängigkeit und Gremienkontrolle. ({2}) Deshalb ist völlig klar: Wenn es Verfehlungen gibt – und die gibt es –, muss man diese auch benennen. Ich gehöre aber auch zu denen, die, wenn man es sich einmal ganz genau anschaut, natürlich gar nicht anders können, als zu sagen: Es sind Einzelfälle. Es ist nicht ein systemisches Versagen, sondern es sind Menschen, die sich wie in vielen Fällen in der Gesellschaft leider falsch verhalten haben. Deswegen gilt es, vor allen Dingen die Gremien zu stärken. ({3}) Genau das macht der neu ausgehandelte Medienstaatsvertrag. Er stärkt die Kontrollrechte der Gremien, und er fokussiert ein weiteres Mal den Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen. Ob Ihnen das passt oder nicht: Die Mehrheitsgesellschaft in diesem Land beantwortete die jeden Monat gestellte Frage der Forschungsgruppe Wahlen – ich zitiere –: „Wenn es um die Berichterstattung in öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern wie ARD und ZDF geht, ist dort Ihr Vertrauen, dass dort wahrheitsgemäß berichtet wird, sehr groß, groß, nicht so groß oder haben Sie gar kein Vertrauen?“, zwischen April 2020 und April 2022 stets mit 68 bis 74 Prozent mit „sehr groß“ oder „groß“. Das sind Mehrheiten von zwei Drittel bis drei Viertel. ({4}) – Ich lasse all diese Unverschämtheiten, Dummheiten und Dreistigkeiten einfach mal so stehen. ({5}) Sie, die uns zuschauen, können sie leider nicht hören, sondern maximal im Protokoll nachlesen. Das lohnt dann allerdings manches Mal. Mein nächster Satz: Von solchen Zustimmungswerten können wir alle als politische Parteien und viele Akteure der Zivilgesellschaft leider oft nur träumen. Deswegen will ich an dieser Stelle vor allen Dingen den Journalistinnen und Journalisten, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den in den Gremien Engagierten – das sind nämlich alles Ehrenamtler – auch einmal herzlich Dank dafür sagen, dass sie gemeinsam diesen öffentlich-rechtlichen Rundfunk seit über 70 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland zu dem entwickelt haben, wie wir ihn haben. ({6}) Deswegen noch ein ganz kleines Fazit. Erstens. Wir brauchen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk dringend. Er ist konstitutiv für das Gelingen der Demokratie. Zweitens. Natürlich gibt es allzeit Reformbedarf. Die Themen Internet, neue Medien, Crossmedialität sind bereits angesprochen worden. Aber diese Reformen hat es in den letzten Jahren auch gegeben. Wir dürfen natürlich sprichwörtlich das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, sondern müssen mit Augenmaß an diese Reform herangehen. Als letzter Punkt – da, glaube ich, sind wir uns hier im Hause alle einig; Kollegin Wagenknecht ist ja heute nicht da –: Wir werden uns von Ihnen, von den Rechtsradikalen in diesem Haus, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sicher nicht kaputtmachen lassen. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Matthias Mieves spricht für die SPD-Fraktion. ({0})

Matthias David Mieves (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005154, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, ich freue mich sehr, Sie zu sehen!

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dafür hat sich das schon gelohnt: Er freut sich, mich zu sehen. – Ich hoffe, das gilt auch für die anderen.

