Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer ins Ausland reist, macht häufig eine sehr ernüchternde Erfahrung, nämlich dass andere beim Thema Digitalisierung weiter sind als wir. Beim Vergleich der 27 EU‑Mitgliedstaaten belegt die Bundesrepublik Deutschland gerade mal Platz 13. Das ist eine Bilanz, die so nicht bleiben kann.
Das, was wir von der Vorgängerregierung im Bereich der Digitalisierung übernommen haben, kann sich nicht sehen lassen. Deutschland muss in der Topliga spielen. Wir können uns Platz 13 nicht leisten. Deshalb ist klar: Deutschland braucht einen umfassenden digitalen Aufbruch.
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Das Kursbuch dafür ist die Digitalstrategie der Bundesregierung. Sie führt erstmals die digitalpolitischen Schwerpunkte aller Ministerien zusammen und zeigt sehr konkret, wie der Staat das Leben der Bürgerinnen und Bürger mithilfe der Digitalisierung verbessern will und auch verbessern wird. Dabei haben wir drei Hebelprojekte definiert, die Grundlage für viele digitale Anwendungen sind:
Zum einen wären das die digitalen Identitäten. Denn um datenbasierte Leistungen und Dienste im Netz sicher nutzen zu können, brauchen wir sichere digitale Identitäten, also etwa bei Onlinebehördengängen, bei Gesundheitsdienstleistungen, beim Beantragen des Personalausweises oder auch im privatwirtschaftlichen Bereich, etwa beim Onlineshopping.
Beim zweiten Hebelprojekt geht es um internationale Standards. Einheitliche technische Standards ermöglichen Interoperabilität; das heißt, sie sorgen dafür, dass alles zusammenpasst. Wichtig ist daher, dass wir die in unserer Strategie beschriebenen Projekte technisch offen und rechtlich sicher gestalten. Das ist entscheidend für alle digitalpolitischen Vorhaben, die jedes Ressort in eigener Verantwortung umsetzen muss.
Das dritte Hebelprojekt schließlich ist der Gigabitausbau und eine deutlich höhere Verfügbarkeit von Daten. Denn Daten sind der Schlüssel für digitale Innovationen. Wenn man sie analysiert, aufbereitet, verknüpft, können daraus ganz neue Geschäftsmodelle entstehen, neue Produktionsmöglichkeiten und optimierte Abläufe.
Darin liegen Herausforderung und Chance gleichermaßen für den Standort Deutschland. Deshalb setzen wir auf Open Data, also den Grundsatz, Daten öffentlich für jedermann frei verfügbar und nutzbar zu machen. Und wir setzen auf Datenräume, die den rechtssicheren Austausch von Daten ermöglichen.
Außerdem enthält unsere Digitalstrategie 18 Leuchtturmprojekte der einzelnen Ressorts. Sie betreffen die unterschiedlichsten Lebensbereiche und tragen allesamt dazu bei, dass die Dinge bei uns künftig einfacher und effizienter ablaufen.
Dabei haben wir konkrete Ziele definiert, an denen wir uns am Ende dieser Legislaturperiode im Jahr 2025 messen lassen wollen. Den Personalausweis beantragen, einen neuen Wohnort mitteilen oder ein neues Unternehmen anmelden: Das alles muss künftig in wenigen Minuten von zu Hause aus, quasi vom Sofa aus, erledigt werden können. Daher sollen bis 2025 Personalausweis und Führerschein digital auch auf dem Smartphone verfügbar sein.
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Im Gesundheitsbereich etwa wollen wir erreichen, dass mindestens 80 Prozent der gesetzlich Versicherten die elektronische Patientenakte nutzen. Und bis 2025 soll mindestens die Hälfte aller Anschlüsse mit Glasfaser versorgt sein. Außerdem sollen alle im Mobilfunk bis 2026 drahtlose Sprach- und Datendienste verlässlich flächendeckend nutzen können. Denn klar ist: Homeoffice, Streaming im ICE und Empfang auf der Berghütte müssen endlich auch in Deutschland problemlos möglich sein.
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Dafür, meine Damen und Herren, haben wir eine Gigabitstrategie beschlossen. Mit den darin enthaltenen Maßnahmen schaffen wir die Bedingungen, um die digitalen Netze jetzt schneller und effizienter auszubauen. Wenn ich mir anschaue, wie das in den letzten Monaten vorangegangen ist, dann stelle ich fest: Wir haben unsere Ziele schon übererfüllt. Das läuft richtig gut.
Vor allem müssen wir Genehmigungsverfahren gemeinsam mit den Ländern weiter vereinfachen und beschleunigen. Beim Glasfaserausbau zum Beispiel soll ein digitaler Antrag ermöglicht werden. Zudem stärken wir alternative Verlegetechniken, mit denen ein schneller Ausbau möglich ist – unter der Erde, aber auch oberirdisch.
Gute Nachrichten kommen in dem Zusammenhang aus der Telekommunikationsbranche selbst. Für die kommenden Jahre hat sie Investitionen von 50 Milliarden Euro angekündigt – allein in den Glasfaserausbau. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sie diese Mittel schnell und zielführend investieren kann; denn der eigenwirtschaftliche Ausbau hat für uns natürlich Vorrang vor staatlicher Förderung.
Meine Damen und Herren, damit das alles erfolgreich gelingt, steuern und begleiten wir die Umsetzung unserer Digitalstrategie mit einem Monitoring. So können wir beobachten und bewerten, wie wir mit der Umsetzung vorankommen, und wenn es hakt, können wir rechtzeitig nachsteuern.
Wir wollen aber auch, gerade bei Maßnahmen mit großer Hebelwirkung, überprüfen, ob sie effizient sind, ob sie tatsächlich effizient wirken. Das ist ein wichtiger Schritt hin zu einem lernenden, digitalen Staat, einem Staat, der vorausschauend für die Bürgerinnen und Bürger arbeitet.
Ich bin überzeugt, dass die Gigabitstrategie und die Digitalstrategie zusammen den digitalen Aufbruch in Deutschland ermöglichen, den unser Land dringend benötigt.
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Damit schaffen wir mehr Teilhabe, mehr Chancen und mehr Fortschritt für alle.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen, weil ich wahrscheinlich jetzt gleich von der Opposition erfahren werde, dass das in den letzten zwölf Monaten alles viel zu langsam gegangen ist:
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Wir haben einen Aufholbedarf, weil Sie uns Deutschland in einem Zustand hinterlassen haben,
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zu dem man feststellen muss, dass wir im Digitalen und in vielen Punkten erst am Anfang stehen.
Vielen Dank.
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Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Nadine Schön.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Wissing, Sie lassen sich in den letzten Wochen ganz oft mit dem Satz zitieren, dass Sie sich nicht in Zukunftsvisionen wie Flugtaxis verlieren wollen, sondern ganz konkret den Glasfaserausbau voranbringen wollen.
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Ich finde das bemerkenswert. Denn ganz ehrlich: Sie legen eine Strategie vor, sagen aber, Visionen lehnen Sie ab.
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Da frage ich mich: Worauf arbeiten Sie denn hin?
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Wie kann man denn eine Strategie vorlegen, wenn man das Ziel, wo man hinwill, gar nicht definiert?
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Digitalpolitik ist weit mehr als Gigabitausbau. Digitalpolitik muss sich einbetten in eine wirtschaftspolitische Dimension, in eine gesellschaftspolitische Dimension, eine sicherheitspolitische und auch – das merken wir doch in den letzten Monaten massiv – in eine geostrategische Dimension. In dieser Situation zu sagen: „Das interessiert mich gar nicht. Mit Visionen habe ich nichts zu tun; ich definiere gar kein Ziel, wo ich hinwill“, das finde ich schon sehr bemerkenswert.
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Das zweite Problem ist: Ihre Strategie ist keine wirkliche Strategie. Bei jeder Unternehmensstrategie finden Sie Meilensteine, Etappenziele und Kennzahlen und können dann entsprechend steuern. Wir haben zwar eben gehört, dass Sie Ziele definiert haben. Aber diese Ziele sind so ambitionslos, dass jeder sieht, dass man sie sofort erfüllen kann: Stichwort „Gigabitanschluss in 50 Prozent der Haushalte bis 2025“. Am Montag hatten wir eine Anhörung dazu. Alle haben gesagt: Na ja, das schafft er ja locker; das ist ja schon auf dem Weg. – Das ist überhaupt nicht ambitioniert.
Mit Blick auf das DESI-Ranking der Europäischen Kommission hat der Minister kritisiert, dass wir nur auf Platz 13 sind. Sein Ziel: Platz 10.
Frau Schön, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der FDP-Fraktion?
Ja, gerne.
Vielen Dank, liebe Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade kritisiert, die vorgelegte Strategie sei zu ambitionslos und die Ziele, die darin definiert seien, seien so anspruchslos, dass man sie locker erreichen könne.
Deshalb frage ich jetzt an dieser Stelle einfach mal: Warum sind diese Ziele denn nicht schon lange erreicht, wenn sie so einfach zu erreichen gewesen wären? Immerhin war es ja auch Ihre Fraktion, die in den letzten Jahren die Regierung dabei unterstützt hat, Digitalisierung nur zu verwalten statt zu gestalten.
Da frage ich mich wirklich: Wo liegt eigentlich der Kern Ihrer Kritik? Kritisieren Sie nur deshalb, weil Sie nicht selbst daran beteiligt waren, diese Digitalstrategie vorzulegen, oder ist es tatsächlich fundiert, dass Ihnen Visionen fehlen, obwohl wir noch nicht mal die Grundlagen dafür geschaffen haben?
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Liebe Frau Kollegin Konrad, Sie finden in dieser Strategie auf allen Seiten Maßnahmen, zu denen die Ausgangslage genannt wird, und dann steht im Text: Da wollen wir uns verbessern.
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Das machen Sie, ohne ein Zieldatum zu nennen, wann Sie dort hinkommen wollen. Bei der Landwirtschaft wollen Sie sich daran messen lassen, dass die Anwendung digitaler Technologien in der Landwirtschaft zunimmt. Um wie viel denn? Sie sagen nicht, wie viel mehr Fachkräfte Sie haben wollen. Sie sagen nicht, wie viel mehr Frauen Sie in den Digitalberufen haben wollen. Sie sagen nicht, wie viele Unicorns wir in unserem Land brauchen, damit Sie das als Erfolg deklarieren.
Sie sagen: Wir wollen von allem mehr. – Und das ist für Sie dann ein ambitioniertes Ziel. Das ist es nicht. Die FDP hat immer gesagt: Wir wollen greifbare Ziele, und wir wollen ein Monitoring. – Davon ist kaum etwas zu finden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den wirklichen Schlüsselthemen zeigen Sie jetzt schon nach einem Jahr eine extreme Abkehr von dem, was Sie im Koalitionsvertrag versprochen hatten. Im Koalitionsvertrag und in den Sondierungspapieren haben Sie festgestellt: Der Schlüssel, um in Zukunft leistungsfähiger zu sein, ist die Digitalisierung in Staat und Verwaltung bzw. die Staats- und Verwaltungsmodernisierung. – Dieses Anliegen teilen wir. In der Strategie findet man kaum mehr etwas davon. Sie sagen: Wir brauchen eine eID. – Auch dieses Anliegen teilen wir. Machen Sie das! Dabei haben Sie uns an Ihrer Seite. Aber bei allen anderen Themen der Staats- und Verwaltungsmodernisierung machen Sie das weiter, was wir vorgelegt haben. Es gibt kaum neue Impulse.
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Im Gegenteil: Es droht sogar ein Rückschritt. Lieber Kollege Funke-Kaiser, wo sind denn die Milliarden für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes?
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Wir haben da etwas vorgelegt. Wir haben mit den Ländern vereinbart, dass wir alle Verwaltungsdienstleistungen von Bund, Ländern und Kommunen digitalisieren. Wenn dann die nächsten Schritte kommen sollen, dann braucht es auch eine Folgefinanzierung, sonst ruht das Projekt. Ich hoffe, dass der Digitalminister sich für diese Themen genauso einsetzt wie für die Milliarden im Verkehrsbereich. Denn sonst kann er den Titel „Digitalminister“ an den Haken hängen; dann ist er in erster Linie Verkehrsminister.
Das Thema „Modernisierung und Digitalisierung des Staates“, all das, was Sie eben versprochen haben, was die Menschen in unserem Land spüren sollen, braucht eine finanzielle Unterfütterung und auch den politischen Willen dieser Regierung, das zusammen mit Ländern und Kommunen umzusetzen, und davon ist in dieser Strategie nichts zu finden.
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Ich will noch ein Wort zum Gigabitausbau sagen. Jetzt sagt der Minister hier nach einem Jahr, der Ausbau vor Ort laufe jetzt super. Wer ist dafür verantwortlich? Beruht das etwa auf Ihrem Handeln als Digitalminister? Sie haben doch beim Thema Gigabitausbau überhaupt nichts geändert. Sie haben vor einem halben Jahr eine Strategie vorgelegt. Aber am Montag in der Anhörung hat man uns bestätigt, dass Sie überhaupt keine fundamentalen Änderungen vorgenommen haben. Deshalb beruht der Ausbau, der jetzt gerade passiert, auf dem, was wir, was die Vorgängerregierung gemacht hat.
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Jetzt haben Sie eine neue Chance. Der Minister hat gesagt, er will einen Fonds für alternative Verlegemethoden. Wo ist das Konzept? Wo ist die Finanzierung? Wo ist dieser Fonds? Ich sehe ihn nicht.
Der Minister hat als zweites Schlüsselthema einen schnelleren Ausbau, schnellere Planungsprozesse, eine Genehmigungsfiktion genannt. Letztere finden wir schon gar nicht mehr in dieser Digitalstrategie. Und beim Thema Planungsbeschleunigung zeigt der Minister mit dem Finger auf die Länder und sagt: Das müssen die doch machen.
Von all dem, was in den ersten Monaten versprochen wurde, ist noch nichts umgesetzt. All das, was jetzt an Ausbau erfolgt, beruht auf den Gesetzen, die wir vorgelegt haben. Wir erwarten – wenn Sie hier wirklich einen Fortschritt haben wollen, wenn Sie eine Modernisierung haben wollen, wenn Sie den digitalen Aufbruch machen wollen, den Sie hier versprechen –, dass Sie in all diesen Punkten mehr Tempo gewinnen, dass Sie in all diesen Punkten die Finanzierung sichern und dass Sie sich vor allem als Digitalminister darum kümmern, dass das Monitoring stattfindet und dass jedes Haus seine Hausaufgaben macht. Das können wir noch nicht erkennen. Wir werden genau schauen und Sie auch gerne dabei unterstützen; denn auch uns liegt der digitale Aufbruch sehr am Herzen.
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Detlef Müller.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Digitalisierung prägt unser Alltagsleben. Punkt! Egal ob wir für die Fahrt mit der Bahn online ein Ticket buchen, im Homeoffice arbeiten oder uns auf sozialen Mediaplattformen vernetzen: Wir befinden uns in einer Welt, in der die Digitalisierung nicht mehr wegzudenken ist, und wir verlassen uns auf sie.
Doch an vielen Stellen hakt es mit der Digitalisierung in Deutschland noch, angefangen bei der unzureichenden Mobilfunkversorgung – Sie kennen das sicherlich von der einen oder anderen Bahnstrecke – bis hin zu den Bürgerämtern, zu denen man immer noch persönlich gehen muss, um beispielsweise einen neuen Personalausweis zu beantragen. Die Ampelkoalition hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, die Digitalisierung endlich auf die Höhe der Zeit zu bringen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Parlament musste einige Zeit darauf warten; aber nun haben wir mit der Digital- und der Gigabitstrategie zwei Vorlagen, die die wichtigsten Vorhaben in dieser Legislaturperiode bündeln und einen konkreten Weg aufzeigen, wie unser Land die Chancen der Digitalisierung nutzen kann.
Mit der Gigabitstrategie wird der Ausbau von Glasfaseranschlüssen vorangetrieben und für schnelles Internet bis an jedes Zuhause, jede Schule, jedes Gewerbe, sprichwörtlich bis an jede Milchkanne gesorgt.
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Zudem stellen wir sicher, dass der neueste Mobilfunkstandard – egal ob in der Stadt oder auf dem Land – bis zum Jahr 2030 verfügbar sein wird.
In der Digitalstrategie hingegen finden sich konkrete Vorhaben für alle Ministerien, die bis zum Jahr 2025 umgesetzt werden sollen – konkret und für alle Ministerien. Es ist die digitalpolitische Prioritätenliste dieser Legislatur.
Dazu gehört insbesondere die Digitalisierung der Verwaltung. Verwaltung wird nach Umsetzung der Vorhaben viel serviceorientierter und damit nah an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger ausgerichtet sein. So werden wir beispielsweise dafür sorgen, dass Bürgerinnen und Bürger Informationen und Nachweise für Verwaltungsdienstleistungen digital und damit nur ein einziges Mal bereitstellen müssen, dass Personalausweis und Führerschein – der Minister sprach davon – endlich digital werden und beispielsweise Rentenübersichten elektronisch zur Verfügung stehen.
Zur Digitalstrategie gehört auch die Digitalisierung unserer Infrastruktur und natürlich auch der Schiene; denn zum Erreichen des Deutschlandtaktes braucht es neben der Sanierung und dem Ausbau des Schienennetzes eine flächendeckende digitale Leit- und Sicherungstechnik, damit wir die Kapazität auf dem Streckennetz erhöhen können.
Gleiches gilt auch für die Mobilität: auf der Höhe der Zeit. Auch hier müssen wir in einem fairen Rahmen mehr Daten zur Verfügung stellen, um den Weg für die Entwicklung neuer und vor allen Dingen effizienterer Mobilitätslösungen zu ebnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, klar ist aber auch: All die genannten Vorhaben benötigen zur Umsetzung eine entsprechende finanzielle Untersetzung. Wenn wir es mit der Priorisierung dieser Maßnahmen und dem Motto „Digital ist besser“ ernst meinen, braucht es das vereinbarte Digitalbudget.
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Herr Minister Wissing, lassen Sie uns das Digitalbudget gemeinsam und vor allem schnell auf den Weg bringen. Meine Damen und Herren, nun müssen sowohl die Digitalstrategie als auch die Gigabitstrategie in die Tat umgesetzt werden, damit die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes endlich die Digitalisierung auf der Höhe der Zeit nutzen können.
Nicht alles geht schnell. Nicht alles geht auch mir schnell genug. Nicht alles ist jetzt schon perfekt. Aber wir haben endlich eine gute Grundlage, Frau Schön; die Basics schaffen wir jetzt damit. Das, was wir lange vergessen und nicht geschafft haben, schaffen wir jetzt: eine gute Grundlage für den Aufbruch ins digitale Zeitalter.
Vielen Dank.
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Nächste Rednerin: für die AfD-Fraktion Barbara Lenk.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! „Endlich!“, könnte man rufen. Endlich! Was lange währt, wird endlich gut, oder etwa doch nicht?
Die Ampel hat vollmundig im Koalitionsvertrag eine Digitalstrategie angekündigt, und endlich hat das Bundeskabinett während seiner Klausur auf Schloss Meseberg nun tatsächlich so etwas wie eine Digitalstrategie verabschiedet. Die Antwort auf die Frage, was genau eigentlich Digitalisierung ist, erhält man beim Lesen der Digitalstrategie nicht. Hier liest man so schönklingende Schlagworte wie „Glasfaserinfrastruktur“, „digitale Identitäten“ oder „KI‑Leuchttürme“.
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Dieses Potpourri an Elementen macht aber noch keine echte Digitalstrategie aus. Und was genau, meine Damen und Herren, ist denn eine feministische Digitalpolitik?
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Aber kommen wir wieder zu Ihrer Vorlage. Die einzelnen Ressorts behalten weiter ihre Digitalkompetenzen. Ein Gerangel um Zuständigkeiten ist somit weiterhin wahrscheinlich. Und das Digitalministerium fehlt noch immer.
Es ist durchaus positiv anzumerken, dass sich die Koalition bis Ende der 20. Legislatur an bestimmten Punkten zum Erreichen der Ziele messen lassen will. Zum Teil werden hier schon harte Zahlen genannt. Beispielsweise sollen mindestens 80 Prozent der gesetzlich Krankenversicherten über eine elektronische Patientenakte verfügen. Zum Teil bleiben die Kriterien jedoch sehr schwammig. Meine sehr verehrten Damen und Herren, vieles bleibt bei dieser Strategie nebulös. So schreibt die Koalition: „Aufbauend auf Smart City und Smart Regions-Modellprojekten ermöglichen wir digitale Lösungen für bessere ... Visualisierung von Planungsentscheidungen …“. Leider wird hier nicht weitergedacht in Richtung einer kohärenten Smart-City-Strategie, welche eine digitale Verwaltung mit einschließt. Dies wurde von unserer Fraktion bereits in der letzten Legislatur gefordert.
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In vielen Sätzen, meine Damen und Herren, lese ich das Wörtchen „soll“. Das lässt für mich den Schluss zu, dass so manche Maßnahme der Digitalstrategie vielleicht unter Finanzierungsvorbehalt steht. Ist das vielleicht ein Grund dafür, dass auf über 50 Seiten kaum konkrete Projekte mit Verantwortlichkeiten aufgelistet werden? Und auch das Digitalbudget fehlt immer noch.
Schließlich: Beim Monitoring der vorliegenden Digitalstrategie soll der Digitalrat eine beratende Rolle wahrnehmen. Wäre es nicht besser, dieses scheintote Gremium endlich aufzulösen, um damit das Kompetenzwirrwarr bei der Digitalpolitik ein wenig zu lichten?
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, außer Spesen nichts gewesen? Eine kohärente Digitalstrategie können wir als AfD-Fraktion jedenfalls nicht erkennen. Es ist positiv, dass ein Anfang gemacht ist; aber das ganze Konstrukt muss nun mit Leben gefüllt werden, wenn Deutschland konkurrenzfähig bleiben soll.
Besten Dank.
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Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Maik Außendorf.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Digital- und Gigabitstrategie sind wir einen großen Schritt nach vorne gekommen. Jetzt kann es losgehen mit der Digitalisierung der Gesellschaft. Gestatten Sie an dieser Stelle, Herr Minister Wissing, aber auch eine kleine kritische Anmerkung. Wir haben in dem Prozess immer wieder angemerkt, dass wir bei der Digitalisierung der Gesellschaft auch die Zivilgesellschaft und die Verbände einbinden müssen. Das werden wir auch weiterhin fordern; Frau Khan wird gleich darlegen, wie wir uns das vorstellen.
Jetzt kommen wir zu den positiven Dingen. Es ist wirklich eine Strategie. Wenn wir uns anschauen, welche drei Hebelprojekte benannt sind, sehen wir auch, warum sie den Namen „Strategie“ verdient: Wir müssen uns überlegen, was wir zuerst tun müssen, um die Potenziale zu heben. Ich möchte einige wichtige Punkte nennen.
Da ist zunächst die elektronische Identität, also die Weiterentwicklung des elektronischen Personalausweises, damit sich Bürgerinnen und Bürger online sicher authentifizieren können und damit Geschäfte und Firmen Prozesse anbieten können, die von weiten Teilen der Gesellschaft online sicher genutzt werden.
Wir haben dann das Konzept zur Nutzbarmachung der Daten – Stichwort „Dateninstitut“ –, damit die Datenmengen, die in vielen Unternehmen, Einrichtungen und auch in Regierungsstellen schlummern, sicher und anonymisiert zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle von Start-ups, von Forschung, von kleinen Firmen vor allem in Richtung Nachhaltigkeit genutzt werden können.
Digitale Nachhaltigkeit ist ein weiterer wichtiger Punkt, der von uns hervorzuheben ist. Das Umweltdatenportal ist auf unsere Initiative hin in die Strategie mit aufgenommen worden. An diesem Punkt werden wir Grüne weiterarbeiten, damit wir die vorhandenen Potenziale richtig nutzen können, um die digitale Transformation in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaneutralität weiterzuentwickeln.
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Was ist die Grundlage für all die Konzepte, die in der Digitalstrategie genannt sind? Das sind leistungsfähige Netze. Was wir wirklich brauchen, ist schnelles Internet in jedem Haus und an jeder Milchkanne; denn nur so schaffen wir die Voraussetzung für intelligente Lösungen, wie zum Beispiel digitale Rufbusse, die per App gerufen werden können, um im vorstädtischen und im ländlichen Raum die Mobilität zu verbessern, oder automatisierte Bewässerung, mit der sich der Ressourceneinsatz in der Landwirtschaft durch die Auswertung von Wetter- und Bodendaten effizienter gestalten lässt.
Bei der Gigabitstrategie, da stimmt wirklich alles. Es sind viele grüne Akzente aufgenommen worden. Auch der Vorrang für unterversorgte Gebiete ist ganz wichtig. Frau Schön, jetzt muss ich auf Sie zurückkommen. Sie haben ja gesagt, das alles sei ein Ergebnis Ihrer Arbeit. Das Ergebnis Ihrer Arbeit ist aber doch, dass wir weiße Flecken beim Mobilfunk auf dem Land haben,
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weil Herr Scheuer und die Union die Frequenzvergabe so gestaltet haben, dass die Unternehmen nicht in der Pflicht sind, flächendeckend auszubauen. Deswegen brauchen wir jetzt eine staatliche Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft, mit der wir uns herumschlagen müssen. Frau Schön, da haben Sie wirklich ein Eigentor geschossen.
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Ganz wichtig ist das Digitalbudget. Das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart; das muss jetzt wirklich kommen, damit wir loslegen können. Die Zuständigkeiten sind geklärt – endlich, muss ich sagen –; das ist gut. Wir können jetzt also Zukunftsprojekte wie Digitalisierung in Angriff nehmen.
Eines möchte ich auch noch sagen: Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Wir setzen Digitalisierung intelligent ein für Erleichterungen im digitalen und analogen Alltag der Menschen und für die Transformation hin zu einer nachhaltigen und klimaneutralen Gesellschaft.
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Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke, Anke Domscheit-Berg.
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Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine letzte Rede hier schloss ich mit folgendem Fazit zur Digitalstrategie: Sie enthält keine Vision, die beschreibt, was man mit ihr eigentlich erreichen will, aber dafür viele schwammige Ziele. Die Verantwortung bleibt weiterhin völlig konfus verteilt, und ihr fehlen immer noch Ressourcen; denn das Digitalbudget gibt es ja noch nicht. Vor allem aber beantwortet sie nicht die Frage: Was will man konkret anders machen als die GroKos vorher, die ja auch schöne Ziele formulierten, aber nie erreichten?
Am Ende gilt es nämlich, umzusetzen, was man verspricht, und dass das gelingt, da habe ich meine Zweifel. Die Beteiligung der Zivilgesellschaft fand nämlich trotz Koalitionsvertragsversprechen nicht statt, wie sich aus der Antwort auf meine schriftliche Frage ergab. Auf die Digitalstrategie mit dem wohl nicht zufällig wirtschaftsfreundlichen Titel „Gemeinsam digitale Werte schöpfen“ nahmen 18‑mal Lobbyisten der Wirtschaft Einfluss, darunter allein dreimal der Lobbyistenverband. Dagegen gab es kein einziges Gespräch mit der digitalen Zivilgesellschaft – vom Chaos Computer Club bis Wikimedia – und erst recht nicht mit der sonstigen Zivilgesellschaft, zum Beispiel mit Senioren-, Behinderten-, Sozial- oder Verbraucherschutzverbänden. Das zeigt, wessen Interessen diese Digitalstrategie tatsächlich vertreten soll, und das ist ein unerträglicher Zustand, meine Damen und Herren.
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Auch die Gigabitstrategie ist ein Wirtschaftslobbyismuspapier von der ersten bis zur letzten Seite. Der Markt soll alles richten, auch wenn genau dieser Markt aus Deutschland ein Land des lahmen Internets und der Funklöcher gemacht hat. Laut der Gigabitstrategie, Minister Wissing, führte die bisherige Regulierung zu einem funktionierenden Infrastruktur- und Dienstewettbewerb. Ich lade Sie sehr gern in die Ostprignitz ein. Dort stehen nämlich Funklöcher im Wettbewerb miteinander und nicht Diensteanbieter.
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Überhaupt: Wettbewerb auf Infrastrukturebene, das ist so ziemlich das Dümmste, was man machen kann. Niemand – niemand! – würde sich mehrere Abwasserkanäle oder Gasanschlüsse in ein Haus legen. Aber bei Glasfaser soll so etwas Sinn machen? Es gibt nicht genug Tiefbaukapazitäten und Fachkräfte. Aber diese Gigabitstrategie toleriert, dass wir weiter mehrfach eine Straße aufreißen, um mancherorts zwei Glasfaserkabel nebeneinanderzulegen, obwohl das Dorf nebenan noch immer gar nichts hat.
Nicht einmal dort, wo eine Kommune ein völlig offenes Glasfasernetz verlegt hat, das maximale Wettbewerbsfreiheit bietet, will diese Bundesregierung den Überbau untersagen. Sie spielt auf Zeit und will erst 2023 den Überbau evaluieren. Die gleiche Gigabitstrategie behauptet aber, man will einen Ressourcen sparenden Infrastrukturausbau. Das ist Greenwashing, und das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
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Mit dieser Gigabitstrategie macht sich die Bundesregierung auch zum Vertriebsmitarbeiter für große Telko-Konzerne. Eine Infokampagne zur „Anregung der Nachfrage“ nach Gigabitnetzen soll es geben; Zitat aus der Strategie. Gutscheine zur Anregung der Nachfrage nach Inhouseverkabelung soll es geben. Ein 215 Millionen Euro schweres 5‑G-Innovationsprogramm soll die Nachfrage von Kommunen und Unternehmen anregen. Und: Die Ampel will Digitalmanager in Landkreisen bezahlen, die – man ahnt es – Nachfrage anregen und 5-G-Vorhaben in ihren Landkreisen initiieren sollen. Ich sage Ihnen, was das heißt: Diese Digitalmanager werden mit Steuergeld dafür bezahlt, Aufträge für Konzerne zu beschaffen, die mit Steuergeld von den Kommunen bezahlt werden. Das ist ein Fall für die „heute-show“, meine Damen und Herren.
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Völlig irre wird es aber im Abschnitt über die Evaluation der Fördermaßnahmen. Ergibt sich nämlich, dass vor 2030 das Ziel „Gigabitanschlüsse für alle“ erreichbar sein sollte, nennt diese Ampel das „Überförderung“ und will den Ausbau sofort bremsen – bremsen! – mit Antragsstopps und Quotierungen der Förderungen. Denkt man im BMDV, auf ein paar Jahre mehr oder weniger lahmes Netz in der Ostprignitz oder im Sauerland kommt es nicht an, Hauptsache, bei Konzernen klingelt der Geldbeutel lauter und länger? Das ist menschen- und fortschrittsfeindliche Politik, und das wird die Linksfraktion nicht unterstützen.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Maximilian Funke-Kaiser.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Union, ganz ehrlich: Bei der Lektüre Ihres Antrages mit dem Titel – ich zitiere – „Stillstand und unklare Zuständigkeiten in der Digitalpolitik beenden – Für eine ambitionierte und koordinierte Digitalstrategie“, da musste ich schon ein bisschen schmunzeln. Denn was hat denn die Union die letzten eineinhalb Jahrzehnte in diesem Bereich vorzuweisen? Richtig – rein gar nichts.
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Zugestanden: Scheinheiligkeit, das können Sie. Den Stillstand haben allerdings Sie zu verantworten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Sie haben zig Strategien verabschiedet. Sie haben den zweiten Schritt vor dem ersten Schritt gemacht. Sie haben in der Digitalpolitik bei jeder Wahl – Bund, Land, Kommune – den Menschen das Blaue vom Himmel versprochen. Übersetzt: Sie haben mit den Bürgerinnen und Bürgern 16 Jahre lang Schaufenster-Bullshit-Bingo gespielt, ohne die wirklich wichtigen Schritte in diesem Land anzugehen.
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Das hat mit dieser Digitalstrategie ein Ende; denn wir machen jetzt Tempo.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen die Digitalisierung voranbringen, und das machen wir mit dieser Digitalstrategie auch. Sie packt nämlich das Problem an der Wurzel. Denn anders als bisherige Digitalstrategien ist sie nicht mehr ein reines Sammelsurium an Einzelvorhaben. Sie ist eine Strategie, die an den Grundlagen ansetzt – Grundlagen, die wir eigentlich schon längst gebraucht hätten –, und das sind die drei bereits genannten Hebelprojekte:
Punkt eins. Wir brauchen Highspeednetze. Es ist eigentlich traurig, dass wir das im Jahre 2022 überhaupt noch da reinschreiben müssen. Ohne schnelles Internet keine Digitalisierung, deswegen die Gigabitstrategie.
Punkt zwei. Wir brauchen eine einheitliche Dateninfrastruktur, eine einheitliche Datensprache. Denn auch hier: Ohne Daten keine Digitalisierung.
Und – Punkt drei –: Wir brauchen eine sichere und nutzerfreundliche digitale Identität; denn sie ist das Tor für jeden einzelnen Menschen in die digitale Welt.
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Dabei ist mir Folgendes wirklich sehr wichtig – das wurde auch schon gesagt –: Das alles ist kein Selbstzweck. Wir machen das, um den Wohlstand von morgen zu sichern. Wir machen das, um nachhaltig zu werden. Wir machen das, um den Menschen in diesem Land das Leben zu erleichtern.
Machen wir uns nichts vor: Durch die Pandemie und durch den Ukrainekrieg müssen jetzt Entscheidungen für die Zukunft dieses Landes getroffen werden. Dabei geht es auch um Standortbedingungen und Wettbewerbsfähigkeit in diesem Land. Denn, ja, wir erleben eine Zeitenwende. Genau in einer solchen Zeit brauchen wir eine Neubegründung unseres Landes: effiziente Verwaltung, moderne Gesundheitsversorgung, leistungsfähige Infrastruktur. Das Digitale wird diese Neubegründung ermöglichen. Warum? Weil wir Zeit sparen, weil wir Geld sparen und weil wir dazu beispielsweise Klimaschutz ermöglichen.
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Das kann und das wird das neue Geschäftsmodell sein für den Wohlstand der Generationen von morgen. Es ist unsere Pflicht, dass wir das jetzt machen; denn am Ende geht es um den Erfolg der nachfolgenden Generationen. Dafür steht diese Strategie, und dafür steht die Politik der Freien Demokraten.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Reinhard Brandl.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Funke-Kaiser, in welcher Welt leben Sie überhaupt?
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Welches Dokument haben Sie denn gelesen? Das, was Sie gerade angesprochen haben, nämlich die Digitalstrategie, ist doch eben keine Strategie, sondern das ist ein Sammelsurium an Einzelprojekten, die weitgehend zusammenhangslos sind.
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Wissen Sie, wie ein solches Dokument entsteht? Das kann ich Ihnen genau beschreiben: Man fragt alle Ressorts ab und bittet sie, ihre drei populärsten Projekte zu nennen. Dann kopiert man den Rücklauf zusammen und setzt ein paar Überschriften darüber.
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Aber ein richtiger Digitalminister muss mehr leisten als Copy-and-paste.
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Herr Funke-Kaiser, Sie haben gesagt, wir gingen nicht an die Ursachen. Das Wichtigste für die Digitalstrategie wäre doch, dass man sich mal überlegt, woran die vielen öffentlichen Digitalisierungsprojekte in der Vergangenheit gescheitert sind.
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Es lag nicht daran, dass die FDP nicht regiert hätte,
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es lag nicht an mangelnden guten Ideen – die gab es schon vorher –, es lag auch nicht am Geld und an den Mitarbeitern, sondern es lag an nicht getroffenen Entscheidungen, und es lag an unklaren Rahmenbedingungen.
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Mit dieser Strategie entscheiden Sie wirklich nichts.
Wo steht denn die Ampel im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit? Das würden wir gerne wissen. Wie halten Sie es mit dem Föderalismus? Wir alle wissen doch genau, dass der Föderalismus, sosehr wir ihn lieben, mit eine der Hauptursachen ist, warum die Verwaltungsdigitalisierung in vielen Bereichen nicht funktioniert. Wie wollen Sie mit den großen Internetkonzernen Google, Microsoft, Amazon umgehen? Das ist doch sozusagen der große weiße Elefant im Raum. Wollen Sie kooperieren, oder wollen Sie sich unabhängig machen? All das sind ungeklärte Richtungsentscheidungen, Entscheidungen, die die Regierung wieder nicht getroffen hat. Das halte ich für verantwortungslos. Sie hatten jetzt in Meseberg die Chance, ein Paket zu schnüren und all diese Entscheidungen auf einmal zu treffen.
Ehrlich gesagt, wäre es schon fast egal, wie Sie entscheiden, Hauptsache, Sie würden entscheiden; denn dann hätten wir eine Richtung, in die alle loslaufen könnten. Aber mit Ihrer Strategie in der Hand, Herr Wissing, läuft doch keiner los, zumal er kein Geld dabei hätte. Es ist gar nicht klar, ob das finanziert wird.
Meine Damen und Herren, Sie haben im Koalitionsvertrag eine gute Idee verankert, nämlich das Digitalbudget. Aber dies steht nicht im Haushalt für 2022 und auch nicht im Haushalt für 2023. Wann wollen Sie damit anfangen? Wenn die Wahl vorbei ist? Wir haben das beantragt, Sie haben es abgelehnt. Kennen Sie die genaue Begründung? Sie können sich nicht einigen, wer was bekommt. Das heißt aber, dass in Summe niemand etwas bekommt. So kommt die Digitalisierung in Deutschland auch nicht voran.
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Was mich wirklich besorgt, ist, dass Sie das größte Risiko für die Digitalisierung in Deutschland mit keinem Wort erwähnen. 99 Prozent der modernen 7-Nanometer-Chips kommen heute aus Taiwan und aus Südkorea. Wenn diese Lieferkette einmal abreißt, dann kommt kein neuer Computer mehr in Deutschland an, dann läuft kein Auto mehr vom Band, und auch sonst wird nicht mehr viel produziert.
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Meine Damen und Herren, es ist richtig, es ist gut, dass Intel in Magdeburg investiert; aber das alleine reicht nicht.
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Wir müssen die gesamten Wertschöpfungsketten im Halbleiterbereich in den Blick nehmen. Da sehe und höre ich von der Ampel wirklich gar nichts, weder von Herrn Wissing noch von Herrn Habeck.
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Herr Wissing wird sich jetzt auf der Regierungsbank wahrscheinlich denken: Wovon redet dieser Brandl überhaupt?
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Ich bin für Chips doch gar nicht zuständig. Ich baue doch nur die Straße nach Magdeburg. – Aber das Problem, Herr Wissing, ist: Das stimmt. In Wirklichkeit sind Sie ja für fast nichts zuständig. – Wir haben das mal ausgewertet: 18 Prozent der Aufgaben im Bereich Digitalisierung sind in Ihrem Haus. Ich sage es mal vorsichtig: Mit einem „Projekt 18“ hatte die FDP keine gute Erfahrung in der Vergangenheit.
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Ich hoffe, das ist kein schlechtes Omen. Denn wir brauchen einen starken Digitalminister, wir brauchen eine echte Digitalstrategie,
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und wir brauchen endlich Richtungsentscheidungen in der Digitalisierung. Denn: So wie Sie arbeiten, so wird das nichts.
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dr. Jens Zimmermann.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn dieser Legislaturperiode habe ich hier gesagt: Wir wollen es nicht nur besser machen, wir müssen es auch anders machen. – Ich glaube, die Rede des Kollegen Brandl hat eben noch einmal eindrucksvoll unter Beweis gestellt, warum das dringend notwendig ist.
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Mit unserer Strategie wollen wir Sicherheit schaffen in dieser schwierigen Zeit des Wandels, der uns momentan ja an vielen, vielen Stellen beschäftigt. Ich finde, das machen wir auch. Dazu gehört natürlich – da sind sich alle Rednerinnen und Redner hier einig – ein digitaler Aufbruch bei der Infrastruktur; das hat mein Kollege Detlef Müller schon gesagt. Das sind unsere Hausaufgaben; darüber gibt es überhaupt keine Diskussionen. Wir brauchen aber auch Resilienz; ein schönes neues Wort, das dieser Tage überall genannt wird. Das heißt, wir müssen unsere Gesellschaft digital fest- und sichermachen, gerade in Zeiten dieser Konflikte, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Und, ja, diese Strategie ist kein Sammelsurium von Wolkenkuckucksheimen, sondern wir haben ganz klare Themenfelder identifiziert, bei denen wir gesagt haben: Da müssen wir Prioritäten setzen, weil damit eine große Hebelwirkung verbunden ist. – Ich will drei Themenfelder nennen:
Das eine ist natürlich das Thema „digitale Infrastruktur“. Ich habe, wenn ich freitags mit dem Zug aus Berlin herausfahre, keine Lust mehr, dass an der Stadtgrenze von Berlin der Mobilfunk abbricht. Da sind wir uns alle einig. Aber das muss jetzt eben auch erledigt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wir haben dann mit dem Thema „Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung“ zu tun. In diesem Zusammenhang haben wir das Thema „digitale Identität“ definiert. Das ist ja ein Projekt, zu dem wir in der vergangenen Legislaturperiode zwar den richtigen Impuls aus dem Kanzleramt bekamen, das am Ende aber leider noch unbedingt vor der Bundestagswahl gestartet werden musste. Es war – leider, muss ich sagen – ein weiterer Rohrkrepierer von Andi Scheuer.
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Das dritte Projekt mit Hebelwirkung – das ist dieser Tage, glaube ich, allen klar – : Wir müssen international Standards setzen. Gemeinsam mit vielen Nationen auf der Welt, so wie es auch der Bundeskanzler diese Woche in New York gemacht hat, Verbündete zu suchen, auch im digitalen Raum, das ist wichtiger denn je. Deswegen will und wird diese Koalition einen Schwerpunkt bei der internationalen Norm- und Standardsetzung setzen. Das ist ganz entscheidend, gerade in diesen Zeiten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Weil es Sicherheit im Wandel braucht, müssen wir eben auch unsere Gesellschaft sichermachen gegen die Feinde von außen. Angesichts von Cyberangriffen brauchen wir bei der IT-Sicherheit mehr Initiativen. Aber es geht auch darum, unsere Bürgerinnen und Bürger dazu zu befähigen, Fake News zu erkennen, immun zu werden gegen Manipulation von außen.
Wie problematisch das ist, das sehen wir doch angesichts dessen, dass Putin 300 Millionen Euro investiert hat, um Demokratien in Europa zu destabilisieren. Wenn ich mir vor den Wahlen in Italien gerade anschaue, was da online alles passiert, dann wird mir deutlich, um was es in Italien geht, und dann wird mir schlecht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Mir wird schlecht, wenn ich dann Manfred Weber, den Oberkonservativen aus dem Europäischen Parlament, an der Seite von Silvio Berlusconi und den Postfaschisten sehe. Das kann doch nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Dazu müssen Sie doch auch mal was sagen!
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Genau das ist eben auch Teil unserer Digitalstrategie. Denn warum macht man denn so was? Warum trifft sich denn der Berlusconi mit dem Manfred Weber?
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Damit er es am Ende digital einsetzen kann, um seiner eigenen Bevölkerung weiszumachen: Die Freunde Putins, die in Italien an die Macht wollen, das sind eigentlich ganz normale Konservative. – Alice Weidel wäre der linke Flügel in dieser Partei, meine Damen und Herren. Und da sind Sie zu Recht sprachlos.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Eugen Schmidt.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Mit Ihrer Erlaubnis zitiere ich aus der Digitalstrategie der Bundesregierung: Wir wollen „breitbandige Mobilkommunikationssysteme … zu jeder Zeit an jedem Ort“ und „Glasfaser bis zum Hausanschluss flächendeckend in 2010“ – oh, Entschuldigung, Frau Präsidentin, das war ein Zitat aus dem Aktionsprogramm der Bundesregierung von 1999. Jetzt will man dasselbe plötzlich erst 2030 schaffen. Ja, verehrte Bürger: 23 Jahre später fällt dieser Regierung ein, dass sie noch 20 Jahre länger braucht – derselben unseriösen Regierung, die Ihnen Duschtipps geben will.
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Ich frage Sie von der Regierung: Wieso sollen die Bürger Ihren Plänen ausgerechnet jetzt Glauben schenken? Wieso benennen Sie nicht die Gründe für die Verzögerung? Kein Wort dazu in Ihrem Papierchen.
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Dann Ihr wirres Gerede von „digitaler Souveränität“ – ohne überhaupt zu sagen, von wem Sie sich unabhängig machen wollen. Sie trauen sich ja nicht einmal, die USA oder China zu erwähnen. 2018 wollten Sie Deutschland noch zum „Leitmarkt für 5 G“ entwickeln. Haben Sie sich mal gefragt, warum Sie mit Ihren geduldigen Papieren ständig scheitern?
Die zentrale Frage ist die von der Bildung des eigenen Volkes. Sie sprechen selbst vom „Ausbau von Kompetenzen in Schlüsseltechnologien“. Aber über Mikrochips, Kl und Quantenrechner lernt man nichts im inklusiven Feminismus-Genderseminar.
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Sie betreiben die Ausplünderung von Leistungsträgern und die Veruntreuung von Steuergeld an Gendertrullas und Polittaugenichtse in Staat und NGOs.
Sie betreiben die Massenzuwanderung von Analphabeten.
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Also sind Sie auch direkt für die Rückschrittlichkeit verantwortlich.
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In den Deutschen steckt unglaubliches Potenzial. Sie von der Regierung machen das zunichte.
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Ihr Gefasel von Chancengerechtigkeit führt eben nicht zu einer – Zitat – „Spitzenrolle im Wettlauf“, sondern zum technischen Niveau einer Schrottampel mit drei Lämpchen und vier Transistoren.
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Deutschland wird auch nicht erfolgreich, wenn wir Chinas Totalüberwachung kopieren, wie Sie das ja vorhaben. Erfolgreich sind wir dann, wenn wir unser eigenes Volk aktivieren. Warum sollten qualifizierte Deutsche überhaupt im Land bleiben, wenn Heimat, Herkunft und Volk doch beliebig sind? Ich sage Ihnen: Ihr Plan wird scheitern.
Danke.
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Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Misbah Khan.
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Absichtserklärungen gab es in der Vergangenheit schon genug, und eigentlich steht im Koalitionsvertrag auch schon alles oder zumindest fast alles, was wir für richtig halten. Aber gut: Wenn wir jetzt eine Digitalstrategie brauchen, damit sich Deutschland von seinen Faxgeräten verabschiedet, dann sei dem eben so.
Digitalpolitik ist Gesellschaftspolitik. Mit welchen Prioritäten wir in den nächsten Jahren ebendiese Digitalpolitik gestalten, macht einen relevanten Unterschied dabei, wer davon profitiert. Frau Lenk, wenn Sie jetzt aufpassen, dann lernen Sie etwas:
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In dieser Gesellschaft existiert Machtungleichheit, die von einigen hier in diesem Haus auch vehement verteidigt wird. Und es macht einen relevanten Unterschied, wenn wir erkennen, dass es eine Gefahr ist, dass diese Machtungleichheit besteht.
Wir müssen unsere Digitalpolitik also gerechter machen, wir müssen sie barrierefreier machen, und wir müssen sie gemeinwohlorientierter machen. Uns geht es um den Schutz von marginalisierten Gruppen, uns geht es um Grundrechte und Menschenrechte, uns geht es um Nachhaltigkeit, uns geht es um Sozialpolitik, und uns geht es eben auch um intersektionalen Feminismus.
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– Du hast gerade Demokratie erwähnt. Ja, auch darum geht es uns. Denn Digitalisierung erschöpft sich für uns nicht in der Frage um schnelles Internet. Es geht um den Kern, unsere demokratischen Grundwerte, die wir auch in der digitalen Welt verteidigen wollen.
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Deshalb muss unsere Digitalpolitik zwingend eine intersektionale und eine feministische Digitalpolitik sein.
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Unsere Welt ist zu komplex für Quick Fixes. Zu oft schauen wir auf ein gesellschaftliches Problem und glauben, mit einer coolen App oder mit mehr Überwachung wird alles gut. Aber das ist nur Symptombekämpfung, und es ist technologische Flickschusterei. Stattdessen brauchen wir eine Digitalpolitik, die die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen in den Blick nimmt. Ebendieser Fokus macht einen relevanten Unterschied, wenn wir zum Beispiel über die Chatkontrolle oder über digitale Identitäten diskutieren.
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Und darum geht es uns, wenn wir von einer intersektionalen und einer feministischen Digitalpolitik sprechen. Dass die Idee der feministischen Digitalpolitik jetzt in der Digitalstrategie verankert ist, ist deshalb richtig und wichtig und ein relevanter Anfang – aber dabei kann es nicht bleiben.
Was wir jetzt brauchen, ist eine konsequente Zusammenarbeit mit der digitalen Zivilgesellschaft, die in der letzten Zeit viel zu oft vergessen wurde. In der Vergangenheit haben wir Millionen von Euro aus Steuergeldern für Projekte ausgegeben, die dann nach wenigen Tagen gescheitert sind. Deshalb sollten wir in dieser Koalition endlich die Expertise ernst nehmen und auf sie hören. Denn anders als in der Vergangenheit wollen wir uns nicht zu fein sein, um richtige Hinweise anzunehmen.
Vielen Dank.
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Liebe Kollegin Khan, ich wollte Ihren Redefluss nicht unterbrechen; aber wenn Sie mich beim nächsten Mal zu Beginn der Rede begrüßen würden, wäre ich sehr dankbar.
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Johannes Schätzl.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Gigabitstrategie der Bundesregierung ist die erste ganzheitliche Strategie, die sich mit dem Infrastrukturausbau in unserem Land beschäftigt. Diese Strategie wurde über Wochen in vertrauensvoller Zusammenarbeit erstellt. Sehr geehrter Herr Minister, ich muss an dieser Stelle sagen: Ich finde sie sehr gelungen.
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Herr Minister, Sie haben aber auch das angesprochen: Wir brauchen diese Strategie, weil es kaum ein Thema gibt, das wir über so viele Jahre immer und immer wieder gleich diskutieren, bei dem wir uns eigentlich alle in der Zielsetzung vollkommen einig sind und bei dem wir dennoch, gemessen an unseren eigenen Zielen, nicht schnell genug vorankommen. Es geht um ungehaltene Versprechungen; es geht um einen Flickenteppich von Förderungen. Und das Wichtigste: Es wurde jahrelang auf die falsche Technologie gesetzt – Kupfer statt Glasfaser, vergoldete Koaxialnetze. Die Anbieter hat das zwar gefreut, Deutschland aber nicht.
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Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir ändern das. Die Gigabitstrategie setzt am Koalitionsvertrag an. Der Koalitionsvertrag besagt: Glasfaser in jedes Haus, Glasfaser in jede Wohnung. Wir haben verstanden, dass es die Glasfaser braucht, um die Datenmengen von morgen zu transportieren. „Gigabitgesellschaft“, meine Damen, meine Herren, darf im Jahr 2022 keine leere Worthülse mehr sein. Moderne Arbeit, moderne Produktion – wir brauchen gigabitfähige Netze. Deswegen steht unser Ziel: Bis 2025 wollen wir 50 Prozent der Haushalte mit Glasfaseranschluss versorgt haben. Danach geht es weiter.
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Liebe Union, ein Wort zu Ihrem Antrag. Sie haben einen Antrag gestellt. Sie fordern jetzt 15 Milliarden Euro für den Ausbau der digitalen Infrastruktur. Sie fordern dabei – ich zitiere aus Ihrem Antrag –: Gigabitnetze bereitstellen sowie den Glasfaserausbau voranbringen. Ich finde es schwierig, dass wir wieder von „sowie“ sprechen. Wir haben jahrelang den Fehler gemacht, Kupfer- und Koaxialkabel zu fördern, und jetzt wieder beides. Da machen wir nicht mit. Das ist keine gute Idee.
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Damit wir unsere Ziele tatsächlich erreichen, werden wir Tempo ins Verfahren bekommen durch schlankere und digitale Genehmigungsverfahren. Wir begegnen den fehlenden Tiefbaukapazitäten mit alternativen Verlegemethoden. Wir schaffen ein Förderinstrument, was auf der einen Seite den Markt zu Tempo animiert und auf der anderen Seite genau da einspringt, wo es notwendig ist. Wir sprechen von Potenzialanalysen, wir sprechen von Abstimmungen mit privaten Kapitalgebern, wir sprechen an dieser Stelle von Dutzenden von Maßnahmen, die am Ende zusammenpassen, um unsere Ziele zu erreichen.
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Neben dem Glasfaserausbau geht es bei der Gigabitstrategie auch um das Thema Mobilfunk. Ziel ist und bleibt eine flächendeckende Mobilfunkversorgung auch mit dem neuesten Mobilfunkstandard. Dafür setzen wir auf Bund-Länder-Abstimmungen. Wir setzen auf vereinheitlichte Vorgaben in einem klaren Rechtsrahmen. Genau so werden wir das Ziel erreichen: 5 G in jeder Stadt, 5 G auf dem Land, auf jeder Autobahn und in jedem Zug. Genau dafür ist dieses Papier gut. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit, auf einen Fortschritt bei der digitalen Infrastruktur.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Marc Biadacz.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, ist zentral für die soziale, wirtschaftliche und gesellschaftliche Teilhabe und eine faire ökologische Transformation der Gesellschaft. Diesen im Koalitionsvertrag gemeinsam verankerten Grundgedanken spiegelt die heute beschlossene Digitalstrategie bislang nur bedingt wider …
Der Erfolg der Digitalstrategie hängt nun stark von der Umsetzung der beschlossenen Projekte ab. Die Strategie lässt wichtige Punkte weiter offen, beispielsweise das Digitalbudget, das im Koalitionsvertrag vereinbart wurde und bisher nicht im Haushalt hinterlegt ist.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind leider nicht meine Worte. Das ist eine Pressemitteilung der Grünen im Deutschen Bundestag.
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Wir sind uns wohl alle einig, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sie in der Opposition wohl besser aufgehoben waren. Das Problem ist aber: Sie regieren jetzt.
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Ihre vorgelegte Digitalstrategie steht exemplarisch für die Arbeit der Ampelregierung in den ersten neun Monaten. Sie starten mit großen Ankündigungen von Aufbruch und Fortschritt und verlieren sich dann in Koalitionsstreitereien über Ideologie und Zuständigkeiten. Das ist nicht gut, meine Damen und Herren. Sie verabschieden eine Dachstrategie nach der anderen. Aber unter dem Dach hängt der Haussegen schief. Regieren heißt, Verantwortung zu übernehmen. Und, Herr Kollege Funke-Kaiser, bitte kommen Sie jetzt nicht schon wieder mit 16 Jahren unionsgeführter Bundesregierung.
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Das ist Ihre Digitalstrategie. Das ist Ihre Bilanz der Digitalpolitik.
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In Ihrem Koalitionsvertrag schreiben Sie, „Kompetenzen in der Bundesregierung werden neu geordnet und gebündelt.“ Doch jetzt machen Sie das glatte Gegenteil. Für die Datenstrategie sind das Verkehrsministerium, das Wirtschaftsministerium und das Innenministerium – drei – zuständig. Für das zentrale Thema der digitalen Identitäten sind das Innenministerium, das Bundeskanzleramt, das Verkehrsministerium, das Finanzministerium und das Wirtschaftsministerium – fünf – verantwortlich. Wer blickt da noch durch?
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Was es jetzt braucht, ist ein echtes Digitalministerium, das auch wirklich mit dem nötigen Rückhalt und der Kompetenz die Digitalpolitik vorantreibt, wie wir es in unserem Antrag von CDU und CSU fordern.
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Weshalb das dringend nötig ist, zeigt auch das Arbeitsministerium von Hubertus Heil. Arbeitgebern wird verboten, Informationen zum Arbeitsverhältnis per E‑Mail statt per Post zu schicken. Auch die Flexibilisierung von Arbeitszeiten hat das Arbeitsministerium wieder aus der Digitalstrategie herausgestrichen. So wird das nichts mit dem digitalen Aufbruch, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Aber so ambitionslos die Ziele der Digitalstrategie auch sein mögen, nicht einmal diese werden Sie umsetzen; denn die Lichter für die Leuchtturmprojekte dieser Digitalstrategie bleiben ohne das Digitalbudget leider aus. Wieso haben Sie ein solches Digitalbudget eigentlich nicht schon längst vorgestellt, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel? Wir als Union haben schon vor Monaten in einem Antrag zum Haushalt darauf hingewiesen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir machen in unserem Antrag 30 konkrete Vorschläge für die Digitalisierung in unserem Land. Ihre Digitalstrategie hingegen zeigt: Bedenken first, digital second. Oder um es mit den Worten des digitalpolitischen Sprechers der Grünen zu sagen: Die „Digitalstrategie lässt Luft nach oben“.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Tobias Bacherle.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass die Bundesregierung sich mit der Digitalstrategie, mit der Digitalpolitik so intensiv beschäftigt, ist gut. Das ist auch notwendig, schließlich haben wir uns im Koalitionsvertrag ein strammes Programm vorgenommen, um dieses Land endlich zu modernisieren und fit für die 20er-Jahre dieses Jahrhunderts zu machen.
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Ich will positiv bleiben. Liebe Union, herzlichen Glückwunsch. Ich will gratulieren, dass Sie sich für diesen Antrag die Lieblingsprojekte aus Digitalstrategie und Koalitionsvertrag so gut zusammengesucht haben und damit auch die verpassten Chancen Ihrer Regierungsarbeit so deutlich aufarbeiten.
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Aber, lieber Marc Biadacz, eine Sache: Wir sind an der Stelle auch bereit, Manöverkritik zu üben, während wir als Fraktion regieren, um noch schneller und schon während der Regierungszeit – und nicht erst danach – noch besser zu werden.
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In der Digitalstrategie der Bundesregierung stellen wir bei der Digitalisierung den Menschen in den Mittelpunkt. Menschen müssen selbstbestimmt über ihre Daten bestimmen können und digital teilhaben können. Das ist keine Logik, die an unseren Außengrenzen enden darf. Wir wollen schließlich keine gläserne Bürgerin mit ihren Daten und ihrem Profil am Ende autoritären Regimen auf dem digitalen Silbertablett servieren.
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Für unsere Regierungspolitik ist auch der zivilgesellschaftliche Austausch ganz besonders wichtig. Damit das weltweit und auch in der Außenpolitik funktionieren kann, müssen wir Menschen vor Zensur, Überwachung oder auch abgeschaltetem Internet schützen und uns international dafür einbringen.
Gerade in den letzten Monaten sollte allen klar geworden sein, wie notwendig es ist, Digitalpolitik global und sicherheitspolitisch zu denken. Das geht die Bundesregierung an. Dazu kurz zwei Highlights. Mit der geplanten Data Embassy – „Datenausweichsitz“, wie das dann im Behördendeutsch so schön heißt – schaffen wir einen digitalen Zwilling unserer Regierungsdaten und dadurch Absicherung und Beständigkeit für unser Handeln auch in krassen Krisen. Und mit dem Engagement bei GovStack, einem Projekt, welches Verwaltungsdigitalisierung weltweit stärkt, unterstützen wir die digitale Souveränität von Menschen und die Zugänge und Möglichkeiten von Regierungen weltweit. Und ja, ich bin mir sicher: Dabei können auch wir noch etwas von anderen lernen.
Also: Die technologische Entwicklung ist rasant. Innovation hält sich im Zweifel nicht an Grenzen. Es ist also eine Notwendigkeit, Digitalpolitik international zu denken, einfach weil unsere ganze Welt eine digitale ist.
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Trotzdem müssen wir bei uns anfangen: Überwachungsgesamtrechnungen statt einer absurden Chatkontrolle, Sicherheitslückenmanagement und eine ordentliche Finanzierung für digitale Projekte und unsere globale Verantwortung müssen unser Beitrag sein.
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Das ist dann die Grundlage für etwas, worauf ich mich freue: aufbauend auf diesem Auftakt eine internationale Digitalstrategie anzugehen – für ein demokratisches, offenes, partizipatives und selbstbestimmtes Internet.
Vielen Dank.
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Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Dr. Carolin Wagner.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es war der Sommerhit des Jahres: das 9‑Euro-Ticket. Es ermöglichte Menschen, neue Orte zu erkunden, lang vermisste Freunde wiederzusehen, günstig zum Arbeitsplatz zu pendeln. Mobilität bewegt uns, und Mobilität ist ein Zukunftsthema.
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Das Gleiche gilt für die Digitalisierung. Und zusammengenommen heißt das: In der Mobilität der Zukunft spielen Daten eine entscheidende Rolle. Und wie wir die Mobilität der Zukunft in unsere Gegenwart holen, das steht in der Digitalstrategie.
Als eines der 18 Leuchtturmprojekte in der Digitalstrategie ist ein Ökosystem für Mobilitätsdaten genannt. Dieses Ökosystem für Mobilitätsdaten umfasst zum einen den Mobility Data Space, der Anfang dieses Jahres ans Netz gegangen ist. Mit dem Mobility Data Space stellen wir ein technisches System bereit, mit dem Mobilitätsdaten fair geteilt werden können.
Das mag jetzt abstrakt klingen. Aber dieser Datenraum bildet die Grundlage für zahlreiche ganz konkrete innovative Anwendungen,
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zum Beispiel für neue Mobilitätsdienstleistungen wie Apps, die individuell und standortbezogen anzeigen, wo in der Nähe ein E-Bike oder E-Roller zur Verfügung stehen, oder die den eigenen Standort in einer fremden Stadt einem Taxi melden, das man sich über diese App ruft.
Und ganz wichtig dabei: Im Mobility Data Space werden die Eigentumsrechte der Datenbesitzer/-innen an ihren Daten gewahrt und Datenschutzstandards geachtet. Und das ist ein großer Unterschied zu den intransparenten Datenspeichergiganten Google und Co mit ihren haifischartigen Geschäftsmodellen, denen wir dieses Feld nicht konkurrenzlos überlassen wollen, nicht überlassen dürfen, werte Kolleginnen und Kollegen.
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Den anderen Teil dieses Ökosystems für Mobilitätsdaten liefert die Mobilithek. Die Mobilithek enthält Daten aus dem öffentlichen Verkehr, etwa Fahrpläne der Bahn, Echtzeitdaten aus dem ÖPNV, aber eben auch allgemeine Wetterdaten. Nun gilt es, als nächsten Schritt beide Plattformen erstens zu verknüpfen, zweitens weiterhin dafür zu sorgen, sie mit hochwertigen Daten zu befüllen, und sie drittens strategisch sinnvoll weiterzuentwickeln.
Für den Mobility Data Space gilt ferner, möglichst vielfältige Datengeber, die Automobilindustrie, Leihsystembetreiber, die Bahn, Busanbieter, aber eben auch Kommunen usw., für die Teilnahme zu gewinnen. Und zu guter Letzt gilt es, diesen Datenraum nicht an den Landesgrenzen enden zu lassen, sondern ihn als europäischen Datenraum mit unseren Nachbarländern zu verknüpfen.
Wenn Sie mir, werte Kolleginnen und Kollegen der Union, jetzt immer noch sagen, das entspreche keiner Strategie,
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dann erinnert mich das eigentlich nur noch an den wunderbaren Pumuckl, der sagt: „Weinen ist ja sehr schön, aber langweilig, wenn’s keiner hört.“
Vielen herzlichen Dank.
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Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Markus Reichel.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir schon gedacht, dass wir heute in den ersten Minuten wieder mal Münzen ins „16 Jahre“-Phrasenschwein hineinschmeißen müssen – ein Jahr nach der Wahl im Übrigen. Aber dass wir heute, wenn wir über die deutsche Digitalstrategie sprechen, bis zu Berlusconi kommen, Herr Zimmermann, das hätte ich echt nicht erwartet.
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Lassen Sie uns jetzt aber mal ein bisschen genauer über das Thema der sicheren digitalen Identitäten sprechen. Warum sind sie so wichtig? Da gibt es das Standardbeispiel, dass ich jetzt von meiner Couch in Dresden aus ganz bequem meine Wohnung hier ummelden kann; das ist eine super Sache. Aber dazu bedarf es eines sicheren, eines souveränen Umgangs mit Daten – Gesundheitsdaten, Forschungsdaten. Und was im Kontext der Modernisierung unserer Industrie viel zu kurz kommt: Für das Internet of Things benötigen wir sichere digitale Identitäten von Menschen, aber in der Zukunft eben auch von Maschinen. Kurz gesagt: Hierin steckt ein ungeheures Potenzial und eine enorme Chance für die Entbürokratisierung – zu unser aller Nutzen.
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Herr Minister Wissing, Sie haben bei der Vorstellung der Digitalstrategie versprochen: Wir verlieren uns nicht in Zukunftsvisionen; wir gehen die Digitalisierung jetzt ganz konkret an. – Ich muss sagen, ich finde es hervorragend, dass Sie in der Digitalstrategie die sicheren digitalen Identitäten als eines der Projekte mit Hebelwirkung ganz, ganz oben auf die Agenda setzen. Nach Ihrer Ansage hatte ich natürlich auch gehofft, dass wir viele ganz konkrete Dinge dazu lesen werden. Ich muss allerdings sagen: Bereits bei den Zielstellungen Fehlanzeige!
Erstes Ziel, das Sie nennen: In mindestens fünf Wirtschaftssektoren soll bis 2025 eine staatlich bereitgestellte digitale ID zur Identifizierung genutzt werden. Da frage ich: Warum denn gerade fünf? Warum nicht zehn? Welche Sektoren sind gemeint? Welche Anwendungsfälle?
Ein zweites Ziel, das Sie angeben: Der Personalausweis und der Führerschein sollen bis 2025 in digitaler Form zur Nutzung mit mobilen Endgeräten verfügbar sein. Dazu sage ich: Ich finde es toll, dass Sie gute Projekte der CDU-geführten Bundesregierung fortführen. Aber es kann doch nicht sein, dass Sie sich darauf beschränken, jetzt, 2022, nur die Projekte der Vorgängerregierung als Ziel zu erklären und zu Ende zu bringen. Da muss es doch mehr geben. So viel zu Ihren Zielen.
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Bei der Umsetzungsplanung sieht es, ehrlich gesagt, auch nicht viel besser aus. Da fehlen ganz maßgebliche, ganz konkrete Punkte:
Sie lassen offen, wie Sie vorgehen wollen, um sichere digitale Identitäten besser im Markt zu verbreiten.
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Konkret denke ich daran, dass wir mal dafür sorgen, dass der Chip auf diesem Personalausweis, den ich hier hochhalte und der im Übrigen im schönen Dresden produziert wird, mal freigeschaltet wird und dass es dazu auch eine entsprechende Marketingkampagne gibt.
Sie lassen offen, was mit den Schaufensterprojekten des BMWK eigentlich passieren soll. Sie stecken hier eine ganze Menge Geld in tolle Projekte. Aber nutzen Sie das auch? Sie lassen offen, wie die Bundesregierung eine digitale Identität in Europa etablieren möchte. Suchen Sie hier interoperable nationale Lösungen oder eine neue für alle?
Und schließlich: Sie lassen offen, wie die Bundesregierung überhaupt zu einer europäischen ID-Wallet steht. Das Thema wird überhaupt nicht angesprochen. Ihr Papier tätigt keine Aussage zu den europäischen Pilotprojekten, an denen die Bundesregierung mitarbeitet.
Mein Fazit. Digitale Identität ist eines Ihrer Hebelprojekte; sehr gut. Trotzdem ist es erstaunlich unkonkret; das ist nicht gut. Sie gehen hier kaum nennenswert über die Pläne der alten Bundesregierung hinaus. Die Chancen des europäischen eIDAS-Novellierungsprozesses nutzen Sie leider gar nicht. Unter „Digital first“ verstehen wir etwas anderes.
Herr Wissing, Sie haben versprochen, es ganz konkret zu machen. Wir warten darauf.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Tabea Rößner.
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Frau Präsidentin! Ich darf ja schon seit 2009 die Digitalpolitik und auch den Breitbandausbau hier im Bundestag begleiten, und ich glaube, ich muss mal ein paar Erinnerungslücken füllen.
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Was haben denn die Vorgängerregierungen gemacht? Sie haben sich bei den Zielen des Breitbandausbaus überboten. 2009 waren es 2 Mbit, dann 50, dann 100, dann irgendwann Gigabit – und sie haben nichts davon erreicht.
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Und warum nicht? Weil sie nämlich völlig falsche Weichen gestellt haben! Sie haben auf die Vectoring-Technologie gesetzt und damit Kupfer aufgepimpt, was den Glasfaserausbau, die Grundlage der Digitalpolitik, verhindert hat. Das ist doch alles andere als ein digitaler Aufbruch.
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Glasfaser ist die nachhaltigste Technologie. Das haben wir hier immer schon gesagt. Sie verbraucht übrigens auch am wenigsten Energie. Auch deshalb brauchen wir die Migration von Kupfer zu Glas.
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Seit Jahren warten die Menschen auf einen schnellen Internetanschluss. Sie bekamen ihn versprochen, aber das Netz wurde nicht ausgebaut. Mir ist immer noch schleierhaft, warum in Neubaugebieten nicht standardmäßig Glasfaser bis zu den Häusern gelegt wird. Da müssen wir ans TKG ran, lieber Herr Wissing; daran werden wir zusammen arbeiten.
Damit wir bis 2030 alle Wohnungen mit Glasfaser versorgt bekommen, muss jetzt ordentlich Dampf gemacht werden beim flächendeckenden Ausbau. Das gilt übrigens auch für den Mobilfunkausbau im ländlichen Raum.
Die Anhörung am Montag hat gezeigt: Es liegt viel Arbeit vor uns, um die Zeitpläne einzuhalten. Dafür müssen wir die Länder mit ins Boot holen, die viele Verwaltungsverfahren vereinfachen müssen, damit Genehmigungen schnell erteilt werden. Das ist dringend notwendig.
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Wir erwarten aber auch von der TK-Branche und auch von der Baubranche, dass sie interne Verfahren vereinfachen, beschleunigen, verbraucherfreundlicher gestalten, dass sie gegenüber Mitbewerbern, Verbrauchern und Verbraucherinnen und Kommunen verbindliche Angaben machen und sich an die abgegebenen Selbstverpflichtungen auch halten. Denn nur, wenn wir alle zusammen an einem Strang ziehen, und zwar in die gleiche Richtung, schaffen wir den Gigabitausbau, und der ist ja die Grundlage für die Digitalpolitik, für die Digitalstrategie und für ein modernes Land.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Matthias David Mieves.
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Daten retten Leben – das mag in der Theorie stimmen; aber bis wir in Deutschland – –
Herr Kollege, hier fehlt die offizielle Begrüßung. Jetzt unterbreche ich.
Dann noch einmal: Guten Morgen zusammen! Und guten Morgen, Frau Präsidentin!
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Daten retten Leben – das mag in der Theorie stimmen; aber was die Praxis betrifft, haben wir in Deutschland noch einen weiten Weg vor uns. Deshalb ist es wichtig, dass wir nicht nur eine Digitalstrategie auflegen, sondern dass wir auch in der Umsetzung Gas geben, insbesondere im Bereich „Gesundheit und Pflege“.
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Im Bereich „Gesundheit und Pflege“ möchte ich gern auf drei Punkte eingehen: erstens unsere Ziele, zweitens unsere konkreten Projekte und drittens unseren neuen Arbeitsmodus.
Schauen wir auf die Ziele. Davon gibt es exakt zwei, und das ist erstens, für die Patientinnen und Patienten konkrete Verbesserungen in der Versorgung zu erreichen. Und das zweite Ziel ist, dass wir den Menschen, die im Bereich „Gesundheit und Pflege“ arbeiten, das Leben erleichtern, ihnen Bürokratie abnehmen, damit sie mehr Zeit und Energie haben für das, worauf es ankommt, nämlich das Kümmern. Am Ende ist Digitalisierung nämlich dafür da, das Leben für die Menschen besser zu machen.
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Bei den Projekten ist das erste ganz zentrale Thema die neue digitale Patientenakte. Denn wie genial wäre es, wenn ich auf meinem Handy sähe, welche Impfungen ich schon habe und vielleicht eine Erinnerung bekäme, wenn wieder eine Auffrischung fällig wird? Wie sicher würde ich mich fühlen, wenn ich wüsste, dass, wenn ich bei einem Notfall ins Krankenhaus käme, die Ärztinnen und Ärzte sowie die Pflegefachkräfte direkt sähen, welche Vorerkrankungen ich habe und welche Medikamente ich nehme, um Komplikationen zu vermeiden?
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Das will ich, und das wollen auch die Menschen zu Hause in Kusel, in Kaiserslautern und im Rest der Republik.
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Das brauchen wir standardmäßig in Deutschland: dass alle damit arbeiten, dass alle das einfach und bequem nutzen können. Dabei ist auch wichtig, dass jeder und jede Einzelne die volle Kontrolle über seine eigenen Daten behält und auch immer sagen kann: „Ich möchte das nicht“ oder: „Ich möchte bestimmte Dinge sperren oder Zugänge verhindern“. Das muss jeder für sich selbst entscheiden können, und dafür tragen wir Sorge.
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Zu unseren Projekten gehört auch die Einführung einer digitalen Gesundheitsagentur, und zwar mit dem ganz klaren Auftrag, die Menschen in den Vordergrund zu stellen, die im Gesundheits- und Pflegewesen arbeiten, und neue Anwendungen und Infrastrukturen so zu entwickeln und einzuführen, dass sie in der Praxis funktionieren und Mehrwerte bieten und eben nicht dazu führen, dass im Alltag Dinge lahmgelegt werden. Das muss der Auftrag für die neue digitale Gesundheitsagentur sein: die Nutzenden in den Fokus rücken.
Das Dritte, was wir brauchen, ist, dass wir Konzepte entwickeln, wie wir die Forschung stärken können. Wie schaffen wir es, dass auch in Deutschland Daten in der Forschung besser genutzt werden können? Und wie können wir sicherstellen, dass neue Medikamente und Therapien nicht nur in Asien und in Kalifornien entwickelt werden, sondern genauso in Mainz und in Ingelheim?
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Und für diese Projekte – sie sind alle schwierig und kompliziert – brauchen wir einen Modus der Zusammenarbeit mit den wichtigen Akteuren im Gesundheitswesen: den Kassen, Apothekern, Ärzten, um nur einige zu nennen. Dazu gehört aber auch, dass wir schon jetzt im Vorfeld aktiv mit den Verantwortlichen für Sicherheit und Datenschutz zusammenarbeiten, um gemeinsam gute Lösungen zu finden. Ich bin überzeugt: Wenn wir es ernst meinen, bekommen wir es auch hin, dass Daten Leben retten, und zwar endlich auch in Deutschland.
Danke schön.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor 207 Tagen hat der Bundeskanzler nach dem russischen Angriff auf die Ukraine die Zeitenwende verkündet, eine Zeitenwende, die in der Energiepolitik bislang nur unzureichend angekommen ist. Verbraucher, Kommunen, Unternehmen – alle sparen Energie, wo es nur geht. Die Bundesregierung ist weltweit als Bittsteller unterwegs auf der Suche nach zusätzlicher Energie. Aber das Naheliegende soll nicht getan werden? Zu einer Neubewertung der Kernenergie fehlt dieser Bundesregierung, wenn es um SPD und Grüne geht, offensichtlich der Wille, und, wenn es um die FDP geht, die Kraft, sich in dieser Bundesregierung durchzusetzen.
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Am 7. März, vor 198 Tagen, haben das Wirtschafts- und das Umweltministerium diesen fehlenden Willen schriftlich dokumentiert. Es wurde uns ein sogenannter Prüfvermerk vorgelegt mit dem Ergebnis, dass die Kernenergie bei der Bewältigung der Energiekrise in Deutschland überhaupt keine Rolle spielen kann und soll. In Wahrheit war es doch so, meine Damen und Herren: Das war kein Prüfvermerk, sondern eine, wie wir jetzt wissen, in wenigen Tagen schnell zusammengestellte Auflistung aller Gegenargumente. Das hätte wirklich jeder Praktikant in Ihren Ministerien genauso machen können.
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Seither ist viel Zeit, zu viel Zeit vergangen, eine lange Zeit, die nicht genutzt wurde, um den Weiterbetrieb vorzubereiten, eine lange Zeit, die nicht genutzt wurde, um neue Brennstäbe zu beschaffen.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wissen Sie eigentlich, über was Sie da reden?
Sie haben nicht das Notwendige getan, um uns vor einer drohenden Strommangellage und einem Blackout in diesem Winter zu bewahren.
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Stichwort „Stresstest“. Ein halbes Jahr nach diesem sogenannten Prüfvermerk hat Minister Habeck sich dann endlich ein Stück weit korrigiert und das Konzept der Einsatzreserve für lediglich zwei der drei Kernkraftwerke vorgeschlagen. Aber auch heute noch weiß keiner wirklich, was genau das sein soll. Wie es technisch funktionieren soll, ist völlig offen. Die ernst zu nehmenden Bedenken der Betreiber werden von Minister Habeck einfach abgetan. Wie das alles rechtlich geregelt werden soll, ist auch völlig offen.
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Das für die nukleare Sicherheit zuständige Ministerium von Frau Lemke hat zwischendurch erklärt, die erforderlichen Änderungen seien im Atomgesetz vorzunehmen. Nun heißt es diese Woche: Im Atomgesetz werden lediglich wenige Randbedingungen geregelt. – Was denn nun? Sie hatten monatelang Zeit, solche Fragen zu klären. Noch einmal: Sie haben zu viel Zeit verschwendet, anstatt schlichtweg Ihre Arbeit zu machen und uns auf alle Szenarien vorzubereiten.
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Für diese Bundesregierung ist lediglich klar, wann die Einsatzreserve geregelt werden soll, nämlich auf jeden Fall nach dem 9. Oktober, nach der Landtagswahl in Niedersachsen. Was für ein durchschaubares politisches Spiel
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zulasten der Energieversorgungssicherheit, zulasten eines klaren rechtlichen Rahmens, zulasten der Stromkunden, zulasten der Glaubwürdigkeit von Politik und insbesondere auch zulasten der Glaubwürdigkeit von Deutschland in Europa, meine Damen und Herren!
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Welches Signal senden wir denn aus, wenn wir uns in der aktuellen Krisensituation den Luxus leisten, Kapazitäten vom Netz zu nehmen, gleichzeitig aber europäische Solidarität in Energiefragen einfordern? Kohlestrom aus Polen, Atomstrom im Winter aus Frankreich und gleichzeitig eigene Kernkraftwerke abschalten – das ist doch wirklich absurd, meine Damen und Herren.
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Wir schlagen Ihnen heute konkret die Änderung des Atomgesetzes vor.
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Denn das Atomgesetz ist das passende und seit über 60 Jahren bewährte, immer weiter fortentwickelte Regelwerk. Wir schlagen eine Verlängerung des befristeten Betriebs der drei noch laufenden Kernkraftwerke um zwei Jahre, also wie auch von der FDP als Partei beschlossen, bis Ende 2024 vor:
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kein Ausstieg vom Ausstieg, sondern befristete Weiternutzung, solange es schlichtweg notwendig ist.
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– Ich habe es Ihnen gerade gesagt: bis 2024.
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– Dann muss geprüft werden, wie die Situation ist.
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Das macht die Bundesregierung. Also, wenn Sie so lange durchhalten, können Sie es machen. Aber es geht ja darum, das Notwendige zu tun und nicht Ihren ideologischen Träumen nachzuhängen.
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Es geht um unzählige Kilowattstunden Strom, die uns Sicherheit geben, was unsere Versorgung anbelangt,
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und die natürlich auch zu sinkenden Strompreisen führen werden. Wir bekennen uns zum massiven Ausbau der erneuerbaren Energien. Die allein werden uns aber eben nicht durch diesen und den kommenden Winter bringen.
Meine Damen und Herren, insbesondere liebe Abgeordnete von der FDP, in genau 100 Tagen ist Samstag, der 31. Dezember 2022.
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Da erlischt die Berechtigung zum Leistungsbetrieb der Kernkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2, nämlich dann, wenn diese Bundesregierung nur diskutiert, anstatt zu handeln. Deshalb rufe ich Sie auf: Die Entscheidung ist überfällig. Tun Sie das in der Energiekrise einzig Vernünftige! Nutzen Sie alle Optionen, die Deutschland in dieser prekären Lage zur Verfügung hat! Stimmen Sie mit uns für die Änderung des Atomgesetzes zur vorübergehenden Weiternutzung der drei Kernkraftwerke!
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Jakob Blankenburg.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Nachdem die Union in den letzten Wochen und Monaten schon intensiv für einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke geworben hat, liegt uns nun auch ein entsprechender Gesetzentwurf zur Änderung des Atomgesetzes vor. Die Kolleginnen und Kollegen der Union fordern darin einen Weiterbetrieb der drei noch am Netz befindlichen Reaktoren. Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland sollen bis 2024 weiterlaufen. Als Argument verweisen sie auf die Sicherstellung der Stromversorgung angesichts der unbestritten angespannten Versorgungssituation in Deutschland
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und in unseren europäischen Nachbarstaaten. So weit, so bekannt.
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Aber was neu ist an diesem Gesetzentwurf und worüber auch Sie gerade eben weniger laut gesprochen haben, sind drei Punkte, und die gehen wir jetzt mal gemeinsam durch.
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Punkt eins. Die Sicherheit der Atomkraftwerke spielt für die Union offenbar eine eher untergeordnete Rolle. Üblicherweise werden die Atomkraftwerke alle zehn Jahre einer intensiven Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Diese Sicherheitsüberprüfungen wären zuletzt 2019 fällig gewesen,
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wurden dann aber ausgesetzt mit der Bedingung, dass die Atomkraftwerke Ende dieses Jahres abgeschaltet werden. Die letzte solche Überprüfung liegt also schon 13 Jahre zurück – eigentlich Grund genug, die Sicherheitsüberprüfung bei einer geplanten Laufzeitverlängerung sofort anzugehen. Das zeigen auch die aktuellen Mängel wie das Ventilleck am AKW Isar 2.
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Aber der Gesetzentwurf der Union sieht stattdessen vor, dass das Ergebnis einer Sicherheitsüberprüfung erst bis Ende 2023 vorgelegt werden soll, also erst in über einem Jahr.
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Punkt zwei. Die Union spricht offiziell über einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke bis 2024, also zwei Jahre länger als geplant.
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Schauen wir aber in den Gesetzentwurf, dann zeigt sich, dass sich die Union eine Hintertür für einen deutlich längeren Weiterbetrieb offenhält.
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Die Bundesregierung soll bis Ende August 2024 einen Bericht darüber vorlegen, ob die Energieversorgungskrise anhält. Sollte das der Fall sein, dann will die Union die Atomkraftwerke noch länger laufen lassen.
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Aber – und jetzt wird es richtig interessant – die Union will die Entscheidung über einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke nicht nur von der Energiesicherheit abhängig machen, wie wir gerade eben gehört haben;
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sie will sich zum einen auch die Preisentwicklung anschauen, zum anderen aber auch die Einhaltung der Klimaziele miteinbeziehen.
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Gerade das ist bemerkenswert. Bleiben die Energiepreise also hoch und sehen wir in zwei Jahren höhere CO2-Emissionen als erwartet, dann hätte das ein noch längeres Weiter-so bei der Atomkraft zur Folge.
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Bravo, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union! Die eigenen Versäumnisse beim Ausbau der erneuerbaren Energien und beim Klimaschutz aus den letzten Jahren werden dann also zur Begründung für die weitere Notwendigkeit der Atomenergie genutzt.
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Das bringt mich dann auch direkt zu Punkt drei, dem Märchen vom Beitrag der Atomenergie zum Klimaschutz. Dass die AfD-Fraktion dieses Märchen gern erzählt, das wissen wir bereits. Aber nun springt die Union hier offenbar auch auf diesen Zug mit auf: Sie verweisen in Ihrem Gesetzentwurf explizit auf den wichtigen Beitrag des verlängerten Betriebs der AKW zur Weiterverfolgung der nationalen Klimaziele.
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Aber dabei ist klar, dass Atomenergie keineswegs CO2-neutral ist.
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– Ja, da darf man ruhig mal klatschen.
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Bei der Stromproduktion selbst werden zwar kaum Treibhausgase freigesetzt; vor und nach der Stromproduktion ist das aber anders.
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Betrachtet man den gesamten Lebensweg der Atomenergie vom Uranabbau – da können Sie auch gerne mal die Freundinnen und Freunde in Sachsen fragen, wie sie das bei der Wismut damals fanden –
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bis hin zur Endlagerung ist die Klimabilanz von Atomkraftwerken verheerend, von den Gefahren des radioaktiven Atommülls ganz zu schweigen.
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Geht es uns also um klima- und umweltfreundliche Energieerzeugung, bleibt deshalb nur ein wirklich nachhaltiger Weg, und das ist der Ausbau der erneuerbaren Energien.
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Da, liebe Union, müssen Sie sich die Frage gefallen lassen, ob Sie unter dem Deckmantel der schon wieder aufkeimenden Atomdebatte mit Ihrer Verhinderungs- und Verzögerungspolitik der letzten Jahre fortfahren wollen.
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Nicht umsonst sieht der zweite Stresstest der Übertragungsnetzbetreiber im schlimmsten – ich wiederhole: im schlimmsten – Szenario nur im Süden Deutschlands das Risiko temporärer Strommangelsituationen. Hier wurde der Ausbau der erneuerbaren Energien in den letzten Jahren mit Instrumenten wie der 10‑H-Regel im Bereich Windkraft systematisch verhindert.
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Mit den immer gleichen Debatten über die Rückkehr zur Atomenergie verschwenden wir wertvolle Zeit auf dem Weg zu einer wahrlich kostengünstigen, umweltfreundlichen und emissionsarmen Energieerzeugung, zu einer Energieerzeugung auf Basis von erneuerbaren Energien.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, lassen Sie uns gemeinsam die Rahmenbedingungen für erneuerbare Energien verbessern, statt die Atomkraft wiederzubeleben! Dafür liegen genug Vorschläge auf dem Tisch. Gemeinsam können wir es anpacken.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Karsten Hilse.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Landsleute! AfD wirkt. Die CDU bringt als zweite Fraktion im Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf ein, in dem sie fordert, die drei noch am Netz befindlichen Kernkraftwerke weiterlaufen zu lassen. Inhaltlich ist gegen den Gesetzentwurf nicht viel einzuwenden. Allerdings ist er nicht notwendig, da die AfD-Fraktion bereits einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht hat, dem Sie heute Abend einfach zustimmen müssen.
({0})
Es stellt sich die Frage: Hat die CDU in der Zwischenzeit begriffen, dass es ein fataler Fehler war, aus der Kernkraft aus rein politischem Kalkül auszusteigen, oder sind es nur die Umfragewerte, nach denen eine Mehrheit der Bevölkerung die Weiternutzung der Kernkraft befürwortet?
Wenn Frau Merkel nicht ohne ein vernünftiges Argument den Ausstieg beschlossen hätte, ständen Kugelhaufenreaktoren, eine deutsche Erfindung, in Deutschland und nicht in China; in Deutschland stände der erste Testflüssigbrennstoffreaktor und nicht in China. Eine Diskussion über Endlager gäbe es gar nicht mehr, weil die Reststoffe der heutigen Kernkraftwerke in Flüssigbrennstoffreaktoren verarbeitet würden.
({1})
Wir wären weiterhin Weltspitze bei Kernkraft und nicht das Land mit der dümmsten Energiepolitik der Welt.
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Das Potenzial der Kernkraft ist nicht mal ansatzweise ausgeschöpft. Die eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten der meisten hier auf der linken Seite verhindern, dass sie dieses Potenzial erkennen. Neben ihnen sitzen machtversessene Opportunisten, die den grünen Ideologen einfach nur folgen. Davon gibt es bei der CDU auch einige, oder wie eine ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete sie nannte: linke und grüne Spinner, die aus ihrer Sicht die CDU seit Merkels Machtübernahme geflutet haben. Aber es gibt auch ausgesprochene Kernkraftfans, und ich hoffe, dass diese in der CDU bald wieder das energiepolitische Zepter übernehmen.
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Im Moment sind es eher die, die nur den Wählerstimmen hinterherhecheln und sich erst zur Kernkraft bekennen, seit Demoskopen herausgefunden haben, dass sich dafür eine Mehrheit in der Bevölkerung findet.
Im Gegensatz zur CDU steht die AfD seit ihrer Gründung zur Kernkraft, weil es die sauberste, effizienteste und platzsparendste Energiequelle ist.
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Wir haben dazu zig Anträge hier im Bundestag eingebracht und wurden dafür niedergeschrien, vor allem von links, aber auch von den ehemals Liberalen. Die sind in der Zwischenzeit wahrscheinlich aufgrund der rapide zurückgehenden Zustimmungswerte auch auf den Zug „Kernkraft“ aufgesprungen. Übereinstimmend sagten Herr Lindner und Herr Dürr, man müsse jetzt die parteipolitischen Spielchen lassen, und Herr Dürr sagte – und ich zitiere –, es sei verantwortungslos, die letzten drei Kernkraftwerke abzuschalten.
Kollegen, Sie haben heute Abend die Möglichkeit, Ihren Worten auch Taten folgen zu lassen. Lassen Sie parteipolitische Spielchen,
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seien Sie nicht verantwortungslos, und stimmen Sie heute Abend unserem Gesetz zu. Tun Sie es nicht, sind Sie, gelinde gesagt, im höchsten Maße unglaubwürdig.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dr. Julia Verlinden.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörende! Ich kann es kurz machen: Atomkraft ist unflexibel, riskant und teuer. Je länger die Atomkraftwerke laufen, desto länger stehen sie auch der Energiewende im Weg. Sie blockieren den Ausbau der Erneuerbaren. Zu diesem Fazit ist letzte Woche auch das Ifo-Institut noch mal gekommen.
({0})
– Ich habe gerade noch den Widerspruch erwähnt.
Was läuft da eigentlich in Bayern? Das wirkt doch wie ein sehr seltsamer Gleichschritt von EON-Tochter PreussenElektra und der Staatskanzlei. Erst behauptet man, das AKW Isar 2 könnte ohne Probleme noch viele Monate einfach so weiterlaufen. Sogar Herr Merz hat sich davon persönlich vor Ort überzeugt.
({1})
Aber jetzt stellt sich heraus: Man hat vergessen, zu erwähnen: Das AKW muss repariert werden.
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Plus: Es scheint auch gar nicht mehr so viel Brennstoff vorhanden zu sein, wie Herr Söder uns weismachen wollte. Hat das Kraftwerk überhaupt noch genug Saft, nach der Reparatur wieder hochzufahren?
({3})
Dafür, dass die letzten AKWs kurz vor der Rente sind, produzieren Sie von der Union reichlich viel heiße Luft.
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Frau Dr. Verlinden, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung aus der CDU/CSU-Fraktion?
Ja.
({0})
Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Verlinden, für die Möglichkeit der Zwischenfrage. – Sind Sie bereit zu akzeptieren und mir zuzustimmen, dass die Situation bei dem bayerischen Kernkraftwerk insoweit unproblematisch ist, als noch nicht einmal ein meldepflichtiger Vorgang vorliegt, wenn ein Ventil repariert werden muss,
({0})
und sind Sie bereit, zu akzeptieren, dass das unnötig skandalisiert wird?
({1})
Lieber Kollege von der Union, wir machen uns hier seit Wochen, seit Monaten Gedanken darüber, wie wir eine Energiesicherheit für Deutschland gewährleisten können.
({0})
Wenn dann ein Betreiber sagt: „Wir bieten euch an: Monatelang können wir hier am Netz bleiben; wir können zusätzlichen Strom produzieren“, und dann bei intensiveren Gesprächen herauskommt: „Ach nee, wir müssen noch mal runterfahren, wir müssen noch mal was reparieren, und dann ist die Frage, wann wir wieder hochfahren können und wie viel Brennstoff wir dann überhaupt noch haben“, dann ist das keine verlässliche Kommunikation.
({1})
Wir brauchen hier Transparenz; wir brauchen Transparenz, wie tatsächlich der Zustand in diesen Atomkraftwerken ist. Ansonsten können wir hier keine vernünftige Politik machen.
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Sie wollen unser Land mit einer Debatte beschäftigen, die, wenn überhaupt, nur einen winzigen Beitrag leisten könnte;
({3})
aber Sie haben das aufgeplustert
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und Ihren Fetisch von neuen Brennstäben gepflegt, um davon abzulenken, was in den letzten Jahren in einer unionsgeführten Bundesregierung energiepolitisch alles falsch gelaufen ist.
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Anstatt Ihre Fehler, Herr Merz, endlich mal zuzugeben oder wenigstens aus der Vergangenheit zu lernen,
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kramen Sie in der Mottenkiste und fordern ein Revival der Technologie des letzten Jahrtausends.
Wir als Ampel und insbesondere das Energieministerium und Robert Habeck sind 24/7 dabei, echte Energiesicherheitspolitik in dieser Krise zu machen,
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auf klimafreundliche Energie umzustellen und mit Umweltministerin Steffi Lemke das Kapitel Atomstrom endlich abzuschließen; denn Atomkraft ist nun wirklich keine Lösung für irgendeines unserer Probleme. Das einzige Problem, das die Atomkraft aus Ihrer Sicht vermeintlich löst, ist die fehlende Profilierung der Union.
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Ich muss Ihnen sagen: Das Risiko, ein altes Atomkraftwerk länger laufen zu lassen, finde ich deutlich bedrohlicher als das Risiko, dass die Union nun mal gar kein anderes Thema hat.
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Denn Ihr Gesetzentwurf heute, der zeigt doch eins: Sie haben als Partei nie wirklich hinter der Erkenntnis Ihrer ehemaligen Parteivorsitzenden gestanden.
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Frau Merkel hat – als Physikerin und als Kanzlerin – vor elf Jahren zur Kenntnis nehmen müssen – so formulierte sie das selbst; Zitat –, „dass selbst in einem Hochtechnologieland wie Japan die Risiken der Kernenergie nicht sicher beherrscht werden können“.
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Und Sie wollen jetzt hier einen gesellschaftlichen Konsens zum Atomausstieg wieder aufschnüren.
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Diesen Konsens, diesen Ausstieg haben alle Fraktionen im Bundestag damals beschlossen, und zwar mit sehr guten Gründen.
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Diese Gründe sind heute genauso richtig und aktuell wie damals. Und wenn Sie von der Union in der aktuellen Situation wirklich einen Beitrag für Energiesicherheit leisten wollen, für Unabhängigkeit von Energieimporten, für stabile Energiepreise, dann bringen Sie den Ausbau der Windkraft endlich in den Bundesländern voran, wo Sie mitregieren, allem voran in Bayern. Danach können wir weiter reden.
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Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Ralph Lenkert.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Täglich zittere ich bei Nachrichten rund um die ukrainischen Atomkraftwerke: Artilleriebeschuss, zerstörte Stromleitungen und Personalmangel beim AKW Saporischschja beschwören die akute Gefahr eines neuen Tschernobyl, eines neuen Fukushima herauf.
Union und AfD loben die französische Energiepolitik. Frankreich steht kurz vor dem Blackout. Im August standen von 60 Gigawatt der französischen AKW nur 31 Gigawatt zur Verfügung: Durchrostende Kühlleitungen, die getauscht werden müssen, und Spannungsrisskorrosion bei einem Typ von Atomreaktoren erzwangen deren Abschaltung, übrigens entdeckt bei den zehnjährlichen Sicherheitskontrollen. – Das ist die Realität.
Die AKW Emsland, Neckarwestheim und Isar hätten spätestens 2019 diese zehnjährlichen Kontrollen durchführen müssen. Wegen der geplanten Stilllegung 2022 wurde darauf verzichtet. Trotzdem glauben Union, FDP und AfD, die deutschen AKW wären sicher und könnten problemlos weiterbetrieben werden.
({0})
Das ist naiv, und das ist falsch.
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Statt zu glauben, halte ich mich als Techniker lieber an Fakten. Am 19. September teilte PreussenElektra mit, dass im AKW Isar 2 ein Ventil leckt; das wäre kein Problem bis zum 31. Dezember 2022.
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Allerdings wäre ein Ventilwechsel bei einem längeren Betrieb des AKWs notwendig, sagt der Betreiber. Die Wartung müsste spätestens im Oktober erfolgen, weil die vorhandenen Brennstäbe fast ausgebrannt seien. Wegen fehlender Reaktivität könnte sonst das AKW nicht mehr in Betrieb gehen, sagt der Betreiber. – Das ist die Realität.
Die Bestellzeit für Brennstäbe beträgt mindestens 18 Monate. – Herr Merz, dann sind die zwei kritischen Winter vorbei. – Die Brennstäbe bestehen aus Uran. 54 Prozent des weltweiten Urans werden in Kasachstan, Russland und Usbekistan gefördert. Im Jahr 2020 verbrauchten nur die USA, Frankreich, Japan und Südkorea 56 Prozent des weltweit geförderten Urans. Ohne Uran von Putins Gnaden wird es wohl keine neuen Brennstäbe für deutsche AKW geben. – Das ist die Realität.
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Liebe Bürgerinnen und Bürger, kennen Sie den Unterschied zwischen einem Atomkraftwerk und einem DDR-Pkw Trabant? Beide stammen aus dem letzten Jahrtausend, aber für den Trabant gibt es noch Ersatzteile.
Die Linke fordert die sofortige Aufhebung der Deckel bei Solar- und vor allem bei Bioenergie für ein größeres Stromangebot. Wir fordern eine Änderung der Abgabensystematik, damit Stadtwerke den Windstrom für Fernwärme nutzen können, statt dass die Windräder bei Starkstrom abgeschaltet werden. Das spart Gas für die Gaskraftwerke bei Flaute.
Wir fordern ein Ende der Profitmaximierung von Energiekonzernen. Verstaatlichen wir diese Konzerne.
({4})
Wir brauchen ein preiswertes Strom- und Gasgrundkontingent für Bürgerinnen und Bürger. Damit die Abzocke an Tankstellen und an Energiebörsen aufhört, fordert Die Linke einen Preisdeckel für Strom und Gas, auch damit die kleinen und mittleren Unternehmen finanziell überleben und Arbeitsplätze erhalten bleiben. Damit Bürgerinnen und Bürger, systemrelevante Dienstleistungen und Unternehmen sicher versorgt werden, fordere ich von der Bundesregierung eine eindeutige Belieferungshierarchie.
Kolleginnen und Kollegen der Union, statt über den Weiterbetrieb der AKW zu fantasieren, arbeiten Sie lieber an umsetzbaren Lösungen!
Vielen Dank.
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Nächste Rednerin: für die FDP-Fraktion Judith Skudelny.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Juni dieses Jahres hat sich der Wirtschaftsminister an die Menschen gewandt mit den Worten: „Jede Kilowattstunde hilft in dieser Situation.“
({0})
Damit wurden die Menschen dazu aufgefordert, ihren Beitrag im Rahmen der Energiekrise zu leisten,
({1})
die durch Putins völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine und seinen EU-weiten Gaskrieg gegen Europa und gegen die demokratischen Staaten eingeläutet worden ist. Auch wir in der Bundesregierung, wir hier im Parlament tragen eine Verantwortung dafür, dass wir diesen Angriffen mit der richtigen Antwort begegnen. Und die richtige Antwort ist, eine sichere, saubere und bezahlbare Energieversorgung für Mensch und Wirtschaft in Deutschland zu erhalten.
({2})
Da haben wir auch schon vieles Richtige getan, und darüber haben wir heute noch viel zu wenig gesprochen. Wir tun so, als wenn wir das letzte halbe Jahr einfach gar nichts gemacht hätten.
({3})
Mit dem Wind-an-Land-Gesetz und mit dem Wind-auf See-Gesetz haben wir den Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigt – etwas, das die letzten Bundesregierungen die letzten Jahre verschlafen haben. Mit dem LNG-Beschleunigungsgesetz haben wir den Einkauf von Gas diversifiziert, sodass wir uns eben nicht mehr von einem Despoten abhängig machen, sondern künftig unsere Energie auch von demokratischen Staaten beziehen können.
({4})
Wir ändern: Mit dem Bundes-Immissionsschutzgesetz befördern wir, dass unsere Industrie schneller umrüsten kann von Gas auf andere Brennstoffe, und wir werden die Biogasproduktion in Deutschland erhöhen.
({5})
Das sind alles kleine Schritte in einem großen Reigen von Maßnahmen, die uns in die Energiesicherheit führen werden.
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Aber trotz all dieser Maßnahmen sehen wir, dass mindestens dieser Herbst schwierig wird. Wir haben einen Stresstest, und nach dem stellt das von den Grünen geführte Wirtschaftsministerium fest: Achtung, im Frühjahr 2023 können Netzengpässe und schwierige Versorgungssituationen bevorstehen. – Wir haben einen Vorschlag vorliegen, zwei Kernkraftwerke in der Reserve zu halten.
Da stellen wir uns eine Frage. Der Stresstest wurde nur bis 2023 gemacht, nur für diesen Herbst und Winter. Die Frage ist: Reichen unsere Maßnahmen aus, dass wir auch im Herbst und Winter 2023, also im nächsten Jahr, Energiesicherheit haben? Das Versprechen dieser Bundesregierung darf nicht nur sechs Monate halten; es muss mindestens bis ins Jahr 2025 halten. Da wissen wir nämlich, dass unsere Maßnahmen greifen werden.
({7})
Die kurzfristige Verfügbarkeit von Kernkraftwerken – darüber müssen wir gar nicht sprechen – ist schwierig; das haben auch diese Stresstests gezeigt. Ein Kernkraftwerk ist eben nicht eine Kaffeemaschine, die man an- und ausmachen kann.
