Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/8/2022

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Robert Habeck (Minister:in)

Politiker ID: 11005074

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Guten Morgen! Eigentlich haben wir Besseres und Wichtigeres zu tun, als übereinander zu reden. Die Wirklichkeit fordert unsere volle Konzentration und Aufmerksamkeit. ({0}) Dennoch möchte ich einmal sagen, dass der Sound der Selbstkritiklosigkeit, den ich hier gestern gehört habe, eine Antwort erfordert. ({1}) Lieber Herr Merz, 16 Jahre lang hat die Union dieses Land und viele Bundesländer regiert. 16 Jahre energiepolitisches Versagen. Und wir räumen in wenigen Monaten auf, was Sie in 16 Jahren verbockt, verhindert und zerstört haben. ({2}) Sehr geehrte Damen und Herren, das tun wir mit einigem Erfolg. ({3}) Seit einer Woche gibt es kein Gas aus Russland. Die Speicher füllen sich weiter. Nach einem kurzen Ausschlag an der Börse ist der Preis noch immer hoch, zu hoch, aber nicht explodiert. ({4}) Seit einer Woche sind wir unabhängig von russischem Gas. Wegen der konsequenten und vorausschauenden Handlungen dieser Regierung und dieser Koalition. ({5}) Gestern hat Frankreich, nachdem es immer Abnehmerland war, erstmals Gas nach Deutschland geliefert. Ein Erfolg von diplomatischen Anstrengungen und Bemühungen. Es war ein Testbetrieb, aber auch ein historischer Moment; denn er verstärkt die europäische Solidarität. ({6}) Sehr geehrte Damen und Herren, dass wir dort stehen, wo wir sind, liegt daran, dass diese Regierung von Tag eins an einen konsequenten Kurs gefahren ist, ({7}) wusste, wohin sie will, und weiß, was die Not des Tages erfordert. Nämlich ein Bekämpfen der aktuellen Krise bei gleichzeitiger Umsetzung der notwendigen strukturellen Veränderungen, die dieses Land in die Zukunft führen werden. ({8}) Deswegen haben wir immer alle Maßnahmen mit der notwendigen Transformation kombiniert. Energieeffizienz und der Ausbau der Erneuerbaren waren immer integraler Bestandteil unserer Politik. Dass die Union in dieser Krise, in dieser Wirtschaftskrise, ernsthaft gegen die notwendigen Investitionen in erneuerbare Energien, in Energieeffizienz, in den Wasserstoffhochlauf und auch gegen Investitionen in die Robustheit der Unternehmen, die verfassungswidrig sein sollen, klagt, das ist ökonomischer Wahnsinn. ({9}) Wie wollen Sie denn den Unternehmen erklären, dass sie am Ende in dieser Situation, wo wir einen Nachfrageschock haben, keine staatliche Unterstützung mehr bekommen? Es zeigt, wes fossilen Geistes Kind Sie noch immer sind. ({10}) Ich habe manchmal den Eindruck, dass Sie überhaupt noch nicht verstanden haben, welches Ausmaß die Herausforderungen der Zeit angenommen haben, ({11}) welche Anstrengungen wir unternehmen müssen, welche Umstellungen – auch in der Art, wie wir Politik denken – notwendig sind. Stattdessen immer nur weiter Oppositionsgeklingel und Möchtegernwirtschaftspolitik. ({12}) Sehr geehrte Damen und Herren, was ist das Wichtigste? Das Wichtigste ist, dass wir die Preismanipulationen durch Putin beenden. Wir können auf Dauer nicht gegen die hohen Preise ansubventionieren. Deswegen müssen und werden wir jetzt das Energiemarktdesign so ändern, dass die günstigen Kosten an die Verbraucher weitergegeben werden ({13}) und die hohen Kosten zwar nach dem Marktmechanismus gehen, aber nicht mehr durchgereicht werden. Morgen ist der Energieministerrat in Brüssel. Die Vorschläge der Kommission liegen vor – man sieht, wie gut Europa arbeiten kann –, und sie gehen sehr in die Richtung, die auch wir vorgeschlagen haben. Da sind wir auf einem guten Weg. Aber – auch das muss man aussprechen – wir machen etwas in wenigen Wochen, was normalerweise Jahre, wahrscheinlich zwei Jahre Beratung gebraucht hätte. Wir gehen in das Strommarktdesign rein, und wir halten uns eine Option offen. Wenn das nicht sofort und solide gelingt, dann werden wir über eine Abschöpfungsabgabe die Gewinne kassieren und den Bürgerinnen und Bürgern zurückgeben. ({14}) Wir werden auch beim Gaspreis etwas machen müssen, wenngleich das komplizierter ist. Aber es ist nicht richtig, dass wir uns in eine Situation hineinbegeben, wo wir es für jeden Preis einkaufen. ({15}) Wir werden auch dort Mechanismen finden und den Gaspreis herunterbringen. Wir stoppen damit den Abfluss des Geldes ins Ausland. Und wir stoppen ihn perspektivisch am stärksten, indem wir uns nicht nur von russischer Energie, sondern von den fossilen Energien insgesamt freimachen. ({16}) Wer das verkennt, der verkennt auch, in welcher Phase wir uns eigentlich befinden. Bis wir die Preise runterbekommen haben – und das wird sicherlich ein bisschen dauern –, werden wir den Unternehmen jede Hilfe zukommen lassen. Wir werden einen breiten Rettungsschirm aufspannen, sodass vor allem auch die KMUs unter die Bestimmungen dieses Rettungsschirms fallen. ({17}) Was heißt das konkret? Wir werden das Programm, das wir jetzt für die Industrie aufgestellt haben, das Energiekostendämpfungsprogramm, für KMUs öffnen. ({18}) Wir werden damit die Handelsbezogenheit als Kriterium aufgeben. Wir werden es branchenoffen gestalten, aber natürlich an Kriterien festhalten. Kriterium kann beispielsweise der Energiekostenanteil am Produkt oder am Umsatz sein. Es wird zeitlich befristet sein, weil wir an anderen Instrumenten arbeiten, die die Preise stoppen und so die Unternehmen und die Bürgerinnen und Bürger entlasten. Es kann also keine Dauersubvention sein. Aber dieses Programm wird aufgelegt werden. Und es wird der deutschen Wirtschaft den Weg in diese neue Zukunft erleichtern bzw. dafür sorgen, dass wir ihn gehen können. ({19}) Wir werden die deutschen Unternehmen und den deutschen Mittelstand schützen. Sehr geehrte Damen und Herren, nicht alle Unternehmen leiden unter den hohen Energiekosten. Wir haben einen Nachfrageschock; das Geld in den Haushalten wird knapp. Deswegen werden wir weitere wirtschaftspolitische, vor allem strukturelle Maßnahmen ergreifen müssen, damit die Menschen in Deutschland genug Geld haben, auch um zu konsumieren und so die Unternehmen stützen zu können. ({20}) Ebenfalls sollen Unternehmen geschützt werden, die von den Programmen nicht allein über die energieintensive Produktionsweise, wie eben skizziert, erfasst werden. Und wir werden im Oktober einen Mechanismus – Gas gegen Geld – auflegen, mit dem der Gasverbrauch runtergebracht wird und durch den die Unternehmen, die dann die Produktion etwas zurückfahren, geschützt und finanziell entschädigt werden. Sehr geehrte Damen und Herren, Putins Angriff zielt auch auf unser Wirtschaftssystem. Es wird immer gesagt: Das ist die schwerste Energiekrise seit 1973. Das ist nicht richtig. Diese Energiekrise ist weit komplexer; die Aufgaben sind weit größer. ({21}) Und deswegen müssen wir das, was im Normalfall gut funktioniert, jetzt hinterfragen und ändern. Wir müssen das Marktdesign am Strommarkt ändern. Wir müssen den fiskalpolitischen Rahmen neu denken. Wir müssen die Geschwindigkeit und die Entschlossenheit, mit der politische Entscheidungen gefällt werden, so hinterfragen und verändern, wie wir es getan haben. Und wir sollten vielleicht auch überdenken, in welchen Rollen Opposition und Regierung sich manchmal befinden. Sehr geehrte Damen und Herren, vielen Dank. ({22})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Jens Spahn. ({0})

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jede Kilowattstunde zählt. Das ist Ihr Mantra in dieser Krise, Herr Minister. Damit begründen Sie Duschtipps und Einsparverordnungen. ({0}) Wenn in dieser Krise aber jede Kilowattstunde zählt, dann müssen wir schon fragen, ob dieses Mantra, dieses Motto auch für Ihre Regierung und Ihr Handeln gilt; denn wenn jede Kilowattstunde zählt, dann zählt auch jede Form der Energieerzeugung, die hier in Deutschland möglich ist. ({1}) Sie tun nicht, was geht. Sie nutzen das Potenzial von Biomasse und Biogas nicht. ({2}) Sie haben unseren Antrag im Juli abgelehnt; im Sommer haben Sie gesagt, jetzt wollen Sie es doch tun. Einen konkreten Regelungsvorschlag haben wir bis jetzt nicht. ({3}) Wir nutzen die Möglichkeiten bei erneuerbarem klimaneutralem Biogas seit Monaten nicht, und das ist Ihr Versäumnis. ({4}) Kohle. Wir haben hier im März gesagt: Kohlekraftwerke aus der Reserve hochfahren, um die Verstromung mit Gas herunterzufahren! ({5}) Da haben Sie noch gelacht. Im Juli haben Sie dann die Gesetze geändert, um es tun zu wollen – muss man ja sagen. Mittlerweile, zweieinhalb Monate später, sind zwei – in Worten: zwei – Kohlekraftwerke neu am Netz; wegen Ihrer bürokratischen Vorgaben, weil Sie zu spät gehandelt haben, nur zwei. Wenn jede Kilowattstunde zählt, dann hätten diese Kohlekraftwerke schon längst früher am Netz sein müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Und dann Kernkraft. Sechs Monate Debatte mit Verschleppen, Falschaussagen, Streit. Sie hätten am Montagabend einen Befreiungsschlag machen können für Klimaschutz und Versorgungssicherheit. Stattdessen haben Sie das Chaos perfektioniert. Sie handeln gegen die Empfehlung des Stresstests, der ausdrücklich rät, die drei Kernkraftwerke im Streckbetrieb zu lassen. ({7}) Sie haben uns immer gesagt, das ginge nicht – Personal; man müsse Gesetze ändern; Sicherheitsanforderungen. Jetzt machen Sie genau das: Sie ändern das Gesetz, Sie halten das Personal, Sie stellen die Sicherheit sicher. Nur produzieren Sie keinen Strom! Das ist das Problem an Ihrer Lösung. ({8}) Familien, Handwerker, Pflegeheime haben seit Monaten jeden Tag Stresstests; die können nämlich ihre Stromrechnungen nicht mehr bezahlen. Strompreise und damit Stromrechnungen sind deswegen hoch, weil das Angebot in Europa zu niedrig ist. Und das heißt: Jedes Kraftwerk muss ans Netz! ({9}) Aber, Herr Minister, das Kernkraftwerk in Lingen, das ist nun wirklich die Spitze des Irrsinns. Sie wollen – das ist der Vorschlag – Ölkraftwerke auf Schiffen ({10}) zu teuren Preisen anmieten, um in Norddeutschland die Netzstabilität zu gewährleisten, anstatt das klimaneutrale Kernkraftwerk laufen zu lassen. ({11}) Die Frage, wer hier den Geist von fossilen Energien hat, können wir gerne mal diskutieren. ({12}) Nur weil Ihre Wahlkämpfer in Niedersachsen „Bye Bye, AKWs“ auf die Plakate geklebt haben, lassen Sie als grüner Klimaminister lieber Ölkraftwerke auf Schiffen laufen ({13}) anstatt eines sicheren Kernkraftwerks. Ich finde, das ist Harakiri in der Lage, in der wir aktuell sind. ({14}) Gaspreise. Das ist die Leerstelle Ihres Entlastungspaketes. Beim drängendsten Thema von 20 Millionen Deutschen und vielen Unternehmen nichts, keine Lösung. Stattdessen die Gasumlage. Wie sagte jemand so treffend: Deutschland ist, wenn die Regierung plant, per Umlage auch Konzerne mit Milliardengewinnen zu subventionieren, dafür dann die Mehrwertsteuer senkt, um von der Umlage betroffene Verbraucher zu entlasten, um dann über eine Übergewinnsteuer die Unternehmen, die profitieren, wieder zu belasten. – Stoppen Sie diese Chaosumlage! Stoppen Sie diesen Irrsinn! Stimmen Sie nachher unserem Antrag zu, das aufzuheben, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({15}) Geben Sie vor allem den Menschen für diesen Winter Sicherheit bei Gas und bei Strom. Die Strompreisbremse: Keiner weiß, wann und in welcher Höhe sie kommt. Beim Gas gibt es gar kein Angebot. Für jeden Haushalt verlässlich einen Grundbedarf – 75 Prozent des Vorjahresverbrauches – zu definieren und Sicherheit zu geben für diesen Winter – das bräuchten wir dringend. Denn, Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland steht ein schwerer Winter ins Haus. Deutschland und die Deutschen werden jeden Tag ärmer wegen hoher Gas- und Strompreise. Wir sollten alles tun, um soziale Not zu lindern ({16}) und Familien, Handwerkern sowie der Wirtschaft in dieser schwierigen Zeit zu helfen. ({17}) – Jetzt warten Sie doch mal! – Wir haben Ihnen, Herr Minister, mehrfach angeboten, in dieser schweren Zeit mit in die Verantwortung zu gehen, Kompromisse zu suchen. ({18}) Das haben Sie abgelehnt. Sie sind Ihren Weg gegangen, und das, finde ich, haben Sie gerade noch mal sehr, sehr deutlich gemacht. Das ist Ihr gutes Recht. Sie haben die Mehrheit. Aber damit ist eins auch klar: In diesem Winter sind Höchstpreise bei Strom und Gas, in diesem Winter ist die Unsicherheit von Millionen Menschen in diesem Land, ist jeder Strom- und Gasausfall, ist jede Insolvenz und jede Betriebsaufgabe dann auch Ihre Verantwortung. Reden Sie sich nicht mit 16 Jahren raus! Es geht hier um Ihr Krisenmanagement seit 6 Monaten; darum geht es. ({19}) Deutschland und die Deutschen bräuchten in dieser Lage nichts mehr als Zuversicht und Zusammenhalt. Sie müssen sich die Frage stellen, ob die Entscheidungen, die Sie treffen, und die Art, wie Sie Politik machen, wirklich geeignet sind, Zuversicht und Zusammenhalt im Land zu stärken. Mein Eindruck ist das nicht. ({20})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dr. Matthias Miersch. ({0})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Spahn, Sie haben eben gewünscht, dass wir auf Sie hören, dass Sie Mitverantwortung übernehmen können. Sie haben viele Jahre hier Verantwortung getragen, und sicherlich war nicht alles schlecht in der Großen Koalition. ({0}) Aber zum Thema Energiepolitik. Wenn eine Ampel die letzten 16 Jahre regiert hätte, wären wir dort jetzt tatsächlich zukunftsfest aufgestellt, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Und dazu, dass Sie auch jetzt noch in die Verantwortung gehen wollen, sage ich Ihnen: Ich bin heilfroh, dass Sie es nicht sind. ({2}) Nun ist es mit der Energiepolitik bei Ihnen so: Sie haben einen anderen Fachbereich gehabt. Deswegen nehme ich Ihnen das nicht so ganz übel. Aber statt hier so dicke Sprüche zu klopfen und Vorschläge zu machen, die dieses Land bereits im Frühjahr in die Knie gezwungen hätten, wäre, finde ich, eine gewisse Selbstreflexion angesagt. ({3}) Als Partei- und Fraktionsvorsitzender haben Sie, Herr Merz, gestern große Worte gefunden. Sie haben hier im März – deswegen kann man es sich gut merken: der März-Spruch – ({4}) ein Gasembargo gefordert. Wenn Sie die Verantwortung gehabt hätten, hätte es keine Möglichkeit gegeben, die Speicher zu füllen, ({5}) und die Preise wären vorher schon explodiert. ({6}) Das ist die Wahrheit, ({7}) und damit müssen Sie sich auseinandersetzen und dürfen nicht einen Bundeswirtschaftsminister kritisieren, der Tag und Nacht versucht, ({8}) auch Versäumnisse Ihrer Politik wettzumachen. ({9}) Aber richtig ist: Wir leben in Zeiten, die diese Gesellschaft auch vor große Herausforderungen stellt. Und wir haben gestern wieder einmal erlebt, dass es Gruppen in diesem Haus gibt, die sagen: Es muss diesem Volk schlecht gehen, weil wir dann politisch Profit daraus ziehen wollen. ({10}) Ich bin Ihnen, Herr Merz, dankbar, dass Sie gestern noch einmal bekannt haben: Alle demokratischen Parteien müssen hier zusammenhalten. ({11}) Dieser Populismus darf nicht durchkommen. ({12}) Aber wenn man diesen Populismus bekämpfen will, dann muss man sehr aufpassen bei der Argumentation, die man hier als Opposition vorbringt. Die Menschen haben zu Recht, finde ich, die Erwartung, dass wir hier um den besten Weg streiten; aber dabei muss es um belastbare Lösungen gehen. Ich will Ihnen das an dieser Stelle sagen: So wie Sie mit dem Thema Atom in den letzten Monaten umgegangen sind, ist es für mich reiner Populismus. Die Atomkraft als Lösung in dieser Phase zu sehen, ist eine Sackgasse. ({13}) Warum haben wir denn das Problem? Weil augenblicklich 32 der 56 Atomkraftwerke in Frankreich nicht am Netz sind, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({14}) Und warum haben wir ein Problem im Süden Deutschlands? Weil Ihre Regierung in Bayern alles unterlassen hat, was zum Thema Erneuerbare notwendig gewesen wäre. ({15}) Wenn Sie suggerieren, durch die Zuschaltung und Laufzeitverlängerung von drei Atomkraftwerken würde sich am Strompreis etwas ändern, dann machen Sie den Menschen etwas vor. Atomkraft ist nicht preismindernd. ({16}) Es gibt im Augenblick nur einen Weg, die Preisspirale in den Griff zu bekommen – der Bundeswirtschaftsminister hat zu Recht darauf hingewiesen –: Es muss ins System eingegriffen werden. Deswegen ist es richtig, was am Samstag beschlossen worden ist. ({17}) Wenn Sie sagen: „Ja, wir machen das mit dem Stresstest, und dann muss es noch eine Laufzeitverlängerung geben“, dann will ich Ihnen schon sagen: Es ist elf Jahre her – elf Jahre! –, dass die Bundeskanzlerin Merkel an dieser Stelle hier gesagt hat: In Fukushima haben wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass selbst in einem Hochtechnologieland wie Japan ({18}) die Risiken der Kernenergie nicht sicher beherrscht werden können. Daraus ist eine Riesendiskussion entstanden, ({19}) und wir alle haben in diesem Hause den Ausstiegsbeschluss einvernehmlich gefasst, weil wir wussten, dass Atomkraft keine Lösung ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich unterstelle Ihnen: Sie haben das aus machttaktischen Gründen gemacht. Sie sind nie davon überzeugt gewesen. Deswegen präsentieren Sie jetzt wieder eine Scheinlösung, weil Sie parallel dazu die letzten Jahre alles getan haben, um den Ausbau der erneuerbaren Energien zu verhindern, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({20}) Wenn Sie suggerieren, dass man durch die Laufzeitverlängerung Versorgungssicherheit sicherstellen könnte, ({21}) dann sage ich Ihnen: Sie setzen wieder aufs falsche Pferd. Was wir jetzt brauchen, ist in der Tat die Reservekraft, die wir jetzt durch Kohle zur Verfügung stellen, auch das Ausschöpfen der Potenziale von Biogas etc., aber vor allem den maximalen Ausbau der erneuerbaren Energien in den nächsten Monaten. ({22}) Und – das sage ich für die SPD-Fraktion –: Auch im Bereich Wärme muss das, was die Regierung zum Thema Strompreis vorgedacht hat, Realität werden. ({23}) Auch für den Bereich Wärme brauchen wir systemische Eingriffe in den Markt. Wir können nicht gegensubventionieren, wenn die Preise explodieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir sind sicher, dass die eingesetzte Kommission – denn nichts ist trivial – in den nächsten Wochen diesem Parlament belastbare Vorschläge macht, damit wir auch das Thema Wärme in den Griff bekommen und für Verbraucherinnen und Verbraucher und für Unternehmen Sicherheit in diesem elementaren Bereich gewährleisten können. ({24}) Aber wir wissen auch, dass alles besser ist, wenn wir es europäisch machen. ({25}) Deswegen: Lieber Robert Habeck, alles Gute für morgen! Die Europäische Union – das will ich hier betonen – steht vor einer großen Belastungsprobe. Es muss geliefert werden. Wenn nicht geliefert wird, müssen wir hier nationalstaatlich in diesen Elementen vorgehen. ({26}) Das steht für uns als sozialdemokratische Fraktion fest. Energie ist Daseinsvorsorge. Wir brauchen einen starken Staat, der den Menschen jetzt Sicherheit gibt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({27})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Leif-Erik Holm. ({0})

Leif Erik Holm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004761, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Guten Morgen, liebe Bürger! Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! ({0}) Herr Minister, Sie haben von der fehlenden Selbstkritik der Union gesprochen. Da sind wir uns völlig einig: 16 Jahre hat sie an diesem Murks mitgewirkt. Aber ich vermisse bei Ihnen auch ein kleines bisschen Selbstreflexion im Angesicht des Murks, ({1}) den Sie hier noch schlimmer betreiben in dieser Ampelregierung: ({2}) die verkorkste und unsoziale Gasumlage, die Abschaltung moderner Kernkraftwerke, das unsinnige Insolvenzgeplapper bei „Maischberger“. Die letzten Tage haben doch klar gezeigt: Dieser Minister und diese Regierung, sie können es einfach nicht. Wir werden regiert von energiepolitischen Geisterfahrern. ({3}) Selbst jetzt, im Angesicht von Preisexplosionen und dramatischen Knappheiten, bleiben Sie weiter auf der Gegenfahrbahn und wollen den Energiewendewahnsinn noch weitertreiben, während Sie funktionierende Kraftwerke abschalten. Das kann man doch wirklich niemandem erklären. Was sind hier für Traumtänzer unterwegs! ({4}) Machen Sie die Augen auf! Millionen Bürger haben Angst, ihre Rechnungen für Strom und Gas bald nicht mehr bezahlen zu können. Immer mehr Unternehmen gehen in die Insolvenz. Ein Anstieg von einem Drittel wird erwartet für Oktober, sagt das Leibniz-Institut. Hakle und Görtz waren die ersten Vorboten, gestern Dr. Schneider. In meiner Heimat Mecklenburg-Vorpommern steckt fast die Hälfte der Bäckereien schon in finanziellen Schwierigkeiten wegen der explodierenden Preise. Und Sie, Herr Minister, erklären denen im Fernsehen, dass sie gar nicht in Insolvenz müssten, sondern ja mal vorübergehend die Produktion einstellen könnten. Das wirkt nicht nur schräg, sondern kommt als Hohn an bei Unternehmen, die tagtäglich um ihre Existenz kämpfen. ({5}) Man muss sich das mal vorstellen: Unternehmen und ihre Mitarbeiter wissen kaum noch, wie es weitergehen soll, und Sie wollen die sichersten und modernsten Kernkraftwerke der Welt abschalten, die zur Senkung des Strompreises hätten beitragen können. ({6}) Mehr Angebot bedeutet geringere Preise. Es wäre so einfach gewesen. Sie hätten einfach diese Ankündigung – Laufzeitverlängerung – am Montag machen können, ({7}) und sofort wäre der Futures-Strompreis fürs nächste Jahr gefallen. Das wäre schnelle Hilfe für die Bürger und die Unternehmen gewesen. ({8}) Sie verweigern diese Hilfe. Damit treiben Sie immer mehr Bürger und Unternehmen in existenzielle Not. Man muss es klar sagen: Die Preistreiber, die sitzen hier vorne auf der Regierungsbank. ({9}) Unsere Nachbarländer bauen ihre Kapazitäten aus. Wir bauen sie ab. Was ist daran solidarisch, Herr Minister? Das ist doch keine Solidarität. Das ist das Gegenteil. Wir sind die Energieparasiten dieses Europas, und das ist schlimm, peinlich. ({10}) Stattdessen setzen Sie auf ein Entlastungspaket, das allein die Symptome bekämpft und wieder viele außen vor lässt: die Unternehmen, die von der Mehrwertsteuersenkung bei der Gasumlage gar nichts haben zum Beispiel, viele Fleißige, die noch jeden Tag zur Arbeit fahren für wenig Geld, aber nichts von Ihren Zuschüssen haben, weil sie eben noch arbeiten gehen. Das ist nicht gerecht. Und was ist mit den Menschen auf dem Land? Denen haben Sie drei Monate ein Trostpflästerchen gegeben. Der Tankrabatt ist schon wieder vorbei. Warum eigentlich? Das war eine sinnvolle Maßnahme. Wir müssen runter von den Energiesteuern! Das ist das Einzige, was der Staat an dieser Stelle machen kann, um die Inflation einzudämmen und den Bürgern mehr Geld in der Tasche zu lassen. ({11}) Diese Energiesteuersenkung beim Tanken muss kommen. Sie muss bleiben, dauerhaft! Es kommt nichts von Ihnen. Meine Damen und Herren, wir müssen die richtigen Entscheidungen treffen. ({12}) Die sind jetzt zu treffen. Die Kernkraftwerke müssen weiterlaufen, und die drei, die im letzten Jahr vom Netz genommen wurden, müssen wieder angefahren werden. Das brauchen wir jetzt! Wir brauchen auch keine vorschnellen Sanktionen, die nur uns selber schaden, und wir brauchen keine Steuern und Abgaben auf Sprit, auf Gas und Strom, die den Menschen kein Geld mehr in der Tasche lassen. ({13}) Runter mit den Energiesteuern! Das kann der Staat jetzt tun; das muss er tun. ({14}) Ihr Weg führt geradewegs in die Katastrophe, wenn Sie den weitergehen. ({15}) Übrigens, letzter Satz: Die Bäcker in Norddeutschland gehen heute auf die Straße und sagen: Bei uns gehen bald die Lichter aus. ({16}) Wenn Sie so weitermachen, dann wird es in Deutschland nicht nur symbolisch, sondern wirklich zappenduster. Vielen Dank. ({17})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Karsten Klein. ({0})

Karsten Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004780, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Stabilität der Gesellschaft, der soziale Frieden, die wirtschaftliche Entwicklung und der Wohlstand sind durch die Inflation gefährdet. Inflation sorgt für Unsicherheit und steigende Kosten, gefährdet unsere Wettbewerbsfähigkeit und damit auch die Arbeitsplätze. Jetzt steht es außer Frage, dass die originäre Aufgabe zur Preissteigerungsbekämpfung die EZB, die Europäische Zentralbank, hat. Aber wir sind keine Zuschauer. Auch wenn wir natürlich der Meinung sind, dass die EZB viel zu zaghaft, viel zu langsam reagiert hat, müssen wir auf der politischen Bühne die Bekämpfung der Inflation flankieren. Das tun wir, Herr Minister, durch zwei Maßnahmen: Das eine ist die Schuldenbremse, und das andere ist die Abschaffung der kalten Progression. Die Schuldenbremse sorgt dafür, dass wir keine expansive Ausgabenpolitik betreiben; denn es wäre fatal, wenn der Staat die Nachfrage nach knappen Gütern auch noch anheizen würde. Deshalb ist die Schuldenbremse ein wichtiges Instrument zur Inflationsbekämpfung. ({0}) Die Bekämpfung der kalten Progression führt dazu, dass die Lohnerhöhung auch bei den Bürgerinnen und Bürgern, bei den Menschen, ankommt statt beim Staat. ({1}) Sie verhindert, dass es zu einer Lohn-Preis-Spirale kommt. Deshalb, Herr Minister, weil die Inflation so eine große Gefahr für die Wirtschaft darstellt, brauchen wir für die Inflationsbekämpfung einen klaren Kurs und auch die klare Unterstützung des Wirtschaftsministers. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das zweite Thema, das ich ansprechen will, ist natürlich die Energieversorgung: Energiesicherheit, das Vorhandensein von Energie überhaupt – das vergessen ja manche – und auch die Bezahlbarkeit der Energie. Weil es in Deutschland in der Diskussion ja so ein bisschen in Vergessenheit gerät: Der Ausgangspunkt für die Energieproblematik, die wir haben, ist der verbrecherische Krieg von Wladimir Putin in der Ukraine und die Tatsache, dass Wladimir Putin Energie als Waffe gegen unsere freie demokratische Gesellschaft einsetzt. ({3}) Es ist nicht so, dass die Bundesregierung, wie der eine oder andere behauptet, hier die Preise irgendwie anfacht, sondern der Grund dafür sitzt in Moskau. Nichtsdestotrotz haben die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen ja eine große Anzahl von Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die Versorgungssicherheit sicherzustellen und die Preisentwicklung abzudämpfen. Bei der Versorgungssicherheit will ich in der Kürze der Zeit nur auf die LNG-Terminals eingehen, die in den nächsten zehn Jahren 2,7 Milliarden Euro kosten werden, oder darauf, dass wir es ermöglicht haben, für 15 Milliarden Euro Gas zu beschaffen, das in unseren Gasspeichern eingelagert werden kann. Wir werden in den Haushaltsberatungen, Herr Minister, auch dafür Sorge tragen, dass der Speicher, der für Bayern zuständig ist, aber in Österreich liegt, auch eine Einspeisung erfährt. ({4}) Aber wir müssen natürlich weiterhin die Preise im Blick haben, Herr Minister. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die jetzt am Wochenende beschlossene Strompreisbremse auch schnell umgesetzt wird; denn wir wollen, dass die negative EEG-Umlage, die Entlastungen bei den Haushalten und bei den kleinen und mittleren Unternehmen, beim Bäcker und Metzger, auch ankommen, ({5}) weil wir sie in dieser Krise eben nicht vergessen, weil sie uns wichtig sind. ({6}) Aber dazu, Herr Minister, gehört auch, dass wir insgesamt Druck aus dem System nehmen. Wir verstromen immer noch zu viel Gas. Wir erzeugen zu viel Strom aus Gas, und deshalb müssen wir das durch mehr Kohle und durch mehr Atomkraft substituieren. Ein Reservebetrieb am Anfang des nächsten Jahres ist zu wenig. Wir brauchen einen Weiterbetrieb! Dieser Realität müssen Sie sich stellen. ({7}) Natürlich haben wir neben den kleinen und mittleren Unternehmen auch die großen, energieintensiven Unternehmen im Blick. Für sie, um diese Unternehmen zu unterstützen, haben wir im Haushalt auch ein großes Paket über 4 Milliarden Euro geschnürt. Jetzt steht es außer Frage – deshalb hätte ich schon ein bisschen mehr Demut von der Union erwartet –, dass Sie in jedem Bereich sehr große Baustellen von Ihrem Vorgänger übernommen haben. Das sind große Herausforderungen, Daueraufgaben. Klimawandel, Energiewende, Fachkräftesicherung, auch im Bereich der Raumfahrt – das sind auch finanziell die großen Posten in Ihrem Ressort, in dem wir in den letzten vier Jahren eine Schlafwagenpolitik erlebt haben. Es gibt Bundesrechnungshofberichte, in denen klar steht, dass bei dem Einsatz der Steuermittel – und Sie haben mit 13 Milliarden Euro jetzt auch wieder erhebliche Steuermittel zur Verfügung, 1,7 Milliarden Euro mehr als in 2022 – nicht wirksam vorgegangen wurde, nicht koordiniert vorgegangen wurde. Das hat Ihr Vorgänger Ihnen als große Baustelle hinterlassen; aber ich erwarte von Ihnen, Herr Minister, dass Sie diese Probleme in Ihrem Haus abstellen. Denn letztendlich haben die Bürgerinnen und Bürger ein Anrecht darauf, dass wir natürlich die Energieversorgung sicherstellen, aber dass wir auch die Steuermittel am Ende wirksam und zielgerichtet einsetzen und ausgeben. Dafür werden wir in den Haushaltsberatungen sicher noch einiges zu tun haben. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Dr. Sahra Wagenknecht. ({0})

Dr. Sahra Wagenknecht (Unbekannt)

Politiker ID: 11004183

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In Deutschland bahnt sich eine soziale und wirtschaftliche Katastrophe an. Millionen Menschen haben Angst vor der Zukunft, vor explodierenden Lebenshaltungskosten, vor Horrorabrechnungen und immer mehr auch um ihren Arbeitsplatz. Auch wenn es sich noch nicht bis ins Wirtschaftsministerium herumgesprochen hat: „In Schlüsselindustrien werden Betriebe reihenweise schließen“, schreibt das „Handelsblatt“. Denn, Herr Habeck, in der Wirtschaft ist das leider nicht so wie in der Politik. Ein Minister, der nichts mehr liefert, muss leider tatsächlich keine Insolvenz anmelden; Sie sind das beste Beispiel dafür. ({0}) Aber ein Unternehmen, das wegen der hohen Preise nichts mehr verkaufen kann, verschwindet vom Markt, und das heißt eben schlicht im Klartext: Wenn wir die Energiepreisexplosion nicht stoppen, dann wird die deutsche Industrie mit ihrem starken Mittelstand bald nur noch eine Erinnerung an die guten, alten Zeiten sein. ({1}) Die hohen Energiepreise, viel höhere als in vielen anderen europäischen Ländern, sind doch nicht vom Himmel gefallen; die sind das Ergebnis von Politik. Sie sind zum einen das Ergebnis Ihrer völligen Rückgratlosigkeit gegenüber den Absahnern und Krisenprofiteuren. ({2}) Die Mineralölkonzerne werden in diesem Jahr in Deutschland 38 Milliarden Euro mehr Gewinne machen als im Schnitt der letzten Jahre, die Stromerzeuger sogar 50 Milliarden Euro – Geld, das den Bürgerinnen und Bürgern jeden Tag aus der Tasche gezogen wird. Andere Länder haben auf dieses Marktversagen längst mit Preisdeckeln oder wenigstens mit Übergewinnsteuern reagiert. Frankreich hat den Anstieg des Strompreises auf 4 Prozent begrenzt; da sind sie nicht erst nach Brüssel gefahren und haben lange Verhandlungen geführt. Ein Liter Sprit kostet in Frankreich rund 40 Cent weniger als bei uns. ({3}) Und der Beitrag des hoch kompetenten deutschen Wirtschaftsministers zur Energiekrise? ({4}) Er lässt sich von den Energielobbyisten ein Gesetz zu einer Gasumlage schreiben, ({5}) das die Bürgerinnen und Bürger, die Familien und Unternehmen, die sowieso schon leiden, zusätzlich zur Kasse bitten wird. ({6}) Also, da muss man wirklich sagen: Auf so einen Einfall muss man erst mal kommen. ({7}) Wir haben wirklich die dümmste Regierung in Europa, wenn man sich das anguckt. Aber nicht nur, dass Sie zu feige sind, sich mit den Krisengewinnern anzulegen, ({8}) das größte Problem ist Ihre grandiose Idee, einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen. Ja, natürlich ist der Krieg in der Ukraine ein Verbrechen. ({9}) Aber die Vorstellung, dass wir Putin dadurch bestrafen, dass wir Millionen Familien in Deutschland in die Armut stürzen und dass wir unsere Industrie zerstören, während Gazprom Rekordgewinne macht – ja, wie bescheuert ist das denn? ({10}) Preiswerte Energie ist die wichtigste Existenzbedingung unserer Industrie. ({11}) Und wo haben Sie denn Ersatz aufgetan, Herr Habeck? Bei amerikanischen Frackinggasanbietern, die aktuell 200 Millionen Euro Gewinn mit jedem einzelnen Tanker machen! Klar, so kann man die Gasspeicher auch füllen, aber den Ruin von Familien und Mittelständlern, die diese Mondpreise am Ende bezahlen müssen, den werden Sie damit nicht aufhalten. Und es fängt doch schon an. Dass der Gasverbrauch der Industrie um fast ein Fünftel eingebrochen ist, liegt doch nicht an plötzlichen Effizienzgewinnen, sondern daran, dass die Produktion schon jetzt dramatisch zurückgeht. Bevorzugtes Ziel von Produktionsverlagerungen sind neuerdings übrigens wieder die USA, weil der Gaspreis in Deutschland inzwischen achtmal so hoch ist wie in Übersee. ({12}) Make America great again? Eine teure Strategie für eine deutsche Regierung! ({13}) Der Hauptgeschäftsführer des DIHK geht davon aus, dass Deutschland bei Fortsetzung der jetzigen Strategie in wenigen Jahren 20 bis 30 Prozent ärmer sein wird. Ja, ob es uns gefällt oder nicht: Wenn wir ein Industrieland bleiben wollen, dann brauchen wir russische Rohstoffe und leider auf absehbare Zeit auch noch russische Energie. ({14}) Deshalb: Schluss mit den fatalen Wirtschaftssanktionen! Verhandeln wir mit Russland über eine Wiederaufnahme der Gaslieferungen! ({15}) Wir sind nicht unabhängig. Sie machen sich und uns doch etwas vor. Lieber Herr Habeck, es mag ja sein, dass auch Ihnen egal ist, was Ihre deutschen Wähler denken. Aber Sie haben nicht das Recht, Millionen Menschen, die Sie mehrheitlich nicht gewählt haben, ihren bescheidenen Wohlstand und ihre Zukunft zu zerstören. ({16}) Deshalb: Treten Sie zurück, Herr Habeck! Denn Ihre Laufzeitverlängerung führt mit Sicherheit zum Super-GAU der deutschen Wirtschaft. Danke schön. ({17})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Felix Banaszak. ({0})

Felix Banaszak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005016, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in der Zeitung gelesen, dass es bei Ihnen in der Fraktion eine einstündige Debatte darüber gab, ob Sie die oberste Kreml-Lobbyistin Sahra Wagenknecht in dieser Debatte reden lassen wollen. Ich sage in aller Verbundenheit: Das war eine dumme Idee, eine richtig, richtig schlechte Idee. ({0}) Herr Spahn, Sie haben gerade sechs Monate mit 16 Jahren verglichen. Ich übersetze das einmal in die gleiche Einheit: 192 Monate hat die unionsgeführte Regierung alles dafür getan, den Ausbau der Erneuerbaren zu verschleppen, den Ausbau der Stromnetze zu verschleppen. ({1}) Das gilt insbesondere bei Ihnen in Bayern, Herr Dobrindt. 192 verlorene Monate, und das geht weiter bis heute. Fünf Minuten Redezeit hatten Sie zur Verfügung: kein Wort zum Ausbau der Erneuerbaren, kein Wort zum Ausbau der Stromnetze für die Versorgungssicherung. ({2}) Das ist Ihre Politik. In den Koalitionsverhandlungen in Nordrhein-Westfalen haben wir stundenlang diskutiert, weil Sie jedes Windkraftwerk, weil Sie jedes Solarpanel verhindern wollten ({3}) mit Rücksicht auf die Wähler in den Wahlkreisen. ({4}) Ich habe folgende These, meine Damen und Herren: Wenn in einer Debatte zum Thema Atomkraft nur noch Abgeordnete reden würden, die bereit wären, in ihrem Wahlkreis ergebnisoffen nach einem nuklearen Endlager zu suchen, wäre eine solche Debatte in fünf Minuten zu Ende. ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Banaszak, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Ernst aus der Fraktion Die Linke?

Felix Banaszak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005016, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber gerne. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Ernst, Sie haben das Wort.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Herzlichen Dank, dass Sie die Frage zulassen. Meine erste Bemerkung; ich komme nicht darum herum. In dem Moment, in dem man den Versuch unternimmt, das zu tun, was Herr Habeck sagt, nämlich sich darum zu kümmern, dass wir mehr Energie, dass wir mehr Gas, dass wir mehr Öl und Sonstiges herbekommen, wird einem vorgeworfen: Das ist im Interesse Putins, das sind Putin-Leute. ({0}) Es tut mir leid, aber diese Form der Auseinandersetzung – ich weiß nicht, ob das Ihr Stil ist – finde ich diesem Haus unangemessen. ({1}) Die zweite Bemerkung. Wir haben nun mehrfach erlebt, dass Vertreter der Koalition darauf hinweisen, dass 16 Jahre lang eine falsche Politik betrieben worden ist. Das wissen wir inzwischen, Sie haben das ja oft genug gesagt. Was Sie aber schuldig bleiben, ist die Antwort darauf, wie Sie die gegenwärtige Krise nun wirklich bewältigen wollen. ({2}) – Da könnt ihr euch aufregen, wie ihr wollt. – Ich habe den Eindruck, über Ankündigungen wie „Wir wollen“ und „Wir werden“ kommen wir überhaupt nicht hinaus. ({3}) Sie haben bis jetzt keine Lösung zum Beispiel für die Raffinerie in Schwedt. Sie haben keine Lösung für das, was uns im Winter blüht. Sie haben keine Lösung, wie wir genug Energie herkriegen. Gleichzeitig lehnen Sie aber eine Möglichkeit ab, von der wir auch nicht wissen, wie sie endet. Aber man kann doch zumindest miteinander reden und überlegen: Wie kriegen wir denn mehr Gas und mehr Öl her? Das könnten wir doch machen. Wenn Sie das ablehnen, dann kann ich Ihnen sagen: Dann stimmt es natürlich, dass Ihnen andere Interessen wichtiger sind als die, die die Bürger und die Industrie in diesem Lande haben. Das ist wirklich ein Problem. ({4})

Felix Banaszak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005016, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Ernst, ich habe bei dem, was Sie gesagt haben, das Fragezeichen nicht gehört, aber ich will Ihnen trotzdem gerne antworten. ({0}) Es spricht Bände für Ihre Fraktion – das sage ich auch an Sie, Herr Dr. Bartsch –, dass ausgerechnet diese beiden, Sahra Wagenknecht und Klaus Ernst, hier sprechen und dass Sie dazu klatschen. Die beiden fordern – entgegen der Fraktionslinie; das muss man sagen – die Öffnung von Nord Stream 2 und wollen damit das zentrale Sanktionsargument gegen den Kriegsverbrecher Wladimir Putin außer Kraft setzen. ({1}) Dass Sie hier eine Täter-Opfer-Umkehr betreiben und Wladimir Putin und Russland quasi zum Opfer eines westlichen Wirtschaftskrieges stilisieren wollen, ({2}) obwohl Wladimir Putin nicht nur einen Krieg gegen die Ukraine, sondern über Energie und Hunger auch gegen Deutschland, gegen Europa und gegen den Rest der Welt führt, ist beschämend. Das sagt alles darüber, was Sie in dieser Debatte gesagt haben. ({3}) Kommen wir zurück zur Union. Herr Merz – er ist jetzt leider nicht mehr da, er hat bestimmt andere Termine – hat schon im Juli völlig richtig gesagt: Wir müssen uns auf Wohlstandsverluste einstellen, wenn wir Frieden und Freiheit unter anderem gegen das, was gerade gesagt wurde, verteidigen wollen. Das ist völlig richtig. Herr Merz bleibt aber leider die zwei zentralen Antworten schuldig, die sich aus dieser Analyse ergeben. Die eine Frage ist, wie wir diesen Wohlstandsverlust sozial gerecht verteilen wollen. Das ist die sozialpolitische Frage, die wir mit diesem Entlastungspaket seit dem Wochenende angehen. Die zweite Frage, die mindestens genauso wichtig ist, ist die ökonomische Frage, nämlich wie wir diesen Wohlstandsverlust begrenzen wollen. Diese Bundesregierung will und wird den Wohlstandsverlust begrenzen, trotz enormer Herausforderungen. Das hat Robert Habeck gerade überzeugend dargestellt. ({4}) Wir haben in der Debatte am Dienstag schon viel über Inflation gehört. Das ist unbestritten eine große Gefahr. Die zweite große Gefahr, die lauert, ist eine Rezession, eine Rezession mit Abschwung, mit Arbeitslosigkeit, mit einer Bedrohung für ganze Wirtschaftsbranchen. Deswegen ist es richtig, dass die Hilfen für Unternehmen ausgeweitet werden, dass das Energiekostendämpfungsprogramm für kleine und für mittlere Unternehmen ausgeweitet wird, dass wir den Spitzenausgleich bei Strom und Energie verlängern und damit 9 000 Unternehmen stabilisieren. Das ist die kurzfristige Antwort auf die wirtschafts- und energiepolitischen Herausforderungen, die sich hier stellen. Herr Scholz hat gestern gesagt: Wir lösen die Probleme, bevor andere sie erkannt haben. Da wäre ich ein bisschen vorsichtig. Aber wir haben sie immerhin erkannt. Wir gehen sie an. Sie dagegen können leider nichts anderes, als nur dagegen zu opponieren, ohne einen eigenen Vorschlag zu machen. Das ist ziemlich bedauerlich ({5}) Aber, meine Damen und Herren, neben den kurzfristigen Herausforderungen, vor denen wir stehen, bestehen noch viel größere. Deswegen ist es wichtig, bei allem, was wir tun, beispielsweise LNG-Terminals schnell ans Netz zu bringen und neue fossile Infrastrukturen zu schaffen, gleichzeitig den Blick für die Zukunft nicht zu verlieren und die großen Transformationsherausforderungen, vor denen wir stehen und die nicht kleiner geworden sind, intensiv anzugehen: Ausbau der Erneuerbaren, Ausbau der Elektrolysekapazitäten, damit wir bald Grünen Wasserstoff zur Verfügung haben, damit in der Direktreduktionsanlage von ArcelorMittal in Hamburg, die jetzt wegen der hohen Produktionskosten vom Netz gehen wird, vielleicht bald schon CO2-neutral Stahl produziert werden kann. In diesem Haushalt und im Klima- und Transformationsfonds ist ein Rekordbetrag für Energieeffizienz vorgesehen, ein Rekordbetrag für den Ausbau einer klimaneutralen Wasserstoffinfrastruktur, ein Rekordbetrag beispielsweise auch für das zentrale Innovationsprogramm Mittelstand. Alles, was Sie immer gefordert und selbst nicht umgesetzt haben, das ist die Politik dieser Regierung: Kurzfristig die Not lindern, langfristig die Herausforderung angehen. Vielen Dank. ({6})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Andreas Jung. ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Sie haben in Ihrer Rede einen kritischen Blick zurück angemahnt. Dazu will ich eine Bemerkung machen. Wir haben in der Coronapandemie eine Lehre aus vorangegangenen Krisen gezogen, und diese Lehre war: In der Krisenbewältigung darf nie wieder der Klimaschutz hintangestellt werden; nie wieder darf es so sein, dass man über die Bewältigung der einen Krise die andere Krise, die Klimakrise, aus dem Blick verliert. Deshalb haben wir gleichzeitig in Stabilisierung, in Entlastung, in Zukunftstechnologien, in Klimaschutz investiert. Wir haben alles zusammengebracht. Das ist auch unsere Erwartung an Sie. Und es ist unser Befund, dass es in dieser Krise eben nicht gemacht wird. Sie stellen den Klimaschutz in dieser Krise hintan. ({0}) Bei der Energiesicherheit sind wir nicht so weit, wie Sie und Olaf Scholz es gestern darstellen wollten. Es ist nicht geritzt, dass wir über den Winter kommen. ({1}) Die Übertragungsnetzbetreiber haben es am Montag doch klar aufgeschrieben: Es droht weiterhin eine Notlage; deshalb müssen alle Kapazitäten genutzt werden. Das heißt, da muss mehr gemacht werden. Bei den Entlastungen ist es unkonkret. Sie haben jetzt wieder Ankündigungen gemacht, obwohl Sie doch den ganzen Sommer darüber verhandelt haben, wie Normalverdiener, die jetzt hart getroffen sind, besser unterstützt werden können, wie Betriebe und die Industrie unterstützt werden können. Herr Russwurm war bei Ihrer Klausurtagung und hat gesagt: Es geht um die Substanz der Industrie. – Sie haben darauf bisher keine Antwort. Die Bäckereien, der Mittelstand: Alle weisen darauf hin, wie hart sie getroffen sind. Da gibt es Ankündigungen, aber nach wochenlangen Beratungen gibt es keine Antwort. Es soll jetzt ein Expertengremium eingesetzt werden. Das ist zu wenig; es ist zu langsam. Es muss konsequenter sein. Und bei all dem wird der Klimaschutz hintangestellt. ({2}) Ich will es an einem Beispiel konkret machen. Stresstest: Sie haben bei dem Stresstest auf Netzstabilität prüfen lassen, aber Sie haben nicht auf die Stabilität der Ökosysteme prüfen lassen. Sie haben nicht die Frage gestellt, ob befristet die etwas längere Nutzung der Kernenergie weniger Kohle und damit weniger CO2 bedeuten könnte. Diese Prüfung, diese Frage liegt auf der Hand; sie ist aber kein Maßstab in Ihrer Prüfung. Deshalb setzen Sie einseitig auf Kohle. Sie setzen einseitig auf Öl, und deshalb fällt es auf Sie zurück, wenn Sie sagen: Alles tun, um aus den fossilen Energien rauszugehen. – Das tun Sie gerade nicht. Das wird bei der Bioenergie deutlich. ({3}) Wir haben hier im Deutschen Bundestag beantragt, den Deckel bei der Bioenergie wegzunehmen. Da könnten kurzfristig, nicht erst langfristig, Potenziale genutzt werden. Der Mais liegt in den Lagern. Es könnte jetzt mehr Strom, mehr Wärme, Biomethan produziert werden. Zum Stresstest von Montag schreiben Sie auf: Die Situation im nächsten Winter sei aus einigen Gründen eine andere; ein wichtiger Grund sei, dass dann mehr Strom aus Biogas, aus Bioenergie zur Verfügung stehen würde – im nächsten Winter! Wären Sie unserem Antrag gefolgt, würde er in diesem Winter zur Verfügung stehen. Wenn Sie sagen: „Verbockt und verhindert“, fällt es auf Sie zurück. Das haben Sie verbockt; das haben Sie verhindert. ({4}) Wir könnten in diesem Winter mehr Bioenergie nutzen, stattdessen haben Sie es erst ignoriert, dann abgelehnt und jetzt verbummelt. Sie haben im Juli angekündigt, dass Sie es doch so machen wollen, wie wir es beantragt haben – im Juli –, es gibt aber immer noch keinen Kabinettsbeschluss. Den wollen Sie jetzt im September treffen. Es ist richtig, dass Sie es machen; aber es ist zu spät, es ist verbummelt, es hätte mehr getan werden müssen. Und es zeigt: Klimaschutz und Energiesicherheit werden nicht zusammengedacht. Ich will es ganz konkret am Klimaschutzgesetz machen. Auch das war eine Lehre. Es war die Lehre aus dem Jahr 2019, dass die Klimaziele nicht ausreichend verbindlich waren. ({5}) – Wir Umweltpolitiker vieler Fraktionen haben lange dafür gekämpft, und wir haben es, lieber Matthias Miersch, 2019 erreicht. Du hast im Deutschen Bundestag gesagt: Wir werden es nie wieder einem Minister durchgehen lassen, dass er Klimaziele nicht erreicht. – Und das tun Sie jetzt. ({6}) Sie haben die gesetzliche Verpflichtung. Das ist kein grüner Parteitagsbeschluss. Es ist nicht das Wahlplakat eines selbsternannten Klimakanzlers. Es ist eine gesetzliche Verpflichtung aus dem Klimaschutzgesetz, zum 30. Juni dieses Jahres zur Schließung der Klimalücke ein Sofortprogramm vorzulegen. Sie haben nichts gemacht. Ihre Experten haben die Vorschläge aus dem Verkehrsministerium zerrissen. Sie haben denen sogar die Ernsthaftigkeit abgesprochen. Es gibt keinen Vorschlag. Das widerspricht der gesetzlichen Pflicht. Und es hat ja einen Sinn, dass es zum 30. Juni gemacht werden sollte: damit nachgesteuert werden kann, damit Sofortmaßnahmen auf den Weg gebracht werden können. Stattdessen wollen Sie das Klimaschutzgesetz, das Ihre Partei als zu lax kritisiert hat, aufweichen. ({7}) Sie wollen weg davon, dass Jahresschreiben für jeden Sektor vorgelegt werden müssen; das war aber gerade die Lehre. Gegen diese verstoßen Sie jetzt. ({8}) Sie müssen mehr tun für Energiesicherheit, mehr tun für Entlastung und mehr tun für Klimaschutz. Sie müssen es zusammenbringen; das ist unsere Erwartung. Herzlichen Dank. ({9})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Frank Junge. ({0})

Frank Junge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004317, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst sagen: Putins verbrecherischer Angriffskrieg auf die Ukraine ist gleichzeitig auch ein von ihm bewusst und von Anfang kalkulierter Nahrungsmittel- und Energiekrieg gegen Europa und die Welt. Frau Wagenknecht, es ist erschütternd, Sie heute hier mit diesen Aussagen zu hören. Sie könnten faktisch drüben Platz nehmen. ({0}) Das ist unisono genau das Gleiche, was die AfD hier auch verlauten lässt. ({1}) Die verheerenden Folgen dieser Situation sind hier in voller Breite vorgetragen worden. Ich denke – das ist auch noch mal ein Punkt, den man hier ganz klar herausstellen muss –, das, was diese Regierungskoalition auch mit diesem Wirtschaftsminister und dem gesamten Haus in den zurückliegenden Monaten auf die Beine gestellt hat, ist bemerkenswert, davor muss man den Hut ziehen. ({2}) Wir wären mit anderen Wirtschaftsministern untergegangen. Wir haben die Wirtschaft an der Stelle am Laufen gehalten, die Energiesicherheit sichergestellt; das kann man nicht so diskreditieren, wie das hier gerade vorgefallen ist. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, genau vor diesem Hintergrund halte ich es für hanebüchen und für Gaukelei, wenn die Vorschläge aus Ihrer Fraktion, Herr Merz, darauf abheben, dass Sie den Leuten scheinbar einfache Lösungen offerieren, die aber entweder gar nicht umsetzbar sind oder aber am Ende noch viel, viel teurer werden als das, was gegenwärtig zu bewältigen ist. Der Punkt Atomenergie ist ja hier schon angesprochen worden. Vor dem Hintergrund ist das aus meiner Sicht reiner Populismus, den man hier auch als solchen benennen muss. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Punkt noch. Während Sie mit Ihren scheinbaren Vorschlägen oder gar keinen konstruktiven Beiträgen versuchen, in der Öffentlichkeit mit markigen Worten zu punkten, hat diese Regierungskoalition drei Entlastungspakete auf den Weg gebracht, die nicht nur dazu beitragen, die soziale Sicherheit und auch die Solidarität ein Stück weit zu unterstützen, sondern die auch gerade Unternehmen im klein- und mittelständischen Bereich jetzt schon entlasten. Vor diesem Hintergrund ist es für uns alle eine Selbstverständlichkeit, dass wir mit diesen Maßnahmen nicht einfach aufhören, sondern jetzt schon daran denken, wie es weitergeht – die Frage des Strommarktdesigns und die Frage, wie wir eine vernünftige Gaspreisbremse hinkriegen, sind hier schon erwähnt worden. Genau das müssen Sie zur Kenntnis nehmen, bevor Sie uns hier in Bausch und Bogen kritisieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme noch mal ganz kurz auf den Haushalt des BMWK selbst zu sprechen. Natürlich – das unterstreiche ich auch ausdrücklich –: Der Ausbau der erneuerbaren Energien bringt uns neben der Frage der Krisenbewältigung in eine Situation, in der wir unsere Wirtschaft insgesamt krisenresilienter machen müssen, in der wir dazu beitragen müssen, sie unabhängig von solchen Preisentwicklungen im Energiesektor zu machen wie denen, die wir gerade erleben. Hier gestatte ich mir den Hinweis, dass wir jetzt auch beim Ausbau der Stromnetze das ausmerzen müssen – Stichwort „Merz“ –, was Sie im Rahmen Ihrer bisherigen Politik mit verhindert haben. Wenn wir also jetzt schon vernünftige Stromnetze hätten, könnten wir auch ganz anders andere Bundesländer mit Ökostrom versorgen. Das ist ein Versäumnis, für das wir jetzt geradestehen müssen; aber wir werden es auch anpacken. Noch einen Punkt will ich erwähnen. Es geht nicht nur darum, dass wir mit diesem Haushalt die Energietransformation, die Transformation der Wirtschaft, die Investition in Wasserstofftechnologie, in E‑Mobilität, in Energie, Wärme und in die Mobilitätswende vornehmen, sondern auch darum, in althergebrachter Form klein- und mittelständische Unternehmen zu unterstützen. Hier will ich ein Beispiel nennen – das wurde schon ganz kurz erwähnt –: Wir investieren damit nämlich auch in Fragen, wie wir Innovationsförderung, aber auch Forschung und Entwicklung weiter voranbringen können. Das ist eine Situation, die gerade diesen Unternehmen in Größenordnungen zugutekommt. Wenn ich hier im Entwurf sehe, dass schon von vornherein 80 Millionen Euro mehr drinstecken, und wir beim Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand schon auf 700 Millionen Euro Investitionsmöglichkeiten kommen, stelle ich fest, dass das eine gute Entwicklung ist, die man gerade für diese Unternehmen hervorheben muss. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum Schluss sagen, dass ich natürlich auch bei diesem Haushaltsentwurf Verbesserungsbedarf sehe, ({6}) vor allen Dingen, wenn es um die Frage geht, wie wir die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ in Angriff nehmen. Wenn wir die Frage diskutieren, wie wir schwächere wirtschaftliche Regionen unterstützen können, bietet genau diese Kulisse hervorragende Möglichkeiten. Vor dem Hintergrund ist dieser Haushaltsansatz für mich völlig unzufriedenstellend. Das werden wir im parlamentarischen Verfahren regeln. Ich lade Sie alle zu konstruktiver Mitarbeit ein. Vielen Dank. ({7})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Wolfgang Wiehle. ({0})

Wolfgang Wiehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004933, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Bis vor Kurzem hieß das Wirtschaftsministerium „Bundesministerium für Wirtschaft und Energie“. Der Begriff „Energie“ musste dem „Klimaschutz“ weichen. Das ist bezeichnend dafür, wie wenig eine sichere Energieversorgung dieser Regierung noch wert ist. ({0}) Anscheinend hat niemand analysiert, wie verletzlich unser Land, die Bürger und die Wirtschaft sind, bevor man die Sanktionsspirale gegen Russland losgetreten hat. Anscheinend hat auch niemand analysiert, was der gleichzeitige Ausstieg aus Kohle und Kernkraft für die Stromversorgung bedeutet. Wenn Wind und Sonne nicht liefern, dann hängt das Land nun in fataler Weise von Gaskraftwerken ab. Diese Politik ist ein völliger Fehlschlag. Nur: Die Regierung will es nicht zugeben. ({1}) Jetzt reaktivieren Sie, Herr Minister Habeck, sogar Kohlekraftwerke, um den großen Blackout vielleicht noch abzuwenden. Ihre politischen Freunde von Greenpeace sagen heute schon öffentlich, welchen Preis das in der grünen Weltsicht hat: Das zusätzliche CO2 aus der Kohle muss künftig wieder eingespart werden. – Im zusätzlichen Kohlestrom von heute stecken nach dieser Logik also schon die Heizbeschränkungen, die Fahrverbote und die Betriebsschließungen von morgen. Gerade mal 1 Milliarde zusätzlich haben Sie zur Stützung energieintensiver Unternehmen. Damit, Herr Minister, werden Sie die Deindustrialisierung Deutschlands nicht verhindern. An die Ursachen müssen wir heran. ({2}) Im Mittelpunkt der Krise steht die gescheiterte Energiewende. Obwohl die Kernenergie dringend gebraucht wird und noch dazu CO2-neutral ist, halten Sie am Atomausstieg halsstarrig fest; der Kollege Banaszak hat das noch mal bestätigt. ({3}) Zwei Kraftwerke für ein paar Monate in Bereitschaft zu halten, produziert keine einzige Kilowattstunde und senkt den Strompreis nicht um einen Zehntel Cent. So wird Deutschland mit dieser Regierung zum Gefangenen der Ideologie grüner Minister und der grünen Partei. ({4}) Die Zukunft dieses Landes, der Bestand zahlloser Unternehmen, Hunderttausende Arbeitsplätze und die Existenz genauso vieler Familien stehen auf dem Spiel. ({5}) Eine solche Partei, meine Damen und Herren, ist absolut regierungsunfähig. ({6}) Mit diesen Grünen darf es keine Koalitionen mehr geben. ({7}) Das sage ich hier nicht nur den Kollegen von SPD und FDP, sondern auch denen von der Union; denn fast die Hälfte der Bundesbürger lebt in Ländern mit schwarz-grünen Koalitionen. ({8}) Eine solche Partei, die ihre Ideologie ohne Rücksicht auf Verluste über die Interessen unseres Landes stellt, gehört abgewählt, und zwar für Jahrzehnte. ({9})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Dr. Lukas Köhler. ({0})

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine sehr verehrte Präsidentin! Meine lieben Damen und Herren! Die Menschen in diesem Land haben Sorgen, die Unternehmen haben Sorgen; für viele ist diese Situation dramatisch. Und wir stellen uns hierhin und führen eine Debatte, die mich ehrlicherweise doch sehr überrascht: Wir streiten uns darüber, wer für irgendwas Verantwortung übernehmen soll. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich glaube, es ist absolut richtig und wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir eine starke Opposition brauchen. Die Stärke sollte aber nicht aus rhetorisch-geschwungenen und geschliffenen Worten über Robert Habeck kommen, sondern aus Argumenten in der Sache. ({0}) Die Vorschläge müssen da sein, und wir müssen darüber diskutieren und debattieren, was wir verändern wollen, um dieses Land nach vorne zu bringen. ({1}) Die Leute wollen Streit in der Sache. ({2}) Wir als regierungstragende Fraktionen liefern, wir liefern eine Menge Dinge, die dafür sorgen werden, dass es den Menschen in Deutschland und den Unternehmen in Deutschland besser geht. ({3}) Und das ist richtig so. Es ist richtig, dass wir darüber diskutieren, wie wir es hinbekommen und dass wir es geschafft haben, die Gasspeicher zu füllen, meine Damen und Herren. Dass wir jetzt bei 87 Prozent sind, war und ist ein Kraftakt. ({4}) Das sichert in Deutschland die Produktion und das Heizen ab. Und es ist richtig, dass wir mit mittlerweile drei Entlastungspaketen den Menschen helfen, die es schwer haben, den Menschen, die wenig Geld haben, den Menschen, die wenig Möglichkeiten haben, die hohen Kosten zu tragen. Dass wir diese Menschen entlasten, ist völlig richtig, und das setzen wir als Regierung konsequent um. Ich finde, darüber können wir uns unterhalten. Da können Sie sagen: Das sind gute oder schlechte Ideen. ({5}) Wir können auch darüber streiten, was für eine Art von Wirtschaftspolitik wir jetzt brauchen. Ich glaube, es ist absolut klar, dass wir in Zeiten einer Inflation eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik brauchen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Produktivität gesteigert wird. Wir müssen auch darüber nachdenken, dass es eine Zeit nach der Krise geben wird. Das bedeutet, dass die Wirtschaft dann wieder wachsen muss, dass gute Jobs geschaffen werden müssen, dass es weiter aufwärtsgehen muss mit diesem Land. Das bedeutet, dass wir jetzt in den notwendigen Bürokratieabbau investieren müssen, dass wir jetzt als Regierung dafür sorgen müssen, dass Dinge einfacher werden. Und das machen wir; das machen wir täglich. Das machen wir, wenn wir dafür sorgen, dass die Menschen mit Solaranlagen einfacher Geld verdienen können, dass es nicht mehr so viele Hürden gibt. Das machen wir, wenn wir über Bürokratieabbau bei Planungsprozessen sprechen. ({6}) Das machen wir mit einem LNG-Beschleunigungsgesetz, das in einer Zeit vorgelegt wurde, die unvergleichlich ist, und das dafür sorgt, dass wir in enormer Geschwindigkeit LNG-Terminals ans Netz bringen. Und das machen wir auch, wenn wir darüber diskutieren und streiten, wie wir in Zukunft unsere Energieversorgung ausrichten. Dazu brauchen wir die erneuerbaren Energien, und zwar in riesigem Maße. Aber wir brauchen, um über den Winter zu kommen, jede einzelne Produktionskapazität, die wir haben. Deswegen sind wir im Moment noch in der Diskussion darüber, wie das mit der Atomenergie weitergeht. ({7}) Wir sind der Meinung, dass wir die drei AKW im Weiterbetrieb brauchen. ({8})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Claudia Müller. ({0})

Claudia Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004830, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Dietmar Bartsch, ich muss einmal ganz kurz meine Enttäuschung ausdrücken, dass du die einzige Redezeit eurer Fraktion hergegeben hast für eine Täter-Opfer-Umkehr, für populistische und falsche Argumente anstatt für Lösungen und auch dafür, einem Kriegsverbrecher das Wort zu reden. Ganz ehrlich: Das ist auch eurer Fraktion nicht würdig. ({0}) Wir sehen: An der Transformation der Wirtschaft und unserer Energieversorgung führt kein Weg vorbei. Das gilt an Land wie auf See. Resilienz unserer Versorgungssysteme geht nur mit einer starken, klimaneutralen Schifffahrt und mit zukunftsfähigen Häfen wie zum Beispiel in meiner Heimatstadt Rostock. ({1}) Deswegen bin ich Robert Habeck und seinem Haus sehr dankbar, dass im maritimen Bereich trotz der schwierigen Haushaltslage vieles vorangebracht wird. Aktuell findet in Hamburg die weltgrößte Messe der maritimen Industrie statt, die SMM. Die Fragen, die dort diskutiert werden, sind die grundsätzlichen Wirtschaftsfragen, die wir uns alle stellen: Energie, Transformation, Sicherheit von Lieferketten, Resilienz. Die maritime Welt spielt eine entscheidende Rolle bei unserer Versorgungssicherheit; denn wir im- und exportieren in erster Linie per Schiff.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Frau Müller, Entschuldigung! Gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?

Claudia Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004830, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein. – Für die jetzt kurzfristig anstehenden Fragen der Energiesicherheit spielt ebenfalls die Schifffahrt eine entscheidende Rolle, Stichworte „LNG“ und „FSRU“. Auch lang- und mittelfristig für den Import von Wasserstoff und entsprechenden Derivaten sind die Schifffahrt und die Häfen entscheidend. Dabei werden wir nicht vergessen, wer jetzt für andere Verantwortung übernimmt, zum Beispiel der Seehafen Rostock – das ist angesprochen worden – für die Rohölversorgung der Raffinerie in Schwedt. Das wird später bei Investitionen im Bereich Wasserstoff berücksichtigt werden. Zweitens spielt der maritime Bereich natürlich auch beim Thema Offshoreenergie eine entscheidende Rolle; denn es geht eben nicht nur um die Windkraftanlagen, sondern auch um Konverterstationen, die Kabelverlegung, die Jack-up-Schiffe und natürlich auch den Service, der hinterher für die Sicherheit sorgt. Wir sehen: Energiepolitik und Industriepolitik sind eng miteinander verzahnt. Im maritimen Bereich fallen Energieproduktion, Im- und Exportstrukturen und Nutzung zusammen. Deshalb ist die Unterstützung für Projekte wie dem klimaneutralen Schiff, dem maritimen Innovationsprogramm, den Innovationshilfen Werft sowie von Forschung im Bereich der Entwicklung maritimer Energiesysteme so wichtig. ({0}) Deshalb ist die maritime Infrastruktur systemrelevant, und deshalb werden wir unsere Unterstützung hier weiterhin stark halten, und das tun wir mit diesem Haushalt. ({1})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Julia Klöckner. ({0})

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Wirtschaftsminister Habeck! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines vorab: Ich war mehr als irritiert, und jetzt beziehe ich mich nicht auf irgendeine Sendung, sondern auf Ihren Auftritt hier, Herr Bundeswirtschaftsminister. Sie haben ein merkwürdiges Demokratieverständnis, wenn Sie sagen, dass die Opposition Sie nicht beim Regieren stören soll. ({0}) Ich kann Ihnen sagen: Es ist gut, dass wir Sie mal beim Denken gestört haben; denn Sie hatten zum Beispiel vergessen, dass die Mehrwertsteuer auf die Gasumlage noch draufkommt. Schauen wir uns das doch mal an! Sie holen Zahlen hervor und werfen uns als Union vor, wir hätten jahrelang den Ausbau der erneuerbaren Energien blockiert, speziell in Bayern. ({1}) Also, wenn wir uns die Tabellen richtig anschauen, dann sehen wir, dass Herr Kretschmann – grün – aus Baden-Württemberg beim Windkraftausbau jahrelang den Tabellenkeller angeführt hat. ({2}) Das gehört am Ende dazu, wenn man ordentlich miteinander umgehen will. Ich verstehe, dass Sie unter Druck sind, und ich finde, dass man Verständnis dafür haben muss, dass eine Regierung, die im Krisenmodus ist, auch Fehler macht. Aber was ich nicht akzeptieren kann, ist, dass hier gegen eine Opposition geholzt wird, die mit ganz konkreten Vorschlägen in die Diskussion geht ({3}) und sich von ganz rechts und ganz links abgrenzt, weil wir wissen, was es heißt, für dieses Land Verantwortung zu übernehmen. ({4}) Damit komme ich zur Wirtschaft. Sie haben heute in Ihrer Rede die Wirtschaft, die Mittelständler, die Industrie, die Lage, wie sie ist, nicht einmal annähernd mit Empathie versehen, sodass man nur hoffen kann, dass Sie wirklich in ganz konkretes Arbeiten kommen. ({5}) Um es konkret zu machen: Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle hat die Steigerung der Anzahl von Insolvenzen beziffert. Wir haben 26 Prozent mehr Insolvenzen im Vergleich zu 2021. Im Herbst wird das weiter ansteigen. Ich muss die Namen der Unternehmen nicht nennen. Aber bei all dem geht es um Arbeitsplätze, um Steuereinnahmen, um den Wirtschaftsstandort Deutschland. Am Ende ist Ihre Antwort darauf einfach nur das dritte Entlastungspaket. Schauen wir uns dieses sogenannte Entlastungspaket doch mal an! Da ist für die Wirtschaft überhaupt nichts drin. ({6}) Ich habe manchmal den Eindruck, die Deindustrialisierung kommt den Grünen gerade recht, damit sie ihre CO2-Klimaziele erreichen. ({7}) Aber wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand sind doch keine Selbstläufer. Denken Sie doch mal an die Unternehmerinnen und Unternehmer, die dieses Land zusammen mit ihren Mitarbeitern am Laufen halten! Gehen wir mal rein in Ihr Programm! Sie sagen, Sie wollen ein Programm für die energieintensiven Unternehmen auflegen, die die Steigerung ihrer Energiekosten nicht weitergeben können. ({8}) – Jetzt sagen Sie: Das gibt es schon. ({9}) Moment mal! Sie haben ins Entlastungspaket geschrieben, dass Sie eins auflegen wollen. Wir schauen uns das Ganze an und hören aus dem Ministerium, es müsse nachgebessert werden. Und wir alle wissen: Bisher hat das laufende Programm gar nichts gebracht.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Frau Klöckner, Entschuldigung, ich wollte Ihren Redefluss nicht unterbrechen. Ich habe die Zeit angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Zwischenbemerkung von Herrn Banaszak aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? ({0})

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Kollege hatte hier Redezeit. Wenn er seine Argumente nicht untergekriegt hat oder falsch verstanden worden ist, wie das bei Grünen öfter vorkommt, dann, denke ich, ist es das gewesen. ({0}) Zweiter Punkt. Das Energiekostendämpfungsprogramm soll für weitere Unternehmen geöffnet werden, die nicht auf der KUEBLL-Liste stehen. Ja, wann kommen denn diese Anpassungen und für wen? ({1}) Was sagt die Europäische Kommission? Das sind alles Ankündigungen. Und dann sagen Sie noch: Unternehmen sollen bei Investitionen in Effizienz- und Substitutionsmaßnahmen unterstützt werden. Ja, und was heißt das? Sie alle, auch von der FDP, sagen: Wir sind noch in der Diskussion. Soll ich Ihnen etwas sagen? Während Sie in der Diskussion sind, gehen bei den Unternehmerinnen und Unternehmern die Lichter aus, und Menschen verlieren ihre Arbeit. ({2}) Wir haben doch keine Zeit, hier ständig noch in Diskussion zu sein. ({3}) Deshalb bin ich mehr als erstaunt über diesen Haushalt, den Sie vorlegen. Sie kürzen die Mittel für digitale Technologien, die Mittel für innovative Unternehmensgründungen. Sie kürzen die Mittel für berufliche Bildung und Mittelstand, für Fortbildungseinrichtungen. Ich kann nur sagen: Wir brauchen einen Wirtschaftsminister und keinen Insolvenzverwalter in dieser Bundesregierung. ({4})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Bernd Westphal. ({0})

Bernd Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind in einer sehr schwierigen Situation, ohne Frage. Alle beschäftigt das sehr, nicht nur uns hier im Bundestag, sondern auch die Unternehmerinnen und Unternehmer, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Menschen in unserem Land. Aber zu den Reden, die wir heute in diesem Haus von ganz links und ganz rechts gehört haben, die Angst schüren, will ich nur sagen: Angst muss in diesem Land keiner haben. Diese Politik sorgt für gesellschaftlichen Zusammenhalt, für soziale Entlastung. Wir nehmen ernst, was in dieser Situation vor uns liegt. ({0}) Diese Ampelregierung, noch nicht ein Jahr im Amt, hat mit wahrlich schwierigen Themen zu tun. Deshalb muss man honorieren, was hier auf den Weg gebracht worden ist, das dritte Entlastungspaket, das neben Kaufkraftsicherung und sozialem Ausgleich auch Perspektiven eröffnet. Der Wirtschaftsminister hat heute Morgen zu Recht angekündigt, dass wir die Programme erweitern werden, sodass auch Mittelstand und Industrie davon profitieren. Und ich sage: Herr Minister, wir müssen auch an die preissetzenden Mechanismen heran. Wir können nicht weiter zugucken, wie die Gas- und Strompreise auf dem Markt entstehen. Das können wir nicht kompensieren. Deshalb ist es gut, wenn Sie morgen im Ministerrat in Brüssel mit unseren europäischen Freunden darüber sprechen; denn wir sind in einem europäischen Binnenmarkt, wir können es national nicht alleine. Vielleicht nehmen Sie als Idee noch mit, einen europäischen Industriestrompreis zu verankern. Das wäre wirklich ein Fortschritt. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Bezug auf die Reden von Frau Klöckner und gestern von Herrn Merz muss ich sagen: Sie sind wirklich Weltmeister im Problembeschreiben. Diese Ampelkoalition ist aber dabei, dieses Land zu regieren und Probleme zu lösen und nicht nur zu beschreiben. ({2}) – Also, gestern habe ich nur Zitate gehört, Es wurde auch aus irgendwelchen Zeitungsartikeln vorgelesen. Aber es gab keine vernünftigen Konzepte, wie man diesen Wirtschaftsstandort für die Zukunft entwickelt. Und das werden wir in der Ampelkoalition machen. ({3}) Wir haben hier die Situation, dass wir es mit in einer Transformation befindlichen Unternehmen zu tun haben, die das Angebot erneuerbarer Energien brauchen, um eine Perspektive zu haben. Das ist in der Stahlindustrie, bei der Chemie, bei der Produktion von Aluminium und Kupfer und in vielen anderen Bereichen der Fall. Ich habe erst gestern im Harz mit einem metallerzeugenden Betrieb gesprochen, der heute mit Kokskohle und Strom die Stahlschmelze organisiert. Der ist auf erneuerbare Energien angewiesen, und weil die Leitungsstruktur dort nicht vorhanden ist, bemüht er sich jetzt, mit Photovoltaikanlagen auf Freiflächen die Energieversorgung zu organisieren und mit Wasserstoff die schwankende Erzeugung zu kompensieren. Das sind Unternehmen, die zuversichtlich anpacken und die Zukunft organisieren, um Arbeits- und Ausbildungsplätze und Wertschöpfung zu erhalten, und das ist es, was wir politisch unterstützen. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben im Bundeshaushalt die Investitionen um fast ein Drittel erhöht. Das zeigt doch, dass diese Bundesregierung dabei ist, Mittel zu organisieren, die genau die Unternehmen bei den Investitionen unterstützen, und dies zu flankieren. Wir haben sehr erfolgreiche Programme wie das ZIM, das gerade auf den Mittelstand abhebt. Wir haben mit der GRW, auf die Frank Junge eben hingewiesen hat, ein Instrument, mit dem wir Regionen, die wirtschaftlich zurück sind, helfen, Anschluss zu halten. Wir haben weitere Potenziale, die wir nicht aus den Augen verlieren dürfen. Deshalb ist in den Berichterstattergesprächen der Haushälter vielleicht noch der Punkt der Gesundheitswirtschaft mit in die IPCEIs aufzunehmen, die sehr erfolgreich in den Bereichen der Zukunftstechnologien wie des Wasserstoffes etabliert sind. ({5}) IPCEI Health ist etwas, was sehr erfolgreich ist und was wir weiterentwickeln können. Und sicherlich ist auch die Luft- und Raumfahrt ein Bereich, der uns hilft, die Zukunft zu gestalten. ({6}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die SPD ist sehr nah an den Unternehmen und der Entwicklung. Sie können sich sicher sein, dass wir mit Betriebsräten, mit Gewerkschaften, mit Unternehmen, mit dem Management sprechen. Deshalb werden die nächsten Wochen entscheidend sein. Die Entlastungspakete, die auf den Weg gebracht worden sind, haben ja auch noch Optionen, Anschlussprogramme zu finanzieren. Ich bin zuversichtlich, dass diese Bundesregierung, die über ihren Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ geschrieben hat, genau diese Politik verankert. Deshalb bin ich zuversichtlich, auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Zukunft der Menschen mit positiver Politik zu begleiten. Vielen Dank. ({7})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Karsten Hilse. ({0})

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Landsleute! Der Haushaltsentwurf zeigt sehr deutlich, dass sich die dümmste Energiepolitik der Welt nicht nur auf fatale Weise in den Geldbörsen der Menschen und in den Bilanzen der Unternehmer widerspiegelt, sondern auch im Haushalt der durch die grünen Kommunisten angeführten Bundesregierung. ({0}) Statt in dieser fundamentalen und seit dem Zweiten Weltkrieg schlimmsten Wirtschaftskrise alle Mittel einzusetzen, um diese zu bewältigen, wird das Geld der Steuerzahler zum Fenster hinausgeworfen. Milliarden werden für grünkommunistische Luftschlösser ausgegeben, die Mitstreiter im Geiste, NGOs und klebstoffsüchtige, arbeitsscheue Elemente, alimentiert und die Vernichtung der wertschöpfenden Industrie in Deutschland vorangetrieben. Viele Mittelständler gehen jetzt reihenweise aufgrund der explodierenden Energiepreise pleite. Sie bekommen nach den sinnlosen Lockdown-Maßnahmen nun den Rest dank der schon von der vergangenen Regierung praktizierten und nun eskalierten Energieverknappungspolitik. Als Gegenrezept empfiehlt Wirtschaftszerstörer Robert Habeck allen Ernstes, die Unternehmen sollten doch einfach aufhören, zu produzieren, aufhören, zu verkaufen; dann müssten sie nicht in die Insolvenz gehen. Dümmer geht immer. ({1}) Ihre Aufgabe ist es zuallererst, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden und seinen Wohlstand zu mehren. ({2}) Sie tun das genaue Gegenteil. Sie verknappen in böswilliger Absicht bezahlbare Energie, wodurch die schon vorher höchsten Energiepreise der Welt nun durch die Decke gehen. Das Abdrehen der Gasversorgung durch Russland als Antwort auf Sanktionen, Vertrags- und Wortbruch wirken dabei nur als Brandbeschleuniger. ({3}) Denn Sie allein haben zusammen mit Ihren willfährigen Vorgängerregierungen diesen Brand gelegt und die Lunte schon vor vielen Jahren gezündet. ({4}) Klimaschutz und Energiewende nennen Sie es. In Wahrheit war und ist es ein Programm zur Zerstörung unserer Wirtschaft und Verelendung des deutschen Volkes. ({5}) Die AfD hat diesen Irrweg von Anfang an als rein ideologisch begründet benannt. Es gibt daher nur eine Richtung: Kohleverstromung, Förderung deutschen Schiefergases – laut Bundesbehörden 2,5 Billionen Kubikmeter – und natürlich Nutzung der Kernenergie. ({6}) Lassen Sie die sichersten Kernkraftwerke der Welt weiterlaufen, und fahren Sie die stillgelegten Kraftwerke wieder hoch, die die technischen und Sicherheitsbedingungen erfüllen! CDU und FDP fordern allerorts, auch hier im Parlament, den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke. Unsere Fraktion ist allerdings die einzige, die einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht hat. ({7}) Sie können gemeinsam mit uns dieses Gesetz beschließen. ({8}) Tun Sie es nicht – und das muss ich leider sagen, auch wenn ich einige Ihrer Kollegen schätze –, sind Sie nur erbärmliche Heuchler, ({9}) die zwar große Töne spucken, aber im entscheidenden Moment den Schwanz einziehen. ({10}) Die Menschen, die für Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung auf der Straße sind, beweisen, dass man trotz unterschiedlicher politischer Grundüberzeugung gemeinsam etwas erreichen kann. Das Kippen der allgemeinen Impfpflicht hat jedem Menschen gezeigt: Es macht Sinn, für seine Rechte zu demonstrieren. Ich hoffe, dass sich in diesem Herbst viele Menschen ihrer Macht bewusst werden und Sie, die Deutschlandzerstörer hier auf der Regierungsbank, in die Schranken weisen. Vielen Dank. ({11})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Ich muss mal kurz durchatmen. – Wir haben vereinbart, uns nicht mit irgendwelchen Titeln zu belegen. „Erbärmliche Heuchler“ sollten wir uns hier im Hause nicht gegenseitig nennen. ({0}) Ich bitte Sie, in Zukunft auf Ihre Wortwahl zu achten, Herr Hilse. Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Reinhard Houben. ({1})

Reinhard Houben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004763, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Niveau der Debatte ist zum Teil schon schwerlich zu ertragen. Aber, Frau Klöckner, ({0}) dass Sie hier antreten und sich über das Holzen in der Debatte beschweren, dann aber keine Zwischenfrage zulassen und dieser Regierung unterstellen, systematisch für die Deindustrialisierung dieses Landes sorgen zu wollen, ({1}) das ist AfD-Niveau. ({2}) Lieber Herr Spahn, die 16 Jahre sind ja für die FDP nicht das Thema, aber die Bundesregierung für die Bekämpfung der Krise in den letzten sechs Monaten zu kritisieren, ({3}) ist im Vergleich zur Professionalität bei den Problemlösungen zu Coronazeiten auch ein bisschen schräg. Denn die Maßnahmen, die während der Coronazeit getroffen wurden, haben dem Mittelstand bisher zumindest mehr geschadet als alle Unternehmungen dieser Bundesregierung, die Energiekrise zu bekämpfen. ({4}) – Ja, die hören zu; deswegen kommen sie nicht zum Klatschen. ({5}) Sie haben uns vorgeworfen, wir hätten noch gar nichts gemacht. ({6}) Das ist doch nun wirklich Irrsinn. ({7}) Wir bauen LNG-Terminals. Als Zwischenlösung kommen die FSRUs. ({8}) Wir kaufen, wo möglich, Gas ein. ({9}) Wir schieben die Kohlestromversorgung an; das machen wir doch alles. Kohle wird eingekauft. Es ist doch nicht so, dass man ein Atomkraftwerk oder ein Kohlekraftwerk einfach an- und ausschaltet. ({10}) Sie müssen Beschaffungswege ermöglichen. Das ist doch möglich. ({11}) – Es tut mir leid, aber Fragen aus der AfD nehme ich nicht an.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Das wollte ich gerade fragen, Herr Houben.

Reinhard Houben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004763, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, hat sich schon erledigt.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Gut.

Reinhard Houben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004763, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Beschaffungswege sind eröffnet, ({0}) aber, wissen Sie, die Kohle kommt doch nicht mit dem Flugzeug; die muss ja erst mal über eine Logistik hergebracht werden, ({1}) und deswegen, finde ich, gehen die Vorwürfe, die Sie hier machen, wirklich an der Realität vorbei. ({2}) Seien Sie gewiss: Wir als Ampel haben am Sonntag die Fragen der Entlastung debattiert. Heute ist Donnerstag. Morgen wird es unter Umständen auf europäischer Ebene eine Lösung geben, also nach noch nicht mal einer Woche. Das als langsam zu bezeichnen, ({3}) finde ich auch ein bisschen schwierig. ({4}) Eine letzte Bemerkung zur Preisbildung am Energiemarkt. Ich will mal unideologisch einführen. Wenn die OPEC beschließt, im nächsten Monat die Ölförderung zu steigern, dann sinkt am nächsten Tag der Ölweltmarktpreis. Und so ist es eben auch beim Strom. Deswegen ist die FDP der festen Überzeugung, dass wir in dieser Notlage die drei AKWs, die uns zur Verfügung stehen, noch einmal mit Brennstäben ausstatten und sie über anderthalb bis drei Jahre, entsprechend der Not, dann auch betreiben. Vielen Dank. ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, hat jetzt das Wort zu einer Kurzintervention aus der AfD-Fraktion Dr. Rainer Kraft.

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Houben, ich komme nicht umhin – ganz kurz noch dazu –: Sie haben Frau Klöckner kritisiert, dass sie keine Zwischenfrage zugelassen hat. Sie haben es dann selber nicht gemacht. Das nur als Randbemerkung. ({0}) Wenn Sie Kernkraft gut finden: Wunderbar! In zwei Wochen gibt es einen Gesetzentwurf meiner Fraktion dazu; der ist sehr simpel gehalten. Dem kann man zustimmen. Dann passiert genau das, was Sie möchten. – Aber zur eigentlichen, konkreten Frage an Sie als regierungstragende Koalition. Sie haben sehr viel von den LNGs und den FSRUs gesprochen. Wie viel unterschriebene Kontrakte für wie viele Milliarden Normkubikmeter LNG liegen Ihnen derzeit vor? Wie viel ist bereits gekauft? Denn erst dann kann das Gas bei den Verbrauchern ankommen. ({1})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Houben, Sie dürfen antworten.

Reinhard Houben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004763, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kraft, ich lasse Fragen eigentlich immer zu. ({0}) Ich bin jetzt fünf Jahre in diesem Hause, und in diesen fünf Jahren hat sich Ihre Fraktion einfach derartig aus der Debatte herausgebrüllt und ‑gepöbelt, ({1}) dass ich das nicht machen möchte. Das bitte ich als persönliche Entscheidung zu akzeptieren. ({2}) Sie fragen nach den konkreten Zahlen? Weiß ich nicht. ({3}) – Nein, ich werde nicht schätzen. Wir sind hier doch nicht bei einer Quizveranstaltung. – Das Wirtschaftsministerium arbeitet an den Zahlen. Stellen Sie eine Kleine Anfrage an den Wirtschaftsminister. ({4}) Er wird Ihre Frage schon beantworten. – Danke.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Lisa Badum. ({0})

Lisa Badum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004659, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Angesichts der Beiträge aus der Union, die ich heute so gehört habe, muss ich sagen: Ich bin wirklich froh, dass Sie nicht mehr in der Regierung sind. ({0}) Denn mit dem Ausmaß an Realitätsverweigerung, mit dem Sie hier antreten, wären Sie nicht fähig, Entscheidungen zu treffen. Aber das ist genau das, was wir tun: Entscheidungen treffen auf der Basis von Fakten. Was die Atomenergie betrifft, sind die Fakten klar: So gut wie kein Beitrag zur Gaseinsparung, so gut wie kein Beitrag zur Senkung der Strompreise ({1}) und im extremen Notfall nur ein geringer Beitrag zur Sicherung der Netzstabilität. ({2}) Das ist die Wahrheit; da können Herr Söder und Herr Merz noch so oft vor Isar 2 posieren. Daran wird sich nichts ändern. ({3}) Jetzt kommen wir zum Klimaschutz, Herr Jung, den die Union in dieser Legislatur für sich entdeckt hat. Ich begrüße das. Sie haben natürlich recht: Der Verkehrsbereich muss mehr liefern. Deswegen haben wir 1,5 Milliarden Euro mehr für die Schiene eingestellt. ({4}) Aber klar ist: Es muss mehr kommen. Dazu schlage ich vor, dass die unionsregierten Länder heute schon mal Unterlagen zu Straßenbauprojekten, deren Umsetzung nicht nötig ist, an den Verkehrsminister schicken. Das ist sicherlich eine gute Hilfestellung. ({5}) – Es ist so. Kommen wir zum Klimaschutzbalken in ihrem eigenen Auge. Das kongeniale Duo aus Herrn Altmaier und dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten – ich weiß nicht, wer das damals war – hat die bayerische Windkraftverweigerung gestützt. ({6}) Herr Dobrindt, es wundert mich nicht, dass Sie sich heute nicht ans Redepult trauen. Als Fränkin und als Bayerin muss ich sagen: Diese Wehleidigkeit, dieses Jammern, die Tatsache, dass Sie immer nur mit dem Finger nach Berlin zeigen, das geht mir so auf den Geist. Übernehmen Sie endlich Verantwortung für das Land! ({7}) Bayern ist Bürgerenergieland, Bioenergieland. Bayern kann Windenergieland werden. Wenn wir es hier schaffen, zehn Gesetze zu Energie und Klima im Bundestag zu verabschieden, dann werden Sie es wohl hinbekommen, ein Energiewendegesetz zu verabschieden, und das ist die Abschaffung der 10‑H-Regelung in Bayern, und zwar zackig. Das erwarten wir! ({8})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Hansjörg Durz. ({0})

Hansjörg Durz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für Politik gibt es viele Definitionen, doch eine gilt ganz besonders in Krisenzeiten, und die lautet: Politik ist die Kunst des Möglichen. Wenn man diese Definition anwendet, habe ich große Zweifel, ob die Ampel in dieser Krise wirklich Politik gestaltet. Denn sie weigert sich in einer der größten Krisen dieses Landes, alles zu tun, was möglich ist. ({0}) Die völlig vermurkste Gasumlage, die die Inflation auch noch anheizt, hat gezeigt, wie weit es mit der Regierungskunst her ist. Ob nun als „Zufallsgewinnabschöpfung“ oder als „neues Strommarktdesign“: Die von Ihnen angekündigten Ideen brauchen nicht nur viel Zeit. Sie lösen auch nicht die Ursachen des Preisanstiegs auf den Energiemärkten; sie dämpfen allenfalls die Folgen. Denn die größte Energiekrise seit Jahrzehnten ist vor allem eines: ein Angebotsschock. Und wie reagiert man auf einen Angebotsschock? Man muss das Angebot ausweiten und alle möglichen Kapazitäten ohne ideologische Scheuklappen ans Netz bringen. ({1}) Das gilt auch für Biomasse und eben auch für den befristeten Weiterbetrieb von Atomkraft. Wenn Sie uns das schon nicht glauben, dann könnten Sie zumindest auf die FDP hören, die das auch einfordert. ({2}) – Auch die Wirtschaftsweisen. – Die Überlegung, die Atomkraftwerke als Notreserve einzusetzen – einmal abgesehen davon, ob es technisch überhaupt möglich ist; das steht auch noch zur Diskussion –, hat die Wirtschaftsweise Veronika Grimm als die Schlechteste aller Möglichkeiten bezeichnet, weil man nämlich weiterhin Kosten hat, aber kein Strom produziert wird, der eine positive Wirkung auf den Strompreis hätte. Unsere Betriebe und Handwerker brauchen aber dringend, und zwar schnellstmöglich, niedrigere Strompreise. ({3}) – Ja, gut, dann hören Sie halt auf die Wissenschaft und auf die FDP, die sehr wohl der Meinung sind, dass das eine Wirkung auf den Strompreis hat. Der Bäcker wird sein Brot nicht erst dann nicht mehr backen können, wenn er gar keine Energie mehr hat, sondern dann, wenn er zum Beispiel aufgrund der Knappheit die extrem hohen Preise nicht mehr bezahlen kann oder wenn er die Preise nicht mehr an seine Kunden weitergeben kann. Der einzige Ausweg ist dann, die Produktion zu stoppen und Mitarbeiter nach Hause zu schicken. Ein Vertreter der Handwerkskammer in meinem Wahlkreis hat mir in diesen Tagen gesagt: Im Handwerk stirbt man still. – Ihre Aufgabe als Wirtschaftsminister ist es deshalb, das Angebot an Energie auszuweiten, allein schon, um den immensen Preissteigerungen entgegenzuwirken. Denn einer der einfachsten volkswirtschaftlichen Lehrsätze lautet: Angebot hoch, dann sinkt der Preis. Und da hilft jede zusätzliche Kilowattstunde. ({4}) Darüber hinaus sind mit Sicherheit Unterstützungsmaßnahmen notwendig. Ein Energiekostendämpfungsprogramm ist im Grundsatz richtig, nur wirkt es nicht, und wirkt es vor allem nicht für die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Sie haben angekündigt, dass Sie dort jetzt mit einem Rettungsschirm agieren wollen. Allerdings hätten Sie über Monate Zeit gehabt, den auch vorzubereiten. Das heißt, es wird jetzt endlich Zeit, dass dieser auch umgesetzt wird. Sie müssen handeln, auch beim Strom, insbesondere auch für kleine und mittelständische Unternehmen. ({5}) Um einem Angebotsschock zu begegnen, braucht es in einer sozialen Marktwirtschaft dringend auch Innovation und Leistung. Der Haushaltsentwurf zeigt in innovativen Bereichen auch Kürzungen. Das kann nicht sein. Darüber müssen wir in den Haushaltsberatungen reden. Im Gegensatz dazu ist übrigens der Haushaltstitel „Öffentlichkeitsarbeit“ des BMWK deutlich angestiegen. Bedienen Sie sich nicht allein der Kunst des Redens, sondern vor allem der Kunst des Möglichen. Vielen Dank. ({6})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Dr. Nina Scheer. ({0})

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit ein paar Fakten aus dem Haushalt beginnen, die ganz klar eines erkennen lassen – auch wenn über das letzte Wochenende weitere Haushaltstitel genannt wurden, die im Weiteren noch aufzugreifen sein werden –: Wir haben einen kräftigen Aufwuchs gegenüber dem letzten Jahr, und wir haben in zentralen Bereichen, auch was den internationalen Klimaschutz betrifft, einen Zuwachs. Wir haben Investitionsanreize gesetzt. Die Mittel für das ZIM erfuhren einen Zuwachs. Allerdings haben wir tatsächlich noch ein bisschen Klärungsbedarf; wie das so ist, das gehört zu einem ordentlichen parlamentarischen Verfahren dazu. Einen Zuwachs gibt es auch bei den Mitteln für neue Mobilität, bei den GRW-Mitteln und auch bei Mitteln für Auslandsinvestitionen – um nur einige Bereiche zu nennen. Ich möchte aber auch erwähnen, dass wir mit dem KTF, also mit dem Klima- und Transformationsfonds, über den Zeitraum von 2023 bis 2026 – das fällt dann leicht hinten runter, wenn man immer nur in Jahreshäppchen rechnet – 177,5 Milliarden Euro investieren wollen. Das ist natürlich eine Hausnummer. Sie knüpft unmittelbar daran an, was sich im Gesetzgebungsverfahren tut. Wir haben im ersten Halbjahr schon eine ganze Menge auf den Weg gebracht, selbst wenn wir viele Notfallgesetze erlassen mussten. Mit dem Osterpaket sind mit der großen EEG-Novelle viele Hemmnisse für erneuerbare Energien abgebaut worden; weitere Hemmnisabbauten werden mit den nächsten Paketen noch kommen. ({0}) Zur Wahrheit gehört auch, dass wir hier enorm viel aufzuräumen haben. ({1}) Wir haben schon in der Großen Koalition erlebt, wie mühselig es war, Fortschritte für erneuerbare Energien auszuhandeln, in Gesetze hineinzuverhandeln, die Gegenwehr zurückzudrängen, die leider in den Reihen der CDU/CSU über Jahre vorhanden war. Das war ein mühseliges Geschäft, und häufig sind darüber Kompromisse entstanden, die wenigstens ein bisschen Mehrwert für die Erneuerbaren bedeuteten, aber häufig auch Komplexität geschaffen haben. Das jetzt alles so zurückzudrehen, dass wir tatsächlich diesen Booster für die Erneuerbaren schaffen, den wir brauchen, ist wirklich kein einfaches Unterfangen. In diesem Sinne haben wir schon eine ganze Menge geleistet. ({2}) Im Moment schauen wir auf die Versorgungssicherheit und fragen uns, wie wir sie gewährleisten. Wir haben einmal die finanzielle Fähigkeit einer Gesellschaft, die es zu stärken gilt. Dazu haben wir jetzt mit der Vereinbarung über das dritte Entlastungspaket einen weiteren dicken Meilenstein gesetzt, den es in die Umsetzung zu überführen gilt. Zum anderen haben wir die Fähigkeit, aus der Gesellschaft heraus mit den Unternehmen, aus den Unternehmen heraus, mit entsprechenden Rahmenbedingungen diese aus der Krise herausführen zu können. Das muss miteinander verzahnt werden. Wir müssen einmal wirklich zielgenau – dort, wo der Schuh am meisten drückt – sowohl beim Unternehmen als auch bei den privaten Haushalten mit Hilfen ansetzen, aber zeitgleich eben auch die Weichen stellen und Möglichkeiten eröffnen in Richtung Transformation, in Richtung erneuerbare Energien. Hier möchte ich auch betonen: Klar, wir haben eine Menge Bedarf beim Ausbau der erneuerbaren Energien; das steht ohnehin auf unserem Zettel. Das ist auf unserer Habenseite, da wir viele Gesetzesänderungen schon auf den Weg gebracht haben. Wenn wir uns jetzt überlegen: „Wie können wir mehr Energie auf den Markt bringen?“, dann sehen wir, dass es eine ganze Menge bereits installierter erneuerbarer Energien gibt, die noch weiter ausgelastet werden können. ({3}) Es gibt zum Beispiel die Nachtabsenkung bei Windkraftanlagen; das ist lärmbedingt in einem gewissen Rahmen durchaus sinnvoll. Aber jetzt in der Krisenzeit kann man sehr wohl überlegen, diese Potenziale zu nutzen. Lasst uns da ran! Wir können sie brauchen. Sie sind installiert. Das Gleiche gilt für Bioenergie. Das haben wir natürlich – darauf brauchen uns nicht erst CDU/CSU zu bringen – ({4}) schon längst auf dem Zettel, das ist schon längst in Arbeit; da brauchen wir keine Nachhilfe. ({5}) Herr Jung, ich glaube, Sie haben irgendwelche Anträge zum Energiewirtschaftsgesetz erwähnt als eine Entscheidungshilfe von Ihrer Seite. Sie wissen ganz genau – deswegen auch der Verweis –, dass das in der Haushaltswoche ohnehin nicht möglich ist. ({6}) Sie wollten wahrscheinlich so wirken, als seien Sie schneller. Aber wie gesagt: Es ist Haushaltswoche. ({7}) Danach, in den folgenden Wochen, werden solche Anträge wieder behandelt. Dann geht es natürlich um eine Überarbeitung des Energiesicherungsgesetzes. Das zeigt auch die Handlungsfähigkeit der Koalition. Im Rahmen dessen wird natürlich auch weiter an den Befähigungen in Richtung Nutzung der erneuerbaren Energien gearbeitet. Vielen Dank. ({8})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Andreas Mattfeldt. ({0})

Andreas Mattfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Minister Habeck – er führt anscheinend gerade Kaffeegespräche während seiner Berichterstattung; das kann man auch machen, ich wäre da wirklich ein bisschen demütiger in diesen Tagen –, ({0}) Ihre Selbsteinschätzung zu Beginn Ihrer Rede – ich darf Ihnen das sagen – hat mich fassungslos gemacht – fassungslos gemacht, wie Sie sich selber sehen im Vergleich zu den realen Ergebnissen, die Sie hier vorzuweisen haben. ({1}) Dabei habe ich Ihnen im Frühjahr gesagt, dass ich Sie nicht um Ihren Job beneide. ({2}) Ich habe Ihnen sogar Respekt gezollt, weil ich den Eindruck hatte: Dieser Mann stellt Parteipolitik hintenan. Ich habe Sie hierfür sogar öffentlich gelobt, was in meiner Fraktion nicht so gut ankam; das darf ich ganz deutlich sagen. Ich bin selten von jemandem so enttäuscht worden wie von Ihnen, Herr Habeck; das darf ich hier in aller Öffentlichkeit sagen. Ich sage Ihnen: Wer nur der Publicity wegen agiert, wer hinterher nicht liefert, der wird das Vertrauen der Menschen schneller verlieren, als er es sich vorstellen kann. ({3}) Auf eine anständige Performance – und die geben Sie wirklich öffentlich ab – muss vor allen Dingen eine gute, aber auch schnelle Umsetzung folgen. Nur mit quatschen, nur mit medialen Auftritten haben Sie, Herr Habeck, noch kein Problem gelöst. Dass der „Maischberger“-Auftritt totaler Quatsch und total lost war, haben Sie, glaube ich, selbst gemerkt. ({4}) In einer so existenziellen Krise, wie sie unser Land seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt hat, dürfen handwerkliche Fehler und Versäumnisse in dieser Art einfach nicht passieren. Das sind bei Ihnen keine Einzelfälle mehr. ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Mattfeldt?