Matthias David Mieves (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005154, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Für die meisten anderen gilt das auch. – Guten Tag zusammen! ({0}) 18,36 Euro – das kostet uns der öffentlich-rechtliche Rundfunk, und zwar jeden Monat. ({1}) Ich möchte gern darauf eingehen, wofür wir das eigentlich bezahlen. Ich möchte dabei drei Themen in den Mittelpunkt rücken: Erstens. Was bekommen wir denn eigentlich dafür? Zweitens. Was wären die Alternativen? Und drittens. Was muss sich eigentlich ganz konkret ändern? 18,36 Euro – was bekommen wir dafür? Wir bekommen dafür erst einmal ein megagutes Abo. ({2}) Hey, da ist alles drin: von Unterhaltung über Sport bis Information. Wir bekommen zum Beispiel Barbara Schöneberger, die uns jedes Jahr mit dem Eurovision Song Contest die ganze Vielfalt, die Freude und den Zusammenhalt Europas in die Wohnzimmer bringt. ({3}) Und: Wir bekommen dafür auch Marietta Slomka, die ich sehr dafür schätze, dass sie unsere Regierungsmitglieder regelmäßig hart, aber fair in die Mangel nimmt. ({4}) Und: Wir müssen natürlich auch jede Woche den dicken Welke ertragen, der uns allen zusammen hier zu Recht auch mal die Leviten liest. ({5}) – Na ja. ({6}) Über diese konkreten Angebote hinaus sind die Öffentlich-Rechtlichen aber auch ein Bollwerk gegen Fake News. Die Öffentlich-Rechtlichen sind das Fundament für gute Information, für Verlässlichkeit, für Sachlichkeit in den Medien. ({7}) Damit sind die Öffentlich-Rechtlichen für mich und für uns alle ein wichtiges Fundament für unsere Freiheit und für unsere Demokratie. Dieser Wert geht am Ende deutlich über die Kosten hinaus. Das, was die Öffentlich-Rechtlichen liefern, kostet 18,36 Euro, hat aber einen deutlich höheren Wert für uns alle. ({8}) Was sind die Alternativen? Die Alternativen sind Medienlandschaften, die auf der einen Seite komplett vom Kapital kontrolliert werden und die auf der anderen Seite komplett von Staaten missbraucht werden, um ihre Gesellschaften zu kontrollieren. Deshalb brauchen wir einen anderen Weg, wo die Bürgerinnen und Bürger zwar dafür zahlen, aber am Ende sich die Medien auch danach richten, die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger zu erfüllen, nämlich für uns da zu sein. In den USA sehen wir, was passieren kann, wenn kapitalgetriebene Sender ihre Anstalten missbrauchen, um Kampagnen zu betreiben. In Australien haben wir gesehen, was passiert, wenn Imperien genutzt werden, um den Kampf gegen den Klimawandel aufzuhalten und zu verlangsamen. Das wollen wir nicht bei uns. Und wir wollen auch nicht das andere Extrem, wo Regierungen in Staaten wie Russland und China Medien missbrauchen, um Menschen zu kontrollieren, um ihnen Meinungen einzubläuen, um sie am Ende von einem freiheitlichen Leben abzuhalten. Das wollen wir nicht. Wir brauchen den Weg, wo Bürgerinnen und Bürger ihren öffentlich-rechtlichen Rundfunk finanzieren und ihm am Ende damit auch einen ganz klaren Auftrag geben, nämlich für die Bürgerinnen und Bürger zu arbeiten. ({9}) Beim dritten Punkt reden wir darüber, was sich ändern muss. Ja, wir haben einen Skandal, und der muss aufgearbeitet werden. Es müssen Konsequenzen gezogen werden, und wir müssen sicherstellen, dass das nicht noch einmal passiert. Daran wird konkret schon gearbeitet. Die Rundfunkkommission hat gerade gestern getagt und hat ganz konkrete Beschlüsse gefasst, wo es darum geht, bessere Kontrollmechanismen einzuführen, wo es darum geht, dass auch Sparsamkeit einen stärkeren Fokus bekommt, und wo es darum geht, dass Intendantinnen und Intendanten stärker dafür Rechenschaft ablegen müssen, was in ihren Anstalten passiert. Das ist gut und richtig. Denn auf der einen Seite haben wir Leute, die für die Kameras herumbrüllen, und auf der anderen Seite haben wir Menschen, die für die Bürgerinnen und Bürger arbeiten und konkrete Verbesserungen einführen. Das Zweite ist unser Weg, und das ist der richtige und der einzige, der Ergebnisse bringt. ({10}) 18,36 Euro – das sind die Kosten für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Monat. ({11}) Das ist das, was jeder bezahlen muss. Aber das, was er für uns wert ist, ist am Ende unbezahlbar. Vielen Dank fürs Zuhören und ein schönes Wochenende. ({12})