({8})
Und gerade am Beispiel Isar 2 – wir haben es vorhin gesehen – zeigt sich, dass wir eben nicht nur ganz kurzfristig denken dürfen. Die sogenannte Leckage ist tatsächlich einfach nur ein Verschleißteil. Dieses Verschleißteil ist sicher nutzbar bis Dezember 2023.
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Aber selbst im Falle eines Reservebetriebs müssen wir doch zusehen, dass unsere Kernkraftwerke auf dem technisch höchsten Niveau sind. Und selbst im Falle eines Reservebetriebs müssen wir doch die Sicherheit der Kernkraftwerke gewährleisten,
({10})
und das kann mit Nachrüstmaßnahmen, das kann mit Investitionen verbunden sein.
Wenn wir aber diese Sicherheitsüberprüfung machen, wenn wir die technische Überwachung machen, wenn wir sicherstellen können, dass in einem Reservebetrieb die Kernkraftwerke funktionsfähig sind, wenn wir Geld dafür in die Hand nehmen – ja, warum in Gottes Namen nutzen wir sie dann nicht auch?
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Und dazu kommt auch noch eine europäische Perspektive. Wir sind eingebunden in einen europäischen Energiemarkt, und dieser europäische Energiemarkt bedeutet, dass wir Gas von anderen Ländern beziehen, übrigens nicht nur aus Russland, sondern beispielsweise unkonventionelles Erdgas aus unseren osteuropäischen Nachbarstaaten. Wir beziehen aber auch Kernenergie aus anderen Ländern.
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Und ich möchte bemerken, dass die Energiesituation in all unseren Nachbarstaaten nicht wesentlich besser ist als in Deutschland.
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Aus dem Gedanken der europäischen Solidarität heraus sollten wir auch alles tun, um die Energiesicherheit bei uns zu schützen und die vorhandenen Ressourcen zu nutzen, weil das unser Beitrag zur europäischen Solidarität sein kann.
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Versorgungs- und Energiesicherheit ist übrigens nicht nur eine Frage der Verfügbarkeit. Gerade heute sehen viele Wirtschaftszweige, sehen viele Menschen, dass zwar Gas und Strom vorhanden sind, aber dass sie sich das schlichtweg nicht mehr leisten können. Es reicht nicht aus, wenn genügend Strom und Gas da sind – wir müssen das Ganze auch bezahlbar halten, damit es den Menschen zur Verfügung stehen kann!
({15})
Auch in diesem Bereich sind wir ja nicht untätig in der Bundesregierung. Mit den Energiepauschalen, in dieser Woche mit der Mehrwertsteuersenkung bei Gas und mit der Diskussion in Europa, wie wir einen Deckel auf die Energiepreise setzen, haben wir schon Maßnahmen umgesetzt. Wir haben noch weitere Maßnahmen im Visier, um die Bezahlbarkeit der Energieversorgung in Deutschland zu gewährleisten.
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Aber vor dem Hintergrund dieser Diskussion sehen wir auch, dass die Weiternutzung der Kernenergie eine Preisdämpfung bewirkt,
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um 4 Prozent laut ifo-Studie, die auch andere Parteien in anderen Punkten zitiert haben.
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Wenn aber jede Kilowattstunde in dieser Situation hilft, dann muss am Ende auch gelten: Es hilft auch jeder Euro, den wir sparen.
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Meine Damen und Herren, ich erzähle Ihnen allen und auch meinen Ampelkollegen kein Geheimnis, wenn ich sage: Na ja, vielleicht sind wir uns noch nicht zu 100 Prozent einig in diesem Punkt. Könnte sein.
({20})
Aber wir haben uns in einer Ampel zusammengefunden, weil wir gerade in Krisensituationen sehen, dass wir unterschiedliche Meinungen, unterschiedliche Ideen und unterschiedliche Lösungsansätze zusammenbringen. Und bis jetzt haben wir es am Ende immer geschafft, eine vernünftige, von der Gesamtgesellschaft getragene Lösung zu präsentieren. Und das werden wir auch in diesem Fall schaffen.
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In dem Rahmen – ich habe es gesagt, wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Lösung –
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nehme ich den Gesetzentwurf und nimmt die FDP-Fraktion den Gesetzentwurf der Unionsfraktion wohlwollend auf als inhaltlichen Beitrag zur Debatte, die wir aktuell in Deutschland führen.
({23})
Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Jens Spahn.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesminister Habeck, Sie haben ja gestern lautstark die Unterstützung der Opposition auch in dieser Krise eingefordert. Das passt gut zu dieser Debatte. Fangen wir noch mal beim Problem an: Wir haben ein massives Stromproblem, seit Monaten. Wir haben Rekordpreise für Unternehmen, für die Bürgerinnen und Bürger beim Strom und beim Gas, die sich das schon lange nicht mehr leisten können. Und – das darf übrigens nicht vergessen werden – jeden Tag wird in Deutschland noch immer Gas verstromt – Gas, das wir eigentlich so dringend einsparen müssten.
Eine offenkundige Lösung ist eine massive Ausweitung des Angebots. Es geht darum, jede, aber auch wirklich jede Form der Energieerzeugung, die hier in Deutschland möglich ist, zu nutzen.
({0})
Das sind Problem und Lösung. Da geht es dann um die Frage: Wie? Und gerade da, Herr Minister, bieten wir Ihnen seit Kriegsbeginn konkrete Zusammenarbeit und Unterstützung an. Allerdings haben Sie viele unserer Vorschläge bis heute nicht aufgegriffen und tun es immer noch nicht.
Nehmen wir die Kohle. Wir haben hier schon im März gesagt: Kohlekraftwerke hochfahren, um Gasverstromung runterzufahren. – Irgendwann im Juli haben Sie die Gesetze geändert, haben damals gesagt: Jetzt jedes Kohlekraft ans Netz. – Schauen wir heute, Ende September, auf die Situation: Zwei Kohlekraftwerke sind bisher erst am Netz, weil Sie so hohe Auflagen und Hürden gemacht haben, dass sie nicht ans Netz kommen. Schaffen Sie diese Auflagen weg, bringen Sie die Kohlekraftwerke ans Netz! Da haben Sie unsere Unterstützung, sofort und unmittelbar.
({1})
Zu Biogas, Windenergie, Photovoltaik machen wir seit März Vorschläge zu den Potenzialen, die es gibt. Es geht um steuerrechtliche Vorschriften, es geht um den Biogasdeckel, um viele regulatorische Maßnahmen bis hin zur Frage, ob die Windräder nachts trotz der Geräusche laufen können. Dazu machen wir seit März Vorschläge. Die greifen Sie jetzt auf, im September. Das ist gut, aber das alleine reicht eben nicht.
({2})
Das bringt uns zur Kernkraft. Es gibt drei Kernkraftwerke, die in Deutschland noch laufen. Sie haben etwa 4 Gigawatt Leistung, versorgen etwa 10 Millionen Haushalte mit Strom. Jetzt ist es so, Herr Blankenburg, dass der Minister die Sicherheitsüberprüfung ja vorschlägt. Sie müssen übrigens die Frage beantworten: Was ist jetzt mit Isar 2? Wenn Isar 2 in die Reserve soll, wie Sie vorgeschlagen haben, muss jetzt dort das Ventil ausgetauscht werden. Wird das jetzt mit Ihrer Unterstützung passieren oder nicht? Der Betreiber muss das wissen.
Sie müssen die Sicherheitsanforderungen natürlich einhalten. Sie haben uns wochenlang erzählt: Es geht nicht. Sie müssen das Recht ändern. Dazu haben Sie uns wochenlang erzählt: Das geht nicht. Natürlich müssen Sie für die Reserve das Recht ändern. Sie müssen das Personal vorhalten, weil Sie ja im Fall der Fälle die Kernkraftwerke betreiben können müssen. Dazu haben Sie uns auch erzählt, das ginge alles nicht. Dann wollen Sie auch noch Geld an die Betreiber zahlen – jeden Tag, jede Woche, jeden Monat –, dafür, dass sie in Reserve bleiben.
Wir haben Personal, wir zahlen das Geld, Sicherheitsanforderungen werden überprüft, aber Strom soll nicht produziert werden. Das kann man keinem Menschen erklären, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deswegen sollten diese Kernkraftwerke durchlaufen.
({3})
„Da muss der Pragmatismus jede politische Festlegung schlagen“, Zitat Robert Habeck aus dem März. Das stimmt. Bei diesem Ansatz haben Sie unsere Unterstützung. Dann aber tun Sie auch endlich pragmatisch, was offenkundig nötig ist, und erhalten uns für Deutschland und Europa die Energie, die aus diesen drei Kernkraftwerken kommt.
Übrigens: Wer soll diese Energie eigentlich ersetzen? Wodurch, Frau Verlinden, soll sie ersetzt werden? Sollen dann Gaskraftwerke die wegfallende Energie ersetzen oder wer oder was?
({4})
Die Kohlekraftwerke sind nicht am Netz. Wenn diese Energie wegfällt, werden noch mehr Gaskraftwerke laufen müssen. Wir würden noch mehr Gas verstromen, mitten in der Gaskrise. Das kann nicht die Lösung sein in dieser Krise, in der aktuellen Lage.
({5})
Ein Letztes. Sie erbitten lautstark die Unterstützung für Ihre Regierungspolitik. Die spannende Frage, Herr Minister, ist aber: Welchen Teil der Regierung sollen wir denn unterstützen?
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Den Finanzminister, der jeden Tag mit seiner Fraktion längere Laufzeiten fordert? Die Grünen und deren Wirtschaftsminister, die gefangen sind zwischen Parteilogik, Jürgen Trittins Lebenswerk
({7})
und dem, was notwendig ist für das Wohl unseres Landes? Die SPD, die, wie wir Herrn Blankenburg angemerkt haben, unentschlossen ist? Also, welchen Teil der Regierung sollen wir denn unterstützen?
Übrigens: Bei der Gasumlage ist es, wenn ich das einmal sagen darf, das Gleiche. Letzter Fan der Gasumlage ist die FDP. Herr Miersch, Frau Mast, Herr Janecek, Frau Dröge, sogar der Minister selbst stellen die Gasumlage infrage. Der Minister hat Zweifel an ihr, beschimpft dann aber lautstark die Opposition, wenn sie seine Zweifel aufgreift. Das ist auch ein Kunststück politischer Rhetorik; das muss man sagen und anerkennen. Aber es hilft eben nicht.
({8})
Deswegen – zusammenfassend, Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen –: Wir sind weiterhin und jederzeit bereit zur Zusammenarbeit. Wir sind es immer gewesen; unser Fraktionsvorsitzender hat es letzte Sitzungswoche auch noch einmal sehr deutlich gesagt.
({9})
Wir sind vor allem dann bereit, wenn Sie tun, was nötig ist für Deutschland in dieser Krise. Wir sind bereit für mehr Stromangebot, für bezahlbare Preise, für weniger Gasverstromung. Wir sind vor allem dann zur Zusammenarbeit bereit, wenn Sie selbst erst einmal wissen, was Sie tun wollen in dieser Krise,
({10})
wenn Sie endlich konkrete Vorschläge machen.
Wenn wir die Zusammenarbeit starten wollen: Unser Gesetzentwurf ist ein konkretes Angebot. Stimmen Sie zu!
({11})
Vielen Dank, Herr Kollege Spahn. – Ich weiß ja, dass die Union schon gendert, aber ich bin immer noch männlich, Herr Spahn.
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Bei der Unionsfraktion kann sich schon jemand Gedanken machen, wer die Minute Überziehungszeit abgezogen bekommen soll.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Carsten Träger, SPD-Fraktion.
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Guten Morgen, Herr Präsident! Der Herr Spahn hat öfter nicht mitbekommen, dass es einen Wechsel gegeben hat. Also grämen Sie sich nicht!
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über die Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken. Herr Spahn, wir sehen es Ihnen nach, dass Sie, weil Sie ja in den letzten Jahren einen anderen Schwerpunkt hatten, nicht so ganz auf der Höhe der Zeit sind, was diese Debatten angeht.
({1})
Der Stresstest hat ja gerade ergeben, dass die Verlängerung der Laufzeit dieser drei AKWs keinen signifikanten Beitrag zur Senkung der Strompreise bringt.
({2})
Also, wenn Sie ihn schon als ideologisches Blendwerk verdammen, dann werfen Sie doch wenigstens vorher einmal einen Blick auf die Ergebnisse.
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Überhaupt ist es schon interessant, wie die konservative Seite des Hauses mit den Anbiederungsversuchen der Ewiggestrigen umgeht. Ich habe das sehr genau beobachtet, als die verschiedenen Reden gehalten wurden. Die Reaktion war irgendwas zwischen Versteinerung und fast unverhohlener Zustimmung.
({4})
Wenn Sie von Ideologiefreiheit und Pragmatismus sprechen, dann gebe ich Ihnen recht. Aber wie können Sie dann alle Argumente, die ein sorgfältig durchgeführter Stresstest erbracht hat, vom Tisch wischen? Und wie können Sie dann unverhohlen, über jegliche aktuellen Entwicklungen hinweggehend, die Rolle rückwärts ins Atomzeitalter proklamieren? Das ist doch Ideologie, meine Damen und Herren.
({5})
Es gibt Meldungen von Sicherheitslecks. Das beeinflusst offensichtlich die Haltung der Union und die Haltung der Bayerischen Staatsregierung nur wenig.
({6})
Wer ist denn hier ideologisch unterwegs? Diejenigen, die sachlich um Lösungen ringen, orientiert an den Ergebnissen aus dem Stresstest, für dessen sorgfältige Durchführung man sich Zeit genommen hat, oder Sie, die jede Sicherheitsbedenken einfach übergehen und sagen: „Na ja, das war ja sowieso nicht meldepflichtig“?
({7})
– Na ja, was ist denn passiert in Bayern?
({8})
Schauen wir uns das doch einmal an. Welche Rolle spielt denn die bayerische Atomaufsicht? Welche Rolle spielt die Staatsregierung?
({9})
Und welche Rolle spielt der TÜV Süd in diesem doch bemerkenswerten Vorgang? Wir haben erfahren, dass PreussenElektra in den letzten Tagen – wohlgemerkt; irgendwann letzte Woche –
({10})
die deutsche Atomaufsicht darüber benachrichtigt hat, dass es eine „interne Ventilleckage“ gibt; so ist die Formulierung. Das ist natürlich nicht sicherheitsrelevant. Aber wenn man den Reaktor länger betreiben möchte als bis zum 31. Dezember, dann muss man ihn noch im Oktober herunterfahren.
Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe Fragen.
({11})
Was ist denn das für ein Gebaren? Ich bin ja kein Ingenieur,
({12})
aber gab es nicht einen Besuch von einem gewissen Ministerpräsidenten Markus Söder, seinem Energieminister Hubert Aiwanger, dem für die Atomaufsicht in Bayern zuständigen Umweltminister Thorsten Glauber – und ich glaube, auch die Sonnenbrille von Herrn Merz dort gesehen zu haben – bei genau ebenjenem Kernkraftwerk Isar 2?
({13})
Wurde denn da nicht über Sicherheitsfragen diskutiert?
Man hat ja am 4. August eine Pressekonferenz gegeben.
({14})
Und es gibt ein Schreiben vom TÜV Süd, der übrigens viele Millionen Euro mit der Aufsicht über die bayerischen Atomkraftwerke verdient hat.
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In diesem Schreiben des TÜV Süd, der sehr schnell zu der Auffassung gekommen ist, wurde sogar der Weiterbetrieb von sechs Atomkraftwerken gefordert. Also: Was ist denn da los in Bayern?
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Was ist denn da los? Kann man denn diesen Herren wirklich vertrauen, wenn es um eine Hochrisikotechnologie wie die Kernenergie geht?
({17})
Jetzt will die Bayerische Staatsregierung nichts davon gewusst haben. Wir wurden am Montag in den Medien darüber informiert. Wer hat denn die bayerische Atomaufsicht, und wie geht man denn mit so einer Hochrisikotechnologie um? Ich würde ja gar nichts sagen, wenn es keine Meldung gegeben hätte. Aber wenn man sich vorher schon hinstellt und sagt: „Mia san mia, wir wissen alles besser, und wir lassen die Atomkraftwerke – und zwar sechs an der Zahl – einfach weiterlaufen“, dann passt das alles doch nicht zusammen, meine Damen und Herren.
({18})
Es bleiben Fragen – viele Fragen –, die wir gut beantworten müssen, zum Beispiel, ob wir diese Hochrisikotechnologie weiter in den Händen dieser Herren sehen wollen. Die gleichen Herren übrigens, die in Bayern die Energiewende nicht vorangetrieben haben; ich würde sogar sagen: an die Wand gefahren haben.
({19})
Ich sage nur: Die 10‑H-Regel gibt es immer noch. Die Übertragungsnetze, für die Sie zuständig sind, werden bei gutem Verlauf vielleicht nach dem Kriegsende fertig sein. Das sind die Fakten, das ist die Realität.
({20})
Der Ministerpräsident Markus Söder stellt sich hin und sagt: „Wir sind ein führendes Land der Energiewende“, und es funktioniert nichts. Denn ein Ergebnis dieses Stresstests ist: Das Worst-Case-Szenario besteht darin, dass wir in Bayern Netzschwankungen haben. Warum haben wir denn Netzschwankungen?
({21})
Weil wir nicht genug Kapazitäten aufgebaut haben, um unsere Energieversorgung selber zu sichern. Stattdessen müssen wir die Energie aus dem Norden Deutschlands importieren, und dafür fehlen die Übertragungsnetzwerke. Da schließt sich der Kreis.
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Solche Herren geben uns kluge Ratschläge; darauf können wir verzichten,
({23})
übrigens auch auf die großherzigen Angebote der Zusammenarbeit. Wir wissen, was wir davon zu halten haben, Herr Spahn.
Vielen Dank.
({24})
Vielen Dank, Herr Kollege Träger. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Rainer Kraft, AfD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Zu Beginn ein ganz kurzer Realitätscheck. Schauen wir mal, wie es in Deutschland derzeit bei den Leistungsdaten ausschaut: Kernkraft liefert vier Gigawattstunden. Verstromt wird Gas für neun Gigawattstunden. Und was liefert die Windenergie in Summe on- und offshore? Eineinhalb Gigawattstunden. Das heißt, selbst wenn Sie jedes Windrad in Deutschland verdoppeln, schaffen Sie es noch nicht einmal, die Leistung von nur drei verbliebenen Kernkraftwerken in Deutschland zu erreichen. Das ist Ihre Forderung für Energiesicherheit. Das ist komplett armselig.
({0})
Liebe Bundesregierung, herzliche Glückwünsche zum Erwerb von drei Kernkraftwerken. Das ist wunderbar! Ab dem 1. Januar 2023 wird die deutsche Bundesregierung der größte deutsche Betreiber von nukleartechnischen Anlagen sein. Gleichzeitig haben Sie damit fünf Kohle- und Gaskraftwerke in Russland mitübernommen, und diese unterstützen mit ihren Strom- und Energielieferungen die Waffenschmieden des russischen Militärs. Das heißt, in diesem Krieg in der Ukraine unterstützen Sie derzeit beide Seiten. Das ist tiefste Heuchelei.
({1})
Heucheln ist sowieso das Aushängeschild dieser Regierung. All das, was funktioniert, wollen Sie zugunsten grüner Luftschlösser in Deutschland nicht haben. Kurze Auswahl: Kernkraft wollen Sie in Deutschland nicht haben; nehmen Sie gerne aus dem Ausland. Kohle wollen Sie in Deutschland nicht haben; nehmen Sie gerne aus dem Ausland. Gas aus Fracking wollen Sie in Deutschland nicht haben; nehmen Sie gerne aus dem Ausland.
Das CO2-freie Kernkraftwerk Emsland wollen Sie am Ende des Jahres schließen. Dafür sollen Schweröl betriebene Power Barges, also schwimmende Ölkraftwerke, auf den Flüssen Norddeutschlands, auf den Flüssen Niedersachsens die Versorgungssicherheit sicherstellen. Das, liebe Regierung, sind Energieerzeugungsmethoden aus Entwicklungsländern, wie Ihre Energiepolitik.
({2})
Eine kluge Frau hat einmal gesagt:
Man kann die Realität ignorieren, aber man kann nicht die Konsequenzen der ignorierten Realität ignorieren.
({3})
Diese Frau, Alissa Sinowjewna Rosenbaum – besser bekannt als Ayn Rand –, wurde bereits in ihrer Kindheit durch die kommunistische Mangelwirtschaft mit der harten Realität konfrontiert. Diesen knallharten Aufschlag auf die Realität erleben Sie gerade in Ihrer Energiepolitik.
({4})
Folgerichtig und zustimmungswert ist daher der Gesetzentwurf der Union. Er enthält, effektiv gesagt, nichts anderes als der Entwurf der AfD, über den wir heute Abend final abstimmen werden. Wenn Sie da zustimmen, könnte man den Prozess beschleunigen; denn Zeit ist knapp. Der Herr Wirtschaftsminister hat schon viel zu viele Monate verschenkt. Das ist mein einziger Kritikpunkt, liebe Union: Die Zeit ist knapp. Die Betreiber brauchen für administrative Dinge, für Personalfragen, für Routinewartungen Zeit. Das ist alles kein Hexenwerk, aber sie brauchen Zeit. Beschleunigen Sie Ihren Prozess!
({5})
Wenn Sie Ihren Prozess beschleunigen, dann können Sie die Kollegen der FDP auch mal zum Schwur bringen; denn die FDP selber tut nichts. Einzelne Abgeordnete kommen her und sagen, sie würden gern Kernkraftwerke weiter betreiben. Aber von der FDP liegt kein Antrag, kein Gesetzentwurf vor.
({6})
Auch der Wähler in Niedersachsen will wissen, wo die FDP tatsächlich steht: Steht die FDP auf dem Boden energiepolitischer Vernunft, oder will die FDP einfach nur an den Annehmlichkeiten einer dysfunktionalen Ampelkoalition weiterhin teilhaben? Das will der Wähler in Niedersachsen wissen. Zwingen Sie die FDP dazu.
({7})
Bleiben wir beim Herrn Wirtschaftsminister Habeck. Seine Entscheidung für nur zwei Kernkraftwerke und diese nur in Reserve zu bringen, ist energiepolitisch falsch. Aber zumindest hat diese Entscheidung eines aufgezeigt: Damit wurde nämlich der Prüfvermerk aus dem BMU komplett vorgeführt. Wir erinnern uns: Im März dieses Jahres meinte das BMU in einer Nacht-und-Nebel-Aktion festgestellt zu haben, dass von den drei verbliebenen Kernkraftwerken keinerlei Beitrag für die Energie- und Stromsicherheit im Winter 2022/2023 wird kommen können.
Die Entwicklung ist nun anders. Die Betreiber haben widersprochen, der TÜV hat widersprochen, und der Herr Wirtschaftsminister hat nun auch eine andere Lösung dafür gefunden.
({8})
Da stellt sich die Frage: Sind die Experten des BMU einfach nur unfähig, eine fachlich richtige, korrekte Einschätzung der Situation geben zu können, oder hat das BMU uns hier eine vorsätzlich falsche Entscheidung mitgeteilt und mithin die eigene Bundesregierung, dieses Parlament und die Bürger in Deutschland belogen? Liebe Frau Ministerin, was war es denn nun?
({9})
Frau Ministerin, war es nun Unfähigkeit oder eine vorsätzliche Falschaussage aus Ihrem Haus? Das würde ich gerne wissen.
({10})
Aber eigentlich ist das auch schon egal. Beide Versäumnisse sind so schwer, dass Sie jetzt eigentlich zurücktreten sollten. Liebe Frau Ministerin Lemke, gehen Sie den Weg von Frau Spiegel.
({11})
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Kraft. – Als Nächstes erhält das Wort Frau Bundesministerin Steffi Lemke für die Bundesregierung.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin angesichts dieser Debatte dankbar, dass wir in den noch laufenden Atomkraftwerken Techniker, Arbeiter und Ingenieure haben, die für die Sicherheit dieser Atomkraftwerke garantieren an jedem Tag, den die Atomkraftwerke laufen.
({0})
Ich glaube, dass wir in krisenhaften Zeiten gerade mehr Sicherheit brauchen und nicht mehr Risiko.
Ich glaube, dass diese Arbeiter, Techniker und Ingenieure in den Atomkraftwerken so etwas wie einen Murmeltiertag hatten, als Herr Merz und Herr Söder im August in ihren weißen Anzügen dort auftauchten und sagten, sie wären im Reaktor gewesen und hätten festgestellt – sinngemäß –, dass alles in Ordnung ist.
({1})
Ich halte das für keinen verantwortlichen Umgang mit der Atomkraft. Deshalb sage ich Ihnen: Die Entscheidung zum Atomausstieg steht!
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Der 2011 in einem breiten Konsens beschlossene Atomausstieg kommt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, ich verstehe gar nicht, warum Sie nicht stolz darauf sind, dass dieser Atomausstieg kommen wird.
({3})
Sie haben ihn seinerzeit gemeinsam mit der FDP beschlossen, und das war verantwortungsvolle Politik, die Sie damals durchgeführt haben. Sie haben damit einen jahrzehntelangen gesellschaftlichen Konflikt in unserem Land befriedet. Es geht hier nicht um das Lebenswerk von Herrn Trittin,
({4})
sondern darum, dass Frau Merkel als damals zuständige Bundeskanzlerin diesen Atomausstieg in unserem Land mit unserer Unterstützung umgesetzt hat.
({5})
Frau Ministerin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der CDU/CSU-Fraktion?
Nein. – Sie können mit Ihrem Gesetzentwurf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Ihnen jetzt darum geht, diese Entscheidung zurückzudrehen.
({0})
Herr Bilger, schauen Sie sich Ihre Rede noch mal an. Sie sind genau an der Stelle ins Stottern gekommen, als es darum ging, dass Ihr Gesetzentwurf eine Laufzeitverlängerung nicht nur bis 2024 ermöglichen möchte, sondern auch darüber hinaus.
({1})
Sie wollen das Rad der Geschichte der Atomkraft in Deutschland zurückdrehen, und das wird nicht passieren.
({2})
Es ist verantwortungslos, wenn Sie mit einer Hochrisikotechnologie so umgehen
({3})
als wäre es eine Kaffeemaschine, die Sie ab und zu mal an- und ausschalten und mit etwas Wasser neu befüllen können, in die Sie einen neuen Filter reinmachen und sie dann wieder anschalten.
Es hat drei Gründe, warum wir in Deutschland durch einen Gesetzentwurf der CDU/CSU aus der Atomkraft ausgestiegen sind. Erstens. Die Nutzung ist risikoreich; Tschernobyl, Fukushima und andere Katastrophen haben das gezeigt. Zweitens. Sie ist teuer, und sie produziert hochgiftige Hinterlassenschaften, mit denen noch viele Generationen fertig werden müssen. Und drittens. Die Sicherheitslage von Atomkraftwerken in Europa hat sich im Februar 2022 massiv und radikal geändert. Sie sind zum Kriegsziel des Krieges Russlands gegen die Ukraine geworden, und das ist wenige Hundert Kilometer von hier entfernt.
({4})
Ich zumindest habe mir nicht vorstellen können, als ich gegen Atomkraft demonstriert habe – aus guten Gründen; ich habe sie Ihnen hier genannt –, dass wir über den Wiedereinstieg in die Atomkraft auf Initiative der CDU/CSU diskutieren, während diese Kraftwerke wenige Hundert Kilometer von uns entfernt zu Kriegszielen geworden sind.
({5})
Deshalb, sehr geehrte Damen und Herren, wird es keinen Wiedereinstieg in die Atomkraft geben. Wir werden – das haben Minister Habeck und ich angekündigt – jetzt sorgfältig prüfen,
({6})
ob für den kommenden Winter zwei der noch drei laufenden AKW möglicherweise als Reserve gebraucht werden,
({7})
um auf eine mögliche krisenhafte Zuspitzung der Versorgungslage reagieren zu können. Gerade das drastische Versagen der Atomkraftwerke in Frankreich wird diese Entscheidung hier in Deutschland möglicherweise erzwingen. Deshalb ist es richtig, eine Bereitschaftsreserve vorzuhalten, aber es ist nicht richtig, daraus mit billigem Populismus die Konsequenz zu ziehen, die Nutzung der Atomkraft um mehrere Jahre verlängern zu wollen.
({8})
Verantwortung zu übernehmen, heißt auch, transparent und ehrlich zu kommunizieren. Das haben wir in dieser Woche getan, nachdem wir Kenntnis davon erhalten haben, dass es eine Ventilleckage am AKW Isar 2 gibt. Diese stellt im laufenden Betrieb kein Sicherheitsproblem dar – das habe ich direkt gesagt –, aber es ist ein technisches Problem. Jetzt muss darüber entschieden werden, wie wir damit umgehen.
({9})
Es ist ein lange absehbares, es ist ein berechenbares, es ist ein mechanisches Problem, das dort vorliegt. Es führt aber dazu, dass das AKW jetzt im Herbst, wo wir auch schon eine problematische Stromsituation aufgrund der fehlenden Atomkraftwerke in Frankreich haben, vom Netz genommen werden muss.
({10})
Dass diese Information uns von der bayerischen Atomaufsicht nicht rechtzeitig mitgeteilt worden ist, lasse ich hier mal unkommentiert im Raume stehen.
({11})
Wir werden die notwendigen Antworten auf die gegenwärtige Energiesituation geben, indem wir erstens die Erneuerbaren radikal ausbauen werden, indem wir zweitens Energieeffizienz und Energieeinsparung vorantreiben werden
({12})
und indem wir drittens in diesem Winter noch einmal auf alte Energieversorgungsformen zurückgreifen und dafür auch den Reservebetrieb für zwei der drei noch laufenden AKW ermöglichen werden, wenn er notwendig ist.
Vielen Dank.
({13})
Vielen Dank, Frau Ministerin. – Die CDU/CSU-Fraktion hat eine Kurzintervention für den Abgeordneten Willsch beantragt. Dem gebe ich statt. Sie haben das Wort, Herr Kollege Willsch.
Vielen Dank, Herr Präsident Kubicki. – Frau Ministerin, ich hätte Ihnen bei Ihrer Rede gerne eine Frage gestellt zu einem Vorgang, zu dem ich eine Stellungnahme des BMU vermisse. Ich habe erst noch einmal auf Twitter geschaut, ich habe noch einmal bei den Pressemeldungen Ihres Hauses nachgeschaut. Dort ist in jüngsten Tagen über Einwegplastikgeschirr, über Urban Gardening, Fassadenbegrünung und andere Biodiversitätsfragen getwittert worden, auch darüber, dass Sie unzufrieden sind über diese Meldung eines nicht meldepflichtigen Vorgangs aus dem bayerischen Kernkraftwerk.
Aber ich sehe nur dröhnendes Schweigen zu dem Vorgang, dass vor zwei Tagen aufgrund eines beispiellosen Sabotageakts in Jänschwalde – das ist knapp 200 Kilometer von Ihnen entfernt; da hätten Sie näher zu schauen gehabt –
({0})
durch kriminelle Landfriedensbrecher 1 Gigawatt gesicherte Leistung vom Netz genommen werden musste, weil die dort meinten, sich in ihrem Privatkrieg an Gleisen festkleben, anketten zu müssen und was weiß ich was alles zu machen. Aus dem Ministerium gibt es nur dröhnendes Schweigen, wie auch aus der ganzen Partei. Wo ist denn Frau Neubauer, die ja ständig in allen Talkshows ist und auch dazu mal ein Wort sagen könnte?
Sind Sie bereit, mit uns zusammen heute der brandenburgischen Landespolizei und Innenminister Michael Stübgen dafür zu danken, dass sie diesen Zirkus schnell beendet haben, und die brandenburgische Justiz aufzufordern, die Straftäter ihrer Strafe zuzuführen?
({1})
Frau Ministerin, wollen Sie antworten? – Ja, ich sehe schon. Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, zum einen ist es natürlich begrüßenswert, dass Sie sich die Website des BMUV intensiv anschauen und sie studieren.
({0})
Zum Zweiten werden Sie da noch wesentlich mehr Informationen finden als das, was Sie jetzt versuchen zu verhohnepiepeln. Es tut mir leid, dass in der CDU/CSU die Krise des Artenaussterbens offensichtlich immer noch nicht verstanden wurde. Aber das ist heute auch nicht unser Thema.
({1})
Wenn Sie auf dieser Website weiterschauen – dafür müssten Sie noch ein bisschen mehr Zeit investieren –, wenn Sie auf meinem Twitter-Account weiterschauen, dann werden Sie noch viele andere Informationen finden.
({2})
Das BMUV hat sich in den letzten Tagen, in den letzten Wochen unter anderem sehr intensiv mit der Frage der Sicherung der Energieversorgung in unserem Land auseinandergesetzt. Dazu gehört die sehr intensive Debatte, die das BMWK und das BMUV darüber führen, was notwendig ist, um die Energieversorgung sicherzustellen.
({3})
– Sie sind aber gar nicht gefragt. Ich bin gefragt, glaube ich, wenn ich das richtig verstanden habe.
({4})
– Das werden Sie mir überlassen, wie ich Fragen beantworte, Herr Abgeordneter. – Danke.
Sie werden dort auch finden, dass wir uns über die Frage, wie der Reservebetrieb organisiert werden kann, wenn er notwendig ist, intensiv ausgetauscht haben und dieses Thema bearbeitet haben. Deshalb habe ich am Montag die Öffentlichkeit über die Probleme informiert.
({5})
– Er hatte mich auch, Frau Abgeordnete, zur Energiesicherheit gefragt. Da haben Sie vielleicht nicht hingehört, weil Sie zu sehr auf Ihre Details fixiert sind.
Jetzt zu dem Thema, das Sie im zweiten Teil Ihrer Frage angesprochen haben. Ich habe schon mehrfach – wenn Sie in meinem Twitter-Account zurückgehen, finden Sie das – deutlich gemacht, dass ich kriminelle Proteste, dass ich kriminelle Blockaden und dass ich die Gefährdung der Sicherheit von Menschen durch solche Proteste ablehne. Dies habe ich öffentlich, klar und deutlich kritisiert. Das habe ich getan.
Ich wäre dankbar, wenn Sie und ich vielleicht dennoch einen Konsens darüber herstellen könnten, dass jetzt eine junge Generation auf die Straße geht und protestiert – sie wird das morgen wieder tun in einem friedlichen und in einem zivilen Protest –
({6})
und dass es Gründe dafür gibt: weil sich diese jungen Menschen Sorgen um ihre Zukunft machen,
({7})
weil Ihre Partei unter anderem den Ausbau der erneuerbaren Energien und den Kampf gegen die Klimakrise und das Artenaussterben jahre- und jahrzehntelang vernachlässigt hat.
Vielen Dank, Herr Kollege.
({8})
Vielen Dank. – Damit fahren wir fort in der Rednerliste. Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Anja Weisgerber, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch Machiavelli wusste: „Mit Wankelmut und Nachgiebigkeit erreicht man gar nichts.“ Der Wankelmut von Bundesminister Habeck wird vor allem durch die von ihm vorgeschlagene Notreserve für nur zwei Kernkraftwerke deutlich. Die Einsatzreserve ist eine totale Fehlkonstruktion und auch nicht praktikabel. Wir halten die Kernkraftwerke für viel Geld vor und wissen noch gar nicht, ob wir sie dann wirklich nutzen. Das verursacht Kosten, möglicherweise ohne auch nur eine Kilowattstunde günstigen Strom zu produzieren. Das ist, ehrlich gesagt, lieber Herr Minister, liebe Frau Ministerin, ein schlechter Witz. Die anderen Länder Europas schütteln doch den Kopf über diese Entscheidung der Ampelregierung.
({0})
Die Menschen in unserem Land merken, wenn sie verschaukelt werden. Und sie merken auch, wenn die Regierung nicht alle Optionen nutzt, die wir haben.
({1})
Auch der Stresstest besagt, dass Netzengpässe drohen, wenn wir die drei noch am Netz befindlichen grundlastfähigen Kernkraftwerke vom Netz nehmen.
Deshalb legen wir heute einen ganz konkreten Gesetzentwurf vor, mit dem wir die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür schaffen, die Kernkraftwerke zumindest bis Ende 2024 weiterlaufen zu lassen. Denn das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, neben dem wichtigen Ausbau der erneuerbaren Energien – ich betone das: neben dem Ausbau – die einzig richtige Entscheidung, auch im Hinblick auf die Energieversorgungssicherheit und die Preisentwicklung.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, entscheiden Sie nicht nach Parteiprogramm und Ideologie, sondern treffen Sie endlich eine pragmatische Entscheidung und unterstützen Sie unseren Gesetzentwurf. Ein erstes Signal in die Richtung haben wir ja heute von der FDP gehört.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir könnten in unserem Land Vertrauen wieder zurückgewinnen, wenn wir in so einer Krisensituation über Parteigrenzen hinweg zusammen die notwendigen Entscheidungen treffen würden. Der Gesetzentwurf bedeutet keinen Ausstieg aus dem Ausstieg, sondern er stellt lediglich eine Brücke dar. Gleichzeitig müssen wir den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv beschleunigen. Dafür brauchen wir auch Planungsbeschleunigung, nicht nur im Hinblick auf die Windenergie, wie Sie es vorschlagen.
Und ja, ich komme aus Bayern, aus Franken, wie man hört. Ich weiß, was jetzt einige von ihnen wieder gleich zwischenrufen. Aber sprechen wir doch über die Fakten. Bayern ist spitze bei der Energieerzeugung aus Sonne, Wasser und Biomasse. Kein Land hat so viel grundlastfähige – ich wiederhole: grundlastfähige – erneuerbare Energien wie Bayern.
({4})
Bayern produziert mehr Energie durch Wasserkraft, als Rheinland-Pfalz an erneuerbaren Energien in Summe produziert. Wir haben in Bayern mehr Bioenergie, als Hessen an erneuerbaren Energien insgesamt produziert.
({5})
Und bei der Windkraft liegt Bayern allen Unkenrufen zum Trotz auf Platz acht, was die installierte Leistung angeht. Klar, wir können immer besser werden.
({6})
Aber keiner von Ihnen hat überhaupt registriert, dass wir in bestimmten Bereichen, nämlich in den Vorranggebieten, wo Windkraftwerke gebaut werden,
({7})
Ausnahmen von der 10‑H-Regelung gemacht haben.
({8})
Wir brauchen alle Optionen, ja: Wind und Biomasse. Aber wir brauchen eben auch die weitere befristete Nutzung der Kernenergie. Die Aufregung über das Ventil bei Isar 2 ist ein reines Ablenkungsmanöver. Das ist nicht sicherheitsrelevant. Das ist ein routinemäßiger Vorgang.
Wenn Sie, liebe Ampel, jetzt endlich die notwendige Entscheidung treffen würden, dann könnten wir die drei dringend notwendigen Kernkraftwerke neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien weiterlaufen lassen.
Vielen Dank.
({9})
Vielen Dank, Frau Kollegin Weisgerber. – Als Nächster erhält das Wort der Kollege Helmut Kleebank, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Dr. Weisgerber, wenn Sie eines mit Ihrem Vergleich gerade geschafft haben, dann das: Sie haben unsere bayerischen Kolleginnen und Kollegen ordentlich auf die Palme gebracht; denn Ihre Zahlen waren nicht bezogen auf Quadratmeter, sondern auf die gesamte Landesfläche. Da macht es dann doch einen ordentlichen Unterschied, wen man mit wem vergleicht;
({0})
abgesehen davon, dass wahrscheinlich auch in Bayern nicht alle Vergleiche gut ankommen, wie ich gehört habe.
({1})
Ich will auf zwei Aspekte eingehen. Der vorliegende Gesetzentwurf, das vorliegende Papier ist nämlich an sehr vielen Stellen vollkommen unzureichend.
({2})
Sie gehen auf zahlreiche wesentliche Aspekte in keiner Weise ein. Da ist für mich erstens die Frage: Helfen diese Maßnahmen überhaupt, durch den Winter zu kommen? Der zweite Aspekt ist: Welche Konsequenzen, welche notwendigen Folgerungen gibt es eigentlich aus der von Ihnen vorgeschlagenen zweijährigen Verlängerung?
Ich will gleich einen Punkt ein wenig vertiefen, der schon angeklungen ist – es lohnt sich, noch einen Moment darüber nachzudenken –, nämlich die Frage der Brennstäbe, des Brennstoffes. In Ihrem gesamten Papier kommt dieser Begriff nicht ein einziges Mal vor; Sie umschiffen ihn. Wahrscheinlich wissen Sie, dass das sozusagen die Achillesferse Ihres Vorschlages ist. Ich weiß, jetzt wird kommen: „Man hätte hier vor sechs Monaten …“
({3})
Über die Lieferzeit ist schon gesprochen worden: 12 bis 15 Monate, manche sagen: bis 18 Monate.
({4})
Es kommt aber Folgendes hinzu – darüber sollten Sie auch noch einmal nachdenken –: In allen AKWs werden die Brennstäbe im Wechsel getauscht. Das heißt, Brennstabwechsel stehen nicht nur bei Isar 2 an, sondern auch bei den anderen Kraftwerken. Das heißt, Ihr Vorschlag beinhaltet im Kern die Nachbestellung von Brennstäben,
({5})
die dann wieder eine Verwendungsdauer von vier bis acht Jahren haben, die man im Anschluss natürlich nicht nach zwei Jahren einfach entfernt. Sie machen sozusagen die Hintertür für die unbegrenzte Verlängerung der Atomkraft auf. Das lehnen wir ab.
({6})
– Den habe ich gelesen. – Auf die Frage der Kosten für die Steuerzahler gehen Sie nicht ein. Da kann man sagen: Das ist angesichts der Lage weniger wesentlich; das ist richtig.
Aber Sie gehen auf das Thema Sicherheitsüberprüfung ein: Sie verlängern die Frist. Das ist okay, das kann man so machen. Damit ergibt sich ein anderer Aspekt, den Sie nicht bedacht haben, nämlich das Thema Stillstandszeiten. Auch die deutschen Kraftwerke haben Stillstandszeiten von rund 30 Prozent. Das bedeutet auf drei AKWs heruntergerechnet: Eines steht immer still.
({7})
Egal was Sie tun: Eines wird immer stillstehen, entweder durch Reparaturen oder durch Sicherheitsüberprüfungen oder durch unvorhergesehene Notfälle. Von daher: Auch da funktioniert Ihr Plan nicht.
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Noch ein Wort zum Stresstest. Der Stresstest ist eine theoretische Untersuchung, eine Berechnung unter bestimmten Annahmen: Was passiert, wenn? Auch da lohnt es sich, noch einmal hinzuschauen. Der Strom fehlt im Wesentlichen im Süden. Wir sind darauf schon eingegangen: Ausbau der Netze und Erneuerbarenausbau; die Zahlen von Frau Dr. Weisgerber ändern daran überhaupt nichts.
Vielleicht ist es noch interessant, zu wissen: Im ersten Halbjahr dieses Jahres gingen bundesweit 238 Windräder in Betrieb. Raten Sie mal, wie viele davon in Bayern: Genau drei! Herzlichen Glückwunsch, Herr Söder!
({9})
Der Stresstest besagt, dass es theoretisch für wenige Stunden ein Problem gibt. Ich finde es total spannend, dass in Frankreich bis zu 32 AKWs von insgesamt weit über 50 vom Netz genommen werden mussten, ohne dass wir Netzschwierigkeiten bekommen haben. Das europäische Stromnetz funktioniert offensichtlich gut.
({10})
– Genau, wir haben Gas verstromt.
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– Nein, da kommen wir zu dem Punkt. – Denn die allermeisten Gaskraftwerke, die Strom erzeugen, produzieren gleichzeitig auch Wärme. Und diese können wir im Winter gar nicht abschalten. Die werden wir im Winter auch gar nicht abschalten, weil wir damit die Fernwärme sicherstellen. Das heißt, Ihr Argument, damit könne tatsächlich der Strompreis sinken, zieht nicht. Durch die Kopplung funktioniert das nicht. Deswegen ist es richtig, dass wir versuchen, das zu entkoppeln.
({12})
Vielleicht nur ganz kurz – auch darauf ist eingegangen worden –: Für den kommenden Winter sind die notwendigen und richtigen Maßnahmen aus meiner Sicht absolut in der Pipeline. Wir haben die Gasspeicher gefüllt, obwohl wir Gasstrom auch exportieren, zum Beispiel nach Frankreich. Trotzdem ist es gelungen, die Speicher zu über 90 Prozent zu füllen.
Das LNG-Thema ist schon genannt worden. Wir haben genau das, was Sie schon angesprochen haben, auf dem Weg, nämlich den Booster für die erneuerbaren Energien, für die Biogasanlagen, für die Windkraft – auch das ist schon benannt worden –, für die Photovoltaik. Das alles flankieren wir auch noch durch drei Entlastungspakete für die Bürgerinnen und Bürger.
({13})
Für den nachfolgenden Winter – Sie adressieren ihn ja auch – wird die Situation aus meiner Sicht eine völlig andere sein. Dank der LNG-Lieferungen werden wir das Thema Strom so nicht mehr haben;
({14})
da bin ich mir ganz sicher. Wir haben eine höhere Verfügbarkeit von Kohlekraftwerken. Auch wenn der endgültige Netzausbau sicherlich nicht geschafft sein wird, so werden doch einige Schnittstellen im sicherlich noch unvollständigen europäischen Stromnetz geschlossen werden können. Das heißt, den übernächsten Winter zu adressieren, geht viel zu weit.
Deswegen ist aus unserer Sicht, aus meiner Sicht das, was die Bundesregierung vorhat, die Bereithaltung, völlig richtig. Da werden wir mittel- bis langfristig erkennen können, also einige Wochen vorher,
({15})
wie die Wetterlage sich entwickelt, wie die Pegelstände der Flüsse sich entwickeln, wie die Füllstände der Kohlelager sich entwickeln, wie es in Frankreich mit Atomkraftwerken weitergeht. So werden wir das machen. Deswegen ist Ihr Gesetzentwurf leider keine Lösung.
Danke schön.
({16})
Vielen Dank, Herr Kollege Kleebank. – Nächster Redner ist Klaus Wiener, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland steckt in der schwersten Energiekrise seiner Wirtschaftsgeschichte. Und die Folgen sind massiv: Die Menschen erleben, dass die Rechnungen dramatisch ansteigen, und dadurch – das ist sicher – wird der Konsum eingeschränkt werden. Das allein spricht für eine tiefe Rezession in Deutschland. Aber auch bei vielen Unternehmen führen die gestiegenen Kosten dazu, dass dringend erforderliche Investitionen schlicht nicht mehr finanzierbar sind.
Ich spreche beruflich schon seit vielen Jahren mit Unternehmen. Aber noch nie, noch nie waren die wirtschaftlichen Sorgen so groß, ja die Existenzängste so groß – und die Verärgerung, weil die Ampel sich hartnäckig weigert, wirklich alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Krise zu lindern. Um es einmal deutlich zu sagen: In dieser dramatisch wirtschaftlichen Situation 4,2 Gigawatt Strom aus dem Markt zu nehmen, das muss man sich erst einmal trauen.
({0})
Was wäre sinnvoll? Natürlich, das mal vorneweg: Wir müssen die erneuerbaren Energien ausbauen, und zwar massiv. Aber das wird Zeit brauchen; das müssen Sie doch mal erkennen. Das wird Geld kosten, viel Geld, weil Material fehlt – auch in Windrädern stecken übrigens Seltene Erden – und weil Fachkräfte fehlen.
Und im Übrigen: Deutschland hat in den Jahren 2005 bis 2020 den Anteil der erneuerbaren Energien bereits von 5 auf 20 Prozent ausgebaut. Das ist überdurchschnittlich, nicht nur im EU-Vergleich, sondern auch im OECD-Vergleich und sogar im weltweiten Vergleich. Also, von wegen „16 Jahre ist nichts passiert“! Dieses Narrativ können Sie sich mal langsam schenken.
({1})
– Ja, ja, zu wenig.
Bis wir allerdings die Erneuerbaren hinreichend ausgebaut haben im Sinne einer echten Grundlastfähigkeit, müssen wirklich alle Optionen auf den Tisch, und dazu gehören eben auch die Kernkraftwerke.
({2})
Sie sind sicher, und sie können ohne Weiteres ein paar Jahre weiterlaufen. Und ja, das würde einen Unterschied machen, zum Beispiel beim CO2-Ausstoß – ich glaube, die Klimaziele gelten doch noch, oder? – oder auch bei der Preisbildung. Wer die Märkte zumindest ein bisschen kennt, der weiß, dass es manchmal in einer Mangellage nicht viel braucht, um wirklich preisdämpfend zu wirken.
Daher unsere dringende Bitte: Seien Sie in dieser schweren Krise einfach einmal pragmatisch, und nicht „unflexibel, riskant und teuer“, wie Frau Verlinden gerade über Atomkraft gesagt hat! Seien Sie zudem ehrlich zu den Menschen, und legen Sie keine Prüfvermerke vor, die innerhalb weniger Tage von den Experten zerrissen werden!
({3})
Machen Sie keine Stresstests, die nur den kleinen Ausschnitt eines Streckbetriebs beleuchten! Und verbreiten Sie keine Panik, indem Sie eine undichte Stelle bei einem Ventil als sicherheitsrelevantes Risiko verkaufen! Das ist lächerlich. Das ist lächerlich! Das ist nicht mal meldepflichtig.
({4})
Und stellen Sie sich am Ende nicht gegen den Rat der Experten! Sie wissen: Die Netzbetreiber und der Sachverständigenrat schlagen einen Weiterbetrieb vor. Handeln Sie im Interesse der Menschen; stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu! Denn nur mit einem verbesserten Angebot an Energie werden wir in der Lage sein, diese Krise auch ohne dauerhafte wirtschaftliche Schäden zu meistern.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Wiener. – Als letzter Redner der Debatte erhält das Wort der Kollege Harald Ebner, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Wiener, in Bayern ist alles anders. Da stecken die Seltenen Erden nicht in den Windkraftanlagen, sondern da stecken die Windkraftanlagen selten in der Erde. Das ist der große Unterschied.
({0})
Niemand hat die Absicht, aus dem Atomausstieg auszusteigen, die Union aber sehr wohl. Sie legen uns heute einen Entwurf vor, mit dem Sie ungeniert den Atomausstieg rückabwickeln wollen.
({1})
– Doch, das wollen Sie tun, weil Sie erneute Prüfungen, die erneute Fortsetzung der Verlängerung in Ihrem Gesetzentwurf schon vorsehen.
({2})
Das werden wir nicht mitmachen; das sage ich Ihnen heute schon.
({3})
Sie sind ja noch nicht mal bereit, objektive Fakten aus dem Stresstest der Netzbetreiber anzuerkennen.
({4})
Sie übersehen vor allem eines: dass der Stresstest eben überhaupt kein Sicherheitstest war.
({5})
Da wundere ich mich schon, mit welcher Nonchalance hier die Union sämtliche Fragen der nuklearen Sicherheit über Bord wirft.
({6})
Sie bauen darauf, dass in diesen Tagen die Menschen das gar nicht merken. Aber Sicherheit kann und darf nicht nach Tagesform neu definiert werden;
({7})
sondern nukleare Sicherheitsfragen sind nicht verhandelbar.
({8})
Mit Ihrem Vorschlag, die längst überfällige Sicherheitsüberprüfung weiter aufzuschieben, schlagen Sie dem Fass endgültig den Boden aus.
({9})
Ich habe es sehr genau gelesen, und es lohnt sich; das kann ich jedem empfehlen.
Ihre offene Laufzeitverlängerung, die stellt nicht nur die Sicherheitsfragen hintan, sondern die erfordert auch die Herstellung und den Einsatz neuer Brennelemente.
({10})
Wenn Sie jetzt sagen, dass es auf die eine oder andere Tonne hochradioaktiven Atommülls – es heißt übrigens nicht „Kernmüll“, sondern „Atommüll“ – gar nicht mehr ankommt, dann halte ich das für sehr zynisch.
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Wer jetzt noch mehr radioaktiven Müll in die Welt setzen will, der gefährdet die ohnehin schwierige Endlagersuche in diesem Land mutwillig. Wir werden das nicht hinnehmen.
Danke schön.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieses Inflationsausgleichsgesetz und die anderen steuerrechtlichen Regelungen, die die Bundesregierung vorschlägt, sind Teil der Krisenbewältigungsstrategie der Koalition. Unser Land ächzt unter galoppierenden Preisen. Das ist nicht eine statistische Größe, sondern es ist für viele Menschen eine tägliche Realität: die Sorge um die Nebenkostenabrechnung, die Sorge, ob die Wohnung warm ist, die Sorge, ob am Ende des Monats Geld dafür da ist, den Kühlschrank zu füllen.
Die Inflation ist eine Bedrohung für Wohlstand, soziale Sicherheit und die Stabilität unseres Landes. Deshalb ist die erste Priorität der Bundesregierung, diese Inflation zu bekämpfen. Niemand wird dabei alleingelassen.
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Um soziale Härten abzufedern, haben wir zahlreiche Maßnahmen beschlossen; beispielsweise steht eine Wohngeldreform an. Es wird auch darum gehen, wirtschaftliche Strukturbrüche zu verhindern. Eigentlich gesunde Betriebe, die sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze über Jahre und Jahrzehnte angeboten haben, stehen angesichts der explodierenden Gaspreise vor größten und existenziellen Herausforderungen. Die Bundesregierung ist sich auch dieser Tatsache bewusst und arbeitet deshalb unter Hochdruck sowohl an Maßnahmen zur Bekämpfung der hohen Strompreise als auch an Maßnahmen, um die gegenwärtigen Gaspreise für unsere Wirtschaft nicht zu einer dauerhaften Gefahr werden zu lassen.
Daneben gibt es aber auch Menschen, die ihren Lebensunterhalt ohne soziale Unterstützung bestreiten, Menschen in der Mitte der Gesellschaft. Auch diese Menschen dürfen während der Inflation nicht alleingelassen werden. Deshalb hat sich die Koalition darauf verständigt, dieses Inflationsausgleichsgesetz vorzulegen.
Unsere fiskalpolitische Antwort auf die Inflation ist insofern zweigeteilt. Zum einen geht es darum, das Angebot auszuweiten, weil das Preise dämpft. Darüber beraten wir im Bereich der Energieerzeugung – siehe die Debatte zuvor –; dafür weiten wir die Produktionskapazitäten erneuerbarer, wie ich sie nenne: Freiheitsenergien aus; dafür werden wir auch die LNG-Terminals in Deutschland an das Netz bringen – also Angebotsausweitung.
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– Jawohl, die Ratifizierung von CETA ist ebenfalls geplant, und das könnte auch nur der Beginn einer erweiterten Handelspolitik sein. – Aber daneben, Kollege Spahn, geht es auch darum, dafür zu sorgen, dass wir nicht realwirtschaftlich eine weitere Krisenverschärfung erleben.
Bei aller Notwendigkeit, sich auf das Angebot zu konzentrieren, darf auf der anderen Seite die Nachfrage nicht komplett einbrechen, weil sonst andere Bereiche im Dienstleistungs- und im Konsumbereich angesteckt würden. Aus diesem Grund kommt diesem Inflationsausgleichsgesetz zur Inflationsbekämpfung auch eine besondere Bedeutung zu, weil es nämlich die Kaufkraft in der Mitte der Gesellschaft erhält und dafür sorgt, dass andere, eigentlich stabile Branchen in den Bereichen Dienstleistung und Handel nicht zusätzlich infiziert werden.
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Da es allerdings lediglich ein Kaufkraftausgleich, ein Inflationsausgleich ist, fügt sich dieses Inflationsausgleichsgesetz in die von uns vertretene fiskalische Neutralität ein. Wir wollen Nachfrage und Wachstum in dieser Phase der wirtschaftlichen Entwicklung nicht stimulieren. Wir wollen allerdings auch nicht durch zusätzliche kontraktive Maßnahmen die Nachfrage in bestimmten Bereichen bremsen. Wir folgen also der fiskalischen Neutralität. Insofern gehen deutsche Fiskalpolitik und Notenbankpolitik der EZB auch in diesem Fall Hand in Hand.
Wir verändern den Grundfreibetrag, den Tarif, wir erhöhen das Kindergeld und den Kinderfreibetrag. 48 Millionen Bürgerinnen und Bürger profitieren von diesem Inflationsausgleichsgesetz. Es basiert auf vorläufigen Zahlen – um ein Argument der Opposition gleich vorwegzunehmen –, das war immer so. Es ist ein Trägergesetz, dessen konkrete Zahlen zu aktualisieren sind, wenn die Herbstprognose vorliegt. Das war immer so und ist technisch nicht anders zu lösen.
Auf der Basis der bisherigen Werte erhält eine Familie – vier Köpfe, also mit zwei Kindern – mit 56 000 Euro zu versteuerndem Einkommen im Jahr einen Inflationsausgleich von 680 Euro im kommenden Jahr. Anders gewendet: Würden wir nichts tun, würde diese Familie angesichts der enormen Preissteigerungen 680 Euro an Kaufkraft verlieren. Diese Familien zahlen für ihr Gas ohne eine Unterstützung. Angesichts der enormen Preissteigerungen ist es nur gerecht, dass die arbeitende Mitte der Gesellschaft ebenfalls bedacht wird.
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Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich appelliere an die Länder, diesem Inflationsausgleichsgesetz zuzustimmen. Es geht darum, die Menschen vor zusätzlichen Belastungen in einer Phase der Inflation zu schützen. Es kann nicht sein, dass der Staat von der Inflation profitiert, während Familien nicht mehr wissen, wie sie mit ihrem Einkommen über die Runden kommen sollen. Während Selbstständige belastet sind, profitiert der Staat: Das kann nicht sein. Und was für den Bund gilt, dass er nicht Profiteur von Inflation sein will, das muss in gleicher Weise für die Länder gelten. Es gibt nicht nur Finanzierungsnotwendigkeiten beim Staat, es gibt auch private Finanzierungsnotwendigkeiten, und zwischen diesen beiden schaffen wir mit diesem Gesetzgebungsvorhaben eine faire Balance.
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Vielen Dank, Herr Minister. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Mathias Middelberg, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wir finden dieses Inflationsausgleichsgesetz richtig und beglückwünschen Sie dazu, Herr Minister, dass Sie das in Ihrer Koalition durchgesetzt haben. Das ist ein guter Baustein in diesem Entlastungspaket. Klare Aussage!
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Aber – und das haben Sie auch gesagt – es ist im Grunde genommen eine Selbstverständlichkeit. Denn durch die kalte Progression, die gerade durch den doppelten Effekt entsteht, dass die Leute durch Lohnerhöhungen im Einkommensteuertarif höher wandern, also höher besteuert werden, aber gleichzeitig durch die massive Inflation an Kaufkraft verlieren, wird das Einkommen der Menschen entwertet. Das wollen wir ausgleichen, indem wir jetzt die Steuerschraube ein Stück zurückdrehen und den Steuertarif an die Einkommensentwicklung anpassen. Das ist eigentlich nichts anderes, als den Menschen das zurückzugeben, was sie sonst durch eine schleichende Steuererhöhung an Leid – fast hätte ich gesagt: an Verlusten – erfahren haben. Es ist nicht mehr als das.
Sie haben lange über das Thema Übergewinne diskutiert. Im Grunde genommen ist es die Rückgabe von Übergewinnen, die dieser Staat aufgrund der Inflationsentwicklung macht. Mehr ist es nicht.
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Wir haben dieses Verfahren der Vermeidung von schleichenden Steuererhöhungen schon 2012 eingerichtet, im Übrigen damals in der gemeinsamen Regierung mit der FDP. Seitdem gibt es dieses Verfahren. Wir bekommen regelmäßig alle zwei Jahre die Progressionsberichte vorgelegt und passen daraufhin den Steuertarif an. Es ist richtig, dass Sie das jetzt auch so machen.
Aber Sie erwecken den Eindruck, Sie würden wahnsinnige Anstrengungen unternehmen, um dieses Vorhaben und auch ihr Entlastungspaket insgesamt auf die Beine zu stellen. Sie schreiben das auch in Ihrem Entlastungspapier: „Die begrenzten finanziellen Spielräume … erfordern erhebliche Anstrengungen aller drei Koalitionspartner“. Wenn man sich allerdings Ihre Haushaltsplanung und Ihre sonstige Planung ansieht, kann man von diesen Anstrengungen nicht wirklich etwas erkennen. Wir erkennen kaum Punkte, an denen Sie Einsparungen, Umschichtungen oder Neupriorisierungen vornehmen, sondern im Grunde genommen machen Sie alle Ihre Projekte wie bisher.
Was Sie hier veranstalten, ist lediglich, den Leuten das Geld zurückzugeben, was Sie ihnen vorher durch höhere und deutlich gestiegene Steuern aus der Tasche gezogen haben. Bund, Länder und Kommunen haben in diesem Jahr nämlich alleine bei der Umsatzsteuer annähernd 50 Milliarden Mehreinnahmen gegenüber dem letzten Jahr. Ich sage es noch einmal: 50 Milliarden Mehreinnahmen gegenüber dem letzten Jahr!
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Das ist für jeden nachvollziehbar: Weil die Preise exorbitant steigen und darauf Mehrwertsteuer gezahlt wird, verdient der Staat massiv an dieser Inflationsentwicklung; 50 Milliarden, davon fast die Hälfte der Bund.
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Für dieses Jahr geben Sie den Progressionseffekt nicht zurück, sondern erst für das nächste Jahr. Ihr Gesetz, das wir hier beschließen, das wirkt erst fürs nächste Jahr.
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Das heißt, die 10 Milliarden, die der Bund in diesem Jahr zusätzlich einnimmt, stecken Sie einfach mal eben so ein und tun jetzt bei Ihrem Entlastungspaket ganz großzügig so, als würden Sie den Leuten etwas zurückgeben. Sie haben es den Leuten vorher aus der Tasche gezogen, und nichts anderes. Wenn Sie die 25 Milliarden und die 10 Milliarden addieren, die Sie an Mehreinnahmen – an Mehreinnahmen nur der Bund! – gegenüber letztem Jahr haben, dann sind das locker mehr als die 32 Milliarden Beitrag des Bundes zum Entlastungspaket insgesamt.
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Ich will Ihnen sagen – Herr Minister Lindner hat auch über das Gesetz hinaus gesprochen –: Ich glaube, dass die Menschen in diesem Land – das hat auch die vorhergehende Debatte gezeigt – allmählich das Vertrauen verlieren, dass diese ihre Regierung diese problematische Situation – die größte Energiekrise Europas seit dem Zweiten Weltkrieg, eine Rieseninflation; die höchste seit 40 Jahren –, diese dramatische Lage in diesem Land wirklich in den Griff kriegt.
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Ich glaube, dass die Leute allmählich das Vertrauen verlieren, und zwar einfach vor dem Hintergrund: Sie haben den ganzen Sommer mit internen Streitereien verplempert, die Sie bis zum heutigen Tage zum Thema „Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken“ fortführen. Die ganze Zeit erleben wir, wie zerstritten Sie untereinander sind. Der Kollege Spahn hat eben völlig zu Recht gesagt: Herr Habeck hat uns gestern aufgefordert, wir sollen die Regierung in dieser schwierigen Phase unterstützen. – Ja, wir würden das gerne machen. Nur, wir wissen nicht, wen wir in der Regierung unterstützen sollen. Sollen wir Herrn Habeck unterstützen? Sollen wir Herrn Lindner unterstützen?
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Wen sollen wir denn eigentlich unterstützen? Vielleicht werden Sie sich selbst mal einig.
Sie machen eine völlig verfehlte Politik, einen Fehler nach dem anderen. Erst machen Sie Entlastungspakete, mit denen Sie nicht zielgenau entlasten, sondern das Geld irgendwie mit der Gießkanne verteilen,
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dann vergessen Sie ganze Bevölkerungsgruppen. Rentner und Studierende haben Sie am Anfang gar nicht auf dem Schirm gehabt. Das holen Sie jetzt mühselig nach. Die Leute, die am unteren Ende der Skala verdienen, die schneiden bei Ihnen am schlechtesten ab.
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Die Kohlekraftwerke, das ist Ihnen eben vorgehalten worden – und zwar zu Recht –, haben Sie viel zu spät hochgefahren. Das hat dazu geführt und führt immer noch dazu, dass wir sinnlos Gas verbrennen, das wir zum Heizen viel dringender bräuchten als für die Stromproduktion.
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Ihre Gasumlage ist der absolute Mist: von der Konstruktion her, und es ist auch rechtlich völlig unsicher. Sie haben in Ihrer Regierung noch nicht einmal geklärt, ob Sie sie rechtlich überhaupt durchsetzen können. Das ist doch eine Katastrophe. Jetzt erklärt hier eben Herr Lindner: Ja, beim Strompreis und Gaspreis werden wir noch was machen. – Das ist doch aber das, was die Menschen am meisten beschäftigt. Ihr ganzes Entlastungspaket ist doch nichts wert, wenn Sie an diesen beiden entscheidenden Punkten nicht weiterkommen. Sie haben immer noch nichts Konkretes dazu geliefert. Das ist doch eine Katastrophe.
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Keiner kann planen: Kein Unternehmer, kein Mittelständler, kein Betrieb weiß, was Sache ist. Die müssen davon ausgehen, dass sie am 31. Dezember ihren Laden dichtmachen; aber das macht nichts, die produzieren nur nicht weiter und verkaufen einfach nicht weiter.
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Das bleibt ja folgenlos, wie uns der Wirtschaftsminister erklärt hat.
Herr Habeck hat gesagt, wir hätten nur ein Gas- und kein Stromproblem. Das müssen Sie den Leuten angesichts der Strompreise, die durch die Decke gehen, wirklich erklären. Dass Sie jetzt in der größten Energiekrise dieses Landes, in der größten Energiekrise Europas drei funktionierende Kraftwerke, die für die Versorgung von 10 Millionen Haushalten einstehen, vom Netz nehmen wollen, das ist schlicht unverantwortlich.
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Der eine Baustein, über den wir heute sprechen, das Inflationsausgleichsgesetz, ist okay, aber ansonsten müssen Sie noch ganz massiv nacharbeiten.
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Wir sind gerne bereit, Ihnen dabei zu helfen, aber Sie müssen sich dann ehrlich machen.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.
Sie müssen das umsetzen, wovon Ihr Kanzler selber spricht, nämlich Zeitenwende. Das heißt auch, dass Sie etwas wenden müssen.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Middelberg. Der Begriff der Zeitenwende sollte übrigens auch auf die Redner zutreffen: Sie sollten auf die Uhr gucken und die Redezeit einhalten. – Nächster Redner ist der Kollege Michael Schrodi, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesrepublik steht vor einer der größten Herausforderungen seit ihrem Bestehen. So wie in anderen krisenhaften Zeiten wie beispielsweise der Pandemie, als die Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Bundesfinanzminister Olaf Scholz unter Verwendung des Begriffs der Bazooka gesagt haben: „Wir lassen die Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmen nicht alleine, wir werden sie gut durch die Pandemie bringen“, so haben angesichts der jetzigen Herausforderungen der Bundeskanzler Olaf Scholz und auch der Bundesfinanzminister für die Bundesregierung klargemacht: Niemand bleibt alleine; wir werden gemeinsam alles dafür tun, damit die Menschen in diesem Land, damit die Unternehmen in diesem Land solidarisch und gut durch die Zeit dieser Herausforderung kommen.
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Um aber über die richtigen Maßnahmen sprechen zu können, muss man sich auch anschauen, was die Ursachen für die Teuerungsraten sind. Da gibt es in der Debatte einige grundlegende Fehldiagnosen, wie gestern beispielsweise Professor Truger und Professor Südekum in einer Anhörung deutlich gemacht haben.
Zum Ersten. Es ist – das geht an die ganz rechte Ecke, an die fünfte Kolonne Putins – der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands, es ist Putin, der Energie als Waffe nutzt. Er ist derjenige, der den Preis für Gas hochtreibt. Das sagen die Experten. Auch die Bundesbank macht deutlich, dass Gas, dass Energie die Preise hochtreibt. Putin will so unsere Gesellschaft destabilisieren. Das wird ihm und das wird Ihnen von der AfD nicht gelingen.
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Es sind – zum Zweiten – Angebotsschocks, es sind Preisschocks wegen Energieknappheit. Es ist nicht die Geldpolitik, es ist nicht der expansive Staat, der die Teuerungsraten jetzt verursacht. Deswegen gibt es auch eine Warnung an dieser Stelle, dass weitere große Zinssprünge in einer sich anbahnenden Rezession eine tiefe Wirtschaftskrise mit sich bringen könnten. Mit Blick auf jetzt ausbleibende Investitionen hat der Bundesfinanzminister gesagt, dass es klarer Signale an die Wirtschaft bedarf, dass wir ihr in dieser Phase, aber auch in der Phase der Erholung helfen. Diese Signale kommen jetzt. Damit wir gut aus dieser Krise herauskommen, haben wir diese Signale ausgesendet.
Herr Merz, gestern wurden übrigens alle Vorschläge der CDU/CSU von Experten als überholt, als nicht zielführend beurteilt. 50 Milliarden Euro an Mehrausgaben ohne jede Gegenfinanzierung! Ich erinnere Sie, Herr Merz, an Ihre Forderung im März, ein Gasembargo durchzusetzen. Was das bedeutet hätte, das wissen Sie heute ganz genau. Wir wussten das schon damals. Es ist unsinnig, was Sie im Zusammenhang mit der Krisenbekämpfung fordern.
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Das bedaure ich, weil wir eine gemeinsame Anstrengung brauchen, um diese Herausforderungen anzugehen. Ich bedaure es sehr, dass nicht hilfreichere Unterstützung vonseiten der Opposition kommt.
Das hier vorliegende Inflationsausgleichsgesetz ist eine hilfreiche Maßnahme, um den Menschen in dieser herausfordernden Situation zu helfen, aber es ist – der Bundesfinanzminister hat es gesagt – bei Weitem nicht die einzige Maßnahme. Insgesamt sind es circa 100 Milliarden Euro, die wir jetzt im Rahmen der Entlastungspakete mobilisieren. Dabei geht es um zwei große Ziele.
Zum einen wollen und werden wir die hohen Energiepreise senken. Deshalb begrüßen wir sowohl die Beschlüsse des Koalitionsausschusses als auch die Forderungen der EU‑Kommission hinsichtlich einer Strompreisbremse und einer Bremse für Kosten für Gas und andere fossile Energieträger. Krisenbedingte Übergewinne abzuschöpfen und damit den Grundbedarf an Strom und an Gas günstiger zu machen, das hilft Verbraucherinnen und Verbrauchern, das hilft Unternehmen, das senkt die Inflation und ist auch eine Frage der Gerechtigkeit. Deswegen gehen wir als Bundesregierung das an.
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Zweitens. Wir wissen aus aktuellen Zahlen, dass es gerade die Menschen, die Familien mit kleinen und mittleren Einkommen sind, die am stärksten von den Teuerungsraten betroffen sind. Diese erreichen wir am besten mit Direktzahlungen wie dem Kinderbonus, der Energiepreispauschale von 300 Euro, die auch für Rentnerinnen und Rentner ausgezahlt wird, dem Heizkostenzuschuss und den 200 Euro für Studierende.
Wir erreichen Entlastungen auch durch Steuerentlastungen. Wir schaffen jetzt mit diesem Inflationsausgleichsgesetz Entlastungen. Ganz konkret: Wir erhöhen das Kindergeld für 2023 und ziehen die Erhöhung von 2024 vor; das hilft vor allem Familien mit kleinen und mittleren Einkommen. Wir erhöhen den Kinderfreibetrag rückwirkend für 2022 und für die nächsten beiden Jahre. Sie haben gesagt, wir hätten die Wirkungen der Inflation und der kalten Progression bisher nicht ausgeglichen. Da haben Sie nicht aufgepasst. Wir haben auch den Grundfreibetrag rückwirkend für 2022 angeglichen –
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Herr Middelberg, das tun wir zur Bekämpfung der kalten Progression –
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und erhöhen ihn 2023 und 2024 in zwei großen Schritten auf 10 932 Euro. Wir gleichen, wie schon in den letzten Jahren, die sogenannte kalte Progression aus, damit Lohnerhöhungen nicht von einem höheren Steuertarif und Inflation aufgefressen werden.
Im Oktober kommen der Existenzminimumbericht und der Steuerprogressionsbericht, da werden wir die Werte noch einmal anpassen. In den letzten Jahren haben wir auf Basis der Zahlen, die uns damals vorlagen, übrigens überkompensiert. Gerade in diesem Jahr, in einer Situation, in der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen hart getroffen sind, werden wir aber genau darauf achten, bei allen Maßnahmen, auch bei dieser, die soziale Balance zu wahren, damit die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen noch mehr entlastet werden, als das bisher vorgesehen ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich auch ganz ausdrücklich bei den Bundesländern. Der Bundesfinanzminister hat es angesprochen: Wir brauchen dazu jetzt auch die Kolleginnen und Kollegen in den Ländern. Ich nehme wahr, dass es trotz aller kritischen Anmerkungen eine grundsätzliche Zustimmung gibt. Auch die Länder wissen – das haben sie auch bekundet –, dass die Herausforderung eine große ist. Zu deren Bewältigung wollen auch sie beitragen. Da wird es noch im Detail Verhandlungen geben. Ich bin guter Dinge, dass wir diese zu einem guten Abschluss bringen werden.
Was aber nicht geht, ist, bei diesem Thema parteitaktische Spielchen zu spielen, wie es jetzt beispielsweise der bayerische Ministerpräsident Markus Söder tut. Auch die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen in Bayern brauchen diese Hilfe.
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Man kann nicht immer sagen: „Mir san mir“, und sich dann, wenn es darum geht, wirklich etwas zu tun, in die Büsche schlagen. Das ist nicht angemessen in der Situation, in der wir gerade sind.
Ich bin guter Dinge und freue mich auf die weiteren Beratungen dieses Gesetzentwurfes. Das Gesetz wird ein wichtiger weiterer Baustein, um in dieser schwierigen Situation Entlastungen auf den Weg zu bringen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Schrodi. – Als nächster Redner erhält der Kollege Kay Gottschalk, AfD-Fraktion, das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Schrodi, ich glaube, Sie waren gestern in einer anderen Expertenanhörung.
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Sie haben die vielen kritischen Anmerkungen, glaube ich, nicht gehört. Aber darauf will ich gar nicht eingehen, das ist es nicht wert.
Meine Damen und Herren von der Schuldenkoalition, das von Ihnen vorgelegte Inflationsausgleichsgesetz soll laut Bundesfinanzminister – entschuldigen Sie, dass ich da lache, es ist traurig genug – 48 Millionen Bürger entlasten. Das Gesetz soll weiterhin – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten – „inflationsbedingte Mehrbelastungen ausgleichen“ – Sie wissen schon, was „ausgleichen“ heißt, hoffe ich –, „indem die Steuerlast an die Inflation angepasst wird“. Schon hier beginnt das Gesetz mit einer glatten Lüge, meine Damen und Herren.
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Im Übrigen, Herr Schrodi, gute Politik und ein guter Portfolio-Mix in der Energie hätten dieses Inflationsausgleichsgesetz komplett unnötig gemacht. Es geht vor allem – das sei hier adressiert – um die kalte Progression.
Schon jetzt, Herr Lindner, weiß die Bundesregierung, dass der Ausgleich aus Ihrem Gesetz aller Voraussicht nach nicht im Entferntesten die Inflation vollständig ausgleichen wird. Welch ein Wunder! Die Bundesbank muss innerhalb von zwölf Monaten zum dritten Mal ihre Inflationsprognose korrigieren. Wir sind mittlerweile bei einer zweistelligen Prognose. Wie ich im „Deutschland-Kurier“ bereits im Januar prognostizierte, werden wir eine Inflation zwischen 5 und 7 Prozent erhalten, meine Damen und Herren.
Aus unserer Sicht also ist dieses vorgelegte Gesetz wieder einmal nur ein bewusstes Aufschieben, Herr Kollege Schrodi; denn schon jetzt ist klar, dass die Änderungen bei den Tarifeckwerten – hören Sie gut zu, das ist Mathematik; ich hoffe, dem können Sie folgen –, die ja Grundlage der Vermeidung der kalten Progression sind, erst ab 2023 gelten sollen. Herr Lindner, ab 2023! In welcher Welt leben Sie denn? Wir haben seit Januar 2022 eine galoppierende Inflation. Die Überschrift dieses Gesetzes müsste eigentlich lauten: „Der Fleißige ist der Dumme“, meine Damen und Herren.
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Dass Sie nicht auf den Progressionsbericht hätten warten müssen, das haben Sie, Herr Schrodi, eben gut dokumentiert. Sie haben nämlich betont – und das ist richtig –, dass der Grundfreibetrag ja erhöht worden ist – yippie-ya-yay! Schon damals haben Sie wahrscheinlich nicht zugehört: Alle Experten, sogar Ihre eigenen vom Gewerkschaftsbund, haben gesagt: Die Erhöhung des Grundfreibetrages ist jetzt schon unzureichend und gleicht nicht im Entferntesten die Inflation aus. – Hören Sie also auf, sich hier als Vertreter der kleinen Leute zu gerieren! Das sind Sie schon lange nicht mehr, Herr Schrodi.
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Es ist in keinster Weise nachvollziehbar, dass Sie die Bürger bei dieser galoppierenden Inflation nicht zureichend und nachhaltig, um dieses schöne Wort hier mal zu strapazieren, entlasten.
Aber nähern wir uns des Pudels Kern, meine Damen und Herren von der Schuldenkoalition. Der größte Profiteur der kalten Progression ist eben – das sagen auch alle wissenschaftlichen Abhandlungen dazu – der Staat. Sie können, ohne dass Sie das dem Bürger durch Diskussionen über Steuererhöhungen hier im Hohen Hause klarmachen müssen, Mehreinnahmen generieren. Das haben der Kollege Wiener und andere Kollegen vor mir wunderbar dargelegt. Der Fehler liegt im System. Meine Damen und Herren, die AfD-Fraktion fordert mittlerweile seit vielen Jahren: Nehmen Sie sich doch endlich der Idee des Bundes der Steuerzahler an! Entlasten Sie automatisch, wie es andere Länder, etwa die Schweiz, tun. Den „Tarif auf Rädern“ fordern wir seit drei Jahren. Sie folgen nicht, und die FDP hat es immer noch im Wahlprogramm stehen, meine Damen und Herren.
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Im Übrigen: Die Tarifeckwerte sind doch nur eine Seite der Wahrheit. Sie müssten genauso die Höchstgrenzen, die Freibeträge, die Pauschalen, beispielsweise die Pendlerpauschale – seit 2004 nur unzureichend, ab dem 21. Kilometer einmal erhöht –, erhöhen. Auch da gibt es eine Preisentwicklung. Das haben Sie gestern nicht gehört, glaube ich, Herr Schrodi, als einige Sachverständige das zur Sprache brachten. Auch hier tun Sie nichts. Aber in Wirklichkeit – machen Sie sich doch endlich ehrlich! – wollen Sie dieses Perpetuum mobile der heimlichen Steuerabzocke beibehalten. Genau das ist Ihr Problem, meine Damen und Herren.
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Herr Lindner, sagen Sie den Menschen doch offen und ehrlich, dass Sie auch hier mittlerweile leider den Predigern Ihrer Koalition auf den Leim gegangen sind. In Wirklichkeit ist doch das, was Sie beibehalten, nämlich die kalte Progression, die neue Reichensteuer. Und den Mittelstand und die Mittelschicht haben Sie als neue Opfer dieser Politik ausgemacht.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Das ist schändlich. Eine FDP, die so was mitmacht, gehört in den nächsten Bundestag nicht mehr hinein, meine Damen und Herren.
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Herr Gottschalk, Sie haben jetzt noch einen Satz.
Wir werden uns konstruktiv an den Diskussionen beteiligen und freuen uns auf die Beratungen.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Andreas Audretsch, Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir stehen vor einem schwierigen Winter. Die Krise, in der wir uns befinden, droht sich in ihrer sozialen Schärfe, in ihrer Schärfe und ihren Auswirkungen für Unternehmen weiter zu verschlimmern. Das ist die Folie, vor der wir heute diesen Gesetzentwurf beraten.
Wir Grüne sind der Überzeugung, dass wir uns in dieser Krise konzentrieren müssen, dass wir uns auf Menschen mit wenig Geld, auf diejenigen mit kleinen und mittleren Einkommen konzentrieren müssen. Die Abschaffung der kalten Progression – das haben wir über den Sommer sehr häufig gesagt, und das gilt auch jetzt – entlastet vor allem die Reichsten. Das ist nicht unser Instrument. Das ist nicht das, was wir vorgeschlagen haben. Und es ist jetzt in der Krise das falsche Instrument.
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Warum tragen wir es trotzdem mit? Das ist ja erklärungsbedürftig, wenn ich die Rede so beginne. Warum tragen wir es dennoch mit? Weil es Teil eines größeren Paketes ist. So funktioniert Demokratie, meine Damen und Herren. Es ist Teil eines größeren Paketes, in dem wir auch die Dinge verankert haben, die wir jetzt in dieser Krise für relevant und für wichtig erachten.
Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen. Uns geht es um Familien, die wenig Geld haben. Deswegen wollen wir, dass das Kindergeld angehoben wird.
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Deswegen wollen wir – und das gehört dezidiert dazu –, dass auch der Kinderzuschlag angehoben wird. Auf die Umsetzung dieser Entlastungen werden wir im parlamentarischen Verfahren achten. Das wird für uns im Mittelpunkt stehen. Und in diesem Sinne ist es ein gutes Paket und ein Paket, das wir jetzt gemeinsam tragen können.
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Wir alle wissen: Die Krise ist nicht zu Ende. Sie ist bei Weitem nicht zu Ende. Die Institute prognostizieren eine Rezession. Unternehmen, Krankenhäuser, soziale Einrichtungen – sie alle wenden sich an uns mit der Bitte um Hilfe. Wir werden ihnen allen eine angemessene Antwort geben müssen. Das bedeutet zum einen, dass wir Energiekosten senken. Das bedeutet aber auch, dass wir bereit sein müssen, mehr Hilfe zu leisten.
Robert Habeck weitet das Energiekostendämpfungsprogramm auf kleine und mittlere Unternehmen aus, etwa Handwerksbetriebe. Es geht um Traditionsunternehmen, es geht um die Bäckerei um die Ecke, es geht um die kleinen Städte – all die wollen wir jetzt unterstützen. Dafür brauchen wir einen zweistelligen Milliardenbetrag. Der muss jetzt zur Verfügung gestellt werden, damit wir unsere Unternehmen schützen. Wir Grüne sagen sehr deutlich, auch heute hier in der Debatte: Wir stehen hinter unseren Unternehmen, wir stehen an der Seite unserer Unternehmen, und wir werden dafür arbeiten, dass die Hilfe nun schnell und konkret da ankommt, wo sie gebraucht wird.
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Und auch dann ist klar, dass die Antwort damit nicht gegeben ist.
Eine Kommission arbeitet gerade an einem Gaspreisdeckel für Verbraucher.
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Klar ist doch: Um mit den hohen Gaspreisen umzugehen, werden wir am Ende Geld brauchen; das wird viel Geld kosten. Davor dürfen wir die Augen nicht verschließen. Von den Krankenhäusern kriegen wir Notrufe, weil sie die Energiekosten, wie sie sich ihnen im Moment darstellen, nicht mehr tragen können. Selbstverständlich muss der Bund auch an der Stelle Unterstützung leisten.
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Wir können es uns nicht leisten, dass in dieser Krise die Krankenhäuser, die sozialen Pflegeeinrichtungen und alles, was dieses Land im Kern an sozialer Infrastruktur hat, beschädigt werden.
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Das können wir uns nicht leisten. Deswegen werden wir auch an dieser Stelle die entsprechende Hilfe leisten müssen.
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Bei alledem steht am Ende eine Frage im Raum; das ist die Frage der Finanzierung. Wir können angesichts einer drohenden Rezession nicht tatenlos zusehen, wie Schaden im Kern unserer Wirtschaft entsteht; das können wir nicht machen. Wir können nicht zusehen, wie Schaden im Kern unserer sozialen Infrastruktur entsteht. Jetzt ist der Moment, wo wir investieren müssen; jetzt ist der Moment, wo wir Geld in die Hand nehmen müssen. Und dass es gut werden kann, haben wir bei Rosneft gesehen. Wir müssen jetzt investieren. So bekämpfen wir die Rezession. Nur so können wir aus der Inflation herauskommen – indem wir wegkommen von den fossilen Energien –,
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und nur so schaffen wir jetzt auch die Transformation und bekämpfen die Klimakrise. Lassen Sie es uns gemeinsam machen: Geld in die Hand nehmen und einen Weg finden, der jetzt die Probleme angeht und gleichzeitig eine Perspektive für die Zukunft öffnet.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Audretsch. – Nächster Redner ist der Kollege Christian Görke, Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In normalen Zeiten ist die Anpassung der Steuertarife an die Inflation richtig und gehört zum Pflichtprogramm. Aber wir haben hier eine handfeste, ausgemachte Krise. Deshalb müssen wir mehr tun und dürfen uns nicht gebetsmühlenartig, wie der Bundesfinanzminister es ja jeden Tag tut, an die Schuldenbremse ketten. Mittlerweile ist es ja auch so, dass Sie der Letzte an Bord sind. Die Union mit Markus Söder verlässt das sinkende Schiff der Schuldenbremse ja schon.
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Dann das noch: Ihr Inflationsausgleichsgesetz, das dem DAX-Manager 479 Euro, der Kassiererin 150 Euro und der Friseurin in Teilzeit gar keine Entlastung beschert, passt doch nicht in unsere Zeit,
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ebenso wenig, sehr geehrter Herr Finanzminister, dass Sie sich hier auf die Schulter klopfen, aber einen Großteil der Rechnung bei den Kommunen und den Ländern ablegen. Auch das geht nicht.
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Nun aber zur Gasumlage und damit zur Senkung der Mehrwertsteuer beim Gas. Diese Umlage, meine Damen und Herren, ist eine der größten Fehlleistungen dieser Regierung.
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Das haben Sie mittlerweile ja auch eingesehen; sonst würden wir heute ja nicht über die Mehrwertsteuersenkung beim Gas reden. Erst Umlage, dann Steuersenkung: Das gesamte Wirrwarr, das Sie hier anstellen, hätten Sie sich doch schenken können,
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wenn Sie das Minusgeschäft der kritischen Gasinfrastruktur aus dem Bundeshaushalt aufgefangen hätten, so wie Sie es bei den Banken gemacht haben, so wie Sie es bei der Lufthansa realisiert haben. Stattdessen wird den Verbraucherinnen und Verbrauchern die Rechnung in die ohnehin explodierende Nebenkostenrechnung gesteckt. Das sind die Fakten.
Um es noch mal ganz klar zu sagen: Diese Steuersenkung beim Gas ist keine Entlastung. Es ist nur eine bürokratische Wiedergutmachung von einer unsäglichen Belastung durch die Gasumlage, und das ist ein himmelweiter Unterschied.
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Meine Damen und Herren, Sie alle wissen um die Gedächtnisschwächen des Bundeskanzlers. Aber dass er auch noch schlecht in Mathe war und ist, das hat mich schon überrascht. Deshalb möchte ich ihn aus der Pressekonferenz zum Thema „Senkung der Mehrwertsteuer“ zitieren:
Mit diesem Schritt entlasten wir die Gaskunden insgesamt deutlich stärker als die Mehrbelastung, die durch die Gasumlage entsteht.
Das stimmt so nicht. Wie stark die Gaskunden entlastet werden, hängt nämlich von dem Vertrag ab.
Das Einzige, was stimmt: Es kommt proportional eine Entlastung, je teurer der Vertrag ist. Aber wer noch einen alten günstigen Vertrag hat, zahlt bei dieser Steuersenkung noch obendrauf. Überhaupt ist das sowieso eine Milchmädchenrechnung: Von der Umlage entfallen 20 Milliarden Euro der insgesamt 34 Milliarden Euro auf Firmen. An denen – es kam schon der Zwischenruf – läuft die Mehrwertsteuersenkung vorbei. Aber was wird der Bäckermeister und was werden die Unternehmen dann mit dieser Umlage tun? Sie werden sie weitergeben. Das heißt, diese 20 Milliarden Euro landen auch noch bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern mit einer zusätzlichen Belastung, mit einem zusätzlichen Preisschock und natürlich mit einem Anstieg bei der Inflation. Deshalb, meine Damen und Herren, ist das, was Sie hier machen, völlig irre und bizarr.
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Deshalb muss dieser soziale und volkswirtschaftliche Unsinn vom Tisch.
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Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss noch einen Gedanken zum weiteren Verlauf der parlamentarischen Debatte äußern. Wenn Sie schon die Mehrwertsteuer beim Gas anfassen, warum nicht auch den Steuersatz bei Fernwärme? Der beträgt 19 Prozent und könnte auch auf 7 Prozent runtergesetzt werden; denn die Fernwärme wird überwiegend aus Gas gespeist. Damit würden Sie 6 Millionen Haushalte – vor allen Dingen in Ostdeutschland; denn in Ostdeutschland gibt es noch ein gutes Fernwärmesystem – entlasten. Das wäre doch einmal ein Beitrag. Insofern freue ich mich auf die weitere Debatte.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Görke. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Markus Herbrand, FDP-Fraktion.
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Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gäbe einiges richtigzustellen aus der Debatte. Ich möchte mich zunächst an die Kollegen der CDU wenden. Herr Kollege Middelberg, bei allem Respekt: Wenn Sie uns Gießkannenpolitik vorwerfen, dann empfehle ich Ihnen die Lektüre Ihrer Anträge zum Inflationsausgleich.
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Mehr Gießkanne geht überhaupt nicht.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, wir leben in Zeiten größter Unsicherheit: mindestens 8‑prozentige Inflation, ein sinkendes Wirtschaftswachstum. Das sorgt für Angst und Unsicherheit und raubt den Menschen auch die individuelle Freiheit. Deshalb hat die Ampel schon geliefert. In zwei Entlastungspaketen haben wir Entlastungen von über 30 Milliarden Euro bereitgestellt. Neben einmaligen Effekten – die Energiepreispauschale beispielsweise wurde eingeführt – haben wir natürlich dauerhafte Entlastungen beschlossen. Es wurde schon gesagt: Der Grundfreibetrag ist rückwirkend angepasst worden. Jetzt passen wir ihn noch einmal an. Die Energieumlage, die Einspeiseumlage, ist dauerhaft abgeschafft worden.
Jetzt das Inflationsausgleichsgesetz: Ich danke dem Bundesfinanzminister dafür, dass er den Entwurf dieses Gesetzes sehr zügig eingebracht hat. Wir gleichen damit zusätzliche Belastungen aus, die sich aus den inflationären Bewegungen und Wirkungen der Steuer ergeben. Bund, Länder und Gemeinden verzichten zusammen auf einen hohen Milliardenbetrag an zusätzlichen Mehreinnahmen. Weil das alles immer so technisch klingt – kalte Progression –, kurz erklärt: Es geht um den Facharbeiter, der, wenn er in einem Jahr 40 000 Euro verdient, im nächsten Jahr aber nur noch die Kaufkraft von 37 000 Euro hat, weiter besteuert wird, als hätte er 40 000 Euro. Das wollen wir ausgleichen.
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Wir bauen auch eine Gerechtigkeitskomponente ein. Der Tarifausgleich wird – und zwar erstmalig – dort nicht vorgenommen, wo die sogenannte Reichensteuer beginnt. In der Vergangenheit ist das immer geschehen. Diesmal verzichten wir darauf.
Es muss aber auch deutlich gemacht werden, sehr geehrte Damen und Herren, dass jeder, der diese Regelung jetzt nicht mitträgt, verantwortet, dass die Menschen dieses Landes im unteren und mittleren Einkommensbereich zusätzlich belastet werden in den kommenden Jahren. Das wollen wir verhindern.
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Geben Sie mir noch kurz die Gelegenheit, auch auf die Kritik einzugehen: Absolut profitieren immer diejenigen am meisten, die höher verdienen. Das ist selbstverständlich in unserem progressiven Steuertarif angelegt. Das ist so. Sie können nicht progressiv besteuern und linear entlasten. Das macht keinen Sinn.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Herbrand. – Nächster Redner ist der Kollege Alois Rainer, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Ampelkoalitionäre! Sie können nichts dafür, dass in der Ukraine Krieg herrscht. Da kennen wir den Aggressor: Putin. Sie sind aber dafür verantwortlich, für Alternativen zu sorgen und unser Land nicht in ein finanz- und energiepolitisches Chaos zu steuern.
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Dass Entlastungen möglich sind, zeigen Sie mit dem Inflationsausgleichsgesetz. Positiv hervorzuheben sind hier unter anderem die Anhebung des Kinderfreibetrages und des Kindergeldes. Gut, dass das umgesetzt wird.
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Mit der geplanten Änderung des Einkommensteuertarifs haben Sie sowohl die Arbeitgeberverbände als auch die Gewerkschaften gegen sich aufgebracht; aber gut. Rentnerinnen und Rentner sowie Studierende haben Sie nun im dritten Entlastungspaket immerhin auch berücksichtigt.
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Das ist gut. Ich hoffe, dass diese Entlastung auch richtig ankommt.
Meine Damen und Herren, mit der befristeten Senkung der Mehrwertsteuer auf 7 Prozent für Gaslieferungen sind Sie einer unserer Forderungen endlich nachgekommen. Das begrüßen wir.
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Wenn Sie es jetzt auch noch schaffen, die Stromsteuer zu senken und die allgemeine Belastung mit dieser unsäglichen Gasumlage abzuschaffen, dann würde dies allen Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land zugutekommen.
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Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel, was Sie wieder vollständig vergessen haben,
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sind die kleinen und mittelständischen Unternehmen in unserem Land, die kaum von den Neuerungen profitieren.
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Wenn ich die Ankündigungen höre, dann ist das schon alles sehr, sehr spannend. Zur Inflationsbekämpfung gehört nun einmal in erster Linie auch bei uns die Senkung der Energiepreise. Die Gasumlage wirkt sich auf die Unternehmen aus, wirkt sich auf private Haushalte aus, wirkt sich auch auf das produzierende Gewerbe aus. Die Senkung der Mehrwertsteuer ist gut – das habe ich schon gesagt –, aber die Unternehmen profitieren einfach nicht davon, weil sie sie in der Vorsteuer schon geltend machen können. Das hat also unternehmenstechnisch keine Wirksamkeit. Die Gasumlage, wie vorhin schon gesagt, wird am Ende der Tage bei jeder Verbraucherin und bei jedem Verbraucher mit erhöhten Preisen ankommen. Betriebswirtschaftlich muss sie auch einmal umgelegt werden. Wenn ich die Kosten nicht umlege oder aufhöre, zu produzieren, dann ist irgendwann einmal Schluss mit der Firma. Deshalb sollte man sie umlegen.
Ganz spannend finde ich, dass die Verstaatlichung von Uniper dazu führt, dass der Bundeswirtschaftsminister zuerst gesagt hat, dass er finanzverfassungsrechtliche Zweifel an der Gasumlage hat, weil nunmehr ein verstaatlichtes Unternehmen von der Zwangsgasumlage profitieren würde. Kurz darauf verkündet er aber, dass die Gasumlage trotz der Verstaatlichung von Uniper kommen würde. Ja, was denn jetzt? Wo wollen wir denn am Ende der Tage hin? Ich sage Ihnen eins: Ich war 35 Jahre selbstständig, habe zum Jahreswechsel letzten Jahres meinen Betrieb übergeben. Ich habe in den 35 Jahren meiner Selbstständigkeit noch nie so ein politisches Wirrwarr erlebt, wie wir es zur jetzigen Zeit erleben.
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Ich sage aus eigener Erfahrung: Die Betriebe müssen planen können. Wir müssen jetzt Energieverträge abschließen, um die Stromversorgung für das kommende Jahr zu sichern, um die Gasversorgung für das kommende Jahr zu sichern. Kein Mensch weiß, ob er jetzt einen Stromvertrag mit den erhöhten Strompreisen abschließen soll oder wie lange er noch warten soll. Und wenn er länger warten muss, dann wird er in eine Notversorgung getrieben, die von Haus aus das Vielfache mehr kostet. Deshalb sage ich: Ich verstehe nicht, warum die FDP solche Dinge mitmacht. Ihr wisst es doch besser. Drückt etwas auf die Tube, damit es schneller geht, damit in dieser Koalition auch für die Betriebe etwas vorangeht.
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Sie müssten es eigentlich besser wissen: Die Politik „linke Tasche, rechte Tasche“ reicht nicht aus. Sie müssen die Probleme endlich bei der Wurzel packen. Und Sie wissen auch, wie es geht; davon bin ich überzeugt. Nur rein ideologische und rein parteipolitische Gründe bremsen Sie, hier tätig zu werden.
Das Angebot an Energie muss vergrößert werden, in allen Bereichen, in jeder Erzeugungsform.
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– Frau Kollegin, also über Bayern ist vorhin schon genug diskutiert worden. Es ist schon viel gesagt worden, was die Situation in Bayern anbetrifft. Ich lade Sie ein: Kommen Sie in meine Kommune! Meine Kommune ist energieautark.
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Das ist Politik.
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In Bayern haben wir eine gute Energiepolitik; das ist vorhin schon angesprochen worden.
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Erhöhen Sie das Angebot! Steigen Sie in die temporäre Verlängerung der Erzeugung von Atomstrom ein! Öffnen Sie den Biogasdeckel! Eines gebe ich Ihnen noch mit auf den Weg: Schauen Sie einmal, dass die Windräder weiterlaufen, auch wenn
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seltene Vögel unterwegs sind! Dann werden die Windräder nämlich gestoppt, liebe Kolleginnen und Kollegen. So könnten wir auch ein Stück weit mehr Strom haben. Und abschließend: Ändern Sie endlich – das wissen Sie auch – das Merit-Order-System! Dann kommen wir zu einer guten Lösung. Wenn Sie das machen, haben Sie uns an Ihrer Seite.
Vielen herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Rainer. – Als nächste Rednerin hat die Kollegin Frauke Heiligenstadt, SPD-Fraktion, das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Progressionsbericht liegt in der Endfassung noch nicht vor. Trotzdem ist die Bundesregierung nicht untätig und hat im Vorgriff auf die zu erwartenden Werte des in Kürze vorliegenden Progressionsberichtes den Vorschlag für neue Tarifeckwerte bei der Einkommensteuer mit diesem Gesetzentwurf vorgelegt. Ich hatte bei vorangegangenen Wortbeiträgen, insbesondere der Kollegen der Oppositionsfraktionen, manchmal das Gefühl: Sie reden gar nicht über den Gesetzentwurf, der hier zur Beratung vorliegt, sondern über irgendwelche anderen Themen.
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Ich komme auf den Gesetzentwurf zurück, der uns jetzt zur Beratung vorliegt. Mit der Verschiebung der Eckwerte erreichen wir, dass eine höhere Lohnentwicklung bei den Menschen direkt ankommt. Hinzu kommt, dass wir den Grundfreibetrag anheben werden. So werden wir den Grundfreibetrag im Einkommensteuertarif für 2023 auf 10 632 und für 2024 auf 10 932 Euro anheben. Das führt zu einer Entlastung insbesondere der Menschen mit niedrigen Einkommen.
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Außerdem wollen wir die Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen in unserem Land besonders in den Fokus nehmen. Das ist nicht nur Auffassung der Regierung, sondern insbesondere der SPD-Bundestagsfraktion. Der Vorsitzende des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes weist in einem Artikel der „FAZ“ vom 13. September 2022 auf eine besonders prekäre Situation der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen hin. Er macht deutlich, dass bis zu 60 Prozent der deutschen Haushalte ihre gesamten verfügbaren Einkünfte zukünftig monatlich für die reinen Lebenshaltungskosten werden aufwenden müssen.
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Die weiter steigenden Kosten stellen sie vor ungeahnte Herausforderungen. Ich fasse diese Aussage so zusammen: Haushalte, die momentan weniger als 3 600 Euro netto als Haushaltsgesamteinkommen zur Verfügung haben, können nichts mehr auf die hohe Kante legen. – Das betrifft in unserem Land einen Großteil der Menschen. Und deshalb kümmern wir uns auch um die Anliegen der Menschen mit mittleren und kleinen Einkommen.
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Es ist deshalb richtig, dass wir mit dem dritten Entlastungspaket und den vorangegangenen beiden Paketen mit in Summe fast 100 Milliarden Euro verschiedenste Maßnahmen zur Entlastung der Haushalte auf den Weg gebracht haben. Dabei ist es der Koalition und insbesondere meiner Fraktion ganz besonders wichtig, dass wir die Menschen mit mittleren und kleinen Einkommen entlasten.
Mit dem vorgelegten Inflationsausgleichsgesetz entlasten wir rund 48 Millionen Menschen in der Bundesrepublik. Das sind nicht nur Reiche, liebe Kolleginnen und Kollegen; das sind vor allen Dingen Menschen mit mittleren und kleinen Einkommen. Wir zahlen die Energiepreispauschale aus, wir erhöhen die Fernpendlerpauschale, wir zahlen den Kinderbonus und auch Heizkostenzuschüsse. Weiterhin ist die Wohngeldreform in Arbeit und das neue Bürgergeld in Vorbereitung. – Meine Damen und Herren, das sind die umfangreichsten Entlastungen, die wir seit Bestehen der Bundesrepublik auf den Weg gebracht haben. Und das ist wichtig für die Menschen in unserem Land.
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Die gestrige Anhörung im Finanzausschuss zu einem Antrag der Union zur Bekämpfung der Inflation und der kalten Progression hat allerdings auch gezeigt, dass eine reine Verschiebung der Tarifeckwerte und eine Erhöhung des Grundfreibetrages nicht ausreichen.