Andreas Mattfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, Frau Präsidentin.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Entschuldigung, es gibt eine Frage oder Zwischenbemerkung aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Andreas Mattfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber sehr gerne.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie dürfen.

Dr. Anna Christmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004694, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Kollege Mattfeldt, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Wo Sie das jetzt gerade ansprechen, würde ich Sie gerne fragen, ob Sie zur Kenntnis nehmen wollen, dass zu Beginn der Ampelkoalition, als wir übernommen haben, geplant war, Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen, die Gasspeicher so leer waren wie eigentlich nie zuvor im Jahresdurchschnitt – im Oktober letzten Jahres war viel zu wenig Gas eingespeichert –, dass Sie in den letzten 16 Jahren den Ausbau der erneuerbaren Energien blockiert statt vorangebracht haben. Deswegen stehen wir da, wo wir jetzt stehen. ({0}) Und wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass Nord Stream 2 jetzt gestoppt ist, dass derzeit sogar nicht einmal durch Nord Stream 1 Gas fließt, dass die Gasspeicher so gut gefüllt sind wie im Jahresdurchschnitt seit Langem nicht mehr und dass diese Ampelregierung noch vor dem Sommer ein massives Gesetzespaket zur Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien umgesetzt hat? Das sind so viele Gesetze wie selten ein anderes Ministerium in so kurzer Zeit umgesetzt hat. Wollen Sie diese Leistungsbilanz zur Kenntnis nehmen, Herr Mattfeldt? ({1})

Andreas Mattfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich freue mich sehr, Frau Dr. Christmann, dass Sie mir diese Frage stellen, insbesondere zu Nord Stream; ich sage Nord Stream 2, es gibt auch Nord Stream 1. Und wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass Nord Stream 1 Ihre Erfindung ist, Sie Nord Stream 1 in die Versorgung eingebracht haben? ({0}) Das war zu Ihrer Regierungszeit. Insofern: Mit den Fingern auf andere zu zeigen, hilft hier in diesem Fall überhaupt nicht. ({1}) Mir diese Frage zu den Gasspeichern zu stellen, ist schon eine Frechheit. Diese Frage müssten Sie Ihrem Koalitionspartner stellen. 2014 hat der Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Gasspeicher in Rehden, die Erdgaskonzessionen in Niedersachsen, an Gazprom verkauft. ({2}) Ich war seinerzeit Mitglied der Regierungskoalition. Man macht es sehr selten, dass man als Mitglied ({3}) – hören Sie doch zu, Herr Banaszak! – einer regierungstragenden Koalition den eigenen Wirtschaftsminister kritisiert und fragt, warum er das in dieser Phase gemacht hat. 2014 – wir erinnern uns –: Gerade ist die Krim überfallen worden, und der SPD, dem Wirtschaftsminister Gabriel fällt nichts anderes ein, als den Gasspeicher Rehden an Gazprom zu verkaufen. Ich habe das für einen Skandal gehalten. ({4}) Sie haben noch eine dritte Frage gestellt; die Präsidentin hat das zugelassen. Zu dieser Mär, wir hätten beim Ausbau der Windenergie nichts getan, sage ich: Frau Dr. Christmann, 2005 lag der Anteil des Stroms aus Windenergie bei 5 Prozent, wenn ich es richtig weiß. Heute sind wir bei 50 Prozent, im Moment sind es über 50 Prozent. ({5}) Das hat die damalige Regierungskoalition mit Partnern, die auch hier in der Mitte sitzen, die gelb waren, auch gemacht. ({6}) Wenn ich das sagen darf: Ich war viele Jahre Altbürgermeister, fast zehn Jahre. Wir haben uns größte Mühe gegeben, Windenergie auszuweisen. Es waren allzu häufig Ihre Leute vor Ort, die das verhindert haben. ({7}) Herr Minister Habeck, was wir erleben, sind keine Einzelfälle. Die Gasumlage ist – mit Verlaub – Murks, sie wäre gar nicht notwendig gewesen, weil Sie mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds ein Instrument haben, wie Sie dieses Problem zu einem Großteil hätten lösen können. Eine weitere Luftnummer war doch die Energiepartnerschaft mit Katar, die nicht vorankommt. Nicht ein Kubikmeter Gas wurde hier ratifiziert und konnte zu einer Entspannung der Märkte beitragen. Der Gaspreis, Herr Habeck, ist auch dadurch durch die Decke gegangen, weil Sie auch in Norwegen, in Kanada nichts erreicht haben. Und vom abrupten Stopp Ihrer CO2-Gebäudesanierung redet schon keiner mehr. Es ist schon verwunderlich: Sie präsentieren uns in diesen Tagen einen Haushaltsentwurf, in dem Sie sogar die Wirtschafts-, Energie- und Klimapolitik gegeneinander ausspielen. Das ist übrigens auch gegenüber den 10 038 Mitarbeitern – über 10 000 Mitarbeiter; das müssen wir uns auf der Zunge zergehen lassen – in Ihrem Geschäftsbereich nicht fair. Sie haben im Entwurf für 2023 für das Habeck-Haus 13 Milliarden Euro zur Verfügung. Das sind 1,7 Milliarden Euro mehr als 2022. Die Ausgabereste türmen sich auf mittlerweile über 2 Milliarden Euro, und natürlich geht bei Ihnen die Stellenausweitungsorgie noch munter weiter: 49 Stellen bringen Sie on top auf, wobei Sie den nachgeordneten Behörden zugunsten Ihres Mutterhauses sogar noch Stellen wegnehmen. Herr Habeck, es ist schon seltsam. Ich komme jetzt noch zu ein paar weiteren Punkten im Haushalt. Da gibt es eine Verliererseite. Das ist bei Ihnen im Hause ganz klar die Mittelstandspolitik, der Sie 56 Millionen Euro, also gut 5 Prozent, streichen. Bei der Außenwirtschaft, die für den Export so existenziell wichtig ist, streichen Sie 286 Millionen Euro, also fast ein Drittel. Der Deutschen Zentrale für Tourismus – die wollen Sie anscheinend kaputtschießen – kürzen Sie wieder 5 Millionen Euro; sie soll dann fast 30 Prozent weniger erhalten als noch bei Herrn Altmaier. Im Bereich Luft- und Raumfahrt sind es eben mal 59 Millionen Euro, und bei der Lehrlingsunterweisung und bei Fortbildungseinrichtungen für Auszubildende wird der Rotstift auch noch einmal richtig angesetzt. ({8}) Aber, Herr Habeck, Sie haben natürlich auch eine Gewinnerseite – das ist beispielhaft –: die „Investitionen zum Schutz … der Biodiversität im Ausland“ – im Ausland! Die erhält über 685 Millionen Euro mehr, obwohl bislang in diesem Jahr lediglich magere 110 Millionen Euro abgeflossen sind. Sie haben auch Kryptisches. Das ist die „Energiepolitische Zusammenarbeit mit der Ukraine“. Die wird erneut mit 50 Millionen Euro angesetzt, obwohl bislang kein Euro abgeflossen ist. Gleiches gilt für den Wirtschaftsfonds Afrika: Eigentlich eine tolle Sache, aber 10 Millionen Euro und keine Abflüsse im laufenden Jahr? Da frage ich mich: Was ist da los, oder was ist da besser nicht los bei Ihnen? ({9}) Deshalb, Herr Habeck, würde ich mir, wenn ich Wirtschaftsminister wäre, schon die Fragen stellen: Ist das jetzt der richtige Moment, bei den Lehrlingen in unserem Land zu kürzen, Stichwort „schlimmster Fachkräftemangel ever“? Ist das jetzt der richtige Moment, bei der gebeutelten Tourismuswirtschaft noch einmal zu kürzen, Stichwort „Umsatzausfall durch Corona“? Und ist das jetzt der richtige Moment, bei der wertschöpfenden Industrie und bei Hochtechnologien zu kürzen, Stichwort „Wettbewerbsfähigkeit in einer globalen Wirtschaft“? Herr Habeck, Sie können nichts für die globale Gesamtlage. Sie wirken aber, das darf ich Ihnen sagen, krisenverstärkend, und ich darf sagen: Das ist der schlimmste Entwurf, den ich in 14 Haushaltsjahren für das BMWK erlebt habe. Eigentlich müsste dieser Haushalt mit Blick auf die derzeitige Krise noch einmal ganz neu aufgestellt werden. Herzlichen Dank. ({10})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: aus der SPD-Fraktion Lena Werner. ({0})

Lena Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Bürger/-innen! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zum Abschluss der Beratungen würde ich jetzt gerne auf einen wirtschaftsrelevanten Aspekt eingehen, und zwar auf den Tourismus; dieses Thema hat auch der Kollege gerade aufgegriffen. Natürlich sind Urlaub, Reisen und Restaurantbesuche eine Art Luxusgut, und in Krisenzeiten sind sie wahrscheinlich das Erste, worauf man verzichtet. Aber wir alle brauchen mal eine Auszeit, und die kann ganz unterschiedlich sein: Es kann eine Wandertour durch die Eifel sein, es kann ein Städtetrip sein, ein Strandurlaub oder ein Urlaub auf dem Campingplatz nebenan. Gerade in diesen Zeiten der Krise ist das für unsere mentale Gesundheit besonders wichtig. Unsere Gesellschaft befindet sich schon zu lange im Krisenmodus. Die gesamte Tourismusbranche wurde in den letzten beiden Jahren hart getroffen: Erst kam die Coronapandemie mit weitreichenden Folgen, und nun folgen direkt eine Energiekrise und eine Inflation. Dazu kommt der seit Jahren wachsende Arbeitskräftemangel. Umso wichtiger ist es jetzt, dass wir weiterhin Geld in unsere touristische Infrastruktur investieren, um sie zukunftsfähig zu machen. ({0}) – Vielen Dank, Herr Kollege. – Dazu zählt die Unterstützung der Deutschen Zentrale für Tourismus. ({1}) Die Zentrale ist maßgeblich für das Marketing für den Tourismusstandort Deutschland zuständig. ({2}) Für einen gut funktionierenden Tourismus braucht es neben Marketing aber auch die entsprechende Infrastruktur und Rahmenbedingungen. Als Querschnittsbranche wird der Tourismus von den Vorhaben der Koalition maßgeblich profitieren. ({3}) Durch den Ausbau des ÖPNV und das vorgesehene bundesweite Anschlussticket für das 9‑Euro-Ticket schaffen wir einen bezahlbaren und unkomplizierten Nahverkehr. Dessen Nutzung ist für Einheimische, aber auch für Gäste sehr attraktiv. Durch die Modernisierung der Einwanderungsgesetze und die Stärkung der dualen Ausbildung bekämpfen wir den Fachkräftemangel und schaffen Erleichterung in der Tourismuswirtschaft. ({4}) Um das Gastgewerbe in der Krise weiterhin zu entlasten, haben wir uns darauf geeinigt, die Reduzierung der Umsatzsteuer auf Speisen zu verlängern. Das schafft Planungssicherheit für die Gastronomie. Hier möchte ich mich vor allem noch einmal bei unserem Bundeskanzler Olaf Scholz dafür bedanken. ({5}) Auch von der Kulturförderung des Bundes profitiert der Tourismus maßgeblich. Die Aufrechterhaltung und Pflege unserer Kulturdenkmäler sowie die vielfältige deutsche Kulturlandschaft sind für viele Besucher/-innen entscheidende Faktoren, Deutschland zu bereisen. Deshalb ist es umso bedeutsamer, dass das Bundesprogramm „Neustart Kultur“ verlängert wurde. Davon profitieren die Veranstaltungswirtschaft und der ganze Kulturbereich. ({6}) Einen letzten Punkt möchte ich noch erwähnen. Es ist auch weiterhin ausschlaggebend, dass wir andere Länder, besonders im Globalen Süden, finanziell unterstützen. Der Tourismus ist nicht nur bei uns eine starke Wirtschaftskraft. Für viele Länder trägt er zur nachhaltigen Entwicklung und finanziellen Unabhängigkeit bei. Das ist feministische Entwicklungspolitik, und deshalb ist es elementar, dass Deutschland sich weiterhin an internationalen Projekten zur nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung beteiligt. Damit stärken wir auch den Tourismus weltweit. Vielen Dank. ({7})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Weitere Wortmeldungen liegen mir zu diesem Einzelplan nicht vor.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir sind in der Haushaltsdebatte für das Bundesgesundheitsministerium. Ich möchte beginnen, indem ich mich zunächst einmal bei allen Haushälterinnen und Haushältern für die guten Beratungen ganz herzlich bedanke. Wir haben hier einen großen Haushalt zu verabschieden. Der Haushalt schrumpft allerdings von derzeit 64 Milliarden Euro auf 22 Milliarden Euro im nächsten Jahr, also auf ungefähr ein Drittel. Das ist damit zu erklären, dass wir davon ausgehen, dass uns die Pandemie im nächsten Jahr nicht mehr vor teure und unlösbare Probleme stellen wird. Ich rechne damit, dass wir in diesem Herbst noch einmal Schwierigkeiten bekommen. Auf diese sind wir aber sehr gut vorbereitet; diese Vorbereitung werde ich später in der Diskussion um das Infektionsschutzgesetz vortragen. Ich konzentriere mich jetzt auf die Frage, wie wir das Gesundheitssystem modernisieren werden. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass ich davon ausgehe, dass wir die Pandemielage im Herbst gut im Griff haben werden, und das werde ich später ausführen. ({0}) Jetzt geht es um die Zukunft unseres Gesundheitssystems. Da sind im Hintergrund zahlreiche Projekte der Modernisierung weitergeführt worden. Ich werde mich in meiner Rede auf mehrere Bereiche konzentrieren. Zunächst einmal werde ich darauf eingehen, was wir in der Pflege verändern werden. Dann werde ich auf Krankenhausreformen zu sprechen kommen, dann auf den Bereich der Digitalisierung und dann schließlich auf das, was wir für sozial benachteiligte Menschen tun wollen, um das Gesundheitssystem gerechter zu machen. Ich fange einmal mit der Pflege an. In der Pflege haben wir tatsächlich wichtige Reformen vor uns, und eine ganz konkrete Reform, das sogenannte Krankenhauspflegeentlastungsgesetz, beschäftigt sich mit dem Problem: Was machen wir eigentlich gegen die chronische Überlastung der Pflege in vielen Stationen, in vielen Bereichen? ({1}) Was wir dort machen, ist zunächst einmal: Wir gleichen ab durch ein Instrument, mit dem man den Pflegebedarf vergleichen kann mit der Pflege, die angeboten wird: Welche Stationen sind eigentlich besonders überlastet? Und wenn wir diese Überlastung feststellen, dann kommt eine entsprechende Entlastung: entweder durch mehr Urlaubstage, durch Entlastungstarife oder durch Zuschläge, die steuerfrei und abgabenfrei organisiert werden können. Das führt dazu, dass die Pflege als Arbeitsplatz wieder interessanter wird. Man kann ja zunächst mal die Frage stellen: Was bringt es denn überhaupt, wenn ich nur auf der Station die Überlastung der Pflege dokumentiere? Wenn, wie mit diesem Gesetz vorgesehen, tatsächlich eine Entlastung kommt, dann wird die Pflege als Arbeitsplatz wieder interessanter, und wir wissen, dass ungefähr 300 000 Pflegerinnen und Pfleger im Prinzip bereit sind, wieder in die Pflege zurückzukehren. Dieses Gesetz wird dazu einen wesentlichen Beitrag leisten. Das ist der Grund, weshalb das Gesetz von den Gewerkschaften nicht nur unterstützt, sondern auch gefordert wird. Dafür bedanke ich mich. Wir werden mit diesem Gesetz die Pflege wieder deutlich attraktiver machen und dem Pflegenotstand entgegenwirken. ({2}) Im Krankenhaus muss mehr geschehen. Ich fange mit einem Bereich an, der mir besonders am Herzen liegt, und zwar den Kinderkrankenhäusern. Wir haben ungefähr 350 Abteilungen und Kliniken für Kinder. Diese Kliniken haben in den letzten Jahren deutlich gelitten. Auch dort gibt es einen Reformstau. Wir haben da etwas vorbereitet, und zwar eine weitgehende Reform, womit die Kinderkliniken komplett aus dem Bereich der Fallpauschalen entfernt werden. Damit wird der ökonomische Druck auf diese Kliniken von jetzt auf sofort beendet. Die Kliniken können dann wieder die Kosten abrechnen, bekommen ein Budget und müssen sich nicht durch Leistungssteigerungen quasi das Budget von Jahr zu Jahr neu erkämpfen. Das heißt, hier haben wir dann einen Bereich, der komplett ohne die Pauschalen und im Wesentlichen nach dem System der Kostendeckung funktioniert. Gerade bei den Kindern ist das unbedingt notwendig. Es kann nicht länger akzeptiert werden, was wir viel zu lange akzeptiert haben, dass in der Kinderkrankenhausversorgung ökonomische Aspekte Einfluss auf die Therapieentscheidungen haben. Das können wir nicht hinnehmen. ({3}) Dafür werden wir zusammen mit den Ländern ein Gesetz vorbereiten. Wir werden auch mehr Geld in die Hand nehmen. Die Kinderheilkunde wird in den Kliniken deutlich entlastet. ({4}) Wir gehen aber im Krankenhausbereich weiter. Wir werden auch die Fallpauschalen allgemein entlasten, und zwar dahin gehend: Die Fallpauschalen haben derzeit keine Vorhaltekosten, die pauschal abdecken, wie stark ein Krankenhaus eigentlich gebraucht wird. Die Fallpauschale ergibt den gleichen Preis in einer Region, wo es sehr viele Krankenhäuser gibt und wo wir eine Überversorgung haben, und in Regionen, wo es eine Unterversorgung gibt. Wir wollen jetzt durch eine Vorhaltepauschale dort mehr Geld hinsteuern, wo die Krankenhäuser unbedingt benötigt werden. Dafür soll es dort relative Abschläge geben, wo es eine Überversorgung gibt. Damit steuern wir die Krankenhausversorgung sehr viel besser. Wir geben Anreize, dass tatsächlich die demografische und die medizinische Situation dafür verantwortlich ist, wo investiert wird. Auch das ist eine sehr wichtige Entökonomisierung unserer Krankenhausversorgung, und sie ist längst überfällig. Sie kommt jetzt, sie wird vorbereitet. Wir sind mit den Sachverständigen schon in einer konkreten Umsetzungsplanung. ({5}) Nicht vergessen werden darf, dass wir auch die kurzfristigen Bedürfnisse der Krankenhäuser berücksichtigen. Wir werden die Energiekosten, die Inflationskosten und die zurückgegangenen Fallzahlen analysieren. Wir werden ein Hilfspaket schnüren, damit die Krankenhäuser nicht in einer Situation, wo 40 Prozent der Krankenhäuser Liquiditätsprobleme haben, in unüberbrückbare Schwierigkeiten kommen. Auch da arbeiten wir an einer kurzfristigen Lösung. Wir lassen in dieser Energie- und Inflationskrise unsere Krankenhäuser nicht im Stich und werden sie über den Herbst und über den Winter bringen. Das haben wir vor; dafür werden wir in den nächsten Wochen konkrete Vorschläge vorlegen und mit den Ländern beschließen. ({6}) Ich komme zum Bereich der Digitalisierung. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist der Bereich, über den am meisten gesprochen wird und wo am wenigsten passiert. Wir sind, was die Digitalisierung angeht, im europäischen Vergleich nach wie vor ein Entwicklungsland. Wir können nicht mithalten mit Ländern wie Dänemark oder den Niederlanden, geschweige denn mit Ländern außerhalb von Europa, zum Beispiel Israel, wo einfach viel mehr möglich ist. Was wir jetzt machen: Wir bauen auf. Die schreckliche Pandemie hat nur Nachteile gebracht, aber in einem Bereich hat sie tatsächlich etwas angestoßen: in der Digitalisierung. Bei der Digitalisierung ist es zu viel mehr Telesprechstunden und Telekonsultationen gekommen. Das elektronische Rezept ist möglich geworden. Wir haben die Pflegeberatung digitalisiert. Wir haben mit der Corona-Warn-App die Versicherten an die Digitalisierung herangeführt. Wir wollen darauf aufbauen. Wir sind da jetzt sozusagen in eine Kurve eingebogen. Wir wollen aus der Kurve heraus beschleunigen, und wir wollen einiges einführen: Wir wollen das elektronische Rezept einführen – letzte Woche erfolgt. Wir wollen die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einführen – schon 23‑Millionen-mal genutzt bis zum August. Wir wollen die elektronische Patientenakte als Opt-out-Lösung einführen. Damit ist sozusagen jeder zunächst einmal mit einer elektronischen Patientenakte unterwegs. Wir wollen diese dann aber auch für Forschungszwecke nutzen, indem wir das System des digitalen Zwillings – in Israel wird das schon praktiziert – nutzen, um aus Routinedaten heraus Forschung machen zu können, sodass wir aus den Routinedaten heraus sehen können, welche Behandlungskonzepte effizienter sind und besser funktionieren. Das ist ein wesentlicher Schritt nach vorne. Wir sind mit den Israelis diesbezüglich im engen Kontakt. Am Samstag reisen wir mit einer Delegation von Experten nach Israel und werden einen Kooperationsvertrag unterschreiben. Wir orientieren uns hier an den Besten, und Israel ist, was die Digitalisierung des Gesundheitssystems angeht, weltweit führend. Das wollen wir aufgreifen. ({7}) Wir wollen mit den Besten zusammenarbeiten und greifen das auf. Wir wollen aus der Kurve heraus beschleunigen. Die Digitalisierung wird ein wesentlicher Schwerpunkt der Arbeit unseres Hauses werden. ({8}) Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal sagen: Wir müssen auch etwas für die Ärmsten tun. Wir dürfen sie nicht zurücklassen. Wir wollen 1 000 Gesundheitskioske errichten. ({9}) Das sind neue Strukturen, wo man einen Termin bekommt, beispielsweise für einen Facharztbesuch oder einen Krankenhausbesuch, wo Vorbeugeleistungen abgerufen werden können, wo soziale Dienste abgerufen werden können, wo Hebammendienste vermittelt werden können, wo man Übersetzungen bekommen kann, wo Pflegeberatung und Ernährungsberatung stattfindet. ({10}) Mit 1 000 Kiosken in einigen der ärmsten Stadtteile und Regionen Deutschlands bauen wir eine neue Struktur auf, die es längst hätte geben müssen, damit es in den ärmeren Stadtteilen eine niederschwellige, schnelle, gute Zugangsmöglichkeit gibt für die Menschen, auch für diejenigen, die die Sprache nicht gut sprechen; auch für die Menschen, die zum Beispiel noch gar keine Versicherung haben; für diejenigen, die keinen richtigen Zugang haben. Wir müssen das machen. Das spart auch Geld, das spart Notfalleinweisungen, das spart Krankenhauseinweisungen, das führt zu einer besseren Medizin. Wir helfen hier den Ärmsten; das ist uns sehr wichtig. Das haben wir zu einer Priorität gemacht. Wir haben viel vor. Wir machen viel, auch schon im Hintergrund. Wir machen nicht nur Pandemie, sondern wir machen viel für die Modernisierung des Gesundheitssystems. ({11}) – Ja, das ist klar, dass Sie davon weder etwas verstehen noch mitbekommen. -Aber es ist so. ({12}) Ich danke denjenigen, die diesen Weg begleitet haben. Ich danke Ihnen auch für den großzügigen Haushalt. Den werden wir benötigen, und den werden wir effizient einsetzen. Danke schön. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zwischenfragen – nur dass das deutlich wird – lasse ich immer nur zu, wenn sie innerhalb der Redezeit gestellt werden. Das können Sie nicht wissen, aber deswegen war das Zeichen so. Aber Sie können sich ja sicherlich anders auseinandersetzen. Ich habe Ihnen eine Mitteilung zu machen: Die Fraktion der AfD hat beantragt, die Wahl des Stellvertreters der Präsidentin und die Wahl eines Mitglieds des Parlamentarischen Kontrollgremiums – das sind die Tagesordnungspunkte 3 und 4 – von der heutigen Tagesordnung abzusetzen. Ich gehe davon aus, dass Sie damit einverstanden sind. – Damit entfallen diese Tagesordnungspunkte. Das Wort geht an Sepp Müller für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Lauterbach, der vorgelegte Haushaltsentwurf ist ideenlos, er ist kraftlos, und er ist mutlos. Ihre Worte höre ich gern, doch allein mir fehlt der Glaube – „Faust“, Johann Wolfgang von Goethe. Kommen Sie endlich aus dem Modus des Ankündigungsministers in den des Machministers! Werden Sie Gesundheitsminister! Verlassen Sie die Coronapandemie und kümmern Sie sich um unser Gesundheitssystem! ({0}) Sie hatten nach der letzten Welle im Frühjahr angekündigt, dass endlich Zeit ist, um Gesetzesvorlagen vorzulegen. Aus Ihrem Haus kamen zwei. 1 000 Gesundheitskioske wurden angekündigt. Wissen Sie, was ein Gesundheitskiosk im ländlichen Raum und für die meisten Städte bedeutet? Das ist die Hausarztpraxis. Wir brauchen Hausarztpraxen. ({1}) 4 000 Hausarztpraxen in unserem Land sind seit über zwei Jahren nicht besetzt, und Sie diskutieren 1 000 zusätzliche Gesundheitskioske, für die das Material nicht da ist, für die das Geld nicht vorhanden ist und das Personal fehlt. Was Sie vorgelegt haben, ist ein Finanzstabilisierungsgesetz für die gesetzliche Krankenkasse. Das ist weder ausreichend, noch wird es der Lage und vor allem den Problemen in unserem Land gerecht. Schauen wir den Haushalt an, dann kann der geneigte Leser zu dem Entschluss kommen, dass der Bundesfinanzminister mit dem roten Stift dem roten Karl Lauterbach etwas diktiert hat. Ihre Ideen für diesen Haushalt umfassen keine seltenen Erkrankungen. Wie sieht es aus mit den Tausenden MS-Erkrankten? Was ist mit der Volkskrankheit Alzheimer? Wie geht es weiter mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung? All das, Herr Lauterbach, haben Sie in Ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, und wir finden in Ihrem Haushalt nichts. Kommen Sie weg vom Ankündigungsminister, werden Sie endlich Gesundheitsminister! ({2}) Herr Lauterbach, ein Wort zu Corona. Sie haben sich Ende letzten Jahres, Anfang dieses Jahres mit Millionen Impfdosen eingedeckt. Diese werden jetzt verfallen. Das sind dreistellige Millionenbeträge, die an Steuergeld verbrannt werden. Hätten Sie dieses Geld Medizinischen und Zahnmedizinischen Fachangestellten als Bonus gezahlt, dann wäre das der Respekt gewesen, den wir auch von einem Gesundheitsminister für diese Branche erwarten. ({3}) Herr Gesundheitsminister, die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung steht auf tönernen Füßen. Bereits jetzt wird von knapp 17 Milliarden Euro ausgegangen, die fehlen werden. Mit der Inflation werden wir bei 25 Milliarden Euro rauskommen. Als Sie das Gesetz eingebracht haben, sprachen Sie davon, nicht bei der Qualität zu streichen. Was legen Sie vor? Sie wollen die Neupatientenregelung für Ärzte streichen. Wissen Sie, was das für Hausärzte und Fachärzte bedeutet? Sie werden bei der Qualität streichen, weil sie neuen Patienten, jungen Patienten, Patienten, die von A nach B umziehen, keinen Termin mehr geben können, weil das Budget ausgeschöpft ist. Sie sind der Minister, der die Axt an die Wurzel des Qualitätssystems in unserem Gesundheitswesen anlegt. Sie haben da versagt, Herr Lauterbach. ({4}) Wenn Sie allein das umsetzen würden, was in Ihrem Koalitionsvertrag steht, wie die Beteiligung des Bundesfinanzministeriums und des BMAS bei der Frage der Finanzierung der GKV, sprich: die ALG‑II-Empfänger komplett mit zu beteiligen, hätten wir 10 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung, und die brauchen wir. Liebe Sozialdemokratie, da haben Sie uns an Ihrer Seite, und da werden wir Sie auch unterstützen. Das muss endlich auf den Weg gebracht werden. ({5}) Herr Lauterbach, werden Sie endlich Gesundheitsminister, und kommen Sie weg von den anderen Themen! Danke. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Dr. Paula Piechotta hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Paula Piechotta (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005180, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Sepp Müller, ich finde es unglaublich gut, dass in dieser Legislatur so viele Menschen gerade aus Sachsen-Anhalt in der Unionsfraktion Gesundheitspolitik machen können, weil das eins der Bundesländer ist, in dem die Versorgung an vielen Stellen wirklich prekär ist. Sie wissen aus der Lage vor Ort, wie viel wir im Gesundheitswesen tun müssen, damit die Versorgung besser wird. Aber Sie rufen jetzt hier nach einem Mach-Minister, und das nur knapp zwölf Monate, nachdem Jens Spahn abgetreten ist, wo wir alle wissen: Dieser Ansatz von Politik, viel zu machen, hat auch Konsequenzen, dass da einfach unglaublich viel Geld aus dem Fenster rausgeworfen wurde. Ich will nicht in alle inhaltlichen Punkte einsteigen, weil ich nicht im Fachausschuss sitze. Aber Sie haben zum Beispiel die Neupatientenregelung angesprochen. Sie tun so, als ob die Streichung unglaubliche Unterschiede in der Versorgung machen würde. ({0}) Sie erwähnen nicht, wie wenig Neupatienten diese Regelung tatsächlich geschaffen hat, wie viele zusätzliche Arzttermine sie tatsächlich geschaffen hat oder eben nicht. Nach so viel Zeit mit der Union und vor allen Dingen auch mit Jens Spahn im Bundesgesundheitsministerium, der in Zeiten regiert hat, wo er klotzen konnte und oft nicht aufs Geld geschaut hat, müssen wir das jetzt ausbaden, und das unter unglaublich schwierigen Rahmenbedingungen, weil uns jetzt das Geld an allen Ecken und Enden fehlt. Hier so zu tun, als ob Karl Lauterbach nicht mit Geld umgehen könnte, wenn man selber die Partei der Maskendeals ist, der Betrugsfälle in den Coronatestzentren, ist vielleicht ein bisschen unvorsichtig in einer solchen Debatte. ({1}) Jetzt möchte ich dann doch wieder über das Geld sprechen und noch mal daran erinnern, wie es am Anfang der Pandemie war, als wir alle aus unserem Alltag rausgeworfen waren und die Gesundheitspolitik in Deutschland gefühlt zum ersten Mal viele Menschen interessiert hat. Das war gerade für Menschen, die viel Gesundheitspolitik gemacht haben, eine sehr besondere Situation. Da haben viele – auch hier im Bundestag – die Hoffnung gehabt, dass sich nach der Pandemie unglaublich viel im Gesundheitswesen verbessern würde, gerade auch für Beschäftigte im Gesundheitswesen. Die sehen jetzt: So viel hat sich gar nicht verändert. Die haben die blöde Vermutung, dass wir aus dieser Pandemie rauskommen könnten mit genau den gleichen Problemen, aber noch weniger Geld im Gesundheitswesen und damit auch noch schlechteren Arbeitsbedingungen für sie in den Kliniken und Praxen. ({2}) Deswegen muss man schon mal darauf hinweisen, dass es doch Lerneffekte aus der Pandemie gibt, auch in diesem Gesundheitsetat. Der Etat des Gesundheitsministeriums finanziert nicht das komplette Gesundheitswesen. Der ist nur ein Bruchteil dessen, was die Kassen im Gesundheitswesen leisten. Aber auch an diesem Etat sieht man, wie die Lerneffekte der Coronapandemie jetzt ganz konkret umgesetzt werden. Der Minister hat es angesprochen: Wir hatten diesen unglaublichen Aufwuchs im Etat von knapp 15 Milliarden Euro vor der Pandemie in weniger als drei Jahren quasi vervierfacht auf über 60 Milliarden Euro, und jetzt nehmen wir das wieder zurück auf knapp 22 Milliarden Euro im Entwurf. Das zeigt aber auch: Wir gehen nicht auf das Vorkrisenniveau zurück, sondern wir bleiben mit den 22 Milliarden Euro deutlich über dem vorpandemischen Niveau. Da sind Punkte drin, die Lerneffekte darstellen aus der Pandemie. Ich möchte auf drei Punkte eingehen, weil ich glaube, dass wir die über alle Fraktionen hinweg gut im Blick behalten sollten, auch weil sie teilweise sehr teuer sind, aber nicht nur, weil sie teuer sind. Wir steigen mit diesem Entwurf ein in die sogenannten Pandemiebereitschaftsverträge. Das ist ein neues Instrument. Wir als Bund geben Herstellern hohe dreistellige Millionenbeträge über mehrere Jahre an die Hand, damit sie Kapazitäten für Impfstoffproduktion vorhalten, falls es noch mal zu einer epidemischen oder pandemischen Lage kommt. Das müssen wir alle sehr genau im Blick behalten, vor allem auch, ob die Kapazitäten, die geschaffen werden sollen, tatsächlich auch zuverlässig geschaffen werden. Die Beratungshotlines für die Patienten werden weitergeführt. Das ist auch eine Errungenschaft der Pandemie. Was auch eine Errungenschaft ist, ist die Erkenntnis, dass gerade in der Frühphase der Pandemie die WHO nicht immer suffizient die frühe Detektion, die frühe Vorwarnung, die frühe Beratung von Regionen und Ländern geleistet hat. Deswegen finanzieren wir jetzt weiter den WHO Hub for Pandemic and Epidemic Intelligence und werden ihn hier in Berlin als Zentrum etablieren, wo Frühdetektion, Warnung und Beratung für alle Regionen und Länder dieser Welt geleistet wird. Das sind Verbesserungen in diesem Etat. Aber natürlich ist es so, dass in diesem Etat, gerade auch aus Sicht von Gesundheitspolitikerinnen und Gesundheitspolitikern, unglaublich viel Luft nach oben ist. Ich kann für uns sprechen: Vor allen Dingen die Punkte Prävention, Modernisierung im Gesundheitswesen und internationale Gesundheitspolitik werden wir uns noch mal sehr genau anschauen. Jetzt möchte ich noch mal auf die haushaltspolitischen Lehren aus der Coronapandemie für diesen Etat kommen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Piechotta, möchten Sie eine Zwischenfrage aus der CDU/CSU-Fraktion zulassen?

Dr. Paula Piechotta (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005180, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ausnahmsweise nicht, aber ich komme gleich vorbei. – Ich habe gerade schon gesagt, von knapp 15 Milliarden Euro in drei Jahren hat sich dieser Etat – das kann man nicht als organisches Wachstum bezeichnen – auf über 60 Milliarden Euro vervierfacht. Die Möglichkeiten und die Realisierung der Kontrollmöglichkeiten sind da oft nicht in gleichem Maße mitgewachsen. Deswegen müssen wir auch haushaltspolitisch aus dieser Zeit lernen. Auch in der Krise, auch im Gesundheitsbereich, auch wenn wir jetzt in die nächste Krise gehen und ihr begegnen müssen, brauchen wir den fairen Lastenausgleich zwischen Bund und Ländern, teilweise auch den Kommunen. Das gilt auch im Gesundheitsbereich, und es muss auch im dritten und vierten Pandemiejahr gelten und eben nicht nur im ersten, wie wir das erlebt haben. Auch in der Krise müssen wir sicherstellen, dass Steuergelder so ausgegeben werden, dass Betrug verunmöglicht wird. Das ist eine enorm große Lehre aus der Coronazeit, gerade im Einzelplan 15. Wir sehen jetzt, dass teilweise Gelder aus Betrugsfällen zurückfließen. Aber das ist nur ein Bruchteil dessen, was wahrscheinlich wirklich nicht bei Patientinnen und Patienten und bei der Bevölkerung angekommen ist. Und wir müssen natürlich auch sicherstellen – gerade wenn jetzt eine Krise nach der anderen kommt und das eine Hilfspaket das nächste ablöst –, dass das, was wir an Kriseninterventionen machen, nicht unsere mittel- und langfristigen Ziele im Gesundheitswesen, zum Beispiel im Bereich Krankenhauslandschaft, konterkariert. Deswegen: Sehen Sie es uns bitte nach. Wir Haushälter werden uns auch in diesen Haushaltsberatungen wieder sehr genau jeden einzelnen Euro anschauen, weil jeder einzelne Euro, der hier eben nicht dafür ausgegeben wird, dass Gesundheitsversorgung besser und Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen attraktiver werden, –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Dr. Paula Piechotta (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005180, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– eine verpasste Chance für bessere Lebenserwartungen ist. ({0}) Deswegen: Sehen Sie es uns nach. Wir werden das wieder sehr genau beraten. Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Tino Sorge wünscht eine Kurzintervention.

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Da das offensichtlich zur Regel zu werden scheint, dass die Kolleginnen und Kollegen – auch der Grünen, Frau Piechotta – immer Behauptungen in den Raum stellen und, wenn dann eine Zwischenfrage gestellt werden soll, diese Zwischenfrage nicht zulassen, meine Kurzintervention. Mich würde interessieren, ob Sie mit mir einer Meinung sind. Sie kündigen hier an und sagen, wir brauchen gerade als Ergebnis, als Erkenntnis aus der Pandemie wieder einen besseren Gesundheitsstandort in Deutschland – sprich: Produktion, Forschung, Entwicklung –, wir brauchen Hilfe für den Gesundheitsstandort, Stichwort „Energiepreisexplosion“. In den Kliniken brennt die Hütte lichterloh; das wissen Sie. Wir werden erste Insolvenzen bekommen, wir werden, wenn die Regierung weiter so untätig bleibt, wirklich Versorgungsprobleme bekommen, weil Kliniken schließen müssen, während Sie sich hierhinstellen und in einer süffisanten Art so tun: Wir werden machen, wir könnten. Der Bundesgesundheitsminister hat hier wieder nur Ankündigungen gebracht – ich sage immer: wir können froh sein, dass es im Deutschen den Konjunktiv gibt –: Er möchte, er wird, er könnte. Sind Sie mit mir einer Meinung, dass viele Unternehmen die Rahmenbedingungen, so wie sie in Deutschland sind, insbesondere im Hinblick auf neue Technologien mittlerweile als völlig unzureichend erachten, weil Sie nichts tun? ({0}) Und sich hierhinzustellen und so zu tun, als gäbe es keine Probleme, das finde ich wirklich alle Achtung wert. Aber das geht an der Sache völlig vorbei. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Piechotta, möchten Sie antworten?

Dr. Paula Piechotta (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005180, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nein. – Dann gebe ich jetzt das Wort an den Kollegen Wolfgang Wiehle für die AfD-Fraktion. ({0})

Wolfgang Wiehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004933, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Von 64 Milliarden Euro auf 22 Milliarden Euro: Die Coronafieberkurve des Gesundheitsetats geht deutlich zurück. Aber erhöhte Temperatur muss man beim Blick auf die Zahlen immer noch feststellen. Während andere Länder zur Normalität zurückkehren, planen Sie, Herr Minister Lauterbach, wieder über 2 Milliarden Euro für neue Impfstoffkäufe ein, während vorhandene Überbestände vom Verfallsdatum bedroht werden. Es ist ein Unterschied, ob man im Angesicht neuartiger Gesundheitsgefahren das Nötige tut oder ob man den Menschen Angst macht, um sich anschließend als der große Retter in Szene setzen zu können. Das habe ich Ihnen schon anlässlich der Beratung des Haushalts 2022 gesagt; jetzt sind wir ein halbes Jahr weiter. Ihre Alarmmeldungen wirken zunehmend hysterisch und skurril. Deutschland wird immer mehr zum gesundheitspolitischen Geisterfahrer. ({0}) Eine Konstante hat der Gesundheitshaushalt aber, und diese stimmt mich ausgesprochen nachdenklich. Die Pharmaindustrie profitiert mit zehnstelligen Beträgen, nicht nur durch die Impfstoffbeschaffung, sondern auch durch Ihre sogenannten Pandemiebereitschaftsverträge. Natürlich kann man sich eine Weltsicht zurechtlegen, in der uns große, global aufgestellte Konzerne vor den Gefahren des Lebens immer besser bewahren. Die technologische Machbarkeit trägt uns, durch diese Brille betrachtet, in ein leuchtendes neues Zeitalter. Aber ist diese Art von Fortschrittsglauben nicht völlig naiv? Ist der drastische Anstieg von Arztbesuchen wegen Impfnebenwirkungen Zufall? Ist das Auftauchen des neuartigen plötzlichen Erwachsenentods Zufall? Ist das plötzliche Absinken der Geburtenziffern in westlichen Ländern Zufall? Oder versagt die Technologie in vielen Fällen, und versagen die Regierungen und die meisten Medien im Umgang damit? Was man in Zahlen klar messen kann, sind freilich die zweistelligen Milliardengewinne bestimmter Pharmaunternehmen. So wie das Coronavirus unerwartet über uns hereingebrochen ist, halte ich diese Gewinne für Zufall; etwas anderes will ich niemandem unterstellen. In der Logik der Politik dieser Regierung müssten solche sogenannten Zufallsgewinne eigentlich abgeschöpft werden. Notlagen gibt es derzeit viele, in denen mehr Geld dringend gebraucht wird. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft schlägt Alarm angesichts der Inflation, die diese Regierung mit ihrer Energie- und Sanktionspolitik schürt. Gleichzeitig droht, dass sich die Pflege im Alter nur noch die Reichen leisten können. Diese Regierung hat nämlich völlig verschlafen, für die Tarifanpassung beim Pflegepersonal vorzusorgen, und nun gehen die Eigenbeiträge der Betroffenen durch die Decke. ({1}) Wir werden in den nächsten Wochen diskutieren, ob erhöhte Zuschüsse für Krankenkassen und Pflege die angemessene Reaktion sind. Wir werden fragen, wie die Versorgung durch Krankenhäuser auch in der Fläche gesichert wird. Wir fragen aber auch, warum die reguläre Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums nun 7 Millionen statt 5 Millionen Euro kosten soll. ({2}) Darauf ist Verlass: Die AfD-Fraktion achtet jenseits der politischen Fieberkurven immer darauf, dass das Geld des Gesundheitsministeriums für die Dinge ausgegeben wird, die die Leute in unserem Land wirklich brauchen. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Karsten Klein spricht jetzt für die FDP-Fraktion. ({0})

Karsten Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004780, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, formal, Herr Minister, werden die Mittel in Ihrem Haushalt 2023 sehr stark zurückgefahren. Das liegt aber in erster Linie – Sie haben das selber angesprochen – daran, dass die Coronaausgaben herauswachsen. Die wachsen aus zwei Gründen heraus. Auf der einen Seite beurteilen wir die Lage für 2023 so, dass sie nicht nötig sind. Aber ich sage auch ganz bewusst dazu: Wir erwarten natürlich nach so einer langen Zeit auch, dass viele Kosten, die in der Coronazeit vom Bund übernommen worden sind, aber eigentlich Länderaufgaben sind, im Zweifel dann auch von den Ländern endlich übernommen werden, dass die entsprechenden Strukturen vorhanden sind, dass die Länder reagiert haben, ihre Gesundheitsämter auf Vordermann gebracht haben, die Digitalisierung dort endlich eingeführt haben – alles Länderaufgaben, die wir als Bund kitten mussten und bei denen ich davon ausgehe, dass, wenn es 2023 noch mal ernst wird, die Länder dann auf eigenen Füßen stehen können. ({0}) Wie ernst die Länder das meinen, konnte man dieses Jahr bei der Debatte im April um die Verlängerung der Testverordnung sehen. Ich weiß nicht, ob Sie sich noch erinnern: Wir hatten da eine sehr intensive Debatte. Bisher war es so, dass die Tests, die Bürgertests, die eigentlich Aufgabe der Länder sind, komplett vom Bund übernommen worden sind. Dann gab es eine intensive Debatte, und vielen Ländergesundheitsministern, vor allem auch aus meinem Heimatland Bayern, war unheimlich wichtig, dass die Bürgertests kostenlos weitergeführt werden. Wir haben ja dann eigentlich einen schönen Weg gefunden, Herr Minister, nämlich dass es bei einer Zuzahlung von 3 Euro eben weiterhin diese Tests gibt. Und oh Wunder: Kein einziges Bundesland hat danach die kostenlosen Tests noch so wichtig gefunden in der Pandemiebekämpfung, dass es die 3 Euro übernommen hätte. ({1}) Ich glaube, das ist beispielhaft dafür, wie die Länder in dieser Coronakrise vorgehen. Alles, was vom Bund bezahlt wird, alles, was kostenlos ist, nimmt man mit. Aber selber bringt man zu geringe Beiträge, und das ist nicht akzeptabel in einer solchen Krisensituation. ({2}) Im Einzelplan des BMG sind die Mittel ja schon immer sehr stark durch den Zuschuss an den Gesundheitsfonds für die GKV gebunden. Auch darüber gibt es eine intensive Diskussion. Der Schätzerkreis ist ja zu dem Ergebnis gekommen, dass wir 2023 noch mit einem Defizit von 17 Milliarden Euro rechnen müssen, das wir ausgleichen müssen. Das war vor der Inflation; das war auch vor der Energiekrise. Das wird also mit Sicherheit nicht weniger werden. Dieses Defizit wächst bis 2026 laut dieser Zahlen von damals auf 30 Milliarden Euro an. Jetzt haben wir in der Diskussion einen Vorschlag von Ihnen, Herr Minister, nach dem wir den Bundeszuschuss noch mal um 2 Milliarden Euro auf 16,5 Milliarden Euro erhöhen und noch mal 1 Milliarde Euro als Darlehen geben, um dieses Defizit im nächsten Jahr auszugleichen. Aber ich glaube, uns allen ist klar, dass das Konzept mit dem Nutzen der Reserven der Krankenkassen, das jetzt vorliegt, nur ein Luftholen bedeuten kann. ({3}) Wir brauchen echte Strukturreformen; wir brauchen Diskussionen über diese Strukturreformen. Die müssen jetzt auch angegangen werden. Dazu erwarte ich natürlich auch Lösungsvorschläge aus dem Ministerium. ({4}) Aber ich denke, da sind auch viele andere betroffen. Denn der Weg kann am Ende nicht sein, dass dieses Problem über einen noch höheren Bundeszuschuss gelöst werden soll. ({5}) Herr Minister, Sie haben die Digitalisierung angesprochen. Davon erwarten wir uns auch große Kostenentlastungen. Aber es geht zum Beispiel im Krankenhausbereich auch um das Thema Krankenhausinvestitionen. Auch darüber findet aktuell eine sehr intensive und sehr spannende Debatte aufseiten der Ländergesundheitsminister statt. Ich will einfach mal in Erinnerung rufen: Es gibt schon seit Längerem einen Bericht des Bundesrechnungshofes, der feststellt, dass die Länder über Jahre jährlich bis zu 5 Milliarden Euro zu wenig in die Krankenhäuser dieses Landes investieren. ({6}) Das führt natürlich zu einem schlechten Stand bei der Digitalisierung. Das führt zu schlechten Arbeitsabläufen, weil wir alte Krankenhausstrukturen haben. Und es führt im Übrigen dazu, dass wir keine attraktiven Arbeitsbedingungen haben, Thema Fachkräftemangel. Es führt aber auch dazu, dass die Gebäudesubstanz schlecht ist. Das fällt uns jetzt in den aktuellen Krisen natürlich auf die Füße: Veraltete Energiezentralen und schlechte Gebäudehüllen führen zu stark steigenden Energiekosten. Deshalb habe ich vorhin noch mal erwähnt, Herr Minister, wie spannend diese aktuellen Diskussionen sind. Die gleichen Minister, die Länderminister, die über Jahre zu wenig für ihr Gesundheitssystem, für ihre Aufgabenstellungen getan haben, melden sich jetzt pressemedial mit großem Getöse – vor allem der Minister aus meiner Heimat Bayern – und schieben dem Bund die Verantwortung zu. Die Länder haben über Jahre geschlafen. ({7}) Deshalb kämpfen die Krankenhäuser mit großen Defiziten im Betriebsbereich bei den Energiekosten jetzt. Ich erwarte, dass die Länder bereit sind, dieses Defizit zu decken, statt immer nur an der Tür des Bundesgesundheitsministers und beim Bundeshaushalt anzuklopfen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch hat das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Unbekannt)

Politiker ID: 11003584

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Lauterbach, als ich Sie heute Morgen im „moma“ gesehen habe, da war ich erst mal erleichtert: „Endlich mal nicht in einer Comedyshow“, habe ich gedacht. ({0}) Aber leider hat Ihnen der Moderator nicht die Frage nach der Erhöhung der Krankenkassenbeiträge gestellt. Da sagen wir: Das ist eine dreiste Abzocke; das darf nicht passieren, meine Damen und Herren. ({1}) Sie selber, Herr Minister Lauterbach, wissen doch, was die Alternative zur Erhöhung der Krankenkassenbeiträge ist. Seit mindestens 18 Jahren reden Sie darüber. Seit 18 Jahren sind Sie in einer Arbeitsgruppe der SPD zur Einführung der Bürgerversicherung. Ich frage Sie: Wo bleibt endlich, wo Sie jetzt Minister sind, diese Bürgerversicherung? ({2}) Sie werden jetzt sagen, Sie seien koalitionstreu. Aber schauen Sie sich an, was alles passiert ist, ohne dass es im Koalitionsvertrag steht. Leider reicht meine Zeit nicht, um das alles aufzuzählen. Meine Damen und Herren, Sie könnten ja zumindest mal anfangen, von den Ex-Kollegen der CDU/CSU, die mit Maskendeals Millionäre geworden sind, das Geld zurückzuholen. Das wäre ein erster richtiger Schritt. ({3}) Sie haben angekündigt, dass Sie sich von der Pharmaindustrie, die in der Pandemie Traumgewinne gemacht hat, Geld zurückholen, sie zur Kasse bitten. Aber auch da sind Sie vor der FDP in die Knie gegangen. Das darf nicht so weitergehen, meine Damen und Herren. ({4}) Richtig finde ich – und das unterstützen wir ausdrücklich –, dass Sie einen ersten Schritt zur Abschaffung der Fallpauschalen unternommen haben. Die Fallpauschalen waren von vornherein eine falsche Entscheidung. Dass Sie jetzt bei den Kinderkliniken anfangen, ist der richtige Schritt. Folgen muss die generelle Abschaffung der Fallpauschalen. ({5}) Sie wissen doch selber, wie die Situation ist: Viele Ärztinnen und Ärzte müssen auf Profit orientiert in den Krankenhäusern arbeiten. Sie leiden darunter. Es widerspricht ihrem Berufsethos. Das dürfen wir nicht länger hinnehmen, meine Damen und Herren. ({6}) Welche Auswirkungen diese unsäglichen Fallpauschalen zum Beispiel haben, konnten Sie sich vor Kurzem in der ARD-Dokumentation „Wie viel Geld bringt ein Frühchen?“ anschauen. Die Krankenhäuser bekommen von der Krankenkasse mehr Geld für eine Frühgeburt als für eine normale Geburt. In Europa sinkt die Zahl der Frühgeburten, und in Deutschland steigt sie. Das ist doch Ergebnis der Profitlogik. Damit werden die Krankenhäuser erpresst. Das muss ein Ende haben. ({7}) Die Situation der Krankenhäuser ist dramatisch. Sicher sind wir alle von Krankenhäusern in unseren Wahlkreisen angeschrieben worden. Da hilft es nicht, jetzt mitten in der Haushaltsdebatte anzukündigen: Irgendwann kommt da etwas. – Sie brauchen jetzt einen Inflationsausgleich. Das Roulette, das Karussell mit den Ländern hilft nicht weiter. Wir müssen die Krankenhäuser in unserem Land stabilisieren und retten. Und – letzter Satz; ich wiederhole –: Wir brauchen endlich eine solidarische Bürgerversicherung. Packen Sie es an! Danke schön. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion hat Svenja Stadler jetzt das Wort. ({0})

Svenja Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004412, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen und vor den Bildschirmen! Erst vor wenigen Monaten haben wir den Haushalt für das Bundesgesundheitsministerium verabschiedet. Es wurde an vielen Stellen schon gesagt: Seine Höhe beträgt 64 Milliarden Euro. Ich finde, diese 64 Milliarden Euro haben sehr deutlich gezeigt, dass die Bundesregierung in besonderen Lagen – in dem Fall war es die Coronalage – bereit ist, etwas zu investieren, aufzufangen und zu unterstützen. Das hat sie nicht nur damals gezeigt, sondern das zeigt sie auch in den vielen Krisen, die wir jetzt haben. ({0}) Ehrlich gesagt: Die Situation in Deutschland hat sich durch Corona verändert. Sie hat die Welt verändert. Es wurde auch noch mal sehr deutlich gemacht, wo wir ansetzen müssen und was wir verändern müssen, vor allen Dingen auch im Bereich der Gesundheit. Ich bin davon überzeugt, dass wir es mit dieser Fortschrittskoalition, mit der Ampelkoalition auch hinbekommen; denn wir reden nicht, sondern wir packen an, setzen um, und mit dem Minister an der Spitze geht das sogar sehr gut. ({1}) – Ich finde es immer total spannend, wenn von mir aus gesehen auf der rechten Seite immer herumgenölt wird. Machen Sie das! Sie hatten eine ganz lange Zeit, etwas zu verändern. Sie haben es nicht getan; jetzt machen wir es. ({2}) In dem Regierungsentwurf 2023 – ich komme jetzt mal auf den Haushalt zu sprechen – gibt es – das wurde ja auch schon gesagt – eine Senkung von 64 Milliarden Euro auf 22,1 Milliarden Euro. Wenn wir uns den Haushalt 2019, aus der Zeit vor Corona, anschauen, bemerken wir im Vergleich mit diesem Haushalt eine Steigerung um 6,8 Milliarden Euro. Das zeigt, dass es uns wichtig ist, etwas zu verändern. Die Herausforderungen, die wir haben, werden ja nicht weniger, um Gottes willen. Auch die Anstrengungen werden nicht weniger; denn wir wollen ja mit aller Kraft und Macht etwas verändern. Vor diesem Hintergrund ist es aber wichtig, dass wir sagen: Wir müssen mehr handeln; aber genau da, wo es notwendig ist und richtig ist, mit mehr Qualität und eben auch Effizienz. ({3}) Wenn man sich den Gesundheitsbereich im Ganzen, das ganze Gesundheitssystem anguckt und auch, wie viel Geld darin steckt, dann redet man über einen dreistelligen Milliardenbereich. Wenn wir uns das anschauen und uns vergegenwärtigen, dass wir ein modernes Gesundheitssystem haben wollen, dann bin ich davon überzeugt, dass wir es hinbekommen, und zwar ohne die Patientinnen und Patienten zu belasten und auch ohne das Personal zu belasten. Wir bekommen das hin. Es gibt andere Akteure bzw. Protagonisten, die dann ein wenig leiden werden. ({4}) Wir müssen Parallelstrukturen abschaffen. Was wir auch machen müssen, ist, dass wir sie gemeinsam abschaffen, mit sämtlichen Akteuren des Gesundheitswesens, aber auch mit den Bundesländern und natürlich auch mit dem Bund. Der Bund ist bereit dazu, seine sehr begrenzten Finanzmittel zur Verfügung zu stellen und der Verantwortung gerecht zu werden. Ich freue mich, wenn alle sich daran beteiligen. ({5}) Der Minister hat es angesprochen, meine beiden Koalitionäre haben es angesprochen: Die Digitalisierung haben wir vor knapp 20 Jahren beschlossen. Jetzt ist es endlich Zeit, nach 20 Jahren mit dieser Digitalisierung auch Erfolge im Gesundheitswesen herbeizuführen. Wir haben bisher 3 Milliarden Euro investiert. ({6}) Die Digitalisierung bietet Chancen, Prozesse zu vereinfachen, sie tatsächlich flexibler zu gestalten und zu beschleunigen. Dass das nicht nur eine lustige, fixe Zukunftsidee ist, habe ich mir angucken können. Ich war in Schüttorf – in Niedersachsen natürlich; das beste Bundesland ever, sage ich Ihnen –, ({7}) und dort zeigt die Gesundheitsregion EUREGIO, wie es funktioniert, wenn sämtliche Akteure aus dem Gesundheitswesen zusammenstehen, wenn Krankenkassen dabei sind, IT-Unternehmen und auch Juristen. Da ist das E-Rezept und auch die ePA keine Zukunftsmusik mehr, da wird das umgesetzt. Da wird daran gearbeitet, Herausforderungen anzunehmen, und nicht über Kosten gejammert. Nein, dort steht die Frage, wie man das gemeinsam schafft, im Mittelpunkt. Das ist auch der Erfolgsschlüssel. In dieser Region, bei diesen Protagonisten, bei dieser Gemeinschaft geht es nicht darum, gewinnmaximierend, sondern im Sinne der Sache zu agieren und den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. ({8}) Ich sehe es auch so, dass die Wissenschaft einen erheblichen Beitrag dazu geleistet hat, dass wir gut durch diese Coronakrise gekommen sind. Jetzt heißt es aber auch, die Wissenschaft zu stärken, und zwar besonders in der Forschung. Es ist wichtig, effizient zu forschen und auf deutsches Datenmaterial zurückzugreifen. ({9}) Deswegen finde ich es sehr gut, dass der Minister am Wochenende nach Israel fahren will, sich gute Beispiele ansehen kann und gute Impulsgeber trifft, ({10}) damit wir hier in Zukunft Gutes auf die Beine stellen können, um die Wissenschaft zu unterstützen. ({11}) Effiziente Medizin erfordert auch einen effizienten Umgang mit Ressourcen. Ein funktionierendes und gutes Gesundheitssystem stellt eine gesellschaftliche Ressource dar, die es nachhaltig zu gestalten gilt. Hierzu müssen wir die Prävention stärken und in die Wissensvermittlung investieren; denn viele Krankheiten – das sage ich Ihnen – würden erst gar nicht entstehen, wenn Bildung, Aufklärung und Prävention gut funktionierten. ({12}) Deshalb bin ich sehr dankbar, dass wir über Gesundheitskioske und die Nutzung von Apps in Zuge der Digitalisierung – da gibt es viele Möglichkeiten – gesprochen haben; denn dadurch gelingt es uns, Zugangsbedingungen zu Präventionsprogrammen und zur Gesundheitsversorgung für alle Menschen zu schaffen. ({13}) Es gibt unterschiedlich Menschen – das wissen Sie selber – mit unterschiedlichsten Voraussetzungen. Sie alle müssen die gleichen Möglichkeiten haben, an der gesundheitlichen Versorgung und Prävention teilzuhaben. Der Fokus muss auch in der Zukunft sehr viel stärker auf den sozialen Faktoren liegen. Sie wissen selber: Unterschiedliche soziale Hintergründe und auch unterschiedliche Lebensweisen haben jeweils einen erheblichen Einfluss auf die Gesundheit des einzelnen Menschen. Das ist nichts Neues; aber jetzt heißt es, diese Erkenntnis endlich in geeignete Maßnahmen umzusetzen. Was will ich also im Großen und Ganzen sagen? Wir haben einen guten Regierungsentwurf bekommen. ({14}) – Sie hüsteln. Sie kennen aus dem Gesundheitsministerium keine guten Regierungsentwürfe; ich weiß das. Wir haben aber jetzt einen guten Entwurf. ({15}) Wir haben an der einen oder anderen Stelle sicherlich noch Möglichkeiten, ihn mit Impulsen, die wir im Laufe der Zeit von unseren Gesundheitspolitikern bekommen werden, noch ein Stückchen besser zu machen. Dann werden wir in die Beratungen gehen, und am Ende werden wir den besten Haushaltsentwurf nach Corona verabschieden. Vielen Dank. ({16})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Michael Hennrich hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Hennrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003551, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute den Einzelplan 15. Als wir für dieses Jahr noch 64 Milliarden Euro für den Gesundheitshaushalt eingestellt haben, hatten wir die Hoffnung, dass es im Jahr 2023 eine Entspannung geben wird. Und in der Tat schlägt sich das nun in den Haushaltszahlen nieder: ein Etat von 22 Milliarden Euro. Wir nähern uns damit schrittweise dem Vor-Corona-Haushalt. Ich bin Ihnen dankbar, Herr Minister Lauterbach, dass Sie heute in Ihrer Rede, anders als in der letzten Haushaltsdebatte, eine gesundheitspolitische Agenda aufgezeigt haben. Sie haben vier Themenpunkte angesprochen: Pflege, Krankenhaus, Digitalisierung und Kioske. Erlauben Sie mir, zu allen vier Punkten ein kurzes Statement zu machen. Beim Thema Pflege ist es, glaube ich, ganz, ganz wichtig, dass wir das Personal in den Mittelpunkt stellen. Da geht es nicht nur um Bezahlung, sondern da geht es auch um Verlässlichkeit und Entbürokratisierung. In den Mittelpunkt stellen müssen wir auch die zu Pflegenden, die heute oftmals auf einem Verschiebebahnhof sind zwischen Krankenhaus und Pflegeeinrichtung und pflegenden Angehörigen. Beim Thema Krankenhaus ist es ganz, ganz wichtig – Herr Klein, Sie haben es angesprochen –, dass wir die dualistische Finanzierung wieder stärker in den Mittelpunkt stellen und auch etwas einfordern von den Ländern. Beim Thema Digitalisierung ist mein Wunsch und mein Appell an Sie, dass wir es auch als Chance begreifen für den Standort. ({0}) Ich kann mich daran erinnern, dass ein berühmter Professor im Bereich „künstliche Intelligenz“, Professor Schmidhuber, vor etwa fünf Jahren in der „FAZ“ in einem Artikel schrieb: Wir haben die meisten Daten in Deutschland. Wir haben unglaublich viel Potenzial beim Thema KI. – Ich bin froh, dass im Haushalt 45 Millionen Euro dafür eingestellt sind. Aber: Kommunizieren Sie das besser, und geben Sie entsprechende Signale an die Gesundheitswirtschaft! Kritisch sehe ich das Thema Kioske; das gebe ich ganz offen zu. Ich denke, wir haben genug Akteure in der Versorgung. Der Kollege Müller hat die Hausärzte angesprochen. Wir haben Apotheker, wir haben die Unabhängige Patientenberatung, wir haben Pflegestützpunkte. Ich glaube, wichtiger wäre, diese Akteure miteinander zu verzahnen. ({1}) Sehr geehrter Herr Minister Lauterbach, die wichtigste Frage haben Sie offengelassen, nämlich: Wie finanzieren wir das alles? Das ist heute meine letzte Rede als Gesundheitspolitiker. In den letzten 20 Jahren hatte ich jedes Jahr die Hoffnung, dass wir diese grundlegende Finanzreform irgendwann hinbekommen. Ich bin dem Kollegen Müller dankbar, dass er diese Woche in der „FAZ“ einen Namensartikel hatte, wo er ganz wichtige, zentrale Themen angesprochen hat: Wie geht es weiter mit der Steuerfinanzierung? Wie bekommen wir eine fairere Finanzierung der Pauschbeträge bei den Arbeitslosengeld-II-Empfängern hin? Ein Thema, das diese Koalition eigentlich versprochen hat anzugehen, das aber keinen Niederschlag findet in diesem Haushaltsentwurf. Mein Wunsch und mein Appell wäre, gerade vor dem Hintergrund dessen, was Sie, lieber Herr Klein, deutlich gemacht haben, dass wir, weil wir eine echte, grundlegende Strukturreform brauchen, vielleicht in dieser Legislatur tatsächlich noch einmal so zusammenfinden, wie es damals in Lahnstein zwischen dem Herrn Seehofer und dem Herrn Dreßler möglich war, als sie einen gemeinsamen Kompromiss auf den Weg gebracht haben, damit wir in den schweren Zeiten, in denen wir momentan sind, zumindest im Bereich der Sozialversicherungen den Menschen eine Perspektive, Klarheit geben. Das wäre mein Wunsch, den ich nach 20 Jahren habe. Ich werde es hier nicht mehr erleben, aber es wäre schön, wenn ich das in anderer Position begleiten könnte. Herzlichen Dank. ({2}) Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich bei allen Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich zu bedanken für die gute, vertrauensvolle Zusammenarbeit. Ich glaube, wir hatten eine besondere Atmosphäre im Gesundheitsausschuss, die unsere Arbeit geprägt hat. Ich möchte mich bedanken bei vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, seien sie bei den Abgeordneten, in den Ausschüssen oder im Ministerium tätig, die in den letzten Jahren ganz besonders gefordert waren. Wenn wir samstags oder sonntags zweistündige Videokonferenzen hatten, fing bei denen die Arbeit erst an. Auch Ihnen ein herzliches Dankeschön! Ich werde an anderer Stelle im Gesundheitswesen weiterarbeiten und würde mich freuen, wenn ich bei Ihnen ein offenes Ohr finde. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Das war meine letzte Rede als Gesundheitspolitiker, aber hoffentlich nicht meine letzte Rede im Parlament. Herzlichen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Saskia Weishaupt hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Saskia Weishaupt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005253, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Etat des Gesundheitsministeriums sinkt. Die Kürzung des Etats von 64 Milliarden Euro auf 22 Milliarden Euro erscheint im ersten Moment sehr plausibel: Die kostenintensiveren Ausgaben der letzten Jahre im Zuge der Coronapandemie werden jetzt wesentlich zielgerichteter eingesetzt, sei es für die Impfstoffbeschaffung oder für die Aufklärungskampagne. ({0}) Uns allen ist klar: Die Pandemie ist nicht vorbei. Deswegen ist es gut, dass wir hier noch mal Geld in die Hand nehmen. ({1}) Aber: Die gute Gesundheitsversorgung ist noch wesentlich mehr. Gute Gesundheitsversorgung gibt Sicherheit – Sicherheit, dass, wenn Pflege benötigt wird, sie auch wirklich da ist, ({2}) Sicherheit, dass, wenn der Kinderwunsch ansteht, die Frau eine Hebamme findet und man sich keine Gedanken darüber machen muss, dass niemand da ist und Ängste und Sorgen nimmt. ({3}) Bei dieser Sicherheit darf nicht gespart werden! Ich weiß, die Haushälter/-innen raufen sich jetzt die Haare, wenn wir als Fachpolitiker/-innen hier unsere Wunschliste auspacken, wofür wir gern Geld hätten. Aber im Ernst: Eine gute und gerecht finanzierte Gesundheitsversorgung ist kein Nice-to-have, und das ist nichts, was Sie mal eben aus der Portokasse bezahlen. Es ist ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft. ({4}) Wir wissen alle: Es gibt wichtige Projekte, die wir umsetzen müssen und die kaum aufschiebbar sind. Ich gehe mal in die Geburtshilfe und zu den Hebammen: die Umsetzung des nationalen Gesundheitsziels „Gesundheit rund um die Geburt“, die Eins-zu-eins-Betreuung durch Hebammen während der Geburt, die hebammengeleiteten Kreißsäle, die wir ausbauen wollen, oder die Vergütung für angestellte Hebammen in den Kliniken, die die Nach- und Vorsorge machen wollen. ({5}) Und, ehrlich gesagt, es ist nicht nur die Geburtshilfe. Wir können auch weiterschauen: Die Suchtprävention, die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen, ({6}) aber auch die Entlastung der Reha- und Mutter-Kind-Kliniken – das sind alles Punkte, die finanzielle Mittel brauchen. Gesundheit ist eine wichtige, wichtige Aufgabe. Deshalb dürfen wir uns selber nicht limitieren. Es ist die Aufgabe aller, die hier Verantwortung haben, auch ernsthafte Lösungsvorschläge zu machen, wie wir das Ganze finanzieren, gesellschaftlichen Herausforderungen begegnen und Lebensrealitäten von Menschen verbessern können. ({7}) Ja, wir leben in Krisenzeiten. Aber es ist keine Option, dass wir uns aus diesen Krisen heraussparen und damit maßgeblich in Kauf nehmen, dass sich die Gesundheitsversorgung hier in diesem Land für die Menschen verschlechtert. ({8}) Wenn wir ernsthaft daran interessiert sind, die Gesundheitsversorgung zu verbessern, dann brauchen wir Geld. Dann müssen wir darüber nachdenken, ob das ewige Sparen der richtige Weg ist oder ob wir nicht die Schultern mehr belasten können, die auch mehr tragen können. Ich bin froh, dass wir am Anfang des parlamentarischen Haushaltsverfahrens sind. Unsere Aufgabe ist es jetzt, Handlungsspielräume und vielleicht auch Lücken zu erkennen und diese zu nutzen. Das erwarte ich von uns allen, und ich freue mich darauf. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Martin Sichert für die AfD-Fraktion. ({0})

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 15 Euro bekommt jeder Arzt, wenn er Paxlovid von Pfizer verschreibt – 15 Euro pro Verschreibung, um die Gewinne eines Pharmakonzerns zu steigern, während Millionen Menschen nicht mehr wissen, wie sie Essen, Strom oder Gas bezahlen sollen! Die Prioritätensetzung dieser Regierung ist völlig falsch. ({0}) So wie Sie mit der Gasumlage internationale Großkonzerne und deren Aktionäre finanzieren, genau so versorgen Sie in der Gesundheitspolitik die Pharmakonzerne mit Milliarden. ({1}) Karl Lauterbach präsentiert sich als Pfizer-Minister, der deren Medikamente ständig über seine Kanäle bewirbt. Deutschland braucht endlich wieder eine Gesundheitspolitik und keine Pharmapolitik. ({2}) Die Gesundheitspolitik besteht übrigens nicht nur aus Corona. Wir haben zum Beispiel einen massiven Mangel an Pflegekräften und Fachärzten. Viele Menschen müssen monatelang auf Termine warten, Monate, die oftmals zwischen Leben und Tod entscheiden. Diese Toten sind Karl Lauterbach und der Bundesregierung offensichtlich egal! Stattdessen kümmert man sich lieber darum, wie man wieder ab Herbst mit dem Infektionsschutzgesetz die Freiheitsrechte der Bürger einschränken kann. Die Änderung des Infektionsschutzgesetzes hat keine wissenschaftliche Basis; sie ist einfach nur ein weiterer deutscher Sonderweg. ({3}) Diese ganzen Sonderwege, die im Ausland als politischer Extremismus Deutschlands empfunden werden, müssen endlich aufhören, weil sie nur Schaden anrichten. Kein anderes relevantes Land steigt aus der Atomkraft aus. Kein anderes relevantes Land setzt rein auf Solar- und Windenergie. Kein anderes relevantes Land setzt auf unbegrenzte Zuwanderung. Kein anderes relevantes Land sanktioniert Rohstoffe, die für es selbst lebenswichtig sind. ({4}) Nahezu alle anderen Länder haben Corona für beendet erklärt; aber Deutschland will nun die Maßnahmen noch mal verschärfen. Wir, die AfD, vertreten bei Corona wie auch in allen politischen Bereichen das, was in 90 Prozent der Länder weltweit politischer Konsens ist. Wir sind der Mainstream, und die Politik dieser Regierung ist extremistisch. ({5}) Von der Union braucht dazu gar niemand zu grinsen; denn Sie haben mit dieser Politik schließlich angefangen. ({6}) Ein deutliches Zeichen des Extremismus der Regierung ist übrigens auch, dass den Abgeordneten wichtige Studienergebnisse vorenthalten werden, ({7}) nur weil diese Ergebnisse zeigen, dass das Infektionsschutzgesetz überflüssig ist. Die Studien sind ja trotzdem heute früh durchgesickert. Sie zeigen: 95 Prozent der Menschen haben Antikörper. – Corona ist vorbei. Hören Sie auf, die Menschen weiter zu gängeln! ({8}) Die Schäden der Maßnahmen müssen schließlich die Bürger mit ihrem hart verdienten Geld und mit ihrer kostbaren Gesundheit bezahlen. Beenden wir die Politik der deutschen Sonderwege, und kümmern wir uns endlich um die echten Probleme im Gesundheitswesen! Das wäre nicht nur besser für die Gesundheit der Menschen, sondern es würde auch deutlich weniger Geld erfordern. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Kristine Lütke hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Kristine Lütke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005136, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bei manchen Reden ist man doch froh, wenn sie ein Ende finden. ({0}) Ich möchte hier wieder zur Sachpolitik zurückkehren. ({1}) Mein Kollege, der Karsten Klein, hat ja bereits erläutert, welche großen Themen und Bereiche im Haushalt des Gesundheitsministeriums aus liberaler Sicht besonders wichtig sind, und unser gesundheitspolitischer Sprecher Andrew Ullmann wird später auch noch weitere nennen. Mir ist vor allem wichtig, dass wir auch die Innovationskraft des Gesundheitssektors immer mitdenken, mitfördern und essenzielle Branchen nicht einschränken; denn – darüber sind wir uns ja alle einig – unser Gesundheitssystem muss zukunftsfest werden, durch Digitalisierung, durch Verwaltungsabbau, durch Innovationsförderung und dort, wo nötig, auch durch Paradigmenwechsel. Bürgerinnen und Bürger, Patientinnen und Patienten und die dauerhaft an demografische Herausforderungen ausgerichtete Leistungsfähigkeit unseres Systems müssen im Mittelpunkt stehen, und da sind Vorsorge und Prävention oft die klügere, die günstigere und damit die nachhaltigere Wahl im Vergleich zu Nachsorge und Schadensbegrenzung. ({2}) Deshalb, werte Kolleginnen und Kollegen, möchte ich als sucht- und drogenpolitische Sprecherin meiner Fraktion hier noch das Augenmerk auf einen Teil des Haushalts lenken, den wir uns noch mal etwas genauer anschauen sollten. In der Einführung zum Einzelplan 15 heißt es: Ziel der Drogen- und Suchtpolitik ist die Reduzierung des Konsums legaler und illegaler Drogen sowie die Vermeidung der drogen- und suchtbedingten Probleme in unserer Gesellschaft. Diesem Ziel haben sich die Ampelkoalitionäre verschrieben, und unter dieser Vorgabe, nämlich Gesundheitsschutz und Prävention, betreiben wir das Anliegen der Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken für Erwachsene. Dabei handelt es sich um nichts weniger als einen dringend benötigten Paradigmenwechsel in der Cannabispolitik in Deutschland: ({3}) weg von der Prohibition, hin zu einem aufgeklärten Umgang mit Cannabis nach erfolgter Legalisierung. Aber das gilt auch für die Präventionsarbeit in Bezug auf Alkohol, Nikotin, Medikamenten- und Tablettensucht, für Hilfe für Kinder aus suchtbelasteten Familien, aber auch im Bereich des Drug Checking und der Suchtberatung. ({4}) Denn das alles wirkt hin auf die Vermeidung von drogen- und suchtbedingten Problemen. Die Prävention muss dabei aktuelle Probleme bedarfsgerecht und flexibel aufgreifen sowie auch darauf reagieren können, wie zum Beispiel auf Probleme, die durch die Coronapandemie verstärkt wurden. Der Paradigmenwechsel muss sich daher auch im Haushalt widerspiegeln. Umso wichtiger ist es, dass wir in diesen Titeln ausreichend Mittel bereitstellen und unsere Anstrengungen verstetigen; denn jeder hier eingesetzte Euro ist eine Investition in die Zukunft unseres Systems, eines Gesundheitssystems, das auf Prävention und Vorsorge setzt und damit auch bei vielleicht vorübergehend höheren Ausgaben am Ende die nachhaltigere und haushalterisch zukunftsweisendere Strategie ist. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ates Gürpinar hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Ates Gürpinar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005073, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin recht überrascht: Nach dem Haushalt und den bisherigen Reden ist die Coronapandemie offiziell abgeschlossen. Ich weise darauf hin, dass es in diesem Sommer so viele Coronatote gab wie in den letzten beiden Sommern nicht. Wenn wir uns den Haushalt anschauen, dann stellen wir fest, dass die Bundesregierung 2023 hier 30 Milliarden Euro weniger einplant. Das spiegelt entweder die sehr optimistische Annahme wider, dass Corona in der Silvesternacht um 12 Uhr wirklich endet, oder aber es werden die Kosten für Tests und Impfungen, Einnahmeausfälle, Mehrkosten in Pflegeheimen und Krankenhäusern die gesetzlichen Krankenversicherungen treffen. Das ist die Alternative. Das würde weitere Beitragserhöhungen bedeuten. Schon jetzt ist klar, dass die angekündigten Beitragserhöhungen nicht reichen werden, Herr Lauterbach. Weil Sie zu feige sind, endlich die Beitragsbemessungsgrenze zu erhöhen, werden vor allem die Geringverdienenden getroffen. Es müssten endlich auch die Besserverdienenden einzahlen, aber an die trauen Sie sich nicht heran. Selbst Kollegen von der CDU haben sich dazu in den letzten Jahren Erkenntnisse angeeignet. Wieso lernen Sie nicht daraus und gehen endlich an die Beitragsbemessungsgrenze heran? ({0}) Oder aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Kosten bleiben bei den Krankenhäusern und Pflegeheimen hängen. Diese wenden sich aber jetzt schon an uns, weil sie voller Sorge sind, dass sie die Mehrkosten im Winter spüren werden. Das eigentliche Problem ist aber weitaus größer. Die Pandemie hat ja deutlich gemacht, was das eigentliche Problem im Gesundheitssystem ist. Mit dem Blick weg von der Pandemie verbinden Sie die Hoffnung, dass der gesamte Blick weg vom krisenhaften Gesundheitssystem geht. Wenn der Fokus nicht mehr darauf liegt, wollen Sie so weitermachen wie bisher. Das wird Ihnen mit uns in diesem Hause nicht gelingen. Das garantiere ich Ihnen. ({1}) Ich freue mich, dass heute hier im Hohen Hause MFAs und ZFAs dieser Haushaltsdiskussion folgen, die gestern in Berlin demonstrierten und die von Ihrer Milliarde für den Pflegebonus nichts abbekommen haben, die völlig unberücksichtigt geblieben sind. Erklären Sie ihnen, warum Sie damals wild klatschten, als sie im Fokus standen, dass aber nichts folgte und nichts folgt, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen. Die Beschäftigten im Gesundheitssystem werden Ihnen einen Strich durch die Rechnung machen, und wir werden sie dabei unterstützen. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Heike Engelhardt hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Heike Engelhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005051, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger – ganz besonders hier oben auf der Tribüne aus meinem Wahlkreis Ravensburg und aus dem Bodenseekreis! Nach dem größten Gesundheitsetat in der Geschichte der Bundesrepublik starten wir in die Haushaltsverhandlungen für das kommende Jahr mit der größten Reduzierung, die es in diesem Bereich jemals gab. Normalerweise müsste ich als Gesundheitspolitikerin jetzt meckern und unzufrieden sein. Aber nein, es zeigt: Wir haben die Pandemie im Griff, wir wissen, wie wir mit immer neuen Varianten umgehen können, und wir haben die Instrumente, schnell zu reagieren. ({0}) Ich will darauf jetzt nicht lange eingehen, weil wir beim nächsten Tagesordnungspunkt dazu debattieren werden, aber nur so viel: Impfen, Testen, Masken und noch mal Impfen, das sorgt dafür, dass wir den Virus in den Griff bekommen und dass wir massiv bei den Kosten der Pandemiebekämpfung sparen können. Trotz der angespannten allgemeinen Haushaltslage hat der Gesundheitsminister einen guten Entwurf vorgelegt. Es gibt allerdings auch Punkte, meine Damen und Herren, bei denen Sie sich auf das Struck’sche Gesetz verlassen dürfen: Wir werden im parlamentarischen Verfahren bei der Kindergesundheit, bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen, bei der Aufklärung und Bekämpfung sexuell übertragbarer Krankheiten oder bei unseren Beiträgen für die globale Gesundheit genau draufschauen und, wenn nötig, noch einiges drauflegen. Herr Professor Lauterbach, Sie haben die volle Unterstützung unserer Fraktion, wenn es um zusätzliche Mittel für den Einzelplan 15 geht. Falls der Finanzminister hier noch einen Vorschlag braucht: Durch eine Abschaffung klimaschädlicher Subventionen wäre nach der Finanzierung eines kostenlosen Nahverkehrstickets auch noch einiges für den Gesundheitsetat übrig. Und wenn einige dadurch das Auto öfters stehen lassen und aufs Fahrrad steigen oder, so wie ich, zu Fuß gehen würden, würden wir vielleicht auch noch den einen oder anderen Euro bei der Diabetesbekämpfung sparen. Ein letzter Punkt noch. Sorgen macht mir aktuell die kommende Einbudgetierung der HIV-Prophylaxe PrEP, also des Medikamentes, das davor schützt, sich beim Geschlechtsverkehr mit HIV zu infizieren. Bereits jetzt warten insbesondere Männer, die Sex mit Männern haben, sehr lange auf einen Termin bei den Fachärztinnen und Fachärzten. Mir wurde von Wartezeiten von über sechs Monaten in Städten wie Köln zum Beispiel berichtet. In ländlichen Regionen ist die Lage teilweise noch komplizierter. Jetzt besteht die Gefahr, dass sich das im nächsten Jahr durch die Änderungen weiter verschlechtert. Hier müssen wir handeln und die Versorgung garantieren. Aber da bin ich zuversichtlich. Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Es steht mir nicht zu, Reden zu beurteilen oder zu übersetzen – das will ich auch nicht tun –, aber da Sie einen Parlamentsinsider benutzt haben, nämlich den Begriff „Struck’sches Gesetz“, will ich für die jüngeren Kolleginnen und Kollegen hier im Hause sagen: Das Struck’sche Gesetz geht auf Peter Struck zurück, den leider viel zu früh gestorbenen Vorsitzenden der SPD-Fraktion, der irgendwann gesagt hat: Hier geht kein Gesetz so raus, wie es reingekommen ist. – Das ist das Struck’sche Gesetz. Weil es um was Parlamentarisches geht, habe ich mir diese Ausführungen erlaubt. Ich hoffe, Sie sind damit einverstanden. ({0}) Ich gebe das Wort dem Kollegen Stephan Pilsinger für die CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Stephan Pilsinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004853, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vom früheren US-Präsidenten Woodrow Wilson stammt das Zitat: „Wer keine Vision hat, vermag weder, große Hoffnungen zu erfüllen, noch, große Vorhaben zu verwirklichen.“ Wenn man sich Ihren Haushaltsentwurf und den hier zentralen Gesetzentwurf zur Stabilisierung der GKV-Finanzen anschaut, sehr geehrter Herr Minister Lauterbach, ist weder erkennbar, dass Sie so etwas wie eine Vision von einer zukunftsfesten Gesundheitspolitik haben, noch, dass Sie große Vorhaben auch nur skizzieren können. ({0}) Dieses Gesetz ist Flickwerk und stellt einen fast schon verzweifelten Versuch dar, das 17‑Milliarden-Loch im GKV-Finanzsystem für 2023 vorübergehend schließen zu können. Wir haben hier ein Sammelsurium von unkoordinierten Maßnahmen vor uns, die in keiner Weise strukturelle, nachhaltig wirkende Lösungen zur dauerhaften Stabilisierung der GKV-Finanzen darstellen. Sie schmelzen zum Beispiel die ohnehin schon dünnen Finanzreserven der Krankenkassen auf ein Niveau ab, das den Kassen in jeglicher unvorhersehbaren Situation finanziell die Luft abschneiden wird und Planungssicherheit unmöglich macht. Das ist unverantwortlich und wird zu Kasseninsolvenzen führen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, die Frau Kollegin Klein-Schmeink will Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie die gerne zulassen?

Stephan Pilsinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004853, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ach, das dauert heute eh schon so lange hier, und die Grünen lassen ja auch keine Fragen zu.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann also nicht.