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Um die Benachteiligung der Bezieher niedriger Einkommen gegenüber den Beziehern höherer Einkommen durch die Inflation auszugleichen, braucht es weitere Maßnahmen. Deshalb ist es meiner Fraktion besonders wichtig, mit Direktzahlungen Haushalte zu entlasten, insbesondere Familien. Dazu gehört zum Beispiel die Erhöhung des Kindergeldes. Das Kindergeld wird ab 1. Januar nächsten Jahres schrittweise für das erste und zweite Kind um 18 Euro sowie für das dritte Kind um 12 Euro monatlich erhöht, und damit werden für das erste, zweite und dritte Kind im Jahr 2024 jeweils einheitlich 237 Euro monatlich gezahlt. Eine vierköpfige Familie mit einem Bruttoeinkommen von circa 56 000 Euro, um eine Beispielrechnung zu nennen, wird mit Kindergeld und entsprechender Tarifeckwerteberücksichtigung eine Entlastung von rund 680 Euro haben. Das ist nicht nichts, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition.
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Außerdem erhöhen wir den Kinderfreibetrag und den Unterhaltshöchstbetrag bei der Einkommensteuer. Ich nenne das zielgerichtete Entlastung, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Die Erhöhung des Kindergeldes gilt auch für einkommensschwache Familien, wenn sie zum Beispiel gar keine Einkommensteuer bezahlen.
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Ich weise nur der Vollständigkeit halber darauf hin, dass Geringverdiener, auch soweit sie keine Einkommensteuer zahlen, durch die Entlastungspakete, die geplante Stärkung des Wohngeldes, das geplante Bürgergeld und die Erhöhung des Mindestlohnes ab Beginn des nächsten Monats deutlich unterstützt werden. Das ist soziale Politik für die Menschen in unserem Land, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Ich betone aber nochmals: Die SPD steht dafür ein, dass insbesondere die Menschen entlastet werden, die am meisten von der Inflation betroffen sind, und das sind eben die Menschen mit kleinem Einkommen. Wir stehen an der Seite dieser Menschen in diesem Land. Wir lassen niemanden allein; denn das ist für uns eine Frage der Gerechtigkeit.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, in meinen letzten Redebeiträgen in diesem Hohen Haus habe ich mich gelegentlich auch mit den Vorschlägen der größten Oppositionsfraktion auseinandergesetzt. Sehr geehrter Herr Rainer und sehr geehrter Herr Middelberg, nach der gestrigen Anhörung im Finanzausschuss zu Ihrem Inflationsausgleichsantrag sage ich Ihnen allerdings ganz ehrlich: Ziehen Sie Ihren Antrag am besten zurück!
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Eine größere Klatsche als bei dieser Anhörung konnten Sie nicht bekommen. Ich will Sie da nicht weiter quälen,
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indem ich die Hinweise der hochrangigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der gestrigen Anhörung noch mal vortrage. Aber vielleicht nur so viel: Wenn schon Ihre Analyse fehlerhaft ist – das haben Sie sogar schriftlich bescheinigt bekommen –, dann sind auch die von Ihnen gezogenen Schlussfolgerungen falsch.
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Deshalb macht es gar keinen Sinn, hier noch einmal über Ihre Forderungen zu diskutieren. Es macht auch keinen Sinn, dass Sie sie ständig wiederholen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Heiligenstadt. – Bedauerlicherweise hat der Kollege Tim Klüssendorf jetzt eine Minute weniger für seine Redezeit. Das Schicksal schlägt unaufhaltsam zu.
Der nächste Redner ist der Kollege Klaus Stöber, AfD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Werte Gäste auf der Tribüne! Die Regierung schnürt ja ein Entlastungspaket nach dem anderen. Aber was Sie natürlich nicht verraten: Dieses Entlastungspaket ist kein Geschenk. Sie finanzieren das ja aus unseren Steuern. „Linke Tasche, rechte Tasche“, das macht die SPD besonders gut.
Wenn ich mir den Vorschlag angucke, die Umsatzsteuer auf Gas zu reduzieren, dann fällt mir auf: Sie bekämpfen doch nicht die Ursachen; Sie bekämpfen die Symptome dieser Krise. Die Ursache ist Ihre desolate Energiepolitik, und die Ursache ist auch die vollkommen gescheiterte Sanktionspolitik gegenüber Russland.
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Das hat jetzt nichts mit Putin zu tun.
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Ich sage Ihnen mal in aller Deutlichkeit: Für mich ist Putin kein Demokrat. Für mich ist auch der Überfall Russlands ein völkerrechtswidriger Krieg. Aber nach dem gleichen Maßstab müssten Sie sagen: Auch der Überfall der USA auf Vietnam oder den Irak war ein völkerrechtswidriger Krieg.
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Sie entlasten private Verbraucher, aber gleichzeitig packen Sie mit der Gasumlage eine neue Belastung obendrauf. Die Belastung durch die Gasumlage ist viel höher als das, was die Bürger durch die Reduzierung der Umsatzsteuer einsparen.
Der Konzern Uniper, ein finnischer Staatskonzern, profitiert besonders von dieser Gasumlage. Einer der Aufsichtsratsmitglieder – das wissen Sie vielleicht – ist Herr Philipp Rösler: ehemaliger Vorsitzender der FDP, langjähriger Wirtschaftsminister. Herr Lindner, vielleicht erklären Sie uns bei Gelegenheit, ob Sie mit ihm in den letzten acht Wochen öfters telefoniert haben.
Eines steht doch fest: Mit der Uniper-Übernahme, der Verstaatlichung des Uniper-Konzerns, werden doch die Kosten noch viel höher. Bisher haben wir nur von einem Ausgleich des Verlustes von rund 12 Milliarden Euro gesprochen. Jetzt müssen wir noch einen Kaufpreis von 9 Milliarden Euro finanzieren und 8 Milliarden Euro an den Staat Finnland zurückzahlen, weil Finnland diesem Unternehmen ein Darlehen gewährt hat. Also, wir kommen jetzt auf fast 30 Milliarden Euro. Da kann man schon einmal darüber nachdenken, dass wir wahrscheinlich im Dezember wieder hier sitzen und über eine Erhöhung der Gasumlage sprechen werden.
Ich sage Ihnen: Die Umsatzsteuersenkung kommt vielleicht bei den privaten Verbrauchern an, aber nicht bei den Unternehmen. Ich war letzte Woche bei einem Unternehmen in Suhl, einer Gesenkschmiede – sehr energieintensiv –, deren monatlicher Abschlag sich von 15 000 Euro auf 50 000 Euro erhöht, und das nur beim Strom. Und in meinem Heimatort haben zum 30. September zwei Bäcker ihre Geschäfte geschlossen. Herr Habeck würde sagen: Die sind nicht pleitegegangen, die haben einfach nur zugemacht. – Das stimmt in diesem Fall auch. Ja, sie haben rechtzeitig zugemacht. Aber damit gehen nicht nur Arbeitsplätze verloren, damit gehen auch Identität und Tradition in unserem Ort verloren. Ob das durch diese ganzen Aktionen gerechtfertigt ist, möchte ich in Zweifel ziehen.
Eines will ich Ihnen auch sagen: Diese Regierung hat es in nur einem Jahr geschafft, uns in die größte Krise seit 1928 zu stürzen.
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Die Proteste auf den Straßen werden dazu führen, dass diese Regierung diesen Winter nicht überleben wird.
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Herr Merz, ein Wort noch an Sie: Sie hatten die Montagsdemonstrationen kritisiert.
Kommen Sie zum Schluss!
Ich kann Ihnen eines sagen: Das sind keine Rechten, die dort demonstrieren. Das sind ganz einfache Bürger, die die Nase voll haben von dieser Regierung.
Danke schön.
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Vielen Dank, Herr Kollege Stöber. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Katharina Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Das Inflationsausgleichsgesetz und damit auch der Abbau der kalten Progression ist ein großer Bestandteil des 65 Milliarden Euro schweren Entlastungspakets III. Es geht hier um die hohen Preissteigerungen und die Antwort des Staates darauf, wie er den Menschen helfen kann, diese abzufedern. Ich wundere mich über Ihr Staats- und Steuerverständnis, Herr Middelberg, das doch sehr abwertend formuliert war. Hier geht es darum, Menschen wirklich zu helfen, und nicht darum, dass sich der Staat irgendwie bereichert.
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Es ist wichtig, dabei ein Augenmerk auf das immense soziale Ausmaß dieser aktuellen Krise und der damit einhergehenden Inflation zu legen, einer Krise, die – das möchte ich hier ganz klar sagen – von Putin und Russland ausgelöst wurde. Aber die Ursache für unsere Probleme und die hohen Preise liegt auch in der verheerend naiven Energiepolitik unserer Vorgängerregierung,
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die uns bis zur Unerträglichkeit von ebendiesem Putin und seinem Gas abhängig gemacht hat.
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Die Ampel arbeitet jetzt mit aller Kraft gemeinsam daran, uns unabhängig zu machen und die Ursachen für die hohen Preise, die Resultate Ihrer schlechten Energiepolitik, zu bekämpfen. Dass trotz des Lieferstopps im Gasbereich die Füllstände bei über 90 Prozent liegen, ist ein krasses Verdienst unseres Wirtschafts- und Energieministers Robert Habeck und unserer gesamten Ampelregierung.
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Der massive Ausbau der Erneuerbaren, der Freiheitsenergien, wird mittelfristig auch zu Preissenkungen führen und uns zukunftsfähig aufstellen.
Die aktuelle soziale Lage in Deutschland ist leider bestürzend. Laut einer INSA-Befragung verzichten bereits 16 Prozent der Menschen in Deutschland aufgrund der hohen Inflation auf regelmäßige Mahlzeiten, weitere 13 Prozent denken darüber nach. Schauen Sie sich hier einmal um, und stellen Sie sich vor, jeder Dritte hier im Raum hätte aufgrund von Geldknappheit Probleme oder Sorgen, geregelt zu essen. In Deutschland ist das leider aktuell Realität. Die Lebensmittelpreise sind explodiert. Hinzu kommen die noch stärker explodierenden Energiekosten, die vielen Existenzsorgen bereiten.
Am härtesten trifft dies die rund 40 Prozent der Deutschen, die überhaupt keine Rücklagen haben, circa 33 Millionen Menschen.
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Es trifft die Menschen mit kleineren und mittleren Einkommen, die bisher zum Teil aufgrund der hohen Mietkosten kaum etwas zurücklegen konnten, weil Sie die Mieten so haben explodieren lassen. Aufgrund ihres Einkommens haben sie keinen Spielraum, die steigenden Preise abzupuffern. Deswegen fokussieren wir uns als Ampel auf die Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen und entlasten sie mit einem Gesamtpaket, das sehr gut ist.
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Die Wahrheit ist leider: Schon vor der Krise ging es nicht allen gut. Die Ungleichheit in diesem Land ist strukturell. Wir haben die Regierung zu einem Zeitpunkt übernommen, in dem jedes fünfte Kind in Deutschland in Armut lebte, jedes fünfte Kind in dem Land, das das viertreichste der Welt ist.
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Man kann wirklich erschüttert sein, dass Sie das Land so hinterlassen haben.
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Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD?
Ich nehme keine Zwischenfragen von der AfD an.
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Die Ampel handelt mit großer Verantwortung. Das dritte Entlastungspaket umfasst 65 Milliarden Euro, zusätzlich zu den 30 Milliarden Euro aus den ersten beiden Paketen. Hinzu kommen Wirtschaftshilfen in immensem Ausmaß; denn Deutschland muss auch zukunftsfähig bleiben.
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Gleichwohl – das muss ganz klar gesagt werden –: Diese Krise ist so groß, dass wir als Politik nicht alles abfedern können. Unsere Priorität muss auf der Abfederung der größten Härten liegen.
Es ist bekannt, dass wir Grüne im Sommer die Vorschläge zum Abbau der kalten Progression kritisiert haben; denn dies hätte dazu geführt, dass Geringverdienende viermal so wenig entlastet worden wären wie Vielverdienende. Zusammen mit den anderen Maßnahmen im Paket ist das Ergebnis, dass am unteren Ende tatsächlich viel entlastet wird. Zum Beispiel wird eine Alleinerziehende mit einem Kind mit nur 1 000 Euro Einkommen im Monat – auf Basis der Berechnungen der Universität Nürnberg – mit 869 Euro über das Jahr entlastet. Und eine Alleinerziehende mit einem Einkommen von 6 500 Euro pro Monat wird mit 765 Euro im Jahr entlastet. Bei den Beziehern geringer, niedriger und mittlerer Einkommen ist noch etwas zu tun, aber die Richtung stimmt.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Dazu tragen beispielsweise die im Koalitionsausschuss verhandelte Anhebung des Kindergelds um 18 Euro und auch die erneute Anhebung des Grundfreibetrags bei. Beides ist schon Teil dieses Gesetzentwurfs.
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Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Sie haben jetzt noch einen Satz.
Wichtig ist, dass wir bald die Anhebung des Kinderzuschlags auf den Weg bringen und die wirklich notwendige Kindergrundsicherung gut aufstellen.
Vielen Dank.
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Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich auf Folgendes hinweisen: Wenn jeder Redner zwischen 30 und 40 Sekunden überzieht, sind wir erst um drei Uhr heute Nacht fertig. Das will mit Sicherheit keiner von Ihnen.
Nächster Redner ist der Kollege Johannes Steiniger, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Ich versuche, mich an die Zeit zu halten. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Endlich legt das Bundesfinanzministerium diesen Gesetzentwurf vor. Das ist, ehrlich gesagt, überfällig. Wir als CDU/CSU kritisieren das Problem der kalten Progression, insbesondere für das aktuelle Jahr 2022, seit Dezember letzten Jahres. Herr Minister Lindner, ich beglückwünsche Sie und ich beglückwünsche auch die Kolleginnen und Kollegen der FDP, dass Sie sich in der Ampel durchgesetzt haben
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und dieses Gesetz jetzt kommt; denn das stand nicht im Koalitionsvertrag.
Eigentlich ist es doch so – das haben wir heute in der Diskussion gehört –: Grüne und SPD wollen dieses Gesetz nicht.
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Sie wollen die kalte Progression.
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Sie wollen die heimlichen Steuererhöhungen.
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Sie wollen die Umverteilung.
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Deswegen sind wir froh, dass die FDP in der Ampel mit dabei ist.
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Gleichzeitig muss man sagen: Das ist kein Grund, sich hier für diesen Gesetzentwurf abzufeiern.
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Dieser Gesetzentwurf ist eine totale Selbstverständlichkeit.
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Herr Minister, dieser Gesetzentwurf ist im Übrigen nicht Teil der Krisenbewältigung; denn das sind keine Entlastungen. Vielmehr sorgen wir dafür, dass nicht weiter belastet wird. Es ist in Ordnung, dass das so gemacht wird.
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Es kann doch nicht sein, dass Menschen in diesem Land, die sowieso schon massiv von der Inflation gebeutelt sind, dem Staat dann auch noch mehr Steuern zahlen. Deswegen ist es gut, dass wir dem entgegenwirken.
Es ist für uns auch aus einem zweiten Grund selbstverständlich: Wir als Union haben das in den letzten Jahren nämlich immer gemacht.
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Wir haben diese Gesetze gemacht: 2018 gab es Entlastungen in Höhe von 10 Milliarden Euro, 2020 waren es 12 Milliarden Euro.
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Wir hätten es auch jetzt gemacht, wenn wir in Regierungsverantwortung wären.
Frau Beck, Sie haben das Thema Kinderarmut angesprochen, ein wirklich wichtiges Thema, dessen wir uns als Politik annehmen müssen.
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Sie erhöhen jetzt das Kindergeld um 18 Euro; wir haben es in der letzten Legislatur um 25 Euro erhöht. Also, was wollen Sie eigentlich in dieser Diskussion?
Zum Einzelnen. Jetzt wird der Tarif auf Rädern vom Minister wiederentdeckt. Das war für uns überhaupt nicht notwendig, als wir dran waren, weil wir ihn einfach angepasst haben.
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Dann wird auch noch gesagt, 2022 sei einiges gemacht worden. Sie haben den Grundfreibetrag erhöht; Sie haben aber nichts bei den anderen Eckwerten für dieses Jahr gemacht. Das heißt, diese Bundesregierung hat über die kalte Progression im Grunde genommen in diesem Jahr Steuererhöhungen eingeführt. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Deswegen adressieren wir das auch.
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Wir schlagen Ihnen im Übrigen vor, dass wir in diesen Zeiten, in denen sich die Inflation ändert und hoch bleiben wird, das Verfahren ändern und den Progressionsbericht nicht mehr alle zwei Jahre vorlegen lassen, sondern jedes Jahr, um zu besseren Anpassungen zu kommen. Ich freue mich auf die Diskussionen, die wir im Ausschuss dazu haben werden.
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Ich habe mir überlegt, ob ich dieses Thema anspreche, aber ich habe mich schon gewundert. Im Sommer, als die Diskussion zu diesem Gesetz schon im Gange war, hat der Bundesfinanzminister Lindner auf einmal ein Framing benutzt, das ich von ihm eigentlich nicht erwartet hätte. Er hat von der „Reichensteuer“ gesprochen, also von dem letzten Eckwert. Der wird hier nicht verändert. Ich kann verstehen, dass man sozusagen der Versuchung nachgibt, etwas Populäres zu machen. Aber ich erinnere mich noch sehr gut an die Diskussionen zum Solidaritätszuschlag, als Sie immer wieder gesagt haben: Die Einkommensteuer ist für ganz viele Betriebe in Deutschland die Unternehmensteuer. – Das heißt: Wenn Sie diesen Eckwert nicht verändern, ist das eine heimliche Steuererhöhung für viele Unternehmen in Deutschland, und das geht so nicht.
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In der letzten Minute, die mir bleibt, möchte ich zum zweiten Teil dieses Gesetzentwurfs Stellung nehmen. Er betrifft die Mehrwertsteuersenkung für den Bereich Gas. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer wie der Kanzler Olaf Scholz sagt: „You’ll never walk alone“, der muss auch endlich „all in“ gehen. Er muss „all in“ gehen beim Angebot: Er muss „all in“ gehen bei den Kernkraftwerken, er muss „all in“ gehen bei der Kohle, er muss „all in“ gehen bei Biomasse, Biogas, Erneuerbaren. Und er muss „all in“ gehen bei den Entlastungen: beim Thema Stromsteuer, beim Thema Energiesteuer. Hier müssen wir „all in“ gehen, um die Menschen in diesem Land zu entlasten.
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Dieser Gesetzentwurf ist eine Selbstverständlichkeit. Wir werden ihn auch unterstützen. Ansonsten stehen wir für gute Beratungen bereit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Steiniger. Das war ja vorbildlich in der Zeit. – Nächster Redner ist der Kollege Tim Klüssendorf, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man zum Ende einer Debatte spricht, hat man den Nachteil, dass vieles sich doppelt, und den Vorteil, dass man auf Redebeiträge der anderen Fraktionen eingehen kann.
Ich wollte mir wirklich Mühe geben, auch zu den Vorschlägen der Union Stellung zu nehmen; nur sind mir keine aufgefallen. Es ist ziemlich schwierig, dazu Stellung zu nehmen.
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Alles, was Sie heute gesagt haben, ist: Das Gesetz ist eine Selbstverständlichkeit. Wir würden das auch so machen. Einiges ist gar nicht so schlimm. – Wir stehen hier vor der größten wirtschafts- und finanzpolitischen Herausforderung in der Geschichte dieser Bundesrepublik Deutschland, und das Einzige, was Sie hier tun, ist, festzustellen, dass die Regierung richtig handelt. Einen besseren Arbeitsnachweis für uns kann es eigentlich kaum geben.
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Stellung nehmen möchte ich allerdings doch zum Kollegen Stöber. Herr Stöber, Sie haben eben gesagt: Diese Bundesregierung hat die schlimmste Krise seit 1928 zu verantworten. – Das ist wieder einmal Geschichtsverleumdung der ganz schlimmen Sorte.
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Wer den Zeitraum zwischen 1933 und 1945 so bewusst ausblendet und damit kokettiert, der gehört nicht nur hier in die rechte Ecke, der gehört raus aus diesem Parlament und vom Verfassungsschutz beobachtet, so wie es gerade auch passiert.
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Ich habe schon davon gesprochen, vor welchen Herausforderungen wir momentan stehen. Die Bundesregierung handelt entschlossen. Wir haben drei Entlastungspakete auf den Weg gebracht, die insgesamt rund 100 Milliarden Euro umfassen. Deswegen noch mal zum Thema Selbstverständlichkeit: Ich hatte nicht den Eindruck, dass es selbstverständlich ist, in einem so hohen Ausmaß so schnell zu reagieren, vor allen Dingen in Anbetracht der Tatsache, dass wir noch nicht mal ein Jahr im Amt sind. Man muss noch mal ganz ehrlich sagen: Uns wird es nicht gelingen, alle Belastungen zu kompensieren; aber mit den Paketen, die wir bisher beschlossen haben, ist ein ganz wesentlicher Schritt gemacht worden. Darauf können wir stolz sein, und daran werden wir weiterarbeiten.
Wir entlasten natürlich nicht nur aktiv, sondern wollen auch nicht an höheren Preisen verdienen; das wurde angesprochen. Deswegen ist Bestandteil dieser beiden Gesetzesvorschläge der Abbau der kalten Progression. Herr Steiniger, das ist etwas, was wir richtig finden. Sie brauchen uns nicht einzureden, was wir wollen oder was wir nicht wollen. Das haben wir gemeinsam als Ampelkoalition verabredet, und wir stehen auch vollständig dahinter.
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Aber ich möchte die Gelegenheit nutzen, zum zweiten Punkt noch etwas zu sagen, nämlich zur temporären Senkung der Umsatzsteuer auf Gaslieferungen. Wir senken bereits zum kommenden Monat, das heißt zum Beginn der Heizperiode, die Mehrwertsteuer auf Gaslieferungen von 19 Prozent auf 7 Prozent. Sie tun das ab, als würde das nur die Gasumlage ausgleichen, wäre also nur eine Kompensationsmaßnahme. Ich meine, gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten über die Gasumlage und die Anpassungen, die es möglicherweise noch geben wird, ist das eine ganz wesentliche Entlastungsmaßnahme, die nicht vernachlässigt werden darf und die ihren ganz eigenen Wert hat.
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Schließlich umfasst allein diese Maßnahme insgesamt rund 11 Milliarden Euro und ist damit eine der größten Einzelmaßnahmen aus den drei Entlastungspaketen.
Rund die Hälfte aller Haushalte in Deutschland heizt mit Gas und ist oft mit Gaspreissteigerungen von mehreren 100 Prozent konfrontiert. Im Durchschnitt verdoppelt sich der Gaspreis für viele mindestens. Die Maßnahme, die Umsatzsteuer zu senken, wirkt also nicht nur entlastend, sondern senkt auch ganz effektiv die Inflationsrate in unserem Land und ist deshalb weiterhin richtig.
Selbstverständlich darf es hierbei nicht bleiben. Deswegen auch noch ein paar Worte zur Gaspreisentwicklung insgesamt – wir haben dazu schon einiges gehört; der Bundesfinanzminister ist darauf eingegangen –: Es wird natürlich weitere Maßnahmen brauchen, um die Menschen und natürlich auch die Unternehmen, ganz besonders die kleinen und mittleren Unternehmen, vor höheren Gaspreisen zu schützen und ihnen sozusagen zu ermöglichen, dass sie ihre Rechnungen bezahlen können. Aus meiner und unserer Sicht kann das eigentlich nur über eine Deckelung der Gaspreise gehen. Deshalb bin ich ganz gespannt, wie schnell und wie entschlossen die Kommission jetzt agieren wird. Da werden wir auch weiterhin ordentlich Druck machen; denn wir werden die Menschen nicht alleine lassen. Wir müssen dringend weiter an die Gaspreise ran. Das heute kann nur der Auftakt einer Entlastung sein.
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Doch lassen Sie mich ganz zum Schluss noch etwas zur Finanzierung sagen. Das wird natürlich auch weiterhin mit enormen Anstrengungen und hohen Milliardensummen an Finanzierung verbunden sein. Dazu eine ganz persönliche Anmerkung: Ich verstehe es nicht. Unsere Gesellschaft hat genug Wohlstand, um die ganzen Herausforderungen zu finanzieren. Dieser Wohlstand ist zurzeit nur ungerecht verteilt. Wir haben mittlerweile von allen OECD-Staaten die zweithöchste Konzentration von Vermögen. Deshalb bin ich dafür, dass wir uns in den kommenden Wochen und Monaten, wenn wir über Gaspreisdeckel und Ähnliches sprechen, auch noch mal der Frage der Finanzierung widmen, wir alle gemeinsam, die ganze Gesellschaft in breitem Konsens; denn ohne eine höhere Beteiligung der besonders Vermögenden werden wir diese Krise nicht finanzieren können.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Klüssendorf. – Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Dr. Sebastian Schäfer, Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig – Kollege Klüssendorf hat es ausgeführt –, dass wir in der aktuellen Krise den Umsatzsteuersatz auf Gas senken. Bei den aktuellen Preisen sind die Anreize zum Energiesparen sehr stark. Für viele Verbraucher/-innen sind diese Preise aber eine Überforderung. Daher ist eine Entlastung, die direkt bei den Bürgerinnen und Bürgern landet, notwendig. Die Umsatzsteuersenkung ist der Teil eines viel größeren Entlastungspakets; das wurde in der Debatte ausführlich thematisiert.
Die Umsatzsteuersenkung hilft aber unseren Unternehmen nicht. Wer in den Wahlkreisen unterwegs ist, wer gerade mit kleineren Unternehmen oder mit Handwerksbetrieben spricht, ist mit dramatischen Botschaften konfrontiert. Die Unternehmen haben existenzielle Sorgen, wie sie die Energiekosten bezahlen sollen, mit denen sie konfrontiert sind. In einem wirtschaftsstarken, mittelständisch-industriell geprägten Wahlkreis wie meinem in Esslingen geht es da um den Kern unserer Volkswirtschaft. Deswegen ist es so wichtig, dass Wirtschaftsminister Habeck angekündigt hat, die bereits bestehenden Wirtschaftshilfen für die energieintensive Industrie nun auch auf das Handwerk und den Mittelstand auszuweiten.
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Deshalb ist es dringend notwendig, dass es in der Bundesregierung jetzt auch die Bereitschaft dafür gibt, diese Wirtschaftshilfen mit einer ausreichenden Finanzierung auszustatten. Die in diesem Herbst und Winter dringend notwendigen wirtschaftlichen Hilfen dürfen nicht an mangelnder Finanzierung scheitern.
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Wir sehen in der Krise ganz besonders, wie komplex die Wertschöpfungsketten in unserer Volkswirtschaft sind und welche extremen Konsequenzen Ausfälle in diesen Wertschöpfungsketten haben können. Wir bekommen jetzt eine gigantische Rechnung für das energiepolitische Versagen früherer Bundesregierungen präsentiert. Billiges russisches Pipelinegas wird es absehbar nicht mehr geben. Die hohen Preise werden auch im Frühjahr nicht einfach vorbei sein.
Gas brauchen wir in unserer Volkswirtschaft nicht nur zum Heizen von Wohnungen, sondern es ist ein wichtiges Vorprodukt gerade für die Prozesse in unserer chemischen Industrie. Das können wir nicht überall substituieren. Deshalb fordert der Verband der Chemischen Industrie, bekanntlich keine grüne Vorfeldorganisation – ich darf, mit Verlaub, Herr Präsident, aus der FAZ zitieren –:
Das Geld wird der Staat sowieso ausgeben müssen. Besser jetzt in die Struktur als nächstes Jahr zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit.
Wir sehen jetzt auch bei den Steuereinnahmen, was los ist. Am aktuellen Rand im August haben wir einen deutlichen Rückgang zu verzeichnen. Ich fürchte: Das ist eine Trendwende. Die Wirtschaftsforschungsinstitute senken ihre Wachstumsprognosen immer weiter ab. Wir brauchen entschlossenes Handeln. Der Bundeskanzler hat in dieser schweren Krise die Konzertierte Aktion wiederbelebt. Ich wünsche mir diesen Geist der Zusammenarbeit auch zwischen den staatlichen Ebenen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Schäfer. – Damit ist die Aussprache beendet.
Sehr geehrter Herr Kollege Klüssendorf, Sie haben in Ihren Ausführungen in Bezug auf meine Aussage, dass ich 1928 als die letzte große Krise betrachtet habe und Sie jetzt im Prinzip die nächste Krise eingeleitet haben, behauptet, ich hätte die Zeit von 1933 bis 1945 ausgeklammert. Das muss ich zurückweisen.
Mein Großvater war Verfolgter des Nationalsozialismus. Ich denke mal, das schließt schon einmal automatisch aus,
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dass ich irgendwelche Sympathien für diese Zeit und auch für die Personen hege, die damals regiert haben. Deswegen ist Ihre Aussage aus meiner Sicht nicht zutreffend.
Danke.
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Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Präsidentin! Die sogenannte Übergewinnsteuer ist auch heute noch das, was ich dazu bereits im Mai gesagt habe: eine Schnapsidee.
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Die vielfältigen Gründe, sie abzulehnen, haben sich ebenfalls seit dem Mai nicht verändert. Es gibt wirklich keine objektiv anwendbaren Abgrenzungskriterien, die deutlich machen, welche Unternehmen da überhaupt infrage kämen und insbesondere welche Teile des Gewinns des jeweiligen Unternehmens als Übergewinne versteuert werden sollen.
Diese Schwierigkeiten allein führen dazu, dass die Übergewinnsteuer rechtlich kaum durchsetzbar ausgestaltet werden kann; denn nicht zu Unrecht stößt eine solche Willkürmaßnahme auf massive – auch verfassungsrechtliche – Bedenken. Gerade das Beispiel Italien zeigt uns, was passieren kann, wenn man solche Ideen nicht ganz bis zum Ende denkt. Dort scheitert der Versuch, eine Übergewinnsteuer auf der Basis von Überumsätzen zu installieren, gerade krachend. Jetzt fehlt sogar noch Geld in der Staatskasse, und das sollten wir uns nicht als Vorbild nehmen.
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Deshalb bleiben wir dabei: Wir werden die Übergewinnsteuer ablehnen.
Dennoch erkennen auch wir, dass es zurzeit keinen funktionierenden Markt im Energiebereich gibt, und diese ungewöhnlichen Zeiten erfordern deshalb auch unserer Meinung nach Maßnahmen, die erstens Gewinne von Unternehmen begrenzen, die ohne eigenes, objektives unternehmerisches Handeln derzeit geradezu explodieren, die zweitens dazu genutzt werden können, Menschen, die Schwierigkeiten haben, die Rechnungen für Energie zu bezahlen, zu unterstützen, und die drittens – wichtig! – auch einen Beitrag zum Gerechtigkeitsempfinden der Menschen in Deutschland leisten können.
Die Menschen brauchen ein Signal – ein schnelles Signal aus meiner Sicht –, dass wir sie mit ihren derzeitigen Sorgen nicht alleine lassen. Deshalb hat die Ampel im Rahmen ihres dritten Entlastungspaketes eine Strompreisbremse beschlossen, die zurzeit mit Hochdruck im Ministerium von Robert Habeck vorbereitet wird. Und auch auf europäischer Ebene wird Ähnliches vorangetrieben: Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat in ihrer Rede zur Lage der Union Entsprechendes angekündigt.
Der Ansatz, den die Ampel dabei wählt, verschont das Steuerrecht von einer weiteren Inanspruchnahme durch Politiker für willkürlich selbstdefinierte Zwecke. Denn wir regeln es eben nicht über das Steuerrecht, sondern über einen Eingriff in das sogenannte Strommarktdesign.
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Dieses Design führt zurzeit zu erheblichen Zufallsgewinnen, weil sich der Preis auf dem Strommarkt immer nach dem teuersten Produzenten richtet, zurzeit also auf der Basis der völlig abgehobenen Gaspreise ermittelt wird.
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Diesen hohen Strompreis erhalten aber auch die Produzenten von Strom, die dafür gar kein Gas einsetzen, also beispielsweise Strom durch Kohle oder auch durch Windkraft gewinnen.
An diese derzeit nicht funktionierende Grundkonzeption werden wir deshalb herangehen, und auf der Basis von festgelegten Erlösobergrenzen werden Gewinne definiert, die keine operative Ursache haben, sondern, wenn Sie so wollen, zufällig entstanden sind. Diese Mehrerlöse werden wir dann nutzen, auch um Energiepreissenkungen auf breiter Front für Handel, Handwerk und den Mittelstand durchzusetzen.
Die Idee einer Übergewinnsteuer, sehr geehrte Damen und Herren, ist ja nur einer von mehreren Vorschlägen aus der linken Ecke unseres Hauses, um neue bzw. höhere Steuern durchzusetzen. Sie ist aber die vermutlich schlechteste Idee, weil sie uns für die Zukunft in die Abhängigkeit bringen würde, dass irgendwo zwischen Stammtisch und Linksfraktion entschieden würde, wer wann welche Übergewinne erzielt und wie hoch diese zu besteuern wären.
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Das ist die vermutlich schlechteste Aussicht, und dies allein ist schon Grund genug, diesen Antrag voller Überzeugung abzulehnen.
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Einen schönen guten Tag auch von meiner Seite an die Kolleginnen und Kollegen und an die Besucherinnen und Besucher auf den Tribünen!
Der nächste Redner in der Debatte ist Fritz Güntzler, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Auch in dieser Plenarwoche haben wir mehrfach Debatten über den brutalen Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine und die Folgen für den Energiesektor geführt. Die Preise steigen; es gibt erhebliche Belastungen für alle Menschen in unserem Land, aber auch für viele Unternehmen, insbesondere für die Handwerksbetriebe, die bei der Ampelkoalition bis jetzt keine Berücksichtigung gefunden haben. Wir hoffen, dass da noch einiges passiert.
Wir erleben, dass nicht nur die Gaspreise steigen, sondern auch die Strompreise. Die Mär, die wir am Anfang gehört haben, es gebe nur ein Wärme- und ein Gasproblem und kein Stromproblem, ist ausgeräumt. Wir haben deutliche Signale, dass auch der Stromsektor betroffen ist. Und wir alle haben jetzt gelernt – auch diejenigen, die sich zuvor nicht so viel damit beschäftigt haben –, wie kompliziert die Preisfindung auf dem Strommarkt ist. Das Merit-Order-Prinzip, das Grenzpreisverfahren, gewährleistet – dies für diejenigen, die sich noch nicht damit beschäftigt haben –, dass die teuerste Energievariante den Preis für den gesamten erzeugten Strom bestimmt. Das führt dazu, dass diejenigen, die niedrigere Grenzkosten beim Produzieren des Stroms haben, einen höheren Preis und damit auch höhere Gewinne bekommen.
Das Problem besteht also nicht im Steuerrecht, sondern in der Findung des Strompreises. Daher ist es richtig, an die Wurzel des Übels zu gehen und darüber nachzudenken, wie wir zu einem Mechanismus kommen, sodass Strompreise tatsächlich ehrlich und fair ermittelt werden. Dann hätten wir das Problem gar nicht, das die Linken hier heute adressieren.
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Von daher ist es auch zu begrüßen – Herr Kollege Herbrand hat darauf hingewiesen –, dass man genau da anfängt. Ob nun das, was im Koalitionsausschuss beredet worden ist – Stichwort „negative EEG-Umlage“ –, der Weisheit letzter Schluss ist, werden wir noch sehen. Der Kollege Herbrand hat ja gesagt, das Wirtschaftsministerium arbeite auch an dieser Sache – Herr Kollege Wenzel aus Niedersachsen – mit hohem Druck, und ich hoffe, dass es Ergebnisse geben wird.
Dann stellt sich eben die Frage: Wenn es dieses Problem gibt, ist dann das Steuerrecht das richtige Instrument, sich diesem Problem zu nähern? Das Problem der Abgrenzung der guten von den schlechten Gewinnen wurde schon angesprochen. Was sind eigentlich Übergewinne? Wo fangen sie an? Wo hören sie auf? Welche Branche betreffen sie? Wie berechne ich sie quantitativ? Ich möchte noch einmal deutlich herausstellen – das wird, glaube ich, immer vergessen –: Es wird der Eindruck erweckt, dass Übergewinne derzeit überhaupt nicht besteuert werden. Auch Übergewinne – genauso wie jeder andere Gewinn – werden besteuert: bei einer Kapitalgesellschaft in Deutschland mit weit über 30 Prozent, soweit die Gewinne im Unternehmen verbleiben, und bei Personengesellschaften – da hatten wir vorhin die Debatte über das Inflationsausgleichsgesetz – mit bis zu 50 Prozent. Also kommt es dort zu einer Besteuerung. Und dann muss man sich die Frage stellen, ob man, wenn man jetzt die Konzerne, die Die Linke hier im Blick hat, tatsächlich besteuern will, überhaupt ein Besteuerungsrecht hat, ob diese Konzerne in Deutschland ansässig sind, ob man überhaupt an die Gewinne herankäme.
Wir müssen also die Besonderheiten dieser Steuer klären. Die Linken heben in ihrem Antrag auf das italienische Modell ab. Aber auch die Italiener haben nicht das Problem bei der Definition der Übergewinne gelöst; denn sie machen es an den Umsätzen fest, weil sie genau wissen, dass es anders nicht funktioniert. Wenn man sich mit dem italienischen Modell beschäftigt und in Italien mit ein paar Kolleginnen und Kollegen spricht, sieht man erstens, dass die Einkommenserwartungen weit hinter dem zurückgeblieben sind, was vorher prognostiziert worden ist. Und zweitens sieht man, dass viele Unternehmen gar nicht erst bezahlen, weil sie meinen, dass das verfassungswidrig sei. Es herrscht also eine riesige Rechtsunsicherheit. Und da ist die Frage: Wollen wir uns das hier in Deutschland auch „gönnen“? Wir haben kein eigenes Steuerfindungsrecht für solche Steuern. Von daher: So etwas kann man machen, aber der Finanzminister muss dann auch das Risiko tragen, dass eine solche Steuer, genauso wie damals die Brennelementesteuer, einkassiert wird und alles zurückgezahlt werden muss. Ich weiß nicht, ob man diese Haushaltsrisiken eingehen sollte.
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Es empfiehlt sich die Lektüre des Gutachtens des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesfinanzministeriums zur Übergewinnsteuer. Ich glaube, die Dinge, die dort allgemein ausgeführt werden, sollte man wirklich ernst nehmen. Da wird davon gesprochen, dass solche Dinge innovationshemmend sind. Es werden Ressourcen abgeschöpft, die den Unternehmen eigentlich zur Verfügung stehen sollten, um ihre Transformationen, die wir von ihnen erwarten, zu finanzieren. Es gibt – darauf wird bestimmt noch hingewiesen – eine Übergewinnsteuer in Großbritannien. Die Energiekonzerne dort haben jetzt schon angekündigt, dass sie ihre Investitionen in erneuerbare Energien zurückschrauben werden. Ist es das, was Sie wollen? Ich gehe davon aus, dass die Unternehmen, die mehr Liquidität haben, das Geld nutzen, um Innovation und Investition voranzutreiben. Dabei sollten wir sie unterstützen. Wir dürfen ihnen das Geld nicht wegnehmen.
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Von daher glaube ich, dass es ein falsches Instrument ist.
Einer Sache will ich noch vorgreifen, weil Sie wahrscheinlich gleich den Verordnungsentwurf der EU-Kommission in die Debatte einbringen werden, Herr Kollege Görke; jedenfalls gehe ich davon aus, so wie ich Sie kennengelernt habe. Darin versucht die Kommission, eine Lösung zu finden, indem man die Abschöpfung von Umsätzen bei der Stromerzeugung vorsieht, wenn diese 180 Euro pro Megawattstunde übersteigen, und einen Solidaritätsbeitrag bei sogenannten Überschussgewinnen in gewissen Branchen plant. Da sind natürlich massenhaft Fragen offen. Grundsätzlich meine ich: Wenn man so was macht – ich bin ja dagegen –, muss man das auch unionsweit machen, weil der Strommarkt europaweit organisiert ist. Dann muss man klären, auf welcher Rechtsgrundlage der Vorschlag der Kommission basiert.
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Wir haben das im Finanzausschuss bereits angesprochen. Die Bundesregierung konnte uns bis jetzt aber noch keine Antwort geben. Bisher wird sich bezogen auf Artikel 122 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, der eigentlich dafür da ist, Versorgungsschwierigkeiten zu beheben. Was eine Übergewinnbesteuerung, eine Erlösabschöpfung, mit der Behebung von Versorgungsschwierigkeiten zu tun hat, hat sich mir noch nicht erschlossen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ist die Anspruchsgrundlage nicht eigentlich Artikel 115? Das wollen Sie nicht, weil dafür Einstimmigkeit notwendig ist. Ich glaube, auch unionsrechtlich gibt es erhebliche Probleme mit dem Verordnungsentwurf.
Herr Güntzler, bitte letzter Satz.
Wir werden ihn wohlwollend prüfen, glauben aber, dass er gar nicht umsetzbar ist. Von daher: Lassen Sie den Antrag sein. Lassen Sie das mit der Übergewinnsteuer.
Das sind mehr als zwei Sätze.
Und ich höre jetzt auf, Frau Präsidentin.
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Der einzige Zufallsgewinn, den es gab, war die Regierungswahl im letzten Jahr.
Herzlichen Dank.
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Aufgrund unserer langen Tagesordnung heute bitte ich Sie wirklich, auf die Redezeit zu achten. Auch ich werde besonders auf die Einhaltung der Redezeit achten und dann, wenn über 30 Sekunden überzogen wird, das Mikrofon abschalten. Also, ich bitte Sie, aufgrund unserer langen Tagesordnung heute darauf besonders Ihr Augenmerk zu legen.
Der nächste Redner ist der Kollege Marvi, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es vorhin gehört in der Debatte um das Inflationsausgleichsgesetz, und ich betone es noch einmal: Wir erleben aktuell eine hochdramatische Lage in Deutschland, in der sich viele Bürgerinnen und Bürger, soziale Einrichtungen, kleine und mittelständische Unternehmen und Industriebetriebe mit spürbaren Belastungen infolge des Inflationsschocks konfrontiert sehen. Dazu kommen Sorgen um die Versorgungssicherheit und schlichtweg vor allem darum, wie Energiepreise in den kommenden Monaten überhaupt noch bezahlt werden können und wie Investitionen von Unternehmen unter diesen Rahmenbedingungen gestemmt werden können.
Wie Sie wissen, arbeitet diese Ampelkoalition, die seit ihrem Amtsantritt multiple und gleichzeitig stattfindende Krisenlagen wie kaum eine andere Bundesregierung vor uns bewältigen muss, konsequent gegen die Energiekrise und die wirtschaftlich zugespitzte Situation infolge der Auswirkung der russischen Invasion in der Ukraine. Wir tun das in einem international beachtlichen Ausmaß, mit Entlastungspaketen mit einem Gesamtentlastungsvolumen von über 100 Milliarden Euro. Ich glaube, unser Bundesfinanzminister muss sich im internationalen Konzert nicht verstecken mit dem, was wir hier in Deutschland vorangebracht haben und wovon gerade Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen, die Working Class, direkt profitieren.
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Jetzt geht es um Zusammenhalt in Deutschland, um eine solidarische Bewältigung dieser tiefgreifenden Krise. Ja, wir sind in einer sozialen Marktwirtschaft für Unternehmen, die mit Leistung, die mit Anstrengung, die mit Pioniergeist, die mit Innovation Gewinne machen. Wir sind stolz, dass ein Unternehmen wie BioNTech – made in Germany – den Impfstoff als wichtigste Waffe gegen Corona auf den Markt gebracht hat und damit auch hohe Gewinne erzielt hat, die es im Übrigen wieder reinvestiert in Spitzenforschung. Was wir aber in dieser Lage so gar nicht gebrauchen können, sind Energiekonzerne, die nicht wegen außerordentlicher Innovation und Leistung, sondern aus dem Zufall dieser Krise heraus sich im wahrsten Sinne des Wortes die Taschen vollmachen auf Kosten der Allgemeinheit.
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Was sich in diesem Marktgeschehen zum Teil vollzieht, lässt Anstand vermissen, ist unsolidarisch und bricht mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft von Ludwig Erhard.
Wir haben uns als Sozialdemokratie seit Monaten dafür starkgemacht, sektoral Krisengewinne von Energiekonzernen abzuschöpfen, um damit weitere strukturelle Entlastungen im Energiemarkt für die Bevölkerung zu finanzieren. Das ist eine Erkenntnis – wir haben es gehört –, die in Europa schon weit um sich gegriffen hat: in Italien, in Spanien, in Griechenland, ja sogar in dem von den konservativen Tories regierten Vereinigten Königreich. Ich finde, es macht keinen Sinn, sich jetzt an Länderbeispielen festzubeißen und zu sagen: Genau so würden wir es nicht haben wollen, und deswegen stellen wir uns dieser Debatte überhaupt nicht mehr. – Ich bin außerordentlich froh, dass wir die gemeinsame Linie in der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP hinbekommen haben,
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Zufallsgewinne von Energieunternehmen abzuschöpfen, die vor dem Hintergrund des Merit-Order-Systems große Gewinne machen, weil sie kein teures Gas einkaufen und ihren Strom zu höheren Preisen verkaufen können. Wir wollen systemisch – was höchst notwendig ist – über die Strompreisbremse in den Strommarkt eingreifen.
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Wir sehen uns durch die Pläne der Europäischen Kommission, von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen – die Ihnen von der Union bestens bekannt ist – bestärkt, die im Rahmen des Notfallmechanismus an Krisengewinne im Strombereich und auch im fossilen Sektor, also Erdgas, Erdöl und Kohle, heranwill, sowie durch die gerade in vielen europäischen Staaten stattfindende Diskussion um die damit zusammenhängende Deckelung der Energiepreise. Dabei sieht die Kommission in ihrem offiziellen Statement allein im Strombereich für die Mitgliedstaaten die Chance auf Sondereinnahmen von bis zu 117 Milliarden Euro und im fossilen Sektor von bis zu 25 Milliarden Euro – Geld, das in den Haushalten dringend zur Krisenbewältigung gebraucht wird.
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Wir sind jetzt in einer absolut entscheidenden Phase für unser Land. Jetzt müssen zügig systematisch saubere Konzepte abgestimmt werden, wie mit Krisengewinnen von Energieunternehmen und Marktinvestitionen des Staates strukturelle Entlastungen bei den Energiepreisen für die Bürgerinnen und Bürger und die Betriebe finanziert werden. Das ist nicht völlig trivial. Dennoch müssen wir diese Maßnahmen schnell in Gang bringen. Wir sind zuversichtlich, dass das in Europa und bei uns gelingen wird, und es muss gelingen.
„You’ll never walk alone“: Wir wollen und werden diese Krise solidarisch meistern. Niemand soll angesichts der deutlich gestiegenen Energiekosten in diesem Winter im Stich gelassen werden. Wir danken der Linken, dass wir über ihren Antrag die Gelegenheit bekommen, diese Punkte heute einmal auszuführen. Aber des Antrags hätte es aus Sicht der Ampelkoalition gar nicht bedurft; denn wir haben längst eine Strategie.
Vielen Dank.
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Albrecht Glaser hat das Wort für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten einen Antrag der Fraktion Die Linke, die damit „außerordentliche Krisengewinne von Energiekonzernen“ abschöpfen will. Das ist ein Steckenpferd der Linken. Im letzten Jahr haben Sie die Abschöpfung von Extraprofiten – von „Krisengewinnen“, wie Sie formuliert haben – bei Amazon erreichen wollen.
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Sie wollten auch damals angebliche Übergewinne, die in der Pandemie entstanden seien – bei wem und in welchem Segment auch immer –, abschöpfen.
Wir haben in diesem Jahr, meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Staatsquote von über 50 Prozent – die höchste in der Geschichte der Bundesrepublik. Man kann den Privatsektor, wenn man will, so schmal machen, dass er den Staatssektor nicht mehr ernähren kann. In sozialistischen Systemen ist dies Standard und hat Folgen, die uns allen bekannt sind.
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Der vorliegende Antrag wurde von allen Fraktionen im Finanzausschuss abgelehnt, allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Im Antrag bezieht sich Die Linke auf die Übergewinnsteuer, die in Italien einmalig für ungefähr ein halbes Jahr eingeführt worden war. Sie wird dort erhoben auf den Anstieg des Saldos der Ausgangsumsätze und der Eingangsumsätze. Ich hoffe, dass Ihnen allen klar ist, dass diese Größe mit Gewinn nichts zu tun hat.
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Sie ist lediglich die Differenz zwischen Umsatz und Wareneinsatz und vernachlässigt sämtliche anderen Komponenten der Gewinnermittlung: Personalkosten, Finanzierungskosten, Abschreibungen, Kosten für Forschung und Entwicklung, Abgaben, Gebühren und vieles andere mehr. Die italienische Übergewinnsteuer ist also eine Überumsatzsteuer und damit unsystematisch und völlig willkürlich.
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Sie wird im Übrigen in Italien zahlreich beklagt, und sie wird diese Klagen wahrscheinlich nicht überleben.
Die Energiepreise sind tatsächlich explodiert, und wir laufen Gefahr, dass Strom und Gas als das Lebenselixier unserer Industriegesellschaft und eines zivilisierten Lebens im besten Deutschland, das es je gab, nicht mehr bezahlt werden können. Das liegt jedoch in erster Linie an der seit vielen Jahren vollkommen verkorksten Energiepolitik. Da gibt es ja eine seltsame Übereinstimmung mit den Linken; bloß haben wir völlig andere Vorstellungen von einer verkorksten Energiepolitik.
Neben der Gewährleistung äußerer und innerer Sicherheit gibt es nichts Elementareres für einen funktionierenden Staat als die Energieversorgung zu auskömmlichen Preisen. Die sechs Atomkraftwerke, die 2021 noch in Betrieb waren, produzieren 20 Prozent mehr Strom als alle Photovoltaikanlagen in Deutschland zusammen, und das nicht nur ab und zu und bei gutem Wetter, nachmittags um zwölf, sondern Tag und Nacht und im Sommer und im Winter.
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Diese Regierung wird nicht umhinkommen, irgendwann den grünen Elefanten durch das Nadelöhr der Kernkraft zu schieben, wenn sie dieses Land nicht vollends in den Ruin treiben will.
Die pazifistische Lebenslüge, meine sehr verehrten Damen und Herren, wurde spätestens in Afghanistan und in der Ukraine zerstört. Die energetische Lebenslüge wird durch den ersten Blackout in Deutschland zerstört werden. Das Realitätsprinzip wird sich, wenn auch unter Schmerzen und auf Kosten der Bevölkerung, irgendwann auf allen politischen Feldern durchsetzen. Wir von der AfD arbeiten daran.
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Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Katharina Beck.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Seit wir diesen Antrag vor vier Monaten diskutiert haben, ist wahrlich viel passiert. Doch einige Dinge haben sich nicht verändert: Wir haben weiterhin eine sehr hohe Inflation, größtenteils aufgrund importierter Energiekosten, und wir haben auch weiterhin sehr hohe Gewinne in der Energiewirtschaft. Ich habe es beim letzten Mal schon gesagt: Gewinne von Unternehmen gehören ganz natürlich zu unserer Marktwirtschaft; denn sie sind ein Motor für Ideengenerierung, Experimentierfreude und Innovation für die Zukunftssicherung unseres Landes. Wichtig ist jedoch, dass Gewinne auf funktionierenden Märkten fair erwirtschaftet werden. Dafür braucht es Wettbewerb und gute Rahmenbedingungen.
Was passiert, wenn Märkte dysfunktional werden, haben wir in den letzten Monaten schmerzlich an den Energiemärkten gesehen. Wir haben es aber mit zwei grundsätzlich unterschiedlichen Arten von hohen Gewinnen im Energiebereich zu tun, die ich der Klarheit der Debatte wegen noch einmal kurz skizzieren möchte:
Erstens haben wir die Übergewinne von Mineralölkonzernen. Und ja, „Übergewinne“ kann man sehr gut definieren: Erstens fallen sie in einer Krise an, zweitens sind sie überhoch im Vergleich zum Vorjahreszeitraum,
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und drittens sind sie leistungslos. Sie sind im Mineralölbereich Ergebnis eines dysfunktionalen Marktes aufgrund einer großen Marktmacht von wenigen Anbietern. Der Wettbewerb ist dort gestört. Aufgrund dieser hohen Marktmacht war es den Konzernen möglich, die Preise aktiv über die gestiegenen Rohölkosten hinaus anzuheben und somit ihre Gewinnmarge deutlich zu erhöhen. Auch heute noch ist die Marge beim Dieselpreis um 50 Prozent höher als vor der Krise, und das ohne eine substanzielle Veränderung der Nachfrage. Das ist leistungslos.
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Ein Beispiel: Shell hat seinen Gewinn im ersten Halbjahr 2022 auf 25 Milliarden Dollar gesteigert, ein Plus von 180 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der wichtigste Aspekt daran ist: Es sind die Bürgerinnen und Bürger, die unter dieser Marktsituation, diesen Übergewinnen und den daraus folgenden krassen Preissteigerungen leiden.
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Der zweite Punkt betrifft den Strommarkt. Anders als bei den aktiv erzielten Übergewinnen auf dem Mineralölmarkt sind die hohen Gewinne hier durch die durch Putins Gaspolitik gestörte Preisbildung am Strommarkt entstanden und kamen daher für die Stromunternehmen tatsächlich eher zufällig zustande. So bleibt allein für Stromerzeuger in den Bereichen Atomenergie und Erneuerbare unter dem Strich ein geschätzter jährlicher Zufallsgewinn von circa 50 Milliarden Euro in Deutschland. Diese hohen Zufallsgewinne schlagen auch bei den deutschen Energiekonzernen deutlich zu Buche und haben wiederum einen sehr negativen Effekt für die Bürgerinnen und Bürger, die die hohen Preise zahlen müssen. Da gehen wir mit unserem Entlastungspaket ganz aktiv ran.
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Die Lösung dieser zwei sehr unterschiedlichen Probleme erfordert, anders als in diesem Antrag hier vorgesehen, auch unterschiedliche Maßnahmen. Die richtigen Maßnahmen wurden sowohl von unserer Regierung im Entlastungspaket als auch auf EU‑Ebene mit dem historischen Vorschlag vom 14. September angestoßen. Zur Lösung des Problems mit Zufallsgewinnen auf dem Strommarkt sind die beschlossene Zufallsgewinnabschöpfung, aber auch die Strompreisbremse kurzfristig die richtigen Schritte – am besten einheitlich auf EU-Ebene. Langfristig hilft uns hier aber vor allem der konsequente Ausbau der erneuerbaren Energien; denn sie sind die mit Abstand günstigsten, die wir haben.
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Die durch dysfunktionale Märkte ermöglichten Übergewinne am Mineralölmarkt liegen, wie gesagt, am Oligopol und an dem mangelnden Wettbewerb. Daher ist es richtig, hier endlich das Kartellrecht zu verschärfen. Ich danke dem BMWK und den beteiligten Kolleginnen und Kollegen hier für den guten Gesetzentwurf dazu.
Um rückwirkend seit Kriegsausbruch und bis zum Inkrafttreten eines wirkungsvolleren Kartellrechts die Übergewinne im Mineralölbereich abzuschöpfen, hat die Europäische Kommission die Einführung eines Solidarbeitrags beschlossen – ein wahrlich historischer Schritt! Doch damit diese Abgabe – 25 Milliarden Euro können dabei vielleicht erhoben werden – tatsächlich für die Krisenbewältigung genutzt werden kann, muss eine wesentliche Schwachstelle behoben werden – jetzt wird es technisch –: Es geht um die Bemessungsgrundlage. Diese sollte bei den adressierten internationalen Konzernen definitiv nicht die zu versteuernden Einkünfte sein; denn die in der EU erwirtschafteten Gewinne der Mineralölkonzerne werden größtenteils durch Steuergestaltung ins Ausland verschoben.
Schauen wir uns noch einmal das Beispiel Shell an. Während die Gewinnmarge des Öl- und Gaskonzerns in der EU für 2020 im Ganzen als negativ ausgewiesen ist, liegt sie allein für die Schweiz bei circa 50 Prozent. Das zeigt: Dort fallen zwar kaum Umsätze an; dennoch werden hohe Gewinne durch die Verlagerung aus anderen Ländern ausgewiesen. Die Solidaritätsabgabe könnte also großflächig umgangen werden, und das gilt es zu verhindern.
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Deswegen sollten wir einen umsatzbasierten Gewinnproxy verwenden, der den Gewinn auf der Basis von Eingangs- und Ausgangsumsätzen approximiert. Das ist fast genauso genau, und gleichzeitig können Umsätze – anders als Gewinne – nicht in andere Länder verlagert werden.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Aber es geht hier nicht um eine Umsatzbesteuerung, wie hier fälschlicherweise gesagt wird, sondern um eine Gewinnbesteuerung auf Basis der Umsatzsteuervoranmeldungen,
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und die sind leicht und unbürokratisch zu erheben.
Frau Beck, letzter Satz.
Diese historische Solidaritätsabgabe sollte gut gemacht werden, damit sie kein zahnloser Tiger wird.
Herzlichen Dank.
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Für Die Linke hat das Wort Christian Görke.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin schon etwas erstaunt. Wie auch vor vier Monaten, liebe Kollegin Beck, haben Sie heute einen argumentativen Rittberger hingelegt, warum die Abschöpfung von Übergewinnen aus diesem oder jenem Grund angeblich nicht richtig funktioniert.
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Mittlerweile, meine Damen und Herren – auch das gehört zur Wahrheit –, haben Sie im dritten Entlastungspaket zumindest eine Fake-Übergewinnsteuer beim Strom anmoderiert. Trotzdem muss die Frage gestattet sein: Woher kommt der Sinneswandel in dieser Koalition, der die FDP, die Grünen und die SPD angehören? Sie sind ja nicht über Nacht Sozialisten geworden; wohl kaum. Ich glaube, Sie haben sich nach der Blockade bei der FDP politisch verrannt, und jetzt sitzt Ihnen das Damoklesschwert der EU-Kommission mit dieser Solidarabgabe für die Öl- und die Gasindustrie, mit der Übergewinne abgeschöpft werden sollen, im Nacken. Das ist die Wahrheit.
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Insofern begrüßt meine Fraktion außerordentlich die Pläne der EU-Kommission, die die entsprechenden Leitplanken festgelegt hat. Gott sei Dank, meine Damen und Herren, gibt es bei der Ampel jetzt diese Leitplanken, sonst würde diese Zufallsgewinnabgabe,
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die konzipiert wird, möglicherweise so stümperhaft ausgestaltet wie die Gasumlage, die wir vorhin zum Thema hatten, oder die Abschöpfung würde noch über Monate hinausgezögert werden, bis die diesjährigen Übergewinne vielleicht sogar verjährt wären.
Wir sagen ganz deutlich: Das sind richtige Vorschläge. Warum sage ich das so klar? Weil Sie es in den letzten Monaten nicht ehrlich gemeint haben,
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Sie als SPD und auch Sie als Grüne. Denn vor fast einem halben Jahr hat Italien die Übergewinnsteuer über die Umsatzbesteuerung angekündigt und umgesetzt. Lieber Kollege Güntzler, selbst im konservativen Großbritannien unter Boris Johnson ist die Übergewinnsteuer – Stichwort „Steuerrecht“ – für Energie- und Mineralölunternehmen auf 25 Prozent festgesetzt worden, gepaart mit einer Abschreibung für Investitionen bei den Erneuerbaren; durchaus ein vernünftiger Vorschlag, darüber sollte man nachdenken.
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Sie, meine Damen und Herren von der Koalition – speziell Sie von den Grünen und den Sozialdemokraten –, haben uns über den Sommer mit blumigen Worten eine Larifari-Unterstützung präsentiert. Bei der FDP gab es Mythen über Mythen; da hat sich heute auch die Union angeschlossen. So der Mythos von Christian Lindner – ich zitiere –: Eine Übergewinnsteuer ist eine Katastrophe für das Investitions- und Innovationsklima in der Bundesrepublik Deutschland. – Das ist ein wirklicher Humbug.
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Oder mein persönliches Highlight – Zitat Christian Lindner –: Er kann keine Gründe für eine Übergewinnsteuer erkennen. Insofern ist es bemerkenswert, dass mit den Übergewinnplänen der EU die FDP und Christian Lindner jetzt sehend gemacht werden.
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Meine Damen und Herren, es freut mich sehr – auch wenn Sie unserem Antrag heute überraschenderweise nicht zustimmen –, dass Sie jetzt indirekt unsere Forderungen aufnehmen und bereit sind, Übergewinne bei Krisenprofiteuren im Energiemarkt anzugehen. Trotzdem dürfte jedem klar sein, dass die in den letzten Jahren stattgefundene finanzielle Umverteilung von unten nach oben mit dieser temporären Übergewinnsteuer bestenfalls abgeschwächt wird.
Die eklatante Schieflage in der Bundesrepublik Deutschland mit sage und schreibe 13 Millionen Menschen – 13 Millionen! –, die in Armut leben, bleibt bestehen. Deshalb bleiben unsere Forderungen nach einer einmaligen Vermögensabgabe für Superreiche und vor allen Dingen nach einer gerechten Steuerreform auf dem Tisch.
Vielen Dank.
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Maximilian Mordhorst, FDP-Fraktion, ist der nächste Redner.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man auf den ganzen Komplex guckt, lohnt es sich, glaube ich, ein bisschen zurückzuschauen. Sie haben gerade Ihre ganzen Umverteilungsinstrumente genannt, mit denen Sie den Mittelstand in Deutschland – eben nicht nur die Reichen, sondern auch den Mittelstand – strukturell kaputtmachen wollen.
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Das ist genau das, was wir nicht wollen. Deswegen werden wir im Hochsteuerland Deutschland weiterhin vorsichtig und zurückhaltend mit Steuern sein. Ihre ganzen Abgaben und Steuern werden in uns immer eine Gegnerschaft finden.
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Ich kann angesichts der Krise verstehen, dass einem das Gerechtigkeitsgefühl sagt: Es kann nicht sein, dass sich einige die Taschen vollmachen aufgrund eines Zufalls, der nun einmal eingetreten ist. – Es ist trotzdem nicht das Richtige – bei allen Widerständen und allen Gefühlen, die dabei eine Rolle spielen –, diesen Gefühlen im Steuerrecht einfach ihren Lauf zu lassen und damit strukturell Dinge zu zerstören und vor allem falsche wirtschaftliche Anreize zu setzen.
Wir haben nicht die gleiche Krise wie bei der Coronapandemie, wo es darum ging, dass wir wirtschaftlich stimulieren mussten, wo auch wir gesagt haben: Die Schuldenbremse muss in diesem Fall pragmatischer betrachtet werden; wir müssen sie aussetzen. – Wir haben es hier mit einem Angebotsschock zu tun, wo neue Steuern, die umverteilt werden und die Nachfrage stimulieren sollen, nur zu mehr Inflation in Deutschland führen und damit den sozialen Kitt in Deutschland weiter zerstören. Bei allen Widerständen, die ich verstehen kann: Aus rationalen Gründen dürfen wir das nicht machen.
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Die Lage ist auch nicht so einfach, wie einige sie darstellen. Wir haben auf der einen Seite einige, bei denen man sagt: „Die machen Übergewinne“, oder wie auch immer man das formulieren will. Ich bin der festen Überzeugung: Es gibt keine Übergewinne; es gibt Gewinne, und die werden in Deutschland schon ziemlich hoch besteuert. Wir haben auf der anderen Seite diejenigen, die in eine Schieflage geraten sind und wo wir darüber reden müssen, wie wir ihnen helfen können, damit wir weiterhin die Energieversorgung sichern.
Wir müssen klar sagen: Das Ganze hat eine Ursache; das ist ja nicht einfach so vom Himmel gefallen. Wir sind in Deutschland in eine zu hohe Abhängigkeit von russischem Gas gekommen, die auch damit zu tun hat, dass Putin von den Rändern dieses Hauses immer wieder protegiert wurde. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass wir nicht dahin zurückgehen, wo wir herkommen. Ich will nicht einfach nur den vorherigen Zustand wiederherstellen, sondern wir müssen, wenn wir über internationalen Handel sprechen, in Zukunft ganz anders agieren.
Ich will weniger mit Russland, weniger mit China machen. Stattdessen will ich mit der EU, mit den USA, mit Japan, mit Australien, vielleicht sogar mit Indien, mit aufstrebenden Staaten in Afrika, vor allem mit Israel, mit aufstrebenden Staaten in Südamerika zusammenarbeiten. Das sind unsere Partner in der Welt und nicht die Autokraten, die im Zweifel die Wirtschaft und den Wohlstand ihres Volkes sowieso hinter ihre persönlichen militärischen Ideen stellen. Denjenigen will ich nicht länger zur Hand gehen, sondern wir müssen in Zukunft unseren Handel auf der Welt überdenken.
Ich hoffe sehr, dass wir gerade von der Linkspartei, die in ihrer Fraktion sehr engen Kontakt zu den Autokraten dieser Welt pflegt, dabei zukünftig Unterstützung bekommen.
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– Entschuldigung; dass man so rumschreien kann nach einer Rede von Sahra Wagenknecht, die wirklich eine Schande für dieses gesamte Haus war, finde ich mindestens interessant.
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Wir können so nicht weitermachen. Ich hoffe sehr auf die Unterstützung aus der Linkspartei, dass Werte in Zukunft eine größere Rolle bei internationalem Handel spielen, als sie es bisher getan haben,
({5})
und dass Sie Ihre Kollegen in der Fraktion wieder zur Mäßigung aufrufen, die Russland in der Vergangenheit protegiert haben.
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Alles in allem – es wurde erwähnt –: Wir werden Zufallsgewinne, insbesondere auf europäischer Ebene, angehen. Das ist sinnvoll, gerade beim Strommarkt. Aber bitte nicht diese Gefühligkeit im Steuerrecht! Sie richten damit mehr Schaden an, als Sie glauben.
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Für die CDU/CSU hat das Wort Johannes Steiniger.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Linkspartei ist schon etwas länger in diesem Haus. Er gibt uns aber heute die Möglichkeit, dass wir über dieses wirklich drängende Thema der Energiepreise hier noch mal miteinander diskutieren können.
Die hohen Energiepreise sind auf der Sorgenliste der Deutschen auf Platz eins. Aber ich glaube, sie sind noch nicht wirklich angekommen. Denn die Sorgen, die wir derzeit erleben, sind – jedenfalls in meinen Gesprächen im Wahlkreis – noch eher virtuell. Sie werden aber ganz real werden, wenn in den nächsten Wochen und Monaten die Briefe zu den Nachzahlungen, zu den höheren Abschlagszahlungen in die Haushalte reinflattern.
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Deswegen ist es gut, dass wir heute hier darüber diskutieren.
Aber ich ärgere mich wirklich, dass diese Ampelregierung den Sommer schlichtweg verdaddelt hat. All das, was im Koalitionsausschuss jetzt vor wenigen Tagen von Ihnen beschlossen wurde, hätte im Grunde genommen im Juni/Juli beschlossen werden können. Dann hätten wir in Sondersitzungen im Deutschen Bundestag entsprechende Gesetze beschließen können. Und die ganzen Kommissionen, die Gaspreise regulieren und Strompreise deckeln sollen, hätten schon tagen können. Dann hätten wir jetzt schon die Entlastung, und wir würden nicht für so viele Sorgen bei den Bürgerinnen und Bürgern sorgen.
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– Weil hier von der SPD-Fraktion „Quatsch“ gesagt wird: Wir haben es Ihnen angeboten. Wir als CDU/CSU haben Ihnen angeboten, dass wir Sondersitzungen des Deutschen Bundestages in der Sommerpause machen.
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Wann wäre es denn angemessener gewesen als in diesem Sommer, in der Situation der größten Energie- und Inflationskrise seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland?
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In dem Antrag geht es der Linkspartei um sogenannte Übergewinne und dass man eine Übergewinnsteuer wie in Italien einführen soll, nicht wie in UK, wie Kollege Görke eben gesagt hat. Ich verstehe auch, dass man der Versuchung nicht widerstehen kann, dieses Gerechtigkeitsgefühl zu bedienen, weil es eine populäre Forderung ist. Aber es gibt dabei unglaublich viele Probleme.
Das Thema „verfassungsrechtliche Bedenken“. Wir haben kein allgemeines Steuerfindungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben beim Thema Kernbrennstoffsteuer gesehen, dass das Verfassungsgericht eine Regelung gern auch einfach mal wieder kippt und wir als Bund nachzahlen müssen; das wollen wir nicht. Wir haben den Gleichbehandlungsgrundsatz in Artikel 3 Grundgesetz und viele andere Punkte. Also, aus verfassungsrechtlichen Gründen ist so eine Steuer wirklich sehr, sehr schwer umzusetzen.
Dann die Frage: Welche Unternehmen sind es eigentlich? Wer ist denn jetzt der Krisengewinner? Sie sprechen hier von Energiekonzernen. Was ist mit den Rüstungskonzernen, die jetzt durch die 100 Milliarden Euro profitieren?
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Wie ist es denn eigentlich mit unseren Pharmaunternehmen wie BioNTech, die den Impfstoff zur Verfügung gestellt haben?
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Was ist eigentlich, wenn wir jetzt eine Übergewinnsteuer einführen, und in drei, vier, fünf, sechs Jahren kommt die nächste Krise? Dann sind die Nächsten dran. Sie zerstören mit einem solchen Antrag die Planungssicherheit von Unternehmen; auch deswegen sind wir gegen eine solche Übergewinnsteuer.
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Dann wurde schon erwähnt: Der Sitz dieser Unternehmen ist gar nicht in Deutschland; sie liegen woanders. Wie soll das in Deutschland gemacht werden? Wir haben Profiteure, insbesondere auch im Bereich der erneuerbaren Energien. Durch das berühmte – mittlerweile kennt es jeder – Merit-Order-System haben natürlich diejenigen, die erneuerbare Energien am Netz haben, massiv hohe Gewinne. Aber wir wollen doch gerade, dass sie auch in Zukunft weiter investieren. Wir sollten ihnen jetzt nicht den Gewinn abschöpfen.
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Die Frage ist: Was ist das Referenzjahr? Ist es ein Jahr, oder ist es, wie die Kommission jetzt vorschlägt, der Durchschnitt der letzten Jahre? Wie ist es eigentlich, wenn es in den vorherigen Jahren auch Sondereffekte gibt? Ich meine, wir schlittern gerade von einer Krise in die andere. Wir hatten zwei Jahre Corona, auch mit Sondereffekten auf die Bilanzen von Unternehmen. Wir haben jetzt das Thema Inflation. Wie kann ich das eigentlich miteinander vergleichen? Auch diese Frage bleibt völlig unbeantwortet.
Zum Schluss möchte ich sagen: Es wundert einen ja schon, wenn die Linkspartei einen solchen Antrag hier einbringt. Wir müssen uns doch mal fragen: Wo kommen eigentlich die hohen Energiepreise her? Sie kommen daher, dass Putin einen Angriffskrieg in der Ukraine führt und dass er gegen unser Land, gegen die Europäische Union Gas als Waffe verwendet. Ich fordere Sie auf: Demonstrieren Sie vor der russischen Botschaft, und fordern Sie den russischen Staatspräsidenten auf, das endlich sein zu lassen! Denn dann haben wir auch keine Probleme mit den Energiepreisen in Deutschland.
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– Jetzt kommt das „Oh“. Ich habe gerade eben eine Kachel eines AfD-Kollegen aus einem Landtag auf Facebook gesehen. Er hat groß geschrieben: Links und rechts Seit’ an Seit’ Demonstrationen. Kommt alle Bürger auf die Straße!
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– Natürlich soll jeder demonstrieren; aber gehen Sie vor die russische Botschaft, gehen Sie zum richtigen Adressaten, und demonstrieren Sie bei den Russen, meine sehr geehrten Damen und Herren!
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Alles in allem: Herzlichen Dank für die Gelegenheit, dass wir auch dieses Thema hier noch mal diskutieren durften. Wir werden diesen Antrag ablehnen und dann ganz gespannt auf das schauen, was die Europäische Kommission sich ausdenkt, wie die Abschöpfung von Gewinnen technisch gut laufen kann.
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Herzlichen Dank.
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Für die SPD-Fraktion hat das Wort Bernhard Daldrup.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ja schon des Öfteren über dieses Thema gesprochen. Schon 2021 ging es um die Frage von Abschöpfung von Krisengewinnen. Damals ging es um die Digitalkonzerne. Jetzt wird der Antrag sozusagen auf die Energiekonzerne übertragen.
Als ich beim letzten Mal bei der Einbringung eine gewisse Sympathie für diese Fragestellung gezeigt habe, bin ich von der CDU dafür kritisiert worden, dass so etwas doch gegen das Leistungsprinzip verstoße. Ich will mal sagen: Wenn das so wäre, wäre es ja okay. Aber darum geht es ja gerade nicht; es geht ja um Übergewinne, die sozusagen leistungslos entstehen.
({0})
Da müssten sich meiner Meinung nach auch die Gralshüter der Marktwirtschaft – das ist ja die CDU –
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– Fritz Güntzler hat recht: der sozialen Marktwirtschaft – ab und zu bewegen. Im Notfall ist es ja auch eine Partei, die sogar bei der HypoVereinsbank, bei der Commerzbank oder bei der Lufthansa weitgehend noch nicht mal vor Verstaatlichungen zurückschreckt, und wir sind im Finanzausschuss gerade dafür kritisiert worden, dass die Verstaatlichung bei Uniper nicht schnell genug gehe. Also, es gibt noch Bewegungsspielraum,
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und ich kenne Fritz Güntzler als einen lernfähigen Kollegen; vielleicht kriegen wir ja noch einen Konsens hin.
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Ich finde übrigens auch wichtig: Der Bundesfinanzminister hat an anderer Stelle davon gesprochen, dass die Windenergien in der neuen Situation Freiheitsenergien seien. Ich sage das ganz respektvoll und anerkennend. Das ist ein Schritt. Lieber Christian Lindner, Sie sagen: Der Abbau der kalten Progression beispielsweise sei für Sie eine Angelegenheit von Anstand und Fairness. Ich finde das zutreffend. Aber bei den Übergewinnen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es mindestens eine Frage des Anstandes und der Fairness, dass wir hier dafür sorgen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher diese Form der Profitmaximierung nicht bezahlen müssen.
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Deswegen – lieber Kollege Mordhorst, das muss ich schon sagen dürfen – haben wir im Koalitionspapier auch festgelegt, dass der europäische Vorschlag, von dem eben schon mehrfach gesprochen worden ist, zur Abschöpfung von Zufallsgewinnen für Unternehmen eben auch unsere Unterstützung findet.
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– Das steht da drin, können Sie nachlesen. – Wenn das auf der europäischen Ebene nicht gelingt, wird es national gemacht; das trägt seine Unterschrift.
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– Doch, doch, das ist schon so! Das trägt die Unterschrift, und das werden wir auch machen.
Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, wir versuchen, uns den Herausforderungen der Übergewinne zu stellen.
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Da der Kollege Görke ja gesagt hat, der europäische Vorschlag sei noch besser als der italienische, nehme ich an, dass Sie heute Ihrem eigenen Vorschlag nicht zustimmen werden, sondern vielleicht auch in Richtung Europa gehen; denn das wollen wir auch.
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Es ist ja schon darauf hingewiesen worden, dass wir beim Strommarktdesign etwas ändern müssen. Fritz Güntzler und andere haben auf das Thema „Merit Order“ hingewiesen; das muss ich hier nicht wiederholen. Aber ich glaube schon, dass es notwendig ist, dass wir zu einer Form von Lastenausgleich kommen. Dazu hat die EU Vorschläge gemacht; 140 Milliarden sind da im Gespräch. Wir wollen diesen Weg unterstützen. Die Frage der Erlösobergrenzen, übrigens auch die Frage der europäischen Solidarität – das ist durchaus wichtig zwischen den einzelnen Ländern – oder der verpflichtende Beitrag auf Gewinne 2022, die 20 Prozent über dem Durchschnitt der letzten drei Jahre lagen: Das sind alles ganz praktikable Vorschläge, wie ich glaube, um auf diese Art und Weise Verbraucherinnen und Verbraucher von der Kostenexplosion der Energiepreise zu entlasten. Das ist wichtig.
Es ist auch, glaube ich, wichtig, dass die Mitgliedstaaten positiv zu diesem Kommissionsvorschlag stehen – die Energieminister, glaube ich, sehr positiv. Ich hoffe sehr, dass wir mit der Unterstützung des Bundesfinanzministers – die ist nämlich zwingend erforderlich – diesen Prozess tatsächlich auch zum Erfolg bringen und wir auf diese Art und Weise zu einer besseren, sozial gerechteren und verträglicheren Energiepolitik für die Bürgerinnen und Bürger kommen, ohne sozusagen Rückfallpositionen der Vergangenheit reaktivieren zu müssen.
Herzlichen Dank.
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Für die AfD-Fraktion hat das Wort Jan Wenzel Schmidt.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Schon im Mai sprach ich hier über die Problematiken des Merit-Order-Prinzips und den routinierten Griff der SED-Nachfolgepartei in die sozialistische Mottenkiste. Schon damals forderten Sie, die Genossen von der Linken, die Abschöpfung von sogenannten Übergewinnen. Was damals Krisengewinnler war, ist heute Übergewinnler. Sie stellen richtig fest, dass Unternehmen kurzfristig von der selbstmörderischen Sanktionspolitik der Bundesregierung profitieren. Doch wäre es ein fatales Signal an unsere soziale Marktwirtschaft, wenn sich der Staat dadurch entstehende Gewinne aneignen würde.
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Ihre Wortneuschöpfung „Übergewinn“ versucht krampfhaft, diese unerwarteten Gewinne, die durch die gleichermaßen unerwartet rücksichtslose Energiepolitik der Ampel verursacht wurden, in ein legitimes Ziel staatlicher Besteuerung umzudeuten. So weit mein Exkurs in das hier vorgeschlagene sozialistische Raubrittertum.
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Doch wie kommen diese Übergewinne tatsächlich zustande? Natürlich leistet das Merit-Order-Prinzip seinen Beitrag. Hierdurch erhalten an der Börse alle Kraftwerke für ihren Strom den Preis, den das teuerste Kraftwerk verlangt. Bislang funktionierte dieses System allerdings aus einem einzigen Grund: Wir bezogen günstiges Gas aus Russland, nicht etwa über Umwege und verteuert aus anderen Teilen der Welt, fernab von zweifelhaften Doppelmoralappellen, die für aserbaidschanische Angriffskriege nicht gelten.
Der Preis war stabil und beide Partner zuverlässig,
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so zuverlässig, dass man entgegen dem eindringlichen Warnen aus den USA eine zweite Pipeline durch die Ostsee baute. Mit den hiesigen Gaskraftwerken hatte man eine Alternative zu den überstürzt vom Netz genommenen Kernkraftwerken geschaffen. So blieb die Netzstabilität erhalten – trotz des erzwungenen Ausbaus erneuerbarer Energien, die logisch nachvollziehbar nichts dazu beitragen.
Günstig produzierter Strom aus günstigem russischen Gas war also ein wichtiger Aspekt bei der Sicherstellung bezahlbarer Strompreise. Die Bundesregierung hat diesen Aspekt gestrichen. Gas ist heute unbezahlbar, unsere Gaskraftwerke sind daher zuallererst Kostentreiber und in Kürze vollkommen nutzlos.
Aus all dem folgen zwei Forderungen:
Erstens müssen die Laufzeiten vorhandener Kernkraftwerke verlängert und auch der Bau neuer moderner und sicherer Kernkraftwerke endlich in Erwägung gezogen werden.
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Zweitens ist eine Übergewinnsteuer für Unternehmen, die lediglich unerwarteterweise von der Rücksichtslosigkeit der Bundesregierung profitiert haben, abzulehnen. Die Gewinne aus einer solchen Steuer würden keinen einzigen Bürger entlasten, sondern nur die Staatskasse füllen. Und das Geld ist überall besser aufgehoben als bei dieser Bundesregierung.
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Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Dieter Janecek.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Fritz Güntzler, lieber Herr Steiniger, die Tatsache, dass große Energiekonzerne eine Übergewinnsteuer beklagen, ist kein Beleg für die Rechtsunsicherheit, sondern ein Beleg dafür, dass diese Steuer eine wirksame Steuer auf Übergewinne ist. So muss man das einordnen.
({0})
Wir sind uns in der Koalition einig, dass wir Zufallsgewinne im Strommarkt abschöpfen wollen. Deswegen fahren wir jetzt mit dieser gemeinsamen Position zum EU-Energieministerrat. Wenn der Markt dysfunktional ist und die Produktion von Strom, sei es bei den Erneuerbaren, sei es bei Atomkraftwerken, sei es bei Kohlekraftwerken, bei 50, 60 oder 70 Euro und der Preis bei 300 Euro pro Megawattstunde liegt, dann haben wir ein Problem. Dann können wir uns nicht hinstellen und sagen: Das ist uns egal.
Das heißt, wir wollen dieses Problem angehen und für sinkende Preise sorgen. Deswegen ist ein Eingriff in dieser Krisensituation notwendig, um diese Zufallsgewinne an die Konsumentinnen und Konsumenten, an die Unternehmen zurückzuführen, damit diese wieder mit günstigeren Preisen wirtschaften können. Das ist unbedingt notwendig.
({1})
Im Übrigen ist das Anliegen, das Die Linke mit der Übergewinnsteuer formuliert, ein Thema, das die Europäische Kommission jetzt sehr deutlich adressiert, sogar mit einem höheren Steuersatz, als Sie es vorgeschlagen haben, nämlich 33 Prozent auf Öl und Gas.
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– Da sehen Sie mal.
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Die Frage ist nur auf Deutschland konzentriert. In Deutschland haben wir keine private Gasindustrie im Einkäufermarkt, die momentan Rendite schreibt. Also, wen sollten wir als Bundesrepublik Deutschland besteuern, wenn Uniper in unserem eigenen Besitz ist? Deswegen wird das eine Frage der europäischen Solidarität sein.
Ich bin ganz bei meiner Kollegin Katharina Beck, die aber durchaus formuliert, im Mineralölmarkt wäre das eine Option, auf die wir uns in der Koalition leider noch nicht geeinigt haben, aber auf der europäischen Ebene ist es im Sinne der Gerechtigkeit zumindest eine Möglichkeit, das anzugehen und zu sagen: Das machen wir, weil die Preise für die fossilen Energien uns jetzt in die Krise getrieben haben. Grund übrigens, liebe AfD – was heißt „liebe“? nicht „liebe AfD“ –, ist der russische Angriffskrieg auf die Ukraine
({4})
und nicht das Handeln der Bundesregierung.
({5})
Das ist die Problematik, die wir vorfinden. Deswegen müssen wir jetzt auch ungerechte Zufallsgewinne einbeziehen.
({6})
Wir können doch nicht die Leute im Regen stehen lassen und sagen: Es ist super, dass Shell und Exxon ein paar Milliarden mehr Gewinn machen, damit Sie sagen können: Daran ist die Bundesregierung schuld.
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Was ist denn das für eine Politik?
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Am Ende geht es doch jetzt darum, dass wir es schaffen, die Preise runterzukriegen. Dabei werden uns nicht alleine Übergewinnsteuern und Zufallsabschöpfungen helfen, sondern es geht auch darum, das Angebot auszuweiten, also zum Beispiel bei Gas auf dem Einkäufermarkt einen Preis-Cap gegenüber Russland, aber künftig auch gegenüber anderen Produzenten von Gas einzuführen. Es geht darum, auf dem Strommarkt dafür zu sorgen, dass das Angebot auf der einen Seite da ist – es ist auch ausreichend da –, aber auf der anderen Seite die Zufallsgewinne abgeschöpft werden, –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– also summa summarum dafür zu sorgen, dass wir im nächsten Jahr mit niedrigeren Preisen rechnen können, damit wir aus der Krise wieder rauskommen.
Vielen Dank.
({0})
Für die CDU/CSU hat das Wort der Kollege Alois Rainer.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gleicher Antrag, gleicher Umstand, gleiches Ergebnis wie schon vor einigen Wochen. Geschätzte Kolleginnen und Kollegen der Linken, noch immer sind Sie keinen Schritt weiter. Wenn Sie das Nachrichtengeschehen dieser Woche verfolgt haben, dann merken Sie, dass Ihre Forderung nach einer Übergewinnsteuer langsam an Zustimmung verliert und auf dem Boden der Realität ankommt.
Selbst das Finanzministerium hält sich mit konkreten Aussagen zur Umsetzung einer Übergewinnsteuer zurück. Auch in der SPD relativiert man die Übergewinnsteuer hin zu einer spezifischen Abgabe auf Zufallsgewinne bei Energieunternehmen auf dem Strommarkt, wenn ich das jetzt richtig gehört habe.
Meine Damen und Herren, vielleicht kommt so langsam die Einsicht, dass die Bemessungsgrundlage, die heute schon angesprochen worden ist, für die Abgabe auf solche Zufallsgewinne vollkommen willkürlich und unzureichend gestaltet ist.
({0})
Das betrifft sowohl das Referenzjahr als auch die infragekommenden Unternehmen. Wer garantiert Ihnen denn, dass die Unternehmen nicht ausgerechnet in den Jahren, die der Bemessung zugrunde liegen sollen, große Investitionen getätigt haben und sich damit nicht das von Ihnen erwartete Plus in der Bilanz abzeichnet?
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Lieber geschätzter Kollege Görke, Sie sprachen vorhin von Großbritannien. Und in Ihrem Antrag geht es ja auch um die Abschöpfung von Übergewinnen bei Öl und Gas. Wenn man sich die Preise an den Zapfsäulen in London anschaut, dann ist festzustellen: Die Preise beim Diesel sind momentan bei 2,30 Euro und bei Super bleifrei bei 2,18 Euro. Was bringt die Übergewinnsteuer in Großbritannien an der Zapfsäule für all diejenigen, die jeden Tag zur Arbeit pendeln müssen?
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– Ja, das mag sein. Aber, Herr Kollege Görke, Sie vergleichen Äpfel mit Birnen, wenn Sie sagen: In Großbritannien hat das funktioniert. – Da hat es eben nicht funktioniert.
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Was Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, erreichen werden, ist ein massiver Vertrauensverlust der Unternehmen. Sie verkennen vollkommen die Risiken einer solchen Übergewinnsteuer. Wenn Sie die Unternehmen bestrafen wollen, die durch Energie hohe Gewinne einfahren, dann erfassen Sie damit eventuell auch die Erzeuger von erneuerbaren und regenerativen Energien. Darin sollten wir uns doch einig sein: Das wollen wir alle miteinander nicht. Das System Übergewinnsteuer schert dann wieder alle nationalen Energieunternehmen über einen Kamm. Das, meine Damen und Herren, wollen wir nicht. Das sollte auch nicht der Sinn sein.
Zudem zeigt die Erfahrung aus anderen Ländern, die vorhin schon angesprochen wurde, dass die Ausweitung einer Übergewinnabgabe, einer Übergewinnsteuer auf weitere Branchen über die Energieerzeuger hinaus weitere Unklarheiten ergibt und vor allem große Fragen zur Rechtmäßigkeit aufwirft. Diese Übergewinnsteuer hat in unseren Augen wenig mit Gerechtigkeit zu tun. Sie ist eher eine rechtliche Gratwanderung.
In Richtung der Bundesregierung: Es wäre wichtiger gewesen, die Finanzierung des Entlastungspaketes zu klären, um dem jetzt entbrannten Streit mit den Bundesländern vorzubeugen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel und auch Vertreter der Bundesregierung, setzen Sie an der richtigen Stelle an! Reformieren Sie das Kartellrecht! Das ist uns schon vor, ich weiß nicht, wie vielen Wochen und Monaten, zugesagt worden.
({4})
Bringen Sie die Reform des Merit-Order-Prinzips auf der europäischen Ebene endlich schneller voran! Dann können Sie die Probleme an der Wurzel packen, anstatt die Symptome durch schlecht durchdachte Umverteilungspolitik dauerhaft lindern zu wollen.
Danke schön.
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Für die SPD-Fraktion hat das Wort Armand Zorn.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine sind wir alle auf eine ganz besondere Art und Weise gefordert – viele von uns auf einer persönlichen Ebene, aber auch wir insgesamt als Gesellschaft.
Deswegen haben wir als Ampelkoalition drei Entlastungspakete auf den Weg gebracht, um Bürgerinnen und Bürger in dieser Situation zu entlasten. Bei den Entlastungspaketen I und II ging es hauptsächlich darum, schnell und präzise die Auswirkungen der Inflation abzufedern. Viele dieser beschlossenen Maßnahmen sind gerade auf dem Weg und kommen bei vielen Menschen an, und bei ihnen macht sich da ein spürbarer Unterschied bemerkbar.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist aber auch klar, dass wir der Inflation und ihren Auswirkungen nicht mit Einmalzahlungen und mit Pauschalen begegnen können. Vielmehr wurde auch klar, dass es auch strukturelle Eingriffe braucht, dass es strukturelle Maßnahmen braucht, um dafür zu sorgen, dass wir Bürgerinnen und Bürger, dass wir Unternehmen, vor allem kleine und mittelständische, aber auch soziale Einrichtungen unterstützen können.
Deswegen war es so wichtig, dass wir im dritten Entlastungspaket einen Eingriff in den Strommarkt beschlossen haben. Wir haben uns als Ampelkoalition hier deutlich positioniert und klargemacht, dass wir übermäßige Gewinne, Zufallsgewinne abschöpfen und eine Strompreisbremse einführen werden. Deswegen kann ich schon sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke: Ihr Antrag ist inzwischen überflüssig.
Sogar auf europäischer Ebene gibt es Vorschläge. Ich begrüße den Vorschlag der Europäischen Kommission; denn wenn man sich die Funktionsweise des europäischen Strommarktes anschaut, dann zeigt sich, wie wichtig und wie sinnvoll es ist, die Abschöpfung der Zufallsgewinne gemeinschaftlich auf EU‑Ebene zu gestalten. Denn auf diese Art und Weise wird sichergestellt, dass Unternehmen, die durch die Krise hohe Gewinne, unverhoffte Gewinne erzielt haben, eine Abgabe leisten, die unabhängig vom Steuersitz sein wird.
({1})
Das heißt: Der Wille ist da, die politische Einigung ist da. Sowohl innerhalb der Ampelkoalition als auch auf europäischer Ebene gibt es gute Signale. Es geht hauptsächlich nur noch um die Frage, wie wir das umsetzen, und wir setzen uns dafür ein, dass es möglichst schnell
({2})
– ja –, aber auch unbürokratisch, klar und vor allem rechtssicher auf den Weg kommt. Die Botschaft ist aber klar: Wir werden Zufallsgewinne abschöpfen!
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Meine Vorrednerinnen und Vorredner sind bereits auf die Begründung eingegangen, auch auf die Bemessungsgrundlage. Wir hatten diesbezüglich eine lebhafte Diskussion. Ich möchte das nicht wiederholen.
Ich möchte allerdings die verbleibende Zeit dafür nutzen, um mal der Frage nachzugehen, wo der Unterschied zwischen Zufallsgewinnen, Übergewinnen und Normalgewinnen liegt; denn in den letzten Wochen und Monaten wurde einiges miteinander vermischt. Ich finde, es ist richtig, dass wir ein grundsätzliches Verständnis dafür haben, damit wir auch gemeinsam darüber entscheiden können, welcher Instrumente es eigentlich bedarf, um diese Gewinne abzuschöpfen.
Ich versuche es mal mit einer Definition. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich nehme Sie mal mit auf diese Reise. Ein Normalgewinn, das ist der Gewinn, den ein Unternehmen basierend auf Managemententscheidungen, beispielsweise in Form von Investitionen, in Form von Innovationen, in einer normalen Lage erzielt. Das heißt, wir haben hier interne Faktoren, die innerhalb eines Unternehmens stattfinden, und wir haben externe Faktoren, das, was die allgemeine Lage beeinflusst. Ich würde sagen: Normalgewinne werden entsprechend in einer Normallage erzielt.
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Ein Übergewinn hingegen ist ein deutlich höherer Gewinn, den ein Unternehmen basierend auf Managemententscheidungen in einer außergewöhnlichen Lage erzielt. Das ist ja das, was wir in den letzten Jahren, in der Pandemie erlebt haben: dass viele Pharmaunternehmen Übergewinne erzielt haben.
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Aber diesen Übergewinnen stehen auch gute Entscheidungen wie jahrelange Investitionen in Forschung und Entwicklung gegenüber; diesen Übergewinnen stehen auch Aufbau und Erhöhung von Produktionskapazitäten gegenüber.
Deswegen sind das keine leistungslosen Übergewinne, sondern das sind tatsächlich gut investierte Mittel und gute Entscheidungen, die getroffen wurden und die dazu geführt haben, dass dort Übergewinne entstanden sind.
Ein Zufallsgewinn hingegen ist ein deutlich höherer Gewinn, der ohne jegliches Zutun eines Unternehmens entsteht. Er ist somit leistungslos und alleine aufgrund der allgemeinen außergewöhnlichen Lage entstanden. Das ist genau das, was wir hier gerade auf dem Strommarkt beobachten – die Kolleginnen und Kollegen haben das erwähnt –: Aufgrund des Merit-Order-Prinzips sehen wir doch, dass Stromproduzenten gerade besonders hohe Gewinne erzielen, obwohl die Produktionskosten sich überhaupt nicht verändern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen keine normalen Gewinne zusätzlich besteuern; dafür haben wir die schon bestehenden Steuern. Übergewinne wollen wir auch nicht antasten. Es geht darum, diese Zufallsgewinne abzuschöpfen, und deswegen ist der Weg über eine Abgabe auch der richtige Weg; denn er erlaubt uns, da präzise zu sein. Er erlaubt uns, die Unternehmen genau anzugehen, die wir auch angehen wollen.
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Wir wollen und wir werden in den Strommarkt eingreifen und die entstehenden milliardenhohen Zufallsgewinne abschöpfen, und damit wollen wir eine Strompreisbremse auf den Weg bringen. Das ist ein guter Weg, viele Menschen nachhaltig in der Krise zu unterstützen. Deswegen, liebe Kollegen von der Linksfraktion: Ihr Antrag ist überflüssig, und wir werden ihn somit ablehnen.
Vielen Dank.
({7})
Der nächste Redner ist der Kollege Robert Farle.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag der Linken weist schon auf ein wichtiges Problem hin; denn es kann nicht sein, dass einige Konzerne die Ausplünderung der Bevölkerung schamlos ausnutzen, um außerordentliche Gewinne zu erzielen. Aber Ihr Antrag hat einen ganz grundsätzlichen Mangel, und der Mangel besteht darin, dass er völlig an den Ursachen vorbeigeht. Wenn man ein Problem beseitigen will, dann muss man die Ursachen bekämpfen. Und das ist das Problem der Linken: dass sie immer wieder an den Ursachen vorbeigehen.
Was ist notwendig?
Erstens. Wir brauchen wieder einen echten marktwirtschaftlichen Handel an den Strombörsen.
({0})
Was hier bei der CDU mit „Design“ angesprochen wird, dieses Merit-Order-Prinzip, das muss verschwinden; denn dieses System und auch die Strompreisbremse und andere Bremsen und staatliche Eingriffe, das hat mit Marktwirtschaft gar nichts, aber auch überhaupt nichts zu tun und führt nicht zu einer Lösung der Probleme.
({1})
Das Zweite, neben der Notwendigkeit der Marktwirtschaft, ist die Beendigung der Russlandsanktionen.
({2})
Nord Stream 2 muss wieder aufgemacht werden.
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Denn hier sind die Millionen Tonnen Gas, die wir verschenken, die wir nicht mehr in unserem Land aufnehmen wollen. Hier wird die Forderung von Habeck von vor sechs Jahren umgesetzt, aus Russland kein Öl und kein Gas mehr zu holen. Der müsste eigentlich Freudentänze machen, weil die Gaslieferungen leider ausgeblieben sind.
Russland hat immer wieder erklärt – es hat es auch noch in den letzten Wochen erklärt –, man sei bereit, weiter Gas zu liefern.
({4})
Wenn Sie ein Auto kaufen, müssen Sie es bezahlen. Genauso: Wenn Russland Gas liefert, –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– müssen Sie es auch bezahlen. Und dann brauchen unsere Leute nicht mehr zu frieren. Verstehen Sie das?
Herr Farle, Ihre Redezeit ist vorbei.
Dann können unsere Leute in Ruhe durch den Winter kommen.
({0})
Damit komme ich am Ende zum wichtigsten Problem.
Ihre Redezeit ist vorüber, Herr Farle.
({0})
Die ist nicht vorbei.
Es ist auch eine Anzeige vor Ihnen.
Gut, dann letzter Satz.
Nein, kein letzter Satz mehr. Sie sind 30 Sekunden drüber.
Gut, brauche ich auch nicht. – Die Leute wissen, was los ist.
({0})
Wir brauchen mehr Gas in Deutschland, und wir können es kriegen.
Herr Farle, bitte.
Danke.
({0})
Ich erteile der letzten Rednerin in dieser Debatte das Wort. Das ist Kathrin Henneberger, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Ich bitte die anderen Kolleginnen und Kollegen, ihre Gespräche einzustellen, sodass wir der letzten Rednerin der Debatte noch gut zuhören können.
Danke. – Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es wurden in der Debatte schon einige kluge Dinge gesagt, besonders über die Notwendigkeit von sozialer Gerechtigkeit mit Blick auf Zufallsgewinne. Ich würde gerne eine weitere Perspektive, ein weiteres Thema hinzufügen und versuchen, die Debatte weiter zu fassen. Ich möchte die Kosten der Klimakrise ansprechen.
Es ist keine zwei Tage her, da hat der Generalsekretär der Vereinten Nationen in seiner Rede vor den Vereinten Nationen sehr deutlich gemacht, dass Industrieländer, aber auch die fossile Industrie für Schäden und Verluste in der Klimakrise aufkommen müssen, besonders mit Blick auf die aktuellen Zufallsgewinne der fossilen Konzerne weltweit.
Eins ist klar: Fossile Konzerne konnten und können überhaupt nur profitabel geführt werden, weil die Kosten von Wetterextremen, von Dürren, aber auch die Kosten der unbewohnbar werdenden Regionen nicht abgebildet werden. Hätte die Politik in den letzten Jahrzehnten andere Rahmenbedingungen gesetzt, dann wären wir jetzt schon längst unabhängig von der Verfeuerung von Kohle, Öl und Gas.
({0})
Es darf nicht lukrativ sein, mit der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen Gewinne zu erzielen.
({1})
Damit wir eine Chance haben, die Klimakatastrophe überhaupt noch aufzuhalten, müssen wir genau dies verändern. Die Erneuerbare-Energien-Wende, dieser Weg, den wir beschreiten, der macht uns unabhängig von Diktaturen. Der führt uns nicht in Situationen, wie wir sie jetzt erleben, und der sichert die Energieversorgung von allen Menschen.
Es ist aber auch sehr wichtig, dass wir uns dem Abbau von klima- und umweltschädlichen Subventionen widmen. Die Milliarden, die brauchen wir jetzt auch für die Energiewende. Wir brauchen sie für eine sozial gerechte Transformation und für den Aufbau von Klimaresilienz. Hier – da will ich ehrlich sein – liegt noch viel Arbeit vor uns.
Aktuell erleben wir eine Flutkatastrophe in Pakistan und eine Hungersnot in Somalia. Dies macht einmal mehr deutlich: Wir brauchen mehr Mittel. Jemand muss die Rechnung für die Klimakrise bezahlen. Da dürfen wir jene, die noch von der Verfeuerung der Fossilen profitieren, nicht aus der Verantwortung entlassen.
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Aus der Verantwortung dürfen wir fossile Konzerne aber auch nicht entlassen, wenn es um Wiedergutmachung in Regionen geht, die unter Extraktivismus gelitten haben und immer noch leiden, beispielsweise die Steinkohletagebauregionen im Norden von Kolumbien. Der Import aus Kolumbien hat sich in diesem Jahr massiv erhöht. Hier müssen die Konzerne, die davon profitieren, nun Verantwortung für die Renaturierung, für die Wiedergutmachung und für einen gerechten Strukturwandel vor Ort übernehmen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde könnte nicht aktueller sein, so wie die ganze Plenardebatte natürlich spiegelt, was gerade in diesem Land los ist. Wir erleben eine schwere Energiekrise, ausgelöst durch den Verlust an Energieproduktion. Russland hat die Gaslieferungen eingestellt. In einem Volumen von 55 Milliarden Kubikmetern Gas – das ist die Menge, die über Nord Stream 1 gekommen ist – muss Gas auf dem Weltmarkt neu beschafft werden. Und in Frankreich ist über die Hälfte des nuklearen Atomparks ausgefallen; es gibt große Probleme, diese Stromkapazitäten wieder ans Netz zu bringen. Beides zusammen treibt die Preise nach oben; beides zusammen hat einen externen Schock ausgelöst, der das Land, die Verbraucherinnen und Verbraucher und die Unternehmen in Deutschland schwer trifft.
Man muss sich trotzdem noch einmal klarmachen, dass mit diesem externen Schock hier eine andere Ursache für die hohe Inflation verantwortlich ist als beispielsweise in den USA, wo die expansive Fiskalpolitik die Nachfrage so stark nach oben gebracht hat. Wenn man erkennt, dass, obwohl die Auswirkungen ähnlich sind, die Ursachen verschieden sind, hat man einen ganz guten Fahrplan dafür, welche politischen Instrumente in Deutschland notwendig sind, um diese schwierige Phase politisch zu begleiten und die Unternehmen in Deutschland dabei zu unterstützen, in diesem schweren Wasser, in das sie geraten sind, zu bestehen.
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Wenn ich das einmal ausführen darf: In diesem Fall wird es nicht reichen, dieser wirtschaftspolitischen Situation nur mit Geldpolitik, also mit höheren Zinsen, zu begegnen, sondern wir müssen die fiskalpolitischen Instrumente ebenfalls nutzen.
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Wir müssen sie selbstverständlich so nutzen, dass wir nicht in engen Märkten die Nachfrage noch stimulieren. Das würde die Inflation nur in die Höhe treiben. Aber wenn wir sie geschickt und klug nutzen, dann werden wir die Unternehmen und die Menschen so entlasten, dass die ökonomische, die volkswirtschaftliche Substanz in diesem Land erhalten, bewahrt und geschützt werden kann. Das tut die Bundesregierung zielgenau und mit hoher Anstrengung – nicht erst seit Beginn des Krieges, sondern schon davor.
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Ich nenne die Punkte im Einzelnen – sie sind ja in der Plenardebatte schon mehrfach angesprochen worden; deswegen gehe ich nicht in die Details hinein –:
Erstens: unter Hochdruck und mit großer Geschwindigkeit Erweiterung und Aufbau einer neuen Infrastruktur. Neuaufbau, was die Möglichkeiten angeht, LNG-Gas nach Deutschland zu bekommen; Erweiterung, was die bestehenden Netze angeht. Das Interessante und Entscheidende dabei ist, dass alles, was wir tun, auch auf die Zukunft ausgerichtet ist. Die Terminals, die Leitungen, die Verdichterstationen – alles wird auch auf Wasserstoff ausgelegt, sodass wir die Investitionen in die Infrastruktur auch in Zukunft für die Energiesicherheit in Deutschland nutzen können.
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Zweitens: Erweiterung der Energiekapazitäten, die zur Verfügung stehen. Das sind die Erneuerbaren mit den Begrenzungswegnahmen bei Biomasse, Solar und Wind. Das sind auch Kohlekraftwerke. Und wo so viel über Pragmatismus und das, was dem entgegensteht, geredet wird, will ich für mich sagen: Das ist für mich die schwerste Entscheidung gewesen, weil ich glaube, neben der aktuellen Krise, dem Ukrainekrieg, ist die eigentliche Herausforderung, an der wir als politische Generation gemessen werden, die globale Erderwärmung, die Klimakrise. Wenn wir da versagen, werden wir als politische Generation versagt haben. Deswegen ist es natürlich – eigentlich – nicht richtig, Kohlekraftwerke, die da nichts mehr zu suchen haben, erneut in den Markt zu bringen.
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Trotzdem haben wir das getan, um das Energieangebot zu erweitern. Auch die Atomkraftwerke – so muss man es doch sehen – stehen zur Verfügung, wenn sie gebraucht werden, um weiter eingesetzt zu werden, solange sie Brennelemente haben. – Also: Ausweitung des Energieangebotes.
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Drittens: Entlastungen nicht nur im privaten Bereich – die sind mehrfach diskutiert worden –, sondern auch im Energiebereich: EEG-Umlage abgeschafft, Mehrwertsteuer auf Gas gesenkt.
Viertens – und darüber reden wir jetzt –: Stützung der Unternehmen. Ich kann ankündigen, dass wir die sogenannte KUEBLL-Liste – im Energiekostendämpfungsprogramm werden nur Unternehmen berücksichtigt, die im internationalen Wettbewerb stehen – erweitern werden bzw. alternativ den Unternehmen Mittel zur Verfügung stellen, die Verluste machen, sodass also alleine die Verlustrechnung reicht, um antragsberechtigt zu werden, um im Rahmen des Energiekostendämpfungsprogramms Anträge stellen zu können bzw. Unterstützung zu bekommen. – Das gilt für die Industrie.
Für den Mittelstand, für die kleinen und mittelständischen Unternehmen, ist die Arbeit von meinem Haus geleistet. Die Programme sind justiert. Sie müssen jetzt in der Koalition abgestimmt werden; aber sie müssen schnell an den Start kommen. Und ich will auch sagen, dass sie erstens rückwirkend gelten müssen – meiner Vorstellung nach ab September, sodass nicht die Unternehmen darunter leiden, wenn sich die politische Landschaft noch eine oder zwei Wochen mehr Zeit nimmt – und wir zweitens sicherlich eine Logik finden sollten, schnell Abschlagszahlungen zu gewähren, und nicht das Geld erst dann auskehren, wenn es zu spät ist.
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Wir sind – und damit komme ich zum Anfang meiner Rede zurück – in einer Situation, in der die Unternehmen unsere Unterstützung brauchen, um die ökonomische, die volkswirtschaftliche Substanz in Deutschland zu schützen – oder zu verteidigen. Wir haben zur Landesverteidigung ein 100 Milliarden Euro schweres Sondervermögen aufgelegt.
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Das ist richtig
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und notwendig gewesen, weil wir gesehen haben, dass der Idealismus der letzten Jahrzehnte an Putins Machtwahn zerschellt ist. Aber mit der gleichen Entschlossenheit dürfen wir jetzt zur Verteidigung der volkswirtschaftlichen Substanz dieses Landes ebenfalls nicht zögern, die finanziellen Möglichkeiten zu mobilisieren, die notwendig sind.
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Ich als Wirtschaftsminister und als Bürger dieses Landes finde es jedenfalls notwendig, dass wir, auch mit Blick auf die spezifische Situation von Inflation und drohender Rezession in Deutschland, auf die potenzielle Kraft dieses Landes vertrauen. Wir sind ein starkes Land. Wir haben die finanzpolitische Solidität. Wir haben die finanziellen Möglichkeiten. Wir haben die demokratische Grundsubstanz – und die haben andere Länder in Europa inzwischen nicht mehr –, um diese Krise gemeinsam zu bestehen. Wir werden sie einsetzen, um damit die Volkswirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten, zu schützen und zu verteidigen.
Vielen Dank.
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Ich erteile für den Bundesrat dem Ministerpräsidenten Dr. Reiner Haseloff das Wort.
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Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Abgeordnete! Seit gestern stehen wir in einer neuen Phase des Krieges in der Ukraine. Und wir wissen, was die Konsequenz ist: Nicht nur die militärischen Aktionen werden noch schärfer erfolgen, als wir es bisher erlebt haben, sondern auch die Auswirkungen auf die ganze Welt, aber auch auf Deutschland und die Europäische Union werden noch stärker zu verspüren sein.
Wir wissen, dass wir in einer ganz kritischen Phase sind. Die Zeit läuft uns weg. Die Situation in den Unternehmen ist prekär. Es kommt in einigen Branchen, wenn wir nicht aktiv gemeinsam handeln, zu einer Kollabierung bestimmter Strukturen. Wertschöpfungsketten sind nicht nur unterbrochen, sondern kippen regelrecht weg. Ich denke da nur an die chemische Industrie, in diesem Zusammenhang an die Grundstoffindustrie und an all das, was im Netzwerk unserer Volkswirtschaft daraus resultiert. Wenn wir nicht parallel zu den langfristigen Maßnahmen, lieber Herr Habeck,
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die Sie gerade hier vorgeschlagen haben, Sofortmaßnahmen realisieren, dann werden wir in den nächsten Wochen und Monaten eine Insolvenzwelle bekommen, die wir nicht wieder einfangen können.
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Das heißt, wir müssen sehen, dass wir in der Lage sind, auch von der Zeitachse her, Instrumente, die wir schon während der Coronakrise genutzt haben, auch jetzt punktgenau einzusetzen, wenn es darum geht, Kurzarbeiterregelungen mit Aufstockungsmöglichkeiten zu haben, aber letztendlich auch die Verwaltung zu stärken. Denn all das, was wir jetzt auch mit den Entlastungspaketen usw. machen, muss ja exekutiert und administriert werden. Deswegen ist es immer auch wichtig, bei all den Projekten, die die Koalition hier in Berlin realisieren will, zu schauen: Was ist eine günstige Zeitachse? Wann ist was wirklich dran? Und was können wir auf der kommunalen Ebene und auf der Länderebene bewältigen, da, wo das eigentliche, reale Leben ja stattfindet, und womit muss es entsprechend flankiert werden? Es wäre meine dringende Bitte an dieser Stelle, dass Sie noch einmal genau schauen: Was hat jetzt oberste Priorität, und was kann noch eine Zeit lang warten?
Das Zweite, das für mich bezüglich der Wirtschaft ganz relevant ist: Wir werden versuchen, mit Entlastungspaketen akute Prozesse, soziale Notlagen einzufangen, wie zum Beispiel bei Unternehmen aus dem Bäckereihandwerk, die jetzt schnell Hilfe brauchen, damit sie überhaupt weiter existieren können. Wir brauchen darüber hinaus einen strukturpolitischen Ansatz, ein ganzheitliches Konzept, wie wir die Energiemärkte, das heißt Strom und Gas im Besonderen, entsprechend positiv beeinflussen können, und zwar dauerhaft und nachhaltig, sodass die Unternehmen wieder Planungssicherheit bekommen. Diese sind derzeit faktisch regelrecht zur Untätigkeit verurteilt, wenn es darum geht, entsprechende Angebote abzugeben. Das heißt, wir brauchen ein klares Signal, zum einen zum Beispiel im Sinne von ausreichenden Mengen Strom am Markt – das ist richtig, wie Sie es gesagt haben – und zum anderen, dass wir als Staat ordnungspolitisch nicht handlungsunfähig sind, sondern dass wir, wenn wir diese Sanktionen entsprechend durchziehen wollen, die parallele Flankierung hinbekommen.
Das fängt an bei den Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Strommarktdesign, das wir vor zehn Jahren mit der Europäischen Union hinbekommen haben. Bis dahin haben die Wirtschaftsminister – ich war einer – die Strom- und Gaspreise selber genehmigt. Das alles haben wir einem Markt und einem Algorithmus überlassen,
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die in guten Fahrwassern funktionieren, aber derzeit eben nicht. Es ist die Frage, ob der Staat, wenn er auf der einen Seite politisch aktiv in die Wirtschaftsprozesse eingreift, auf der anderen Seite in der Lage ist, diese Prozesse durch ordnungspolitisches Nachführen der Regularien, die er für sich selber entwickelt hat, zu steuern. Das ist sicherlich einfacher gesagt als getan. Aber es braucht ein Signal, dass die Unternehmen, die derzeit mit roten Zahlen produzieren, um bestimmte Bereiche der Volkswirtschaft aufrechtzuerhalten – ich denke nur an das Stickstoffwerk Piesteritz, um AdBlue zu produzieren, oder an Leuna, um Kunststoffe zu produzieren, damit für die Energiewende auch die Technik zur Verfügung steht –, wissen, dass sie Hilfen erfahren und dass sich langfristig an der Preisentwicklung etwas abspielt, was auch positiv zum Erhalt des Standorts beiträgt.
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Der Standort Deutschland ist in bestimmten Branchen in höchstem Maße gefährdet. Wer sich mit großen Unternehmen aus Amerika oder aus der Europäischen Union unterhält, die ihre Standorte bei uns, auch in Sachsen-Anhalt, haben, der weiß, dass es überall inzwischen einen Plan B gibt für den Fall, dass die Hilfen nicht greifen bzw. ausreichen, um weiterhin am Markt zu sein. Wenn die Märkte sich nicht beruhigen, sind sie schlicht und einfach gezwungen, mit den globalen Unternehmen den Standort Deutschland zu verlassen. Das kann nicht das Ergebnis dieser politischen Aktivitäten sein, die wir jetzt unternehmen müssen, um solidarisch mit der Ukraine zu sein.
Also, meine Bitte: Machen Sie in der Bundesregierung alles dafür fit, dass Sie schnell zu Entscheidungen kommen, dass Sie nicht lange diskutieren, wenn es darum geht, wie wir das hinbekommen, und sorgen Sie dafür, dass die Signale entsprechend beruhigend in den Markt hineinwirken.
Ich möchte zur Finanzpolitik noch Folgendes sagen: Wenn wir nächste Woche in der Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Kanzler ein drittes Entlastungspaket schnüren wollen, dann muss klar sein: Das ist im Rahmen der jetzigen Haushalte – das wird dem Bund nicht anders gehen – nicht zu bewältigen. Wir brauchen die klare Feststellung der Notlage, die uns in die Lage versetzt, angesichts der Schuldenbremse entsprechend finanztechnisch aktiv zu sein.
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Wenn diese Notlage nicht erklärt wird, haben wir keine Chance, die Haushalte entsprechend so anzupassen, dass das, was wir dort vereinbaren, auch umsetzbar ist.
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Ich bin der Letzte, der sozusagen einer Finanzpolitik das Wort redet, dass es überhaupt nicht darauf ankommt, was für Schuldenberge wir in Deutschland weiterhin anhäufen, aber eins ist auch klar: Wenn jetzt nicht schnell reagiert wird, wenn jetzt nicht schnell noch einmal geschaut wird, welche Prioritäten wir rausnehmen müssen aus dem normalen Marktgeschehen, damit wir systemrelevante Unternehmen stützen können, dann verlieren wir wesentliche Bereiche unserer Volkswirtschaft – ich sagte es bereits –, und zwar so, dass wir uns wieder abhängig machen von autokratischen Systemen, die wir gerade versuchen zurückzudrängen. Wir haben aus der Coronakrise gelernt, dass wir bestimmte Zugriffe in unserer eigenen Volkswirtschaft brauchen, zumindest aber in der Europäischen Union. Wenn ich mir bestimmte Produktionszweige ansehe, dann sehe ich, dass für sie in der Europäischen Union momentan kein Platz ist, weil sie schlicht und einfach nicht wettbewerbsfähig sind, auch mittel- und langfristig nicht.
Deswegen ist Strompreisdesign und die ordnungspolitische Herangehensweise auch ein Thema, was jetzt in Brüssel dringend besprochen werden muss, auch im Sinne dessen, was zur Erhaltung der wesentlichen volkswirtschaftlichen Strukturen dringend bei uns passieren muss, damit wir die Pakete, die dazu beitragen, entsprechend finanzpolitisch verantwortlich und verantwortbar schnüren, damit in den nächsten Wochen oder zwei, drei Monaten Hilfe zu den Bürgerinnen und Bürgern kommt.
Aber eins wissen wir auch: Wenn wir jetzt nicht den Fuß in die Tür kriegen und einen nachhaltigen Umsteuerungsprozess in der Preisbildung hinbekommen, dann werden wir noch die Entlastungspakete IV, V, VI, VII brauchen. Die Finanzminister aller 16 Bundesländer haben das gestern 16 : 0 festgestellt. Das wird alles verrauchen. Das ist ein Strohfeuer. Das heißt, wir brauchen ein ganzheitliches Paket, und das muss die Bundesregierung liefern. Wir stehen Gewehr bei Fuß, auch seitens des Bundesrates, das sehr unkonventionell und schnell durchzuziehen, wie wir es in den letzten Monaten gezeigt haben. Bei bestimmten fachlichen Besonderheiten sollten wir uns aber wenigstens einen Ausschussdurchlauf gönnen, damit wir Fehler vermeiden; denn diese Fehler sind dann irreversibel und lassen sich nicht wiedergutmachen.
In dem Sinne wünsche ich noch eine gute Beratung. Dem Bundestag alles Gute. Sie können sich auf die Länder weiterhin verlassen. Aber wir müssen uns auch auf Sie verlassen können. Und wenn das weiterhin funktioniert, werden wir auch diese Krise bewältigen.
Herzlichen Dank.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank, Herr Ministerpräsident Haseloff, dass Sie heute an dieser Debatte teilnehmen, dass Sie sie auch mitgeprägt haben.
Ein paar Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundestag werden noch sprechen. Aber die Dramatik, die Herr Bundesminister Habeck geschildert hat, die aber auch Sie geschildert haben, ist real. Wir stehen vor einem großen exogenen Schock für die deutsche Volkswirtschaft. Wir haben eine Bedrohungslage, was die Arbeitsplätze betrifft. Aber viel wichtiger: Es gibt eine militärische Bedrohungslage in der Ukraine durch den russischen Angriffskrieg, der – Sie haben es ausgeführt – seit gestern noch einmal eine neue Dimension erreicht hat.
Wladimir Putin zieht uns in diesen Krieg hinein, indem er versucht, uns wirtschaftlich zu erpressen,
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indem er – er allein – entschieden hat, dass Deutschland wegen seiner Abhängigkeit von russischem Gas erpresst wird.
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Wir als Bundesregierung haben in den letzten Monaten Vorsorge getroffen, indem wir die Gasspeicher wieder unter unsere Kontrolle gebracht haben und sie vor allen Dingen gefüllt haben. So können wir die Energieversorgungssicherheit in Deutschland gewährleisten und werden auf keine Gasmangellage zusteuern, sodass wir der Ukraine nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich, aber auch politisch helfen können. Ich glaube, dass das unser aller Verantwortung hier im Deutschen Bundestag sein sollte.
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Ich möchte einen Punkt herausgreifen, den Herr Ministerpräsident Haseloff eben genannt hat. Es ging um die Wertschöpfungsketten in Deutschland, aber auch um die chemische Industrie. Ja, wir werden es bei den privaten Verbrauchern durch sehr hohe zusätzliche Abrechnungen in den nächsten Monaten, was die Gas- und Strompreise betrifft, mit Einschnitten zu tun haben. Einige fühlen sich auch ohnmächtig ob der Höhe. Unsere Aufgabe ist es, denjenigen zu helfen und sie zu unterstützen, die über geringe Einkommen und vor allen Dingen über keine Rücklagen verfügen, sodass sie ihr Leben weiterleben können, und zuzusehen, dass sowohl das soziale als auch das wirtschaftliche Leben in Deutschland Bestand hat.
Wir sind ein wirtschaftlich starkes Land, das industriell geprägt ist und auch weiterhin industriell geprägt sein soll. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass die Unternehmen Angebotsbedingungen vorfinden, die es ihnen ermöglichen, auch weiterhin hier zu produzieren. Dazu hat der Wirtschaftsminister das Nötige gesagt. Ich finde, was er gesagt hat, war nicht nur unterstützenswert, sondern auch richtig, weil es um eine Übergangszeit geht. Der Preis für Gas ist derzeit politisch getrieben. Er ist irre, vor allen Dingen, was die Höhe betrifft. Aber er wird nicht auf Dauer so hoch bleiben. Das heißt, wir müssen für die Übergangszeit über Hilfsmaßnahmen, über Stützungen, aber auch, indem wir insgesamt die Angebote ausweiten, alles tun, damit wir die wirtschaftliche Substanz in Deutschland erhalten.
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Es geht um eine Selbstermächtigung des Deutschen Bundestages, sich nicht Wladimir Putin vor die Füße zu werfen und schon gar nicht die Ukraine in ihrem Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung aufzugeben, sondern wir wollen sie unterstützen.
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Das hat viel mit Vertrauen zu tun.
Herr Ministerpräsident Haseloff, ich sage Ihnen das ganz offen: Ich bin Ihnen sehr dankbar für die vertrauensvolle Zusammenarbeit in den letzten Wochen über die Parteigrenzen hinweg. Das ist nicht selbstverständlich. Ich sage das auch in Richtung Unionsfraktion. Es ist nicht selbstverständlich, aber es ist notwendig in einer Krisensituation.
Ich will das am Beispiel von Schwedt festmachen. Schwedt hat eine besondere Bedeutung für Ostdeutschland. In Schwedt kommt Erdöl über die Druschba-Pipeline an. Viele Ostdeutsche haben gemeinsam mit Arbeitern und Arbeiterinnen aus der Sowjetunion am Bau mitgearbeitet. Darin steckt viel Tradition und natürlich auch viel Herz. Aber es ist auch klar, dass Wladimir Putin nicht davor zurückschrecken wird, so wie das Gas auch das Öl abzudrehen. Aus diesem Grund mussten wir Vorsorge treffen, um unabhängig zu sein und um für Schwedt, aber auch den wichtigen Industriestandort Leuna weiterhin die Erdölversorgung zu sichern.
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Ich bin den Kommunalpolitikern, der Bürgermeisterin, der Betriebsratsvorsitzenden von PCK Schwedt sehr dankbar. Wir haben ein großes Paket geschnürt, Herr Wirtschaftsminister. Ich bedanke mich auch bei Michael Kellner, der dort die Taskforce geleitet hat. Nicht alles, was wir in den letzten drei Monaten intern vorbereitet hatten, konnten wir öffentlich erklären, weil viele Dinge letztendlich Vertrauen, aber auch Verschwiegenheit brauchen. Die hat es gegeben, und wir können Ihnen heute eine Lösung präsentieren, über die Sie als Bundestag entscheiden werden. Ich bitte sehr um Ihre Unterstützung.
Es ist ein Milliardenprogramm für drei wesentliche Standorte. Für den Erhalt und den Umbau der Raffinerie in Schwedt gibt es die Zusage, dass niemand entlassen wird und dass wir die Pipeline vom Hafen Rostock nach Schwedt ertüchtigen werden. Das wird zu 100 Prozent vom Bund bezahlt, sodass wir in zwei Jahren eine voll funktionsfähige Leitung haben werden und dieser Standort gesichert, aber auch die Erdöl- und Kerosinversorgung in Ostdeutschland und auch in Westpolen gewährleistet ist. Das ist der eine Punkt.
Wir gehen aber weiter – und da sehen Sie die Schwerpunktsetzung dieser Bundesregierung auf Ostdeutschland. Es geht nicht nur um den Substanzerhalt, nicht nur um die Sicherung der Arbeitsplätze. Nein, es geht um die Transformation weg von fossilen Brennstoffen, weg von Putins Gas und Öl, aber auch von anderen Energiequellen, die wir letztendlich teuer bezahlen müssen. Ich möchte, dass wir selbst in Deutschland diese Werte schaffen. Deswegen ist der Ausbau der erneuerbaren Energien so zentral.
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Gerade Ostdeutschland ist dabei absoluter Vorreiter. Das Land Brandenburg deckt bereits heute seinen Energiebedarf zu 95 Prozent über erneuerbare Energien.
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Ich will aber auch sagen, dass ich den Kumpels bei der LEAG in der Lausitz und bei den anderen Braun- und Steinkohleunternehmen dankbar bin, die jetzt, obwohl sie feste Zusagen hatten, im Rahmen der Transformation zum Beispiel in ein Unternehmen der Deutschen Bahn zu wechseln und dort einen Arbeitsplatz anzunehmen, zur Sicherung der Energieversorgung in Deutschland bleiben und dafür sorgen, dass wir weiterhin Strom haben und dieses Land bestehen kann. Vielen herzlichen Dank an die Kolleginnen und Kollegen dort!
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Wir haben dieses Programm auch nicht nur auf den Standort Schwedt, der ein hervorragender ist, beschränkt. Es kommen noch große Industrieflächen hinzu, die bisher im Eigentum von PCK waren, wo das Land, die Stadt Unternehmen ansiedeln will, die im Bereich erneuerbare Energien Arbeitsplätze schaffen. Es war der Eigentümer Rosneft, der das bisher verhindert hat, der dafür gesorgt hat, dass es eine Restauration, aber letztendlich keine Fortentwicklung gab. Wir sorgen jetzt dafür, dass es nach vorne geht, dass diese Industrieflächen auch industriell genutzt werden können. Deswegen sage ich hier sehr deutlich: Ich bin mir ganz sicher, dass wir auf mittlere Sicht zukünftig mehr Arbeitsplätze in Schwedt haben werden als zum heutigen Tag.
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Ich bin auch dem Land Mecklenburg-Vorpommern und der Ministerpräsidentin Manuela Schwesig sehr dankbar, dass sie sich engagiert dafür eingesetzt hat, dass wir den Hafen Rostock als Infrastrukturhub für die Erdölversorgung in Schwedt und ganz Ostdeutschland nutzen können. Und ich bin sehr dankbar für die Vorarbeiten, aber auch die Unterstützung, die es seitens des Wirtschaftsministeriums gibt, dass wir diesen Hafen zu einem Energiehafen ausbauen, damit er nicht nur ein Erdölhafen ist. Mit Millionenbeträgen fördern wir dort zukünftige Elektrolyseanlagen. Aber auch das Steinkohlekraftwerk soll umgebaut werden zur Erzeugung erneuerbarer, grüner Energien, die dafür sorgen, dass dieser Energiehafen Ostdeutschland mit Wasserstoff versorgen wird. Es ist wichtig, dass wir diesen und auch den Hafen Lubmin auf Vordermann bringen.
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Das alles, liebe Kolleginnen und Kollegen, verbinde ich zum Abschluss noch mal mit Sachsen-Anhalt – einem Land, das in den vergangenen Jahrzehnten schwere Strukturbrüche hinter sich hat, das es geschafft hat, auch dank Ihrer Unterstützung, Herr Haseloff, und der anderer Kolleginnen und Kollegen im Landtag, einen neuen Weg einzuschlagen.
Sie haben hier über die Intel-Ansiedlung gesprochen. Intel gibt es dort noch nicht. Aber was es derzeit gibt, ist eine starke chemische Industrie, sowohl im Raum Zeitz, sowohl in Bitterfeld als natürlich auch am Standort Leuna. Da sind bis zu 15 000 Arbeitsplätze entstanden, hochmodern und hocheffizient. Ich sage Ihnen zu, dass wir alles tun werden, dass diese Arbeitsplätze erhalten werden können und dass wir auch dauerhaft diese Industrien in Deutschland halten.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, vielen Dank für die Zusage, dass sich die Länder an diesem Paket insgesamt mit beteiligen. So, glaube ich, kommen wir durch diese Krise.
Vielen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sie kennen vielleicht den ganz alten Stummfilm mit Charlie Chaplin: Ein fahrender Glaser mit Fensterscheiben hinten auf dem Rücken lässt im Vorfeld Fensterscheiben einschmeißen und bietet dann seine Dienste an, diese Fenster zu reparieren – gegen Geld, versteht sich. – Genauso handeln die Grünen, genauso handelt die Bundesregierung hier. Sie führen uns im Sturzflug in die Energiekrise, ziehen uns das Geld aus der Tasche und bringen Mittelstand und Handwerk in Existenznöte, wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr.
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Und dann stellen sich eben die Grünen und die Bundesregierung hin und heucheln Mitleid. Der Dieb schreit: Haltet den Dieb! Das ist ein großes Maß an Heuchelei, meine Damen und Herren.
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Schauen wir mal hinter die Kulissen. Denn das, was passiert, ist ja gewollt, nämlich die Umsetzung einer Gesellschaftstransformation, um durch die Hintertür eine staatsdirigistische Gesellschaft zu etablieren – China lässt grüßen.
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Sie glauben das nicht? Ohne Not stellt die Bundesregierung auch Erdölrohrleitungen unter Sanktion, ohne eine Alternative zu haben. Nicht mal die EU hat das so gemacht. Das ist ein deutscher Alleingang. Und das zielt direkt auf die Ölraffinerie PCK Schwedt; denn sie ist jetzt quasi enteignet worden.
Und ich darf in diesem Zusammenhang Herrn Staatssekretär Kellner zitieren, um vielleicht mal den Grund herauszuarbeiten: Man sei jetzt in der Lage, die Geschäftsfelder zu ändern, was bisher durch die Gesellschafter unterblieben ist. – Die Geschäftsfelder zu ändern, der Staat als Gesinnungsunternehmer also, wie im Sozialismus! Die Folge wird sein: Wir kriegen Versorgungsengpässe in der Erdölversorgung, Mangelwirtschaft wird einziehen, die Bürger Ostdeutschlands werden im Regen stehen.
Oder nehmen wir Herrn Minister Habeck. Sie haben sich gefreut, dass Sie die Anteile an Uniper, die noch Fortum hält, nun billig bekommen. Die waren vor dem Staatseingriff 7 Milliarden Euro wert und sind jetzt für 500 Millionen Euro zu haben. Also erst Sabotage des Geschäftsmodells und anschließend billiger Aufkauf: wie im Wilden Westen, wie in der frühen DDR gegenüber dem Mittelstand; da hat man nämlich nach ähnlichem Muster die Enteignungen durchgeführt.
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Und die Bürger sind dann diejenigen, die die Zeche bezahlen müssen. Das wird einen schweren Schaden an der wirtschaftlichen Substanz hier in Deutschland hinterlassen. Die Unternehmen im energieintensiven Bereich werden wie Dominosteine umfallen. Wir reden hier leider von einer gewollten Deindustrialisierung, um die Gesellschaft umzubauen.
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Sie glauben das nicht? Lassen wir die grüne Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann sprechen: Klimaschutz bedeutet den totalen Umbau, die Transformation, den Ausstieg aus der Marktwirtschaft. – Oder wir nehmen die Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang. Sie hat klargemacht, dass die Grünen das Weltuntergangsszenario der Klimakrise nutzen, um die Gesellschaft ganz grundsätzlich zu transformieren. Ganz begeistert schwärmt sie vom Weltuntergangsszenario und fragt, was wir damit alles machen können.
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Wir haben es hier mit einem Umbau, wir haben es hier mit einer schrittweisen Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu tun, nicht mehr und nicht weniger, meine Damen und Herren.
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Und die Sabotage der Stromversorgung durch dieBundesregierung spürt auch schon die Wirtschaft. Ganz aktuell kommt ein dringender Appell vom Verband der Chemischen Industrie – ich zitiere –: „Zur Verhinderung eines Flächenbrandes in der deutschen Wirtschaft schlagen wir vor: ... Alle verfügbaren Energieträger ans Netz“. – Alle verfügbaren Energieträger, meine Damen und Herren!
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Der Vorsitzende des Verbandes der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft stellt das Offensichtliche auch klar: Mit dem Zehnfachen der Energiekosten im Vergleich zu den USA oder auch dem Mittleren Osten können die Unternehmen nicht mehr umgehen – können die Unternehmen nicht mehr umgehen! Die Schäden werden gewaltig sein. Kunden weltweit werden sich andere Lieferanten suchen. Wertschöpfung, Arbeitsplätze, das wird passé sein in Deutschland.
Und zu alldem gesellt sich dann auch noch ein autokratischer Umgang mit Kritikern. Wie in autokratischen Systemen werden die eigenen Leute bespitzelt, so im Hause von Herrn Minister Habeck. Der Verfassungsschutz wurde auf langjährige, unbescholtene, loyale Beamte losgelassen.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.
Das einzige Vergehen: Sie haben der grünen Sabotagepolitik ihre Sachkompetenz entgegengesetzt.
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Kommen Sie bitte zum Schluss.
Das wollen wir nicht. So einer Politik verpassen wir eine Abfuhr.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich grüße Sie ganz herzlich an diesem Donnerstagnachmittag.
Herr Kotré, für das nächste Mal vielleicht nur ein Hinweis: Wenn Sie jemanden zitieren, bitte das Zitat auch deutlich machen; denn das konnten wir jetzt nicht nachvollziehen. – Vielen Dank.
Als Nächstes erhält das Wort Christian Dürr für die FDP-Fraktion.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist bemerkenswert, dass hier ein Kollege aus dieser Fraktion eine Rede hält, ohne an einer einzigen Stelle zu erwähnen, wer diese Krise in Europa ausgelöst hat, ohne an einer einzigen Stelle zu erwähnen, wer diesen Angriffskrieg gestartet hat, meine Damen und Herren.
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Es hätte nur noch gefehlt, da Sie Täter und Opfer ja bewusst vertauscht haben, dass Sie das ukrainische Volk zum Tätervolk erklärt hätten.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Auslöser dieser Krise sitzt im Kreml, von wo Sie Ihre Sprechzettel herbekommen. Dort sitzt der Auslöser der Krise in Europa derzeit. Das muss gesagt werden. Unfassbar!
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Das sind auch – das will ich sagen; denn hier trennen demokratische Opposition und Regierung natürlich einige Punkte dieser Tage – nicht alles die Fehler einer ehemaligen oder aktuellen Bundesregierung. Über verschiedene Instrumente muss man streiten unter Demokraten. Aber Ihre Fraktion versucht, die Montagsdemonstrationen, die für Freiheit, Frieden, Einigkeit in Deutschland stehen, für ihre parteipolitischen Zwecke zu kapern,
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im Interesse des Kremls.
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Dort sitzen Sie, meine Damen und Herren, hier sitzen die Demokraten in Deutschland. Das muss an dieser Stelle gesagt werden, gerade angesichts der schweren Krise, die wir in unserem Land haben.
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Die Situation ist dramatisch für die privaten Haushalte in Deutschland, für die Unternehmen, für unseren Mittelstand – ohne jede Frage. Und ja, das, was Herr Ministerpräsident Haseloff, Carsten Schneider und der Bundesminister Habeck gesagt haben, ist richtig: Wir müssen jetzt dringend reagieren – national – und beispielsweise das Angebot ausweiten. – Diese Bundesregierung hat reagiert: LNG-Terminals werden gebaut, Kohlekraftwerke gehen wieder ans Netz. Und ja, es gibt unterschiedliche Auffassungen – das gehört bei Demokraten dazu –, was die Frage der Weiternutzung der Kernenergie in Deutschland betrifft.
Zu den LNG-Terminals – das sage ich in Richtung der Kolleginnen und Kollegen der Union –: Meine Kollegen der FDP-Fraktion im Niedersächsischen Landtag beantragen seit Jahren, im Bereich LNG mehr zu tun. Sie beantragen das seit Jahren und weisen darauf hin, dass das eine Alternative zu russischem Erdgas sein kann.
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Es war bisher ein CDU-Wirtschaftsminister in Niedersachsen, der diese Terminals verhindert hat. Auch das gehört zur Wahrheit dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wir haben in dieser Woche, neben den Maßnahmen, die wir am Strom- und Gasmarkt ergreifen, das getan – Herr Ministerpräsident Haseloff hat es auch beschrieben –, was derzeit notwendig ist, nämlich staatlicherseits für Entlastung zu sorgen. Das Inflationsausgleichsgesetz ist in den Deutschen Bundestag eingebracht worden, auch der Gesetzentwurf zum reduzierten Mehrwertsteuersatz auf Erdgas ist in dieser Woche in erster Lesung im Deutschen Bundestag. An dieser Stelle, Herr Ministerpräsident Haseloff, möchte ich eine Bitte an Sie richten. Sie haben gesagt: „Die Länder stehen Gewehr bei Fuß“, so darf ich Sie zitieren aus Ihrer Rede gerade.
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Meine herzliche Bitte im Namen der Regierung, aber vielleicht sogar im Namen des gesamten Deutschen Bundestages: Machen Sie Ihren Einfluss in diesem gemeinsamen Sinne auch im Bundesrat geltend. Gerade das Inflationsausgleichsgesetz bedarf der Unterstützung von Bundestag und Bundesrat gleichermaßen. Meine herzliche Bitte ist, dass auch die Länder dabei sind.
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Natürlich ist die Situation schwierig, aber das heißt eben auch, dass man in diesen schwierigen Zeiten nicht zu allem Nein sagen kann. Die Verstaatlichung von Uniper – ich will das offen sagen – stand weder im Koalitionsvertrag, noch ist sie von Kabinettsmitgliedern jemals gewollt gewesen. Es ist eine Notwendigkeit gewesen, um die Gasversorgung in Deutschland sicherzustellen.
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Man kann aber auch nicht zu allen Instrumenten Nein sagen. Ich sage das in Richtung der Kolleginnen und Kollegen der Union. Gestern haben Sie in Ihren Redebeiträgen ausgeführt, dass Sie die Gasumlage nicht wollen. In den letzten Jahren haben Sie zu ganz vielen Dingen Nein gesagt. Ja, es gab gute Gründe, zur Kernenergie Nein zu sagen und vielleicht auch zu Kohle.
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Aber auch zum Ausbau der erneuerbaren Energien haben Sie Nein gesagt. Warum steht Deutschland heute beim Thema Offshore schlechter da als andere europäische Länder? Diese Koalition hat sich auf die Fahnen geschrieben, hier etwas zu tun. Das Angebot gerade für stetige Offshoreenergie auszuweiten, ist Ziel dieser Regierungskoalition, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Deshalb ist es wichtig, dass wir dabei bleiben und jetzt sehr schnell agieren. Der Bundeswirtschaftsminister hat erklärt, dass er insbesondere für den Strommarkt in Kürze Instrumente vorschlagen wird – Stichwort „Strompreisbremse“-; denn es ist richtig, etwas im Strommarkt zu tun. Meine Vorredner haben bereits beschrieben, welche dramatische Situation da insbesondere auf die Unternehmen und die privaten Haushalte zukommt. Der Bundesfinanzminister hat gesagt, dass er eine entsprechende Arbeitsgruppe zum Gasmarkt letzte Nacht einberufen hat.
Meine Damen und Herren, diese Regierungskoalition handelt also auf den Märkten, die zurzeit Probleme haben.
Zum Schluss, Frau Präsidentin, will ich eines sagen.
Aber kommen Sie bitte auch wirklich zum Schluss.
Genau, ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Zur Wahrheit gehört eben auch, dass man staatlicherseits, fiskalischerseits nicht alles wird ausgleichen können.
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Jetzt kommen Sie aber wirklich zum Schluss, Herr Kollege.
Da fand ich es spannend, dass der bayerische Ministerpräsident am gestrigen Tag die Katze aus dem Sack gelassen hat.
Herr Kollege, bitte nur noch einen Satz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, gerade beim Thema Schuldenbremse hätte ich mir von Ihnen mehr Klarheit und weniger Unklarheit gewünscht.
Herzlichen Dank.
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Als Nächstes erhält das Wort für Die Linke Dr. Gesine Lötzsch.
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Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Energiekrise können wir nur wirksam bekämpfen, wenn wir endlich gerechte Verhältnisse in unserem Land herstellen. Wir brauchen eine Übergewinnsteuer für Energie- und Rüstungskonzerne. Auch wenn Sie unseren Antrag dazu gerade abgelehnt haben, versichere ich Ihnen: Wir bleiben dran. Eines Tages werden Sie zustimmen müssen.
Ich sage Ihnen klar: Kritische Infrastruktur gehört in öffentliche Hand. Energiekonzerne müssen verstaatlicht werden,
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und zwar nicht nur in Zeiten der Krise, sondern dauerhaft, damit Krisen sich nicht wiederholen können, meine Damen und Herren.
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Es ist doch immer das gleiche Spiel: Krisenlasten werden den Menschen aufgebürdet, die jeden Tag zur Arbeit gehen, den Rentnerinnen und Rentnern, den Arbeitslosen, den Studierenden. Das darf nicht sein.
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Da unterscheidet sich leider die Scholz-Regierung nicht von der Merkel-Regierung. In jeder Krise wächst die Umverteilung von unten nach oben. Das dürfen wir niemals akzeptieren.
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Der Kanzler hat die Parole ausgegeben: „You’ll never walk alone“. Er sagt aber nicht konkret, was er damit meint. Sollen ihm jetzt die Bürgerinnen und Bürger die Strom- und Gasrechnungen schicken, und er bezahlt die Differenz? Ich glaube, kaum. Das ist eine Veralberung der Leute, meine Damen und Herren.
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Ich möchte noch eine andere Strophe aus dem Lied der Toten Hosen zitieren, Frau Präsidentin: „At the end of the storm thereʼs a golden sky“. Aber bisher gibt es diesen goldenen Himmel nur für Aktionäre, Ölkonzerne und Waffenhersteller.
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Das darf nicht so weitergehen, meine Damen und Herren.
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Gönnerhaft wird erklärt, dass die Verluste der Menschen mit kleinen Einkommen abgefedert werden. Wir sagen ganz klar: Die Verluste müssen komplett ausgeglichen werden. Die Menschen wissen ja jetzt schon nicht mehr, wie sie ihr tägliches Leben finanzieren sollen. Das darf so nicht weitergehen.
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Herr Lindner, der Finanzminister, möchte gern die Schuldenbremse weiter einhalten. Das ist nicht nur existenzgefährdend, sondern das ist ökonomischer Unsinn.
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Nehmen Sie sich endlich ein Beispiel an Herrn Draghi. Sein entscheidender Satz in der Finanzkrise war: „Whatever it takes“.
Meine Damen und Herren, die Wirtschaftskrise ist da, und Sie lassen viele kleine und mittlere Unternehmen am ausgestreckten Arm verhungern. Es ist wie in der Finanzkrise: Die Banken wurden gerettet, aber nicht die normalen Kunden. Und jetzt retten Sie Uniper mit sehr viel Geld, weil der Gashändler systemrelevant ist.
Ich fordere Sie auf: Retten Sie zum Beispiel auch den Ammoniakhersteller Piesteritz in Sachsen-Anhalt! Diese Firma liefert Kohlensäure an die Lebensmittelindustrie, und ohne Kohlensäure kann – das müsste ja alle hier im Saal interessieren – kein Bier hergestellt werden und auch kein Lkw fahren. Piesteritz ist systemrelevant. Hier muss gehandelt werden.
({9})
PCK Schwedt ist für Ostdeutschland systemrelevant. Das Unternehmen verarbeitet Öl für die gesamte Region. Ohne PCK Schwedt steht Ostdeutschland still.
Jetzt haben Sie versucht, zu erklären, PCK Schwedt wäre gerettet. Doch leider – das ist die Wahrheit – sind wir davon noch sehr weit entfernt. Wenn der Kanzler wörtlich sagt, mit der Treuhandlösung habe die Raffinerie eine Zukunft, weiß jeder Ostdeutsche, der „Treuhand“ hört: Das kann ein Albtraum werden.
({10})
Die Treuhand steht in Ostdeutschland für die Abwicklung eines ganzen Industrielandes. Das darf sich nicht wiederholen, meine Damen und Herren.
({11})
Die Rettung steht auch noch in den Sternen. Die Pipeline von Rostock nach Schwedt muss erst in den nächsten Jahren ausgebaut werden. Was ist bis dahin? Auch der Hafen muss ausgebaut werden, und die Ölmengen, die aus Polen, aus Gdańsk geliefert werden, sind begrenzt. Es gibt also keinen „golden sky“, keinen goldenen Himmel, für die Beschäftigten von PCK Schwedt. Sie planen eine Abwicklung auf Raten.
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Oder legen Sie einen konkreten Plan vor! Davon haben wir nichts gehört, meine Damen und Herren.
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Oder nehmen Sie die Bedrohung der Einzelhändler! Mehr als die Hälfte der deutschen Einzelhändler sieht sich durch die gestiegenen Energiekosten in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht.
Wir brauchen endlich einen Gasdeckel, einen Stromdeckel. Wir brauchen ein bezahlbares Grundkontingent für Gas und Strom für die Mieterinnen und Mieter.
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Dazu gibt es jede Menge Anträge unserer Fraktion. Sie müssen ihnen zustimmen.
Was wir ablehnen, ganz klar, ist die Gasumlage. Die Gasumlage ist eine Strafe für die Bevölkerung. Das darf nicht sein, und darum ist unser Widerstand ganz klar bei der Gasumlage.
Wir sagen: Wir brauchen ein gerechtes System. Wir brauchen Strompreisdeckel. Wir brauchen Energiedeckel. Das kann uns helfen. Etwas anderes bedroht die Menschen in unserem Land, und das darf nicht sein.
Vielen Dank.
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Für die SPD-Fraktion erhält das Wort Verena Hubertz.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Wirtschaftsminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich vor anderthalb Jahren aus der Wirtschaft in die Politik gewechselt bin, hätte ich niemals gedacht, dass ich Verstaatlichung und Zwangsverwaltung als Mittel einer guten Wirtschaftspolitik erachten würde. Heute kann ich aber sagen: Wir machen genau das Richtige für diesen Industriestandort und auch die Menschen in Schwedt.
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Frau Lötzsch, lassen Sie mich etwas kurz ausführen. Sie sagen: Ja, wir müssen dafür sorgen, dass die starken Schultern hier mehr schultern. – Das tun wir doch jetzt genau, indem wir Übergewinne abschöpfen wollen. Wir sorgen uns nicht nur um die Menschen in Schwedt, sondern wir arbeiten mit Hochdruck an dem Wärmeproblem, an einer Strompreisbremse, und die kommt dann unabhängig von KUEBLL-Listen und dem ganzen anderen Kram allen in diesem Land zugute. Das ist genau das, was diese Regierung macht.
({1})
Heute sollten wir uns aber mal mit Rosneft und den Standorten in Schwedt und Leuna beschäftigen; denn dafür haben wir auch die Aktuelle Stunde beantragt. Da ist es noch mal ganz wichtig, zu sagen, warum dieser Schritt nötig ist. Um dem Angriffskrieg Putins etwas entgegenzusetzen, haben wir Sanktionen beschlossen, und eine Sanktion ist eben ein Ölembargo. Bald fließt kein Öl mehr aus Russland an einen Raffineriestandort wie Schwedt. Aber wir brauchen doch das, was dort passiert: acht von neun Autos in Berlin und in Brandenburg fahren noch mit Kraftstoff aus Schwedt, und auch jeder vierte Haushalt in Deutschland heizt mit Öl. Eine Menge davon kam über die Pipelines aus Russland nach Schwedt und nach Leuna.
Jetzt muss man kein Betriebswirt sein, um zu verstehen, was es bedeutet, wenn ein großer Lieferant wegfällt. Wir haben darauf reagiert mit neuen Quellen, mit neuen Pipelines, zum Beispiel über den Hafen in Rostock, wie eben Carsten Schneider ausgeführt hat.
Mit diesem Schritt, den wir jetzt gehen, werden wir zwar nicht unabhängig von Öl, aber wir werden unabhängiger von russischem Öl, und wir nehmen als Staat die Zukunft eines wichtigen Industriestandortes aktiv in die Hand. Dafür brauchen wir auch neue Konstrukte, und ja, die Treuhand ist ein Weg, und aus Treuhand soll Zukunft werden.
Warum ist es wichtig? Wenn man ein Unternehmen, das so eng mit Russland verbunden ist wie Rosneft, weiter wirtschaftlich betreiben will, da aber Sanktionen bestehen, bedeutet das ganz konkret, dass ein Softwareunternehmen aus den USA keine Lust mehr hat, mit einem Geschäfte zu machen, und dass ein Wirtschaftsprüfer auch nicht mehr so ganz einfach in der Lage ist, zu sagen: Den Jahresabschluss, den testiere ich noch.
Deswegen ist die Treuhandverwaltung ein wichtiger Schritt, der dafür sorgt, dass alte Geschäftsbeziehungen erhalten bleiben können, aber auch neue geknüpft werden. Das bedeutet dann auch konkret: 2 000 Arbeitsplätze in Schwedt können durch die Pipeline, aber auch durch die Treuhandverwaltung gesichert werden. Darum geht es doch heute, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Es geht aber auch um Zukunft. Deswegen nehmen wir über 1 Milliarde Euro in einem Transformationspaket in die Hand, um eine neue Pipeline zu bauen, aber auch dafür zu sorgen, dass in Zukunft dort mehr passiert. Ein Standort einer Hochschule soll dort entstehen, nämlich als Zweigstelle von der Hochschule Eberswalde, damit man sich dort um die Zukunft und die nachhaltige Entwicklung kümmert. Wir wollen mit dem bewährten EXIST-Programm Neugründungen fördern. Wir suchen auch noch weitere Großinvestoren, die in diese Region und die weiteren Regionen rund um Leuna investieren wollen. Wenn es nötig ist, passen wir auch das Beihilferecht an und setzen uns dafür auf EU-Ebene ein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Zukunft nach dem fossilen Brennstoff ist absehbar. Mit der Investition in zukünftige Wasserstofferzeugung geben wir der Region eine ganz neue Perspektive: Statt russischem Öl entsteht hier bald das grüne Gas der Zukunft, vielseitig einsetzbar, ob zum Heizen, im Großverkehr oder auch für industrielle Prozesse. Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben uns immer dafür eingesetzt und starkgemacht, gemeinsam mit den Gewerkschaften, mit den Arbeitgebern und mit den Menschen in der Region.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit Beginn des Angriffskrieges haben wir so einige Pakete geschnürt: drei Entlastungspakete, eins extra für Unternehmen, aber auch sieben Sanktionspakete. Eigentlich kommen wir auch aus ganz unterschiedlichen Richtungen in diese Ampelregierung. Wovon ich aber überzeugt bin, das ist der Weg, den wir gemeinsam gehen, nicht nur als Ampel, sondern auch gemeinsam mit dem Land Brandenburg. Hier sei auch ganz explizit Ministerpräsident Dietmar Woidke gedankt.
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Denn das Paket schnüren wir gemeinsam mit dem Kanzleramt, mit dem Bundeswirtschaftsministerium, und wir zeigen: Wir lassen uns nicht unterkriegen. Wir zeigen: Wir finden Wege, und wir sorgen auch für die Umsetzung.
Vielen Dank.
({4})
Als Nächstes erhält das Wort in dieser Debatte Sepp Müller für die CDU/CSU- Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Habeck, Vertrauen entsteht, wenn Reden und Handeln zusammenpassen. Ihnen haben die Menschen viel Vertrauensvorschuss gegeben, auch die Menschen in Schwedt. Sie haben mit einem Handschlag auf einer Bühne den Standort garantiert, Arbeitsplätze garantiert.
({0})
Wir wissen, dass bei Ihnen Reden und Handeln nicht zusammenpassen.
({1})
Anfang dieses Jahres haben Sie, Herr Habeck, gesagt, dass Deutschland sich vom russischen Öl getrennt hat und nur noch 12 Prozent russisches Öl raffiniert. Auf unsere Kleine Anfrage vor einigen Wochen hat Ihr Ministerium bekannt gegeben, dass aktuell weiterhin 30 Prozent russisches Öl in Deutschland raffiniert werden. Bei Ihnen passen Reden und Handeln nicht zusammen, und deswegen, Herr Habeck, vertrauen Ihnen die Menschen in Schwedt, in Leuna keinen Millimeter weit.
({2})
Wenn wir uns das ganze Thema Energieversorgung in den neuen Bundesländern anschauen, dann sehen wir, wie ein Wandel funktionieren kann. Carsten Schneider hat das gesagt: Der Ministerpräsident Reiner Haseloff hatte damals als Arbeitsamtsdirektor in Wittenberg die Aufgabe, 25 Prozent Arbeitslosigkeit zu verwalten. – Wir sehen mittlerweile Teile Ostdeutschlands in der Vollbeschäftigung. Wir als Unionsfraktion wollen, dass diese blühenden Landschaften, die wir 30 Jahre lang geschaffen haben, weiterhin blühen,
({3})
und da brauchen wir Vertrauen, und da müssen Reden und Handeln von Ihrer Seite zusammenpassen, Herr Minister.
({4})
Damit Reden und Handeln zusammenpassen, Herr Minister, beantworten Sie folgende Fragen: Wann wird die Pipeline von Rostock nach Schwedt ausgebaut? In zwei Jahren ist es zu spät. Wir brauchen das Öl zum Ende des Jahres. Wann wird der Hafen in Rostock ausgebaggert, Herr Minister, wann kommt da endlich Ihre Antwort? Und wann schaffen Sie endlich die unsägliche Gasumlage ab, die unsozial ist, die ungerecht ist und die der Wirtschaft gerade in den neuen Bundesländern den Garaus macht?
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Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zwingt natürlich zum Handeln, und er zwingt nicht nur zum Reden. Deswegen erwarten wir als Unionsfraktion einen nationalen Kraftakt. Was für LNG-Terminals geht, das muss auch für eine Pipeline von Rostock nach Schwedt gehen. Letztere können wir in drei Monaten bauen. Da haben Sie uns als Union an der Seite, wenn wir genehmigungsrechtliche Zwänge hier im Bundestag verabschieden müssen. Handeln Sie endlich, und reden Sie nicht nur!
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Was erzählen Sie der Rentnerin aus Schwedt, die mir – an dieser Stelle danke ich noch einmal ausdrücklich der Bühne in Schwedt, wo sich Kulturschaffende zusammengetan haben, die versuchen, Antworten zu finden – dort eine berechtigte Frage stellt, Herr Minister, mit ihren 1 100 Euro Rente, die in einer Wohnung in Schwedt wohnt, die aktuell mit Fernwärme aus der Raffinerie versorgt wird? Was antworten Sie, wenn, wie Ihr Wirtschaftsstaatssekretär gestern im Ausschuss verkündet hat, nur mindestens 40 Prozent, maximal 60 Prozent Rohöl aus Rostock kommen? Dann wird die Fernwärmeversorgung in Schwedt nicht mehr funktionieren.
({7})
Was antworten Sie denjenigen in Schwedt? Es geht darum, dass auch die Fernwärmeversorgung für die Rentnerin funktioniert, damit sie nicht im Kalten sitzt. Da fehlen Antworten, da fehlt Handeln von Ihnen, Herr Minister.
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Da der russische Angriffskrieg in der Ukraine uns auch vor Augen führt, dass wir uns unabhängig machen müssen, so lassen Sie uns doch auf Ostdeutschland schauen, lassen Sie uns doch in das Chemiedreieck schauen!
Wir haben in Schwedt nicht nur 60 Prozent der Bitumenproduktion von Deutschland, sondern wir haben mit dem Düngemittelhersteller Stickstoffwerke Piesteritz den größten AdBlue-Hersteller in ganz Europa. Hier brauchen wir Antworten von Ihnen. Sie müssen handeln, Sie müssen die unsägliche Gasumlage abschaffen. Und was tun Sie? Sie reden, Sie denken, aber Sie handeln nicht. Das können Sie den Menschen nicht weiter zumuten, Herr Minister.
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Und zum Abschluss, weil das jetzt von Ihnen als die beste Lösung kolportiert wurde: Die Treuhand, Frau Kollegin von der Sozialdemokratie – das sagen mir Ihre Freunde von der Gewerkschaft, der IG BCE, mit denen ich auf dem Podium war, auch –, kann nur eine Zwischenlösung sein. Wir brauchen eine Zukunftsperspektive für Schwedt, und es darf nicht sein, dass diejenigen Konzerne, die sich in den letzten Monaten die Säcke mit Geld vollgestopft haben, am Ende Schwedt übernehmen. Wir brauchen staatlich gemeinsam einen Transformationsprozess,
({10})
und die Treuhand muss endlich sein – endlich! –, damit es in Schwedt weitergeht.
Danke.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie noch einmal daran erinnern, dass in wenigen Minuten die Abstimmung geschlossen wird.
Aber vorher gebe ich noch das Wort an Katharina Dröge für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Müller, wenn Sie aufgepasst hätten, dann hätten Sie den nationalen Kraftakt mit Blick auf die Energieversorgung, den Sie sich gewünscht haben, in den letzten Monaten erlebt.
({0})
Das, was diese Bundesregierung und was insbesondere Wirtschaftsminister Habeck in den letzten Wochen und Monaten geschafft haben, das war eine beeindruckende politische Leistung,
({1})
das waren Entscheidungen, die dieses Land in dieser Form noch nie erlebt hat.
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Dazu gehört, dass die Raffinerie Schwedt unter Treuhand der Bundesnetzagentur gestellt wird: ein weiterer wichtiger Schritt, um sich von der erpresserischen Politik Putins unabhängig zu machen, ein wichtiger Schritt für die Versorgungssicherheit und insbesondere für die Menschen, für die Beschäftigten in der Region.
({3})
Und es war bereits ein zweiter Schritt. Auch das Unternehmen der deutschen Gazprom musste schon unter Treuhand gestellt werden, um die Versorgungssicherheit in diesem Land zu garantieren. Die fatale Abhängigkeit von russischem Gas und russischem Öl – das waren 55 Prozent unseres Gases vor Kriegsbeginn und 35 Prozent unseres Erdöls vor Kriegsbeginn –, das, liebe Union, ist Ihr politisches Erbe. Das ist das historische politische Versagen der Kanzlerschaft von Angela Merkel.
({4})
Wir mussten mit diesem Erbe innerhalb von wenigen Wochen aufräumen.
Um zu verstehen, was das für ein Paradigmenwechsel ist, den wir in diesen wenigen Wochen und Monaten geschafft haben, lohnt ein Blick zurück. Da lohnt ein Blick zurück auf die Geschichte der Unternehmen Rosneft und Gazprom, und da lohnt ein Blick zurück auf das Jahr 2015.
2015 war das Jahr, in dem die Annektierung der ukrainischen Krim durch Russland schon ein Jahr her war, ein Jahr, in dem ein Land Teile seines Nachbarlandes besetzt hatte, einen unabhängigen Staat. Niemand musste sich im Jahre 2015 noch Illusionen darüber machen, wer Wladimir Putin ist.
({5})
Und trotzdem war 2015 das Jahr, in dem Sie in der Bundesregierung zugelassen haben, dass der Speicher Rehden, der größte Gasspeicher Deutschlands, einer der größten in Europa, vom russischen Unternehmen Gazprom gekauft wurde.
({6})
Sie haben zugeschaut, wie kritische Infrastruktur, die für unsere Energiesicherung existenziell war, nach Russland ging.
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Und mein Kollege Oliver Krischer hat Sie damals gewarnt, im Deutschlandfunk. Ich zitiere:
Ich will mir nicht ausmalen, wenn wir tatsächlich mal einen Krisenfall haben, wie dieser Speicher dann eingesetzt wird. Bestimmt nicht im Sinne der Menschen in Deutschland, bestimmt nicht im Sinne der Gasversorgungssicherheit in Deutschland.
Das hat er Ihnen sogar schon 2014 gesagt. Doch Sie haben das ignoriert, und Sie haben weiterhin weggeschaut.
2015 war nämlich auch das Jahr, in dem das russische Unternehmen Rosneft weitere Unternehmen zur Energieversorgung erworben hat. Die Unternehmen, über die wir gerade reden – PCK Schwedt, Bayernoil, MiRO Karlsruhe –, gingen 2015 mehrheitlich an Rosneft. Auch hier haben Sie einfach zugeschaut, wie unsere Energieversorgung von Russland aufgekauft wurde.
({8})
2015 ist auch das Jahr, in dem das Unternehmen EON seine fossilen Geschäfte in eine Bad Bank ausgelagert hat, die später den Namen Uniper bekommen hat. Dieses Unternehmen hatte das Geschäftsmodell, billiges Gas aus Russland zu kaufen, dies an unsere Stadtwerke zu verkaufen und sich an der Pipeline Nord Stream 2 zu beteiligen. In dieser Woche müssen wir dieses Unternehmen mit Milliarden Euro retten, weil wir zugeschaut haben, wie viel zu lange falsche Abhängigkeiten zementiert wurden.
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2015 ist auch das Jahr, in dem die Unternehmen Gazprom, BASF, EON, Shell und einige andere einen Gesellschaftsvertrag über die Umsetzung des Pipelineprojektes Nord Stream 2 unterschrieben haben. Eine Pipeline, die Sie immer unterstützt haben, eine Pipeline, vor der halb Europa Sie gewarnt hat, wurde damals zementiert.
Ich habe Ihnen eine Kleine Anfrage aus dem Jahr 2015 von der Abgeordneten Annalena Baerbock mitgebracht. In der haben Sie als Bundesregierung alles dokumentiert: den Verkauf des Gasspeichers an Gazprom, den Verkauf der Raffinerien an Rosneft, die Pipeline Nord Stream 2. Es lag alles auf dem Tisch.
({10})
Sie haben alles gewusst, aber Sie haben nichts gemacht, und die Frage ist: Warum eigentlich?
({11})
Wir können jetzt vorspulen in das Jahr 2021. Wir sind wenige Monate vor Kriegsbeginn, und die deutschen Gasspeicher leeren sich.
({12})
Wieder haben wir Sie gewarnt. Wieder haben wir Sie gebeten, zu handeln. Sie haben nichts getan! Sie hätten die Möglichkeit gehabt, Mindestfüllmengen festzuschreiben. Als Robert Habeck das Wirtschaftsministerium übernommen hat, waren wir entsetzt, wie leer die Speicher waren.
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Deswegen gehörte es zu den ersten Amtshandlungen dieses Ministers, die Speicher aufzufüllen, Mindestfüllmengen zu beschließen, Infrastruktur im Eiltempo zu bauen, überall LNG-Terminals zu errichten, Nord Stream 2 zu beenden, das Energiesicherungsgesetz zu novellieren.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.
All das haben wir gemacht, um mit Ihren Fehlern aufzuräumen.
({0})
Es gibt noch eine Antwort aus 2015: Wir haben Sie gefragt, was man tun kann, um die Rohstoffabhängigkeit von Russland zu reduzieren.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin!
Ihre Antwort damals war: der Ausbau der erneuerbaren Energien und die Erhöhung von Energieeffizienz. Auch das mussten wir sieben Jahre später für Sie übernehmen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gehe jetzt eigentlich davon aus, dass alle abgestimmt haben. – Ich werde nach der nächsten Rede die Abstimmung schließen.
({0})
Das sage ich noch einmal ganz deutlich.
Dann erhält jetzt das Wort Carina Konrad für die FDP-Fraktion.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in dieser Debatte sehr deutlich geworden: Die Lage in Deutschland ist dramatisch. Und auch diese Debatte hat es wieder gezeigt: Unsere Errungenschaften werden angegriffen; das hat diese Debatte verdeutlicht. Unsere Freiheit ist nicht selbstverständlich – sie muss jeden Tag aufs Neue verteidigt werden. Unser Frieden ist nicht garantiert; das merken wir gerade schmerzhaft. Wir müssen wehrhaft für unsere Werte einstehen.
Die Inflation zeigt uns jeden Tag aufs Neue – und das ist auch das, was uns hier so umtreibt in dieser Debatte –, dass auch unser Wohlstand nicht selbstverständlich ist. Das besorgt die Menschen in diesem Land zu Recht, und das besorgt auch uns; deshalb müssen wir etwas tun.
({0})
Jeder in diesem Haus hat sich entschieden, alleine schon mit seiner Kandidatur für den Deutschen Bundestag, Verantwortung zu übernehmen für dieses Land. Wir sind bereit, diese Verantwortung jetzt auch in Taten umzusetzen, und das ist nicht einfach in so schwierigen Zeiten. Ich bin dankbar für jeden Streit, den wir im Moment miteinander führen. Den müssen wir miteinander führen; denn es geht um das, was Generationen vor uns geschaffen haben, und um das, was wir für die nächsten Generationen in gute Hände legen wollen. Dafür lohnt sich der Streit, und den müssen wir führen.
Die Energiepreise sind schlichtweg nicht zu zahlen. Die Menschen fühlen sich überfordert angesichts dessen, was ihnen in diesem Winter bevorsteht. Es ist richtig, dass die Menschen wirklich viel tun, um ihren Beitrag dazu zu leisten, jetzt mit anzupacken, um Energie zu sparen. Auch wir tun vieles und haben vieles bereits auf den Weg gebracht, um das Energieangebot auszudehnen.
Ich bin persönlich – das muss ich an diesem Ort hier sagen – davon überzeugt: Wir haben noch nicht alles getan. Ein Notbetrieb der Kernkraftwerke ist nicht alles, was wir tun können. Es ist mir schlicht und ergreifend nicht klar, warum man mitten in der größten Krise, die dieses Land je erlebt hat, im Januar nächsten Jahres drei laufende Kernkraftwerke vom Netz nehmen will und damit das Angebot noch weiter verknappt in dieser Situation. Das ist der falsche Weg, und darüber müssen wir definitiv auch noch weiter streiten.
({1})
Wir müssen das Angebot auch an anderer Stelle ausweiten: die Kohlekraftwerke alle wieder ans Netz nehmen, so bitter das ist; für Biogas, für die Erneuerbaren den Weg ebnen, sodass jetzt viel mehr Kapazitäten ans Netz kommen.
({2})
Es wurde schon viel getan, und das haben Staatsminister Schneider und Minister Habeck hier auch dargelegt.
Diese Aktuelle Stunde soll sich auch darum drehen, die Planung zu beschleunigen; das war im letzten Teil der aktuellen Debatte noch zu bemerken. Wir haben die Planung auch schon beschleunigt. Das LNG-Beschleunigungsgesetz heißt nicht nur so, sondern das war regelrecht eine Blaupause für das, was möglich ist und was möglich sein muss, auch aus dieser Krise heraus, um Wohlstand, um Freiheit, um Frieden in diesem Land auch für die Zukunft und für unsere Kinder und Enkel zu bewahren und zu vermehren.
Das müssen wir jetzt ernst nehmen, und das nehmen wir ernst. Wir setzen uns zusammen und gehen alle Infrastrukturbereiche, die wir in diesem Land in einem wirklich schwierigen Zustand vorgefunden haben, durch. Wir haben heute Morgen als Allererstes in diesem Parlament über die Digitalstrategie der Bundesregierung debattiert – ein wichtiger Baustein dafür, was wir in diesem Land auch in Zukunft erreichen können und wo wir hier auch den Planungsturbo einlegen müssen. Aber wir müssen den Planungsturbo jetzt auch einlegen, um effiziente Speicher in die Fläche zu bringen, um Stromtrassen durch die Republik zu bringen. Wir brauchen diesen Turbo auch für die Wasserstoffproduktion.
Wir brauchen allerdings auch Infrastruktur auf der Schiene und auf der Straße, um Güter zu transportieren. Das merken wir im Moment ja auch, dass es an allen Ecken und Enden klemmt und dass wir jetzt tatsächlich beschleunigen müssen und nicht nur über Dinge reden können. In der Vergangenheit konnten wir es uns leisten, abzuwägen: Was wollen wir, was wollen wir nicht? Jetzt heißt es: All-in. Wir müssen versuchen, so viel wie möglich zu bewirken, und das in sehr, sehr kurzer Zeit.
Sie können mir glauben, liebe Kollegen von der Union: Ich nehme Ihnen das ab, dass Sie es jetzt ernst meinen und dass Sie auch die Notwendigkeit sehen, die hier besteht, um voranzukommen in vielen Bereichen, sowohl kurzfristig als auch mittel- und langfristig. Aber zur Verantwortung gehört an der Stelle auch dazu, nicht die Schuldenbremse infrage zu stellen, denn das würde möglicherweise Generationen nach uns noch belasten. Wir müssen auch an die nächsten Generationen denken. In dem Zusammenhang: Machen Sie gerne Einsparvorschläge dort, wo wir im bestehenden Haushalt umschichten und Dinge ermöglichen können, um den Unternehmen zu helfen. Aber stellen Sie nicht grundsätzlich unseren Generationenvertrag infrage. Das ist mein dringender Appell an dieser Stelle.
({3})
Wenn wir jetzt die Kraft haben – das soll noch mein letzter Satz sein –, auch gemeinsam in dieser schwierigen Phase diese Entscheidungen kurzfristig, mittelfristig und langfristig zu treffen, dann – da bin ich mir sicher – ist es nach einem Jahrzehnt des Stillstands und der Verwaltung des Stillstands möglich, dass wir tatsächlich ein Erneuerungsjahrzehnt einleiten. Daran arbeiten wir jetzt.
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Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Sehr geehrter Herr Minister! Ich vertrete als Abgeordnete die Stadt und Teile des Landkreises Rostock, und ich bin Mitglied des Ausschusses für Klimaschutz und Energie. In dieser Doppelbetroffenheit begrüße ich die Entscheidung der Bundesregierung, die Rosneft Deutschland GmbH und die RN Refining & Marketing GmbH unter Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur zu stellen, ausdrücklich.
({0})
Das ist rechtlich möglich durch § 17 des Energiesicherungsgesetzes und damit auch begrenzt, Herr Kollege von der CDU/CSU.
({1})
Dieser Schritt war nötig, um den Geschäftsbetrieb der Rosneft Deutschland aufrechtzuerhalten. Das Unternehmen spielt eine wesentliche Rolle für die Ölversorgung und damit für die Versorgungssicherheit, ist also Teil der kritischen Infrastruktur im Energiesektor. Das sehr engagierte Vorgehen des Ministers und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz – auch von Herrn Kellner –, des Ostbeauftragten Carsten Schneider und der MPs der beteiligten Landesregierungen war zugleich erforderlich, um den Standort Schwedt und die dort beschäftigten Menschen abzusichern.
Die PCK Raffinerie Schwedt hing bislang an russischem Öl. Ab Dezember 2022 unterliegt russisches Öl einem EU-Importembargo, und das ist auch gut so. Die Marktakteure der Mineralölwirtschaft in ganz Deutschland und besonders die Raffinerien in Schwedt und Leuna arbeiten mit Hochdruck daran, ihre Lieferwege umzustellen und zum Jahresende von russischem Rohöl unabhängig zu sein.
({2})
Dass in unserem Land der Mensch zuvorderst gesehen wird, ist nicht politischem Kalkül geschuldet, sondern einem zutiefst empfundenen Gemeinsinn. Es ist Ausdruck unserer sozialen Marktwirtschaft.
({3})
Das unterscheidet unser Gesellschaftssystem maßgeblich von Autokratien, ist historisch erstritten und gewachsen.
Der Rostocker Hafen wird als größter deutscher Ostseehafen eine wichtige Rolle bei der künftigen Versorgung Ostdeutschlands mit Rohöl einnehmen. Dafür wird die bestehende Hafeninfrastruktur hinsichtlich des Ausbaus des Liegeplatzes sowie der Errichtung von Tiefwasserliegeplätzen für Rohöl und Grüne Energieträger aus- und umgebaut. Dazu kommt die Vertiefung des Warnow-Seekanals, um größere und schwer beladene Schiffe im Rostocker Hafen anlaufen lassen zu können. Die Investitionskosten übernimmt der Bund. Genauso wichtig ist dabei auch die Ertüchtigung der Pipeline Rostock–Schwedt, die bislang lediglich für die Notfallversorgung vorgesehen war, jedoch nicht für den Dauerbetrieb. Das wird sich nun ändern, und das wird schnell gehen.
({4})
Im Mai und im Juni haben Andreas Rimkus, der Wasserstoffbeauftragte der SPD- Bundestagsfraktion, und Carsten Schneider den Rostocker Hafen und das Leibniz-Institut für Katalyse, LIKAT, in Rostock besucht. Hier trafen sie auf die Akteure in der Region, die bereits vor dem Krieg an der Perspektive des Rostocker Überseehafens als Nukleus und Startpunkt für ein ostdeutsches Wasserstoffpipelinenetz sowie zum europäischen Energiedrehkreuz für Wasserstoff im deutschen Ostseeraum gearbeitet haben. Darin eingeschlossen war und ist auch das Vorhaben des LIKAT zur Produktion klimaneutraler Treibstoffe wie E-Kerosin und E-Schiffsdiesel für den Flug- und Wasserverkehr im Zusammenspiel mit der Raffinerie Schwedt. Meine Ampelkollegen Claudia Müller und Hagen Reinhold sowie mein Kollege Frank Junge haben hierzu bereits in der letzten Wahlperiode an Weichenstellungen mitgearbeitet.
Dieser Blick in die Zukunft und die bereits getätigten Vorarbeiten und bestehenden Netzwerke erhalten nun mit dem langfristig angelegten und breit abgestützten Zukunftspaket „Sicherung der PCK und Transformation in den ostdeutschen Raffineriestandorten und Häfen beschleunigen“ einen deutlichen Schub. Das, was mir am Herzen liegt, nämlich dass wir im Osten beim Thema Wasserstoff und Investitionen in den Ausbau einer Wasserstoffnetzinfrastruktur neben anderen Standorten gleichberechtigt mitspielen, wird durch die Finanzmittel aus dem Sonderprogramm im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ und durch zusätzliche Bundesfördermittel dahin gehend maßgeblich unterstützt.
Die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt übernehmen hier die Hälfte der Finanzierung und investieren so gemeinsam mit dem Bund in neue regionale Wertschöpfungsketten.
({5})
Dabei kann auf die Expertisen vor Ort, die Forschungsaktivitäten, die bestehenden Infrastrukturen und vor allem auf die Verfügbarkeit erneuerbarer Energien, insbesondere offshore, aufgebaut werden. Das Signal der Bundesregierung, hier zu investieren, wird von den Stakeholdern aus der Wirtschaft direkt aufgenommen. Bereits morgen geht es in Rostock unter der Fragestellung „Energiehafen Rostock“ um Import- und Produktionsprojekte. Heute findet in MV der Baltic Sea Business Day mit Partnerländern im Ostseeraum – Polen, Dänemark, Norwegen, Schweden, Lettland und Litauen – statt.
Am Schluss meiner Rede ist es mir ein Anliegen, etwas zu den aktuellen Protesten zu sagen. Wir alle wissen um die Sorgen und Ängste der Menschen zu Hause, in unseren Wahlkreisen, von Privatleuten, von Unternehmen, Kultur- und Sportvereinen, Bildungsinstitutionen und Kommunen bezogen auf die für viele unbezahlbaren Energiepreise. Zu Recht verlangen sie zügig Antworten, Entlastung und Planbarkeit. Jeder und jede kann dafür auf die Straße gehen und für seine sozialen Rechte demonstrieren.
({6})
Demonstrationen, auf denen jedoch zu Gewalt aufgerufen wird – so geschehen in meiner Heimatstadt Rostock –, lehne ich komplett ab. Ich unterstütze dagegen den Demonstrationsaufruf des Deutschen Gewerkschaftsbunds in meiner Region. Demonstriert wird hier für einen Energiepreisdeckel, für eine Übergewinnsteuer und das Aussetzen der Schuldenbremse.
({7})
Warum? Zum einen, weil ich selbst Gewerkschafterin bin.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Zum anderen, weil hier Menschen unterwegs sind, die mich als Politikerin Dinge erklären und einordnen lassen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Als Nächstes erhält das Wort der Kollege Michael Grosse-Brömer für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Habeck, als ich den Titel der Aktuellen Stunde gelesen habe, fiel mir als Erstes auf: Sie machen Deutschland „sturmfest“. Abends habe ich dann Herrn Lauterbach gehört, der erklärt hat, er hofft auf gutes Wetter, damit sich Corona im Herbst und am Ende des Jahres nicht so ausbreitet. Herr Minister Habeck, Sie haben gesagt: Wir brauchen Glück mit dem Wetter, um gut durch den Winter zu kommen.
({0})
Ich finde, eine Regierung, die ihre politischen Ziele derart vom Wetter abhängig macht, sollte vorsichtig sein mit der Behauptung, sie hätte Deutschland schon sturmfest gemacht.
({1})
Das zu sagen, ist vielleicht ein bisschen zu früh.
Frau Kollegin Dröge, Sie tragen hier ja vor – –
({2})
– Sagen Sie nicht, wenn ich Frau Dröge anspreche: „ohne jeden Inhalt“. Das würde ich jetzt so nicht sagen. Das, was sie gesagt hat, hatte schon Inhalt, war aber eigentlich mehr eine Oppositionsrede. Ich meine, es ist ja ganz interessant, dass Sie hier einen historischen Abriss geben, wie wohl alles gewesen ist.
({3})
Ich bitte Sie nur, wenn Sie das demnächst noch einmal machen, nicht zu vergessen: Nord Stream 1 war politisch gewollt von einer rot-grünen Regierung
({4})
und wurde dementsprechend auch umgesetzt von Rot-Grün.
Da Sie auch Gasspeicherverkäufe angesprochen haben, bitte ich Sie, sich an die SPD zu wenden.
({5})
Es gab einen Wirtschaftsminister Gabriel, der dafür verantwortlich war. Verwechseln Sie die Sache nicht, wenn Sie mit uns über die Verantwortung für die Vergangenheit reden!
({6})
Darum will ich einfach nur noch einmal bitten.
Zu Rosneft. Ich kann das verstehen: Wenn man keine großartigen Erfolge hat,
({7})
dann bekommt man ein bisschen das Gefühl, dass man auf einem Schiff steht, das langsam untergeht, und man freut sich, wenn man ein Rettungsboot zu Wasser lassen kann. Das verstehe ich. Aber damit ist noch nicht das ganze Schiff gerettet. Deswegen werden wir auch in dieser Aktuellen Stunde darüber reden müssen.
Wenn Sie Arbeitsplätze erhalten wollen – wir alle wünschen uns ja, dass das gelingt –, dann müssen Sie aber irgendwann anfangen, etwas für den Mittelstand zu tun. Wir hören immer sowohl von Herrn Lindner als auch von Ihnen, Herr Habeck: Wir arbeiten mit Hochdruck daran. – Ja, aber wenn Sie das mit Hochdruck tun, dann muss doch irgendwann einmal ein Ergebnis da sein.
({8})
Ich habe vorhin von Ihnen gehört, wenn ich das richtig verstanden habe, dass es jetzt eine Förderung geben soll, nämlich eine Aufnahme in die KUEBLL-Liste – auch wenn man nicht im internationalen Wettbewerb steht –, wenn man Verluste macht. Dazu habe ich eine Verständnisfrage: Muss man insgesamt Verluste machen, oder muss man Verluste machen im Vergleich zum Umsatz des Vorjahres? Dann würde es schwierig für Bäckereien. Wenn ein Bäcker, sagen wir einmal, im Vorjahr 6 000 Euro monatlich Umsatz hatte, jetzt aber Energiekosten von 6 000 Euro fällig werden, obwohl er überhaupt keinen Umsatz hat, würde das eine Aufnahme in die KUEBLL-Liste rechtfertigen? Ich weiß es nicht. Ich habe da nur ein Verständnisproblem; deswegen wollte ich das hier angesprochen haben.
Angesichts des Titels der Aktuellen Stunde – „Gewährleistung der Energieversorgung“ – will ich nur kurz daran erinnern: Wir haben heute Vormittag über das Atomgesetz geredet; das ist alles klar. Eine Mischung aus Erneuerbaren und Flüssiggas – das können Sie noch so oft wiederholen – wird nicht reichen. Das wird nicht reichen! Allein mit Biomasse aus Niedersachsen könne man angeblich 5 Prozent des Gases aus der Russischen Föderation ersetzen. Hören Sie doch bitte nur auf Ihre Wirtschaftsweisen! Hier wird immer irgendetwas vorgeschoben. Fünf Wirtschaftsweise, ein Beraterteam von Experten für die Bundesregierung, sagen: Lassen Sie diese Kernkraftwerke befristet am Netz! Das hilft 10 Millionen Haushalten. – Das ist doch nicht so schwer zu verstehen. Hören Sie doch auf Ihre eigenen Sachverständigen!
({9})
Noch eins: Clemens Fuest vom ifo-Institut – eine Kollegin von den Grünen hat heute Vormittag auch das ifo-Institut genannt – sagt:
Wer glaubt, es sei sinnvoll, mitten in einer schweren Energiekrise funktionierende Kraftwerke abzuschalten, irrt sich. Wenige Dinge sind so eindeutig und eigentlich einfach zu verstehen.
Wenn es einfach ist, dann geben Sie sich doch die Mühe. Verstehen Sie das doch mal, und sträuben Sie sich nicht! Ich kann es ja verstehen. Ich fahre ja durch Niedersachsen und sehe die grünen Wahlplakate, die da stehen: „Bye-bye, AKWs“. Aber jetzt mal ehrlich: Wenn Sie nur wegen der Grünen in Niedersachsen nicht den Mut haben, das zu tun, was Ihre Experten Ihnen raten, dann halte ich das ein Stück weit für unverantwortlich. Wenn wirklich das Motto „Erst die Partei, dann das Land“ gilt, solange die Wahl in Niedersachsen noch nicht stattgefunden hat, dann wird man der Verantwortung in der Regierung nicht gerecht, liebe Grünen. Das muss ich Ihnen so eindeutig sagen.
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Das Gleiche gilt für die FDP in Niedersachsen. Ich freue mich immer, wenn ich am Plakat des Spitzenkandidaten vorbeifahre; darauf steht nämlich geschrieben: „Atomkraft: Wer FDP wählt, wählt sichere Stromversorgung“. Da stelle ich mir kurz die Frage: Warum macht ihr es dann nicht? Das wäre doch ganz gut.
Ich glaube, es gibt ein Muster für ein erfolgloses Wahlplakat; das haben wir in der CDU auch mal gehabt. Da haben wir in Baden-Württemberg regiert, und auf dem Plakat stand: „Asylrecht ändern“.
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Da haben uns die Leute gefragt: Ja, aber ihr regiert doch in Berlin; warum macht ihr es nicht? – Nehmt es mir nicht übel: Wenn ihr das schon plakatiert, dann enttäuscht die Leute weder in Deutschland noch in Niedersachsen. Macht es! Es wäre der richtige Weg, und dann wäre die sichere Stromversorgung vielleicht zu gewährleisten.
Jetzt müssen Sie aber zum Schluss kommen, bitte.
Dann wäre die Energieversorgung in Niedersachsen sichergestellt und nicht nur plakatiert!
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Für Bündnis 90/Die Grünen erhält jetzt das Wort der Abgeordnete Michael Kellner.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht in der Aktuellen Stunde um die Gewährleistung der Energiesicherheit in Deutschland. Dafür war der letzte Freitag ein wichtiger und ein guter Tag, indem wir Rosneft Deutschland unter Treuhandverwaltung gestellt haben. Das war notwendig, weil die Versicherer nicht mehr versichern wollten,
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weil die Prüfer nicht mehr prüfen wollten, weil die Händler nicht mehr handeln wollten mit der PCK.
Ehrlicherweise – das wird immer gerne als Over-Compliance beschrieben –: Ich finde es richtig, wenn Unternehmen sagen, sie wollen nicht mit einem russischen Staatskonzern zusammenarbeiten.
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Hätten wir diese Treuhandverwaltung nicht gemacht, dann wäre dieses Kartenhaus zusammengefallen. Das heißt, es war ein wichtiger Schritt zur Zukunftssicherung.
Wir haben Wort gehalten. Ich war so oft vor Ort und habe die Sorgen gemerkt. Wir haben Wort gehalten. Wir haben eine Jobgarantie für die Menschen dort, für die Beschäftigten ausgesprochen; ein ganz wichtiges Signal.
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Ich will mich ausdrücklich bei der IG BCE und dem Betriebsrat der PCK bedanken, die diesen Kurs unterstützt haben, auch wenn es schwer war, vor Ort zu argumentieren.
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Ich will auch sagen: Es wird dort weiter Rohöl verarbeitet werden. Es wird dann eben kein russisches Rohöl mehr sein. Ich finde das angesichts dieses Krieges in der Ukraine richtig. Das ist ein weiterer Schlag gegen Putin.
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So wie Russland den Krieg in der Ukraine verliert, so wird Putin auch diesen Wirtschaftskrieg verlieren. Seit 20 Tagen kam kein Erdgas mehr aus Russland,
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und die Erdgaspreise sind gefallen. Sie sind immer noch zu hoch, aber sie sind gefallen. Wir werden gemeinsam diesen Wirtschaftskrieg auch gewinnen.
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Herr Müller, ich erwarte ja gar nicht, dass die Union sagt: Alles gut und richtig. – Ich finde, wir sollten hier aber am Pult keine falschen Behauptungen aufstellen.
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Die Wärmeversorgung der Stadt Schwedt ist gesichert, auch wenn nur Öl über Rostock kommen würde.
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Selbst wenn kein zusätzlicher Tropfen aus Kasachstan oder Polen kommen würde,
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wäre die Wärmeversorgung der Stadt Schwedt gesichert. Sie wäre gesichert! Deswegen ist diese Behauptung wirklich Angstmache, wenn Sie sagen, die Wärmeversorgung ist dann nicht gegeben.
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Ich erwarte von der Union – das erwarte ich nicht von den anderen Kollegen; aber von Ihnen erwarte ich das –, dass Sie hier keine Falschbehauptungen aufstellen. Ich finde, das ist falsch.
Die Arbeit ist nicht zu Ende. Bei der Ertüchtigung der Pipeline gehen wir voran. Sie haben vor allen Dingen die Chance, die Transformation mitzugestalten. Denn es ist ja so – wir haben es gerade aus Mecklenburg-Vorpommern gehört; wir haben es oft in Schwedt gehört, und man kann es in Leuna übrigens schon sehen –: Es gibt so viele gute Ideen, diese Transformation anzupacken. Wir haben jetzt die Chance.
Wir haben jetzt ein riesiges Entlastungspaket geschnürt. Ich bin Carsten Schneider sehr dankbar. Wir haben lange gemeinsam mit den Ländern darum geworben, dass wir das Herzstück des Transformationsprogramms als Teil der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ voranbringen. Laut Grundgesetz ist vorgeschrieben, dass die Finanzierung jeweils hälftig bei Bund und Ländern liegt.
Das ist keine einfache Debatte. Ich bin Ihnen, Herr Haseloff, ebenso wie der Ministerpräsidentin Frau Schwesig und dem Land Brandenburg dankbar, dass wir gemeinsam diesen Weg gehen. Denn dieses GRW-Programm hat einen riesigen Vorteil: Wir können damit nämlich direkte Unternehmenshilfe leisten. Das ist besser als bei dem Kohleausstiegsgesetz, besser als bei den Strukturhilfen in der Lausitz. Wir können Unternehmensansiedlungen unterstützen. Deswegen bin ich so froh, dass wir gemeinsam diesen Rechtsrahmen gewählt haben. Ich bin sehr dankbar, dass wir das gemeinsam hinbekommen haben.
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Das ist gut; denn damit eröffnen sich die Chancen für die Region. 750 Millionen Euro gemeinsam von Bund und Ländern stehen den Ländern Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern für 15 Jahre zur Verfügung. Denn wir haben die Ideen. Wir sehen ja, wie wir mit Biomolekülen in eine grüne Chemieindustrie gehen können; das ist schon weit fortgeschritten in Leuna. Wir sehen die Chancen, die Mecklenburg-Vorpommern als Importregion für Grünen Wasserstoff hat. Wir sehen die Chancen, die wir bei synthetischen Kraftstoffen haben, die wir entwickeln können. All diese Geschäftsfelder können wir jetzt erschließen.
Deswegen will ich mich für die Zusammenarbeit bedanken. Ich will noch einmal sagen: Es war am Freitag ein guter Tag für Schwedt. Die Arbeit geht weiter!
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner in dieser Debatte ist Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir erleben im Augenblick in der Tat einen makroökonomischen Schock durch hohe Energiepreise, welcher sowohl zur Gefahr einer Rezession als auch zu inflationären Tendenzen führt. Wir müssen festhalten, dass vor allem die Versorgung mit Gas in der Breite für die gesamte Volkswirtschaft von elementarer Bedeutung ist – nicht nur für Lieferketten und Produktionsprozesse, sondern auch für die Tragfähigkeit von Geschäftsmodellen als solche.
Nicht nur die Menschen fragen sich, wie sie im Herbst und Winter die Gas- und Stromrechnung bezahlen sollen, sondern auch im Handwerk und Mittelstand ist es eine Existenzfrage geworden. Zur Lösung dieses Problems muss man groß denken. Wir brauchen eine Kraftanstrengung, um Gas- und Energiepreise niedrig zu halten und diesen Schock abzufedern. Und hier macht die Bundesregierung leider zu wenig.
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Es ist zunächst einmal richtig, dass die Stabilisierung von Gasmärkten eine gesamtwirtschaftliche Aufgabe ist. Dann muss es aber auch aus Steuermitteln geschehen. Die Beteiligung des Staates an Uniper ist richtig. Aber die Folgefragen, die sich daraus ergeben, werden nicht beantwortet. Die Gasumlage ist den Gaskunden jetzt mitgeteilt worden. Es stellt sich aber die Frage: Wieso darf für ein Unternehmen, welches ohnehin bald komplett in staatlicher Hand ist, überhaupt noch eine Gasumlage erhoben werden?
Nicht wenige Juristen sagen, es handelt sich um die Form einer Sonderabgabe. Die ist aber verfassungsrechtlich nur in eng begrenzten Angelegenheiten zulässig. Wenn es also berechtigte Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der Gasumlage gibt, darf sie der Bund nicht einführen. Er muss erst die verfassungsrechtlichen Vorfeldfragen prüfen. Alles andere ist kein verantwortungsvolles Handeln, meine Damen und Herren.
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Die Menschen verstehen, dass wir uns im Augenblick in einer krisenhaften Situation befinden. Die Bevölkerung hätte sogar Verständnis, wenn sich die Bundesregierung eingestehen würde, dass die Idee der Gasumlage zwar gut gemeint, aber zu keiner Sekunde gut gemacht war, und dass man deswegen auf diese Gasumlage, die nur zu einer ungerechten Verteilung führt und unsozial ist, verzichtet. Denn spätestens mit der Beteiligung bei Uniper fehlt die verfassungsrechtliche Grundlage.
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Was brauchen wir stattdessen? Ich habe davon gesprochen, dass wir groß denken müssen, dieser Krise angemessen.
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Wir brauchen eine Deckelung des Gaspreises sowie eine Deckelung des Strompreises. Das ist wichtig, damit Planungssicherheit besteht und sowohl für die privaten Haushalte als auch für Handwerk, Mittelstand und Industrie Möglichkeiten bestehen, weiter produzieren zu können, damit keine Abwanderungen von Industriezweigen oder Stilllegungen zu befürchten sind.
Wir brauchen natürlich den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke – nicht nur, um ein höheres Angebot im Strommarkt zu haben, sondern auch, um unserer europäischen Solidarität gerecht zu werden. Denn unsere europäischen Partner verstehen es nicht, wenn wir Angebote aus dem Strommarkt nehmen.
Da habe ich eine Bitte an die Kolleginnen und Kollegen von der FDP: Es ist richtig, dass Sie dies einfordern; aber dann bitte ich, auch darzustellen, wie Sie den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke in dieser Koalition durchsetzen wollen.
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Wir müssen bei der KUEBLL-Liste, des so genannten Energieeinsparungsprogrammes, auch dafür Sorge tragen, dass nicht nur Verluste, sondern auch die Drohung von Verlusten, gerade für Handwerksbetriebe, dazu ausreicht, in diese Förderung zu kommen.
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Wir brauchen eine Änderung der Merit-Order-Regelung bei der Stromproduktion, um dafür Sorge zu tragen, dass teure Gasspitzen aus der Strompreisbildung herausfallen.
Meine Damen und Herren, wir wissen letztlich alle: Es ist eine krisenhafte Situation. Der Grund ist, dass die westliche freie Ordnung, Demokratie, Frieden und Freiheit angegriffen worden sind – in der Ukraine durch Russland. In einer solchen Situation wird sicher nicht alles so bleiben können, wie es war; das ist gar keine Frage. Die Regierung braucht in dieser Situation Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit. Sie darf nicht den Eindruck erwecken, dass es ihr nur kurzfristig um die Befindlichkeiten der eigenen Basis geht, sondern es geht um das Gemeinwohl. Gemeinwohl bedeutet, dass wir gemeinsam an einem Strang ziehen, groß denken und die Probleme so bearbeiten, wie sie sind.
Herzlichen Dank.
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Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist Johannes Schätzl für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die letzte Rede zu einem Tagesordnungspunkt hat eigentlich einen Vorteil: Man kann alle Reden davor einmal hören. Es gab Reden, die ich gut fand. Manche – dafür haben Sie vielleicht Verständnis – fand ich nicht so gut; aber ich würde sie tatsächlich als konstruktiv einschätzen.
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Eine Rede – ich muss es an dieser Stelle ansprechen – machte mich fast fassungslos. Wenn Sie hier aus der rechten Ecke dieses Hauses davon sprechen, dass diese Bundesregierung selbst verantwortlich für unsere aktuelle Lage sei, dann finde ich das absolut ekelhaft.
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Sie wollen diese Gesellschaft am Boden sehen, und das Schlimmste: Sie verbergen es nicht einmal mehr.
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Alle demokratischen Fraktionen in diesem Haus versuchen, einen Ausweg aus dieser Krise zu finden. Wenn Sie schon nicht mithelfen wollen, dann stehen Sie zumindest nicht im Weg.
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Unsere Bundesregierung – das ist meine Einschätzung – tut alles dafür, damit wir gut durch den Winter kommen.
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Ich habe vollstes Vertrauen in Olaf Scholz und Robert Habeck. Unsere Aufgabe – das bleibt die Aufgabe des Parlaments – ist es, diese Regierung genau dabei zu unterstützen. Diese Aufgabe ist eine gesamtgesellschaftliche: Jede Region, jede Branche, jedes Unternehmen und, ja, auch jeder Einzelne wird seinen Beitrag dazu leisten müssen. Wir können niemandem die komplette Last abnehmen, aber wir können dafür sorgen, dass die Last tragbar bleibt.
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Alleine diese Diskussion, diese 15 Tagesordnungspunkte zeigen, wie vielschichtig die Probleme sind, wie viele Branchen betroffen sind. Wenn wir also darüber sprechen, Deutschland sturmfest zu machen, wenn wir über die Sicherung der Energie sprechen, über die Sicherung von Arbeitsplätzen, will ich eine Branche explizit nennen: Über 250 000 Betriebe, über 500 000 Beschäftigte und ein sehr hoher Energieverbrauch, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir sind in vielerlei Hinsicht auf die Leistungsfähigkeit unserer Landwirtschaft angewiesen. Auch die Landwirtschaft hat in der aktuellen Situation mit enorm gestiegenen Preisen zu kämpfen, mit teilweise mangelnder Verfügbarkeit. In dieser Aktuellen Stunde sprechen wir über dieses Thema: Bereits in diesem Monat werden 135 Millionen Euro auf den Höfen in Deutschland landen. Im Oktober folgt eine zweite Runde. So schützen wir die Produktion; so schützen wir Lebensmittel, und, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, so schützen wir Zehntausende von Arbeitsplätzen.
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Die Landwirtschaft ist energieintensiv; aber sie ist eine Medaille mit zwei Seiten: Zum einen ist sie energieintensiv, zum anderen hat sie aber auch ein enormes Potenzial, Energie zu produzieren. Jetzt ist es tatsächlich an der Zeit, diese Medaille zu wenden. Darum ist es wichtig, dass wir die aktuellen Potenziale und Kapazitäten kennen. Biogasanlagen in ihrer kleinsten Form können rund 200 Häuser mit Strom oder 50 Häuser mit Wärme versorgen. Genau aus diesem Grund gehen wir jetzt gemeinsam mit allen in die richtige Richtung. Nicht nur die EEG-Novelle 2023, sondern auch das neue Energiesicherungsgesetz wird dafür sorgen, dass wir hier auch im Bereich Energie das letzte Potenzial herausholen.
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Es ist möglich, die aktuelle Produktion der Biogasanlagen um 20 Prozent zu steigern. Alle sind bereit, zu investieren. Wir setzen die politischen Rahmenbedingungen. Wir streichen die Höchstbemessungsleistung für Biogasanlagen. Wir streichen gleichzeitig lange Genehmigungsverfahren, wir flexibilisieren den Einsatz von verschiedenen Substraten, und wir erlauben den Umstieg auf andere Energieträger.
Liebe Frau Konrad, an Sie anschließend: Das ist gelebte Planungsbeschleunigung. Diese Regierung macht es möglich. Deswegen bin ich mir sicher, dass sie Deutschland für diesen Winter sturmfest macht.
Vielen Dank an dieser Stelle. Ich habe vollstes Vertrauen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es eben in der Aussprache schon vielfach gehört: Der Energiepreiskrieg, den Putin gegen uns führt, stellt uns vor große Herausforderungen. Deswegen geht es neben dem, dass wir natürlich Menschen und Unternehmen, bei denen die Not am größten ist, beherzt und möglichst gezielt unterstützen wollen, auch darum, die Ursachen der hohen Preise zu bekämpfen und die Preise wieder zu senken.
Diese Ampelkoalition, diese Bundesregierung hat schon zahlreiche Maßnahmen für das Krisenmanagement auf den Weg gebracht, zum Beispiel das Gasspeichergesetz, das LNG-Beschleunigungsgesetz, das Ersatzkraftwerkebereitstellungsgesetz, Gazprom Germania wurde über ein Wochenende unter Treuhänderschaft gestellt, jetzt auch Rosneft, alle Rettungsmaßnahmen zu Uniper. Sie hören: Diese Koalition ist mit voller Kraft dabei.
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Der Schlüssel, die Preise zu senken, ist natürlich, den Verbrauch des Gases zu reduzieren, sodass wir mit den Mengen, die wir völlig zuverlässig aus Norwegen, Niederlande etc. bekommen können, wieder zurechtkommen.
Wir haben den größten Booster für den Ausbau erneuerbarer Energien auf den Weg gebracht. Wir haben die Energieeffizienzverordnung. Wir haben die regelbaren Lasten neu integriert. Wir haben den Ausbau der Stromnetze beschleunigt. Das war das größte Paket, das wir hier auch schon vor dem Sommer auf den Weg gebracht haben.
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Aber es geht weiter. Die Herausforderung ist noch nicht gemeistert. So liegt heute schon wieder das nächste Paket auf dem Tisch. Ja, es ist nicht der eine riesige Schritt, weil es nicht die eine Maßnahme gibt, die eine Regierung auf den Weg bringen könnte, und das Problem wäre weg, sondern wir müssen alle auf allen Ebenen mit vielen Schritten zusammenhalten, damit wir es in den Griff bekommen.
Es gibt eine ganze Reihe weiterer Maßnahmen, um wieder unabhängiger vom Erdgas zu werden und die Preise zu senken. Zum Beispiel kann bei der Biomasse der Flexbonus erhalten bleiben, auch bei höherer Produktion. Zum Beispiel kann die Nachtabschaltung bei Windenergie im Winter über Nacht zurückgenommen werden, sodass wir mehr Windstrom produzieren können. Zum Beispiel können wir mehr Solarstrom produzieren, weil die 70-Prozent-Spitzenkappung wegfällt. Zum Beispiel können Offshoreverbindungskabel schneller verlegt werden. Wir machen Änderungen auch im BauGB für die Biomasse. Die Höherauslastung der Stromleitungen soll noch zu diesem Winter möglich werden. Und ja, auch die Flexibilität von Unternehmen soll ermöglicht werden, ohne dass sie dadurch ihre Erleichterung bei den Netzentgelten verlieren. Das ist ein weiteres großes Bündel von vielen kleinen Schritten, die zusammen wieder ein großer Schritt in Richtung Unabhängigkeit, Versorgungssicherheit und bezahlbare Energiepreise sind.
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Ich möchte mich hier gerade auch bei der CDU/CSU-Fraktion bedanken, die es ermöglicht hat, dieses extrem schnelle Verfahren in diesem Parlament trotzdem in geordneten Bahnen durchzuführen.
Es sind sehr herausfordernde Zeiten. Wir stellen uns diesen und freuen uns über alle, die mit uns gemeinsam Verantwortung für dieses Land, für diese Menschen übernehmen. Denn es geht hier gerade nicht um Grün gegen FDP oder SPD und auch nicht um Ampel gegen Opposition. Es geht darum, dass wir zusammenstehen für die Menschen in diesem Land, die große Not erleiden durch die hohen Energiepreise – gegen Putin.
Herzlichen Dank.
({3})
Vielen Dank, Dr. Ingrid Nestle. – Jetzt erhält das Wort Andreas Jung für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So, wie Ingrid Nestle es dargestellt hat, ist es auch unsere Auffassung. Egal ob wir einer Oppositionsfraktion oder einer Regierungsfraktion angehören: Wir arbeiten hier dafür, dass wir gut durch diese Krise kommen, dass wir gut durch den Winter kommen, dass die Energieversorgung sichergestellt wird, dass Preise begrenzt werden, dass wir das Ganze mit Klimaschutz verbinden. Deshalb ist es im Übrigen – die Kollegin hat es gesagt – Ausdruck unseres Verständnisses von Verantwortung, dass wir hier eine beschleunigte Beratung ermöglichen. Das haben wir durch die formalen Verzichte auch getan. Wir tun es auch deshalb, weil wir vieles von dem, was in diesem Gesetz drinsteht, für richtig halten; ich komme dazu.
Ich komme aber nicht umhin, eine Bemerkung zu dem zu machen, was eben nicht drinsteht, zu dem, was die Regierung über den ganzen Sommer angekündigt hatte, was drinstehen sollte, nämlich die Gasumlage. Die Kollegen reagieren schon mit Zwischenrufen.
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Dazu haben wir uns gestern ausgetauscht. Ich will aber eine Bemerkung hinzufügen, weil es heute eine neue Qualität erreicht hat.
Wir haben vorher die Pressemeldung gelesen – es ist bisher eine Pressemeldung; ich habe keine Bestätigung seitens der Regierung gehört, aber auch kein Dementi –, die Regierung beabsichtige jetzt auch die Verstaatlichung der Gazprom-Tochter SEFE. Sollte das zutreffen, dann ist davon auszugehen, dass in der Frist, die gestern für die Verstaatlichung genannt wurde – das sind drei Monate; wir wären dann am Beginn des nächsten Jahres –, nicht nur ein Unternehmen, das verstaatlicht ist, nämlich Uniper, von der Gasumlage profitieren würde – das war der Stand von gestern –, sondern dass alle Unternehmen, die dann noch von der Gasumlage profitieren würden, Staatsunternehmen wären.
Das verleiht dem Bedenken gegenüber der Gasumlage rechtlich und politisch noch mal ein höheres Gewicht. Deshalb will ich einfach zu der Schlussfolgerung kommen – der Minister hat sich gestern an der Wortwahl gestört, die Gasumlage müsse weg – und es präzisieren: Sie darf gar nicht erst eingeführt, sie darf gar nicht erst erhoben werden.
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Minister Habeck spricht jetzt von einer Brücke – wohin auch immer. Diese Brücke hat kein Fundament,
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nicht im Verfassungsrecht, und sie ist politisch nicht haltbar. Stimmen Sie nachher unserem Antrag zur Aufhebung der Gasumlage zu!
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Wir begrüßen die Dinge, die zur Beschleunigung von erneuerbaren Energien und von Planungsprozessen insgesamt in dieser Novelle des Energiesicherungsgesetzes enthalten sind. Ich will es so deutlich sagen – das ist unser Verständnis von Opposition –: Viele der Dinge, die Sie jetzt aufgreifen, haben wir zum Osterpaket als Änderungsanträge eingebracht. Sie haben es dort nicht oder noch nicht aufgenommen. Greifen Sie sie aber mit diesem Gesetz auf! Deshalb finden diese Dinge, mit denen der Ausbau von Photovoltaik, Windkraft und Bioenergie beschleunigt werden soll, unsere Zustimmung. Wir werden uns alles in den Beratungen wie immer im Detail anschauen, aber das geht in die richtige Richtung.