Stephan Pilsinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004853, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist absurd, die Neupatientenregelung, die Sie in der letzten Legislaturperiode selbst forciert haben, wieder zu streichen – mit der absehbaren Konsequenz, dass viele Neupatienten keinen Termin bekommen werden. Auch dass Sie den Herstellerrabatt für patentgeschützte Arzneimittel im Jahr 2023 um 5 Prozentpunkte von 7 auf 12 Prozent erhöhen wollen, ist kontraproduktiv. Das bis 2022 geltende Preismoratorium für Arzneimittel wird um weitere vier Jahre verlängert. Mit diesen und weiteren geplanten arzneimittelpolitischen Einschnitten gefährden Sie jegliche Innovation auf unserem Arzneimittelmarkt und damit den Forschungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland, auch im internationalen Wettbewerb. ({0}) Wenn Sie den Apothekenabschlag von 1,77 Euro auf 2 Euro je Arzneimittelpackung erhöhen, belastet das unsere Apotheken in der Krise finanziell spürbar und gefährdet die Versorgung mit Arzneimitteln, gerade im ländlichen Raum. Und: Dass Sie die Honorierung der Vertragszahnärzte durch eine Budgetierung kürzen und so innovative, hochwirksame Behandlungen wie etwa die Parodontitisbehandlung faktisch einschränken, wenn nicht verhindern, führt zu einer zahnlosen Politik im wahrsten Sinne des Wortes. – Die Giftliste undurchdachter Schnellschüsse ließe sich fortsetzen. Herr Bundesminister, wenn Sie durch Ihre Maßnahmen wenigstens eine nachhaltige, systematische Lösung erreichen würden, wären diese Punkte noch irgendwie diskutabel, aber das ist bei Ihrer nur kurzsichtigen Flickschusterei keinesfalls der Fall. Nach aktuellen Prognosen des renommierten Instituts IGES würde sich das Defizit bis 2040 auf 217 Milliarden Euro ausdehnen, wenn das Problem nicht strukturell angepackt wird. Herr Bundesminister, wir wollen Sie als neue Serviceopposition im Bundestag nicht immer nur kritisieren. Deshalb machen wir Ihnen gerne zwei konkrete Vorschläge für dauerhaft wirkende Maßnahmen: Erstens: Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel von 19 auf 7 Prozent. Warum zahle ich als Verbraucher 7 Prozent auf Grundnahrungsmittel, auf lebensrettende oder lebenserhaltende Medikamente aber 19 Prozent? Zweitens: die auch in Ihrem Koalitionsvertrag beabsichtigte und längst überfällige Erhöhung der Bundeszuschüsse für die Bezieher von Arbeitslosengeld II endlich umsetzen. Es kann doch nicht sein, dass nur die gesetzlich Versicherten für die ALG‑II-Empfänger aufkommen müssen. ({1}) Allein diese beiden Maßnahmen würden der GKV nach Berechnungen des GKV-Spitzenverbandes jährlich 16 Milliarden Euro sparen; sie würden also um fast den Betrag des für 2023 prognostizierten Defizits entlasten. Zu einer langfristig wirkenden Lösung gehört es auch, die versicherungsfremden Leistungen genauer in den Blick zu nehmen, diese Leistungen überhaupt erst mal klar zu definieren, sie regelmäßig auf deren Sinnhaftigkeit und Bezahlbarkeit hin zu überprüfen und, wo ordnungspolitisch angebracht, über den regulären Staatshaushalt laufen zu lassen – nicht über den Gesundheitsfonds. So empfiehlt es auch der Bundesrechnungshof in seinem Bericht vom 1. Februar 2021. Herr Minister Lauterbach, durch Ihre Flickschusterei schaden Sie nicht nur der medizinischen Versorgung in Deutschland, sondern Sie halten auch den absehbaren Beitragstsunami nicht auf. Bereits in den Jahren 2024 und 2025 werden die Zusatzbeiträge wahrscheinlich um jeweils 1 Prozent steigen, wenn Sie so weiterwursteln. Das sind dann für drei Jahre Beitragssteigerungen von 2 bis 2,5 Prozent. Das belastet die Arbeitgeber und Arbeitnehmer in dieser so schwierigen und sehr komplizierten wirtschaftlichen Lage noch zusätzlich. Haben Sie endlich Visionen, Herr Lauterbach, packen Sie die großen notwendigen Reformen an, und geben Sie den Menschen in diesem Land Hoffnung auf eine gute und bezahlbare medizinische Versorgung auch über 2023 hinaus! Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Johannes Wagner. ({0})

Johannes Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005248, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was unterscheidet ein gutes Gesundheitssystem von einem sehr guten Gesundheitssystem? Ein gutes Gesundheitssystem schafft es, Menschen mit unterschiedlichsten Krankheiten gut zu versorgen. Es kann auf ausgebildetes Personal, wirkungsvolle Medikamente und moderne Medizinprodukte zurückgreifen. Ein sehr gutes Gesundheitssystem jedoch lässt Menschen gar nicht erst krank werden, sondern es hält sie gesund. Das erspart nicht nur jede Menge menschliches Leid, sondern auch eine ganze Menge Geld. ({0}) Prävention ist die Antwort auf die Fragen: Wie können Menschen lange leben und gesund alt werden? Und wie können auch die Gesundheitskosten bei einer alternden Gesellschaft bezahlbar bleiben? – In der Vergangenheit war Prävention aber oft ein Feigenblatt. Prävention war in den letzten Jahren im Gesundheitssektor ein bisschen so wie Nachhaltigkeit im Klimasektor: Es stand fast überall drauf, aber war fast nirgendwo drin. Als Ampelbündnis haben wir Prävention endlich zum zentralen Punkt unserer Politik gemacht. ({1}) Wir schieben Prävention nicht ab auf den Einzelnen oder die Einzelne, sondern wir verbessern die Verhältnisse, in denen die Menschen leben. Das heißt eben mehr als nur der Yogakurs für Studierende, und zwar endlich wirkungsvoll Armut, Unterversorgung und auch die Klimakrise zu bekämpfen. ({2}) Wir haben es diesen Sommer doch erneut gesehen: Die Klimakrise, die Hitzewellen sind tödlich. ({3}) Deswegen ist Klimaschutz auch Gesundheitsschutz. ({4}) In den letzten Jahren wurde das leider viel zu sehr vernachlässigt. ({5}) Daher haben wir als Koalition vereinbart, dass wir einen Nationalen Präventionsplan erstellen, das Präventionsgesetz überarbeiten und ein neues Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit gründen werden. Dabei werden wir immer auch die Gesundheitsfolgen der Klimakrise mitdenken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu einem sehr guten Gesundheitssystem, das auch an die Klimakrise angepasst ist, ist es noch ein weiter Weg. Das braucht Zeit und kostet erst mal Geld. Aber jeden Euro, den wir jetzt in Prävention stecken, bekommen wir mehrfach zurück. Deswegen sind diese Haushaltsmittel gerade jetzt, in einer Zeit, wo das Geld knapp ist, besonders wichtig. Lieber Herr Minister, ich bin mir sicher: Sie sehen das genauso. Denn ich weiß: Uns eint die Leidenschaft für Vorsicht und Prävention. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dr. Christina Baum hat jetzt das Wort für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Christina Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005018, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kürzlich kritisierte Rishi Sunak, einst Finanzminister Großbritanniens, die von ihm selbst mitgestaltete Coronapolitik. Es sei falsch gewesen, Schulen zu schließen und Ängste mit Bildern von Menschen an Beatmungsgeräten zu schüren. Während sich diese Einsicht in fast allen Teilen Europas durchgesetzt hat, versucht der deutsche Krankheitsminister weiterhin, Angst und Panik zu verbreiten. Über 2 Milliarden Euro soll die Bürger Lauterbachs Sonderweg kosten. Davon ist der größte Teil allein für die zentrale Impfstoffbeschaffung gedacht. Wie viele Millionen Euro davon werden wohl buchstäblich zum Fenster rausgeschmissen, weil die Impfstoffe niemand mehr will und sie deshalb wieder entsorgt werden müssen? ({0}) Für uns Bürger bedeutet es, dass unsere hart erarbeiteten Steuergelder letztendlich dazu benutzt werden, um uns erneut zu drangsalieren, zu demütigen und zu quälen – dies trotz der inzwischen gesicherten Erkenntnisse zu den schweren gesundheitlichen Folgen all dieser Coronamaßnahmen mit verheerenden Auswirkungen, ganz besonders für unsere Kinder. Bereits im Mai 2020 wies ich darauf hin, dass die Menschen unter der restriktiven Politik leiden, dass jeder weitere Tag der Grundrechtseinschränkungen, der Vereinzelung, der Besuchs- und Kontaktverbote, des Schulausfalls und der Schließung von Betrieben zu schwerwiegenden wirtschaftlichen und nicht zuletzt psychischen Folgen führt, die den ohnehin fraglichen Nutzen all dieser Maßnahmen bei Weitem übersteigen. Wir Menschen sind soziale Geschöpfe. Wir brauchen Nähe, Umarmungen, Liebe, sonst verkümmern wir wie Pflanzen ohne Licht und Wasser. ({1}) Doch meine Ermahnungen haben die verantwortlichen Politiker damals nicht interessiert und interessieren sie heute immer noch nicht. Herr Lauterbach, statt Millionen an Steuergeldern zu verschwenden, sollten Sie sich lieber um die vielen Impfopfer kümmern, die mit ihren schweren Krankheitssymptomen alleingelassen werden. ({2}) Immer wieder habe ich als praktizierende Ärztin auf den so wichtigen Grundsatz in der Medizin hingewiesen, dass eine Therapie niemals größeren Schaden anrichten darf als die Krankheit selbst. Sie, Herr Lauterbach, haben diesen Grundsatz sträflich missachtet und tragen als Minister die Hauptverantwortung für die bedrückende Angstatmosphäre in unserem Land. ({3}) Ich fordere Sie daher erneut auf: Treten Sie zurück, damit die Menschen wieder frei atmen und leben können. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Andrew Ullmann. ({0})

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was wir jetzt gerade eben gehört haben – ich wollte es ursprünglich nicht kommentieren –, entbehrt jeder Grundlage. Frau Baum, Sie sind Zahnärztin – nur zur Erinnerung – und keine praktizierende Ärztin; das will ich an dieser Stelle sagen. ({0}) Ich bin praktizierender Arzt. Es sind auch 13 andere Kolleginnen und Kollegen der Ampelkoalition Ärzte. Ich glaube, da ist die geballte Kompetenz vorhanden. ({1}) Diese Kolleginnen und Kollegen verstehen auch, warum Impfungen funktionieren, was Impfnebenwirkungen sind – und natürlich nicht Impfschädigungen. Meine Damen und Herren, das war für mich persönlich der Grund, warum ich in die Politik gegangen bin. ({2}) Meine Motivation oder auch Vision war ja, dass wir ein besseres Gesundheitssystem haben müssen. Diese Hamsterradsysteme, die wir haben, bedeuten viel Arbeit, überbordende Bürokratie, fehlende Zeit für Patientinnen und Patienten. Auch ist die Digitalisierung nicht vorangegangen. Ich habe mich wirklich gefreut – ich freue mich immer noch –, als ich 2017 hier in den Bundestag kam: „Okay, jetzt habe ich die Chance, etwas zu machen“, auch wenn wir damals in der Opposition waren. Ich hatte auch gehofft, dass sich mit einem unionsgeführten Gesundheitsminister etwas ändert; aber es hat sich nichts geändert. Das ist eigentlich sehr schade. ({3}) Stattdessen hört man, wenn wir darüber diskutieren: Der Bund muss zahlen; wir auf Länderebene wissen, wie es funktioniert. – Ich komme wie Herr Klein aus Bayern, und ich muss sagen: Es läuft auch in Bayern nicht vernünftig. Die Länder machen sich bei der Krankenhausfinanzierung wirklich einen schlanken Fuß. Auch jetzt in der Krise machen sich die Länder einen schlanken Fuß, ob jetzt in Thüringen oder in Bayern oder auch in anderen Bundesländern. Und da erwarte ich eigentlich viel mehr. ({4}) Wir brauchen ein besseres System. Und das können wir jetzt in der Ampelkoalition schaffen; denn wir haben die Leute zusammen, wir sind motiviert. Ich kann mich noch sehr gut an die Koalitionsverhandlungen erinnern. Diese Fortschrittskoalition ist der Weg dahin. Im Einzelplan 15 wird der Weg dahin aufgezeigt. Zusammen mit unserem Gesundheitsminister und den Kolleginnen und Kollegen hier in der Koalition sind jetzt die ersten Schritte gemacht worden: Eine Krankenhauskommission ist eingerichtet worden. Endlich wird die Notfallversorgung in Deutschland auf bessere Füße gestellt. Die Kinderheilkunde wird auf bessere Füße gestellt. Auch die Geburtshilfe wird auf bessere Füße gestellt. Das ist Fortschritt, meine Damen und Herren, und nicht diese Quacksalberei, die man sonst immer hört. ({5}) Ich bin auch froh, dass wir mit Volker Wissing einen Digitalisierungsminister haben. Er hat jetzt die Digitalstrategie der Bundesregierung nach vorne gebracht. Das heißt, endlich haben wir einen Digitalisierungsfahrplan im Gesundheitswesen. Das war längst überfällig. Da hat die Union 4 Jahre – manche sagen auch: 16 Jahre – lang geschlafen, und es ist nichts passiert. Aber wir machen das. Wir sind eine Fortschrittskoalition, und wir können das auch. ({6}) Wir stellen den Menschen in den Mittelpunkt unserer Politik. Diese Prämisse gilt für uns als Menschen, die wir selbst im Gesundheitswesen gearbeitet haben, auch in der Politik. Wir haben in der Pandemiekrise gezeigt, wie wir zusammen agieren können. Uns ist auch klar, dass sich diese Verantwortung nicht nur auf Deutschland beschränkt, sondern auch weltweit gilt. Deshalb finde ich gut, dass wir als Koalition die globale Gesundheit nicht nur theoretisch angehen, sondern mit Unterstützung der WHO auch praktisch.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Kollegin Piechotta hat es hier schon erwähnt, und ich wollte es auch als Vorsitzender des Unterausschusses Globale Gesundheit hier explizit noch einmal erwähnen. Auch das ist Fortschritt, meine Damen und Herren, zu verstehen –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

– ich komme zum Schluss –, dass wir bei der globalen Gesundheit gemeinsam gestalten können. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dietrich Monstadt hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

Dietrich Monstadt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004113, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen! Meine Herren! Die parlamentarische Sommerpause hat uns allen deutlich gezeigt: Es herrscht in allen Bereichen Chaos in der Regierung, ({0}) gerade und vor allem in der Gesundheitspolitik. Spiegelbild dafür ist auch dieser vorgelegte Haushaltsentwurf. Der Gesundheitsetat schrumpft auf 22 Milliarden Euro, ohne dass es ein Konzept gibt, wie man die anstehenden Probleme im Gesundheitssystem oder gar die Folgen der Coronapandemie angehen will. Herr Kollege Ullmann, dies als Fortschritt zu bezeichnen, dafür fehlt mir einfach die Fantasie. ({1}) Meine Damen und Herren, dass der Zuschuss für die Krankenkassen nach der Pandemie von 30 Milliarden auf 14,5 Milliarden Euro zurückgeführt wird, zeigt, wie konzeptlos bei der Stabilisierung der Finanzen im Gesundheitssektor vorgegangen wird. Herr Minister, ein Problem sind die Umsetzungsfristen für Maßnahmen des Krankenhauszukunftsfonds. Bereits 2020 hat die Union zusammen mit der SPD ein milliardenschweres Förderprogramm aufgelegt, um den digitalen Ausbau der Krankenhäuser voranzutreiben. Doch mittlerweile belasten die Umsetzungsfristen unsere Krankenhäuser. Ab 1. Januar 2025 sind einige Leistungen sanktionsbehaftet. Das führt dazu, meine Damen und Herren, dass diese Projekte erst gar nicht angegangen werden. Dazu kommen galoppierende Strom- und Gaspreise, die unsere Krankenhäuser – es ist hier wiederholt angesprochen worden – vor enorme finanzielle Herausforderungen stellen. Eine Antwort darauf gibt der Haushaltsentwurf nicht. Aber, Herr Minister, Sie haben heute angekündigt, Sie wollen dort helfen. Wir werden Sie beim Wort nehmen. Meine Damen und Herren, jedes Mal, wenn ich hier stehe, frage ich Sie, Herr Minister: Was passiert mit der Umsetzung der Nationalen Diabetes-Strategie? Jedes Mal muss ich Sie auf die Dringlichkeit dieses Themas hinweisen – ohne dass irgendwas passiert. Sinnvolle Initiativen gibt es bereits, wie zum Beispiel eine nationale Diabetesdatenbank, die dazu beitragen könnte, Unter- und Überversorgung in einzelnen Regionen oder Patientengruppen zu identifizieren. Das würde zu einer Kostenstraffung und effizienteren Finanzierung von Behandlungen führen. Daten aus Israel zeigen uns, wie eine Datenbank moderne Diabetesversorgung unterstützen kann. Herr Minister, Ihr anstehender Besuch in Israel gibt Ihnen die Chance, sich dort auch zu diesem Thema zu informieren. Meine Damen und Herren, auch die Daten der Adipositas entwickeln sich alarmierend. In Deutschland sind es fast 60 Prozent der Erwachsenen, circa 30 Prozent der Jungen und 27 Prozent der Mädchen, die übergewichtig und adipös sind. Jedes sechste Kind in Deutschland ist seit der Coronapandemie dicker geworden. Eine ganze Generation ist von diesem Übergewicht betroffen. Experten und Ärzte mahnen, dass es sich um eine nie dagewesene Gewichtszunahme handelt. Herr Minister, die Umsetzung einer richtigen und vernünftigen Präventionspolitik liegt in Ihren Händen. Mein Appell an die Bundesregierung: Handeln Sie schnell, effektiv und nachhaltig! Handeln Sie jetzt! ({2}) Meine Damen und Herren, die Inaktivität dieser Regierung macht mir und uns auch an anderer Stelle große Sorgen. Das wichtige Thema der EU-Medizinprodukteverordnung, MDR, muss von der Regierung deutlich ernsthafter angegangen werden. ({3}) Ich begrüße ausdrücklich den im Juli 2022 begonnenen Dialogprozess bei der Implementierung dieser Verordnung. Doch Dialog alleine reicht nicht aus. Wir brauchen Lösungen. Ansonsten verlieren wir geschätzt 10 Prozent insbesondere der kleinen und mittelständischen Unternehmen und circa 40 Prozent der zugelassenen Medizinprodukte. ({4}) Die Lage ist dramatisch. Wir – das heißt alle betroffenen Patienten, Anwender oder Unternehmen – brauchen jetzt Entscheidungen. Med-Tech-Unternehmen müssen jetzt Entscheidungen darüber treffen, welche Produkte am Markt gehalten werden können und welche nicht. Jedes Produkt, welches aus dem Markt genommen wird, steht für die Versorgung auf Dauer nicht mehr zur Verfügung. Meine Damen und Herren, dieser Haushaltsentwurf ist eindeutig ein Rückschritt, vor allem in den von mir angesprochenen Bereichen. Wir lehnen ihn entschieden ab. Herzlichen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Christos Pantazis hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Christos Pantazis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005174, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Herausforderungen der letzten Jahre, wie die Coronapandemie oder der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, haben zu einer schwierigen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lage geführt. Infolgedessen sehen wir uns mit einer angespannten Haushaltssituation des Bundes und der Sozialversicherungsträger konfrontiert. So steht die gesetzliche Krankenversicherung, die tragende Säule unseres Solidarsystems, unter einem enormen finanziellen Druck. Bereits seit 2019 schreibt sie rote Zahlen. Ein anhaltender Reformstau hat zu einem Auseinanderklaffen von Einnahmen und Ausgaben und folglich zu einem milliardenschweren Defizit geführt. Allein im nächsten Jahr fehlen ihr mindestens 17 Milliarden Euro. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, diese Zahl macht einmal mehr deutlich: Es herrscht akuter Handlungsbedarf. ({0}) Trotz erschwerter Rahmenbedingungen bekennen wir uns als Fortschrittskoalition zu einer – ich zitiere – „stabilen und verlässlichen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung“. Zur kurzfristigen Deckung der Finanzlücke schlägt das vom Bundeskabinett nun beschlossene GKV-Finanzstabilisierungsgesetz unter anderem vor, Beitragsreserven von Kassen und Gesundheitsfonds heranzuziehen, Darlehen zu vergeben und letztendlich auch Zusatzbeiträge in einem moderaten Rahmen zu erhöhen. Für die SPD-Fraktion ist dabei maßgeblich, die Lasten auf mehrere Schultern zu verteilen. Neben der Pharmaindustrie werden auch Ärztinnen und Ärzte, Zahnärztinnen und Zahnärzte, Apotheken und andere ihren Beitrag zur Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung leisten müssen. Für meine Fraktion kann ich ferner perspektivisch erklären, dass wir die im Koalitionsvertrag festgehaltene regelhafte Dynamisierung des Bundeszuschusses sowie höhere Beiträge für die Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II aus Steuermitteln auch weiterhin avisieren. ({1}) Wir streben eine ausgewogene und nachhaltige Finanzierung aus Steuerzuschüssen, Effizienzsteigerungen, die Einbeziehung weiterer Einkunftsarten sowie eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze an. ({2}) Und hier freue ich mich, dass nach Jahren der Blockade nun die Union – in der Opposition – offenbar ihr, ich sage es mal so, sozialdemokratisches Herz entdeckt hat und sich genau diesen Forderungen angeschlossen hat. ({3}) Die Lektüre Ihres Artikels in der „FAZ“, Herr Müller, hat mir wirklich sehr gefallen. Ich freue mich, Sie jetzt auch an unserer Seite zu wissen. ({4}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, auch wir halten nachhaltige Strukturreformen im Gesundheitssystem für unumgänglich, so zum Beispiel in der Krankenhauslandschaft. Die Notwendigkeit eines Strukturwandels wird mittlerweile auch von Krankenhausseite bestätigt. Erste Schritte hin zu einer Reform für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung wurden mit der Einberufung der Regierungskommission gemacht; Herr Kollege Ullmann hat es schon gesagt. Mittlerweise hat diese erste Vorschläge für die Bereiche Pädiatrie, Kinderchirurgie und Geburtshilfe vorgelegt. Weitere sollen folgen und dann Grundlage der Krankenhausreform werden, die ab dem Jahr 2023 umgesetzt werden soll. Während der Bund also erste Schritte für den Strukturwandel unternimmt, müssen auch alle Bundesländer – es ist gesagt worden – ihren Investitionsverpflichtungen nachkommen. Niedersachsen beispielsweise wird dieser Verpflichtung bereits jetzt gerecht. Neben einem wegweisenden neuen Krankenhausgesetz stellen Ministerpräsident Weil und Gesundheitsministerin Behrens weitere 210 Millionen Euro für Krankenhäuser zur Verfügung. ({5}) Das ist ein starkes Signal für eine stabile Gesundheitsversorgung. Und ich hoffe sehr, dass weitere Bundesländer diesem Beispiel folgen werden. ({6}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss und fasse abschließend zusammen: Auch unter schwierigen finanziellen Bedingungen wird sich die SPD-Fraktion weiterhin entschieden für ein solidarisches, sozialverträgliches und gerechtes Gesundheitssystem für alle einsetzen, ({7}) das getreu der Losung unseres Kanzlers niemanden zurücklässt, weder Hilfsbedürftige noch Beschäftigte. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Professor Dr. Helge Braun hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Helge Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003510, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten – das ist eben mehrfach gesagt worden – einen Entwurf des Haushalts für Gesundheit, der sich von über 60 auf 22 Millionen Euro reduziert. Das ist überall da auch sachgerecht, wo die hohen Aufwendungen der Vergangenheit durch die Coronapandemie inzwischen weggefallen sind. Sie, Herr Lauterbach, haben hier nun davon gesprochen, dass es Ihr Ziel ist, die Krankenhäuser zum Beispiel hinsichtlich ihrer Belastung zu entökonomisieren. Wenn man in diesen Haushalt hineinschaut, sieht man: Der Kostendruck in der gesetzlichen Krankenversicherung wird im nächsten Jahr massiv steigen, und die zusätzlichen 70 Milliarden Euro, die die Krankenhäuser in den letzten drei Jahren bekommen haben, wurden allesamt gestrichen. Dabei haben die Krankenhäuser, weil ihr Leistungsniveau nur bei etwas über 80 Prozent des Niveaus vor Corona liegt, 20 Prozent weniger Einnahmen. Hinzu kommen Personalprobleme, höhere Energiekosten und in Zukunft zusätzliche Personalausgaben durch Ihr Gesetz, das Sie im August vorgestellt haben. Das alles führt in der Konsequenz dazu, dass wir bei den Krankenhäusern Insolvenzen sehen werden. Und Sie lösen das Problem nicht dadurch, dass Sie jetzt eine Strukturreform auf den Weg bringen, sondern Sie lösen es über Kostendruck. Viele Menschen, die heute noch gerne im Krankenhaus arbeiten, werden diese Lust in den nächsten Jahren verlieren, weil Sie keine Reformen machen, sondern weil Sie versuchen, das Problem über den Kostendruck zu lösen. ({0}) Ein Thema, das uns in der letzten Haushaltsberatung hier sehr intensiv beschäftigt hat und auch von Karsten Klein und Frau Piechotta hier angesprochen wurde, war das Thema der Bürgertests. Außer dass wir es im Haushaltsausschuss richtig fanden, dass die Länder stärker in die Finanzierung eingebunden werden, haben wir auch einen sehr deutlichen Hinweis des Bundesrechnungshofs gehabt, dass die Kontrolle des Missbrauchs dieser Bürgertests verbessert werden muss. Da haben wir Ihnen im Haushaltsausschuss die Maßgabe gegeben, dass Sie sich darum kümmern sollen. Dann ist etwas ziemlich Skurriles passiert: Eines Abends im Fernsehen sagen Sie: Das Problem ist gelöst. – Am nächsten Morgen widerspricht Ihnen die Kassenärztliche Bundesvereinigung. Dann setzen Sie sich mit der KBV zusammen. Die KBV ist die Institution in Deutschland, die mit weit über 10 000 Beschäftigten das Thema Qualitätssicherung und Ausgabenkontrolle im Gesundheitswesen als zentrale Aufgabe hat. Dann stimmen Sie der KBV zu und akzeptieren, dass die sagen, sie können diese Kontrolle mit ihrem gesamten Apparat nicht wahrnehmen, und kommen auf die Idee, dem Robert-Koch-Institut, den Virologen, den Labormedizinern, den Immunologen, die dort strukturell an Fragen der Pandemie, der Gesundheit und des öffentlichen Gesundheitswesens arbeiten, die Ausgabenkontrolle in die Hand zu geben. Ich bin ziemlich sicher: Damit haben wir das Problem nicht gelöst, sondern wir haben es verschlimmert. ({1}) Ehrlich gesagt, mir ist es auch peinlich gegenüber den Experten im RKI, dass wir ihnen diese Aufgabe übertragen haben. Nebenbei hatten Sie auch angekündigt, dass Sie die Surveillance, also die Beschäftigung mit der Frage, wie sich das Krankheitsgeschehen in der Bevölkerung entwickelt, international und national voranbringen wollen. Wir sehen jetzt, dass Sie dem RKI sogar die Mittel für die Krankenhaus-Surveillance zu Atemwegserkrankungen streichen. Es ist schon bei mehreren angeklungen, insbesondere bei Ihnen, Herr Ullmann, wie wichtig uns das Thema der internationalen Gesundheit, der globalen Gesundheit ist. Das ist etwas, wofür wir die Mittel in der Pandemie hochgefahren haben. Aber jeder weiß doch, dass genau diese Aufgabe jetzt nicht vorbei ist, sondern eigentlich erst anfängt. Und die Tatsache, dass in diesem Haushalt die Mittel gegenüber dem Vorjahresniveau glatt halbiert werden, kann man nicht damit begründen, dass die Pandemie vorbei ist; vielmehr heißt das: Die internationale Gesundheit hat in diesem Haushalt keine Priorität. Ich bin sehr hoffnungsvoll, dass wir die Haushaltsberatungen nutzen – da sind wir auch an Ihrer Seite, wenn die Koalition dazu bereit ist –, um diesen Entwurf im Bereich globale Gesundheit/internationale Gesundheit grundlegend zu überarbeiten. ({2}) Viel gesprochen worden ist auch über die gesetzliche Krankenversorgung und den Entwurf des GKV-Sicherungsgesetzes. Karsten Klein hat gesagt, er gibt uns einmal Zeit zum Luftholen, um sozusagen die Reform auf den Weg zu bringen. Ich finde, dieser Entwurf gibt nicht Luft, er lässt die Luft raus. Die Mindestreserve bei den gesetzlichen Krankenkassen wird so abgesenkt, dass sie bei kleinen Kassen in der Größenordnung von 3 Millionen Euro plus nur ein bisschen liegt. Und wenn man weiß, dass zum Beispiel bei so einer Erkrankung wie Spinaler Muskelatrophie eine Einzeltherapie, also ein neuer Patient einer kleinen Krankenkasse, alleine Kosten von bis zu 2 Millionen Euro verursachen kann, wird man sehen, dass kleine Krankenkassen, die plötzlich einem solchen Risiko ausgesetzt werden, in ernste Probleme geraten und dann wirtschaftlich in Schwierigkeiten kommen, weil sie die Zusatzbeiträge so erhöhen müssen, dass sie nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Sie lassen die letzte Luft heraus, ohne eine strukturelle Reform der GKV auf den Weg zu bringen. Auch das ist keine gute Nachricht für die Zukunft. ({3}) Karsten Klein hat auch angesprochen, dass dieses strukturelle Defizit von 17 Milliarden Euro in den nächsten Jahren auf über 30 Milliarden Euro aufwächst. 2 Milliarden Euro sind Sie bereit zusätzlich aus dem Bundeshaushalt zu decken; den großen Anteil müssen die Bürgerinnen und die Bürger und die Arbeitgeber über die Zusatzbeiträge zahlen. Sie tun aber auch Folgendes: Sie stellen aus dem Bundeshaushalt ein Darlehen in Höhe von 1 Milliarde Euro zur Verfügung. Angesichts eines aufwachsenden strukturellen Defizits frage ich mich: Wie soll denn dieses Darlehen von den Kassen in Zukunft jemals wieder zurückbezahlt werden? Sie wissen ganz genau, dass das nicht funktioniert, und deshalb gibt es nur eine einzige Begründung für dieses Darlehen: Es ist nämlich eigentlich ein verlorener Zuschuss. Aber Sie deklarieren es als Darlehen, weil Sie es sozusagen als kleine Mogelpackung nicht auf die Schuldenbremse anrechnen wollen. Ich rechne damit: Sie werden mit diesem Darlehen in den nächsten Jahren weitermachen, Sie werden es immer weiter erhöhen, und Sie werden es nie zurückbekommen. Damit ist es eine klassische Schummelei. Sie halten die Schuldenbremse hier nicht ein. Diesem Entwurf können wir so nicht zustimmen. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Linda Heitmann spricht jetzt zu uns für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Linda Heitmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005078, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Prävention – die medizinische Definition dieses Begriffes lautet: durch zielgerichtete Maßnahmen Krankheiten vorbeugen und verhindern. Wir beraten hier heute den Gesundheitsetat. Unsere Aufgabe ist es dabei auch, präventiv und vorausschauend zu handeln. ({0}) Mir ist es in diesem Zusammenhang ganz besonders wichtig, auch Suchterkrankungen in unserem Land wirklich wirksam zu verhindern und dafür ausreichend Mittel einzuplanen. Schauen wir uns die Ausgangslage hier mal an: Es war zum Beispiel im Bereich des Rauchens so, dass wir in Deutschland erfreulicherweise jahrelang zurückgehende Zahlen von Raucherinnen und Rauchern hatten. Aber während der Pandemie hat die Zahl der Raucherinnen und Raucher in Deutschland leider wieder zugenommen. Und auch beim Thema Alkohol sehen wir leider die ersten Auswirkungen der Pandemie: Menschen, die vorher schon viel getrunken haben, haben während der Pandemie meist noch mehr getrunken und sind häufig sogar in eine Suchterkrankung gerutscht. ({1}) Und viele alkoholkranke Menschen, die trocken waren, haben während der Pandemie auch Rückfälle erlitten. ({2}) Ich finde deshalb: Wir dürfen wirklich bei der Prävention in diesem Bereich nicht sparen; denn jeder Euro, den wir hier investieren, der zahlt sich hinterher doppelt aus. ({3}) Ich beschäftige mich im Gesundheitsausschuss noch mit einer weiteren Folge der Pandemie, nämlich mit dem Phänomen von Long Covid bzw. Post Covid. Viele Menschen in diesem Land betrifft das Thema einer COVID-19-Erkrankung leider deutlich länger, als sie die zwei Striche auf ihrem Test sehen. Wir sehen das Phänomen, dass eine Infektion mit COVID‑19 von schlimmen Lungenerkrankungen bis hin zu starken Erschöpfungssymptomen wirklich ihre Spuren hinterlässt. Deshalb finde ich: Auch das muss sich in unserem Haushalt widerspiegeln. Wir müssen hier in Forschung investieren, um zu Long Covid genauere Aussagen zu kriegen, zielgerichtet Medikamente entwickeln zu können und die Behandlungen darauf auszurichten, dass diesen Menschen gut geholfen werden kann. ({4}) Im Haushalt 2022 haben wir damit schon angefangen und Geld für die Erforschung von Long-Covid-Medikamenten eingestellt. Das müssen wir 2023 fortführen und zusehen, dass wir in allen Haushaltsetats vernünftig an dieses Phänomen herangehen. ({5}) Für weitere Themen, die mir in meinem Bereich wichtig sind, reicht leider meine Redezeit nicht mehr. Aber gerade die Sprachmittlung im Gesundheitswesen ist mir ein wichtiges Anliegen. Denn auch das ist Prävention: dass Menschen, die Sprachbarrieren haben, besser behandelt werden können, zielgerichteter verstehen, was Ärztinnen und Ärzte ihnen zu vermitteln versuchen. Deshalb: Lassen Sie uns in diesem Haushaltsentwurf gemeinsam darauf achten, dass wir überflüssige Kosten im Gesundheitswesen durch vernünftige Präventionsmaßnahmen verhindern. Dazu werde ich mich gerne mit in die Beratungen einbringen und freue mich darauf. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen mir nicht vor.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wir gehen jetzt in den dritten Herbst der Pandemie, und wir wissen wirklich nicht, wie sich die Pandemie im Herbst entwickeln wird. Der Expertenrat der Bundesregierung hat mit drei Szenarien gearbeitet: einem leichten Szenario, einem mittelschweren Szenario und einem schweren Szenario. Das mittelschwere Szenario ist im Moment am wahrscheinlichsten und sähe vor, dass wir es mit einer Variante wie der derzeit dominierenden BA.5-Variante oder einer vergleichbaren Variante wie BA.2.75 zu tun hätten. Egal was kommen wird, egal wie das Szenario zum Schluss aussehen wird: Wir werden diesmal sehr gut vorbereitet sein. Und ich kann jetzt schon sagen: Wir werden die Lage im Herbst gemeinsam im Griff haben dank der Vorbereitung, die wir hier gemacht haben. ({0}) Ich will das hier auch ausleuchten. Wir haben die Vorbereitung im Prinzip mit vier grundsätzlichen Initiativen gestartet. Zum Ersten: Wir sind jetzt mit Impfstoffen ausgestattet, die sehr wirksam sind. ({1}) Zum Zweiten: Wir haben eine viel bessere Arzneimitteltherapie organisiert. Zum Dritten: Wir haben eine viel bessere Datenlage, als wir sie jemals hatten. Zum Vierten: Wir haben ein Infektionsschutzgesetz vorbereitet, womit wir auf jedes der drei Szenarien sofort reagieren könnten. ({2}) Ich fange mit der Impfkampagne und mit den Impfstoffen an. Wir haben Impfstoffe, die bei den Varianten, die wir derzeit kennen und sehen, eine sehr gute Wirkung haben und somit nicht nur besser vor schwerem Verlauf schützen, sondern auch – abgeleitet aus den Studien, die wir derzeit haben – besser vor der Infektion schützen. ({3}) Das heißt, wir können über die Impfungen auch die Zahl der Infektionen wieder zurückdrängen. Diese Impfstoffe, die besonders gut wirken, sind für diejenigen, die besonders gefährdet sind. Wir werden in den nächsten Wochen eine Kampagne machen, sodass jeder genau versteht, wie diese Impfstoffe wirken, für wen sie besonders geeignet sind. ({4}) Wir werden die Impfstoffe auch so verteilen, dass sie leicht zugänglich sind: über die Impfzentren, über die Praxen, über die Apotheken. Leichter Zugang von Impfstoffen, die gut wirken, ({5}) über die wir im Rahmen einer deutschlandweiten Kampagne gut aufgeklärt haben! ({6}) Ich möchte noch einmal ganz ausdrücklich sagen: Es wird immer wieder bemängelt, wenn ich über Medikamente spreche, ({7}) das wäre nicht angemessen, wir würden Reklame für Medikamente machen. ({8}) Wir können dankbar sein, dass wir jetzt erstmalig Medikamente haben, die bei älteren Menschen und bei Menschen, die Risikofaktoren haben, die Sterblichkeit um 80 bis 90 Prozent reduzieren. Wir können alle dankbar sein, dass wir diese Medikamente haben. ({9}) Dieser pauschale, billige Vorwurf gegen die pharmazeutische Industrie ist nicht platziert. Die pharmazeutische Industrie hat diese Medikamente entwickelt. Wir werden sie anwenden. Wir nutzen sie derzeit zu wenig; aber wir können damit die Zahl der Todesfälle reduzieren. ({10}) Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass wie jetzt jeden Tag 100 Menschen sterben. Wir dürfen das nicht zur Normalität werden lassen. ({11}) Wir müssen die Sterblichkeit mit Impfungen und Arzneimitteln senken. Das ist unsere moralische Pflicht. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Minister, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage aus der AfD. Möchten Sie die zulassen?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Auf keinen Fall. ({0}) Ich komme zum dritten Punkt, dem Pandemieradar. Wir haben diesmal deutlich bessere Daten. Wir haben bis zu 2 000 Krankenhäuser über das DEMIS-System an das Robert-Koch-Institut angeschlossen, sodass wir jetzt tagesaktuell die Zahl der Fälle haben, die behandelt werden. ({1}) Wir haben die tatsächlich belegbare Bettenzahl. Wir können auch zu jedem Zeitpunkt die Entwicklung der Pandemie verfolgen. Wir haben zum ersten Mal ein Abwassermonitoring. Wir haben die Fallzahlen aus den Intensivregistern. Wir werden auch erstmalig besser unterscheiden können: Wer kommt wegen Covid ins Krankenhaus? Wer kommt mit Covid ins Krankenhaus? Wobei unterschieden wird, ob sich die Krankheit mit Covid verschlimmert und man vielleicht sogar an dieser Krankheit stirbt, welche aber ohne die Covid-Infektion nicht so tödlich verlaufen wäre, oder ob es eine Covid-Infektion ist, die sich auf den Krankheitsverlauf nicht auswirkt. Somit können wir tagesaktuell deutlich bessere Daten anbieten. Daran haben wir monatelang gearbeitet. Das ist viel zu spät gekommen. Das ist genau das, was uns im letzten Herbst gefehlt hat. Jetzt haben wir es über den Sommer vorbereitet. Wir werden es nutzen. ({2}) Schließlich der vierte Punkt: Ich komme zum Infektionsschutzgesetz. Das Infektionsschutzgesetz erlaubt es uns, auf jedes der drei Szenarien sofort einzugehen. Wir haben Basismaßnahmen; aber wir können zusätzliche Maßnahmen über die Länder einbringen, wenn dies notwendig ist. ({3}) Wir schützen mit der FFP2-Maske im Fernverkehr in der Bahn, im Fernverkehr in Bussen diejenigen, die dort lange Strecken fahren. Wir schützen in den Krankenhäusern, in den Kliniken, in den Praxen, in den Pflegeeinrichtungen über den verschärften Schutz mit der FFP2-Maske deutlich besser als in der Vergangenheit ({4}) und werden somit in diesen Bereichen, wo wir sonst viele gefährliche Infektionen erwarten müssten, die Zahl der Infektionen deutlich senken. Ich möchte das hier klar sagen. Ich höre das oft: Jetzt haben wir hier leichtere Varianten, und trotzdem wird die Maskenpflicht verschärft. Macht das Sinn, jetzt von der OP-Maske zur FFP2-Maske überzugehen? ({5}) Eine harmlosere Variante und trotzdem eine wirksamere Maske? ({6}) Ja, und zwar deshalb, weil die weniger gefährliche Variante deutlich ansteckender ist. ({7}) Das ist wissenschaftlich gesichert. Wir müssen das so bewerten: Wenn wir Masken tragen, müssen sie auch wirken. ({8}) Bei Varianten wie BA.2.75 oder BA.5 schützen nur FFP2-Masken sicher vor Ansteckung. Ich bedanke mich daher, dass Kollege Buschmann, aber auch die Fraktionen hier mitgegangen sind und dem wissenschaftlichen Sachstand Platz gemacht haben. ({9}) Ich weiß, dass das schwer zu erklären ist. Es gibt auch Leute, denen werden wir das niemals erklären können; aber darauf verzichten wir. Wir halten zusammen. Wir gehen mit der Wissenschaft. Wir gehen mit dem Expertenrat. ({10}) Die niederträchtigen Bemerkungen von der rechten Seite werden nicht dazu beitragen, dass wir das nicht umsetzen; denn das ist auch in der Medizin mittlerweile Konsens. ({11}) Die Wissenschaft geht voran. Wir steigen da nicht mehr aus. ({12}) Ich komme zu den weiteren Maßnahmen, die wir ergriffen haben. Wir ermöglichen es den Ländern, die Maskenpflicht in Innenräumen wieder einzuführen, sollte dies medizinisch geboten sein. Wir ermöglichen es den Ländern, die Maskenpflicht durch Testungen zu ergänzen. ({13}) Wir ermöglichen es den Ländern, mit Nachweisen einer frischen Genesung oder einer frischen Impfung das Einlassmanagement in den Innenräumen, in der Gastronomie, bei den Veranstaltungen zu verbessern. Wir ermöglichen dies, indem wir die Corona-Warn-App vereinfachen, indem dort ein frischer Test, eine frische Impfung oder ein frischer Genesenenstatus durch eine grüne Farbe sofort erkennbar ist. ({14}) Wir ermöglichen es den Ländern, je nach pandemischer Lage zielgenau das anzubieten, was notwendig ist – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Länder sind dann zu jedem Zeitpunkt vorbereitet und können und werden auf diese Maßnahmen zurückgreifen. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Es gibt noch den Wunsch nach einer Zwischenfrage aus der CDU/CSU-Fraktion.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Von der CDU/CSU? – Ja.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Bundesminister Dr. Lauterbach, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich möchte auf zwei Aspekte eingehen. Zum einen: Sie haben gerade davon gesprochen, dass die Länder die Möglichkeit erhalten sollen, zielgenau in den Innenräumen eine Maskenpflicht anzuordnen, und dass ein Verzicht auf die Durchsetzung einer möglichen Maskenpflicht durch den Nachweis von entsprechenden Testungen oder einer Impfung in den vorangegangenen drei Monaten möglich wäre. Sie sprechen von „zielgenau“. Der Punkt ist aber: Im Gesetzentwurf stehen nur unbestimmte Rechtsbegriffe. Die Länder wissen nicht, ab welchen Schwellenwerten sie überhaupt eine Maskenpflicht anordnen können. Wenn wir den Begriff der Verhältnismäßigkeit – es geht ja um Grundrechtseingriffe – ernst nehmen, dann hätten Sie, meine ich, in diesem Gesetzentwurf konkrete Schwellenwerte festlegen müssen, ab denen die Länder befugt sind, entsprechende Maskenpflichten anzuordnen. Mein zweiter Punkt ist die Maskenpflicht in Verkehrsmitteln. Mit diesem Gesetzentwurf soll in den Flugzeugen die Maskenpflicht abgeschafft werden, während in den Fernzügen die Pflicht zum Tragen einer Maske durch die Verpflichtung zu FFP2-Masken verschärft wird. ({0}) Könnten Sie noch einmal erklären, was vor dem Hintergrund der Verhältnismäßigkeit der Unterschied zwischen einem Flugzeug und einem IC-Waggon ist? Und ich will jetzt nichts über HEPA-Filter hören; denn im Flugzeug sitzen die Menschen enger zusammen, und zwar auch über zwei oder drei Stunden, und in Fernzügen nicht. Vielleicht könnten Sie das evidenzbasiert darlegen, auch mit Verweis auf die Regelungen in anderen europäischen Staaten. ({1})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Die erste Frage ist eine sehr wichtige Frage, also wieso wir keine fixen Grenzwerte genommen haben, zum Beispiel beim Inzidenzwert oder bei der Belegung von Betten. Nun, beim Inzidenzwert könnte es zum Beispiel davon abhängen: Was ist das für eine Variante? Wie gefährlich ist die Variante? Oder wenn Sie die Bettenbelegung ansprechen, dann ist die Frage: Wie lange liegen die Patienten? Was sind das für Betten? Die beste Herangehensweise ist somit – das haben uns die Rechtsgelehrten, aber auch die erfahrenen Experten gesagt; und da bin ich auch der Expertise des Kollegen Marco Buschmann gefolgt –, dass man die sogenannte Gesamtschau heranzieht, aber bei der Gesamtschau müssen Daten berücksichtigt werden. Somit ist die schnelle Antwort: Daten, ja – hier haben wir gemeinsam mit dem Pandemierat auch viel vorbereitet –, aber keine fixen Grenzwerte. Das ist der rechtliche Stand; damit arbeiten wir. Das ergab auch übrigens die Auswertung der Gerichtsurteile in der Vergangenheit. Gerichtsurteile in der Vergangenheit haben in der Regel die getroffenen Maßnahmen dann bestätigt, wenn eine Gesamtschau mit Daten unterlegt wurde, man aber zugleich nicht versucht hat, das mit einem fixen Grenzwert zu arrondieren. ({0}) Das ist die Lage. Und da bin ich Marco Buschmann wirklich dankbar. Wir haben darüber sehr viel gesprochen. Wir haben uns auch mit Rechtsexperten sehr intensiv ausgetauscht. Es klingt zunächst weniger plausibel, aber ich sage mal so: In der Vergangenheit hatten wir wenig Daten, aber fixe Werte. Diesmal haben wir viele Daten, arbeiten aber ohne fixe Werte. Das wird besser sein. ({1}) Der zweite Punkt war, wo der Unterschied zwischen einem Zug und einem Flugzeug liegt. Zunächst einmal: Es geht ja um die Gesamtgefahrenabwehr. Es sind in Deutschland natürlich sehr viel mehr Menschen in Zügen unterwegs als mit dem Flugzeug. Darüber hinaus ist es einfach so: Obwohl die Luftdurchwälzung im Flugzeug nicht perfekt ist, ist sie doch deutlich intensiver, auch ausweislich der Studien, als in einem Bus oder in einem Zug. Somit ist das ein großer Unterschied. ({2}) Die Situation in den Zügen ist also deutlich gefährlicher, und sie betrifft auch eine viel größere Gruppe von Menschen. Dennoch ist es so: Wenn die pandemische Lage es notwendig macht, dann können und werden wir als Regierung auch in den Flugzeugen die Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske wieder einführen. ({3}) Wenn es tatsächlich pandemisch notwendig ist, dann haben wir dafür die Verordnungsermächtigung, und wir werden dann auch nicht zögern, die Maßnahmen umzusetzen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt kann man es gut vertreten, von der Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken in den Flugzeugen noch Abstand zu nehmen; insbesondere da sie sehr schwer durchzusetzen ist. Die Flugbegleiter können das zum Teil nicht durchsetzen. Es mussten ganze Flüge abgesagt werden, weil es nicht durchsetzbar war. ({4}) Ich komme zum Schluss. Wir werden in diesem Herbst sehr gut vorbereitet sein. Wir sind auch gut vorbereitet, wenn das passiert, was ich nicht hoffe und auch nicht voraussage: Wenn es wirklich so käme, dass wir tatsächlich eine Entwicklung mit hohen Fallzahlen und vielen Patienten mit großem Schweregrad, wenn wir mehr Sterblichkeit und auch viele Long-Covid-Fälle hätten, dann haben wir das Instrumentarium, um zu reagieren. Dann kann Maskenpflicht mit Testung auf Innenräume ausgedehnt werden, ohne dass eine Impfung oder ein Genesenenstatus eine Alternative ist. Dann können wir sogar die Maskenpflicht in den Außenräumen, zum Beispiel bei großen Veranstaltungen, einführen. Dann können wir auch Begrenzungen bei der Zahl der Personen vornehmen, die an Veranstaltungen teilnehmen. ({5}) Dafür haben wir wirklich ein umfassendes Instrumentarium. Ich fasse zusammen: Wir sind auf alle drei Szenarien sehr gut vorbereitet. Wir werden die Lage im Griff haben. Wir werden mit so wenig Einschränkung der Freiheit der Menschen wie möglich, aber mit so viel wie nötig versuchen, zu verhindern, dass wir viele Tote haben, dass wir viele schwere Fälle haben, dass wir viele Fälle von Long Covid haben. Das schulden wir der Bevölkerung. ({6}) Wir haben die Lage im Griff, aber wir werden nicht zögern, die Instrumente, die wir haben, auch einzusetzen. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

So, ich lasse jetzt eine Kurzintervention aus der AfD-Fraktion zu, nämlich vom Kollegen Sichert. Ansonsten werden angesichts des Redezeitmanagements keine weiteren zugelassen, da Sie sieben Minuten Redezeit auf sieben Personen aufgeteilt haben. Da könnten es schnell 14 Minuten werden. Diese eine Frage lasse ich aber gerne zu; denn Sie hatten ja versucht, eine Frage zu stellen.

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Eigentlich wollte ich gar keine Kurzintervention machen, aber die wirren und willkürlichen Regelungen hier lassen mir keine andere Wahl. Ähnlich wie den Kollegen aus der Union treibt mich nämlich um, dass uns viele Bürger kontaktiert und gesagt haben: Wir verstehen gar nicht die Regelung, warum die Maskenpflicht im Flugzeug jetzt fallen soll. ({0}) Hängt das damit zusammen, dass man den Bundeskanzler und den Wirtschaftsminister erwischt hat, dass sie ohne Maske geflogen sind? Viele Bürger sagen: Na, wenn die ständig ohne Maske fliegen, warum dann nicht wir? ({1}) Die Bürger verstehen auch nicht, warum hier im Parlament nahezu 80 Prozent der Abgeordneten aller Fraktionen ohne Maske herumsitzen und sie im Zug plötzlich wieder eine FFP2-Maske tragen müssen. Es ist für die Menschen unverständlich, dass sie im Zug eine Maske tragen müssen, wenn hier 700 Abgeordnete ohne Maske sitzen können. ({2}) Sie haben in der Ausschusssitzung am Dienstag gesagt: Es geht um europaweite Harmonisierung; deswegen wird die Maskenpflicht im Flugzeug abgeschafft. – Ich wüsste gerne von Ihnen: Warum machen Sie nicht auch eine europaweite Harmonisierung im Bahnverkehr? In Österreich, in Frankreich gibt es keine Maskenpflicht. Wenn die Menschen aus diesen Ländern nach Deutschland kommen, müssen sie die Maske aufsetzen. Warum machen Sie eine europaweite Harmonisierung im Flugverkehr, aber gleichzeitig keine europaweite Harmonisierung im Bahnverkehr? Das wäre doch nur konsequent. Können Sie das mal bitte erklären?

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Minister Lauterbach, Sie haben die Gelegenheit, zu antworten, wenn Sie es wollen.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Eine Harmonisierung ist in der Tat immer sinnvoll, aber nicht, wenn die Harmonisierung so verläuft, so wie Sie sich das vorstellen, nämlich stetig nach unten, mit immer weniger Sicherheit, und wenn sie zur Folge hat, dass mehr Menschen sterben. Dafür stehen wir nicht zur Verfügung. ({0}) Wir wollen tatsächlich eine Harmonisierung, wenn diese Harmonisierung dazu beiträgt, dass die Menschen sicher sind, aber nicht, wenn dadurch Menschen sterben müssen, weil wir keine Regeln gemacht haben. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Nächster Redner ist der Kollege Tino Sorge, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister Lauterbach, als wir vor der Sommerpause hier an dieser Stelle standen, haben Sie uns versprochen, es würde im Hinblick auf die Pandemiebekämpfung im Herbst ein geordnetes Verfahren geben. Das, was wir erlebt haben, waren absurde Diskussionen über die Maskenpflicht in Flugzeugen versus Maskenpflicht in der Bahn und 80 Seiten Änderungsanträge wenige Stunden vor der finalen Ausschusssitzung. Im Grunde kann man das, was Sie hier als geordnetes Verfahren angekündigt haben, nur als Chaos am Verhandlungstisch beschreiben, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Deshalb finde ich es auch so schade, dass heute wieder die Chance vertan wird, diesen Herbst im Sinne eines Übergangs zur Normalität zu gestalten, hin zu mehr Eigenverantwortung, mehr Pragmatismus. Und wenn Sie schon davon sprechen, dass wir europäische Harmonisierung wollen, dann schauen wir doch mal, was die europäischen Nachbarn machen, dann lassen Sie uns doch zumindest ansatzweise so vorgehen wie unsere europäischen Nachbarn: mehr Pragmatismus statt Alarmismus. Diese Chance haben Sie heute wieder vertan, Herr Kollege Lauterbach. ({1}) Viel schlimmer an diesem Gesetzentwurf ist, dass er erhebliche handwerkliche Mängel hat. Es ist ja durchaus sinnvoll, zu sagen: Natürlich brauchen die Länder Maßnahmen vor Ort, die Länder brauchen Möglichkeiten, individuell zu reagieren, je nachdem, wie die pandemische Lage vor Ort im Herbst sein sollte. Aber es macht überhaupt keinen Sinn, dass Sie nicht definieren, unter welchen Grundvoraussetzungen diese Maßnahmen dann anwendbar sein sollen. Das wäre genauso, als wenn Sie sagen: Die Länder sollen den Verkehr regeln, das Tempo bestimmen, aber gleichzeitig nicht definieren, ob Rechts- oder Linksverkehr gilt. Diese Voraussetzungen zu definieren, haben Sie wieder versäumt; Sie machen es sich da zu einfach, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel. ({2}) Und was viel, viel schlimmer ist, auch angesichts der Diskussion über die Energiepreise – Herr Kollege, Sie sind ja auch im Energiesektor unterwegs; das Problem ist: es brennt überall lichterloh –: Sie lassen die Kliniken allein. Die Ampel tut nichts, um den Kliniken finanziell unter die Arme zu greifen. Und ich sage Ihnen jetzt schon voraus: Die Versorgung im Herbst wird gefährdet sein, falls es im Herbst zu weiteren Schließungen kommt. Deshalb kann ich nur an Sie appellieren, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel: Lassen Sie die Kliniken nicht im Stich!

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Sorge, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ullmann?

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber selbstverständlich lasse ich sie zu.

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Sorge, ich danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich würde gerne eine Gegenfrage stellen: Können Sie mir vielleicht berichten, was die Länder unter Unionsführung bisher unternommen haben, um die Krankenhäuser in dieser Krise zu unterstützen? ({0})

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Also, lieber Herr Kollege Ullmann, da wir ja sehr gut zusammenarbeiten, auch im Gesundheitsausschuss, wundert mich diese Frage sehr; denn sie betrifft im Grunde die Diskussion, die wir immer haben, dass dieses Pingpongspiel zwischen Bund und Land kritisiert wird. Insbesondere Bayern, aber auch viele andere Bundesländer haben bei der Erfüllung der Investitionskostenverpflichtung erheblichen Nachholbedarf. Wir haben in die Debatte einen Entschließungsantrag und Änderungsanträge zu diesem Gesetzentwurf eingebracht mit dem Ziel, ihn zu verbessern und die Kliniken zu unterstützen. Wir wollen beispielsweise im Vorsorge- und Rehaeinrichtungsbereich unabhängig von der pandemischen Lage zusätzliche Coronasonderzahlungen zulassen. Das haben Sie mit dem Argument abgelehnt, dass man das nicht braucht. Und das, glaube ich, ist ziemlich scheinheilig, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Ich will auch auf einen Punkt hinweisen, vor dem Sie sich als Ampel und als Bundesregierung in diesem Gesetzentwurf schon seit Monaten drücken – das ist das Thema einrichtungsbezogene Impfpflicht. Mittlerweile sagen die meisten Akteure, Krankenhäuser, Pflegeheime, Wohlfahrtsverbände: Die einrichtungsbezogene Impfpflicht brauchen wir nicht. – Aber Sie schweigen zu diesem Thema. Sie trauen sich nicht, klar Stellung zu beziehen. Deshalb sagen wir Ihnen als Union ganz deutlich: Wir können uns keine Personalengpässe erlauben. Die Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht lassen sich nicht mehr rechtfertigen. Darum fordern wir Sie auf: Setzen Sie die einrichtungsbezogene Impfpflicht aus, besser heute als morgen. ({1}) Als Fazit kann man festhalten: Sie haben heute wieder eine Chance vertan, für den Herbst einen funktionierenden Plan auf den Weg zu bringen. Stattdessen sehen wir halbgare Kompromisse, wir sehen Unklarheiten, unklare Rechtsbegriffe. Das wird im Herbst zu einem Wirrwarr führen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie zum Schluss, Herr Kollege.

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist schade. Sie hätten es besser machen können. Hätten Sie unseren Anträgen zugestimmt, dann wäre alles besser geworden. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Sorge. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Maria Klein-Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Haus! Es ist gerade bei der Vorstellung durch den Minister schon deutlich gemacht worden: Wir gehen handlungsfähig für den Ernstfall in diesen Herbst, wir verbinden Vorsorge und Schutz, und gleichzeitig achten wir darauf, dass die Schutzmaßnahmen so wenig eingreifend wie irgend möglich sind. Dieses Kunststück ist uns gelungen, obwohl wir als Koalitionsfraktionen aus ganz unterschiedlichen Grundhaltungen kommen; das will ich an dieser Stelle festhalten. ({0}) Damit sind wir sehr viel weiter als Sie im letzten Herbst. Als Sie uns die Republik hinterlassen haben, gab es kein Konzept, keine vernünftige Impfstoffbeschaffung. Wir haben ganz, ganz schnell aus den Reihen des Parlamentes für entsprechende Schutzmaßnahmen sorgen müssen. Das war die Situation, die Sie uns hinterlassen hatten. Jetzt gehen wir vorbereitet in den Herbst, mit Augenmaß, aber gleichzeitig bleiben wir handlungsfähig. ({1}) Wir haben Impfstoffe parat, wir haben antivirale Medikamente parat, die gerade diejenigen, die besonders gefährdet sind, schützen, und wir haben einen Maßnahmenkatalog. Dieser Maßnahmenkatalog wird gemäß den Empfehlungen des Expertenrats Basismaßnahmen enthalten, die bundesweit gelten, und durch die Länder zu veranlassende Maßnahmen, die darüber hinausgehen können. Auch das entspricht in weiten Teilen dem, was die Wissenschaft uns empfohlen hat. Ich finde, das kann sich sehen lassen. ({2}) Wenn hier die CDU vom Übergang zur Normalität, zum Pragmatismus und zur Eigenverantwortung redet – wir hören das ja von allen Seiten –, dann fehlen mir die anderen Worte: Verantwortung dafür zu übernehmen, dass wir es schaffen, alle in dieser Gesellschaft mitzunehmen, dass alle in dieser Gesellschaft den notwendigen Schutz erfahren, den sie brauchen, und dass wir dafür Sorge tragen, dass es keine Überlastung sowohl der wichtigen Infrastrukturen im Gesundheitsbereich als auch generell gibt. ({3}) Dass das ein ganz wichtiger Parameter ist, den wir im Hinterkopf haben müssen, ist doch klar. Wir haben dieses Jahr zwei umfangreiche Coronawellen erlebt, die unsere Krankenhäuser, unsere Pflegeheime unter Stress gestellt haben ohne Ende. Das können und sollten wir im Herbst und im Winter vermeiden, soweit wir das irgendwie können. ({4}) Dann wurde hier angemerkt, das sei alles nicht konkret genug definiert. Im Übrigen hat die Sachverständige in der Anhörung gesagt: Es ist eine bedeutend bessere Konkretisierung und Definition vorgelegt worden, als es vorher der Fall war. ({5}) Omikron ist eine ganz andere Coronavariante – ganz klar – als die früheren Varianten. Wir können nicht mit den gleichen Schwellenwerten von damals arbeiten. ({6}) Schwellenwerte alleine werden uns auch nicht den Weg aus dem Problem zeigen. Auch das ist in diesem Gesetz berücksichtigt worden. Ich bin sehr dankbar, dass wir mit den Kriterien, mit dem zusätzlichen Monitoring weitere Schritte gehen. ({7}) Was wir in den nächsten Monaten im Blick behalten müssen – das wird ja auch zu Recht angesprochen –: Wir sind es gewohnt, einen Coronaschutzschirm für alle Einrichtungen zu haben. Der existiert in dieser Art und Weise nicht mehr. Gleichzeitig überlagern sich aber verschiedene Krisen, und insbesondere die Energiekrise wird große Auswirkungen auf unsere Einrichtungen im Gesundheitswesen haben. Da müssen wir nachsteuern. Da werden wir jetzt auch in den Haushaltsberatungen und im Gesetzgebungsverfahren noch mal hinschauen, was entlang von GKV-Finanzierung und Haushalt ansteht. Wir werden sehr genau schauen, dass wir da zu Absicherungen kommen. ({8}) Denn es ist ganz klar: Wir nehmen natürlich nicht in Kauf, dass diese wichtigen, lebensnotwendigen Infrastrukturen im Gesundheitswesen gefährdet werden. Natürlich geht es um Versorgungssicherheit und Sicherheit insgesamt in allen Lebenslagen. Da komme ich zu dem weiteren Punkt. Wir haben die Kinderkrankengeldregelung, die wir schon aus Coronazeiten kannten, weiter fortgeführt; denn für uns ist die Pandemie nicht zu Ende. ({9}) Wir müssen immer noch damit rechnen, dass es zu großen Wellen kommt. Natürlich ist es gerade für Eltern eine ungeheure Herausforderung, es mit ihrem Berufsleben zu vereinbaren, wenn sie kranke oder infizierte Kinder haben, die zu Hause bleiben müssen. ({10}) Da haben wir für Sicherung gesorgt. Das betrifft genauso die pflegenden Angehörigen. Auch die waren uns ein ganz, ganz großes Anliegen. ({11}) In diesem Sinne: Wir haben hier eine Vorlage, der Sie, wenn Sie verantwortlich handeln wollen, guten Gewissens zustimmen können; eine Vorlage mit Augenmaß und gleichzeitig mit einem Maximum an Handlungsfähigkeit für den Fall, dass sich die Pandemie noch mal in größerem Ausmaß als Bedrohung darstellt. Wir sind gerüstet. Das ist genau richtig. Das ist verantwortliches Handeln, und das, meine ich, ist in diesen Krisenzeiten ein richtiges Signal Richtung Optimismus. Wir wissen, wir sind handlungsfähig, und das ist ein wichtiger Punkt. Danke schön. ({12})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich einen geschäftsleitenden Hinweis geben. Die AfD-Fraktion hat ihre siebenminütige Redezeit in sieben Ein-Minuten-Beiträge aufgeteilt. Das ist rechtlich zulässig; Weiteres will ich dazu nicht sagen. Ich will nur darauf hinweisen, dass das Präsidium sich darauf verständigt hat, die Redezeit genau einzuhalten. Ich mache mich also zehn Sekunden vor Ende der Redezeit akustisch bemerkbar und lasse keine Redezeitüberschreitung zu, weil es ansonsten nicht fair ist. Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Kay-Uwe Ziegler, AfD-Fraktion. ({0})

Kay Uwe Ziegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005265, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist Zeit, den Betroffenen eine Stimme zu geben. Ich zitiere: Ich schlief, als ich den schwersten Anruf meines Lebens bekam. Der Arzt sagte, dass das Herz meines Vaters zu schlagen aufgehört habe. Wir konnten uns nicht von ihm verabschieden. Erst in der Leichenhalle begegnete ich meinem Vater wieder. Ich konnte nur auf den Leichensack starren, der wegen der Ansteckungsgefahr nicht geöffnet werden durfte. Als die Menschen vom Bestattungsinstitut meinen Vater abholten, trugen sie Schutzanzüge. Ich habe so etwas noch nie gesehen. Sie brachten ihn direkt ins Krematorium. Ich konnte meinen Vater erst wieder in den Arm nehmen, als ich die Urne nach Hause brachte. Meine Damen und Herren, geben Sie den Menschen ihre Freiheit und Selbstbestimmung zurück. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Ziegler. – Nächster Redner ist für die Bundesregierung Herr Bundesminister Dr. Marco Buschmann. ({0})

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Die Fortschrittskoalition steht für eine bessere Coronapolitik. ({0}) Sie ist transparenter, sie ist parlamentarischer, sie stärkt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Grundrechte. – Das ist das Fazit, das der Staatsrechtler Oliver Lepsius vor wenigen Tagen in der Tageszeitung „Die Welt“ gezogen hat. Dem ist nichts hinzuzufügen; denn das ist die Wahrheit, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({1}) Wir haben die epidemische Lage von nationaler Tragweite beendet, noch bevor wir eine Regierung gebildet haben, und wir haben im Frühjahr dieses Jahres fast alle Coronaschutzmaßnahmen beendet. Das war damals sehr umstritten – wir sind Gegenstand von intensiver Kritik gewesen –, aber mit dem Wissen von heute können wir sagen, dass es richtig war; denn wir sind gut durchs Frühjahr und gut durch den Sommer gekommen. Ich bleibe dabei: Wenn es nicht nötig ist, in Grundrechte einzugreifen, dann ist es nötig, nicht in Grundrechte einzugreifen, meine Damen und Herren. ({2}) Aber wenn – das gehört zu einer rationalen Politik eben genauso dazu – uns eine breite Gruppe an Experten – fast alle seriösen Experten – sagt, dass man auch in diesem Winter, obwohl man es nicht sicher sagen kann, mit einer Verschärfung der Lage rechnen muss, dann sind wir es schuldig, den Staat handlungsfähig zu machen, und zwar auch in Beachtung von Verhältnismäßigkeit und Grundrechten. Genau das leistet dieser Gesetzentwurf, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({3}) Weil es dazu so viele Falschbehauptungen und auch Missverständnisse gibt, will ich zu einzelnen Punkten ein paar Anmerkungen machen, um hier für Klarheit zu sorgen. Wir beschließen heute über § 28b des Infektionsschutzgesetzes. Der enthält keine Lockdowns, keine Betriebsschließungen, keine Schulschließungen, keine Demonstrationsverbote. Egal wie häufig man es auf Twitter behauptet: Es bleibt eine Lüge, meine Damen und Herren. ({4}) Wenn Leute auf den alten § 28a verweisen, will ich den Hinweis geben: Das ist die alte epidemische Lage von nationaler Tragweite; die hat diese Koalition abgeschaltet. Es müsste sich schon die Hölle unter uns auftun, bis wir diesen Paragrafen anfassen. ({5}) Das haben wir nicht mal in der schweren Deltawelle im letzten Winter getan; das bitte ich einfach mal zur Kenntnis zu nehmen. Lieber Herr Kollege Sorge, ich finde es ja gut, dass Sie sich für das Maßhalten bei Coronaschutzmaßnahmen einsetzen, aber sagen Sie das mal bitte Ihren Ministerpräsidenten: Das Bundesland Bayern, das Bundesland Hessen und das mittlerweile leider schwarz-grüne Bundesland Nordrhein-Westfalen haben nach Kontaktbeschränkungen und 2‑G-, 3‑G‑Zugangsbeschränkungen gerufen. All das machen wir nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({6}) Ich will noch einen Hinweis geben, weil ich immer wieder von „bundeseinheitlichen Maskenpflichten in Innenräumen“ lese. Wenn die Lage es gebietet, können Bundesländer – wenn die Lage das gebieten würde, würden es wahrscheinlich auch alle tun – zu so einem Instrument greifen. Aber das Einzige, was der Bundesgesetzgeber bundeseinheitlich qualitativ an zusätzlichen Maßnahmen anordnet, das ist ein höherer Sicherheitsstandard in Krankenhäusern, Altenpflegeheimen und ambulanten Pflegeeinrichtungen. Ich will mal eins sagen: Dort leben besonders viele alte, vulnerable und schutzbedürftige Menschen. Die haben wir in den vergangenen Coronawellen als Staat häufig im Stich gelassen, und es ist keine übermäßige Belastung, wenn wir unsere betagten, kranken und alten Eltern und Großeltern vor Tod und Krankheit schützen wollen. Es ist eine verhältnismäßige, vernünftige Maßnahme. ({7}) Ich will auch eins sagen: Im Gesetz stehen Ermächtigungsgrundlagen für die Länder. Damit können die Länder je nach Lage verantwortungsbewusst umgehen. Es muss kein Land, wenn es der Meinung ist, etwas tun zu müssen, die Maske überall anwenden, sondern es kann je nach Lage entscheiden. Man kann das in Behörden machen, man kann auch Bereiche rausnehmen. Warum tun wir das? Weil die Länder über zwei Jahre konkrete Pandemiebekämpfungserfahrung haben. Wer, wenn nicht die Länder vor Ort, kann denn besser wissen, ob man die Gastro rein- oder rausnehmen soll, ({8}) ob man die Hochschulen rein- oder rausnehmen soll? Das ist vernünftig. Gefahrenabwehr ist im deutschen Föderalismus immer Ländersache gewesen, meine Damen und Herren. ({9}) Noch eine Bemerkung zur Schule. Da haben wir am intensivsten miteinander diskutiert. Denn eins ist doch klar: Wenn es eine Gruppe gibt, die besonders gelitten hat in den letzten Jahren, dann waren es die Schülerinnen und Schüler in diesem Land. Deshalb war uns das Recht auf Bildung so besonders wichtig. Ich will mal das, was im Gesetz steht, übersetzen. Dort steht im Grundsatz: Es findet Präsenzunterricht ohne Maske statt. Von diesem Grundsatz gibt es für die jungen Schüler in der Grundschule keine Ausnahme. Und wenn man für die älteren Schüler eine Ausnahme machen will, dann nur, weil die Alternative wäre, dass kein Präsenzunterricht mehr stattfindet. Ich muss sagen: Es ist doch besser, wenn Schülerinnen und Schüler mit der medizinischen Maske Präsenzunterricht erhalten, als wenn wir sie massenweise nach Hause schicken müssen. Das ist doch vernünftig, meine Damen und Herren! ({10}) Ich komme zum Schluss. Wir können natürlich nicht ewig weitermachen mit dem An- und Abschalten von Maßnahmen. Natürlich wird Corona ab einem bestimmten Zeitpunkt zum allgemeinen Lebensrisiko gehören, ob uns das gefällt oder nicht. ({11}) Meine persönliche Hoffnung ist, dass dies der letzte Winter mit Coronaschutzmaßnahmen war. Herzlichen Dank. ({12})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Minister Buschmann. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Kathrin Vogler, Fraktion Die Linke. ({0})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Die Bundesregierung ist nicht zu beneiden: fortschreitende Klimakrise, Inflation, Angriffskrieg, Putins Gasembargo ({0}) und dann, auch wenn wir es wirklich nicht mehr hören können, immer noch und immer wieder Corona. So viele Baustellen, so viel dringender Handlungsbedarf! Aber wenigstens beim letzten Punkt hatten doch viele Leute gehofft, dass jetzt, im dritten Pandemiejahr, mit einem Karl Lauterbach als Gesundheitsminister mal nicht erst auf den letzten Drücker ein halbgares Maßnahmennotpaket durchs Parlament gepeitscht würde, sondern dass frühzeitig geplant und sorgfältig beraten würde. Sie alle wurden schmerzlich enttäuscht. ({1}) Herr Minister Buschmann, Sie sagen, wir seien gut durch den Sommer gekommen. Was aber sagen Sie den Angehörigen der über 3 000 Menschen, die in diesem Juli an Corona oder mit Corona verstorben sind? Das ist mehr als das Zehnfache von dem, was es im Juli 2020 und im Juli 2021 an Todesfällen gegeben hat. Was sagen Sie denen? ({2}) Herr Minister Lauterbach, Sie sagen, wir wären sehr, sehr gut vorbereitet. Ich glaube, nicht. Ich frage mich zum Beispiel, warum im dritten Pandemiesommer diese Bundesregierung nicht die Gelegenheit genutzt hat, die Schulen nicht nur verbal in ihrem Gesetzentwurf auf den Winter und Herbst vorzubereiten, sondern auch tatsächlich mit Luftfiltern ({3}) und mit einer Strategie, mit der die versprochene Verhinderung von Schulschließungen und Fernunterricht wirklich umgesetzt werden kann. Das frage ich mich. Offensichtlich haben Sie sich lange nicht einigen können. Sie haben uns sehr kurzfristig umfangreiche Änderungen zu Ihrem eigenen Gesetzentwurf auf den Tisch gelegt. Und dann haben Sie auch noch auf die Lobby gehört. Das kann man doch niemandem erzählen, dass man in Nahverkehrszügen vielleicht, in Fernverkehrszügen ausnahmslos, aber in Flugzeugen keine Maske tragen muss! ({4}) Und, Herr Lauterbach, Sie waren ganz ehrlich zu uns im Gesundheitsausschuss; das fand ich wirklich beeindruckend. Sie haben uns genau beschrieben, wie die Lobbyisten von der Lufthansa AG zu Ihnen in die Bundesregierung gekommen sind und gesagt haben: Das ist alles so schrecklich kompliziert, unser Personal ist belastet mit der Durchsetzung der Maskenpflicht, und vielleicht verzögern sich dadurch auch Flüge. ({5}) Meinen Sie denn, im Fernverkehr ist das Personal nicht belastet mit der Durchsetzung der Maskenpflicht? ({6}) Und die Leute in den Bussen und Bahnen, die eigentlich nur die Fahrkarten kontrollieren sollen: Sind die nicht belastet davon? Bald werden die nächsten Anforderungen kommen, und dann gehen die nächsten Lobbyisten bei Ihnen ein und aus. Was ist denn das für eine Bundesregierung? Was ist das für eine Bundesregierung, wo sich der Finanzminister von Porsche die E‑Fuels in den Koalitionsvertrag schreiben lässt, der Wirtschaftsminister sich die Gasumlage von den Energiekonzernen diktieren lässt und der Gesundheitsminister vor der Luftverkehrslobby einknickt und den Gesundheitsschutz opfert? ({7}) Herr Lauterbach, das ist keine gute Vorbereitung, es ist nicht konsistent. Es ist auch nicht so, dass das Ganze nur verwirrend und unplausibel klingt, sondern es ist unplausibel! Und das wird es den Menschen wahnsinnig schwer machen. ({8}) Wir haben Ihnen einen Zehnpunkteplan vorgelegt, mit guten Maßnahmen, die man langfristig planen und implementieren kann, beispielsweise mit Teststrategien, mit einer besseren Kommunikation übers Impfen. Das haben Sie alles ignoriert und liegen gelassen. Ich biete es Ihnen noch mal an. Wir werden uns bestimmt noch mal hier sehen zum Infektionsschutzgesetz, vor Ende des Jahres. Nehmen Sie unsere sehr guten Punkte auf, und kümmern Sie sich darum, dass die Menschen in diesem Land sicher sein können. Diesem Maßnahmenmurkspaket werden wir nicht zustimmen. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Vogler. – Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Nezahat Baradari, SPD-Fraktion. ({0})

Nezahat Baradari (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004947, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Können Sie sich noch an den September letzten Jahres erinnern? ({0}) In unserer schnelllebigen Zeit vergessen wir, wie es damals um die Vorbereitung auf die zu erwartenden Steigerungen der Coronainfektionszahlen stand. Wir waren nicht gut vorbereitet, haben aber dazugelernt. Das vorliegende Gesetzespaket mit einem abgestuften Instrumentenkasten gibt einen richtigen Rahmen für die Pandemiebekämpfung vor. Laut dem Struckʼschen Gesetz verlässt kein Gesetz den Bundestag so, wie es reingekommen ist. Auch in diesem Falle ist es uns Abgeordneten gelungen, einen Kompromiss innerhalb der Ampelkoalition zu erzielen, um vulnerable Gruppen und auch unser Gesundheitssystem vor Überlastung zu schützen. ({1}) Als Abgeordnete im Parlament und als Ärztin musste ich lernen, dass die reine medizinische Lehre nicht eins zu eins in Gesetzestexte übernommen werden kann. Die Herausforderung besteht darin, die Alltagsrealität der Menschen und die Umsetzbarkeit unserer Gesetze im Fokus zu haben, und das ist uns mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gut gelungen. ({2}) Im laufenden Prozess sind wir immer wieder auf Anregungen von Bürgerinnen und Bürgern, von Fachverbänden, auch pädiatrischen Verbänden, und Wissenschaftlern eingegangen und haben diese Perspektiven einfließen lassen. Insbesondere als Kinderärztin bin ich froh, dass wir im vorliegenden Gesetzesvorschlag zwei wichtige Aspekte im Sinne der Eltern gut regeln konnten. Erstens. Die Coronainfektion ist nicht laut § 34 Infektionsschutzgesetz meldepflichtig geworden. Das ist eine große Erleichterung. So müssen Kinder bzw. ihre Eltern weder bei Verdacht noch bei durchgemachter Infektion jedes Mal ein ärztliches Attest für den Kindergarten bzw. für die Schule beibringen. Nach 30 Monaten der Pandemie, in denen gerade die Jüngsten unserer Gesellschaft und ihre Familien eine große soziale Last zu tragen hatten, hätte ich dies auch nicht für angemessen gehalten. ({3}) Daher bin ich überaus glücklich, dass wir diese Verschärfung der Regelung aus dem Gesetz streichen konnten. Liebe Eltern: Es wird einfacher. Zweitens. Aus meiner praktischen Erfahrung weiß ich, wie wichtig und wie hilfreich das Instrument der sogenannten Kinderkrankengeldregelung für viele berufstätige Eltern ist. ({4}) Es ermöglicht den Familien, sich nicht selber krankschreiben lassen zu müssen. Eltern können bis Ende 2023 30 Tage und Alleinerziehende 60 Tage beanspruchen. Dies ist genau der richtige Schritt für die Verbesserung der Situation von Familien. ({5}) Die Kinder und Jugendlichen haben in der Pandemie gelitten. Das zeigen uns zahlreiche Studien wie die COPSY-Studie und der Kinder- und Jugendreport der DAK. Angesichts dieser Entwicklung ist es zur Stützung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen auch die absolut richtige Entscheidung und das richtige Signal, Schulen und Kitas in jedem Fall offenzuhalten. Wir müssen und werden es den Jüngsten der Gesellschaft unter den gegebenen Umständen so leicht wie möglich machen, an Bildung zu partizipieren und am sozialen Leben teilzuhaben. ({6}) Wir folgen nicht populistischen Kampagnen. Wir folgen dem klaren Ziel, dieses Land und unser Gesundheitssystem auf Basis niedrigschwelliger verlässlicher Maßnahmen in einem abgestuften Plan auch mit Länderverantwortlichkeiten durch den kommenden Winter zu bringen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Pandemie ist nicht vorbei, auch wenn wir uns das wünschen oder einreden mögen. Daher müssen wir gut präpariert sein. Packen wir es an! Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Simone Borchardt, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Simone Borchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005030, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mehr Selbstbestimmung und weniger Regulierung – das muss unsere Prämisse sein. Die anderen Länder innerhalb der EU machen es uns vor. Wir brauchen weniger Gängelung und endlich Maßnahmen, die auf wissenschaftlich fundierten Daten aufbauen. Wer sich heute vor dem Virus schützen will, kann das eigenverantwortlich für sich selbst entscheiden und tun, indem er freiwillig eine Maske trägt und sich freiwillig impfen lässt. Schaffen Sie bitte endlich klare und nachvollziehbare Vorgaben für den Herbst und Winter. Die Bevölkerung, die Wirtschaft und besonders die kleinen und mittelständischen Unternehmen werden es Ihnen danken. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel, schaffen Sie bitte endlich die einrichtungsbezogene Impfpflicht ab. Diese ist nicht umsetzbar und belastet die betroffenen Einrichtungen mit unnötiger Bürokratie. ({1}) Sie belastet die Beschäftigten und sorgt für Probleme bei der Personalgewinnung und vor allem bei der Personaleinsatzplanung. ({2}) In diesem Zusammenhang ist es auch sinnvoll, über die Quarantäneregelung nachzudenken; denn die ist so, wie sie jetzt ist, nicht mehr zeitgemäß. ({3}) Zu oft denken Sie nicht an die Folgen Ihres Handelns. Das hat der Aufschrei der Kinder- und Jugendärzte letzte Woche gezeigt. Es wurde ausdrücklich vor den Folgen gewarnt, COVID‑19 in den Katalog der Erkrankungen in § 34 Infektionsschutzgesetz aufzunehmen. Das hätte schwerwiegende Folgen für die Praxen gehabt. Aber anstatt im Ausschuss unserem Änderungsantrag zuzustimmen, schaffen Sie wieder eine Zusatzregelung mit umfangreichen Testungen. ({4}) Leider haben Sie auch schon im Frühjahr unseren Antrag auf Einrichtung eines Impfregisters abgelehnt. Sie haben schon im Frühjahr unsere Forderung nach frühzeitiger Verbesserung der Datenlage und Aussetzen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht abgelehnt. Es gibt bis heute keine kohärente Datenerfassungsstrategie. Stattdessen müssen wir sogar in der Presse lesen, dass Sie Daten zu Immunität in der Bevölkerung erst Ende September herausgeben wollen, und das nach Abstimmung über dieses Gesetz im Plenum. ({5}) Eigentlich sollte es umgekehrt sein. Die Politik sollte der Wissenschaft folgen. Nur leider erleben wir es wieder genau andersherum. Das ist keine Art und Weise, mit solchen Themen umzugehen. ({6}) Vertrauen gegenüber der Bevölkerung ist für uns wesentlich zielführender und effektiver als jede Pflicht, die Sie gerade schaffen wollen. Sehr geehrte Damen und Herren, ich fordere Sie daher auf: Stimmen Sie unserem Antrag zu. Ermöglichen Sie endlich mehr Selbstbestimmung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Borchardt. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Janosch Dahmen, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Janosch Dahmen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004962, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren, die heute als Gäste zuschauen! Es ist schon erstaunlich, in welch atemberaubenden Tempo sich die Union von einem wissenschaftsbasierten Kurs verabschiedet hat. Da werden Nebelkerzen geworfen: ({0}) fehlende Datengrundlage, Verabschiedung vom wissenschaftlichen Kurs. Ich kann weder erkennen, worauf in der vorliegenden Gesetzesnovelle Sie sich beziehen, noch, wie Ihre Anträge dazu beitragen sollen, den Empfehlungen des Expertenrats, also von Wissenschaft, Rechnung zu tragen. Vielmehr muss ich sagen: Die Oppositionsarbeit ist nur heiße Luft. Es gibt sicher Fehler, die in der Pandemie passiert sind und die kritisiert werden können, aber das, was hier vorgelegt wird, ist weder eine Alternative, noch trägt es dazu bei, die Akzeptanz für das, was zur Bewältigung der Krise gemeinsam getan werden muss, wirklich zu erhöhen. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Dahmen, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der CDU/CSU-Fraktion?

Dr. Janosch Dahmen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004962, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne.

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber, sehr geschätzter Kollege Janosch Dahmen, danke, dass du die Zwischenfrage zulässt. – Da du ja von wissenschaftlichen Erkenntnissen gesprochen hast, ist meine Frage: Wie argumentierst du wissenschaftlich, dass man die Maskenpflicht in Flugzeugen abschafft und im Fernverkehr beibehält? ({0})

Dr. Janosch Dahmen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004962, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Kollegin Zeulner, für die Frage. – Sie gibt mir die Gelegenheit, noch einmal aufzuklären, wie es zu dieser Vereinbarung gekommen ist und warum wir an dieser Stelle das Gesetz weiterentwickeln. ({0}) Selbstverständlich interessiert sich das Virus nicht dafür, ob es sich im Bus, in der Bahn, im Auto oder wo auch immer unter den Menschen verbreitet. Aber überall dort, wo Menschen zusammenkommen, gerade in Innenräumen, besteht weiterhin ein hohes Risiko, sich anzustecken. Deshalb ist es richtig, dort Maske zu tragen und sich selbst und andere zu schützen. ({1}) Gleichwohl passen wir mit diesem Gesetz die Regeln für den Flugverkehr – oft grenzüberschreitend – an das an, was im übrigen Europa als überwiegender Standard gilt, und erhalten uns über eine Rechtsverordnung weiter die Möglichkeit, ({2}) darauf zu reagieren, sollte sich die Lage verschlimmern, und auch hier die Maskenpflicht wieder einzuführen. Gerade als Arzt kann ich aber nur appellieren: Weiter auch im Flugzeug Maske tragen! Dass wir die Regeln an europäische Regeln anpassen, hat nichts mit unwissenschaftlich zu tun, sondern es ist eine Harmonisierung, gerade auch im Sinne der Nachvollziehbarkeit, die von Ihnen hier wiederholt eingefordert wurde. ({3}) Lassen Sie mich aber zurückkommen zu dem, was eigentlich zu tun ist. Ich glaube, es ist entscheidend, noch einmal auf die vier Punkte zurückzukommen, die der Minister eingangs erwähnt hat: Punkt eins. Es ist jetzt entscheidend, dass wir die verbleibenden Wochen bis zum Herbst, wenn die Menschen wieder mehr in Innenräumen zusammenkommen, nutzen, noch einmal Vollgas zu geben: mit einer Auffrischimpfkampagne, die wir in diesem Land brauchen, mit neuen Impfstoffen, die wir in ausreichender Zahl beschafft haben, die explizit auch Menschen, die besonders gefährdet sind, davor schützen, an diesen neuen Virustypen schwer zu erkranken. Auch das Risiko, andere anzustecken, wird nach geltender Datenlage deutlich reduziert. Wir werden das mit einer breit angelegten Kampagne noch einmal in den Vordergrund stellen, um genau dafür zu werben, um die Menschen aufzuklären. Wir werden – das ist Punkt zwei – nicht nur Impfstoffe, sondern auch Medikamente einsetzen, um schwere Krankheiten zu verhindern. Es ist ja richtig, was hier in der Debatte angesprochen wurde, dass es ausgesprochen bedauernswert ist, dass wir in diesem Land im Sommermonat Juli erneut 3 000 Menschen wegen Corona verloren haben. Es geht darum, hier gezielt Medikamente einzusetzen. Ich kann Ihnen nur raten: Gehen Sie in die Pflegeeinrichtungen, gehen Sie dorthin, wo organisierte Wohnformen vulnerable Gruppen beheimaten, und fragen Sie einmal nach: Sind hier Menschen gestorben, schwer erkrankt, und wie häufig wurden die Medikamente, die seit vielen Monaten zur Verfügung stehen, bisher eingesetzt? Sie werden feststellen: viel zu selten. Das ist skandalös. Es geht um jedes Leben, was wir hier retten können. Das ist wichtig, und deshalb setzen wir diese Medikamente nach entsprechenden Regeln ein. ({4}) Dritter Punkt. Anders als es hier von der Union gerade behauptet wurde, verbessern wir die Datengrundlage. Wir führen ein Pandemieradar ein, das endlich dafür sorgt, dass wir nicht nur einen Indikator haben, sondern ein großes Maß an Datentransparenz. Wir nehmen die Versorgung im Gesundheitswesen verstärkt in den Blick, verschaffen uns einen besseren Überblick über die Kapazitäten, indem wir betreibbare Betten nicht nur auf den Intensivstationen, sondern auch auf den Normalstationen erfassen, indem wir durch einen Anschluss an das Notaufnahmeregister umfassende Daten zur Notfallversorgung erfassen, als Sentinel-Programm, als Warnprogramm, um frühzeitig festzustellen, was passiert, indem wir Abwassermonitoring zusammen mit den Ländern flächendeckend einführen, um neue Virusvarianten frühzeitig feststellen zu können. Das ist wissenschaftsgetrieben. Das ist datengetriebene Politik, die gezielt darauf reagiert, wo es Gefahren gibt und wo Maßnahmen greifen müssen. ({5}) Letzter Punkt. Mit der Novelle des Infektionsschutzgesetzes setzen wir nicht dort an, wo Maßnahmen ungezielt erst zu einem Zeitpunkt, wenn die Lage eskaliert, greifen, sondern mit einfachen wirkungsvollen Maßnahmen in der Breite: Masken, die Menschen vor Infektionen schützen, die dafür sorgen, dass wir erst gar nicht in die Situation kommen wie im letzten Herbst, als ein Gesundheitsminister der Union erst reagiert hat und erst bereit war, wirklich für konsequente Maßnahmen zu sorgen, als die Lage viel zu schlimm war, als Masken allein nicht mehr gereicht haben. Das machen wir anders. Ein breiter Basisschutz, eine Rechtsgrundlage, die den Ländern ermöglicht, wenn es erforderlich ist, gezielt regional zu reagieren. Einheitlichkeit bedeutet nicht Gleichzeitigkeit, sondern bedeutet gezielte Steuerung, und dem tragen wir mit einem gezielten Gesetz entsprechend Rechnung. ({6}) In diesem Sinne lassen Sie mich zum Schluss kommen. Die Pandemie ist nicht vorbei. Wir werden sehr wohl darauf, dass Kliniken, Pflegeeinrichtungen wirtschaftliche Probleme haben, reagieren. Das machen wir aber nicht im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes, sondern im Rahmen der Haushaltsberatungen, des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes und gegebenenfalls auch eines Rettungspaketes für das Sozialwesen, in dem wir uns darum kümmern werden, auf die Not, die dort herrscht, auch entsprechend gezielt zu reagieren. ({7}) Zum Schluss. Die Pandemie hat uns allen im dritten Jahr viel abverlangt. Wir sollten darauf angesichts der multiplen Krisen, die uns darüber hinaus begleiten, so reagieren, dass wir die Lage nicht schlimmer werden lassen. Das liefert dieses Gesetz. In diesem Sinne: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu! Ich kann Sie von der Opposition angesichts der teilweise fragwürdigen Vorschläge nur dringend dazu auffordern. Vielen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dahmen. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Thomas Dietz, AfD-Fraktion. ({0})

Thomas Dietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005042, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Es ist Zeit, den Betroffenen eine Stimme zu geben. Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich eine Krankenschwester: Seit einiger Zeit arbeite ich in einer psychosomatischen Klinik. Dort habe ich erlebt, wie von einem Tag auf den anderen 200 Patienten für zwei Wochen in ihre Zimmer eingesperrt wurden, weil eine Mitarbeiterin positiv getestet wurde. Das Krasseste dabei ist: Das Gesundheitsamt ordnete die Quarantäne an dem Tag an, als noch Patienten anreisten. Man muss sich das mal vorstellen: Es kommen psychisch kranke Menschen in eine Klinik, um dort eine Therapie zu machen, und werden als Erstes ins Zimmer eingesperrt. Diese Zustände wollen wir nie wieder erleben. Meine Damen und Herren, geben Sie den Menschen ihre Freiheit und ihre Eigenverantwortung zurück. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dietz. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Lukas Köhler, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eins der schwierigsten und wichtigsten Unterfangen in der Demokratie ist das Abwägen, das Abwägen zwischen Freiheit und Sicherheit, das Abwägen zwischen Eigenverantwortung und Schutz. Ab und zu ist es auch ein schwieriges Unterfangen, eine gemeinsame Position zu finden. Zum Glück ist das hierbei nicht der Fall gewesen. Zum Glück haben sich die Minister gut einigen können, zum Glück haben wir uns in dieser Situation als regierungstragende Koalitionsfraktionen gut einigen können. Das ist, glaube ich, ein großer Vorteil. Umso mehr verwundert mich das, was die Union heute hier macht und was die Union in den letzten Tagen gemacht hat. Bei der AfD wundert mich nichts mehr. Aber diese Kakofonie aus unterschiedlichen Stimmen – das, was die Länder auf der einen Seite sagen, das, was Sie jetzt heute hier in Ihren Reden sagen – ist doch schon sehr verwunderlich. Ich glaube, Sie sollten sich mal zusammensetzen und noch mal darüber nachdenken, was Sie im Hinblick auf die Coronapandemie für eine Position vertreten. ({0}) Wenn ich mich richtig erinnere – und ich habe letztens nachgeguckt –, ist der Gesundheitsminister aus Bayern immer noch Teil der CSU, und der scheut im Moment kein einziges Mikrofon, an dem er nach neuen, härteren, schärferen Maßnahmen schreit. ({1}) Das ist verwunderlich, besonders verglichen mit dem, was ich hier von Ihnen aufgetischt bekomme. ({2}) Auf der anderen Seite hören wir hier gerade, dass Quarantäneregeln ein Problem sind. Na ja, § 30 Infektionsschutzgesetz, liebe Kollegin. ({3}) Die Länder können das ganz einfach ändern. Ich erwarte also nach dem heutigen Tag eine Änderung nach der anderen in den Bundesländern, die von der Union geführt werden. ({4}) Ich freue mich darauf, dass Sie den Worten, die Sie hier so zahlreich verkünden, auch Taten folgen lassen. ({5}) Das wird, glaube ich, ein wahres Fest der Demokratie, und das ist auch der richtige Schritt. Frau Kollegin Vogler, Sie hatten ja gerade die Lufthansa angesprochen, was mich ein bisschen wundert. Ich dachte immer, Die Linke wäre sehr eng verbandelt mit der Gewerkschaft. Jetzt ist meine Position als FDPler ja oft nicht die gleiche wie die, die die Gewerkschaft einnimmt. Aber die Gewerkschaften waren die Ersten, die gesagt haben: Es ist gut für die Menschen, die in den Fliegern arbeiten müssen, dass sie nicht die ganze Zeit Maske tragen. – Ich bin ein bisschen verwundert. ({6}) Ich bin ein bisschen darüber verwundert, was hier passiert. ({7}) Meine Damen und Herren, das Infektionsschutzgesetz tut exakt das, was es tun soll. Es verbindet Eigenverantwortung und Schutz, und zwar genau so, wie es richtig ist: ({8}) auf der einen Seite so viel Eigenverantwortung, so viel Freiheit wie möglich und auf der anderen Seite so viel Schutz wie nötig. Ich glaube, da ist uns was wirklich Gutes gelungen; denn die Menschen haben andere Sorgen in diesem Winter.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege?

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Da wollen wir auch ehrlich sein: Die Leute sorgen sich wegen der hohen Preise, die Leute sorgen sich wegen der Inflation. Ich glaube, mit diesem Gesetz sind wir alle gut auf die nächsten Monate vorbereitet. Vielen Dank an die Kolleginnen und Kollegen, natürlich auch für dieses Gesetz. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ich wollte Sie eigentlich noch fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen. Es hätte Ihre eine Minute wieder rausgeholt, aber jetzt ist es leider zu spät. ({0}) Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Christina Baum, AfD-Fraktion. ({1})

Dr. Christina Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005018, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Heidi Fischer ist eine autistische Frau. Sie schrieb eine Mail an alle Mitglieder des Gesundheitsausschusses. Es war ihr ausdrücklicher Wunsch, dass ich heute daraus zitiere – Zitat –: Ich schreibe Ihnen, weil ich aufgrund meiner Behinderung und meines Autismus mit den ganzen Coronamaßnahmen überhaupt gar nicht klarkomme und weil mir diese Maßnahmen sehr extrem riesengroße Angst und Panik machen. Ich habe sehr extrem riesengroße Probleme, dass ich bei meinem Gegenüber durch die Masken überhaupt gar keine Mimik und Gestik sehen kann. Mich irritieren und verwirren diese Masken vor dem Gesicht meiner Mitmenschen. Umarmungen, Streichel- und Kuscheleinheiten und anderer, liebevoller Körperkontakt muss sehr dringend und sehr schnell wieder möglich sein. – Zitat Ende. Geben Sie den Menschen ihre Freiheit und ihre Selbstbestimmung zurück. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat das Wort, nachdem ich ihn aufgerufen habe, der Kollege Dr. Andreas Philippi, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Andreas Philippi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005179, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Zuschauer/-innen und Zuhörer/-innen! Gestatten Sie mir eine Bemerkung zu dem Spiel, was Sie hier spielen, zu Ihrem Siebenmal-eine-Minute-Spiel. ({0}) – Ich höre sehr wohl zu. Ich habe sehr viele von diesen Menschen behandelt. ({1}) Das, was Sie hier machen, entlarvt sich nämlich ganz deutlich, wenn man die „taz“ von gestern liest und hört, dass Sie es wünschen, dass Menschen im Winter frieren, dass kein Gas da ist. ({2}) Sie haben sich entlarvt. Und das Gleiche tun Sie auch, wenn Sie einen „Freiheitstag“ wünschen. ({3}) Sie nehmen billigend in Kauf, dass Menschen frieren, sterben. Sie hassen dieses Land. Sie sind vaterlandslose Gesellen. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Philippi, bei aller Würdigung der Emotionen, die hin- und hergehen. Wir sollten uns mit Kategorien wie „vaterlandslose Gesellen“ und anderem nicht traktieren im Deutschen Bundestag. ({0}) Sie haben das Wort, Herr Kollege.

Dr. Andreas Philippi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005179, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren, eine soziale Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, wie sie mit ihren Schwächsten umgeht, wie sie mit den vulnerablen, verletzlichen Gruppen – ({0}) – ja, Sie sind eine schwache Gruppe! – in ihrer Mitte umgeht und diese vor Krankheit, schwerer und sogar tödlicher Krankheit, ({1}) oder auch vor langwierigen Folgen von Erkrankungen schützt. Wir fragen uns: Wie finanzieren wir unser Gemeinwesen und schützen unseren Wohlstand? Und noch grundlegender: Wie sichern wir eine gute und gesunde Zukunft für uns alle? Wie gelingt der Spagat zwischen persönlichen Freiheitsrechten und gesamtgesellschaftlicher Solidarität? Wir haben aus 30 Monaten Pandemie gelernt ({2}) und unser politisches Handeln angepasst. Die Ampelkoalition hat sich vorbereitet und denkt auch an Eventualitäten und Notfälle. Wir übernehmen damit Verantwortung für die Menschen hier in unserem Land. ({3}) Das, meine Damen und Herren, macht gute Politik aus. Und genau dieses Motto steckt in unserem Gesetzentwurf zur Stärkung des Schutzes der Bevölkerung gegen COVID-19, gegen die COVID‑19-Pandemie. Unser Ziel ist es, Überlastungen von Notaufnahmen, Kliniken und Intensivstationen zu vermeiden. ({4}) Unser Ziel ist es, die Kräfte der Pflegenden zu schonen. Und unser Ziel ist es, die Sterblichkeit durch COVID-19 weiter deutlich zu senken ({5}) und last, but not least die Funktionsfähigkeit von kritischer Infrastruktur – damit meine ich nicht die Parteizentrale der CDU – zu gewährleisten. ({6}) Mit diesem Gesetzentwurf, der von Oktober bis Ostern gelten soll, sind wir gut auf den Winter vorbereitet. Mit einem neuen, angepassten politischen Instrumentenkasten statten wir Bund und Länder aus, um auf weitere pandemische Entwicklungen zielgenau, zügig, aber auch maßvoll reagieren zu können. Meine leider erkrankte Kollegin Heike Baehrens, der ich von hier aus – ich denke, im Namen aller – gute Besserung wünsche, ({7}) hätte heute gesagt: Niemand will Schneeketten anlegen, wenn die Straße eisfrei ist; aber wenn wir im Winter in die Berge fahren, sollten die Ketten im Kofferraum bereitliegen. ({8}) Was ist also neu? Was ist anders? Was haben wir gelernt? Hier drei kurze Beispiele. Erstens. Wir sind pragmatischer geworden ({9}) und haben die Kritik der Kinderärzte aufgenommen. Es gibt keine umständliche Gesundschreibung von Kindern mehr; Frau Kollegin Baradari hat es schon erwähnt. Ein negativer Test reicht aus. Zweitens. Wir sind zielgenauer geworden und haben die FFP2-Maskenpflicht über die Bereiche der Pflegeheime und Krankenhäuser hinaus nun bundeseinheitlich auf die Arztpraxen, Dialyseeinrichtungen und den Rettungsdienst ausgedehnt.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Dr. Andreas Philippi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005179, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Denn dort, wo sich potenziell kranke Menschen nahekommen, soll der Schutz erhöht werden.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege.

Dr. Andreas Philippi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005179, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ein letzter Satz, dann entziehe ich Ihnen das Wort.