Ich sage aber eines dazu – das ist ein ganz entscheidender Punkt –: Die Potenziale der Bioenergie werden nach wie vor nicht ausreichend genutzt. Das ist ein Kernpunkt unserer Kritik. Wir sind bereit, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen, aber dann erwarten wir, dass diese auch kraftvoll wahrgenommen wird. Kraftvoll wahrgenommen wird sie, wenn eben alle Potenziale der Energieerzeugung ausgeschöpft werden. Bei der Bioenergie gibt es Potenziale durch die Biomasse, durch den Mais, der in den Lagern ist. Diese Potenziale werden nach wie vor gesetzlich gedeckelt.
Jetzt nehmen Sie einen Deckel weg. Es ist richtig, dass Sie mit dieser Initiative den Deckel im Erneuerbare-Energien-Gesetz wegnehmen wollen. Die Flexibilisierung beim Güllebonus ist richtig. Aber der zweite Deckel bleibt bestehen. An das Baugesetzbuch gehen Sie überhaupt gar nicht ran. Die Branche hat die Einschätzung, die wir teilen, dass dadurch die Änderungen, die Sie an der einen Stelle machen, weitgehend ins Leere laufen. Das ist bei vielen Betrieben auch logisch. Dieser im Baugesetzbuch verankerte Deckel führt dazu, dass der Betreiber dann, wenn eine bestimmte Grenze überschritten wird, die Genehmigung verliert; er darf dann gar nichts mehr produzieren. Deshalb haben bisher ganz viele Betreiber das Potenzial bis gerade unter den Deckel ausgeschöpft. Da dieser Deckel bleibt, können sie gar nicht mehr produzieren, weil sie sonst ihre Genehmigung für den Betrieb verlieren würden.
Dadurch läuft ihre Gesetzesnovelle bei der Bioenergie ins Leere. Der Deckel bleibt. Es ist leider viel zu spät, wir hätten das im Sommer längst beschließen können. In dem Stresstest schreibt die Regierung: Im nächsten Winter – also im übernächsten Winter – haben wir eine ganz andere Situation, da haben wir mehr Bioenergie zur Verfügung. – Hätten wir es früher gemacht, stände die Bioenergie schon in diesem Winter zur Verfügung und würde uns durch diesen Winter helfen. Es ist also zu spät, und es ist auch zu halbherzig, sodass diese Maßnahmen weitgehend ins Leere laufen werden. Deshalb kritisieren wir, dass die Novelle bei der Bioenergie das Ziel nicht erreicht. Die Potenziale werden weiterhin links liegen gelassen.
Wir werden einen Änderungsantrag vorlegen; das kündige ich hiermit an. Vielleicht gibt es dann noch Bewegung. Wir haben das im Ausschuss thematisiert, und es wurde seitens der Bundesregierung nicht widersprochen, dass es notwendig wäre, auch an das Baugesetzbuch heranzugehen. Es ist nur darauf hingewiesen worden, dass dafür das Bauministerium zuständig sei. Ja, dann ist halt das Bauministerium zuständig. Aber es ist doch eine Bundesregierung. Deshalb fordern wir Sie auf: Sie haben jetzt eine Woche Zeit. Wir werden den Antrag stellen. Räumen Sie den Deckel bei der Bioenergie ganz ab! Nutzen Sie alle Potenziale! Dann kommen wir gemeinsam voran. Das findet dann auch unsere Zustimmung und Sympathie.
Herzlichen Dank.
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Als Nächstes erhält das Wort in dieser Debatte Dr. Nina Scheer für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Jung, Sie haben in Ihrer Rede nun mehrfach erwähnt, was von der Ampelkoalition im Sommer, während wir über 1 000 Seiten gute Gesetze verabschiedet haben, längst hätte gemacht werden sollen. Ich kann Ihnen sagen: Das, was über die letzten Jahre in Ihrer Programmatik längst hätte passieren müssen, ist, die ständige Blockade gegenüber erneuerbaren Energien endlich mal fallen zu lassen. Das hätte längst passieren müssen.
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Wenn Sie jetzt aus den Oppositionsreihen heraus diese Forderungen aufstellen, dann muss man, damit die Öffentlichkeit auch weiß, in welchen Kontext das zu setzen ist, genau diese Gegenüberstellung machen. Als Sie zu Ihren Regierungszeiten die führende Fraktion waren, haben Sie all das blockiert,
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was Sie jetzt von der Oppositionsbank einfordern, und jetzt tun Sie so, als ob Sie uns auf Ideen bringen müssten.
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Das ist einfach nicht lauter. Das ist nicht ehrlich.
Ich finde, die Öffentlichkeit sollte dargelegt bekommen, wie das von Ihnen gehandhabt wird. Sie müssen die Ampelkoalition sicher nicht auf Ideen bringen, aber wir begrüßen jede Unterstützung, die von Ihrer Seite kommt. Das fasse ich dann unter „Einsichtsfähigkeit“ Ihrerseits zusammen.
({3})
Wir haben mit der heute vorliegenden Novelle des Energiesicherungsgesetzes den ersten Teil einer Novelle auf dem Tisch, der zweite Teil kommt in zwei oder drei Wochen. Wir haben in der Tat einen Teil vorgezogen, weil wir nicht länger warten wollten. Das ist genau der Teil, den wir jetzt einbringen; wie gesagt, unter Ausklammerung der Bereiche, die es im Zuge der sogenannten Gasumlage bzw. saldierten Preisanpassung, wie sie im Gesetz steht, zu korrigieren gilt.
Wir haben das jetzt insofern vorgezogen, weil wir wissen: In der Gasmangellage bzw. zur Verhinderung weiterer Notsituationen müssen wir alles, was an erneuerbaren Energien und an Kapazitäten existiert, gesetzlich ermöglichen, insbesondere da, wo es noch Hinderungsschwellen gibt oder wo dem gesetzliche Regelungen im Wege stehen. Insofern geht es hier im Kern um die Auslastung von Netzen, um Beschleunigungsfaktoren, um weitere Anpassungen, um eben Beschleunigung zu erreichen und dabei natürlich gerade die erneuerbaren Energien – auch die installierten Anlagen erneuerbarer Energien – noch stärker auslasten zu können.
In der Tat geht es da um große Potenziale bei der Bioenergie. Auch da, Herr Jung, brauchen Sie uns nicht auf Ideen zu bringen.
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Wir machen gerade eine Einbringung. Wir sind im parlamentarischen Verfahren.
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Sie mussten mit dem Osterpaket auch schon erfahren, dass Dinge, die in der ersten Lesung nicht im Gesetz standen, hinterher sehr wohl drinstanden. Da haben Sie auch große Augen gemacht und sich gewundert, was im parlamentarischen Verfahren noch alles möglich war. Also warten Sie mal ab!
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Das ist unsere Arbeit als Parlamentarier, und bisher haben Sie dafür auch Anerkennung gefunden.
In diesem Sinne geht es jetzt darum, etwa bei der Bioenergie Potenziale noch viel stärker auszulasten. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind schon genannt worden. Es geht darum, zum Beispiel bei der Photovoltaik noch Vereinfachungen zu erreichen, weil es heute gerade bei der Genehmigung von kleinen Anlagen noch bürokratische Hemmnisse gibt. Es geht darum, dass man auch bei der Windenergie noch Potenziale ausschöpft, da zum Beispiel Nachtabschaltungsregelungen noch eine starke Bremse bedeuten. Gerade in den Wintermonaten ist das nicht zu unterschätzen. Gerade in den Wintermonaten ist es temporär durchaus zumutbar, über gesetzliche Grenzen hinauszugehen, die heute behindern. Da kann man die Kapazitäten – die häufig mit Atomkraftwerken verglichen wurden – sehr wohl stärker nutzen. Wir haben hier also Potenziale, die keine Kleinigkeit sind. Weitere Auslastungsmöglichkeiten im Bereich der Netze sind ebenfalls enthalten.
Wir haben also in kurzer Zeit sehr viel vor. In diesem Sinne freue ich mich natürlich auf jede Unterstützung, die dann vielleicht auch von der Opposition kommt.
Herzlichen Dank.
({7})
Als Nächstes erhält das Wort Steffen Kotré für die AfD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Dr. Scheer, habe ich Sie da richtig verstanden? Sie bringen also einen Gesetzentwurf ein, von dem Sie wissen, dass er überhaupt noch nicht fertig ist, weil er noch nachgebessert wird? Ist das jetzt parlamentarische Praxis bei Ihnen?
({0})
Wir sehen, dass hier nun zum x-ten Mal energiepolitische Vorschriften geändert werden.
({1})
Wie das in der Mangelwirtschaft eben so ist, muss der Mangel halt verwaltet werden, müssen die Reste zusammengekratzt werden. Da wir uns nun schon in einer energiewirtschaftlichen Planwirtschaft befinden, muss stetig eingegriffen werden. Das ist eben das Wesen der Planwirtschaft, jenseits der Marktwirtschaft, wo es eben alleine laufen würde. Aber damit haben Sie leider nichts am Hut.
Das hat auch nichts mit Energiesicherheit zu tun. Denn die kümmert Sie ja gar nicht; sonst würden Sie die Laufzeit der Kernkraftwerke und der Kohlekraftwerke verlängern. Das machen Sie aber nicht. Braunkohle zum Beispiel liegt zu Tage, kann man im Tagebau abbauen, liegt auch gleich neben den Kraftwerken, braucht nicht einmal transportiert zu werden. Aber auf diese naheliegende Idee kommen Sie nicht.
Nachdem die Energiepolitik der Bundesregierung das Angebot nun künstlich verknappt hat, können nicht mehr alle Kunden bedient werden. Doch statt jetzt dieses Angebot zu erhöhen, wird das knappe Gut Strom mit Stromabschaltungen – genannt Lastabwürfe – verwaltet. Neu ist das nicht. Im Rahmen der Einführung der instabilen Wind- und Sonnenenergien wurden solche Stromabschaltungen durch die Verträge längst schon kaschiert. Unternehmen bekommen Geld für Stromabschaltungen, das der Stromkunde bezahlt. So wird eben die Mangelwirtschaft kaschiert.
Aber jetzt soll die Bereitschaft zum Stromverzicht nicht mehr vergütet werden, sondern das Recht auf kontinuierliche Strombelieferung mit höheren Kosten bestraft werden. Das, meine Damen und Herren, ist eine sittenwidrige Preiserhöhung in einer Mangelwirtschaft.
({2})
Die Bundesregierung hat mit ihrer ideologischen Energiepolitik die deutsche Wirtschaft ins Chaos gestürzt, ja pervertiert. Das beste Beispiel ist die größte Aluminiumhütte bei uns im Land. Deren Aluminiumproduktion lohnt sich nicht mehr. Jetzt hofft die Geschäftsleitung, dass keine Aufträge mehr kommen, damit sie den dadurch eingesparten Strom mit Gewinn verkaufen kann – mit mehr Gewinn, als würden sie produzieren. Das ist pervers. Das ist nicht einmal mehr die DDR. Das ist schon Nordkorea, meine Damen und Herren.
({3})
Die Menschen und Unternehmen beginnen, sich durchzuwurschteln wie im Sozialismus. Auf der Strecke bleiben Effizienz und Wertschöpfung. Die Folge ist Produktionsverlagerung ins Ausland. Wie können wir es den Unternehmen auch verdenken, wenn sie hier keine verlässliche Basis mehr haben? Einige Unternehmen seien genannt: ArcelorMittal fährt die Produktion runter. Hakle und Görtz sind insolvent. BASF baut lieber in China usw. usf. Es gibt viele Stimmen in den Verbänden, die vor der Deindustrialisierung warnen.
Nein, meine Damen und Herren, ganz Deutschland braucht einen Lastabwurf. Deutschland ächzt unter einer schweren Last, nämlich der dieser Bundesregierung. Diese Last muss dringend abgeworfen werden.
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Noch einmal Richtung FDP, zu Herrn Dürr: Ja, wir gehen auf die Straße. Die AfD wird am 8. Oktober den Reigen der Demonstrationen eröffnen, bis wir eine Bundesregierung bekommen, die wieder die Interessen der Bürger vertritt. Wir sind uns auch nicht zu schade, montags mit anderen Menschen auf die Straße zu gehen. Das ist nicht unter der Fahne unserer Partei. Wir laden jeden ein, da mitzulaufen, um diese Politik der Sabotage der Energiepolitik endlich zu beenden und wieder zur Vernunft zu kommen, meine Damen und Herren.
Vielen Dank.
({5})
Es folgt der Kollege Michael Kruse für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht nur ein Satz zur AfD
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– nein, den einen Satz kriegen Sie jetzt –: Wenn jemand Deutschland mit Nordkorea vergleicht, macht mich das wirklich jedes Mal sprachlos.
({1})
Was Sie hier tun, ist Hohn und Spott für all diejenigen Menschen, die tatsächlich in ihrem Leben schon einmal um die eigene Freiheit wirklich kämpfen mussten, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen.
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Das ist jetzt die dritte Debatte zum Thema Energie in dieser Woche. Ich habe das Gefühl, der Anteil der Debatten, die darauf verwendet wurden, sich gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuschieben, war zu groß. Viele Menschen in diesem Land haben große Sorge, weil die Preise im Energiebereich sehr hoch sind, und viele Menschen machen sich große Sorgen, dass wir im nächsten Winter in eine Energieknappheit reinlaufen könnten. Deswegen haben wir es als unser Ziel ausgegeben, dass wir die Energiesouveränität in diesem Land zurückgewinnen wollen; denn wir sind viel zu sehr in Abhängigkeit geraten. So weit besteht eigentlich – bis auf hier ganz am Rand – gar kein Dissens.
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Was tun wir jetzt alles, um genau dieses Ziel schnellstmöglich zu erreichen? Den schnellsten Ausbau der Erneuerbaren, den es jemals gab in diesem Land: Wer hat es gemacht? Wir haben es gemacht.
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Die Kohlekraftwerke im Umfang von 10 Gigawatt wieder ans Netz bringen, um bis 2024 die nächsten beiden Winter abzusichern: Wer hat es gemacht? Wir haben es gemacht. Mindestens zwei und aus unserer Sicht besser drei Kernkraftwerke – ja, auch das bedarf einiger Überwindung, gerade unserer geschätzten Koalitionspartner – werden am Netz bleiben, um auch im Winter und hoffentlich auch im Winter darauf zur Verfügung zu stehen.
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Diese Regierung tut alles, um die Probleme, die uns die Vorgängerregierungen eingebrockt haben, zu lösen und dafür zu sorgen, dass dieses Land sich positiv entwickelt und sich endlich aus den Schlingen der Abhängigkeit des Diktators, dem Sie am rechten Rand noch die Füße küssen, zu befreien.
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Für die Energiepreise ist dabei natürlich entscheidend, dass wir die Mengen ausweiten. Es ist auch entscheidend, dass wir kurzfristig im Gasbereich die Überbietungswettbewerbe, die es innerhalb Europas gibt, beenden. Wir müssen uns klar darüber werden, dass wir es sind, die die Preise treiben. Es war diese Regierung und es war dieses Parlament und es waren die geschätzten Kolleginnen und Kollegen der Ampelregierung, die im März dieses Jahres dafür gesorgt haben, dass die Speicher jetzt so voll sind, wie sie noch nie zu diesem Zeitpunkt waren. Das zeigt: Wir handeln zu einem Zeitpunkt, wo Sie noch damit beschäftigt sind, zu erkennen, was überhaupt die aktuelle Problemlage ist.
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Ich möchte auch sagen, was wir für die Menschen in diesem Land tun, während die Opposition eigentlich den ganzen Tag nur redet und sonst gar nichts beiträgt. Wie gesagt: Ich warte noch auf die erste konstruktive E‑Mail, wo es heißt: Mach doch mal das und das. Tut doch mal das ins Gesetz. – Wir wären uns nicht zu fein dafür. Wir wären uns nicht einmal zu fein dafür, Sie dann noch hier an öffentlicher Stelle dafür zu loben.
Ich sage Ihnen aber auch, was wir für die Menschen in diesem Land schon alles getan haben, was noch wirksam wird.
Erste Maßnahme: Wir haben zum 1. Juli die EEG-Umlage abgeschafft. Das ist die Umlage, die in Ihrer Zeit immer nur gestiegen ist.
Zweite Maßnahme: Wir sorgen in diesem Monat dafür, dass die Energiepreispauschale ausgezahlt wird. Das ist eine Entlastung, die viele Menschen in diesem Monat erreicht.
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Am Ende dieses Monats wird es ausgezahlt. Sie haben nur darüber gemotzt, wie wir das machen. Ich kann feststellen: In diesem Monat haben die Menschen mehr Geld im Portemonnaie. Damit werden viele Menschen das Geld haben, bevor die erhöhten Stromrechnungen kommen. Das ist eine Regierung, die handelt, und genau deswegen gehen wir diesen Weg weiter.
Dritte Maßnahme: Die Umsatzsteuer auf Gas wird gesenkt. Das ist etwas, was wir Ihnen schon erläutert haben.
Vierte Maßnahme: Der Basisenergiebedarf wird entsprechend weniger besteuert; die EEG-Umlage habe ich Ihnen genannt.
Und die kalte Progression: Etwas, wofür große Teile dieses Hauses lange gekämpft haben, war, dass die kalte Progression ausgeglichen wird. Ich will Ihnen auch sagen, warum das so wichtig ist: Der Staat darf nicht noch Krisenprofiteur sein. Es darf nicht sein, dass der Staat mehr Geld einnimmt, weil allerorts die Preise steigen.
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Wer hat es denn geschafft, die Menschen zu entlasten und dafür zu sorgen, dass das Geld, das die Menschen hart erarbeiten, am Ende des Monats auch bei ihnen in der Tasche bleibt? Es war die FDP, die es durchgesetzt hat. Es war die Ampelregierung, die es möglich gemacht hat. Also: Schauen Sie zu, wie man die Menschen in diesem Land richtig entlastet! Bei uns können Sie noch was lernen.
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Ein bisschen habe ich ein Déjà-vu. Im Frühjahr dieses Jahres haben wir das EEG verhandelt. Drei Monate habe ich aus dieser Richtung nichts anderes gehört als: Ah, ihr macht die kleine Wasserkraft kaputt, gerade in Süddeutschland. – Das Ergebnis war: Wir haben die kleine Wasserkraft gestärkt.
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Wir sorgen dafür, dass die kleine Wasserkraft überall dort, wo es dringend regenerative Grundlast braucht, einen Turbo-Boost bekommt, und das wird sich hier jetzt auch wiederholen. Sehen Sie zu, und lernen Sie!
Vielen Dank.
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Für Die Linke erhält das Wort Dr. Gesine Lötzsch.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind in der schwersten Energiekrise seit dem Zweiten Weltkrieg, und darum brauchen wir grundsätzliche Lösungen. Kritische Infrastruktur gehört in die öffentliche Hand, und die Energiekonzerne müssen dauerhaft verstaatlicht werden. Das ist die richtige Lösung.
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Den Menschen darf keine Gasumlage aufgebürdet werden. Die Verstaatlichung von Uniper und anderen Energiekonzern müssen wir aus dem Bundeshaushalt finanzieren.
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Lufthansa und Banken wurden schließlich auch ohne Umlage gerettet. Und natürlich – ich wiederhole das – müssen wir die Schuldenbremse aufheben.
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Auch wenn Sie unseren Antrag zur Übergewinnsteuer abgelehnt haben, werden wir eine Übergewinnsteuer brauchen. Ich war sehr beeindruckt, dass eine Kollegin aus der SPD – die ist jetzt nicht mehr dabei; wahrscheinlich hat sie auch gegen die Übergewinnsteuer protestiert bzw. dagegengestimmt – gesagt hat, dass sie demnächst auf der Straße für die Übergewinnsteuer demonstrieren wird. Was ist denn das für ein Widerspruch? Das kriegt man doch im Kopf nicht zusammen. Da hätte sie sofort hier zustimmen können, meine Damen und Herren.
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Die Bevölkerung wird ständig dazu aufgerufen, Energie zu sparen, Gas zu sparen. Das ist einerseits richtig, aber andererseits wird überhaupt nicht darüber gesprochen, dass es einen großen Anteil von Menschen gibt, die überhaupt nicht mehr in der Lage sind, Energie zu sparen, weil sie nämlich schon so viel sparen, dass da gar nichts mehr möglich ist. Und es wird auch nicht darüber gesprochen, dass die Wohnungen von Millionen von Menschen in unserem Land, die in Großsiedlungen wohnen – manche sagen Plattenbauten; die gibt es in Ost und West –, mit Gas beheizt werden. Selbst wenn sie die Heizung auf null drehen, gibt es immer noch eine Grundlast, und dafür werden sie teuer bezahlen müssen. Ich fordere Sie auf, dafür zu sorgen, dass diese Menschen – erstens – warme Wohnungen haben und – zweitens – von den Preisen nicht niedergedrückt werden, meine Damen und Herren.
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Mein Kollege Ralph Lenkert hat Sie kürzlich darauf hingewiesen,
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dass kommerzielle Gashändler Bürgschaften von der KfW bekommen, der Kreditanstalt für Wiederaufbau, kommunale Gaseinkäufer aber nicht. Sie wissen doch, Herr Habeck bzw. die Vertretung von Herrn Habeck, dass kommunale Gaseinkäufer das Gas gar nicht mehr ohne Bürgschaft bezahlen können.
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Also: Warum haben Sie diesen fundamentalen Fehler in dem Gesetz noch nicht korrigiert? Das Wirtschaftsministerium und Sie als Wirtschaftsminister bzw. Sie als Vertretung können sich doch nicht nur auf kommerzielle Unternehmen fixieren und kommunale Unternehmen im Regen stehen lassen. Das geht so nicht. Das muss geändert werden!
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Meine Damen und Herren, die Niederlande haben es vorgemacht: Um die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten, will der niederländische Staat künftig einen Teil der Strom- und Gaskosten finanzieren. Das ist der richtige Weg. Daran muss sich auch die deutsche Regierung orientieren.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank. – Als Nächstes erhält Katrin Uhlig für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Dass die Situation aktuell sehr ernst ist, wird uns schon dadurch klar, dass wir diese Woche sehr häufig über das Thema Energieversorgung diskutieren werden. Heute, bei diesem Gesetzentwurf, geht es deshalb auch nicht darum, Herr Kollege Jung, was man sich alles nicht vorstellen kann – diese Debatte haben Sie gestern versucht zu führen –,
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sondern darum, die Energieversorgung mit konstruktiven Vorschlägen kurzfristig und nachhaltig zu sichern. In diesem Sinne bin ich auf Ihre Änderungsvorschläge im Ausschuss gespannt.
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Seit Monaten wird von der Ampel intensiv daran gearbeitet, unsere Energieversorgung nach den letzten 16 Jahren wieder unabhängiger von russischem Öl, russischer Kohle und russischem Gas zu machen.
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Das hat die Kollegin Katharina Dröge eben in der Aktuellen Stunde auch noch mal sehr deutlich gemacht. Deshalb haben wir als Parlament bereits eine Vielzahl von Maßnahmen auf den Weg gebracht, nicht nur, um kurzfristig Alternativen zu russischen fossilen Importen zu schaffen, sondern auch, um den viel zu lang verzögerten Ausbau der Erneuerbaren endlich wieder zu beschleunigen.
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Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf werden wir die bisher beschrittenen Wege zur Sicherung der Versorgungssicherheit für die nächsten Monate weitergehen. Gerade im Bereich Biomasse und Biogas können die erneuerbaren Energien auch kurzfristig einen weiteren Beitrag leisten.
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Es ist eine kurzfristige Ausschreibung für Freiflächenphotovoltaik vorgesehen, um einen schnelleren Ausbau der PV zu ermöglichen.
Erneuerbare Energien sind im Stromsektor inzwischen fester Bestandteil und senken dort nicht nur aktuell die Strompreise; denn Preistreiber an der Strombörse waren immer schon die fossilen Energieträger, aktuell das Gas. Das zeigt: Erneuerbare Energien leisten bereits einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit und sind auch in dieser extremen Situation entscheidend. Parallel zu diesem Gesetzentwurf senken wir als Ampel mit einer Vielzahl von weiteren Maßnahmen, zum Bespiel im Steuerbereich bei PV-Anlagen, gezielt weitere Hürden für den Ausbau der erneuerbaren Energien.
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– Es war auch im Entschließungsantrag zum EEG, Kollege Jung.
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Wenn wir in der Zukunft eine unabhängige Energieversorgung mit bezahlbaren Energiepreisen haben möchten, müssen wir – anders als in den letzten 16 Jahren – neben den notwendigen kurzfristigen Maßnahmen – Sie haben immer nur repariert und nichts aktiv nach vorne getrieben –, die wir für diesen Winter ergreifen, auch den Ausbau der Erneuerbaren vorantreiben. Denn nur durch eine klimafreundliche Energieversorgung ohne die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern können wir den Wirtschaftsstandort Deutschland zukunftsfähig aufstellen und für erschwingliche Energiepreise für alle sorgen.
Herzlichen Dank.
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Als Nächstes erhält das Wort für die SPD-Fraktion Bengt Bergt.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Trotz der schwierigen Situation sollten wir die wichtigen Erfolge, die wir schon erreicht haben, nicht kleinreden. Die Gasspeicher in Deutschland sind schon zu über 90 Prozent gefüllt, das im September. Das schafft uns eine gute Ausgangslage, um sicher durch den Winter zu kommen. Auch die Stromversorgung ist – mit entsprechenden Anstrengungen – schon gesichert; das hat der Stresstest bewiesen. Die Opposition will Angst schüren und die Menschen verunsichern. Das ist angesichts der Teilmobilmachung, die wir gestern erlebt haben, und der konkreten Sorge vor weiterer Eskalation echt mehr als unangemessen.
({0})
Jetzt schauen Sie sich die aktuelle Lage mal an! Die Gasspeicher sind knüppelvoll, und das, obwohl wir kein Gas mehr aus Russland bekommen und obwohl wir Frankreich helfen, weil Atomkraft Risikotechnik ist, obwohl wir selbst Gas verstromen müssen, weil wir die Kohle nicht die Flüsse heraufbekommen, weil wir zum vierten Mal innerhalb von fünf Jahren Dürre haben. Das ist ein Riesenerfolg, meine Damen und Herren. Es ist ein Erfolg der Regierung, vor allem aber der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen, die alle an einem Strang ziehen.
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Und an die Bürgerinnen und Bürger da draußen: Jetzt mal ernsthaft, glauben Sie wirklich, das hätte eine unionsgeführte Regierung in der Geschwindigkeit hinbekommen?
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Schauen Sie mal nach Bayern: keine Netze, keine Windräder, Isar 2 kaputt, Zögern, Zaudern und Verhindern. Das ist nicht nur unkonstruktiv, sondern das schadet auch unserem Land.
Aber wissen Sie was? Die weitaus meisten Menschen sind sich dieser historischen Situation sehr bewusst. Wir haben einen ausgewachsenen Wirtschaftskrieg, den uns Putin aufzwingt. Wir wollten den nicht führen; aber wir haben nicht vor, ihn zu verlieren. Das sind wir unseren und den Bürgern der Ukraine schuldig, meine Damen und Herren.
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Die Versorgungssicherheit von heute ist das Ergebnis von sechs Monaten härtester Arbeit. Gleichzeitig haben wir die Weichen für die Energiezukunft dieses Landes gestellt. Wir gehen hin zu mehr Lieferanten, zu stabiler Versorgung und endlich weg von rohstoffbasierter Energieversorgung; denn Wind und Sonne stellen uns keine Rechnung, die kriegen wir frei Haus.
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Das alles haben wir in sechs Monaten geschafft.
Und noch mal an die Bürgerinnen und Bürger da draußen: Glauben Sie wirklich, das hätte eine unionsgeführte Regierung in dieser Zeit hinbekommen?
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Der Kanzler hat es schon gesagt: Ihre Abwehrkämpfe gegen die Erneuerbaren haben dieses Land nicht nur Milliarden Euro gekostet, die wir jetzt Putin in den Rachen schmeißen, sondern auch Tausende Arbeitsplätze, und zwar ganz konkret: in Rostock, Hamburg, Husum, Bremerhaven.
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Wegen Ihrer absichtlichen Verhinderung fehlen uns jetzt ganz konkret 11,5 Gigawatt Windkraft und 4 Gigawatt Transportkapazität der Netze von Nord nach Süd.
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Jetzt raten Sie einmal, wie groß die Lücke ist, die das Worst-Case-Szenario des Stresstests ergeben hat! Genau: 4,6 Gigawatt. Diese Lücke haben Sie zu verantworten – vielen Dank!
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Jetzt müssen wir ran, müssen aus den bestehenden Systemen alles herausholen, was da ist. Man kann 11 Gigawatt nicht einfach herbeizaubern. Aber wir geben unser Bestes: Wir heben den Biogasdeckel auf; das heißt, unsere Bauern können die Anlagen auf Volllast fahren. Wir heben den Solardeckel auf, sodass die Solaranlagen nicht mehr bei 70 Prozent abgeriegelt werden. Bestehende Windenergieanlagen werden länger laufen können. Und wir stärken das Repowering.
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Das Wichtigste aber ist, dass wir die Netzauslastung erhöhen und den Netzausbau erheblich beschleunigen. Denn wir sehen ja, dass nicht nur die Produktion der Energie ein Thema ist, sondern auch der Transport.
Jedes zusätzliche Windrad, jede zusätzliche Kilowattstunde aus Solarenergie und Biogas hilft uns dabei, unsere Gasspeicher zu schonen und die Stromversorgung weiter zu stärken. Allein der Windbooster bringt 2 Terawattstunden – so viel wie ein halbes Atomkraftwerk oder ein ganzes im Streckbetrieb. Das sind die Ressourcen, die wir schon haben, und wir werden noch weiter ausbauen. Wir werden uns nicht zurücklehnen. Jetzt geht es erst richtig los. Aber wir müssen alle zusammenstehen, damit wir die Versorgung hier aufrechterhalten.
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Ich freue mich, dass gerade im Klimaausschuss Kolleginnen und Kollegen der Union sitzen, mit denen man gut zusammenarbeiten kann; das ist sehr schön. Aber die Lage ist angespannt. Wir wollen nicht polemisieren. Sie ist angespannt, aber nicht schlimmer, als sie wirklich ist. Die Versorgung ist gesichert. Die Zukunft ist klar. Und am Preis sind wir dran.
An die Adresse der AfD: Ihre Wählerinnen und Wähler tun mir echt leid. Das sind echte Menschen mit echten Problemen. Und was kriegen die von Ihnen? Heiße Luft, Häme und Hetze. Lösungen gibt es bei Ihnen nicht, die gibt es nur bei der Ampel.
Vielen Dank.
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Dr. Andreas Lenz erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns liegt eine Novelle des EnSiG vor, des Energiesicherungsgesetzes. Es ist in der Tat nicht alles falsch, was darin steht; aber es ist auch noch lange nicht alles richtig. Sie haben jetzt nur gesagt, was darin steht. Aber ich sage Ihnen auch gerne, was nicht darin steht.
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Gerade in einer Zeit der Energieknappheit brauchen wir wirklich alle Kapazitäten. Dass wir auch ein Stromproblem haben, ist mittlerweile auch bei der Ampel angekommen,
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auch im Wirtschaftsministerium. Zumindest in eingeschränktem Umfang sollen mit diesem Gesetz nun zusätzliche Kapazitäten erschlossen werden. Worte wie „Versorgungssicherheit“ und „Bezahlbarkeit“, Frau Nestle, war man in der letzten Legislatur von Ihnen nicht gewohnt. Aber es geht alles zu langsam. Und wenn man sieht, dass erst zwei Kohlekraftwerke wieder am Netz sind, dann offenbart das ja auch, dass Sie eben nicht schnell handeln, und das hat Gründe, und die Gründe möchte ich Ihnen auch gerne sagen: Das liegt daran, dass die Genehmigungen für die Rückkehr der Kraftwerke bis Ende April befristet sind und die Kraftwerksbetreiber deswegen nicht das wirtschaftliche Risiko eingehen, die Kraftwerke wieder hochzufahren und mit diesen Kapazitäten wieder ans Netz zu gehen.
Der Minister sagt selbst – zu Recht –, dass auch der übernächste Winter schwierig wird. Deswegen fordern wir Sie auf: Bessern Sie hier nach! Wir brauchen wirklich jede Kilowattstunde. Und die Kraftwerksbetreiber brauchen Planungssicherheit, auch für den übernächsten Winter.
Darüber hinaus werden wir die drei Kernkraftwerke weiterhin benötigen; auch das sagt der Stresstest ganz, ganz deutlich. Schaffen Sie auch hier Planungssicherheit! Eine Einstellung von Kernkraftwerken in die Notreserve ist – das haben die Kraftwerksbetreiber bestätigt – nicht praktikabel, sie kostet nur Geld, bringt aber keinen Nutzen. Es ist doch idiotisch, einen möglichen Betrieb für viel, viel Geld vorzuhalten, aber keinen Strom zu erzeugen, sondern nur Kosten. Verlängern Sie befristet den Betrieb der Kraftwerke! Springen Sie hier über Ihren ideologischen Schatten!
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Wir brauchen – wir wollen aber auch – massiv mehr Energie aus erneuerbaren Quellen. Es wurde schon ausgeführt, dass wir seit März fordern: Weg mit den Deckeln, mehr erneuerbare Energie aus Biomasse!
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Sie haben es versäumt, das im Osterpaket zu verankern. Und jetzt sagen Sie zwar, Sie machen es, schaffen aber nicht die baurechtlichen Voraussetzungen. Die sind aber entscheidend. Sollen die Betreiber ihre Anlagen ohne baurechtliche Genehmigung fahren? Das wird keiner machen.
Wir können hier noch einmal betonen, dass wir bei der Biomasse, beim Biogas erhebliches Potenzial haben, insgesamt circa 10 Terawattstunden; das entspricht Strom für 2 bis 3 Millionen Haushalte. Wir wollen diese Potenziale nutzbar machen. Wir freuen uns, wenn Sie hier mitmachen. Die Vorschläge von uns, auch für die baurechtlichen Änderungen, liegen seit Sommer vor.
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Vielleicht noch ein Wort zur Gasumlage, über die wir gestern intensiv diskutiert haben. Es ist ein bisschen wie bei einer Jacke, die falsch geknöpft ist: Es wird meistens nicht besser, entsprechend weiterzuknöpfen. Wir können Ihnen nur sagen: Nehmen Sie den Vorschlag der Gasumlage – gerade jetzt, wo Uniper verstaatlicht ist – vom Tisch! Sie ist ungerecht, sie ist unsozial, sie schadet den Unternehmen, dem Handwerk, dem Mittelstand. Der Wirtschaftsminister sprach vorhin zu Recht davon, dass mehr Entlastungen für den Mittelstand vollzogen werden müssen. Beginnen Sie doch zunächst einmal damit, keine zusätzlichen Belastungen zu schaffen! Nehmen Sie die Gasumlage deswegen vom Tisch!
Herzlichen Dank.
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Als letzter Redner in dieser Debatte erhält das Wort Timon Gremmels für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht ein Wort zu meinem geschätzten Vorredner. Lieber Andi Lenz, wer war denn der Erfinder der Deckel? Biogasdeckel, Solardeckel, atmender Deckel, das war doch made by CDU/CSU.
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Wir haben die Deckel jetzt abgeschafft, und das ist gut so, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das gehört auch zur historischen Wahrheit dazu; das müssen Sie sich an dieser Stelle einmal sagen lassen!
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Ich bin froh, dass wir jetzt beim Thema Energiesicherungsgesetz endlich einmal über das Potenzial reden, das wir haben, das wir schnell nutzen können: die erneuerbaren Energien. Wir lösen ihnen mit diesem Gesetzentwurf die Fesseln, damit sie das, was sie leisten können, auch in die Stromnetze bringen. Wir haben Windkraftanlagen, die nachts abgeschaltet und heruntergeregelt werden, aus Lärmschutzgründen; das ist auch gut so. Wenn wir diesen Spielraum jetzt aber nur ein kleines bisschen ausdehnen, haben wir von einem Tag auf den anderen schlagartig höhere Kapazitäten.
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Da brauchen wir kein Kohlekraftwerk anzuwerfen, da brauchen wir keine Laufzeitverlängerung für ein Atomkraftwerk zu diskutieren. Das geht von heute auf morgen, durch eine Änderung der Vorschriften; das ist das, was jetzt notwendig ist.
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Genau das Gleiche bei der Photovoltaik. Ich will den Menschen auf den Zuschauertribünen einmal sagen: Die meisten Hausdachanlagen, die Sie heute haben, die in den letzten Jahren installiert worden sind, bringen gar nicht alles, was sie könnten, sondern sind bei 70 Prozent abgeregelt. Das heißt, wir verzichten freiwillig auf 30 Prozent. Diese Abregelung wurde damals vorgeschrieben, weil man angeblich die Netze schützen müsste. Das ist aber – das wissen wir mittlerweile – Humbug. Es gibt also viel Potenzial, das wir sofort nutzen können.
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Die erneuerbaren Energien bieten jetzt in der Krise große Chancen – und wir nutzen sie. Ich finde es wichtig, dass wir hier darüber diskutieren und nicht, wie es die rechte Seite des Hauses tun zu können meint, versuchen, mit alten Rezepten die Krise von heute und morgen zu lösen. Atomkraft und Kohlekraft sind nicht die Lösung, sie sind Teil des Problems. Wir müssen die Kohlekraft übergangsweise noch weiter nutzen. Aber die Perspektive liegt bei den Erneuerbaren,
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sie sind auf lange Sicht die günstigste Form der Energieerzeugung.
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Deswegen haben wir hier einen Gesetzentwurf vorgelegt, über den wir in den nächsten Tagen noch intensiv diskutieren werden. Wir behalten uns vor als Koalitionsfraktion, da auch noch Änderungen vorzunehmen.
Richtung AfD: Ich weiß nicht, was Sie für ein Parlamentarismusverständnis haben. Sie meinen, hier werden Gesetze eingebracht und wir nicken die ab?
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Nein, wir verändern sie, wir machen sie noch besser, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Wir werden in diesem Gesetzespaket weitere Dinge machen, zum Beispiel die eben genannte Spitzenlastkappung bei PV verändern. Wir werden auch das Thema Balkon-PV adressieren. Ja, jede Mieterin und jeder Mieter kann seinen, ihren Stromverbrauch zum Teil durch eine Balkonsolaranlage decken. Dafür wollen wir die Hürden absenken, und wir werden die Hürden absenken. Wir werden ein zusätzliches Ausschreibungsmodell für Photovoltaik haben.
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Und wir werden auch bei Biogas die Potenziale nutzbar machen.
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Das ist der erste Schritt. Ich sage Ihnen: Das nächste EnSiG liegt schon in der Pipeline. Wir haben noch viel vor, und zwar mit erneuerbaren Energien; denn das ist die Zukunft und die Antwort auf Putins Gasstrategie, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Vielen Dank.
({11})
Vielen Dank für die Erteilung des Wortes. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der schreckliche Aggressionskrieg Russlands gegen die Ukraine hat eine neue Phase erreicht, indem Präsident Putin es für notwendig gehalten hat, eine Teilmobilisierung der russischen Streitkräfte zu verkünden, und vor allen Dingen Referenden angekündigt hat für die von Russland rechtswidrig okkupierten Territorien. Ich bin Bundeskanzler Olaf Scholz dankbar für seine Rede vor den Vereinten Nationen und für die klaren Worte, die er und auch Außenministerin Annalena Baerbock in New York gefunden haben, mit denen das klar verurteilt wurde.
Die deutsche Position, die Position der Bundesregierung, wird von der CDU/CSU-Fraktion vollinhaltlich unterstützt. Das ist russischer Imperialismus. Das darf sich nicht durchsetzen. Wir stehen an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer, und die gesamte internationale Ordnung ist aufgefordert, diese erneute russische Aggression zurückzuweisen und die Rechtsordnung zu verteidigen.
({0})
Mir ist diese Gemeinsamkeit wichtig; denn wir werden jetzt über eine Differenz miteinander diskutieren aufgrund eines erneuten Antrages der CDU/CSU-Fraktion, der bemerkenswerterweise notwendig geworden ist, obwohl der Deutsche Bundestag schon am 28. April dieses Jahres einen eindeutigen Beschluss gefasst hat. Der lautet nämlich, schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Dazu gehören alle gepanzerten Fahrzeuge, die auch in Deutschland verfügbar sind. Und es ist bemerkenswert genug
({1})
– dieser Beschluss, Herr Kühnert, enthält keine Klausel, dass davon Schützenpanzer oder Kampfpanzer ausgenommen werden –, dass die Bundesregierung einen Beschluss des Deutschen Bundestages nicht umsetzt und wir hier zum zweiten Mal beantragen müssen, darüber zu diskutieren. Das ist ein Ding an sich.
({2})
Dazu möchte ich folgende Bemerkungen machen. Der erste Punkt ist: Es fehlt seitens der Bundesregierung, des Bundeskanzlers insbesondere, nicht nur für uns, sondern ganz offenkundig ja auch für Sie – das erläutern Sie ja auch öffentlich häufig genug – jede Begründung dafür, warum die Bundesregierung die Lieferung bzw. die Ermöglichung der Lieferung von Panzern und Schützenpanzern an die Ukraine verweigert. Und das allein ist in einer derartig schwierigen Situation ein schwerer Fehler des Bundeskanzlers. Wenn er Unterschiede macht, dann muss er sie auch erläutern, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({3})
Es ist darüber hinaus an den Haaren herbeigezogen, zwischen dem Schützenpanzer Marder und dem Gepard, der erfreulicherweise geliefert wurde bzw. dessen Lieferung ermöglicht wurde, einen derartigen Unterschied zu machen. Es könnte – das hat der frühere Vorsitzende des Verteidigungsausschusses und ehemalige Wehrbeauftragte Dr. Hans-Peter Bartels, aus Ihrer Fraktion, diese Woche noch einmal deutlich gemacht – eine dreistellige Zahl von Schützenpanzern Marder ohne Schwächung der Bundeswehr sofort geliefert werden.
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Und es ist Ihre Verantwortung, dass das nicht geschieht. Das sind Panzer, die der Ukraine fehlen. Deutschland könnte deren Lieferung ermöglichen, ohne die Bundeswehr zu schwächen. Das nicht zu tun, ist ein schwerer Fehler, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Der zweite Punkt ist, dass insbesondere die Kolleginnen und Kollegen aus den Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und FDP nicht müde werden, Woche für Woche zu betonen, dass sie ja dafür seien. In dem Punkt, Herr Kühnert, haben Sie ja recht: In Talkshows werden derartige Entscheidungen nicht getroffen, sondern hier im Deutschen Bundestag.
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Deswegen sage ich in aller Ernsthaftigkeit: Alle diejenigen, die auch diese Woche wieder in Interviews, in Tweets und Veröffentlichungen, die Sie überall gemacht haben, immer wieder dafür eingetreten sind, dass Panzer und Schützenpanzer geliefert werden sollen, sind aufgefordert, hier und heute dafürzustimmen.
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Hier werden die politischen Entscheidungen getroffen, nicht in Talkshows. Hier wird die politische Entscheidung getroffen, ob Deutschland so etwas macht oder nicht macht. Dafür gibt es die Freiheit des Gewissens.
Die Sache ist mittlerweile ernst genug. Sie alle wissen, worum es geht. Denn das hat mittlerweile eine erhebliche europapolitische Komponente. Wenn Sie mit Kolleginnen und Kollegen aller Couleur aus mittel- und osteuropäischen Staaten, aber auch – das sage ich als Norddeutscher – aus skandinavischen Staaten sprechen, werden Sie feststellen: Diese deutsche Politik verursacht mittlerweile eine tiefe Spaltung Europas. Deutschland ist aufgefordert, Europa zusammenzuführen und es nicht zu spalten, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Dafür sind Sie verantwortlich.
Letztlich ist es natürlich die Lage in der Ukraine selber – und das nicht nur jetzt durch die russische Teilmobilmachung, sondern auch schon bisher. Jeder Schutz durch Panzer, der den Soldaten der Ukraine fehlt, sorgt für Opfer, sorgt für Verletzungen, sorgt für Todesfälle. Wenn man es ernst meint damit, dass man sagt: „Wir wollen, dass es keinen Diktatfrieden gibt“, und wenn man es ernst meint damit, dass man sagt: „Wir stehen vollständig hinter der Ukraine“, und wenn man es ernst meint damit, dass man sagt: „Wir bewundern den Mut und die Tapferkeit der Soldaten der Ukraine“, und wenn man es ernst meint damit, dass man erschrocken ist über das, was die Russen alles machen – es gibt Massengräber nicht nur in Butscha, sondern mittlerweile auch in Isjum –, und wir alle sagen: „Nie wieder! Deutschland muss dafür sorgen, dass so etwas nie wieder geschieht“, dann muss man hier jetzt einen entscheidenden Schritt weitergehen.
Und dann frage ich: Wann, wenn nicht jetzt, nachdem wir diese Taten festgestellt haben? Wo, wenn nicht hier im Deutschen Bundestag? Und: Wer, wenn nicht wir? Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages fordern die Bundesregierung auf, jetzt diese Lieferungen zu ermöglichen, damit die Ukraine sich und auch unsere Freiheit verteidigen kann.
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Das Wort erhält für die SPD-Fraktion die Kollegin Gabriela Heinrich.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 30 Flakpanzer Gepard, 10 Panzerhaubitzen 2000, 3 Mehrfachraketenwerfer Mars II, 2 700 Fliegerfäuste Strela, 21,8 Millionen Schuss Handwaffenmunition und 100 000 Handgranaten wurden aus Deutschland geliefert. Diese Aufzählung ließe sich mit insgesamt 61 Einträgen fortsetzen; das mache ich aber nicht. Damit arbeitet die ukrainische Armee, und damit konnte sie jüngst große Gebiete zurückerobern. Dabei war sie offensichtlich so erfolgreich, dass Putin sich zur Teilmobilisierung und zu überhasteten Referenden gezwungen sieht. Die Lieferung von 4 weiteren Panzerhaubitzen 2000, 50 Dingo-Fahrzeugen und 16 Brückenlegepanzern wird neben vielem mehr gerade vorbereitet und durchgeführt.
Von der CDU/CSU-Fraktion, Herr Wadephul, werden diese Lieferungen als „Almosen“ bezeichnet.
({0})
Und das hat mit der Wirklichkeit nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun.
({1})
Zurückzuweisen ist das vor allen Dingen deshalb, weil wir modernstes Gerät liefern und liefern werden, und das wissen Sie auch. Die Ukraine selbst bestätigt, dass deutsche Waffen für die Erfolge maßgeblich waren. Vielleicht sollten Sie sich in der eigenen Fraktion auch einmal fragen, weshalb Sie diesen wichtigen deutschen Beitrag entgegen der Einschätzung der Ukraine ständig klein- und schlechtreden wollen.
({2})
Deutschland liefert. Mit den Vereinigten Staaten von Amerika und dem Vereinigten Königreich sind wir der größte Waffenlieferant der Ukraine,
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und wir sind der größte Lieferant innerhalb der EU.
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Das ist doch die europäische Führungsrolle, die Sie einfordern. Was dabei besonders wichtig ist – deshalb habe ich die USA, Großbritannien und die EU hier genannt –: Deutschland liefert im Verbund mit unseren westlichen Partnern. Wenn die Union so laut nach Kampfpanzern ruft, dann ruft sie in Wirklichkeit nach einem deutschen Alleingang und eben nicht nach einer Initiative; denn weder die Amerikaner noch die Franzosen haben bisher erkennen lassen, dass sie Kampfpanzer westlicher Bauart liefern wollen.
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Olaf Scholz hat seit Beginn dieses Krieges deutlich gemacht, dass er stets im Verbund mit den westlichen Partnern handeln wird. Wir stehen gemeinsam fest an der Seite der Ukraine. Wir wollen, dass sich die Ukraine gegen den Verbrecher Putin verteidigen kann und bestehen wird. Der Kurs der Bundesregierung ist genau das, was Sie in der Union vermissen lassen: besonnen, klar und weitsichtig.
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Die Regierung ist sich hier einig. Christian Lindner hat dazu gesagt: Wir machen alles abgestimmt mit unseren Partnern, Freunden und Verbündeten, vor allem auch den USA. Auch die Außenministerin
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hat vor Alleingängen bei der Lieferung von Kampfpanzern gewarnt. Sie hat gesagt, dass wir diesen Schritt nur gemeinsam mit unseren internationalen Partnern gehen können. Übrigens unterstützen auch die Bürgerinnen und Bürger diesen Kurs. Laut einer neuen forsa-Umfrage stimmt die Mehrheit der Deutschen der Linie der Bundesregierung zu, auch und gerade im Hinblick auf Kampfpanzer.
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Ich halte fest: Wir werden weiter liefern. Und ich möchte drei Prinzipien nennen, nach denen wir liefern werden und auch schon geliefert haben. Erstens: immer mit der Besonnenheit, nicht selbst in den Krieg einzutreten. Zweitens: immer mit der Maßgabe, dass die Fähigkeit der Bundeswehr zur Bündnis- und Landesverteidigung gegeben sein muss. Drittens. Diese Waffenlieferungen erfolgen ebenso wie die Sanktionen in enger Abstimmung mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern.
Herr Wadephul, Sie haben den Antrag erwähnt, den wir Ende April gemeinsam verabschiedet haben. Kommt Ihnen der dritte Punkt da nicht bekannt vor? Wir haben ihn in diesem Haus verabschiedet, gemeinsam. Wir hatten uns auf die umfassende Unterstützung der Ukraine geeinigt. Sie haben das seitens CDU und CSU so mitgetragen
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und auch betont, dass wir uns dabei mit unseren Partnern abstimmen. Und genau das machen wir. Die Ansprechpartner von Olaf Scholz sitzen in Paris, in Brüssel und in Washington, im Weißen Haus.
({10})
– Ich sagte: Weißes Haus.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, eines darf hier nicht fehlen: Bei all dem Leid, bei all der Zerstörung erreichen uns gute Nachrichten – soweit man dies als gut bezeichnen kann in einem Krieg – aus der Ukraine. Mit bewundernswertem Kampfgeist, mit viel Mut, mit militärischem Geschick und eben auch mit deutschen Waffen ist es der ukrainischen Armee gelungen, große Gebiete im Osten des Landes zu befreien. Den Ukrainerinnen und Ukrainern gebührt unser höchster Respekt für diese Leistung. Wir werden sie dabei weiter tatkräftig unterstützen.
Vielen Dank.
({11})
Vielen Dank, Frau Kollegin Heinrich. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Alexander Gauland, AfD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selten sind die geheiligten Prinzipien unseres Selbstverständnisses nach 1945 so gnadenlos auf dem Altar einer falschen Realpolitik geopfert worden: Wir liefern keine Waffen in Spannungsgebiete. Wir verteidigen allein uns und unsere NATO-Partner. Und zuletzt noch: Sanktionen dürfen uns nicht mehr schaden als den zu Sanktionierenden. – Alles verweht, alles Schnee von gestern.
Wir sind in einer Auseinandersetzung, die uns nicht betrifft, längst Partei geworden, und wir werden es jeden Tag mehr. Wir rutschen auf einer schiefen Ebene in die Teilnahme an einem Konflikt, der nicht der unsere ist. Es ist einfach nicht wahr, dass in der Ukraine auch unsere Freiheit verteidigt wird,
({0})
dass Herr Putin, so der ukrainische Präsident, die Berliner Mauer wieder errichten will.
Ja, die Ukraine verteidigt sich in einem postzaristischen und postsowjetischen Konflikt.
({1})
Ja, der Krieg ist völkerrechtswidrig und Putins Ziel einer Wiederherstellung der alten Größe Russlands aus der Zeit gefallen. Aber es ist nicht unser Konflikt. Er berührt keine deutschen Interessen,
({2})
die Folgen allerdings sehr wohl. Wir spüren unsere Sanktionen gegen Russland am meisten. Wenn Öl und Gas unbezahlbar werden, dann, weil wir, wie Frau Wagenknecht zu Recht von dieser Stelle aus festgestellt hat,
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einen Wirtschaftskrieg gegen Russland führen und uns weigern, Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen.
({4})
Wir haben uns, meine Damen und Herren, auf eine Seite gestellt und müssen nun leider mit den Folgen leben.
Die Union will nun noch einen Schritt weiter gehen und uns mit der Lieferung schwerer Waffen zur Kriegspartei machen. Das ist schon deshalb verantwortungslos, weil es unsere Aufgabe wäre, auf allen diplomatischen Kanälen den Krieg einzugrenzen, um ihn zu beenden,
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gerade nach den neuesten Entwicklungen, der Teilmobilisierung.
Der Bundeskanzler hat von hier aus gesagt, Putin dürfe diesen Krieg nicht gewinnen.
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Ich füge hinzu: Er darf ihn auch nicht verlieren;
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denn eine Atommacht hat leider Mittel, diese Niederlage abzuwenden. Die Sorge von Präsident Biden ist daher berechtigt, und wir sollten sie ernst nehmen. Deshalb dürfen wir die Flammen nicht anfachen, sondern müssen sie austreten helfen.
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Die Lieferung schwerer Waffen tut das Gegenteil, meine Damen und Herren.
Von Otto von Bismarck stammt die Beobachtung – Zitat –:
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Es ist leicht für einen Staatsmann …, mit dem populären Winde in die Kriegstrompete zu stoßen und sich dabei an seinem Kaminfeuer zu wärmen …, aber wehe dem Staatsmann, der sich in dieser Zeit nicht nach einem Grunde zu Kriegen umsieht, der auch nach dem Kriege noch stichhaltig ist.
Herr Wadephul, der Ihre ist es leider nicht.
Ich bedanke mich.
({10})
Vielen Dank, Herr Kollege Gauland. – Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ansage Putins, dass es jetzt eine Teilmobilmachung gibt, bringt einiges an Veränderungen mit sich: Erstens ist das eine schlechte Nachricht für Frieden in Europa. Zweitens – von all den falschen Dingen, die Sie gerade gesagt haben, Herr Gauland, hat mich das am meisten wahnsinnig gemacht – ist das eine Absage an Verhandlungen; denn was da passiert, ist eine Vorbereitung für den Frühling, eine Vorbereitung für einen langen Krieg. Das ist nicht die Vorbereitung von Verhandlungen. Das muss man einfach zur Kenntnis nehmen.
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Drittens zeigt das, wie groß der Druck auf Putin und den Kreml ist nach all den Verlusten, die sie jetzt erlitten haben. Der zentrale Grund für diese Verluste ist der Heldenmut der Ukrainerinnen und Ukrainer. Den darf man nicht unterschätzen, den muss man unterstützen. Deshalb ist es zynisch, dass seit acht Monaten Leute Briefe schreiben und Appelle formulieren, in denen die Ukraine aufgefordert wird, einfach die Waffen fallen zu lassen. Das ist der reinste Zynismus. Die Argumente dieser Leute werden jetzt, in diesem Augenblick, widerlegt.
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Gerade weil wir sehen, was im Kreml passiert, ist es erst recht notwendig, dass wir einen langen Atem haben bei der Unterstützung der Ukraine – und den werden wir haben; das ist unsere Verpflichtung. Auch der Schutz des Völkerrechts ist unsere Verpflichtung. Das tun wir auch in der Ukraine. Man sieht: Die Waffensysteme helfen, die Waffensysteme helfen, Leben zu schützen.
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Es ist deshalb richtig, das weiterhin zu machen.
Ich muss aber sagen: Es ist ein bisschen ermüdend, immer wieder über neue und einzelne Waffensysteme zu sprechen. Wir müssen über Fähigkeiten sprechen und über den Bedarf der Ukraine und dann innerhalb des Bündnisses miteinander entscheiden. Ganz ehrlich: Ob das Panzerhaubitzen sind, Schützenpanzer oder Kampfpanzer, am Ende muss die Balance stimmen zwischen einer Abwägung innerhalb des Bündnisses und dem Bedarf der Ukraine. Das ist eine Abwägung jeden einzelnen Tag. Das machen wir in der Bundesregierung, so wie es andere Partnerstaaten auch machen.
Herr Wadephul, ich war letzte Woche in den USA. Ich kann Ihnen sagen, da werden exakt dieselben Debatten geführt. Die Abwägungen dort sind genau dieselben, ebenso wie auch in Frankreich. Richtig ist: Wir müssen schneller werden, wir müssen substanzieller werden, alle miteinander. Aber das werden wir zusammen im Bündnis tun müssen; das ist überhaupt keine Frage. Anders geht das nicht.
Herr Wadephul, Sie haben vorhin einen Satz gesagt, der mich ein bisschen hat aufhorchen lassen. Sie haben gesagt: Es ist klar, dass wir vollständig auf der Seite der Ukraine stehen müssen. – Ja, das stimmt; wir teilen das. Aber es gibt ein paar Fragen, die sich daraus ergeben: Wann stellt sich jemand von Ihnen hierhin und sagt mal was zum „Correctiv“-Bericht über Mitglieder Ihrer Partei, die privatwirtschaftlich an Nord Stream verdient haben, was uns in diese Lage gebracht hat?
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– Okay, kommen wir zum Thema zurück. „Vollständig auf der Seite der Ukraine stehen“, das war doch Ihr Thema. Heute gab es im Haushaltsausschuss eine Abstimmung über einen Fonds. Bei diesem Fonds ging es um Kredite für Unternehmen auch im Westen der Ukraine. Es ging um 25 Millionen Euro. Es ging darum, dass Unternehmen Kredite bekommen zur Ernährungssicherheit, die so neuralgisch ist in diesen Tagen. Erklären Sie doch mal, wie Sie vollständig auf der Seite der Ukraine stehen wollen, wenn Ihre Leute mit dem Argument, das Geld werde in Deutschland gebraucht, diese Kredite heute im Haushaltsausschuss abgelehnt haben! Das ist doch einfach nicht redlich, was Sie gerade veranstalten. Das ist schlicht nicht redlich.
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Das ist heute im Haushaltsausschuss des Hohen Hauses genau so passiert.
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– Nein, das ist keine Ablenkung. Das war das konkrete Abstimmungsverhalten der Union heute im Haushaltsausschuss.
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Richtig ist, dass wir in der Koalition miteinander daran arbeiten, dass wir so viel wie möglich im Rahmen des Bündnisses helfen.
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Richtig ist, dass wir das, wo es geht, mit den demokratischen Parteien zusammen machen und machen müssen. Richtig ist, dass wir präzise argumentieren müssen bei der Frage, was geht und was nicht geht. Das haben die Menschen in der Ukraine verdient.
Es gibt auch Argumente, denen ich nicht folgen kann. Das Argument, unsere Waffen führten zur Eskalation, setzt ja voraus, dass die russische Seite Ausreden braucht für die Eskalation. Das ist grotesk.
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Natürlich braucht sie keine Ausreden. Die Aggression ist da. Und die Waffensysteme schützen.
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Richtig ist, dass man gerade da, wo der Ringtausch nicht funktioniert, schauen muss, welche Bestände der Bundeswehr und der Industrie helfen. Es ist ja offensichtlich, dass uns im NATO-Hauptquartier klar und deutlich gemacht wurde, dass es hilfreich wäre, dort zu helfen. Und richtig ist, dass das alles bekannt ist und dass die Bundesregierung in Gesprächen mit unseren Partnerstaaten alles tut, was notwendig ist, damit das auch geschieht.
Unsere Solidarität mit der Ukraine bleibt ungebrochen.
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– Herr Wadephul, jetzt mal ganz ehrlich: Wir hatten heute die Debatten zur Energiesicherheit.
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Nach all dem, was die Union dazu beigetragen hat, dass wir im Bereich Energiesicherheit da sind, wo wir sind, gerade von Ihnen Belehrungen zu bekommen im Hinblick auf die Solidarität mit der Ukraine, die wir ja brauchen, macht uns, ehrlich gesagt, sprachlos.
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Wir brauchen Ihre Anträge nicht. Wir Grüne standen von der ersten Sekunde an, nicht nur bei Nord Stream 2, sondern auch auf dem Maidan, an der Seite der Menschen in der Ukraine.
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Das werden wir auch weiterhin tun, unabhängig davon, was Sie hier beantragen oder nicht beantragen.
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Vielen Dank, Herr Kollege Nouripour. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Ali Al-Dailami, Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Beginn des Ukrainekrieges vergeht kaum eine Woche, in der nicht jemand aus der Bundesregierung oder auch der Union um die Ecke kommt und fordert, dass man mehr und am besten auch immer schwerere Waffen an die Ukraine liefern solle. Und so jagte in den letzten Monaten ein Tabubruch den nächsten. Erst lieferte man 5 000 Gefechtshelme. Es folgten Kleinfeuerwaffen und Stinger-Raketen. Schließlich wurden Haubitzen und Mehrfachraketenwerfer geliefert. Und nun diskutiert man über die Lieferung von Kampfpanzern. Was für ein Wahnsinn, möchte man meinen!
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Sie fordern in Ihrem Antrag auch Waffen aus den Beständen der Bundeswehr. Doch der Vorsitzende des Deutschen BundeswehrVerbandes hat unlängst vor weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine aus ebendiesen Beständen gewarnt und die damit einhergehende Schwächung der Bundeswehr sogar als „Kannibalisierung unserer Truppe“ bezeichnet. Das mag aus der Perspektive der Bundeswehr auch zutreffen. Doch ich sage Ihnen: Es geht auch darum, die real existierende Kannibalisierung in der Ukraine zu stoppen, und das erreicht man nicht durch mehr und immer schwerere Waffen, meine Damen und Herren.
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Letztes Wochenende wurde bekannt, dass die Bundesregierung die nächste Lieferung schwerer Waffen durchgewunken hat. 18 Panzerhaubitzen soll es geben. Die Waffenschmiede Krauss-Maffei Wegmann sagt Danke und freut sich über ganze 216 Millionen Euro. Doch interessanter ist ein anderes Detail, nämlich dass die Auslieferung frühestens in zweieinhalb Jahren beginnt. Das sind mittlerweile die Dimensionen, mit denen hier hantiert wird. Und genau das ist das Ergebnis der katastrophalen Politik der Waffenlieferungen, nämlich eine Verlängerung dieses abscheulichen Krieges um viele, viele Jahre.
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Auch die Union setzt mit ihrem Antrag nun alles daran, dass dies so eintritt. Das nenne ich verantwortungslos, meine Damen und Herren.
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Auch fordern Sie die Ausbildung ukrainischer Soldaten an diesen schweren Waffen. Zu diesem Thema müssen Sie ja nicht auf uns, aber doch zumindest auf die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages hören. Diese kommen nämlich zu dem Schluss, dass man mit der Ausbildung an diesen schweren Waffen den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen würde, was also bedeutet, dass Deutschland droht, sich mit weiteren Waffenlieferungen und der dazugehörigen Ausbildung zunehmend zur Kriegspartei zu machen. Auch das ist absolut verantwortungslos.
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Meine Damen und Herren von der Bundesregierung und der Union, wenn Sie ernsthaft an einer Beendigung dieses Krieges interessiert sind, erfordert dies endlich eine verbale, aber auch eine materielle Abrüstung. Deshalb: Hören Sie endlich auf, mit Ihrer Politik diesen Krieg immer weiter in die Länge zu ziehen,
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und setzen Sie sich statt für Panzeroffensiven doch endlich für Diplomatieoffensiven ein!
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP-Fraktion.
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Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Als die CDU/CSU angekündigt hat, hier im Hause einen Antrag zum Thema „Waffenlieferungen an die Ukraine“ zu stellen, blieb die Welt des politischen Berlins schlagartig stehen.
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Alle hielten den Atem an. Was würde uns erwarten? Wie würde die Ampel jetzt abstimmen? Eine Zeitung hat dann gewissermaßen – um im Bild zu bleiben – die Bombe platzen lassen und geschrieben:
Der Antrag legt die fehlende Einigkeit innerhalb der Ampel offen. Denn vor allem Liberale und Grüne fordern schon lange mehr deutsches Engagement.
Ich kann nur sagen: Messerscharf beobachtet und recherchiert! In der Tat diskutieren wir seit dem 24. Februar darüber, welches der richtige Weg ist, und zwar, wie es sich in einer Regierung gehört, in Verantwortung und übrigens nicht locker vom Hocker.
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Wir sind uns alle einig, dass wir an der Seite der Ukraine stehen, wirtschaftlich, humanitär und auch militärisch; denn an jedem Tag töten russische Soldaten unschuldige Menschen, jeden Tag zerstören, vergewaltigen, verschleppen sie und werden Menschenrechte mit Stiefeln getreten.
Ja, meine Damen und Herren, wir als Freie Demokraten sind der Meinung, dass wir in der jetzigen militärischen Lage, in der die ukrainische Armee Stück für Stück ihr Territorium zurückholt, mindestens den Transportpanzer Fuchs und den Schützenpanzer Marder liefern müssen
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und, wenn es die Lage erfordert, gegebenenfalls auch den Kampfpanzer Leopard, gerne übrigens auch im Verbund mit anderen europäischen Partnern, wie von Michael Roth vorgeschlagen.
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Es spricht auch nichts dagegen, auch nicht bei den Verbündeten, weder in der EU noch in der NATO.
Und ja, wir sind der Überzeugung, dass wir in Deutschland unsere internationale Rolle neu definieren müssen. „Zeitenwende“ heißt nicht nur, mehr für die Bundeswehr zu tun. Es heißt auch, Führung zu übernehmen und nicht zu warten, bis die Partner uns unbequeme Entscheidungen abnehmen. So wahr, so gut.
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Lieber Herr Wadephul, glauben Sie im Ernst, dass, wenn es eine andere Koalition in diesem Hause gäbe, darüber nicht diskutiert würde? Sie haben doch 16 Jahre lang die Kanzlerin gestellt.
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– Ja, dumm gelaufen. – Sie haben 16 Jahre lang das Verteidigungsministerium geführt. Was ist übrig geblieben außer Ihrer Hybris? Dass Sie die eigentliche Soldatenpartei sind!
Bewaffnete Drohnen, Nachfolge von Tornado und schwerem Transporthubschrauber – alles nicht gekommen.
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Leere Waffendepots, kaputte Infrastruktur, und jede Bundeswehrreform wurde zu Tode diskutiert.
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Was ist übrig geblieben? Der Traum eines deutschen Flugzeugträgers, eine satte Berateraffäre und eine völlig aus dem Ruder gelaufene „Gorch Fock“.
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Sie haben ein Desaster hinterlassen.
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Lieber Herr Hahn, Ihre CSU-Verkehrsminister haben Straßen und Brücken so vergammeln lassen,
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dass die NATO, wenn sie hier in Deutschland übt, das kaum machen kann, weil die Brücken in die Knie gehen, wenn die Panzer drüberfahren.
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Und wenn wir uns jetzt den Kopf darüber zerbrechen, woher wir die Waffen nehmen sollen, dann ist das Ihre Schuld. Sie haben zu verantworten, dass der Bestand der Bundeswehr so miserabel ist, dass lange nicht so viel vorhanden ist, wie wir heute bräuchten.
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Meine Damen und Herren, wir haben am 28. April gemeinsam einen Antrag auf den Weg gebracht und unsere Regierung unter anderem aufgefordert, auch schwere Waffen bereitzustellen. Da haben Sie Verantwortung mitgetragen. Und ich sage Ihnen: Die Bundesbürger erwarten, dass Sie in dieser historischen Situation nicht kleinkariert opponieren, sondern dass wir hier zusammen – außer rechts und links – dieses Problem lösen.
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Und wenn heute Sie sagen, wir hätten nichts geliefert – Sie haben gerade die Kollegin Heinrich gehört –, dann erwidere ich: Sie wissen genau, was wir alles geliefert haben. Sie wissen auch, dass die Ukrainer weiter ausgebildet werden und dass die 100 Milliarden Euro auch dafür da sind, die Ressourcen weiter aufzufüllen.
Meine Damen und Herren, was 1 800 Kilometer von hier geschieht, ist unfassbar. Die berühmte rote Linie ist die Linie, um die es geht: Freiheit, Demokratie, in Menschenwürde leben. Diese Linie ist überschritten worden, und deswegen, meine Damen und Herren, stehen wir in der Tat auf der Seite der Ukraine. Wir müssen alles Mögliche tun, um die ukrainische Armee zu unterstützen, damit sie gewinnt und Wladimir Putin keine Chance hat.
Wir werden, wie Sie es 16 Jahre lang getan haben, wenn wir Anträge gestellt haben, Ihren Antrag in unseren Ausschuss überweisen, und dann werden wir im Detail darüber diskutieren. Dann können Sie – mit Verlaub – Ihre soldatische Hose herunterlassen und sagen, was Sie für Ideen haben, statt diese kleinkarierten Anträge einzubringen.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Strack-Zimmermann. – Ich habe gerade Kopfkino.
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Florian Hahn, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Strack-Zimmermann, ich weiß nicht, wen Sie mit der soldatischen Hose gemeint haben; aber das Thema ist ehrlicherweise viel zu ernst.
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Eines muss uns doch klar sein: Wenn sich Putin durchsetzt, ist kein friedliches, kein freiheitliches Leben in Wohlstand in Europa möglich.
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Das muss uns klar sein, und das sollte auch Ihnen klar sein. Deswegen ringen wir darum, in welchem Umfang wir der Ukraine helfen.
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Bei der Unterstützung der Ukraine geht es – das muss klar sein – nicht nur um die Menschen und das Land Ukraine, sondern auch um unsere Werte und unsere Interessen. Deshalb sind wir gerade nach der angekündigten Teilmobilmachung davon überzeugt, dass wir eine Generalmobilmachung der Unterstützung für die Ukraine brauchen, und zwar genau jetzt. Deswegen stellen wir diesen Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Der Kanzler hat mit Blick auf die Erfolge, die die Ukraine in der Vergangenheit errungen hat, selber gesagt: Gerade die Waffen, die geliefert wurden, haben einen Unterschied gemacht. – Na also. Um diese Erfolge zu manifestieren, sollten wir jetzt weiter liefern und endlich auch Waffensysteme liefern, die die Ukraine bereits direkt nach Kriegsbeginn angefordert hat. Das sind beispielsweise die Schützenpanzer Marder und die Kampfpanzer Leopard 1.
Frau Kollegin Heinrich, Sie haben aufgezählt, wie viel schon geliefert wurde. Wir bestreiten nicht, dass das, was Sie aufgezählt haben, auch geliefert wurde. Wir bestreiten auch nicht, dass das schon eine ganze Menge ist. Aber ich bestreite eines – und ich kann Ihnen nur raten, sich mal mit der Statistik zu beschäftigen –: Gemessen am BIP ist Deutschland die Nummer 18 der Welt bei der Unterstützung der Ukraine und nicht die Nummer 3, wie Sie es beschreiben. Es gibt Länder, die sich, wenn Sie so wollen, komplett blankmachen, obwohl sie eine direkte Grenze zur Russischen Föderation haben, wie Estland, weil auch sie davon überzeugt sind, dass jetzt der Zeitpunkt ist, die Ukraine verstärkt zu unterstützen, damit Putin keinen Erfolg hat.
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Sie haben hier in einer leicht selbstgefälligen Art, wenn ich das so sagen darf, die Unterstützungsleistungen aufgezählt. Zur Komplettierung möchte ich sagen: Das war immer nur möglich, wenn ein entsprechender Druck entstanden ist, Druck vonseiten der Bündnispartner und Druck durch das Parlament.
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Ich erinnere daran: Vor der ersten Sitzung in Ramstein haben Sie gesagt: Wir liefern gar keine schweren Waffen. – Dann haben Sie auf einmal den Gepard-Panzer ausgepackt, weil Sie, Frau Bundesministerin, definiert haben, das sei kein Panzer. Genauso war es bei den Dingos. Der Bundeskanzler hat gesagt: Dingos können wir auf keinen Fall liefern, das ist nicht möglich. – Auf einmal standen bei der zweiten Sitzung in Ramstein 50 Dingos zur Verfügung.
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Fakt ist: Die Ukraine braucht mehr, und wir können mehr liefern. Deswegen müssen wir das auch tun.
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Zu dem Argument „keine Alleingänge“, das Sie, Frau Heinrich, auch gebracht haben, kann ich nur sagen: Es gibt diese offiziellen Absprachen nicht.
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Falls es diese Absprachen gibt, dann frage ich: Mit wem denn? – Sie haben drei Hauptstädte aufgeführt und gesagt, Sie würden nur mit Vertretern dieser Länder sprechen.
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Ich kann nur sagen: Das Bündnis besteht aus mehr Partnern. Das Baltikum gehört auch dazu.
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Das sind alles Ausflüchte und Ausreden.
Lieber Kollege Nouripour, Ihnen ist nichts anderes eingefallen, als die Ablehnung dieses Antrags damit zu begründen, dass wir heute in der Energiedebatte und bei einer Debatte im Haushaltsausschuss zu einem völlig anderen Thema nicht einer Meinung waren.
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Sie, Frau Strack Zimmermann haben gesagt, weil wir 16 Jahre regiert haben, könnten Sie diesem Antrag, der mit den letzten 16 Jahren nichts zu tun hat, nicht zustimmen. Das ist wirklich armselig. Das sind Ausreden.
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Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.
Deswegen: Geben Sie sich einen Ruck! Bringen Sie Ihren Bundeskanzler und diese Bundesregierung endlich dazu, die Ukraine vollständig mit Waffen zu beliefern, so wie wir es können!
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Hahn. – Nächster Redner ist der fraktionslose Kollege Robert Farle.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute geht es der CDU/CSU darum, an die von den USA geführten ukrainischen Streitkräfte schwere deutsche Waffen zu liefern,
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mit dem Ziel, die russische Armee entscheidend zu schwächen, um die NATO-Osterweiterung in der Ukraine später bis an die russische Grenze vorantreiben zu können.
Nach dem von den USA gesteuerten und finanzierten Euro-Maidan-Putsch 2014
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haben die USA – das ist die Aussage von Frau Nuland – die Ukraine unter Poroschenko systematisch aufgerüstet und seit neun Jahren auf NATO-Standard gebracht.
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Ukrainische Offiziere mussten Englisch lernen und stehen letztlich unter amerikanischem Kommando.
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Sogar Orden wurden vom Oberbefehlshaber der US Army in Europe vor Kurzem an ukrainische Soldaten verliehen.
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Das Ziel war ganz offensichtlich, das Minsk-II-Abkommen rückabzuwickeln und die Donbassgebiete der Separatisten militärisch zurückzuerobern. Olexij Danilow, der Sekretär des ukrainischen Sicherheitsrates, sagte in einem Interview im Dezember 2019, dass Kiew das Minsk-II-Abkommen offen ablehnt und sich stattdessen auf einen Krieg mit Russland vorbereitet. Der NATO-Beitritt wurde 2019 in der ukrainischen Verfassung festgeschrieben. Am 24. März 2021 unterzeichnete Präsident Selenskyj das sogenannte – ich zitiere wörtlich – „Dekret zur Rückeroberung der Krim“. Das war nichts anderes als eine verdeckte Kriegserklärung der Ukraine an Russland.
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Und in diesem Krieg sollen nach dem Willen der Union, der Grünen und von Frau Strack-Zimmermann wieder deutsche Panzer rollen. – Ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt, wenn es um Krieg und Frieden geht.
Herr Kollege Farle, kommen Sie bitte zum Schluss.
Sie sollen den Ausschlag für den Sieg der Ukraine über Russland geben.
Sie haben noch einen Satz. Dann entziehe ich Ihnen das Wort.
Der eine Satz ist: Wir brauchen Verhandlungen, statt Waffen zu liefern. Wir wollen uns durch niemanden, auch nicht durch Sie, in einen dritten Weltkrieg hineinziehen lassen.
Respekt, wenn – –
Herr Kollege Farle, ich habe Ihnen gerade das Wort entzogen.
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Jetzt habe ich mein Wort wieder. Ich hatte mir gerade selbst auch das Wort entzogen.
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Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dietmar Nietan, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Präsident, verraten Sie niemandem, wo der Knopf ist, mit dem man den Präsidenten ausschalten kann; das könnte gefährlich werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, am 17. September konnte man in der „New York Times“ Folgendes lesen: Präsident Biden widersetzt sich bisher einer Lieferung des Army Tactical Missile Systems in die Ukraine, weil er – Zitat – „davon überzeugt ist, dass er Putin in den letzten sieben Monaten erfolgreich signalisiert hat, dass er keinen breiteren Krieg mit den Russen will – er will nur, dass sie aus der Ukraine verschwinden.“ Weiter heißt es:
„Wir versuchen, den dritten Weltkrieg zu vermeiden“, erinnert Präsident Biden immer wieder seinen Stab und wiederholt damit eine Aussage, die er auch öffentlich gemacht hat.
Ich will es mal so sagen: Nach der Lesart des CDU/CSU-Antrages müssten wir jetzt hier diskutieren, ob Herr Biden ein Zauderer ist.
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Allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen, wissen wir natürlich, dass die USA die größte Armee haben. Wir haben aber eine Armee, die in den letzten 16 Jahren so ausgestattet worden ist, wie sie sich uns heute präsentiert.
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Wenn mir Bundeswehrgeneräle sagen, dass eine deutliche Ausweitung der Waffenlieferungen, beispielsweise mit modernen Panzern, die Bundeswehr sehr schnell in eine Situation bringen würde, in der sie ihre Pflichten zur Landesverteidigung und zur Bündnisunterstützung nicht mehr ordnungsgemäß erfüllen könnte; wenn mir die Bundeswehrgeneräle sagen, dass viele Waffensysteme, die jetzt noch bei der Industrie einlagern, gar nicht in dem Zustand sind, dass sie schnell in der Ukraine eingesetzt werden können, weil die Industrie aufgrund der unzureichenden Beschaffungspolitik des BMVg in den letzten Jahren gar nicht in der Lage ist, ihre Kapazitäten schnell auszuweiten, dann will ich mal deutlich sagen: Hier und heute rufen diejenigen „Haltet den Dieb!“, die die Misere hinsichtlich unserer Verteidigungsfähigkeit und Waffenlieferfähigkeit in erster Linie mit zu verantworten haben, und das sind Sie mit Ihren Verteidigungsministern der Union.
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Vielleicht gehen Sie besser mal in sich und analysieren Ihre Fehler aus 16 Jahren Unionsverantwortung im BMVg.
Aber damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich gehört es zu den Aufgaben der Opposition, auch in angespannten, krisenhaften Zeiten wie diesen die Regierung zu kontrollieren und zu kritisieren. Aber in diesen Zeiten, in denen es auch für unser Land um so viel geht, sollte die Kritik der Opposition konstruktiv sein.
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– Können Sie mal aufhören? Hat Ihnen Ihre Mutter nicht Benehmen beigebracht? Ich weiß es nicht.
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Gerade weil der Kampf um die Freiheit in der Ukraine ein langer Marathonlauf ist, muss es doch um ganz andere Fragen gehen, beispielsweise um die Frage, wie wir Waffenlieferungen, Ausbildung und Ausrüstung optimal in moderne Kooperations- und Koordinierungsstrukturen im Kreis der Freunde der Ukraine etablieren können, oder um die Frage, was zu tun ist, um mit unseren Partnern in NATO und EU langfristig die Absicherung des Nachschubs mit Waffen, Ersatzteilen und Munition sicherzustellen. Es geht um eine nachhaltige Strategie, wie wir sicherstellen, dass uns während dieses anstrengenden Marathonlaufs nicht, bildlich gesprochen, die Puste ausgeht.
Das wären spannende Punkte für einen kritischen Antrag der Opposition gewesen. Stattdessen erleben wir hier parteipolitische, taktisch motivierte Spielchen.
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Wenn es stimmt, dass die Verteidigung der Freiheit der Ukraine und letztlich auch unserer Freiheit uns einiges abverlangen wird; wenn es stimmt, dass dieser Kampf lange dauern wird, also ein Marathonlauf ist, dann ist doch die alles entscheidende Frage, wie es gelingt, die Breite der Bevölkerung bei diesem Marathonlauf auch immer wieder mitzunehmen,
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den Menschen in unserem Land zu zeigen, dass ihre Sorgen und Nöte der Maßstab unserer Politik sind, ihnen die Gewissheit zu geben, dass wir jetzt alle einen Preis für unsere Freiheit zahlen müssen, dass wir aber als Staat und Politik denjenigen, die als Bürgerinnen und Bürger, aber auch als kleine mittelständische Unternehmen diesen Preis alleine nicht zahlen können, ganz konkret helfen werden.
„You’ll never walk alone“ gilt für unsere Freunde in der Ukraine. „You’ll never walk alone“ muss aber auch für die Menschen in Deutschland gelten. Darauf müssen sie sich verlassen können.
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Da sollte man sich schon fragen, ob kleinkariertes politisches, taktisches Geplänkel jetzt angebracht ist oder das Zusammenrücken der Demokratinnen und Demokraten im Kampf für unsere Freiheit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Nietan. – Ich will nur darauf hinweisen: Sie können nie einen sitzungsleitenden Präsidenten ausschalten. Sie können allenfalls dazu beitragen, dass er nicht hörbar ist.
Damit schließe ich die Aussprache.
Mir ist mitgeteilt worden, dass das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht wird. Ist das nach wie vor der Fall? – Herr Kollege Frei, dann haben Sie das Wort.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt gerade eine inhaltliche Debatte erlebt, und uns geht es um die Frage, wie man mit diesem Thema umgeht. Wir hätten uns unseren Antrag und diese Debatte auch sparen können, wenn die Bundesregierung in den vergangenen Wochen und Monaten das gemacht hätte, wozu sie der Deutsche Bundestag mit breiter Mehrheit am 28. April dieses Jahres aufgefordert hatte.
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Dann hätten wir uns diese Diskussion ersparen können. Durch dieses Verweisungsmanöver, das wir jetzt hier seitens der Koalitionsfraktionen erleben, geht die Verzwergung des Parlaments aber weiter.
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Jetzt muss man sich mal fragen: Worum geht es eigentlich an dieser Stelle? Es geht darum, dass wir den Antrag gestellt haben, dass die Bundesregierung das macht, wozu der Deutsche Bundestag sie am 28. April aufgefordert hat. Das ist eine Entscheidung, die man heute treffen muss. Und was machen Sie? Sie ducken sich weg vor dieser Entscheidung.
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Sie schlagen sich in die Büsche, und Sie verstecken sich hinter Verfahrensfragen; nichts anderes ist das.
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– Das ist eine Geschäftsordnungsdebatte.
Herr Kollege, einen ganz kleinen Moment. Sie haben genug Zeit. – Darf ich darauf hinweisen, dass die Frage, ob zur Geschäftsordnung geredet wird oder nicht, vom sitzungsleitenden Präsidenten entschieden wird und nicht von Ihnen?
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Herr Kollege Frei bewegt sich noch innerhalb des Geschäftsordnungsantrages, den er gleich stellen wird.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Wir haben es ja in dieser Debatte gesehen. Sie, jedenfalls zwei Koalitionsfraktionen, haben uns ja im Wesentlichen inhaltlich zugestimmt. Sie kommen da nur zu anderen Ergebnissen und anderen Schlüssen.
Ich möchte Ihnen jetzt einfach die Frage stellen: Wenn Sie diesen Antrag in den Ausschuss verweisen wollen, was, bitte schön, wollen Sie da machen? Wollen Sie diese Themen, die sich in den letzten Stunden in der Ukraine konkretisiert und weiterentwickelt haben, noch mal ausgiebig diskutieren? Wollen Sie eine Expertenanhörung machen zu dem, was Sie selber im April schon einmal entschieden haben?
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Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.
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Sie sehen doch, dass die Dynamik der Situation in der Ostukraine erfordert, dass wir jetzt handeln.
Sie haben im Übrigen teilweise in Ihren Reden deutlich gemacht, dass das, was wir tun, was wir bisher getan haben, dass Waffen, die wir geliefert haben, auch tatsächlich wirken.
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Deswegen ist es notwendig, dass wir jetzt entscheiden, dass wir jetzt unseren Worten Taten folgen lassen. Daher möchte ich Sie bitten, diesem Antrag zuzustimmen und ihn eben nicht in den Ausschuss zu verweisen.
Vielen Dank, Herr Präsident.
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Vielen Dank, Herr Kollege Frei. – Eine weitere Wortmeldung liegt mir von Nils Schmid, SPD-Fraktion, vor.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir erleben ein seltsames Spektakel: Die größte Oppositionsfraktion im Deutschen Bundestag skandalisiert einen völlig normalen Vorgang.
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Ich muss sagen: Das wird dem Ernst des Gegenstandes der Beratung nicht gerecht. Es ist schäbig.
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Die Bundesregierung hat durch den Parlamentsbeschluss vom 28. April eine ausreichende Grundlage, all das, was zur Unterstützung der Ukraine politisch, militärisch und auch ökonomisch notwendig ist, zu leisten.
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Diese Grundlage leitet die Regierungsfraktionen und vor allem auch die Regierung in ihrem tagtäglichen Handeln. Deshalb werden Tag für Tag, Woche für Woche auch Waffen an die Ukraine geliefert. Dazu brauchen wir keinen Sofortbeschluss hier und heute im Deutschen Bundestag, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Dass es Ihnen nicht allzu dringlich sein kann, zeigt ja auch die Tatsache, dass Sie diese Debatte am Nachmittag versteckt haben, dass Ihr Fraktionsvorsitzender weder in der Debatte redet noch zugegen ist.
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Damit zeigt sich auch, wie ernsthaft Sie dieses Thema betreiben.
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Ihnen geht es nicht um die Sache, nicht um die Unterstützung der Ukraine. Ihnen geht es um billiges Schauspiel zulasten der parlamentarischen Würde
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und zulasten der Geschlossenheit der Demokraten in der Hilfe für die Ukraine.
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Ich schlage vor, dass wir an dem bewährten Verfahren festhalten, an die Fachausschüsse zu überweisen, die sich damit beschäftigen.
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Es ist zum Beispiel in den Händen des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses hervorragend aufgehoben. Also, warum überweisen wir es nicht einfach an den Auswärtigen Ausschuss, meine sehr verehrten Damen und Herren?
Vielen Dank.
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Vielen Dank, sehr geehrter Herr Präsident. – Es ist ein bisschen schwierig, jetzt zur Biersteuer zu kommen; aber es ist ein relevantes Thema. Ich möchte gerne das vorstellen, was wir dazu in den letzten Monaten und Wochen gemacht haben und was wir jetzt auf den Weg bringen.
Wir haben in Deutschland eine Gastronomiekultur. Das sieht man nicht zuletzt beim gerade stattfindenden Oktoberfest, wo sich auch die hier sehr geschätzten Kolleginnen und Kollegen gerne in dem einen oder anderen Dress oder in dem einen oder anderen Zelt ablichten lassen, die also auch zu schätzen wissen, was für eine besondere Kultur wir hier haben. Diese Kultur ist aber nicht nur wegen des Oktoberfestes, sondern insgesamt relevant.
Das Gaststättengewerbe hat besonders gelitten, nicht nur jetzt durch die Energiepreise, durch die Inflation, sondern es war gleich doppelt gebeutelt, weil es während der Coronapandemie große Schwierigkeiten gab. Während der Lockdowns wurde es teilweise als Freizeitbereich gebrandmarkt und kam deswegen nicht voran. Wir wollen deswegen einiges erleichtern, und ich bin besonders froh – das möchte ich dem allen einmal voranstellen –, dass wir es gemeinsam in der Koalition geschafft haben, die Geltungsdauer des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes ein weiteres Mal zu verlängern. Das ist in dieser Ausnahmesituation eine wichtige Entscheidung der Koalition und eine wichtige Unterstützung der Gastronomie.
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Man sieht aber auch, dass eigentlich jeder einen guten Grund hat, um gerade seiner Branche den ermäßigten Mehrwertsteuersatz zukommen zu lassen. Jede Branche hat gute Gründe dafür. Wir müssen bei unserem Mehrwertsteuersystem mit Sätzen von 7 und 19 Prozent sehr darauf achten – hier sind auch einige skurrile Sachen zutage getreten –, dass wir nicht in einen Wettbewerb kommen, in dem es darum geht, für möglichst viele Branchen den ermäßigten Mehrwertsteuersatz durchzusetzen.
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Ich bin sehr froh, dass im Finanzausschuss Einigkeit deutlich wurde, dass wir allesamt, sowohl von der Ampel als auch von der Unionsfraktion, Verbesserungsbedarf beim Mehrwertsteuer- bzw. Umsatzsteuersystem sehen und daran arbeiten wollen. Ich finde, das ist eine gute Lösung; denn keiner kann das bestehende System mit ermäßigten und normalen Steuersätzen noch verstehen. Das ist, glaube ich, nicht sinnvoll und wird uns auch auf Dauer nicht helfen.
Wir nehmen aber noch Änderungen an anderen Verbrauchsteuergesetzen vor; ich will das einmal vorstellen. Wir sorgen dafür, dass Entlastungsanmeldungen in Zukunft monatlich statt vierteljährlich gemacht werden können. Wir sorgen für Heilungstatbestände bei formalen Verstößen, und wir streichen regelmäßige Vorlagepflichten. Das sind nur ein paar Beispiele, die zeigen, dass die Bürokratie im Verbrauchsteuersystem geringer wird.
Ich will aber zum Schluss noch etwas anderes im Verbrauchsteuersystem ansprechen. Ich will mich auch kurz fassen; denn sonst sitzen wir hier noch bis drei Uhr nachts. Mit dem, was wir jetzt machen, ändern wir folgende Gesetze: das Biersteuergesetz, das Tabaksteuergesetz, das Schaumwein- und Zwischenerzeugnissteuergesetz, das Kaffeesteuergesetz, das Alkoholsteuergesetz, das Siebte Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen, das Gesetz zur Modernisierung des Tabaksteuerrechts, das Umsatzsteuergesetz, die Biersteuerverordnung, die Tabaksteuerverordnung, die Schaumwein- und Zwischenerzeugnissteuerverordnung, die Kaffeesteuerverordnung, die Alkoholsteuerverordnung, die Siebte Verordnung zur Änderung von Verbrauchsteuerverordnungen, die Verordnung zur elektronischen Übermittlung von Daten für die Verbrauchsteuern und die Luftverkehrsteuer.
Ich glaube, wir sind uns einig in diesem Hause: Auch über eine Änderung des Verbrauchsteuersystems könnten wir sprechen, damit wir nicht jedes Mal ein so gigantisches System, ein so gigantisches Bürokratiemonster überarbeiten müssten. Es würde den Menschen vieles erleichtern, wenn wir hier im Steuersystem für mehr Klarheit sorgen.
Ich freue mich, wenn wir hier im Hause zu einer breiten Unterstützung für diesen Gesetzentwurf kommen, und bedanke mich fürs Zuhören.
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Vielen Dank, Herr Kollege Mordhorst. – Was es alles so gibt!
Ich habe Ihren Satz, dass Sie sich beeilen wollen, weil Sie nicht bis drei Uhr hier sitzen wollen, so verstanden, dass von Ihnen aus schon der Wunsch an uns herangetragen wird, dafür Sorge zu tragen, dass vielleicht einige Kolleginnen und Kollegen, die später zu Tagesordnungspunkten reden, sich mit dem Gedanken beschäftigen sollten, ihre Reden zu Protokoll zu geben.
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– Ja, das ist ja etwas für die Geschäftsführer.
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Also, dafür bin ich sehr dankbar.
Als nächster Redner hat der Kollege Sebastian Brehm, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln heute in zweiter und dritter Lesung das Achte Verbrauchsteueränderungsgesetz. Ich erspare mir natürlich die Aufzählung, sonst ist die Redezeit vorbei.
Erstens. Wir begrüßen ausdrücklich, dass die coronabedingt ermäßigten Biermengenstaffelsteuersätze für kleine Brauereien entfristet werden.
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Gerade in der jetzigen Zeit mit hoher Inflation und Verteuerung ist das ein wichtiges Signal. Das haben wir ja in unserem Antrag gefordert. Sie hatten es ursprünglich in Ihrem Gesetzentwurf nicht drin. Deswegen bedanken wir uns, dass Sie unsere Anregungen aufnehmen.
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Zweitens. Bei der Verlängerung der Geltungsdauer der ermäßigten Umsatzsteuer in der Gastronomie folgen Sie teilweise unserem Antrag. Sie verlängern um ein Jahr. Wir hätten uns auch hier eine Entfristung gewünscht und fordern Sie auf, unserem Antrag zuzustimmen. Sie haben es übrigens auch den Wählern versprochen. Also, die Gastronomen bauen darauf, dass wir dies entfristen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Sofern wir über einzelne Teile dieses Gesetzentwurfs abstimmten, würden wir diesen beiden Punkten auch zustimmen. Aber Sie packen in dieses Gesetz noch Dinge hinein, die das gesamte Gesetz nicht zustimmungsfähig machen.
Drittens will ich Ihnen sagen: Ein Punkt ist die Verteuerung in der Landwirtschaft. Sie senken zwar den Pauschalsteuersatz – das klingt immer ganz gut –; aber damit nehmen Sie Kraft weg von den Landwirten, gerade von den kleinen Landwirten; denn Sie vermindern den Vorsteuerabzug bei der Landwirtschaft, und das ist gerade in den jetzigen Zeiten schwierig. Das wird zu Verteuerungen führen. Und wer zahlt es? Es sind die Verbraucherinnen und Verbraucher.
(Beifall bei der CDU/CSU
Aufgrund der Dringlichkeit haben Sie in diesem Gesetz noch einen anderen Gesetzentwurf mit eingebracht. Dieser betrifft die KfW und erweitert den Verwendungszweck einer Kreditermächtigung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds mit der Folge, dass der Bund die KfW anweisen kann, einen Kredit auch an notleidende Gaskonzerne auszureichen. Der Knackpunkt in diesem Gesetz bleibt die unterschiedliche Auffassung über die Wahrscheinlichkeit des Ausfalls solcher Kredite. In § 39 Bundeshaushaltsordnung steht klar, dass bei einem hohen Risiko des Ausfalls der Bund keine Gewährleistung der Kredite aussprechen darf. Insofern führt zwar der jetzige Beschluss noch zu keinem Risiko. Aber sobald der Kredit ausgereicht wird, führt das zu einem klaren Risiko und muss im Haushalt abgebildet werden, was Sie bislang nicht tun, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Und wenn wir schon bei den Gaskonzernen und bei Uniper sind – das betrifft vor allem die Kolleginnen und Kollegen der FDP –: Wir lassen gleich über unseren Entschließungsantrag zur Abschaffung der Gasumlage namentlich abstimmen.
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Schließen Sie hier das unsägliche, öffentlich ausgetragene Regierungstheater endlich ab, und ziehen Sie einen Schlussstrich unter diese Chaosumlage der Bundesregierung, liebe Kolleginnen und Kollegen!
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Der jetzige Einstieg bei Uniper und die Verlautbarungen des Bundeswirtschaftsministers zeigen das planlose Vorgehen der Bundesregierung deutlich auf: erst die Gasumlage beschließen – bei den Bürgerinnen und Bürgern steht sie übrigens schon auf der Rechnung – und dann eine Verstaatlichung. Bei der Ampel geht es drunter und drüber, und alles zulasten der Bürgerinnen und Bürger. Sie machen mit diesem Chaos die Menschen in unserem Land ärmer, und das lassen wir nicht zu!
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Aber anstatt alle Maßnahmen erst mal konzentriert zu prüfen und auch konzentriert zu kommunizieren mit den Bürgerinnen und Bürgern sowie mit dem Parlament, wurde eilig diese Gasumlagenverordnung beschlossen, und dann war sie auch noch handwerklich schlecht. Jetzt kriegen die Konzerne, die Gewinne machen, auch noch die Gasumlage, und zahlen müssen es die Bürger und Bürgerinnen in Deutschland.
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Mir kommt es so vor wie in den letzten Stunden auf der „Titanic“:
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Auf dem Regierungsdeck spielt die Musik, und es wird getanzt. Im Maschinenraum aber, wo gearbeitet wird, ersaufen die Bürgerinnen und Bürger in den hohen Kosten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, schaffen Sie die Gasumlage endlich ab, und stimmen Sie unserem Antrag zu!
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Die Gasumlage ist ungerecht. Die Gasumlage ist unsozial, und sie führt zu einer künstlichen Verteuerung der Energiepreise in Deutschland. Ihre Chaospolitik macht die Menschen ärmer und nimmt das Geld aus dem Geldbeutel der Bürgerinnen und Bürger. Wir lassen das nicht zu! Die FDP hat heute die Möglichkeit – der Minister hat ja verkündet, dass er die Gasumlage schlecht findet –, mit uns zu stimmen und die Gasumlage endlich abzuschaffen. Es ist Zeit dafür!
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Brehm. – Nächster Redner ist der Kollege Carlos Kasper, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten uns vorgenommen, mit dem Achten Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen vor allem die Bier- und Tabaksteuer zu überarbeiten. Aber auch auf dieses Gesetzespaket wirft die aktuell schwierige Lage ihre Schatten. In Krisenzeiten brauchen wir schnelle und kurzfristige Lösungen. So beinhaltet dieses Gesetzespaket weitere Maßnahmen, um Bürger/-innen zu entlasten, die Inflation nicht weiter anzuheizen und die Energieversorgung in unserem Land zu sichern.
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Wir ändern heute auch das Stabilisierungsfondsgesetz. Gerade der Wirtschaftsstabilisierungsfonds, den wir bereits in der Coronakrise eingeführt haben, wird angepasst. Mit diesem Fonds haben wir der KfW ermöglicht, von der Coronakrise gebeutelte Unternehmen mit bis zu 100 Milliarden Euro an Krediten über die Zeit zu helfen. Dieses Instrument, welches wir gemeinsam mit der Union eingeführt haben, hat sich bewährt und Unternehmen in der letzten Krise gerettet. Nun gibt es eine neue, eine andere Krise. Durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine sind die Energiepreise ins Unermessliche gestiegen. Es ist zu befürchten, dass, wenn wir heute nicht handeln, Energieunternehmen vom Markt verschwinden werden. Deswegen nutzen wir das Instrument, das bereits in der letzten Krise geschaffen wurde. Wir weiten den Wirtschaftsstabilisierungsfonds aus und ermöglichen auch Unternehmen der Energiewirtschaft, Kredite über die KfW zu erhalten.
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Ja, klar, nichts ist alternativlos. Aber was wäre denn die Alternative, lieber Herr Brehm? Ihr wollt die 66 Milliarden Euro, die wir als Kreditermächtigung bereitstellen, im Haushalt festschreiben. Das würde heißen: 66 Milliarden Euro einsparen, über alle Ressorts hinweg. Ist das die Politik der Union?
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Sie müssen endlich mal klar benennen, was Sie wollen und wie Sie Ihre politischen Forderungen finanzieren wollen. Das, liebe Union, hat etwas mit politischer Glaubwürdigkeit zu tun.
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Wir befinden uns in einer Krise. Wir müssen schnell handeln. Wenn wir hier eine Lösung über den Haushalt herbeiführen wollten, würde das bedeuten, dass diese Hilfen zu spät kommen würden, mit allen Konsequenzen für unsere Wirtschaft. Auch dieses Gesetz hilft dabei, die Versorgung im Winter zu sichern. Wir sorgen damit für mehr Stabilität und etwas mehr Ruhe an den Märkten. Krisenzeiten erfordern entschlossenes Handeln, und das tut diese Bundesregierung.
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Ein anderer wichtiger Aspekt dieses Gesetzespaketes ist es, dass wir den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent in der Gastronomie für mindestens ein Jahr weiter beibehalten. Das ist so wichtig, weil diese Branche bereits während Corona besonders hart getroffen wurde und auch unter der aktuellen Energiekrise leidet. Wir stärken die Gastronomie und sichern dort die Arbeitsplätze. Das sind Lösungen für die aktuellen Herausforderungen; es sind Instrumente, die wir mit diesem Gesetz schnell umsetzen wollen. Damit reagieren wir auf aktuelle Probleme.
Aber auch in der aktuellen Krisenzeit bleibt es nach wie vor wichtig, das politische Tagesgeschäft zu regeln. Mit diesem Achten Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen bringen wir notwendige und sinnvolle Maßnahmen auf den Weg, um unsere Steuerverfahren zu verbessern.
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Wir harmonisieren, digitalisieren und entbürokratisieren. Wir gehen weg von einer Papierflut an Begleitdokumenten, hin zum effizienten digitalen Verfahren. Wir vereinfachen damit die Prozesse für die Herstellung enorm und sorgen für Planungssicherheit bei den Brauereien bezüglich der Berechnung von Steuern. Außerdem sorgen wir dafür, dass der reduzierte Biersteuerstaffelsatz für kleinere und mittlere Brauereien erhalten bleibt. Von der Steuerentlastung profitieren rund 95 Prozent aller Brauereien in Deutschland, insbesondere in Bayern und Sachsen. Das ist unser Beitrag zum Erhalt der deutschen Bierkultur.
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Wir harmonisieren, digitalisieren und entbürokratisieren. Das ist richtig und wichtig, wie uns auch die Expertinnen und Experten in der Anhörung noch einmal bestätigt haben. Auch an unsere Land- und Forstwirte denken wir. Wir gleichen den Durchschnittssteuersatz bei der Umsatzsteuer an und sorgen damit dafür, dass Deutschland im bereits laufenden EU-Vertragsverletzungsverfahren nicht verklagt wird und unsere Landwirtinnen und Landwirte nicht enorme Nachzahlungen fürchten müssen.
Es ist irgendwie etwas unpassend, aber vielleicht ist es Ihnen auch peinlich, oder etwas anderes ist Ihnen wichtiger – so wichtig kann es also nicht sein –: Sie wollen die Gasumlage abschaffen und haben dazu ganze drei Zeilen geschrieben.
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Dieser Antrag wird der Komplexität dieser Gasumlage nicht gerecht.
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Na klar, meine Fraktion ist jederzeit bereit, über die Gasumlage zu diskutieren. Die rechtlichen Probleme sind mittlerweile bekannt, aber – auch das gehört zur Wahrheit dazu – bei der Abschaffung der Gasumlage geht es um 22 Milliarden Euro.
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Wenn wir heute Ihrer Forderung nachgeben würden, würden wir für die KfW im Bundeshaushalt 66 Milliarden Euro festschreiben und zusätzlich für die Gasumlage 22 Milliarden Euro. Sie sagen nicht, wie Sie das finanzieren wollen. Bitte nehmen Sie Ihre Rolle als Oppositionsfraktion endlich ernst. Wenn Sie das nächste Mal einen Antrag zur Gasumlage schreiben, machen Sie es uns doch schwerer, diesen Antrag abzulehnen.
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Vielen Dank, Herr Kollege Kasper. – Nächster Redner ist der Kollege Martin Reichardt, AfD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir erleben es jetzt zum wiederholten Mal, dass im Rahmen der Beratung eines Gesetzes, das die Gestaltung sachbezogener Fragen aufwirft, kurzfristig Dinge eingefügt werden, die aus ideologischen Irrwegen der Regierung resultieren. Die notwendige Debatte um spezifische Probleme des Gesetzes wird durch den kurzfristig eingeschobenen Änderungsantrag zum Stabilisierungsfondsgesetz überschattet. Noch mal 66 Milliarden Euro Kreditermächtigung soll die KfW bekommen, um Energieunternehmen stärker zu unterstützen: Das lehnen wir ab.
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Die Überlegung, Energieunternehmen staatlich zu stützen, wäre nur dann zu rechtfertigen, wenn im gleichen Zuge die Ursachen für die Probleme behoben würden. Das aber tut die Regierung aus ideologischer Verbohrtheit eben nicht.
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Die Begründung der Regierung für die zusätzliche Kreditermächtigung ist ebenso entlarvend wie skandalös: Die Kreditermächtigung sei „erforderlich, damit … das Vertrauen von Wirtschaft und Öffentlichkeit in die Maßnahmenpakete der Bundesregierung keinen Schaden nimmt.“ Die Bundesregierung sorgt sich also um ihr eigenes Image, während der Schaden für die deutsche Wirtschaft und die deutschen Bürger ins Unermessliche wächst. Das ist eine Schande, meine Damen und Herren.
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Sie machen Arbeiter, Familien und mittelständische Unternehmen zu Bittstellern, die auf die Hilfe des Staates angewiesen sind. Täglich kommen Hilferufe ganzer Branchen, die heute in Deutschland mit dem Rücken zur Wand stehen – darunter auch die Brauereien, denen Sie jetzt wieder die ermäßigten Steuersätze zugestehen wollen,
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was diesen wahrscheinlich auch nicht helfen wird, weil das CO2, das zur Abfüllung des Biers benötigt wird, knapp und teuer ist. Lieferanten von CO2 liefern unter Verweis auf „höhere Gewalt“ nicht mehr die vereinbarten Mengen und zur vereinbarten Zeit.
Aber man leidet hier nicht unter „höherer Gewalt“, man leidet unter der Unfähigkeit dieser Bundesregierung, die die Lieferketten zerstört hat, meine Damen und Herren.
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Die Energiekrise ist hausgemacht. Sie ist das Ergebnis einer ganzen Reihe von Fehlentscheidungen der Altparteien. Wir begrüßen aber vor diesem Hintergrund gerade den Antrag der CDU/CSU, die Gasumlage abzuschaffen. Diesem Antrag werden wir zustimmen. Das ist richtig und weise.
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Die gesamte sogenannte Energiewende, die Sie propagieren, war von Anbeginn an ein Verarmungsprogramm für die deutsche Bevölkerung und ein Zerschlagungsprogramm für unsere Wirtschaft. Keines Ihrer Ziele haben Sie mit der Energiewende erreicht. Die Bezahlbarkeit ist dahin, die Versorgungssicherheit ist dahin, und die Umweltverträglichkeit ist auch beim Teufel. Nichts ist geblieben von Ihrer Politik, meine Damen und Herren.
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Durch die im Zuge des Russland-Ukraine-Krieges eingeleitete Sanktionspolitik gegenüber Russland hat die Bundesregierung die Energieknappheit noch einmal dramatisch verschärft. Familienbetriebe, die seit Generationen bestehen, müssen jetzt aufgeben, und auch Familien, die bisher gut gelebt haben oder zumindest auskamen, müssen sich dank Ihrer existenzvernichtenden Politik nun die Frage stellen, ob man im Winter besser frieren oder hungern soll, meine Damen und Herren.
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– Ja. Es sind Bürger und vielfach auch Unternehmer, die genau in diesen Angelegenheiten auf die Straße gehen,
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nämlich aufgrund Ihrer verfehlten Politik. Sie gehen auf die Straße, und sie werden von Ihrer Regierung als Verfassungsfeinde und als Demokratiefeinde diffamiert. Das ist eine Schande.
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Allein in Ostdeutschland sind letzten Montag 50 000 Menschen auf die Straße gegangen, und ich will Ihnen Folgendes sagen
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– da können Sie hier reinschreien, wie Sie wollen; da kommen Sie nicht von weg –: Diese Menschen gehen auf die Straße, weil es ihnen schlecht geht aufgrund Ihrer Politik.
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Wir als AfD sind die einzige Fraktion, die sich felsenfest hinter diese Menschen stellt, und zwar in ganz Deutschland, und das insbesondere bei unserer großen Demonstration am 8. Oktober.
Vielen Dank.
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Danke, Herr Präsident, dass Sie mir trotzdem das Wort geben. Ich denke, es ist angebracht. – Ich möchte nicht das Wort ergreifen zu dem Dauerskandal der Nichtwahl ins Parlamentarische Kontrollgremium und auch des Stellvertreters der Präsidentin, sondern in dem Fall zur erstmalig erfolgten Wahl für das neue Kontrollgremium des Haushaltsausschusses bzw. das Kontrollgremium zum Bundeswehrsondervermögen, in das, wenn ich das eben richtig mitbekommen habe, gleich zwei Vertreter von zwei verschiedenen Fraktionen nicht gewählt wurden, weil sie nicht die erforderliche Mehrheit erhalten haben.
Das hat eine neue Qualität, und zwar quantitativ; denn wir reden bei der Kontrolle des „Sondervermögens Bundeswehr“ über 100 Milliarden Euro oder zwei Jahresetats des Bundesverteidigungsministeriums, also der Bundeswehr. Es ist unglaublich, dass durch diese Wahl die Kontrollmöglichkeit dieses Vermögens nun massiv eingeschränkt sein wird, indem zwei Fraktionen komplett fehlen. Das ist wirklich präzedenzlos. Das Königsrecht des Haushaltes wird uns als Haus hier seit ewigen Zeiten praktisch ausnahmslos gewährt. Das ist ein Recht, das seit 1850 schon in Preußen galt und kodifiziert war. Sie haben die Kollegen nicht gewählt
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und dieses Recht nun ganz massiv eingeschränkt. Also, das ist schon ganz übel.
Das war schon angelegt. Ich habe es schon in meiner Rede gesagt, als das Gesetz im Sommer auf den Weg gebracht wurde: Wir hätten hier heute eigentlich im strengen Sinne keine Wahl abhalten müssen. Das ist ein Bestimmungsthema, und diese Bestimmung statt einer Wahl wurde missachtet. Das ist also ein Skandal, der hier praktisch mit Ansage produziert wurde. Und es ist genau so gekommen, wie wir es im Sommer vermutet haben. Es werden hier Kollegen, ganze Fraktionen von der Kontrolle von 100 Milliarden Euro ferngehalten.
Herr Kollege.
Das ist die selbsternannte Mitte dieses Hauses, –
Herr Kollege.
– die sich das anmaßt. So delegitimiert man ein Verfassungsorgan, nämlich uns selbst in diesem Fall.
Danke.
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Ich ahnte schon Böses. – Aber auch der Kollege Ulrich hat jetzt das Wort für eine kurze Stellungnahme.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Skandal ist das wirklich. Man kann ja politisch unterschiedlicher Auffassung sein, ob man den 100 Milliarden Euro zustimmt oder nicht. Wir haben aus politischen Gründen diesem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen nicht zugestimmt, und das würden wir jederzeit wieder tun. Aber bei diesem Sondergremium geht es um Haushaltsfragen.
Mit Gesine Lötzsch haben Sie jemanden abgelehnt, die im Haushaltsausschuss unzweifelhaft eine gute Arbeit macht, die in einer der letzten Wahlperioden Ausschussvorsitzende war und den Haushaltsausschuss dort fraktionsübergreifend geleitet hat. So jemanden hier nicht zu wählen, beleidigt eigentlich Sie selbst, und ich finde, da müssen Sie mal in sich gehen. Sie können ja bei der AfD aus guten Gründen immer ablehnen;
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das bleibt Ihnen unbenommen. Aber bei Gesine Lötzsch haben Sie etwas vermischt, was meines Erachtens nicht zusammengehört. Ich finde, man muss Parteien, Inhalte und Personen voneinander trennen.
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Gesine Lötzsch ist nachgewiesenermaßen eine gute Haushälterin. Sie nicht zu wählen, ist eine Frechheit von Ihnen allen, die es nicht gemacht haben. Das sollten Sie in den nächsten Wochen gründlich korrigieren.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Ulrich. – Damit ist dieser Vorgang abgeschlossen. Wahlen haben bedauerlicherweise manchmal Ergebnisse, die einem nicht gefallen. Ich kenne das aus eigener Erfahrung.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Achten Verbrauchsteueränderungsgesetz werden in der vorliegenden Fassung – es ist schon gesagt worden – in der Tat nicht mehr nur Fragen der Verbrauchsteuern geregelt, sondern eine Reihe weiterer Änderungen auf den Weg gebracht, die über den eigentlichen Sachgegenstand der Verbrauchsteuern hinausgehen.
Ich darf daher zunächst noch einmal an den ursprünglichen Gesetzentwurf erinnern, der notwendige Modernisierungen und die Implementierung von EU-Recht vornimmt. Zusammen mit weiteren Vereinfachungen modernisieren wir die Regulierung und reduzieren so Bürokratie. Dem stimmen wir selbstverständlich weiterhin zu.
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In unserem Gesetzentwurf regeln wir nun aber auch Fragen der Biersteuermengenstaffel, der Umsatzsteuer in der Gastronomie oder auch die jährliche Anpassung des Durchschnittssatzes für unsere Landwirtinnen und Landwirte.
Zuletzt haben wir sehr intensiv eine ebenfalls an das Gesetz angehängte Änderung des Stabilisierungsfondsgesetzes beraten. Die vorgesehene Refinanzierung der KfW durch den Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds ist richtig, um die Liquidität der KfW und in Folge der Energiewirtschaft zu gewährleisten.
Der Angriffskrieg Putins auf die Ukraine hat eine Krise auf den europäischen Energiemärkten ausgelöst. Die Absicherung eben des Energiesektors ist zwingend, um die Versorgung von Haushalten und Unternehmen mit Wärme und Energie jederzeit zu gewährleisten.
Die Maßnahme, um die es hier geht, ermöglicht der KfW den Zugang zu Liquidität, welche sie sich in dieser Größenordnung und zu diesem Preis nicht selbst am Markt besorgen könnte. Sie ermöglicht somit eine möglichst kostengünstige und reibungslose Abwicklung bereits beschlossener Maßnahmen.
Weil die Situation im Energiesektor nach wie vor sehr dynamisch ist, kann die Krise auch noch weitere Maßnahmen notwendig machen. Auch diese würden dann durch diese Liquiditätsbereitstellung vereinfacht und vergünstigt. Sie müssen dann natürlich ganz normal – selbstverständlich, lieber Herr Kollege Brehm – parlamentarisch begleitet werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen, wie schwierig die Situation für die Menschen und Unternehmen aktuell ist und vor welchen Herausforderungen wir als Land stehen. Die KfW jetzt vorausschauend mit der notwendigen Liquidität auszustatten, ist daher genau richtig. So können wir weiterhin flexibel reagieren und den Energiesektor stabil halten.
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Und zum Schluss zu dem Antrag der Union zur Streichung der Gasumlage. Dazu hat Robert Habeck gestern hier eigentlich alles gesagt.
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Mit der Einigung zur Verstaatlichung von Uniper ist ja noch keine sofortige Verstaatlichung verbunden, sondern erst der Prozess eingeleitet. Sie, liebe Union, wollen die Gasumlage aber mit sofortiger Wirkung streichen,
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ohne eine Alternative zu präsentieren. Damit machen Sie es sich viel zu einfach. Ihren Antrag lehnen wir daher ab.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Müller. – Nächster Redner ist der Kollege Christian Görke, Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorab: Der Gesetzentwurf ist ein bunter Blumenstrauß an Maßnahmen. Einige Punkte unterstützen wir, andere gehen uns nicht weit genug. Ich will vier Punkte herausstellen:
Erstens. Es ist so sinnvoll wie überfällig, dass die Zettelwirtschaft bei Begleitdokumenten endlich angegangen wird. Dass zum Beispiel Bier mit Steuerdokumenten von Deutschland nach Frankreich geliefert wird, ist, wie gesagt, längst überholt im Zeitalter der Digitalisierung, und die Digitalisierung hat ja nicht erst im Jahr 2022 angefangen.
Zweitens. Wir schließen uns den Vorschlägen aus dem Bundesrat an, die die kleinen Brauereien betreffen. Viele haben durch die Pandemie und die notwendigen Einschränkungen mächtig Federn lassen müssen und haben finanzielle Einbußen. Deshalb finden wir es auch richtig, die Höhe der geltenden ermäßigten Steuersätze bei der Biersteuermengenstaffel zu entfristen, und vor allem, dies dauerhaft beizubehalten.
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Drittens. Nach dem, was wir in den Anhörungen von der Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft vorgetragen bekommen haben, ist der zusätzliche Personalaufwand für den ganzen Neuregelungskomplex künstlich kleingerechnet worden. Ich sage ganz klar: Wenn Personal fehlt, kann auch kein Papiertiger in Gesetzentwürfen das kompensieren. Ich erwarte, dass Sie hier nachbessern, meine Damen und Herren von der Koalition.
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Ich komme zu viertens, dem sehr kurzfristig vorgelegten Vorschlag der Koalition, den in der Coronazeit als Sondervermögen errichteten Wirtschaftsstabilisierungsfonds dafür einzusetzen, die Solvenz und die Liquidität der Unternehmen der Energiewirtschaft – hoffentlich auch der kommunalen Stadtwerke – zu sichern. Wir halten das für sinnig, und wir unterstützen das auch.
Ich weise aber trotzdem darauf hin, dass bei den verschärften, risikobehafteten Entwicklungen der Energieunternehmen – da geht es wirklich in die Milliarden – der Bundeshaushalt für die Absicherung in Anspruch genommen wird. Hier geht es immerhin um 66 Milliarden Euro. Deshalb hätte ich gerne die Abschirmung dieser Risiken in der Haushaltsberatung in der letzten Woche durch die Ampel gesehen. Warum das nicht passiert ist, bleibt Ihr Geheimnis.
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Meine Vermutung: Hätten Sie sich da schon ehrlich gemacht, wäre die Schuldenbremse 2023 schon längst mausetot.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Zur Beendigung des Murkses zur Gasumlage habe ich heute Vormittag ausgeführt. Die Linke unterstützt ausdrücklich den Antrag der CDU/CSU-Fraktion.
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Es ist auch folgelogisch, weil wir seit dem Sommer die gleiche Auffassung haben.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Görke. – Das Wort erhält nun der Kollege Tim Klüssendorf, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Brehm, Sie sprachen eben von „Chaos“, von „drunter und drüber“.
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Wenn ich mir das Verhalten der CDU/CSU-Fraktion nur aus den letzten beiden Tagen anschaue – ich rede gar nicht über die letzten Sitzungswochen –,
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stelle ich fest, dass das – getreu dem Motto „Wenn Sie mit dem Finger auf andere zeigen, zeigen vier Finger auf Sie zurück“ – wohl in erster Linie auf Sie zutrifft.
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Denn ganz ehrlich: Sie schaffen es bei jedem Tagesordnungspunkt – egal ob es um Digitalisierung, um Bildung, jetzt um die Biersteuermengenstaffel, um die Gastrosteuer geht –, uns die Diskussion über die Gasumlage aufzudrücken.
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Gestern bestellen Sie in einem riesigen Theater den Bundeswirtschaftsminister her, obwohl Ihre eigenen Haushälter ihn gerade im Haushaltsausschuss befragen.
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Heute bekommen wir tagsüber noch diesen Entschließungsantrag zur Abschaffung der Gasumlage auf unseren Tisch gelegt, obwohl wir ganz andere Themen haben.
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Das Einzige, was Sie damit verfolgen, ist parteipolitische Taktik. Es geht Ihnen null um die Inhalte. Das muss einmal gesagt werden.
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Das finde ich besonders schade, weil wir heute schließlich auch über die Verlängerung der Gültigkeit des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Speisen in der Gastronomie sprechen. Frau Karliczek, wir hatten uns dazu vor der Sommerpause schon einmal ausgetauscht. Ich habe Ihnen damals gesagt, dass wir uns um das Thema kümmern werden. Diese Koalition hat Wort gehalten und ihr Versprechen eingelöst; wir haben uns um dieses Thema gekümmert: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verlängern wir den ermäßigten Steuersatz um ein Jahr. Das ist eine richtige Entscheidung, und der müssen Sie gefälligst auch zustimmen.
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Warum die Verlängerung? Die Branche leidet wirklich enorm und hat trotz eines besseren Jahres 2022 immer noch nicht wieder ihre Umsätze aus dem Jahr 2019 erreichen können. Die Jahre 2020 und 2021 sind demnach noch nicht gegessen, und die Situation ist immer noch extrem angespannt. Der immense Kostenanstieg bei Energie und Lebensmitteln, aber auch der große Fachkräftemangel sorgen für große Unsicherheit, vor allen Dingen weil wir noch nicht wissen, wie die Pandemie weitergeht, und auch nicht, welche Maßnahmen eventuell noch getroffen werden müssen.
Wir müssen hier also weiterhin unterstützen und dürfen die gastronomische Nachfrageentwicklung nicht zusätzlich gefährden. Das tun wir mit dieser Maßnahme, aber das tun wir auch mit weiteren Maßnahmen, wie zum Beispiel mit dem Kurzarbeitergeld. Die Regierung handelt hier seriös und entschlossen.
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Doch warum erst mal nur ein Jahr Verlängerung? Ich bin mir sicher, dass Sie darauf gleich eingehen werden. Es geht natürlich um Planungssicherheit – jetzt erst mal für ein Jahr –, und wir garantieren damit Planungssicherheit. Aber es geht auch um Mindereinnahmen. Die Mindereinnahmen betragen jetzt schon über 3 Milliarden Euro jährlich. Das sind die aktuellen Zahlen; das sind nicht die Zahlen bei vollen Umsätzen, sondern die aktuellen Zahlen. Angesichts der unglaublich angespannten Haushaltssituation besteht seriöse Politik darin, Maßnahmen immer wieder zu evaluieren und nach einem Jahr zu schauen, wie die Situation aussieht, statt einfach unbefristet die öffentlichen Haushalte in Milliardenhöhe zu belasten.
Und noch etwas: Wir reden nicht nur über die Einnahmen des Bundes, sondern gleichermaßen über die Einnahmen der Länder. Gerade die Ministerpräsidenten der Unionsparteien waren es doch in den letzten Tagen, die aus finanzpolitischen Gründen versucht haben, unsere Entlastungspakete und wichtige Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung zu blockieren und infrage zu stellen. Eventuell sollten Sie sich hier mal besser abstimmen; denn Ihre Handlungen sind in der Frage nicht konsistent.
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Ein zweites großes Thema wird mit der Änderung der Verbrauchsteuergesetze adressiert. Das ist der Umsatzsteuerbetrug – ganz grundsätzlich. Wir führen aktuell intensive Diskussionen über die Refinanzierung staatlicher Ausgaben in Zeiten enger Haushalte. Doch es gibt einen Hebel, der im Vergleich zur Aussetzung der Schuldenbremse, zu Steuererhöhungen, zu allen anderen Maßnahmen unstrittig ist, nämlich die konsequente Bekämpfung von Steuerbetrug, vor allen Dingen von Umsatzsteuerbetrug. Bei dem Punkt gehen wir nämlich in dem vorliegenden Gesetz zumindest einen kleinen Schritt in die richtige Richtung, und zwar beim Handel von Brennstoffemissionszertifikaten. Denn der Handel mit diesen Zertifikaten ist hochgradig betrugsanfällig, und das kostet den Staat Jahr für Jahr hohe Summen, die uns bei der Bewältigung der Krise zurzeit fehlen.
Wichtig ist aber vor allem, dass es nicht bei diesem einen Schritt bleibt, sondern dass wir hier weiter dranbleiben und auch in den kommenden Wochen und Monaten nennenswerte Fortschritte verzeichnen. Wir werden den Finanzminister in die Pflicht nehmen, nicht nur weil es ein zentrales Thema aus dem gemeinsamen Koalitionsvertrag ist, sondern weil wir den großen Wurf brauchen. Wir brauchen ein elektronisches Meldesystem für Rechnungen. Das muss gelingen, und das wird auch gelingen.
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Hier geht es am Ende nämlich nicht um Millionen, auch nicht um Hunderte Millionen, noch nicht mal um Milliarden, sondern es geht um einen zweistelligen Milliardenbetrag pro Jahr, der alleine dem deutschen Staat vorenthalten wird. Dieser unglaublichen Ungerechtigkeit müssen wir endlich ein Ende bereiten.
Insgesamt ist das ein gutes Gesetzespaket mit wichtigen Änderungen und Maßnahmen. Ich bitte um Zustimmung zu unserer seriösen Regierungspolitik und um die Ablehnung solcher politischen Manöver wie von Ihnen heute gezeigt.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Klüssendorf. – Als Nächstes erhält das Wort die Kollegin Anja Karliczek, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Als Tourismuspolitikerin haben mich natürlich zwei Elemente in diesem Gesetzentwurf wesentlich interessiert,
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nämlich die Ermäßigung der Mehrwertsteuer auf Speisen und natürlich die ermäßigten Biersteuersätze zu entfristen bzw. einfach nur für ein Jahr zu verlängern.
Ich glaube, lieber Herr Klüssendorf – auch wenn ich es schätze, dass Sie diesen kleinen Schritt mit uns gehen –, sie zu entfristen, hätte einen großen Schritt für die Gastronomen bedeutet,
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weil sie dann besser planen könnten, weil sie in einer schwierigen Situation richtig vorangehen könnten und ihren Betrieb überhaupt mal wieder organisieren könnten.
Die gastronomischen Betriebe – das haben Sie gerade schon gesagt – haben während der Coronakrise massiv gelitten; ich will das hier noch mal betonen: Erst waren sie vollständig geschlossen, dann konnten sie Gäste nur mit Abstand bewirten. Geld verdienen konnte man die ganze Zeit damit überhaupt nicht. Dann haben sie KfW-Kredite für alles das aufgenommen, was nicht über Coronahilfen erstattet wurde. Dagegen war natürlich – das haben Sie auch gerade gesagt – der letzte Sommer ein echter Lichtblick. Viele Gastronomen hatten richtig viel zu tun; aber sie hatten viel zu wenig Personal, um die Kapazitäten ausschöpfen zu können. Und dann waren da die Gäste; die hatten richtig viel Nachholbedarf.
Ich will einmal einen Punkt beleuchten, weil er mir bei dieser ganzen touristischen Debatte zu kurz kommt. Sich treffen, gemeinsam ein gutes Essen zu genießen, ein Glas Wein zu trinken: All das ist wichtig, nicht weil das nett ist, sondern weil man dabei miteinander redet, weil man sich austauscht, weil man so für Zusammenhalt in einer Gesellschaft sorgt. Deswegen ist eine wettbewerbsfähige Gastronomie ein wichtiger Bestandteil einer lebendigen Infrastruktur, sowohl in der Stadt als auch auf dem Land.
Heute sind die Sorgen groß – ich kann das nicht oft genug sagen; ich bin vielfach in der Gastronomie unterwegs –, und sie werden jeden Tag größer. Den Fachkräftemangel haben Sie bereits angesprochen. Die Einkaufspreise für Nahrungsmittel und Getränke steigen exorbitant. Aber wohl am schlimmsten – deswegen bin ich dann auch bei der Gasumlage –: Die Energiekosten sind unbezahlbar. Kein noch so fleißiger Gastronom kann diese Kosten in Verkaufspreise für Schnitzel, Bier und Gemüseteller umsetzen.
Dann kommt noch die spürbare Verunsicherung der Menschen durch die Inflation dazu. Schon jetzt bleiben plötzlich Tische im Restaurant leer. Der Kneipenbesuch mit Freunden wird gestrichen. Gerade deshalb stellt die Beibehaltung der verminderten Biersteuersätze und der verminderten Mehrwertsteuer auf Speisen für ein weiteres Jahr eine kleine Hilfe in schwierigen Zeiten dar.
Liebe regierungstragende Parteien, selbst um die befristete Mehrwertsteuersenkung mussten wir mit Ihnen ringen. Laute Versprechen des Kanzlers und des Finanzministers aus dem Wahlkampf zur Entfristung kann ich heute nicht mehr hören. Was Unternehmen aber jetzt brauchen, ist Planungssicherheit. Deswegen geht mein Appell weiter: Wenn Sie wollen, dass es bald überhaupt noch öffentliche Treffpunkte für die Menschen gibt, dann müssen Sie jetzt mehr tun. Entfristen Sie die verminderte Mehrwertsteuer auf Speisen!
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Was Sie machen, ist gönnerhaft. Es ist eine gönnerhafte Verlängerung für nur ein Jahr.
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Das ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die täglich mit den höheren Kosten, mit der Unsicherheit konfrontiert sind. Und es ist ein Schlag ins Gesicht all der kleinen und mittelständischen Betriebe, die heute schon wirtschaftlich ums Überleben ringen. Ich sage Ihnen – man muss kein Prophet sein –: Es wird doch nicht besser in den nächsten Monaten.
Genau vor diesem Hintergrund fordere ich zweitens: Sorgen Sie endlich für planbare Energieversorgung, jetzt und ohne Wenn und Aber, ohne Hoffen auf einen milden Winter, sondern so, dass die Menschen kalkulieren können! Denn schon heute können viele Betriebsinhaber keine Verträge mehr abschließen, weil die aktuellen Preise für Energie und Strom den Gang zum Insolvenzverwalter sofort nötig machen würden.
Ich frage mich dann oft ganz im Ernst: Weiß diese Bundesregierung, was da draußen los ist?
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Wissen Sie, dass gerade im Tourismus viele Betriebe ums Überleben kämpfen?
Planbarkeit und Verlässlichkeit statt kurzfristige Unterstützungspakete sind gefragt. Schaffen Sie Kalkulationsgrundlagen! Die Unternehmer warten auf Verlässlichkeit und klare Aussagen.
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Wenn Unternehmen, gerade und besonders im Mittelstand, in ländlichen Räumen, in Branchen mit geringen Margen nicht produzieren oder eben keine Dienstleistungen mehr anbieten, dann ist genau das doch der letzte Schritt, bevor sie in die Insolvenz gehen.
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Dann geht es um Mitarbeiter. 3 Millionen Mitarbeiter im Tourismus, die am Ende Sorge um ihre Arbeitsplätze haben. Es geht um Familien, die über Generationen hinweg für ihr Unternehmen eingestanden haben. Sie alle bilden das vielbeschworene Rückgrat unserer mittelständischen Wirtschaft.
Und wenn, gerade auf dem Land, der Bäcker und der Gastwirt einmal den Schlüssel umdrehen, dann ist der Laden zu. Deswegen will ich es Ihnen noch mal ans Herz legen: Nicht philosophische Vorträge helfen diesen fleißigen Menschen, sondern klare Aussagen.
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Aber ich will mich einmal bedanken, dass Sie den kleinen Schritt für die Gastronomie und die familiengeführten Brauereien mit uns gehen wollen.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Doch wenn Sie wirklich für gesellige Orte brennen, an denen sich Menschen treffen können, dann hätten Sie die vom Kanzler und vom Finanzminister versprochene dauerhafte Entfristung längst auf den Weg gebracht.
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Sie hatten Glück, Frau Kollegin Karliczek, dass ich gerade so ein bisschen von der Sonne geblendet werde und deshalb die Uhr nicht so genau gesehen habe.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Stefan Schmidt, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, Frau Karliczek, wir sind draußen bei den Menschen. Wir reden mit Unternehmen. Ich als Tourismuspolitiker bin auch regelmäßig in Wirtshäusern, in Gaststätten in meinem Wahlkreis.
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– Was habe ich denn gesagt? – Ich höre die akuten Sorgen, die geäußert werden: Corona, steigende Einkaufspreise, steigende Energiepreise, Inflation. In Krisenzeiten müssen wir unseren kleinen, unseren mittelständischen Unternehmen helfen, sie unterstützen, vor allem die schwer gebeutelte Gastronomie.
Das tun wir als Ampelkoalition mit dem Rettungsschirm für Unternehmen, mit unseren Entlastungspaketen und, ja, auch mit der gezielten Krisenhilfe, jetzt mit der Maßnahme: Wir verlängern die Geltungsdauer der reduzierten Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie um ein weiteres Jahr bis zum Ende 2023. Das ist sinnvoll. Wir verhindern damit, dass die Gastronomie Preise auf Speisen übermäßig erhöhen muss und dadurch erhebliche Umsatzeinbußen riskiert. Das ist eine gute und richtige Entscheidung für die Gastronomie.
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Ihre Forderung hingegen, die Mehrwertsteuer dauerhaft zu reduzieren, halten wir für falsch. Warum sollte diese Regelung dauerhaft entfristet werden? Dafür gibt es durchaus ein paar Argumente. In der Gesamtschau überzeugen sie mich aber nicht. Sie ignorieren, wie teuer eine dauerhafte Mehrwertsteuerreduzierung für Bund und Länder wäre: jedes Jahr 3,3 Milliarden Euro. Davon müssen die Länder etwa die Hälfte zahlen. Nicht mal Ihre eigenen, die unionsgeführten Länder sind bereit, diese Kosten dauerhaft zu tragen.
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Eine teure, dauerhafte Unternehmenssubvention, die muss wirklich gut überlegt werden. Die Mehrwertsteuer, die doch jetzt schon mehr Ausnahme als Regel ist, ist hierfür mit Sicherheit das falsche Instrument.
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Dieses Bild hat im Übrigen auch die Expertenanhörung sehr deutlich gemacht. Keiner der Experten hat gesagt: Das ist eine richtig gute Lösung. Eher im Gegenteil. Sie haben gesagt: Über die Mehrwertsteuer hier Effekte zu schaffen, das wird nicht gelingen.
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Ich bin als Tourismuspolitiker in Gaststätten, in Wirtshäusern viel unterwegs.
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– Ja, ja, ich bin da regelmäßig; keine Sorge.
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Deshalb weiß ich auch um die Sorgen. Und ich weiß insbesondere um die Sorge, die Sie auch angesprochen haben: den akuten Arbeitskräftemangel, den Fachkräftemangel. Das ist doch die eigentlich große Herausforderung, die wir angehen müssen.
Wenn Restaurants wegen Personalmangel als Erstes ihre Karte reduzieren, dann die Öffnungszeiten einschränken und schließlich ganz zumachen, dann ist die Steuerhöhe egal. Da müssen wir ansetzen, liebe Union, liebe Frau Karliczek: bei dem Fachkräftemangel! Da erwarte ich mir von Ihnen auch ein bisschen mehr Unterstützung, also insbesondere eine dauerhafte Unterstützung für die Gastronomie.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Schmidt. – Lassen Sie sich nicht beirren, Herr Kollege Schmidt. Ich finde Ihre Unterstützung des gastronomischen Gewerbes vorbildlich.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Hat sie zugenommen?“, diese Frage stelle ich einer Bekannten jede Woche. Seit mehr als einem Jahr dreht sich nämlich in ihrer Familie alles um das Gewicht ihrer Tochter: 15 Jahre alt, magersüchtig, jede 100 Gramm zählen. Ausgelöst wurde der Teufelskreis durch eine Hänselei. Unter normalen Bedingungen hätte es ein Korrektiv gegeben: die Klasse. Aber in den letzten zwei Jahren gab es für Kinder und Jugendliche keine normalen Bedingungen, keine Normalität. Kinder und Jugendliche haben in der Pandemie Großartiges geleistet. Und daher aus diesem Haus ein Dankeschön an Kinder und Jugendliche.
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Sie steckten zurück, um andere zu schützen; aber sie zahlten dafür einen hohen Preis, auch den Preis der Freiheit. Lockdown, Maske, Abstand erzeugten permanent ein Gefühl von Isolation, damals notwendige, aber folgenreiche Maßnahmen – das zeigen uns die COPSY-Studie ebenso wie der Nationale Bildungsbericht –: psychische Auffälligkeiten oder Lernrückstände, und das im ganzen Land.
Coronaverlierer ist eine ganze Generation: kaum Unterricht, wenig Kontakt mit Gleichaltrigen, keine Klassenfahrt, kein Sport. Zukunftsängste, Lernrückstände, Vereinsamung waren ihre Begleiter. Deshalb muss es klar sein: Kinder und Jugendliche brauchen und verdienen unsere volle Aufmerksamkeit und Unterstützung –
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alle, nicht nur 10 Prozent; denn sie sollen alle ihre Persönlichkeit entfalten und Bildungsziele erreichen können.
Deshalb haben wir in der Großen Koalition 2021 das Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ gestartet: ein 2‑Milliarden-Euro-Paket für Kinder und Jugendliche. Damit wurden Angebote geschaffen, die schnell angekommen sind: Sommercamps, Familienfreizeiten, Lernwerkstätten, individuelle Lernförderung, Sozialarbeit. Wir haben auch die Mittel für Sprach-Kitas und Frühe Hilfen um 150 Millionen Euro zusätzlich aufgestockt.
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Viele Bausteine für ein Ziel: Kinder und Jugendliche stark zu machen.
Zu diesem Ziel bekennen sich alle hier in diesem Haus, übrigens auch Sie, liebe Ampel. Aber die Frage lautet: Was tun Sie dafür? Die bittere Antwort lautet aktuell: Nichts! Nada! Niente!
Im Gegenteil: Sie streichen segensreiche Programme wie die Sprach-Kitas. Sie wollen das Corona-Aufholprogramm nicht fortführen – gestrichen, gekürzt, beendet.
Nicht missverstehen: Es ist das gute Recht jeder neuen Regierung, Programme auslaufen zu lassen. Aber dann müssen Sie Alternativen anbieten. Die Frage lautet: Was ist Ihre Alternative? Die Antwort lautet: keine. Sie sprechen von einem Startchancen-Programm. Aber im Etat 2023 ist dafür vorgesehen: 0 Cent! Wie für die Sprach-Kitas: 0 Cent! 0 Cent für Kinder und Jugendliche – und das in einer Zeit, in der alles teurer wird.
Wenn die Ampel nicht endlich handelt, werden Familien sich entscheiden müssen: Strom oder Urlaub? Daran kann die Erhöhung des Kindergeldes oder der Kinderzuschlag nichts ändern. Das fließt in den Lebensunterhalt. Es fehlt schon jetzt oft das Geld für Hobbys, Kultur und Extras. Das Corona-Aufholprogramm würde hier einiges abfedern. Aber Sie wollen es nicht – okay. Aber dann nennen Sie uns endlich Ihre Alternative.
Liebe Frau Ministerin, ein Schulstreik von Schülerinnen und Schülern ist es nicht. Ich habe mir gestern wirklich die Augen gerieben: Eine Bundesbildungsministerin empfiehlt Fridays for Education – Schulboykotts am Freitag. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!
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Eltern möchten ihre Kinder in der Schule sehen, nicht auf der Straße.
Liebe Ampel, übernehmen Sie endlich Verantwortung! Schieben Sie es nicht auf die Länder! Legen Sie endlich ein eigenes Programm auf, das anschließt! 2023 darf nicht wieder ein verlorenes Jahr für Kinder und Jugendliche werden. Kürzen Sie nicht an der Basis der Bildung!
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Legen Sie deshalb bitte ein Anschlussprogramm auf, damit es nicht mehr Kindern geht wie dem Kind meiner Bekannten. Helfen Sie Kindern und Jugendlichen! Werden Sie tätig! Übernehmen Sie Verantwortung! Stimmen Sie unserem Antrag zu!
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Vielen Dank, Frau Kollegin Connemann. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Zschau, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Ministerin! Wir erinnern uns alle an den vielzitierten Vergleich, die Coronapandemie wirke wie ein Brennglas, das bereits bestehende Missstände und Ungleichheiten verdeutlicht und verstärkt. Und ja, es fiel noch stärker ins Gewicht als in normalen Zeiten, dass es bundesweit an Lehrkräften, geeigneten Räumlichkeiten, digitaler Ausstattung und pädagogischen Fachkräften mangelte.
Wie mittelmäßig das Bildungswesen zum Teil aufgestellt ist und mit welchen Verunsicherungen die schulischen Akteure zu kämpfen haben, wurde spätestens durch die Pandemie der breiten Öffentlichkeit vor Augen geführt. Dennoch war der gesellschaftliche Diskurs in dieser Zeit von viel Zuversicht geprägt, daran endlich etwas verändern zu können. Viele Eltern haben zugleich miterlebt, unter welch hoher Einsatzbereitschaft, mit wie viel Flexibilität, Professionalität, Kollegialität und Kreativität ein Teil der Schulen, der Politik und Verwaltung erfolgreich fortdauernde Bildung gewährleistet und ad hoc weiterentwickelt hat.
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In Bezug auf den Präsenz- und Wechselunterricht, die Nutzung von Onlinelernangeboten sowie den Umgang mit Masken, Testungen und Notbetreuung ist aber negativ in Erinnerung geblieben, wie wenig einheitlich bundesweit im Bildungsbereich agiert wurde. Dass Politik auf Sicht fahren und dennoch schnell entscheiden musste, war hier weniger das Problem. Dass aber nur zaghaft gemeinsame Beschlüsse gefasst wurden und diese dann nur eine geringe Halbwertszeit hatten, führte zu Irritationen und sorgte nicht für Vertrauen.
Die Schulschließungen und Unterrichtsausfälle führten zu erheblichen Verlusten von Lernstunden. Die Umstellung auf das Homeschooling wirkte sich besonders negativ auf lernschwache, bereits vorbelastete Schülerinnen aus. Laut des ifo Zentrums für Bildungsökonomik gingen die Schulschließungen im Frühjahr 2020 mit einer Halbierung der täglichen Lernzeit von durchschnittlich 7,4 Stunden vor Corona auf 3,6 Stunden während Corona einher. Fast jedes vierte Kind hat sich während der Schulschließungen Anfang 2021 nicht mehr als zwei Stunden am Tag mit Schule beschäftigt. Auch in der zweiten Phase erhielten nach wie vor 39 Prozent der Schüler/-innen nur maximal einmal pro Woche Videounterricht, sodass der Schulalltag fast ausschließlich vom eigenständigen Erarbeiten von Unterrichtsstoff zu Hause geprägt war.
Für die Gestaltung des allgemeinbildenden Schulwesens sind in Deutschland die Länder zuständig. Der Bund stellt trotz fehlender Zuständigkeit in geübter Praxis und von den Ländern deshalb einkalkuliert zusätzliche Mittel bereit, wie beim DigitalPakt Schule oder beim Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona“. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz hat die Länder kritisiert, sich nicht an ihre ausdrücklichen Empfehlungen gehalten zu haben. Nur wenige Bundesländer hätten das eigentliche Programmziel, Lernrückständen zu begegnen, verfolgt. Empfohlen worden waren Lernstandserhebungen, die Konzentration auf die schwächste Schülerschaft, die Fokussierung auf die Fächer Deutsch und Mathematik sowie auf die Kernfächer und die besondere Berücksichtigung der Übergangsphasen im Bildungsverlauf. Die Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung belegt leider diese Zielverfehlungen.
Auf dem Bildungsgipfel im kommenden Frühjahr sollte deshalb zum einen Thema sein, dass Bildungsforschung und Beratung von Anfang an einbezogen werden müssen. Zum anderen sollten wir ernsthaft über datenbasierte Wirksamkeitskontrollen im Bildungssystem sprechen.
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Zugleich muss geregelt werden, dass der Bund, wenn er selbst finanziell beteiligt ist, den Einsatz dieser Mittel inhaltlich nach qualitätsorientierten Gesichtspunkten mit definieren kann.
Von Bildungspolitikerinnen und ‑politikern wird generell erwartet, dass wir uns gemeinsam um fehlende Lehrkräfte kümmern, dass wir etwas dagegen unternehmen, dass Kinder aufgrund ihrer sozialen Herkunft benachteiligt werden, und dass die Ganztagsschulen bundesweit ausgebaut werden. Diese Aufgaben lassen sich jedoch nur – und deshalb steht es im Koalitionsvertrag – über eine enge, zielgenaue und verbindliche Kooperation aller Ebenen auf der kommunalen, der Landes- und der Bundesebene erreichen.
Mit dem Startchancen-Programm werden wir Antworten auf diese strukturellen Fragen formulieren. Indem wir Schulen mit einem hohen Anteil von sozial benachteiligten Schülerinnen und Schülern gezielt unterstützen, fördern wir dort, wo es nötig ist. Es gilt nun, genau dafür die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. So wird es uns auch gelingen, die Probleme, auf die die Pandemie das Brennglas gehalten hat, zielgerichtet anzupacken.
Ich danke Ihnen.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Zschau. – Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Nicole Höchst, AfD-Fraktion.
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Herr Präsident! Frau Ministerin! Werte Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das wichtige Thema „die erheblichen Lernrückstände sowie die psychosozialen Folgen für unsere Schüler und Schülerinnen“ wird hier debattiert. Das sind wir unseren Kindern, der Zukunft unseres Landes, auch dringend schuldig.
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Sehr schön, liebe Kollegen von der Union, dass die Partei, die für die entstandenen Probleme mit regierungsverantwortlich zeichnet, sich nach den Ergebnissen ihrer Politik erkundigt. Ich halte Ihnen zugute, werte Kollegen, dass Sie dies mit dem Ziel tun, es künftig besser zu machen.
Fassen wir kurz zusammen: Unsere Kinder wurden mit völlig überzogenen, widersinnigen und schädlichen Coronamaßnahmen gequält. Diese führten – neben den physischen und psychischen Schäden – zu großen Lernlücken, besonders bei sozioökonomisch benachteiligten Familien. Das neue Infektionsschutzgesetz erlaubt dies erneut unter dem Deckmäntelchen von Corona. Meine Damen und Herren, Sie befinden sich auch hier auf einer ideologischen Geisterfahrt. Corona ist endemisch, die Pandemie vorbei.
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Mit dem Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ ist versucht worden, zahlreiche Initiativen der Bundesländer zu koordinieren und zu finanzieren. Ihre Ziele klangen gut, waren ehrgeizig. Pandemiebedingte Lernrückstände in Kernfächern sollten bewältigt, Kernkompetenzen gefördert werden. Infolgedessen starteten zahllose Aktivitäten in den Ländern. Die Beurteilung dieser durch die Zeitschrift „Die Deutsche Schule“ Beiheft, Band 19, fällt sehr ernüchternd aus: Es hat nicht funktioniert. Es scheiterte am Offensichtlichen, vor allem am Lehrermangel.
Fast immer sind die gut gemeinten Förderprogramme nichts weiter als Schaufensteraktionismus. Denn sie treffen auf ein deutsches Schulsystem, welches immer weniger funktionsfähig ist, weil Personal fehlt. Verstehen Sie das? Es muss sich grundsätzlich etwas ändern. Wir brauchen Lehrer. Der Impuls sollte vom Bund ausgehen. Und reden Sie sich jetzt bitte nicht wieder mit Föderalismus heraus. Das war Ihnen beim Digitalpakt auch herzlich egal, meine Damen und Herren.
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Es ist eine Schande, dass der dramatische Lehr- und Fachkräftemangel nach wie vor die Achillesferse des Schulsystems ist. Hören Sie mal genau zu: Im Bildungsbericht des Deutschen Bundestages von 1970 – Drucksache VI/925 – ist bereits Lehrermangel in den MINT-Fächern, auch in Mathematik, als Problem ausgewiesen – mit Lösungsansätzen. Heute, 52 Jahre später, hat sich an der Situation aber auch rein gar nichts geändert – mein Gott noch mal!
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Ihr Unvermögen, große Systeme mit Weitblick zu steuern, zeigt sich leider auch im Bildungsbereich. Ihr Hang zur Ideologisierung beschert unseren Kindern Lernrückstände in vielen Bereichen, Sprachstörungen, psychische Störungen, Suizidgedanken, übermäßige Nutzung von Smartphone, PC und TV, Gender Dysphoria, Corona- und Klimaangst. Na, herzlichen Glückwunsch! Das Bildungssystem haben Sie kaputtreformiert, den Fachkräftemangel herbeiakademisiert, Studienabbruchquoten in die Höhe geschraubt, die notwendigen Lehrer und Pädagogen nicht ausgebildet, die vorhandenen ausgebrannt. Sie können es einfach nicht.
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Schenken Sie unserem Antrag „Lehrermangel konsequent bekämpfen“ mit seinen 19 Forderungen in Bund und Ländern unbedingt Beachtung! Sie haben die Situation seit 52 Jahren nicht zum Positiven verändert. Zusammen, ohne politische und ideologische Scheuklappen sollte uns das gelingen – für Deutschland, für unsere Kinder.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Höchst. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Nina Stahr, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe CDU/CSU, als ich Ihre Anfrage bzw. Ihren Antrag gelesen habe, da wusste ich gar nicht so recht, wo ich anfangen soll, weil ich so viel den Kopf schütteln musste. Allein das Wort „Aufholprogramm“. Monatelang haben Sie Kinder und Jugendliche abgehängt, haben nicht alles für einen sicheren Kita- und Schulbetrieb getan, haben nicht genau hingeschaut, welche Kinder in die Kita gehen müssen und welche vielleicht zu Hause bleiben können.
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Sie haben pauschal Kitas und Schulen geschlossen, um dann festzustellen: Oh Wunder, da haben Kinder Lernrückstände und – oh Wunder – ausgerechnet besonders die, die ohnehin aus herausfordernden Verhältnissen kommen.
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Na, dann machen wir doch jetzt mal ein Aufholpaket!
Nachdem Sie die Kinder monatelang abgehängt haben, sollten sie ihre Sommerferien opfern und Lernrückstände aufholen, und das in einer Situation, wo viele Kinder und Jugendliche selbst noch mit Depressionen und anderen psychosozialen Folgen zu kämpfen hatten.
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Es lohnt sich übrigens auch mal, in die Studien zu schauen, woher diese Depressionen eigentlich kommen. Es ist nämlich nicht so schwarz-weiß, wie uns hier mancher glauben machen möchte. Es ist eben nicht einfach nur die geschlossene Schule gewesen, und jetzt ist alles wieder gut, wenn wir nur irgendwie die Schule offen halten. Ja, wir müssen die Schulen offen halten; aber wir müssen sie dann auch sicher machen.
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Denn die Geschichte vom 11-jährigen Mädchen, das Corona mit aus der Schule nach Hause gebracht hat und dessen Vater dann an Corona gestorben ist, lässt zumindest mich nicht kalt.
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Genauso wenig lässt mich kalt, wie die häusliche Gewalt gestiegen ist: 152 Kinder, die im ersten Coronajahr gewaltsam zu Tode gekommen sind, das sind 35 Prozent mehr als im Vorjahr. Schule auf oder Schule zu? Das darf nicht die Frage sein. Die Frage muss sein: Was braucht jedes einzelne Kind?
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Haben Sie eigentlich mal mit Kindern und Jugendlichen gesprochen, mit Lehrkräften? Wissen Sie, was die brauchen?
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Die brauchen ein stabiles Umfeld. Die brauchen Zeit, um in der Schule in Ruhe wieder anzukommen, und nicht Nachhilfe in den Sommerferien. Diese Fokussierung auf Wissensvermittlung in der Schule, das ist so 19. Jahrhundert.
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Stattdessen müssen wir die Lehrpläne entschlacken. Wir müssen Beziehungsarbeit in den Mittelpunkt stellen, gerade um die psychosozialen Folgen abzumildern.
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Und da bin ich sogar bei Ihnen, lieber Herr Jarzombek. Ich finde es großartig, dass Sie hier so interessiert nach dem Startchancen-Programm fragen.
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Aber das offenbart ja vor allem zwei Dinge: zum einen, dass offensichtlich wirklich große Fragezeichen bei der CDU/CSU sind, wie man eigentlich Schulsozialarbeit in die Schulen bekommt, und zum anderen, dass Sie genau dieses Unwissen jetzt kaschieren wollen, damit niemand merkt, dass sie in den letzten Jahren wirklich ausreichend Zeit gehabt hätten, das mal auszuprobieren.
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Meine Zeit ist fast am Ende, und das ist vielleicht ganz gut so. Ich würde hier sonst irgendwann explodieren bei Ihren Anträgen. Deshalb komme ich zum Schluss. In dieser Pandemie wurden Kinderrechte mit Füßen getreten; Inklusion wurde um Jahrzehnte zurückgeworfen. Kinder und Jugendliche haben signalisiert bekommen: Ihr seid nicht so wichtig.
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Wir sind ihnen schuldig, dass wir das ändern, und zwar nicht mit einem weiteren Aufholprogramm, sondern mit strukturellen Änderungen wie dem Startchancen-Programm. Das gehen wir als Ampel jetzt an.
Vielen Dank.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die letzte Bundesregierung, die Große Koalition, hat im Frühjahr 2021 infolge der Pandemie ein Corona-Aufholpaket für Schülerinnen und Schüler auf den Weg gebracht. Jetzt gibt es Untersuchungen des Wissenschaftszentrums Berlin zu den Wirkungen dieser Aufholprogramme, und die, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind bitter, überaus bitter. Die selbstgesteckten Ziele sind entweder aufgrund fehlender Datenlage gar nicht überprüfbar, oder sie wurden eben nur sehr bedingt erreicht.
Zum Beispiel wurde das Ziel verfehlt, genau die jungen Menschen zu erreichen, die die Hilfe am meisten brauchen, nämlich Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien, die unter Schulschließungen und Distanzunterricht besonders gelitten haben, die bis heute an den psychosozialen Folgen leiden und deren Nöte und Anliegen sowieso in dieser Gesellschaft schon viel zu wenig Gehör finden. Kolleginnen und Kollegen, ich finde, das ist eine Katastrophe.
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Dann wissen wir, dass die meisten Bundesländer die Mittel aus diesem Programm vorwiegend nach dem Gießkannenprinzip verteilen. Dann passiert so was, dass vergleichsweise privilegierte Schulen, wie etwa Gymnasien oder Privatschulen, im selben Umfang Mittel erhalten wie sozial belastete Schulen. Das ist doch irre, Kolleginnen und Kollegen, und das ist, ehrlich gesagt, auch einfach politisches Versagen.
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Dann gibt es noch ein Riesenproblem, nämlich dass die psychosozialen Folgen der Pandemie – das ist gerade schon angesprochen worden – und die Fragen von Freizeit und der Welt außerhalb von Schule in den Programmen oft nur eine ganz untergeordnete Rolle spielen. Es ist aber falsch, immer nur alles auf formale bildungspolitische Fragen und den Schulbereich zu konzentrieren. Horte, Freizeitangebote, Orte der Mitbestimmung für junge Menschen könnten einen riesigen Beitrag zur Abfederung von psychosozialen Folgen leisten; aber die stehen eben nicht im Fokus, und das ist ein riesiger politischer Fehler.
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Ein richtiger Ansatz ist es – auch mit Blick auf die Krisen, die noch kommen –, die Jugendhilfe- und Jugendfreizeiteinrichtungen zu stärken, die Jugendbeteiligung zu stärken. Richtig wäre es, endlich mal die Kinderarmut wirksam zu bekämpfen; denn Armut ist doch das, was die Kinder und jungen Menschen abhängt, Kolleginnen und Kollegen.
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Ich finde, es ist keine Zeit zu verlieren. Es geht jetzt darum, die Bildungsfinanzierung mit einem bundesweiten Sozialindex sozial gerecht zu machen; der ist überfällig. Jetzt ist der Zeitpunkt, das Kooperationsverbot zu kippen, dafür zu sorgen, dass Bund, Länder und Kommunen endlich in der Bildung zusammenarbeiten können.
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Man muss Geld in die Hand nehmen: für ausreichend und gut ausgebildetes pädagogisches Personal. Denn die, die in der Jugendhilfe, in der Jugendsozialarbeit, im Klassenzimmer und in der Kita stehen, die sind am Limit. Da hilft, ehrlich gesagt, auch kein Aufholpaket, sondern nur eine Fachkräfteoffensive.
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Eins ist mir noch wichtig. Vielleicht sollten wir endlich mal die Stoßrichtung in den Debatten über Bildung ändern. Weniger Leistungsdruck, weniger Noten, weniger Konkurrenz, mehr Spaß am Lernen, mehr Kooperation, mehr Inklusion: Das wäre der richtige Weg.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Gohlke. – Als nächste Rednerin erhält das Wort Frau Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger für die Bundesregierung.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Frau sagte neulich im Interview zum Schuljahresbeginn in Bayern: Ich wünschte mir, dass Ministerpräsident Söder nicht nur Bäume umarmt, sondern auch Kinder. – Nicht dass Sie mich jetzt falsch verstehen: Der Klimawandel ist ein wichtiges Thema, und Herr Söder kann auch Bäume umarmen – auch wenn es ein sehr kontraintuitives Bild ist.
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Aber diese Verzweiflung zeigt doch eins: Die Menschen haben die Sehnsucht danach, dass Bildung in den von Ihnen regierten Ländern auch endlich Chefsache ist, dass sie die Priorität bekommt, die sie braucht.
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Nur zwei aktuelle Befunde: Das Schuljahr 2022/23 startet mit Lehrermangel. Der Deutsche Lehrerverband sagt: Bis zu 40 000 Lehrerinnen und Lehrer fehlen. In Sachsen-Anhalt sollen jetzt in einem Pilotversuch freitags die Schulen schließen.
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Dabei wissen wir doch, was es mit den jungen Menschen macht, wenn Schultore geschlossen bleiben.
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Zweitens. Im Juli hat das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen erste Ergebnisse des neuen Bildungstrends vorgestellt. Danach kann ein Fünftel der Schülerinnen und Schüler am Ende der Grundschule nicht richtig Texte erfassen. Ein Drittel kann nicht richtig schreiben.
Ja, Corona hat diese Entwicklung verstärkt. Aber Corona hat das nicht verursacht. Die Kompetenzen sinken seit Jahren. Es besteht dringender Handlungsbedarf.
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Das Programm „Aufholen nach Corona“ kann das nicht auffangen. Hinzu kommt: Es fehlen flächendeckende Lernstandserhebungen. Wegen der Freiwilligkeit von Sommerkursen und digitalen Angeboten wissen wir nicht, ob wir diejenigen, die wir erreichen müssen, überhaupt erreicht haben.
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„Aufholen nach Corona“ war mit heißer Nadel gestrickt; ja, es musste schnell gehen; das ist verständlich. Aber es ist weder transparent, noch wissen wir, ob wir unsere Ziele damit erreichen.
Ein Weiter-so wäre falsch. Wir brauchen nicht weniger als eine Zeitenwende in der Bildung – hin zu wissenschaftlicher Begleitung von Anfang an.
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Den Eltern und den Kindern geht es nämlich nicht oder nicht nur darum, wie viel Geld wir im Haushalt stehen haben, sondern sie wollen, dass ihre Kinder vor Ort die bestmögliche Bildung bekommen, meine Damen und Herren.
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Der Bund hat in einer Ausnahmesituation den Ländern, die ja zuständig sind, unter die Arme gegriffen. Wir haben den Ländern zuletzt noch 1 Milliarde Euro für die Integration der ukrainischen Schülerinnen und Schüler gegeben, unbürokratisch und schnell.
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Der Bund unterstützt nicht nur den Ausbau der Ganztagsbetreuung mit 3,5 Milliarden Euro, sondern auch den Betrieb mit bis zu 1,3 Milliarden Euro jedes Jahr. Die Beteiligung des Bundes bedeutet mehr Freiheit für die Länder, um in der Not schnell loszulegen. Aber sie müssen ihrer ureigenen Aufgabe Bildung auch selbst gerecht werden.
Was hilft, ist natürlich der Unterricht, der stattfindet, und zwar der beste Unterricht, der möglich ist.
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Die Schulschließungen in der letzten Legislaturperiode haben verheerende Schäden angerichtet. Nicht nur Bildung ging verloren, auch psychisch und körperlich tragen unsere Kinder eine schwere Last.
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Diese Fehlentscheidungen – ich freue mich, dass Sie das heute genauso sehen – lassen sich aber nicht mehr rückgängig machen.
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Umso wichtiger, dass wir jetzt einen Politikwechsel einleiten. Das heißt:
Erstens. Die Schulen müssen offen bleiben. So viel Normalität für Kinder und Jugendliche wie möglich. Wir dürfen nicht immer nur Rücksicht von ihnen verlangen, sondern müssen auch Rücksicht auf sie nehmen.
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Zweitens. Die Schulen müssen arbeiten können. Sie brauchen bestens ausgebildete Lehrkräfte. Dafür gibt es unsere Qualitätsoffensive Lehrerbildung. Auch die Kompetenzzentren für digitalen und digitalgestützten Unterricht sind bereits auf den Weg gebracht. Jede Schule muss so digital sein wie das Leben ihrer Schüler. Deswegen der DigitalPakt. Dass die Mittel schneller in den Schulen ankommen, dafür setzen wir uns als Koalition ein.
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Drittens. Wir wissen, meine Damen und Herren, dass die Lücken bei denjenigen Kindern und Jugendlichen am größten sind, die es ohnehin schwer haben. Deshalb kämpfe ich zusammen mit den Koalitionsfraktionen für das Startchancen-Programm, damit Schulen in schwierigen Lagen besten Unterricht bieten können.
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Damit bringen wir die nach vorne, deren Potenziale von sozialen Nachteilen überschattet werden.
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Als Koalition haben wir uns eine neue Kooperationskultur mit den Ländern vorgenommen. Dazu gehört, dass der Bund sich gezielt dort engagiert, wo er spürbar einen Mehrwert schafft. Ich wundere mich über die reflexhafte Forderung aus der Opposition, der Bund solle mehr Geld an die Länder überweisen. Ich verstehe mich nicht als Anwältin der Landesfinanzminister,
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sondern als Anwältin der Schülerinnen und Schüler.
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Es geht um die Qualität, um die Hilfe für einzelne Schüler und um nachhaltige Wirkung. Eine Forsa-Umfrage aus dem September hat gezeigt: 64 Prozent der Bürger halten ein besseres Schul- und Bildungssystem für sehr wichtig. Damit ist Bildung Nummer eins auf der Wunschliste der Menschen in unserem Land.
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Das ist ein Auftrag an uns alle. Deshalb arbeiten wir an einem guten Startchancen-Programm statt an einem Blankoscheck mit fraglicher Wirkung.
Wir wollen gemeinsam mit den Ländern wirklichen Wandel im Bildungssystem bewirken. Ich freue mich auf den konstruktiven Dialog mit den Ländern, meine Damen und Herren.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, jetzt haben Sie mich wirklich sprachlos gemacht. Ich dachte, Sie kommen hierher und haben was auf der Pfanne.
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Aber Sie haben nichts auf der Pfanne, nichts zu bieten – außer der langen Bank an lauten Ankündigungen. Sie werden als Ministerin der Ankündigungen in die Geschichte eingehen.
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Sie haben nichts zu bieten, um das Problem zu lösen, nichts, was wir gegen die Pandemiefolgen unserer Kinder und Jugendlichen machen sollen.
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Das ist der Sinn unserer Anfrage, und es wäre schön, wenn diese Regierung etwas mehr auf der Pfanne hätte als Polemik und ausweichende Antworten.
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– Ich möchte Sie schon herzlich bitten, diese Fragen im Gegensatz zu sonst wirklich anständig und ordentlich zu beantworten. Das ist Ihre Aufgabe, das ist die Aufgabe der Ministerien. – Hallo, ihr dürft mir ruhig zuhören, Freunde!
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Guten Morgen! Habt ihr Zeit oder eher nicht?
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Als jemand, der aus dem Europäischen Parlament kommt,
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muss ich Ihnen schon sagen: Ich hätte den ein oder anderen Vorschlag für eine Verbesserung des Umgangs miteinander. Ich möchte schon darauf hinweisen, dass dieses Parlament und auch die Opposition anständige Behandlung verdient; danke dafür.
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Ich kann Ihnen nur sagen: Wir wollen den benachteiligten Kindern und den benachteiligten Jugendlichen wirklich helfen. Dass die liberalen Besserverdienenden und das grüne Bildungsbürgertum das selber tun können, glauben wir sofort. Aber wir sehen, dass Kinder mit Migrationshintergrund, wir sehen, dass sozial Benachteiligte wirklich darauf angewiesen sind, dass wir helfen, und zwar mit einem Programm.
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„Aufholen nach Corona“ war vielleicht nicht das beste Programm ever, aber es war ein gutes Programm, zielgerichtet, um diese Probleme zu beseitigen.
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Ich möchte zitieren, was die rheinland-pfälzische Bildungsministerin – SPD, by the way – zum Thema „Aufholen nach Corona“ gesagt hat, 3. Mai 2022:
Wir sind sehr erfreut, dass dieses gemeinsame Programm von Bund und Ländern in Rheinland-Pfalz so stark nachgefragt wird. Das bestätigt uns, dass unsere Maßnahmen passgenau entwickelt wurden und die Bedürfnisse der Schulen vor Ort befriedigen.
Ich kann Ihnen nur sagen, dass das Programm die Unterschrift von Frau Ministerin a. D. Anja Karliczek und von Frau Ministerin a. D. Franziska Giffey trägt. Es wäre schön, wenn die SPD nicht immer vergessen würde, dass auch sie Vater bzw. Mutter eines solchen Programmes ist.
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Die Frage ist: Was machen wir jetzt? Wie lösen wir das Problem? Wir haben vom Startchancen-Programm gehört; da sind wir sehr dafür. Aber wo ist denn das Startchancen-Programm im Haushalt? Es ist kein einziger Euro im Haushalt hinterlegt.
Sie haben, Frau Ministerin, angekündigt, dass die Bund-Länder-Gespräche jetzt beginnen sollen. Das ist schön. Aber warum haben Sie diese Gespräche nicht schon längst begonnen?
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Ich kann nur davor warnen, die Länder hier weiterhin als Beutegemeinschaft zu bezeichnen, wie es auch aus Ihrer Partei kommt. Partner kann ich nicht zuerst vors Hirn hauen, um dann zu sagen: Jetzt müsst ihr aber hier mithelfen, dass das Ganze ein Erfolg wird.
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Wir wollen Krisenbewältigung, wir wollen, dass den Kindern und Jugendlichen geholfen wird, dass sie dort, wo sie Schwierigkeiten haben, Lernschwächen haben, abgeholt werden. Wir wollen, dass das Programm „Aufholen nach Corona“ fortgeführt wird – wie immer Sie es nennen wollen. Aber nichts zu tun, wäre einfach nur fahrlässig mit Blick auf die Zukunft.
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Wir und auch unser Mittelstand, etwa die Handwerker, sehen doch, welche Folgen es hat, wenn Bildungsrückstände nicht aufgeholt werden können.
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Wir fordern Sie auf, dafür zu sorgen, dass Bildungsrückstände aufgeholt werden können. Wir fordern Sie auf, hier mehr zu tun, als abzuwarten und die Länder hinhaltend zu begleiten. Ich glaube, dass wir an sie appellieren müssen,
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die Dinge sehr ernst zu nehmen, ernster als bisher.
Und ich kann nur sagen: Ich finde, es ist einer Bundesministerin unwürdig – Entschuldigung! –, den Bayerischen Ministerpräsidenten hier in Abwesenheit zu beschimpfen.
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Was bitte soll dadurch gewonnen werden?
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Ich finde, es ist unangemessen und einer Bundesministerin unwürdig.
Ich kann nur sagen: Es wäre, glaube ich, anständig, wenn Sie sich unseren Forderungen anschließen würden. Wir fordern Sie auf, zu handeln;
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denn die Kinder und Jugendlichen sind uns so wichtig.
Herzlichen Dank.
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Frau Präsidentin, ich war in der Redezeit.
Ich nehme das durchaus positiv wahr, wenn die Redezeit eingehalten wird.
Als nächste Rednerin erhält das Wort Marja-Liisa Völlers für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Bundesministerin! Vorab: Das Thema „Pandemiebedingte Lernrückstände und psychosoziale Folgen bei unseren Schülerinnen und Schülern“ halte ich für immens wichtig.
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In Gesprächen mit Schülerinnen und Schülern aus meiner Heimat in Nienburg und in Schaumburg sowie mit Eltern, Lehrkräften, Sozialpädagoginnen und ‑pädagogen ist eines aber auch ganz deutlich geworden: Lernen in Präsenz, in der Gemeinschaft kann nicht allein durch digitales Lernen ersetzt werden.
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Als Lehrerin mit einer Berufserfahrung von immerhin sieben Jahren weiß ich – ich habe es oft genug erlebt –, wie wichtig das gemeinsame Lernen eben ist, insbesondere auch für Schülerinnen und Schüler, die wir eher als lernschwach beschreiben würden.
Mit diesem Vorabbemerkungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Hinterkopf können wir uns ja jetzt mal gemeinsam dem Punkt 3 des Unionsantrages widmen, den Punkt zur digitalen Aufholstrategie. Und bevor der SPD oder mir hier irgendjemand gleich nachsagt, dass wir uns irgendwie digital verweigern, sage ich: Digitales Lernen und Lehren brauchen wir, aber sinnvoll und auf den Kompetenzerwerb bezogen.
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Digitale Angebote können, müssen und werden immer eine gute Ergänzung innerhalb eines ganzheitlichen Ansatzes sein.
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Denn sie spiegeln die Lebenswelt unserer Kinder und Jugendlichen, aber auch unsere Berufswelt wider.
Und was machen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union? Sie werfen ein paar Schlagworte in den Raum wie zum Beispiel „Gamification“, „Flipped class-room“ oder „Schüleraufhol-Wettbewerbe“, die dann inhaltlich null komma null in Ihrem Antrag unterlegt sind.
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Nebenbei sollen die Schüler die Inhalte dann auch noch selber nachholen. In dieser Kombination ist das doch nicht wirklich Ihr Ernst, oder?
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– Ja, ich befürchte auch, dass das Ihr Ernst ist.
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Am Unsinnigsten ist übrigens folgender Satz – ich zitiere aus Ihrem Antrag –:
Etwaige Ansätze können einen Beitrag leisten, die Motivation von Lehrerinnen und Lehrern sowie eine individuellere Beschulung noch stärker anzuregen.
Ich übersetze einmal Ihre Haltung zu Lehrkräften in Deutschland aus der Passage: Weil meine Schülerinnen und Schüler zu Hause irgendwie kreativ digital etwas lernen, bin ich als Lehrkraft plötzlich noch motivierter. – Sorry, das ist doch ein bisschen irre.
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Eine gute Freundin, auch Lehrerin, und ich haben uns gestern mit dieser Passage ein bisschen beschäftigt. Am Ende haben wir uns gefragt: Wer hat das denn aufgeschrieben? Jemand, der jemals in einer Klasse gestanden hat? Jemand, der jemals mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet hat? Ich glaube, nein.
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Dann gucken wir einmal weiter.
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– Lassen Sie mich doch mal ausreden. Nicht immer gleich so unruhig werden! Frau Kollegin Gräßle hatte ja auch schon ein paar Schwierigkeiten damit, wie man sich hier im Parlament benimmt.
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Somit stellt sich die Frage: „Flipped class-room“, was bedeutet das eigentlich? Das heißt – für Nichtpädagogen grob zusammengefasst – das eigenständige Erarbeiten von Lerninhalten. Das klappt bestimmt besonders gut bei jenen Kindern und Jugendlichen, die Unterstützung durch Lehrkräfte und anderes pädagogisches Personal in der Schule und darüber hinaus brauchen. Also, irgendwie macht das überhaupt gar keinen Sinn.
Wenn man junge Leute fragt, wie sie Ihren Antrag finden, gerade Punkt 3, dann erhält man ganz, ganz tolle Bewertungen. Ich habe gerade einen Schülerpraktikanten da, der das in seine Klassengruppe gestellt hat. Wissen Sie, was die geschrieben haben? Fazit: Ganz großer Quatsch.
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Zum Schluss. Solche digitalen Vorhaben funktionieren nur, wenn wir uns mit der digitalen Ausstattung – –
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– Lassen Sie mich doch ausreden, Frau Connemann!
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– Die Kollegin Bundesministerin hat schon gesagt, was wir machen.
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Steht in Ihrem Antrag irgendwo, wie Sie all diese digitalen Dinge finanzieren wollen? Nein, es steht dort nicht drin.
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Es steht dort nicht, wie Sie das finanzieren wollen; gar nichts. Es steht auch nicht dort, dass man zum Beispiel digitale Lehrmittelfreiheit machen könnte. Auch das steht in Ihrem Antrag nicht.
Von daher: Wenn Sie sich in die digitale Welt aufmachen – das machen wir als Fortschrittskoalition übrigens miteinander,
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und ich glaube, wir kommen da gut voran in den nächsten Jahren; Frau Bundesministerin hat ausgeführt, wie wir mit den Ländern jetzt gemeinsam vorgehen werden –, dann reicht es nicht, nur ein paar Buzzwords aufzuschreiben. Tut mir leid!
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In diesem Sinne werden wir diesen dünnen Antrag ablehnen.
Vielen Dank.
({18})
Als Nächstes erhält das Wort Johannes Wagner für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich geht es in dieser Debatte doch darum, wie wir Kinder und Jugendliche endlich wieder an die erste Stelle unserer Politik stellen können. Aber anstatt sich konstruktiv an dieser Debatte zu beteiligen, verharmlosen Sie von der AfD, hetzen Sie, und verbreiten Sie Unwahrheiten.
({0})
Ich habe während der ersten anderthalb Jahre der Pandemie in einer Kinderklinik gearbeitet und viele Kinder mit Corona behandelt. Deswegen lassen Sie mich eines klarstellen: Ja, die allermeisten Kinder haben die Krankheit gut überstanden. Aber es gab auch schwere Verläufe bis hin zur Intensivstation. Die aktuellen Coronavarianten sind für Kinder mit Sicherheit harmloser als für ältere Menschen, aber eben auch nicht ungefährlich. Kinder leben auch nicht allein oder nur mit anderen Kindern zusammen, sondern in Familien. Auch dort gibt es Personen, die wir unbedingt schützen müssen. Deswegen waren die kontaktbeschränkenden Maßnahmen während der letzten zwei Jahre grundsätzlich richtig. Kinder und Jugendliche haben das verstanden. Sie haben verstanden, dass es manchmal auch sinnvoll ist, eine Maske zu tragen. Kinder und Jugendliche haben sich in der Krise solidarisch gezeigt
({1})
und damit schon mehr getan als die AfD während der gesamten Pandemie.
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Jetzt heißt es, Kinder und Jugendliche wieder an die erste Stelle unseres Handelns zu stellen. Das beinhaltet viele Maßnahmen und muss sich durch alle Politikfelder ziehen. Das zeigt auch der umfassende Kindergesundheitsbericht, den ich vorgestern, am Weltkindertag, mit meiner Kollegin Baradari in Empfang nehmen durfte. Lassen Sie mich nur drei Punkte daraus nennen:
Erstens: gesunde Ernährung und Bewegung. Fehlernährung hat bei den Kindern während der Pandemie zugenommen. Deswegen wird unsere Ernährungsstrategie gesundes Schulessen und Ernährungsbildung beinhalten. Das allein reicht natürlich nicht. Kinder müssen sich auch bewegen können. Dazu gehört auch eine kinderfreundliche Verkehrsinfrastruktur, die Kindern auch in Städten Freiräume schafft, sodass es ihnen Lust bereitet, sich zu bewegen.
Zweitens müssen wir die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ernst nehmen. Sie hat sich bei vielen während der Pandemie drastisch verschlechtert. Deswegen reformieren wir psychotherapeutische Bedarfsplanungen, um Wartezeiten insbesondere für Kinder und Jugendliche zu verkürzen.
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Und drittens müssen wir in Zeiten von multiplen Krisen, wo viele Kinder und Jugendliche Zukunftsängste haben, auch die anderen Krisen bekämpfen. Nicht umsonst gehen morgen wieder auf der ganzen Welt zahlreiche Schüler/-innen für mehr Klimaschutz auf die Straße.
Um es kurz zu machen, liebe Union: Nicht die Schüler/-innen müssen Lernrückstände aufholen, sondern wir 16 Jahre Ihrer Politik.
Herzlichen Dank.
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Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Ulrike Bahr von der SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Covid hat seinen Schrecken verloren. Die Folgen werden uns aber noch lange beschäftigen. Wissenschaftliche Untersuchungen und auch die schnelle Umfrage bei Familie und Bekannten lassen keine Zweifel offen: Die Pandemie hat bei viel zu vielen Kindern und Jugendlichen Bildungslücken gerissen. Daten der Krankenkassen zeigen: Ängste, Depressionen und Essstörungen haben stark zugenommen. Das ist für sich schon schlimm genug; aber eine schlechte seelische Verfassung führt auch dazu, dass Probleme in der Schule zunehmen. Ein Teufelskreis!
Darum war es richtig, im letzten Jahr viel Geld in die Hand zu nehmen und schnell mit Angeboten in Schule und Freizeit für wenigstens etwas Erleichterung zu sorgen und die betroffenen Familien so zu entlasten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist aber auch richtig, jetzt nicht einfach so weiterzumachen. Der Zwischenbericht zum Aufholprogramm vom Mai dieses Jahres hat ein sehr buntes Bild verschiedener Maßnahmen gezeichnet. Jedes Bundesland hat umgesetzt, was auf die Schnelle möglich war. Wir brauchen aber ein Gesamtkonzept.
({0})
Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz hat darum gefordert, ganz grundsätzlich nachzubessern. Denn, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Bildungsprogramme können nur vernünftig bewertet werden, wenn man vorher Ziele definiert und Begleitung und Auswertung gleich mitdenkt. Einfach nur Geld über die Bundesländer auszuschütten, ist keine langfristige Bildungspolitik und in der aktuellen Situation gar keine Option. Wir wissen, die Finanzsituation ist sehr angespannt, um es vorsichtig zu sagen. Wenn Gelder undurchschaubar und regional ganz unterschiedlich fließen, freut das zwar die Landesregierungen, führt aber bei Eltern, Kindern und Praktikern und Praktikerinnen eher zu Frustration. Hier brauchen wir dringend mehr Struktur. Das geplante Startchancen-Programm soll transparent gestaltet werden, mit Zielvorgaben und Erfolgskontrolle, so wie es auch die Bundeshaushaltsordnung vorgibt.
({1})
Während das Programm konzipiert wird, knüpft ein weiteres Vorhaben zur Bewältigung der Pandemiefolgen nahtlos an das Aufholpaket an. Das BMFSFJ startet im nächsten Jahr sein Zukunftspaket für Bewegung, Kultur und Gesundheit. Nach dem aktuellen Haushaltsentwurf stellen wir 50 Millionen Euro dafür zur Verfügung.
({2})
– Sie haben vorhin nicht zugehört; ich habe was dazu gesagt. – Kinder und Jugendliche sollen mit Sport, Musik und Kultur lernen, Gemeinschaft erfahren und etwas von dem, was sie durch die Coronazeit verpasst haben, nachholen können.
Die Bundesregierung engagiert sich also weiter. Es ist deshalb nicht hilfreich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, mit derartigen Nebelkerzenanträgen von der verfassungsmäßigen Verantwortung der Länder für die schulische Bildung abzulenken.
Ich danke Ihnen.
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Ministerin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich war im Sommer in den Alpen zum Wandern. Wer das schon einmal gemacht hat, der weiß, dass es im Gebirge zu plötzlichen Wetterumschwüngen kommen kann.
2020 haben die Studierenden in Deutschland einen solchen Wetterumschwung erlebt. Sie befanden sich auf dem Weg zum Gipfelkreuz. Manche von ihnen waren schon auf der letzten Etappe, andere hatten gerade erst angefangen, freuten sich erwartungsvoll auf den Aufstieg. Die Coronapandemie schlug ein wie ein Blitz. Deutschland ging in einen monatelangen Lockdown. Bars und Bühnen waren leergefegt. Hunderttausende Studierende verloren ihren Nebenjob. 50 Prozent weniger Angebote für Jobs. Der Arbeitsmarkt für Studierende brach ein und damit der finanzielle Boden für ihren Aufstieg.
Die Jungen Liberalen haben damals gemeinsam mit den anderen Jugendorganisationen der großen demokratischen Parteien die Öffnung des BAföGs für diese Studierenden gefordert. Kevin Kühnert sitzt da drüben; wir haben das zusammen gemacht. Ich freue mich, dass du in der Debatte dabei bist. Übrigens war auch die Junge Union mit dabei, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU; denn selbst den jungen Leuten in Ihren eigenen Reihen reichte nicht, was Ihre Bundesbildungsministerin Karliczek damals zusammenzimmerte.
({0})
Die Überbrückungshilfe kam zu spät, und sie war schnell ausgeschöpft. Sie erinnern sich, vielleicht auch nicht. Aber die Studierenden erinnern sich. Die mussten nämlich mit ihrem Kontoauszug bei den Studierendenwerken anrücken und zeigen, dass das Konto leergefegt ist. Und dann haben sie mit Glück 100 Euro bekommen. Wow! Echte Premiumhilfe powered by CDU! Die konnten sich bedanken.
Wir machen das jetzt anders, meine Damen und Herren.
({1})
Wir schaffen eine dauerhafte rechtliche Grundlage für den Fall, dass der studentische Arbeitsmarkt einbricht. Das ist fester Boden, auf dem die Studierenden sicher stehen können. Der Nothilfemechanismus trägt der Realität der Studienfinanzierung in Deutschland Rechnung. Die meisten Studierenden finanzieren sich entweder über Unterstützung durch ihre Eltern oder das BAföG. Daneben haben drei Viertel der Studierenden einen Nebenjob. Wenn der aufgrund einer Notlage wegfällt, dann helfen wir in Zukunft mit unserer Neuregelung diesen Studierenden schnell, flexibel und unbürokratisch.
({2})
Das bedeutet für uns konkret: Die Digitalisierung des BAföG, die wir erst vor wenigen Wochen mit der 27. Novelle vorangetrieben haben, setzen wir mit der Integration des Nothilfemechanismus ins BAföG Digital – konsequent fort. Wir sorgen damit für zukünftige Krisen der Studienfinanzierung vor, meine Damen und Herren.
({3})
– Ja, auch jetzt befinden wir uns in einer Krise. Das ist richtig, wir befinden uns in einer Krise.
({4})
Aber die Situation ist eine andere. Wir haben nämlich jetzt, lieber Herr Jarzombek, eine Situation, in der nicht der studentische Arbeitsmarkt bedroht ist, sondern alle Menschen in Deutschland.
({5})
Alle Menschen in Deutschland ächzen unter Inflation und Energiekrise. Deswegen, Frau Staffler, braucht es jetzt passgenaue Lösungen,
({6})
und die machen wir, zum Beispiel für die regulär geförderten BAföG-Empfängerinnen und -Empfänger. Die unterstützen wir mit dem Heizkostenzuschuss. Das können Sie ruhig mal anerkennen. Sie brauchen hier gar nicht so rumzuschreien.
({7})
Mit der Erhöhung des Kindergeldes unterstützen wir diejenigen, die von den Eltern unterstützt werden. Die Erhöhung der Minijobgrenze auf 520 Euro, die Energiepreispauschale, das hilft den Studierenden, die jetzt einen Minijob haben. Meine Damen und Herren, das ist zielgerichtet. Das kommt bei den Studierenden an. Das hilft ihnen durch den kalten Winter.
({8})
Liebe Damen und Herren, Geld ist aber nicht alles. Der Lockdown hat auch zu geschlossenen Hörsälen und verwaisten Mensen geführt. Das soziale Leben und Lernen ist im Studium genauso wichtig wie die Vorlesung. Das kam fast völlig zum Erliegen. Das, was für die Bergwanderung gilt, gilt auch für das Lernen: Man sollte beides nicht alleine machen. Deswegen müssen in diesem Winter die Hochschulen, die Berufsschulen, die allgemeinbildenden Schulen offen bleiben. Keine Lockdown-Spirale! Dafür setzen wir uns ein.
({9})
Meine Damen und Herren, auch wenn wir den Nothilfemechanismus heute beschließen – das werden wir tun; ich werde begeistert zustimmen –, hoffe ich sehr, dass wir nicht in eine Situation kommen, in der wir ihn brauchen. Ich hoffe, dass die Studierenden in Zukunft ohne Gewitter den Aufstieg schaffen.
Vielleicht noch ein Kommentar in Richtung Union: Ich empfehle Ihnen: Hören Sie doch mal auf Ihre Jugendorganisation – wir machen das bei den Liberalen so –, und stimmen Sie dem Gesetz zu.
Vielen Dank.
({10})
Für die CDU/CSU-Fraktion erhält jetzt das Wort der schon angesprochene Kollege Thomas Jarzombek.
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn es ein Beispiel gibt für ein komplett nutzloses Gesetz, dann ist es das, was hier vorliegt.
({0})
Ich werde es Ihnen erklären: Die Idee und die Intention sind richtig. Die hatten auch wir, als wir noch in der Regierung waren. Was haben Sie aber daraus gemacht?
({1})
– Hören Sie mal eine Sekunde zu. – Warum ist das Gesetz nutzlos? Wir reden im Ausschuss die ganze Zeit über Notlagen. In diesem Gesetz steht 36‑mal „Not“. Aber in dieser Notlage, in dieser Krise, die wir offensichtlich haben, wirkt das Gesetz gar nicht.
({2})
Sie brauchen dafür ein zweites Instrument, nämlich diese 200-Euro-Kiste; darauf komme ich gleich noch. Dieses Gesetz wirkt in dieser Notlage nicht. Es bildet eine Notlage ab, die es vor zwei Jahren gab; heute haben wir eine ganz andere.
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Dieses Gesetz – das ist vielleicht der noch schlimmere Teil – wird aber auch dann nicht funktionieren, wenn eine solche Notlage eintritt. Warum? Es gibt in Deutschland 3 Millionen Studierende. Davon sind 2,5 Millionen keine BAföG-Empfänger.
({4})
Wenn es tatsächlich dazu kommt, dass die sich nicht mehr finanzieren können und hier Hilfe brauchen, dann werden 2,5 Millionen Studierende eine E‑Mail mit einer individuellen Begründung ihrer Notlage und, wie es hier gefordert wird, mit Unterlagen, beispielsweise über die Kündigung ihres Jobs, an ein Amt schicken. Dann sagen Sie mir doch mal: Wer soll dann händisch 2,5 Millionen Anträge in irgendeiner akzeptablen Zeit abarbeiten? Das ist völlig unmöglich!
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Und ehrlich gesagt: Nach dem Vortrag der Kollegin von der SPD, die uns vorhin die ganze Zeit erzählt hat, warum Digitalisierung in der Bildung Mist ist, wundert mich das nicht besonders viel.
({6})
Aber dass die FDP – Frau Ministerin, die FDP hat plakatiert: „Digital first. Bedenken second.“ – einen vollständig analogen Prozess für 2,5 Millionen Anträge vorgesehen hat, das ist doch verrückt.
({7})
Wir haben hier zur heutigen Beratung einen Änderungsantrag gestellt, dass diese Anträge digital bearbeitet werden müssen.
({8})
Den haben Sie im Ausschuss
({9})
abgelehnt. Ich kann nur sagen: Wenn Sie heute wieder gegen die digitale Antragsbearbeitung stimmen, dann gehen Sie bewusst in ein Gesetz, von dem Sie genau wissen: Es kann seinen Zweck überhaupt nicht erfüllen.
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– Kollege Gehring, soll ich es mal erklären? Der Antrag ist digital. Das haben wir eingeführt. Aber: Alles danach ist nicht mehr digital, und das ist das Problem an der ganzen Sache.
({11})
Lieber Kollege Gehring, ich darf noch einmal auf Sie zu sprechen kommen. Sie haben vor ziemlich genau zwei Jahren die Definition einer Trödelministerin hier platziert
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– sehr gut –, weil nämlich drei Monate nach Beginn der Krise keine Lösung da war. Jetzt kann ich nur sagen: Am 18. Februar hat dieser russische Einmarsch begonnen.
({13})
Bis heute ist für die Studierenden am Ende nichts rausgekommen.
({14})
Das Ding ist: Weil Sie merken, dass dieses Gesetz für diejenigen, die Hilfe brauchen, nicht funktioniert, haben Sie jetzt angekündigt, dass alle Studierenden 200 Euro bekommen sollen. Wir haben gefragt, wie Sie das denn eigentlich machen wollen. Wir haben damals die Coronahilfen mit dem Deutschen Studentenwerk gemacht. Wir hören vom Deutschen Studentenwerk, dass es hier nicht bereit sei.
({15})
Wir haben von Ihnen bisher nicht erfahren, wie Sie das machen wollen. Das spricht dafür, dass wir hier in diesem Jahr gar nichts mehr sehen werden. Wir werden Sie am Ende an die Trödelministerin erinnern.
Eins darf ich Ihnen sagen: Wir haben damals gerade mal sechs Wochen gebraucht, um die Coronahilfen auf den Weg zu bringen. Das ist der Benchmark; an dem müssen Sie sich messen lassen.
({16})
Sie haben bei den 200 Euro auch noch einen ziemlich großen Konstruktionsfehler. Nämlich: Es gibt ja nicht nur Vollzeitstudierende. In diesem Gesetzentwurf steht drin: Er gilt nur für Vollzeitstudierende. – Bei den 200 Euro verhält es sich aber anders.
Ich habe einen Artikel im „Handelsblatt“ gefunden. Da ist ein Student, der jeden Tag von Duisburg nach Köln fährt und der nur wegen des Studententickets eingeschrieben ist. Der spart nach eigenen Angaben in diesem Artikel 2 800 Euro im Jahr. Er ist in Vollzeit beschäftigt, und dem geben Sie jetzt noch 200 Euro on top. Das kann ganz sicher nicht richtig sein.
({17})
Das ist ja kein Ausnahmefall. Ich lese mal weiter: Wie das „Handelsblatt“ schreibt, liegt angeblich an der Uni Düsseldorf die Zahl solcher Scheinstudierenden bei 8 000, an der Uni Köln bei 4 000 solcher Scheinstudierenden, und das kreuz und quer durch Deutschland. Das heißt, Sie wollen 200 Euro an Menschen geben, die sie am Ende überhaupt gar nicht brauchen, weil sie keine Studenten sind.
({18})
Da haben Sie noch einiges zu tun. Werden Sie Ministerin der Chancen und nicht der verpassten Chancen!
({19})
Das Wort erhält für die SPD-Fraktion die Kollegin Dr. Lina Seitzl.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bildungsdebatten in diesem Haus laufen, zumindest seitdem ich Mitglied im entsprechenden Fachausschuss bin, irgendwie immer gleich ab. Sie, die Union, werfen den Regierungsfraktionen vor, dass wir gar nichts, alternativ: zu wenig, alternativ: alles falsch machen und dass Sie, während Sie das Bildungsministerium geführt haben, dem BAföG zu neuem Glanz verholfen haben.
({0})
Wir, die regierungstragenden Fraktionen, weisen darauf hin, dass in den letzten 16 Jahren doch einiges liegen geblieben ist
({1})
und wir deshalb innerhalb weniger Monate bereits zwei BAföG-Novellen durch das Parlament gebracht haben und eine dritte in den Startlöchern steht.
Es geht dann immer so hin und her und hin und her. Irgendwann hat Die Linke noch mal ein paar Vorschläge – hin – her – hin – her.
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Der Mehrwert für die Menschen außerhalb dieses Saales, da oben auf den Tribünen, in den Hochschulen, in den Bildungseinrichtungen im Land? Vermutlich gering!
({3})
Dabei sollten unsere Ziele doch eigentlich die gleichen sein: weg von einer rückwärtsgewandten Debatte, wie wir sie gerade auch wieder erlebt haben,
({4})
hin zu mehr Lösungsorientierung, einer konstruktiven Fehlerkultur, um jungen Menschen eine möglichst sorgenfreie Ausbildung zu ermöglichen.
({5})
Das tun wir mit dieser 28. BAföG-Novelle. In Zeiten, in denen quasi stündlich neue Krisen die Schlagzeilen bestimmen, leisten wir Krisenvorsorge. Wir treffen damit die notwendigen Vorkehrungen. Wenn der ausbildungsbegleitende Arbeitsmarkt zusammenbricht und damit die Nebenjobs von Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden wegfallen, dann öffnen wir das BAföG für alle, unabhängig von den gängigen BAföG-Kriterien wie Elterneinkommen oder dem eigenen Vermögen. Mit diesem Gesetz geben wir jungen Menschen die Sicherheit, dass sie im Ernstfall nicht alleingelassen werden, sondern dass sie von der Solidargemeinschaft während ihrer Ausbildung unterstützt werden. Wir machen das BAföG damit krisenfest, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({6})
Auch wenn wir natürlich alle hoffen, dass der Nothilfemechanismus nicht zum Tragen kommen muss – diese Novelle ermöglicht es uns, endlich vor die Krise zu kommen und nicht mittendrin eilig nachbessern zu müssen. Deshalb war es uns als SPD-Fraktion auch so wichtig, dass die Nothilfe zeitnah und unbürokratisch ausgezahlt werden kann.
({7})
Jetzt muss man ehrlicherweise sagen, dass der Nothilfemechanismus selbstverständlich kein Allheilmittel für alles ist. Er ist dafür gedacht, temporäre arbeitsmarktbedingte Krisen für Menschen in Ausbildung abzufedern, Ausbildungsabbrüche zu vermeiden und eine planbare, zuverlässige und niedrigschwellige Hilfe zu ermöglichen. Für alle weiteren Krisen und Herausforderungen, vor denen zahlreiche junge Menschen im Moment stehen, braucht es andere Antworten. Und wir als Ampelkoalition geben diese Antworten.
Wir haben mit der erst im August in Kraft getretenen 27. BAföG-Änderung nicht nur den Kreis der Berechtigten deutlich vergrößert, sondern auch die Bedarfssätze angehoben. Wir haben den Heizkostenzuschuss geöffnet für BAföG-Empfänger/-innen. Wir haben im Rahmen des jüngsten Entlastungspakets Einmalzahlungen für alle Studierenden beschlossen. Die Minijob-Grenze wurde erhöht. Die Energiepreispauschale wurde eingeführt. Wir werden noch in dieser Legislaturperiode die größte Strukturreform seit der Einführung des BAföGs auf den Weg bringen. All das leisten wir.
({8})
Und wenn Ihnen das alles zu wenig ist, liebe Unionsfraktion, dann freue ich mich auf die konstruktive Zusammenarbeit und die weiteren Ideen Ihrerseits zur Unterstützung der jungen Menschen in unserem Land.
({9})
Uns als Ampelkoalition haben Sie für diese Ziele ganz sicher auf Ihrer Seite.
Vielen Dank.
({10})
Für die AfD-Fraktion erhält das Wort der Abgeordnete Malte Kaufmann. – Dr. Michael Kaufmann. – Entschuldigung!
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Werte Frau Ministerin! Mit der 28. Änderung liegt uns in kurzer Folge schon wieder eine Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vor. Es wäre schön, wenn das Ministerium diesen Eifer wenigstens teilweise den Problemen in unseren Schulen und der Sicherung des Forschungsstandorts Deutschland widmen würde.
({0})
Natürlich brauchen Studenten in einer Notlage Unterstützung, um zu verhindern, dass sie ihre Lebensträume begraben und aus finanziellen Gründen das Studium abbrechen müssen; denn damit würde gleichzeitig wertvolles Potenzial vernichtet. Der vorliegende Gesetzentwurf ist dafür jedoch nicht das geeignete Mittel. Man hat den Eindruck, dass der Text mit heißer Nadel gestrickt wurde. Oder, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, ist dieser Gesetzentwurf vielleicht Teil Ihrer Vorbereitung auf erneute Lockdown-Maßnahmen? Das würde dann auch die ungewöhnliche Eile erklären. Ich stelle fest: Studenten sind in den letzten Jahren nicht durch eine Krankheit, sondern durch die umstrittenen und überzogenen Coronamaßnahmen in Not geraten.
({1})
Nun legen Sie mit diesem Entwurf die nächste Gesetzesvorlage vor, in der ein kommender Notstand mit weitreichenden Grundrechtseinschränkungen wie selbstverständlich vorausgesetzt wird, unterstrichen durch die angebliche Eilbedürftigkeit der Gesetzesvorlage.
({2})
Selbst wenn man die Notwendigkeit dieser Gesetzesänderung anerkennen wollte – was wir nicht tun –, krankt der vorliegende Entwurf an zahlreichen handwerklichen Fehlern. Diese Fehler hat nicht zuletzt der Bundesrechnungshof ausdrücklich gerügt.
({3})
Da ist zunächst die Tatsache, dass der vorgesehene Notfallmechanismus zu schwerfällig und langwierig ist. Im Falle einer echten Notlage könnte die unmittelbar notwendige Hilfe so erst nach Wochen oder gar Monaten erfolgen: viel zu spät.
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Zweitens. Der Entwurf sieht vor, die Förderung nach Ablauf von sechs Monaten unterschiedslos nur noch als Darlehen zu gewähren. Damit würden sogar Schülerinnen und Schüler, womöglich noch minderjährig, in die Zwangslage gebracht, sich noch vor Eintritt in das Erwerbsleben in erheblichem Umfang verschulden zu müssen.
Drittens ist dieser nach sechs Monaten vorgesehene Bruch in der Förderung von Schülerinnen und Schülern, wie der Bundesrechnungshof betont, auch verfassungsrechtlich fragwürdig.
Und viertens: Schließlich würden auch Personen in den Genuss der Förderung kommen, die darauf gar nicht angewiesen sind. In Verbindung mit dem möglichen Verzicht auf die Bedürftigkeitsprüfung wären damit Leistungsmissbrauch und Mitnahmeeffekten Tür und Tor geöffnet. Zielgerichtet und schnell ist da nichts, Frau Schröder.
({5})
Vor allem aber fehlt es dem Entwurf an klaren Kriterien für die Notlage und die Bedürftigkeit der Leistungsempfänger. Wir fordern Sie daher auf: Ziehen Sie diesen Gesetzentwurf zurück! Kehren Sie zurück zum bewährten Prinzip, dass das BAföG für Auszubildende aus sozial schwächeren Familien Chancengleichheit bieten soll! Das setzt zwingend voraus, dass die Leistungsfähigkeit der Eltern und vorhandenes Vermögen angemessen berücksichtigt werden. Im Falle einer wirklichen Notlage kann der Bundestag auch im Rahmen der geltenden Regeln schnell und zielgerichtet reagieren. Dazu bedarf es keiner Generalermächtigung der Bundesregierung,
({6})
die – analog zum unsäglichen Missbrauch des Infektionsschutzgesetzes – bei vielen Details im Vagen bleibt und zudem erschreckend unausgegoren ist.
Danke.
({7})
Das war Professor Dr. Michael Kaufmann, um es einmal korrekt zu sagen.
Jetzt kommt Nina Stahr für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das BAföG ist seit Jahrzehnten eine echte Erfolgsgeschichte, die Zugang zu Bildung unabhängig vom Geldbeutel der Eltern ermöglicht. Es ist eines der wichtigsten Instrumente zur Verbesserung der Chancengerechtigkeit. Deswegen haben wir uns als Ampel in diesem Bereich auch viel vorgenommen. Und wir liefern. Wir schreiben diese Erfolgsgeschichte fort, und mit der jetzigen Novelle zeigen wir: Dort, wo es nötig ist, passen wir sie an und ergänzen sie.
({0})
Herr Jarzombek, ich möchte mal mit den Unwahrheiten aufräumen, die Sie hier verbreiten.
({1})
9‑Euro-Ticket, Strompreisbremse – all das hilft natürlich auch Studierenden. Fast drei Viertel der Studierenden haben einen Nebenjob und haben deswegen auch von der Energiepreispauschale aus dem ersten Entlastungspaket profitiert. Wir haben als Ampel auch gezielt Studierende unterstützt, beispielsweise mit dem Heizkostenzuschuss für BAföG-Empfänger/-innen,
({2})
und im jetzigen Entlastungspaket unterstützen wir mit der Einmalzahlung von 200 Euro weiter Studierende und Fachschüler/-innen.
({3})
Wir tragen auch Sorge dafür, dass für künftige Notlagen Vorsorge getroffen wird. Mit dem Nothilfemechanismus ziehen wir die richtigen Lehren aus dem bisherigen Verlauf der Coronapandemie und schaffen Prävention für den Notfall. Sollte es in Zukunft Einbrüche auf dem studentischen Arbeitsmarkt geben, wird dieser Rettungsschirm greifen. Unterstützt werden Schüler/-innen und Studierende, deren Nebenjob weggebrochen ist und die bisher kein BAföG bekommen haben, und das ganz bewusst unabhängig vom Elternhaus. Denn eins unserer Ziele dieser großen BAföG-Strukturreform ist, das BAföG elternunabhängiger zu gestalten. Und das zeigt sich auch in diesem Reformschritt.
({4})
Wir gießen diese Unterstützungsmaßnahme ganz bewusst in Gesetzesform, um jetzt Vorsorge zu leisten und um Prozesse zu beschleunigen, wenn es darauf ankommt. Denn in Krisensituationen muss das Geld schnell fließen, und es darf keine Zeit verschwendet werden mit dem Schnüren komplizierter Hilfspakete.
({5})
Ein großer Erfolg bei der 28. Novelle ist für uns Bündnisgrüne, dass alle sich in förderfähigen Ausbildungen befindenden Schüler/-innen und Studierenden vom Nothilfemechanismus profitieren können. Denn niemand sollte aufgrund externer Schocks dazu gezwungen sein, seinen Bildungsweg abbrechen zu müssen. Auch das ist Bildungsgerechtigkeit.
({6})
Letzter Punkt. Stichwort „Bildungsgerechtigkeit“. Dieser Schritt der BAföG-Reform ist noch lange nicht der letzte. Mit der Studienstarthilfe werden wir gezielt Studierenden aus Bedarfsgemeinschaften den Start ins Studium erleichtern. Und wir werden regelmäßige BAföG-Anpassungen umsetzen. Wir werden den Studienfachwechsel erleichtern und die Förderhöchstdauer anpassen. Ich freue mich, dass wir heute einen weiteren wichtigen Schritt gehen, um das BAföG im Sinne der Bildungsgerechtigkeit zu erweitern. Ich verspreche: Die nächsten Schritte werden folgen.
Vielen Dank.
({7})
Als Nächstes erhält das Wort Nicole Gohlke für Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man muss der jetzigen Bundesregierung natürlich erst mal zugutehalten, dass sie für den Fall einer Notlage wie der Coronapandemie im BAföG eine Nothilferegelung fest verankern möchte; denn, Herr Jarzombek, wahr ist: Die letzte Bundesregierung hat das nicht gemacht, hat sich verweigert, hat das Problem verschleppt. Stattdessen kamen Sie mit dem Provisorium der sogenannten Überbrückungshilfe um die Ecke. Da traut man sich jetzt mehr. Und das ist natürlich gut so.
({0})
– Ja, das stimmt.
Aber was jetzt als Gesetzentwurf auf dem Tisch liegt, ist leider nichts Halbes und nichts Ganzes. Es wirkt im Ganzen eher wie eine Verschlimmbesserung der Überbrückungshilfe, und das, was dort schon fest geregelt war, wirft man jetzt wieder über Bord. Das verstehe ich natürlich nicht.
({1})
Es wirkt im Ganzen leider auch ein Stück weit wie die Fortsetzung der Politik des Bildungsministeriums, die Nöte und Lebensrealitäten von jungen Menschen nicht sonderlich ernst zu nehmen. Das ist, ehrlich gesagt, natürlich nicht sonderlich gut; denn es verspielt weiter Vertrauen in die Politik, und das kann man sich nicht erlauben, auch nicht bei der jungen Generation.
({2})
Der Entwurf der Bundesregierung regelt wenig konkret; er lässt eigentlich alles Wesentliche offen. Die Bundesregierung kann einiges machen, muss aber nicht. Das erfährt man dann erst, wenn die Katastrophe schon eingetreten ist. Und es ist nicht wahr, dass so ein Verfahren besonders viel Planungssicherheit herbeiführt. Vielmehr fangen Sie erst dann an, zu definieren, wer eigentlich was bekommt. Sie hätten aber bereits jetzt zusichern können, dass für die Dauer einer bundesweiten Notlage die Altersgrenzen, die Regelstudienzeit, der Nachweis über das Vollzeitstudium oder das Erbringen von Leistungsnachweisen ausgesetzt werden. Warum tun Sie das nicht einfach? Das würde Verlässlichkeit schaffen. Das würde Rechtssicherheit schaffen.
({3})
Warum öffnen Sie die Nothilfe nicht für alle Studierenden, wie es auch das Deutsche Studentenwerk fordert? Ich meine, das ist wirklich ein Schlag ins Gesicht der vielen internationalen Studierenden, die Sie mit dieser Regelung außen vor und damit auch im Regen stehen lassen. Eine Notfalllage in Deutschland macht um diese Menschen keinen Bogen. Es ist absurd, dass Sie das so regeln; das müssen Sie den Betroffenen wirklich erst mal erklären.