Dr. Andreas Philippi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005179, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Okay. – Wie effektiv Masken die Ansteckung verhindern, zeigen die geringen Inzidenzen bei Influenza- und RS-Viren in den letzten beiden Jahren.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, ich habe Ihnen gerade das Wort entzogen. Ich muss bei der AfD-Fraktion auf die Redezeit achten, und Sie überziehen 30 Sekunden. ({0}) Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Frank Rinck, AfD-Fraktion. ({1})

Frank Rinck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005189, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke. – Herr Präsident! Werte Kollegen! Alle Argumente, die dagegensprechen, wurden von unserer Fraktion hier schon vorgebracht. Darum zitiere ich heute Klaus Stöhr, Virologe und Epidemiologe, vom 27. Juni dieses Jahres aus der „Frankfurter Rundschau“: „Aktuell ist die Bundesregierung eher im Panikmodus unterwegs. Um es ganz klar zu sagen: Masken tragen und Abstand halten ist gegenwärtig nicht notwendig. Es gibt keine Anzeichen für eine Überlastung des Gesundheitswesens und das schiebt außerdem nur die Infektionen nach hinten. Verhindern wird man sie sowieso nicht.“ Ebenfalls Klaus Stöhr am 3. Juli dieses Jahres in „Der Standard“: „Notwendig sind einschränkende Maßnahmen dann, wenn das Allgemeinwohl gefährdet ist. Doch das ist aktuell bei Corona nicht mehr der Fall.“ Meine Damen und Herren, Dr. Philippi, geben Sie den Menschen ihre Freiheit und ihre Selbstbestimmung zurück. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Georg Kippels, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Georg Kippels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir steuern jetzt auf den dritten Coronawinter zu. Es kann ein guter Winter werden, oder, besser gesagt, es könnte ein guter Winter werden, wenn das, was die Ampel im Infektionsschutzgesetz vorschlägt, auch wirklich greift. Wir haben eine Menge von Informationen aus den letzten zweieinhalb Jahren, auch Erfahrungen mit Erfolgen bzw. mit einem entscheidenden Kriterium gesammelt, das für die Wirksamkeit dieses Gesetzes von Bedeutung ist, nämlich die Akzeptanz in der Bevölkerung. Bei den Schilderungen von Bundesminister Lauterbach haben wir eben einen bunten Strauß von Eventualmaßnahmen – wenn, dann, gegebenenfalls auch warum, als Nächstes – gehört und vernommen. Diese hochkomplexe Schachtelung von verschiedenen Maßnahmen unter bestimmten Voraussetzungen ist bedauerlicherweise alles andere als geeignet, die Akzeptanz der Bevölkerung vorhersehbar herbeizuführen. Der Hinweis, dass sich unter Umständen aus den lokalen Unterschieden in den einzelnen Bundesländern veränderte Betrachtungen ergeben, ist dem Grunde nach vielleicht zutreffend; aber wir dürfen nicht übersehen, dass der Weg vom Wohnort zum Arbeitsplatz in ein anderes Bundesland führen kann und insofern die Praktikabilität und damit auch die Akzeptanz schwindet. Was mir aber ganz besonders aufgefallen ist, ist, dass sowohl in den Ausführungen von Minister Lauterbach als auch in denen vom Herrn Kollegen Janosch Dahmen der Wert und die Umsetzung der Impfungen mit den neuen Impfstoffen jetzt einen sehr großen Stellenwert eingenommen hat. Der Nutzen der Impfungen steht jedenfalls bei mir und bei der CDU/CSU-Fraktion vollkommen außer Frage. Aber wir haben Anfang des Jahres feststellen müssen, dass die Akzeptanz für die Impfungen flächendeckend in der Bevölkerung nur sehr schwer oder möglicherweise in bestimmten Bereichen nicht erreicht werden kann, sodass auf diese Art und Weise eben eine sofortige Lösung des Coronapandemieproblems nicht gewährleistet werden kann. Es sollte jedenfalls auch nicht indirekt der Versuch unternommen werden, gewissermaßen über eine Impfpflicht durch die Hintertür zu suggerieren, dass dies das Allheilmittel ist. Die Impfung ist wertvoll, wichtig, und sie sollte immer wieder fortgeschrieben und empfohlen werden; aber ihre Werthaltigkeit muss bei der Bevölkerung auch klar betont werden, weil eben die Akzeptanz für dieses Reaktionsmittel unbedingt wichtig ist. ({0}) Arbeiten Sie deshalb bei der weiteren Umsetzung dieses Gesetzes maßgeblich daran, weil wir nicht wissen, in welchem Stadium und in welcher Stufe wir uns mit der Coronapandemie in den nächsten Wochen, Monaten oder vielleicht auch Jahren beschäftigen müssen! Als Schlusssatz noch die Bemerkung: Sehr geehrter Herr Minister, ein gutes Gesetz wird nicht deshalb ein gutes Gesetz der Ampel, weil Sie mit Ihrem Kollegen Buschmann einig in der Pressekonferenz sitzen. Dazu gehört mehr. Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf ab. Vielen herzlichen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Kippels. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Carolin Bachmann, AfD-Fraktion. ({0})

Carolin Bachmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005014, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Wir geben den Betroffenen eine Stimme. Die traurige Mutter von Lea: Mein Mann und ich haben der Regierung geglaubt und uns gegen Corona impfen lassen, weil wir sozial sein wollten. Auch die Freundinnen unserer Tochter waren bereits geimpft. Daher haben wir unsere geliebte Tochter auch impfen lassen. Wir hatten vor der Impfung ein wirklich kerngesundes, lebensfrohes Kind, das mit beiden Beinen im Leben stand. Ich zitiere Tim aus der vierten Klasse: Ich habe Asthma und muss daher keine Maske tragen. Meine Lehrerin setzte mich in die Ecke ans kalte offene Fenster, damit ich niemanden anstecke. Ich fühle mich ausgegrenzt und allein. Die anderen Kinder beneiden mich, weil sie lieber allein anstatt mit Maske sitzen. Geben Sie den Menschen ihre Freiheit und ihre Selbstbestimmung endlich zurück. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Erwin Rüddel, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Erwin Rüddel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004139, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In weiten Teilen Europas haben die Regierungen, nachdem sie sich darauf verständigt haben, Corona zu den Akten gelegt. Der Umgang damit erfolgt dort weitestgehend wie der mit einer Krankheit wie Grippe oder anderen Erkältungskrankheiten. ({0}) Nur Deutschland will wieder einen Sonderweg gehen. Ohne Evidenzgrundlage und ohne valide Daten sollten aber keine Maßnahmen beschlossen werden. Auch bei uns hat sich durch Grundimmunisierung, durch neue Impfstoffe und neue Medikamente die Lage grundlegend verändert. Selbst die Welle im Sommer wurde gebrochen, ohne dass das Gesundheitssystem überfordert war. Negative psychosoziale Auswirkungen auf Kinder, etwa durch Schulschließungen oder Masken, müssen vermieden werden. Kinder und Jugendliche müssen endlich wieder Normalität erfahren. ({1}) Wir steuern mit Inflation und Energiekrise ohnehin auf sehr große Herausforderungen zu. Auch deshalb sollten wir die Menschen und die Wirtschaft nicht noch zusätzlich verunsichern und belasten. Ja, wir wollen die vulnerablen Menschen in Kliniken und Pflegeeinrichtungen schützen. Aber unsere Gesellschaft muss den Weg zurück in Normalität finden. ({2}) Wir müssen lernen, mit Corona zu leben. Ein Leben ohne Gängelung muss wieder Alltag werden. Die Menschen müssen in die Eigenverantwortung entlassen werden, wozu selbstverständlich auch gehört, dass diejenigen zu Hause bleiben, die krank sind. Schließlich gibt es jenseits von Corona in der Gesundheitspolitik noch andere große Probleme, wie wir es in der Haushaltsdebatte eben gehört haben. Die GKV ist auf eine seriöse Finanzierung angewiesen. Die Eigenanteile in der Pflege steigen. Die Digitalisierung lahmt. Die Kliniken sind in Not. Es fehlen Ärzte und Pflegekräfte. Was soll zur Spezialisierung im Krankenhausbereich geschehen? Was wird aus DRG-Reform und Notfallversorgung? Und wird zur Überwindung der Sektorengrenzen und für die vernetzte ambulante Versorgung etwas getan? Zu alledem gibt es vom Minister keine klaren Aussagen. Der beschwört stattdessen bei Tag und bei Nacht auf Twitter neue coronabedingte Krisenzustände herauf, weshalb der Justizminister ihn öffentlich ermahnt, die Bürger – ich zitiere – „nicht … durch … Horrorszenarien verrückt“ zu machen. Ich fordere den Bundeskanzler auf, seine Richtlinienkompetenz auszuschöpfen und den Gesundheitsminister auf den richtigen Weg, auf den Pfad der Tugend, zur Reform des Gesundheitssystems zu bringen. Vielen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Rüddel. – Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Braun, AfD-Fraktion. ({0})

Jürgen Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004680, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! ({0}) Der Arzt Dr. Paul Brandenburg über die Stürmung seiner Wohnung am Tag des Grundgesetzes, 23. Mai: Da standen plötzlich Leute auf mir mit dicker Polizeiaufschrift, Helmen und automatischen Gewehren. Sie haben mich in meinem Flur nackt, stehend angetroffen, morgens zwischen 5 und 6 Uhr. Irgendwann rumste es an der Tür, mehrfach. Ich bin reflexhaft aus dem Schlaf erwacht und dachte: Das war’s jetzt. Da kommen irgendwelche Irren, um mich zu killen. Dann flogen die Türen auf, und vor mir standen mehrere Männer in Panzermontur, und ich guckte in mehrere Laufmündungen von automatischen Gewehren. Dann bekam ich ein Schild über den Kopf und einen Stiefel in den Nacken. – Zitat Ende. Meine Damen und Herren, geben Sie den Menschen ihre Freiheit und ihre Selbstbestimmung zurück! ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Nächste Rednerin ist die Kollegin Diana Stöcker, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Diana Stöcker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich blicke mit Sorge auf die Situation der Rehakliniken; denn ich sehe nicht, dass die Ampelkoalition die Verantwortung im Regierungshandeln übernimmt. Der Gesetzentwurf enthält zwar eine Verlängerung des Mindererlösausgleichs und Hygienezuschläge für Reha- und Vorsorgekliniken, aber nur für den Fall, dass die Bundesregierung eine epidemische Lage erneut ausruft. Wir fordern in unserem Änderungsantrag, dass Ausgleichszahlungen und Zuschläge bis zum 30. April 2023 verlängert werden – ohne die Voraussetzung einer epidemischen Lage. ({0}) Wir wollen Vorsorge- und Rehaeinrichtungen schützen und weitere Insolvenzen verhindern. Die Belegung der Rehakliniken ist in der Pandemie stark zurückgegangen. Auch aktuell gibt es wegen Corona viele kurzfristige Absagen und vorzeitige Abreisen von Patientinnen und Patienten, ohne dass die Kliniken darauf Einfluss nehmen können. Ohne einen finanziellen Schutzschirm drohen vielen Kliniken wirtschaftliche Instabilität und Insolvenz, und damit droht ein Abbau von Rehaplätzen, den wir uns nicht erlauben können; denn der Rehabedarf nimmt coronabedingt eher zu. Hinzu kommt: Die zu Beginn des Jahres vereinbarte Erhöhung des Vergütungssatzes von durchschnittlich 2,29 Prozent reicht bei Weitem nicht aus, die stark gestiegenen Kosten beim Wareneinkauf und bei der Energie zu kompensieren. Die Rehakliniken sind wie alle Einrichtungen des Gesundheitswesens stark von steigenden Preisen betroffen, da sie beispielsweise Heizungen in Zimmern und Therapieeinrichtungen eben nicht herunterdrehen können. Die Kliniken haben auch weiterhin Mehraufwand durch Testungen und Masken, der durch den Hygienezuschlag finanziert werden muss. Darüber hinaus ist der Tagessatz, den Rehakliniken erhalten, sowieso sehr knapp ausgestaltet und deckt nicht nur gesundheitliche Leistungen, Unterkunft und Verpflegung, sondern auch Gebäudeunterhalt und ‑sanierung ab. Es ist also aus allen drei Gründen für die Träger der Einrichtungen keinerlei Puffer da, um Kostensteigerungen und Verluste auffangen zu können. Deshalb, liebe Ampelregierung, müssen Sie jetzt handeln. Sie müssen hier eine gesundheitsökonomische Perspektive einnehmen. Jeder Euro, der in die Rehabilitation und Vorsorge investiert wird, bringt später einen volkswirtschaftlichen Gewinn von 5 Euro. ({1}) Und, meine Damen und Herren, das Geld für coronabedingte Mehrausgaben wäre ja da, wenn es nicht von der Ampelkoalition für den Klimaschutzfonds umgewidmet worden wäre. Bei einem meiner vielen Gespräche in den letzten Monaten in Rehakliniken vor Ort wurde mir dieser Staffelstab – ich habe ihn mitgebracht – übergeben. Er trägt die Losung: „Reha braucht dich“. Und ich habe das Versprechen gegeben, ihn an Gesundheitsminister Karl Lauterbach zu übergeben, damit Sie, Herr Minister, sich ebenfalls für die Reha einsetzen und sich diesen Auftrag zu eigen machen. Ich würde mich daher sehr freuen, Herr Minister, wenn Sie sich nach der Debatte eine Minute Zeit nehmen könnten, damit ich Ihnen diesen Staffelstab übergeben kann. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Martin Reichardt, AfD-Fraktion. ({0})

Martin Reichardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004859, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zwölf Jahre habe ich als Offizier der Panzertruppe diesem Land gedient. In den letzten Wochen habe ich zahlreiche Gespräche mit Kameraden der Bundeswehr geführt. Viele haben die Impfpflicht nur aus tiefer Sorge vor Repressalien und aus Sorge um die Existenzen ihrer Familien und Kinder zugelassen. Wie diese Repression aussieht, dazu das Zitat eines langgedienten Kameraden: ({0}) Ich habe einen Eid auf die Fahne geschworen, dass ich dieses Land, das Recht und die Freiheit verteidigen werde. Wenn meine Vorgesetzten mir mit unehrenhafter Entlassung und Strafarrest wegen einer Impfung drohen, dann läuft aus meiner Sicht hier etwas verkehrt in diesem Land, und ich muss getreu dem Eid mit ganzem Herzen mich diesem entgegenstellen. Ich habe keine Angst mehr. Ich sehe und höre täglich von Kameraden, denen mit Rauswurf und Gefängnis gedroht wird, weil sie die Impfung nicht wollen. Meine Damen und Herren, diese Menschen wollen Deutschland dienen, aber es wird ihnen verwehrt. Geben Sie auch den Soldaten ihre Freiheit und Selbstbestimmung zurück! Vielen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Liebe Kolleginnen und Kollegen, letzte Rednerin dieser Debatte ist die Kollegin Dorothee Bär. ({0}) Ich darf darum bitten, noch ausreichend aufmerksam zu sein und die Gespräche auf die Zeit nach diesen drei Minuten zu verlegen. Frau Kollegin Bär, Sie haben das Wort.

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe zu, dass ich in dieser Debatte von der Ampelregierung eines vermisst habe, nämlich auch mal einen Dank, Herr Kollege Lauterbach, an die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ({0}) haben wir Sie doch mit unseren Änderungsanträgen vor Chaos und vor allem auch vor Betreuungsnotstand in diesem Herbst und Winter bewahrt. ({1}) Wenn wir nicht Druck gemacht und Änderungsanträge eingebracht hätten, hätten die Menschen in Deutschland demnächst eine Regelung, die wirklich chaotische Folgen nach sich gezogen hätte. Nur um Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren auf der Tribüne, das einmal klarzumachen: Herr Lauterbach hatte eine Attestpflicht für Kinder und Jugendliche bei Coronaverdacht geplant, was bedeutet hätte, dass Kinder erst wieder in die Schule oder in den Kindergarten gekonnt hätten, wenn sie beim Kinderarzt oder beim Hausarzt gewesen wären. Wenn das so gekommen wäre, wären nicht nur die Kinderarztpraxen in Deutschland massiv überfordert gewesen. ({2}) Nein, Sie hätten auch das Kindeswohl derer gefährdet, die im familiären Alltag außer Haus betreut werden, und das sind eben die meisten Kinder in unserem Land. ({3}) Wir hätten die Betreuung von Kindern, von Jugendlichen in Einrichtungen der Tagespflege, in Horten, in der stationären Inobhutnahme nicht mehr gewährleisten können, wenn schon für die Beschäftigten mit Erkältungssymptomen ein Betretungsverbot da gewesen wäre. Auch das war in den Plänen der Ampel, bis die CDU/CSU-Bundestagsfraktion an dieser Stelle massiv eingeschritten ist. ({4}) Was mich wundert, ist, dass Sie diese Vorgabe 30 Monate nach Pandemiebeginn und zu Beginn einer Jahreszeit, in der eine Schnupfnase für die meisten leider auch dazugehört, auf den Weg geschickt haben. Ich will es nicht verharmlosen. Ich kann nur hoffen, Herr Lauterbach, dass eine solche Verschärfung der Rechtslage, wie wir sie noch nie hatten, an dieser Stelle nur ein Versehen Ihres Hauses war. Aber gut, wir sind da; wir helfen ja gerne. Sie haben es eingesehen, haben es gerade noch über Nacht beseitigt, wie Sie selbst gesagt haben. Ein kurzer Exkurs, damit man mal sieht, dass das überall so passiert: Beim Elterngeld im März war es ja ganz genauso. Die CDU/CDU-Fraktion hatte einen Antrag zur Verlängerung der coronabedingten Elterngeldregelungen eingebracht, sonst wäre es von dieser Bundesregierung auch glatt vergessen worden. Deswegen: Einen kleinen Dank und vielleicht auch, Herr Kollege Buschmann, ein bisschen weniger Hybris, wenn Sie zu so einem Thema sprechen – das würde ich mir persönlich wünschen. ({5}) Ein bisschen weniger Buschmann, ein bisschen mehr Lukas Köhler, der nämlich in seiner Rede dankenswerterweise auch gesagt hat, dass das mit den Abwägungen manchmal schwer ist, um zu zeigen: Es geht auch anders in der FDP-Fraktion. ({6}) Zum Schluss zurück zum Infektionsschutzgesetz. Vor allem als Familienpolitikerin mein dringender Appell: Führen Sie zielgerichtete Maßnahmen ein! Denken Sie an die Verhältnismäßigkeit, und haben Sie ein besonderes Augenmerk auf unsere Kleinsten! Herzlichen Dank. ({7})

Christian Lindner (Minister:in)

Politiker ID: 11004097

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich danke Ihnen, dem Ältestenrat und den Fraktionen für das Entgegenkommen, dass wir in dieser Haushaltswoche eine etwas ungewöhnliche Form der Debattenführung miteinander verabreden konnten. Das hat vieles erleichtert. Ich bin dankbar dafür. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir leben in Zeiten der Unsicherheit, in Zeiten von Umbrüchen. Dieser Haushaltsentwurf der Bundesregierung gibt in diesen Zeiten Orientierung und setzt Prioritäten: erstens Rekordinvestitionen in unsere Zukunft und in die Sicherheit dieses Landes und seiner Verbündeten, zweitens gezielte Entlastungen und die Abwendung von sozialen Härten, drittens die Rückkehr zur Schuldenregel des Grundgesetzes. Aus diesem Haushalt sprechen Entscheidungskraft und Konsequenz. Die Zeitenwende konnten wir nicht beeinflussen. Sie ist über uns gekommen durch den schrecklichen Angriff Russlands auf die Ukraine. Aber wir sind dieser Zeitenwende nicht schicksalhaft unterworfen, sondern sind Gestalterinnen und Gestalter unseres Schicksals. Dieser Haushalt gibt dafür eine Richtung vor. ({1}) Für den Umgang mit Krisen gibt es drei Formen. Die erste Form des Umgangs mit einer Krise ist, die Ängste der Menschen zu teilen. Das führt schnell zu Entscheidungen mit einem geringen zeitlichen Horizont. Dann gibt es die Möglichkeit, die Ängste der Menschen zu verstärken, um daraus politisches Kapital schlagen zu wollen, ({2}) darauf zu hoffen, dass sich die Ängste der Menschen in der Realität bestätigen, um den eigenen politischen Erfolg darauf zu gründen. Und es gibt den Weg, den wir als Koalition einschlagen, die Ängste der Menschen zu kennen, aber alles zu unternehmen, diese Ängste durch entschlossenes politisches Handeln zu reduzieren. Das ist unser Weg. ({3}) Wir wollen das Land nicht spalten, sondern es aus dieser Krise heraus in seine Zukunft führen. Deshalb ist dieser Etat nicht allein ein Krisenetat, sondern auch ein Etat, der mutig Schwerpunkte für die Zukunft setzt. Ich denke an die Investitionen in erneuerbare Energien, die wir möglich machen, das umfängliche Finanzierungsvolumen für saubere Technologie, an unsere Maßnahmen zur Stärkung und Ertüchtigung unserer Infrastruktur. Der Koalitionsausschuss hat hier am Wochenende einen zusätzlichen Schwerpunkt im Bereich der Verkehrs- und insbesondere der Schieneninfrastruktur gesetzt: 50 Milliarden Euro für Investitionen im Jahr 2023 allein aus dem Bundeshaushalt. Die Mittel aus den Programmen des Klima- und Transformationsfonds kommen noch dazu. Verehrte Anwesende, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Transformation unseres Landes setzen wir nicht trotz der Zeitenwende fort. Die Transformation unseres Landes gehen wir verstärkt an wegen dieser Krise und der Prioritäten, die sie von uns verlangt. ({4}) All das kostet Geld; wir führen ja auch eine Haushaltsberatung. Dennoch erlaube ich mir, an dieser Stelle zu sagen, dass das Geld aus dem Staatshaushalt eben nicht alleine entscheidend ist, um Zukunft zu gewinnen. Möglicherweise ist das, was aus dem privaten Sektor an privatem Kapital mobilisiert werden kann, entscheidend dafür, dass die Transformation gelingt. Dafür haben der Kollege Justizminister Marco Buschmann und ich zum Beispiel Eckpunkte für ein Zukunftsinvestitionsgesetz vorgelegt. Und die Bundesregierung hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt, um schon in diesem Herbst die Planungs- und Genehmigungsverfahren so zu beschleunigen, dass erneuerbare Energie in ihren Kapazitäten gesteigert wird, die Infrastruktur modernisiert wird und auch private wirtschaftliche Vorhaben realisiert werden können. Unser Land kann vieles, unser Land kann mehr. Wir müssen dafür sorgen, dass das, was in unserem Land steckt, in dieser speziellen Krise endlich zur Entfaltung kommen kann. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind ökonomisch in einer außerordentlich herausfordernden Lage. Das wurde durch die Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank heute noch einmal deutlich. Es ist ein großer Zinsschritt, der verdeutlicht, dass sich alle der Herausforderung stellen müssen, die Inflation zu bekämpfen, um das an der Stelle einmal zu sagen. Es würde niemand von einem liberalen Finanzminister etwas anderes erwarten als das, was ich jetzt sage, nämlich dass wir wirtschaftliche Prosperität und Wachstum wollen. Aber in dieser speziellen wirtschaftlichen Situation liegt die Priorität auf der Bekämpfung der Inflation. Denn Inflation ist das Verarmungsprogramm für die Familien in der Mitte der Gesellschaft. Inflation führt dazu, dass unternehmerische Risiken gescheut und Investitionen unterlassen werden. Deshalb ist die erste Priorität, die Inflation zu bekämpfen; denn sie würde sonst unser wirtschaftliches Fundament unterspülen. ({6}) Dabei will ich klarmachen, dass wir nicht jede Herausforderung mit staatlichen Mitteln abfedern können. Wir können soziale Härten verhindern, wirtschaftliche Strukturbrüche abwenden. Aber wir müssen realistisch sein, und wir dürfen keine falschen Hoffnungen wecken. Wir können nicht alles abwenden, was an Herausforderungen auf unser Land zukommt. Wir dürfen diesen falschen Eindruck auch nicht erwecken, weil wir den Menschen, auch der Wirtschaft, natürlich die realistische Möglichkeit geben müssen, sich vorzubereiten. Aber eine Zusage kann diese Bundesregierung geben, das politische Versprechen: Aufgrund von finanziellen Sorgen wird in diesem Land in diesem Winter niemand frieren und niemand hungern. ({7}) Wir haben am Wochenende das Entlastungspaket III in einer Größenordnung von schätzungsweise 65 Milliarden Euro politisch verabredet. Das sind nicht nur Maßnahmen, die auf den Bundeshaushalt 2023 gerichtet sind, sondern auch solche, die sich aus anderen Vorhaben – ich komme gleich kurz darauf zu sprechen – speisen. Natürlich wollen wir auch in diesem Jahr noch etwas möglich machen. Ich spreche über das Wohngeld und das Bürgergeld ab dem 1. Januar 2023. Aber es ist aufgrund der sorgsamen Haushaltsführung und der Entwicklung der öffentlichen Einnahmen möglich geworden, noch in diesem Jahr den Rentnerinnen und Rentnern für diesen Winter eine Einmalzahlung von 300 Euro zukommen zu lassen – ein klares Zeichen dafür, dass diese Koalition niemanden in unserem Land vergisst! ({8}) Wir haben uns vorgenommen, die kalte Progression im nächsten Jahr zu verhindern, und – das muss ich an dieser Stelle einmal sagen – das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Für mich ist die Abwendung der kalten Progression nicht im engeren Sinne eine Entlastungsmaßnahme, sondern die Abwehr zusätzlicher Belastung. ({9}) Nehmen wir die Bezieher eines mittleren Einkommens von 43 000 Euro; das ist das mittlere Einkommen in Deutschland. Im nächsten Jahr sind die 43 000 Euro vielleicht noch 39 000 Euro Kaufkraft wert. Und dann sollen diese Menschen besteuert werden, als wären es noch 43 000 Euro? Das wäre eine zusätzliche Belastung. Das würde Menschen, die ihre Gasrechnung selber zahlen, in dieser schwierigen Zeit das Leben noch schwerer machen. Deshalb ist es richtig, dass die Ampelkoalition sich darauf verständigt hat, die kalte Progression im nächsten Jahr zu beseitigen. ({10}) Ich finde es übrigens bezeichnend, dass die Unionsfraktion nicht applaudiert. Vielleicht ist das auch kein Zufall. Denn ich habe heute auf Twitter gelesen, dass das Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Tilman Kuban in seiner Funktion als Bundesvorsitzender der Jungen Union gestern auf einer Podiumsdiskussion gesagt haben soll, jetzt sei der falsche Zeitpunkt, die kalte Progression zu bekämpfen. Da möchte ich fragen: Wann ist denn dann der richtige Zeitpunkt, die kalte Progression zu bekämpfen? ({11}) – Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie kurz darüber unterrichten darf, dass dieser Deutsche Bundestag rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahres den Grundfreibetrag und den Arbeitnehmerpauschbetrag erhöht hat. Insofern: In diesem Jahr gab es dazu bereits Maßnahmen. ({12}) Tilman Kuban kann seine Äußerungen vielleicht noch geraderücken. Ich habe es nicht im Original gehört, sondern nur auf Twitter die Kolportage gesehen. Aber es hat mir eines gezeigt, wenn ich so ehrlich sein darf – auch die produktive Spannung innerhalb der Ampelkoalition in dieser Frage hat mir eines gezeigt –: ({13}) Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir mit der kalten Progression eigentlich dauerhaft umgehen. Wenn ich mit meinen Kollegen Finanzministerinnen und Finanzministern in Europa spreche und wir unsere Entlastungsmaßnahmen vergleichen, dann sagen die immer: Wir machen aber nichts bei der Lohn- und Einkommensteuer. – Dann habe ich gesagt: Ich in Deutschland schlage vor, dass wir die kalte Progression beseitigen. Wir machen schon was bei der Steuer. – Und dann sagen die: Ach so. Nee, das machen wir ja automatisch. Das zählt bei uns gar nicht zur Entlastung oder Verhinderung von Belastungen während der Inflation. – Nach der Diskussion, die wir geführt haben, und den Äußerungen, die Tilman Kuban zugeschrieben worden sind: Vielleicht führen wir einmal die Debatte darüber, zukünftig den Inflationsausgleich im Einkommensteuerrecht automatisch sich vollziehen zu lassen. ({14}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird auch Wirtschaftshilfen geben. Der Bundeswirtschaftsminister hat heute bereits Anregungen dazu gegeben, die wir gegenwärtig noch konkretisieren. Aber es werden präzise Maßnahmen sein, keine, die vergleichbar sind mit denen in der Coronapandemie, nicht vergleichbar sein können; denn wir haben ein Angebots- und kein Nachfrageproblem. Wir wollen uns natürlich auch den Fragen der Ursachen von steigenden Preisen zuwenden, weshalb die Ampelkoalition auch beschlossen hat, dass es eine Strompreisbremse in der Energiewirtschaft geben wird – wie ich glaube, ein überlegenes Instrument. Denn in Italien hat die dortige sogenannte Übergewinnsteuer nicht zu Staatseinnahmen geführt, sondern zu Klagen gegen den italienischen Staat. ({15}) Wir brauchen Hilfe in der Krise und keine neuen Rechtsstreite mit ihren Unsicherheiten. ({16}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotzdem halten wir die Schuldenbremse des Grundgesetzes im kommenden Jahr ein. Der Koalitionsausschuss hat auch noch einmal am Wochenende bestätigt, dass wir an diesem Ziel festhalten. Es ist eine große Herausforderung auch für diese Haushaltsberatungen, die entsprechenden Schwerpunktsetzungen vorzunehmen unter den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen wir sind. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nicht nur eine Frage – und das ist mir wichtig zu sagen – der Verfassung. Aus Verfassungsgründen ist es ohnehin zwingend. Es ist vor allen Dingen auch ein Gebot der ökonomischen Klugheit. Ich werde morgen bedauerlicherweise wieder eine Terminkollision mit den Haushaltsberatungen haben; ich werde morgen in Prag beim Ecofin und bei der Eurogruppe sein müssen. Wir wählen voraussichtlich auch den Managing Director des Europäischen Stabilitätsmechanismus, insofern ist das leider eine unabweisbare Verpflichtung. Aber ich erwarte, dass wir dort morgen im Kreis der internationalen europäischen Institutionen und der Mitgliedsländer der EU und der Währungsunion bekräftigen werden, dass wir zur fiskalischen Neutralität zurückkehren müssen, dass wir also nicht die Nachfrage und die Konjunktur während der Inflation stärken. Das wird die gemeinsame fiskalische Grundausrichtung sein; es wird bestätigt werden. Darin liegt eine höhere Weisheit: Inflation bekämpft man nicht mit immer neuen Staatsschulden, sondern nur dadurch, dass man zurück zur Seriosität und Solidität findet. ({17}) In diesem Zusammenhang darf ich übrigens sagen, dass mir die Äußerungen aus den Reihen der Unionsfraktion in diesen Tagen an einer Stelle gelegentlich etwas rätselhaft vorkommen. Ich habe mir die Beschlüsse von der Zugspitze sehr genau angesehen und das, was Sie hier vorgetragen haben, ({18}) habe das mit dem verglichen, was Sie anlässlich der Haushaltsberatungen 2022 dargelegt haben. Man muss leider – wenn ich das so höflich hierzu sagen darf – den Eindruck gewinnen, dass die Gipfelhöhe Ihre Rechenkünste beeinflusst hat. Jedenfalls kritisieren Sie, dass ich in diesem Jahr dem Bundestag vorschlage, 40 Milliarden Euro aus der Rücklage zu entnehmen. Damit wir uns nicht missverstehen: Ich halte diese Rücklagenbildung auch für falsch; aber ich hab sie nicht gemacht. Die Rücklagenbildung habe ich von einer CDU/CSU-geführten Vorgängerregierung übernommen. Die CDU/CSU-geführte Vorgängerregierung hat aus der Asylrücklage 2020 eine allgemeine Rücklage gemacht und angekündigt, sie auflösen zu wollen als Anpassungspfad zurück zur Schuldenbremse. Das war Ihre Politik. Jetzt werfen Sie mir vor, dass ich diese Rücklage aufhebe. Das finde ich beachtlich. Aber noch interessanter ist, dass Sie selbst für den Haushalt 2022 bereits beantragt haben, die kompletten 48 Milliarden Euro Rücklage aufzulösen. ({19}) Da muss man Sie fragen: Hätten Sie Verantwortung, was würden Sie dann im Haushalt 2023 mit geplünderter Rücklage und ungefähr 50 Milliarden Euro Mehrforderungen machen? Ich kann nur sagen: Die Union war einmal die Partei, die die schwarze Null angestrebt hat. Bei den Haushaltsberatungen der jüngsten Vergangenheit muss ich eher konstatieren: schwarzes Loch. Das sind die Konsequenzen dessen, was Sie vorgeschlagen haben. Schönen Dank. ({20})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Einen schönen guten Nachmittag auch von mir, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Besucherinnen und Besucher auf den Tribünen! Wir haben jetzt zwei Kurzinterventionen vorliegen. Weil er direkt in der Rede angesprochen wurde, ist die erste Kurzintervention von Tilman Kuban.

Tilman Kuban (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Bundesminister, es ist erstaunlich, dass Sie sich neuerdings auf Twitter informieren. Das zeigt mal wieder die Qualität der Informationsquellen der Bundesregierung und auch, auf was man sich in diesem Land eigentlich verlässt. ({0}) Ich wusste nicht, dass Sie gestern anwesend waren und davon berichten können, worüber bei der Veranstaltung diskutiert worden ist. Ich möchte trotzdem unsere Kritikpunkte klarstellen: Für die Transferhilfeempfänger, für die Menschen, die Wohngeld beziehen, nehmen Sie eine Entlastung vor. Für die große Masse von Menschen, die kleine Einkommen haben, stellen Sie nur einen sehr kleinen Beitrag zur Entlastung zur Verfügung, und für diejenigen, die mehr Geld verdienen, mildern Sie die kalte Progression ab. ({1}) Wir sind dafür, dass Sie Transferhilfeempfänger entlasten und die kalte Progression abschaffen, das ist richtig. Aber ich möchte Ihnen auch sagen: Die kleinen und mittleren Einkommen in Deutschland hätten mehr verdient als das, was Sie als Bundesregierung leisten. – Vielen herzlichen Dank. ({2})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Minister, Sie können antworten.

Christian Lindner (Minister:in)

Politiker ID: 11004097

Lieber Kollege Kuban, ich hatte eben gesagt: Tatsächlich handelte es sich nur um eine Kolportage. – Eben ist nicht ganz klar geworden, was Ihre Meinung ist: Ist jetzt der richtige Zeitpunkt oder nicht? Sie haben gerade ein anderes Argument vorgetragen und nicht gesagt, was Sie gestern Abend tatsächlich gesagt haben. Aber das sollte nicht zwischen uns stehen; denn ich denke, hinter dem Punkt, dass die kalte Progression im nächsten Jahr abgewendet werden muss, können wir uns versammeln. Es wird sich auch daran ablesen lassen, ob die CDU/CSU-geführten Länder im Bundesrat diesem Vorhaben zustimmen. Was Sie darüber hinaus zur Entlastungswirkung in der Breite gesagt haben: Die Bundesregierung hat vielfältige Maßnahmen, von denen alle Fallgruppen profitieren. Die Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten können, brauchen natürlich unsere Solidarität. Ich habe gehört, dass der bayerische Ministerpräsident dazu kritische Anmerkungen gemacht hat. Für uns ist aber entscheidend, dass niemand im Winter frieren oder hungern muss. Deshalb muss es eine entsprechende Anpassung geben. Die breite Mitte der Gesellschaft profitiert in vielfältiger Hinsicht. Insbesondere dort, wo Kinder sind und Menschen erwerbstätig sind, gibt es spürbare Entlastungen. Genau das ist auch die Absicht der Bundesregierung: Wir wollen die Menschen in der Breite entlasten, insbesondere dort, wo die Bedarfe besonders groß sind. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Minister, ich würde Sie bitten, stehen zu bleiben. Wir haben eine zweite Kurzintervention vom Abgeordneten Kay Gottschalk. Sie haben wieder die Möglichkeit, darauf zu antworten.

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr Minister. – Sie schauten – ich gehe davon aus, Sie haben sich verguckt – zu uns herüber, als Sie meinten, es gibt Parteien, die würden mit bestimmten Themen Profit aus der Krise schlagen wollen. ({0}) – Ja, da vergeht Ihnen vielleicht gleich das Lachen. – Sie haben hoffentlich nicht die Erinnerungslücken des Kanzlers. Laut Ihrem Wahlprogramm wollen Sie – meine Fraktion hat es des Öfteren gefordert – endlich den Tarif auf Rädern und tatsächlich die kalte Progression angehen. Wir haben bereits im Frühjahr gefordert, jetzt einzuschreiten – dafür sind wir hier verlacht worden –, und haben die Europäische Zentralbank für den Kurs, den sie eingeschlagen hatte, klar kritisiert; das macht übrigens auch die gesamte Fachpresse. – Ich hoffe, da haben Sie sich verguckt. Das Zweite, das absolut daneben ist – Sie haben es eben angeführt –, ist, dass Sie die Ergebnisse der Expertenanhörung zur Erhöhung des Grundfreibetrags anscheinend vergessen haben. Es wurde nämlich von allen Experten gesagt: Die Erhöhung, die Sie jetzt beschließen, ist bereits jetzt unzureichend. – Das versuchen Sie jetzt vielleicht nachzuholen. Aber es ist immer noch unzureichend. Sie können sich vielleicht auch noch erinnern, als ich gesagt habe: 7,5 Prozent Inflation bedeuten: Innerhalb von neun Jahren halbiert sich Ihr Vermögen; ich habe entsprechend einen 100-Euro-Schein zerrissen. Ich möchte Sie einfach für die Zukunft bitten: Wenn Menschen, wenn eine Fraktion Fakten anführen, vor etwas warnen – und wir warnen seit neun Jahren davor, dass dieser Kurs der EZB, den wir geldpolitisch, währungspolitisch hier in Europa eingeschlagen haben, zu dem führt, was wir jetzt beobachten, nämlich zu einer galoppierenden Inflation –, dann ist man kein Populist, deswegen ist man kein Angstmacher. Ich weiß, dass Realisten und Menschen, die die Wahrheit sagen, in Deutschland immer kalten Wind ins Gesicht bekommen; aber das möchte ich noch mal klarstellen. Ich bitte Sie auch, auf die Frage zu antworten, ob Sie die Expertenkommission vergessen haben, die Ihnen klar ins Stammbuch geschrieben hat: Der Grundfreibetrag in dieser Höhe ist ein Witz. Ich könnte jetzt noch auf die Entfernungspauschale eingehen.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Gottschalk, denken Sie an Ihre Redezeit.

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Und wenn Sie dann noch sagen, Sie entlasten die Menschen mit 300 Euro, einmalig versteuert, und das bei mindestens 300 Euro monatlicher Preissteigerung –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Gottschalk, Ihre Redezeit ist vorüber.

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– bei Gas, dann ist das Hohn. – Alles klar, ist in Ordnung. Den Rest morgen dann. Freue ich mich darauf.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Minister, Sie dürfen antworten.

Christian Lindner (Minister:in)

Politiker ID: 11004097

Herr Kollege, die Europäische Zentralbank steht als unabhängige Institution in der Tradition der Bundesbank, ({0}) und deshalb werden Sie nicht erwarten, dass die Bundesregierung der Europäischen Zentralbank öffentlich Ratschläge erteilt. Inflation ist allerdings nicht ein allein europäisches Problem, wie Sie gewiss auch wahrgenommen haben. Ich jedenfalls begrüße, dass die Notenbank durch den heutigen Zinsschritt sehr entschlossen gegen die Inflation vorgeht. Wir als Bundesregierung werden in den europäischen Gremien das Unsrige tun, um auf fiskalische Neutralität zu achten. Wir selbst sehen uns auch in der Pflicht, zum Verfassungsgebot der Schuldenbremse zurückzukehren. Hinsichtlich der Entwicklung der kalten Progression muss ich Sie darauf aufmerksam machen, dass das Verfahren anders ist, als Sie es dargestellt haben. Die kalte Progression wird seit etwa einem Jahrzehnt regelmäßig beseitigt, und zwar zwei Jahre im Voraus. Das heißt, die Tarife des Jahres 2022 und 2021 wurden 2020 auf der Basis von Existenzminimum- und Steuerprogressionsbericht festgelegt. Die Bundesregierung hat sich aber aufgrund der besonderen inflationären Entwicklung dieses Jahres dazu entschlossen, zur Jahresmitte auf der Basis der Frühjahrsprognose rückwirkend zum 1. Januar 2022 eine außerordentliche Inflationsanpassung beim Grundfreibetrag und durch die Erhöhung des Arbeitnehmerpauschbetrags vorzunehmen. Jetzt geht es um die ordentliche Anpassung des Tarifverlaufs zur Vermeidung der kalten Progression im regulären Verfahren wie alle zwei Jahre. Dafür haben wir ein Trägergesetz in Vorbereitung, das Inflationsausgleichsgesetz, mit dem wir den Entwicklungen beim Tarifverlauf und beim Grundfreibetrag auf der Basis der gegenwärtig gültigen Prognose der Bundesregierung Rechnung tragen. Sie und ich, wir beide, wissen, dass diese Zahlen nur vorläufigen Charakter haben.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Minister, ich darf Sie an Ihre Redezeit erinnern.

Christian Lindner (Minister:in)

Politiker ID: 11004097

Deshalb komme ich zum Schlusspunkt. – In diesem Herbst wird mit Vorlage des Steuerprogressions- und Existenzminimumberichts das Trägergesetz, das Inflationsausgleichsgesetz, entsprechend den Zahlen, die dann geboten sind, aktualisiert. ({0})

Christian Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004286, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie alle haben in den letzten Wochen sicherlich den Bericht des Bundesrechnungshofes zur Lage der Bundesfinanzen für die Haushaltsberatungen 2023 gelesen. Selten hat es so eine fundamentale, aber auch berechtigte Kritik vom Bundesrechnungshof am Bundeshaushalt gegeben: fehlende Transparenz, nur scheinbare Einsparungen, zum Beispiel beim Personal, und bedenkliche Schieflagen zulasten des Bundes. Abschließend – und das ist die Essenz, die wir für unsere Beratungen auf jeden Fall mitnehmen wollten – der flammende Appell des Bundesrechnungshofes, sich jetzt nicht noch in neue Schulden zu flüchten. Das hat der Bundesrechnungshof schon in einem weiteren Bericht zur Tragfähigkeit der Staatsfinanzen gemacht; deshalb, glaube ich, ist das sehr wichtig. Der Bundesrechnungshof kommt dann abschließend zu dem Ergebnis, dass man jetzt klare, wenn auch schmerzhafte Entscheidungen braucht, um wieder auf ein verantwortbares Niveau im Bundeshaushalt zu kommen. Besser hätte ich es selbst nicht sagen können. Sie, Herr Bundesfinanzminister Lindner, können mir an dieser Stelle fast leidtun. Sie müssen immer wieder gute Miene zum bösen Spiel der Ampel machen: geplatzte Flüssiggasdeals, die erste Energiepauschale, bei der man Rentner und Studenten vergisst, der Weiterbetrieb der KKWs wird verzögert und eine völlig missratene Gasumlage. Ein Chaos jagt in dieser Regierung das nächste, und die Lösung ist oftmals die Gießkanne, mit der dann Geld über das ganze Land ausgegossen wird. ({0}) Jetzt gibt es ein neues Entlastungspaket. Darin werden hier und da alte Fehler korrigiert; ich habe darauf hingewiesen. Man nimmt Gott sei Dank einige unserer Vorschläge aus Murnau auf, auch wenn Sie sie eben kritisiert haben. Einen Teil davon haben Sie offensichtlich am nächsten Tag aufgenommen und abgeschrieben. Leider bleibt die Finanzierung für mich etwas unklar. 36 Milliarden Euro, hören wir heute; 10 Milliarden Euro sind noch vollkommen ungedeckt im Bundeshaushalt, und natürlich fehlt auch der Teil, den dann die Länder übernehmen wollen. Sie haben kritisiert, dass wir in der Vergangenheit zur Finanzierung von Entlastungspaketen die Rücklage einsetzen wollten. Das haben wir tatsächlich im Rahmen der Beratungen für den Bundeshaushalt 2022 vorgeschlagen, um – schon zu diesem Zeitpunkt – die kalte Progression zurückzuführen, um den Menschen das Geld wiederzugeben, welches seinerzeit aufgrund der hohen Inflation aus ihren Taschen geflossen ist. Wenn Sie das jetzt kritisieren, dann müssten Sie Ihren eigenen Haushalt anders aufstellen oder hätten Ihrem eigenen Entlastungspaket nicht zustimmen dürfen. Das ist nicht in Ordnung. ({1}) Zum Entlastungspaket. Die Angebotsseite bei der Energie – wir wissen das alle – fehlt vollkommen. Leider ist das vollkommen ausgeblendet worden. Die Sozialversicherung geht weiter in eine Unterfinanzierung. Wir alle wissen, dass sie auf sehr wackligen Beinen steht; hier steht weniger Geld zur Verfügung. Die „Abschöpfung von Zufallsgewinnen“ ist eine tolle neue Kreation für das Wort „Steuererhöhung“. Das müssen Sie sich eingestehen in der Ampel. Am Ende wird das die erste Steuererhöhung sein, die Sie gemeinsam beschließen werden. ({2}) Dieses ziellose Stolpern zieht sich wie ein roter Faden durch die Arbeit der Ampelregierung, und das können wir uns in diesen Zeiten, in denen es so schlecht läuft, eigentlich nicht leisten. Deshalb haben wir als Opposition und werden wir als Opposition Vorschläge machen, um Ihnen zu zeigen, wie es besser gehen würde. Wir verstehen uns tatsächlich – diese Wortkreation kommt ja aus der FDP – als Serviceopposition. Wir machen hier nicht auf Radau, auch wenn es uns manche unterstellen wollen, ({3}) sondern wir werden hier vernünftige Vorschläge machen. Die Situation im Haushalt ist nicht vollkommen neu, aber vor der Coronazeit hatten wir noch Haushaltsüberschüsse, wir haben keine Schulden gemacht, und natürlich war es dann auch möglich, bei der einen oder anderen Sache etwas großzügiger zu sein. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Der Haushalt ist auf Kante genäht, und wir müssen an allen Stellen abwägen, was notwendig ist. Allein schon deshalb ist es richtig, dass die Schuldenbremse überhaupt nicht zur Diskussion steht. Ich frage mich, wie etwas, was im Grundgesetz steht und was wir jederzeit einhalten müssen, andauernd wieder diskutiert wird. ({4}) Der Bundesfinanzminister hat mehrfach in der Vergangenheit darauf hingewiesen. Herr Toncar hat es bei der Einbringung des Haushalts auch noch einmal allen erklärt. Natürlich ist es auch ökonomisch sinnvoll, jetzt die Schuldenbremse einzuhalten. Neue Schulden heißt Anheizen der Inflation. Wir wollen doch, dass unsere Kinder und Enkel noch eigene Entscheidungen treffen können. Deshalb ist es falsch, die Schuldenbremse anzugehen. Während Herr Toncar da sehr klar war, muss ich bei Ihnen, Herr Lindner, jetzt einmal nachfragen. Sie haben gestern gesagt, als Ultima Ratio könnten Sie doch noch einmal über die Schuldenbremse nachdenken – als Ultima Ratio, das haben Sie ausdrücklich gesagt. Ich denke mir: Das ist ja keine politische Entscheidung. Darauf haben Sie auch immer hingewiesen. Was sind denn die Voraussetzungen für das Aussetzen der Schuldenbremse? Es bedarf einer außergewöhnlichen Notsituation, die sich der Kontrolle des Staates entzieht. ({5}) „Außergewöhnliche Notsituation“ ist sicherlich ein Begriff, über den man reden kann. Zur „Kontrolle des Staates“: Das, was Herr Habeck sich in dieser Woche geleistet hat bei seinen Ausführungen zu Wirtschaft und Energie, ist ein Kontrollverlust. Ja, das sehe ich auch so. Das ist aber kein exogener Schock, das ist ein Kontrollverlust unserer Regierung. Das ist schlimm genug, aber kein Grund, jetzt die Schuldenbremse aufzuheben, nur weil Herr Habeck einen Fehler nach dem anderen macht. ({6}) Der letzte Punkt, den ich ansprechen will, ist das Thema Zinsen. Die Zinskosten betragen nächstes Jahr erstmals wieder 30 Milliarden Euro. Das ist das Erbe von Olaf Scholz, und zwar in zweierlei Hinsicht. Er hat zum einen zu viele inflationsindexierte Papiere ausgegeben und zum anderen, anstatt langfristige Anleihen mit niedrigen Zinscoupons auszugeben, die alten hochverzinslichen Anleihen aufgestockt und das Agio immer wieder verbraucht. ({7}) Jetzt haben wir ein Disagio und müssen 30 Milliarden Euro zusätzlich aufbringen. Das ist das Erbe von Olaf Scholz. Er hat die Zinswende verpennt. Trotzdem freue ich mich auf gute Beratungen. ({8})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die SPD-Fraktion hat das Wort Dr. Thorsten Rudolph. ({0})

Dr. Thorsten Rudolph (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005194, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1 Million Euro Schulden – ist das viel? Für die allermeisten Menschen in diesem Land ist das natürlich viel, sie könnten direkt Privatinsolvenz anmelden. Wenn man dagegen der sehr gehobenen Mittelschicht angehört, wie bekanntlich der Oppositionsführer, dann tut 1 Million Euro Schulden zwar weh, aber man kann das zur Not finanzieren und muss keine Privatinsolvenz anmelden. Wenn man Bill Gates ist, dann schaut man kurz, ob nicht irgendwo noch ein Milliönchen in der Schublade liegt. Die absolute Zahl sagt gar nichts, Kolleginnen und Kollegen. Es kommt darauf an, welches Vermögen und welche Einnahmen jemand hat. Was für Privatpersonen gilt, gilt auch für den Staat. Die absolute Zahl sagt gar nichts. Genau deshalb ist die Schuldenquote, also das Verhältnis von Schulden zum Einkommen – genauer: zum Bruttonationaleinkommen –, die entscheidende Zahl. Die Schuldenquote Deutschlands – Sie wissen das – ist durch die Coronakrise deutlich gestiegen; sie beträgt aktuell rund 69 Prozent. Das ist der Hintergrund, vor dem die Ampel im vorliegenden Haushaltsentwurf den Etataufwuchs wegen der Coronakrise konsequent wieder zurückführt und 50 Milliarden Euro weniger ausgibt als noch 2022 und sogar 110 Milliarden Euro weniger als 2021. Dennoch kritisiert die Union – schon beim Haushalt 2022 und jetzt wieder; wir haben es gerade gehört – eine angeblich ausufernde Schuldenpolitik und mahnt Einsparungen an. Ausufernde Schuldenpolitik hört sich an, als würde die Schuldenquote weiter steigen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Gegenteil ist der Fall. Erlauben Sie mir, den Monatsbericht der Bundesbank aus dem Juni mit dem Titel „Perspektiven der deutschen Wirtschaft für die Jahre 2022 bis 2024“ ({0}) zu zitieren: Über den Projektionszeitraum sinkt die Schuldenquote deutlich auf rund 63 Prozent … Hinter dem Rückgang steht vor allem das relativ stark wachsende nominale BIP im Nenner. Trotz der Defizite sinkt dadurch die Quote. Nochmals: Von 2022 bis 2024 sinkt die Schuldenquote mitten in der Krise um 6 Prozent! 6 Prozent, das sind rund 230 Milliarden Euro. ({1}) Einhaltung der Schuldenbremse bei hoher Inflation bedeutet eine riesige relative Entschuldung des Staates, und das in nur drei Jahren. Erzählen Sie also bitte nichts von expansiver Finanzpolitik. Ihr Gerede von einer angeblich ausufernden Schuldenpolitik bezeugt allenfalls eines: eine eklatante ökonomische Ignoranz. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die CDU-Fraktion fordert übrigens gleichzeitig, dass der Staat die Inflationsgewinne zurückgibt und einen vollständigen Inflationsausgleich vornimmt. Man weiß nicht so genau, was Sie damit meinen, aber Kollege Middelberg hat jedenfalls am Dienstag noch kritisiert, dass beim Entlastungspaket lediglich Steuermehreinnahmen zurückgegeben würden. Wenn die CDU/CSU sich selbst und ihre markigen Forderungen tatsächlich ernst nehmen würde und einen vollständigen Inflationsausgleich wollte, bei dem der Staat finanziell am Ende weder besser noch schlechter dasteht, die Schuldenquote also unverändert bleibt, müsste sie sofort einen Antrag auf Abschaffung der Schuldenbremse stellen und ein Entlastungspaket von 230 Milliarden Euro vorschlagen. Aber ich gewöhne mich immer mehr daran, dass die CDU/CSU im Deutschen Bundestag sich selber nicht ernst nimmt. ({3}) Einerseits eine angeblich ausufernde Verschuldung zu kritisieren und zugleich einen vollständigen Inflationsausgleich zu fordern, wie die CDU/CSU das tut, ist in Zeiten einer hohen Inflation der Selbstwiderspruch als politisches Prinzip. Dazu Forderungen nach Atomkraft und Fracking, die heroische Enthaltung beim Mindestlohn, die Beibehaltung von § 219a, schrille Debatten um gendergerechte Sprache: Die Vision der CDU für dieses Land erinnert schwer an die frühen 80er-Jahre. ({4}) Und dann vermisst Herr Merz beim Bundeskanzler Führung, also der Mann, der in seiner eigenen Partei größte Mühe hat, eine kosmetische Mikrofrauenquote durchzusetzen. Mit Verlaub: Da muss ich lachen. ({5}) Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler führt dieses Land mit Ruhe und Besonnenheit durch die Krise. In diesen schwierigen Zeiten, in denen sich viele Sorgen wegen des Krieges und der dramatisch gestiegenen Preise machen, ist unsere Botschaft an alle Bürger/-innen dieses Landes: „You’ll never walk alone.“ Es ist deshalb richtig und notwendig, die Bürger/-innen um 65 Milliarden Euro zu entlasten. Es ist richtig, gerade kleine und mittlere Einkommen zu entlasten. Es ist richtig, das Bürgergeld einzuführen, das Wohngeld auszuweiten und das Kindergeld zu erhöhen. Und es richtig, die Rentner/-innen und Studierenden zu entlasten. ({6}) Ich persönlich muss sagen: In Anbetracht der volkswirtschaftlichen Auswirkungen, die wir von einem Energiepreisschock und von der allgemeinen Inflation zu erwarten haben – wir wissen, wir bekommen im Oktober das Herbstgutachten und die Steuerschätzung –, kann ich auch sehr gut damit leben und halte es für richtig, dass wir die kalte Progression an dieser Stelle zurückführen. Kurz und knapp: Dieses dritte Entlastungspaket ist nicht nur richtig wuchtig, es ist zugleich auch sozial ausgewogen und zielgenau. Unser Land ist zusammen stark, diese Koalition ist zusammen stark, der Kanzler führt, und das ist gut so. Herzlichen Dank. ({7})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort Christian Haase, CDU/CSU-Fraktion.

Christian Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004286, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön, Frau Präsidentin. – Herr Rudolph, ich habe nur eine kurze Anmerkung; Sie müssen nicht darauf antworten. ({0}) Der Kanzler, Sie und jetzt auch andere Kolleginnen und Kollegen der Ampel kommen immer mit dem „You’ll never walk alone“. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, warum dieses Lied überhaupt eine Berühmtheit erreicht hat. Es ist die Hymne eines Fußballklubs, des FC Liverpool. ({1}) Der erste Punkt; dann ist er gemacht. Umso schlimmer ist, wie es verwendet wird. Das Lied hat Bekanntheit erlangt, weil bei einem Fußballspiel 70 Liverpool-Anhänger umgekommen sind und danach dieses Lied in ganz vielen Stadien auf der Welt, auch in den meisten in Deutschland, gesungen wird in Gedenken an den Tod dieser Menschen. Mich stört es einfach, dass man jetzt in der Krise den Eindruck erweckt, das wäre irgendwie miteinander zu vergleichen. ({2}) Ich will nur darum bitten, bei der Wortwahl zukünftig etwas pietätvoller mit den Menschenleben, die dahinterstehen, umzugehen. ({3}) Eine andere Bitte habe ich nicht. Es ist einmal gesagt; das darf man ja auch sagen in so einem Zusammenhang. Ich will nur für die Zukunft bitten, da etwas anders zu agieren. Danke. ({4})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Dr. Rudolph, Sie haben die Möglichkeit, zu antworten.

Dr. Thorsten Rudolph (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005194, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Haase, ich finde es völlig legitim, dass Sie das für sich so empfinden und das so sehen. Wenn Sie mal in einem Fußballstadion waren und das Lied gehört haben, beispielsweise bei der Europameisterschaft, dann wissen Sie vielleicht, welche Bedeutung das Lied heute hat. Ich glaube, der ganz zentrale Punkt an der Stelle ist, dass das, was eben auch der Finanzminister gesagt hat, die Botschaft an die Bürger/-innen dieses Landes ist: Keiner muss in diesem Winter hungern und frieren. Keiner bleibt zurück. ({0}) Und genau das, was damals passiert ist – Heysel, meine ich, 1985 –, - ({1})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Entschuldigung, lassen Sie ihn bitte antworten.

Dr. Thorsten Rudolph (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005194, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– das darf in diesem Winter nicht passieren. Die Lage, so wie sie ist, ist dramatisch. Deshalb ist diese Koalition mit ihrem 65-Milliarden-Euro-Entlastungspaket höchst verantwortungsvoll und gibt den Bürgerinnen und Bürgern ein Signal, sodass sie mit Zuversicht in diesen Winter gehen können und sich nicht wegen dieser Preisschocks Sorgen machen müssen, dass sie ihr Leben, ihre Wohnung, ihr Essen nicht mehr finanzieren können. Ich glaube, in der Hinsicht drückt dieser Claim das aus, was wir tun, und gibt auch genau die Zuversicht, die wir brauchen. Danke. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Wir führen die Debatte fort, und der nächste Redner ist Wolfgang Wiehle, AfD-Fraktion. ({0})

Wolfgang Wiehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004933, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeskanzler hat Ende Februar die Zeitenwende ausgerufen. Inzwischen ahnen viele, was das für dieses Land bedeutet, jenseits aller Schönrednerei: einen rasanten Niedergang von Lebensqualität, Versorgung und Wirtschaftskraft. Der Haushaltsentwurf 2023 steht im Zeichen dieses Niedergangs. Die wahre Neuverschuldung wird durch Buchungstricks verschleiert. So schreibt der Bundesrechnungshof Ihnen, Herr Minister Lindner, und natürlich der ganzen Bundesregierung ins Stammbuch – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –: „Der Haushaltsentwurf wird dem Transparenzgebot nicht gerecht.“ Die erheblichen Ausgaben in Sondervermögen würden nicht deutlich, und es fehle der Ausweis der echten Nettokreditaufnahme. In Zahlen: Die Neuverschuldung beträgt laut BRH mindestens 78,2 Milliarden Euro und nicht 17,2 Milliarden, wie Sie schreiben. Das ist mehr als das Vierfache! Die Schuldenbremse ist damit nur noch formal eingehalten, dem Geiste nach aber rücksichtslos ausgehebelt. ({0}) Wenn die EZB Staatsschulden mit gedrucktem Geld kauft, führt das zur Geldentwertung. Davor warnen wir von der AfD, seit es die Partei gibt. Der Haushaltsentwurf beweist die Entwertung des Euro unfreiwillig auf drastische Weise: Überall, wo Zahlungen in US‑Dollar zu leisten sind, wird mit einem Wechselkurs von 1,13 Euro gerechnet. Aber wir alle wissen, dass der Euro längst unter die Dollarparität gefallen ist. Schattenhaushalte wie der über 100 Milliarden Euro schwere sogenannte Klima- und Transformationsfonds spielen bei der Verschleierung der Haushaltswirklichkeit eine besondere Rolle. Der KTF ist die Spielwiese für Ideologieprojekte und Umverteilung. Im Moment sammeln sich dort auf Kosten der Bürger Gelder aus den schwindelerregenden Strompreisen. Wenn Sie das neue sogenannte Entlastungspaket ohne Nachtragshaushalt für 2022 am Bundestag vorbei organisieren wollen, wird auch dieser Schattenhaushalt eine wichtige Rolle spielen. Transparenz, Herr Lindner, geht anders. ({1}) Wegen des Niedergangs Deutschlands zeigen Vertreter der Regierung gerne mit dem Finger auf andere, insbesondere in Richtung Moskau. Die Wahrheit ist aber, dass der größte Teil der Probleme hausgemacht ist. Ehrliche Politik im Interesse Deutschlands müsste die Ursachen des Niedergangs bekämpfen. Überall greift Ideologie um sich, zum Beispiel bei der Energiewende. Dass die Sanktionspolitik zuallererst Deutschland schadet, pfeifen inzwischen die Spatzen von den Dächern. Sie wollten doch mal gut regieren, also kümmern Sie sich darum! ({2}) Mit Entlastungspaketen die Symptome zu bekämpfen, bringt bestenfalls kurzfristig Erleichterung. Die neuen Haushaltslöcher müssen dann künftige Generationen stopfen. Diesen aber wird das volkswirtschaftliche Einkommen aus vielen Industriezweigen fehlen, die gerade ins Ausland getrieben werden oder in die Insolvenz – für alle, die mit diesem Begriff etwas anzufangen wissen. ({3}) Im Gegensatz zur Gesamtlage statten Sie, Herr Minister, Ihr eigenes Ministerium üppig aus. Beispielsweise steigt der Ansatz für Dienstreisen fast auf das Dreifache und sogar auf mehr als das Siebenfache der Istzahlen von 2021. ({4}) Wir von der AfD-Fraktion freuen uns auf die Haushaltsberatungen in den kommenden Wochen. Ich sage voraus: Einem solchen unausgewogenen, intransparenten und in Wahrheit zu mehr als einem Sechstel aus neuen Schulden finanzierten Haushalt des Niedergangs wird die AfD-Fraktion nicht zustimmen. ({5})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort der Kollege Sven-Christian Kindler. ({0})

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Finanzminister Lindner! Meine Damen und Herren! Heute ist Tag 197 seit dem Beginn des schrecklichen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine. Das ist ein fundamentaler Angriff auf unsere Friedens- und Sicherheitsordnung in Europa, wo Putin statt der Stärke des Rechts auf das Recht des Stärkeren setzt und imperiale Gewalt zur Verschiebung von Grenzen einsetzen will. Zentral für unsere Politik in diesem schweren Herbst, in diesem Winter ist, dass wir als Koalition in Deutschland, aber auch in Europa und international als Gesellschaften und Staaten zusammenhalten und die Angriffe und Spaltungsversuche von Wladimir Putin und dem russischen Regime durch den Energiekrieg, durch Cyberangriffe, durch Propaganda und durch den Kornkrieg, in dem Hunger als Waffe eingesetzt wird, weiter entschieden zurückweisen und das internationale Recht und die Ukraine weiter verteidigen. ({0}) Denn wir werden die Menschen in der Ukraine weiter unterstützen – humanitär, diplomatisch, mit Waffenlieferungen und auch mit zusätzlichen notwendigen Sanktionen. Ich will nicht verhehlen, dass die Lage in diesem Herbst und Winter extrem angespannt und schwierig ist. Das stellt insgesamt auch unsere Politik, auch die Finanzpolitik, vor große Herausforderungen. Aber wir werden uns als Koalition diesen großen Herausforderungen stellen. Wir werden uns nicht wegducken; wir nehmen die Herausforderungen an. ({1}) Wir spielen nicht die notwendige Unterstützung der Ukraine gegen die notwendige Unterstützung der Bevölkerung in Deutschland aus, so wie es heute in der Debatte zum Wirtschaftsetat Sahra Wagenknecht gemacht hat oder so wie es gerade die AfD als fünfte Kolonne Moskaus und des Kremls gemacht hat. Das werden wir nicht zulassen. ({2}) Deswegen hat auch der Koalitionsausschuss – der Finanzminister hat es angesprochen – am Wochenende ein großes Entlastungspaket über 65 Milliarden Euro beschlossen, mit der Wirkung, dass vor allem kleine und mittlere Einkommen in dieser schweren Krise sozial entlastet werden. Wirtschaftsminister Habeck hat heute noch mal ein wichtiges Paket für kleine und mittlere Unternehmen zur Dämpfung der Energiekosten angekündigt. Das ist der richtige Weg. ({3}) Es ist offensichtlich: Der Krieg verschärft viele Probleme, die wir haben. Die Inflation trifft uns vor allem deswegen, weil wir so abhängig sind von fossilem Gas und fossilem Öl. Der Kollege Haase von der Union hat auch die Energiepolitik der Ampel angesprochen. Da will ich nur fragen: Wer hat uns denn so abhängig gemacht von Gas und Öl? Wer hat in den letzten 16 Jahren regiert und jedes einzelne Windrad blockiert? Warum waren denn die Gasspeicher alle leer, als wir die Regierung übernommen haben? Und warum ist insbesondere Bayern unter der CSU in diesem Winter so in der Grütze? Das ist doch Ihre Verantwortung. ({4}) Jetzt sind die Gasspeicher zu 85 Prozent gefüllt. Wir haben vor der Sommerpause das größte Paket von erneuerbaren Energien seit 20 Jahren beschlossen. Der Finanzminister hat es angesprochen: Wir haben einen Klima- und Transformationsfonds auf den Weg gebracht, mit einem Volumen von 200 Milliarden Euro bis 2026. Das ist so zentral, weil wir damit nämlich erneuerbare Energien finanzieren. Wir finanzieren Energieeinsparung und Energieeffizienz, machen uns also unabhängig von Putins Gas. Wir machen uns insgesamt unabhängig von Gas und Öl und von autokratischen Regimen. Und gerade die Union klagt jetzt dagegen. Das zeigt doch, dass Sie in der Opposition nichts verstanden haben und noch immer die Energiewende blockieren wollen. Das werden wir nicht zulassen! ({5}) Man kann gerade in dieser Zeit nicht den Klima- und Transformationsfonds kaputtmachen wollen oder ihn für andere Aufgaben zweckentfremden wollen. Wir sehen, dass die Klimakrise massiv eskaliert durch Waldbrände, durch Überschwemmungen, durch die Dürre, durch die ganze Hitze. Deswegen ist für uns klar: Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir gemeinsam als Koalition prüfen wollen, wie wir dieses Instrument in diesem Jahr noch stärken können. Das werden wir uns genau anschauen. Insbesondere bei der Energieeffizienz müssen wir schauen, was da noch geht, weil das zentral ist für diesen Winter. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen international vor massiven Herausforderungen aufgrund einer der schwersten Hungerkrisen seit Jahrzehnten. Weltweit, nicht nur in der Ukraine, fliehen extrem viele Menschen vor Kriegen, aber auch vor der eskalierenden Klimakrise. Deswegen ist der Bedarf an humanitärer Hilfe, an ziviler Krisenprävention, aber auch an Ernährungssicherheit so groß. Für uns ist auch zentral, dass wir in diesen Haushaltsberatungen darüber sehr ernsthaft diskutieren und an zentralen Stellen nachsteuern. ({7}) Die Klimakrise eskaliert. Wir haben eine Coronapandemie, die noch lange nicht vorbei ist. Ich blicke, ähnlich wie der Finanzminister, aus ökonomischer Sicht auch mit Sorgen auf diesen Herbst; denn wir haben hohe fossilgetriebene Energiepreise. Die EU und die Bundesregierung arbeiten daran, diese nach unten zu drücken, indem wir in ganz kurzer Zeit ein neues Strommarktdesign entwickeln werden und indem wir zusehen, dass wir Zufallsgewinne abschöpfen und so die Unternehmerinnen und Unternehmer sowie die Verbraucherinnen und Verbraucher entlasten können. Gleichzeitig haben wir neben den hohen fossilen Energiepreisen auch einen Nachfrageschock bei vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern, weil sie verunsichert sind, und die Unternehmen können die gestiegenen Kosten nicht einfach weitergeben; denn damit würden sie auf massive Probleme stoßen. Wir haben eine Situation, in der Banken jetzt verschärfte Kreditlinien für Unternehmenskredite verabschieden werden. Der Finanzminister hat es angesprochen: Die EZB erhöht jetzt den Leitzins wegen der hohen Inflation, und das verschärft natürlich die Rezessionstendenzen. Das Institut für Weltwirtschaft geht heute von minus 0,7 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt im nächsten Jahr aus. Deswegen sage ich auch klar: So ein drohendes ökonomisches Szenario braucht eine aktive Haushalts- und Finanzpolitik. Sie braucht einen handlungsfähigen Staat, der die Menschen und Unternehmen in diesen schweren Zeiten nicht im Stich lässt, sondern unterstützt. Wir sagen sehr klar: Wir werden nicht in die Krisen hineinsparen, sondern das Notwendige tun und das Notwendige finanzieren.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die Fraktion Die Linke hat das Wort Christian Görke. ({0})

Christian Görke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005067, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Lindner, mit Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit hat Ihr Haushalt wirklich nichts zu tun. Ich sage es jetzt mal ganz platt: Sie tricksen, wo es nur geht. Und das müssen Sie auch, weil Sie das Unmögliche möglich machen wollen: Sie wollen die Schuldenbremse einhalten, Sie wollen keine Übergewinnsteuer, Sie wollen keine höheren Steuern für Superreiche. Gleichzeitig wollen Sie investieren und die Menschen entlasten. Sehr geehrter Herr Kindler, das ist die Quadratur des Kreises, und das wissen auch SPD und Grüne nur zu genau; denn solange Sie die Superreichen unangetastet lassen und die Schuldenbremse nicht reformieren, werden die Entlastungspäckchen so sein, wie sie sind: ernüchternd und auch teilweise eine Mogelpackung. ({0}) Nehmen wir mal das letzte Päckchen: lauter Sowiesomaßnahmen, die ohnehin gekommen wären, die Sie einfach nur neu etikettiert haben: wie Bürgergeld, Wohngeldreform, Homeofficepauschale und der Ausgleich der kalten Progression. Ich könnte das alles noch fortsetzen. ({1}) Die Zuschüsse, die Sie ausreichen, kommen noch aus den gestiegenen Einnahmen der Mehrwertsteuer, circa 28 Milliarden Euro. Sie geben teilweise doch nur das zurück, was die Menschen an Steuern an der Zapfsäule bzw. an der Supermarktkasse vorher bezahlt haben – also linke Tasche, rechte Tasche. Herr Bundesfinanzminister, Sie sind ja Meister im Verkaufen. Nehmen wir doch mal das Beispiel der kalten Progression. Abgesehen davon, dass Sie in den absoluten Zahlen – und dem ist nicht zu widersprechen – die Gut- und Spitzenverdiener in diesem Land am meisten profitieren lassen bei diesem Gesetzeswerk, lassen Sie sich die Entlastung dann auch noch überwiegend von den Kommunen und den Ländern bezahlen. ({2}) Von den 10 Milliarden Euro Entlastungswirkung – das wissen Sie – zahlt der Bund gerade mal 4 Milliarden Euro. Um mal in dem Bild zu bleiben, das Sie auch immer nehmen: Sie stellen ein ganz großes Menü zusammen, bezahlen die Vorspeise und schmeißen dann dem anderen die Restrechnung auf den Tisch. Deshalb ist auch die Empörung in den Ländern – von Ministerpräsident Woidke bis hin zu Bodo Ramelow und auch bei den CDU-Ministerpräsidenten – recht hoch. Und ich kann die verstehen. ({3}) Meine Damen und Herren, Sie haben angedeutet – und das war bemerkenswert –, die Schuldenbremse als Ultima Ratio hier erneut auszusetzen. Aber wir steuern doch gerade darauf zu. Die Firmen kippen schon nach und nach: heute der Autozulieferer Schneider, dann Görtz, Hakle und bald viele Kleinbetriebe und andere Unternehmen. Aber auf was warten wir dann? Wir brauchen zusätzliche Spielräume und endlich auch einen Gaspreisdeckel, den wir durchsetzen müssen; ({4}) denn die Preisentwicklung beim Gas ist noch viel dramatischer als beim Strom. Andere Länder haben das vorgemacht. Also, machen Sie was, und ändern Sie Ihre produktive Spannung, die Sie den ganzen Sommer über an den Tag gelegt haben! Machen Sie nicht schon wieder den nächsten Stuhlkreis! Insofern hoffe ich, dass wir hier im Gesetzeswerk bei den Haushaltsberatungen noch zahlreiche Änderungen vornehmen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die FDP-Fraktion erteile ich das Wort Christoph Meyer. ({0})

Christoph Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004820, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir werden bis zum November diesen Regierungsentwurf beraten. Die Debatte heute hat auch gezeigt, dass wir trotz des massiven Investitionsstaus der letzten Jahre, trotz der Krisen, mit denen wir uns beschäftigen, wieder zur Einhaltung der Schuldenbremse und zurück zur finanzpolitischen Normalität kommen können. Herr Haase, Ihr Bekenntnis zur Schuldenbremse heute ehrt Sie. Das ist vielleicht auch eine Rückkehr zur Normalität. Wenn man sich Herrn Söder und Herrn Braun aus den letzten Jahren vergegenwärtigt, ist das nicht selbstverständlich bei der Union, und deswegen hoffe ich, dass Sie sich hier in Ihren Reihen durchsetzen können. ({0}) Wir ermöglichen mit dem dritten Entlastungspaket in der Tat eine zielgenaue Unterstützung. Ich bin Christian Lindner sehr dankbar, dass er das Thema „Abbau der kalten Progression“ richtig eingeordnet hat: dass es eigentlich darum geht, im Vorfeld von weiteren Entlastungsmaßnahmen als ein Gebot der Gerechtigkeit den Menschen nicht noch mehr Geld aus der Tasche zu nehmen und durch den Abbau der kalten Progression hier so etwas wie Steuergerechtigkeit herzustellen. Ich finde es schade, Herr Haase, dass Sie die Initiative, den Vorschlag von Christian Lindner, dass wir zu einer automatischen Anpassung kommen sollten, was nach meiner Erinnerung auch in Ihrem Wahlprogramm steht, nicht aufgegriffen haben. Sie hätten sich vielleicht in die Argumentation einreihen können. ({1}) Wenn wir über die Schuldenbremse reden, dann sollten wir so ehrlich sein, dass wir nicht nur über 2023 reden müssen, sondern auch über 2024 und 2025. Hier werden die wahren Bewährungsproben für uns kommen, weil wir dann die Rücklagen sicherlich nicht mehr in dem Maße angreifen können. Ich glaube, dass wir zum Thema Haushaltswahrheit auch sagen müssen, dass die nächsten Jahre finanzpolitisch herausfordernd werden. Deswegen ist es gut, dass Christian Lindner immer wieder Wert darauf legt, dass es ein Gebot der Verfassung ist – das gilt für uns alle – und dass es zum Dämpfen der Inflation – die Inflationserwartungen wurden ja gerade von der EZB noch mal nach oben angepasst – eine zentrale Aufgabe dieser Regierung sein wird. Wir müssen die Staatsfinanzen zukunftssicher machen. Auch da, wenn wir uns das letzte Jahr vergegenwärtigen, war der eine oder andere politische Akteur durchaus dabei, dreistellige Milliardenbeträge über Kreditprogramme aufnehmen zu wollen. Ich bin froh, dass das sich jetzt so nicht mehr materialisiert, sondern dass wir jetzt darum ringen, dass die Schuldenbremse eingehalten wird, und – auch das hat Christian Lindner formuliert – dass wir uns am Ende darüber im Klaren sein müssen, dass nur privatwirtschaftliche Investitionen hier der Hebel für die Zukunftsfähigkeit des Landes sind. Auch daran müssen wir arbeiten. Die Debatte, die hier und auch am Dienstag bereits geführt wurde und die auch mein Vorredner schon wieder versucht hat aufzubringen, ist ja auch interessant. Wir haben in den letzten 10 bis 15 Jahren so eine Art Raub- und Beutegemeinschaft der Länder gesehen. Wir als Bund haben jede Bundesratszustimmung, die irgendwo nötig war, mit viel Geld erkauft. Wir müssen einfach feststellen, dass die Leistungsfähigkeit des Bundes an vielen Stellen hier erschöpft ist. Deswegen sind gerade die Union – auch das gehört dazu – und gerade die Grünen mit ihren Regierungsbeteiligungen in den Ländern in der Verantwortung, Sorge zu tragen, dass die Bundesländer sich hier ihrer staatspolitischen Verantwortung bewusst werden. Wir haben die Coronahilfen zu über 80 Prozent durch den Bund finanziert. Wir haben im ersten Halbjahr eine deutliche Schieflage bei den Finanzen zwischen Bund, Ländern und Kommunen, und wir haben rund 55 Milliarden Euro Ausgaben, die der Bund für die Länder übernimmt. Die Debatte werden wir in den nächsten Monaten führen müssen. Wir reden über den Einzelplan 08. Es ist heute noch nicht erwähnt worden; deswegen, denke ich, ist der Aufschlag, den Christian Lindner mit dem neuen Bundesfinanzkriminalamt in den letzten Wochen gemacht hat, ebenfalls hier zu erwähnen, auch wenn es sich in den Haushaltsberatungen 2023 so noch nicht materialisieren wird. Das zeigt, dass wir auch hier die Versäumnisse der Vorgängerregierung angehen. Ich hoffe, dass sich die Bundesländer auch hier ihrer Verantwortung bewusst sind und dazu einen Beitrag leisten, dass wir auf einen guten Weg kommen, was die Bekämpfung von Schwarzarbeit angeht. ({2}) Ich könnte jetzt noch ein paar Sachen zur Union sagen. Zum Beispiel: Wer hat denn die inflationsindizierten Anleihen seinerzeit eingeführt? Das war doch Bundesfinanzminister Schäuble. Auf der einen Seite loben Sie sich für die schwarze Null in den Vorjahren, auf der anderen Seite sagen Sie einen Satz später, dass dieses Instrument quasi ein Taschenspielertrick der Vorgängerregierung war. Sie sagen jetzt, dass das Abschmelzen der Asylrücklage im Jahr 2022 bei den Haushaltsberatungen in Ordnung war.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Meyer.

Christoph Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004820, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Am Dienstag kritisieren Sie es frontal. Und so könnten wir alle einzelnen Punkte angreifen. Ich bin gespannt, Herr Haase, welche Maßnahmen zum Konsolidierungsbeitrag Sie im Sinne des Rechnungshofes in die Haushaltsberatungen einführen.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Und Ihr letzter Satz bitte.

Christoph Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004820, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das können wir dann diskutieren. Ich freue mich auf die Beratungen. Danke. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort Yannick Bury. ({0})

Yannick Bury (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Meyer, gestatten Sie mir eine Bemerkung zu Beginn, um das in der Debatte vielleicht noch mal klarzustellen: Die Beseitigung der kalten Progression wird an der Union ganz sicher nicht scheitern. Was mich vorhin dagegen überrascht hat, war, dass, als Ihr Finanzminister das verkündet hat, außer der FDP-Fraktion nicht einer von der Ampelkoalition geklatscht hat. ({0}) Lassen Sie uns gerne den Lackmustest machen und im Rahmen der Haushaltsberatungen das Thema „kalte Progression“ mit dem gemeinsamen Maßgabebeschluss unterlegen. Wir sind dazu bereit. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist – das ist mehrfach in der Debatte angesprochen worden – selten so sehr auf eine kluge Finanzpolitik angekommen wie in der aktuellen Situation. Die Menschen, die Familien in unserem Land fragen sich, wie sie finanziell über den Herbst, über den Winter kommen sollen. Die Unternehmen, der volkswirtschaftliche Kern von der Industrie bis in den Mittelstand, fragen sich, ob sie denn den Winter ökonomisch überleben werden. In dieser Situation kommt es auf eine kluge Finanzpolitik an. Herr Minister, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das vorhin auch so deutlich betont haben, dass wir mit Fiskalpolitik und fiskalischen Impulsen die Inflation nicht noch weiter anheizen. Ich will aber auch dazusagen: Es wird eine Bewährungsprobe für Sie als Minister werden, nachdem Ihr Start als Finanzminister von Rekordschulden geprägt war, jetzt die Kurve zu kriegen, zu soliden Haushalten zu kommen und sich, wenn ich mir die Reden anschaue, auch Ihrer Ampelpartner, innerhalb Ihrer Koalition durchzusetzen. Ich bin in der Hinsicht gespannt auf die Haushaltsberatungen. ({2}) Herr Minister, das gilt nicht nur national, das gilt auch auf europäischer Ebene. Denn neben der Debatte um den Bundeshaushalt werden wir in den kommenden Wochen und Monaten die Reform des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts, die Reform des europäischen Fiskalrahmens diskutieren. Ja, der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt ist reformbedürftig, aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht deswegen, weil die Regeln angeblich zu streng wären, sondern weil sie zu kompliziert sind, weil sie zu viele Ausnahmen zulassen und damit schlicht nicht durchsetzbar sind. Auch deswegen, Herr Minister, bin ich froh und ist es gut und wichtig – es kam deutlich zu spät, aber es kam –, dass Sie sich mit Vorschlägen in diese Debatte eingebracht haben. Was aber dann nicht zusammenpasst, ist, dass Sie sich auf der einen Seite in der deutschen Diskussion dafür feiern lassen, dass Sie die Schuldenbremse richtigerweise wieder einhalten wollen, aber gleichzeitig vorschlagen, die europäischen Schuldenregeln weichzuwaschen, die europäischen Schuldenregeln auszuhöhlen. Und das tun Sie. ({3}) Das beinhaltet Ihr Vorschlag, wenn man sich den mal genau anschaut. Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen. Das eine Beispiel ist, dass Sie den verbindlichen Schuldenabbaupfad, also die Verpflichtung, die Verschuldung, wenn sie die Regelgrenzen übersteigt, zurückführen, de facto außer Kraft setzen wollen. Notwendig wäre es, den Abbaupfad realistisch zu gestalten, ihn zu reformieren. ({4}) Das ist der Schlüssel, nicht die faktische Außerkraftsetzung. Die steht aber in Ihrem Papier drin. Der zweite Punkt, den ich auch herausgreifen will, ist, dass Sie die Ausnahmeklauseln noch weiter ausweiten wollen, damit den Stabipakt noch komplizierter, noch weniger durchsetzbar machen wollen, als er momentan ohnehin schon ist. Ihre Vorschläge verwässern die europäischen Schuldenregeln und machen sie noch weniger durchsetzbar. Dieser Widerspruch, Herr Minister, weckt erneut Zweifel daran, wie ernst Sie es mit solider Finanzpolitik wieder meinen oder – andersherum formuliert – ob am Ende der liebe Koalitionsfrieden in der Ampelkoalition nicht vielleicht wichtiger ist als die Prinzipien, die Sie finanzpolitisch gerne und richtigerweise ins Schaufenster stellen. Herr Minister, es geht in den kommenden Wochen und Monaten um mehr und um Wichtigeres als um Ihren Koalitionsfrieden. Es geht darum, Finanzpolitik national und europäisch so aufzustellen, dass wir die Inflation bremsen. Genau daran werden wir Sie messen. Vielen Dank. ({5})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der letzte Redner zu diesem Einzelplan ist Carlos Kasper, SPD-Fraktion. ({0})

Carlos Kasper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005097, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sprudelnde Steuereinnahmen, eine florierende Wirtschaft und Wachstum sind spätestens seit diesem Jahr keine Selbstverständlichkeit mehr. Das zwingt uns jedoch, genauer auf die von uns finanzierten Projekte zu schauen und gegebenenfalls den Rotstift anzusetzen. Gerade deswegen lohnt es sich aber auch, noch mal auf die Einnahmenseite zu schauen und gegebenenfalls die Einnahmen zu erhöhen. Um das zu schaffen, gibt es mehrere Möglichkeiten. Man kann erstens Steuern erhöhen und zweitens auch die Schuldenbremse nicht mehr einhalten. ({0}) Es gibt aber auch eine dritte Möglichkeit, nämlich, dass wir noch stärker gegen Steuerbetrug und Geldwäsche vorgehen. ({1}) Da haben wir großen Nachholbedarf. Das hat uns nicht erst der kürzlich erschienene FATF-Bericht, sondern auch die Umsetzung der Sanktionen nochmals vor Augen geführt. Jedes Jahr werden laut Schätzungen in Deutschland über 100 Milliarden Euro gewaschen, hinterzogen und nicht ordnungsgemäß abgeführt. Davon ist jeder Euro schmutziges Geld einer zu viel. ({2}) Dieses Geld stammt aus kriminellen Quellen, Steuerbetrug, Schwarzarbeit, Drogen- und Menschenhandel und häufig auch – das kommt leider zu wenig zur Sprache – Umweltkriminalität. Das schwächt unsere Demokratie; denn das Vertrauen in Prozesse schwindet. Es schadet dem sozialen Frieden; denn die Sozialkassen werden leerer. Und letztendlich führt es eben auch dazu, dass wir unsere Projekte nicht mehr finanzieren können. Dagegen müssen wir stärker vorgehen. ({3}) Dazu brauchen wir effektive Finanzermittlungen. Wir müssen wissen, wo das Vermögen herkommt, wo es hinfließt, wer es kontrolliert und vor allem wer davon profitiert. Ich bin deswegen froh, dass unser Bundesfinanzminister nun einen Vorschlag gemacht hat, wie der Kampf gegen schmutziges Geld besser organisiert werden kann. Das war ein guter erster Aufschlag, aber wir müssen aufpassen, dass Vorschläge nicht nur gemacht werden, um von internationalen Berichten abzulenken. Wir dürfen Vorschläge nicht nur machen, um sie ins Schaufenster zu stellen. ({4}) Vorschläge sind nur dann gut, wenn sie durchdacht sind und vor allem auch mit verschiedenen Akteurinnen und Akteuren abgestimmt. ({5}) Was aber auf jeden Fall klar ist: Wir brauchen eine bundesweite Einheit, die nicht nur gezielte Finanzermittlungen bei verdächtigem Vermögen durchführt, sondern auch internationale Sanktionen durchsetzt. Sie kann eben nur dann arbeiten, wenn die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen wurden und passende Instrumente vorliegen. Vor allem brauchen wir das Instrument einer Suspicious Wealth Order, also die Möglichkeit, verdächtiges Vermögen schon dann einzufrieren, wenn bereits gewisse Risikomerkmale vorliegen, und nicht erst, wenn eine Straftat vorliegt. ({6}) Dafür muss aber auch das Transparenzregister dringend besser gemacht werden. Die Daten müssen vollständig sein, und ihre Richtigkeit muss immer wieder überprüft werden. Denn nicht zuletzt kann durch fehlende Angaben im Transparenzregister verschleiert werden, wer die Kontrolle über bestimmte Firmen und damit zum Beispiel auch über Immobilien hat. Nicht nur, dass viele Firmen ihre Pflicht zur Eintragung eines wirtschaftlich Berechtigten nicht erfüllt haben; häufig finden wir auch verschachtelte Firmenkonstrukte vor, deren Spuren sich in Steueroasen verlieren. Aber allein ein Transparenzregister reicht nicht aus. Um Klarheit darüber zu erhalten, wem Immobilien gehören, brauchen wir ein zentral abrufbares und digitales Grundbuch. Und da erwarte ich, dass die Länder ihrer Verantwortung ebenfalls gerecht werden. ({7}) Ich bin gelernter Rechtspfleger. Ich weiß also, wie Grundbücher geführt werden. Als ich 2014 mein Studium begann, hatten wir bereits die Diskussion um ein bundesweit digitales und vernetztes Grundbuch. Acht Jahre später sind wir anscheinend immer noch nicht viel weiter, ({8}) und ein vollständig digitales Immobilienregister wird wohl erst in ein paar Jahren möglich sein. Deswegen will ich den Ländern sagen: Macht es besser, macht es schneller, und werdet euch eurer Verantwortung bei der Geldwäschebekämpfung bewusst! ({9}) Ihr habt nicht nur Nachholbedarf beim Immobilienregister, sondern auch bei der Kontrolle im Nichtfinanzsektor. Weil bereits dort die Kontrollen mangelhaft sind, kommen jährlich 30 Milliarden Euro gewaschenes Geld in den Kreislauf. Aber auch als Bund haben wir Verantwortung, und dieser Verantwortung kommen wir mit diesem Bundeshaushaltsplan nach. Im Einzelplan 08 führen wir die Stärkung des Zolls fort, die in den vergangenen Jahren unter Finanzminister Scholz begonnen hat. Denn die Erwartungen an den Zoll sind immer weiter gewachsen. Das betrifft vor allem die polizeilichen Aufgaben wie die Bekämpfung von Schwarzarbeit, von Schmuggel oder eben auch den Kampf gegen Produktpiraterie. Umso wichtiger ist es, dass wir im Haushaltsplan nochmals einen Stellenaufwuchs beim Zoll vorsehen. Wir investieren aber auch weiter in die Dienstsitze der Hauptzollämter. Wir kümmern uns um die Beschäftigten des Zolls, damit sie für uns die Steuern einnehmen, Waren abfertigen und die Einnahmen der Sozialkassen sichern. Denn nur so gewährleisten wir, dass der Zoll auch weiterhin über die Hälfte der Steuern des Bundes einnehmen kann.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Carlos Kasper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005097, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Jeder in den Zoll investierte Euro lohnt sich; denn er kommt um ein Vielfaches zurück. Vielen Dank. ({0})

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! „Einigkeit und Recht und Freiheit“ – nicht zum ersten Mal zitiere ich hier unsere Hymne. Denn das alte „Lied der Deutschen“ beschreibt noch immer Werte, die auch für die moderne liberale Demokratie unersetzlich sind. Und diese Werte sind einer schlimmen Kraftprobe ausgesetzt. Putin hat ihnen in der Ukraine militärisch den Kampf angesagt. Seit dieser Woche wissen wir, dass Putin der Einigkeit, dem Recht und der Freiheit Deutschlands den wirtschaftlichen Kampf angesagt hat; denn Putins Regierung hat nun auch offiziell die Energielieferungen zum politischen Kampfinstrument erklärt. Die Bundesregierung ist sich bewusst, dass diese Kampfansage mit schweren Belastungen für viele Menschen und Betriebe in unserem Lande verbunden ist. Wir werden nicht jede dieser Belastungen ausgleichen können. Aber die Tatsache, dass wir mit den drei Entlastungspaketen mittlerweile fast 100 Milliarden Euro mobilisiert haben, um zu helfen, zeigt, dass uns die soziale Einheit unseres Landes viel wert ist, meine Damen und Herren. ({0}) Recht und Freiheit sind die Hauptaufgaben meines Hauses. Viele Beobachter konnten erkennen, dass wir hier bereits große Anstrengungen unternommen haben. ({1}) Der Staatsrechtler Oliver Lepsius erklärte jüngst in der Tageszeitung „Die Welt“, dass etwa die Coronapolitik mit dem Regierungswechsel deutlich transparenter, verhältnismäßiger und stärker an den Grundrechten orientiert erfolge. ({2}) Das ist ein Fortschritt bei Recht und Freiheit, meine Damen und Herren. ({3}) Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb vor einigen Wochen über die vielen Initiativen im Bereich der Familien-, Gesellschafts- oder auch Strafrechtspolitik, dass man in der Rechtspolitik den – Zitat – „gesellschaftspolitischen Sound“ der neuen Regierung deutlich mitpräge. Ich glaube, das ist ein Fortschritt bei Recht und Freiheit, meine Damen und Herren. ({4}) Und: Als erstes Haus hat das Bundesministerium der Justiz einen Gesetzentwurf zur Planungsbeschleunigung vorgelegt. Mit einer Reform der Verwaltungsgerichtsordnung leisten wir unseren Beitrag dazu, dass es jetzt mit den wichtigen Großprojekten bei den Verwaltungsgerichten schneller vorangeht. Das ist ein Fortschritt im Recht und angesichts der Bedeutung einer neuen Energieinfrastruktur, die uns unabhängig von Putin macht, auch ein Beitrag zur Freiheit, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({5}) Wir erledigen diese Aufgaben sehr kostengünstig; denn für diesen Entwurf des Einzelplans meines Hauses gilt: Wir geben weniger als 1 Milliarde Euro aus, und wir erwirtschaften fast 70 Prozent davon durch eigene Einnahmen. Das ist ein Kosten-Nutzen-Verhältnis, das sich, glaube ich, sehen lassen kann, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({6}) Die Summe der Ausgaben ist klein, die Sorgfalt im Umgang mit dem Steuerzahlergeld ist gleichwohl groß. Das hat uns übrigens der Bundesrechnungshof bestätigt. In diesem Jahr gab es zum Entwurf des Einzelplans 07 keine einzige Beanstandung. Auch das ist eine gute Nachricht, meine Damen und Herren. ({7}) Trotzdem haben wir gestalterische und politische Schwerpunkte gesetzt, die sich auch in diesem Entwurf niederschlagen: Die Finanzierung der Überwachungsgesamtrechnung ist geregelt. Die Stiftung Datenschutz hat wieder eine Perspektive, um besser arbeiten zu können. Und auch die weitere Digitalisierung der Justiz ist sichergestellt. Wir entwickeln gemeinsam mit den Ländern und den Bundesgerichten ein bundeseinheitliches System für Videoverhandlungen. Wir haben begonnen, ein zivilgerichtliches Onlineverfahren zu entwickeln. Und wir arbeiten an einer digitalen Rechtsantragsstelle für die digitale Erfassung von Anliegen und Anträgen bei Gerichten. Auch für die Justiz gilt also: Wir wollen mehr Fortschritt wagen. ({8}) Ansonsten werden wir rechtspolitisch auch nicht müde. Wir werden bald endlich – und das sage ich aus gegebenem Anlass an dieser Stelle – die anlasslose Vorratsdatenspeicherung beenden. Endlich, meine Damen und Herren! ({9}) Und wir werden in der Gesellschaftspolitik, im Strafrecht, Stichwort „Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe“, im Namensrecht und vor allem im Familienrecht auch in den kommenden Monaten daran arbeiten, das Recht endlich auf die Höhe der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu bringen. ({10}) Das stärkt im Übrigen auch die Justiz der Länder; denn die Länder werden allein durch die Reform der Ersatzfreiheitsstrafe voraussichtlich über 60 Millionen Euro im Jahr sparen. Auf den Zeitraum einer Legislaturperiode gerechnet ist das übrigens mehr, als der alte Pakt für den Rechtsstaat bewegt hat. ({11}) Und es ist vor allen Dingen keine Anschubfinanzierung, sondern eine Entlastung, die für immer bleibt. ({12}) Ich gehe natürlich davon aus, dass jeder gesparte Euro im System der Justiz verbleibt. Und – um auch dieses Thema hier zu erwähnen –: Natürlich bleibt meine Hand weiter ausgestreckt, um mit den Ländern über die Ausgestaltung einer weiteren Förderung der Landesjustiz aus Mitteln des Bundes zu sprechen. Das tun wir auf Arbeitsebene übrigens schon seit März dieses Jahres. Und egal worauf wir uns einigen, eines ist mir dabei wichtig: Das Geld muss zusätzlich investiert werden, es muss in der Justiz bleiben, und es muss dazu beitragen, dass wir eine modernere digitale Justiz bekommen, meine Damen und Herren. ({13}) Ich komme zum Schluss. „Einigkeit und Recht und Freiheit“: Das ist unser Leitstern in dunkler Zeit, dem fühlen wir uns verpflichtet, und dem dient dieser Haushaltsentwurf. Ich freue mich auf konstruktive Beratungen darüber. ({14})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Die nächste Rednerin: Andrea Lindholz, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt des Bundesjustizministeriums: Es ist der kleinste Einzelplan; aber er ist nicht minder wichtig. Denn das Justizministerium ist auch der Garant für den Schutz unseres Rechtsstaates und unserer Grundrechte. Die Gesamtausgaben für 2023 sind angesetzt mit circa 954 Millionen Euro, und das sind 15,4 Millionen Euro oder 1,6 Prozent mehr als in diesem Jahr. Ein besonderer Einsatz des Justizministers für diesen Haushalt lässt sich allerdings mit den Zahlen nicht verbinden. Sie haben zwar unsere Kritik an der Personalausstattung des Generalbundesanwaltes aufgegriffen und haben die Mittelkürzung aus 2022 für 2023 wieder rückgängig gemacht. Aber in Ihrem Haushalt fehlen die Mittel für einen Digitalpakt; es fehlen die Mittel für die Fortsetzung des Paktes für den Rechtsstaat, ({0}) und die Inflation, die im nächsten Jahr mit 8 Prozent zuschlägt, ist im Haushalt nicht berücksichtigt. ({1}) Das heißt, der Etat sinkt in allen Ansätzen faktisch, und das ist gerade in diesen Zeiten ein Fehler. Das gilt im Übrigen auch für die Stiftungen, die unterstützt werden, ebenso wie für die Tatsache, dass auch beim Personal mögliche Erhöhungen nicht berücksichtigt sind. Sie haben sich für das Gesetz zur Planungsbeschleunigung gelobt. Ja, das ist gut, dass Sie hier ein Beschleunigungsgesetz auf den Weg gebracht haben. ({2}) Aber wo Sie keinen Schritt vorangekommen sind und was nicht minder wichtig ist, ist der Pakt für den Rechtsstaat und der Digitalpakt. Die FDP, lieber Herr Kollege Buschmann, bezeichnet sich ja gerne als Digitalpartei. ({3}) Aber leider haben Sie hier in diesem Bereich in der Zeit, in der Sie diesem Ministerium vorstehen, mit den Ländern keine einzige Lösung und keinen einzigen Fortschritt herbeigeführt. Es reicht nicht aus, sich mit den Ländern nur auszutauschen. ({4}) Sie befinden sich mit den Ländern und allen Fraktionen in einer Dauerauseinandersetzung. Deshalb steht nächste Woche auch der nächste Krisengipfel an. Beim Thema Digitalisierung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, lieber Herr Buschmann, kann man hier wahrlich nicht von einem Fortschritt sprechen. ({5}) Sie haben es nicht geschafft, ein Digitalministerium in dieser Ampel durchzusetzen, und Sie haben bis jetzt nicht mehr geschafft, als Ende August ein Eckpunktepapier zur Digitalisierung vorzulegen, das erst mal nichts anderes enthält als Zuständigkeitsbeschreibungen. Die FDP, liebe Kolleginnen und Kollegen, bezeichnet sich auch immer gerne als „Rechtsstaatspartei“. Der Rechtsstaat existiert aber nicht einfach so. Die Bürgerinnen und Bürger, die Länder, sie müssen darauf vertrauen können, dass er funktioniert ({6}) und dass gemachte Zusagen eingehalten werden. Gemachte Zusagen müssen eingehalten werden! Um diese Rechte durchsetzen zu können, braucht man genügend Personal. Die Länder fordern daher auch zu Recht, dass der in der letzten Legislaturperiode vereinbarte und erfolgreiche Pakt für den Rechtsstaat als Pakt für den Rechtsstaat 2.0 auch, wie versprochen, weitergeführt wird. ({7}) Es muss in Deutschland im Schnitt immer noch ein dringend Tatverdächtiger pro Woche aus der Untersuchungshaft entlassen werden, weil die Gerichte überlastet sind und die Strafverfahren zu lange dauern. Das darf nicht sein! Wir haben das in der letzten Legislaturperiode angepackt, gemeinsam mit den Ländern. Sie haben im Koalitionsvertrag versprochen, es fortzusetzen; aber Sie halten Ihre Versprechen schlicht und ergreifend nicht ein. ({8}) Den digitalen Rechtsstaat, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es nicht zum Nulltarif. Deswegen fordern wir Sie auch auf, mit den Ländern gemeinsam den Pakt für den Rechtsstaat als Pakt für den Rechtsstaat 2.0 fortzusetzen und einen Digitalpakt für die Justiz abzuschließen. ({9}) Sie haben ja nächste Woche beim Krisengipfel mit den Ländern die Chance dazu. Es ist aber nicht nur erforderlich, dass ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen; wichtig sind auch richtige thematische Schwerpunktsetzungen mit vor allen Dingen den richtigen Prioritäten. Hier setzen Sie oft auf die falschen Prioritäten. Das möchte ich Ihnen an einem Punkt ganz gerne erläutern. Sie haben mit wirklich großem Tamtam hier im Haus im Frühjahr als erstes großes Projekt das Verbot der Werbung für Schwangerschaftsabbrüche, den § 219a StGB, abgeschafft. ({10}) Sie haben sich dafür auf die Schulter geklopft. ({11}) Besser wäre es aber gewesen, Sie hätten einen Vorschlag zur Speicherung von IP‑Adressen vorgelegt, um die fast 14 Millionen Kinder und Jugendlichen in Deutschland besser vor sexueller Gewalt und Kinderpornografie zu schützen. ({12}) – Allein schon an Ihren Zwischenrufen lässt sich erkennen, wie wenig wichtig Ihnen dieses Thema ist – leider! ({13}) IP‑Adressen sind nämlich oft der einzige Hinweis auf die Täter. Das wird Ihnen jeder Ermittler bestätigen. Der EuGH hat die Speicherung schon im Oktober 2020 für zulässig erklärt. Und, liebe SPD, Ihre Innenministerin hat es mittlerweile auch verstanden, und sie ist auch dafür. Was den Betroffenen aber nichts nützt, ist die Uneinigkeit der Ampel, die Uneinigkeit zwischen Herrn Buschmann und Frau Faeser. Deshalb: Herr Buschmann, verabschieden Sie sich endlich von Ihren Placebolösungen wie Quick Freeze, und handeln Sie endlich im Interesse der Kinder! ({14}) Auch beim Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung zur Verhinderung und Bekämpfung von sexuellem Kindesmissbrauch lassen Sie wahrlich jedes positive Engagement vermissen. Man muss nicht mit allem einverstanden sein, was die Kommission so vorschlägt; aber dass man von Ihnen wieder nur Skepsis und Ablehnung vernimmt, reiht sich in Ihre bisherige Politik ein. Natürlich dürfen digitale Bürgerrechte keine Rechte zweiter Klasse sein. ({15}) Aber es reicht nun mal für einen Justizminister nicht aus, hier allgemein Bedenken zu äußern. Es geht darum, sich aktiv Gedanken zu machen und Lösungen zu finden, wie man Kinderpornografie in sozialen Netzwerken und auf Plattformen besser bekämpft, wie man mit klaren Rechtsgrundlagen, mit verbindlichen Meldewegen und einem neuen EU-Zentrum Prävention und Strafverfolgung zum Beispiel bei bereits bekannten kinderpornografischen Bildern ermöglicht. Ich sage Ihnen in diesem Haus eins: Die Schwächsten in unserer Gesellschaft, unsere Kinder, vor diesen widerlichen Verbrechen zu schützen, auch und gerade im digitalen Bereich, das muss unsere Aufgabe sein. Das muss uns eine vordringliche Aufgabe sein. ({16}) Gestatten Sie mir zu guter Letzt auch noch eine abschließende Bemerkung zu den heute beschlossenen Änderungen des Infektionsschutzgesetzes. ({17}) Sie haben sich ja immer so für Ihre fortschrittliche Politik gerühmt, gerade auch im Digitalbereich. Die Chance, an einer fortschrittlichen Pandemiepolitik mitzuarbeiten und wirklich Weichen zu stellen, haben Sie in den letzten Monaten aber verpasst. Statt sich pausenlos öffentlich mit dem Gesundheitsminister zu streiten, hätten Sie besser das von uns geforderte Impfregister auf den Weg gebracht. ({18}) Das würde uns nämlich heute und in Zukunft ermöglichen, die Pandemie besser zu managen, das würde uns ermöglichen, unsere Bürger besser zu schützen, und das würde uns auch ermöglichen, die Grundrechte besser zu schützen. ({19}) Lieber Herr Buschmann, es ist jetzt knapp ein Jahr her, ein Viertel der Legislaturperiode ist vorbei. Ich sage Ihnen: Wenn Sie wirklich etwas für den Rechtsstaat in unserem Land tun wollen, dann fangen Sie endlich an, richtig zu handeln, und bessern Sie vor allen Dingen noch beim Haushalt nach! Vielen Dank. ({20})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion ist Esther Dilcher. ({0})