({4})
Zum Ablauf dieses Notfallmechanismus. Sie schlagen ein sehr umfangreiches und zeitfressendes Verfahren vor, das abgespult werden muss, bevor die Betroffenen überhaupt einen einzigen Cent sehen. Das liegt daran, dass man dann erst anfängt, zu definieren, wer eigentlich was bekommt. Das geht an den tatsächlichen Realitäten einer Not- und Katastrophenlage ziemlich vorbei.
Mein letzter Punkt. Warum setzen Sie wieder, zumindest nach sechs Monaten, auf diese unsoziale Form des Darlehens und treiben damit junge Menschen in die Verschuldung? Das ist unverantwortlich. Es ist tatsächlich so, dass schlimmstenfalls sogar minderjährige Schülerinnen und Schüler und Azubis nur mit Darlehen unterstützt werden und schon in diesem Alter in der Schuldenfalle landen. Das ist völlig unverantwortlich.
({5})
Kolleginnen und Kollegen, Sie vergeben die Chance, einen Notfallmechanismus im BAföG wirklich passgenau und verbindlich zu gestalten. Wie das gehen kann, hat Die Linke in ihrem Entschließungsantrag vorgelegt. Insbesondere mit Blick auf aktuelle und weitere Notlagen fordern wir: Gestalten Sie das BAföG endlich existenzsichernd! Weiten Sie den Kreis substanziell aus! Das wäre die beste Grundlage auch in Notlagen.
Vielen Dank.
({6})
Als Nächste erhält das Wort Dr. Carolin Wagner für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Werte Damen und Herren! Aus den Debatten zu den BAföG-Novellen der letzten Monate wissen wir: Nur 11 Prozent der Studierenden beziehen heute überhaupt noch BAföG. Der Reformstau beim BAföG hat dieses leuchtende Förderinstrument fast zum Erlöschen gebracht. Aktuell sind wir dabei, den Funken von damals, als Willy Brandt vor gut 50 Jahren das BAföG eingeführt hat, das damals 40 Prozent der Studierenden ein Studium überhaupt erst ermöglichte, wieder zum Glühen zu bringen. Wir arbeiten daran, um aus den noch vorhandenen Funken wieder ein Feuer zu entfachen.
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Wir wollen Menschen befähigen und Begabungen fördern. Der Geldbeutel der Eltern darf nicht den Ausschlag geben, wer studieren darf und wer nicht. Das ist bildungspolitischer Leitgedanke der Sozialdemokratie, und da setzen wir an. Die Ampelkoalition schafft Chancen nicht nur für die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, für die Familien, für die Rentnerinnen und Rentner, sondern eben auch ganz speziell für die Auszubildenden, die Schülerinnen und Schüler und die Studierenden.
Neben der ersten BAföG-Reform, mit der der Funke wieder entzündet wurde, schaffen wir mit der vorliegenden 28. Novelle einen Notfallmechanismus. Das heißt, wir sorgen vor, und zwar für kommende Krisensituationen auf dem Arbeitsmarkt. Wir haben es heute schon gehört: Zu Beginn der Pandemie sind Hunderttausende studentische Jobs von heute auf morgen einfach weggebrochen. Zahlreiche Studierende gerieten unvorbereitet in finanzielle Notlagen, gar in existenzielle Notlagen. Viele wussten nicht, ob sie ihr Studium fortsetzen können oder nicht. Ich weiß, dass meine Kolleginnen und Kollegen in den Studienberatungen damals diese Sorgen tagtäglich hörten, aber monatelang über keine Hilfen informieren konnten. Werte Kolleginnen und Kollegen, diese dramatische Situation darf sich nicht wiederholen.
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Daher: Lernen wir aus dieser Erfahrung, und machen wir das BAföG resilienter, widerstandsfähiger gegen künftige Krisen! Es ist unser Anspruch als SPD und als Ampelkoalition, für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes die Basis zu stärken und nicht einseitig nur jenen Chancen zu geben, die es sich finanziell leisten können. Dafür ist noch mehr zu tun. Das wissen wir, und das werden wir auch rasch anpacken. Mit dem Notfallmechanismus schlagen wir heute eine Brücke über die Gräben potenzieller Krisen, auf der die Studierenden sicher weitergehen können, wenn unter ihren Füßen alles wegbricht.
Werte Kolleginnen und Kollegen der Union, wenn Sie klagen, dass der Notfallmechanismus nicht die aktuelle Härte um die Energiekosten auffängt, dann ist das scheinheilig; denn es ist doch Ihr CDU-Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, der für das dritte Entlastungspaket die Blockade im Bundesrat androht.
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Genau in diesem Entlastungspaket stehen viel mehr Maßnahmen, Herr Jarzombek, als die 200 Euro, die Sie rausgepickt haben. Und es ist Ihr CSU-Markus-Söder, der alles blockiert, was uns aus der Energiekrise herausbringt:
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die Energiewende, jedes einzelne Windrad in Bayern, das Nachfolgeticket für das 9‑Euro-Ticket usw. usf.
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Hören Sie endlich auf mit der Augenwischerei! Die Zeiten verdienen echte Antworten, und die geben wir.
Vielen herzlichen Dank.
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Als Nächste erhält das Wort Katrin Staffler für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anders als die Kollegin Schröder war ich im Sommer leider nicht wandern.
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– Ja, das ist schade; aber ich habe die Wochen dafür genutzt, um mit Studenten, mit Studentenvertretern ins Gespräch zu kommen.
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Ein Satz ist mir dabei ganz enorm im Gedächtnis geblieben, und zwar der Satz: Krise ist mehr als nur Jobverlust. – Lassen Sie den Satz ruhig mal sacken. Denn genau da ist nämlich der Schwachpunkt in Ihrem Notfallmechanismus, den wir heute diskutieren. Der greift nämlich erst genau dann, wenn es erhebliche Nachfrageeinbrüche auf dem Arbeitsmarkt gibt, und das heißt explizit nicht in der aktuellen Situation, in der die Lebenshaltungskosten und die Energiepreise immer weiter steigen. Das bedeutet: Wir sprechen heute über ein Instrument, welches in den kommenden Monaten, wo es ganz hart wird für unsere Studenten, überhaupt keine Rolle spielen wird. Schlimm genug!
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Jetzt haben Sie heute hier mehrfach ausgeführt, dass Sie ganz viele andere Maßnahmen beschlossen haben, um die Studenten in der Krise zu unterstützen, einen ganzen Haufen Maßnahmen: zum Beispiel die Heizkostenpauschale, die aber nur die BAföG-Empfänger bekommen, nicht die anderen,
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oder die Einmalzahlung von 200 Euro, von der Sie aber nicht wissen, wie sie ausgezahlt werden soll, geschweige denn, wann sie endlich ausgezahlt werden soll. Man hört ja: Der Plan ist: am 1. Januar. Eins kann ich Ihnen an der Stelle jetzt schon mal sagen: Nächstes Jahr wird es definitiv deutlich zu spät sein für die vielen Studenten, die heute ja schon nicht wissen, wie sie sich am Ende des Monats Lebensmittel oder dergleichen kaufen sollen. Es ist beschämend, was Sie hier auf dem Rücken der Studenten austragen und abliefern. Beschämend!
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– Ja, ich weiß schon, Sie haben so viel für die Studenten getan. Sie haben zwei BAföG-Novellen allein schon in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht. Sie haben eine dritte angekündigt, während wir nur eine Novelle innerhalb von vier Jahren auf den Weg gebracht haben. Aber soll ich Ihnen an der Stelle mal ein Geheimnis verraten? Wir haben nebenher auch noch etwas bei ein paar anderen Themen gemacht. Bei Ihnen ist da bislang absolute Fehlanzeige.
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Davon abgesehen ist Qualität besser als Quantität, und an Qualität mangelt es an der Stelle deutlich.
Jetzt schauen wir uns zum Beispiel diesen aktuellen MLP Studentenwohnreport an. Der ist gestern veröffentlicht worden.
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– Jetzt schreien Sie halt nicht so rum! Hören Sie halt zu! – Der MLP Studentenwohnreport, der gestern veröffentlicht worden ist, bescheinigt einen dramatischen Anstieg der Mieten der Wohnungen für Studenten. Sie sind um bis zu 18,5 Prozent verteuert. Wir erinnern uns mal gemeinsam an die Debatte zur letzten BAföG-Novelle. Da haben Sie den Wohnzuschlag für auswärts wohnende Studenten um 10 Prozent erhöht. Es gab eine Erhöhung um 10 Prozent bei um 18,5 Prozent verteuerten Wohnungen.
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Mal in die Runde gefragt: Haben Sie eine Ahnung, in wie vielen deutschen Hochschulstädten man sich mit diesem Wohnzuschlag überhaupt noch eine Durchschnittsmiete leisten kann? Haben Sie eine Ahnung? Zwei. Es sind genau zwei deutsche Städte.
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Es ist schlichtweg nicht ausreichend, was Sie hier abliefern.
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Dass Sie das BAföG erhöht haben, ja, das war richtig, das war dringend nötig in der Situation, in der wir sind; aber die 5,75 Prozent Erhöhung der Bedarfssätze sind halt von der Inflation leider auch schon wieder aufgefressen. Genau deswegen hat auch das Deutsche Studentenwerk als Reaktion auf den Studentenwohnreport geschrieben, dass der Mietanstieg für Studenten eine – Zitat – „existenzbedrohende soziale Notlage“ bedeutet. Da sind wir ja wieder genau bei dem Begriff „Notlage“, liebe Kolleginnen und Kollegen. Aber es ist halt leider die falsche Notlage an der Stelle.
Deswegen jetzt noch mal zu Ihrem Notfallmechanismus. Wir haben im Juli dazu eine öffentliche Anhörung gehabt. In der haben die Sachverständigen durchaus lobende Worte für den Mechanismus an sich, dafür, dass es ihn geben soll, gefunden, aber eben auch deutliche Kritik geäußert, zum Beispiel an dem mehrstufigen Verfahren, das es im Vorfeld braucht. Deswegen ist jetzt die Frage: Haben Sie sich im Sommer mal hingesetzt und die Kritik angenommen? Bei der Kollegin Schröder wissen wir es: Sie war wandern. Aber nein, auch der Rest hat es nicht getan.
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Haben Sie die angemahnten Änderungen am Mechanismus umgesetzt? Nein, das haben Sie nicht getan. Werden die internationalen Studenten, die Auslands-BAföG beziehen, berücksichtigt? Nein, auch die werden nicht berücksichtigt. All diese Dinge aus der Anhörung haben Sie nicht berücksichtigt.
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Da kommt bei uns die Frage auf: Wo stehen denn die Studenten überhaupt in Ihrer Prioritätenliste? Ganz oben sicherlich nicht. Ich würde nicht einmal mehr sagen: im Mittelteil. Tragisch ist auch, dass die vielen Auszubildenden und, nach dem letzten Tagesordnungspunkt, den wir hatten, offenbar auch die Schüler nicht mehr da zu finden sind.
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Es ist ein Armutszeugnis. Die jungen Menschen in Deutschland haben echt was Besseres verdient als ein Ministerium, das sich gerne „Chancenministerium“ nennt, –
Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.
– den jungen Menschen aber jegliche Chance verwehrt, dass sie ohne massive Einschnitte durch die Krise kommen.
Deswegen – letzter Satz – appelliere ich an Sie: Setzen Sie die jungen Menschen in Deutschland dahin, wo sie hingehören, ganz oben auf Ihre Prioritätenliste, weil Krise, wie schon am Anfang gesagt, mehr ist als nur ein Jobverlust.
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Nächster Redner ist Kai Gehring für Bündnis 90/ Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Jarzombek, Frau Staffler, je schriller die Kritik der Union wird, umso mehr Fragen hätte ich an Anja Karliczek und Jens Spahn, der ein ganzes Buch über seine Fehler während der Pandemie geschrieben hat. Ihr Gedächtnisverlust über die verfehlte BAföG-Politik der letzten 16 Jahre ist wirklich atemberaubend; er spricht für sich.
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Während der Pandemiekrise und der drei Onlinesemester wurde einer von vier erwerbstätigen Studierenden entlassen oder unbezahlt freigestellt. Vor allem Studierende aus finanzärmeren Nichtakademikerhaushalten waren und sind leider auf Nebenjobs angewiesen, und daher sprechen wir hier ganz zentral über Bildungschancen. Finanzielle Unterstützung per Überbrückungshilfe à la Karliczek kam in den ersten Monaten der Pandemie zu spät und war viel zu bürokratisch – für viele Studis eine echt harte Zeit.
Die Lehren daraus ziehen wir mit dem Notfallmechanismus für das BAföG, den wir heute hier beschließen. In Notsituationen haben wir damit in Zukunft über das BAföG die Möglichkeit, zügig und unbürokratisch dringend benötigte Mittel an Studierende auszuzahlen, und helfen damit auch denjenigen, die bislang kein BAföG erhalten,
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aber in Bedürftigkeit rutschen, im Übrigen alles digital. Niemand sollte das Studium aus finanziellen Gründen in Krisenzeiten abbrechen müssen.
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Kommt es wieder zu einer Lage wie in der Coronapandemie, in der der studentische Arbeitsmarkt zusammenbricht, dann reicht künftig ein Kündigungsschreiben des Arbeitgebers oder eine glaubhafte Selbsterklärung aus. Unser Notfallmechanismus ist damit aktive Krisenvorsorge.
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Nach 16 Jahren Ambitionslosigkeit bringt diese Bundesregierung die Studienfinanzierung auf die Höhe der Zeit. Erst im Juni haben wir die größte BAföG-Reform seit Jahrzehnten beschlossen, Elternfreibeträge um 20,75 Prozent und die Bedarfssätze um 5,75 Prozent erhöht
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sowie Altersgrenzen auf 45 Jahre heraufgesetzt. Schon jetzt haben wieder mehr Studierende Zugang zum BAföG; auch das war Krisenvorsorge.
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Wir machen Tempo für bessere Bildungschancen;
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denn heute kommt schon die zweite BAföG-Novelle dieser Wahlperiode.
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Unser Ziel ist eine Studienfinanzierung, die jungen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft ein Studium ermöglicht. Dabei sollten unsere Studierenden nicht auf Nebenjobs angewiesen sein, sondern Zeit haben, um sich voll und ganz auf ihr Studium zu konzentrieren.
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– Also, Sie sind schlimmer als die AfD geworden. Was ist denn das für eine Opposition?
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Sie müssen sich schon ein bisschen Ihrer Vergangenheit stellen. 20,75 Prozent Erhöhung, wann hat es das zuletzt gegeben?
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Es ist doch irre, das nicht zur Kenntnis nehmen. Was sind Sie denn für eine Opposition?
Also, nehmen Sie Druck raus für die Studierenden, um ihnen ein Studium zu ermöglichen. Und häufig scheitert das Studium –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– am Studienstart, und wenn Sie sich auf die Bedarfsätze – –
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– Mein Gott, sind Sie aufgeregt. – Wir haben einfach eine Bundesregierung, die sich um die Studienfinanzierung in der Republik kümmert,
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und als Nächstes kommt die Studienstarthilfe und dann eine weitere, noch größere Studienstrukturreform.
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Das wird großartig, um für mehr Bildungsgerechtigkeit in diesem Land zu sorgen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich das Wort zum letzten Redebeitrag an Ye-One Rhie erteile, möchte ich Sie alle bitten, danach noch kurz sitzen zu bleiben. Aber jetzt kommt erst mal Ye-One Rhie für die SPD-Fraktion
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Studierende! Unsere geschätzte Kollegin Ria Schröder hat in ihrer Rede, glaube ich, sehr beeindruckend dargelegt, wie lange bereits und vor allem wie engagiert sie sich für die Studierenden und für ein besseres BAföG einsetzt, und das spricht für sie.
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Und Ihre unnötigen Seitenhiebe sprechen ebenfalls für sich und, so glaube ich, sagen mehr über Sie aus als über Ria Schröder.
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Vor fünf Monaten haben wir endlich einen wichtigen Schritt zur Verbesserung des BAföG gemacht. Wir haben die Beitragssätze angehoben, wir haben den Zugang erweitert, und wir haben die unnötige Bürokratie aus dem Antrag genommen, endlich. Dieses „endlich“ sage ich ganz besonders deutlich in Richtung der Union. Denn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben die Studierenden in der letzten Wahlperiode komplett alleine gelassen. Ihre Bildungsministerin hat in der Coronapandemie verhindert, dass das BAföG unbürokratischer wird.
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– Wo waren wir? Wir wollten das BAföG schon damals öffnen, Sie waren dagegen, und ohne uns hätten Sie gar nichts gemacht.
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Stattdessen haben Sie dafür gesorgt, dass Studierende sich verschulden mussten, um überhaupt durch ihr Studium zu kommen.
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Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, so richtig enttäuscht haben Sie mich im Juni. Da haben Sie gemeinsam mit der AfD gegen unsere Verbesserungen im BAföG gestimmt, die schon so lange überfällig waren.
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Und weil Sie gerade die ganze Zeit sagen, wir wären dabei gewesen: Ohne uns hätten Sie gar nichts gemacht. Wir haben das beschlossen, was möglich war; denn mehr war mit Ihnen ja nicht drin.
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Und deswegen können Sie sich nach diesem Juni gar nicht mehr herausreden. Sie haben ganz offensichtlich kein Interesse daran, die Studierenden zu entlasten und ihnen bei der Finanzierung ihres Studiums zu helfen.
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Und soziale Politik, gerade auch für die jungen Menschen, das geht anscheinend nur links von der Union und nur mit der Ampel.
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Jetzt verbessern wir das BAföG noch einmal. Wir reagieren auf die aktuelle Situation und auf die Schwierigkeiten, die diese für Studierende bedeutet.
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Wir haben aus der Pandemie gelernt. Wir wollen in Notlagen flexibler und schneller reagieren können; denn für Studierende kann jede Krise schnell zur Existenzfrage werden.
In dieser Situation machen Sie sich anscheinend am meisten Sorgen darüber, dass zu viele Menschen zu sehr entlastet werden. Wir, die Ampel, stecken unsere Kraft und unsere Ideen lieber in konkrete Entlastungen für so viele Menschen wie möglich, und das heißt für Studierende ganz konkret: Vom Heizkostenzuschuss haben auch BAföG-Empfängerinnen und -Empfänger profitiert, von der Energiepauschale auch die vielen Studierenden mit Nebenjobs.
Jetzt legen wir nach mit einem Energiegeld, das alle Studierenden erreicht und ihnen das Leben erleichtert, und wir legen nach mit diesem Gesetzentwurf. In Zukunft können wir den Kreis der BAföG-Berechtigten auch kurzfristig ausweiten. Mehr Studierende werden im BAföG finanziell abgesichert. Sie fallen nicht wie bisher unter den Tisch.
Liebe Union, ich habe heute sehr genau zugehört und auch in den letzten Wochen sehr viele Debatten im Plenum angehört. Dabei ist mir eine Sache aufgefallen: Eigentlich sind Sie also für gar nichts verantwortlich. Sie wollen nicht, dass wir ständig über die letzten 16 Jahre reden. Ihre Reaktion auf die Zahl 16 ist fast schon allergisch.
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Aber es ist doch so. Sie waren die letzten 16 Jahre in Verantwortung.
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Sie haben die Kanzlerin gestellt, Sie haben die Bildungsministerin gestellt, und dass Sie das nach noch nicht einmal einem Jahr Opposition vergessen und verdrängen wollen und dasselbe dann von allen anderen verlangen, das ist doch befremdlich.
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Und ganz ehrlich, wenn ich ganz lange darüber nachdenke, dann verstehe ich sogar, dass Sie es verdrängen wollen. Gleichzeitig sagen Sie dann immer: Das waren wir, das haben wir gemacht. – Also, können Sie sich bitte mal entscheiden?
Während Sie diese politische Identitätsfrage in den nächsten Monaten klären,
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handelt die Ampel. Wir lassen die Studierenden nicht länger im Regen stehen, jetzt nicht und auch in kommenden Krisen nicht, und darauf sind wir stolz.
Vielen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will es offen sagen: Es fällt mir natürlich schwer, nach dieser sehr traurigen Nachricht einfach mit meiner Rede weiterzumachen. Ich will am Anfang mein Beileid zu diesem schweren Verlust ausdrücken.
Wer dieser Tage Post von seinem Energieversorger bekommt, der muss oft starke Nerven haben. Ein Kraftfahrer aus Niedersachsen berichtet in einer Zeitung, dass sein Abschlag von 480 Euro auf 1 050 Euro im Monat gestiegen ist. Eine Rentnerin aus Leipzig soll statt bisher 230 Euro jetzt 1 430 Euro monatlich zahlen. Der Preis für Gas bei Neuverträgen ist heute siebenmal so hoch wie im Vorjahr. Aber auch Bestandskunden erleben satte Preissteigerungen. Fakt ist: Millionen Menschen in unserem Land können ihre Energierechnungen nicht mehr bezahlen. Darum ist es dringend notwendig, jetzt entschlossen zu handeln.
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Die Bundesregierung kündigt eine Strompreisbremse an. Wann kommt sie? Wie wird sie konkret aussehen? Man weiß es nicht. Klar ist aber jetzt schon: Selbst wenn sie irgendwann kommt, wird sie die Probleme nicht lösen, sondern bestenfalls leicht abmildern. Wir brauchen sofort einen wirksamen Preisdeckel für Strom und für Gas für die gesamten Heizkosten.
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Dieser Preisdeckel muss sowohl die Verbraucherinnen und Verbraucher als auch die kleinen und mittleren Unternehmen schützen. Es ist dringend notwendig, in diesen wahnsinnig gewordenen Energiemarkt entschlossen einzugreifen, Klein-Klein reicht einfach nicht.
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Selbstverständlich muss ein Preisdeckel damit einhergehen, dass auch ein Schutzschirm gespannt wird über die Stadtwerke und die anderen Energieversorger, die aufgrund der gestiegenen Preise in ernsthafte Schwierigkeiten geraten. Bereits heute warnen Stadtwerke eindringlich davor, dass Insolvenzen drohen. Auch hier braucht es also ein entschlossenes Handeln.
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Was auch sofort geschehen muss, und zwar wirklich sofort: Es muss gesetzlich verboten werden, dass den Menschen, die ihre Energiekosten nicht mehr bezahlen können, der Strom oder das Gas in ihrer Wohnung abgeschaltet werden darf; denn die Konsequenzen daraus sind verheerend:
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Man kann nicht mehr lesen, duschen, Wäsche waschen, kochen, telefonieren; kein Radio mehr, kein Fernseher, kein Computer. Die Wohnung ist kalt und dunkel; die Lebensmittel im Kühl- und Gefrierschrank verschimmeln. Es hat schon Fälle gegeben, in denen Betroffene an CO2-Vergiftung gestorben sind, weil sie versucht haben, sich in ihrer kalten Wohnung auf einem Holzkohlegrill etwas Warmes zu essen zu machen. Das alles zeigt ganz klar: Strom- und Gassperren sind menschenverachtend. Diese Praxis muss beendet werden!
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In den letzten Jahren waren es 300 000 bis 400 000 Haushalte pro Jahr, die davon betroffen waren. In diesem Winter werden es viel mehr sein, wenn Sie nicht handeln. Die Aktionäre von EON durften sich im Mai über 1,2 Milliarden Euro an Dividenden freuen. Da soll es ihnen nicht zumutbar sein, Menschen in finanzieller Not weiter mit Strom und Gas zu versorgen? Das ist doch lächerlich.
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Sie haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Vergangenheit unsere Anträge dazu in diesem Hause immer abgelehnt. Es ist Zeit, jetzt zur Vernunft zu kommen. Folgen Sie unseren Anträgen. Alles andere ist unverantwortlich.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist für die SPD-Fraktion Takis Mehmet Ali.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben erkannt, dass Russland kein verlässlicher Partner ist. Russland greift in die Marktwirtschaft in seinem eigenen Land ein und verursacht exogene Schocks in der Außenwirtschaftspolitik. Das wiederum führt natürlich zu wirtschaftspolitischen Spannungen in unserem Land. Wir sehen aber auch, dass Russland selbst ordnungspolitische Rahmenbedingungen nutzt, um diese negativen exogenen Schocks auszuführen. Deshalb sind wir auch verpflichtet, ordnungspolitisch einzugreifen, und das insoweit, als wir jeden einzelnen Rahmen dafür ausnutzen müssen.
Aber was bedeutet das letztendlich? Wir können in das Marktgeschehen eingreifen; aber ich warne davor, alle Elemente, alle Möglichkeiten und alle Instrumente sofort zu nutzen. Da gehen wir ja auch vorsichtig ran.
Ich kann mich an eine Rede von mir vor der Sommerpause erinnern, als es um den Tankrabatt ging.
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– Ja, Sie hören auch nie zu. Damals haben wir darüber diskutiert, ob der Tankrabatt letztendlich bei den Leuten ankommt. Ich habe zu dem Zeitpunkt schon gesagt: Wir müssen darauf achten, dass der Tankrabatt auch bei den Menschen ankommt. Wir brauchen eine Höchstpreisregelung. – Das habe ich schon vor der Sommerpause gefordert. Wir haben an den Tanksäulen gesehen, dass der Rabatt eben nicht bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern angekommen ist.
Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt einen Strompreisdeckel einführen und darüber diskutieren, ob wir gegebenenfalls auch einen Gaspreisdeckel brauchen. Ich bin dem Bundesfinanzminister Christian Lindner dankbar, dass er sich jetzt darum kümmert und dass wir diesen Deckel gegebenenfalls auch hier in Deutschland bekommen, meine Damen und Herren.
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Aber bevor wir solch einen Schritt wagen, müssen wir darüber diskutieren, was denn die Alternativen wären, wenn wir keine Höchstpreisregelung einführen würden. Der Staat kann die Unternehmen subventionieren, damit durch diese Subventionen die Preise sinken. Wir haben aber beim Tankrabatt gesehen: Es hat nicht geklappt. Oder der Staat hilft durch Transferzahlungen an die privaten Haushalte. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich sage Ihnen eins: Wir werden sogar beides machen. Wir werden auf der einen Seite Höchstpreisregelungen einführen und auf der anderen Seite die privaten Haushalte mit enorm hohen privaten Transferzahlungen unterstützen.
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Wie werden wir das machen? Wir werden unter anderem die größte Wohngeldreform voranbringen. Dabei werden wir den Heizkostenzuschuss erhöhen; aber viel wichtiger ist es, dass wir den leistungsberechtigten Personenkreis erweitern. Ich muss hier die Menschen, die sich vielleicht nicht trauen, ganz klar und eindeutig ermutigen, zu den Wohngeldstellen zu gehen, um dort die Leistungen zu beantragen. Ganz ehrlich: Rudi, du hast dafür eingezahlt, du hast einen Leistungsanspruch darauf. Nimm das, das haben wir für dich gemacht. – Das muss die klare Botschaft sein, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Und das war es noch nicht. Wir wollen auch die Mieterinnen und Mieter davor schützen, dass ihnen gekündigt wird, falls sie die Nebenkostenabrechnung am Ende des Jahres nicht zahlen können. Dafür werden wir den Mieterschutz stärken müssen. Und wir helfen nicht nur in dem Bereich. Wir werden durch das einzuführende Bürgergeld auch die Rechte derer stärken, die Arbeitslosengeld und Sozialhilfe beziehen.
Ich glaube, dass wir in diesem Zusammenhang noch einen weiteren wichtigen Aspekt diskutieren müssen. Dazu möchte ich Altbundeskanzler Willy Brandt zitieren: „Wir wollen eine Gesellschaft, die mehr Freiheit bietet und mehr Mitverantwortung fordert.“ Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich sage Ihnen, was es bedeutet, mehr Mitverantwortung zu fordern. Wir haben den Krieg in der Ukraine mit den außenwirtschaftlichen exogenen Schocks, die ich erwähnt habe. Wir haben Inflation. Wir haben Pandemie. Ich frage mich: Wann sollen wir denn sonst die Debatte eröffnen und auch einmal über eine umfassende Umverteilungspolitik sprechen?
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Es ist jetzt an der Zeit, den Vermögenden in diesem Land zu erklären, dass sie auch ein Interesse daran haben müssen, dass wir eine funktionierende Bildungsstruktur haben, dass die Krankenhäuser funktionieren, dass die Altenpflegeeinrichtungen versorgt sind, dass die Einrichtungen der Eingliederungshilfe versorgt sind.
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Am sozialen Frieden haben wir doch alle ein Interesse. Deshalb müssen wir hier klipp und klar sagen: Wir brauchen eine umfassende Umverteilungsdebatte in diesem Land! Jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür.
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– Wissen Sie, wenn Sie sich ein bisschen um die Sorgen der Menschen in diesem Land kümmern würden – –
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– Zum Glück machen wir das. Zum Glück haben wir einen sozialdemokratischen Bundeskanzler
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und überlassen dieses Land nicht den Rechten und den Extremisten, wie Sie es sind.
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Eigentlich ist Ihre Zeit schon länger abgelaufen in diesem Land.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie merken ja, wie sich der rechte Rand darüber aufregt,
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weil wir die Politik machen, die die Menschen in diesem Land benötigen.
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Deshalb halten wir an unserem Kurs fest. Ich bin dankbar, dass wir in dieser Ampelkoalition die wichtigsten Schritte voranbringen. Während Sie schwätzen, handeln wir.
Vielen Dank.
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Als Nächstes erhält das Wort Anne König für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn sich die Energie in unserem Land nahezu im Wochentakt verteuert, stürzt das sehr viele Menschen in ernste Bedrängnis. Immer mehr Menschen wissen immer weniger, wie sie ihre Energiekosten bezahlen sollen. Das gilt für Arbeitnehmer mit kleinem und mittlerem Einkommen. Das gilt für Rentner, Studenten, Auszubildende und für immer mehr Unternehmerinnen und Unternehmer in diesem Land, deren Gewinne längst von den Energiekosten aufgezehrt wurden und die jetzt von der Substanz leben. Es wäre schön, wenn die Ampelregierung die dramatische Entwicklung in diesem Land nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern sie auch zur Grundlage ihrer Politik macht.
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Es bleibt insbesondere für energieintensive Unternehmen keine Zeit mehr. Aus Expertenkommissionen und Prüfaufträgen der Bundesregierung können Unternehmen keine Energie generieren. Die Konsequenz ist, dass Investitionen zurückgestellt, Produktionen heruntergefahren und zum Teil ins Ausland verlagert werden. Die Politik der Ampel kostet Arbeitsplätze, ruft Existenzängste hervor und verspielt Vertrauen. Dabei erwarten wir von der Ampelregierung natürlich nicht, dass sie die kriegsbedingten Ursachen dieser Energiekrise beseitigt. Aber wir erwarten vom Bundeskanzler und von jedem einzelnen Minister, dass sie das tun, was nach dem Grundgesetz ihr Auftrag ist, nämlich Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.
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Dieser Aufgabe werden Sie aktuell von Tag zu Tag weniger gerecht. Weder bei der Unterstützung der Nachfrageseite noch bei der Stärkung der Angebotsseite unserer Energieversorgung gelingt Ihnen eine schlüssige und in sich stimmige Politik. Man muss das noch einmal ganz deutlich sagen: Diese Regierung ist die einzige, die den Gaspreis noch zusätzlich verteuert, und zwar durch eine politisch angeordnete Gasumlage. Und diese Regierung bleibt weitestgehend untätig, wenn es um die Vermehrung des Stromangebots geht. Dabei würde ein größeres Stromangebot nicht nur unsere Energieversorgung sicherer machen, sondern sie würde auch die Preise reduzieren.
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Erst zwei Kohlekraftwerke sind bis jetzt zusätzlich am Netz, und diese Regierung plant nach wie vor allen Ernstes auf dem Höhepunkt der Energieknappheit, Ende Dezember die drei noch aktiven Kernkraftwerke vom Netz zu nehmen und nur zwei davon in eine teure und nutzlose Reserve aufzunehmen.
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Man muss sich das einmal vor Augen führen: Die halb zerstörte Ukraine liefert ihren Kernenergiestrom in die EU, und die deutsche Regierung ist nicht bereit, über ihren Kernenergieschatten zu springen.
Und selbst da, wo Sie Menschen finanziell entlasten wollen, schaffen Sie entweder bürokratische Ungetüme oder provozieren neue Ungerechtigkeiten, siehe Energiepauschale für alle, egal ob Arm oder Reich. Das alles zeigt erneut: Gerade für die Grünen stehen Parteitagsbeschlüsse leider über dem Artikel 56 unseres Grundgesetzes. So lässt sich Deutschland eben nicht gut und sicher durch die schwerste Energiekrise dieser Bundesrepublik führen.
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Ich komme nun zum Antrag der Linken. Ihre Idee geht vom Prinzip her in die richtige Richtung. Aber über die konkrete Ausgestaltung und für wen was unter welchen Voraussetzungen gelten soll, sagen Sie leider gar nichts. Außerdem nennen Sie auch keinen Zeitraum. So liest es sich in Ihrem Antrag wie eine Flatrate für alle für immer, und das ist eben auch keine seriöse Antwort. Es kann ja seriöserweise nur um diejenigen gehen, die ihre jetzt entstandenen Mehrkosten nicht bezahlen können. Selbst in Krisenzeiten sind eigenverschuldete Gassperren im Einzelfall nicht auszuschließen. Solche Regelungen müssen nicht nur gut überlegt, sie müssen auch gut gemacht sein. Davon sehen wir in Ihren Anträgen leider nichts. Daher lehnen wir Ihre Anträge auch ab.
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Ich will aber die Anträge der Linken gern zum Anlass nehmen, Sie nochmals an die dringenden Forderungen der Union zu erinnern. Das, was wir jetzt nämlich garantiert nicht brauchen können, ist eine Augen-zu-und-durch-Mentalität. Seit März unterbreitet die Union konstruktive Vorschläge für strukturelle Lösungen, die langfristig helfen, statt sich nur von Ast zu Ast zu hangeln. Wir fordern Sie weiterhin auf: Erhöhen Sie die Angebotsseite! Nutzen Sie alle Potenziale, auch im Bereich Biogas, Kernenergie und Kohle! Senken Sie die Strompreise, beispielsweise durch einen Basispreis beim Gasgrundbedarf! Das wäre eine Entlastung und zugleich ein Anreiz zum Energiesparen; das haben wir gestern in der Anhörung von mehreren Sachverständigen bestätigt bekommen. Senken Sie endlich die Steuern auf Strom, Gas und Fernwärme! Und: Nehmen Sie Ihren Mut zusammen und schaffen Sie diese Gasumlage ab!
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Meine Damen und Herren der Bundesregierung, Ihr zögerliches Handeln trägt dazu bei, dass die mit den leichten Antworten sich jetzt aufspielen können. Lassen Sie denen keinen Raum, sondern sorgen Sie endlich für spürbare und nachhaltige Entlastungen für Wirtschaft und Privatleute in unserem Land!
Vielen Dank.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Linksfraktion! „Für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sind die hohen Strom- und Gaspreise eine hohe Belastung.“ Das ist der erste Satz in Ihrem Antrag. Ich glaube, in dieser Feststellung sind wir uns alle einig. Auch im Ziel Ihres Antrages sind wir uns einig. Ja, auch wir wollen vermeiden, dass Menschen Strom, Wärme und möglicherweise auch Wasser abgestellt werden. Denn häufig ist leider genau das der erste Schritt in die Wohnungslosigkeit, und das gilt es zu verhindern.
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Deshalb hat die Ministerin im Ausschuss schon erläutert, dass auch wir diese Sperren auf jeden Fall verhindern wollen. Ich finde es ziemlich schade, dass Sie im Rest Ihres Antrages leider ziemlich populistisch und plump argumentieren
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und keine konstruktiven Vorschläge machen, wie das in der Praxis wirklich vernünftig funktionieren kann. Denn wie geht es konkret?
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– Darauf will ich gerade kommen.
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Ich möchte einmal auf meine Heimatstadt Hamburg verweisen, die klug und vorausschauend seit 2019 einen runden Tisch zur Verhinderung von Gas- und Energiesperren eingerichtet hat.
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Angedockt an die Behörde für Umwelt und Energie werden dort seitdem Maßnahmen erarbeitet, um drohende Energiesperren frühzeitig zu erkennen und die Menschen in Hilfe zu vermitteln. Denn wir wollen nicht, dass sie sich dauerhaft verschulden – damit ist das Problem auch nicht gelöst –, sondern wir wollen, dass ihnen wirklich geholfen wird.
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Jüngst hat der runde Tisch beschlossen, dass in Hamburg ein Härtefallfonds aus Geldern von der Stadt eingerichtet wird. Es wird momentan geprüft, ob Gelder von den Energieversorgern dazukommen können. Über solch einen Härtefallfonds kann dann auch die Härtefallprüfung erfolgen, um herauszufinden, wer von den Menschen am Existenzminimum lebt; denn wir reden hier genau über die Gruppe, die am Existenzminimum lebt, aber eben nicht im Leistungsbezug ist. Diese Gruppe müssen wir identifizieren und gezielt in den Blick nehmen und genau dieser Gruppe auch helfen.
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Ich glaube, es sind noch andere Optionen denkbar. Wir könnten auch schauen, ob die Jobcenter am Ende diejenigen sind, die den Anspruch überprüfen. Wir als Koalition sind gerade in der Prüfung, wie die Umsetzung konkret und möglichst unbürokratisch funktionieren kann. Ihr Antrag liefert hier leider keine konstruktiven Vorschläge. Deshalb lehnen wir ihn leider heute auch ab, obwohl wir uns im Ziel einig sind.
Vielen Dank.
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Nächster Redner in dieser Debatte ist Marc Bernhard für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist so weit: Im angeblich reichsten Land der EU gehen die Lichter aus, und zwar nicht nur Unter den Linden, wo nachts die Prachtallee Berlins nur noch im Notmodus vor sich hin dunkelt, sondern auch in öffentlichen Gebäuden, wo künftig bei fließend Kaltwasser und maximal 19 Grad staatlich verordnete Kneippkuren direkt am Arbeitsplatz durchgeführt werden. Es wird bis ins Badezimmer durchregiert mit täglichen Durchhalteparolen wie „Waschlappen statt Dusche“ und „Frieren für den Frieden“.
Im angeblich reichsten Land der EU zündet Wirtschaftsminister Habeck die Alarmstufe 2 des Notfallplans Gas – als einziges Land in Europa, nur in Deutschland. Jährlich wird Abertausenden Menschen das Gas und sogar 1 Million Menschen der Strom abgestellt – im angeblich reichsten Land der EU. Die Energiekosten sind so hoch, dass die Bäcker zwar nicht insolvent sind, Herr Habeck – er ist leider nicht da –, nein, sie haben nur aufgehört, zu backen. Im Land, in dem die saubersten Kohlekraftwerke und die sichersten Kernkraftwerke der Welt entwickelt und gebaut wurden, herrscht Strommangel.
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Zerstörung von Existenzen, Wohlstandsverlust, Arbeitslosigkeit, Insolvenzen und der Notfallplan Gas fallen nicht vom Himmel, sondern sind das direkte Ergebnis der verantwortungslosen Regierungspolitik der letzten zehn Jahre.
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Hätte die Regierung die 17 Kernkraftwerke, die wir in 2011 in Betrieb hatten, nicht abgeschaltet, würden wir heute überhaupt gar kein Gas aus Russland für die Stromerzeugung benötigen.
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Und die Strompreise wären, wie in unseren Nachbarländern, nur halb so hoch.
Es ist nicht Unfähigkeit, sondern Absicht, was die grüne Ampelregierung bei ihrer Energiepolitik leitet.
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So setzt die Regierung zur Erreichung ihrer unrealistischen Klimaziele auf eine massive Verteuerung der Energiepreise, wie eindeutig aus den Klimasofortprogrammen der Regierung hervorgeht; denn diese gehen ganz klar davon aus, dass die Klimaziele der Regierung nur durch eine massive Erhöhung der Energiepreise überhaupt irgendwie erreichbar sind.
Die grüne Deindustrialisierung hat bereits begonnen, und die erste Insolvenzwelle bricht über uns herein, falls Sie es noch nicht gemerkt haben. Uniper wurde gestern verstaatlicht. Das Traditionsunternehmen Hakle ist insolvent. Der Porzellanhersteller Eschenbach stellt seine Produktion ein. Der Automobilzulieferer Kostal Solar Electric schließt die deutschen Standorte und verlagert sie – wen wundert’s? – nach Ungarn. Der Chipzulieferer Hellma wandert nach Schweden ab. Südzucker beschließt Notfallpläne, und beim größten deutschen Ammoniakproduzenten SKW steht die Produktion still. Tausende von Arbeitsplätzen sind durch Sie, durch Ihre Politik bereits vernichtet worden, und Millionen Arbeitsplätze sind gefährdet.
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Laut Sparkassenverband können sich 60 Prozent der Menschen keinen einzigen Cent mehr für die zu erwartende Energienachzahlung im Januar zurücklegen. Das bedeutet, dass die Existenz von Millionen von Menschen im angeblich reichsten Land der EU gefährdet ist. Die Menschen haben ein Recht auf sichere und bezahlbare Energie. Senken Sie die Mehrwertsteuer für Energie auf null! Lassen Sie die Kernkraftwerke weiterlaufen!
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Streichen Sie die Gasumlage, und stoppen Sie endlich den grünen Feldzug gegen das eigene Volk!
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Nächster Redner: Konrad Stockmeier für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich darf zunächst den Angehörigen und Freunden von Rainer Keller meine aufrichtige Anteilnahme an diesem traurigen Tag aussprechen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linken, Sie haben einen Antrag vorgelegt, der nach Aufklärung schreit. Deswegen möchte ich zu Beginn Voltaire mit dem schönen Satz zitieren:
Ein Doktor ist ein Mann, der Drogen verordnet, von denen er wenig weiß, und diese einem Organismus gibt, von dem er noch weniger kennt.
Jetzt dürfen Sie dreimal raten, an wen ich bei diesem Satz gedacht habe: nicht an die Ärztinnen und Ärzte, die in deutschen Praxen und Kliniken hervorragende Arbeit leisten,
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sondern an die Autorinnen und Autoren dieses Antrages; denn sie wollen eine Medizin verabreichen aufgrund einer völlig falschen Diagnose und werden damit das Problem auch nicht lösen.
Ich zitiere aus Ihrem Antrag:
Das Vorhandensein von Erdgas und Strom allein reicht nicht aus, wenn es nicht mehr finanzierbar ist.
Die Existenz der explodierenden Preise kann in diesen Zeiten schlechterdings niemand negieren. Aber worum Sie sich in Ihrem Antrag mit keiner einzigen Silbe kümmern, ist das – ausreichende – Vorhandensein von Erdgas und Strom, mit dem das Problem ja gelöst wäre. Geben Sie irgendwelche Hinweise dazu, wie das Angebot ausgeweitet werden könnte oder wo wir an der einen oder anderen Stelle die Nachfrage effizient zurückfahren können? Nein, völlige Fehlanzeige. Es besteht hoher Handlungsbedarf; das ist unbestritten. Aber die Lösungen, die wir brauchen, sind unendlich komplexer als das, was Sie vorschlagen.
Es ist einigermaßen paradox: Wenn man in Ihren Antrag hineinschaut, dann stellt man fest, dass Sie quasi einen pauschalen Preisdeckel bei allen kleineren und mittleren Unternehmen und bei Privathaushalten vorschlagen. Eigentlich hätte ich erwartet, dass Sie einer solchen Umverteilung von unten nach oben, die so eine Pauschale impliziert, eigentlich ein Widerwort in den Raum stellen würden – keine einzige Silbe dazu. Also, was Sie vorschlagen, ist eine Pauschalisierung, die der unterschiedlichen Betroffenheit in Betrieben und Haushalten von diesen hohen Energiepreisen überhaupt nicht gerecht wird. Sie nehmen nicht einmal die Rolle wahr, die Sie in diesem Hause eigentlich so gerne wahrnehmen.
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Das Vereinigte Königreich schlägt jetzt eine ähnliche Lösung vor, wie Sie sie ins Auge fassen, und das wird das Vereinigte Königreich nach ersten Schätzungen ungefähr 100 Milliarden bis 140 Milliarden Pfund kosten. Damit lädt sich dieses Land eine Zukunftshypothek in Form hoher Staatsschulden auf, die es strangulieren wird,
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um beispielsweise Energiewenden so voranzutreiben, dass das Elektrizitätsangebot wieder ausgeweitet wird. Wo sind Sie eigentlich unterwegs? Mit anderen Worten: Wir brauchen wesentlich komplexere Lösungen, als Sie sie in Ihrem Antrag vorlegen.
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Wir Freien Demokraten erwarten vom Wirtschafts- und Energieminister Habeck, dass er jetzt mit Hochdruck daran arbeitet. Wir treten auch explizit für eine Ausweitung des Stromangebotes mit allen verfügbaren Kapazitäten und Reserven ein.
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Bezüglich Energieeffizienz hätte ich eine herzliche Bitte an Sie: Allein dieser Raum hier muss auch zu abendlicher Stunde beleuchtet und beheizt werden. Wenn wir effizient mit Energie umgehen wollen, dann hätte ich die dringende Bitte, dass wir uns mit sinnvolleren Anträgen beschäftigen als mit solchem Zeug, das Sie hier vorlegen.
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Besten Dank.
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Es folgt Markus Hümpfer für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie alle kennen die aktuelle Preisentwicklung bei Strom und Gas. Die Frage ist: Wie sollen die Menschen das bezahlen?
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Es gibt noch eine zweite Frage: Wie sollen unsere Stadtwerke das eigentlich bezahlen? Das sind alles keine großen Ölmultis mit einem Geldspeicher im Keller. Das sind öffentliche Unternehmen.
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Sie gewährleisten unsere Energieversorgung vor Ort. Sie stecken ihre Gewinne in Schwimmbäder, in Ladeinfrastruktur und Nahverkehr. Also, was passiert eigentlich, wenn diese Stadtwerke pleitegehen? Eines der Stadtwerke, ein großes in Nordrhein-Westfalen, sagte wortwörtlich zu mir: Wir haben Angst vor dem, was da auf uns zukommt. Wir übernehmen gerade die Aufgabe eines Sozialamtes.
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Meine Damen und Herren, egal welcher Eindruck durch die Republik geistert: Die Stadtwerke drehen nicht einfach den Hahn zu, weil ihnen jemand 120 Euro schuldet. Damit haben Sie, werte Kolleginnen und Kollegen der Linken, ein ziemlich falsches Bild von der Wirklichkeit.
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Denn das Gegenteil ist der Fall. Das Stadtwerk, von dem ich spreche, hat 1 Million Euro aus Eigenmitteln für einen Härtefallfonds zur Verfügung gestellt,
einen Fonds, der Strom- und Gassperren verhindern soll, einen Fonds, der gleichzeitig auch die Zahlungsun- – Zahlungsfähigkeit des Unternehmens sichert.
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Damit zurück zu meiner Frage: Was passiert, wenn die Stadtwerke pleitegehen?
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– Ich habe keine Zeit, mich um Sie zu kümmern. Sie haben hier sowieso viel zu viel Aufmerksamkeit.
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Damit zu meiner Frage: Was passiert, wenn die Stadtwerke pleitegehen? Dann erschüttert ein Beben das Land. Wir werden einen Tsunami, eine Katastrophe erleben. Denn dann geht es nicht mehr um Schwimmbäder und Ladesäulen, sondern dann werden Lieferungen eingestellt, Logistik wird unterbrochen, die Versorgung gerät in Gefahr. Das bedeutet mitten im Winter nicht nur eine Gesundheitsgefahr, wie Sie in Ihrem Antrag schreiben, nein, das gefährdet den sozialen Frieden in unserem Land. Das gefährdet unseren Wohlstand
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und damit alles, was wir in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut haben.
Es gibt viele da draußen an ihren Bildschirmen, vor ihren Zeitungen, die den Jahrhundertwinter 1978 miterlebt haben, die wissen, wie es ist, ohne Strom, ohne Gas bei einem tagelangen Schneesturm ausharren zu müssen, die wissen, dass das nur im ersten Moment romantisch ist.
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Aber dann wird es schnell unschön, dramatisch, lebensgefährlich. Auch wenn ich damals nicht dabei war: Ich will nicht, dass sich so eine Situation jemals wieder wiederholt.
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Da fällt Ihnen tatsächlich nichts Besseres ein, als die Versorger zu gefährden.
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Mit Ihrem Antrag treten Sie das Beben, den Tsunami los. Mit diesem Antrag gefährden Sie Deutschland, stürzen Deutschland in eine Krise. Reicht Ihnen denn die Krise in Ihrer eigenen Partei nicht?
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– Darauf komme ich jetzt zu sprechen, und ich werde Ihnen sagen, was wir machen und warum Ihre Anträge nicht sinnvoll sind.
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Unsere Antwort ist ja nicht, dass wir die Menschen sehenden Auges in eine Gas- und Stromsperrenkrise rennen lassen. Nein, meine Damen und Herren, wir verhindern, dass die Leute überhaupt erst in so eine Situation kommen.
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Wir unterstützen die Haushalte mit Einmalzahlungen.
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Wir haben den Mindestlohn auf 12 Euro erhöht.
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Wir führen eine Strompreisbremse ein,
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auf den Basisverbrauch.
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– Ja, zeitnah. – Um nur einige Entlastungen zu nennen.
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Kurz gesagt: Wir, die Koalition, sorgen dafür, dass die Menschen ihre Rechnungen an die Stadtwerke bezahlen können.
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Weder die Leute in unserem Land noch die öffentlichen Energieversorger dürfen wir in dieser Lage alleinlassen,
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und deshalb lehnen wir Ihre Anträge auch ab.
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Für die CDU/CSU erhält das Wort Fabian Gramling.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wenn beim Gassparen alles gut geht und wir Glück mit dem Wetter haben, dann haben wir eine Chance, gut durch den Winter zu kommen.“ Das waren die Worte von Energieminister Habeck. Diese Worte kann man als ehrlich bezeichnen. Aber mit Blick auf die letzten sieben Monate wirkt es eher wie ein Schuldeingeständnis. Das Zögern und Zaudern der letzten Monate, Entscheidungen, die an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbeigehen: All das ist Sinnbild dieser Regierung.
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Sie haben ja gesagt: Machen ist wie wollen, nur krasser. – Dann machen Sie mal! Während die Gasverstromung – die Gasverstromung! – seit Wochen unter Volllast läuft, sind lediglich zwei Kohlekraftwerke in Deutschland ans Netz zurückgekehrt.
Die Ampel hat monatelang über Waschlappen und Duschtipps diskutiert.
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Dabei hätten wir es so machen können wie in Spanien. In Spanien wurde mit klaren Vorgaben bereits im Sommer viel Energie gespart. Wir haben das schon vor der Sommerpause gefordert.
Fast dankbar muss man in diesem Zusammenhang schon sein, dass beim Biogas der Deckel endlich angehoben werden soll. Nach monatelanger Diskussion hat man hier wertvolle Zeit ins Land laufen lassen.
Last, but not least: die letzten drei Kernkraftwerke. Zwei sollen in die Einsatzreserve. Das Kernkraftwerk in Emsland muss nach dem Willen der Ampel Ende des Jahres abgeschaltet werden. Und weil Niedersachsen laut der Regierung kein Stromproblem hat, soll dafür wenige Kilometer entfernt ein schwimmendes Ölkraftwerk in Betrieb genommen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist absurd!
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Liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampelfraktionen, ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Wir haben keine Zeit, auf die Wahl in Niedersachsen zu warten; wir haben auch keine Zeit, auf den Parteitag der Grünen zu warten. Handeln Sie endlich zum Wohl der Menschen in unserem Land! Wir als Unionsfraktion werden Sie konstruktiv dabei begleiten.
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Die Frage, wie wir durch den kommenden Winter kommen, treibt viele Menschen in Deutschland jeden Tag um. Ob genug Gas zu Hause ankommt, ob die Energierechnung von morgen überhaupt noch bezahlt werden kann, ob der Job sicher ist und wie lange der Arbeitgeber noch den Kostenexplosionen standhalten kann: Das sind die Fragen der Menschen in diesem Land; der Menschen, die jeden Morgen aufstehen, die arbeiten gehen und die unser Land am Laufen halten. Monatelang haben diese Menschen versucht, die hohe Inflation, die hohen Energiekosten aus eigener Kraft zu stemmen. Nun sind sie finanziell am Limit und brauchen deswegen dringend Entlastung.
Was macht die Regierung? Statt einen Gaspreisdeckel einzuziehen, greift der Wirtschaftsminister mit einer Gasumlage noch tiefer in die Tasche der Menschen. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Man belastet die Gaskunden mit einer Umlage und verkauft ihnen dann den verminderten Mehrwertsteuersatz als Entlastung, die es früher nicht gab.
Lieber Herr Minister Habeck, ein kleiner Tipp: Wenn Ihr Ministerium sich nicht mehr mit der sinnlosen Gasumlage beschäftigen würde, könnte das Haus endlich die versprochenen und dringend nötigen Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger und unseren Mittelstand zielgerichtet auf den Weg bringen. Denn neben wirkungsvollen Maßnahmen gegen hohe Strompreise braucht es einen Basispreis beim Gas, einen Gaspreisdeckel. Für den Grundbedarf bedeutet das nicht nur eine echte Erleichterung und Entlastung, sondern beinhaltet gleichzeitig auch einen Anreiz zum Energiesparen.
Deswegen noch einmal an den Energieminister: Hören Sie bitte auf, zu hoffen, dass alles irgendwie schon gutgehen wird. Das ist zu wenig für unser Land. Hören Sie auf, zu hoffen. Handeln Sie endlich konsequent! Schaffen Sie die Gasumlage ab! Lassen Sie alle verfügbaren Kraftwerke ans Netz, und greifen Sie mit einem Gaspreisdeckel der Mittelschicht und dem Mittelstand unter die Arme!
Vielen Dank.
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Als letzter Rednerin in dieser Aussprache erteile ich Hanna Steinmüller das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Zum Antrag der Linken wurde jetzt schon eine Menge gesagt, auch viele andere Dinge wild durcheinander. Aber ich glaube, so ist das oft zu später Stunde.
Ich komme auf die Verhinderung von Gas- und Stromsperren zurück. Das ist in Arbeit; da bin ich guter Dinge. Aber ich glaube, das darf nicht das einzige Instrument sein, um Mieterinnen und Mieter und Verbraucherinnen und Verbraucher zu entlasten.
Wir arbeiten an einer Wohngeldreform; das ist heute auch schon einmal angesprochen worden. Wir verdreifachen die Zahl der Berechtigten. Wir vereinfachen die Antragstellung. Wir machen einen einmaligen Heizkostenzuschuss und eine dauerhafte Heizkosten- und Klimakomponente. Davon profitieren etwa 2 Millionen Haushalte in ganz Deutschland. Das ist ein wichtiger Baustein.
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Was machen wir noch? Wir reformieren den CO2-Preis beim Wohnen. Momentan zahlen die Mieterinnen und Mieter diesen zu 100 Prozent. Das hat aus klimapolitischer Sicht überhaupt keine Lenkungswirkung, und es ist eine zusätzliche Belastung. Das werden wir verändern. Wir verteilen die Lasten fair zwischen Vermietenden und Mieter/-innen. Vor allen Dingen setzen wir Anreize für energetische Sanierung. Wir müssen uns an dieser Stelle einmal ehrlich machen: Je schlechter das Haus saniert ist, desto höher der Energiebedarf. Haben wir mehr energetisch sanierte Häuser, sind wir auch resilienter gegenüber den Preisen.
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Das sind wichtige kurzfristige Maßnahmen, aber wir sollen und müssen auch langfristig schauen. Machen wir uns ehrlich: Die hohen Preise sind nicht durch Wind und Sonne getrieben, sondern es sind fossile Energien, die momentan wahnsinnig teuer sind.
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Deswegen ist es eine kurzfristige Lösung – sie ist auch sinnvoll –, Strompreise zu deckeln. Aber wir müssen die Strompreise langfristig herunterbringen. Das können wir nur durch den Ausbau der erneuerbaren Energien.
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Um die Erneuerbaren zu entfesseln, haben wir vor der Sommerpause bereits ein großes Gesetzespaket beschlossen. Wir haben Gesetze zu Windenergie an Land und Windenergie auf See, eine Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und vieles mehr beschlossen.
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– Ich habe gerade über die kurzfristigen Maßnahmen gesprochen, und Sie haben mir immer noch nicht beantwortet, wie man mit einem AKW eine Wohnung heizt. Ich glaube, faktenfrei war Ihre Rede.
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Wir haben aber nicht nur vor der Sommerpause etwas für die erneuerbaren Energien getan, sondern wir legen noch nach. Heute Nachmittag hatten wir die erste Lesung zur Änderung des Energiesicherungsgesetzes, und damit werden wir kurzfristig alle Potenziale heben, um die erneuerbaren Energien auszubauen. Wir werden die Deckelung bei Solarenergie und Biomasse beenden. Wir schaffen das Runterregeln bei Wind an Land ab, und wir starten die Sonderausschreibung für die Solarenergie. Das sind alles wichtige Maßnahmen, damit wir Klimaschutz mit der Energiesicherheit und der Bezahlbarkeit zusammenbringen.
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Ein letzter Satz am Schluss, weil ich das Gefühl habe, die Debatten sind hier oft sehr selbstreferenziell – vielleicht ist das, wenn man 10 000 Euro verdient, ein bisschen anders –: Die steigenden Energiepreise sind ein Problem für viele Menschen. Ich glaube, das sollten wir uns alle bewusst machen. Aber mit Plattitüden kommen wir nicht weiter.
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– Das habe ich Ihnen gerade gesagt. Aber Sie haben mir nicht zugehört.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Wir handeln kurzfristig und langfristig.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit – und danke für Ihr Geschrei.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für einen Sozialdemokraten ist es aufgrund der Trauer kein einfacher Moment, jetzt zur Europäischen Bürgerinitiative zu reden, aber ich versuche es dennoch.
Mindestens 1 Million Unterschriften aus sieben Ländern in zwölf Monaten europaweit in Form einer Bürgerinitiative ist aus der Sicht Fantasieloser eine wahnwitzige Idee. Dass aber Europa das macht, diese Initiative auch noch in ihrer Form verbessert hat und wir das heute national umsetzen werden, zeigt, dass Europa Fantasie hat. Das ist eine sehr gute Nachricht für uns alle.
Wir erleben gegenwärtig mit all der Individualisierung und mit Social Media, dass es uns an so etwas wie demokratischer Öffentlichkeit fehlt. Dass Europa diese Fantasie beweist, dass das Europäische Parlament dies ausdrücklich gewollt hat, ist ein Zeichen der Stärke, die wir nur befürworten können. Jeder, der Europa will, ist aufgefordert, dem heute in dieser Form zuzustimmen.
Wir brauchen auch eine europäische Öffentlichkeit; denn wir vermissen oft dieses Bekenntnis und die Begeisterung für Europa. Heute war ein Tag, an dem man das begreifen konnte: Unser Kollege Axel Schäfer hat 20 Jahre Bundestagszugehörigkeit gefeiert. Es waren Abgeordnete aller demokratischen Fraktionen da,
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wofür ich noch mal ausdrücklich danken möchte; denn das war ein Ausdruck von Stärke. Wir halten zusammen, wenn es darauf ankommt, gerade wenn es um Europa geht.
Dieser Axel Schäfer beweist mit allem Ernst und mit dieser Begeisterung für Europa, was dieses Europa braucht. Im Grunde bräuchten wir eine Axel-Schäferisierung. Da das aber nicht möglich ist, müssen wir andere Instrumente nutzen. Dies ist eben neben vielen anderen auch die Europäische Bürgerinitiative. Sie wird einfacher gestaltet. Die Beteiligung wird verbessert, die Digitalisierung, die notwendig ist, um auch andere erreichen zu können, vereinfacht. Gleichzeitig werden die Missbrauchsmöglichkeiten, die man auch beachten muss, mit einem Bußgeld und einer entsprechenden Ordnungswidrigkeit als Tatbestand stärker ausgeschlossen.
Vor allem aber – das ist die angenehmste Nachricht in diesem Gesetzgebungsverfahren – ermöglichen wir endlich, dass Menschen ab 16 Jahren daran teilnehmen können. Das werden wir auch in Bezug auf das Europawahlrecht beschließen und künftig auch auf weiteres Wahlrecht. Diesen Umstand sollten wir wirklich mit Begeisterung angehen. Endlich können jüngere Menschen mitmachen, teilhaben. Genau das war, wenn wir ehrlich sind, in der letzten Legislatur mit der Großen Koalition das, was diesen Gesetzentwurf nicht möglich machte. Uns gelingt das jetzt. Wir brauchen diese jungen Menschen für unsere Demokratie, weil sie sich nämlich viel selbstverständlicher als diejenigen meiner Generation mit diesem Land identifizieren, viele Sprachen sprechen, sich mit Menschen aus anderen Ländern austauschen und überzeugt sind, dass nicht Populismus, sondern Partizipation und Gemeinschaft in Europa wirken. Das ist großartig, und ich freue mich, dass künftig viele 16-Jährige und 17-Jährige tatsächlich dabei mitmachen werden, dieses Europa zu verändern.
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Denn das bedeutet Partizipation: dass etwas anders wird und dass wir uns zu diesem Europa bekennen. Deshalb ist das eine sehr gute Entscheidung, die wir heute treffen werden.
Vielen Dank.
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Ich freue mich, Sie alle frisch und munter zu sehen. Das ist großartig. – Ralph Edelhäußer hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja allenthalben festzustellen, dass das politische Engagement unserer Jugend in den letzten Jahren zugenommen hat. Nicht zuletzt hat uns die Bewegung „Fridays for Future“ erleben lassen, wie entschlossen und vereint die junge Generation auf die Straße geht, um sich Gehör für ihre Anliegen zu verschaffen. Doch bleibt noch zu beweisen, ob auch die politische Urteilsfähigkeit von einem 16- und 17-Jährigen entsprechend gestiegen ist.
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Ich sage es frei heraus: Wir von der Union lehnen eine Absenkung des Mindestalters für die Europäische Bürgerinitiative auf 16 Jahre ab!
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Es gibt schließlich einen Grund dafür, warum junge Erwachsene mit 18 volljährig und damit auch voll geschäftsfähig sind. Und warum? Weil sie in der Regel in diesem Alter damit beschäftigt sind, Erfahrungen zu sammeln.
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Sie wollen lernen, sie wollen sich entfalten, und das ist auch ihr gutes Recht.
Ich will ja niemandem zu nahe treten, aber wenn man sich das Ganze ein bissel neutral anschaut, dann muss man sich fragen: Wie war das bei uns, als wir mit 16 oder 17 unterwegs waren? Da ist man doch ein gerüttelt Maß orientierungs- und vielleicht auch richtungslos.
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Schauen Sie mal in die Schulen. Wie schaut es denn bei den Zehntklässlern oder auch bei den Abiturienten aus? Die wissen doch noch gar nicht, wo es sie beruflich hin verschlagen wird.
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Die wissen nicht, ob sie jetzt das Abitur machen, ob sie ins Ausland gehen oder ob sie eine Ausbildung machen wollen. Ich werbe an der Stelle einmal für die Freiwilligendienste. Auch das wäre eine Möglichkeit, die man als 16‑Jähriger, 17‑Jähriger oder auch 18‑Jähriger hat.
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– Ja, das kann man, und es ist gar nicht schlecht, wenn man das macht, in die Junge Union einzutreten.
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Da sind viele Fragen, die den Jungen einfach in den Köpfen herumschwirren. Daher sollten wir ihnen einfach die Zeit und den Raum geben, sich über ihre Zukunftspläne Gedanken zu machen.
Machen wir uns nichts vor – das ist ja auch gerade vom Kollegen Helge Lindh gesagt worden –: Das ist für mich Salamitaktik. Erst kommt die Absenkung des Mindestalters auf 16 bei der EBI, dann bei den Europawahlen und dann natürlich auch bei den Bundestagswahlen. Das ist für mich nichts anderes als eine Salamitaktik, und da mache ich nicht mit.
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Diese Absenkung hat nämlich weitreichende Folgen. Dann müssen wir natürlich konsequenterweise auch sagen, dass Altersgrenzen in anderen Bereichen ebenfalls herabgesetzt werden müssen. Dazu gehören dann Kfz-Fahren ohne Begleitung, Konsumieren von hochprozentigem Alkohol und Tabakwaren, die volle Strafmündigkeit usw. Da frage ich Sie: Wollen wir das wirklich? Nein, das wollen wir eben nicht. Für mich gehört das zusammen – das Wahlrecht und die Volljährigkeit. Deswegen setzen wir das nicht herab, sondern lassen es, genauso wie viele andere Länder das auch handhaben. Es ist seit vielen Jahrzehnten bewährt, die Altersgrenze bei 18 zu belassen. Deswegen soll man daran auch nichts ändern.
Vielen herzlichen Dank.
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Leon Eckert hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Vorweg: Politische Teilhabe mit dem Konsum von hartem Alkohol zu vergleichen, das halte ich für mehr als schräg. Davon würde ich Abstand nehmen.
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Ich glaube vielmehr an die Innovationskraft und die Schaffenskraft der Gemeinschaft, von lebendiger Demokratie, wo jeder Ideen hat, wo wir gemeinsam daran feilen, etwas besser zu machen. Wie wirkungsmächtig das ist, das habe ich am eigenen Leib erfahren. Vor circa zehn Jahren saß ich als Besucher hinten in unseren Gemeinderatssitzungen. Da war unsere Verwaltung noch papierlos; es gab nämlich gar keine Unterlagen für Besucher. Da wollte ich, dass die Besucher wirklich mitbekommen, was dort verhandelt wird. Ich bin also in die Bürgerversammlung gegangen, habe mir eines der tollen Instrumente aus der bayerischen Gemeindeordnung genommen und habe einen Antrag in der Bürgerversammlung gestellt. Blöd nur: Ich war noch 17. Ich hatte kein Rede- und kein Antragsrecht. Vor Ort wusste auch keiner, wie man einen Bürgerantrag richtig abhandelt. Und dann ist der Antrag gescheitert. Ich musste mich erst in den Gemeinderat wählen lassen, um diesen Missstand zu beheben. Heute gibt es Unterlagen in unserer Gemeinde für alle Besucher und online, um mitzudiskutieren.
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Genau den gleichen Prozess gehen wir hier auch. Wir machen ein Instrument bekannter, und wir bauen Hürden ab, damit Menschen sich auf allen Ebenen noch mehr einbringen können, ihre Ideen noch mehr nach vorne bringen und noch mehr mitgestalten können. Denn durch sieben Leute können große Dinge passieren in Europa: Man kann eine Europäische Bürgerinitiative gründen und sie voranbringen.
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Wir wollen doch, dass jeder Mensch Einsatz zeigen und seine Meinung einbringen kann. Innovationen und Elan von unten – damit bringen wir unsere Gemeinschaft voran. Gerade deswegen ist die Absenkung des Partizipationsalters auf 16 der erste richtige Schritt. Doch ich frage ganz offen: Wieso braucht es überhaupt Altersgrenzen, wenn wir doch einen Bereich haben, wo es um Teilhabe geht, wo es darum geht, etwas voranzubringen, wo man wirklich etwas machen will, und gar nicht so sehr um verstaubte Rechte? Manchmal ist jemand schon mit 14 bereit, ein Anliegen voranzubringen, manchmal mit 17, und manchmal gibt es Leute, die ihr Leben lang nicht bereit sind, Verantwortung zu übernehmen oder richtig etwas voranzubringen.
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Ich fasse einmal zusammen: Wir sind bei diesem Thema so etwas wie die Vorgruppe der Initiativen zur Wahlalterabsenkung. Aber es ist genauso wichtig, auch bei der Europäischen Bürgerinitiative Partizipation zu stärken und sie weiter in die Breite zu bringen. Deswegen freue ich mich, dass wir das heute hier beschließen, und ich wünsche der Europäischen Bürgerinitiative, dass sie noch besser, noch bekannter und noch mehr angewandt wird.
Vielen Dank.
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Für die AfD hat Jochen Haug das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute das Änderungsgesetz zur Europäischen Bürgerinitiative, ein Instrument, mit dem Themen an die EU-Kommission herangetragen werden können, ohne dass die EU-Kommission daraufhin verpflichtet wäre, konkret tätig zu werden. Versteht sich. Dieser zahnlose Tiger soll der EU einen demokratischen Anstrich geben. Er ist jedoch nicht mehr als Demokratiesimulation in einer undemokratischen EU.
Wäre die EU ein Staat, der die Aufnahme in die EU beantragen würde, müsste der Antrag zurückgewiesen werden – aus Mangel an demokratischer Substanz.
Das sagte Martin Schulz, früher hier bei der SPD, damals noch Präsident des EU‑Parlaments. Herr Schulz hat es ganz richtig erkannt: Einem Parlament ohne Initiativrecht, einem Parlament mit eingeschränktem Haushaltsrecht, basierend auf einem Wahlrecht, das den Grundsatz der Wahlfreiheit verletzt, dem mangelt es in der Tat an demokratischer Substanz.
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Dazu kommen politische Diskussionen ohne eine gemeinsame Öffentlichkeit als Resonanzboden und eine Staatsmacht ohne einheitliches Staatsvolk. Das ist Herrschaft fast ohne Rechenschaft. Das ist der Traum eines jeden Technokraten. Auch eine Stärkung der Europäischen Bürgerinitiative würde nicht zu einer Lösung dieser Probleme beitragen. Im Gegenteil: Jede Stärkung der EU führt zu einer Schwächung der Nationalstaaten. Aber nur auf nationaler Ebene kann Demokratie ernsthaft gelebt werden. Was wir daher wirklich brauchen, ist die Einführung direkter Demokratie auf Bundesebene in Deutschland.
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Sehr geehrte Kollegen, wenn Sie direktdemokratische Elemente fördern wollen, dann fangen Sie doch hier damit an. Sagen Sie Ja zu Volksabstimmungen zu allen Fragen, die die nationale Souveränität betreffen. Sagen Sie Ja zu Volksabstimmungen bei Änderungen des Grundgesetzes. Sagen Sie Ja zu fakultativen Referenden, die den Bürgern die Möglichkeit geben, über vom Parlament beschlossene Gesetze eine Abstimmung herbeizuführen. Dieses Instrument hat sich speziell in der Schweiz absolut bewährt. Das sind alles Punkte, die wir seit Jahren fordern, denen Sie sich aber aus Angst vor dem Souverän, dem deutschen Volk, verweigern.
Wir als AfD wollen nicht, dass Deutschland aus Brüssel regiert wird, und wir halten daher ausländische Bürgerbegehren mit Wirkung über die Kommission auf Deutschland für grundsätzlich falsch. Deshalb lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab.
Danke schön.
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Nils Gründer hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. Er spricht zum ersten Mal in diesem Haus, und wir freuen uns darauf.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Monatelang stellten sich junge Menschen jeden Freitag auf die Straße; sie wollten sich Gehör verschaffen, auf das Thema Klimaschutz hinweisen. Oder sie gingen auf die Straße, um beim CSD für eine bunte und offene Gesellschaft einzustehen. Und doch finden sie oft zu wenig Beachtung. Warum sollten wir ihnen nicht mehr politische Teilhabe ermöglichen?
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Heute Abend diskutieren wir über die Reform der Europäischen Bürgerinitiative und damit über eine Möglichkeit, unsere europäische Demokratie offener, digitaler und effizienter zu gestalten. Der erste Blick verleitet vielleicht zu dem Gedanken, das sei ein rein formaler Vorgang. Dahinter steckt aber wesentlich mehr.
Aber kommen wir erst einmal zum Problem: Seit der Einführung im Jahre 2012 schafften es nur 7 von 86 der Bürgerinitiativen, die erforderliche Anzahl der Stimmen zu erreichen – das ist ein trauriger Zwischenstand –; denn die Anforderungen an eine Bürgerinitiative sind undenkbar hoch. Zunächst muss ein siebenköpfiger Organisationsausschuss mit Mitgliedern aus sieben verschiedenen EU-Mitgliedstaaten gegründet werden, um im nächsten Schritt während einer zwölfmonatigen Sammelphase mindestens 1 Million Unterschriften zu beschaffen. Auch dieser Prozess ist viel komplizierter, als er eigentlich sein müsste. Da wundert es kaum, dass es rund 92 Prozent der Europäischen Bürgerinitiativen eben nicht schaffen. Es ist also klar: Europäische Bürgerinitiativen müssen von unnötigen Hürden befreit werden.
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Das machen wir folgendermaßen:
Erstens. Wir setzen eine notwendige Entwirrung des Flickenteppichs an Onlinesammelsystemen um und entlasten das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, indem wir bis Ende 2022 die exklusive Nutzung der EU-Onlinesammelstelle umsetzen.
Zweitens. Wir stärken die Legitimation der Europäischen Bürgerinitiative. So wird in Zukunft die Richtigkeit der eingereichten Daten noch intensiver kontrolliert, um so das Einreichen falscher Angaben zu verhindern, Missbrauch vorzubeugen und stärker zu ahnden.
Drittens. Wir bauen die Unterstützung für Organisatorinnen und Organisatoren aus. Die Einrichtung einer ständigen Beratungsstelle im Bundesverwaltungsamt ermöglicht den Bürgerinnen und Bürgern eine einfachere Nutzung, indem ihnen eine Anlaufstelle für ihre Anliegen zur Verfügung steht.
Als vierten und wichtigsten Punkt: Wir lösen die Beteiligung an einer Europäischen Bürgerinitiative vom aktiven Wahlrecht. Das bedeutet, dass wir auch für 16- und 17‑Jährige Möglichkeiten schaffen, europäische Initiativen endlich mitzutragen.
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Allerdings wird auch an dieser Stelle ein großes Manko im deutschen Europawahlrecht deutlich. Denn während 16- und 17‑Jährige mit dieser Reform eine Europäische Bürgerinitiative unterstützen können, ist es ihnen nach wie vor nicht erlaubt, eine solche Initiative zu organisieren. 16- und 17‑Jährige dürfen vielerorts bei Kommunalwahlen mitwählen. Sie dürfen in vier Bundesländern den Landtag mitwählen. Aber ihnen wird nach wie vor ein politisches Mitgestaltungsrecht auf europäischer wie auch auf Bundesebene verwehrt. In Anbetracht der momentanen Herausforderungen wie Klimawandel, Energiekrise oder Digitalisierung ist doch ein Ausklammern derer, die am allermeisten von diesen Entwicklungen betroffen sein werden, nicht akzeptabel.
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Deshalb kann ich es mir nicht nehmen lassen, in der Debatte über die Reform der Europäischen Bürgerinitiative auch diesen Punkt unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen: Wenn es in meinem bisherigen Leben keine Menschen gegeben hätte, die trotz meines jungen Alters an mich glaubten, dann stünde ich heute vermutlich nicht hier. Ich wünsche mir, dass wir als Politik jungen Menschen endlich mehr zutrauen in diesem Land.
Herzlichen Dank.
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Susanne Hennig-Wellsow hat jetzt das Wort für Die Linke.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Linke unterstützt den vorliegenden Gesetzentwurf und begrüßt die Weiterentwicklung der Europäischen Bürgerinitiative.
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Ganz besonders begrüßen wir – es war hier auch schon Thema –, dass die Ampel sich dazu entschieden hat, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, dass schon 16-Jährige sich daran beteiligen können; auch deshalb unterstützen wir diese Bürgerinitiative. Wir wollen nämlich, dass diejenigen, denen die Zukunft gehört, auch jetzt schon mitsprechen und mitbestimmen können, was auf europäischer Ebene passiert.
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Zugleich sehen wir trotzdem etwas Verbesserungsbedarf. Ich möchte drei Punkte kurz ansprechen:
Erstens. Dass die elektronische Signatur des Personalausweises zur Authentifizierung genutzt werden kann, ist zu begrüßen, weil hiermit zunächst ein ausreichend sicheres System zur Verfügung steht. Allerdings bleibt festzustellen, dass der elektronische Personalausweis weiterhin nur wenig genutzt wird, auch weil er für viele Verwaltungsvorgänge weiterhin nicht genutzt werden kann. Dass damit das Unterschriftensammeln auf Papierform das Mittel der Wahl bleibt, ist etwas bedauerlich.
Zweitens. Der Kollege Lindh sprach gerade von viel Fantasie in Europa. Allerdings ist die Bürgerinitiative trotzdem noch ein schwaches Instrument. Die EU‑Kommission kann sich mit dem Thema befassen, muss es aber nicht. Daher stellt sich uns die Frage: Warum machen wir das eigentlich nicht einfach anders? Ein entsprechendes Quorum könnte die EU-Kommission dazu zwingen, sich damit zu befassen. Man könnte auch überlegen, ob es bei einem bestimmten Quorum unter den deutschen Staatsangehörigen die Möglichkeit geben sollte, die Bundesregierung zu verpflichten, das Anliegen auf EU-Ebene zu unterstützen.
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Dies könnte aus unserer Sicht in diesem Gesetz unabhängig von der EU‑Verordnung geregelt werden. Insofern: Lassen Sie uns doch darüber nachdenken!
Drittens. Weiterhin dürfen nur Staatsangehörige aus EU‑Mitgliedstaaten eine Europäische Bürgerinitiative unterstützen.
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Anderen Menschen, auch wenn sie über eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt nach EU-Recht verfügen, bleibt dieses Recht nach wie vor verwehrt.
Sie kommen zum Ende, bitte.
Das halten wir für falsch. Insofern: Danke für die Initiative.
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Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns den Titel unseres jetzigen Tagesordnungspunktes, den die Präsidentin gerade verlesen hat, anschauen, stellen wir fest: Er klingt zunächst einmal sehr verschachtelt, sehr kompliziert und ziemlich unverständlich. Von daher: Worum geht es heute Abend? Ganz einfach gesagt: Es geht darum, dass wir dafür sorgen müssen, dass unsere Bäuerinnen und Bauern in Deutschland und in ganz Europa auch künftig ihrer Arbeit nachgehen können. Es geht darum, dass wir in Deutschland und in Europa auch in Zukunft ausreichend Nahrungsmittel für unsere Bevölkerung produzieren können.
Seit Sommer liegt nun ein Verordnungsvorschlag der EU-Kommission auf dem Tisch, der genau das infrage stellt. Deshalb sind wir als Parlament und ist unsere Bundesregierung gezwungen, zu handeln. Worum geht es bei diesem Vorschlag? Die EU‑Kommission möchte den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln drastisch reduzieren. Das ist nichts grundsätzlich Neues; das 50‑Prozent-Reduktionsziel im Rahmen des Green Deals ist bekannt. Mit dem neuen Verordnungsvorschlag wird das allerdings noch einmal konkretisiert und verschärft. Man muss sich das einmal vorstellen: In einer Zeit, in der wir wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine eine deutliche Verknappung der weltweit zur Verfügung stehenden Lebensmittel beobachten können, werden Vorschläge gemacht, welche die Ertragssicherheit unserer Ernten massiv gefährden.
Nach einer Prognose der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen wird der Krieg gegen die Ukraine zu einem deutlichen Anstieg der Zahl der hungernden Menschen weltweit führen; die Zahl der Hungernden wird um circa 13 Millionen Menschen ansteigen. Besonders betroffen sind die Regionen Afrika und Asien. Fast auf den Tag genau seit sieben Monaten wird ein erbitterter Krieg in der Kornkammer Europas geführt und Hunger als Waffe eingesetzt.
Wir haben das in den vergangenen Monaten bereits öfter an dieser Stelle debattiert. Ich erinnere an die Debatte um die Aussetzung der 4‑prozentigen Flächenstilllegung.
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Es war ein monatelanges Gezerre, bis auch unser Bundeslandwirtschaftsminister über seinen ideologischen Schatten gesprungen ist und den Weg für zusätzliche Anbauflächen in Deutschland frei gemacht hat. Während die Landwirte in anderen EU-Mitgliedstaaten bereits die Herbstaussaat planten und Saatgut einkauften, ließ unser Bundeslandwirtschaftsminister wichtige Zeit verstreichen.
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Ein Armutszeugnis, dass in einer Zeit, in der jedes Weizenkorn zählt, dem deutschen Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft die eigene Ideologie wichtiger war, als einen Beitrag Deutschlands zur Welternährung zu leisten!
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Wir von der CDU/CSU wollten Anfang August eine Sondersitzung unseres Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft einberufen, um bei Minister Özdemir nochmals auf die Dringlichkeit hinzuweisen. Der Antrag auf die Sondersitzung wurde abgelehnt. Das sagt auch vieles aus.
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Das Gleiche erleben wir im Übrigen gerade in der Energiekrise. Wir haben die befristete Laufzeitverlängerung heute Morgen schon in diesem Haus debattiert. „Jede Kilowattstunde zählt.“ Wenn ich das richtig im Kopf habe, zitiere ich damit unseren grünen Bundeswirtschaftsminister. So wie jedes Watt zählt,
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zählt auch jedes Weizenkorn. Aber auch hier: ein Zögern, ein Zaudern des zuständigen Ministers mit einer vermeintlichen Scheinlösung, die niemandem etwas bringt, weil sie schlicht nicht umsetzbar ist.
An diesen zwei Beispielen kann man wunderbar sehen: Es geht der Ampel nicht darum, Politik für die Menschen in diesem Land zu machen. Es geht dieser Koalition nur darum, rot-grüne Ideologien umzusetzen, koste es, was es wolle.
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Und die FDP hilft fleißig mit.
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Aber zurück zum Pflanzenschutz. Was bedeutet dieser Vorschlag? Brüssel, allen voran Klimaschutzkommissar Timmermans, strebt unter anderem ein Komplettverbot von Pflanzenschutzmitteln in Schutzgebieten, in Natura-2000-Gebieten und in Landschaftsschutzgebieten an. Ob das tatsächlich das Ende der Fahnenstange ist, lässt der Vorschlag noch offen.
Hier einmal ein paar Schätzungen: Allein 3,5 Millionen Hektar Ackerfläche in Deutschland sind betroffen; das wären circa 7 Millionen Tonnen Weizen, die wir weniger produzieren würden. Uns Landwirten wurde bei der Gebietsausweisung nachdrücklich versichert, dass die Festschreibung der FFH-Gebiete keine negativen Auswirkungen auf die dort ansässigen landwirtschaftlichen Betriebe hat. Auch der deutsche Weinbau wäre vom jetzigen Vorschlag aus Brüssel extrem negativ betroffen; für viele Regionen hätte das katastrophale Auswirkungen. Mit einem Komplettverbot würde beispielsweise die Weinerzeugung an der Mosel um circa 90 Prozent zurückgehen; das schätzt der Deutsche Weinbauverband. Ähnlich dramatisch sehe es beim deutschen Obstbau aus. In Zukunft heißt es dann: Wein und Obst aus Deutschland: Fehlanzeige!
Die Unterstützer des Timmermans-Vorschlags frage ich: Wollen Sie in Zukunft alles importieren? Möchten Sie nicht lieber Lebensmittel aus heimischer Produktion essen und trinken? Glauben Sie ernsthaft, dass Drittstaaten keine Pflanzenschutzmittel einsetzen? Das bringt mich zu einer Frage, die ich mir in der Diskussion rund um den vorgelegten Entwurf aus Brüssel mehrfach gestellt habe: Wissen die Unterstützer dieses Vorschlages eigentlich, was Pflanzenschutz ist? Glaubt die EU-Kommission überhaupt, dass die Zulassungsverfahren, die wir zurzeit haben, noch rechtskräftig sind, wenn sie mit solch einem Vorschlag vorangeht?
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Die Kollegin Dr. Franziska Kersten hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In dieser Zeit permanenter Krisen ist eines wichtig: Besonnenheit. Und ich rate zu Besonnenheit und Sachlichkeit auch in dieser Debatte.
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Sehen wir uns das Thema ganz in Ruhe an. Pflanzen können nur die Basis für eine ausreichende und gute Ernährung sein, wenn sie gesund sind. So gibt es die Humanmedizin und die Veterinärmedizin und seit hundert Jahren auch das wissenschaftliche Fachgebiet der Phytomedizin. Selbstverständlich ist die Phytomedizin auch integraler Bestandteil des „One Health“-Ansatzes, der seit unseren Pandemieerfahrungen global und national deutlich vorangebracht werden muss.
Pflanzenschutz ist vielseitig. Neben verschiedenen agronomischen kulturtechnischen Maßnahmen – Stichwort „Hacken“ – und biologischen Verfahren – Stichwort „Nützlinge“ – ist ein Teilgebiet die Anwendung chemischer Substanzen. – Es wäre schön, wenn Sie von der AfD ein bisschen zuhören, vielleicht lernen Sie noch was.
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Unser Ziel als Koalition ist eine deutliche Stärkung des integrierten Pflanzenschutzes, der all diese Maßnahmen zusammenführt und die Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel auf das absolut notwendige Maß beschränkt. Wir wollen den Pflanzenschutz so gestalten, dass unannehmbare Nebenwirkungen für Umwelt, Gesundheit und Biodiversität vermieden werden. Außerdem wollen wir Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz stärken. Hierzu gehören auch die Pflanzenzüchtung und natürlich die Digitalisierung.
Dass wir auf dem richtigen Weg sind, hat auch die Zukunftskommission Landwirtschaft bestätigt. Ich erinnere gern noch einmal an die bahnbrechende bisherige Arbeit der Kommission, die erstmals unterschiedliche Akteure von verschiedenen Berufsverbänden und Umweltorganisationen an einen Tisch brachte. In ihrem Abschlussbericht ist ausgeführt:
Zur … Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft gehört auch, die Auswirkungen von Pflanzenschutzmaßnahmen auf Umwelt, Biodiversität sowie menschliche Gesundheit … weiter zu verringern.
Ziele sind resiliente Agrarsysteme und integrierter Pflanzenschutz, einhergehend mit Forschung und Innovation. Da liegen wir in unserem Koalitionsvertrag offensichtlich ganz richtig.
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Auch auf europäischer Ebene wird seit Langem an einer wirksamen Reduktion des Einsatzes von chemischen Pflanzenschutzmitteln gearbeitet. Das ehrgeizige Ziel der Farm-to-Fork-Strategie der EU ist hier eine Halbierung bis 2030. Um dies zu erreichen, liegt nun ein Verordnungsentwurf auf dem Tisch. Hiernach sollen der Einsatz und das Risiko von chemischen Pflanzenschutzmitteln sowie der Einsatz gefährlicherer Pflanzenschutzmittel um 50 Prozent reduziert werden. Außerdem soll der chemische Pflanzenschutz in sogenannten empfindlichen Gebieten komplett verboten werden.
Bei einer starren Umsetzung dieser Pläne würde Deutschland im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten deutlich benachteiligt. Das liegt daran, dass wir in unserem Land weitaus mehr Schutzgebiete und Schutzgebietskategorien aufweisen als andere Mitgliedstaaten. Wir dürfen die Landwirtschaft nicht an die Wand fahren. Aber das will auch niemand. Wichtig ist, dass auch an Ackerbaustandorten in Schutzgebieten eine Bewirtschaftung unter Beachtung der wirklich guten Grundsätze möglich bleibt.
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Daher bin ich froh, dass unser Bundeslandwirtschaftsminister diese Problematik beim letzten Treffen mit seinen Amtskollegen in Prag offen angesprochen hat und sie nun intensiv verhandelt wird.
Zum anderen müssen in diesem Prozess auch die bisherigen Reduktionsleistungen berücksichtigt werden. Das sind in den Mitgliedstaaten bekanntlich sehr unterschiedliche Werte. Das bisher Erreichte wird europaweit mit Harmonisierten Risikoindikatoren abgebildet. Im Zeitraum von 2012 bis 2020 sank der HRI 1 in unserem Land von 104 auf 68 Punkte. Es wurden also rund 35 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Der Verordnungsentwurf sieht hier eine Anrechnungsmöglichkeit vor. Daher werden wir es noch konkretisieren müssen.
Im Übrigen wird der Verzicht auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auch über die Gemeinsame Agrarpolitik gefördert. Ab 2023 sieht die Öko-Regelung 6 einen Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel auf Ackerland und Dauerkulturen vor. Dafür werden zunächst 130 Euro pro Hektar gezahlt. Vielleicht sollte man diese Summe noch einmal erhöhen.
Natürlich ist uns allen klar: Der Verzicht auf Pflanzenschutzmittel ist teilweise mit erheblichen Ertragsverlusten verbunden. Im Durchschnitt liegen sie je nach Ackerkultur zwischen 15 und 50 Prozent; dies hat eine Studie des Thünen-Instituts vor knapp einem Jahr festgestellt. Daher kann die Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes nur mit Augenmaß erfolgen. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund von Russlands Krieg gegen die Ukraine. Niemand möchte in dieser Situation ernsthaft unsere Ernährungssituation gefährden. Das wird auch in anderen Mitgliedstaaten so diskutiert. Die aktuellen Signale aus Brüssel deuten daher auf einen längeren und intensiven Diskussionsprozess hin.
Interessant finde ich in diesem Zusammenhang auch die Idee einer Quote für den Pflanzenschutzmitteleinsatz, den jetzt die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft ins Spiel gebracht hat. Hier könnten – ähnlich wie bei den CO2-Emissionen – zugeteilte Quoten zwischen den Betrieben gehandelt werden und so stufenweise zur Erreichung des Reduktionsziels beitragen.
Meine Herren und Damen von der Unionsfraktion, Sie sehen, die Koalition hat Ihre Bedenken im Blick und Lösungsoptionen entwickelt.
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Daher können wir auf eine Stellungnahme nach Artikel 23 des Grundgesetzes hier gut verzichten.
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Nun noch einige Worte zum Antrag der AfD. Eine Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes ist Konsens innerhalb der EU; wir gehen jetzt in die Phase der konkreten Ausgestaltung. Die geplante Verordnung nicht weiter zu verfolgen, wie Sie es vorschlagen, ist völlig unsinnig. Die gemeinsame europäische Strategie zum Pflanzenschutz ist ja genau unser Ziel. Ohne eine entsprechende Verordnung können wir dieses Ziel aber nicht erreichen.
Regelmäßige Fortbildung für alle an der Pflanzenschutzmittelzulassung Beteiligten gibt es schon heute. Sie unterstellen den Verantwortlichen in den Fachbehörden also indirekt Inkompetenz.
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Ich war Vizepräsidentin des Umweltbundesamtes und habe an Zulassungsverfahren mitgearbeitet. Sie können davon ausgehen, dass wir das mit sehr hohen wissenschaftlichen Standards gemacht haben.
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Ich empfinde Ihre Unterstellung als Anmaßung und kann sie nur strikt zurückweisen. Selbstverständlich wird intensiv an einer noch besseren Koordinierung der Aktivitäten aller an der Zulassung beteiligten Behörden gearbeitet.
Ich kann Sie an dieser Stelle nur noch einmal auffordern: In der jetzigen Situation müssen wir besonnen und mit Augenmaß diskutieren und handeln. Das sind wir den Menschen und den Landwirtinnen und Landwirten in unserem Land schuldig.
Vielen Dank.
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Frank Rinck ist der Redner für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Als niedersächsischer Landwirt kann ich Ihnen sagen, dass jeder meiner Berufskollegen Pflanzenschutzmittel nachhaltig und mit Bedacht einsetzt und dass die Landwirte nicht noch mehr von Ihnen oder Ihren Kollegen aus dem EU-Parlament fremdbestimmt werden möchten. Kein Landwirt in Niedersachsen und in Deutschland braucht noch mehr Regelungen und Verordnungen, schon gar nicht, wenn unsere Landwirte im internationalen Wettbewerb bestehen wollen.
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Viel zu hohe Energiepreise und Mangel an Dingen, die selbstverständlich sein sollten, beispielsweise AdBlue oder Dünger, damit sollten wir uns hier beschäftigen, genauso wie mit der überbordenden Bürokratie, die dringend abgebaut werden muss. Aber nein, Sie beschäftigen sich lieber mit weiteren Verboten, die zum Abbau der deutschen Landwirtschaft führen werden. Noch weniger Pflanzenschutzmittel werden die Erträge und die Qualität unserer landwirtschaftlichen Produkte weiter senken.
Meine Damen und Herren, in jeder Sitzungswoche und auch heute bemühen Sie hier das Narrativ des Ukrainekriegs, doch allzu ernst scheint es Ihnen bei diesem Thema nicht zu sein. Ansonsten würden Sie langsam einmal den Fokus auf die Erzeugung von Lebensmitteln in unserem eigenen Land setzen.
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Lieber beschäftigen Sie sich mit fragwürdigen Freihandelsabkommen wie beispielsweise CETA, TTIP, Mercosur. Jeder von uns sollte eigentlich wissen, dass in den Ländern, die diese Abkommen umfassen, niemals unsere hohen Standards – die es ja sonst nirgendwo gibt – angestrebt oder erreicht werden. In Brasilien brennt man den Regenwald nieder, damit man dort noch mehr Soja anbauen kann und dort noch mehr Rinder grasen können, während wir hier vermeintlich versuchen, das Klima und die Biodiversität zu retten. Sie sollten sich schämen, alle Mann,
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die Menschen in unserem Land für so dumm verkaufen zu wollen.
In unserem Antrag gehen wir deshalb darauf ein, dass wir eine gewisse Wirkstoffvielfalt in der Landwirtschaft brauchen und dass auch die konventionelle Landwirtschaft gebraucht wird. Sie ist „systemrelevant“, wie es in diesem Hohen Haus doch schon so oft gesagt wurde. Lassen Sie Ihren Worten doch endlich einmal Taten folgen, und unterstützen Sie unseren Antrag!
Liebe Kollegen von der CDU/CSU, Ihr Antrag hat mich ein bisschen verwundert. Die Vorschläge sind nicht falsch; aber in 16 Jahren Regierung hätte man all das vorbereiten oder anschieben können.
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Vielleicht spielen Sie diesen Antrag aber auch, weil in Niedersachsen die Landtagswahl ansteht, und Niedersachsen ist bekanntlich die Kornkammer der Bundesrepublik.
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Ich hoffe natürlich, nicht.
Ich kann Ihnen allen nur mit Nachdruck nahelegen: Gehen wir nicht weiter auf dem derzeitigen Irrweg, der uns in Hunger und Abhängigkeit treibt! Stärken wir unsere Landwirtschaft!
Herr Kollege!
Vielen Dank.
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Ihre Zeit war zu Ende gewesen.
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– Offensichtlich hat Karl Bär das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
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Entschuldigung, dass ich so stürmisch war, Frau Präsidentin. Guten Abend!
Gar kein Problem, also wirklich! Stürmisch im Parlament, das kann man jederzeit sein, auch abends.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der beste Grund, diesen Antrag der Union abzulehnen, steht im Antrag selbst: Sie fordern die Bundesregierung auf, die Ernährungssicherung zu priorisieren. Das wird diese Regierung tun.
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Unser Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat immer wieder gesagt, dass es nicht sinnvoll ist, die Krisen gegeneinander auszuspielen.
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Die größten Bedrohungen für die Ernährungssicherung sind die Klimakrise und die Zerstörung der Biodiversität.
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Das ignorieren Sie absichtlich; sonst könnten Sie nicht in ein und demselben Antrag die Ernährungssicherheit und einen lockereren Umgang mit Ackergiften zusammenbringen.
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Ich erkläre Ihnen jetzt einmal, wie das Zulassungsverfahren der EU in der Praxis aussieht, und zwar am Beispiel von Imidacloprid; das ist der Stoff, der gemeint war, als Julia Klöckner gesagt hat: „… was der Biene schadet, muss vom Markt.“ Es war ja nicht alles schlecht.
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Wenn man genauer hinschaut, hat die damalige Ministerin Klöckner drei Gründe genannt, warum sie 2018 noch etwas zögernd dann doch einem Quasiverbot des Gifts außerhalb von Gewächshäusern zugestimmt hat: Erstens. Das Zeug ist sehr giftig für Honigbienen und andere Bestäuber. Zweitens. Es verbreitet sich von der Wurzel bis in die Blüten in der ganzen Pflanze. Und drittens. Es reichert sich im Boden an, wir finden es noch Jahre später in den Pflanzen.
Spannend ist jetzt, seit wann wir das alles wissen. Dass 3,5 Nanogramm Imidacloprid für eine Honigbiene reichen, steht in den Zulassungsunterlagen der EU. Wie es sich im Boden verhält, hat die Firma Bayer selbst in den 1990er-Jahren erforscht. Dass sich das Gift in allen Pflanzenteilen verbreitet, ist ein absoluter Vorteil für die Landwirtschaft und wurde von Herstellerfirmen so beworben.
Seit den 90er-Jahren wird Imidacloprid industriell hergestellt. Es gab seit 1992 Proteste von Imkern und Imkerinnen dagegen. Das Mittel wurde zugelassen, als wir schon all das wussten, was 26 Jahre später der Grund für das Verbot war. Dieses Zulassungsverfahren ist nicht zu streng, es ist zu unvorsichtig. Wir müssen endlich heraus aus dem Pestizidkarussell,
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wo ein Wirkstoff einsteigt, ein paar Runden dreht, dann wieder rausfliegt, und dafür der nächste einsteigt. Wir müssen stattdessen das Vorsorgeprinzip stärken.
Damit komme ich zum Kern Ihres Antrags. Sie wollen die geplante EU-Verordnung, die die Mitgliedstaaten verpflichten soll, den Pestizideinsatz zu halbieren, entkernen. Sie greifen hier die beiden zentralen Punkte dieser Verordnung an.
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– Ich weiß, was er gestern gesagt hat. Ich war mit dabei, ich habe Fragen gestellt. Ich komme später noch dazu.
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Sie greifen die beiden wirksamsten Maßnahmen an, die die Kommission vorschlägt, nämlich das Verbot des Einsatzes in Schutzgebieten und die Reduktionsziele, die für alle Mitgliedstaaten verpflichtend sind.
An dieser Stelle ist Ihr Antrag übrigens ziemlich widersprüchlich. Mit Punkt 6 möchten Sie sicherstellen, „dass die nationalen Reduktionsziele zu einem … einheitlichen Ergebnis führen und jeder Mitgliedstaat den gleichen Wert … erreicht“. Unter Punkt 7 möchten Sie, „dass die Reduktionsziele auf EU-Ebene und nicht auf Ebene der Mitgliedstaaten verfolgt werden“. Laut Punkt 8 sollen die „Unterschiede der landwirtschaftlichen Produktion in den Mitgliedstaaten angemessen berücksichtigt werden“.
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Das ist ein bisschen durcheinander.
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Ich vermute, dass Sie mit diesem Durcheinander verschleiern wollen, dass es Ihnen am liebsten wäre, wenn gar nichts passiert; dann könnten Bayer und Co weiter Profite machen. Die Umwelt ist Ihnen sowieso egal.
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So kennen wir die Politik der CDU/CSU: große Ziele setzen, doch am Ende passiert nichts.
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Das ist eine Politik, die uns auf Dauer in eine Katastrophe führt, sehenden Auges, von einer Krise in die nächste.
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Ich sage es noch einmal sehr deutlich: Von den Ackergiften wegzukommen, ist ein notwendiger Schritt für den Erhalt der Ökosysteme, die uns ernähren.
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– Ich nenne das „Ackergift“. So etwas wie Glyphosat, das eine jede Pflanze tötet, nennen Sie „Pflanzenschutzmittel“? Das ist ja wohl ein Euphemismus.
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Wir sind jetzt mit dem Verordnungsvorschlag am Anfang dieser Debatte; wir werden bestimmt noch öfter darüber diskutieren. Ich hoffe, dass die Verordnung uns am Ende einen großen Schritt weiterbringt hin zu einer Landwirtschaft, die ganz ohne chemisch-synthetische Pestizide auskommt.
Danke.
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Ina Latendorf hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die nachhaltige Reduktion von Pflanzenschutzmitteln ist das Ziel der EU‑Kommission. Biodiversität, Umweltschutz und Gesundheit sollen EU‑weit gestärkt werden.
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Wir von der Linken unterstützen dieses Anliegen. Nun kommt es darauf an, den gewollten Strukturwandel in der Agrarbranche auch politisch umzusetzen und ihn natürlich sozial abzufedern. Bei den Änderungsvorschlägen zur EU‑Verordnung geht es um diese Ziele. Wichtig ist dabei – das spielte auch gestern in der Fragestunde eine Rolle; Sie waren ja hier –, dass die Regelungen zu Deutschlands Gebietsgrößen passen. Der Minister hat eine Nachsteuerung angekündigt. Darauf haben wir jetzt gemeinsam ein Auge.
Sie von der Union hingegen – so verstehe ich Ihren Antrag – möchten möglichst weit weg von Ökologie und Nachhaltigkeit. In Ihrem Antrag steht, dass Sie keine pauschale Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln wollen. Ich sage: Wir brauchen eine generelle Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln.
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Das zeigt die Belastung des Grundwassers, und das zeigt der Rückgang der Zahl der Insekten. Sie fordern, dass Bedarfsgerechtigkeit und Effizienz im Vordergrund stehen. Aber wer definiert bei Ihnen den Bedarf? Sie fordern, dass die Entscheidung über mögliche weitere Einschränkungen des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln auf der Grundlage von wissenschaftlichen Fakten getroffen wird, als wären die Fakten noch nicht bekannt. Die Fakten sind aber – wir haben es gerade gehört – schon seit Jahrzehnten bekannt. Und natürlich kommt das Schlagwort, Wettbewerbsnachteile für die deutsche Landwirtschaft seien zu verhindern. Selbstverständlich sollen unsere Landwirte im europäischen Wettbewerb bestehen können. Aber doch nicht durch eine Abkehr von den Zielen, sondern durch eine Umsetzung und Anpassung der Gebietskulisse in ganz Europa.