Esther Dilcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister Dr. Buschmann! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Diese Haushaltsberatungen stehen mehr denn je im Zeichen des Sparens, der Einhaltung der Schuldenbremse und des Ringens um Maßnahmen und Projekte, die gerade in einer Zeit mit diversen Herausforderungen, die parallel auftreten – Coronapandemie, Ukrainekrieg, Lieferengpässe, Inflation, steigende Energie- und Lebenshaltungskosten –, von herausragender Bedeutung für die Menschen in unserem Land sind. Theodor Fontane wird das Zitat zugeschrieben: Eine richtige Sparsamkeit vergißt nie, dass nicht immer gespart werden kann. Wer immer sparen will, der ist verloren, auch moralisch. ({0}) Für uns Sozialdemokraten gilt die Erkenntnis, dass Investieren in der Krise uns vor hohen Folgekosten bewahrt, die dadurch entstünden, wenn wir jetzt in der Krise nichts täten, nur um keine neuen Schulden zu machen. Ja, wir sind bereit, zu sparen – aber bitte nicht kaputtsparen, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({1}) Deshalb müssen wir alle Möglichkeiten in diesem Haushalt ausschöpfen, um das Geld, was zur Verfügung steht, zielgerichtet dort einzusetzen, wo es jetzt am dringendsten gebraucht wird. Für den Einzelplan 07 – Justiz – haben wir am Montag bereits unser Berichterstattergespräch durchgeführt. Danke an den Hauptberichterstatter und das Ministerium für die Organisation, die Durchführung und insbesondere für die Beantwortung unserer Fragen und die Erläuterungen zu den Haushaltstiteln! Im Justizhaushalt – Frau Lindholz, Sie haben es gerade gesagt – sind 953 Millionen Euro – Sie sagten: 954 Millionen Euro; es ist ein Quetschbetrag dazwischen – eingestellt. Insgesamt verzeichnet dieser Einzelplan einen geringen Aufwuchs, der zum einen mit höheren Ausgaben im Personalbereich zusammenhängt, insbesondere durch höhere Zuweisungen an den Versorgungsfonds, aber auch mit Aufträgen und Dienstleistungen im Bereich Informationstechnik: von 70 000 Euro im Jahr 2022 auf immerhin 4 995 000 Euro im Jahr 2023 für den Aufbau von Datenlaboren. Dass der Justizminister den Schwerpunkt bei der Digitalisierung setzt, zeigt sich auch bei Maßnahmen des Ministeriums selbst, für die Mittel in Höhe von 3 Millionen Euro eingeplant sind. Das ist wichtig, um den Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zum Recht zu erleichtern und Barrieren abzubauen. Bedauerlicherweise – das ist für uns ein Wermutstropfen – kommen aber die Belange des Kampfes gegen Extremismus, Hass und Hetze im Netz, Gewalt gegenüber Minderheiten – wie zuletzt in Münster im Rahmen des CSD – und die Beratung von ehrenamtlichen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern bei digitalen Angriffen noch zu kurz. Sehr effektive Projektförderungen laufen aus – zum Beispiel für HateAid –, ohne dass es eine Folgelösung für Betroffene gibt. Sicherlich wäre es auch unserer Auffassung nach ein gutes Zeichen gewesen, auch im Hinblick auf die Gedenkveranstaltung mit dem israelischen Staatspräsidenten Herzog am Dienstag dieser Woche und die Eröffnung der Ausstellung im Paul-Löbe-Haus, auch in diesem Haushalt das Wohnungsbauprojekt für Holocaust-Überlebende in Israel wieder mit einem Betrag von 200 000 Euro zu unterstützen, wie wir es im parlamentarischen Verfahren für den Haushalt 2022 erneut ausverhandelt haben. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Thema hat mich im Einzelplan 07 besonders umgetrieben. Seit der Gründung der Stiftung Forum Recht durch den Deutschen Bundestag im Jahr 2019 beschäftigt uns dieses Thema eigentlich in jeder Haushaltsdebatte. Die Stiftung ist im Aufwachsen. Ich kann von mir behaupten, dass ich diese Gründung persönlich vorangetrieben habe und versucht habe, die beteiligten Akteure endlich einmal zusammenzuführen. Dass dieses Kind des Parlaments gut gedeiht, ist mir weiterhin ein großes Anliegen. Diese Woche waren die beiden Direktoren der Stiftung vor Ort in Berlin zum Gespräch bei mir – und sicherlich auch bei einigen von Ihnen –, um eine Aufstockung der Mittel für die Stiftung zu erbitten. Warum erwähne ich das, liebe Kolleginnen und Kollegen? Weil ich Mitglied im Kuratorium bin und weil ich als Haushälterin für das BMJ, bei dem die Stiftung angesiedelt ist, das Kuratorium mehrfach auf die angespannte Haushaltslage des Bundes hingewiesen habe und versucht habe, die Erwartungen zu dämpfen, die Zuweisungen an die Stiftung würden mittelfristig auf einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag anwachsen. Die Stiftung erhält in diesem Haushalt denselben Betrag wie in 2022, nämlich 3,5 Millionen Euro, mithin aber 1,7 Millionen Euro weniger, als die Stiftung selbst in ihrer Haushaltsplanung veranschlagt und im Kuratorium beschlossen hat. Es hatte beschlossen – ich zitiere einmal; dem konnte ich als Haushälterin nicht zustimmen –: Das Kuratorium fordert den Haushaltsgesetzgeber auf, den Erfüllungsaufwand der Stiftung Forum Recht in einem dem Aufwuchs auskömmlichen Maße fortzuschreiben. – Das kann aber nicht dazu führen, dass diese Mittel zwangsläufig in den Bundeshaushalt eingestellt werden. Der Stiftung geht es in diesem Jahr leider wie vielen anderen Projekten und Vorhaben in allen anderen Einzelplänen: Sie ist betroffen von den Sparmaßnahmen, die wir einhalten müssen, umso mehr, damit wir in sozialen Bereichen dringend benötigtes Geld in die Hand nehmen können. Alle reden über Entlastungspakete. Kritik wird geäußert – das haben wir heute auch wieder gehört –, es sei zu wenig, es treffe zum Teil die falschen Adressaten, es sei nicht bedarfsgerecht. Ich finde die bisherigen Entlastungspakete sehr gut und umsichtig. Wenn jetzt auch die Länder ihren Beitrag leisten, kommen wir noch einen guten Schritt voran, zum Beispiel mit einem Folgeangebot für das 9‑Euro-Ticket. ({3}) Finanziell werden wir aus dem Haushalt des BMJ für Entlastungspakete keine Hilfe leisten können. Aber – Sie haben es auch schon gesagt, Herr Dr. Buschmann –: Bauen und Planen dauert zu lange. Dadurch sind die Kosten kaum noch kalkulierbar. Hier kann das Ministerium einen wichtigen Beitrag leisten und Gesetze zur Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung auf den Weg bringen und, eventuell mit dem Bauministerium zusammen, auch das Baugesetzbuch novellieren. Vorsorge im Justizbereich wurde bereits getroffen und ein neuer Senat beim Bundesverwaltungsgericht geschaffen, um dann auch bei zusätzlichen Klageverfahren diese schnell abarbeiten zu können, damit nicht auf Gerichtsebene die Planungsbeschleunigung wieder torpediert wird. Herr Minister Dr. Buschmann, das Ministerium kann noch sehr viel mehr zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger beitragen – nicht mit Geld, aber mit der Umsetzung der Gesetzesvorhaben aus dem Koalitionsvertrag zum Schutz von Mieterinnen und Mietern: Mieterschutzregelungen verlängern, die Kappungsgrenzen absenken, die Mietpreisbremse verlängern, qualifizierte Mietspiegel rechtssicher ausgestalten und Transparenz bei den Nebenkostenabrechnungen schaffen. ({4}) Herr Minister, ich hoffe, all das wird von Ihrer Vorhabenplanung für das zweite Halbjahr umfasst, auch wenn es nur unter dem Stichwort „Mietrecht“, ohne nähere Ausführungen, in Ihren Plan aufgenommen wurde. Das wäre eine echte Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, ohne dass Sie in Ihrem Haushalt auch nur 1 Euro dafür investieren müssten. ({5}) Zum Schluss möchte ich gern noch mal auf den Vorwurf eingehen, seitens des Ministeriums werde kein Geld vorgesehen für den Pakt für den Rechtsstaat oder für den Digitalpakt. Ich habe es eben schon dazwischengerufen: Wer das genau verfolgt hat und wer sich mit Haushaltsrecht auskennt, der weiß, dass für den Pakt für den Rechtsstaat niemals Geld im Justizhaushalt gestanden hat. (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Aber auch nirgendwo anders ist es geregelt, Frau Kollegin! Da ist nichts geregelt! Es wird über die Umsatzsteuerpunkte geregelt. ({6}) Das kann nicht im Bundesjustizhaushalt stehen. So ist es in der Vergangenheit gemacht worden. ({7}) Ich finde, wenn die Umsatzsteuereinnahmen zwischen Bund und Ländern aufgeteilt werden, dann können die Länder – verdammt noch mal! – ihrer Pflicht nachkommen, sich an den finanziellen Kosten von Länderaufgaben zumindest zu beteiligen; denn Justiz ist nun mal Länderaufgabe. ({8}) Ich finde es schon großartig, dass wir als Bund die Hand ausstrecken ({9}) und mit den Ländern gemeinsam den Pakt für den Rechtsstaat ausgestalten. Das wird im Digitalpakt genauso sein. Wir dürfen es aus verfassungsrechtlichen Gründen gar nicht in den Justizhaushalt schreiben. ({10}) – Genau darum geht es. ({11}) Wenn Sie uns vorwerfen: „Es steht nicht drin“, entgegnen wir: „Es kann auch nicht drinstehen.“ Lesen Sie Ihre Rede noch mal nach. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die AfD-Fraktion hat das Wort Dr. Michael Espendiller. ({0})

Dr. Michael Espendiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004711, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und bei Youtube! Wenn es um die Lage der Justiz und des Rechts in Deutschland geht, dann weiß man gar nicht, wo man anfangen und wo man aufhören soll; denn vieles davon ist einfach nur noch irre. Wir befinden uns in einer rechtspositivistischen Spirale, indem die Produkte der Rechtssetzung dieses Parlaments zunehmend willkürlich werden und völlig entrückt sind von jeder Form von Rationalität. Zahlen, Daten und Fakten spielen anscheinend keine Rolle mehr. Gerade vorhin haben wir hier über das Infektionsschutzgesetz abgestimmt. Ein Gesetz, das es schlicht und einfach nicht braucht. Ein Gesetz, das die Ampelkoalition in einer Phase verabschiedet hat, in der Corona längst zur Endemie geworden ist, während die Regierung fast wahnhaft immer noch versucht, eine Pandemie herbeizureden. Eine sogenannte Pandemie, die – wenn man der Logik der Regierung folgt – ihre Opfer nicht in deutschen Regierungsfliegern befällt, wohl aber in normalen Verkehrsfliegern im deutschen Luftraum, ({0}) weswegen man dort bisher Maske tragen muss, im Regierungsflieger eben nicht. Von der SPD und den Grünen ist man ja einiges an Irrationalität gewohnt. Doch von einer Partei wie der FDP, die sich noch immer als Rechtsstaatspartei bezeichnet, hätte man mehr erwartet. ({1}) Doch dieses Label hat sich als Etikettenschwindel entpuppt; denn der FDP-Justizminister ist nicht in der Lage oder nicht willens, diesen Begriff auch tatsächlich mit Leben zu füllen. Das ist überhaupt und im Allgemeinen die ganze Krux bei der Sache. ({2}) Nachdem man in Zeiten der Aufklärung herausgearbeitet hat, dass Exekutive, Judikative und Legislative niemals in einer Hand vereint sein sollen, haben wir in Deutschland ein absolut vorbildliches System der Gewaltenteilung erarbeitet, erkämpft und eingerichtet. ({3}) – Schön, dass Sie da lachen. – Ergänzt wird dieses System von der sogenannten vierten Gewalt: freie Medien, die der Theorie nach alle anderen drei Gewalten kontrollieren sollen. Dieses System steht, und es sieht gut aus. Und doch drängt sich bei immer mehr Menschen der Gedanke auf, dass es vielleicht bald nur noch eine leere Hülle ist, dass die Gewaltenteilung zwar auf dem Papier existiert, aber nicht mehr gelebt wird, beispielsweise dann, wenn die Vertreter der vierten Gewalt mit im Regierungsflieger sitzen und selbst gegen Recht und Gesetz verstoßen, indem sie dort eben keine Maske tragen und diesen Rechtsverstoß –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Michael Espendiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004711, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– gerne gleich als Kurzintervention – dann auch in trotzigen Leitartikeln verteidigen, statt sich in Demut zu üben. Vom Bundesjustizminister übrigens kein Wort zu diesem Zweiklassenrecht. Klar, nach der öffentlichen Empörung will man jetzt die Maskenpflicht im Flugzeug abschaffen, wohl auch deshalb, weil das staatliche Gewaltmonopol hier droht, das Gesicht zu verlieren. ({0}) Die Maskenpflicht im deutschen Luftraum ist ein internationaler Exot und längst nicht mehr durchsetzbar. Aber der Minister hält fest an der Maskenpflicht im Zug, an der Möglichkeit zu Demonstrationsverboten, Ausgangssperren, Schulschließungen und neuen Lockdowns, und das, obwohl Herr Dr. Buschmann uns allen doch das absolute Ende dieser Maßnahmen versprochen hatte – ({1}) Maßnahmen, die schon im letzten und vorletzten Jahr von der Wissenschaft als in großen Teilen unsinnig bewertet wurden. ({2}) Ich weiß, Politiker setzen häufig darauf, dass die Menschen schnell vergessen. Aber wir alle haben noch die Bilder von Polizisten im Kopf, die im Winter schlittenfahrenden Kindern hinterherjagen. Das hat sich für immer in das kollektive Gedächtnis dieser Nation eingebrannt. Ebenso eingebrannt hat sich die oft rabiate Auflösung von Demonstrationen gegen die Coronapolitik, weil dort im Freien keine Maske getragen wurde, während sich das Gewaltmonopol bei Demonstrationen unter dem Banner der Fridays-for-Future-Schulschwänzer daran nicht störte. Resultat solcher Exekutivleistungen und Rechtssetzungsakte wie des Infektionsschutzgesetzes ist, dass nicht nur das Vertrauen in den Rechtsstaat sinkt, sondern auch das in die Leistungsfähigkeit des Staates selbst. ({3}) Laut einer aktuellen Umfrage von Forsa im Auftrag des dbb sind nur noch 29 Prozent der Bundesbürger aktuell der Meinung, dass der Staat in der Lage ist, seine Aufgaben zu erfüllen. Das sollte uns alle aufrütteln, ganz besonders auch den Justizminister. Denn das Bundesjustizministerium wirkt qua Aufgabenbeschreibung bei allen Gesetzen und Verordnungsentwürfen anderer Bundesministerien mit.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Michael Espendiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004711, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich komme zum Schluss. ({0}) In diesem Zusammenhang sollte sich ein Justizminister dafür starkmachen, dass das Wort „Evidenz“ nicht zum Fremdwort in unserer Rechtsetzung wird. Herzlichen Dank. ({1})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Bündnis 90/Die Grünen erteile ich das Wort Bruno Hönel. ({0})

Bruno Hönel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005086, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Espendiller, ({0}) Sie haben jetzt viel geredet, aber nichts zum Haushalt gesagt. Sie haben offensichtlich tatsächlich nur für Youtube geredet. Mein Kollege Till Steffen hat gerade gesagt, er glaubt nicht, dass das viral geht. Ich kann mich da nur anschließen. ({1}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen: Der Einzelplan 07, der Etat des BMJ, ist ein personalgeprägter Verwaltungshaushalt. Die Ausgaben sind stabil unter 1 Milliarde Euro. Das Notwendige im Zuständigkeitsbereich des BMJ wird finanziert, und die Einnahmen decken die Ausgaben zu zwei Dritteln auf stabilem Niveau. Für einen Haushälter ist das tatsächlich sehr erfreulich. Bei genauerer Betrachtung kann festgehalten werden, dass der vorliegende Entwurf grundsolide ist. Das hat auch der Bundesrechnungshof bestätigt. Auch wenn das alles recht unspektakulär klingt, ist festzustellen: Die Herausforderungen für unseren Rechtsstaat sind riesig. In einer globalisierten Welt wird auch die Frage von Recht und Gerechtigkeit komplexer. Die Justizbehörden und Gerichte sind den Anforderungen unserer krisenbehafteten Zeit ausgesetzt, und auch sie müssen mit der Zeit gehen. Wenn die Coronapandemie uns eines gezeigt hat, dann ist es doch, dass wir in der Digitalisierung massiv hinterherhängen. Noch immer werden Schriftsätze zuhauf online verschickt, nur um dann bei Gericht wieder ausgedruckt und wieder eingescannt zu werden. Es ist also kein Wunder, dass Deutschland im EU-Justizbarometer 2021 bei der Digitalisierung nur im Mittelfeld gelandet ist. Das bedeutet für uns: Der Digitalpakt für den Rechtsstaat, den wir im Koalitionsvertrag verankert haben, muss hier liefern. Wir stehen gemeinsam mit den Ländern in der Verantwortung für eine Justiz auf der Höhe der Zeit. ({2}) Wichtig ist, dass wir das Ding jetzt zielgenau aufs Gleis setzen. Der Minister hat hier seine Bereitschaft auch in Finanzierungsfragen bekundet. Wir nehmen Sie da beim Wort, lieber Minister Marco Buschmann. ({3}) Mit Blick auf die Stellenpläne möchte ich zwei sehr positive Entwicklungen herausstellen. Sie alle wissen: Der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dauert an – Monate der Brutalität, Monate der Zerstörung und der Massaker an der Zivilbevölkerung. Deswegen ist es essenziell, dass der Generalbundesanwalt gut ausgestattet ist, gerade im Bereich der internationalen Kooperation. Wir wollen und wir müssen unseren Beitrag leisten, damit die Gräueltaten aufgeklärt werden. Dafür haben wir im 2022er-Haushalt den Generalbundesanwalt besser ausgestattet, und das setzen wir nun fort. Wir sorgen dafür, dass Täter zur Rechenschaft gezogen werden können. Es darf und es wird keine Blaupause für Kriegsverbrechen geben – nicht im Inland, nicht im Ausland. Genau das stellen wir mit diesem Haushalt sicher. ({4}) Beim Bundesverwaltungsgericht sind zwölf neue Stellen für einen Klimaschutzsenat vorgesehen. Da geht es darum, Planungsverfahren zu beschleunigen und den Ausbau der Erneuerbaren voranzutreiben. Dass das eine Querschnittsaufgabe von herausragender Bedeutung ist, zeigt sich daran, dass Klimaschutz jetzt sogar im Einzelplan 07 etatisiert ist. Das ist genau richtig so, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Die wichtigste und nobelste Aufgabe des Justizministeriums ist die Stärkung unseres Rechtsstaates. Wo immer der Rechtsstaat schwächelt, sind Demokratiefeinde nicht fern, um ihre toxischen Thesen zu verbreiten. Sie sitzen auch hier im Bundestag; die Freunde der Desinformation und der Aufwiegelei, die Freunde Putins sitzen dort ganz rechts. Als Koalition sehen wir im Bereich der Hasskriminalität – analog wie digital – einen dringenden Handlungsbedarf. Im Bundesministerium der Justiz haben wir Stellen geschaffen, die sich der Bekämpfung und Verfolgung von Hass und Hetze widmen. Als Mitglied einer Bürgerrechtspartei ({6}) ist für mich dabei aber eine Sache wirklich zentral: Gegen Rechtsverstöße im Internet muss konsequent vorgegangen werden; aber gleichzeitig müssen Freiheits- und Bürgerrechte auch in der digitalen Welt gewahrt werden. ({7}) Hier die richtige Balance zu finden, muss für uns Demokratinnen und Demokraten essenziell sein. Ob Onlinedurchsuchung, Quellen-TKÜ oder anlasslose Vorratsdatenspeicherung – mehr Überwachung bringt nicht automatisch mehr Sicherheit. So viel ist klar, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({8}) Umso wichtiger ist eine zielgerichtete Evaluation dieser Maßnahmen. Genau das bringt die Ampelkoalition mit der Überwachungsgesamtrechnung auf den Weg. Die Mittel dafür stehen bereit. Das sind letztendlich Mittel für Freiheits- und Bürgerrechte und eine evidenzbasierte Sicherheitspolitik. Auch das steckt im Einzelplan 07. Ich bin überzeugt: Das ist der richtige Weg. Und das Gleiche gilt auch für diesen Haushalt. Herzlichen Dank. ({9})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die Fraktion Die Linke erteile ich das Wort Clara Bünger. ({0})

Clara Bünger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005289, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Das 9‑Euro-Ticket ist jetzt seit acht Tagen Geschichte. Es ist wirklich bedauerlich, dass Sie dieses erfolgreiche Projekt so schnell wieder begraben haben. Stattdessen soll es jetzt ein 49-Euro- oder ein 69-Euro-Ticket geben. Das als „Nachfolgetickets“ zu verkaufen, verkennt die prekäre Situation, in der sich viele Menschen in diesem Land befinden. ({0}) Millionen Menschen werden ab jetzt wieder vom Recht auf Mobilität ausgeschlossen sein. Wir müssen aber nicht nur über die Frage der Mobilität sprechen, sondern auch über die Bestrafung von Armut in diesem Kontext. Ich habe bei der Deutschen Bahn nachgefragt, wie viele Menschen bei Kontrollen ohne Ticket angetroffen wurden. Das Ergebnis ist eindeutig: Bevor es das 9‑Euro-Ticket gab, sind über 214 000 Personen ohne Ticket angetroffen worden. Im gleichen Zeitraum dieses Jahres waren es nur gut 120 000. ({1}) Die Zahl der Menschen, die ohne Ticket gefahren sind, hat sich in der Zeit des 9‑Euro-Tickets also fast halbiert. Und es ist falsch, was Sie von der Union sagen: Das lag nicht daran, dass es in diesem Jahr weniger Kontrollen gegeben hat. Laut Informationen des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen wurden die Kontrollen nämlich nicht heruntergefahren während der Zeit des 9‑Euro-Tickets. ({2}) – Sie können ja selber nachfragen. ({3}) Was passiert mit Menschen, die sich kein Ticket leisten können und dann kontrolliert werden? Sie müssen nicht nur ein erhöhtes Beförderungsentgelt an das Verkehrsunternehmen zahlen, sondern ihnen droht auch noch eine Haft- oder Geldstrafe. Das Paradoxe ist: Wer schon nicht genug Geld hat für ein Ticket, hat erst recht nicht genug Geld, um die erhöhte Entgeltzahlung für das Unternehmen zu leisten. Was ist die Konsequenz für diese Menschen? Für diese Menschen hat das Fahren ohne Fahrschein die Konsequenz: ({4}) die Ersatzfreiheitsstrafe. Also: Als Ersatz für das Zahlen der Geldstrafe gehen Menschen ins Gefängnis. Damit bestraft man Arme doppelt. ({5}) Viele machen sich gar nicht bewusst, was das konkret für die Betroffenen bedeutet. Ihnen droht der Verlust der Wohnung und des Arbeitsplatzes. Das haben Sie, Herr Buschmann, in Ihrem Referentenentwurf zum Sanktionsrecht übrigens sogar selbst erkannt. Sie schreiben in dem Entwurf – ich zitiere –: … in bestimmten Konstellationen kann der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe sogar zu einer weiteren Entsozialisierung führen, etwa durch den Verlust der Wohnung oder des Arbeitsplatzes … ({6}) Das bedeutet für viele Menschen eine zusätzliche Bestrafung, Stigmatisierung und soziale Isolierung. Wenn Sie das schon in Ihrem eigenen Referentenentwurf erkannt haben: Wieso handeln Sie dann nicht danach? ({7}) Die von Ihnen vorgesehene bloße Halbierung der Zahl der Tage ist ein Witz für die Menschen und hilft auch nicht, das Grundproblem der Bestrafung der Armut abzuschaffen. Oder finden Sie es gerecht, dass Menschen wegen Fahrens ohne Fahrschein ins Gefängnis kommen, meistens sogar ohne jemals vor einem Richter gestanden zu haben? Ich nicht! ({8}) Ich möchte das an einem Beispiel deutlich machen. Herr A. wurde wegen einer sogenannten Beförderungserschleichung zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt, weil er die Geldstrafe von 8 000 Euro nicht aufbringen konnte. ({9}) Nur zur Verdeutlichung: Herr A. hat sich nicht wegen anderer Delikte strafbar gemacht. Seine zweieinhalb Jahre Knast beruhen lediglich auf Verurteilung wegen wiederholten Fahrens ohne Fahrschein. ({10}) Das ist doch absurd! ({11}) Mehr als die Hälfte aller Inhaftierten in deutschen Gefängnissen – und das wissen Sie auch, Herr Buschmann – sitzt eine Ersatzfreiheitsstrafe ab. Das betrifft jährlich 50 000 Menschen. Das ist doch absurd. ({12}) Das ist nicht nur eine Katastrophe für die Betroffenen, sondern verursacht auch extrem hohe Kosten für den Staat. Deutschlandweit werden pro Tag 450 000 Euro ausgegeben, um Menschen zu inhaftieren, die eine Geldstrafe nicht zahlen konnten, häufig wegen Fahrens ohne Fahrschein. Das sind 164 Millionen Euro im Jahr. Und die Kosten der justiziellen Verfolgung sind da noch nicht mal inbegriffen. Dieses Geld kann doch an anderer Stelle so viel sinnvoller eingesetzt werden. Zur Arbeit fahren, Freundinnen und Freunde und Verwandte besuchen oder einfach nur in die Natur fahren ist bisher häufig ein Privileg von reichen Menschen. Das darf aber nicht so bleiben. Mobilität darf kein Luxus sein, ({13}) sondern es muss jedem und jeder ermöglicht werden. Deswegen setzen wir uns als Linke dafür ein, dass es einen kostenlosen ÖPNV gibt. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass durch Krise und Inflation noch mehr Menschen sich die Mobilität nicht mehr leisten können, sollten Sie das Fahren ohne Fahrschein entkriminalisieren. Und: Schaffen Sie die Ersatzfreiheitsstrafe komplett ab. Machen Sie jedoch keine halben Sachen. Vielen Dank. ({14})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die FDP-Fraktion hat das Wort Dr. Thorsten Lieb. ({0})

Dr. Thorsten Lieb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005129, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Bundesminister Dr. Buschmann! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Kehren wir zurück zur Beratung des Einzelplans 07. Sehr geehrte Frau Kollegin Lindholz, um es auch hier noch mal klar und deutlich zu sagen: Mit der FDP wird es keine anlasslose Vorratsdatenspeicherung geben – Ausrufezeichen! Punkt! ({0}) Wenn Sie auf die BGH-Entscheidung hinweisen, dann lesen Sie sie bitte einfach noch mal insgesamt durch und sehen Sie sich die vier Optionen an. Wir bewegen uns mit unseren Vorschlägen völlig im Rahmen der Rechtsprechung – um das noch mal ganz deutlich zu sagen. ({1}) Die Ampelkoalition, liebe Kolleginnen Kollegen, hat sich ein ambitioniertes rechtspolitisches Reformprogramm vorgenommen. Hier zeigt sich insbesondere der Aufbruch dieser Fortschrittskoalition für dieses Land. Und es ist gut und richtig so, dass wir diese Signale setzen. ({2}) Wir reden heute über den haushaltsmäßigen Rahmen für die umfangreichen rechtspolitischen Vorhaben der Koalition. Mit über 950 Millionen Euro erfährt der Haushalt einen leichten Aufwuchs, was vor allem mit der verbesserten Stellenbesetzungsquote zu tun hat. Gut, dass es gelingt, qualifiziertes Personal für dieses so wichtige Haus zu gewinnen. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich hätte heute wahnsinnig gerne mit Ihrer Haushaltsberichterstatterin Frau Hoppermann diskutiert, was wir hier vielleicht doch noch verändern und besser machen können. ({3}) Inhaltlich aber – um das klar zu sagen – hätte ich heute am liebsten über den Pakt für den Rechtsstaat, über den Digitalpakt für die Justiz, über erste Vorhaben intensiv diskutiert, insbesondere über die Frage: Was können wir als Bund dazu beitragen, dass wir gemeinsam, Bund und Länder, die Justiz weiter nach vorne bringen, vor allem im digitalen Umfeld? Aber wie wir sehen, ist die Bundesratsbank nicht besetzt. Eine Diskussion mit den Bundesländern ist heute nicht möglich. Eines möchte ich an dieser Stelle auch noch mal festhalten: Wir haben das vereinbart, und wir schlagen das im Koalitionsvertrag vor; wir stehen dazu als Bund. Wir reichen die Hand. Der Bundesminister hat es vorhin bereits angesprochen. Aber um eines noch einmal ganz deutlich und klipp und klar von dieser Stelle aus zu sagen: Es geht mitnichten darum – das ist nicht unser Vorhaben; das wäre auch verfassungsrechtlich problematisch –, dass wir aus dem Bundeshaushalt die Personalstellen in den Bundesländern dauerhaft finanzieren. ({4}) Aber genau dieser Vorschlag ist vor einigen Tagen gekommen. Ein ganz klares Nein dazu! Das wird es nie und nimmer geben. Das darf es nicht geben. Uns geht es um gemeinsame Projekte, und die sind dringend nötig im Bereich der Justiz, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Ich nenne als Beispiele eine Justiz-Cloud und gemeinsame Vernetzung. Darüber müssen wir reden, dazu reichen wir die Hand, und da freuen wir uns auf die Diskussion und die Vorschläge der Bundesländer. Aber wir und die Bundesregierung lassen uns im Deutschen Bundestag nicht vorwerfen, dass wir nicht bereit sind, das zu diskutieren, wenn konkrete und richtig gute Vorschläge kommen. Nächster Punkt. Die aktuellen Herausforderungen im Energiesektor – ich spreche ganz bewusst nicht von Märkten; denn so wie diese Struktur im Augenblick aussieht, hat das mit einem Markt reichlich wenig zu tun – machen deutlich, wie vorausschauend wir als Ampelkoalition waren, als wir von Anfang an die Planungsbeschleunigung sowohl in Verwaltungsverfahren als auch in Gerichtsverfahren angesprochen und angeregt haben. Das BMJ – auch das hat Herr Bundesminister Buschmann schon gesagt – ist vorangegangen und hat einen ersten, sehr guten Vorschlag vorgelegt, um im Bereich der Verwaltungsgerichtsordnung mit der Schaffung des schon mehrfach genannten zusätzlichen Senates beim Bundesverwaltungsgericht nach vorne zu kommen. Das ist die richtige Antwort des Rechtsstaates zur rechten Zeit. Handeln ist das Gebot der Stunde. Denn nur wenn Planungsbeschleunigung real und greifbar wird, gelingen die dringend notwendigen Zukunftsinvestitionen in die Bereiche „Verkehr“ und „Energieversorgung“, die wir dringend brauchen in diesem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Abschließender Aspekt. Eine fundamentale Aufgabe der Rechtspolitik ist und bleibt die Förderung von Innovationen in diesem Land. Mit dem Deutschen Patent- und Markenamt haben wir im Geschäftsbereich des Bundesjustizministeriums eine der weltweit anerkanntesten Behörden für die Sicherung von geistigem Eigentum. Es ist daher ein gutes Zeichen für die Sicherung von Innovationen in diesem Land, dass auch das DPMA bei Stellenbesetzungen gut vorangekommen ist. Es erweist sich als sehr kluge Entscheidung, den Standort Jena weiter zu stärken, um auch dort die Gewinnung von Fachkräften zu erleichtern. Das ist ein fundamentaler Beitrag, durch den die weltweit anerkannte hohe Qualität der Entscheidungen des DPMA und unserer entsprechenden Gerichte aufrechterhalten werden kann. Auch in dem Bereich können wir die Verfahren somit weiter vorantreiben. Das ist ebenfalls – das will ich zum Schluss bewusst betonen – ein ganz fundamentaler Beitrag im weltweiten Systemwettbewerb, auch im Hinblick auf den Schutz der Gestaltung und die Weiterentwicklung von Innovationen und geistigem Eigentum. ({7}) Auch im Bereich des BMJ warten also in den Beratungen zahlreiche Herausforderungen auf uns. Ich freue mich darauf. Vielen Dank. ({8})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt Carsten Müller. ({0})

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren. Das eben war die Eigenwahrnehmung der Justizpolitiker der Ampelkoalition. Die Menschen im Lande und wir als Opposition nehmen das übrigens ganz anders wahr, Herr Kollege Dr. Lieb. Wie die Rechtspolitik Ihrer Bundesregierung im gestreckten Galopp aussieht, das haben wir heute beim Infektionsschutzgesetz gesehen. Den Beratungen dazu gingen einige Wochen und Monate wechselseitiger Beleidigungen und Herabsetzungen von Mitgliedern der Bundesregierung voraus. Am Ende des Tages mündete alles in einem Chaos nationaler Tragweite. Das ist die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Meine Damen und Herren, was werden wir bekommen? Wir bekommen in der Coronafrage einen ampelregulatorischen Flickenteppich. Aber dieses Chaos nationaler Tragweite betrifft bei Weitem nicht nur das Feld der Coronapolitik. Ich greife mal das Thema „Waffenlieferungen zur Unterstützung der Ukraine“ auf. Wir erinnern uns noch an die eine oder andere Einlassung der Kabinettskollegen, insbesondere des Kollegen Buschmann und der Kollegin Lambrecht. Viel mehr ist dazu nicht zu sagen. Sie selber haben sich auf das dünne Eis der Energiepolitik begeben. Also, die untaugliche Verordnung zur Gasumlage, an deren Erstellung der Kollege Dr. Buschmann im Übrigen beteiligt war, ist mittlerweile legendär. Sie finden in der Bevölkerung niemanden mehr, der Sie dafür lobt, und verteidigt werden Sie dafür schon mal gar nicht. Meine Damen und Herren, wir gucken uns mal das Herz der deutschen Wirtschaft an: den Mittelstand. Der ZDH meldet „Land unter“. Die Bäckereien sind verzweifelt. Vorhin ging es ja um die Frage: Was geht in dieser Woche viral, und was geht nicht viral? Sehr geehrter Herr Kollege: Bei dem Auftritt des Rechtsfreunds Habeck ist einfach kein Platz mehr für andere Beiträge, die viral gehen können; das muss man ihm zugestehen. Aber, meine Damen und Herren, das Thema Insolvenzwelle ist ein riesiges. Es geht vor allen Dingen darum, dass wir den Mittelstand, und zwar den gesellschaftlichen und den wirtschaftlichen Mittelstand, in diesem Lande unterstützen. Das fordert die Union. Meine Damen und Herren, was macht die Bundesregierung? Das Justizministerium überlegt sich, möglicherweise das Insolvenzrecht ein bisschen zu ändern. Da wird es im Übrigen noch eine Reihe von Erklärungen und Erläuterungsgesprächen mit dem Bundeswirtschaftsminister geben müssen; das haben wir alle erfahren. In Wahrheit aber braucht der Mittelstand konkrete Hilfe. Wenn dieser unendlich peinliche Auftritt des Bundeswirtschaftsministers Habeck ({0}) vorgestern Abend ({1}) zu etwas gut war, dann doch dazu, dass er heute beidrehen musste und er in Aussicht gestellt hat, dass auch kleine und mittlere Unternehmen in das Energiekostendämpfungsprogramm aufgenommen werden könnten. Passiert ist im Übrigen noch nichts. Die Aufnahme dieser Unternehmen ist eine Forderung der Union; auch die Öffentlichkeit fordert es. Sie müssen dieser nachgeben, und das finden wir richtig. Interessant ist im Übrigen, dass ausgerechnet unter einer von der FDP mitgetragenen Bundesregierung der deutsche Mittelstand so abgesägt wird. Meine Damen und Herren, eigentlich soll das Justizministerium darum besorgt sein, Rechtsführung und Rechtssystematik in Gesetzen und Verordnungen zur gewährleisten. Das passiert nicht. Ich will Ihnen mal einige Beispiele nennen. Sie haben auf die Länderbank abgehoben. Das Verhältnis zwischen den Landesjustizministern, übrigens egal welcher Couleur – Sie können ja mal die grüne Kollegin aus Hamburg fragen –, und dem Bundesjustizminister ist – ich will nicht sagen: zerrüttet – im Moment gar nicht mehr gegeben, weil es einfach von Ignoranz geprägt ist. Der Bundesjustizminister machte bei der JuMiKo – er war zugeschaltet – einen eher gelangweilten Eindruck. Dabei gibt es eine Reihe von wichtigen Themen, etwa den Pakt für den Rechtsstaat. – Das steht in Ihrem Koalitionsvertrag. Doch seit neun Monaten passiert nichts. ({2}) Und wir merken doch, wie Sie sich rauszulavieren versuchen. ({3}) Meine Damen und Herren, das nächste Beispiel: die Mittel für das neue Hochsicherheitsgebäude am Oberlandesgericht in Celle. Dafür stand im Haushalt eine Verpflichtungsermächtigung über 24 Millionen Euro. Es wurde vom BMJ ein Länderstaatsvertrag zwischen den Ländern Niedersachen, Thüringen und Sachsen-Anhalt gefordert – damit verbunden sind denkbar unterschiedliche Farbzusammensetzungen der Regierungen. Die Länder haben sich zusammengerauft, es klappt hervorragend. Es bremst aber das Bundesjustizministerium und kommt nicht in die Pötte. Die Länder stehen da und sagen: Was sollen wir denn bitte noch tun? – Meine Damen und Herren, da muss etwas passieren. Ich will ein weiteres Beispiel liefern. Wir haben einiges über die Ukraine und über Freiheit von Ihnen gehört, sehr geehrter Herr Justizminister. Ich bin schockiert, dass Sie und Ihr Haus die Mittel für das Institut für Ostrecht in den kommenden Jahren sukzessive bis auf null zurückfahren wollen. Wir haben dieser Tage die Justizminister aus Georgien und der Ukraine zu Besuch gehabt. Die haben sich von uns Unterstützung gewünscht. Sie und Ihre Koalition machen genau das Gegenteil. Worin mündet das? Ich habe heute an anderer Stelle den Bundeslandwirtschaftsminister gehört, der Max Frisch zitiert hat – richtig gutes Zitat –: Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen. Meine Damen und Herren, mit dieser Bundesregierung haben Sie die Garantie, dass aus jeder Krise eine Katastrophe wird, und die Menschen im Land merken das. Sie können das nicht mehr wegdiskutieren. ({4})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die SPD-Fraktion hat das Wort Sonja Eichwede. ({0})

Sonja Eichwede (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005049, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesjustizminister Buschmann! Werte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Wir diskutieren heute über den Haushaltsentwurf des Bundesministeriums der Justiz und damit über einen Bereich, der wie kein anderer für das Fundament unseres Rechtsstaates steht. Oft wirkt er wie ein Brennglas, gerichtet auf die sozialen Herausforderungen unserer Gesellschaft und unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt. Technisch gesprochen ist der Einzelplan 07 ein Haushalt, der stark durch Personalausgaben geprägt ist; wir haben es in der Debatte schon vielfach gehört. Tatsächlich aber stehen diese Ausgaben für Personen, die unseren Rechtsstaat nach außen repräsentieren, ihn leibhaftig machen. Erwähnt wurde dabei der neue Senat des Bundesverwaltungsgerichts, der sehr, sehr wichtig ist und auch zeigt, dass die Regierung es mit den guten Ideen nicht nur ernst meint, etwa mit der Frage der Planungsbeschleunigung oder mit der Reformierung der Verwaltungsgerichtsordnung, sondern dass sie auch weiß, was es hier für die Umsetzung braucht, nämlich entsprechende Stellen in den Bundesgerichten. ({0}) Neben dem Personal sind wichtige einzelne Projekte in diesem Haushalt enthalten; auf einige haben meine Vorredner hingewiesen. Beispielsweise möchte ich die weitere Unterstützung der Magnus-Hirschfeld-Stiftung nennen, die mit uns zusammen für einen guten effektiven Rechtsstaat kämpft. In diesem Sinne werden wir uns im parlamentarischen Verfahren noch für weitere Projekte einsetzen, die es zu fördern gilt. ({1}) Zu unserer Demokratie gehört es, dass Menschen Recht bekommen, dass die Justiz effektiv ist. Das haben wir uns als Ampelregierung vorgenommen. Dafür ist dieser Haushaltsentwurf ein sehr, sehr gutes Beispiel. Da wir bereits auf viele haushalterische Details in der Debatte eingegangen sind, ist es mir ein Anliegen, ein Augenmerk auf einen Bereich zu legen, der eng mit der Ausstattung der Justiz zu tun hat und vom Bundesminister und auch von der Opposition teilweise schon genannt worden ist. Wir haben es momentan mit steigenden Lebenshaltungskosten zu tun, ausgelöst durch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in der Ukraine durch den russischen Staat, der auch uns vor große Herausforderungen stellt. Deswegen haben wir die Entlastungspakete, die für den Zusammenhalt in unserem Land sehr, sehr wichtig sind; denn wir wissen, dass soziale Härten insbesondere Personen mit wenig Geld am stärksten treffen. Als ehemalige Strafrichterin ist es mir deshalb ein besonderes Anliegen, auch auf Personen hinzuweisen, die von Armut betroffen oder armutsgefährdet sind – gerade also eine finanziell schwierige Situation erleben – und sich in der besonders vulnerablen Situation eines Strafverfahrens befinden. Hat ein Strafrichter eine Geldstrafe für straf- und schuldangemessen gehalten, ist es für diese Personen ohne Rücklagen und mit einem geringen monatlichen Einkommen sehr, sehr schwer, Geld am Monatsende zu entbehren, um einen entsprechenden Tagessatz zu zahlen. Das Risiko, dass die Strafe in einem Gefängnis verbüßt werden muss, ist sehr, sehr hoch. Hier müssen wir anpacken, hier werden wir anpacken. Der Bundesjustizminister hat mit seinem Ministerium einen guten Referentenentwurf dazu vorgelegt, der jetzt ins parlamentarische Verfahren geht. Ich will trotzdem deutlich machen, dass der Handlungsbedarf hier auch im Vergleich zu unseren Nachbarländern sehr, sehr groß ist; denn in Deutschland gibt es im Vergleich zu anderen Ländern in Europa sehr viele Personen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen. Es sind aufs Jahr gerechnet sogar mehr als die Hälfte der Personen, die sich in Justizvollzugsanstalten befinden, ({2}) und viele davon eben in einer sozial schwierigeren Lage. Das ist ein Thema, auf das wir hier als Regierung durch eine Überarbeitung des strafrechtlichen Sanktionensystems eingehen müssen und eingehen wollen. ({3}) Das gebietet nicht nur die Gerechtigkeit, sondern ist eben auch eine Frage haushalterischer Vernunft, da es hier bei den Ländern zu großen Einsparungen kommen wird. In diesen politisch herausfordernden Zeiten müssen wir für eine gut funktionierende Justiz, insbesondere für eine gut funktionierende Strafjustiz, für die Umsetzung des Digitalpakts und für eine Ausgestaltung des Paktes für den Rechtsstaat sorgen. Sehr geehrter Herr Kollege Müller, da gibt es ja Verhandlungen. Dass wir uns hier natürlich, worauf der Bundesjustizminister ja hingewiesen hat, in den Zuständigkeitsgrenzen des Grundgesetzes bewegen müssen – und Sie sagen ja, Sie sind eine Rechtsstaatspartei –, ist vollkommen klar. Deshalb kann der Bund die Länder nur strukturell unterstützen. Dabei stehen wir aber zu unserem Wort, im Wissen, dass es gerade in Krisenzeiten besonders wichtig ist, dies zu tun. ({4}) Wir wissen, dass der Rechtsstaat effektiver werden muss und die Justiz effektiv ausgestaltet werden muss. Der Haushaltsentwurf bietet dafür eine gute Grundlage, auch eine gute Diskussionsgrundlage. Ich freue mich sehr auf die anstehenden Verhandlungen und die Haushaltsberatungen. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Stephan Brandner, AfD-Fraktion. ({0})

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine lieben Freunde der demokratischen Fraktion hier im Hause, also der AfD! Liebe Abgeordnete der anderen Fraktionen! Liebe Zuhörer und Zuschauer! Vom Buschmann’schen „Es gibt ein absolutes Ende der Coronamaßnahmen“ am 20. März 2022 bis zu drohenden Demonstrationsverboten und zur FFP2-Masken-Pflicht in Zügen und ursprünglich ja auch in Flugzeugen waren es nur ein paar Monate. Nun ist uns Gott sei Dank die Maskenpflicht in Flugzeugen erspart geblieben, nachdem Scholz seine Maske offenbar vergessen hatte und Habeck die ganze Geschichte im Regierungsflieger, der auch mit vielen Vertretern der Presse bestückt war, nicht ganz ernst genommen hat. Nun gibt es also eine FFP2-Masken-Pflicht im Zug, aber nicht im Flieger. Das Virus scheint irgendwie verkehrsmittelabhängig zu sein. Meine Damen und Herren, was macht das Justizministerium aus einem Menschen in kürzester Zeit? Maas, Barley, Lambrecht: Die Liste der gescheiterten Justizminister ist lang. Und das Scheitern geht jetzt offenbar mit Marco Buschmann weiter. Was macht das Justizministerium aus einem mutmaßlich freiheitlichen Geist, wie Marco Buschmann es einst vorgab zu sein? Das „F“ in „FDP“ stand für „Freie“, für „Freiheit“, steht inzwischen aber eher für „Feigheit“, für „Fiasko“, für „Flachdenker“, für „flexibel“, für „Freund Lauterbachs“. Was waren das heute für peinliche Lobhudeleien von Klabauterbach Ihnen gegenüber, Herr Buschmann! Also, ich wäre vor Scham im Boden versunken, wenn Lauterbach mich dermaßen loben würde, ({0}) und arbeite daran, dass es dazu nie kommen wird. ({1}) Statt des Geistes der Freiheit regiert im Justizministerium nun links-grüner Quatsch. Anders kann man das nicht bezeichnen. ({2}) Queerbunte Transgeschlechtlichkeit beschäftigt Sie offenbar über die Woche. Die Elternrechte und die Elternstellung werden demnächst nach Beliebigkeit verteilt. ({3}) Angriffe auf das Bürgerliche Gesetzbuch und massive Grundrechtseinschränkungen drohen im Herbst. Heute wurde das Infektionsschutzgesetz verabschiedet – das wurde schon einige Male erwähnt –, ein Gesetz der Schande, meine Damen und Herren, ein Katalog der Grausamkeiten, den Sie den Bürgern da draußen, den Menschen im Lande, wieder zumuten. Statt das „Ende aller Maßnahmen“ wie vor einem halben Jahr ist das genaue Gegenteil Gedankengut und Schaffen des Justizministers, des ehemaligen Liberalen Buschmann, geworden; Carlo Collodi lässt grüßen. Carlo Collodi ist derjenige, der Pinocchio erfunden hat. ({4}) Ich weiß nicht, wer von Ihnen vor einiger Zeit mal in die Post geschaut hat. ({5}) Da ist tatsächlich der Kollege Buschmann analog zu Carlo Collodi abgebildet worden. Ich überreiche Ihnen die Abbildung, die ich hier zeige, gleich. Stellen Sie sich das auf den Schreibtisch, Herr Buschmann, damit Sie sich wieder daran erinnern, was Sie mal waren: ein liberaler Politiker in einer freiheitlichen Partei. Die Alternative für Deutschland ist die freiheitliche demokratische Partei in Deutschland. Für Freiheit, für Rechtsstaat, für Demokratie, für Gewaltenteilung, dafür stehen nur wir. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege Brandner.

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Wir sind keine Pinocchio-Partei wie alle anderen Parteien. Wir sind eine Partei, die ernst genommen werden muss und noch viele, viele Jahre hier demokratisch schalten und walten wird. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Nächster Redner ist der Kollege Helge Limburg, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Helge Limburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber bei der letzten Rede gab es gar keine Kritik am Justizhaushalt, und auch bei den beiden Reden aus der Unionsfraktion war sie tatsächlich nur minimal. Ich darf das hier als allgemein breite Zufriedenheit mit dem Haushaltsentwurf im Bereich der Justiz werten; und darüber freue ich mich auf jeden Fall. ({0}) Das ist sicherlich auch eine realistische und angemessene Einschätzung. ({1}) – Na ja, ich meine, Sie haben hier über das Coronaschutzgesetz gesprochen, Sie haben hier über den Einzelplan des Wirtschaftsministers gesprochen und über alles und jedes gesprochen, was Sie an der Fortschrittskoalition schon immer gestört hat. Das ist Ihr gutes Recht. Ich sage nur: Wenn Sie nicht zum Justizhaushalt reden, dann müssen Sie schon damit leben, dass wir das als Zustimmung zu unserem Haushaltsentwurf werten. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist heute zu Recht mehrfach gesagt worden: Der brutale russische Angriffskrieg, der Überfall auf die Ukraine lässt natürlich keinen Politikbereich unberührt. So auch nicht den Bereich des Bundesjustizministeriums. Der Generalbundesanwalt ermittelt in internationaler Kooperation wegen diverser Verbrechen. Wir alle sind uns einig und wissen, dass diese Ermittlungen nicht morgen oder übermorgen – vielleicht auch nicht nächstes Jahr – zu einer Anklage führen werden. Die Geschichte hat aber gezeigt, dass solche Ermittlungen eines Tages zu Anklagen führen. Die Mühlen des Rechtsstaates mahlen langsam, aber sie mahlen. Insofern bin ich froh, dass Einigkeit darüber besteht, dass wir den Generalbundesanwalt auch mit diesem Haushalt angemessen für diese wichtige Arbeit ausstatten. ({3}) Meine Damen und Herren, der Kollege Müller hat es angesprochen: Wir hatten in dieser Woche hohen Besuch hier im Parlament. Wir hatten den Justizminister aus Georgien und den Justizminister der Ukraine hier zu Gast. Ich muss mich aber schon sehr wundern, Herr Müller: Der Justizminister aus Georgien hat mitnichten davon gesprochen, dass er sich unzureichend unterstützt fühlt, ({4}) sondern er hat im Gegenteil gewürdigt, dass Bundesjustizminister Buschmann gerade ein Kooperationsabkommen mit Georgien unterzeichnet hat. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass wir die Zusammenarbeit im Bereich des Rechtsstaates stärken, weil das natürlich auch ein Weg ist, Georgien in die Europäische Union zu verhelfen. Aber Herr Minister Buschmann, wir meinen, dass ein ähnliches Abkommen mit weiteren Ländern – mit Moldau und mit der Ukraine – schnell folgen muss. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Krieg in der Ukraine wird mit deutscher Unterstützung hoffentlich bald enden. Und danach dürfen wir die Ukraine nicht alleine lassen. Der Aufbau und der Wiederaufbau der Ukraine müssen dann für uns hohe Priorität haben. Der Aufbau eines stabilen demokratischen Rechtsstaats in der Ukraine ist auch im deutschen und europäischen Interesse. ({6}) Justiz ist – das ist angesprochen worden – gemeinsame Aufgabe des Bundes und der Länder. Deswegen ist es richtig, dass wir den ersten Pakt für den Rechtsstaat hatten, und es ist richtig, dass sich die Fortschrittskoalition verständigt hat, dass wir ihn verstetigen und vor allem um die Digitalisierung erweitern wollen. ({7}) Justiz im 21. Jahrhundert kann nur dann Akzeptanz finden, wenn sie für die Bürgerinnen und Bürger auch digital erreichbar ist und wenn sie sich auch digital gestaltet. Wir wollen die Vorteile der Digitalisierung für die ganze Breite der Justiz nutzen, ohne die Nachteile zu übersehen. Es ist für uns völlig klar, dass wir moderne Tools zur Unterstützung nutzen wollen; aber es ist auch völlig klar, dass gerichtliche Entscheidungen immer durch Menschen getroffen werden und nicht durch KI. Auch das werden wir im 21. Jahrhundert weiterhin sicherstellen. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das ist hier am Rande bereits angeklungen: Zusätzliche Stellen in der Justiz werden leider auch deshalb notwendig sein – Frau Eichwede hat es angesprochen –, weil wir in wirtschaftlichen und sozial schwierigen Zeiten leben und weil klar ist, dass wir in den kommenden Monaten mehr Menschen haben werden, die Rechtsschutz bei den Sozialgerichten suchen, die sich an die Arbeitsgerichte wenden oder die sich zum Beispiel, um in Mietrechtssachen Rechtsschutz zu bekommen, an die Zivilgerichte wenden. Es ist wichtig, zentral und entscheidend, dass diese Menschen niedrigschwelligen Zugang zum Recht haben und dass sie vor allem auch schnell eine Entscheidung bekommen. Im Sozialrecht geht es nicht um große Summen, aber es geht um Tage, um wenige Tage, in denen man diese Summen zur Verfügung braucht. Darum ist es wichtig, dass die Justiz gerade jetzt gut aufgestellt ist, um den Menschen schnell zu ihrem Recht zu verhelfen. ({9}) Herr Präsident, meine Damen und Herren, der Minister hat es gesagt: Die Fortschrittskoalition wird das Familienrecht und vor allem auch das Namensrecht umfassend modernisieren. Deutschland hat eines der restriktivsten Namensrechte der Welt. Der Name ist ein wichtiger Bestandteil der Persönlichkeit, und es ist insbesondere für binationale Paare zum Beispiel kaum nachvollziehbar, warum sie Namen, die sie in Spanien oder auch in Großbritannien tragen dürfen, hier in Deutschland wegen des Verbots der Doppelnamen, wegen des Verbots von Mittelnamen und Ähnlichem nicht führen können. Einen sachlogischen Grund für diese Beschränkung gibt es nicht. Darum wird die Fortschrittskoalition sie endlich, endlich abschaffen und damit den Bedürfnissen vieler Menschen in diesem Land gerecht werden. Ein weltoffenes und multikulturelles Land wie Deutschland braucht ein weltoffenes und multikulturelles Namensrecht. Vielen Dank. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Axel Müller, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Axel Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich beginne mit einem Zitat aus dem Vorwort des Einzelplans des Bundesjustizministeriums, das da lautet – das haben wir heute schon gehört –: Das Bundesministerium der Justiz ist in erster Linie ein Gesetzgebungsministerium, und es berät die anderen Ministerien bei deren Vorhaben. ({0}) Recht, liebe Kolleginnen und Kollegen, setzen aber letztendlich wir, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Wir regeln damit das Zusammenleben der Menschen. ({1}) Unser Rechtsstaat gewährleistet Freiheit und schafft mit den unabhängigen Gerichten ein Verfahren, das Konflikte staatlicherseits beendet, die die Betroffenen selbst nicht in den Griff bekommen. Er verbietet aber auch, dass Konflikte mit den Mitteln der Selbstjustiz geregelt werden. Ich hätte mir als Student in den 80er- und als Richter in den 90er-Jahren nicht vorstellen können, dass wir irgendwann Parallelgesellschaften haben, die meinen, sie könnten ihre Konflikte teilweise außerhalb des staatlichen Konfliktregelmanagements regeln. ({2}) Der Rechtsstaat, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss das alleinige Gewaltmonopol haben, weil sonst das Vertrauen in ihn schwindet. Das Vertrauen der grundsätzlich rechtstreuen Bürger und Bürgerinnen unseres Landes, ohne deren Rechtstreue der Rechtsstaat ja gar nicht funktionieren würde, leidet aber auch, wenn die Rechtsetzung die gesellschaftliche Debatte abkürzt oder gar ersetzt. Ich habe das beim Werbeverbot für Abtreibungen so empfunden; und so empfinden es auch viele Kollegen aus der Justiz, wenn es um den jüngsten Vorschlag des BMJ geht, die Strafzumessungsvorschrift des § 46 StGB zu reformieren. Sehr geehrter Herr Minister, Gesellschaftspolitik allein darf nicht der Sound sein, der den Ton für die Rechtspolitik und die Rechtsetzung angibt. ({3}) Zudem sollten wir – und das ist mir ein echtes Anliegen – darauf achten, dass wir Gesetze beschließen, die sich in der Praxis dann auch als ausführbar erweisen. Drei Negativbeispiele in aller Kürze: Das erste: die allgemeine Impfpflicht. Wenn sie denn so gekommen wäre, wie es ein Teil des Hauses gewollt hätte, wäre sie in der Kürze der Zeit, die dafür vorgesehen war, nicht umsetzbar gewesen, ({4}) weil den Krankenkassen, die das machen sollten, das Personal und das Papier fehlte. Zweitens. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht ist bis heute ohne Wirkung geblieben. ({5}) Wir haben sie mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss in aller Schnelle vorbereitet wegen des Schutzes vulnerabler Gruppen. Bis heute ist sie praktisch bedeutungslos geblieben. ({6}) Das dritte Beispiel. Es gibt Irritationen, wie ich es gesagt habe, auch in der Justiz, wenn diejenigen, die für die Rechtskontrolle zuständig sind – und damit nenne ich als ehemaliger Strafrichter die Strafgerichtsbarkeit als Beispiel –, das Gefühl haben, dass ihre Handlungsspielräume immer mehr eingeengt werden. Deshalb habe ich mir hier bewusst den § 46, so wie Sie ihn reformieren wollen, noch einmal vorgenommen. Die Strafzumessung ist ureigenste Aufgabe der Tatgerichte. Das sieht auch der Bundesgerichtshof so und greift deshalb nur bei groben Fehlern ein. Sie engen aber diesen allgemeinen Rahmen der Strafgerichtsbarkeit, die die Gerichte bei der Strafzumessung haben, durch Einzelfallkatalogvorgaben immer weiter ein; und das verengt die Befugnisse. Sie verengen nicht nur die Befugnisse, sondern – das ist die negative Begleiterscheinung – Sie erschweren damit auch die Beweisaufnahme, die sich auf weitere Punkte erstrecken muss, und konterkarieren damit auch die Ergebnisse, die wir in der letzten Legislaturperiode mit dem damaligen Koalitionspartner gemeinsam erreicht haben, als es darum ging, die Beweisaufnahme abzukürzen, Beweisantragsrechte zu kürzen – und das natürlich nicht, ohne den Rechtsstaat dabei zu beachten. Deshalb komme ich zu dem Schluss, dass es richtiger wäre – und so sieht es auch der Deutsche Richterbund –, dass wir den Kurs fortsetzen, den wir mit dem Pakt für den Rechtsstaat eingeschlagen haben. So sollte es ja auch nach Ihrem Koalitionsvertrag sein. Das heißt, dass wir gemeinsam mit den Ländern für adäquate sachliche wie personelle Ausstattung der Justiz, der Polizei und der Gerichte sorgen, insbesondere auch zum Schutz vor Hassdelikten. Ein Satz noch zur Ersatzfreiheitsstrafe. Alle sagen, die Vollstreckung muss halbiert werden. Ich rekurriere auf den Justizminister Goll von der FDP, der vor über 20 Jahren in Baden-Württemberg das Programm „Schwitzen statt Sitzen“ eingerichtet hat. Warum gehen Sie nicht dahin gehend vor, indem Sie sagen, für einen Tag Arbeit werden zwei Tage Ersatzfreiheitsstrafe angerechnet? ({7}) – Das muss man doch prüfen. Als Letztes bitte noch einen Satz, Herr Präsident: Vielleicht hilft es ja, wenn wir endlich mal begreifen, dass die Menschen draußen den bürokratischen Aufwand, den wir mit den Gesetzen hier drin verursachen, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.

Axel Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– erkannt haben, und wir mäßigen uns diesbezüglich; das ist mein Appell. Aber vielleicht hilft ja der Normenkontrollrat, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege!

Axel Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– der jetzt beim BMJ angesiedelt ist. Allerdings natürlich nur dann, wenn man seine Ratschläge annimmt. Danke schön. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als ehemaliger Strafrichter wissen Sie ja, dass die mangelnde Befolgung von Anordnungen des Vorsitzenden Konsequenzen haben kann. – Und ich will die Regierungsbank darauf hinweisen, dass bilaterale Gespräche nicht üblich sind. Nächster Redner ist der Kollege Jan Plobner, SPD-Fraktion. ({0})

Jan Plobner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Vor einigen Tagen ist in Münster ein 25-jähriger Transmann gestorben. Malte wurde getötet, weil er sich am Rande eines CSD schützend vor eine Gruppe Frauen gestellt hat. Malte wurde getötet, weil er dem Hass etwas entgegengesetzt hat. Malte wurde getötet, weil Queerfeindlichkeit auch vor dem Leben keinen Halt macht. Ich bin immer noch fassungslos. Ich bin traurig – und ich bin maßlos wütend. ({0}) Queere Menschen werden in diesem Land beleidigt, angegriffen, ermordet – schlicht, weil sie sind, wer sie sind. Und zu vielen ist das immer noch nur ein Schulterzucken wert. Gerade deshalb ist es mir so wichtig, dass wir hier im Deutschen Bundestag über Malte sprechen, darüber sprechen, was gerade los ist in unserer Gesellschaft. Denn wenn wir hier über unseren Justizhaushalt – Einzelplan 07 – diskutieren, dann sprechen wir auch immer über Rechtsstaatspolitik. Auch das gehört zu einer Haushaltsdebatte. ({1}) Wir sprechen über das Leben der Menschen in diesem Land. Das, was sich in den letzten Monaten in unserer Gesellschaft entwickelt, ist kein Zufall. Es ist kein Zufall, dass Hass, Hetze und Gewalt gerade gegen Queere und insbesondere auch gegen Transmenschen zunehmen; denn es ist verdammt leicht, gegen queere Menschen zu hetzen. Es handelt sich um eine kleine Personengruppe, eine Personengruppe, die zwar recht verbreitet toleriert, der aber auch recht verbreitet mit Unverständnis begegnet wird. Wir hängen zwar einmal im Jahr eine Regenbogenflagge vor unsere Tür; aber schauen Sie sich doch um! Wie viel Mut braucht es auch heute noch, sich als queer zu outen, auch hier im Deutschen Bundestag? Wie schwer ist es, im Wahlkreis als Abgeordneter nicht das Idealbild einer normalen Familie zu leben? Wie schwer ist es als queerer Politiker hier in Berlin, nicht sofort als Experte für Geschlechtskrankheiten, Promiskuität und Fetische herhalten zu müssen? ({2}) Es ist dagegen so leicht, zu sagen: Die sollen doch lieben, wen sie wollen, solange sie mich damit nicht behelligen. – Es ist dagegen so leicht, über eine Transperson zu spotten, wenn man selbst nie in tiefgreifende innere Konflikte über die Geschlechtserwartungen gekommen ist, die die Umwelt an einen stellt. Es ist so leicht, gegen queere Menschen zu hetzen, weil diese Personengruppe ganz allein mit ihrer Existenz so vieles infrage stellt, was für die Mehrheit völlig selbstverständlich scheint. Und weil es so leicht ist, nutzen reaktionäre Kreise genau diesen Türöffner, um einen Keil in die liberale, demokratische Gesellschaft zu treiben. Sie fangen an, Transpersonen und insbesondere Transfrauen als Bedrohung darzustellen, als Bedrohung für Kinder, für Frauen, als Bedrohung für einen ominösen „gesunden Menschenverstand“. Sie tragen scheinbar nüchterne Argumente vor: von Frauenhäusern, von Sportwettkämpfen. Sie wiederholen sie so oft, bis auch in der letzten Talkshow noch von einem „sachlichen Problem“ die Rede ist, von einer „Meinungsverschiedenheit“. Als hätten wir nicht gelernt, dass so schreckliche Taten wie in Münster erst dann in der „Bild“-Zeitung landen, wenn der Täter nicht deutsch oder römisch-katholisch ist. Als hätten wir nicht gelernt, dass sie erst dann breit diskutiert werden, wenn man Minderheiten gegeneinander ausspielen kann. ({3}) Was dabei immer stärker in Vergessenheit gerät, ist, dass es eben nicht um eine Meinungsverschiedenheit geht. Es geht um das Existenzrecht einer ganzen Personengruppe, die Stück für Stück in Abrede gestellt wird. ({4}) Es geht darum, die liberale Gesellschaft als Ganzes infrage zu stellen. Wir können diese Entwicklung doch seit einigen Jahren in vielen Ländern beobachten. Transpersonen sind die Ersten, deren Existenzrecht angezweifelt wird. Als Nächstes werden Frauen- und Abtreibungsrechte zur Debatte gestellt und am Ende der Rechtsstaat. ({5}) Deswegen ist es wichtig, dass wir als Regierungsfraktionen das Selbstbestimmungsgesetz einführen, um das antiquierte TSG von 1980 endlich zu ersetzen. ({6}) Deswegen ist es richtig, dass wir das Abstammungsrecht reformieren, weil queere Familien in unserem Rechtssystem immer noch systematisch diskriminiert werden. ({7}) Und deswegen ist es richtig, dass wir Maßnahmen gegen Hasskriminalität entwickeln. All das ist gesellschaftspolitischer Fortschritt, der für einige Menschen unter uns von existenzieller Bedeutung ist. All das sind Maßnahmen, die aber für weite Teile der Bevölkerung faktisch keine Auswirkungen haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe über Malte gesprochen und über den Hass, dem queere Menschen Tag für Tag ausgesetzt sind. Ich rufe uns alle dazu auf: Stellen wir uns gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit überall in den Weg – wie es Malte getan hat! Stellen wir uns hinter den Rechtsstaat! Nehmen wir unsere Verantwortung ernst! Schaffen wir ein Land in Vielfalt vereint! Rest in Power, Malte. Rest in Power. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Fabian Jacobi, AfD-Fraktion. ({0})

Fabian Jacobi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004767, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Justizministeriums ist einer der kleinsten und einer der langweiligsten – nicht weil er unwichtig wäre, sondern weil er zum großen Teil aus den Kosten für das Personal und die Sachmittel unserer obersten Gerichte besteht. Und über deren Notwendigkeit lässt sich eben kaum streiten. Allenfalls an kleineren Einzelpunkten könnte sich sinnvollerweise eine politische Debatte entzünden, etwa wenn das Justizministerium den Bereich der Justiz verlässt und auch in diesem Haushalt wieder eine Viertelmillion Euro an eine gesellschaftlich schädliche Einrichtung wie die Amadeu-Antonio-Stiftung ausreichen will. ({0}) Aber das sind Randaspekte. Interessanter als sein Haushalt ist das Ministerium selbst und der Geist, der ihm innewohnt. Das ist in einer hierarchischen Struktur zuvörderst der Geist des Herrn Ministers und also ein kluger und philosophischer Geist. ({1}) Er zeigte sich öffentlich etwa im Februar, als der Herr Minister gegenüber Frau Maybrit Illner als Lehre aus Jahrtausenden abendländischer Staatsphilosophie formulierte, es sei „der Schritt zur Tyrannei immer dann getan, wenn sich die Inhaber der Macht selber aussuchen, ob sie sich an Gesetze halten oder nicht.“ ({2}) Als jüngst nun getreu diesem Motto unser Kanzler nebst Reisegruppe befand, der Maskerade sei es für ihn genug und das Infektionsschutzgesetz in seinem Luftfahrzeug nicht gar so verbindlich, da wusste man im Justizministerium auch für diese entstandene missliche Lage einen klugen Ausweg. Man hat die Regelung, an die sich zu halten die Inhaber der Macht erkennbar nicht geneigt waren, kurzerhand abgeschafft. ({3}) Und so ist die Freiheit über den Wolken seit heute wieder etwas grenzenloser, während der Maskenzwang für das buchstäblich niedere Volk am Boden fortbesteht. Aber das ist Wasser unter der Brücke. Spannender der Blick in die Zukunft: Was brütet der Geist im Justizministerium weiter aus? Einiges ist angekündigt, darunter wahrlich Faszinierendes. Ein sogenanntes Selbstbestimmungsgesetz etwa soll Folgendes vorsehen: Ein Mensch, der objektiv in jeder für seine Umwelt relevanten Hinsicht ein Mann ist, jedoch für sich in Anspruch nimmt, eine Frau zu sein, soll die Macht erhalten, von allen seinen Mitmenschen die aktive Bestätigung und Bekräftigung dieser Unwahrheit zu verlangen; und der Staat soll dieses Verlangen mit Zwang und Strafgewalt durchsetzen. Es liegt mir ferne, den Herrn Minister und sein Vorhaben in religiöse Kategorien zu fassen, ihm gar dämonische Qualitäten zusprechen zu wollen. Dennoch möchte ich mit einem Klassikerzitat schließen und dieses zu bedenken geben: „Teuflisch ist es, das Reich der Lüge aufzurichten und andere Menschen zu zwingen, in ihm zu leben.“ ({4}) In diesem Sinne bedanke ich mich und wünsche weitere erfolgreiche Beratungen. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Canan Bayram, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Canan Bayram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004665, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten den Haushalt für das nächste Jahr, ({0}) und in der Tat hätte man bei dem einen oder anderen, was hier heute diskutiert wurde, sich die Frage stellen können: Was hat das eigentlich mit dem Justizetat zu tun? ({1}) Der Herr Brandner hat dazu, wie wir es von ihm gewohnt sind, nichts beizutragen. ({2}) Aber in der Tat, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es gibt sehr viel zu tun und sehr viel zu sagen im Zusammenhang mit dem Justizhaushalt. Insoweit freut es mich sehr, dass heute deutlich geworden ist, dass wir bei der Ersatzfreiheitsstrafe demnächst einen Gesetzentwurf verhandeln werden, ({3}) der den Justizhaushalt entlasten wird. ({4}) Dafür schon mal ganz herzlichen Dank, lieber Herr Buschmann. ({5}) Denn auch wenn die AfD sich hier täuscht und nicht erkennen will, dass das eine Relevanz im Justizhaushalt hat, möchte ich darstellen, dass es eben so ist, dass wir in der Praxis Menschen haben, deren einziges Problem der Umstand ist, dass sie zu wenig Geld haben, um sich ein Ticket leisten zu können. ({6}) Dieser Umstand führt dazu, dass sie Geldstrafen in Höhe von 15 Euro pro Tag zahlen müssten. Weil sie die nicht haben, führt das im Endeffekt dazu, dass die Länder bis zu 180 Euro am Tag für Haftplätze in den Justizvollzugsanstalten ausgeben. Das wollen wir ändern, indem wir den Anrechnungsschlüssel bei der Ersatzfreiheitsstrafe ändern, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Aber es ist auch kein Geheimnis, lieber Herr Buschmann, dass ich mir da mehr vorstellen kann. ({8}) Ich kann mir vorstellen, dass wir den Straftatbestand im Zusammenhang mit dem Fahren ohne Fahrschein zu einer Ordnungswidrigkeit herabsetzen. ({9}) Denn warum wird Falschparken als eine Ordnungswidrigkeit angesehen, ({10}) aber Fahren ohne Fahrschein als eine Straftat? Das wollen wir ändern, das können wir ändern, und da hoffe ich auf Ihre Unterstützung, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({11}) Überhaupt kann ich sagen: Beim Thema Entkriminalisieren gibt es noch so viel Potenzial, wie wir die Staatsanwaltschaften, die Gerichte und die Justizvollzugsanstalten entlasten könnten. Ich sehe Ihr Nicken, lieber Herr Justizminister. ({12}) Sie alle wissen, dass es einen Bereich gibt, in dem wir endlich legalisieren können, ({13}) nämlich den Genuss von Cannabis. Wir sollten aufhören, Menschen dafür zu kriminalisieren, dass sie einen Joint genießen wollen. ({14}) Da ist es gut für mich, zu wissen, dass wir mit diesem Justizminister jemanden haben, der sich dafür einsetzt, dass wir einen Weg finden – legal in Deutschland und auch europarechtskonform –, die Gesetze so zu verändern, dass es endlich Realität wird, dass die Menschen in meinem Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg und Prenzlauer Berg Ost mit allen anderen Menschen in dieser Republik tatsächlich gleichberechtigt Genussmittel konsumieren können. Sie wissen sicherlich, dass insbesondere Hans-Christian Ströbele, der über 20 Jahre diesem Hohen Haus angehört hat, sich wie wahrscheinlich kaum ein anderer für diese Gerechtigkeitsfrage eingesetzt hat. ({15}) Lassen Sie uns gemeinsam Hans-Christian Ströbele den Gefallen tun und gemeinsam endlich das Hanf freigeben, meine Damen und Herren. ({16})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächste erhält das Wort die Kollegin Franziska Hoppermann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Franziska Hoppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Justizminister! Größe und Bedeutung des Einzelplans des Justizministeriums haben viele meiner Kolleginnen und Kollegen schon hervorgehoben. Gerade im aktuellen Zeitgeschehen betonen alle demokratischen Fraktionen, wie wichtig doch der Rechtsstaat ist. ({0}) Bundeskanzlerin Angela Merkel hat deshalb bereits im Januar 2019 gemeinsam mit den Ministerpräsidenten den Pakt für den Rechtsstaat beschlossen. ({1}) Sowohl die Ebene als auch der Umfang zeigen, wie wichtig der Kanzlerin und ihrer Bundesregierung bundesweit die Stärkung der Justiz gewesen ist: ein großes Unterhaken aller staatlicher Ebenen. Lassen Sie mich einen Satz zur leeren Bundesratsbank sagen: Wenn ich so schlecht von der Bundesregierung behandelt würde, würde ich mich zu diesen Beratungen auch nicht hierhersetzen. ({2}) Das Bekenntnis der CDU-geführten Regierung wollte die Ampelkoalition eigentlich aufnehmen. Im Koalitionsvertrag steht dazu wörtlich: Wir verstetigen mit den Ländern den Pakt für den Rechtsstaat und erweitern ihn um einen Digitalpakt für die Justiz. Das steht auf Seite 84 Ihres gemeinsamen Vertrags; falls Sie das noch mal nachlesen wollen. ({3}) Offenbar scheint diese Vereinbarung für Sie aber keine Rolle mehr zu spielen. Gesellschaftspolitischer Sound ist Ihnen offensichtlich wichtiger. Das verstehe ich bei Ihnen als DJ, ehrlich gesagt, ein bisschen, aber wie würde ein bekannter Grünenpolitiker eher sagen: Sorry, I’m not convinced. Denn, Herr Minister, seit Sie im Amt sind, ist weder beim Pakt für den Rechtsstaat noch beim Digitalpakt Recht etwas passiert. Der Pakt für den Rechtsstaat ist bis heute ohne Nachfolge und ausgelaufen. Frau Kollegin Dilcher, jeder in unserer Fraktion weiß, wie die Veranschlagung des Pakts für den Rechtsstaat gelaufen ist. Aber egal, wo er veranschlagt und verortet ist, es braucht eine Vereinbarung und einen Pakt, und den gibt es nicht mehr. Das wirklich erste ernsthafte Gespräch zum Thema Digitalpolitik gibt es erst in der kommenden Woche. Ihre Bedenken gegen eine Verstetigung des ausgelaufenen Paktes, dass in der bisherigen Form die Mittel nicht in der Justiz ankommen würden, teilen wir nicht. ({4}) Sie sind Ausdruck eines großen Misstrauens Ihrerseits gegenüber den Ländern und vor allem gegenüber den Landesjustizministern. ({5}) Und sichergestellt, wie Sie vorhin sagten, ist gar nichts und schon gar nicht im Sinne eines Fortschritts. Dass Sie mit der Länderebene fremdeln, habe ich schon in meiner letzten Rede zum letzten Haushalt gesagt. Schon zur ersten Justizministerkonferenz sind Sie nicht persönlich gefahren, und – ich weiß nicht, ob das hier die Kolleginnen und Kollegen wissen – auch für die nächste Justizministerkonferenz Ende September haben Sie bereits abgesagt. ({6}) Zu dieser gemeinsamen Konferenz mit den Innenministern fährt nur Kollegin Faeser. ({7}) Sie scheuen offensichtlich den Kontakt und das Gespräch. Diese Passivität erklärt auch, warum es im Bereich der Digitalisierung der Justiz nicht vorangeht. Sie behaupten, auf die Vorschläge der Länder für die gemeinsamen Digitalprojekte zu warten. Die liegen Ihrem Haus aber bereits seit Ende Juli vor. Der E‑Justice-Rat hat umfangreiche Kataloge an Vorschlägen gemacht. Ihre Abteilung für Digitales hat das auch mitgenommen. Es geht um sehr konkrete Projekte, die allen Ebenen weiterhelfen würden: KI-Strategie der Justiz, digitaler Austausch mit der Polizei in einer Beweismittel-Cloud, Entwicklung eines bundesweiten Registerfachverfahrens und vieles mehr. Das sind sehr viele konkrete Vorschläge der Länder, die jetzt aber auch zügig angegangen und umgesetzt werden müssen. Ich verstehe da, ehrlich gesagt, weder Ihre Zögerlichkeit noch Ihre verweigernde Haltung gegenüber den Ländern. ({8}) Die Beschränkung auf Digitalprojekte, an denen Sie sich beteiligen wollen, ist aber auch nicht das, was im Koalitionsvertrag steht und was den Pakt für den Rechtsstaat verstetigen würde. Ein weiterer Punkt, der bisher fraktionsübergreifend vorangebracht und unterstützt wurde, ist die von Frau Kollegin Dilcher angesprochene Stiftung Forum Recht. Auch hierzu würde ich gerne zwei, drei Sätze zu sagen. Aus meiner Sicht kommen wir nämlich im Jahr 2023 an einen entscheidenden Wendepunkt. Sie schreiben den Ansatz der Stiftung aus dem Jahr 2022 schlicht fort, obwohl die Stiftung 1,3 Millionen Euro mehr angemeldet hat. ({9}) – Oder 1,7. – Im Errichtungsgesetz ist tatsächlich ein erheblicher Mittelaufwuchs vorgesehen. Wir waren in der vorherigen Regierung und in der vorherigen fraktionsübergreifenden Beratung über die Errichtung dieser Stiftung eigentlich einer Meinung. ({10}) Sie, Herr Minister, und auch wir als Parlamentarier müssen schon entscheiden, ob wir diese Stiftung wollen und wie wir sie arbeitsfähig machen. Zwischen 5 Millionen Euro und einem mittleren zweistelligen Millionenbetrag liegt schon ein bisschen Luft, und darüber müssen wir sprechen. ({11}) Sie befindet sich noch im Aufbau. Sowohl in Karlsruhe als auch in Leipzig entstehen die Räumlichkeiten erst, und das Personal ist in der Besetzung. Aber wenn es keine Planungssicherheit für die eigentlichen Sachmittel gibt, dann ist ein Output im Sinne der Stiftung eben auch nicht möglich. Wir stehen zu dieser Stiftung und zu ihrem Zweck; das will ich an dieser Stelle noch mal deutlich sagen. ({12}) Ich komme zum Schluss. Der Haushalt des BMJ enthält keine Entwicklung. Er ist ein Weiter-so ohne Vision und ein Einzelplan, der die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag nicht enthält. Sie setzen wichtige Vorhaben wie den Pakt für den Rechtsstaat, den Digitalpakt Recht und auch den Aufbau der Stiftung Forum Recht nicht um. Ich erwarte hier im Laufe der Haushaltsberatungen ein deutliches Nachsteuern. Herzlichen Dank. ({13})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Hoppermann. – Sie haben darauf hingewiesen, dass die Bundesratsbank so schlecht oder gar nicht besetzt ist. Das hat aber weniger mit mangelndem Respekt vor der Bundesregierung als mit mangelndem Respekt vor dem Deutschen Bundestag zu tun. ({0}) Denn es ist die Bundesratsbank im Reichstagsgebäude des Deutschen Bundestages. ({1}) Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Esra Limbacher, SPD-Fraktion. ({2})

Esra Limbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005131, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister Buschmann! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Saarländer habe ich vor allen Dingen eines verinnerlicht, nämlich den Spruch: Großes entsteht immer im Kleinen. Genau das merken wir hier in der Debatte auch. Rechtspolitik im Bundestag ist vielfältig, und es geht trotz der bescheidenen Größe des Einzelplans 07 ums Große und Ganze. Und noch wichtiger: Hier spüren wir gesellschaftliche Entwicklungen in allen Lebensbereichen direkt und unmittelbar. Gespürt haben genau das auch viele Reisende in diesem Sommer, die an überfüllten Flughäfen standen und mit viel Verspätung oder gar nicht abgehoben sind; vielleicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, ging es auch dem einen oder anderen in diesem Hause so. Was macht man aber in so einer Situation? Woher weiß man, welche Rechte man hat und was man zu tun hat? Wir stellen fest: Der Weg zum Anwalt ist für die meisten in so einem Moment ein viel zu hoher Aufwand. Die Realität ist doch, dass nur ein Bruchteil der Betroffenen ihre Rechte wahrnimmt und eine Entschädigung einfordert – leider, muss man sagen. Dabei gibt es heutzutage Unternehmen, sogenannte Legal-Tech-Unternehmen, die sich dieser Fälle annehmen, das Erfolgsrisiko übernehmen und die Entschädigungen für die Betroffenen einfordern. Das Ganze geht online und schnell. Und da sind wir schon beim Thema, dem Zugang zum Recht und der Durchsetzung von Rechten. Es muss unser Anspruch sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass jeder Mensch in Deutschland den gleichen Zugang zum Recht und auch zur Justiz hat. ({0}) Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir bestehende Ungleichheiten beseitigen. Das geht einerseits über eine gute Ausstattung der Justiz; das ist klar. Das ist aber nicht der einzige Punkt. „Zugang zum Recht“ heißt zweitens auch, sichtbare Strukturen zu schaffen, die für alle zugänglich sind. So werden die jüngeren Generationen einen anderen Zugang haben und nutzen als ältere. Ein Digital Native wird erst einmal googeln, wenn er oder sie rechtliche Unterstützung benötigt. Digital Natives sind Vergleichsplattformen gewöhnt. Wenn ein Termin beim Arzt gebucht wird, wird das vor allem online gemacht. Als Legislative müssen wir diese Entwicklungen mitbedenken. „Zugang zum Recht“ heißt auch, die moderne, globalisierte Welt zu nutzen, und unsere Fortschrittskoalition, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat das verstanden. ({1}) Ein weiterer Punkt, der mit dem Zugang zum Recht fest zusammenhängt, ist die Digitalisierung. Das ist ein Punkt, der mir persönlich, aber, denke ich, auch ganz vielen von Ihnen ein besonderes Anliegen ist. Digitalisierung ist sicher ein breites Themenfeld. Hier sprechen wir einerseits über die Digitalisierung der Justiz zum Beispiel durch die E‑Akte oder durch besseren Informationsaustausch zwischen Behörden, Gerichten usw. Denn Digitalisierung bedeutet, wie der Kollege vorhin schon gesagt hat, eben nicht, eine Klage per E‑Mail einzureichen, die dann am Gericht wieder ausgedruckt wird. Genau darum geht es nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir sprechen andererseits über moderne, digitale Systeme, die eine Brücke schlagen zwischen der Justiz, der Wirtschaft und den Menschen hier im Land. Wir als Koalition haben im ersten Halbjahr dieses Jahres bereits einiges geschafft; das kann man wirklich sagen. Wir haben zum Beispiel die virtuellen Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften dauerhaft im Aktiengesetz verankert. ({2}) Wir haben außerdem die Digitalisierungsrichtlinie weiter umgesetzt und dadurch Online-Gründungen ermöglicht. Das ist wirklich ein besonderer Schritt in Deutschland; das gab es vorher in dieser Form nicht. Das sind wichtige Schritte, und jetzt müssen wir genau hier weitermachen. ({3}) Um als Wirtschaftsstandort und starker Rechtsstaat weiter erfolgreich sein zu können, müssen wir schon heute die Grundlagen legen für digitale Strukturen; das sehen wir gerade am Beispiel Legal Tech. Hier liegt wirklich unglaublich viel Potenzial. Wir dürfen uns nicht abhängen lassen und eine Entwicklung verpassen, die weltweit passiert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Digitalisierung und Zugang zum Recht – das müssen wir immer zusammendenken. Sie bedingen sich gegenseitig und hängen voneinander ab. Sie sind die Grundlage für künftige Rechtsstaatlichkeit in Deutschland. Deswegen ist dieser Haushalt auch so wichtig. Es geht nicht bloß um Mittel für die Justiz. Es geht um nichts anderes als um den Erhalt unserer Rechtsstaatlichkeit und damit auch unseres demokratischen Systems. ({4}) Last, but not least möchte ich mich herzlich bei allen Kolleginnen und Kollegen bedanken, die an diesem Haushalt mitgearbeitet haben, ganz besonders bei unserer Berichterstatterin Esther Dilcher. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen. Vielen Dank. ({5})

Hubertus Heil (Minister:in)

Politiker ID: 11003142

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Unser Land steht zweifelsohne vor großen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen, vor allen Dingen in diesem Herbst, in diesem Winter – und auch im nächsten Jahr. Viele Menschen machen sich Sorgen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen. Viele vor allen Dingen kleinere und mittelständische Unternehmen haben Angst davor, dass auf der einen Seite hohe Energiekosten und auf der anderen Seite eine fehlende Konsumnachfrage ihr Geschäft schädigen. Und viele Menschen machen sich auch schon wieder Sorgen, was das für ihre Arbeitsplätze bedeutet. Die Ursache dafür – das dürfen wir in dieser Debatte nicht vergessen – ist die Tatsache, dass Energie als Waffe eingesetzt wird, als Waffe, um den sozialen Frieden zu untergraben. Genau das ist Putins Kalkül. Ich bin mir bei aller Größe der Herausforderungen sicher, dass wir eines miteinander hinbekommen: Putin wird unsere Gesellschaft nicht spalten. Er unterschätzt den sozialen Zusammenhalt in dieser Gesellschaft, und darum geht es auch in dieser Debatte. ({0}) Es ist ja nachzulesen, dass er versucht, westliche Demokratien zu destabilisieren, nicht nur die Ukraine zu überfallen, sondern auch uns zu schwächen. Aber ich will Ihnen sagen, warum ich trotz aller Größe dieser Herausforderungen – es unterschätzt überhaupt niemand, was das für eine Größe ist – zuversichtlich bin, dass wir Deutschland sicher durch diesen Winter bringen können: Wir haben seit Anbeginn dieser Bundesregierung alles getan, um die Gasversorgung in Deutschland zu sichern, die Speicher zu füllen, Ersatz zu beschaffen und dafür zu sorgen, dass die vierte Stufe einer Gasnotlage nicht ausgelöst werden muss und dass es keine Knappheiten gibt, die zu Verteilungskonflikten zwischen Wirtschaft und Verbrauchern führen. Das ist eine ganz, ganz wichtige Nachricht, und ich finde, der Bundeskanzler hat das in seiner Rede in dieser Woche sehr eindrucksvoll deutlich gemacht. Das war harte Arbeit, und das ist harte Arbeit. ({1}) Klar ist auch: Wir müssen etwas tun, damit die Energiepreise runtergehen. Die Koalition hat beschlossen, am Strommarkt mit einer Strompreisbremse dafür zu sorgen, dass wir eben nicht durch das Strommarktdesign zulassen, dass der Strompreis durch Zufalls- oder Übergewinne noch weiter steigt. Und wir werden auch beim Gaspreis Maßnahmen ergreifen. ({2}) Aber, meine Damen und Herren, trotz alledem sind die Energiekosten hoch, und auch allgemeine Lebenshaltungskosten belasten viele Menschen. Das sind Aufgaben, denen wir uns zu stellen haben. Deshalb haben wir mittlerweile Entlastungspakete im Umfang von fast 100 Milliarden Euro auf den Weg gebracht, um gezielt vor allen Dingen Menschen mit mittleren und unteren Einkommen zu entlasten. Dazu gehört, dass wir zum 1. Januar die Regelsätze für die Grundsicherung im neuen Bürgergeld anpassen werden. Dazu gehört die größte Wohngeldreform, die es in dieser Republik bisher gegeben hat, um Mieterinnen und Mieter mit geringem Einkommen zu unterstützen, übrigens auch nochmals mit einem Heizkostenzuschlag. ({3}) Dazu gehört, dass wir an Geringverdiener gedacht haben. Wir sorgen dafür, dass Menschen, die weniger als 2 000 Euro verdienen, nicht nur erleben, dass sie durch die Erhöhung des Mindestlohns, der zum 1. Oktober ja auf 12 Euro steigen wird, mehr Geld in der Tasche haben, sondern dass wir ihnen durch eine Senkung von Sozialversicherungsbeiträgen auch mehr davon in der Tasche lassen – und das, ohne dass sich der soziale Schutz für die Beschäftigten im Bereich der Midijobs verringert. ({4}) Ich bin froh, dass wir in der Koalition nicht nur Entlastungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschlossen haben – mit der Energiepreispauschale, die jetzt zum 1. September gekommen ist – und auch an Selbstständige gedacht haben, sondern dass wir es auch hinkriegen, dass Studierende, dass Fachschülerinnen und Fachschüler und dass auch die 22 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland Unterstützung bekommen. Die 300 Euro werden ankommen, meine Damen und Herren. Das haben wir in der Koalition beschlossen. ({5}) Das Kindergeld wird angepasst; auch der Kinderzuschlag wird erhöht. Und, meine Damen und Herren, es ist wichtig, dass wir auch an die arbeitende Mitte in diesem Land denken. Deshalb stehe ich zu den steuerlichen Beschlüssen, die wir gefasst haben. Es geht nicht darum, nur einzelne Gruppen im Blick zu haben. Es geht darum, die gesamte Gesellschaft im Blick zu haben und dafür zu sorgen, dass diese Gesellschaft nicht durch Putins Krieg zerrissen wird. Das ist unsere Aufgabe, und der stellen wir uns. ({6}) Wir müssen aber auch die wirtschaftliche Substanz und die Arbeitsplätze durch diesen Winter bringen. Deshalb bin ich froh, dass mein Kollege Robert Habeck heute in seiner Rede, in seinem Teil deutlich gemacht hat, dass wir einen Schutzschirm auch für mittelständische Unternehmen aufspannen werden. Ich werde meinen Beitrag leisten, auch in dieser Zeit dafür zu sorgen, Arbeitsplätze zu sichern. Deshalb kann ich Ihnen an dieser Stelle sagen: Wir werden am nächsten Mittwoch im Kabinett nicht nur beschließen, dass wir den vereinfachten Zugang zum Kurzarbeitergeld für diesen Winter weiter verlängern, sondern wir werden den Deutschen Bundestag auch bitten, uns im Bereich der Kurzarbeit alle Handlungsoptionen für den Fall einer wirtschaftlichen Eskalation zu geben. Die Sicherung von Arbeitsplätzen ist uns in der Coronazeit gut gelungen. Corona war und ist ja nicht nur die größte Gesundheitskrise unserer Generation, sondern auch die tiefste Wirtschaftskrise. Trotzdem haben wir den deutschen Arbeitsmarkt robust durch diese Krise gebracht; wir haben Millionen von Arbeitsplätzen gesichert. Und ich will, dass uns das auch in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten gelingt. Deshalb wird die Brücke der Kurzarbeit auch in diesem Winter den Beschäftigten und Unternehmen in Deutschland zur Verfügung stehen, meine Damen und Herren. ({7}) Es geht also um eine ernste Situation, und es ist vollkommen legitim, dass in diesem Hause, jedenfalls unter den demokratischen Parteien, über Mittel, Wege und Instrumente gestritten wird; das ist in einer Demokratie vollkommen üblich. Aber ich bitte Sie, bei allem Streit um das Einzelne nicht zu vergessen, wer unser eigentlicher Gegner ist. Er sitzt in Moskau. Er will diese Gesellschaft spalten, er will uns verunsichern, er will uns von der Solidarität zur Ukraine abbringen. Das dürfen wir als Gesellschaft nicht zulassen. Deshalb bekräftige ich, was ich kurz nach dem 24. Februar von diesem Pult aus gesagt habe: Ich bin der festen Überzeugung – und das ist die gesamte Bundesregierung, das ist die gesamte Koalition; ich glaube, die meisten Demokraten hier im Hause –: Äußere Sicherheit und innerer sozialer Friede sind zwei Seiten derselben Medaille. Das müssen wir mit Blick auf die Herausforderungen, die wir vor uns haben, beachten. Wir werden uns nicht spalten lassen, und wir werden diese Gesellschaft zusammenhalten. ({8}) Trotz aller Kraft, die wir daransetzen, diese Krise zu meistern, diese Bewährungsprobe für unser Land wirtschaftlich und sozial zu bewältigen, dürfen wir dabei nicht vernachlässigen, dass diese Gesellschaft nicht nur Krisenmanagement braucht, sondern sie braucht auch Fortschritt. Deshalb werden wir Themen, die wir uns als Koalition für die wirtschaftliche und die soziale Erneuerung dieses Landes vorgenommen haben, nicht auf die lange Bank schieben. Wir haben beispielsweise gestern beim Fachkräftegipfel darüber gesprochen, dass wir mit Blick auf den demografischen Wandel dafür sorgen müssen, dass der Mangel an Arbeits- und Fachkräften langfristig nicht zur dauerhaften Wachstums- und Wohlstandsbremse für Deutschland werden darf, wie wir das jetzt schon in vielen Branchen und Regionen in Deutschland erleben. Deshalb war es wichtig, dass wir uns gestern mit Wirtschaft und Gewerkschaften, mit Bund und Ländern und in der Koalition auf konkrete Maßnahmen verständigt haben, um die inländischen Potenziale in diesem Land voll zu erschließen. ({9}) Dazu gehört, dass wir mit einer Ausbildungsgarantie dafür sorgen, dass möglichst alle jungen Menschen eine Chance auf berufliche Ausbildung haben. Dazu gehört Berufsorientierung – wenn es nach mir geht, ab der fünften Klasse an jeder Schulform. Dazu gehört Mobilität, dazu gehört ein Angebot von betrieblichen Ausbildungsstellen, aber dazu gehört im Notfall in unterversorgten Gebieten auch überbetriebliche Ausbildung. Es geht um den Ausbau der Jugendberufsagenturen, den wir uns vorgenommen haben. Es geht darum, Menschen, die den Berufsabschluss verpasst haben, mit der Bürgergeldreform eine Chance zu geben, einen Berufsabschluss nachzuholen. Bei dem Bürgergeld geht es nicht nur um die Frage der sozialen Unterstützung und der Entbürokratisierung. Das ist wichtig; es geht aber auch darum, dass wir Menschen – und zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen haben keine abgeschlossene Berufsausbildung – eine neue Chance eröffnen und sie im Zweifelsfall nicht in irgendwelche Hilfstätigkeiten drücken, und das Jobcenter sieht sie dann nach ein paar Wochen oder Monaten wieder. Wir müssen dafür sorgen, dass sie einen finanziellen Anreiz haben, aber auch die Möglichkeit bekommen, einen Berufsabschluss nachzuholen. Auch das ist ein Beitrag zur Fachkräftesicherung. ({10}) Wir werden zudem den Anteil von Frauen an der Erwerbsbeteiligung in Deutschland erhöhen müssen und auch Menschen, die eingeschränkt sind, als Chance für unseren Arbeitsmarkt begreifen und Hürden abbauen. Wir werden gleichzeitig qualifizierte Zuwanderung mit einem modernen Einwanderungsgesetz für Deutschland schaffen. Das ist Wohlstandssicherung, meine Damen und Herren, die wir auch über die Krise hinaus betreiben werden. Ich hätte gern noch ein bisschen mehr Zeit, um Ihnen auch noch deutlich zu machen, was die Bürgergeldreform ist. Das werden meine Kolleginnen Kollegen machen. Ich will Ihnen auch sagen, dass wir in diesem Jahr auch noch die Sicherung des Rentenniveaus über 2025 hinaus machen werden. Sie sehen also: Diese Koalition hat die Kraft und die Entschlossenheit, nicht nur diese Krise für Deutschland zu meistern, sondern auch für Zukunft zu sorgen. Herzlichen Dank. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Minister Heil; knapp an der Strafminute vorbeigeschrammt. – Nächster Redner ist der Kollege Hermann Gröhe, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hermann Gröhe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002666, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Bundesminister, unser Land, unsere Wirtschaft und auch unser Sozialstaat machen zurzeit einen dramatischen Stresstest durch. Die Pandemie ist noch nicht überwunden, da treffen uns die Folgen von Putins Angriffskrieg und die Energiepreisexplosion mit großer Wucht. Zugleich dürfen wir nicht vergessen: Viel, viel härter trifft dieser Krieg die Menschen in der Ukraine selbst. Täglich sterben dort Frauen, Männer und Kinder. Wir wollen den Erfolg der Ukraine als Voraussetzung für den Frieden. ({0}) Ich danke allen, die sich jetzt in unserem Land für die vielen Flüchtlinge aus der Ukraine und für die Unterstützung der Ukraine selbst einsetzen, für ihren starken und großartigen Einsatz. Wir wollen, dass unser Sozialstaat diese Herausforderung gut meistert. Wer auf einen dramatischen Winter hofft, wer will, dass aus den Sorgen vieler Menschen Wut wird, der versagt politisch, der versagt moralisch, und der hat für sein schäbiges Tun eine klare Antwort aller Demokratinnen und Demokraten verdient, meine Damen, meine Herren. ({1}) Wir unterstützen alle sinnvollen Maßnahmen, um die Not vieler Menschen zu lindern. Gut, dass nun auch Rentnerinnen und Rentner, Studentinnen und Studenten eine Einmalzahlung erhalten; wir haben dies nachdrücklich gefordert. ({2}) Wir hätten uns eine gezieltere Einmalzahlung gewünscht: Mehr Geld für die, die bis weit in die Mitte unserer Gesellschaft hinein jeden Cent umdrehen müssen, keine Unterstützung für die, die sie nicht brauchen. ({3}) Ein guter Ansatz ist es, Sonderzahlungen von Steuern und Abgaben zu befreien, wenn sich Sozialpartner darauf einigen; das begrüßen wir ausdrücklich. Hoffentlich nutzen viele Betriebe dies. Hoffentlich können sie es auch nutzen. Gar nicht zu diesen Maßnahmen passt eine Gasumlage, die die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft belastet, um auch Unternehmen zugutezukommen, die dies gar nicht brauchen. ({4}) Wie sagt der SPD-Kollege Dirk Wiese? „Handwerkliche Umsetzung bedenklich, und am Ende zahlt der Bürger drauf.“ ({5}) Sie hätten heute diesen Unsinn stoppen können. Sie hätten heute diesen Unsinn stoppen müssen. Schade, dass Sie dies nicht getan haben. ({6}) Gerade in der Krise muss um jeden Arbeitsplatz gekämpft werden. Am Samstag hat in meinem Wahlkreis in Neuss die Aluminiumhütte Rheinwerk ihr 60-jähriges Bestehen gefeiert. Doch beim Gespräch mit Betriebsratschef und Werksleiter war uns nicht nach unbeschwertem Feiern zumute; denn es zeichnete sich ab, was heute Gewissheit ist: ein Zurückfahren der Produktion um 50 Prozent. Das Warten auf Lösungen bei Strompreis und Gaspreis bedeutet für diese Unternehmen das Bangen um den Fortbestand vieler Arbeitsplätze, und dies gilt erst recht für viele kleine und mittelständische Betriebe. ({7}) In dieser Lage ist es unverantwortlich, nicht alle Möglichkeiten der eigenen Stromerzeugung zu nutzen, um der Preisentwicklung entgegenzuwirken, meine Damen, meine Herren. ({8}) In der sozialpolitischen Debatte des Sommers waren viele Überschriften Wortgeklingel und mancher Koalitionsstreit in der Ampel zu erleben. ({9}) Sie haben ja das Bürgergeld angesprochen, Herr Minister, und wortreich vorgestellt. Es wurde von der FDP sofort und nachvollziehbar kritisiert im Hinblick auf die Neuberechnung der Regelsätze und den weitgehenden Verzicht auf Sanktionen – und zwar zu Recht; denn es wäre falsch, das Verhältnis von Grundsicherung und Arbeitsentgelten grundsätzlich zu ändern. ({10}) Das hat der Koalitionsausschuss nun ja auch abgeräumt; denn in Ihrem Beschluss steht ausdrücklich: Bei im Übrigen unveränderter Systematik solle – darüber können wir ja reden – über eine schnellere Inflationsanpassung geredet werden. Wie Sie wissen, lehnen wir die weitgehende Abschaffung der Möglichkeit der Durchsetzung von Mitwirkungspflichten ab. Der Landkreistag warnt zu Recht eindringlich vor Schritten hin zu einem bedingungslosen Grundeinkommen. ({11}) Der Kollege Johannes Vogel hat zu einem fairen Bürgergeld wörtlich erklärt, dazu gehöre, dass – Zitat – „an dem vom Verfassungsgericht bestätigten Umfang an Sanktionen“ festgehalten wird. Wo er Recht hat, hat er Recht. ({12}) Sie aber nennen das Einknicken vor Mitwirkungsverweigerern auch noch „Vertrauenszeit“. Das ist absurd, das sollte so nicht umgesetzt werden, meine Damen, meine Herren. ({13}) Ja, es gibt Dinge zu tun. Der Revisionsbericht der Bundesagentur für Arbeit zeigt: Die Maßnahmen der Unterstützung, Begleitung und Förderung müssen zielgerichteter werden. Wichtiger als neue Titel und Prämien sind Maßnahmen, die aus Sicht der Menschen, die zu ihnen gehen, auch Sinn machen. Hier ist harte Arbeit erforderlich und nicht einfach Wortgeklingel. Bei 1,9 Millionen offenen Stellen müssen wir alles tun, um Menschen in Ausbildung und Arbeit zu vermitteln. Und was tun Sie? Sie kürzen bei der Integration in Arbeit um 600 Millionen Euro – ein völlig falscher Schritt. ({14}) Der Arbeitsminister hat das Thema „Fachkräftemangel und Fachkräftezuwanderung“ angesprochen. Ihm wird jedenfalls noch bewusst sein, dass wir in der letzten Legislaturperiode ein modernes Fachkräfteeinwanderungsrecht geschaffen haben. ({15}) Ist deswegen die Arbeit erledigt? Nein! Wir müssen viel tun, um attraktiver zu werden: schnellere Visaverfahren, schnellerer Spracherwerb, schnellere Berufsanerkennung. All dies wird mit neuen Überschriften nicht gelöst, sondern nur mit harter Arbeit. Dazu sollten Sie bereit sein. ({16}) Ein anderes Beispiel sei genannt. Ja, ich habe es begrüßt, dass die FDP im Sommer stolz über die Aktienrente geredet hat. Ich hätte mir gewünscht, die SPD hätte ihr in der letzten Legislaturperiode getätigtes Versprechen, mit uns einen Neustart in der privaten Alterszusatzversorgung umzusetzen, eingelöst. Sie sind jetzt so stolz auf das Erreichte. Aber wo ist es denn im Haushalt? Wo sind denn die 10 Milliarden Euro? Im zweiten Haushalt dieser Ampel ist kein Cent dafür eingestellt. Jeder weiß: 10 Milliarden Euro in einem Kapitalstock sind kaum in der Lage, Zinserträge zu erwirtschaften, die bei 300 Milliarden Euro Rentenausgaben eine signifikante Rolle spielen. Sie reden schön, aber Sie tun zu wenig. So werden Sie Ihrer sozialen Verantwortung nicht gerecht, meine Damen, meine Herren! ({17})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Gröhe. – Nächster Redner ist der Kollege Markus Kurth, CDU/CSU-Fraktion. ({0}) – Ich war gerade etwas verwirrt, weil ich – – Bündnis 90/Die Grünen, Entschuldigung! ({1}) Herr Gröhe hat so viel Beifall von den Linken bekommen, da war ich einfach irritiert.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

So weit ist es noch nicht, und so weit wird es auch nicht kommen, Herr Präsident. ({0}) Ich bin zwar Christ, bleibe aber bei den Grünen. ({1}) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Gröhe, ich glaube, wir müssen aus gegebenem Anlass mal über das Menschenbild sprechen, das uns hier offensichtlich trennt – die Ampelkoalition und Sie –, und über die Haltung, mit der wir Menschen gegenübertreten, die unverschuldet in Not sind, die lange keine Arbeit hatten und – das wissen Sie ganz genau – zum ganz überwiegenden Teil verzweifelt Arbeit suchen. Wir von der Ampel gehen von unserer Haltung her zunächst mal von Zutrauen, Vertrauen und Befähigung aus. Wir wollen die Talente wecken, die in jedem Menschen schlummern, und wir wollen ihn befähigen. Wir sehen in den Menschen, die auf Sozialgesetzbuch-II-Leistungen angewiesen sind, keine Kostgänger oder Betrüger, ({2}) sondern Personen, die, wenn man sie unterstützt, einen super Beitrag für diese Gesellschaft leisten können! ({3}) Sie treten hier mit Unterstellungen, Missgunst und als Erstes mit der Vermutung an, dass das Personen seien, jedenfalls zu beträchtlichen Teilen, die gar nicht arbeiten wollten. ({4}) – Das ist die Unterstellung, der Subtext, der bei Ihnen mitschwingt. Es gibt andere, die sagen das sogar sehr, sehr deutlich, auf fieseste Art und Weise: Markus Söder hat diese Woche auf einem Volksfest in Gillamoos gesagt, es solle keiner Geld bekommen, der – wörtliches Zitat – „gerne in der Tonne liegt und Diogenes spielt“. ({5}) Also, ich frage mich wirklich: Wie verkommen und wie niederträchtig muss man sein, um vor einem grölenden, schon am Vormittag betrunkenen Publikum auf Kosten der Schwächsten dumme Pseudowitze zu machen? ({6}) – Machen Sie das. – Jeder natürlich auf seinem Niveau. Aber die Wahrheit ist: Praktisch niemand im Arbeitslosengeld-II-Bezug liegt gerne in der Tonne und spielt Diogenes. Im Gegenteil. ({7}) Die Realität sieht so aus, dass diese Personen mit jedem Cent rechnen müssen, dass viele von ihnen auch Versagens- oder Misserfolgserfahrungen haben, zum Beispiel abgelehnte Bewerbungen. Viele von ihnen – der Minister hat es angesprochen – verfügen nicht über eine Berufsausbildung, ein Viertel nicht über einen Schulabschluss. Das ist eine schwierige Problemlage, erst recht, wenn Kinder da sind. Personen, die in dieser Weise Probleme haben, sich selbst zu helfen, haben alles Recht darauf, dass wir sie unterstützen. Das ist auch die Zielsetzung von unserem Bürgergeld. Und diese aufmunternde und unterstützende Haltung eint alle drei Parteien, die diese Koalition bilden. ({8}) Dieses Gerede beruht ja auf einer doppelten Lüge. Die eine ist: Die Grundsicherungsbeziehenden wollen arbeiten, und das wird unterschlagen. ({9}) Das andere ist: Wir werden hier kein bedingungsloses Grundeinkommen einführen und die Sanktionen abschaffen; das stimmt doch gar nicht! ({10}) Wir haben in der Koalition eine sechsmonatige Vertrauenszeit vereinbart. Es geht darum, dass man zunächst mal – nicht für ewig – auf der Basis von Vertrauen eine Arbeitsbeziehung zwischen Jobcenter, Fallmanagerinnen und ‑managern und Hilfebedürftigen beginnt. ({11}) Andere Vereinfachungsregelungen und Verschonungsregelungen sind Bürokratieabbau; das sagen die Jobcenter selbst. Es geht darum, dass man nicht gleich am ersten Tag oder nach einem halben Jahr die Angemessenheit der Wohnung prüfen muss. Dafür hat man keine Kapazitäten mehr im Jobcenter; ({12}) sonst kann man sich nicht um Arbeitsaufnahme und Qualifikation bemühen; das sagen die Jobcenter selbst. ({13}) Ich sage Ihnen auch: Fähigkeitsaufbau, Arbeitskräfteentwicklung ist Wirtschaftspolitik. Das Stichwort „Arbeitskräftemangel“ ist hier gefallen. Wir können es uns nicht leisten, ein signifikantes Erwerbspersonenpotenzial brachliegen zu lassen. ({14}) An der Stelle muss man sich den Konsolidierungsbeitrag, den dieser vorliegende Haushaltsentwurf erkennbar leistet – die Eingliederungstitel; das Wort ist gerade seitens der Union als Zwischenruf gefallen –, natürlich daraufhin noch mal genau ansehen, ob das dem Ziel der Mobilisierung des Erwerbspersonenpotenzials wirklich gerecht wird. ({15}) Das gilt auch für den Konsolidierungsbeitrag, der im Moment verzeichnet ist bei der berufsbezogenen Sprachförderung von Zuwanderinnen und Zuwanderern. ({16}) Das ist eine Entwicklung, die im Haushalt festgeschrieben ist. Das ist gemacht worden, als es den Ukrainekrieg und die Flüchtlinge aus der Ukraine – überwiegend qualifizierte Frauen – noch nicht gab. Ich glaube, wir würden uns wirklich Schaden zufügen als Bundesrepublik Deutschland, als Volkswirtschaft, wenn wir diese Arbeitskräfte nicht nur in ihrem eigenen Sinne, sondern auch für unsere Wirtschaft nicht nutzen bzw. – „nutzen“ hört sich gemein an – befähigen würden, sodass wir hier zu einem guten Zusammenleben in diesem Land kommen. ({17}) – Wenn Sie es nicht verstanden haben, wiederhole ich noch mal für Sie: Die berufsbezogene Deutschförderung werden wir uns noch mal genau anschauen; denn das ist eine wichtige Brücke zur Stärkung von Beschäftigungsfähigkeit. Es wird alles nicht zum Nulltarif zu haben sein. Wir werden auch nicht unendlich viel tun können; aber wir tun alles, um mit diesem Haushalt die Menschen dabei zu unterstützen, die Würde zu erhalten und dass sie eine Zukunft haben. In diesem Sinne freue ich mich auf die gemeinsamen Beratungen. Vielen Dank. ({18})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Kurth. Ich bitte nochmals um Nachsicht, dass ich Sie einer falschen politischen Gruppierung zugeordnet habe. – Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Pohl, AfD-Fraktion. ({0})

Jürgen Pohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004856, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Werte Bürger zu Hause an den Geräten! Der vorliegende Haushaltsentwurf ist ein Haushalt der Konzept- und Ahnungslosigkeit. Er zeigt das links-grüne Chaos in nüchternen Zahlen, und er kann die Zerstrittenheit der Ampelkoalition hinter den Kulissen nicht verdecken. Es ist ein Haushalt der Ideologen, Träumer und Kostgänger, nicht aber ein Haushalt der Fleißigen und Vernünftigen in unserem Land. Kurzum: Eine skandallöse Realitätsverweigerung kennzeichnet diesen Haushalt. Was ist Realität in Deutschland heute? Realität sind die vergessenen Rentner, also jener Teil des Volkes, der dieses Land aufgebaut und den Wohlstand erwirtschaftet hat. Es sind die Leistungsträger von gestern, die nicht glauben können, dass sie sich nach einem arbeitsreichen Leben mit Fragen des Heizens im Winter oder Stromsperren aufgrund nicht mehr bezahlbarer Energierechnungen befassen müssen. Meine Damen und Herren der Regierung, die Energiearmut befeuert die Altersarmut, und das ist das Zwischenergebnis Ihrer Ampelregierung! ({0}) Ihre jämmerlichen 300 Euro reichen niemals, um die Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Kraftstoff, Heiz- und Elektroenergie auszugleichen. Aber nicht nur die Rentner, auch ein Großteil der heutigen Arbeitnehmer weiß nicht mehr, wie es weitergeht. Existenzängste erfassen die Mittelschicht. So geht der Paritätische Wohlfahrtsverband zu Recht von Millionen Arbeitnehmern aus, die in diesem Winter in Armut fallen werden. ({1}) – Hören Sie zu. – Die untersten 30 Prozent auf der Einkommensskala haben keine Rücklagen und werden für die verkorkste Energie- und Sanktionspolitik zur Kasse gebeten. ({2}) – Die untersten 40. Danke schön. ({3}) – Da hat er recht. – Es wird eine Kurzarbeiterwelle auf uns zukommen, die morgen schon anbrechen kann, wenn die Betriebe die Leute lieber nach Hause schicken, als mit hohen Kosten arbeiten zu lassen. Hierauf hat der Einzelplan 11 überhaupt keine Antwort. Stattdessen gönnen wir uns Luxus. Wir gönnen uns die Einwanderung von 100 000 Ukrainern in das Arbeitslosengeld II. – Toll. Wir verschenken teure Rüstungsprodukte in ein Kriegsgebiet. ({4}) Wir gönnen uns ein unheilvolles Bürgergeld, das es in Zeiten von Fachkräftemangel und überlasteten Sozialsystemen so gar nicht geben dürfte. ({5}) – Dann habe ich es nicht verstanden. Gemeint ist ein Grundeinkommen ohne Sanktionsmöglichkeit der Arbeitsverwaltung. ({6}) Da haben Sie ein falsches Menschenbild. Sie haben ein sozialistisches Menschenbild vor sich. ({7}) Sie sehen die soziale Hängematte und wollen die Leute dort hinlegen – und dies auf Kosten der Steuerzahler. Und das ist falsch. ({8}) Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte auf meinen Wahlkreis eingehen. Der Kyffhäuserkreis gehört zu den Landkreisen mit den prozentual meisten Pendlern. ({9}) – Wollen Sie zuhören? Wenn Sie nicht zuhören wollen, da ist der Ausgang. – Gut. Danke schön. ({10}) Wir kommen zurück zu meinem Wahlkreis, dem Kyffhäuserkreis. Er gehört zu den Landkreisen mit den prozentual meisten Berufspendlern in Deutschland. Die Menschen brauchen Arbeit. Zur Arbeit muss mit dem Kfz gefahren werden. Ostdeutschland mit seiner energie- und ölabhängigen Infrastruktur darf nicht das erste Opfer einer gänzlich verfehlten links-grünen Energiewende sein. Da müssen schnell Lösungen gefunden werden. ({11}) Das Credo der Alternative für Deutschland ist: Arbeit schützt am besten vor Armut. Das ist es. Sehr geehrte Damen und Herren, wir stehen vor einer Rekordarmut, die das Land noch nicht gesehen hat. ({12}) – Da können Sie dazwischenrufen. – Eine von der Politik vorsätzlich herbeigeführte Energie- und Wirtschaftskrise erfasst breite Bevölkerungsschichten, und die Regierung stolpert den Entwicklungen hinterher. Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, wir brauchen keine halbherzigen Entlastungspakete. Die brauchen wir nicht. Öffnen Sie stattdessen Nord Stream 2. Beenden Sie die unsinnigen Sanktionen, die nur deutsche Bürger und die deutsche Wirtschaft schädigen. Produzieren Sie Strom mit den vorhandenen Kraftwerken, auch mit den Atomkraftwerken. Meine Damen und Herren, von der Regierung, ich erinnere an Ihren Amtseid. Erfüllen Sie ihn. Wenden Sie Schaden vom deutschen Volke ab. Danke schön. ({13})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Pohl. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Claudia Raffelhüschen, FDP-Fraktion. ({0})

Claudia Raffelhüschen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005273, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit zwei Jahren befinden wir uns nun im Krisenmodus: wegen Corona und der Ukraine. Uns beschäftigt nicht nur die exorbitant hohe Inflation, sondern wir stecken auch in einer gravierenden Energiekrise und stehen vor großen demografischen Herausforderungen. Kein Haushalt ist so unmittelbar von den daraus resultierenden Konsequenzen betroffen wie der Etat des Einzelplans 11. Die Gesamtsumme der Ausgaben für das Jahr 2023 beläuft sich jetzt schon auf rund 163 Milliarden Euro und damit auf rund 2,2 Milliarden Euro mehr als im Haushalt 2022. Im Gesamtbudget SGB II steht im Haushaltsjahr 2023 zwar im Soll weniger zur Verfügung als im Haushaltsjahr 2022, aufgrund der Resteregelung und des Passiv-Aktiv-Transfers bewegen wir uns aber weiterhin auf hohem Niveau und budgetieren hier bedarfsgerecht. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales leistet damit seinen Beitrag zur vereinbarten Haushaltskonsolidierung. Wir nutzen die uns zur Verfügung stehenden Mittel noch effizienter, und das ist gerade in den aktuellen Zeiten wirklich wichtig. Im Vergleich zum Jahr 2019, also dem Vor-Corona-Niveau, und unter Einbeziehung der Ausgabereste pro erwerbstätigen Leistungsberechtigten stehen pro Kopf sogar rund 170 Euro mehr zur Verfügung. Kommen wir jetzt zur Rente. Die Leistungen des Bundes an die Rentenversicherung steigen gegenüber dem Vorjahr deutlich, um 4,1 Milliarden Euro auf knapp 113 Milliarden Euro. ({0}) Auch wenn es sich bei diesen Ansätzen um Mittel für gesetzliche Pflichtleistungen handelt, so dürfen wir nicht vergessen, dass uns der demografische Wandel vor enorme Herausforderungen stellen wird. Wir werden diese Welle nicht mit immer mehr Geld aus den Staatskassen brechen können. Das bekräftigt auch der Bundesrechnungshof, der sagt, dass der Automatismus zwischen dem Greifen der Beitragssatzgarantie und der Erhöhung des Bundeszuschusses durchbrochen werden sollte. ({1}) Das geht aber nur, wenn gesetzlich nachgebessert wird. Ein Wort noch zum Kurzarbeitergeld. Es ist eines der erfolgreichsten Instrumente im Baukasten des modernen Sozialstaats und hat sich in den Hochphasen der Coronapandemie mit Lockdowns und Ausgangssperren bewährt. Die aktuell geltenden Sonderregeln zum erleichterten Zugang gelten glücklicherweise noch bis zum Ende dieses Jahres, dürfen aber nicht zum Dauerzustand werden. Denn wenn sich die Konjunktur wieder gut entwickelt und der Arbeitsmarkt aufnahmefähig bleibt, dann ist es wichtig, dass die Arbeitskräfte auch dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Der Einzelplan 11 ist nicht nur der größte Etat im Bundeshaushalt. Er ist auch derjenige, der in den letzten Jahrzehnten am schnellsten gewachsen ist. Annähernd jeder dritte Euro, den die Erwerbstätigen erwirtschaften, wird hier umverteilt. Da die demografische Krise sowohl die Corona- als auch die Ukrainekrise bei Weitem in den Schatten stellen wird, gilt es in den nächsten Jahren, auch hier strukturell nachzubessern. ({2}) Eines kann man gar nicht oft genug wiederholen und verdeutlichen. Wir werden und müssen die Schuldenbremse im kommenden Jahr wieder einhalten. ({3}) Das ist ein großer liberaler Erfolg und aus Gründen der Generationengerechtigkeit zwingend erforderlich. ({4}) Das ist keine – wie hier gestern im Plenum geäußert – Laune des Finanzministers, sondern Teil unseres Grundgesetzes. Unser Ziel darf es selbstverständlich nicht sein, die Leistungen des Sozialstaats einfach zu kürzen, vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass wieder mehr Menschen in Arbeit finden, mehr qualifizierte Arbeitskräfte in unseren Arbeitsmarkt gelangen ({5}) und unsere Produktivität, also das Immunsystem unserer Volkswirtschaft, dadurch gestärkt wird. Nur so können wir resilient werden gegenüber demografischen und anderen möglichen Krisen, die noch auf uns warten. ({6}) Nun noch ein Wort an die Bundesländer. Ich bin absolut empört darüber, dass der vom Bund mitfinanzierte Härtefallfonds gegen Altersarmut bei jüdischen Zuwanderern auch im Jahr 2023 wieder an den Ländern scheitert. Eine halbe Milliarde Euro hätte der Bund zur Verfügung gestellt. Und was tun die Länder? Sie haben dem BMAS nicht einmal auf die letzte formale Anfrage geantwortet. Auch wir Ampelhaushälter haben mehrfach angemahnt, dass eine schnelle Lösung her muss. Seit Mai sind wir aber lediglich vertröstet worden. Das ist bei diesem wichtigen Thema wirklich tragisch, ({7}) gerade vor dem Hintergrund, dass die Länder gegenüber dem Bund deutliche Einnahmeüberschüsse aufweisen. Die halbe Milliarde wird nun haushalterisch verpuffen. ({8}) Das geht besser, liebe Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten. Es wäre im Übrigen schön gewesen, wenn Sie den wichtigen Haushaltsdebatten zumindest in Teilen Ihre Präsenz erwiesen hätten. ({9}) Vor uns liegen nun wirklich intensive Wochen der Beratungen. Eines ist in diesem Jahr wirklich fundamental. Gerade weil unsere Volkswirtschaft so stark ist, können wir uns diesen Sozialetat leisten. Das ist gut so. Aber es ist gar nicht auszudenken, wenn Bäckereien und Blumenläden, unser leistungsstarker Mittelstand und die Industrie in den Wintermonaten vorübergehend ihre Arbeit einstellen müssten; denn dann, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wären nicht nur unser Wohlstand, sondern auch unser Sozialetat gefährdet. Ich danke Ihnen. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Raffelhüschen. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Unbekannt)

Politiker ID: 11003584

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Arbeits- und Sozialetat ist der größte des Bundeshaushaltes; das wurde gesagt. Ich will auch ausdrücklich sagen, dass wir als Linke es richtig finden, dass es einen Zuschuss von 112,4 Milliarden Euro für die gesetzliche Rentenversicherung gibt. Das findet unsere Unterstützung. ({0}) Das Problem ist nur: Wenn Sie diesen Zuschuss vom Gesamtetat abziehen, bleiben etwas über 50 Milliarden Euro für Arbeit und Soziales übrig. Gestern haben wir über den Einzelplan 14, also Rüstung und Verteidigung, gesprochen. Gemäß der NATO-Kriterien sind in diesem Einzelplan 64 Milliarden Euro vorgesehen, und ich finde, das ist ein Missverhältnis. Hier muss nachgesteuert werden. ({1}) Meine Damen und Herren, 14 Millionen Menschen in Deutschland leben in Armut. Das ist ein Negativrekord, ein Rekord, den wir niemals hinnehmen werden. ({2}) Unser Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass in unserem reichen Land Menschen nicht in Armut leben müssen. Das ist mit einem gerechten Steuersystem möglich, und dafür kämpfen wir. ({3}) Nun muss man sich einmal die Frage stellen: Warum sind denn so viele Menschen in unserem Land arm? Seit 1998, mit einer Unterbrechung von vier Jahren, war die Sozialdemokratie immer an der Regierung beteiligt und hat immer die Ressorts für Arbeit, Soziales usw. verwaltet. Wenn wir uns aber die Entwicklung anschauen, sehen wir, dass die Anzahl der Armen gewachsen ist. Die Anzahl der Empfänger von Grundsicherung im Alter hat sich seit 2001 verdoppelt. Das kann doch nicht sein! Aber ich kann Ihnen erklären, wie es dazu gekommen ist: Mit den Hartz-IV-Gesetzen haben Sie schlecht bezahlte Arbeit geschaffen, und nur gut bezahlte Arbeit sichert eine gute Rente, meine Damen und Herren. ({4}) Wir als Linke fordern eine armutsfeste Rente. Menschen, die 40 Jahre eingezahlt haben, sollen ab 60 Jahren in Rente gehen können. Das wäre gerecht, meine Damen und Herren. ({5}) Das Entlastungspaket ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Durch die galoppierende Inflation wird es aufgesogen. Wer zum Beispiel als Alleinerziehende – und das sind ja in der Regel Frauen – zwei Kinder zu versorgen hat, wird nicht einmal zur Hälfte entlastet. Wer soll eigentlich Ihrer Meinung nach die andere Hälfte bezahlen? Meine Damen und Herren, der Hartz‑IV-Satz soll auf 500 Euro angehoben werden. Das reicht natürlich überhaupt nicht. Der Paritätische Wohlfahrtsverband fordert einen Hartz‑IV-Satz von 678 Euro. Wir unterstützen das, wir sagen: 687 Euro. Aber das ist eine richtige Forderung, die wir voll und ganz unterstützen. ({6}) Wir wollen, dass Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen ein Jahr lang monatlich 125 Euro plus 50 Euro für jedes Familienmitglied erhalten. Wir wollen in unserem Land Gerechtigkeit. Armut nehmen wir nicht hin. Vielen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Lötzsch. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Kathrin Michel, SPD-Fraktion. ({0})

Kathrin Michel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005153, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Česćeni knjenje a knježa! Bundeskanzler Olaf Scholz hatte in seiner starken Rede, die er gestern genau an dieser Stelle hielt, sehr recht, als er sagte: In schweren Zeiten wächst unser Land über sich selbst hinaus. Wir haben eine gute Tradition, uns unterzuhaken, wenn es schwierig wird … Genau in dieser Tradition stehen auch die Verhandlungen um den Bundeshaushalt für das kommende Jahr. Wir sind nur zusammen stark. Das gilt für die Zusammenarbeit in der Koalition und zwischen den demokratischen Fraktionen im Deutschen Bundestag wie auch für unsere Gesellschaft insgesamt. Die Einlassungen der Kolleginnen und Kollegen aus der Opposition zeigen aber auch heute ganz deutlich: laute Worte und polemisches Schüren von Ängsten bis an den Rand der Erträglichkeit. Konstruktive Vorschläge? Fehlanzeige! ({0}) In einer derart schwierigen Lage, in der sich unser Land aktuell befindet, ist konstruktive Zusammenarbeit auch und gerade aus der Opposition heraus nicht nur eine staatstragende Geste, meine Damen und Herren, sondern unser aller Pflicht. Denn es geht um viel: Es geht um die Zukunft unseres Landes, es geht um die Zukunft unseres Arbeitsmarktes, unserer Wirtschaft, und es geht um unseren Wohlstand. ({1}) Es gab Zeiten, da standen Haushaltsdebatten nicht so im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Heute ist das aus besagten Gründen anders. Viele Menschen haben Existenzängste, sorgen sich vor der nächsten Nebenkosten- und Stromabrechnung. Viele Menschen fürchten um ihren Arbeitsplatz oder um ihr Unternehmen. Und wir dürfen doch nicht eine Sekunde vergessen, wer dies verschuldet hat. Es ist Putin, der seinen abscheulichen Krieg weiter fortführt, und es ist Putin, der seine Energiepolitik ganz gezielt gegen uns einsetzt. ({2}) Die Bürgerinnen und Bürger erwarten doch zu Recht, dass wir ihnen Sicherheit bieten. Dazu hat die Bundesregierung am vergangenen Wochenende bereits das dritte Entlastungspaket beschlossen, und das hat es wirklich in sich. ({3}) Auch für das Jahr 2023 ist es an uns, einen Haushalt aufzustellen, der diese geforderte Sicherheit finanziell ermöglicht. Wir lassen niemanden alleine mit seinen Herausforderungen und seinen Ängsten, und wir müssen alle und alles im Blick haben. Das ist für mich verantwortungsvolles Handeln. ({4}) Dem Einzelplan 11 kommt dabei wieder eine besondere Bedeutung zu. Der aktuelle Entwurf sieht Ausgaben in Höhe von 163 Milliarden Euro vor. Das ist eine hohe Summe; doch wir haben auch viel vor. Ab 1. Januar werden wir schrittweise das Bürgergeld einführen. Das ist ein echter Paradigmenwechsel. Wir starten mit einem Regelsatz von 500 Euro. Wir erfüllen damit auch nicht einfach nur unser Versprechen aus dem Koalitionsvertrag. Wir wollen, dass diese Reform ein Erfolg wird. Und sie wird ein großer Erfolg, vor allem und ganz konkret für diejenigen, die Unterstützung benötigen, um schnell wieder in Arbeit zu kommen. Die Einführung des Bürgergeldes bedeutet eben nicht nur eine Namensänderung oder die Regelsatzerhöhung. Sie bedeutet unter anderem die Entfristung des sozialen Arbeitsmarktes, mehr gezielte Weiterbildung und vor allen Dingen individualisierte Betreuung auf Augenhöhe, meine Damen und Herren. ({5}) Genau dafür benötigen wir genügend finanzielle Mittel; sonst wird der soziale Arbeitsmarkt einen weiteren Rückgang erfahren. Das können wir uns nicht leisten. Wir müssen hier fördern, fördern, fördern. Das schaffen wir nur, wenn die Jobcenter auch auskömmlich ausgestattet sind. ({6}) Seit dem 24. Februar sind Hunderttausende Menschen aus der Ukraine zu uns nach Deutschland gekommen. Putin führt weiter Krieg gegen die Ukraine. Wir müssen uns darauf einstellen, dass die damit verbundene Betreuungsleistung umfangreich werden wird und vor allem eine dauerhafte Mehrbelastung für die Kolleginnen und Kollegen in den Jobcentern bedeutet. Um hier nur einmal die Größenordnung deutlich zu machen: Vor dem Rechtskreiswechsel in das SGB II im Mai dieses Jahres wurden von den Jobcentern 3,5 Millionen erwerbsfähige Leistungsberechtigte betreut. Nach dem Rechtskreiswechsel, der übrigens sehr zügig und geräuschlos vollzogen wurde, stieg die Zahl im August schon auf 3,8 Millionen. An dieser Stelle auch mal ein herzlicher Dank an die Kolleginnen und Kollegen in den Jobcentern für ihre fantastische Arbeit! ({7}) Gemeinsam mit meinen geschätzten Mitberichterstatterkolleginnen und ‑kollegen werden wir in den kommenden Verhandlungswochen Lösungswege aufzeigen, damit wir diesen Umständen im Gesamtbudget des SGB II Rechnung tragen und eine auskömmliche Finanzierung sicherstellen können. Willy Brandt sagte: „Der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu gestalten.“ Und gestalten werden wir, indem wir mit diesem Haushalt die wesentlichen Weichenstellungen vornehmen und Rahmenbedingungen für den sozialen Zusammenhalt und ein solidarisches Miteinander setzen. Das sicherzustellen, ist unsere Verantwortung, unsere gemeinsame Verantwortung; denn nur gemeinsam sind wir stark. Herzlichen Dank und Glück auf! ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Michel. – Nächster Redner ist der Kollege Peter Aumer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Aumer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004004, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zeigt deutlich, dass die Ampelkoalition, Herr Minister, an den Sorgen und Nöten der Menschen in unserem Land vorbeiregiert. ({0}) Die Entlastungspakete im Frühjahr waren wenig angemessen. Sie haben wichtige Teile unserer Bevölkerung vergessen; der Minister musste das ja heute in seiner Rede eingestehen. Wir haben von Anfang an darauf hingewiesen, dass Sie Rentner und Studenten vergessen haben und bei Ihren stundenlangen Verhandlungen dann verschiedene Sätze von 200 und 300 Euro herausgekommen sind. Wer weiß, warum die so zustande gekommen sind? Heizung und ein warmes Zuhause brauchen sie gleichermaßen. Deswegen ist es gut, wenn Sie ab und zu auf uns hören. Das wäre beim dritten Entlastungspaket genauso wichtig. Ein ganzheitliches Denken, Herr Minister und liebe Kollegen der Ampelkoalition, fehlt Ihnen vollkommen. Das merkt man, wenn man sich allein die Kritik der Verbände anschaut. Der Verband kinderreicher Familien fordert den Ausgleich von Energiekosten ab dem dritten Kind. Die Lebenshilfe mahnt Nachbesserungen beim Energiepaket für Menschen mit Behinderung an. Die Werkstätten für Menschen mit Behinderung – das hat mir der Wilfried Oellers mit auf den Weg gegeben – wurden in Ihrem Paket vergessen. Bei allen Einzelmaßnahmen vergessen Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, vor allem, die Mittelschicht in unserem Land in den Blick zu nehmen. ({1}) Das wäre ein ganz wesentlicher Aspekt. Wir haben ja heute angekündigt bekommen, dass es anscheinend einen Schutzschirm für unsere Unternehmen geben soll. Wenn der Schutzschirm genauso verkorkst wird wie die Gasumlage, dann wird es sicherlich eine große Freude für die Unternehmen in unserem Land. ({2}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, eines wird durch Ihre Politik sehr deutlich: dass Sie die Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft aushöhlen. ({3}) Zwei Beispiele hierzu: Bundesminister Habeck und Ihre Ampelkoalition nehmen explizit in Kauf – ich zitiere Ihren Minister –, dass es sozialpolitische „Unwuchten“ geben kann, die man dann irgendwie mal wieder ausgleichen muss. Dieser Ausgleich steht bis heute aus. ({4}) – Jahrelang, ach, jaja! – Man könnte vielleicht in einer so schwierigen Phase auch mal eingestehen, dass man nachbessern muss und nicht von unten nach oben verteilen darf. Das ist auf jeden Fall nicht das Grundprinzip unserer Politik. Das bringen Sie wahrscheinlich falsch auf den Weg. Zum Thema Hartz IV, das durch die SPD, die Grünen und die FDP ja abgeschafft werden soll. ({5}) Das ist, denke ich, eine falsche Reaktion. ({6}) – Also, wenn ich die Zitate der SPD anschaue, dann sehe ich: Wir schaffen Hartz IV ab. ({7}) – Dann ist das so. Das erweist sich als falsche Reaktion, wenn man den Arbeitsmarkt anschaut. So erklärt sich auch die Äußerung des bayerischen Ministerpräsidenten: ({8}) Wir brauchen eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik. Da ist Ausbildung sicherlich ein wesentlicher Impuls. – Denken wir an die Leistungsansätze, die hier eingebracht werden. Sehr geehrter Herr Kurth, wenn man sich Ihre Rede anhört, bemerkt man Ihre gespielte Aufregung. ({9}) Ihre Fraktionsvorsitzende hat das ja am Dienstag genauso gemacht. Das ist tatsächlich etwas Schwieriges, das man aus meiner Sicht nicht machen sollte. ({10}) Ich habe gerade gegoogelt. Diogenes war einer der provokantesten griechischen Philosophen, die es gab. Ich habe ein Zitat von ihm gefunden. ({11}) – „Geh mir aus der Sonne“ hätte jetzt nicht so gut gepasst. Ich habe ein anderes gefunden, Herr Kurth: „Nimm mir nicht weg, was du mir nicht geben kannst!“ Ich glaube, das ist ein gutes Zitat, das der Philosoph Diogenes vorgebracht hat. Genau das machen Sie nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Peter Aumer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004004, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie nehmen den Menschen etwas weg – die Gasumlage ist das beste Beispiel – und wissen nicht, wie man es in einer so schwierigen Zeit zurückgeben soll. Deswegen: Machen Sie eine bessere Politik, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, bitte.

Peter Aumer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004004, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– damit die Menschen Vertrauen in die Politik der Ampelkoalition finden. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Beate Müller-Gemmeke, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister! Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten den Haushalt, und gleichzeitig arbeiten wir an der zentralen Arbeitsmarktreform der Ampelkoalition. Wir wollen mit dem Bürgergeld – ja, Herr Aumer – Hartz IV überwinden und ein neues System schaffen, das auf Würde, Augenhöhe und Vertrauen setzt. Da geht es natürlich um die soziale Absicherung. Aber arbeitslose Menschen brauchen vor allem auch neue Chancen und Perspektiven, und die entstehen nur durch individuelle, passende Angebote und Unterstützung. Deshalb werden wir auch bei der Arbeitsförderung richtig viel verändern. ({0}) Mit dem Bürgergeld werden wir wichtige Angebote stärken. Wir werden auch neue Leistungen einführen, beispielsweise ein Weiterbildungsgeld oder ein ganzheitliches Coaching. Mehr Weiterbildung, das schrittweise Heranführen an den Arbeitsmarkt, soziale Teilhabe: All das kostet natürlich Geld, und doch sollen die Mittel um 600 Millionen Euro gekürzt werden. Und das kritisieren auch wir; denn das würde gerade den sozialen Arbeitsmarkt treffen. Ein erfolgreiches Instrument, das Perspektiven schafft, würde dann nicht mehr richtig funktionieren, und das darf nicht sein; denn wir dürfen die Menschen, die besonders lange keine Arbeit haben, nicht alleine lassen. ({1}) Wir brauchen also eine gute finanzielle Ausstattung im SGB II, und dafür gibt es auch gute Gründe. Wir brauchen die Mittel, weil jede Weiterbildung, jede Qualifizierung neue Chancen schafft. Es gibt die geflüchteten Menschen aus der Ukraine – sie sind schon angesprochen worden –, die zu den Jobcentern gewechselt sind. Sie müssen jetzt qualifiziert werden, damit sie nicht im System hängen bleiben. Außerdem haben wir noch den Arbeitskräftemangel. Die Antwort darauf sind eben nicht Sanktionen, wie Herr Merz und die Union immer wieder vorschlagen. ({2}) Die Antworten auf den Arbeitskräftemangel sind Unterstützung, Ausbildung, Weiterbildung und Qualifizierung. ({3}) An dieser Stelle zu sparen, wäre absurd. ({4}) Denn es ist immer teurer, wenn Menschen im Bürgergeld feststecken, anstatt sie zu unterstützen und sinnvoll zu qualifizieren. Deshalb dürfen die Mittel im SGB II nicht gekürzt werden. Der Eingliederungsetat muss im Gegenteil sogar gestärkt werden. ({5}) Wenn das mit der Schuldenbremse nicht möglich ist, dann müssen wir uns eben fragen, ob diese Schuldenbremse heute noch in die Zeit passt. ({6}) Das Konzept des Bürgergelds darf nicht nur auf dem Papier stehen. Es muss gerade jetzt in der schwierigen Zeit auch tatsächlich bei den Menschen ankommen, und dafür werden wir uns engagiert einsetzen. Vielen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Gemmeke. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Schielke-Ziesing, AfD-Fraktion. ({0})

Ulrike Schielke-Ziesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004873, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Verehrte Bürger! Ganz Europa steckt knietief in der Krise. Aber wenn wir einen Blick hinter die Grenzen werfen, dann stellen wir fest: Andere Länder kommen damit besser zurecht. Das war so während der Pandemie, und das ist auch jetzt so, wenn es darum geht, die Folgen des Ukrainekrieges zu bewältigen. Das alles müsste nicht sein; denn das Elend ist hausgemacht. Nach Ihrer kopflosen Coronapolitik zwingen Sie nun mit Ihrer irrsinnigen Energiewende eine ganze Industrienation in die Knie, entgegen aller Vernunft und Notwendigkeit. Die sozialen Folgen nehmen Sie billigend in Kauf. Die viertgrößte Industrienation der Welt ist nicht mehr in der Lage, ganz grundlegende Bedürfnisse der Bürger zu decken: Strom, Wasser und Wärme. Stattdessen debattieren Sie allen Ernstes über zentrale Wärmehallen und geben übergriffige Ratschläge zur Körperhygiene. Es ist gut, dass Sie nun endlich Geld in die Hand nehmen, um zumindest hier und da die allerhöchste Not zu lindern; doch das reicht hinten und vorne nicht. Ein großer Teil der Entlastungen sind ja lediglich überschaubare Einmalzahlungen oder temporärer Verzicht auf weitere Belastungen, die Sie den Bürgern nur etwas später zumuten wollen, siehe CO2-Umlage. Ihre Aufgabe als Regierung ist es aber, für bezahlbare Energie zu sorgen und die Ursachen der Inflation zu bekämpfen. Dann bräuchte es auch keine Entlastungspakete, für die Sie den Bürgern das Geld vorher aus der Tasche gezogen haben. ({0}) Warum erzähle ich das? Weil sich all diese krassen politischen Fehlentscheidungen in fatalster Weise auf den Arbeitsmarkt und damit auch auf die sozialen Sicherungssysteme auswirken. Die Zeiten, in denen die Regierung sämtliche Probleme mit Geld zuschütten konnte, das sie zuvor dem Mittelstand abpresste, sind endgültig vorbei; nur haben Sie das noch nicht verstanden. Es sind ja vor allem deutsche Unternehmen, die unter den horrenden Steuern, Abgaben, Umweltauflagen und jetzt auch noch den explodierenden Energiekosten leiden. Großkonzerne können ihre Produktion ins Ausland verlagern, und das tun sie auch. Unsere mittelständischen Unternehmen können das nicht. Das Ergebnis: Für viele Betriebe rentiert sich die Produktion nicht mehr. Viele Menschen werden deshalb nicht nur in Kurzarbeit gehen, sondern ihre Arbeit ganz verlieren. Im Einzelplan 11, über den wir heute reden, findet sich übrigens nichts davon. Gerade einmal 200 Millionen Euro zusätzlich sind für ALG II und Heizkosten eingeplant. Das reicht hinten und vorne nicht. Als ich auf Sommertour durch meinen Wahlkreis war, erzählte mir eine Verkäuferin, dass sie sich überlegt, ihren Job an den Nagel zu hängen, weil sie nicht mehr weiß, wie sie das alles bezahlen soll – ihr graut vor dem Winter –, aber mit Hartz IV würde der Staat wenigstens fürs Wohnen und die Heizung sorgen. Das heißt, wir sind in Deutschland tatsächlich so weit, dass sich die Menschen selbst das Arbeiten nicht mehr leisten können. ({1}) Auf diese Art werden Millionen Arbeitnehmer entmündigt und zu Almosenempfängern degradiert. Wollen Sie das? Wer wird dann noch die Steuern und Beiträge erwirtschaften, um das hausgemachte Elend Ihrer Politik zu lindern? ({2}) Im Sinne der Nachhaltigkeit müssten Sie eigentlich alles dafür tun, um mehr Menschen in Arbeit zu bekommen. Aber das tun Sie nicht. Bekanntermaßen sind in unserem Land derzeit rund 2,5 Millionen Menschen arbeitslos. Gleichzeitig waren noch nie so viele Stellen unbesetzt. Es fehlen vor allem Facharbeiter. Aber auch für einfache Hilfstätigkeiten findet sich kaum jemand mehr. Ich frage mich, ob es in dieser Situation eine gute Idee ist, die Mittel für die Eingliederung Langzeitarbeitsloser um 600 Millionen Euro zu kürzen. Und auch diese Frage muss erlaubt sein: Wie ist es möglich, dass nach Jahren der kostspieligen Integration sowie der Sprachförderung und Ausbildung von Millionen Zuwanderern anscheinend niemand in der Lage ist, am Flughafen Koffer zu sortieren oder in der Gastronomie auszuhelfen? Die einzige Antwort ist, dass hier sämtliche Steuerungssysteme versagen und Fehlanreize wirken, die nun auch noch zementiert werden sollen, indem sich das geplante Bürgergeld zunehmend als Einstieg in das bedingungslose Grundeinkommen entpuppt. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn sich Arbeit nicht mehr lohnt, dann können wir hier im Land das Licht ausmachen. Das gilt im Übrigen auch für die Altersvorsorge. Millionen Menschen müssen derzeit zusehen, wie ihre Sparpläne und Betriebsrenten täglich weniger wert sind. Hier werden ganze Lebensplanungen ruiniert. Wir werden eine neue Welle der Altersarmut erleben. Auch das ist eine Folge Ihrer Politik. Umso wichtiger sollte es sein, die gesetzliche Rente zu stabilisieren. Im Haushaltsentwurf kann ich die dafür gesetzlich vorgesehenen 500 Millionen Euro aber nicht finden, und auch die vollmundig angekündigten 10 Milliarden Euro als Einstieg in die kapitalgedeckte Ergänzung zur Umlagefinanzierung der Rente fehlen. Das ist keine vorausschauende Politik, sondern eine Kapitulationserklärung vor der Zukunft. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, so kann das nicht weitergehen. Ich appelliere an Sie von den Ampelparteien: Wachen Sie auf! Befreien Sie unser Land aus dem Würgegriff der Selbstzerstörung und Ihrer ideologisch fehlgeleiteten Politik! Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Schielke-Ziesing. – Das Wort erhält nunmehr der Kollege Jens Beeck, FDP-Fraktion. ({0})

Jens Beeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Herr Minister Hubertus Heil! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wie Sie von der Opposition hat auch der eine oder andere von uns noch einen Wunsch; das ist uns Sozialpolitikern immanent: Wir haben immer noch eine gute Idee, wo wir etwas mehr machen könnten. ({0}) Aber ich darf den Blick noch einmal auf das lenken, worüber heute hier diskutiert wird, nämlich den Haushalt für 2023. 163,3 Milliarden Euro im ersten Entwurf, das ist über ein Drittel mehr als noch vor zehn Jahren. Nimmt man, umgekehrt, den Wert von vor zehn Jahren als Basis, sind es 50 Prozent mehr. Jetzt könnte man sagen: Es gab Inflation, alles ist teurer geworden. – Aber auch der Anteil am Gesamthaushalt des Bundes ist mit 36,6 Prozent der größte, den wir je hatten. Daran erkennen Sie die Ernsthaftigkeit dieser Fortschrittskoalition, im Bereich des Sozialstaates Geld einzusetzen, um zu Verbesserungen zu kommen. Da sind wir uns sehr einig, und wir legen mit diesem Haushaltsentwurf gewaltig vor, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({1}) – Sie können ja sagen, was Sie daran für falsch halten. Wir können das diskutieren. Machen wir einen Faktencheck! Also: Es ist der größte Anteil, den wir jemals hatten – das machen wir als SPD/Grüne/FDP-Koalition –, und das zeigt, ich sage das noch mal an dieser Stelle, die Ernsthaftigkeit, mit der wir die Herausforderungen annehmen. Die Aufgaben sind in der Tat riesig. Sie haben recht, Herr Kollege Gröhe: Ich hätte mir auch gewünscht, dass die 10 Milliarden Euro schon drin wären. Aber darüber, dass wir in der Rente die Aufgabe haben, für alle Bezieher/‑innen das System zu sichern, und dass dafür ein kapitalgedeckter Stock der richtige Weg ist, sind wir uns doch einig. ({2}) – Ich rede doch gar nicht mit Ihnen, lieber Kollege Matthias W. Birkwald, ich rede gerade mit dem Kollegen Gröhe; das hatte ich auch ausdrücklich gesagt. ({3}) Dass sich nicht alle einig sind, ist ja auch klar. Aber es ist vereinbart, wir werden das machen. An den vielen Reden, die sich gar nicht richtig auf den Haushalt des BMAS kapriziert haben, hat man erkannt, dass wir in diesem Land verschiedene Krisen zu bewältigen haben. Das sorgt auch dafür, dass man einen Koalitionsvertrag nicht in der Geschwindigkeit abarbeiten kann, wie man sich das wünschen würde. Aber es ist eine Frage der Generationengerechtigkeit, dass wir das machen. Wir haben das vereinbart, und wir werden das machen. Angesprochen worden ist die Einführung des Bürgergelds; das sind die nächsten 26 Prozent, 28 Prozent im Haushalt. Auch dafür nehmen wir richtig Geld in die Hand. Wir alle gemeinsam wussten schon immer: Es gibt eine Menge Bürokratie, die erstens die Zielgenauigkeit von Leistungen, die wir im Bereich ALG II und SGB XII erbringen, verhindert und zweitens verhindert, dass das System für die Leistungserbringer, aber auch für die Leistungsberechtigten transparent und nachvollziehbar, also verstehbar ist. Ich behaupte – und ich bekomme da nach wie vor wenig Widerspruch –: Niemand kann in einer komplexen Situation den Hartz‑IV-Satz auf den Cent genau ausrechnen. Das wollen wir durch Entbürokratisierung – der Minister hat es angesprochen – ändern, um das System nachvollziehbarer zu machen, um es einfacher zu machen, übrigens auch um unsere Verwaltungen zu entlasten – die damit überlastet sind – und um am Ende zu einer Verbesserung der Leistungen zu kommen, indem das Geld bei denjenigen ankommt, die es brauchen, und nicht für Bürokratie ausgegeben wird. Auch das haben wir uns vorgenommen, und das werden wir tun. ({4}) Das hat übrigens etwas mit Würde zu tun. Denn jeder, der – wie viele von uns – im Sozialrecht anwaltlich oder anderweitig gearbeitet hat, kennt die Fragen, die am Ende aufkommen: Warum müssen für 18 Monate die Kontoauszüge vorgelegt werden? Wie, in welcher Konstellation lebt man eigentlich mit wem zusammen? – Das alles brauchen wir nicht, wenn wir es schaffen, leistungsgerechte, zum Teil pauschalierte, jedenfalls zielgenaue Leistungen zu kreieren, und das Ganze, ohne Fragen zu stellen, die auf die Intimsphäre der Betroffenen abstellen. Das nehmen wir uns vor. Das wäre ein Riesenfortschritt für dieses Land, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({5}) Jetzt habe ich – das ist immer das Problem – gar nicht viel über das gesprochen, worüber ich eigentlich reden wollte, nämlich über Inklusion. Auch die, lieber Hubertus Heil, ist ja Kern des Haushalts des BMAS und Kernaufgabe im Bundesministerium. Tatsächlich bleiben kaum 2 Prozent freie Spitze. Trotzdem wachsen die Mittel in diesem Jahr auf: von 504 auf über 508 Millionen Euro. Auch an dieser Stelle zeigen wir, dass wir vieles vorhaben. Ich bin sehr überzeugt davon, dass wir bei der gesetzlichen Verankerung in einem Assistenzhundegesetz im Jahr 2023 – erste Schritte wird es sogar schon 2022 geben – noch deutlich weiter kommen. Wir werden Inklusion durch Sport in dieser Gesellschaft ganz anders aufstellen, als es bisher der Fall gewesen ist. Dabei geht es gar nicht immer nur um haushalterische Unterlegung, sondern auch darum, die Initiativen, die es an vielen Stellen schon gibt – der Kreissportbund Emsland ist da vorbildlich –, zu fördern. Wir werden dafür sorgen, dass diese selbstverständliche Teilhabe in der Gesellschaft weiterkommt. Deswegen, Herr Minister: Wir freuen uns sehr auf die Aufgaben, die wir haben. Das wird in der Diskussion nicht immer ganz einfach werden. Aber uns eint das gemeinsame Ziel, und wir werden da vorankommen. Letzter Satz. Ich freue mich sehr, dass andere Ministerien das mittlerweile auch erkannt haben. Im Bundesministerium für Digitales und Verkehr hat heute ein Empathietag stattgefunden, überschrieben mit: Barrieren müssen weg. – Genau das machen wir gemeinsam, auch in diesem Haus. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Beeck. Ich bin immer ganz begeistert, wenn der letzte Satz Kleist’sches Format hat. – Als nächste Rednerin kommt die Kollegin Jessica Tatti zu Wort, Fraktion Die Linke. ({0})

Jessica Tatti (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004911, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Sie loben sich ja selbst am meisten für das geplante Bürgergeld: Beratung auf Augenhöhe, mehr Mitsprache von Arbeitslosen auf ihrem Weg zurück in Arbeit, mehr Wertschätzung für die Beschäftigten in den Jobcentern. Aber wo findet sich das im Haushalt? Sehen wir uns die Verwaltungskosten an: Die Jobcenter haben 2021 fast 6 Milliarden Euro für ihre Verwaltung gebraucht. Sie statten die Jobcenter für das kommende Jahr aber nur mit 5 Milliarden Euro aus. Gleich viele Hartz-IV-Empfänger sollen also besser beraten werden trotz 1 Milliarde Euro weniger. Das kann nicht funktionieren. ({0}) Die fehlende Milliarde müssen sich die Jobcenter woanders holen; sie können sie sich nur bei den Eingliederungsmitteln holen, also aus dem Topf, der dazu da ist, Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Minister Heil, mit Ihrer Planung zwingen Sie die Jobcenter, genau das zu tun. Die Gelder fehlen dann bei beruflichen Weiterbildungen, und sie fehlen bei anderen Förderungen wie dem sozialen Arbeitsmarkt. Und dann kürzen Sie die Eingliederungsmittel noch mal um über 600 Millionen Euro. Das ist doch absurd! ({1}) Damit nehmen Sie den Menschen in Hartz IV auch noch die letzte Hoffnung auf einen Job. Noch dazu wollen Sie die Leute mit einer Minierhöhung der Regelsätze um gerade einmal 50 Euro abspeisen, inmitten der krassesten Inflation, und das auch erst ab Januar. Warum das? Erhöhen Sie die Regelsätze doch einfach jetzt! ({2}) Die Wahrheit ist: Während SPD und Grüne von Augenhöhe, Respekt und Würde reden, opfern sie eiskalt die Gelder für Arbeitslose der Schuldenbremse. Was die Schuldenbremse angeht, sind Hubertus Heil und Christian Lindner ein Herz und eine Seele. ({3}) Kolleginnen und Kollegen, alle Zahlen zeigen: Die Jobcenter haben bereits vorsorglich mit dem Sparen begonnen. Weiterbildungen und geförderte Arbeitsplätze werden nur noch zögerlich vergeben. Die Förderzahlen sinken. Sie sparen den sozialen Arbeitsmarkt kaputt! Eine Förderung, für die Sie sich haben feiern lassen, Minister Heil. Das ist nicht der versprochene Respekt. Das ist eine verdammt miese Politik auf dem Rücken von Arbeitslosen. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Tatti. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Martin Rosemann, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unsere Gesellschaft hat es mit großen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen zu tun: die Explosion des Gaspreises, der generelle Anstieg der Energiepreise und als Folge die Rekordinflation. Und die Regierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz handelt. Seit Monaten werden Alternativen zum russischen Gas vorangebracht. Mit zwei Entlastungspaketen wurden die Bürgerinnen und Bürger um insgesamt rund 30 Milliarden Euro entlastet. In dieser Woche hat die Ampelkoalition das dritte Entlastungspaket vereinbart. Dieses dritte Entlastungspaket ist ein großer Wurf. Mit einem Volumen von 65 Milliarden Euro ist es doppelt so groß wie die beiden ersten zusammen. Damit geben wir fast 100 Milliarden Euro aus, um die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten. ({0}) Dieses dritte Entlastungspaket ist aber auch mutig, weil es in die Preisbildung auf den Energiemärkten eingreift, um sicherzustellen, dass der Grundbedarf an Strom und fürs Heizen für Bürgerinnen und Bürger sowie für Unternehmen wieder bezahlbar wird. ({1}) Das Entlastungspaket ist zielgerichtet und sozial ausgewogen; denn es profitieren Rentner und Studierende, die arbeitende Mitte, Geringverdiener und Bürgerinnen und Bürger, die auf Grundsicherung angewiesen sind. Unsere Botschaft heißt: Deutschland packt das, und zwar solidarisch. Wir lassen niemanden allein! ({2}) Ich finde es schon bemerkenswert, was für sozialpolitische Ratschläge wir heute von der Union bekommen haben. Ich kann nur sagen: Für mich ist das nicht glaubwürdig. Ich erinnere mich gut an die letzten acht Jahre Große Koalition. ({3}) – Ja, lieber Hermann Gröhe, es war nicht alles schlecht. Aber jeder sozialpolitische Fortschritt musste mit Mühe gegen Sie, gegen euch durchgesetzt werden. ({4}) Ich frage mich auch: Wie glaubwürdig ist das? Sie sind doch die Partei, die will, dass der Solidaritätszuschlag auch noch für die obersten 5 Prozent der Einkommensbezieher abgeschafft wird. ({5}) Sie sind doch die Partei, die hier dem Mindestlohn von 12 Euro nicht zugestimmt hat. ({6}) Und Sie sind doch die Partei, die, als wir in der letzten Wahlperiode in der Rentenkommission über die Zukunft der Rente gesprochen haben, nicht bereit war, sich dazu zu bekennen, das Rentenniveau dauerhaft zu sichern. ({7}) Also seien Sie mal ganz ruhig an der Stelle. Meine Damen und Herren, dieses Entlastungspaket bietet Antworten auf die ganz akuten Handlungsbedarfe in dieser Krise. Daneben bleiben aber auch grundsätzliche Herausforderungen für den Arbeitsmarkt und den sozialen Zusammenhalt in Deutschland. Und auch die packen wir an. Erstens: die Ungerechtigkeiten auf dem Arbeitsmarkt und beim Lohndumping. Ich will nur mal daran erinnern, dass in drei Wochen, am 1. Oktober, der Mindestlohn auf 12 Euro steigt. ({8}) Es geht um Respekt, meine Damen und Herren. Zweitens: das Thema Fachkräftemangel. Der Minister hat es angesprochen: Es gibt Fachkräftemangel bis hin zum Arbeitskräftemangel in vielen Branchen und Regionen unseres Landes. Ich bin sehr dankbar, dass die Bundesregierung gestern ihre Fachkräftestrategie auf den Weg gebracht hat. Sie hat zwei große Pfeiler: zum einen, die inländischen Potenziale zu nutzen durch verschiedene Maßnahmen – von der Verbesserung der Ausbildung bis hin zur Weiterbildung –, und zum anderen, endlich die Einwanderung in dieses Land durch ein neues Fachkräfteeinwanderungsgesetz zu ermöglichen. ({9}) Das nächste große Projekt dieser Ampelkoalition ist das Bürgergeld. Ich muss mich schon sehr wundern; Jessica Tatti sitzt jetzt schon eine Weile hier im Deutschen Bundestag. Sie sollte wissen, dass, als der Haushaltsentwurf von der Bundesregierung gemacht worden ist, der Entwurf zum Bürgergeldgesetz noch gar nicht vorlag. Das heißt, es war noch gar nicht möglich, einzupflegen, wie viel das neue Bürgergeld kosten wird. Das werden wir in den Haushaltsberatungen jetzt machen. Wir werden diesen Etatentwurf auf jeden Fall verändern, um das Bürgergeld zu finanzieren. ({10}) – Ja. – Bürgergeld, meine Damen und Herren, bedeutet höhere Regelsätze: rund 500 Euro ab dem 1. Januar 2023. ({11})  – Dazu brauche ich aber ein Gesetz, Frau Tatti. Ich kann doch hier nicht gesetzlos den Leuten sofort Geld geben. Ich brauche ein Gesetz! Wir leben doch hier in einem Rechtsstaat. Zum 1. Januar 2023! 500 Euro! ({12}) Aber, meine Damen und Herren, es geht um mehr als um Regelsätze. Es geht um die größte arbeitsmarktpolitische und sozialpolitische Reform. Es geht um einen Kulturwandel. Es geht um die Anerkennung von Lebensleistung, um einen einfacheren Zugang, um Beratung auf Augenhöhe, um ein anderes Verhältnis von Bürger und Staat. Auch das ist eine Frage von Respekt. Keiner soll sich schämen, wenn er auf diese Hilfe angewiesen ist. ({13}) Vor allem aber geht es um eine bessere individuelle Beratung und Unterstützung, damit mehr Langzeitarbeitslosen der Weg in nachhaltige Beschäftigung ermöglicht wird. So wird der Arbeitsmarkt durchlässiger, inklusiver, und wir leisten damit einen Beitrag, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Es geht im Kern darum, die Arbeitgeber, die Fachkräfte suchen, und die Langzeitarbeitslosen besser zusammenzubringen. Meine Damen und Herren, wir setzen auf mehr Weiterbildung und schaffen Anreize dafür. Was die Union wieder behauptet hat, nämlich dass wir damit ein bedingungsloses Grundeinkommen schaffen würden ({14}) und dass wir Sanktionen und Mitwirkungspflichten abschaffen würden, wird durch Wiederholung nicht wahrer. ({15})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Auch das neue Bürgergeld wird selbstverständlich Mitwirkungspflichten enthalten.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Aber eines machen wir nicht:

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Nein, nein, nein. Sie kommen jetzt bitte zum Schluss.

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir werden nicht der übergroßen Mehrheit von über 90 Prozent – –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, ich habe Ihnen gerade das Wort entzogen. Es hört Sie keiner mehr. Glauben Sie mir das einfach. ({0}) Wenn wir uns daran gewöhnen wollen, überall die Redezeiten einzuhalten – bei der AfD und bei anderen –, dann sollte sie auch bitte jeder selbst einhalten. Ich finde es nicht mehr fair, dass um mehr als 30 Sekunden überzogen wird. Nächste Rednerin ist die Kollegin Jana Schimke, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Jana Schimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil wir heute mit so vielen warmen Worten unseres Bundesarbeitsministers begrüßt wurden, will ich sagen, lieber Herr Heil: Die Energiekrise lösen Sie nicht allein mit Sozialpolitik. Die Energiekrise lösen Sie, indem Sie die richtigen energiepolitischen Entscheidungen treffen. ({0}) Und dazu gehört zum Beispiel, alle Energiereserven zu nutzen, die dieses Land zu bieten hat. ({1}) Ich hätte mir von einem Sozial- und Arbeitsminister, der Sie ja nun auch einmal sind, gewünscht, dass es ein paar Vorschläge gibt, wie diese Unternehmen durch die absolute Megakrise kommen sollen, die uns gerade bevorsteht. ({2}) Wir alle wissen: Hier im Deutschen Bundestag wurde der Mindestlohn von 12 Euro durch die Bundesregierung eingeführt. Sie haben kürzlich ein Arbeitsbedingungengesetz auf den Weg gebracht; wir haben es selbstverständlich abgelehnt. ({3}) Sie äußern aber kein Wort darüber, wie Sie die Unternehmen vor diesen Belastungen schützen wollen. Ich wundere mich immer wieder über die Einschätzung aus diversen Reihen, liebe Frau Raffelhüschen, wenn gesagt wird: Die Betriebe schließen jetzt vorübergehend. – Sagen Sie doch nicht so was. Sie wissen ganz genau, dass das nicht der Fall ist. Das konnten Sie vielleicht noch in der Coronakrise erzählen, als es dem Land noch relativ gut ging, als die Kassen noch voll waren, als wir uns diese ganzen Programme noch leisten konnten. Aber es ist kein Geld mehr da. Auch bei den Unternehmen ist kein Geld mehr da. Sie schließen nicht vorübergehend, sie schließen für immer. ({4}) Was Wirtschaftsminister Habeck gesagt hat, war ein Schlag ins Gesicht des gesamten deutschen Mittelstands. Sparen Sie sich solche Äußerungen! ({5}) Die Inhalte dieses Haushalts sind in dieser Debatte viel beschrieben worden. Letztendlich ist vieles von dem, was geplant ist, gar nicht im Haushalt enthalten. Und das, was als Coronamaßnahme einmalig beschlossen wurde – wir haben als Union mitgemacht und gesagt: okay, wir setzen die Vermögensprüfung aus, wir machen Verbesserungen beim Kurzarbeitergeld –, wird jetzt einfach fortgeführt, ohne zu überlegen, ob das die richtigen Maßnahmen sind. Die Kosten der Unterkunft in diesem Land werden durch die steigenden Energiepreise massiv steigen. Das ist im Haushalt nicht abgebildet. Wir werden Steigerungen bei den Kosten der Grundsicherung aufgrund der geplanten Anhebung des Regelsatzes haben. Auch das ist im Haushalt nicht abgebildet. Wir werden – so planen Sie es jedenfalls – eine Aktienrente einführen. Die entsprechenden Kosten sind im Haushalt ebenfalls nicht enthalten. Das eigentliche Problem ist: Sie setzen völlig falsche Prioritäten in Ihrer Politik. Mit dem Bürgergeld führen Sie die Brücken aus der Beschäftigung hinaus anstatt in sie hinein. ({6}) Und ich sage es hier noch einmal: Sie führen ein bedingungsloses Grundeinkommen ein. ({7}) Das, was Sie jetzt machen, ist jedenfalls die Vorstufe dazu. Und Sie verabschieden sich endgültig vom aktivierenden Sozialstaat. ({8}) Vieles ist leider schon in der Vergangenheit geschehen. Es geht weiter. Lieber Herr Kurth, da wir hier ständig über das Menschenbild und insbesondere darüber reden, welches wir von der Union tatsächlich haben, will ich daran erinnern, dass wir in den letzten Legislaturperioden eine Menge getan haben, um bedürftige Menschen in Deutschland zu unterstützen. Wir sind die Letzten, die sich von Ihnen unterstellen lassen, wir hätten kein soziales Gewissen. ({9}) Lieber Herr Kurth, auch wenn Sie jetzt gleich Schnappatmung kriegen, will ich Sie mit einem Brief konfrontieren, den ein Jobcenter von einem sogenannten Kunden bekommen hat. Dort steht geschrieben: Für die Dauer des Sanktionsmoratoriums bitte ich von Vermittlungsangeboten abzusehen. – Meine Damen und Herren, Sie können uns hier unterstellen, dass wir irgendwelche Märchen erzählen; aber das ist nicht der Fall. Solche Fälle gibt es tatsächlich. ({10}) Was sagen Sie denn den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Jobcentern, die seit vielen Jahren hervorragende Arbeit leisten und sich solche Sprüche anhören müssen? Und was sollen eigentlich diese sechs Monate Vertrauenszeit? Wir alle wissen: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Wovor sollen die Menschen eigentlich bewahrt und geschützt werden? Wovor soll jemand, der schrittweise in den Arbeitsmarkt integriert werden soll, denn geschützt werden? Arbeit ist doch nichts Schlimmes; das tut nicht weh. Das ist doch gut. ({11}) Ich wünsche mir, dass wir hier eine deutlich andere Vorgehensweise wählen. Vielen Dank. ({12})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Schimke. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Tina Winklmann, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Tina Winklmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005259, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Wir haben heute schon einiges gehört zum Thema „Fachkräfte und Weiterbildung“. Sie, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, sind der Motor, der Antrieb für uns. Und genau aus diesem Grund muss die Weiterbildung, die Fachkräftestrategie breit und ressortübergreifend aufgestellt sein, und das ist sie. So vielfältig wie unsere Gesellschaft ist unsere Arbeitswelt. Aber wie funktioniert so eine Strategie? Nehmen wir mal eine Uhr, eine Armbanduhr als Beispiel. Liebe Uhrmacherinnen und Uhrmacher, verzeihen Sie mir eventuelle fachliche Fehler in der Ausführung des folgenden Beispiels. Aber wenn es um Präzision geht, passt das Uhrmacher/-innen-Handwerk hervorragend. Und Präzision brauchen wir hier. Wir bringen die Uhr – hier als Synonym für die Strategie – zum Laufen. Der Bedarf an Fachkräften dreht an der Krone. Er rüttelt eigentlich schon richtig. Das bringt die Spiralfeder, die Zahnräder in Schwung. Wir als Ampelregierung montieren diese Zahnräder mit gezielten Maßnahmen, mit verschiedenem Handwerkszeug, wie zum Beispiel durch die Weiterbildungsplattform, die Stärkung der Weiterbildungsverbünde. Das bringt den Menschen verschiedene Möglichkeiten näher. Ein Zahnrad wird gezielt für die Vereinbarkeit von Familie und Weiterbildung eingebaut werden. ({0}) Und das wird dann auf das Ziffernblatt übertragen, sodass für alle sichtbar ist: Wo gibt es was? Was kann ich machen? Was gibt es überhaupt, und wo wird was gebraucht? – Wir müssen raus aus dem Dschungel. Wir brauchen keinen Dschungel, sondern ein kurzes, schnelles Suchen und Finden. ({1}) Fachkräfte und Arbeitskräfte aus nah und fern halten unsere Arbeitswelt am Laufen. Sie bringen uns alle voran. Die Fachkraft, die Arbeitskraft von morgen wird jetzt ausgebildet und jetzt weitergebildet. Ein wichtiger Punkt ist die Weiterbildungsmöglichkeit. Es ist wichtig, die Weiterbildung für alle zugänglich zu machen. Auch dieses Zahnrad setzen wir in die Uhr ein, ein flexibles Zahnrad, das uns allen die Möglichkeit des Weiterkommens bietet. Die Arbeitswelt ist im Wandel, so wie es schon immer war, aber die Uhr läuft jetzt schneller. Sie läuft anders. Wir müssen handeln. Es pressiert. Und das tun wir mit Ihnen, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, den Fachkräften von heute und den Fachkräften von morgen und übermorgen. Dafür stellen wir das Handwerkszeug mit diesem Haushalt als Auftakt. Danke schön. ({2})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der nächste Redner in der Debatte ist Stephan Stracke, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Inflation macht arm, und hohe Inflation macht schnell arm. Das betrifft vor allem diejenigen, die es bereits schwer haben. Das sind die Geringverdiener und diejenigen, die gar keinen Job haben. Aber das betrifft auch die breite arbeitende Mitte dieser Gesellschaft. Deswegen zeichnet sich gute Sozialpolitik immer dadurch aus, dass sie auf Preisstabilität achtet und eine gute Wirtschaftspolitik macht. Genau das sind die Leerstellen dieser Koalition. ({0}) Wir müssen das Leben für die Mitte der Gesellschaft bezahlbar halten. Ihr Entlastungspaket kommt zunächst einmal wuchtig daher. Es kommt aber zu spät, und es wirkt zu spät. ({1}) Viele der angekündigten Entlastungen greifen erst zum Jahresende 2022 oder kommen vielleicht erst 2023 mitten in der kalten Jahreszeit. Bis dahin explodieren die Kosten weiter und überholen die Entlastungen, bevor sie überhaupt gewährt werden. Natürlich ist es richtig – und es war auch überfällig –, dass Sie jetzt Rentnerinnen und Rentner sowie die Studierenden in das Entlastungspaket aufnehmen, was die Energiepreispauschale angeht. Sie hatten aber diese Gruppen von Ihren vorherigen Entlastungspaketen bewusst ausgenommen; darauf haben wir immer wieder hingewiesen. Sie korrigieren das jetzt. Das erkennen wir ausdrücklich an. Natürlich ist es bei den Preissteigerungen auf dem Energiemarkt richtig, auf Verfügbarkeit und Preis zu achten. Deswegen ist es falsch, ganz bewusst Kapazitäten aus dem Markt zu nehmen. Genau das tun Sie bei der Atomenergie; denn der Bundeswirtschaftsminister hat sich nicht dazu durchringen können, die Atomenergie weiterlaufen zu lassen – und diese Koalition macht das mit, die Atomkraft beispielsweise in die Reserve zu schicken. Michael Vassiliadis hat eine andere Haltung dazu. Im Deutschlandfunk sagte er: Wir brauchen alles an Stromkapazitäten, was wir zur Verfügung haben, und zwar bis 2024. ({2}) Und wo er recht hat, hat er recht. Er weiß genau, was das bedeutet, auch für die Arbeitsplätze in Deutschland. ({3}) Zur Strompreisbremse. Es ist vollkommen unklar, in welcher Höhe und wann sie kommt. Also: Die Entlastungen haben Sie aufgeschrieben. Aber es ist vollkommen unklar, wann diese tatsächlich kommen. Beim Gas gibt es die größte Leerstelle, die Sie im aktuellen Entlastungspaket haben. 20 Millionen Menschen und viele Unternehmen lassen Sie alleine bei der Gaspreisentwicklung. ({4}) Hinzu kommt: Mit der Gasumlage belasten Sie ja die Haushalte zusätzlich. Das alles passt nicht zusammen. Es ist richtig, Herr Bundesminister, um jeden Arbeitsplatz zu kämpfen. Aber die Preissteigerungen kommen an, auch beim Mittelstand, bei der Mittelschicht und der arbeitenden Bevölkerung. Und wenn die Insolvenzgefahr steigt, dann ist es richtig, die Regelungen zur Kurzarbeit als Instrument zu verlängern. Aber gleichzeitig muss man sagen, Herr Bundesminister: Wir müssen dann auch über die notwendigen Mittel reden und dürfen nicht alleine auf Darlehen abheben, sondern müssen auch auf Zuschüsse setzen. Ansonsten haben wir letztendlich mit Zitronen gehandelt. Darlehen führen nur zu weiteren Belastungen für Unternehmer und Steuerzahler. Da besteht noch Handlungsbedarf. ({5}) Wir wollen natürlich auch, dass Langzeitarbeitslose wieder Fuß fassen, gerade nach der Coronakrise. Und da brauchen wir von Ihnen überhaupt keine Nachhilfe; denn wir waren 16 Jahre in der Koalition unter Angela Merkel sehr erfolgreich, was den Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit angeht. ({6}) Aber Sie sind es doch, die die Mittel zur Deckung der Verwaltungskosten bei den Jobcentern kürzen. Sie sind es doch, die die Mittel für Integrationsleistungen um 600 Millionen Euro kürzen. ({7}) Und das bedeutet im Übrigen eine Absenkung der Integrationsmittel pro Kopf gegenüber 2019 um 20 Prozent. Um 20 Prozent! Ist das der Respekt, den Sie den Langzeitarbeitslosen entgegenbringen? ({8}) Wir wollen mehr Chancen, aber doch nicht auf die Weise, dass Sie die Mittel für Langzeitarbeitslose absenken. Das ist der falsche Weg. ({9})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die SPD-Fraktion hat das Wort Dr. Tanja Machalet. ({0})

Dr. Tanja Machalet (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005137, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Stracke, ich hätte mir wirklich gewünscht, Sie hätten mehr Zeit darauf verwendet, uns zu erläutern, welche Vorstellungen Sie im Hinblick auf den Sozialetat haben. ({0}) Also, dass wir jetzt die Atomkraftwerke laufen lassen sollen, um die Mittel im Sozialetat reduzieren zu können, das ist schon beachtlich. ({1}) Es wäre trotzdem schön gewesen, wenn Sie uns erläutert hätten, welche Vorstellungen Sie im Hinblick auf unseren Sozialstaat haben. Das haben Sie nicht getan. Weil Sie sich um die Langzeitarbeitslosigkeit sorgen, möchte ich auch noch mal daran erinnern: Es waren nicht Sie, die § 16e im SGB II vorangetrieben haben, ({2}) also die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen in den sozialen Arbeitsmarkt, sondern wir. ({3}) Unsere Aufgabe besteht jetzt darin, dafür zu sorgen, dass wir durch einen starken, handlungsfähigen Sozialstaat die Solidarität und die wirtschaftliche Stabilität in diesem Lande in diesen schwierigen Zeiten gewährleisten. Genau dazu leistet der Einzelplan 11 einen großen Beitrag. Wir werden natürlich – Sie haben das auch eingefordert – die Entlastungsmaßnahmen schnell auf den Weg bringen. Ich denke, es ist uns allen klar, dass wir das jetzt tun müssen. Aber es geht natürlich auch darum, dass wir langfristig strukturelle Reformen in den sozialen Sicherungssystemen angehen. Das Bürgergeld ist ein Baustein dessen. Ihnen fällt da ja nur das Sanktionsmoratorium ein – Sie haben es ausgeführt –, aber nicht, wie Sie sich das Ganze vorstellen. Da die Stichworte „Bürgergeld“ und „Kurzarbeit“ in den Ausführungen des Ministers und auch bei Ihnen, Herr Stracke, eine Rolle gespielt haben, will ich noch mal auf die Bundesagentur für Arbeit zu sprechen kommen. Ich möchte, dass die Bundesagentur für Arbeit für die Herausforderungen, vor denen sie steht, zum Beispiel, wenn es wieder zu Kurzarbeit kommt, entsprechend gewappnet ist. Damit meine ich auch die Herausforderungen, die sich aus dem ergeben, was wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen haben, ({4}) nämlich die Weiterentwicklung zur Weiterbildungs- und Qualifizierungsagentur. Es geht natürlich auch darum, dass die Bundesagentur den Fachkräftebedarf in den eigenen Organisationen bewältigen kann. Aber mir geht es vor allem darum, an dieser Stelle den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Bundesagentur ganz herzlich Danke zu sagen für das, was dort im Hinblick auf die Kurzarbeit geleistet worden ist. Das war wirklich ganz hervorragend. ({5}) Wir wissen, dass wir auf sie bauen können, wenn wir wieder in die Situation kommen, Kurzarbeitergeld auszahlen zu müssen. Ich denke, es ist in unser aller Sinne, wenn wir die Bundesagentur so ausstatten, dass sie alles hat, was sie benötigt. Ich könnte jetzt natürlich auch noch darauf hinweisen, dass es mir als Rentenpolitikerin wichtig ist, dass wir jetzt auch den Rentnerinnen und Rentnern eine Pauschale auszahlen.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss!

Dr. Tanja Machalet (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005137, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber fast noch wichtiger ist, dass wir das Signal senden, dass wir im Herbst das Rentenniveau stabilisieren. Ich bin gespannt, wie Sie sich dazu verhalten. Wir haben also noch einiges vor mit diesem Haushalt. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort Dr. Silke Launert. ({0})

Dr. Silke Launert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004336, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich packe meine Koffer. – Sie kennen sicherlich dieses Kinderspiel, bei welchem jeder der Spielteilnehmer nacheinander anfügt, was er gerne in den Koffer packen möchte. Man muss sich immer mehr Begriffe merken. Und dann kommt es zu Verwirrungen und Verwechslungen. Warum erzähle ich Ihnen das? Ich erzähle es Ihnen, weil ich, ehrlich gesagt, manchmal den Eindruck habe, dass die aktuelle Regierungskoalition dieses Spiel gerne spielt. Sie packen in den Schuldenkoffer ein, was Sie gerne hätten: die Grünen die Fortsetzung des 9‑Euro-Tickets, die SPD das Bürgergeld, ({0}) die FDP die dank eines Schattenhaushaltes scheinbare Einhaltung der Schuldenbremse. Im Interesse des Koalitionsfriedens kommt das eine oder andere mit dazu. Man will es allen recht machen. Die Schulden werden immer mehr, immer unüberschaubarer. Den Schuldenkoffer kann man kaum mehr schieben. Die nächste Generation wird das dann erledigen. ({1}) Es ist unbestritten: Die aktuellen Herausforderungen sind gewaltig. Wir können bei vielem auch verstehen, wieso Sie akut helfen, um den Menschen das Leben erträglicher zu machen. Die Kosten sind immens; viele kommen nicht mehr über die Runden. Viele, die viel arbeiten, zählen ihr Geld und kaufen nur noch Angebote im Supermarkt. Hinzu kommen die Folgen der Coronapandemie und Lieferkettenverzögerungen; wir wissen nicht, wie sich das in Zukunft entwickelt. Die Inflation und der Ukrainekrieg mit den explodierenden Gas- und Strompreisen belasten die Menschen sehr. Ich kenne eigentlich keinen, der sich keine Sorgen macht und nicht überlegt, ob er sich das alles künftig leisten kann. ({2}) Gerade in einer solchen Situation ist es so wichtig, dass man, wenn man Pakete schnürt, die Geld kosten, die Folgen analysiert und das Geld effizient einsetzt, dass man Prioritäten setzt. Prioritäten setzen, das ist nicht einfach, das schmerzt; denn wer Prioritäten setzt, der enttäuscht. Er enttäuscht diejenigen, die sich vielleicht mehr oder etwas anderes versprochen haben oder die sehen, dass ein anderer bei der Prioritätensetzung vorgezogen wird. Leider Gottes gehören Enttäuschungen dazu. Es ist nicht so, dass wir das gerne machen, weil wir irgendjemandem schaden wollen, ganz im Gegenteil. Aber ich frage mich: Wie wollen Sie es denn machen? Wollen Sie hier alle paar Monate etwas aus dem Geldkoffer verteilen? ({3}) In solchen Zeiten gehört es dazu, Mut zu haben, weil man es mit dem Geldverteilen nicht allen recht machen kann. Leider finde ich im Etat des Arbeits- und Sozialministeriums in dieser Hinsicht keinerlei Anhaltspunkte. Ich kann diesen Mut nicht ansatzweise erkennen. ({4}) – „Was würden Sie denn machen?“ Ja, das ist das Problem. Sie machen mit 65 Milliarden Euro eine Riesenshow: Wir verteilen Geld. – Das Allerallerwichtigste ist natürlich – so schwer es ist –, genau da anzusetzen, wo die Ursachen sind. ({5}) Ich muss ehrlich sagen: Die Show wie beim Verteilen von 65 Milliarden Euro hätte ich gerne gehabt bei den Bemühungen, den Energielieferanten ein gutes Angebot zu machen. Beim Katar-Besuch ist nichts rausgekommen; bei anderen Ländern offensichtlich schon. Atomkraft? Das wollen wir nicht. ({6}) Kohlestrom? Ja, das machen wir ein bisschen, aber ja nicht zu viel. So viel zur Ideologieoffenheit. Klar ist: Wenn wir das Angebot nicht erhöhen, werden wir die Probleme nicht lösen. Und es wird nicht funktionieren, alle zwei Monate Geld zu verteilen. Das Geld haben wir nicht. Es tut mir leid, das so sagen zu müssen. ({7}) Das Schlimme ist, dass so viel dranhängt. Warum diskutieren wir hier denn leider Gottes über Energie? Warum ist das Teil dieser Debatte? Wir reden darüber, weil die Menschen das spüren. Nichts ist sozial daran, wenn es sich ein Mensch nicht mehr leisten kann, Lebensmittel einzukaufen oder seine Wohnung zu heizen, oder wenn die Wirtschaft es sich aufgrund explodierender Stromkosten nicht mehr leisten kann, hier zu produzieren. Da sind wir dann beim Arbeitsministerium. Was können wir tun, um diesen Bereich zu stärken? Und da kommt zu wenig für den Mittelstand, und das werden leider auch die Beschäftigten merken. Da sind wir genau bei diesem Etat. ({8}) Ich kann Ihnen nur raten: Schmeißen Sie Ihre Ideologie über den Haufen! Wir unterstützen, dass die Transformation weitergeht. Aber bitte machen Sie eineinhalb Jahre Realpolitik! Nur das zählt für die Menschen im Land; denn die brauchen Ihre Unterstützung und keine Ideologie und Besserwisserei. ({9}) Es gäbe noch so viel zu sagen. Aber wir haben ja zum Glück noch eine zweite und dritte Lesung.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss!

Dr. Silke Launert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004336, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich wünsche Ihnen und uns allen, dass es in unserem Land nicht so schlimm wird, –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Letzter Satz, Frau Launert.