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Für die Agrarwende und den nachhaltigen sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft brauchen wir weniger Pflanzenschutzmittel der chemischen Industrie. Wir brauchen mehr regionale Wirtschaftskreisläufe und Fruchtfolgen, die dem Boden guttun, und wenn Pflanzenschutzmittel, dann zielgenau und sparsam. Die Hochschule Stralsund forscht an entsprechender Technik. Unterstützen wir also die Forschung in dieser Richtung!
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Wir brauchen mehr Pflanzenschutz durch die Wiederherstellung naturnaher Gebiete, in denen eine nachhaltige Landwirtschaft zum Standard bei der Ernährungssicherung wird.
Vielen Dank.
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Dr. Gero Hocker spricht jetzt für die FDP-Fraktion.
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Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der zuletzt gehörten Rede möchte ich mit einem Missverständnis aufräumen: Kein Landwirt dieser Welt bringt mehr Pflanzenschutzmittel zum Schutze seiner Kulturen aus, als das erforderlich wäre, aus einem ganz einfachen Grund: weil das ein unmittelbarer Kostenfaktor
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innerhalb seiner betriebswirtschaftlichen Berechnung ist. Deswegen hat er ein ureigenes Interesse daran, nicht flächendeckend, wahllos mit der Spritze über die Flächen zu fahren, sondern eben sehr gezielt chemischen Pflanzenschutz zu betreiben, weil es sinnvoll und weil es erforderlich ist im Interesse von Ernten, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Und ich glaube, dass wir gut beraten wären, mit diesem falschen Narrativ endlich aufzuhören.
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Eines muss man ja einmal sagen: Egal ob konventionell gewirtschaftet oder ob Bioanbau betrieben wird, Unkräuter müssen in jedem Falle bekämpft werden. Das macht der Biobauer auch. Er macht das zwar anders; aber er bekämpft Unkräuter genauso – zum Glück!
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Täte man das nicht, würde weniger geerntet werden,
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wären die Erträge kleiner und würden die Preise für Lebensmittel noch mehr durch die Decke gehen, als das mit einer Preissteigerung von 22 Prozent im letzten Erhebungszeitraum ohnehin der Fall gewesen ist. Und nimmt man keinen Pflanzenschutz, dann nimmt man den Striegel, den Grubber oder den Pflug; aber man fährt dann halt gleich drei- oder viermal über die Fläche anstatt vielleicht nur einmal. Die CO2-Emissionen sind deswegen dann auch drei- oder viermal so hoch.
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Deswegen müssen wir uns sehr wohl ehrlich machen an dieser Stelle, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Oder man macht das konservierend mit Pflanzenschutzmitteln, was nicht nur positiv für den Humusaufbau und damit für die CO2-Speicherfunktion des Bodens ist, was auch Mikroorganismen im Boden schützt und übrigens im Obstbau oder auch in Hanglagen quasi alternativlos ist. Wenn wir über den Klimawandel sprechen, dann müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass ein immer wieder umgebrochener Boden leichter austrocknet
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und der Mutterboden bei Starkregenereignissen weggeschwemmt wird.
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Das können wir nicht wollen.
Ich will es an dieser Stelle einmal ganz deutlich sagen: Fachlich betrachtet ist es schon in Friedenszeiten fraglich, ob es tatsächlich sinnvoll ist, die Landwirtschaft mit zusätzlichen Kosten und Auflagen zu überziehen. In Kriegszeiten, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ist das auch aus sozialen Gründen geradezu unverantwortlich.
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Deswegen sind übrigens auch die Pläne von Frans Timmermans, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln noch einmal um 50 Prozent zu halbieren, für mich, für uns völlig realitätsfern und wirken tatsächlich aus der Zeit gefallen.
Global wird die landwirtschaftlich zu nutzende Fläche durch Klimawandel, durch Flächenversiegelung und durch viele weitere Faktoren immer kleiner. Deswegen sind wir gehalten, effizient und gleichzeitig nachhaltig mit diesen Flächen umzugehen. Der Landwirtschaft in dieser Zeit von Klimawandel und Flächenreduktion auch noch die Instrumente – moderne Instrumente! – zu nehmen, die es erlauben, angemessene Antworten auf den Klimawandel und auf globalen Hunger zu geben, bewegt sich irgendwo zwischen Fahrlässigkeit und Verantwortungslosigkeit.
Vielen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben nach dem 24. Februar eine EU erlebt, wie wir sie uns oft wünschen: schnell und vereint. Mit gemeinsam verabschiedeten Sanktionen haben wir die Ausfuhren von Waren und Dienstleistungen nach Russland beschnitten, Oligarchen und ihr Privatvermögen sanktioniert und den wirtschaftlichen Druck auf Russland erhöht. Das ist unsere europäische Antwort auf Brutalität und auf Völkerrechtsbruch.
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Doch Verstöße gegen Sanktionsauflagen werden in der EU in einigen Ländern derzeit teilweise noch nicht, wenig effektiv oder extrem unterschiedlich geahndet. Das liegt unter anderem an großen Unterschieden beim Vollzug der Sanktionen. Zwei EU-Länder ahnden Verstöße gegen Sanktionsauflagen bislang nicht als Straftaten, sondern lediglich als Ordnungswidrigkeiten. Auch das Strafmaß weicht teilweise erheblich voneinander ab. Die europäische Einigkeit beim Ob brauchen wir jetzt auch beim Wie.
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Höchststrafsätze bei Sanktionsverstößen liegen zum Beispiel weit auseinander – zwischen 1 200 Euro und 500 000 Euro –; hier braucht es dringend eine Harmonisierung. Systematische Sanktionsumgehungen müssen jedoch nicht nur geahndet, sondern auch besser erkannt werden. Wer also „Erweiterung des Artikels 83“ sagt, muss auch „effektive Sanktionsdurchsetzung“ sagen.
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Ungeklärte Besitzverhältnisse müssen aufgedeckt und aufgeklärt werden. Die Verschleierung der Herkunft von Vermögen muss verhindert werden. Um greifbare Fortschritte zu erreichen, müssen Ermittlungskompetenzen und ‑prozesse und deren Rechtsgrundlagen klar definiert und verfassungs- und datenschutzrechtlich abgesichert sein. Und eines muss an dieser Stelle auch gesagt werden: Das gilt auch für den Einsatz von Software im Ermittlungsbereich.
Mit dem Sanktionsdurchsetzungsgesetz I haben wir in Deutschland Regelungslücken auf der Vollzugsebene geschlossen, um der effektiven Sanktionsdurchsetzung nachzukommen. Diese umfasst auch eine strafbewehrte Anzeigepflicht für gelistete Personen. Weitere wichtige Punkte wie die Schnittstelle zur Geldwäschebekämpfung werden im Sanktionsdurchsetzungsgesetz II adressiert. Wir arbeiten hier Seite an Seite, auf europäischer wie auf nationaler Ebene, an rechtsstaatlich sicheren, aber spürbaren Antworten auf den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Putins.
Mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf kommen wir also unserer Integrationsverantwortung nach und ermöglichen unserem Vertreter in Brüssel, dem Vorschlag zuzustimmen und den Bereich des Sanktionsstrafrechts in der EU einer Mindestharmonisierung zuzuführen, und wir schaffen die Grundlage für eine Harmonisierungsrichtlinie, die künftig den Rahmen der Straftatahndung in diesem Bereich festlegen soll.
Auch die Anhörung im EU-Ausschuss wird sich am Montag mit der Frage beschäftigen, wie wir an weiteren Harmonisierungen der Straftatbestände in der EU effektiv mitarbeiten können. Der Ratsbeschluss wird einen wichtigen Grundstein legen. Die Inhalte der Harmonisierungsrichtlinie werden in Brüssel in der entsprechenden Ratsarbeitsgruppe bereits diskutiert. Sie können aber erst beschlossen werden, wenn Deutschland diesem Ratsbeschluss zustimmt.
Die Teilmobilmachung ist eine deutliche Absage Russlands an Verhandlungen. Umso entschlossener sollten wir deswegen Seite an Seite mit der Ukraine stehen.
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Unser Go für die Erweiterung von Artikel 83 AEUV ist somit ein deutliches Go, eine deutliche Unterstützung für die europäische Antwort für geeinte Straftatbestände.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Die Kollegin Catarina dos Santos-Wintz hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In ihrer Rede zur Lage der Union vor einer Woche hat Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen noch einmal betont, dass die Europäische Union vollumfänglich hinter der Ukraine steht. Unsere Solidarität mit der Ukraine – das hat auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in den vergangenen Monaten wiederholt gezeigt – ist ungebrochen.
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Die Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union haben dies in den verschiedensten Bereichen gezeigt, insbesondere bei der Aufnahme von Geflüchteten aus ukrainischen Kriegsgebieten, sei es bei der Unterbringung, der medizinischen Versorgung oder auch in Schulen.
Die EU hat bereits sechs Sanktionspakete auf den Weg gebracht. Sie sehen unter anderem Finanzsanktionen gegen russische Banken und Staatsunternehmen, Ex- und Importrestriktionen, Investitionsverbote oder Maßnahmen wie das Einfrieren von Vermögenswerten vor. Es wird klar: Sanktionen wirken auch.
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Allerdings weichen die Durchsetzung dieser Sanktionen sowie die Ahndung von Verstößen in verschiedenen EU‑Mitgliedstaaten erheblich voneinander ab. In der EU kommen über 40 verschiedene Sanktionsregime zur Anwendung. Aus meiner Sicht ist deswegen ein koordiniertes und einheitliches europäisches Vorgehen sinnvoll und geboten. Es gilt: Wir brauchen eine EU-weite, effektive Harmonisierung des Sanktionsstrafrechts.
Dabei handelt es sich nicht um ein gänzlich neues Verfahren. In anderen Kriminalitätsbereichen gibt es bereits eine solche Vereinheitlichung. Die EU kann nach Artikel 83 Absatz 1 AEUV Mindestvorschriften für Straftaten und Strafen in Bereichen festlegen, die eine grenzüberschreitende Dimension haben. Das gilt bereits in den Bereichen Terrorismus, Menschenhandel oder auch Cyberkriminalität. Es ist an der Zeit, dass das auch im Bereich des Sanktionsstrafrechts angepasst wird.
Im Mai hat die Kommission den Vorschlag für einen Beschluss des Rates vorgelegt, die Liste der Kriminalitätsbereiche mit grenzüberschreitender Dimension auch um das Sanktionsstrafrecht zu erweitern. Nach deutschem Recht ist dafür die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat notwendig. Das ist gut und richtig; denn als Parlamentarier ist es unsere Aufgabe, solche Beschlüsse zu prüfen und demokratisch zu legitimieren. Als Abgeordnete ist es aber auch unsere Aufgabe, die Demokratie und ihre Werte im Namen der Bürgerinnen und Bürger zu verteidigen. Deswegen halten wir als Unionsfraktion eine Zustimmung zum vorliegenden Ratsbeschluss für unabdingbar.
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So sorgen wir auch dafür, dass Sanktionen ihre volle Wirkung entfalten. So können nach der Änderung des Artikels 83 AEUV im nächsten Schritt EU-weite Standards bei der Durchsetzung von Sanktionen und der Verfolgung entsprechender Verstöße festgelegt werden.
Zur Wahrheit gehört, dass das letztlich nicht reichen wird. In der Konsequenz bin ich davon überzeugt: Wir brauchen einen weltweiten Konsens für Sanktionen an dieser Stelle.
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„In Vielfalt geeint“, so lautet seit dem Jahr 2000 das Motto der Europäischen Union. Die Geschlossenheit der Europäischen Union macht uns alle stark. Das ist in diesen Zeiten essenziell für unsere gemeinsame Zukunft.
Herzlichen Dank.
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Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Axel Schäfer.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war schon ein guter Debattenauftakt bei einem wichtigen Thema; denn die Kollegin der Grünen und die Kollegin der CDU/CSU haben in dieselbe Richtung argumentiert. Wir kommen also in diesem Parlament wieder zu einer sehr großen Übereinstimmung in europäischen Fragen, und das ist die Grundlage unseres gemeinsamen Handelns.
Olaf Scholz hat als Bundeskanzler sowohl mit seiner Rede in Prag als auch jetzt bei den Vereinten Nationen deutlich gemacht, wo geschlossenes und entschlossenes europäisches Handeln notwendig ist, um die Not zu wenden, und – das ist hier schon gesagt worden, muss aber wiederholt werden – welche Konsequenzen aus diesem verbrecherischen Angriffskrieg Putins und Russlands gegen die Ukraine in Europa gemeinsam und mit deutscher Unterstützung gezogen werden müssen. Wir müssen an dieser Stelle deutlich machen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Das geht eben nur durch europäisches Handeln. Aber die wiederholte Rückkopplung mit dem Nationalstaat, die Anbindung an den Bundestag, ist wichtig für die Legitimation. Es ist wichtig, dass das, was wir in Europa gemeinsam machen, auch hier in Deutschland gewollt und mitgetragen wird. Deshalb ermächtigen wir unsere Vertreterinnen und Vertreter im Rat auch zu diesem Handeln.
Sagen wir es ganz offen: Wir sind hier im Bereich des Strafrechts. Das ist nicht so selbstverständlich eine europäische Angelegenheit, wie wir es aus dem Bereich der Wirtschaft, der Zusammenarbeit, des Handels und der Währung kennen. Es ist aber eine Entwicklung, die sich als notwendig erwiesen hat, weil die Probleme gewachsen sind. Es ist auch nicht so, wie uns mache glauben machen wollen, dass das ein Schritt hin zu einem europäischen Zentralstaat ist. Vielmehr wollen wir mit der Maxime einer enger gefassten Union in der EU, getragen von den Mitgliedstaaten einerseits und den Bürgerinnen und Bürgern andererseits, vorankommen.
Wir machen das heute – unter Mühen der Ebenen – im Bereich Strafrecht, und wir wissen, dass Überzeugungsarbeit in den Ländern geleistet werden muss und man nicht einfach sagen kann: Wir entscheiden jetzt mal per Mehrheit. Hier muss Überzeugungsarbeit geleistet werden, auch damit es nicht zu Blockaden kommt, die wir immer wieder an vielen Stellen in der aktuellen Politik erleben. Ich verweise nur auf Ungarn, auf Steuerfragen, auf gemeinsame Maßnahmen der EU. Deshalb ist es so wichtig, dass jetzt von diesem Bundestag parteiübergreifend das Signal ausgeht, dass Deutschland als Teil der EU seine Integrationsverantwortung, seine Gestaltungsmöglichkeiten wahrnimmt, damit wir handlungsfähiger werden.
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Ich habe heute mein 25-jähriges Jubiläum als Abgeordneter.
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Erlauben Sie mir deshalb, auf Folgendes hinzuweisen: Integration in Europa geht immer nur nach der Methode „Bis hierhin und dann weiter“. – Dieses Weiter muss immer getragen sein von einer großen Mehrheit, am besten von den Menschen in allen Mitgliedstaaten, eben weil wir dieses gemeinsame Europa brauchen, um erfolgreich zu sein – und auch erfolgreich zu sein im Inneren wie nach außen, um diesem Krieg zu widerstehen und wieder zum Frieden zu kommen. Putin darf sich nicht durchsetzen. Wir leisten auch mit dieser Änderung einen wichtigen Beitrag.
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Vielen Dank, lieber Kollege Schäfer. Das mit den 25 Jahren müssen wir noch mal eruieren, wie das zustande kommt!
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Ich gebe jetzt aber erst einmal das Wort dem Kollegen Fabian Jacobi für die AfD.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 26 Minuten am späteren Abend gönnt sich der Deutsche Bundestag, um schon mal darüber zu beraten, ob er sich nächste Woche um diese Zeit ein wenig selbst entleiben möchte. Es bedarf geringer prophetischer Gaben, um vorauszusagen, dass er wollen wird. Der Drang zur Selbstabschaffung, zum sozusagen sukzessiven Suizid des Parlaments, ist schließlich Allgemeingut aller Fraktionen außer der AfD.
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Worum geht es? Der Vertrag über die Arbeitsweise der EU von 2009 sieht vor, dass die Regierungen der EU‑Staaten sich zusammentun und gemeinsam den Parlamenten ihrer Staaten die Gesetzgebungszuständigkeit für das Strafrecht stückweise entziehen können, um sie auf die EU zu übertragen. Man muss schon tief im Sumpf der EU‑Anbetung versunken sein, um nicht mehr wahrzunehmen, was für ein grotesker Vorgang das im Hinblick auf die demokratische Verfasstheit des Staates recht eigentlich ist.
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Es ist eine bleibende Schande für den Bundestag, diesem Vertrag damals zugestimmt zu haben.
Das Bundesverfassungsgericht hat seinerzeit einiges Richtige dazu angemerkt, allerdings das Vertragswerk am Ende zum Schaden Deutschlands und Europas passieren lassen. Es hat die besondere Bedeutung des Strafrechts hervorgehoben und betont, dass die demokratische Selbstbestimmung in besonders drastischer Weise beschädigt wird, wenn einer Rechtsgemeinschaft die Möglichkeit genommen wird, über die Strafbarkeit von Verhaltensweisen nach eigenen Wertvorstellungen selbst zu entscheiden. Deshalb, so das Bundesverfassungsgericht, könne der Selbstermächtigungsmechanismus des EU‑Vertrags für Deutschland nur wirksam werden, wenn der Bundestag dem jeweils durch ein förmliches Gesetz zustimme.
Um ebendies zu tun, sind wir nun hier zusammengekommen. Die Regierung fordert den Deutschen Bundestag auf, er möge zugunsten der EU einen weiteren Bereich seiner Gesetzgebungskompetenz im Strafrecht aufgeben. In der Sache handelt es sich um die strafrechtliche Durchsetzung der Außenpolitik der EU. Die EU definiert einen außenpolitischen Feind, ordnet Sanktionen gegen diesen Feind an und verlangt dann von ihren Mitgliedstaaten, dass sie diese Sanktionen in ihrem jeweiligen Bereich durchsetzen. Das tut Deutschland auch. Gerade im Mai erst hat der Bundestag ein Sanktionsdurchsetzungsgesetz beschlossen und zahlreiche behördliche Befugnisse erweitert.
Die EU-Kommission aber möchte selbst darüber entscheiden, welche Verhaltensweisen in Deutschland verfolgt und bestraft werden. Diese Forderung wird aktuell mit dem russischen Angriff auf die Ukraine begründet. Eine Aufgabe der Gesetzgebungskompetenz durch den Bundestag wäre aber darauf nicht beschränkt, sondern würde für alle zukünftigen außenpolitischen Maßnahmen der EU gelten, die heute noch in keiner Weise absehbar sind. Dass wir zu dieser Selbstaufgabe des Bundestages nicht die Hand reichen, versteht sich wohl von selbst.
Vielen Dank.
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Die nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Ann-Veruschka Jurisch für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Russlands Krieg gegen die Ukraine ist falsch; er ist völkerrechtswidrig, und Putin führt ihn zynisch und grausam. Die Teilmobilmachung gestern zeigt, dass Präsident Putin nicht davor zurückscheut, junge Männer aus ihren Familien zu reißen und sie in seinen Krieg und in den Tod zu schicken. Wer macht so etwas? Liebe Menschen in Russland, bitte sehen Sie klar, was hier geschieht.
Wir sprechen hier über Sanktionen, zum Beispiel diejenigen, die die EU gegen Russland verhängt hat. Sie sind ein wichtiger Bestandteil unserer Reaktion auf Putins Krieg. Sanktionen wirken. Die Weltbank und der IWF prognostizieren für Russland für dieses Jahr einen Rückgang des russischen GDP von zwischen 6 und 11 Prozent, einen Rückgang der Exporte aus Russland um 30 Prozent, eine Inflationsrate in Russland von über 20 Prozent. Sanktionen wirken. Und sie schaden vor allem Russland.
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Lassen Sie uns nicht russischen Narrativen und den Desinformationen aufsitzen – die Trollarmeen und ihre willigen Vollstrecker verbreiten –, dass die Sanktionen vor allem uns schadeten. Dass die Energiepreise bei uns hoch sind, ist nicht die Folge der Sanktionen, sondern die Folge von Putins hybrider Kriegsführung, die bei uns auf eine unzulängliche Energiepolitik der letzten Jahre gestoßen ist.
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Sanktionen sind ein Baustein der gemeinsamen Reaktion auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine – auf die unabhängige Ukraine. Die EU, Seite an Seite mit den USA, Großbritannien und weiteren Verbündeten, unternimmt alles in diesem hybriden Konflikt, um Russland in die Schranken zu weisen; denn das ist die Sprache, mit der auch Russland mit uns kommuniziert.
Sanktionen wirken im Zusammenspiel mit Hard Power in Form von Waffenlieferungen an die Ukraine, und darunter fallen auch Panzer. Sanktionen wirken im Zusammenspiel mit glaubwürdiger Abschreckung. Sanktionen wirken im Zusammenspiel mit einem beschleunigten Aufbau von energie-, rohstoff- und industriepolitischer Resilienz in der EU. Ein starkes und geeintes Europa ist das, was uns jetzt durch diese Krise und in die Zukunft tragen wird.
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Das EU-Parlament hat sich dafür ausgesprochen, dass der Strafrahmen für die Umgehung von Sanktionen EU-weit vereinheitlicht wird. Wir alle sollten dieses Gesetzgebungsprojekt jetzt klar und aus Überzeugung unterstützen.
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Denn Sanktionen wirken, und sie wirken vor allem dann, wenn alle beteiligten Staaten mit gleicher Stringenz mitmachen.
Dass Finanzminister Christian Lindner eine Bundesoberbehörde zur Bekämpfung der Finanzkriminalität einrichten will, ist ein wichtiger Schritt in der Bekämpfung von Geldwäsche und Sanktionsumgehung. Auch hier ist in den letzten Jahren viel zu wenig passiert.
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Es ist darüber hinaus richtig und wichtig, die Durchsetzung des Sanktionsregimes innerhalb der EU zu vereinheitlichen und es noch schlagkräftiger zu machen. In der Frage der gemeinsamen Haltung gegenüber Russland wie auch in grundsätzlichen Fragen der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie brauchen wir innerhalb der EU Einheitlichkeit und strategische Geschlossenheit. Hier darf es keine Rabatte und unterschiedlichen Geschwindigkeiten geben. Auch deshalb sollten wir diesen Gesetzentwurf unterstützen.
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Sanktionen wirken. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. – And Mister Putin: Stop this war! Njet wojne!
Danke.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der CDU/CSU und die heutige Debatte haben ein zentrales Ziel: Wir müssen endlich auch bei Kuba, wie schmerzhaft zuvor bei Russland und anderen Diktaturen, über die Wahrheit sprechen, und wir müssen aus den Fakten, die bitter sind, entsprechende Konsequenzen ziehen.
Es muss aufhören, aus falsch verstandener linker Romantik für Revolution oder aus falschen antiamerikanischen Ressentiments heraus die inzwischen sieben Jahrzehnte andauernde Repression des Regimes gegen Menschen in diesem Land zu relativieren.
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Es muss aufhören, die Unterdrückung von Freiheit, Grundrechten und Religionsausübung der zu 70 Prozent christlichen Bevölkerung sowie die politische Verfolgung und die Verweigerung von Dialog mit der eigenen Bevölkerung mit einer Ausnahmesituation Kubas in der Welt erklären zu wollen.
Die historischen Proteste vom Juli 2021 in ganz Kuba mit vielen Tausenden Teilnehmern in über 40 Städten waren die größten Proteste gegen das Regime, die es in Kuba je gegeben hat.
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Der Kern der friedlichen Proteste lässt sich durch den Ruf vieler Protestierenden zusammenfassen. Es war ein Wort, und das Wort hieß „Freiheit“.
Ich darf auf der Besuchertribüne Freunde aus Berlin und Dresden von Luis Frómeta Compte begrüßen. Deutsch-Kubaner, in der DDR-Zeit nach Dresden gekommen, deutscher Staatsbürger, in Kuba seit 2021 inhaftiert. Die Familie wünscht sich ein Begnadigungsersuchen der deutschen Behörden. Ich möchte von hier, aus dem Deutschen Bundestag heraus, an die Außenministerin und den deutschen Bundeskanzler diesen Appell im Namen der Familie und der Freunde richten. Ich danke auch dem Kollegen Lars Rohwer, der sich, wie die Gäste auf der Besuchertribüne auch, eingesetzt hat in diesen Fall.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf die legitimen Proteste 2021 und diese völlig berechtigten Forderungen hat das kubanische Regime mit brutaler Gewalt, massiv verschärften Gesetzen und Sperren des Internets reagiert. Deshalb müssen diese noch einmal drastisch verschärften Repressionen in Kuba auf entschiedenen, klaren und auch konkreten Widerstand der Bundesregierung, der gesamten EU und der freien Welt treffen. Hier geht es um eine international koordinierte, nicht nur auf den Dialog, sondern notfalls auch auf Sanktionen gerichtete Strategie, die nicht am Ausgleich mit dem brutalen Regime, sondern an der Verbesserung der Lage der Menschen in Kuba interessiert sein muss.
Herr Brand, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lucks zu lassen?
Nein. – Die kommunistische Führung Kubas, die sich gegenüber der EU 2016 zum politischen Dialog auch über Menschenrechte verpflichtet hat, tritt dieses Abkommen und damit auch die Zusammenarbeit mit der EU mit Füßen. Vor allem aber tritt sie die Grundrechte der eigenen Bevölkerung mit Füßen.
Wenn wir also heute die Bundesregierung dazu auffordern, proaktiv und prominent – und eben nicht im stillen Kämmerlein und möglichst unauffällig – gemeinsam mit den Partnern der EU und darüber hinaus das kubanische Regime zu stellen und diesem Regime konkret mehr Freiheit und mehr Menschenrechte für die gepeinigten Menschen in Kuba abzuringen, dann reden wir nicht nur über Kuba. Wir brauchen auch beim Thema Menschenrechte einen Kulturwandel in der deutschen Politik, insbesondere in der deutschen Diplomatie.
Herr Kollege.
Wir brauchen beim globalen Einsatz für Menschenrechte Mut, Klarheit und auch Empathie.
Herzlichen Dank.
Meine Gedanken sind heute bei dem völlig überraschend gestorbenen Kollegen und Mitglied des Menschenrechtsausschusses Rainer Keller. Ruhe in Frieden!
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Heike Engelhardt hat das Wort für die SPD-Fraktion.
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– Das hat sich geändert. Jede und jeder kann das ja wieder anders organisieren.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Tod von Rainer Keller ist nichts mehr, wie es vorher war. Rainer war ein Kämpfer für die Menschenrechte in der Welt, und er wird als dieser in Erinnerung bleiben.
„Kuba-Politik an Menschenrechten ausrichten“ fordert die CDU/CSU-Fraktion. Die Bundesregierung soll gegenüber Kuba stärker die Achtung der Menschenrechte einfordern. Der Antrag geht dabei auf die Proteste im Juli 2021 ein – und darauf, wie in der Folge Menschenrechte verletzt wurden.
Kuba ist ein Land, das schon seit längerer Zeit mit sozialen und wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hat. Diese Probleme stammen unter anderem von der Covid-Pandemie, vom Klimawandel und von dem strengen Sanktionsregime der USA.
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Mir ist wichtig, dass wir uns in der Diskussion über Kuba daran erinnern, dass viele Faktoren und Gründe eine Situation bedingen.
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Es wäre falsch von uns, nur ein Ereignis in den Blick zu nehmen und die Debatte damit in eine Richtung zu lenken.
Wer sich den Antrag der CDU/CSU genauer anschaut, bemerkt, dass das Wort „Frau“ relativ selten vorkommt. – Keine Sorge, es folgt jetzt hier keine sprachliche Analyse des Antrags. Aber gerade angesichts dessen, dass die Frauenbewegungen in Lateinamerika so präsent sind und schon so viel bewegt haben, fällt es doch auf, dass die CDU/CSU-Fraktion in ihren Forderungen kein einziges Mal auf die kubanischen Frauen eingeht.
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Wer übrigens genauso wenig erwähnt wird – um es ganz genau zu sagen: gar nicht –, sind die queeren Menschen. Dabei hat Kuba vor Kurzem ein neues Familiengesetz formuliert, über das schon bald abgestimmt werden soll; wenn mich nicht alles täuscht, noch diese Woche. Dieses neue Gesetz könnte auch die Lage der LGBTQI+-Gemeinschaft in Kuba verbessern. Bis zur wirklichen Gleichstellung ist es natürlich noch ein weiter Weg; aber es ist ein Anfang, und der sollte von uns nicht ignoriert werden.
Im Antrag der Union werden Aspekte wie Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Pressefreiheit erwähnt.
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Das alles sind Aspekte, die unsere Koalition ohne Frage unterstützt.
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Aber gerade wir, mit unserer Bundesregierung, die eine feministische Außenpolitik verfolgt,
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können keinen Antrag annehmen, der solche Lücken bezüglich mancher Bevölkerungsgruppen aufweist.
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Nun komme ich zu einem Teil, über den Sie, liebe CDU/CSU, sich freuen dürfen. Denn vielen Ihrer Forderungen kommen wir schon nach.
Die Bundesregierung hat sich zum Beispiel wiederholt dafür eingesetzt, dass politische Gefangene freigelassen werden. In Kuba arbeiten die deutsche Botschaft und deren Mitarbeiter/-innen unermüdlich an einer guten Beziehung zwischen unseren beiden Staaten.
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Vor Ort fordert die Botschaft, dass politische Gerichtsprozesse durch Diplomatinnen und Diplomaten der Bundesrepublik Deutschland beobachtet werden. So war es zum Beispiel bei José Daniel García und Luis Manuel Otero Alcántara der Fall; sie sind bekanntlich wichtige Stimmen in der Opposition. Auch der von Ihnen erwähnte deutsch-kubanische Doppelstaatler Luis Frómeta Compte wird von unserer Botschaft und vom Konsularischen Dienst in seinem Gerichtsprozess unterstützt.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie fordern in Ihrem Antrag außerdem eine genauere Analyse von Kubas Menschenrechtslage innerhalb der Vereinten Nationen. Sie wissen wahrscheinlich, dass Kuba im März 2023 Teil des Universal Periodic Review der Vereinten Nationen sein wird.
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In diesem Verfahren nimmt der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen die komplette Menschenrechtslage eines Landes genau unter die Lupe, und zwar vor den Augen der internationalen Gemeinschaft.
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Auch auf europäischer Ebene passiert schon einiges. Gemäß dem EU‑Partnerschafts- und Kooperationsabkommen setzt sich Deutschland seit 2016 beständig für eine verbesserte Menschenrechtslage in Kuba ein.
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Zudem fordert der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell Kuba öffentlich zur Einhaltung der Menschenrechte auf.
Liebe CDU/CSU-Fraktion, Sie merken wahrscheinlich selber, dass wir die meisten Ihrer Forderungen bereits aktiv umsetzen.
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Ein größeres Lob für unsere Regierung können wir uns gar nicht wünschen.
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Als Mitglied des Menschenrechtsausschusses ist es mir natürlich wichtig, dass in jedem Land die Menschenrechte geachtet werden. Gleichwohl wollen wir nicht mit dem gehobenen Zeigefinger daherkommen.
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Wir wollen unsere Wertegemeinschaft mit den Demokratien der Region Lateinamerika und Karibik stärken. So steht es in unserem Koalitionsvertrag. Außerdem steht da, wir wollen „die Gesellschaften der Region in ihrem Kampf gegen Populismus, autoritäre Bewegungen und Diktaturen … stärken“.
Die Bundesregierung setzt die Lateinamerika- und Karibik-Initiative der vorigen Regierung fort, und sie sieht die Staaten der Region weiterhin als zentrale Partner für multilaterale Zusammenarbeit. Wir wollen mehr Unterstützung geben und Kuba auf einem demokratischen Weg begleiten.
Ich fasse zusammen: Der Antrag der CDU/CSU enthält viele Punkte, die wir bereits umsetzen. Wir erkennen, dass die Union sich für Menschenrechte in Kuba einsetzen möchte.
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Bezüglich Frauenrechten oder Queerenrechten bleiben Sie aber deutlich hinter unserem Ansatz zurück. Wir lehnen den Antrag ab.
Vielen Dank.
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Jürgen Braun spricht für die AfD.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Der kürzlich verstorbene Denker Günter Maschke war 1969 überzeugter Kommunist. Er floh nach Kuba, dem Sehnsuchtsort vieler Achtundsechziger. Doch schon nach kurzer Zeit war er desillusioniert vom real existierenden Sozialismus, übte Kritik am Regime und wurde schließlich abgeschoben. Zurück in Deutschland dekonstruierte er den kommunistischen Mythos von der kubanischen Revolution als Volksaufstand. Er zeigte, dass im Gegenteil eine kleine, straff organisierte Clique staatsstreichartig die Macht an sich gerissen hatte – ganz wie bei der sogenannten Oktoberrevolution in Russland.
Maschke räumte auch mit den Schauermärchen auf, die die Kommunisten über den von ihnen vertriebenen General Batista verbreitet hatten. Denn unter der Militärdiktatur Batistas ging es den Kubanern besser als später unter Castro. Kuba war eines der wohlhabendsten Länder Lateinamerikas und das Land mit der höchsten Alphabetisierungsrate.
Was dann folgte, finanziert von der Sowjetunion und jahrzehntelang bejubelt von linken Claqueuren in Deutschland, war eine beispiellose Zerstörung von Kultur und Wohlstand. Diese Zerstörung hat bisher kein Ende gefunden. Es folgt ein repressives Gesetz gegen vermeintliche Fake News auf das nächste. Sprechverbote, Mangelwirtschaft, Stromausfälle: Die nächsten Monate im grünen Deutschland werden für uns ein Vorgeschmack darauf sein, was das kubanische Volk schon seit Jahrzehnten erdulden muss.
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Ich kann der Unionsfraktion bei diesem Antrag zustimmen. Die halbgare Verfassungsänderung ist eine Scheinreform, und die Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in Kuba wurde teilweise sogar verschärft.
Aber es sei hier daran erinnert, was für eine Kuba-Politik CDU und CSU noch bis vor Kurzem betrieben haben. Ihre Kanzlerin Merkel hat, wie auch die US‑Demokraten, jahrelang Warnungen amerikanischer Exilkubaner in den Wind geschlagen. Ihren damaligen Vize Sigmar Gabriel schickte Merkel 2016 nach Kuba, wo dieser kundtat, er komme nicht als Besserwisser, sondern als Partner. Was für ein Kotau vor dem Unrechtsregime! Diese Worte sind ein Schlag ins Gesicht all jener Menschen, die in Kuba seit Jahrzehnten für Freiheit kämpfen und dafür langjährige Haftstrafen hinnehmen müssen.
Nach der Ernennung von Díaz-Canel, einem politischen Ziehsohn Castros, zum Staatsratspräsidenten schickte die CDU-Kanzlerin Merkel ein Glückwunschtelegramm. Die Union hat noch viel zu tun, um die Verirrungen der grün-linken Merkel-Jahre endlich zu beenden.
Vielen Dank.
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Boris Mijatović spricht für Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Luis Manuel Otero Alcántara , Maykel Castillo Pérez, Esteban Rodríguez, Thais Mailén Franco Benítez, Hamlet Lavastida, José Daniel Ferrer García, Erik Ravelo: Diese Liste könnte ich lange fortsetzen, und ich weiß, viele Kolleginnen und Kollegen kennen die Personen mit diesen Namen teilweise persönlich. Es ist eine Liste politischer Gefangener in Kuba.
Ich selbst habe in dem Programm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ eine Patenschaft für Luis Manuel Otero Alcántara übernommen, und ich habe hinterher erfahren, dass seine Werke auf der Documenta bei mir in Kassel Teil der Ausstellung sind. Er selbst kann diese Ausstellung nicht besuchen, weil er im Juli 2021 als Mitbegründer der San-Isidro-Bewegung während der landesweiten Sozialproteste verhaftet wurde. Unter dem Vorwand, er sei eine Gefahr für die Allgemeinheit, wurde er im Juni 2022 schließlich zu fünf Jahren Haft verurteilt, gemeinsam mit Maykel Castillo Pérez, der Hip-Hopper ist. – Nur dass wir uns das mal vor Augen führen!
Luis’ Fall zeigt, wie die Regierung von Miguel Díaz-Canel das Justizsystem instrumentalisiert, um kritische Stimmen zu kriminalisieren, auch durch Anklagen wegen angeblicher Verbrechen. So etwas ist nicht mit dem Völkerrecht vereinbar.
Luis’ Fall zeigt auch: Ihr Antrag bleibt vage. Ich frage Sie: Was ist Ihre langfristige Strategie für eine Verbesserung dieser Situation in Kuba? Eine schlichte Ratifikation des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte sowie des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte kann nur ein allererster Schritt sein. Zur Umsetzung braucht es aber den politischen Willen auf Kuba selbst. Was sind Ihre Ansätze dazu?
Es ist nicht falsch, sich für die Anwendung des EU-Sanktionsmechanismus bei Menschenrechtsverletzungen gegen die Verantwortlichen für schwere Menschenrechtsverletzungen bei der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste im Juli 2021 einzusetzen. Wir müssen aber auch eine deutliche Aufklärung der gewaltsamen Niederschlagung durch die kubanische Seite fordern.
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Hierzu muss das Justizsystem grundlegend und langfristig transformiert werden. Ich frage erneut: Wo sind Ihre Ansätze?
Die Bundesregierung setzt sich bereits auf allen diplomatischen Kanälen gegenüber Kuba für die Achtung der universellen Menschenrechte ein. Luise Amtsberg befindet sich gerade auf dem Weg nach Kuba; sie wird den Fall dort explizit ansprechen. Dieses Engagement werden wir langfristig fortsetzen, um grundlegende Änderungen im Land selbst anzustreben.
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Herr Kollege.
Eine letzte Bemerkung. Lieber Rainer Keller, du warst ein wunderbarer Kollege bei mir, bei uns im Menschenrechtsausschuss. Wir werden dich sehr vermissen. Ich habe viel von dir gelernt. Ruhe in Frieden!
Danke.
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Die Kollegin Nastic gibt ihre Rede zu Protokoll.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine klare Tatsache, dass die Menschenrechtsbilanz des kommunistisch regierten Kuba schlecht ist. 16 Jahre ist es her, dass wir als Freie Demokraten in unserem Antrag „Menschenrechte in Kuba einfordern und die kubanische Zivilgesellschaft fördern“ auf die desolate Menschenrechtslage in Kuba hingewiesen haben. Seitdem hat sich zwar einiges geändert, aber Kuba bleibt auch im Jahr 2022 ein autoritäres Regime unter der Herrschaft der Kommunistischen Partei Kubas.
Im Februar 2019 verabschiedete Kuba eine neue Verfassung, in der Kuba als „sozialistischer Staat des Rechts“ bezeichnet wird und die sich der Wahrung der Menschenrechte verschrieb. Davon ist leider nichts zu sehen.
2022 ist die Menschenrechtslage in Kuba nach wie vor mehr als besorgniserregend. Immer noch unterbindet das Regime jeden Funken von politischem Pluralismus, immer noch werden die Bürgerinnen und Bürger Kubas ihrer grundlegenden Freiheiten und Rechte beraubt, immer noch müssen mutige Menschen, die auch nur den geringsten Hauch an Kritik äußern, mit schwerwiegenden Konsequenzen und Repressionen rechnen.
„Meinungsunterschiede … in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte“, wie die Union das nennt, sind das in meinen Augen nicht. Für mich werden in Kuba die Rechte und Bedürfnisse der Menschen seit Jahren mit Füßen getreten. Das veranschaulicht aufs Deutlichste, dass die kubanische Regierung nicht einfach eine andere Meinung hat, nein, sie vertritt im Kern eine andere Weltanschauung.
Schon 2006 haben wir Freien Demokraten die damalige Bundesregierung vergeblich aufgefordert, gegenüber der kubanischen Regierung die Menschenrechte, insbesondere die Presse- und Meinungsfreiheit sowie die Freiheit, politische Vereinigungen zu bilden, mit Nachdruck einzufordern.
Ich bedauere es sehr, dass man den Wortlaut dieser Forderung unverändert auf die heutige Zeit projizieren kann. Die Proteste aus 2021, die damit endeten, dass zahlreiche Menschen im Gefängnis landeten – einige wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt –, sind nur ein trauriger Höhepunkt einer jahrelang autoritären Politik. Ich möchte daher die heutige Gelegenheit nutzen, um an das Schicksal dieser Menschen zu erinnern, Menschen, die die Hoffnung auf Freiheit und Menschenrechte noch nicht aufgegeben haben, deren Wille, ihre Stimme zu erheben, noch nicht gebrochen ist, wie die Proteste 2021 zeigten.
Menschen wie Luis Frómeta Compte sind zu Unrecht zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Sie müssen freigelassen werden! Die Tatsache, dass es der Bundesregierung gelungen ist, dass seine Familie jetzt endlich mit ihm reden kann, zeigt, dass dieses Thema bei der Bundesregierung in der Tat längst angekommen ist. Wir brauchen dazu keinen Antrag der Union; wir kümmern uns darum. Der Kollege Mijatović hat eben weitere aktuelle Fakten erzählt.
Die Bevölkerung Kubas hat nach ständigen Wirtschaftskrisen angesichts einer nur äußerst langsam voranschreitenden Öffnung genug mitgemacht. Viele Erwartungen sind unerfüllt geblieben, und es ist nicht überraschend, dass für zahlreiche Menschen diese Insel der Karibik heute mehr Schatten- als Sonnenseiten hat.
Es ist daher unsere Aufgabe im Sinne einer wertegeleiteten Außenpolitik, bei Anlässen wie heute zu zeigen, dass wir fest an der Seite dieser Menschen stehen und die repressive Politik der kubanischen Regierung nicht nur intensiv beobachten, sondern auch lautstark verurteilen. Dies muss sich auch in unseren bilateralen Beziehungen widerspiegeln. Die Menschenrechte müssen bei der Ausgestaltung dieser Beziehungen unverhandelbare Voraussetzung sein. Dabei genügt es nicht, es bei reinen Absichtserklärungen zu belassen.
In einem Zeitalter, in dem sich liberale Demokratien und autoritäre Regime unerbittlich gegenüberstehen – und zu Letzteren gehört leider auch das Regime in Kuba –, ist es unsere Pflicht als Vertreter einer wertebasierten Weltordnung, die Universalität der Menschenrechte nicht nur vehement einzufordern, sondern die uns zur Verfügung stehenden Mechanismen zum Schutz und zur Durchsetzung der Menschenrechte auch konsequent anzuwenden. Dabei müssen wir in enger Abstimmung und Kooperation mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern agieren; nur gemeinsam können wir diese Werte erfolgreich verteidigen.
An dieser Stelle möchte ich mich ausdrücklich meinen Kolleginnen und Kollegen anschließen. Der Kollege Keller war im Menschenrechtsausschuss ein sehr geachtetes Mitglied, und ich bin fassungslos, dass er von uns gegangen ist. Das ist ein wirklicher Schock. Noch am Mittwoch haben wir im Ausschuss gemeinsam für Menschenrechte gekämpft. Ich kann das nicht nachvollziehen. Ruhe in Frieden!
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Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Dr. Jonas Geissler.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1 016, das ist die Zahl, die die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte aktuell als Zahl der politischen Gefangenen in Kuba angibt. Das ist eine Zahl, die wir nur schätzen können; weil wir am Ende nicht wissen, wer tatsächlich politischer Gefangener ist.
Die Gründe dafür, politischer Gefangener in Kuba zu werden, sind vielschichtig: Menschen, die aufgestanden sind für die Demokratie, für die Freiheit, für die Religionsfreiheit; manche Menschen waren einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Jeder von ihnen hat eine ganz eigene Geschichte.
Eine dieser Geschichten ist die von Yandier Garcίa Labrada. Er ist Mitglied der Christlichen Befreiungsbewegung, wurde einige Male verhaftet und schließlich am 6. Oktober 2020 beim Anstehen in einem Lebensmittelladen festgenommen. Er war Polizeigewalt ausgesetzt; seine Familie erhielt drei Wochen lang keine Nachricht von ihm. Ohne offizielles Verfahren, ohne Anwalt wurde er zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, war in Isolationshaft und körperlichen Misshandlungen ausgesetzt.
Von körperlichen Misshandlungen kann auch Aymara Nieto Múñoz sprechen. Sie ist eine der Damen in Weiß. Sie wollte demonstrieren und wurde am 6. Mai 2018 von der Polizei gefangen genommen. Auch sie war Polizeigewalt ausgesetzt. Sie ist in einem nichtöffentlichen Prozess zu vier Jahren Haft verurteilt worden, war in Isolationshaft und wurde dann wegen verschiedener Delikte in der Haft am 22. Februar 2022 zu weiteren fünf Jahren Haft verurteilt.
Kuba ist kein Rechtsstaat. Kuba ist keine Demokratie. Kuba schützt nicht die körperliche Unversehrtheit. Kuba tut nichts für die Religionsfreiheit, nichts für die Meinungsfreiheit und nichts für die Versammlungsfreiheit.
Als Parlament ist es unsere Aufgabe, deshalb aufzustehen, anzuprangern und aufzuzeigen.
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Dabei ist es am Ende egal, ob man für oder gegen einen Antrag ist. Wichtig ist, dass wir als Parlament den Opfern ein Gesicht geben, im Ausschuss und hier in diesem Plenum.
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Lassen Sie uns den Opfern gemeinsam ein Gesicht geben!
Ich möchte der Familie von Rainer Keller mein aufrichtiges Beileid aussprechen. Ich habe ihn als unglaublich freundlichen, netten, sympathischen Kollegen erlebt und diese Woche noch mehrfach mit ihm gesprochen. Mir tut das einfach furchtbar leid.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen!
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Der vorliegende Antrag ist ein Schritt zu mehr Demokratie und zu mehr Teilhabe in unserer Demokratie für junge Menschen. Wir senken für die Wahlen zum Europäischen Parlament das Wahlalter auf 16 Jahre.
Unser Ziel bleibt, in einem kommenden, weiteren Schritt auch das Grundgesetz zu ändern, um auch bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion, bei der hierfür erforderlichen Zweitdrittelmehrheit sind Sie gefragt. Aber wir wollen Sie natürlich auch einladen, dem hier vorliegenden Antrag zuzustimmen. Die Argumente sind die gleichen. Seit dem Parteitagsbeschluss Ihrer Partei für die Parität, zu dem ich Ihnen herzlich gratulieren möchte, bin ich guter Dinge, dass Ihre Partei und Ihre Fraktion lernfähig und aufgeschlossen für progressive, gute, zukunftsgewandte Argumente sind.
({2})
Es ist ein gemeinsames Ziel der demokratischen Parteien, junge Menschen für unsere Demokratie zu gewinnen und zu begeistern, ihnen eine Stimme zu geben. Mit diesem Antrag werden wir 1,3 Millionen Bürger/-innen die Wahlberechtigung geben und somit mehr Demokratie wagen.
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Werte Kolleginnen und Kollegen, nicht das Wahlrecht selbst, sondern der Ausschluss von der Wahlberechtigung ist rechtfertigungsbedürftig, und solche Rechtfertigungen liegen hier heute nicht mehr vor; denn es geht hier gerade nicht um die Frage der Einheit der Rechtsordnung. Das aktive Wahlrecht ist nicht gleichzusetzen mit der Geschäftsfähigkeit von Volljährigen und dem Abschluss von Verträgen.
({4})
Und mit Verlaub: Dies ist ein Argument, was in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts durch konservative Kräfte makabererweise schon gegen das Frauenwahlrecht angebracht wurde. Also kommen Sie uns heute in der Debatte nicht mit der Frage des Abschlusses von Mietverträgen! Das ist hinfällig, hier liegt gerade kein Wertungswiderspruch vor.
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Diesen Wertungswiderspruch gibt es auch nicht im Grundgesetz; denn gerade Artikel 38 Absatz 2 unterscheidet zwischen der Wahlberechtigung, dem aktiven Wahlrecht, und dem passiven Wahlrecht, für das die Volljährigkeit gebraucht wird. Unsere Rechtsordnung kennt viele Abstufungen für die Zuweisung von Rechten und Pflichten, etwa bei der Religionsmündigkeit mit 14, dem Führerschein mit 17,
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oder der Strafmündigkeit mit 14.
Insbesondere ist aber auch die Frage nach dem politischen Wissen kein geeignetes Kriterium, was angeführt werden kann; denn erstens gilt dies auch nicht bei Volljährigen, und zweitens sind doch gerade junge Menschen in unserer Zeit gut politisiert und gut informiert durch viele Medien.
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Wir haben in den letzten Jahren an der Klimaschutzbewegung und bei vielen gesellschaftlich wichtigen Themen doch gemerkt, dass sich junge Menschen politisch engagieren und dass sie auch beteiligt werden müssen.
({8})
Auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beim Klimaurteil macht doch deutlich, dass wir Politiker eine Sorgfaltspflicht gegenüber der jungen Generation haben. Deswegen soll die junge Generation auch mitbestimmen, wer sie vertritt. Wir reihen uns hier mit vielen europäischen Staaten ein, die diesen Weg gegangen sind, und vielen Bundesländern; die kommunale Ebene ist auch schon so weit.
Deshalb lade ich Sie ein: Unterstützen Sie die Absenkung des Wahlalters! Setzen Sie sich ein für mehr Demokratie! Haben Sie Vertrauen in die junge Generation!
({9})
Sie kommen bitte zum Ende.
Zum Abschluss möchte auch ich dafür danken, dass Rainer Keller ein Kollege von uns sein konnte. Wir haben heute einen großen Schock erfahren. Rainer, ruhe in Frieden! Wir denken an deine Familie und fühlen mit ihr.
Vielen Dank.
({0})
Ansgar Heveling spricht für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Mit dem Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Europawahlgesetzes hat die Ampel einen Gesetzentwurf vorgelegt, der kurz, knapp und leicht verständlich ist
({0})
und dessen Inhalt in einem Satz zusammengefasst werden kann: Das aktive Wahlalter für die Wahl des Europäischen Parlaments soll von 18 auf 16 Jahre abgesenkt werden.
({1})
Ich bin durchaus ein Freund sprachlicher Prägnanz; aber mir scheint, dass dieser Gesetzentwurf doch allzu simpel geraten ist. Zu seiner Begründung wird dem geneigten Leser parlamentarischer Drucksachen lediglich mitgeteilt, dass das derzeitige Mindestwahlalter für die Wahlen zum Europäischen Parlament von 18 Jahren Menschen von der Wahl ausschließe, „die an zahlreichen Stellen in der Gesellschaft Verantwortung übernehmen und sich in den politischen Prozess einbringen können und wollen“; angesichts dessen sei eine Absenkung des Wahlalters angezeigt.
Ich bin mir durchaus bewusst, dass zahlreiche, viele junge Menschen im Alter zwischen 16 und 18 Jahren bereits über ein waches politisches Bewusstsein verfügen und sich auch einbringen; das ist auch gut so. Aber dass sie bereits an so zahlreichen Stellen in der Gesellschaft Verantwortung übernehmen, dass deswegen das Wahlgesetz geändert werden muss? Das erscheint mir nicht sinnvoll.
Darüber hinaus haben die allermeisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union das Alter für das aktive Wahlrecht wie wir in Deutschland auf 18 Jahre festgelegt.
Es geht um die Wahlen zum Europäischen Parlament. Wir müssen festhalten, dass die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre durch das Europarecht jedenfalls nicht zwingend vorgegeben ist. Der aktuell geltende Direktwahlakt enthält hierzu überhaupt keine Festlegung.
Was aber europarechtlich angezeigt wäre, ist, dem Direktwahlakt aus dem Jahr 2018 zuzustimmen, damit die auf europäischer Ebene beschlossenen Regelungen endlich umgesetzt werden können – konkret: dass die bereits 2018 beschlossene Sperrklausel bei Europawahlen eingeführt und das Europäische Parlament gestärkt werden kann.
({2})
Dazu hat sich die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag sogar ausdrücklich verpflichtet. Dort heißt es:
Wenn bis zum Sommer 2022 kein neuer Direktwahlakt vorliegt, wird Deutschland dem Direktwahlakt aus 2018 auf Grundlage eines Regierungsentwurfes zustimmen.
({3})
Bis zum Sommer 2022! Heute ist der 22. September, in wenigen Stunden ist der Beginn des kalendarischen Herbstes. Ein neuer Direktwahlakt ist zwar in Arbeit und sieht in seinem vorliegenden Entwurf sogar ein Wahlrecht ab 16 vor, aber er existiert eben noch nicht, und dass er im Sommer 2022 nicht verabschiedet werden würde, ist auch seit geraumer Zeit klar. Vor diesem Hintergrund richte ich den dringenden Appell an die Regierungskoalition: Unternehmen Sie doch bitte im Europarecht diejenigen Schritte, die notwendig und angezeigt sind und die das Europäische Parlament vor einer Fragmentierung bewahren. Deutschland muss jetzt den 2018 beschlossenen Änderungen des Direktwahlaktes zustimmen, damit eine Sperrklausel eingeführt werden kann.
({4})
Herr Kollege.
Wenn die Koalition es selbst nicht schafft, werden wir als CDU/CSU-Fraktion in der weiteren Beratung dieses Gesetzentwurfs einen entsprechenden Antrag einbringen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Emilia Fester für Bündnis 90/Die Grünen.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen!
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Genau jetzt, während wir hier debattieren, sind junge Aktivistinnen und Aktivisten in den letzten Zügen ihrer Demovorbereitungen. Wie gut, dass Fridays for Future endgültig mit dem Vorurteil aufräumen konnte, dass die junge Generation politikverdrossen wäre.
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Im Gegenteil: Morgen werden wieder Hunderttausende junge Menschen für Klimagerechtigkeit auf die Straße gehen
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und 100 Milliarden Euro für den Klimaschutz und soziale Sicherung fordern, weil sie wissen, dass Investitionen in unsere Lebensgrundlagen vernünftig und notwendig sind.
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Die Schüler/-innen-Bewegung fordert, dass wir unsere Handlungsoptionen nutzen, um diese von Krisen geschüttelte Welt in den Griff zu bekommen. Das tun sie als mündige Bürger/-innen. Das sollten wir ernst nehmen und fördern. Geben wir ihnen neben der lauten Stimme auf der Straße auch eine Stimme an der Wahlurne!
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Das Europaparlament, unsere Wahlrechtskommission und der Bundesrat empfehlen das, wofür die Ampel seit ihrem Sondierungspapier abgefeiert
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wurde: die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre beim Bund. Wir beginnen bei den Wahlen zum Europäischen Parlament. Es geht aber um so viel mehr. Das Wahlalter 16 reiht sich ein in eine lange Liste von Vorhaben der Ampel für ein starkes Europa. Wir unterstützen im Koalitionsvertrag etwa ausdrücklich den Vorschlag, transnationale Listen einzuführen.
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Zusammen mit den Vorhaben der Wahlrechtskommission schafft die Ampel ein Wahlrecht, das dem 21. Jahrhundert gewachsen ist.
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Ich stoße mich wirklich öfter an diesem Begriff, aber: So geht Fortschrittskoalition.
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Die Begrenzung des Wahlrechts des Volks bis zu einer bestimmten Altersstufe seiner Angehörigen ist eine traditionell durchaus verstehbare, gegenwartsbezogen jedoch recht problematische, verfassungsrechtlich ziemlich bedenkliche, zukunftsorientiert dringend reformbedürftige und demokratietheoretisch weitgehend unhaltbare Bestimmung des Grundgesetzes.
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– Das sind nicht meine Worte, sondern die von Winfried Steffani, Politikwissenschaftler, SPDler und später CDUler. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, für eine Einschränkung demokratischer Rechte braucht es immer eine sehr gute Begründung, und Alter ist ein Merkmal, das laut Grundgesetz nicht zu einer Diskriminierung führen darf.
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Die Unwucht ist eigentlich schon groß genug. Der demografische Wandel sorgt dafür, dass diejenigen, die am längsten von der heutigen Politik betroffen sind, in dieser Demokratie die geringste Stimmkraft haben. Die ältere Hälfte der Gesellschaft hat nicht etwa 50 Prozent der Stimmgewalt in diesem Land, sondern mehr als 70 Prozent.
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Die Begründungen für das Wahlalter 18, die ich immer wieder höre, sind, sagen wir mal, spannend. Im Kern geht es oft darum, dass junge Menschen nicht die Fähigkeit dazu hätten, an Wahlen teilzunehmen. Dann heißt es, junge Menschen seien nicht ausreichend politisch gebildet, um eine gute Wahlentscheidung zu treffen. Dieser Befähigungsvorbehalt scheint aber verwunderlicherweise nur für Jugendliche zu gelten. Oder testen wir andere Altersgruppen auf den Grad ihrer politischen Bildung,
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bevor sie den Stimmzettel einwerfen dürfen?
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Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Doppelstandard. Im Übrigen ist es ein völlig falsches Argument. 16- und 17-Jährige werden sogar extrem gut vorbereitete Wähler/-innen sein. Denn sie gehen zur Schule, wo sie sich pädagogisch begleitet eine Meinung bilden, abwägen und für ihre eigene Wahl schlussfolgern können.
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Die jungen Menschen schauen auf uns. Im Europäischen Jahr der Jugend erwarten sie mehr als Lippenbekenntnisse. Führen wir das Wahlalter 16 für die Europawahlen ein! Es ist an der Zeit.
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Vielen Dank.
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Der Wunsch nach einer Zwischenfrage kam schon nach der Redezeit. Das konnten Sie nicht sehen. Aber deswegen habe ich nicht nachgefragt.
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Jetzt hat Fabian Jacobi das Wort für die AfD.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll für die Wahl des sogenannten Europäischen Parlaments das Wahlalter auf 16 Jahre abgesenkt werden. Lassen Sie uns aus diesem Anlass kurz über Würde sprechen. Nicht nur Menschen, auch Institutionen können eine Würde haben, so auch unsere Rechtsordnung und unsere Demokratie. Zur Würde einer Rechtsordnung gehört es, dass sie sich in ihren Wertungen nicht selbst widerspricht, nicht bloße Willkür in Gesetzesform fasst. Zur Würde einer Demokratie gehört es, dass sie nicht gar zu offensichtlich von den Herrschenden im eigenen Interesse manipuliert wird.
Werfen wir einen Blick darauf, welche Regeln unsere Rechtsordnung für die Altersstufe 16 aufstellt. Mit 16 ist man noch nicht voll geschäftsfähig, kann also Verträge nur sehr eingeschränkt abschließen. Mit 16 ist man noch nicht ehemündig, darf also nicht heiraten. Die früher bestehende Möglichkeit, mit 16 zu heiraten, ist erst vor Kurzem ganz bewusst abgeschafft worden. Mit 16 ist man noch nicht voll strafmündig, wird also nicht nach dem für Erwachsene geltenden Strafrecht behandelt. Wollte jemand fordern, Jugendliche mit 16 nach dem Erwachsenenstrafrecht abzuurteilen, erhöbe sich hier ein Sturm der Entrüstung, und zwar am lautesten bei den Initiatoren dieses Gesetzentwurfs.
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Auch die Wehrpflicht, die nach wie vor in unserer Verfassung steht, beginnt für den männlichen Teil eines Jahrgangs mit 18. Die Vorstellung, 16‑Jährige zur Bundeswehr einzuziehen, würde jeder hier als abwegig bis empörend betrachten.
Die guten Gründe, aus denen in all diesen Angelegenheiten für die Altersstufe 16 gilt: „noch nicht“, gelten genauso für das Wahlrecht. Deshalb legt das Grundgesetz das Wahlalter für den Bundestag zu Recht auf die Volljährigkeit.
Warum also dieses Gesetz? Vor einiger Zeit – bevor das dann durch das Coronaregime unterbrochen wurde – gab es erschreckende Szenen hier vor dem Parlament. Lange Reihen von Kindern und Jugendlichen wurden als Demonstrationszug durch die Straßen geführt, die offenkundig schon im Kindergarten und in der Schule in den Weltuntergangskult um den Götzen „Kliemer“ eingeführt worden waren.
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Wenig verwunderlich erreichten dann bei den letzten Wahlen unter den Erstwählern, die erst kurz zuvor das staatliche Schulsystem verlassen hatten, die Regierungsparteien mit ihrem „Kliemer“-Programm den größten Erfolg. Unter denen, die bereits Abstand von der Schule hatten und einige Jahre Verantwortung für sich und andere tragen mussten, fiel der Erfolg der Regierungsparteien dagegen bescheidener aus.
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Was liegt da näher, als zur Sicherung künftiger Wahlerfolge der Regierungsparteien noch einige Hunderttausend zusätzliche Wähler im Schulalter zu erschaffen? Wir halten das für einen würdelosen Umgang mit unserer Demokratie.
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Auch deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab.
Herzlichen Dank.
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Konstantin Kuhle hat das Wort für die FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute Abend über die Absenkung des aktiven Wahlalters bei Europawahlen in Deutschland auf 16. Das ist ein freudiges Ereignis. Denn wenn in einer Demokratie die Basis demokratischer Entscheidungen verbreitert wird, indem mehr Menschen an den demokratischen Entscheidungen teilnehmen können, dann verbreitert sich auch die demokratische Legitimation. Das ist eine gute Sache, die wir heute hier beschließen oder zumindest auf den Weg bringen.
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Meine Damen und Herren, es ist viel darüber gesprochen worden, inwiefern junge Menschen überhaupt über ein politisches Bewusstsein verfügen. Natürlich ist es dem Gesetzgeber erlaubt, an dieser Stelle zu typisieren und zu entscheiden, dass 16- und 17‑Jährige typischerweise über ein hinreichendes politisches Bewusstsein verfügen.
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Wir können das daran beobachten, dass sie auf die Straße gehen
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für Generationengerechtigkeit, beispielsweise beim Rentensystem und bei der Staatsverschuldung, dass sie gegen den Klimawandel demonstrieren, dass sie sich gegen den russischen Krieg in der Ukraine einsetzen. All das zeigt, dass viele junge Menschen ein politisches Bewusstsein haben.
Und wo sie es noch nicht haben, liegt es doch an uns, über das Bildungssystem, über die Schulen dafür zu sorgen,
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dass die jungen Menschen verstehen, wie unsere Wahlen funktionieren, dass sie begreifen, was da gemacht wird. Wenn ich das einmal sagen darf: Ich würde mir wünschen, dass so manche Politiklehrerin und so mancher Politiklehrer dafür brennt, junge Menschen dazu zu bringen, an einer Wahl teilzunehmen. Das sorgt dann für politisches Bewusstsein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Es geht nicht darum, wen die Leute wählen. Aber dass sie an einer Wahl überhaupt teilnehmen, darauf muss im Bildungssystem hingearbeitet werden.
Und dann wird immer darüber gesprochen: Übernehmen junge Menschen eigentlich hinreichend Verantwortung in anderen Bereichen der Gesellschaft, dass man ihnen das Wahlrecht schon mit 16 und 17 geben kann? Dazu will ich sagen, dass wir einmal kurz darüber nachdenken müssen, wozu das Wahlrecht mit 18 bei einer Wahlperiode des Europäischen Parlaments von fünf Jahren eigentlich führt. Es führt dazu, dass nicht nur 18‑Jährige zum ersten Mal wählen, sondern auch 19‑Jährige, 20‑Jährige, 21‑Jährige und 22‑Jährige.
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All die wählen bei der Europawahl zum ersten Mal.
In Deutschland beginnen junge Menschen mit 16 eine Ausbildung, schließen junge Menschen mit 20 ihren Bachelor ab, haben berufsqualifizierende Abschlüsse, arbeiten, zahlen Steuern. Diese Menschen übernehmen Verantwortung in unserer Gesellschaft.
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Deswegen haben sie es auch verdient, dass sie am politischen Prozess beteiligt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Und dann wird darüber gesprochen: Gibt es eigentlich ein perfektes System der Altersgrenzen im deutschen Recht? Mit 7 ist man beschränkt geschäftsfähig, mit 14 strafmündig und religionsmündig. Mit 16 darf man Bier trinken. Mit 40 können Sie erst Bundespräsident werden. Also, zu glauben, dass es ein perfektes System der Altersgrenzen im deutschen Recht gäbe, ist absolut absurd. Ich habe sogar herausgefunden, dass man schon mit 16 Mitglied bei CDU und CSU werden kann.
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Das ist unglaublich, das ist ja wirklich gefährlich, wem Sie da alles die Möglichkeit geben, darüber zu entscheiden, ob man nun Annegret Kramp-Karrenbauer oder Friedrich Merz oder doch Markus Söder will. Da muss an der Einsichtsfähigkeit so manches 60- und 70-Jährigen in der CDU/CSU wirklich gezweifelt werden, liebe Kollegen!
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Das sollte man sich wirklich noch einmal überlegen!
Ich meine, es gibt dieses perfekte System nicht. Sie selber gestehen es Leuten zu, mit 16 oder 17 über politische Fragen zu entscheiden. Deswegen sollten wir das auch bei der Europawahl so machen.
Ich will abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch sagen: Von der heutigen Debatte geht ein Zeichen aus an eine Generation, die während der Coronakrise unter Schulschließungen usw. besonders gelitten hat. Es gibt in diesem Parlament Leute, die sagen: Ihr seid unsere Verfügungsmasse,
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und wir muten euch jetzt auch noch ein soziales Pflichtjahr zu. – Das kann man machen. Es gibt in diesem Parlament aber auch Leute, eine Mehrheit in diesem Haus, die sagen: Wir nehmen euch ernst als mündige Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, ihr könnt mitentscheiden. Das bringen wir heute auf den Weg.
Vielen Dank.
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Alexander Ulrich gibt seine Rede zu Protokoll, wofür wir ihm danken.
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Brian Nickholz spricht für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Wahlrecht mit 16 bei der Europawahl stärkt unsere Demokratie. Es ist logisch, es ist konsequent, und es ist überfällig.
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Junge Menschen sind reif genug. Ihnen wird in den meisten deutschen Bundesländern zugetraut, bei Kommunalwahlen zu entscheiden, wer im Rathaus, wer im Kreishaus das Sagen hat. Wir haben gelernt – das ist auch vorher klar gewesen –, dass Landrätinnen/Landräte eine große Verantwortung haben, gerade im Katastrophenschutzfall. Die Kolleginnen und Kollegen in kommunalen Parlamenten leisten nicht minder komplexe Arbeit als wir hier im Bundestag oder unsere Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament.
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– Ja, ich weiß, dass die AfD es mit der Stärkung von Demokratie nicht so hat und sich damit wahrscheinlich nicht ausgiebig beschäftigt hat. Aber hier geht es um das aktive und nicht um das passive Wahlrecht.
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– Sie müssen zuhören. Es geht um die Wahl von Landrätinnen und Landräten, habe ich gesagt.
Bei Wahlen mit hoher Tragweite, auch bei immer mehr Landtagswahlen kann, unterstützt auch von der CDU, mit 16 Jahren gewählt werden. Über den Bundesrat haben die Länder Einfluss auf unsere Bundespolitik. In den Parteien entscheiden 16-Jährige mit über Spitzenkandidaturen. Sie entscheiden bei Mitgliederentscheiden, ob Koalitionen, also Regierungen zustande kommen. Das alles trauen wir 16‑Jährigen jetzt schon zu, meine Damen und Herren.
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Warum also hier höhere Hürden einziehen? Das ist doch einfach nur absurd.
Wählen stärkt die Demokratie. Wählen mit 16 stärkt die Demokratie. Liebe Union, springen Sie über Ihren Schatten! Machen Sie sich ehrlich! Machen Sie sich hier keinen schlanken Fuß! Nutzen Sie die Zeit bis zur zweiten und dritten Lesung. Gehen Sie in sich, und geben Sie vielen jungen Menschen mehr demokratische Teilhabe. Davon profitiert die gesamte Demokratie.
Die Partei ganz rechts im Haus unterschätzt immer wieder junge Menschen. Die jungen Menschen passen auf. Die Schulklassen fragen: Warum sitzt denn da immer ein älterer Herr, der nur Zeitung liest? Warum bestellt da immer einer bei Amazon seine Pakete? – Die jungen Leute interessieren sich für Politik, und sie gehen auch zur Wahlurne und lassen sich von so einem Geschwätz nicht beeinflussen.
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Gestatten Sie mir noch einen Hinweis zum Abschluss. Die Argumente, die hier hinsichtlich der Entscheidungsreife von jungen Menschen angeführt werden, erinnern ganz stark an die Debatten zum Frauenwahlrecht. Genau die gleichen Argumente wurden angeführt, um den Frauen das Wahlrecht vorzuenthalten. Die härtesten Kritiker konnten erst durch die Realität überzeugt werden, dass das falsch war. Und bei den Herren hier ganz rechts bin ich mir immer noch nicht sicher, ob das insgesamt gelungen ist.
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Also: Warum in alte Muster verfallen? Lassen Sie uns für die jungen Menschen ein klares Signal setzen, nicht nur für die Europawahl, am besten auch für die Bundestagswahl. Wählen mit 16 stärkt unsere Demokratie, stärkt unser Parlament.
Herzlichen Dank.
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Bitte erlauben Sie mir als Vorsitzendem der Parlamentariergruppe Bulgarien-Moldau-Rumänien einige Worte. Ich bin tief betroffen vom Tod von Rainer Keller, der bei uns mitgewirkt hat. Ich durfte ihn als engagierten und lieben Menschen kennenlernen. Mein tiefes Beileid gilt seinen Angehörigen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Im ersten Halbjahr haben wir 2,6 Milliarden Euro eingenommen, weil wir endlich wieder mehr erneuerbare Energien ans Netz gebracht haben und das europäische Stromnetz insgesamt stabilisieren konnten. Wir haben das europäische Stromnetz bezüglich der gravierenden Probleme in Frankreich stabilisiert, wir haben in der Ukraine ausgeholfen, und wir haben auch die vielfältigen Folgen der Dürre für den europäischen Stromhandel ein Stück weit erträglicher gemacht.
In der Debatte zur Atomkraft müssen wir zwei hohe Güter miteinander abwägen: Erstens müssen wir die Versorgungssicherheit in der Stromerzeugung garantieren. Zweitens dürfen wir dabei niemals – und das ist noch wichtiger – die nukleare Sicherheit aus den Augen verlieren.
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Darum braucht es ausgewogene Vorschläge, die beide Aspekte berücksichtigen. Der Vorschlag des BMWK zur Notreserve berücksichtigt offensichtlich sowohl die nukleare Sicherheit als auch die Versorgungssicherheit.
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Der vorliegende Gesetzentwurf der AfD hingegen ignoriert die Fragen der nuklearen Sicherheit vollkommen. Wie der Stresstest gezeigt hat, kann Atomkraft kurzfristig nur sehr begrenzt helfen, Gas zu sparen und die Versorgungssicherheit zu unterstützen. Ihr Vorschlag geht weit über das hinaus, was kurzfristig sinnvoll sein kann. Sie schlagen eine unbegrenzte Laufzeitverlängerung vor. Im Jahr 2030 werden wir aber ein Energiesystem haben, in dem der Strom zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien kommt. Dann ist für unflexible Atomkraftwerke keinerlei Platz mehr. Diese behindern weiter den Ausbau der Erneuerbaren. Und das genau ist Ihr finsteres, eigentliches Ziel:
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Gewinne für Konzerne und nicht preiswerte Energie für alle Menschen und Unternehmen.
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Ihr Gesetzentwurf kann nicht einmal sicherstellen, dass die AKWs diesen Winter tatsächlich zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht werden; denn Sie wollen den AKW-Betreibern freie Hand geben, ob sie die Kraftwerke in diesem Winter laufen lassen. Wollen Sie wirklich denen die Versorgungssicherheit unseres Landes überlassen?
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Wie können Sie denn bei Ihrem Vorschlag sicher sein, dass die Kraftwerke mitten im Winter wirklich am Netz sind, wenn es im Stromsystem tatsächlich knapp werden sollte, dass sie nicht gerade dann gewartet werden, dass nicht gerade dann die Brennstäbe aufgebraucht sind?
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Darauf gibt Ihr Gesetzentwurf keine Antworten. Ihr Vorschlag hilft nicht, die Versorgungssicherheit zu stärken. Auch hier offenbart sich Ihre Sicht: blindes Vertrauen in Konzerne auf Kosten der Allgemeinheit. Das ist Ihr Gesicht.
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Oder hoffen Sie auf neue Brennstäbe? Deren Beschaffung dauert 12 bis 18 Monate. Das hilft uns diesen Winter also gar nicht. Und in einem Jahr werden wir die Energielage mit anderen Maßnahmen längst im Griff haben.
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Ihr Gesetzentwurf sah ursprünglich vor, dass den Kraftwerken eine Laufzeitzusage von 20 Jahren gegeben werden soll. Niemand kann das gewährleisten. Und wer soll nach Ihrem Vorschlag die Kosten übernehmen? Ist mir schon klar bei Ihnen: Der Staat soll es wieder tragen, wie schon vielfach bei der Atomenergie passiert, der Steuerzahler.
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Ihr Vorschlag entlastet nicht die Haushalte, er belastet sie. Er garantiert Milliardengewinne für die AKW-Betreiber auf Kosten der einfachen Bürger/‑innen. In diesem Teil des Gesetzentwurfs, den Sie jetzt schnell unter den Teppich kehren, zeigt sich Ihr wahres Gesicht.
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Es geht Ihnen nicht um die Versorgungssicherheit. Es geht Ihnen um die Profite weniger Konzerne; das kann man bei Ihnen nicht oft genug sagen.
Haushalte und Unternehmen entlasten wir mit einem Strompreisdeckel, finanziert vor allem durch das Abschöpfen von Übergewinnen.
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Strom wird so für alle im Grundbedarf günstiger. Der Strompreisdeckel wird viel stärker in den Portemonnaies der Bürger/-innen spürbar, als Ihre Träume von Atomkraft das je könnten.
Nicht umsonst war Atomkraft in den letzten Wochen übrigens nur ganz am Rande Thema bei meinen vielfältigen Gesprächen mit Bürger/-innen, auch bei Treffen mit Unternehmen. Bei Treffen mit den kommunalen Stadtwerken – das ist besonders interessant – war das kein Thema; denn diese wollen vor allem eins: Versorgungssicherheit und nukleare Sicherheit. Das garantieren wir. Darauf kommt es uns an.
Vielen Dank.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. Klaus Wiener das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Selten hat man im Parlament die Gelegenheit, am selben Tag zum gleichen Thema gleich zweimal zu sprechen. Ich habe heute dieses Privileg, und ich mache das gerne, weil das Thema „Energieversorgung zu bezahlbaren Preisen“ so immens wichtig ist.
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Leider hatte ich nach der Debatte heute Morgen den Eindruck, dass große Teile der Ampel – und da nehme ich Frau Skudelny ausdrücklich aus –,
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dass große Teile der Ampel immer noch nicht verstanden haben, was die Stunde geschlagen hat.
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Deutschland steckt in der schwersten Energiekrise seiner Wirtschaftsgeschichte. Um es noch mal deutlich zu sagen: In dieser dramatischen Situation 4,2 Gigawatt Erzeugerleistung einfach aus dem Markt zu nehmen, das zeugt von einer beispiellosen Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Menschen und der Unternehmen in unserem Land.
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Was Sie anscheinend immer noch nicht verstanden haben: Wir müssen unterscheiden zwischen dem, was wir unmittelbar jetzt tun müssen, um die Krise zu meistern, und dem, was mittel- bis langfristig wirkt. Ganz klar: Wir müssen die erneuerbaren Energien ausbauen, und zwar massiv.
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Aber das wird Zeit brauchen; das habe ich heute Morgen schon erläutert.
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Bis wir allerdings die Erneuerbaren so ausgebaut haben, dass sie grundlastfähig sind, müssen alle Optionen auf den Tisch: Kohlekraftwerke, Biomasse, heimisches Gas, Verbesserung der Energieeffizienz, aber eben auch die verbliebenen Kernkraftwerke.
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Sie sind sicher. Sie können ohne Weiteres ein paar Jahre weiterlaufen.
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Und ja, das würde einen großen Unterschied machen. Das würde einen großen Unterschied machen beim CO2-Ausstoß und auch bei den Preisen machen.
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Wer die Märkte auch nur ein bisschen kennt, der weiß: Gerade in einer akuten Mangellage braucht es nicht viel, um die Preise wirksam zu dämpfen. Aus diesen Gründen haben wir als Unionsfraktion heute Morgen einen eigenen Entwurf zur Änderung des Atomgesetzes auf den Weg gebracht.
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Er sieht einen zeitlich begrenzten Weiterbetrieb der Kernkraftwerke vor.
Was unterscheidet dann unseren Antrag von Ihrem Antrag?
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Bevor ich darauf eingehe, erlauben Sie mir zunächst die Anmerkung, dass wir keine Fans von Atomkraft geworden sind, so wie ein Kollege der AfD das heute Morgen formuliert hat. Wir gehen diesen Weg aus Verantwortung gegenüber dem Klima und gegenüber den Menschen in unserem Land.
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Ansonsten unterscheidet sich unser Antrag von Ihrem in zwei wesentlichen Aspekten.
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Zum einen wollen wir keinen Wiedereinstieg in die Kernkraft auf Basis aktuell verfügbarer Technologien.
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Wir wollen eine akute Mangellage überbrücken. Deshalb begrenzen wir den Weiterbetrieb in unserer Version des Atomgesetzes zeitlich.
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Darüber hinaus sind wir im Gegensatz zu Ihnen der Auffassung, dass die 2019 vorgesehene Sicherheitsüberprüfung nachgeholt werden muss, und zwar zeitnah bis 2023.
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Bei der Sicherheit machen wir nämlich keine Abstriche.
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Das sind zwei gravierende Unterschiede. Deshalb stimmen wir dem Atomgesetz in Ihrer Fassung nicht zu, werben aber weiterhin nachdrücklich für unseres.
Vielen Dank. Bis dann!
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Sehr geehrte Präsidentin! Werte Kollegen! Ich weiß nicht, wie Sie auf die Idee kommen, dass wir an der Sicherheit herumschrauben. Die sicherheitstechnischen Aspekte werden vom unserem Gesetzentwurf gar nicht berührt.
Aber zitieren wir mal jemanden: „Jede Kilowattstunde hilft in dieser Situation.“ Das hat der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck Mitte Juni gesagt.
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Das ist nun drei Monate her. Damals wurde uns noch das Bild vermittelt, dass wir eigenverantwortlich aus dieser Energiekrise, die zum Teil von der Regierung verursacht wurde, herauskommen können. Allerdings wurde dieser Anspruch vom Wirtschaftsminister nun Anfang der Woche aufgegeben, als er die Energieversorgung Deutschlands den Launen von Wind und Wetter – verbunden mit der Hoffnung auf einen milden Winter – überantwortet hat.
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Währenddessen werden mit den Verkäufen von Heizlüftern und Brennöfen neue Rekordumsätze erzielt. Bis Mitte des Jahres sind 600 000 Heizlüfter verkauft worden. Das sind 600 000 Misstrauensanträge gegen die Energiepolitik dieser Regierung.
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Auch wenn Minister Habeck nicht weiß, was eine Insolvenz ist, so kapitulieren doch mehr und mehr Unternehmen in Deutschland vor den explodierenden Energiepreisen: Villeroy & Boch, Eschenbach, Hakle, Baden Board, Schlechtrimen, Dr. Schneider, Görtz usw. usw. Traditionsbetriebe, die zum Teil zwei Weltkriege oder zwei Diktaturen überstanden haben, überleben nicht mal ein Jahr unter einem grünen Wirtschaftsminister.
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„Jede Kilowattstunde hilft in dieser Situation.“ Das hat Robert Habeck gesagt. Aber warum hält er sich nicht an seine eigenen Worte?
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Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland haben das Potenzial, uns 96 Millionen Kilowattstunden zu liefern – täglich, unabhängig vom Wetter und unabhängig von den Launen von Gazprom.
Vor sieben Monaten hat Russland die Ukraine mit Krieg überzogen.
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Seit sieben Monaten weigert sich das grüne Wirtschaftsministerium, die Fakten zur Kenntnis zu nehmen. Sieben verschenkte Monate, in denen der Minister den Energiepreisen beim Anstieg zugeschaut hat, anstatt zu tun, was getan werden muss, nämlich jede Kilowattstunde Energie in Deutschland zu mobilisieren.
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Denn: Jede Kilowattstunde hilft den Unternehmen, die dann eben nicht insolvent gehen. Jede Kilowattstunde hilft auch den Bürgern, die dann nicht ihre Lebensersparnisse für die nächste Heizkostenrechnung aufwenden müssen oder sich im Winter der Frage stellen müssen: Will ich eine warme Wohnung, oder will ich ein Essen aus dem Supermarkt kaufen?
Auch wenn Sie nicht da sind, Herr Minister, sage ich: Halten Sie sich an Ihre eigenen Worte, und geben Sie den Bürgern und Unternehmen das, was sie wollen, nämlich jede mögliche Kilowattstunde!
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Der Betreiber von Isar 2, PreussenElektra, sagte es ganz klar: Die anspruchsvollste Aufgabe ist jetzt, die politische Diskussion zügig zu einem belastbaren Ergebnis zu führen.
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Und wer sagt: „Jede Kilowattstunde hilft“, der kann nur zu einem einzigen belastbaren Ergebnis kommen, und das ist die Verlängerung der Laufzeit der deutschen Kernkraftwerke.
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Genau das ermöglichen der Gesetzentwurf der AfD und unser Änderungsantrag.
Wir stellen also fest: Die Betreiber können und wollen liefern, eine Mehrheit der Deutschen will die Verlängerung der Laufzeit, und, ja, in diesem Hause gibt es eine Mehrheit von hoffentlich verantwortungsvollen Abgeordneten, die Nein –
Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss.
– zu einer großen grünen Lebenslüge und Ja zur Kernkraft in Deutschland sagt.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Woche für Woche nervt die AfD mit ihren Atomfantastereien
({0})
und behauptet, Kompetenz zu besitzen. Nun ja.
In Ihrem Gesetzentwurf gibt es die Forderungen 1 bis 3. Mit Ihrem Änderungsantrag möchten Sie Nummer 3 streichen und Nummer 4 zu Nummer 3 machen. Sie können nicht einmal bis vier zählen
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und wollen Kompetenz bei Atomkraft besitzen!
Übrigens: Die AfD wollte in dem Punkt wohl streichen, dass sie den Atomkraftwerken für 20 Jahre Gewinngarantien geben wollte – ohne Gegenleistung. Das ist unverschämt.
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Jetzt komme ich als Techniker mal zu den harten Fakten: Die Brennstäbe der deutschen AKWs sind aufgebraucht. Die Bestellzeit für neue beträgt 18 Monate. Wichtige Wartungen und Revisionen der AKWs wurden nicht durchgeführt. Sie sind auf dem technischen Stand der 80er-Jahre. Die Lieferketten für Ersatzteile sind gerissen. Atomkraftwerke sind teuer. Mit über 150 Milliarden Euro wurden deutsche AKWs gepampert. Das neue Atomkraftwerk Hinkley Point C in England erhält über 30 Jahre mindestens 100 Milliarden Euro Subventionen. Da sind Wind- und Solarstrom echte Schnäppchen.
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Für den Atommüll zahlen die Steuerzahler/-innen schon heute jährlich über 1 Milliarde Euro.
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Und laut Atomlobby passiert nur alle 10 000 Betriebsjahre ein schwerer Unfall, bei 400 Reaktoren also alle 25 Jahre ein Super-GAU. Das stimmt: Harrisburg, Tschernobyl, Fukushima. Der nächste GAU wird kommen und das Leben und die Gesundheit von Millionen gefährden.
Deshalb fordert Die Linke ein Ende der Atomkraftwerke. Wir fordern, dass der Bundestag endlich Mittel für Energiespeicher bereitstellt, dass die Abzocke bei Energie, an Tankstellen, bei Gas und Strom, beendet wird.
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Nutzen wir die Zeit im Parlament für ein Energiesystem, das bezahlbar, flexibel und erneuerbar ist. Wir arbeiten an Lösungen; die AfD pflegt ihre Atomideologie.
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Vielen Dank.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja für sich genommen schon bemerkenswert, dass wir nach 23 Uhr über eine Grundgesetzänderung beraten. Noch bemerkenswerter ist, dass diese Grundgesetzänderung von der Regierung vorgeschlagen wird, die Opposition aber aufgrund von Arbeitsvermeidung und zu Protokoll gegebener Reden in diese Debatte einführen soll; das ist schon bemerkenswert.
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Ich will Ihnen sagen: In der Sache ist die Änderung, die hier vorgeschlagen wird, nicht wirklich revolutionär oder bahnbrechend. In der Sache ist dagegen auch keine riesige Kritik vorzubringen. Gegen eine vollständige Digitalisierung des Bundesgesetzblattes spricht nichts Gravierendes, und es ist auch gut, das Veröffentlichungs- und Verkündungswesen von Gesetzen zu beschleunigen. Wir kennen das aus einigen Bundesländern, wir kennen das aus der Europäischen Union, aus vielen anderen europäischen Staaten.
Aber auch wenn es 23 Uhr ist und es sich um eine vermeintliche Kleinigkeit handelt, müssen wir sagen: Liebe Kolleginnen und Kollegen, Verfassungsrecht ist nie eine Petitesse, Verfassungsrecht ist nie nur technisch, und Verfassungsrecht verdient auch in den vermeintlichen Kleinigkeiten Respekt.
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Deswegen habe ich zum Verfahren zwei Anmerkungen: Zum einen sollten wir auch bei vermeintlich kleinen Verfassungsänderungen – das will ich in Richtung der Ampel klar sagen – über Fragen der Mathematik nachdenken; denn die Mathematik zeigt deutlich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Ampel hat hier eine Mehrheit; sie hat aber eine einfache Mehrheit und keine Zweidrittelmehrheit.
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Und es gibt – das will ich für meine Fraktion ausdrücklich sagen – keinen Automatismus, dass wir den von Ihnen vorgeschlagenen Verfassungsänderungen einfach zustimmen. Dafür gibt es Voraussetzungen.
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Eine dieser Voraussetzungen ist ein vernünftiger Umgang mit der Opposition, und den erleben wir im Moment nicht.
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Der Bundeskanzler beantwortet Schreiben des Oppositionsführers mit der Aufforderung zur Abgabe von Regierungserklärungen nicht, mit Ihrer Verfahrensmehrheit zwingen Sie uns zu Hauruckanhörungen usw.
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Ich sage Ihnen: Seien Sie nicht so kühn, einen Automatismus anzunehmen, dass wir den von Ihnen vorgeschlagenen Änderungen einfach zustimmen.
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Zum anderen kann ich nur davor warnen, dass man hier verfassungsrechtliche Rosinenpickerei betreibt und sagt: Na gut, das ist eine Kleinigkeit; darüber stimmen wir jetzt mal ab. – Es gibt noch viele andere Themen. Sie wollen doch eine moderne Fortschrittskoalition sein.
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Dann machen Sie uns doch mal einen zusammenhängenden Vorschlag: Zentralstellenfunktion des BSI im Grundgesetz, aktive Cyberabwehr, Kinderrechte ins Grundgesetz, Kultur als Staatsziel und was Sie noch so alles wollen. Nicht diese Rosinenpickerei, sondern zusammenhängende Vorschläge – das würden wir erwarten.
Ich sage Ihnen: Wir sind offen für die Beratung. Aber es geht nicht, dass man einfach von der Zustimmung der größten Oppositionsfraktion
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hier im Parlament ausgeht. Da erwarte ich einen anderen Stil, und das ist auch Ihre Verpflichtung in den Beratungen, Herr Justizminister.
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Das Wort hat der Bundesminister der Justiz, Dr. Marco Buschmann.
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Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauer, falls es um diese Stunde noch welche geben sollte! Wir digitalisieren den Rechtsstaat und verlieren dabei keine Zeit. Auch hier gilt für die Koalition: Wir wollen mehr Fortschritt wagen.
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Erste Gesetze sind schon in Kraft. Wir haben die virtuelle Hauptversammlung im Aktienrecht verstetigt. Wir haben Onlinegründungen von GmbHs ermöglicht. Auch Handelsregisteranmeldungen mittels Videokommunikation sind endlich möglich. Das sind große Fortschritte für die Digitalisierung in unserem Land, die vielen Bürgerinnen und Bürgern und auch Unternehmern das Leben leichter machen, und darum geht es, meine Damen und Herren.
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Weiteres ist in Vorbereitung: Wir wollen die strafgerichtliche Hauptverhandlung technisch unterstützen. Wir entwickeln gemeinsam mit den Ländern und den Bundesgerichten ein bundeseinheitliches System für Videoverhandlungen. Wir haben begonnen, ein zivilgerichtliches Onlineverfahren als neue Verfahrensart bei Zivilansprüchen zu entwickeln. Und wir arbeiten an einer digitalen Rechtsantragsstelle, um Anliegen und Anträge bei Gerichten mit Digitalwerkzeugen für alle Beteiligten einfacher zu gestalten. Um diese und viele weitere Vorhaben für eine moderne Justiz voranzutreiben, werden wir auch einen Pakt für den digitalen Rechtsstaat auflegen. Darüber sind wir mit den Ländern im Gespräch.
Obwohl sich die Finanzlasten für den Bund erhöht haben – Sie alle kennen die Stichworte: „Sondervermögen Bundeswehr“, „Entlastungspakete“ und „höhere Zinslasten“ –, mobilisieren wir in den nächsten Jahren noch einmal 200 Millionen Euro, also ein Volumen ähnlich groß wie beim letzten Pakt für den Rechtsstaat, weil wir wollen, dass die Justiz zukunftsfest ist, und das heißt: Sie muss digital sein.
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Heute beraten wir also Gesetzentwürfe zur Einführung der elektronischen Gesetzesverkündung und zur Modernisierung des Verkündungs- und Bekanntmachungswesens. Das klingt technisch, das klingt abstrakt, wie meist in dieser Materie; es ist aber ein wichtiger Schritt, der vielen die Arbeit mit Recht und Gesetz erleichtern wird.
Ab dem kommenden Jahr sollen Gesetze und Verordnungen des Bundes elektronisch im Internet verkündet werden statt wie bisher in Papierform. Das Bundesamt für Justiz soll dafür eine eigene Plattform betreiben.
Das beschleunigt die Verkündung, ist natürlich vor allem nachhaltig und passt schon deshalb absolut in die Zeit. Kein Papier mehr, das ist ökologisch ein enormer Gewinn. Man kann es ziemlich genau sagen – wir haben es im Haus ausgerechnet –: Ein jährlicher Papierberg von 2,5 Kilometern Höhe fällt weg. Auch das ist Fortschritt, meine Damen und Herren.
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Das elektronisch ausgegebene Bundesgesetzblatt wird unentgeltlich und barrierefrei zur Verfügung gestellt und kann ohne Einschränkungen gespeichert, ausgedruckt und verwertet werden. Das wird für spürbar größere Transparenz sorgen für diejenigen, die sich beruflich mit Recht und Gesetz beschäftigen, aber auch für die Bürgerinnen und Bürger.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Entwurf – darauf hat der Kollege Amthor natürlich zu Recht hingewiesen – ist gar nicht so strittig, er spricht für sich; aber er hat eine Voraussetzung, und die ist natürlich alles andere als selbstverständlich. Die Voraussetzung ist eine Änderung des Grundgesetzes. Aber, meine Damen und Herren, ich glaube, wir werden im Verfahren gute Gespräche führen. Da wird auch nichts als selbstverständlich betrachtet; dafür haben wir ja das Gesetzgebungsverfahren. Ich glaube wirklich daran, dass wir hier die breiten Mehrheiten haben können; denn unsere geteilte Überzeugung ist doch: In dieser Zeit der Bewährung, in der unser Gemeinwesen gerade steht, wissen wir alle, dass unser Staat moderner, schneller und digitaler werden muss.
Herzlichen Dank.
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Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete! Wenn man bei dieser Regierung auf einem Gesetzentwurf das Wort „Grundgesetz“ liest, bekommt man erst mal einen Schreck. In diesem Fall haben Sie nichts verkehrt gemacht; das konnten Sie auch nicht. Sie kommt zwar spät, aber die digitale Verkündung von Gesetzen auf einer Verkündungsplattform ist richtig. Deswegen ist hierzu nicht viel zu sagen.
Sonst gilt die alte Weisheit: Finger weg vom Grundgesetz. Es ist schon schlimm genug, wie Regierungsvertreter und Vertreter der Parteien, die sich im besten DDR-Sprech als demokratische Fraktionen im Hause selbst loben, Hand an die Grundrechte der Bürger legen.
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So der Kanzler – ich zitiere –: „Wenn Kundgebungen von Extremisten, Querdenkern und Verfassungsfeinden gekapert werden, nehmen wir das nicht hin.“ Was sind Extremisten oder Verfassungsfeinde? Und wen zählt Scholz zu den Querdenkern? Ist Verfassungsfeind der, der die Aufklärung der Beteiligung des Kanzlers an einem Wirtschaftsskandal verlangt oder seinen Gedächtnislücken nicht Glauben schenken mag? Ist Querdenker der, der frühzeitig vor einem Lockdown, einer Impfpflicht oder Impfschäden gewarnt hat?
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Ist ein Extremist der Unternehmer oder Rentner, dessen Lebenswerk und Existenz aufgrund einer verfehlten Energiepolitik vor die Hunde geht? Wann ist man das? Wann darf der Staat gegen demokratische Grundrechte vorgehen unter dem Vorwand, diese demokratischen Grundrechte schützen zu wollen?
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Aber eine Definition gibt Scholz nicht. So unverhohlen hat noch kein Regierungschef der Bundesrepublik mit den Grundrechten gezündelt.
So verwundert auch nicht der Appell der Innenministerin Faeser, man könne seine Meinung auch kundtun, ohne sich gleichzeitig an vielen Orten zu versammeln. Wo bitte? Zu Hause vor dem Spiegel? Diese Aussage ist eine Zumutung für die Zivilgesellschaft.
Auch der Präsident des Verfassungsgerichts, Harbarth, steht dem nicht nach. Laut „Welt“ sagte er, „dass der Gebrauch der Freiheitsrechte dazu geeignet sein könne, die Verfassungsordnung zu delegitimieren“. Und – Zitat –: „Der wehrhafte Verfassungsstaat muss sich den Feinden von Recht und Rechtsstaatlichkeit konsequent entgegenstellen.“ Das ist identisch mit dem eingangs zitierten Scholz-Zitat: Freiheitsrechte sind gut, solange sie nicht denjenigen nutzen, die gegen die Regierung sind; denn Kritik an dieser wird heute als Delegitimierung diffamiert. So hat auch der Verfassungsschutz flugs einen neuen Phänomenbereich kreiert: Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates. Hier werden alle Bürger unter Generalverdacht gestellt, die das Handeln der Regierung kritisieren.
Den Vogel abgeschossen hat aber der ehemalige Hoffnungsträger des bürgerlich-konservativen Lagers, Friedrich Merz, der letzte Woche der AfD-Fraktion unter dem Gejohle der sogenannten demokratischen Fraktionen erklärte, dass notfalls alle Parteien hier im Hause zusammen mit aller Macht verhindern werden, dass die AfD die Probleme, die wir in Deutschland haben, auf die Straße bringt.
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Genau das werden wir tun, Herr Merz und liebe CDU. Am 8. Oktober werden wir mit den Bürgern unser Versammlungs- und Demonstrationsrecht und unser Recht auf freie Meinungsäußerung auf die Straßen Berlins tragen.
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Und, Herr Merz, weder Sie noch die anderen Parteien werden uns daran hindern.
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Denn es geht Ihnen allen nicht um die Delegitimierung des Staates, vor der Sie Angst haben. Sie alle delegitimieren das Volk, den Souverän.
Vielen Dank.
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Ich erinnere daran, dass ich die namentliche Abstimmung nach dem nächsten Redebeitrag schließen werde. Sollte jemand noch keine Gelegenheit gehabt haben, seine Stimme abzugeben, bitte ich, dies jetzt zu tun.
Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Wirth, es hat mich nicht überrascht; aber es zeigt dennoch, wes Geistes Kind Sie sind, dass Sie selbst eine Debatte zum Thema Verkündungswesen für Ihre kruden Thesen und für den Beweis missbrauchen, dass Sie letztlich außerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung stehen.
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Deswegen möchte ich zu Artikel 82 sprechen; das hätten Sie vielleicht auch tun sollen. Zunächst einmal ist Artikel 82 unseres Grundgesetzes eine Vorschrift, die still und eher unerkannt daherkommt, aber zwei Dinge regelt, die durchaus beachtlich sind, nämlich zum einen die Ausfertigung durch den Bundespräsidenten und die Gegenzeichnung der Gesetze durch den jeweiligen Bundesminister – das ist ein formaler Abschluss eines Gesetzgebungsverfahrens – und zum anderen die Verkündung der Gesetze, die sich an diesen Akt anschließt. Es geht also um die Frage, ob auch auf einer digitalen Plattform diese Verkündung erfolgen soll. Aus unserer Sicht ja, weil sich das Recht im digitalen Zeitalter natürlich fortbewegen muss.
Die erste Frage ist aber, ob es dazu überhaupt einer Grundgesetzänderung bedarf, weil mit dem Begriff „im Bundesgesetzblatt“ ja durch Verfassungswandel mittlerweile auch ein digitales Bundesgesetzblatt gemeint sein kann. Dieser Frage sollten wir auf alle Fälle nachgehen.
Der zweite Punkt ist einer, den man sich noch einmal genau ansehen muss. Gegenzeichnung und Ausfertigung sind verfassungsmäßige Akte, vielleicht formal, aber dennoch haben sie eine verfassungsrechtliche Bewandtnis. Wenn Sie jetzt ins Grundgesetz reinschreiben, dass das Nähere zur Verkündung und zur Form von Gegenzeichnung und Ausfertigung von Gesetzen, also zu Befugnissen von Bundespräsident und Bundesministern, ein Bundesgesetz regelt, dann regeln Sie damit die verfassungsmäßigen Rechte von Ministern und Bundespräsident in einem weiteren Gesetz. Der Gesetzentwurf, den Sie vorgelegt haben, schweigt zu dem Thema. Aber über die große verfassungsrechtliche Frage, ob Akte des Bundespräsidenten und der Bundesminister auch durch digitale Signatur stattfinden können oder nicht, sollten wir eine verfassungsrechtliche Debatte führen. Das sollten wir uns ganz genau ansehen.
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Wir wehren uns nicht dagegen, aber ich mahne Sorgfalt an.
Ich glaube – das ist mein abschließender Gedanke –, dass beim Thema „Digitalisierung der Justiz“ nicht das Verkündungswesen der entscheidende Punkt ist. Das Entscheidende ist, dass wir den Pakt für den digitalen Rechtsstaat voranbringen. Dort steht es im Augenblick 16 : 0. 16 Länder sagen gegenüber der Ampelregierung: Das, was Sie an Geldmitteln ausreichen möchten und werden, reicht nicht. – Wir brauchen – das fordern wir ein – eine Einigung des Bundes und der Länder beim Thema „Digitaler Pakt für den Rechtsstaat“, weil dort die entscheidenden Weichen für die Digitalisierung der Justiz gestellt werden.
Herzlichen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Allein in meiner Heimatregion Hannover demonstrierten letzte Woche über 1 000 Angehörige des Bäckereigewerbes gegen die existenzvernichtende Teuerungswelle als Folge Ihrer politischen Geisterfahrten hier in Berlin.
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– Kommt gleich.
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Auf Unternehmen der Konsumgüter- und der Lebensmittelbranche rollt eine beispiellose Insolvenzwelle zu.
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Statt jetzt diese Chance zu ergreifen und den Preisdruck auf Transportgüter abzumildern, erhöhen Sie zum neuen Jahr die Lkw-Maut für inländische Gütertransfers. Wieder machen Sie sich zum Erfüllungsgehilfen der EU-Nomenklatura.
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Mit der Änderung dieses Lkw-Mautgesetzes wollen Sie Anreize in Richtung E‑Mobilität setzen. Ausgenommen sind ausschließlich Elektrolaster, nicht jedoch CO2-neutrale Lkw, die E‑Fuels tanken. Was ist aus Ihrer Technologieoffenheit geworden, Herr Wissing? In Ihrem Entwurf wollen Sie jetzt auch noch eine CO2-Abgabe auf die Maut. Scheinbar haben Sie immer noch nicht begriffen, dass die CO2-Bepreisung ein Haupttreiber der Teuerungswelle in diesem Land ist.
Damit aber nicht genug. Liebe Bäckereibetriebe in Niedersachsen und liebe Handwerker, aufgepasst! SPD, Grüne und die Umfaller-FDP haben sich darauf geeinigt, zukünftig auch Sprinter und Kleintransporter ab 3,5 Tonnen mautpflichtig zu machen. Für den Mittelstand, zum Beispiel im Flächenland Niedersachsen, ist das eine regelrechte Katastrophe.
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Diente die Maut ursprünglich allein der Sanierung unserer maroden Autobahnen, soll diese Zweckbindung jetzt auch noch entfallen. Das bedeutet: Der Handwerker, der mit seinem Sprinter über die kaputte Bundesstraße holpert, finanziert mit seiner Maut zukünftig nicht nur die Sanierung seiner Straßen, sondern auch den Pop-up-Radweg des Berliner Langzeitstudenten im Prenzlauer Berg, meine Damen und Herren. Das ist grüne Klientelpolitik, die für uns nicht akzeptabel ist.
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Ihre Verkehrswende ist genauso gescheitert wie Ihre Energiewende. Unsere Unternehmen brauchen bezahlbare Mobilität und keine Almosen aus Ihren sozialistischen Umverteilungsprojekten.
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Was wir jetzt brauchen, ist erstens die Aussetzung der Lkw-Maut für inländische Transporte, zweitens Technologieoffenheit bei der Mobilität, Herr Verkehrsminister. CO2-Bepreisung muss gestoppt werden, und die Bundesfernstraßenfinanzierung muss endlich auf eine solide Grundlage gestellt werden. Wir lehnen Ihren Gesetzentwurf ab.
Vielen Dank.
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