Dr. Silke Launert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004336, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– wie es inzwischen viele Wirtschaftsexperten sagen, zum Wohle aller Menschen im Land. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Letzte Rednerin in dieser Debatte: Stephanie Aeffner, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Stephanie Aeffner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005004, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dass es Teile dieses Hauses gibt, die sich darüber freuen, wenn es Menschen noch schlechter geht, und das dummerweise offenbaren, weil sie nach einer Debatte vergessen haben, die Mikros auszuschalten, geschenkt! Das passiert. Dass aber andere Teile dieses Hauses diese Debatte auf diese Art und Weise führen, finde ich der Lage, in der wir uns befinden, überhaupt nicht angemessen. ({0}) Wir befinden uns in einer Krise, die den Menschen so viele Sorgen bereitet wie noch nie in diesem Land. ({1}) – Ja, ich komme darauf zurück. ({2}) In Ihrem Redebeitrag haben Sie vom Energieeinkauf in Katar und von Atomkraftwerken gesprochen. Ich dachte, wir debattieren an dieser Stelle den Haushalt des BMAS und machen uns darüber Gedanken. ({3}) Und dann bringen Sie faktenfreie Behauptungen in die Debatte ein wie die, wir führten ein bedingungsloses Grundeinkommen ein. Wir haben immer noch eine Bedürftigkeitsprüfung. Manchmal hilft es, wenn man Gesetzentwürfe, über die man debattiert, liest, bevor man hier Menschen gegeneinander aufhetzt. ({4}) Die Menschen erwarten von uns Lösungsvorschläge. Sie dürfen uns gerne kritisieren, aber dann bringen Sie auch ernsthafte Vorschläge in die Debatte ein. Wir freuen uns auf die Auseinandersetzung. ({5}) Wir brauchen jetzt zwei Dinge: Ja, wir müssen über die Preise für Energie reden; das haben Sie immer wieder angesprochen. Aber das ist die Aufgabe anderer Ressorts. ({6}) Hier müssen wir darüber reden, wie wir die Folgen des russischen Angriffskrieges sozial abfedern. Genau deshalb ist es so wichtig, dass die soziale Frage mit diesem Haushaltsentwurf beantwortet wird und wir mit der Bürgergeldreform gleichzeitig an einer Riesenreform in diesem Bereich arbeiten. Kollege Rosemann hat es gesagt: Die Aufgaben, die wir uns mit der Bürgergeldreform gestellt haben, sind im Haushaltsentwurf nicht abgebildet; das war ja noch nicht fertig. Und auch das Entlastungspaket, auf das wir uns am letzten Wochenende geeinigt haben, ist darin noch nicht berücksichtigt. Genau das wird jetzt die Aufgabe im parlamentarischen Verfahren sein. Ja, unsere Aufgabe ist es, Menschen die Angst zu nehmen; denn zur Freiheit gehört auch die Freiheit, keine Angst haben zu müssen, wie man seine Stromrechnung bezahlen kann. ({7}) Genau das sind die Aufgaben, denen wir uns im Laufe des parlamentarischen Verfahrens zum Bürgergeld stellen müssen. Es geht darum, wie wir diese Fragen beantworten. Wir laden Sie herzlich ein, konstruktiv mit uns daran zu arbeiten. ({8})

Cem Özdemir (Minister:in)

Politiker ID: 11002746

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Haus und ich arbeiten tagtäglich für eine zukunftsfähige Landwirtschaft, ({0}) ohne dabei – das will ich ausdrücklich sagen – die Leistungen der Vergangenheit zu schmälern. Mit diesem Haushalt fördern wir den notwendigen Wandel zu einer Landwirtschaft, die resilienter wird gegenüber Krisen, die Klima und Artenvielfalt schützt und die unsere Lebensgrundlagen bewahrt, damit wir auch morgen noch zur Sicherung unserer Nahrung beitragen können. Wir investieren in Forschung, wir investieren in Entwicklung, damit unsere Forschungslandschaft innovativ ist und es auch in Zukunft bleibt. Die agrarsoziale Sicherung ist wieder ein stabiler Posten. Wir stärken den ökologischen Landbau, um neue Impulse für eine nachhaltige Landwirtschaft zu setzen. Wir bringen die dringend notwendige Digitalisierung voran. Wir fördern nachwachsende Rohstoffe und stärken damit auch ländliche Räume. ({1}) Und sicher nicht zuletzt: Wir stellen den Wandel hin zu einer zukunftsfesten Tierhaltung in den Mittelpunkt unserer Arbeit; denn auch in den Ställen, auf den Weiden und an der Ladentheke entscheidet sich die Zukunft von uns allen. Gerade was die Tierhaltung angeht, wird die Geduld der Landwirtinnen und Landwirte schon seit vielen Jahren strapaziert. Es ist überfällig, dass der Wandel der Tierhaltung zum Wohle der Tiere, der Bäuerinnen und Bauern, des Klimas und der Verbraucherinnen und Verbraucher endlich aufs Gleis gesetzt wird. ({2}) Mit 150 Millionen Euro starten wir in diesem Haushalt den Weg in eine zukunftsfeste Tierhaltung. In den kommenden Jahren werden wir die Summe weiter steigern. Jetzt ist die Politik gefragt, den Umbau der Ställe zu fördern und – ich unterstreiche das – auch bei laufenden Kosten zu unterstützen, bis der Wandel sich schließlich selbst tragen kann. Die Bäuerinnen und Bauern, die auf eine tierfreundliche Haltungsform umsteigen wollen, brauchen Planungssicherheit. Das entscheidet auch darüber, ob unser Fleisch weiterhin aus Deutschland oder künftig aus dem Ausland kommt. ({3}) Um das klar zu sagen: Ich möchte als Bundeslandwirtschaftsminister, dass es aus Deutschland kommt, dass es gutes Fleisch ist von gut gehaltenen Tieren. Übrigens: Auch unser Getreide und unser Gemüse brauchen Tierhaltung; es braucht Gülle und Mist als Dünger. Ich bin optimistisch, dass wir bei der Tierhaltung auch im Sinne unserer Landwirtinnen und Landwirte zu einer guten Lösung kommen. Sie, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, entscheiden mit diesem Haushalt auch über die Zukunft unserer Tierhaltung in unserem Land. Ich hoffe natürlich, dass Sie dabei – ich will das nochmals sagen – auch die Bezuschussung der laufenden Betriebskosten für mehr Tierwohl unterstützen, damit wir da endlich einen Knopf dran machen können. ({4}) Der Schutz des Klimas und die Zukunft unserer Landwirtschaft entscheiden sich auch in unseren Wäldern und, ja, auch in unseren Mooren. Dort müssen die Anpassung an die Folgen der Erderhitzung und die Bekämpfung der Klimakrise gleichermaßen stattfinden. Wir brauchen den biologisch vielfältigen und fitten Wald als Klimaschützer. Deshalb investieren wir in den kommenden Jahren insgesamt 900 Millionen Euro in die klima- und biodiversitätsfreundliche Bewirtschaftung. ({5}) Damit unterstützen wir diejenigen, die sich um unsere Wälder kümmern und von ihnen leben. Wir investieren zugleich in den Schutz unserer Moore und die Torfminderung. Ich will das als eine Art Klimaanlage bezeichnen, in die wir da investieren. Ich danke dem Umweltministerium mit Steffi Lemke an der Spitze, die in ihrem Haushalt auch wichtige Akzente dafür setzt. Ich danke vor allem aber unseren Landwirtinnen und Landwirten, namentlich dem Landvolk Niedersachsen, die sich aktiv bei dem Thema Moorschutz einbringen. ({6}) Das ist keine Selbstverständlichkeit; denn Hand aufs Herz: Das ist mit Zumutungen, mit Anstrengungen und auch mit notwendigen Kompromissen verbunden. Doch dort stellt man sich eben der Herausforderung und duckt sich nicht weg, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition. Die Zukunftskommission Landwirtschaft hat unschätzbare Arbeit geleistet. Landwirtschaftliche Verbände auf der einen und Umweltverbände auf der anderen Seite haben viel Kraft, manchmal sogar ihre ganze Reputation investiert, um endlich alte Gräben zu überwinden. Das Abschlusspapier hat Hoffnung auf eine konstruktive, gemeinsame Zukunft geweckt. Wer jetzt wieder so tut, als ob Umwelt- und Tierschutz nicht die Grundlage, sondern gar Gegner der Landwirtschaft sind, der tritt diese Arbeit mit Füßen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Und mancher, der jetzt behauptet, etwas gegen den Welthunger unternehmen zu wollen, wird schlicht und einfach an der Abhängigkeit armer Länder von Lebensmittelimporten weiterhin gut verdienen. Damit hilft man diesen Ländern nicht. Wir werden nicht auf diejenigen hereinfallen, die die alten Rezepte jetzt wieder hervorholen. Es mutet schon bizarr an – das will ich an dieser Stelle schon mal sagen –, dass ein grüner Agrarminister jetzt darüber wachen muss, dass Zusagen aus der Zeit seiner christdemokratischen Vorgängerinnen und Vorgänger eingehalten werden, während die CDU/CSU uns genau dafür kritisiert, dass die Versprechen, die früher mal gegeben wurden, als das Haus schwarz geführt wurde, eingehalten werden. ({8}) Ich finde, das hat etwas mit Planungssicherheit und Investitionssicherheit zu tun. Verlässlichkeit, Kompromissbereitschaft, Maß und Mitte galten mal als Tugenden auch in Ihren Reihen. Es wäre schön, wenn das wieder so wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer den Wandel der Landwirtschaft bremst, ist kein Freund der Bäuerinnen und Bauern in unserem Land, ganz im Gegenteil: Wir müssen und wir werden unsere Landwirtinnen und Landwirte bei diesem Wandel unterstützen. Genau deshalb habe ich bei meinen Entscheidungen stets versucht, das Notwendige und das Machbare gleichermaßen im Blick zu behalten. Aber es muss uns klar sein: Der Schutz von Klima, Böden, Wasser und Artenvielfalt entscheidet auch darüber, ob wir morgen noch unsere Nahrung sichern können. In der Landwirtschaft bei allem so weiterzumachen, kann keine Option sein. Deshalb treiben wir mit diesem Haushalt den Wandel zu einer zukunftsfesten Landwirtschaft weiter voran. Herzlichen Dank. ({9})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der nächste Redner in der Debatte: Steffen Bilger, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Steffen Bilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister Özdemir! Ich mache mir große Sorgen um die Zukunft der Landwirtschaft in Deutschland. ({0}) Denn sie ist bei diesem Bundeslandwirtschaftsminister nicht in guten Händen. Bald ein Jahr nach der Bundestagswahl zeigt sich: Die Politik, die Minister Özdemir durchsetzen will, hat in Wahrheit weder in Ihrer Koalition noch in diesem Haus eine Mehrheit. Seit Amtsantritt versuchen Sie, Herr Minister Özdemir, dies mit gefälliger Rhetorik zu verschleiern – das haben wir gerade auch so ein bisschen erlebt –; aber jetzt, mit den fortschreitenden Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine gerade auch im Bereich der Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik, gelingt Ihnen dies immer weniger. In der Krise ist dieser Minister als Anwalt der Landwirte, der Gärtner, der Weinbauern, der Obstbauern, der Bäcker, als Anwalt der Ernährungsbranche insgesamt leider ein Totalausfall. Das gilt auch für die gesamte Bundesregierung. ({1}) Mit Herrn Habeck und seinen Ausführungen zum Bäckereigewerbe in Zeiten der Energiekrise haben wir uns dieser Tage schon ausführlich beschäftigt. ({2}) Aber schauen wir uns jetzt einmal den Beschluss des Koalitionsausschusses vom Sonntag an. Auch da steht reichlich wenig drin, was unseren produzierenden Betrieben, dem Mittelstand insgesamt etwas Zuversicht für die kommenden Herausforderungen geben könnte. ({3}) Stand jetzt, müssen wir festhalten: Sie tun nichts, um das Sterben der Traditionsbäckerei in der Dorfmitte zu verhindern. Sie tun nichts, um die Betriebsaufgabe des familiengeführten Gärtnereibetriebes abzuwenden. Sie tun nichts, um die Bauernfamilie beim Umgang mit all den aktuellen Herausforderungen vom Stallumbau bis zur Energiekostenexplosion zu unterstützen. Herr Minister, vor zehn Tagen bei der Vorstellung des Ernteberichts in Ditzingen – meinem Wahlkreis, Glückwunsch zur guten Ortswahl! – haben Sie gesagt, dass es Scharfmacher gebe, die die globale Ernährungssicherung als Vorwand nutzen würden, den Klima- und Artenschutz in der Landwirtschaft mit falschen Tatsachenbehauptungen und mit falschen Versprechen zurückzufahren. Wen meinen Sie, wenn Sie von „Scharfmachern“ sprechen? Die FDP, die Landwirtschaftsminister der Länder, den Bauernverband, uns, die EU-Kommission, also so ziemlich alle anderen? Die globale Ernährungssicherung ist eine große Aufgabe, der wir uns angesichts der Folgen des Ukrainekrieges zu stellen haben. Deshalb war es auch richtig, dass Sie bei der Frage der Flächenstilllegung nachgegeben haben. Im nächsten Jahr, 2023, sollten 4 Prozent der Ackerflächen stillgelegt werden. Das wird nun nicht passieren. Alles andere wäre auch wirklich unverantwortlich gewesen – angesichts der Kriegsfolgen, angesichts der Hungerkrisen, die in vielen Regionen der Welt jetzt schon Tatsache sind und in vielen weiteren Regionen drohen. Ihre Entscheidung kam spät, fast zu spät für viele Betriebe. Aber gut, dass sie noch getroffen wurde. Aber auch für die Zukunft stellt sich die Frage: Kann es sein, dass wir in Deutschland und Europa immer weniger Nahrungsmittel produzieren, frei nach dem Motto: „Wir haben ja genügend Geld, um uns auf den Weltmärkten mit allem einzudecken“? Ist das verantwortungsbewusst anderen Regionen der Welt gegenüber? Diese Debatte, meine Damen und Herren, müssen wir führen, und da müssen auch manche Bestandteile europäischer Agrarpolitik auf den Prüfstand. Diese Debatte sollten Sie mitgestalten, und zwar im Sinne der Landwirtschaft, anstatt Ihre Gesprächspartner, die nicht auf der grünen Linie sind, zu diskreditieren. Ich nenne ein paar aktuelle Beispiele für Vorhaben auf europäischer Ebene, die ihre Gründe haben, aber vielleicht nicht ganz zu Ende gedacht sind, so die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur. Diese Verordnung würde massive Produktionseinschränkungen für die Land- und Forstwirtschaft bedeuten. Die Industrieemissionsrichtlinie würde zukünftig zehnmal so viele Tierhaltungsbetriebe in Deutschland erfassen. Da drohen massive zusätzliche Auflagen und ein Ausufern der Kosten. ({4}) Und dann die EU-Pflanzenschutzverordnung. Niemand hat ja etwas dagegen, wenn der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduziert wird: da, wo es Sinn macht, da, wo es möglich ist. Es gibt aber Gartenbaubetriebe, es gibt Weinbau, deren Existenz gefährdet ist, wenn pauschale und überzogene Reduktionsziele in einem viel zu weit gefassten Gebiet durchgesetzt werden sollen. Das darf so nicht kommen, meine Damen und Herren. ({5}) Meine Aufforderung an Sie: Klären Sie diese Fragen in der Koalition! Klären Sie diese Fragen in der Bundesregierung! Aber klären Sie auch das so zentrale Thema Tierwohl und dessen Finanzierung! Dazu haben wir gerade eben schöne Worte gehört. Heute hat die Borchert-Kommission getagt. Es ist gut, dass die Borchert-Kommission ihre Arbeit fortsetzen möchte. Sie sollte allerdings aufrütteln, dass die Kommissionsmitglieder angekündigt haben, so lange zu pausieren, bis die Koalition endlich die Frage der Finanzierung des Umbaus der Nutztierhaltung gelöst hat. Wir alle fragen uns: Wofür steht die Koalition? Wir warten dringend auf ein stimmiges Gesamtkonzept, und da lässt dieser Haushaltsentwurf erneut alles im Unklaren. Klären Sie endlich diese Frage. Alle warten darauf. Das geht an die gesamte Koalition, auch an die FDP. ({6}) Die traurige Zwischenbilanz ein Jahr nach der Bundestagswahl lautet: kein frisches Geld für die Investitionen in den Stallumbau, keine Finanzierung der laufenden Kosten und ein Gesetzentwurf zur Tierhaltungskennzeichnung, der viel mehr Fragen offenlässt, als er Antworten gibt. Herr Minister Özdemir, für Ihr zukünftiges Wirken will ich Ihnen zum Schluss noch ein Thema ans Herz legen, das bislang bei Ihnen eigentlich keine Rolle spielt. Sie haben vorhin das Stichwort „Innovationen“ genannt. Aber auch, wenn man sich den Haushalt anschaut, spielt es viel zu wenig eine Rolle: Innovationen, neue Technologien. Nur wenn Sie hier Ihre Scheuklappen ablegen, dann können Sie glaubhaft für eine nachhaltige Landwirtschaft eintreten. Wir brauchen neue, robuste Pflanzen, die gegen Hitze, gegen Dürre widerstandsfähiger sind, und es ist möglich, Ernährung zu sichern und gleichzeitig Umwelt und Biodiversität zu schützen. Aber dafür braucht es Mut, auch einmal neue Wege zu gehen, Mut, den ich bislang bei Ihnen vermisse. ({7})

Esther Dilcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Tat, nach dieser Nachricht ist es jetzt nicht so ganz einfach, zur Tagesordnung überzugehen. Aber ich denke, wir werden uns morgen in aller Ruhe und mit dem gebührenden Respekt an das Staatsoberhaupt in Großbritannien erinnern. 7,1 Milliarden Euro stehen im Einzelplan 10 für landwirtschaftliche Sozialpolitik, Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, diverse Forschungsinstitute, und zusätzlich bewirtschaftet das Ministerium aus dem Klima- und Transformationsfonds weitere 377,5 Millionen Euro. Zurzeit beschäftigt mich ein Thema ganz besonders: Unsere Wälder brennen: Ende Juli dieses Jahres im Nationalpark Sächsische Schweiz und zurzeit im Harz am Brocken. Vor wenigen Tagen hatte ich Gelegenheit, mit meinem Kollegen und meinen Kolleginnen Susanne Mittag, Sylvia Lehmann, Isabel Mackensen-Geis und Fabian Funke das Nationalparkzentrum in Bad Schandau zu besichtigen. Beeindruckend zunächst erst mal die Feststellung in dem Imagefilm, der dort gezeigt wird: Ein Glücksfall, im richtigen Moment auf der Erde zu sein, um diese wunderbaren Naturlandschaften erleben zu können. – Da wurden wunderschöne, unberührte Landschaften gezeigt, beeindruckende Aufnahmen vom Schwarzstorch, von der Wasseramsel, vom Wanderfalken, mit einer kurzen Geschichte, wie, beginnend vor 90 Millionen Jahren, aus Sandkörnern die heutigen Felsformationen mit den Tälern und Schluchten entstanden sind. Danach sind wir zu den Brandflächen raufgefahren. Dort haben wir wortlos auf die Zerstörung geschaut, die uns rechts und links des schmalen Weges begleitet hat: gefällte Fichten, um die Verkehrssicherheit auf dem Weg zu gewährleisteten, Buchen mit braunen Blättern wie im Herbst und dann die verkohlten schwarz-grauen Baumstämme, teils kreuz und quer liegend, teils noch stehend, so weit das Auge reicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann nur sagen: Hochachtung und danke für den erfolgreichen und logistisch sehr anspruchsvollen Einsatz an alle Nationalparkmitarbeiter, an die Forstverwaltung, an die Feuerwehr, an den Katastrophenschutz, an private Flugunternehmen, an die Polizei, THW, Bürgerinnen und Bürger, die mit allen Mitteln und all ihren Kräften tagelang gegen diese Brände gekämpft haben! ({0}) Zukünftig, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir auch dies hier als weitere Herausforderung für Staats-, Kommunal- und Privatwald annehmen müssen, wenn wir Unterstützung anbieten, zum Beispiel für die Honorierung der Ökosystemleistung Wald, wofür 200 Millionen Euro im Transformationsfonds zur Verfügung stehen – eine zusätzliche Herausforderung, die wir berücksichtigen müssen. Sehr geehrter Herr Minister, mit dem Präsidenten des Hessischen Waldbesitzerverbandes, Carl Anton zu Waldeck, und dem geschäftsführenden Direktor Christian Raupach sowie einzelnen Waldbesitzern und Wissenschaftlern stehe ich schon seit langer Zeit im regen Austausch, weil mich das Thema einfach interessiert; ich komme aus einer Gegend, in der es viel Wald gibt. Diese würden es sehr begrüßen, wenn Sie mich zu einem der nächsten Termine vor Ort einmal begleiten würden. ({1}) Sehr geehrter Herr Minister, meine Kollegen Sebastian Schäfer, dem ich von hier aus sehr herzliche Genesungswünsche sende, da er heute an der Debatte krankheitsbedingt nicht teilnehmen kann, und Frank Schäffler haben sich sicherlich genauso wie ich gefreut, dass Sie unsere parlamentarische Initiative in den Beratungen und der Bereinigungssitzung zum Haushalt 2022 zu schätzen wissen, nachdem es Ihnen leider – wahrscheinlich wegen des Finanzministers – nicht gelungen war, bestimmte Vorhaben im letzten Regierungsentwurf zu platzieren. Aber danke für Ihre Pressearbeit zur Unterstützung der Tierheime, die ukrainische Tiere versorgen mussten; für diese haben wir 5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Mit Verlaub – ich habe es mitgebracht – das Katzenfoto mit Kater Ufo war echt hitverdächtig. ({2}) Danke auch für Ihr Bekenntnis in der „Zeit“: „Bundeslandwirtschaftsminister will mehr Rehkitze vor Mähtod schützen“, durch Einsatz von Drohnen. Ebenfalls in der „Zeit“ haben Sie unseren Einsatz für die Küstenschiffer gewürdigt, für die wir als Haushälter in Ihrem Einzelplan 10 Millionen Euro zur Verfügung gestellt haben. Diese Betriebsbeihilfen sind auch zügig bei den Fischern angekommen. Danke auch dafür. ({3}) Ebenso haben Sie nach meinen Informationen – ich habe ja sehr viele Fragen gestellt, ist mir aus dem Ministerium berichtet worden, was wohl ein bisschen Arbeit verursacht hat – das Geld für den neuen Titel, den wir schaffen wollten – „Förderung von Pilotprojekten zur Schaffung regionaler Produktions- und Verwertungsketten für Produkte aus Aquakulturen“ – bereits ausgegeben. Ich frage mich nur: Erstens. Warum stehen diese wichtigen und durchaus leicht aus dem Haushalt des BMEL, teils sogar aus bestehenden Titeln zu finanzierenden Projekte im Regierungsentwurf für 2023 schon wieder nicht drin? Der Vermerk für die Rehkitzrettung: gestrichen. Die Seefischer: nicht berücksichtigt. Der Vermerk, dass wir den neuen Titel – Projekte Aquakulturen – schaffen wollten: völlig weggefallen und auch kein neuer Titel. Und zweitens: Warum liegen die Richtlinien für die Förderung der Tierheime bis heute nicht vor – ich glaube, die kommen nächste oder übernächste Woche, wenn ich das richtig im Auge habe –, obwohl hier die Vorlage aus dem BMU hätte genutzt werden können? Dort waren im letzten Haushalt nämlich diese Beihilfen eingestellt. Ich bin aber zuversichtlich, Herr Minister, dass wir diese Dinge in den laufenden Haushaltsberatungen auch wieder klären werden. An dieser Stelle mein ausgesprochener Dank an Ihre Parlamentarische Staatssekretärin Manuela Rottmann – dahinten sitzt sie – und an Ihre Mitarbeitenden im Haus, die versuchen, zeitnah alle Fragen der Berichterstatter und Berichterstatterinnen zu beantworten, und uns sogar online zu Gesprächen zur Verfügung stehen, wenn es schwierig wird, einen Präsenztermin zu machen. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch im Haushalt für das Jahr 2023 gemeinsam wieder einiges auf die Beine stellen werden, auch wenn es dann im Haushalt gegenfinanziert werden muss. Aber ich denke, das bekommen wir hin. Das ist auch dringend erforderlich im Hinblick auf die vielen Belastungen, die Landwirte, Waldbesitzer, Gartenbaubetriebe, Bürgerinnen und Bürger derzeit erfahren. Herr Bilger, ich will noch sagen: Das Vertrauen der Landwirte, das haben Sie in der letzten Legislatur unter dem schwarz-geführten BMEL schon längst verloren. Danke. ({4})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die AfD-Fraktion hat das Wort Peter Felser. ({0})

Peter Felser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004714, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kollegen! Liebe Gäste! Liebe Landwirte! Ich habe keine Katzenfotos mitgebracht, sondern eine Geschichte aus dem harten bäuerlichen Alltag. Vorgestern traf ich eine Winzerin auf einer Veranstaltung. Das, was sie sagte, ist symptomatisch für die aktuelle Situation in der Landwirtschaft. Diese junge Weinbäuerin sprach davon, dass sie Ängste habe, wie es denn nun weitergehen soll. Man habe selbstverständlich seit Jahrzehnten, seit Jahrhunderten auf dem Weinberg nachhaltig gewirtschaftet; selbstverständlich gehe man mit der anvertrauten Natur, dem eigenen Weinberg sorgfältig um. Aber das, was nun an Auflagen, Einschränkungen und Bürokratie auf sie zukomme, das mache ihr Angst. Angst, liebe Kollegen, Angst geht um auf den bäuerlichen Betrieben. Dieser emotionale Appell der Winzerin aber war nicht irgendwo hingerichtet. Er hat sich ganz klar gegen diese Politik der Ampel gerichtet. ({0}) Dabei wäre Stabilität das richtige Signal für unsere Landwirte, Stabilität und Planbarkeit. Stattdessen: Unsicherheit, Verzweiflung, Angst auf unseren Betrieben. Denn wie ist die echte Lage? Die Schere von Kosten auf der einen Seite zu den Erträgen auf der anderen Seite geht immer weiter auseinander, Stichworte „Gaspreise gehen durch die Decke“, „Dünger“, „Inflation“. Ab Oktober werden die Tierhalter die steigenden Kosten durch die Tierärztegebührenordnung zu spüren bekommen. Haben Sie das eigentlich alles auf dem Schirm? Jetzt macht die größte Düngemittelfirma in Deutschland dicht. Was für eine zusätzliche Dramatik in dieser Situation! Irre steigende Betriebskosten und weniger Düngemittel auf dem Markt! Aber genau das, liebe Kollegen, war vorhersehbar; dazu brauchte man keine Glaskugel. Wir hatten im Mai in unserem Antrag genau auf diese Situation hingewiesen. Wir haben uns starkgemacht für die Sicherung der Düngemittel, für bezahlbare Düngemittel. Wir haben konkret vorgeschlagen, wie wir das für die Landwirte sichern können. Nur ein paar Auszüge: Sicherstellen, dass die Düngerproduktion in Deutschland gewährleistet bleibt, im Rahmen der einzelstaatlichen Beihilfen Unterstützung bei den Düngerkosten, auf nationaler Ebene sicherstellen, dass das EU-Nitratmessnetz so ausgebaut wird, dass es engmaschig und fachlich geeignet ist. Aber auch hier: Augen zu und weiter Schlingerkurs in die Katastrophe! ({1}) Das Schlimme ist: Diese Kostenexplosionen, diese Mangelwirtschaft, das wird sich wiederum in steigenden Lebensmittelpreisen wiederfinden. Das zahlen die Bürger. Das, liebe Kollegen, das ist das Unsoziale auch in der Agrarpolitik. Herr Minister, werden Sie in Ihrem eigenen Kabinett eigentlich ernst genommen? Es kann doch nicht wahr sein, dass unsere Landwirte im Entlastungspaket überhaupt nicht vorkommen, null Komma null. Das ist der eigentliche Skandal, den wir in dieser Haushaltswoche erleben müssen. ({2}) Herr Minister, in Brüssel sind Sie ebenfalls gnadenlos geschnitten worden: Keinerlei Ausnahme, keinerlei Hilfe für unsere Schweinehalter in der ASP-Frage. Gerade in Niedersachsen haben sich viele Betriebe Hilfe gewünscht. Sie haben null Komma null für unsere Landwirte herausgeholt. Mit dieser EU werden in Deutschland noch mehr Betriebe dichtmachen. Das ist leider die bittere Wahrheit. Lassen Sie mich noch zur Forstpolitik kommen. Es ist schade, dass unser Wald in der Haushaltsdebatte meistens zu kurz kommt. Wir sprechen bei diesem Haushalt immerhin über 900 Millionen Euro. Allein in diesem Jahr sollen noch 200 Millionen in die Wälder, in den Waldumbau abfließen. Wie soll das funktionieren? Realität? Die Kriterien sollten Anfang September vorliegen. Heute haben wir den 8. September. Nun hören wir: Das dauert noch ein, zwei Wochen. – Zwölf Kriterien sind zu erfüllen, damit die Förderung überhaupt ausbezahlt werden kann. Wer soll das ab Ende September oder ab Oktober noch hinbekommen? Das ist völlig realitätsfremd. Das Personal, das wir für diese Beratungsleistungen benötigen – und ich rede hier nur von der Informationsleistung; von Evaluation und Controlling noch völlig abgesehen –, haben Sie in den letzten Jahrzehnten systematisch abgebaut; auch Sie, die Kollegen von der CDU. Es fehlen schlicht und einfach Förster in der Fläche. Die Forstbetriebsgemeinschaften sollen jetzt anfangen, über die Kriterien zu beraten, die es bislang noch nicht gab. Schlingerkurs ins Nichts! Ich kann Ihnen sagen, wie das ausgeht – dazu brauche ich keine Kristallkugel –: Es werden diejenigen Waldbesitzer und Forstgemeinschaften die Förderung beantragen und bekommen, deren Wald schon jetzt diese Kriterien erfüllt. Die Kleinwaldbesitzer werden leer ausgehen. Ergebnis für das Klima: null Komma null. Liebe Kollegen, unsere Landwirte haben nicht nur einen anderen Haushalt verdient, sie haben eine andere Regierung verdient. Ich danke Ihnen. ({3})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die FDP-Fraktion hat das Wort Dr. Gero Clemens Hocker. ({0})

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man mit Menschen, die gerade während der Sommermonate aus dem Ausland nach Deutschland kommen, um vielleicht Urlaub zu machen oder um ihre Ferien hier zu verbringen, über Landwirtschaft spricht, dann ist für mich ganz offenkundig, dass diese Menschen über die Landwirte in ihrem Heimatland mit sehr viel Wertschätzung sprechen. Wenn ich das damit vergleiche, wie Diskussionen über Landwirtschaft in Deutschland sehr häufig verlaufen, sage ich Ihnen, dass ich mir für die kommenden Monate und Jahre sehr wünschen würde, dass dieses permanente Bauern-Bashing, das unseren Landwirten in der Gesellschaft und auch in Teilen der Politik allzu häufig entgegenschlägt – sie wären pauschal Klimaschänder, Tierquäler oder Brunnenvergifter –, endlich aufhört, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir alle sind aufgerufen, diesen Menschen, diesen Männern und Frauen, die in Deutschland nach höchsten Standards Lebensmittel produzieren, mit Wertschätzung zu begegnen und nicht mit diesem Bauern-Bashing, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Es passiert seit mindestens zwei Wahlperioden in der Landwirtschaftspolitik in Deutschland etwas ganz, ich nenne es mal: Eigenartiges. Immer mehr Menschen erklären, sie wären gerne bereit, einen höheren Preis für Lebensmittel zu bezahlen, die nach höchsten Standards erzeugt wurden: höchste Tierhaltungsstufen, vielleicht Verzicht auf chemischen Pflanzenschutz und viele andere Dinge mehr. Die Politik hat sich diese Wünsche zu eigen gemacht, die häufig von NGOs befeuert wurden, und hat daraus häufig genug nationalstaatliche Alleingänge beschritten, gerade in den letzten Jahren und Jahrzehnten. Insektenschutzpaket, Nutztierhalterverordnung, Düngeverordnung und viele andere politische Entscheidungen, die häufig nur nationalstaatlich verabschiedet wurden, oder Dinge, die aus Brüssel kommen, bei denen noch ein bisschen obendrauf gelegt wurde, haben die Produktionskosten für Lebensmittel in Deutschland nachhaltig steigen lassen. Das wäre noch nicht einmal ein Problem, meine Damen und Herren, wenn der Verbraucher seinen Anforderungen, die er in Umfragen artikuliert, tatsächlich auch Taten folgen lassen würde und zum höherpreisigen Lebensmittel greifen würde. Genau das passiert aber nicht. Daraus ist eine Diskrepanz entstanden. Es ist allerhöchste Eisenbahn, dass wir beginnen, zu handeln, und die ländlichen Regionen, die Bäuerinnen und Bauern mit dieser prekären Situation nicht länger alleinlassen. ({1}) Wir Freie Demokraten haben uns auf den Weg gemacht. Wir strecken die Hand in Richtung unserer Koalitionspartner und gerne auch in Richtung der Opposition aus, um eine Kompensation für diese Mehrbelastung zu beschließen, die Politik und auch die ehemaligen Bundesregierungen verursacht haben und die für landwirtschaftliche Betriebe nicht länger zu tragen ist. Uns schwebt eine Kompensation in Höhe von 40 Cent pro verkauftem Kilogramm Fleisch vor. Dieses Geld soll unmittelbar für Investitionen in Ställe, in noch mehr und in noch höher standardisierte Tierhaltung fließen und auch die Produktionskosten und die Betriebskosten abdecken. Das ist richtig und gut, nicht weil wir irgendjemandem krampfhaft etwas Gutes tun wollen, sondern weil wir der festen Überzeugung sind, dass es nicht ausreicht, den Menschen in den ländlichen Regionen Wertschätzung entgegenzubringen, sondern es muss in Zukunft auch Wertschöpfung in diesen Regionen möglich sein. ({2}) Es wäre undenkbar, wenn sich all diese Menschen auf den Weg in die Städte machen würden, weil in ländlichen Regionen keine Perspektive mehr für sie existiert. Hier ist Politik gefordert. Hier machen wir einen riesengroßen Schritt auf unsere Koalitionspartner zu, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Gleichzeitig sind wir gehalten, verehrte Frau Kollegin Künast – ich weiß, dass Sie auf diesen Hinweis gewartet haben, weil ich ihn in unseren Gesprächen schon oft erwähnt habe –, verantwortungsvoll mit diesen Mitteln umzugehen. Dazu gehört, dass Landwirte, die sich auf den Weg machen, mit den Mitteln, von denen ich eben gesprochen habe, zu investieren, die Gewähr bekommen müssen, dass für die Dauer ihrer Investition, für die Dauer der Abschreibung keine zusätzlichen Auflagen über ihnen ausgeschüttet werden. Für die Dauer von 20 Jahren müssen sie im Rahmen eines Auflagenmoratoriums die Gewissheit haben, dass die getätigten Investitionen morgen nicht schon wieder perdu sind, weil zusätzliche Auflagen über ihnen ausgeschüttet werden. Das ist unsere Bedingung. ({4}) Wir hoffen, dass Sie hier ebenso auf uns zugehen, wie wir das in einer anderen Frage Ihnen gegenüber gemacht haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren – das ist mein letzter Satz –, ich sage ganz ausdrücklich: Politik hat auch viel mit Kompromiss zu tun; das ist keine Frage. Wir haben es uns mit diesem Vorschlag nicht leicht gemacht. Wir haben uns auf den Weg gemacht. Wir haben die Hand ausgestreckt. Wir wollen, dass die ländlichen Regionen in unserem Land auch in fünf, auch in zehn Jahren eine Perspektive, und zwar eine verlässliche Perspektive haben. Jetzt ist es an anderen, von ihrem grünen ideologischen Baum herabzusteigen. Vielen Dank. ({5})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die Fraktion Die Linke hat das Wort Ina Latendorf. ({0})

Ina Latendorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005123, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche für all jene, die in der Landwirtschaft arbeiten, für die Menschen im ländlichen Raum wie in meinem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, für die Menschen, die zu Recht gesunde und bezahlbare Lebensmittel fordern. Für all diese Menschen ist der Einzelplan ein Trauerspiel. ({0}) In diesen Zeiten, in denen die Menschen Angst vor weiterer Inflation haben, vor Ernährungs- und Energiekrisen, denen wir näher sind denn je, hat die Bundesregierung aus meiner Sicht keinen belastbaren Plan. ({1}) Entgegen der optimistischen Rede des Ministers bildet sich der Handlungsdruck in diesem Etat überhaupt nicht ab. Die Berichte aus der Landwirtschaft sind zum Teil dramatisch. Als agrarpolitische Sprecherin der Linksfraktion kann ich die aktuelle Politik der Bundesrepublik nicht erklären. Ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro fürs Militär wird über Nacht beschlossen, Extrapakete werden punktuell verabschiedet. Aber was ist mit der aktiven Umgestaltung und damit mit der Sicherung der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelproduktion? Im Haushaltsplan der Ampel ist hier zu wenig zu finden, und das ist unverantwortlich. ({2}) 7,175 Milliarden Euro im Etat 2023, ja, aber weniger als 2 Prozent des Gesamthaushaltes und nach Abzug der Sozialleistungen von über 3 Milliarden Euro bleiben nur noch 0,7 Prozent des Gesamthaushaltes für die Transformation in der Landwirtschaft, für die Sicherung der Ernährung, für den Verbraucherschutz, für die ländlichen Räume, die Fischerei und den Wald, dessen Umbau so dringend erforderlich ist. Der Transformationsfonds genügt hierfür nicht. ({3}) Anstatt unsere Kapazitäten im Bereich Rüstung zu verschwenden, sollte die Regierung lieber wirksam die 14 Millionen Bürgerinnen und Bürger unseres Landes unterstützen, die direkt oder indirekt von Armut betroffen sind. Dazu gehört vor allem eine vernünftige Ernährungspolitik. Denn die Preise für Grundnahrungsmittel sind in den letzten Jahren – und nicht erst in diesem Jahr – dramatisch gestiegen, laut Statistischem Bundesamt in den vergangen fünf Jahren, das heißt ohne die aktuellen Steigerungen, um 26 Prozent – unglaublich. Wer in den Supermarkt geht, kann die Preise förmlich explodieren sehen. Schon lange wären wirksame Maßnahmen gegen Ernährungsspekulation und Preistreiberei nötig gewesen. Aber das hatte weder die alte noch hat es die neue Bundesregierung auf dem Schirm – fatal! ({4}) Wir als Linke mahnen dies seit Monaten an und haben jüngst auch einen Antrag zur Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel vorgelegt. Unterstützen Sie diesen Baustein der Entlastung, der sofort ankommen würde! ({5}) Nötiger denn je ist die Begrenzung der Marktmacht von Lebensmittelkonzernen, um Landwirtinnen und Landwirte genauso wie Verbraucherinnen und Verbraucher zu entlasten. Die großen Konzerne verdienen sich – Entschuldigung – gerade dumm und dämlich. Die Produzenten werden abgespeist, und die Verbraucher und Verbraucherinnen zahlen die Zeche. Auch hier ändert sich nichts: Sie überlassen alles dem profitorientierten Markt und verschärfen damit die Armut in unserem reichen Land. Die Agrarwende ist lange angekündigt. Ihre Absichtserklärungen und die Zahlen im Haushalt stehen aber im krassen Widerspruch zueinander. Einerseits wollen Sie einen gesunderhaltenden und nachhaltigen Ernährungs- und Lebensstil fördern. Andererseits zementieren Sie den Status quo und kürzen sogar, zum Beispiel bei den Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Ernährung. Alle, die aufmerksam lesen und zuhören, müssten diese Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit eigentlich bemerken. ({6}) Dass eine gesunde Ernährung gerade für die Jugend am besten über öffentliche Angebote wie ein kostenfreies Schulessen erreicht werden kann, besagte schon 2020 eine Studie des Wissenschaftlichen Beirates für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz. ({7}) Die zentrale Empfehlung lautete, eine „beitragsfreie und qualitativ hochwertige Kita- und Schulverpflegung“ schrittweise in ganz Deutschland zu etablieren. Auch aus meiner Sicht ist dies eine wichtige und wirksame Maßnahme, um eine gesunde Ernährung zu erreichen. ({8}) – Das kann auch der Bund unterstützen. ({9}) In der heutigen Krisensituation ist das dringender denn je. Leider ist Deutschland, anders als zum Beispiel die skandinavischen Länder, weit davon entfernt. Wir fordern hier seit Jahren ein Umsteuern, und wir werden das auch weiterhin tun. ({10}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine wichtige Aufgabe des Ministeriums ist auch die Förderung der ländlichen Räume. Da geht es um Nachhaltigkeit, Zukunftsfähigkeit, Attraktivität und die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse. Das ist nach wie vor mehr Theorie als Wirklichkeit; das sehen wir in der Prignitz genauso wie in Euskirchen. Und mit der Nettoabsenkung der Mittel für das Förderinstrument der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ um rund 41 Millionen Euro wird sich das nicht ändern – eher umgekehrt. Die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land, also zwischen Hannover und Ückeritz, ist so faktisch unmöglich. Mein Fazit. Dieser Haushalt gibt ein verheerendes Signal für die Menschen in unserem Land und wird den Aufgaben nicht gerecht. Vielen Dank. ({11})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Bündnis 90/Die Grünen hat Dr. Anne Monika Spallek das Wort. ({0})

Dr. Anne Monika Spallek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005225, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute sprechen wir über den Haushalt. Es geht um viele Zahlen, Budgets, Planungen, Abweichungsanalysen und auch um Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen. Als Mathematikerin habe ich daran so meine Freude. Und jede Landwirtin, jede Bäckerin, jede Unternehmerin weiß, wie wichtig gute Planungen und Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen sind, wenn es um Investitionen und Konzepte für die Zukunft geht. Eine gute Planung ist entscheidend für jeden Erfolg. Nichts anderes verlangt die Bundeshaushaltsordnung. § 7 Absatz 1 der Bundeshaushaltsordnung sieht vor, dass „bei Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplanes … die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten“ sind. Und weiter heißt es in Absatz 2: Für alle finanzwirksamen Maßnahmen sind angemessene Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen durchzuführen. Aber als ich mir die vergangenen Haushalte des Einzelplans 10 und die Berichte des Bundesrechnungshofes dazu angesehen habe, ist mir aufgefallen, dass das wohl etwas ist, was den vergangenen Landwirtschaftsministern und der vergangenen Landwirtschaftsministerin – in Klammern: der CDU/CSU – nicht so unbedingt lag. Es ist schockierend, wie verschwenderisch da mit den Steuergeldern umgegangen worden ist. Die Berichte des Bundesrechnungshofes der letzten Jahre sind da klar. Darin stehen zwar Herr Scheuer und die Maut ganz oben auf der Liste mit den größten Fehlplanungen und Steuerverschwendungen, aber Frau Klöckner und Herr Schmidt haben dazu auch so einiges beigetragen. ({0}) Ganz vorn ist da das freiwillige staatliche Tierwohlkennzeichen zu nennen, das nach Jahren der Planungen unter zwei Ministerinnen und Ministern der CDU/CSU ({1}) nie kam ({2}) und eigentlich ja auch nicht so richtig sinnvoll war, ({3}) was den Handel dann so genervt hat, dass er es einfach selber gemacht hat. All die Planungen, Sitzungen, Entwürfe, Administration, Gutachten usw. haben mehrere Millionen Euro, bis zu 50 Millionen Euro, gekostet und Steuergelder verschwendet. Der Bundesrechnungshof beanstandete zudem, dass das BMEL entgegen den Vorschriften des § 7 BHO nie eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung, eine Kosten-Nutzen-Betrachtung, vornahm. Das CDU-geführte BMEL antwortete damals, es sei davon ausgegangen, dass „Entscheidungsprozesse, die sich im politischen Handlungsbereich vollziehen, … nicht dem Verwaltungshandeln im Sinne der Verwaltungsvorschriften zur BHO zuzurechnen“ seien. Da unterlag das CDU-geführte BMEL wohl einem kleinen Irrtum. Der Bundesrechnungshof kritisierte damals, das Ministerium vertrete „die irrige Annahme, dass bei politischen Entscheidungen keine Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen durchzuführen seien“. Jeder Privatmann muss wirtschaftlich mit seinem Geld umgehen, jeder Unternehmer, jede Bäckerin, ({4}) jede Landwirtin – das BMEL anscheinend nicht. Ende 2021 beanstandete der Bundesrechnungshof, dass das BMEL Bundesmittel in dreistelliger Millionenhöhe ausgegeben hatte, ohne vorher vollständige Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen zu machen. Vielleicht waren die Zeiten zu gut. Man hatte es nicht nötig, zu sparen. Nun sind die Zeiten schlechter. ({5}) Ja, wir müssen sparen. Aber wir haben es versprochen, und wir bringen das verpflichtende Tierhaltungskennzeichen jetzt auf den Weg. ({6}) Die Pflöcke sind eingeschlagen, die Gelder eingestellt, und auch Haushaltsplanungen ohne vernünftige Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen wird es nicht mehr geben. Das wurde organisatorisch und personell im BMEL bereits aufgesetzt. Wir werden des Weiteren darauf hinwirken, dass auch die Länder die ordnungsgemäße Verwendung kontrollieren.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Anne Monika Spallek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005225, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Und wie ich gehört habe, wird auch die FDP uns jetzt bei der Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung unterstützen.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Dr. Spallek, letzter Satz bitte.

Dr. Anne Monika Spallek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005225, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das Tierschutzgesetz muss noch angepasst werden, aber dann sind wir uns da einig. Herzlichen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die CDU/CSU hat Hans-Jürgen Thies das Wort. ({0})

Hans Jürgen Thies (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004915, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutigen Ausführungen von Herrn Bundesminister Özdemir haben mich nicht überzeugt. Das war doch sehr viel seichte Prosa. ({0}) Ich habe nach wie vor das Gefühl, dass unser Agrarminister in seinem Amt, das er seit mittlerweile neun Monaten ausübt, noch gar nicht richtig angekommen ist. ({1}) – Meine Skepsis hat einen realen Hintergrund, Frau Kollegin Künast. Die Unionsfraktion hat in den letzten Monaten insgesamt sechs Kleine Anfragen zu verschiedenen agrarpolitischen Themen gestellt. ({2}) Und die Antworten, die wir da von der Bundesregierung bekommen haben, waren von einer geradezu provokanten Oberflächlichkeit gekennzeichnet. ({3}) Mir ist durchaus bewusst, dass durch den Angriff auf die Ukraine in den letzten Monaten andere Schwerpunkte gesetzt werden mussten. Aber selbst dabei hatte ich den Eindruck, etwa bei der Aussetzung der 4-prozentigen Stilllegungspflicht bei Ackerflächen, dass Bundesminister Özdemir in seinen ideologischen Fesseln gefangen war und von der Union erst zum Jagen getragen werden musste. ({4}) Mit dieser Hinhaltetaktik und Agonie in der Agrarpolitik der Bundesregierung muss jetzt endlich Schluss sein. Ich will das bei den folgenden Themen kurz beleuchten. Die ökologisch wertvolle Weidetierhaltung wird in vielen Teilen unseres Landes immer schwieriger. ({5}) Die Konflikte mit der exponentiell wachsenden Bestandszahl an Wölfen, die nach allen seriösen wissenschaftlichen Erkenntnissen mittlerweile längst einen günstigen Erhaltungszustand erlangt haben, werden weiterhin von der Bundesregierung nicht gelöst. ({6}) Ich frage deshalb die Bundesregierung: Wann wollen Sie endlich anfangen, das umzusetzen, was die FDP völlig zu Recht in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt hat, nämlich die Ermöglichung eines europarechtskonformen, regional differenzierten Wolfsbestandsmanagements? ({7}) Da sage ich: Bisher Fehlanzeige bei der Bundesregierung. Herr Bundesminister, Sie haben zu Beginn Ihrer Amtszeit behauptet, die deutschen Landwirte stünden beim Hanfanbau Schlange. ({8}) Sie wollten damit den Landwirten offenbar ein neues Geschäftsfeld erschließen und sie zu „Grasbauern“ machen. Die Unionsfraktion steht der versprochenen Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken skeptisch gegenüber. ({9}) Die Freigabe berauschender Drogen ({10}) ist unseres Erachtens mit einem verantwortungsbewussten Jugend- und gesundheitlichen Verbraucherschutz nicht zu vereinbaren. ({11}) Deutschland ist nach europarechtlichen Vorgaben und nach Völkervertragsrecht verpflichtet – – ({12}) – Regen Sie sich doch mal ab, Frau Kollegin! ({13}) Deutschland ist völkervertragsrechtlich verpflichtet, den Drogenkonsum zu unterbinden. Jetzt frage ich die Bundesregierung: Wollen Sie tatsächlich internationales Recht brechen? Keine Antwort bisher. Zur Frage der verbindlichen Tierwohlkennzeichnung ist schon einiges gesagt worden. Da kann ich nur den Kopf schütteln und sagen: ({14}) Die Borchert-Kommission hat Vorschläge vorgelegt; der Ball liegt auf dem Elfmeterpunkt. ({15}) Und jetzt kommt die FDP und ist sozusagen der Totengräber der Borchert-Kommission. ({16}) Ganz schlimm, dass das an der Uneinigkeit in der Finanzierungsfrage innerhalb der Ampel scheitert. Die Landwirte, aber auch die Verbraucher würden sich da ganz anderes wünschen. ({17}) Weiteres Thema: Grundstücks- und Pachtpreise auf dem landwirtschaftlichen Bodenmarkt. Die haben sich nämlich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. ({18}) Für Existenzgründer, für Junglandwirte, für aufstockungswillige Betriebe ist der landwirtschaftliche Bodenmarkt praktisch völlig verschlossen. In einigen Regionen gibt es mittlerweile eine ungesunde Verteilung von Grund und Boden. Das könnte durch Änderungen bei den Regelungen über Share Deals im Grunderwerbsteuerrecht geändert werden. Wir könnten damit also auch landwirtschaftsfremden Investoren den Zugriff auf Ackerflächen etwas erschweren. Wir könnten des Weiteren die doppelte Grunderwerbsteuer bei Ausübung des Vorkaufsrechtes abschaffen; auch das wäre eine Möglichkeit. Im Übrigen gibt es noch weitere Regelungen zu Preismissbrauchsgrenzen im Grundstückverkehrs- und im Pachtrecht, die wir ändern können. Aber die Bundesregierung tut dort nichts. Auch da wieder: völlige Fehlanzeige. Die aktuelle Mangelsituation im Energiesektor sowie auf dem Mineraldüngermarkt hat die landwirtschaftlichen Produktionskosten dramatisch erhöht. Die zum Teil gestiegenen Erzeugerpreise können das bei Weitem nicht auffangen. Deshalb halten wir als Unionsfraktion unsere Forderung aufrecht, den Zeitraum für die Möglichkeit zur sogenannten Gewinnglättung nach §  32c Einkommensteuergesetz zu verlängern oder komplett zu entfristen. Leider hat die Bundesregierung dies bisher abgelehnt. Stattdessen beabsichtigt die Bundesregierung zum Jahreswechsel beträchtliche Mehrbelastungen für die Landwirtschaft. Ja, gerade die FDP, die vermeintliche Steuersenkungspartei, trägt steuerliche Mehrbelastungen für die Landwirtschaft mit. Herr Kollege Hocker, hören Sie bitte zu! Es soll nämlich jetzt der Durchschnittssatz bei der Pauschalsatzbesteuerung von 9,5 auf 9 Prozent gesenkt werden. Das trifft insbesondere die kleineren landwirtschaftlichen Betriebe und führt zu einer Mehrbelastung im zweistelligen Millionen-Euro-Bereich. Der HLBS hat die Berechnungen des Bundesfinanzministeriums als europarechtswidrig entlarvt. Aber die Bundesregierung bleibt ohne Angabe von Gründen bei ihrer bisherigen Position. Das ist bar jeder sachlichen Kritik und kann also überhaupt nicht nachvollzogen werden. ({19}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Hans Jürgen Thies (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004915, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– die Beispiele zeigen, dass vor der Bundesregierung noch viel Arbeit liegt ({0}) und bisher sehr wenig passiert ist. Herr Özdemir, Ihre Arbeitsbilanz bisher ist enttäuschend. ({1}) Wir hoffen, dass das besser wird. Vielen Dank. ({2})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die SPD-Fraktion hat das Wort Isabel Mackensen-Geis. ({0})

Isabel Mackensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004949, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, wir haben es gehört: Sie sind nicht nur Landwirtschaftsminister und Ernährungsminister, sondern auch unser Forstminister. Die Wälder leiden und sind durch Dürren, Stürme und Waldbrände stark mitgenommen. Das konnten wir dieses Jahr wieder einmal hautnah miterleben. Das Frühjahr 2022 war viel zu trocken, und ab Juni ging auch schon die Sommerhitzewelle los. Das hat vielerorts zu Waldbränden geführt; aktuell sehen wir die schrecklichen Bilder aus dem Harz. Auch in meinem Wahlkreis hat es beispielsweise rund um das Hambacher Schloss gebrannt. Vielen Dank an alle Einsatzkräfte, die überwiegend ehrenamtlich tätig sind. Sie haben Unbeschreibliches geleistet. ({0}) In Deutschland sind Waldbrände nur in sehr geringen Maßen natürlichen Ursprungs. Vielmehr sind die Ursachen leider auf fahrlässiges Verhalten der Bürger/-innen im Wald zurückzuführen. Hier gilt es, Aufklärungsarbeit zu leisten. Ein besonderes Risiko besteht in sogenannten Nadelholzreinbeständen, auch Monokulturen genannt. Vor allem Kiefernwälder bergen ein besonders hohes Waldbrandrisiko. Daher ist der Umbau unserer Wälder zu naturnahen Mischwäldern ({1}) mit hohem Anteil klimaresilienter Laubbäume auch präventiver Brandschutz. ({2}) Wenn Wälder abbrennen, gehen die vielen Ökosystemleistungen verloren, die uns der Wald einfach so zur Verfügung stellt: Der Klimaschutz: Der Wald ist eine Kohlenstoffsenke. Der Biodiversitätsschutz: Das Ökosystem Wald bietet einer Vielzahl von Pflanzen-, Tier- und Pilzarten einen Lebensraum. Die Bereitstellung des nachwachsenden Rohstoffs Holz: Die Holzwirtschaft spielt eine wichtige Rolle im ländlichen Raum für die regionale Wertschöpfung und als Arbeitgeber. Wasserschutz: Er hat eine besonders große Bedeutung für unsere Trinkwassergewinnung. Freizeit und Erholungsort: Wir haben nicht erst seit der Coronapandemie eine emotionale Verbindung zu unserem Wald, sondern er ist schon seit Jahrhunderten im Herzen der Menschen, und wir freuen uns, wenn wir im Wald unsere Freizeit genießen und einfach mal abschalten können. Ich bin froh, dass auch für den Haushalt 2023 im Energie- und Klimafonds 200 Millionen Euro für die Honorierung dieser Ökosystemleistungen bereitstehen. Doch sie stehen auch schon dieses Jahr bereit. Das ist ein tolles Beispiel dafür, dass es auch mal schnell gehen kann. Im April 2021, also in der letzten Legislatur, haben Alois Gerig und ich den Antrag für ein Honorierungssystem im Deutschen Bundestag eingebracht. Im Oktober 2021 haben wir, die Fortschrittskoalition, die Honorierung im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Im Juni 2022 haben wir im Bundeshaushalt die Mittel bereitgestellt. Im Juli hat der Haushaltsausschuss die Eckpunkte der Förderrichtlinie freigegeben, und jetzt, mit der Veröffentlichung im Bundesanzeiger, können kommunale und private Waldbesitzende die Anträge schon einreichen. Einen besonderen Dank möchte ich an dieser Stelle an die Mitarbeitenden des BMEL richten, die in den letzten Wochen intensiv an der Umsetzung der Förderrichtlinie gearbeitet haben, und ja, das ist ein Erfolg, dass das so schnell geklappt hat. ({3}) Eine weitere wichtige und gut angenommene Unterstützung der Forstwirtschaft kommt aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, kurz GAK, die von Bund und Ländern finanziert wird. Einige Mittel sind allerdings bis 2023 befristet. Eine Weiterführung wäre aufgrund der aktuellen Lage aber dringend notwendig. Zur Wahrheit gehört aber auch: Alles Geld nutzt nichts, wenn es dann vom Rehwild aufgefressen wird. ({4}) Wenn wir unsere Wälder für den Klimawandel fitmachen wollen, ist die nachhaltige Anpassung der Rehwildbestände erforderlich; denn Schutzmaßnahmen wie Zäune und Verbisshüllen kosten richtig viel Geld. Bei den Zäunen rechnet man mit etwa 15 Euro pro laufenden Meter; da kommt man bei einem Hektar schon auf zusätzliche Kosten von 6 000 Euro. Beim Einzelbaumschutz kann man bei etwa 10 Euro pro Pflanze – Entsorgungskosten noch nicht mit eingerechnet – bei einer Neupflanzung von einem Hektar Waldfläche mit rund 2 500 jungen Bäumen schnell mit zusätzlichen Kosten von 25 000 Euro rechnen. In diesem Falle ziehe ich ausnahmsweise – ich gebe es zu – meinen Hut vor der bayerischen Gesetzgebung. ({5}) Hier ist die Zielsetzung – ich zitiere –, „einen standortgemäßen und möglichst naturnahen Zustand des Waldes unter Berücksichtigung des Grundsatzes ‚Wald vor Wildʼ zu bewahren oder herzustellen“, im Bayerischen Waldgesetz festgeschrieben. ({6})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die AfD-Fraktion hat das Wort Ulrike Schielke-Ziesing. ({0})

Ulrike Schielke-Ziesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004873, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Der Haushalt des Landwirtschaftsministeriums hat in den letzten Jahren bedauerlicherweise viel zu wenig Aufmerksamkeit erfahren. Spätestens in der jetzigen Krise zeigt sich, wie verheerend dieser Ansatz war. Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben in Ihrer Rede im Juni dieses Jahres erzählt, dass wir Veränderungen brauchen, pragmatische Lösungen und Planungssicherheit für Landwirte – alles Forderungen, die meine Fraktionskollegen und ich sofort unterschreiben. Aber, ehrlich gesagt, wenn ich mir die Zahlen Ihres Etats anschaue, dann sehe ich davon absolut nichts. Sie verwalten einfach den Status quo weiter, sonst nichts. Und das ist in diesen Zeiten eine fatale Politik. ({0}) Was zeigen uns die Zahlen? Das größte Plus – und überhaupt das einzig nennenswerte Plus – verbucht das Kapitel der landwirtschaftlichen Sozialpolitik. Klingt gut? Ja? Ich sehe schon, wie sich die Koalition dies auf die Fahne schreibt. Es ist aber ein Trugschluss; denn dies hat nichts mit Ihrer Politik zu tun. Da werden nämlich die meisten automatisch vom Gesetz vorgegebenen Zuschüsse abgebildet. Andersrum gesagt: Da hat Ihr Ministerium gar kein Ermessen; diese Zahlen müssen umgesetzt werden. Wohlgemerkt, dieses Plus kommt auch daher, dass es im letzten Jahr ein gewaltiges Minus gab. Dort, wo Sie innerhalb dieses Kapitels tatsächlich einen Handlungsspielraum haben, etwa bei der Bezuschussung der landwirtschaftlichen Unfallkasse, haben Sie sich wieder einmal für weniger Ausgaben entschieden, entgegen der ausdrücklichen und jetzt schon so oft wiederholten Forderungen seitens der Landwirte, der Unfallkasse selbst und seitens unserer Fraktion. Lieber binden Sie den Landwirten noch einen zusätzlichen Klotz ans Bein – in diesen Zeiten ein Unding. ({1}) Wenn man dann in Ihrem Haushaltsentwurf weiterblättert, stellt man fest: Es wird nach dem Prinzip „linke Tasche, rechte Tasche“ gearbeitet. Viele Titel werden einfach herumgeparkt und gekürzt, wie beispielsweise beim Sonderrahmenplan „Förderung der ländlichen Entwicklung“: Zack – 30 Millionen Euro weg. Diese 30 Millionen Euro landen dann beim Insektenschutz. Wer glaubt, dass damit irgendwelche Extranaturschutzprogramme laufen, sieht sich getäuscht. Nein, das Gros der Mehrausgaben wird dafür eingesetzt, um die Extrakosten, die durch die Vorgaben des Insektenschutzes entstehen, bei den Bauern abzumildern – die Extrakosten, die Sie den Bauern selbst auferlegen. Finde den Fehler! Ein weiteres Beispiel sind die berühmten Ausgaben bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, GAK. Hier werden aus dem pauschalen Titel 150 Millionen Euro abgezogen, um sie dann im Rahmen der GAK mit einem neuen Namen „Tierwohlumbau“ umzuetikettieren – wieder einmal „linke Tasche, rechte Tasche“. Was genau jetzt diese Extrabenennung bedeutet: Man kann es nur orakeln. Mir scheint, als ob man überall, wo „Öko“ oder „Tierwohl“ davorsteht, einfach mal ein bisschen die Gelder umgeschichtet hat, um ein wenig Greenwashing zu betreiben – Greenwashing, das in der grünen Doktrin gut klingt, aber für die Landwirte fatal ist. Das beste Beispiel dafür liefern die sogenannten Hilfen für die Landwirte. Da werden unnötigerweise die Hilfen an die sogenannte Greeningprämie geknüpft. Da ist die deutsche Regierung in Brüssel mal wieder päpstlicher als der Papst. Es kann aber auch daran liegen, dass ihre Prioritäten etwas anders gesetzt werden als bei dem Rest der Bevölkerung. Ich meine damit Ihre Aussage, Herr Özdemir: „... man darf es“, gemeint war der Hunger, „nicht als Argument missbrauchen, um Abstriche bei Biodiversität und Klimaschutz zu machen“. Herr Minister, wer allen Ernstes Klimaschutz vor die Vermeidung von Hunger stellt, setzt seine Prioritäten falsch. ({2}) So was ist angesichts der jetzigen Lage einfach verheerend. Von der Flächenstilllegung, dem Fruchtwechsel und dem ewigen Zaudern drumherum will ich gar nicht erst anfangen, und auch nicht damit, was diese einmalige Ausnahme mit zig Abers für die Planungssicherheit der Landwirte bedeutet. Dass die Bundesregierung völlig abgekoppelt von der Realität ist, zeigt auch Ihre Antwort auf eine Anfrage aus der AfD-Fraktion vor einigen Tagen. Nachgefragt nach den Konsequenzen, wenn immer mehr Düngemittelhersteller ihre Werke schließen, kam doch ernsthaft die Antwort – ich zitiere –: Die konkreten Folgen für die Düngemittelversorgung der heimischen Landwirtschaft lassen sich noch nicht erkennen. Man werde die Entwicklung der Gaspreise und die diesbezüglichen Reaktionen der Düngemittelindustrie weiter genau beobachten. Meine Damen und Herren, das ist für die Landwirte doch blanker Hohn! Auf der anderen Seite planen Sie fast 25 Millionen Euro Extraausgaben im Landwirtschaftsministerium und den nachgeordneten Behörden, und das alles, nachdem Sie bereits im Juni dieses Jahres mit dem Haushalt für 2022 ganze 80 Millionen Euro extra für diesen Verwaltungsapparat bereitgestellt haben. Das heißt, in dem guten halben Jahr, seitdem Sie das Ministerium übernommen haben, wachsen allein die Ausgaben Ihres Ministeriums und der nachgeordneten Behörden um satte 100 Millionen Euro. Das sind Ihre eigentlichen Prioritäten. Liebe Ampel, wacht endlich auf! Wir stecken in einer Krise, und wir können uns nicht erlauben, zu träumen oder den Status quo zu verwalten. Draußen in der realen Welt gehen die Preise durch die Decke. Nicht nur die Landwirte sehen keine Zukunft mehr. Wenn hier nichts getan wird, –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss. ({0})

Ulrike Schielke-Ziesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004873, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– werden wir in einem Deutschland aufwachen, das wir uns gar nicht vorstellen können. Vielen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der nächste Redner von der FDP-Fraktion ist Frank Schäffler. ({0})

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Einzelplan 10 mit 7,175 Milliarden Euro ist ein großer Haushalt innerhalb dieses Gesamtetats. Größte Position ist die landwirtschaftliche Sozialpolitik mit fast 4 Milliarden Euro. Also 56 Prozent des Etats des Landwirtschaftsministers gehen in die Sozialpolitik der Landwirte. Das ist auch ein gutes Zeichen; denn das wird entsprechend ausgebaut. ({0}) Wichtig ist auch, dass wir die Forschungsinstitute in diesem Bereich weiter stärken. Ich glaube, es ist wichtig, dass die Forschung im landwirtschaftlichen Bereich weiter nach vorne geht, dass wir auch in diesem Bereich weitere Erfolge erzielen, was Anbaumethoden betrifft, was das Saatgut betrifft. Auch das ist eine wichtige Aufgabe, die wir in diesem Etat weiter fördern wollen. ({1}) Der Minister hat vorhin davon gesprochen, dass es Ziel sein muss, Fleisch aus heimischer Produktion zu fördern. Fleisch ist aber nur ein Bestandteil der Ernährung in unserem Land. ({2}) Ein anderer Bereich ist Gemüse und Obst. Ich habe heute mit einem Garten- und Gemüsebauer in meinem Wahlkreis gesprochen, und er hat mir erzählt, dass seine bisherigen Gaslieferungen über 80 000 Euro von seinem Gasanbieter gekündigt wurden und er jetzt beim Ersatzversorger ein neues Angebot bekommen hat. ({3}) Und dieses Angebot liegt nicht mehr bei 80 000 Euro, sondern bei 1 Million Euro. Der Bauer hat mir gesagt, dass das mehr ist, als er in einem Jahr an Umsatz erzielt. ({4}) Er sagte mir: Ja, ich kann vielleicht 20 Prozent oder 30 Prozent einsparen, aber gegen diese Preisentwicklung kann ich nicht ansparen. Deshalb muss in dieser Debatte heute auch die Diskussion über mehr Angebote am Gas- und Strommarkt geführt werden. ({5}) Das ist nämlich das, was die Menschen heutzutage belastet. Das sind Unternehmen, Gartenbaubetriebe, landwirtschaftliche Betriebe, die hier eine entscheidende Rolle spielen.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Schäffler, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Connemann?

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, sehr gern.

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Schäffler, vielen Dank, auch für Ihre Worte zu den Gartenbaubetrieben. Ich habe in meinem Wahlkreis ein Cluster an Gartenbaubetrieben. Dort wird wahrscheinlich jede zweite Salatgurke erzeugt, die derzeit in Deutschland gegessen wird. Ich war auch bei diesen Betrieben, und für diese Betriebe ist nicht nur die Explosion der Gaspreise, die Sie zutreffend geschildert haben, ein Riesenproblem. Vielen Dank dafür, dass Sie deutlich gemacht haben, welche existenziellen Beeinträchtigungen durch diese Preisexplosion entstehen. Diese Betriebe sagten: Für uns ist der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, die Gasumlage. – Für einen mittleren Betrieb mit wenigen Mitarbeitern kostet diese Gasumlage plus 300 000 Euro pro Jahr. Deshalb frage ich Sie: Wenn Sie es ernst meinen mit einer Entlastung, weshalb haben Sie heute auch als FDP unseren Antrag auf Aussetzung der Gasumlage abgelehnt? ({0})

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wissen Sie, das Problem ist ein bisschen komplexer. ({0}) Der Wirtschaftsminister, zu dem ich nachher noch komme, ist ja dabei, diese Fragen neu zu justieren, und das halte ich auch für zwingend erforderlich. Aber das ist nicht nur eine Frage des Gaspreises, sondern das ist natürlich auch eine Frage des Strompreises. Der Gaspreis beeinflusst letztendlich mittelbar auch den Strompreis. Und deshalb müssen wir eben auch über den Fortbestand der Kernkraftwerke in diesem Land neu nachdenken; das ist zwingend notwendig. Wir brauchen mehr auf der Angebotsseite. Das ist nämlich das Entscheidende. Das führt letztendlich dazu, dass die Menschen entlastet werden. Allein die Umverteilung von Lasten reicht aus meiner Sicht nicht aus. ({1}) Deshalb ist es notwendig, dass wir in der Energiepolitik umsteigen. Das gehört leider auch zur Wahrheit dazu. Sie als Union tragen für diese Entwicklung auch maßgeblich Verantwortung. Die Abhängigkeit von russischem Gas muss sich unter anderem auch die Union ans Revers heften. ({2}) Das heißt, wir müssen das Angebot erhöhen. Das heißt letztendlich: Wir müssen wieder Kernkraftwerke ans Netz nehmen. Ich bin mir auch sehr sicher: Das wird in Deutschland passieren. Der Druck ist so groß, dass wir letztendlich zusätzliche Maßnahmen brauchen. Positiv will ich betonen, dass der Minister einen wichtigen Schritt in diesem Sommer getan hat. Ich kann mich noch an die letzten Haushaltsdebatten erinnern, als es um die 4-prozentige Flächenstilllegung ging. Damals hat sich der Minister noch vehement dagegen gewehrt. Ich glaube, es ist ein guter Schritt, dass hier endlich vorangegangen wird und dass wir zusätzliche Produktionskapazitäten in Deutschland erhalten. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass man das nicht nur für ein Jahr macht; denn wir leben in einer Zeit, in der die Ernährungssituation in der Welt prekär bleibt. Deshalb muss die Produktionskapazität auch aufrechterhalten bleiben. Das heißt, auch über das kommende Jahr hinaus muss die Flächenstilllegung ausgesetzt werden. ({3}) Dann, glaube ich, brauchen wir eine Landwirtschaft, die letztendlich auch unternehmerische Perspektiven ermöglicht. Mein Kollege Hocker hat vorhin gesagt: Wir brauchen ein Moratorium an Maßnahmen, damit auch landwirtschaftliche Betriebe tatsächlich verlässlich wirtschaften können. – Ich will betonen, dass es am Ende nicht immer neue Regelungen sein dürfen, die Landwirte beeinträchtigen, sondern ich will meine Rede mit dem Wirtschaftsminister beenden – Ludwig Erhard: ({4}) „Wir leiden nicht an zu wenig Staat, sondern wir leiden an zu viel Staat.“ Vielen Dank. ({5})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Christina-Johanne Schröder. ({0})

Christina Johanne Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005214, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Gäste! Herr Schäffler, ich lade Sie super gerne nach Niedersachsen ein. Wir sind das Land, das Wind- und Sonnenenergie hat. Wir sind übrigens das Land mit den geringsten Strompreisen und der besten Netzstabilität. Also kommen Sie zu uns! ({0}) Herr Bilger und geschätzte Kollegin Connemann, Sie haben vollkommen recht mit den energieintensiven Unternehmen. ({1}) Die gibt es im Mittelstand. Die gibt es in der Landwirtschaft. Das sind die Gemüseproduzierenden. Das sind Bäckereien. Genau deswegen schafft unser Wirtschaftsminister Robert Habeck Abhilfe. ({2}) Nicht nur Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, sondern auch Mittelständler, die mehr als 3 Prozent für Energie ausgeben, werden berücksichtigt. ({3}) Das Allerwichtigste – eigentlich gehe ich auf die Kollegen da in Blau nicht ein –: Was Sie an Lügen und postfaktischen Informationen über Cem Özdemir verbreiten, ist eine Frechheit. ({4}) Die „FAZ“ musste das Zitat, was gebracht wurde, korrigieren. Das passiert sicherlich auch Journalistinnen und Journalisten mal, aber Sie schlachten das weiter aus, einfach nur, um die Gesellschaft zu spalten. ({5}) Herr Thies, ich bin total begeistert. Bitte reden Sie einmal mit Ihren Wohn- und Baupolitikern. Ich glaube, dann kommen wir mit der Opposition auch zu einer aktiven Bodenpolitik. ({6}) Frau Latendorf, wie funktioniert eigentlich unsere Politik? Wir wollen nicht nur ein Gesetz, einen Federstrich, einen Haushaltstitel, sondern wir setzen breit an. Sie haben zu Recht die gute Ernährung benannt. Das findet sich nicht nur im Haushalt des BMEL wieder, sondern zum Beispiel im KiTa-Qualitätsgesetz. 2 Milliarden Euro bekommen die Länder jedes Jahr unter anderem für Sprachförderung, aber auch für gesunde Ernährung. ({7}) Wenn wir an die Gemeinschaftsverpflegung rangehen, dann haben die Landwirtinnen und Landwirte, die die Tierhaltung umbauen, am Ende einen sicheren Absatzmarkt. ({8}) Kollege Dr. Gero Hocker, ich freue mich sehr über das Angebot. 40 Cent je Kilo Fleisch, das ist ein verdammt gutes Angebot. Das hätten wir schon ein bisschen eher haben können, dann hätten die Landwirtinnen und Landwirte noch mehr Planungssicherheit gehabt. Insgesamt 150 Millionen Euro stehen im Haushalt dafür bereit. Lassen Sie mich noch einen Satz zur grünen Ideologie sagen. Diese finden viele Bauern total gut. ({9}) Die wollen nämlich Qualitätsfleisch erzeugen. ({10}) Die wollen mehr Geld für bessere Artikel, für wertige Produkte haben. Die wollen Luft, Licht, und die wollen Teil der Wende sein und Teil der Lösung – für mehr Klimaschutz und mehr Tierschutz. Vielen Dank. ({11})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die CDU/CSU hat das Wort Artur Auernhammer. ({0})

Artur Auernhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003706, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Bundesminister! In diesen Tagen, in dieser Haushaltswoche wird sehr, sehr viel über die Energieversorgung, über die Energiesicherheit in unserem Land diskutiert. Mir persönlich wird viel zu wenig über die Sicherung der Ernährung nicht nur in unserem Land, sondern auch weltweit diskutiert. Dazu hätte ich heute vom Herrn Bundesminister mehr Aussagen erwartet. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind in einem Parlament mit Regierung und Opposition. Auch die Opposition hat Rechte. Es war uns ein Anliegen, nachdem Brüssel die 4‑prozentige Flächenstilllegung freigegeben hat, dass wir das zeitnah im Agrarausschuss diskutieren. Wir von der Union waren bereit und auch die anderen Oppositionsparteien waren bereit, während der Sommerpause zusammenzukommen und dieses Thema zu diskutieren. Unsere Oppositionsrechte wurden hier missachtet. Die Präsidentin hat diese Sondersitzung des Agrarausschusses nicht genehmigt, obwohl hier andere Ausschüsse getagt haben. ({1}) Das ist keine Wertschätzung für Ernährungssicherung; das ist keine Wertschätzung unserer Bauernfamilien. ({2}) Nachdem diese Sondersitzung nicht genehmigt worden war, verging interessanterweise kein Tag und unser Bundesminister hat die 4 Prozent freigegeben. Herr Bundesminister, ich bin selbst Landwirt. Die Landwirte – wenn ich draußen unterwegs bin, höre ich das – wollen eine Antwort haben: Wie soll das umgesetzt werden? Wir stehen vor der Herbstaussaat. Wie sind denn die Rahmenbedingungen? Muss es jetzt Backweizen sein? Was passiert, wenn dieser Backweizen Futterweizen wird? Was passiert, wenn dieser Weizen verhagelt wird? All die Fragen sind noch nicht geklärt. Wir brauchen an dieser Stelle mehr fachliche Antworten und weniger Ideologie, meine Damen und Herren. ({3}) Ein anderes – ich muss fast sagen – Damoklesschwert hat uns aus Brüssel erreicht, was die Vorgaben beim Pflanzenschutz anbelangt: eine radikale Reduzierung mit einer sehr, sehr vagen Definition, welche Gebiete überhaupt berücksichtigt werden sollen. Ich bin fast etwas zuversichtlich, weil die Staatssekretärin Nick heute erklärt hat, dass es in dieser Härte nicht kommen wird. Aber wenn es nicht in dieser Härte kommt, dann wahrscheinlich in einer anderen Härte. Deshalb werden wir genau darauf achten müssen. Meine Damen und Herren, es war ein schwieriger Sommer, nicht nur von der politischen Diskussion her, sondern auch von der Trockenheit. Gerade bei mir in Franken haben wir extreme Ernteausfälle: beim Silomais bis zu 80 Prozent, bei Zuckerrüben, bei Kartoffeln genauso. Wir brauchen deshalb Antworten auf diesen Klimawandel. ({4}) Diese Antworten müssen schnell kommen. ({5}) Die müssen auch darin liegen, dass wir züchtungstechnisch weiterkommen, dass wir Pflanzen anbauen können, die diese Trockenheit besser vertragen. ({6}) Da bitte ich Sie, die ideologischen Scheuklappen etwas abzulegen. ({7}) Diese Trockenheit hat auch Auswirkungen auf die Futterversorgung bei unseren Weidetierhaltern. Deshalb ist es für mich auch wichtig, dass unsere deutschen Tierhalter Planungssicherheit für die Zukunft haben: Wie geht das weiter mit einem Tierhaltungskonzept? Wie geht es vor allem mit der Finanzierung weiter? Was wir heute von der Borchert-Kommission gehört haben, macht mich sehr nachdenklich. Also, setzen wir diesen hervorragenden Vorschlag von Jochen Borchert und seiner Kommission um! Oder wollen Sie die Tierhaltung in Deutschland regelrecht halbieren? Ich bin für eine Umsetzung der Inhalte des Vorschlags der Borchert-Kommission. ({8}) Wir haben auch in den letzten Jahren sehr viel Kraft hineingesteckt, die Landwirtschaft zukunftsfähig zu machen, auf einen Weg zu bringen, dass man in die Direktvermarktung einsteigt, dass man unsere Verbraucher für regionale Produkte motiviert, dass man sicherlich auch, ja, im Ökolandbau seine Zukunft sieht. Leider Gottes sehen wir derzeit eine ganz andere Perspektive: Hühnermobile stehen leer, weil keiner mehr die Eier aus dieser Haltung kauft; denn jeder Verbraucher greift zu dem billigsten Lebensmittel. ({9}) Deshalb ist es wichtig, dass diese Ampelkoalition eine deutliche Entlastung bringt, auch bei den Energiekosten. Und vielleicht sollten wir hier auch die Vorschläge der Opposition nicht außer Acht lassen. Wir dürfen diese aufgebaute Struktur an Hofläden, an Regionalvermarktung jetzt in dieser schwierigen Zeit nicht zerstören, meine Damen und Herren. Das größte Volumen in diesem Bundeshaushalt ist die agrarsoziale Sicherung. Da haben wir als Gesellschaft die Verantwortung, dass wir den Bauernfamilien, die diesen Strukturwandel miterleben, eine gewisse soziale Absicherung geben. Es wäre eine direkte Einkommenshilfe für die Bauernfamilien, wenn man dann zum Beispiel Zuschüsse zur landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft nicht kürzt, sondern erhöht. Das sollten Sie vielleicht auch noch bedenken. Ich möchte noch einen Satz sagen, Frau Präsidentin, mit Ihrer Erlaubnis. Das Thema „Ernährung, Ernährungskompetenz“ kommt mir viel zu kurz, auch bei dieser Debatte hier. Wir erleben derzeit, dass viele Verbraucherinnen und Verbraucher auf die Tafeln angewiesen sind. Wir sollten auch über die Tafeln reden.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Artur Auernhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003706, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir sollten auch darüber nachdenken, wie wir diese Tafeln unterstützen könnten, zum Beispiel mit Steuererleichterungen oder anderen Instrumenten. Dazu sind wir in der Unionsfraktion bereit. Vielen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die SPD-Fraktion hat das Wort Rita Hagl-Kehl. ({0})

Rita Hagl-Kehl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004287, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Russlandkrieg hat schwere Folgen für unser Ernährungs- und Lebensmittelsystem und für unsere Versorgung. Es wurde schon einiges dazu gesagt. Ich könnte jetzt auch ausschweifend über das Thema sprechen, das Artur Auernhammer gerade vorgegeben hat. Keine Sorge, ich komme genau zu dem Thema, das gerade erwähnt worden ist. Die steigenden Lebensmittelpreise sorgen für Unsicherheit, auf der einen Seite für die Produzenten, die durch steigende Produktionskosten nicht wissen, wie es weitergeht, auf der anderen Seite aber natürlich vor allem für die Verbraucherinnen und Verbraucher, die eben nicht wissen: Können wir uns noch gesunde Lebensmittel leisten oder nicht? Unser Ziel muss es sein, das Ernährungssystem widerstandsfähig zu halten, nachhaltiger zu werden, auch wegen des Klimawandels, und dass sich die Bürgerinnen und Bürger gesünder ernähren. ({0}) Die SPD hat deswegen Ziele in den Koavertrag mit hineinverhandelt, zum Beispiel die Reduktion der Lebensmittelverschwendung, die Erarbeitung und Umsetzung der Ernährungsstrategie, die Förderung pflanzenbasierter Ernährung, die Förderung regionaler Produktion und die Förderung gesunder und ausgewogener Ernährung in der Schul- und Gemeinschaftsverpflegung. Die Mittel im schönen Kapitel „Gesundheitlicher Verbraucherschutz und Ernährung“ beim Titel „Maßnahmen zur Förderung ausgewogener Ernährung“ sind leider in den letzten Jahren nicht ausgeschöpft worden. Im Jahr 2021 wurden von den 15,3 Millionen Euro nur 8 Millionen Euro ausgegeben; im laufenden Jahr, 2022, sind von den 15 Millionen Euro bis Ende August nur 3,1 Millionen Euro ausgegeben worden – und das in einer Zeit, in der 30 Prozent der Erkrankungen ernährungsbedingt sind und in der fast jedes sechste Kind bereits übergewichtig oder adipös ist. Es darf nicht sein, dass in dieser Situation die Mittel einfach übrig bleiben. Wir brauchen Vorschläge, was mit dem Geld passieren soll, zum Beispiel auch die Unterstützung der Tafeln. Die Tafeln sorgen dafür, dass die Lebensmittelverschwendung reduziert wird, weil noch gute Nahrungsmittel an die richtigen Menschen kommen. Sie stehen aber vor einer dramatischen Situation: Es gibt weniger Spenden, es gibt mehr Bedürftige, und es gibt weniger Ehrenamtliche, die sich hier einbringen. Wir brauchen nicht nur eine institutionelle Förderung, die ich gerne hätte, Herr Minister, sondern in der momentanen Situation vor allem wahrscheinlich auch Projekte, die einen Beitrag leisten können zur Aufklärung der Bürgerinnen und Bürger über gesunde und nachhaltige Ernährung. Die Tafeln nehmen gesellschaftliche Aufgaben wahr, und dafür brauchen sie auch eine Förderung. ({1}) Eine weitere Möglichkeit für die Nutzung des Geldes wäre auch die Anschubfinanzierung für Modellprojekte und den Modellregionenwettbewerb für gesunde und nachhaltige Ernährung in Schulen und in der Gemeinschaftsverpflegung – eine Position, die wir im Koavertrag vereinbart haben. Gerade diese Form würde eine positive Beeinflussung des Ernährungsverhaltens und auch Ernährungsbildung unserer Bürgerinnen und Bürger und unserer Kinder und Jugendlichen bewirken. ({2}) Wir brauchen eine Aufklärungskampagne über Vorteile einer pflanzlichen Eiweißernährung. Weniger Fleisch ist gesund und nachhaltig. Genau das ist auch ein Punkt, wie man den Klimawandel angehen muss: nicht mit Gentechnik, sondern damit, dass wir unsere Tierbesätze reduzieren und dafür gutes und nachhaltiges Fleisch produzieren. ({3}) Gerade mit einer Aufklärungskampagne müssen wir versuchen, diese pflanzenbasierte Ernährungsform stärker zu fördern. Wir stehen vor einer Ernährungswende. Wir brauchen eine Ernährungspolitik, die auf Gesundheit und Nachhaltigkeit setzt und die unsere Verbraucherinnen und Verbraucher noch viel mehr unterstützt, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Herzlichen Dank. ({4})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort Josef Rief. ({0})

Josef Rief (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004136, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Gäste! Als wir vor drei Monaten über den Haushalt für das laufende Jahr debattierten, haben wir Sie gewarnt, Herr Minister, dass mehr getan werden muss, um die Nahrungsmittelversorgung der Welt zu sichern. Der Ausfall der Lieferungen aus der Ukraine war abzusehen. Aber Deutschland hat aus ideologischen Gründen kein einziges Korn Weizen mehr ausgesät und erzeugt, durch das Zögern und Zaudern dieser Bundesregierung. Diese Haltung können wir uns nicht leisten. Putin führt längst einen Krieg auf allen Ebenen, nicht nur militärisch in der Ukraine, sondern gegen uns alle in der westlichen, demokratisch-freiheitlich verfassten Welt: mit der gesteuerten Unzuverlässigkeit der Energielieferungen, mit der Blockade von Weizenexporten und mit Falschinformationen im Internet und in den sozialen Medien. Er versucht, unsere Demokratie zu destabilisieren. Das sind eigentlich unsere Herausforderungen. Die deutsche Landwirtschaft könnte helfen, gegen Putins Handeln den Welthunger zu lindern; wir müssen sie nur lassen. Gut, Herr Minister, dass Sie unseren Forderungen – das ist schon gesagt worden – gerade noch rechtzeitig nachgekommen sind und bei der geplanten Flächenstilllegung eingelenkt haben, als einer der Letzten in der Europäischen Union. Es kann doch nicht sein, dass wir bei einer weltweiten Krise fruchtbares Ackerland brachliegen lassen, wo auch bei uns die Lebensmittelpreise kräftig steigen. ({0}) Herr Minister, handeln Sie entschlossen und pragmatisch gegen die Krise und nicht ideologisch gegen die Interessen unserer Landwirte und deren Familien und gegen die Ärmsten, vor allem in Afrika! Ihr Haushalt für nächstes Jahr lässt bisher diese Entschlossenheit vermissen. Ihr Budget ist zwar leicht gestiegen. Der Finanzplan sieht allerdings für die nächsten Jahre ein Absenken des Agrarhaushalts vor. Man fragt sich, wie das mit Ihren ambitionierten Vorhaben zusammenpasst. Bei der Alterssicherung für die Landwirte mussten Sie wieder aufstocken, was wir Ihnen damals bereits prophezeit hatten. Weiterhin weigern Sie sich, die Mittel für die landwirtschaftliche Unfallversicherung – das ist angesprochen worden – wieder auf den bisherigen Wert von 177 Millionen Euro anzuheben. Das bedeutet für die Betriebe eine Beitragserhöhung um 18 Prozent. Wertschätzung für die Bauern – so nicht! ({1}) Was ist nun mit der Förderung von Tierwohlställen? Es ist schon gesagt worden: Sie wollen sie im kommenden Jahr mit gerade mal 150 Millionen Euro finanzieren, ({2}) und das Ganze ohne einen Euro mehr im Haushalt. Das Geld soll einfach aus der GAK genommen werden; woher genau, ist unklar. Sagen Sie uns doch, wo dann gekürzt wird: Bei der integrierten landwirtschaftlichen Entwicklung, bei der Verbesserung von Vermarktungsstrukturen? Oder soll gekürzt werden bei den benachteiligen Gebieten oder beim Küstenschutz oder bei welchen Förderbereichen sonst? Würden Sie es ernst meinen, gäbe es zusätzliches Geld für den Stallumbau in angemessener Höhe. Ein einziger moderner Stallplatz für ein Schwein kostet heute mehr als 2 000 Euro. Im Übrigen – ich glaube, das darf man hier auch mal sagen –: Die Schweinehaltung ist innerhalb eines einzigen Jahres um 10 Prozent eingebrochen. ({3}) Das müsste in Ihrem Sinne sein. Beinahe in jeder Rede, Herr Minister – heute mal nicht, möchte ich anmerken; wohltuend –, sprechen Sie von der Reduzierung der Nutztiere. Interessanterweise sprechen Sie nie von der Reduzierung der 35 Millionen Haustiere. Ich kann nur spekulieren, warum. ({4}) Ich kann Ihnen sagen, wie Sie Geld sparen: Sie warten einfach ab, bis mehr Betriebe aufgegeben haben. Dann kommt ein verpflichtendes Tierwohllabel. ({5}) Finanzierung: Fehlanzeige. Sie haben gesagt, Sie würden das jetzt machen. Ich bin gespannt, ob wir in den Haushaltsverhandlungen 4 Milliarden Euro zusätzlich bekommen, die wir mindestens bräuchten, um das hinzubekommen. ({6}) Oder sollen die Verbraucherinnen und Verbraucher bei der aktuellen Preisentwicklung eine Abgabe zahlen? Die Finanzierung ist die entscheidende Frage. Ich habe die Sorge, dass Sie die Bauern in Deutschland zu einem Label verpflichten und im Supermarkt billiges Importfleisch der Marktrenner wird. ({7}) Insgesamt hat der Haushalt viele Baustellen. An einigen Punkten wird reduziert, so bei Forschung und Innovation und indirekt bei der ländlichen Entwicklung. Bei den nachwachsenden Rohstoffen wurde wieder leicht erhöht, wie wir das bereits für dieses Jahr gefordert hatten. Beim grünen Prestigetitel „Ökolandbau“ bleibt nachhaltige Landwirtschaft ausgeklammert, aber es gibt mehr Geld. Ich will jetzt nicht alles aufzählen. Wir von der Union werden in den Haushaltsberatungen bessere Vorschläge machen. ({8}) Wir sind immer bereit, in schwierigen Zeiten Sie bei notwendigen Maßnahmen zu unterstützen, aber niemals in dieser Form gegen die Bauern und gegen den ländlichen Raum. Herzlichen Dank. ({9})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die SPD-Fraktion hat das Wort Luiza Licina-Bode. ({0})

Luiza Licina-Bode (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005128, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich will das gern voranstellen: Ich bin froh, dass jetzt die Haltungskennzeichnung kommt, und, Herr Hocker, ich bin auch froh, dass wir uns jetzt auch über die Finanzierung im Klaren sind, und ich teile Ihre Bedenken da gar nicht. Ich glaube, diese Kennzeichnung wird ein Erfolg werden im Handel, und die hochwertige Ware wird nicht in den Regalen liegen bleiben. Bisher war sie einfach nicht drin. Wie soll man sie dann kaufen? ({0}) – Warten wir es ab! Ich möchte heute als 16. Rednerin hier am Ende zu dieser späten Stunde quasi mal meine Funktion als Tierschutzbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion auch dazu nutzen, Ihre Aufmerksamkeit auf den Tierschutz zu richten. Wir haben den Tierschutz vor 20 Jahren ins Grundgesetz geschrieben. Nach Artikel 20a GG liegt also die Verantwortung dafür bei diesem Parlament und bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir sollten den Tierschutz als Pflichtaufgabe betrachten und nicht als sogenannte freiwillige Aufgabe, die in den Kommunen irgendwie einfach nur mal so mitläuft. ({1}) Ich blende die letzten 16 Jahre Tierschutzpolitik mal aus. Ich bewundere auch Ihr Selbstbewusstsein, mit dem Sie von der CDU und CSU hier unterwegs sind. Ich höre hier so Sachen wie „Totalausfall“ und „oberflächlich“; das müssen wir uns hier nach zwölf Monaten anhören. Ich weiß gar nicht, was ich dann nach 16 Jahren zu Ihnen sagen soll. ({2}) Da würde ich um die notwendige Demut in der Sache bitten. Man muss immer auch die Bälle flach halten, wie wir so schön sagen. – Das dazu. ({3}) Aber ich möchte heute eigentlich noch einen ganz anderen Punkt schärfen. Ich kann nachvollziehen, dass im Haushalt 2023 für den Tierschutz jetzt kein großer Posten vorhanden ist; das kann ich gut nachvollziehen. Aber für die Tierheime in Deutschland muss ich heute Abend zu dieser Stunde eine Lanze brechen. Ich möchte Sie, sehr geehrte Haushälter/-innen, und auch Sie, Herr Minister, auffordern, dass wir da in den nächsten Wochen noch mal nachsteuern und darüber sprechen. Es geht bei den Tierheimen am Ende auch nicht um Milliarden. Wir haben im Haushalt 2022 die 5 Millionen Euro für die Tierheime eingestellt, und die Förderrichtlinie ist ja auf dem Weg. Aber aus Sicht des Tierschutzbundes reicht das eben nicht. ({4}) Die haben schon vor der Sommerpause 10 Millionen Euro gefordert. Ich meine, wir sollten den Betrag um diese Differenz nun im Haushalt 2023 aufstocken. Unsere Tierheime sind bundesweit in großer Not. Zum einen beklagen sie überfüllte Tierheime und steigende Kosten wegen der zahlreichen aus der Ukraine mitgebrachten Heimtiere, aber auch wegen der in der Pandemie oft im Homeoffice angeschafften Haustiere, die nunmehr in den Tierheimen einfach wieder abgegeben werden. Aktuell kommt jetzt aber noch hinzu – und das ist die Veränderung, die sich in den letzten Monaten getan hat –, dass die Tierheime wie auch Einrichtungen in allen anderen Bereichen zu kämpfen haben mit Kosten für Futtermittel, Energie, Medizin und Personal. Die finanziellen Belastungen wachsen denen gerade einfach über den Kopf. Ich bekomme dazu weiterhin sehr viele Schreiben und Hilferufe von den Tierheimen. Ich meine, wir können da jetzt auch nicht mehr zusammen wegschauen. Wir müssen da auf jeden Fall noch mal nachsteuern. Wenn Sie das Thema Tierschutz und der Respekt vor den Tieren nicht überzeugt, sollte Sie doch überzeugen, dass wir bundesweit in den Tierheimen ganz viele Ehrenamtler haben. ({5}) – Wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit noch mal nach hier vorne richten würden, dann macht es einfach mehr Spaß. Das wäre ganz schön. ({6}) – Ja, das ist interessant, weil die vielen Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler, die da draußen in den Tierheimen schuften, ohne irgendeine Vergütung zu erhalten, jetzt erwarten, dass sie finanzielle Unterstützung erhalten. Da ist es auch Ihre Aufgabe, mal zuzuhören und nicht so zu tun, als ob es das alles nicht gäbe; denn sonst würde das nicht funktionieren.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.

Luiza Licina-Bode (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005128, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich komme zum Schluss. – Es gibt viele weitere Tierschutzprojekte, die wir uns in den Koalitionsvertrag geschrieben haben. Es ist ja so, dass da in den letzten 16 Jahren nichts passiert ist. ({0}) Es ist quasi nichts geregelt.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Luiza Licina-Bode (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005128, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. – Da nichts geregelt ist, packen wir das jetzt an. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Daniela De Ridder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004386, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind gezwungen, den Bundeshaushalt 2023 im Schatten des Ukrainekrieges zu beraten. Die Folgen spüren wir nicht nur bei den Energiepreisen, sondern auch an der Supermarktkasse. Laut Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamtes sind die Nahrungsmittelpreise im Juli im Vergleich zum Vorjahr um rund 15 Prozent gestiegen. Auch die Landwirtinnen und Landwirte leiden unter der Explosion der Betriebskosten, etwa für Energie, Tierfutter oder Düngemittel, weil die internationalen Lieferketten unterbrochen wurden. Und mehr noch – ja, Kollege Rief –: Putins Kalkül ist es, Hunger als Waffe einzusetzen, um die Solidarität mit der Ukraine zu schwächen. ({0}) Als OSZE-Sonderbeauftragte für Osteuropa mit der Zuständigkeit für die Ukraine schmerzt mich dies besonders. Doch seien Sie sicher: Das dritte Entlastungspaket der Koalition mit über 65 Milliarden Euro ist eine starke Antwort. Wir sollten gemeinsam dafür plädieren, dass wir uns nicht spalten lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Wichtig und richtig ist auch, dass die Etatmittel für die internationalen Maßnahmen im Einzelplan 10 für Ernährung und Landwirtschaft erhalten bleiben. Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik muss noch viel stärker international gedacht werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein klarer Erfolg dieser Regierungskoalition, der Zukunftskoalition, dass es bei der landwirtschaftlichen Sozialpolitik deutliche Aufwüchse gibt, nämlich auf über 4 Milliarden Euro. Das betrifft insbesondere die Alterssicherung und die Krankenversicherung von Landwirtinnen und Landwirten. Damit wird nämlich der demografischen Entwicklung und dem Generationenwechsel in unseren bäuerlichen Betrieben Rechnung getragen. ({2}) Der Landwirtschaft, liebe Kolleginnen und Kollegen, fehlen die Arbeitskräfte und der Nachwuchs. Viele Aufgaben müssen von ausländischen Saisonkräften übernommen werden, um deren Arbeitsbedingungen wir uns weiterhin kümmern müssen. Daher haben wir durchgesetzt, dass die Beratungsangebote für Saisonarbeitskräfte bei Fragen der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes ausgebaut werden. Gut so! ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über Belastungen unserer Landwirtschaft sprechen, dann dürfen wir über die Afrikanische Schweinepest nicht schweigen. Das betrifft meinen Wahlkreis, aber nicht nur diesen. 90 Tage Quarantäne müssen die Schweinemäster und Sauenzüchter/-innen einhalten, bevor die überschweren Tiere geschlachtet werden können. Das ist EU-Recht, und es ist entschieden zu lang. Danke, Herr Minister, dass Sie sich für eine Verkürzung eingesetzt haben. Die Zeit rennt. Ich hoffe, dass Sie erfolgreich sein werden. ({4}) Und dann finden diese Landwirte nicht einmal Schlachtbetriebe. Die Landwirte wissen nicht – und das ist Teil des Problems –, woher das Virus stammt. Der landwirtschaftspolitische Sprecher der Union, Albert Stegemann, allerdings, der hält sich für schlauer als unsere Bauern. ({5}) Das ASP-Virus sei über infizierte Wildschweine eingeschleppt worden, so sagt er; er kann es ja gerne wiederholen. Er warnt deswegen sogar öffentlich vor touristischen Reisen in meinen Wahlkreis, die Grafschaft Bentheim und ins Emsland. ({6}) Nach den Landwirtschaftsbetrieben wird so auch noch unser Tourismus stigmatisiert, lieber Albert. ({7}) Das Schweinefleisch aus der Risikozone will Stegemann – das hat er öffentlich erklärt – auf Staatskosten – Herr Minister, ich hoffe, Sie lassen sich nicht darauf ein – in die Ukraine verfrachten. So, lieber Albert, kann man sich einen schlanken Fuß machen. ({8}) Ich will, lieber Herr Minister, das Gegenteil tun: Ich möchte Sie gerne in meinen Wahlkreis einladen. Sie haben ja eben schon das emsländische Landvolk ausdrücklich gelobt. Sie sind dort herzlich willkommen, und Sie sind eingeladen, die Not zu lindern; denn die Schweinepest hat existenzielle Folgen für viele unserer Betriebe. Sie sind herzlich eingeladen, das dort zu diskutieren. Flankieren Sie, unterstützen Sie unsere bäuerliche Landwirtschaft! Es tut not. Vielen Dank. ({9})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen mir nicht vor. Daher bitte ich jetzt um einen zügigen Sitzplatzwechsel, damit wir gleich weitermachen können.

Bettina Stark-Watzinger (Minister:in)

Politiker ID: 11004902

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie alle wissen: Die Herausforderungen, die vor uns liegen, sind groß. Und wir alle wissen: Der Modernisierungsdruck war auch schon vor den jüngsten Ereignissen sehr hoch. In der Finanzplanung der alten Bundesregierung ging es für Bildung und Forschung abwärts, und das in einer Zeit, in der noch kein Krieg und keine Energiekrise vorlag. Ich frage Sie: Wo war da eigentlich die Union? Ist das die „Vorfahrt für Bildung und Forschung“, die Sie immer in den Mund nehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union? Da hätte ich mir mehr Lautstärke von Ihnen gewünscht. ({0}) Uns dagegen ist die Trendwende gelungen. Bildung und Forschung haben wieder Vorfahrt in unserem Land. 3 Milliarden Euro mehr für Bildung und Forschung in dieser Legislaturperiode, das sind 3 Milliarden Euro mehr für Deutschlands Zukunftskompetenz. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass unser Haushalt in großen Teilen gebunden ist. Etwa durch den stetigen Aufwuchs beim Pakt für Forschung und Innovation. Das ist auch gut so. Denn die Wissenschaft braucht Verlässlichkeit. ({1}) Zur Wahrheit gehört auch, dass der Haushalt meiner Vorgängerin ungedeckte Schecks enthielt. Projekte und Bauvorhaben, die mit zu wenig Geld hinterlegt waren und die jetzt Handlungs- und Freiräume einschränken. Wir mussten uns als Ministerium entscheiden. Für einen zukunftsfesten Haushalt, für eine konsequente Ausrichtung auf die großen Herausforderungen. Der Koalitionsvertrag ist dazu unsere Leitlinie, und die Zeitenwende der Rahmen des Machbaren, meine Damen und Herren. ({2}) Wir haben als Chancenministerium – ich danke allen Fraktionen, die sich da einbringen – unsere Vorhaben schnell umgesetzt, vor allem die Erneuerung des Aufstiegsversprechens; das liegt uns besonders am Herzen. Das BAföG geht in die Höhe, und es geht in die Breite – ein Milliardenpaket. Wir ermöglichen damit mehr Chancen und mehr Freiheit. Mit der Exzellenzinitiative „Berufliche Bildung“ zeigen wir, dass berufliche Bildung und Studium gleichrangig sind – wir brauchen beides in unserem Land –, und wir leisten damit auch einen wichtigen Beitrag gegen den Fachkräftemangel, eine der größten Bedrohungen für Wachstum und Wohlstand. ({3}) Das Startchancen-Programm, mit dem wir Schulen in schwierigem Umfeld stärken wollen, steht vor der Verhandlungsreife. Meine Damen und Herren, das alles zeigt: Die Chancengerechtigkeit und der Bildungsaufstieg, sie sind bei uns, in dieser Koalition, in guten Händen. ({4}) Wir stärken die MINT-Fächer mit dem Aktionsplan 2.0. Denn ob Klimawandel, Digitalisierung oder Energiekrise: Fast alle großen Herausforderungen unserer Zeit sind an MINT-Kompetenzen gebunden; wir brauchen sie dringend. Wir werden auch den Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken“ dynamisieren. Das ist ein Kraftakt, der die verlässliche Finanzierung unserer Hochschulen in diesen schwierigen Zeiten sichert. ({5}) Die Exzellenzstrategie für Hochschulen bringen wir in diesem Jahr auf den Weg. Auch hier Verlässlichkeit und Planbarkeit für die Hochschulen. In der Forschung setzen wir auf Innovation und Transfer, und das sowohl sozial, gesellschaftlich, als auch technologisch. Deshalb haben wir die Gründung der neuen Agentur DATI angestoßen. Und wir sind dabei, die Fesseln der SprinD mit dem SprinD-Freiheitsgesetz zu lösen. ({6}) Wir treiben die Zukunftsstrategie Forschung und Innovation voran; denn wir müssen die Technologieführerschaft verteidigen oder in Teilen auch neu erringen. Wir brauchen einen Innovationsschub samt Transferoffensive für unser Land, weil nur das Wachstum und Wohlstand sichert. ({7}) Drei Zukunftsfelder sind mir besonders wichtig: Die Bundesregierung hat das Potenzial von Wasserstoff als Zukunftsenergie erkannt. Deshalb setzen wir hier einen klaren Forschungsschwerpunkt. Das BMBF ist bei Grünem Wasserstoff Vordenker und Wegbereiter. Wir wollen die Wasserstoffrepublik Deutschland. ({8}) Nach Penicillin in den goldenen 20er-Jahren ist der mRNA-Impfstoff gegen das Coronavirus das Wunder von heute. Die Pandemie hat gezeigt: Biotechnologie ist der Gamechanger im Gesundheitsbereich. Und was heute gegen Corona hilft, hilft morgen auch gegen Krebs. ({9}) Daten sind der Rohstoff der Zukunft. Den Datenschatz zu heben, das ist eine große Chance auf Fortschritt – wirtschaftlich, wissenschaftlich und gesellschaftlich. Kurz: die Chance auf Fortschritt für uns alle. ({10}) Lassen Sie mich mit Blick auf die jungen Menschen auch noch eines klar sagen: Sie haben in den letzten Jahren unter der Pandemie gelitten und wurden nur allzu oft nicht gesehen. Das darf nicht wieder passieren. Deshalb war uns wichtig: Keine Entlastungspakete ohne Unterstützung auch für junge Menschen in Ausbildung! Das haben wir umgesetzt. ({11}) Meine Damen und Herren, es ist richtig, dass wir im Haushalt statt eines Minus ein Plus haben. Das ist eine Trendwende. Denn jeder Euro für Bildung und Forschung heißt mehr Chancen für jeden Einzelnen, mehr Chancen für die gesamte Gesellschaft. Jeder Euro für Bildung und Forschung macht uns souveräner, resilienter und freier. Nur mit Bildung und Forschung können wir Zukunft, meine Damen und Herren. ({12})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Thomas Jarzombek. ({0})

Thomas Jarzombek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004061, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Ein Jahr ist die Bundestagswahl jetzt her, und ich finde es bemerkenswert, dass Sie den ersten Teil Ihrer Rede darauf verwendet haben, die alte Regierung für ihr Handeln in der Vergangenheit anzugreifen. ({0}) Ich finde, das ist ein Offenbarungseid. Denn das, was wir hier hören wollen, ist doch, was Sie in dem einen Jahr geleistet haben und was Sie in den drei weiteren Jahren vorhaben. Ihre Bilanz nach einem Jahr ist – das muss man so sagen – ziemlich blank. Sie haben eine BAföG-Reform gemacht, die deutlich weniger umfangreich ausgefallen ist als unsere letzte Reform 2019 – ({1}) und das war’s. Ihre Projekte, von denen Sie hier reden, die stehen doch alle in der Werkstatt und kommen nicht weiter. Die DATI, die Transferagentur – wie oft haben wir hier darüber geredet! –, ist nicht da. Es gibt auch keinen Referentenentwurf; Eckwerte wurden einkassiert. Das SprinD-Freiheitsgesetz ist auch nicht da. Ich höre, der Entwurf hat über Monate und Monate und Monate Schleifen zwischen der Arbeitsebene bei Ihnen und dem BMF gedreht. Beim Wissenschaftszeitvertragsgesetz gibt es trotz Handlungsbedarfs keine Idee, keine Eckdaten. Sie haben gar nicht gesagt, wo Sie da eigentlich hinwollen. Wenn wir aus dem Silo dieses Einzelplans herausgucken, stellen wir fest: Das ZIM wurde vom Wirtschaftsministerium gestoppt; bei der IGF gibt es Probleme. Sie haben gerade gesagt, Sie wollen Biotech machen. Wir haben hier im Sommer einen Antrag vorgelegt. Wir haben 1 Milliarde Euro für einen Fonds gefordert; dafür ist das Geld auch da. Das haben Sie abgelehnt. IPCEI-Biotech haben Sie abgelehnt – na ja, noch nicht, aber Sie haben erklärt, Sie werden es ablehnen. DigitalPakt I: Sie haben hier erklärt, bis zum Sommer werde er beschleunigt. Wenn ich rausgucke, stelle ich fest: Der Sommer ist vorbei, zumindest kalendarisch seit dem 1. September. Sie haben hier bisher überhaupt nichts abgeliefert. ({2}) Jetzt kommen wir zu den Dingen, die wirklich, wirklich wehtun. Was wirklich, wirklich wehtut, ist, dass gerade 65 Milliarden Euro für soziale Umverteilung von Ihnen ins Feld geführt werden. Wo ist da die Forschungspolitik? Wo ist der Beitrag der Forschungsministerin und des Hauses angesichts der Tatsache, dass wir in einer existenziellen Energiekrise sind? Was machen Sie denn? Sie redeten hier gerade von Wasserstoff. Wo ist die Wasserstoffforschung in den 65 Milliarden Euro? Ich habe dazu überhaupt nichts gefunden. ({3}) Herr Sattelberger, Ihr ehemaliger Staatssekretär, war bei Marvel Fusion, einem Kernfusions-Start-up, und hat gesagt: Wir müssen da was machen. – Sie tun aber nichts. Kernfusion wäre ein super Thema, um dem Energieproblem, das wir heute haben, langfristig zu begegnen. Sie könnten, ähnlich wie bei unserer KI-Strategie, sagen: Wir brauchen 100 Professuren für Energietransformation. Sie haben aber überhaupt keine Idee. Sie sind die totale Verliererin in diesem Programm. ({4}) Von 65 Milliarden Euro 0 Euro für die Forschung. Dass Sie etwas wettmachen, indem die Studierenden, die Sie damals beim Energiegeld vergessen haben, jetzt 200 Euro bekommen, hilft der Forschung aber überhaupt nicht. ({5}) Es ist viel schlimmer: Sie haben die ganze Zeit über erzählt, Sie würden bei der Forschung nicht kürzen; Sie haben uns das in 71 Punkten auch noch mal schriftlich erklärt. Sie sehen aber, was gerade draußen los ist: Die ganze Forschungsgemeinschaft beklagt die Unsicherheit. Sie haben Kürzungen vorgenommen, diese aber nicht erklärt. Sie haben sie auch heute nicht erklärt. Sie hätten hier die Chance gehabt, diese Kürzungen einmal zu erklären. ({6}) Sie lassen die Forschungsgemeinschaft im Dunkeln. Wenn Sie behaupten, es gehe ja nur um mündliche Zusagen, dann haben Sie den Prozess überhaupt nicht verstanden. Es geht um Forschungsvorhaben, die aufeinander aufbauen. Das sind – Stichwort „Wissenschaftszeitvertragsgesetz“ – alles Drittmittelbeschäftigte. Ein halbes Jahr Vorlauf wird benötigt, um die Leute in die nächste Phase des Projekts zu bringen. Wenn Sie jetzt sagen, das bisherige Verfahren – dass die Leute eine mündliche Zusage bekommen, weil natürlich noch nicht alles publiziert ist –, das gilt nicht mehr, dann werden Sie, bis die Folgeverträge abgeschlossen werden können, ganz viele Forschende in ein Loch von mindestens einem halben Jahr schicken, ({7}) Darauf will die Forschungsgemeinschaft eine Antwort haben. Dazu haben Sie heute überhaupt nichts gesagt, es kam nur heiße Luft. ({8}) Jetzt kommen wir zu den Dingen, die wirklich noch viel schmerzhafter sind. Um das zu steigern – das kann man sich fast gar nicht vorstellen, aber es geht –: 8,4 Millionen Kinder waren im Schuljahr 2020/21 eingeschult. 8,4 Millionen Kinder waren im Lockdown. 8,4 Millionen Kinder haben wegen Corona massive Defizite. ({9}) Egal, wie sehr Sie daran glauben, ob Corona noch da ist oder nicht: Die Defizite sind da, die psychosozialen Defizite wie die Lernrückstände. Wir haben in der alten Regierung mit den Ländern ein Programm „Aufholen nach Corona“ aufgelegt, dafür 2 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. ({10}) Es hat sicher Mängel; darauf haben Sie hingewiesen. Damit wird aber auch einiges gemacht. Da wird in Klassen eine Honorarkraft dazugenommen, damit man individuell lernen kann. Da werden Bildungsgutscheine verteilt an Kinder aus Elternhäusern, in denen es nicht so ist, dass die Bibliothek bis zur Decke reicht und neben dem Klavierlehrer auch noch der Nachhilfelehrer kommt. Doch genau die Kinder, über deren Chancen Sie gesprochen haben, die lassen Sie jetzt eiskalt im Regen stehen. Sie sagen einfach: Ihr bekommt jetzt gar nichts mehr, null. Frau Ministerin, schämen Sie sich dafür! ({11}) Wir erwarten, dass Sie hier endlich zu arbeiten anfangen, für dieses Land, für die Schüler, die Studierenden und die Forschenden etwas tun. ({12}) Es braucht doch ein Folgeprogramm. Wenn Sie sagen, das Programm „Aufholen nach Corona“ reicht nicht, dann machen Sie mehr, machen Sie etwas anderes. Gehen Sie bei den 65 Milliarden Euro in die nächste Runde! Holen Sie etwas für die Kinder raus! ({13}) Beim Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ passiert genau die gleiche Geschichte: Sie wollen die Förderung für die 6 000 Sprach-Kitas, die übrigens genau in den benachteiligten Gebieten liegen, wo Sie mit dem Programm „Startchancen“ Schulen unterstützen wollen, zum Jahresende auslaufen lassen. ({14}) – Das ist Ländersache, genau. Aus demselben Grund wird auch das Programm „Startchancen“ nicht funktionieren. Sie haben bisher nichts gemacht, und wie ich höre, sollen jetzt auch noch die Länder die Mehrheit von dem Ganzen bezahlen. ({15}) Frau Ministerin, nach einem Jahr ist das eine, um dieses Wort zu verwenden, krasse Bilanz. Sie sind mit vielen Vorschusslorbeeren aus der Wissenschaftsgemeinschaft gestartet.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Thomas Jarzombek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004061, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jetzt stellt sich die Frage: Bauen Sie ein Chancenministerium, oder bauen Sie das Ministerium der verpassten Chancen? Es liegt an Ihnen. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächster Redner ist der Kollege Oliver Kaczmarek für die SPD-Fraktion. ({0})

Oliver Kaczmarek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004063, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Jarzombek, das waren ja wieder schwere Worte, und ich höre Ihnen auch immer zu. Aber, ehrlich gesagt, was jetzt die CDU/CSU als Alternative vorschlägt, habe ich immer noch nicht verstanden. ({0}) Sie legen ja auch keine alternativen Anträge vor. Meine Vermutung ist: Da ist einfach nichts. Aber ich werde Ihnen auch weiter zuhören; vielleicht kommt ja irgendwann mal die Lösung. ({1}) Die Wahrheit ist, dass wir mit diesem Haushalt natürlich auch Baustellen übernommen haben, die unerledigt geblieben waren. Ich will Ihnen gerne zwei Beispiele nennen: Mitglieder meiner Fraktion und ich waren vor wenigen Wochen auf der „Polarstern“, unserem Eisbrecher, der durch die Arktis fährt, einem Prachtstück der deutschen Forschungslandschaft. Dort haben wir uns mit der Frage auseinandergesetzt, was eigentlich unerledigt geblieben ist. Unerledigt geblieben ist nach Jahren des Aufschiebens die Finanzierung des Nachfolgeprojekts, der „Polarstern II“. Es ist unser Verdienst, das Verdienst der Koalition, dass die Finanzierung der „Polarstern II“ nun gesichert ist. Es ist ein ganz wichtiges Signal an die Forschungslandschaft, dass der Bund auch in schwierigen Zeiten in die Forschungslandschaft investiert. ({2}) Zweites Beispiel. Ich will ja gar nicht verhehlen: Natürlich war es eine gute Sache, dass wir in der vergangenen Wahlperiode den Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken“ geschaffen haben, den Hochschulpakt verstetigt haben, damit auch die Finanzierung von Studienplätzen gesichert haben. Aber es war immer klar, dass, wenn der Bundesanteil in diesem Zukunftsvertrag nicht aufwächst – was Sie ja immer verhindert haben –, steigende Personalkosten de facto zu einer Kürzung führen. Deswegen dynamisieren wir den Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken“. Wir bekennen uns zur Verantwortung des Bundes für die Finanzierung von Studienplätzen. Auch das ist ein wichtiges Signal in die Wissenschaftslandschaft hinein. ({3}) Deshalb: Nach 16 Jahren CDU-Führung im BMBF, von denen einige bestimmt ganz gut waren, einige vielleicht aber auch ein bisschen wurstig, würde ich mir im Hinblick auf Kritik an der jetzigen Führung ein bisschen mehr Bescheidenheit wünschen. ({4}) Meine Damen und Herren, Deutschland steht vor riesigen Herausforderungen; das ist der rote Faden der Haushaltsdebatte, die wir jetzt schon die ganze Woche führen. Die Sorgen wegen explodierender Strom- und Gaspreise sind für viele Menschen eine existenzielle Frage, auch für viele Auszubildende und Studierende. Deswegen ist es wichtig, dass wir an der Stelle nicht nur reden, sondern dass wir auch handeln, helfen. Wir haben den Heizkostenzuschuss für Studierende und Auszubildende, die BAföG bzw. Berufsausbildungsbeihilfe beziehen, verdoppelt, und in diesen Wochen erfolgt die Auszahlung der Energiepreispauschale an alle Studierende, die einen Minijob haben; wir wissen, das sind immerhin drei Viertel aller Studierenden. Die Koalition hat sich vorgenommen – wir bekennen uns dazu –, dass jetzt alle Studierenden eine Einmalzahlung in Höhe von 200 Euro bekommen. Das ist ein wichtiger Schritt. Das wird ihnen helfen, den Anstieg der Strom- und Gaspreise ein bisschen abzufedern. Ich bin froh, dass wir das gemeinsam in der Koalition geschafft haben. ({5}) Frau Ministerin, wir müssen jetzt gemeinsam dafür sorgen, dass der Heizkostenzuschuss II, der für Wohngeldempfänger vorgesehen ist, für Studierende und Auszubildende wiederum im BAföG und in der Berufsausbildungsbeihilfe verankert wird. Da haben Sie uns an Ihrer Seite. ({6}) Die Lage ist schwierig. Wir wissen, das fängt nicht alles auf. Aber die wichtige Botschaft ist: Die Menschen können sich darauf verlassen, wir lassen niemanden allein, auch Auszubildende und Studierende nicht. Beim BAföG ist endlich eine kleine Trendwende in Sicht. Aber damit das keine kleine Wölbung bleibt, sondern zu einem richtigen Aufschwung der Zahl der BAföG-Geförderten führt, müssen wir jetzt kräftig unterstützen. Die BAföG-Novelle, die wir schon beschlossen haben und die sich jetzt schon im Haushalt niederschlägt, wird einen klaren Beitrag dazu leisten, nicht nur weil der Fördersatz auf über 930 Euro steigt, sondern weil deutlich höhere Freibeträge die Grundlage dafür sind, dass viel mehr Menschen überhaupt wieder BAföG beziehen können; deswegen ist das richtig. Wichtig ist jetzt, dass wir all denjenigen, die Aussicht auf BAföG-Förderung haben, sagen: Selbst wenn ihr nicht die Aussicht habt, den Höchstsatz zu bekommen, stellt den BAföG-Antrag; jede Förderung aus dem BAföG hilft. – Wir wollen, dass die Menschen ihren Rechtsanspruch auf BAföG endlich durchsetzen können. Dazu hilft die Novelle, die wir auf den Weg gebracht haben und die schon im Gesetzblatt steht. ({7}) Meine Damen und Herren, das Ausbildungsjahr hat begonnen. Die Bilanz ist gemischt. Die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge liegt immer noch unter dem Niveau von vor Corona. Wir haben eine hohe Zahl unbesetzter Stellen. Gleichzeitig haben wir eine hohe Zahl Ungelernter auf dem Arbeitsmarkt. Es ist ein wichtiges Anliegen dieser Koalition, dass wir jetzt über Wertschätzung für berufliche Bildung sprechen, dass berufliche Bildung und akademische Bildung tatsächlich – auch materiell – gleichwertig sind. Aber Wertschätzung für berufliche Bildung muss doch auch heißen, dass jeder die Chance hat, einen Ausbildungsplatz zu ergattern, und zwar in jeder Region dieses Landes, ({8}) dass jeder die Chance hat, damit ein vernünftiges Einkommen zu erzielen, dass jeder die Chance hat, sich einen Platz zu erarbeiten, unabhängig vom Schulabschluss. Wir dürfen nicht nur an die Abiturientinnen und Abiturienten denken, für die berufliche Bildung auch interessant ist, sondern wir müssen auch an die denken, die von der Hauptschule kommen und derzeit auf dem Ausbildungsmarkt das Nachsehen haben; auch sie müssen wir in den Blick nehmen. Sie alle haben eine Chance auf Ausbildung verdient. Deswegen sage ich, Frau Ministerin: Die Exzellenzinitiative Berufliche Bildung, die ist unser gemeinsames Ziel; das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, das wollen wir, und das wird auch kommen. Aber sie ist gleichrangig und untrennbar verbunden mit der Ausbildungsgarantie. Die Ausbildungsgarantie muss jetzt auch kommen. Daran müssen wir in der Koalition und in der Regierung gemeinsam arbeiten. ({9}) Wie immer bei Haushalten sind viele Fragen noch ungeklärt, und kein Haushalt verlässt den Bundestag so, wie er eingebracht wurde. Aber die Koalition packt die Dinge an. Die Richtung stimmt. Bildung und Forschung bleiben auch in herausfordernden Zeiten Prioritäten der Bundespolitik. Herzlichen Dank. ({10})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächste Rednerin ist Nicole Höchst für die AfD-Fraktion. ({0})

Nicole Höchst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004753, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wird grundsätzlich: Die Haushaltsdebatte ergeht sich wieder in Orgien der Selbstbeweihräucherung. Dabei hat die Fortschrittskoalition sichtbar „den Rückwärtsgang eingelegt“, rügt selbst die GEW. Unser Land der Dichter und Denker, Erfinder, Ingenieure, Unternehmer nähert sich in Wirklichkeit in Riesenschritten einem Notstandsland an. Was das deutsche Bildungssystem an Blüten hervorbringt, sehen wir auch am Weltökonomen Habeck, der sich nicht entblödet hat, bei „Maischberger“ in aller Öffentlichkeit sinngemäß zu sagen: Bäcker- und Blumenläden werden nicht gleich insolvent; aber sie hören vielleicht erst einmal auf, zu verkaufen. Das sei keine klassische Insolvenz. ({0}) Hilfe! Solche Menschen lenken die Geschicke unseres Landes! Das, meine Damen und Herren, ist ungeheuerlich und offenbart einmal mehr den Bildungsnotstand auf der Regierungsbank. ({1}) Frau Ministerin, der Schwerpunkt Ihres Haushalts liegt erkennbar im Bereich Wissenschaft und Forschung – okay. Garantieren Sie endlich die Freiheit von Wissenschaft und Forschung! Unterbinden Sie alles, was Wissenschaft, Bildung und Forschung zu Huren der Politik macht! ({2}) Die von Digitalität –

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Frau Abgeordnete – –

Nicole Höchst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004753, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– und Lockdowns –

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Frau Abgeordnete – –

Nicole Höchst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004753, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– geprägten Coronajahre – –

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Frau Abgeordnete –,

Nicole Höchst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004753, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja?

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

– darf ich etwas sagen? Ich finde, dass das kein sehr parlamentarischer Wortgebrauch ist, den Sie hier benutzen, ({0}) und ich würde Sie sehr bitten, dazu wieder zurückzukehren.

Nicole Höchst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004753, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Zensur im Bundestag. – Die von Digitalität und Lockdowns geprägten Coronajahre bei gleichzeitiger Massenzuwanderung haben in allen Bildungsbereichen zu einem beispiellosen Niveauverfall geführt. Die entstandenen Lücken können nicht mehr aufgeholt werden. Die psychischen und physischen Schäden an unseren Kindern und Jugendlichen sind kaum je wiedergutzumachen. Das darf sich keinesfalls wiederholen! ({0}) Der Bundesrechnungshof erteilte dem DigitalPakt die Note „mangelhaft“. Das heißt für Sie: die DigitalPakt-Farce beenden oder dringend nachsteuern. Bedienen Sie sich hierzu gerne der Ideen aus unserem Antrag „Lehrermangel konsequent bekämpfen“. ({1}) Ich bin sehr enttäuscht, dass so wenig Expertise aus der teuren und aufwendigen Enquete-Kommission „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ in Ihre Arbeit einfließt. Kennen Sie die? Ihre Ergebnisse stammen aus der letzten Legislatur. Darin findet man Vorschläge und Ideen en masse, um dem zunehmenden Fachkräftemangel zu begegnen. Es braucht mehr Meister statt Master. Langfristig sind eine Gesellschaft und ihre Sozialsysteme dem Untergang geweiht, wenn sie sich im akademischen Elfenbeinturm einschließen. Wollen Sie das so? ({2}) Eine starke Gesellschaft mit unzähligen Nettosteuerzahlern hingegen kann sich ein funktionierendes Bildungssystem mit Sozialstaat leisten, Theoretiker und sogar einige Orchideenfächerabsolventen inklusive. Sobald aber Parteien sich den Staat zur Beute machen und zur eigenen Machtabsicherung immer mehr Leute staatsabhängig beschäftigen und von der Kita an indoktrinieren statt bilden, kippt dieses Konstrukt – wie wir gerade sehen. ({3}) Sie und Ihre Vorgänger, Sie tragen die Verantwortung für die Ver-Bildung unheiliger und unheilvoller Abhängigkeiten und den Akademisierungswahn. Sie von der Ampelregierung funktionieren sichtlich nach dem Motto: Halt du sie dumm; ich halte sie arm. – Mann! ({4}) Dabei gehören die Weichen in der Bildung so dringend neu gestellt, hin zu einer Zukunft mit humanistischer Bildung, ({5}) auf dass kritische, kreative, freiheitliche und demokratisch streitbare Geister stetig nachwachsen. ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Nicole Höchst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004753, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Arbeiten Sie endlich mit allen Fraktionen zusammen, Frau Ministerin! Die AfD wird, wie all die Jahre zuvor, konstruktive Vorschläge zum Haushalt machen und Sie in allem unterstützen, was gut ist –

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Nicole Höchst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004753, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– für Deutschland. Vielen Dank. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist mir schon wichtig, noch mal zu sagen: Jede Kritik darf hier in diesem Hause sehr deutlich ausgesprochen werden, und wir haben auch schon einiges dazu gehört. Trotzdem ist die Wortwahl wichtig, und wir müssen uns nicht gegenseitig beleidigen, wenn wir Kritik üben. – Vielen Dank. ({0}) Als Nächstes erhält das Wort Bruno Hönel für Bündnis 90/Die Grünen. ({1})

Bruno Hönel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005086, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung. Herr Jarzombek, rein rhetorisch war das wirklich eine geschliffene Rede; das muss ich wirklich so anerkennend zugeben. ({0}) Inhaltlich haben Sie im Grunde aber die Regierungsbilanz von 16 Jahren unionsgeführtem Bildungsministerium dargestellt. ({1}) Sie haben der Ministerin eine hohe Hypothek hinterlassen. Wir geben jetzt alles, um das wieder wettzumachen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns in einer von Krisen dominierten Zeit, und das wirkt sich natürlich auch auf den Haushalt aus. Aber für uns als Koalition ist ganz klar: Wir werden das Notwendige finanzieren – nicht nur, um auf die Krisen zu reagieren, sondern gerade, um in der Krise zu gestalten, um eine neue Realität für eine gute Zukunft zu schaffen. Der Einzelplan 30 ist der Etat der Zukunftsinvestitionen, und der vorgelegte Entwurf ist eine solide Ausgangslage für die kommenden Beratungen, auch wenn er aus unserer Sicht einige Verbesserungspotenziale offenbart. Positiv ist: Mit der Dynamisierung des Zukunftsvertrages schaffen wir bundesseitig Planungssicherheit und verbessern die Qualität von Studium und Lehre nachhaltig. Als Haushälter/-innen haben wir im parlamentarischen Verfahren des letzten Jahres dafür gesorgt, dass nun 56 Millionen Euro zusätzlich im Haushalt stehen. Ich glaube, man kann sagen: Das ist das richtige Signal der Stabilität in einer hochdynamischen Zeit. ({3}) Dass wir es mit der Chancen- und Bildungsgerechtigkeit ernst meinen, haben wir als Koalition schon wenige Monate nach der Wahl bewiesen. Gemeinsam haben wir eine umfangreiche BAföG-Reform verabschiedet. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der BAföG-Empfänger/-innen massiv zurückgegangen. An dieser Stelle herzlichen Dank an die Union für maximale Unfreundlichkeit gegenüber den Studentinnen und Studenten bei den BAföG-Regelungen. Aber damit ist jetzt Schluss! Wir haben versprochen, das BAföG zu reformieren, und wir halten dieses Versprechen. ({4}) Wir haben bei den Entlastungspaketen immer auch an unsere Studis und Azubis gedacht; die Ministerin hat es angesprochen. Erstes Entlastungspaket: 230 Euro Heizkostenzuschuss, dazu steuerliche Entlastungen, Verbesserung bei Mini- und Midijobs. Jetzt entlasten wir erneut mit einer Einmalzahlung in Höhe von 200 Euro, dem Heizkostenzuschuss II und natürlich auch mit dem 9‑Euro-Ticket. Sie sehen: Wir haben eine Menge hinbekommen in diesen krisenhaften Zeiten. ({5}) Was wir auch hinbekommen haben, ist ein absolutes grünes Herzensprojekt, nämlich die „Polarstern II“. Die Vorgängerregierung – besser gesagt: das CDU-geführte Ministerium – hat es trotz Hochkonjunktur, trotz sprudelnder Steuereinnahmen nicht geschafft, die „Polarstern II“ auszufinanzieren. ({6}) Wir sichern nun die Finanzierung trotz Schuldenbremse und trotz multipler Krisen. Ich glaube, das sollte Ihnen zu denken geben, liebe CDU/CSU. ({7}) Wir leisten so einen immensen Beitrag zur internationalen Klimaforschung. Der Bau kann 2023 beginnen. So ermöglichen wir auch in Zukunft bahnbrechende Erkenntnisse made in Germany im Sinne des Klimaschutzes. Ein großer Erfolg ist das! ({8}) Aber – ich habe es schon angedeutet – es ist nicht alles rosig in dem Einzelplan; das will ich hier auch kritisch anmerken. Massive Aufwüchse in einigen Bereichen gehen zum Teil auf Kosten wichtiger Forschungsvorhaben in anderen Bereichen. ({9}) Ob Klima- und Nachhaltigkeitsforschung, die Geisteswissenschaften oder auch die Gesundheitsforschung, ({10}) all das bedeutet letztendlich Kürzungen bei Zukunftsinvestitionen. Die Klimakrise ist immer stärker zu spüren. Die Demokratie steht unter Druck, und die Coronafolgen sind nach wie vor verheerend. ({11}) Gerade jetzt müssen wir die richtigen Signale setzen und in diese Forschungsbereiche investieren; denn jeder Euro, den wir ausgeben, kann uns in Zukunft Millionen Euro sparen. Diese Voraussicht ist das Fundament nachhaltigen Haushaltens, und das müssen wir auch in harten Zeiten leisten, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({12}) Ich möchte noch über ein Querschnittsthema sprechen, das meiner Einschätzung nach zu wenig Beachtung findet: die Förderung beruflicher Bildung. ({13}) Ob bei der Transformation in eine klimaneutrale Industrienation, im Kontext von Arbeit 4.0 oder auch beim Fachkräftemangel: Die berufliche Bildung ist und bleibt das Nadelöhr. ({14}) Deswegen ist es mir und uns Grünen ein absolutes Anliegen, die berufliche Bildung weiter zu stärken. Wir haben richtig viel zu tun. ({15}) Die Gewinnung und Ausbildung von Fachkräften ist eine Mammutaufgabe. Zunehmend flexible Erwerbsbiografien brauchen gut abgestimmte Weiterbildungs- und Umschulungskonzepte. Das Ganze muss natürlich finanziert werden. Das BMBF ist hier in der Mitverantwortung, und das muss sich auch im Haushalt entsprechend manifestieren. Das ist einer der Aufträge für die kommenden Beratungen. ({16}) Abschließend möchte ich meine Kritikpunkte in das richtige Verhältnis setzen. Bereinigt um die Coronamittel, ist das ein Haushalt auf Rekordniveau. Trotz Schuldenbremse, trotz einer schwierigen wirtschaftlichen Lage und vielen Unwägbarkeiten sind die Investitionen auf Spitzenniveau. Das lässt sich nicht wegreden. Das sind Investitionen in die Zukunft, in gerechte Chancen und in exzellente Forschung. Der Haushalt umfasst insgesamt rund 20,6 Milliarden Euro. Dazu kommen die KTF-Mittel: 156 Millionen Euro für die Weiterentwicklung der Elektromobilität oder auch 295 Millionen Euro für die Forschung zu Grünem Wasserstoff. Gerade diese Art von Zukunftsinvestitionen haben Sie von der Union in den letzten Jahren leider vernachlässigt. ({17}) Aber das passt ganz gut zu Ihrem Atomschlingerkurs und dem Totalversagen beim Ausbau der Erneuerbaren. 374 Millionen Euro sind in diesem Einzelplan gebunden für den Rückbau kerntechnischer Forschungsanlagen. 374 Millionen Euro! Da reden wir nur über Forschungsanlagen. Da reden wir nicht über den Rückbau von Kernkraftanlagen. ({18}) Wir merzen Ihre Altlasten mit diesem Haushalt aus. Von daher finde ich diese unqualifizierten Angriffe absolut unangebracht. ({19}) In der Opposition zu sein, entlässt Sie eben nicht aus der Verantwortung. In diesem Sinne wünsche ich uns verantwortungsvolle Haushaltsberatungen. Herzlichen Dank. ({20})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als nächste Rednerin erhält Dr. Petra Sitte für die Linken das Wort. ({0})

Dr. Petra Sitte (Unbekannt)

Politiker ID: 11003848

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will drei Akutprobleme dieses Bundeshaushaltes ansprechen. Erstens. Infolge der Preisexplosion werden nun einmalig 200 Euro an Studierende und an Lernende an Berufsschulen ausgezahlt, allerdings werden Teilzeit- und Gaststudierende leer ausgehen, beispielsweise ukrainische Studierende. ({0}) Wer mit „Fachschülern“ gemeint ist, bleibt nach jetzigem Stand unklar. Ohnehin sind die 200 Euro – machen wir uns nichts vor – ein Tröpfchen auf den heißen Stein. ({1}) Nachdem es schon in der Pandemie Monate gedauert hat, bis alle Studierenden Hilfe bekamen, mussten diese auch nun bis zum dritten Entlastungspaket warten. Die 200 Euro müssen genau genommen bis zur nächsten Energiekostenrechnung aufgespart werden; also helfen sie im Zuge der aktuellen Preissteigerungen eigentlich nichts. Das ist so dramatisch, weil schon jetzt ein Drittel aller Studierenden in Armut lebt – und das allein ist schon unfassbar. ({2}) Hinzu kommt, dass Sie Ihr Haus immer so nonchalant als „Chancenministerium“ bezeichnen. Ich frage: Wo waren Sie, als es jetzt um mehr Chancen für Lernende und für Studierende ging? Zweitens: ein Wort zu Ihrer Förderpolitik. Wie lange – das muss man schon mal sagen – wollen Sie sich eigentlich an Ihrer Vorgängerregierung messen? Ich finde, Ihr Maßstab muss Ihr eigener Koalitionsvertrag sein. ({3}) In Zeiten von Krieg, Klimawandel, Coronapandemie und Inflation stellen sich für Wissenschaft und Forschung immense Herausforderungen. Wissenschaftspolitik sollte die Forschung an friedensorientierten, ökologisch nachhaltigen und sozial gerechten Antworten fördern. Aber genau diese Ausrichtung ist nicht zu erkennen. ({4}) Wie oft mussten wir uns anhören – heute auch wieder –, Sie seien eine Fortschrittskoalition? Aber jetzt wird deutlich, dass uns eher Rückschritt droht. ({5}) Abzüglich der Inflation kommt es faktisch zu einer Kürzung der Mittel bei Forschung und Fortschritt. Das ist doch gerade für diese drei Parteien inakzeptabel. ({6}) Vor diesem Hintergrund – das wissen Sie so gut wie ich; Sie haben Social Media auch verfolgt – kommen massenhaft Klagen aus der Wissenschafts-Community, dass Projekte nicht weitergeführt, Anträge abgelehnt und keine neuen Projekte trotz anderer Ankündigung begonnen werden. Sie haben auf unsere Anfrage geantwortet, dass keine Projekte aus Kostengründen verworfen worden sind. Dann frage ich jetzt zurück: Aus welchen Gründen denn dann? Antworten soll offensichtlich Ihre neue Zukunftsstrategie liefern. Aber die kennt niemand, die liegt noch nicht vor. Sie arbeiten noch daran – ein Jahr nach der Wahl. Schließlich teilen Sie mit, dass die Ausgaben infolge des Ukrainekrieges nicht aufgebracht werden können. Das ist eine bemerkenswerte Feststellung. Ich sage Ihnen aber: Wer in kürzester Zeit 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr und einen kräftigen Aufwuchs für den Verteidigungshaushalt hinbekommt – das kann man kritisch sehen oder auch nicht –, der muss sich fragen lassen: Wieso geht das nicht bei Bildung und Forschung? ({7}) Im Titel des Koalitionsvertrages steht: „Mehr Fortschritt wagen“. Fortschritt beginnt mit Bildung und Forschung. Das ist der Ausgangspunkt. Aktuell verlieren wir wissenschaftliche Kompetenz. Zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – oftmals sowieso prekär und befristet beschäftigt – verlieren ihre Anschlussverträge und müssen ihre Forschungen abbrechen. Das ist kein schneller Impact, das ist ein deep Impact, den wir uns überhaupt nicht leisten können. Drittens. Es fällt auf, wie sehr Sie technisch-technologische Lösungen bevorzugen. Das hat gerade der Kollege von den Grünen noch mal bestätigt. Aber die Forschung zur Eindämmung und Prävention beispielsweise von Pandemien, zu ihren Folgen wie Post Covid, zu Infektionserkrankungen, zu psychischen Erkrankungen, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, bleibt weit hinter dem Notwendigen zurück. Baden-Württemberg – das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen – stellt für Post-Covid-Forschung knapp 13 Millionen Euro zur Verfügung, der Bund dagegen nur 10 Millionen Euro. Angesichts der Dramatik für die Betroffenen ist mir das völlig unverständlich. Unverständlich ist mir auch: Ihre drei Parteien – ich habe es immer wieder erlebt – haben jahrelang Bildung und Forschung wie eine Monstranz vor sich hergetragen. Wir haben das unterstützt. Ausgerechnet diesen drei Parteien gelingt bei der Aufstellung ihres ersten originären Haushaltes eigentlich nichts weiter als Stagnation. Ich hoffe, dass Sie die Beratungen zu diesem Haushalt nutzen, um Korrekturen zu machen. Danke. ({8})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für die FDP-Fraktion erhält das Wort Ria Schröder. ({0})

Ria Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005215, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe eigentlich keine Lust darauf, jedes Mal auf 16 Jahre Union zurückverweisen zu müssen. ({0}) Aber insbesondere in den letzten zwei Jahren hatten Sie das zu verantworten, was in den Schulen in Deutschland passiert ist. Sie sind auch in fünf Landesministerien für Bildung zuständig. ({1}) Dass Sie sich dann hierhinstellen und die Situation in den Schulen beweinen, finde ich eher dreist. Wir sorgen dafür, dass diesen Winter die Schulen nicht geschlossen werden. ({2}) Meine Damen und Herren, nicht selten wird bei der Frage der Verteilung von Geld die Metapher eines Kuchens bemüht: Wer bekommt welches Stück vom Kuchen? Entscheidend ist aber vor allem, was im Kuchen steckt, was die Zutaten sind. Bildung und Forschung sind nicht etwa die Kirsche auf der Torte, die man weglassen kann, wenn das Geld irgendwann mal nicht reicht, sondern sie sind die Hefe im Teig. Sie sorgen dafür, dass das Aufstiegsversprechen aufgeht. Sie sind das Triebmittel für ein selbstbestimmtes Leben und für eine faire Gesellschaft. Unser Ziel ist es, dass du Konditorin oder Bäcker deines eigenen Lebens sein kannst. Deswegen müssen die Backstuben krisenfest sein. ({3}) Mit dem dritten Entlastungpaket werden wir hierzu unseren Beitrag leisten. Denn viele Menschen denken gar nicht mehr an Kuchen, weil es schon fürs Brot nicht mehr reicht. ({4}) Klar ist: Nicht alle Folgen des verbrecherischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wird die Politik abfedern können; aber das Mögliche tun wir. Ich danke der Bildungsministerin, dass sie sich für junge Menschen starkgemacht hat. Alle Studierenden erhalten 200 Euro, auch diejenigen, die nicht BAföG-berechtigt sind; denn auch die sind mittlerweile bei Knust und Knippchen angekommen, die sind echt broke. Frau Sitte, die bekommen ja nicht nur die 200 Euro, sondern ihnen helfen auch die Energiepreispauschale, der Heizkostenzuschuss und die Kindergelderhöhung. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, wer nebenher noch arbeitet, hat ab diesem Winter – ab Oktober – 70 Euro mehr. Wir erhöhen nämlich die Minijobgrenze von 450 auf 520 Euro. Das ist eine echte Entlastung für die jungen Menschen. ({5}) Wir halten im Einzelplan 30 die Marke von 20 Milliarden Euro. Das ist gut. Ich will aber gar nicht verhehlen: Mehr Geld wäre natürlich besser. Für einen Haushalt, in dem ein Großteil der Mittel durch Bund-Länder-Vereinbarungen oder völkerrechtliche Verträge über viele Jahre gebunden ist, werden wir insgesamt mehr Geld benötigen, um weitere Leuchtturmprojekte von uns Freien Demokraten, aber auch von uns als Ampel zu verwirklichen, wie das Programm Startchancen, das uns extrem am Herzen liegt, damit wir die vielen ungeförderten Talente in unserem Land zum Strahlen bringen. ({6}) Einen Leuchtturm können wir schon jetzt vorweisen: Das ist die immense BAföG-Reform. Das ist wie frische Hefe direkt aus dem Kühlregal. ({7}) Wir können jetzt schon sehen, wie der Teig aufgeht. Zum ersten Mal seit 2012 erhalten wieder mehr junge Menschen eine Ausbildungsförderung, echte Aufstiegschancen. Das ist eine gute Nachricht, meine Damen und Herren. ({8}) Ich komme zum Schluss. Wir haben eine ganze Reihe von großartigen Projekten: die Dynamisierung des Zukunftsvertrags, MINT-Aktionsplan, einen Schwerpunkt in der beruflichen Aufstiegsfortbildung, Innovationsförderung. Das braucht es für gute Bildungspolitik.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Ria Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005215, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mehl, Zucker, Butter, Hefe: Die Zutaten sind in der Rührschüssel. ({0}) Wir packen jetzt den Schneebesen aus und rühren noch mal kräftig um. Dann kommt der Ofen in den Kuchen. Vielen Dank. ({1})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Das Bild, dass der Ofen in den Kuchen kommt, war zu schön. Aber das haben wir, glaube ich, alle richtig verstanden. Es folgt jetzt für die CDU/CSU-Fraktion Nadine Schön. ({0})

Nadine Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist ja nicht das Einzige, was bei der Koalition durcheinandergeht. Mal schauen, was Sie tatsächlich gebacken bekommen. ({0}) Wir werden sehen. Ich jedenfalls bin aus der Sommerpause sehr besorgt zurückkehrt. Ich war über den Sommer im Gespräch mit vielen Forschern, mit Verantwortlichen an Hochschulen. Ich kann Ihnen sagen: Da herrscht eine riesengroße Verunsicherung. ({1}) Die Verunsicherung hat auch konkrete Gründe. Diese will ich gerne nennen in der Hoffnung, dass diese Koalition aktiv etwas dagegen unternimmt; denn sie ist auch der Grund für die Verunsicherung. Grund Nummer eins: das Förderchaos. ({2}) Thomas Jarzombek hat es bereits angesprochen: Etliche Professoren und Mitarbeiter an Hochschulen haben auf ihre Förderbescheide gewartet. Das Kommunikationschaos dieses Hauses war wirklich enorm. Das war kein gutes Signal. Das war verheerend für die ganze Community. Das hat für sehr viel Verunsicherung gesorgt. ({3}) Der zweite Grund: die Kürzungen. Daran sind Sie nicht allein schuld, Frau Stark-Watzinger. Ein Beispiel: Das Auswärtige Amt und Sie haben die Mittel bei Projekten unter anderem beim DAAD drastisch gekürzt. ({4}) Es geht um internationale Studenten, und solche die ins Ausland gehen wollten. Das sind genau die Studenten, die unter Corona gelitten haben und die wegen der Kürzungen – so viel zum Thema Chancengerechtigkeit – nicht ins Ausland gehen können. Sie können zwar sagen: Daran bin ich nicht schuld. Das ist Frau Baerbock. – Aber das kann Ihnen ja nicht gleichgültig sein. An den Hochschulen fehlen die Mittel, um die ukrainischen Studenten oder andere ausländische Studenten zu integrieren. Das ist ein fatales Signal, gerade in Zeiten des Fachkräftemangels und angesichts der ukrainischen Flüchtlingsbewegungen. Auch das hat für massive Verunsicherung gesorgt und tut es immer noch. ({5}) Grund Nummer drei: die Perspektiven. Wir reden hier quasi von einem Stillstand in Ihrem Etat. Ich habe mich gerade gefragt: Was war denn das für eine seltsame Attacke, Frau Ministerin, auf die Vorgängerregierung mit der Aussage, wir hätten die Mittel zurückgefahren? Ich will nur mal die Zahlen nennen: ({6}) Wir haben von 2010 bis 2020 eine Haushaltssteigerung um 80 Prozent gehabt. ({7}) Sie haben jetzt von 2023 bis 2026 ein Plus von 4 Prozent geplant. Wir haben inzwischen eine Inflation von 7 bis 8 Prozent. ({8}) Sie planen in den nächsten zwei Jahren ein kleines Plus und sagen, wir hätten gekürzt. Dabei gab es bei uns in zehn Jahren eine Steigerung von 80 Prozent, in der ganzen Regierungszeit von 150 Prozent. ({9}) Der Vorwurf, der hier am Rednerpult des Deutschen Bundestages von einer Ministerin erhoben wurde, ist wirklich völlig absurd. Ich bin völlig fassungslos! ({10}) Zum Thema 65‑Milliarden-Paket ist schon einiges gesagt worden. Die Wissenschaft und die Forschung gehen völlig leer aus, die Studenten bekommen immerhin 200 Euro. Nur, ich frage mich: Wissen Sie denn schon, wie das Geld zu den Studenten kommt? ({11}) Christian Lindner hat ja erklärt, Hunderttausend Überweisungen pro Tag seien der Verwaltung möglich. Vorausgesetzt, die Kontonummer liegt vor. Da bin ich auf eine Antwort aus Ihrem Haus gespannt. Die Studenten brauchen das Geld jetzt, nicht irgendwann. Damit komme ich auch schon zum vierten Punkt, der für die Verunsicherung an den Hochschulen und Instituten sorgt. Das sind die fehlende Kommunikation und auch die Planlosigkeit. Jeder, der eins und eins zusammenzählen kann, weiß, dass Sie all das, was Sie in Ihrem Koalitionsvertrag aufgeschrieben und versprochen haben, nicht halten können. Wie auch? ({12}) Sie planen mit einem Aufwuchs von 4 Prozent. Wir haben auf der anderen Seite die Inflation. Wir haben steigende Energiepreise. ({13}) Und wir haben im Koalitionsvertrag Versprechungen in einer wahnwitzigen Größenordnung. Das passt nicht zusammen. Sagen Sie entweder, wo Sie bei den bisherigen Ausgaben kürzen wollen, um die neuen Leuchttürme zu finanzieren, oder sagen Sie, auf welche Leuchttürme Sie verzichten wollen, damit das, was es schon gibt, auch kontinuierlich weitergeführt werden kann. Alles wird nicht gehen. Hier fehlt jegliche Kommunikation, hier fehlt jegliche Ehrlichkeit. Sagen Sie den Menschen im Land, woran sie sind. Das wäre vernünftiger. Das wäre ehrliche Politik. Ich verstehe nicht, dass man auf der einen Seite noch von Leuchttürmen sprechen kann und auf der anderen Seite diesen Realitäten nicht ins Auge sieht. Das ist wirklich unehrliche Politik. ({14}) Wenn Sie sagen, wir sollten Vorschläge machen, dann kann ich nur sagen: Wir machen Vorschläge. Unsere Anträge haben Sie bisher alle abgelehnt. ({15}) Wenn ich in Ihre Vorhabenplanung schaue, dann kann ich darüber nur sagen: Verzichten Sie einfach auf die DATI! Das ist eine Schnapsidee, die bisher noch keinen überzeugt hat. Stattdessen sind auch hier an den Hochschulen alle verunsichert, weil jeder sich fragt: Wo kratzen Sie das Geld zusammen, damit Ihr Lieblingsprojekt, die DATI, finanziert werden kann? Zum Startchancen-Programm. Das ist ja gut gemeint. Aber denken Sie wirklich, dass Sie strukturell etwas ändern, wenn Sie jede zehnte Schule im Land irgendwann in den nächsten Jahren – es gibt noch nicht mal ein Konzept – unterstützen? Ich finde, Sie sollten lieber dafür sorgen, dass das, was der Bund begonnen hat, nämlich die Länder und die Kommunen bei der Nachmittagsbetreuung zu unterstützen, vernünftig ausfinanziert wird. Ich bin der Meinung, dass Sie eher die Lehrkräftegewinnung unterstützen sollten, ({16}) die Digitalisierung der Schulen, die wir angefangen haben, und den Kampf gegen den Fachkräftemangel.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.

Nadine Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Hier würden Sie Chancengerechtigkeit schaffen. Deshalb meine Bitte: Beenden Sie die Verunsicherung an unseren Hochschulen! Verzichten Sie auf ideologische Projekte! Lassen Sie mehr Ehrlichkeit einkehren! ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Es folgt für die SPD-Fraktion die Kollegin Dr. Wiebke Esdar. ({0})

Dr. Wiebke Esdar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werte Gäste auf der Tribüne! Diese Zeiten sind herausfordernd für alle. Das macht die anstehenden Haushaltsberatungen besonders spannend und wahrscheinlich auch ein wenig herausfordernd. Aber wir als Ampelkoalition haben bereits drei Entlastungspakete vorgelegt, von denen alle Menschen in Deutschland profitieren. Weil wir jetzt in den Haushaltsberatungen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sind, will ich diese noch einmal aufgreifen und auch auf dich, liebe Petra Sitte, eingehen; denn wir wollen nicht die Behauptung stehen lassen, es gebe für Studierende nur 200 Euro Energiepreispauschale. Es gibt auch den Heizkostenzuschuss für BAföG-Empfänger/-innen. Wir haben das 9‑Euro-Ticket so ausgestaltet, dass diejenigen, die ein Semesterticket, ein Schülerticket oder ein Azubi-Ticket haben, schon jetzt von den Entlastungen profitieren werden. Ich setze auch darauf, dass die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber – ich bitte, das als Appell an diese zu verstehen –, nachdem wir nächste Woche im Rahmen der Konzertierten Aktion zusammengekommen sind und wir als Bundesregierung das Angebot gemacht haben, bis zu 3 000 Euro steuerfrei als Inflationsprämie auszugeben, nicht die Azubis vergessen. Unterschätzen Sie nicht die Wichtigkeit der Azubis für die nächsten Generationen. ({0}) Von Yasmin Fahimi, die bisher unsere Mitstreiterin in der SPD-Fraktion war, weiß ich, dass das vom DGB mit Sicherheit gefordert werden wird. Neben den direkten Entlastungen setzen wir natürlich weiter auf Energieunabhängigkeit; Olaf Scholz hat das gestern sehr eindrücklich dargestellt. Wir wollen einen Strompreisdeckel einführen. Ich bin im Übrigen auch der Meinung, dass wir noch einen richtig ausgestalteten Gaspreisdeckel brauchen. ({1}) Aber wenn wir an dieser Stelle ehrlich sind: Auch damit ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Wenn wir in Bildung und Forschung gut durch diesen Winter kommen wollen, dann brauchen wir Hochschulen, Schulen und Kitas, die ihre Stromrechnung bezahlen können, dann brauchen wir auch weiterhin günstiges Essen in den Mensen. Und dann brauchen wir Antworten auf die inflationsgetriebenen Preissteigerungen in allen Bereichen in Bildung und Forschung. ({2}) Weil wir im Bereich Bildung angekommen sind und weil ich auch auf Sie, Herr Jarzombek, eingehen möchte: Man hat es Ihrer Rede gar nicht entnehmen können, aber die originäre Zuständigkeit für Kitas, für Schulen und für Hochschulen liegt bei den Ländern. Ich als Bildungspolitikerin will an dieser Stelle einfach noch mal fragen: Welche Vorschläge kommen von den Ländern? Welche Vorschläge kommen denn von der Union? Wir haben hier noch keine gehört. ({3}) Aber der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz hat gestern in der Presse sehr deutlich die Drohung geäußert, er werde im Bundesrat nicht zustimmen, und er fordert noch mehr Entlastungen. Ich glaube, er ist beleidigt, weil man ihn nicht angerufen hat. ({4}) Aber meine Frage ist: Welche Hausaufgaben haben die Landesregierungen gemacht? Welche Vorschläge hat denn Hendrik Wüst eingebracht? ({5}) Ich will an dieser Stelle daran erinnern, weil das oft nicht so präsent ist: 52 Prozent der Steuereinnahmen des Staates gehen an die Länder. Mehr als die Hälfte der Steuereinnahmen geht an die Länder. ({6}) Dass die Ländervertreter sich hinstellen und alles Mögliche für ihren originären Bereich fordern, ohne mal zu differenzieren, ({7}) das finde ich schon ein bisschen schade. ({8}) Um das ganz konkret zu machen: Die Träger der Kitas in NRW dürfen qua Kinderbildungsgesetz keine Rückstellungen machen. Sie haben keine Rücklagen. Aber es gibt keinerlei Vorschläge der CDU-geführten Landesregierungen, wie diese mit den Kostensteigerungen umgehen sollen. In meinem Wahlkreis droht gerade ein Berufskolleg geschlossen zu werden, weil die AWO hier jedes Jahr 500 000 Euro zubuttern muss. Diese Ersatzschulen sind unterfinanziert und werden nicht auskömmlich finanziert. Da wird vermutlich ein Berufskolleg geschlossen, wo Erzieherinnen und Erzieher, also der Bereich, wo wir den größten Fachkräftemangel haben, ausgebildet werden können. Vorschläge der Landesregierung oder des Schulministeriums zu diesem Bereich sind nicht ersichtlich. Die Studierendenwerke, die auch durch die Länder finanziert werden, haben bereits Mitte August die Landesregierung um mehr Zuschüsse gebeten. Auch hier keine Antwort aus dem Wissenschaftsministerium. Ich zähle das deswegen auf – das passt leider auch zu den Reden, die ich heute von der Union gehört habe –, weil wir doch in einer Situation sind, die so ernst ist, dass jetzt nicht die Zeit ist, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Bei jedem, auch bei Herrn Wüst, ist es so, dass dann, wenn er mit einem Finger auf die Bundesregierung zeigt, drei Finger auf ihn zurückzeigen: der Finger des Kitaministeriums, des Schulministeriums und des Bildungsministeriums. ({9}) Es ist jetzt die Zeit, zu handeln; um das ganz klar zu sagen. In dem Haushalt, den wir verhandeln, den wir als Bundesregierung und Koalition vorgelegt haben, geht es jetzt darum, dass alle da, wo sie Verantwortung tragen, da, wo sie Gestaltungsmöglichkeiten haben, gemeinsam gestalten. Jeder sollte seiner Verantwortung gerecht werden. Konstruktive Oppositionspolitik an dieser Stelle bedeutet – das erhoffe ich mir für die nächsten Wochen –, eigene Vorschläge zu machen. Es ist nicht die Zeit, Blockaden im Bundesrat anzudrohen. ({10}) Meine Damen und Herren, uns liegt der Haushaltsplanentwurf für 2023 vor. Die erst mal sehr gute Nachricht für Bildung und Forschung ist, dass der Plafond in diesen herausfordernden Zeiten anwächst. Das ist auch nicht zu vergleichen mit der wirtschaftlichen Entwicklung, die wir in den letzten Jahren gehabt haben. All die Vergleiche, die wir gerade dazu gehört haben, finde ich, ehrlich gesagt, ein bisschen beschämend. ({11}) Wir haben uns im Koalitionsvertrag viel vorgenommen. Auch das ist ein Unterschied zu vorher: Wir sind in den Koalitionsverhandlungen wesentlich ambitionierter gewesen. Meine These ist: Wir werden trotz der herausfordernden Zeiten am Ende davon mehr umgesetzt haben, als es in der letzten Legislatur der Fall gewesen ist. ({12}) Wir verhandeln parallel zum jetzigen Haushalt das SprinD-Freiheitsgesetz. Wir wollen die DATI, die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation, gründen und an den Start bringen. Uns ist wichtig, dass dann, wenn es dafür einen eigenen Haushaltstitel gibt, die Forschungsförderung für Fachhochschulen darunter gefasst wird, aber es wird keine Förderlücke geben. Wenn die DATI nicht gegründet wird, geht das Forschungsgeld trotzdem an die Fachhochschulen. ({13}) Wir haben als Haushälterinnen und Haushälter in den letzten Verfahren schon sehr deutlich gemacht, wie wichtig uns die beiden Projekte sind, und wir werden sie weiter intensiv begleiten. In der Bereinigungssitzung im letzten Haushaltsjahr haben wir mit einem Maßgabebeschluss zum Ausdruck gebracht, wie wichtig uns das Startchancen-Programm ist. Und das bleibt uns als SPD-Fraktion weiterhin wichtig. Dazu finden wir bisher nichts im Ministeriumsentwurf. Darum werden wir darüber und über ganz viele andere Haushaltstitel in den nächsten Wochen sprechen. Ich freue mich darauf. Bis dahin gilt: You’ll never walk alone. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({14})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Es folgt für die AfD-Fraktion Dr. Michael Kaufmann. ({0})

Prof. Dr. Michael Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005100, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Wir stehen einmal mehr vor einem Haushaltsentwurf, der erkennen lässt, dass Bildung und Forschung für diese Regierung offenbar in der Rubrik „Kann man mal machen“ statt unter „Toppriorität“ angesiedelt sind. ({0}) Die Gesamtausgaben für die Forschungsförderung im weitesten Sinn liegen im vorliegenden Entwurf 2023 sogar leicht unter dem Niveau des laufenden Haushaltsjahrs 2022, und das bei einer Inflationsrate – optimistisch gerechnet – von rund 8 Prozent. Wenn das reichen soll, um Deutschland wieder zu einem der führenden Wissenschafts- und Innovationsstandorte zu machen, dann haben Sie wirklich den Bezug zur Realität verloren. ({1}) Nun sind mit DATI und SprinD zwei durchaus ambitionierte Projekte ins Leben gerufen worden. Allein ein Blick auf die Zahlen ist mehr als ernüchternd. Von den gut 337 Millionen Euro für die DATI fließen lediglich knapp 62 Millionen Euro in die konkrete Forschungsförderung. Das ist im Wesentlichen der Posten, der an anderer Stelle für die Forschung an Hochschulen für angewandte Wissenschaften, den HAWs, weggefallen ist; dann wurde auch noch gekürzt. Der Rest verteilt sich zum großen Teil auf so wohlklingende Begriffe und Positionen wie Vernetzung, Kooperation und Beratung. Meine Damen und Herren, echte Wertschöpfung entsteht in den Laboren und Forschungseinrichtungen und nicht in Diskussionsforen und Netzwerktreffen. ({2}) Wo bleibt denn die im Koalitionsvertrag versprochene Stärkung der HAWs? Mit diesem Entwurf werden – wie so oft in dieser Regierung – die Prioritäten auf den Kopf gestellt. Die DATI darf nicht als Strukturförderprogramm enden. Solange eine derartige Verengung der Förderziele erfolgt, ist der Wegfall des HAW-Haushaltpostens „Forschung an Fachhochschulen/Hochschulen für angewandte Wissenschaften“ nicht vertretbar. Frau Ministerin, das ist das Gegenteil von Planungssicherheit. Natürlich leidet auch dieser Haushalt wieder an technologischer Einseitigkeit. Statt alle Chancen technologieoffen zu prüfen, werden einseitig über 100 Millionen Euro für Wasserstoff aus erneuerbaren Energien bereitgestellt – ein in unseren Breiten utopisches Vorhaben. Zugleich ist kein einziger Cent für andere Zukunftstechnologien wie die energetische Nutzung der Kernenergie vorgesehen. Dabei eröffnet die Kerntechnik wirtschaftliche Chancen für unsere Industrie. ({3}) Die Kerntechnik ist genauso wie die Wasserstofftechnik eine EU-anerkannte Grüne Technologie, die unsere Energieprobleme nachhaltig lösen kann. ({4}) Trotzdem entscheidet sich Deutschland einmal mehr für einen irrationalen und gefährlichen Sonderweg. Forschung und Wissenschaft brauchen den Freiraum und die Mittel, neue, zukunftsweisende Ideen zu entwickeln und in die Praxis umzusetzen. Vielen Dank. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Es folgt die Abgeordnete Nina Stahr für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Nina Stahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005227, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin! Der Regierungsentwurf 2023 ist ein Entwurf in herausfordernden Zeiten. Der russische Angriffskrieg trifft natürlich alle hart, vor allem die Ukrainerinnen und Ukrainer. Und deswegen ist für uns klar: Wir werden weiter solidarisch an der Seite der Ukraine stehen. ({0}) Aber auch hier spüren wir die Auswirkungen, die uns allen viel abverlangen und ganz besonders den Menschen, die ohnehin wenig Geld haben. ({1}) – Meine Güte! Vielleicht gehen Sie alle mal zur Parlamentsärztin und lassen sich Blutdrucksenker verschreiben. So können Sie heute Nacht nicht schlafen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Also wirklich! ({2}) Die Gaspreiserhöhungen treffen beispielsweise Studierende besonders hart. Deswegen freue ich mich sehr, dass wir alle Studierenden und Fachschüler/-innen mit einer Einmalzahlung von 200 Euro entlasten können, und das zusätzlich zum Heizkostenzuschuss und zu den anderen Maßnahmen, die sie schon bekommen haben. Trotz der äußerst angespannten Haushaltslage konnten wir im vorliegenden Haushaltsentwurf die historische BAföG-Reform solide ausfinanzieren. ({3}) Mehr Menschen werden schon ab dem Wintersemester mehr BAföG bekommen, und das bringt mehr Bildungsgerechtigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Ein weiterer Erfolg im Regierungsentwurf, für den wir Bündnisgrünen uns starkgemacht haben: Mit diesem Haushalt beginnt die Dynamisierung der Mittel für den Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken“. Das heißt, jedes Jahr werden von nun an verlässlich 3 Prozent mehr Geld in die Hochschulen gehen. Das bedeutet bessere Studienbedingungen, bessere Lehre und bessere Arbeitsbedingungen in der Forschung, meine Damen und Herren. ({5}) Wir wissen: Die Zukunft des Landes hängt von guter Bildung, Ausbildung und Wissenschaft ab. Das sichern wir mit diesen Schwerpunkten im Haushalt. ({6}) Dennoch möchte ich auch betonen, dass wir uns hier erst einmal mit einem Entwurf befassen. Im Laufe des parlamentarischen Verfahrens werden natürlich wir Abgeordnete an einigen Stellen noch nachbessern. Ja, die Haushaltslage ist angespannt. Aber es macht mir schon wirklich Sorge, wenn in der Wissenschaftscommunity immer mehr vom verlorengegangenen Vertrauen aufgrund der Nichtverlängerung ganzer Förderlinien die Rede ist. Jetzt gilt es, dieses Vertrauen zurückzugewinnen. Wissenschaft und Forschung brauchen verlässliche Rahmenbedingungen. Dazu gehört auch, dass man sich auf in Aussicht gestellte Bewilligungen verlassen können muss. ({7}) Ich bin froh, dass es bei der Förderlinie „Rechtsextremismusforschung“ gelungen ist, zumindest das Schlimmste zu verhindern; denn gerade jetzt, wo unsere Demokratie wieder von extrem rechts massiv bedroht wird, wäre es ein fataler Fehler, in diesem Bereich zu kürzen. ({8}) Gerade jetzt in Zeiten der Pandemie und der hybriden Bedrohung durch Russland greifen Desinformationskampagnen und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit immer mehr um sich. ({9}) Genau hier kann die Wissenschaft einen essenziellen Beitrag leisten, und deshalb müssen wir sie hier auch endlich gut ausfinanzieren. ({10}) Es ist kein Geheimnis: Auch bei der Klimaforschung haben wir natürlich noch Gesprächsbedarf. Es ist gut, dass wir die Finanzierung für das Forschungsschiff „Polarstern II“ auf den Weg gebracht haben. Das wird einen wichtigen Beitrag zur Klimaforschung leisten. ({11}) – Meine Güte! Echt! – Aber auch Fördermaßnahmen wie BioTip, die sich unter anderem mit den Folgen der Klimakrise beschäftigen, sind noch nötiger als je zuvor. Die Klimakrise ist eine existenzielle Bedrohung. Wissenschaft und Forschung können hier einen Beitrag leisten, und auch das müssen wir entsprechend ausfinanzieren. ({12}) Grundsätzlich müssen wir uns auch den Bildungsbereich noch mal genau ansehen. In vielen Branchen haben wir ein fatales Fachkräfteproblem. Gestern fand der Fachkräftegipfel der Bundesregierung statt. Ich bin froh, dass die Ministerin die große Relevanz der beruflichen Bildung sieht. Und das macht mich zuversichtlich, dass wir es noch schaffen werden, das in diesem Haus-halt entsprechend abzusichern; meine Kollegin Anja Reinalter wird dazu gleich noch mehr sagen. ({13}) Meine Damen und Herren, jeder Cent, den wir heute in Bildung stecken, zahlt sich mehrfach aus. Jeder Cent, den wir heute an Bildung und Forschung sparen, wird uns später deutlich mehr kosten. Deswegen ist für uns klar: Wir dürfen uns nicht weiter in diese Krise hineinsparen. Deswegen sollten wir noch mal ehrlich und offen über Finanzierungsmöglichkeiten sprechen. Ja, das bedeutet meiner persönlichen Meinung nach auch, dass wir uns unter Umständen die Schuldenbremse noch mal anschauen müssen. Auch das ist für mich eine Frage der Generationengerechtigkeit. ({14}) In diesem Sinne: Ich freue mich sehr auf das parlamentarische Verfahren. Vielen Dank. ({15})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Es folgt Daniela Ludwig für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Daniela Raab (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wir sollten uns die Schuldenbremse vielleicht noch mal anschauen“: Ich wollte eigentlich mit dem Startchancen-Programm beginnen. Wenn Sie sich die Schuldenbremse noch mal anschauen wollen, dann ist das genau das Gegenteil von Start und Chancen für die zukünftigen Generationen, meine liebe Kollegin. ({0}) Darüber sollten Sie vielleicht noch mal dringend nachdenken. ({1}) Wo wir sehr bei Ihnen sind, ist die Frage: Wie priorisieren wir knappe Mittel richtig? Ich habe das Stichwort schon genannt – ich habe es heute auch aus Ihren Reihen öfter gehört –: Startchancen-Programm. Bisher haben wir nur die Begrifflichkeit gehört. Das zog sich auch schon durch die letzte Haushaltsdebatte. Wir warten nach wie vor sehnsüchtig auf Inhalte dieses Programms. Wir halten es durchaus für richtig, wenn sich der Bund weiter in der Verantwortung sieht, an Brennpunktstandorten etwas zu tun. ({2}) Jetzt müssen Sie mir aber mal helfen. Ich habe Ihren Reden entnommen: Der Bildungsföderalismus ist sehr wichtig, und Sie sind dafür eigentlich gar nicht zuständig. – Machen Sie das Startchancen-Programm genau aus diesem Grunde dann doch nicht, oder gilt das nur für Dinge, die elf Jahre lang wie das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“, noch von den alten Regierungen aufgelegt, super funktioniert haben? Dürfen Sie all das mit der Begründung, dass das bitte die Länder machen sollen, einstampfen? Diese Logik – diese fehlt mir hier – sollten Sie mir vielleicht noch mal erklären. ({3}) – Nein, das ist nicht verständlich. – Sie wollen ein Startchancen-Programm einschließlich der Förderung von Brennpunktschulen machen. ({4}) Sie stampfen aber gleichzeitig das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ mit der liebevollen Begründung ein: Das sollen doch die Länder allein machen. – Sie zerstören funktionierende Strukturen. ({5}) Sie nehmen billigend in Kauf – das geschieht auf dem Rücken der Kinder –, dass zum 31. Dezember perfekt ausgebildete Fachkräfte auf der Straße stehen, ohne die Chance einer Weiterbeschäftigung. Sie nehmen billigend in Kauf, dass die entstandenen Bildungslücken durch Corona nicht geschlossen werden. Wir können uns trefflich streiten, ob die Schulschließungen richtig waren oder nicht. Ich war immer eine Kritikerin von Schulschließungen, gar kein Thema. ({6}) Das hilft mir aber jetzt nichts. Wir müssen den Kindern helfen, bei denen Bildungslücken entstanden sind. Wir haben das Programm „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ mit einem Volumen von 2 Milliarden Euro aufgelegt. Auch dort kann man trefflich darüber streiten, dass der eine oder andere Euro vielleicht nicht da angekommen ist, wohin er gehen sollte. Man hätte natürlich in Zeiten, wo Entscheidungen brenzlig und schwierig waren und schnell getroffen werden mussten, vielleicht darüber nachdenken können, ob wir zuerst einmal eine Bildungsstanderhebung durchführen sollten, unter besonderer Berücksichtigung der Frage: Wem hilft das vor Ort? Es war richtig, dass wir etwas gemacht haben. Wir machen es auch mit den Ländern, wohl wissend, dass das vielleicht nicht alle alleine tun können. ({7}) Aber ich halte es für richtig, dass wir uns als Bund in die Verantwortung nehmen lassen. ({8}) Darum, liebe Frau Ministerin, akzeptiere ich auch nicht, dass Sie sich einen schlanken Fuß machen und sagen, das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ falle in die Zuständigkeit der Bundesfamilienministerin. Ich glaube, für Kinder sind wir alle zuständig. ({9}) Wenn es um die Bildung der Kinder geht, dann hätte ich von der Bildungsministerin zumindest mal ein Veto erwartet, als es darum ging, die Förderung für Sprach-Kitas zu beenden. ({10}) Denn was das vor Ort jetzt auslöst, ist fatal. ({11}) Wir als Union haben heute, lieber Kollege Jarzombek, einen Kitagipfel dazu gemacht. Nadine Schön, es waren über 500 Leute zugeschaltet. Die Kitas, die es betrifft – es sind in jedem Wahlkreis sehr viele betroffen, und zwar nicht nur in den städtischen Bereichen, sondern auch im ländlichen Raum –, sind wirklich verzweifelt. ({12})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Daniela Raab (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. – Sie sind verzweifelt, und zwar nicht nur, weil es um die Zukunft der einzelnen Fachkräfte, sondern auch, weil es um die Kinder geht. Wir werden für die Bildungslücken, die wir jetzt nicht schließen, später sehr teuer bezahlen. ({0}) Und das kann ich Ihnen ehrlicherweise echt nicht durchgehen lassen. Der Fehler, den Sie sich erlauben, ist so groß, dass Sie ihn sicherlich noch sehr lange spüren werden; das verspreche ich Ihnen. Wir werden Sie da nicht aus der Verpflichtung lassen. ({1}) Lassen Sie uns gerade bei diesem Förderprogramm gemeinsam darüber reden, wie wir es verstetigen können. Wir bieten Ihnen hier die Zusammenarbeit an. Es ist wichtig für unsere Kinder. Wir müssen das Programm verstetigen. Ziehen Sie sich nicht zurück auf die total simple und niveaulose Argumentation: Sollen es die Länder halt alleine machen! Wir wollen – Sie wollen es doch auch – Chancengleichheit. Wenn wir Chancengleichheit herstellen wollen, dann brauchen wir gerade für die sprachliche Bildung flächendeckend die gleichen Rahmenbedingungen. Lassen Sie es uns gemeinsam machen. Wir stehen zur Verfügung. Uns sind es die Kinder definitiv wert. Vielen Dank. ({2})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für eine Kurzintervention erteile ich das Wort Gyde Jensen.

Gyde Jensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004941, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie die Kurzintervention zulassen. – Frau Kollegin Ludwig, wir haben gestern bei dem entsprechenden Einzelplan ja auch über die Sprach-Kitas debattiert. Weil Sie gesagt haben, dass Bildung uns alle angeht – dem möchte ich ausdrücklich zustimmen –, und Sie sich ja sehr überrascht darüber zeigen, dass die Programme für Sprach-Kitas, wie Sie es formulieren, auslaufen, möchte ich Sie fragen, ob Sie als Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker, als Haushälterinnen und Haushälter mal in die mittelfristige Finanzplanung der letzten Jahre geschaut haben. Da ist kein Geld mehr eingestellt worden, weil geplant war – planmäßig! –, dass diese Sprach-Kita-Programme auslaufen. Was wir gestern in der Haushaltsdebatte aber auch gehört haben, ist, dass der Bundesfinanzminister gemeinsam mit der Familienministerin vereinbart hat, dass dafür in den nächsten zwei Jahren jeweils 2 Milliarden Euro zur Verfügung stehen und besonders in Qualität investiert wird. Unter „Qualität“ kann man unter anderem extrem die Sprachförderung fassen. Wir setzen uns gemeinsam mit dem Ministerium in der Koalition dafür ein, dass genau aus diesen Mitteln auch ein Übergang finanziert wird, um die Länderstrukturen zu finanzieren, bis sie aufgebaut wurden. Ich finde, das können Sie doch mit uns unterstützen. Wir freuen uns an dieser Stelle auf eine konstruktive Zusammenarbeit; denn das, was Sie hier gestern in der Debatte über den Einzelplan 17, den Haushalt des Familienministeriums, gemacht haben, war nicht konstruktiv, sondern das war das Schüren von Angst auf dem Rücken der Kinder und auf dem Rücken der Fachkräfte, die das betrifft. Das finde ich nicht konstruktiv. Wir werden Ihnen diese Zusammenarbeit selbstverständlich anbieten und freuen uns auf die Debatte in den nächsten Wochen. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Frau Abgeordnete Ludwig, Sie dürfen antworten.

Daniela Raab (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, vielen Dank. – Die 2 Milliarden Euro, die Sie ansprechen, Frau Kollegin, haben nichts mit den Sprach-Kitas zu tun – und das wissen Sie auch –, sondern mit der Fortschreibung des Gute-KiTa-Gesetzes. ({0}) Uns geht es jetzt dezidiert um ein gut laufendes, über Jahre immer wieder evaluiertes Bundesprogramm, das sich ganz spezifisch auf die sprachliche Bildung konzentriert. ({1}) Nach Corona sehen wir jetzt die großen Lücken, und ausgerechnet jetzt gehen Sie her und sagen: Jetzt lassen wir das Programm auslaufen, und wir sagen euch das drei Monate vorher; viel Spaß bei der Umsetzung. – So geht es nicht, und das ist auch von Ihnen nicht konstruktiv. Da lassen Sie die Leute vor Ort, die sich um die Kinder kümmern, im Regen stehen. ({2}) Wir haben angeboten: Lassen Sie uns spezifisch über die Sprach-Kitas reden. ({3}) – Wer laut brüllt, hat nicht automatisch recht. ({4}) Aber das wissen Sie am besten. – Lassen Sie uns gerne miteinander über die Sprach-Kitas reden, aber vermengen wir bitte nicht das Gute-KiTa-Gesetz und das angekündigte KiTa-Qualitätsgesetz. Das hat damit nullkommaüberhauptnichts zu tun. ({5}) Uns geht es darum, dass Sie jetzt riskieren, dass zum 31. Dezember 2022 funktionierende, permanent evaluierte Strukturen unwiederbringlich kaputtgehen. Die ziehen Sie am 2. Januar auf die Schnelle nicht wieder hoch. ({6}) Das ist unsere Befürchtung, und das möchten wir verhindern. ({7})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Das Wort erhält der Abgeordnete Dr. Stephan Seiter für die FDP-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Stephan Seiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005220, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mein Manuskript, das ich vorbereitet habe, jetzt einfach zur Seite gelegt. ({0}) Warum? Auch ich war im Sommer unterwegs und habe knapp 20 Hochschulen besucht – ich komme ja, wie Sie wissen, aus der Community –, und die Unsicherheit ist wirklich groß. Die Unsicherheit ist deswegen groß, weil niemand so richtig weiß, wie es in unserer Volkswirtschaft weitergeht, wie es mit den Steuereinnahmen aussehen wird und wie das dann letztendlich Auswirkungen nicht nur auf 2023, sondern auch auf 2024, 2025, 2026 haben wird. Viele Stimmen haben mir gesagt: Wenn ihr das in Berlin diskutiert, dann diskutiert das bitte ohne Polemik, ohne parteipolitische Interessen, sondern kümmert euch darum, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, mit denen wir in der Zukunft ordentlich arbeiten können. Es wurde auch gesagt, dass Verständnis dafür da ist, dass Förderlinien auslaufen werden. Klar ist man enttäuscht, wenn es die Linie, auf die man gehofft hat, nicht wieder gibt, aber das Verständnis dafür ist da. Ich denke, da können wir wieder Vertrauen aufbauen und entsprechend arbeiten. Eines muss ich hier auch sagen: Heute wird kritisiert, dass es im Übergang von der letzten zu dieser Regierung Schwierigkeiten gibt. Diese Erfahrung, dass es Unterbrechungen gab, habe ich selbst dann gemacht, wenn die gleiche Partei dauerhaft an der Regierung war. Das ist eine Erfahrung aus dem Leben. Was bedeuten die knappen Mittel? Es bedeutet, dass wir letztendlich priorisieren müssen, und diese Priorisierung hat stattgefunden. Ich finde es interessant, dass einerseits die Priorisierung gefordert wird, während sie andererseits, wenn sie dann stattfindet, tatsächlich wieder kritisiert wird. Klar, weil vielleicht bei der Priorisierung Projekte dabei sind, die man selbst nicht so gerne gehabt hätte. ({1}) Wir haben Projekte auf den Weg gebracht, die im Klimabereich Wirkungen zeigen werden – „Polarstern II“ –, und wir haben Dinge wie zum Beispiel die MINT-Förderung auf den Weg gebracht. Wir haben in diesem Land das riesige Problem, dass die Nachfrage nach MINT-Studiengängen zurückgeht. Darum müssen wir uns kümmern, und darum kümmert sich auch diese Ampelkoalition. Wir haben auch strategische Ausrichtungen vor. Da muss ich Ihnen eines sagen: Ein Ministerium denkt lieber vielleicht eine Runde länger nach, als Dinge in einem Schnellschuss zu beschließen, die den Bürgern kurz mal einen höheren dreistelligen Millionenbetrag kosten. ({2}) Damit komme ich zum Schluss. Ich möchte einfach sagen: Ich freue mich auf die Vorschläge aus der Opposition. Es gibt viele Dinge, die wir diskutieren können – Thema „berufliche Bildung“, andere Dinge –, aber lassen Sie uns das zielorientiert und ohne Polemik tun. Vielen Dank. ({3})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als nächster Redner erhält das Wort Marcus Bühl für die AfD-Fraktion. ({0})

Marcus Bühl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004687, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die geplanten Mittel für das Bildungs- und Forschungsministerium liegen auch für 2023 bei etwa 20 Milliarden Euro. Der Haushalt ist ein Gemischtwarenladen mit sinnvollen Hochtechnologieprojekten, wie dem Teilchenbeschleuniger in Darmstadt, hinter dem wir natürlich stehen, aber leider auch mit jeder Menge links-grüner Ideologie, bei der wir streichen werden. ({0}) Auch für 2023 priorisieren Sie privat organisierte Agenturen, wie zum Beispiel die DATI – sie wurde schon mehrfach genannt –, bei der wir die deutliche Gefahr von Doppelstrukturen zulasten der Steuerzahler sehen. Einen weiteren Fehler begehen Sie bei der viel zu kurz gefassten Förderung der beruflichen Bildung. Die sinkenden Ausbildungszahlen im Handwerk und in der Industrie sind eine Katastrophe für unsere Wirtschaft. ({1}) Sie sind das Resultat einer jahrzehntelangen Überakademisierung. ({2}) Unsere duale Ausbildung ist ein Erfolgsmodell, das weltweit einen guten Ruf genießt. ({3}) Frau Ministerin, es ist höchste Zeit, dass die berufliche Bildung wieder umfassend wertgeschätzt und intensiv gefördert wird, anstatt sich, wie seit vielen Jahren, einseitig auf akademische Laufbahnen zu konzentrieren. ({4}) Um Bildung zu vermitteln, brauchen wir genügend Lehrer und moderne Schulgebäude, und da sieht es genauso katastrophal aus. Die vielen Unterrichtsausfälle sind nichts anderes als ein Skandal. Die Verantwortlichen in den Ländern hatten genug Zeit, für mehr ausgebildetes Personal und sanierte Schulen zu sorgen. Stattdessen sehen wir einen schlecht umgesetzten DigitalPakt Schule, bei dem der Bundesrechnungshof über mangelnde Bedarfsprüfungen und viel zu bürokratische Prozesse und Abläufe berichtet. ({5}) Die marode Substanz unserer Schulen ist mittlerweile ein massives Problem. Was nützt das neueste Tablet, wenn keine Lehrer da sind, um zu unterrichten, die sanitären Einrichtungen nicht funktionieren, der Putz von den Wänden fällt oder Fenster nicht zu öffnen sind? Der immens hohe Investitionsrückstand wird mittlerweile auf über 46 Milliarden Euro beziffert und belegt die anhaltende Vernachlässigung von Schulinfrastruktur durch die Bundesländer. ({6}) Wir wollen einen Zukunftspakt Schule schaffen, der Kommunen bei Schulsanierungen hilft. Die Sanierung unserer Schulen ist dringend notwendig – ein Konjunkturimpuls und eine Zukunftsinvestition. Frau Ministerin, der Bund kann nicht tatenlos zusehen. Es ist Zeit, zu handeln. Wir werben daher um die Unterstützung für unseren Antrag. Vielen Dank. ({7})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächste Rednerin ist für die SPD-Fraktion Maja Wallstein. ({0})

Maja Wallstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Guten Abend Ihnen auf der Tribüne und vielen Dank, dass Sie so lange aushalten – und das auch noch bei einem Thema wie dem Bundeshaushalt in so einer schwierigen Situation! Wir haben einen Haushalt, der wahnsinnig unter Druck ist – das ist allen klar –, und da heißt es mehr denn je, Prioritäten zu setzen. Und das ist ein heißes Eisen. Probieren Sie es mal aus! Sprechen Sie mal im Familien- oder Freundeskreis darüber, und fragen Sie mal: Was wäre aus deiner Sicht das wichtigste politische Feld in der aktuellen Lage? Und da sagt die eine natürlich „Gesundheit“, der andere sagt „Solidarität mit Schwächeren“, „die wirtschaftliche Stabilität Deutschlands“, „Bildung“ oder natürlich auch „Frieden“. So etwa stelle ich mir das im Übrigen auch im Kabinett vor. Das Problem ist: Alle haben natürlich recht. Natürlich müssen wir das alles irgendwie zusammen hinkriegen. Die gute Nachricht ist: Ich habe da eine Lösung. Aber die verrate ich erst am Ende meiner Rede. Ihnen, liebe Frau Ministerin Stark-Watzinger, ist es trotz der Zwänge gelungen, dass für Bildung und Forschung nächstes Jahr rund 200 Millionen Euro mehr ausgegeben werden sollen als dieses Jahr, und dafür möchte ich Ihnen meinen Respekt aussprechen. Vielen Dank. ({0}) Wir müssen aber das klare Bekenntnis zu unseren Hochschulen im Koalitionsvertrag mit den richtigen Zahlen im Haushalt unterlegen. Es sind die Hochschulen, die gerade mit großem Engagement Studierende aus der Ukraine willkommen heißen. ({1}) Es sind die Hochschulen, die seit fünf Semestern Coronapandemie sehr darum kämpfen, dass ihre Studierenden trotzdem die bestmöglichen Studienbedingungen haben. Die Hochschulen in Brandenburg und auch anderswo haben bereits jetzt Pläne für den Winter erstellt, wie die Präsenzlehre auch bei Gasknappheit weitergehen kann. Pandemie, Klimakrise, Transformation, Krieg: Für all diese Herausforderungen kann Forschung Antworten liefern. Und mit Blick auf die pöbelnden Herrschaften hier rechts im Haus, die sich ja einen dramatischen Winter wünschen, ({2}) wie wir wissen, möchte ich den Fokus für die Bedeutung der Resilienzforschung schärfen. Es geht um die Widerstandsfähigkeit unserer Gesellschaft gegen flache Parolen. Es geht um den gesellschaftlichen Zusammenhalt, der gerade in der Krise besonders wichtig ist. ({3}) Wir müssen der Krise auf allen Ebenen Herr werden. ({4}) – Sie wollen der Krise doch überhaupt nicht Herr werden. ({5}) Sie brauchen die Krise, und das macht mich wütend. Das macht mich wütend! ({6}) Viele Menschen in meinem Wahlkreis in der Lausitz, wundervolle Menschen, haben nach bestem Wissen und Gewissen merkwürdigerweise ein Kreuz bei Ihnen gemacht, in der Annahme, dass Sie sich für sie einsetzen werden, aus Sehnsucht nach Normalität, nach Frieden und Ruhe. ({7}) Aber Sie stehen für das Gegenteil. Sie brauchen Unruhe; Sie brauchen Verzweiflung. Das ist doch das Lebenselixier der AfD. ({8}) Und das geben Sie mittlerweile ja schon offen zu. Sie freuen sich auf einen heißen Herbst, feuern den an und wollen den auf unseren Straßen austragen. Sie missbrauchen Ihre Wählerinnen und Wähler. ({9}) Sie nehmen uns alle, insbesondere uns Ostdeutsche, in Geiselhaft, und das mache ich Ihnen zum Vorwurf. Es geht Ihnen nicht um ein normales Deutschland. Was normal ist, passt nämlich eigentlich überhaupt nicht in die Welt der AfD; denn normal ist jede einzelne vielfältige Facette in unser aller Leben. ({10}) – Wissen Sie was? Schreien hat bei mir überhaupt keine Wirkung; denn ich bin Fußballschiedsrichterin. Nur weil einer schreit, ändere ich nicht meine Meinung. ({11}) Wir brauchen Forschung zu gesellschaftlicher Resilienz, zu Zusammenhalt, Demokratie und Frieden. Wir brauchen eine verlässliche Förderung der Geistes- und Sozialwissenschaften. ({12}) Ich nehme hier das Ministerium beim Wort. So, jetzt die Lösung: ({13}) Ich bin nicht glücklich mit der Einnahmeseite, auf der dieser Haushaltsentwurf basiert, aber hier ein Versprechen: Wenn Sie, liebe Frau Ministerin, bei Ihrem Parteikollegen, beim Finanzminister Christian Lindner, vorstellig werden und erfolgreich für eine stärkere Einnahmeseite werben – zum Beispiel Schuldenbremse, Vermögensteuer, Erbschaftsteuer; es gibt viele Ideen –, dann bewerbe ich mich um den Posten als erste Vorsitzende Ihres Fanklubs. Vielen Dank. ({14})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält jetzt das Wort Kerstin Radomski. ({0})

Kerstin Radomski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004382, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geehrte Frau Ministerin! Ich stelle fest, hier sind viele Menschen versammelt, die sich wirklich ernsthaft um das Thema „Bildung und Forschung“, Herr Jarzombek, bemühen, und uns allen tut diese Uhrzeit offensichtlich nicht besonders gut. ({0}) Ich habe noch nie – und ich bin neben Ekin Deligöz wirklich die älteste Haushaltspolitikerin, die diesen Einzelplan betreut – so eine Debatte erlebt ({1}) – die langjährigste, Entschuldigung –, und ich möchte jetzt zum Schluss etwas Ruhe in diese Debatte reinbringen. ({2}) Am Anfang muss ich jetzt zum einen sagen: Auch wenn einige Vorredner versucht haben, die Bewährungsfrist der neuen Bundesregierung auszudehnen: Sie ist jetzt vorbei. Das ist der zweite Haushalt, den Sie vorlegen, Frau Ministerin, ({3}) und natürlich schauen wir auf den Haushalt. Wir schauen auf Ihren Entwurf und darauf, was anders gemacht werden kann. Im Gegensatz zu manchem Vorredner sehe ich zum anderen aber schon, dass wir diesen Haushalt in schwierigen Zeiten diskutieren; das sei einmal gesagt. Vielleicht gehen die Emotionen an dieser Stelle genau aus diesem Grund auch so hoch. Weil Oppositionsfraktionen gerne unterstellt wird, schon um des Kritisierens willen das Haar in der Suppe zu suchen, fange ich jetzt mal anders an und hebe den Konsens hervor. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass derzeit viel zu tun ist, um diese Herausforderungen zu meistern. Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine und der Verknappung bei den Energieträgern sind viele Anstrengungen nötig, gerade auch in der Umwelttechnologie. Was die Installation von Solaranlagen oder von Heizungen, etwa Wärmepumpen, betrifft, stellen wir alle gemeinsam eines fest: Uns fehlen die Fachkräfte. An der Stelle spreche ich wieder als Vertreterin der Opposition, Frau Ministerin. Uns fehlen die Fachkräfte, uns fehlen die Auszubildenden; es fehlt an vielem in Deutschland. Und dann kann man natürlich eines nicht tun: Man kann nicht gerade in dem Bereich „Berufliche Bildung“ streichen, obwohl auch ich als Haushälterin weiß, dass Geld nicht alles ist. Man kann natürlich auch neue Strukturen schaffen, man kann Dinge anders angehen. Dass wir vor diesen Herausforderungen stehen, dass uns die Fachkräfte fehlen und dass uns die Auszubildenden fehlen, um für die Zukunft all das zu erreichen, was vielen von uns wichtig ist, ist, glaube ich, inzwischen jedem klar. ({4}) Ich habe hier eine Ampelkoalition vor mir, die heute mal nicht miteinander gestritten, sondern viel auf der Vergangenheit abgeladen hat. Ich möchte aber zu Ihrem Einzelplan zurückkommen und frage mich, ob da immer Einigkeit zwischen Ihnen besteht. Ich frage zum Beispiel die Grünen – Sie haben ja noch die Chance, darauf zu antworten –: Was meinen Sie dazu, dass die Mittel für die Strategien zur Durchsetzung von Chancengerechtigkeit für Frauen in Bildung und Forschung gekürzt werden? Ich kann auch die SPD fragen: Was sagen Sie dazu, dass für die sozial- und geisteswissenschaftliche Forschung rund 10 Millionen Euro weniger angesetzt sind? ({5}) Und: Ist es vielleicht im Sinne der Grünen, schon zum wiederholten Male bei allen Titeln der Gruppe „Nachhaltigkeit, Klima, Energie“ zu kürzen? Nein, liebe Ampel, es reicht nicht, dass man ein Forschungsschiff auf den Weg gebracht hat. Nein, Geld in einen Haushalt einzustellen, ist nicht „auf den Weg gebracht“. Dazu gehört eine Ausschreibung, dazu gehört sehr viel mehr, als einfach nur Geld in ein Schaufenster zu stellen. Ich freue mich, wenn wir irgendwann dieses neue Forschungsschiff haben; aber noch haben Sie leider nichts auf den Weg gebracht. ({6}) Wenn ich jetzt mal an Ihren Ampelkoalitionsvertrag denke – wie wenig davon in den letzten Monaten umgesetzt worden ist, haben wir schon gehört –, muss ich sagen: Da gibt es ein Gesetzesvorhaben, das jetzt immer gelobt wird, nämlich die BAföG-Reform. Ich würde von einem Reförmchen sprechen; aber das ist das, was umgesetzt wurde. ({7}) In dem Ministerium für Bildung und Forschung sitzen 1 400 Mitarbeiter. Bitte geben Sie als Ampel und auch Sie, Frau Ministerin, denen eine Chance, zu arbeiten und Dinge voranzubringen. ({8}) Im Haushaltsentwurf fehlt das schon viel erwähnte Startchancen-Programm. Dabei steht es im Koalitionsvertrag und wurde in einem Maßgabebeschluss der Ampelkoalition schon für den Haushalt 2023 gefordert. Auch das noch ausstehende schlüssige DATI-Konzept fehlt. Und ja, Frau Esdar, ich weiß, was konstruktive Oppositionspolitik ist. In den letzten Beratungen habe ich angemahnt, eine Sperre in Bezug auf die DATI zu setzen, und ich bin froh, dass wir das alle gemeinsam gemacht haben. Das ist konstruktive Oppositionspolitik. Aber wir sollten hier in Anbetracht der großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, vielleicht nicht darauf verfallen, über Länderpolitik zu reden; denn das hier ist der Deutsche Bundestag, und alles andere kann dann in den Landtagen besprochen werden. ({9}) Meine Damen und Herren, angesichts des ersichtlichen Handlungsbedarfs freue ich mich auf die vor uns liegenden Haushaltsberatungen. Ich möchte diese konstruktiv mit Ihnen angehen. Ich glaube, wir können an der Stelle gemeinsam viel erreichen. Wir werden uns natürlich weiterhin auch kritisch zu bestimmten Positionen äußern. Ich wünsche uns allen einen schönen Abend und gute Beratungen. Danke schön. ({10})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin erhält das Wort Dr. Anja Reinalter für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Prof. Dr. Anja Reinalter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005187, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Ja, wir reden über den Einzelplan 30, und darum reden wir natürlich auch über berufliche Bildung. Ich habe aufmerksam zugehört und bin Ihnen dankbar, Frau Kollegin Radomski, dass auch Sie jetzt das Thema „Fachkräfte und berufliche Bildung“ angesprochen haben; denn berufliche Bildung ist der Hebel im Kampf gegen den Fachkräftemangel. Bis 2030 werden uns durch den Fachkräftemangel sage und schreibe 4,2 Milliarden Arbeitsstunden fehlen. Das sind 4,2 Milliarden Arbeitsstunden, in denen keine Wärmepumpen installiert werden, in denen keine Häuser gedämmt werden, in denen keine Elektrobusse gebaut werden. Das sind 4,2 Milliarden Arbeitsstunden, die uns im Kampf gegen die Klimakrise fehlen. Und diesen Kampf können wir nicht verlieren. ({0}) Darum investiert die Ampel in diesem Haushalt in die berufliche Bildung und in die Qualifizierung von Arbeitskräften. Denn ohne Fachkräfte wird uns das Klima um die Ohren fliegen; das ist Fakt. Darum machen wir die Aus- und Weiterbildung attraktiver. Wir haben die seit Jahren überfällige Reform des BAföG auf den Weg gebracht und 850 Millionen Euro dafür im Haushalt bereitgestellt; das sind 66 Millionen Euro mehr als im letzten Jahr. Davon profitieren Studierende und natürlich Schülerinnen und Schüler sowie Azubis. Und wir investieren in eine moderne und digitale berufliche Bildung. Mit 20 Millionen Euro für das Projekt InnoVET und mit 29 Millionen Euro für den Innovationswettbewerb Invite stärken wir – und das ist zentral – die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung. ({1}) Sehr geehrte Frau Ministerin, ich freue mich wirklich sehr auf die Exzellenzinitiative für berufliche Bildung. Das wird bestimmt ein sehr, sehr gutes Leuchtturmprojekt. Wir sind gespannt. Leuchttürme sind wichtig; sie sind von Weitem sichtbar, und sie geben Orientierung. ({2}) Es braucht aber nicht nur Leuchttürme. Wir müssen dafür sorgen, dass alle Betriebe und alle Azubis festen Boden unter den Füßen bekommen. Deswegen werden wir genau hinschauen, ob dieser Haushalt der beruflichen Bildung gerecht wird. ({3}) Was festen Boden bringt, sind Maßnahmen wie die Initiative Bildungsketten und natürlich der flächendeckende Ausbau von Jugendberufsagenturen; denn damit unterstützen wir Schülerinnen und Schüler, ihren ganz persönlichen Bildungsweg zu finden, und wir helfen Betrieben, die passenden Azubis einzustellen. Außerdem senken wir dadurch die Vertragslösungsquote. Das versteht eigentlich auch jeder. Denn was ist frustrierender als eine abgebrochene Ausbildung, und zwar für beide Seiten, für die Azubis und für die Betriebe? ({4}) – Oder ein abgebrochenes Studium; klar. Das alles gehört zur beruflichen Bildung, und darum werden wir der beruflichen Bildung in dieser parlamentarischen Beratung den nötigen Rückenwind geben. ({5}) Lassen Sie uns bei der Suche nach Fachkräften aber auch über unseren eigenen Tellerrand hinausschauen. In meinem Wahlkreis Biberach werde ich immer wieder gefragt, warum die vielen qualifizierten Menschen aus Syrien und der Ukraine bei uns eigentlich nicht arbeiten dürfen. ({6}) Und was ist die Antwort? Unser Einwanderungsgesetz ist immer noch viel zu exklusiv, und die Anerkennung von Abschlüssen ist teuer und bürokratisch. ({7}) Statt hier im Haushalt zu kürzen, müssen wir gerade jetzt die Finanzierung von Unterstützungsangeboten sichern. ({8}) Also: Mit diesem Haushalt können wir die richtigen Weichen stellen, um den Fachkräftemangel anzupacken. Ich freue mich – und ich bedanke mich da für Ihr Angebot – auf konstruktive Beratungen im Ausschuss bzw. weitere konstruktive Beratungen. Vielen Dank und ebenfalls einen schönen Abend! ({9})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Punktlandung, was die Zeit betrifft. ({0}) Jetzt folgt Holger Mann für die SPD-Fraktion. ({1})

Holger Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005140, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Haushaltsentwurf des BMBF wächst im kommenden Jahr um 1 Prozent. Wir haben in der Debatte schon gemerkt: Das ist angesichts der aktuellen Kostensteigerungen nicht viel. Angesichts der Rahmenbedingungen, die wir haben, ist das aber alles andere als selbstverständlich, und es sind immerhin mehr Mittel als im vergangenen Haushalt. ({0}) Es kommt also auf die politische Prioritätensetzung im Einzelplan selbst und vielleicht mehr als bisher auf das Parlamentsverfahren, also uns alle, an. ({1}) Positiv hervorheben möchte ich die bereits verfolgte strukturelle Änderung beim Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken“. Wie von uns in der Ampel gemeinsam im Koalitionsvertrag verankert, ist im Haushaltsentwurf nun die Dynamisierung der Mittel für den Zukunftsvertrag enthalten. Die Hochschulen und die Akademien erhalten zukünftig, wie die Forschungsgemeinschaften, verlässliche Aufwüchse, und zwar jährlich 3 Prozent mehr; in diesem Jahr macht dies konkret 57 Millionen Euro aus. Frau Schön, nein, ich glaube nicht, dass wir die Hochschulen verunsichern. Wir bieten hier Spielräume und mehr Stabilität sowie die Voraussetzung dafür, dass die Beschäftigten an den Hochschulen wahrnehmbare Lohnsteigerungen erwarten können. ({2}) An dieser Stelle sei aber auch gesagt: Nun stehen auch die Länder in der Pflicht, ihren Teil dazu beizutragen. Im Innovationsbereich sind für neue Förderstrukturen, wie die noch im Aufbau befindlichen Agenturen SprinD und DATI, wirklich große Aufwüchse vorgesehen; auch das ist zu loben und hervorzuheben. Dass es im Übrigen auch kleinere Summen sein können, mit denen man Veränderungen anstoßen kann, zeigt der mit nun 5 Millionen Euro wahrnehmbare Titel für soziale Innovationen. Das sind, wie ich finde, hoffnungsvolle Neuanfänge. ({3}) Dennoch sei gesagt: Gleichzeitig gibt es deutliche Verschiebungen zwischen den Forschungsfeldern. Der Haushaltsentwurf sieht – ja, das kann man positiv erwähnen – hohe Ansätze bei der Forschung zur Digitalisierung und zu IT‑Technologien vor. Diesen Steigerungen stehen aber eben deutliche Kürzungen in anderen Programmlinien, nämlich denen der Human- und Geisteswissenschaften sowie der Medizin, gegenüber. Darüber, ob diese Priorisierung die richtige Reaktion auf multiple Krisen wie Pandemie, Krieg, Fachkräftemangel und Klimawandel ist, müssen wir, meine ich, in den Haushaltsberatungen schon noch mal miteinander diskutieren. ({4}) Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, dass wir angesichts knapper Mittel stärker gemeinsam hinterfragen sollten, ob erneute Zuwächse von über 50 Prozent in anderen Titeln sachgerecht sind und ob wir die Mittel überhaupt immer sinnvoll ausgeben können; denn bei bestimmten Positionen fallen die Ausgaben derzeit noch hinter die Istausgaben des Jahres 2021 zurück und werden teilweise aktiv gekürzt. Ein Beispiel für nicht sinnvolle Kürzungen will ich hier prominent nennen, weil es mir besonders aufgefallen ist: die Bildungsforschung. Die Mittel für die Bildungsforschung – für die empirische Bildungsforschung, die Forschung zu Wissenschafts- und Hochschuleinrichtungen selber und zur digitalen Hochschulbildung – werden im zweiten Jahr in Folge in mehreren Kapiteln und Titeln um zweistellige Anteile gekürzt. Ich sage ganz deutlich: Das halte ich für einen falschen Ansatz im Moment – zum einen, weil damit die Grundlage für Erfolgskontrolle und rationale Entscheidungen, an denen wir alle gemeinsam ein Interesse haben sollten, untergraben wird, zum Zweiten, weil die Forschung eine wichtige Voraussetzung für die Kooperation mit den Bundesländern ist, die zumindest wir in der Ampel deutlich ausbauen wollen, und zum Dritten, weil die Vermittlung aller Disziplinen nicht zuletzt auf Erkenntnissen der Bildungsforschung fußt. Deswegen, meine Damen und Herren, bin ich der Meinung, dass wir uns Kürzungen in diesem Bereich in diesem Maße im wahrsten Sinne des Wortes nicht leisten können. ({5}) Einen weiteren Aspekt dieser Kürzungen – er kam hier schon zur Sprache – muss ich auch problematisieren: Die Kürzungen bei der Bildungsforschung treffen schon wieder die Geistes- und Sozialwissenschaften. Frau Bundesministerin Stark-Watzinger, ich weiß dass Ihr Haus bemüht ist, diesem Eindruck kommunikativ entgegenzutreten; der Haushalt ist aber bekanntlich in Zahlen gegossene Politik. Deswegen hoffe ich, dass wir an dieser Stelle noch eine Veränderung erreichen. Ein anderes Beispiel ist die DDR-Forschung. Man weiß noch nicht, ob mit einer Weiterfinanzierung in den kommenden zwei Jahren gerechnet werden kann. Ich glaube, hier stehen nicht nur Promotionen, Transfer und Strukturen auf dem Spiel, sondern auch Schicksale. Deswegen habe ich die Bitte und Hoffnung, dass wir hier in diesen schwierigen Haushaltsberatungen gemeinsam und sachgerecht –

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Holger Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005140, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– zu wichtigen Änderungen kommen. Vielen Dank. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Den Abschluss dieser Debatte macht Katrin Zschau für die SPD-Fraktion. ({0})

Katrin Zschau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005268, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auch voranstellen, dass es vor dem Hintergrund der aktuellen Krise ein positives Signal ist, dass der Einzelplan 30 insgesamt stabil bleibt. Auch vor dem Hintergrund der Zuständigkeit der Länder für die schulische Bildung und vor dem Hintergrund, dass die Länder derzeit Unterstützungsmaßnahmen auf den Weg bringen, muss der Bund natürlich seinen verlässlichen Anteil an den Gesamtausgaben sicherstellen. Es ist gut, dass der Bund die Hochschulen mit der Qualitätsoffensive Lehrerbildung unterstützt. Mit den Programmen „Leistung macht Schule“ und „Schule macht stark“ fördert der Bund gemeinsam mit den Ländern sowohl leistungsstarke Kinder und Jugendliche als auch sozial benachteiligte Schüler/-innen. Wichtig und unverzichtbar ist die Förderung der MINT-Bildung entlang der Bildungskette mit dem MINT-Aktionsplan 2.0. Gleiches muss auch verstärkt für die Angebote der kulturellen Bildung, der Bildung für nachhaltige Entwicklung und der Volkshochschulen gelten. Im vorliegenden Regierungsentwurf kommt es durch Umschichtungen in einzelnen Titeln, wie dem Titel „Stärkung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens“, zu einer deutlichen Absenkung der Mittel, über die wir in den kommenden Haushaltsberatungen dringend sprechen müssen. ({0}) Auch wir möchten der beruflichen Bildung den nötigen Rückenwind geben und sorgen für die notwendige Finanzierung; denn hier gehören alle in den Blick. Jugendliche mit niedriger Schulbildung haben erheblich eingeschränkte Ausbildungsperspektiven. Dabei werden aus Sicht der Experten die Qualitätsanforderungen in den Ausbildungsberufen, die für Jugendliche mit niedrigen Schulabschlüssen relevant sind, steigen. Ich zitiere aus der Delphi-Befragung der DKJS und der Bertelsmann-Stiftung: Im Sommer 2020 verließen in Deutschland bundesweit 168.759 Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Schulabschluss bzw. mit einem Hauptschul- bzw. Ersten Schulabschluss … Dies entspricht einem Anteil von 22,5 % aller Schulabgänger:innen. … Trotz vieler unbesetzter Ausbildungsstellen bleibt … mehr als ein Drittel … der Personen mit Hauptschulabschluss zwischen 20 und 34 Jahren ohne Ausbildung. Von denjenigen ohne Schulabschluss sind es sogar fast zwei Drittel … Dieser Bildungsverlauf kündigt sich früh an. Immer mehr Grundschulkindern fehlen, gemessen an den von der Kultusministerkonferenz festgelegten Standards, grundlegende Fähigkeiten in den Fächern Mathe und Deutsch. Jeder fünfte Viertklässler scheitert am Lesen, Zuhören und in Mathematik, an Rechtschreibung fast jeder Dritte. Während der Coronapandemie fiel es noch stärker ins Gewicht – das wissen wir –, dass es bundesweit vielerorts an Lehrkräften, an geeigneten Räumen, an digitaler Ausstattung und an weiteren pädagogischen Fachkräften mangelte. So waren und sind Kinder, die Probleme haben, dem Unterricht zu folgen, benachteiligt; sie tragen damit ganze Lernpakete unordentlich gepackt mit sich herum. Eltern können das nicht auffangen, und Lehrkräfte gelangen permanent an ihre Belastungsgrenzen. Circa 20 Prozent der Kinder in Deutschland wachsen in Armut auf. Ihre oft in prekären Verhältnissen lebenden Eltern haben sich vielfach damit abgefunden, daran nichts ändern zu können. Dieses negative Zukunftsbild macht etwas mit den Kindern. Wenn psychische oder Suchterkrankungen der Eltern hinzukommen und wenn Kinder Gewalt erleben, sind die negativen Auswirkungen auf das Lernverhalten und ‑vermögen sowie auf die soziale Kompetenz der oft auf sich allein gestellten Kinder um ein Vielfaches höher als bei den Kindern, die in soliden und gesicherten Verhältnissen aufwachsen. Mit dem Startchancen-Programm haben wir im Koalitionsvertrag den Zusammenhang von Bildung und sozialer Herkunft adressiert. Es ist notwendig, aber nicht trivial, ein Programm von so großer Reichweite, das grundlegend wirken soll, auf den Weg zu bringen. Die Erfahrungen bisheriger Bund-Länder-Programme, insbesondere auch von erfolgreichen Länderinitiativen, müssen hier mit einfließen. Die Voraussetzungen der einzelnen Länder spielen für die erfolgreiche Umsetzung eine große Rolle, ebenso die wissenschaftliche Begleitung. Mit dem DigitalPakt Schule als gemeinsamem Kraftakt von Bund und Ländern mit ihren kommunalen und privaten Schulträgern erproben wir eine neue und notwendige Form der Bildungszusammenarbeit. ({1}) Die Motivation erwuchs aus der Einsicht in die Notwendigkeit erheblicher Investitionen in die Digitalisierung des Bildungswesens. Wir meinen, Chancen für 20 Prozent der Kinder in unserem Land – mindestens 20 Prozent – sollten Motivation genug sein. Ich danke Ihnen. ({2})