Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 7/6/2022

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank. – Frau Präsidentin! Ich habe hier in diesem Bundestag von einer Zeitenwende gesprochen, die mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verbunden ist. Wir entnehmen jeden Tag aus den Nachrichten all die Informationen, die zeigen: So ist es wirklich. Das ist eine dramatische Gefährdung der Friedensordnung in Europa, ja der ganzen Welt, dass ein Land seinen Nachbarn überfällt und versucht, Territorium zu erobern. Das ist gegen alle Grundsätze, auf die wir uns in den letzten Jahrzehnten verständigt haben. Gleichzeitig ist es so, dass diese Zeitenwende auch eine Herausforderung für die Politik darstellt. Und diese Fragen sind verhandelt worden in vielen Gesprächen, die wir in Europa, mit vielen verbündeten Staaten in der Welt und auch bei der NATO geführt haben. In der Europäischen Union, im Europäischen Rat haben wir diskutiert über die Perspektiven der Ukraine, auch von Moldau, die europäischen Perspektiven vieler Länder, die sich auf unser Projekt einer Gemeinschaft demokratischer Staaten selber beziehen wollen, die dazugehören wollen. Und es ist etwas sehr, sehr Bemerkenswertes, dass es tatsächlich gelungen ist, dass 27‑mal Ja gesagt wurde zu der Beitrittsperspektive der Ukraine, dass sie sich jetzt auf diesen schwierigen Weg machen kann, zusammen auch mit Moldau. Und gleichzeitig haben wir nicht vergessen, dass wir es auch den Staaten des westlichen Balkans endlich ermöglichen müssen, dass ihr fast 20 Jahre alter Beitrittsprozess jetzt endlich final wird und zu einem Ergebnis kommt. Alles das ist bei diesem Europäischen Rat vorangegangen. ({0}) Gleichzeitig haben wir über die notwendige Solidarität mit der Ukraine und wie wir sie gemeinsam organisieren – finanziell, humanitär, aber auch mit Waffenlieferungen – gesprochen. Das ist auch ein großes Thema gewesen, als die starken wirtschaftlichen Demokratien, die G 7, in Elmau in Deutschland zusammengekommen sind, wo wir ebenfalls wieder über die Frage „Wie reagieren wir auf diesen brutalen Krieg, den Russland gegen die Ukraine vom Zaun gebrochen hat?“ gesprochen haben. Und wir haben es sehr sorgfältig getan und diese Solidarität gemeinsam organisiert. Wir haben das nicht alleine diskutiert, sondern mit vielen anderen Ländern der Welt. Eingeladen waren auch die Staats- und Regierungschefs von Indonesien, von Indien, von Südafrika, von Senegal und Argentinien, um zu zeigen: Es stimmt nicht, was Putin erzählt, dass dies ein Krieg und ein Konflikt zwischen dem globalen Westen und dem Rest sei, sondern die demokratischen Staaten der Welt – nicht nur die, die sich als G 7 verstehen, sondern auch die in Asien, in Afrika und im Süden Amerikas – sind einhellig der Meinung, dass diese Art von Politik nicht verfolgt werden kann, auch wenn die einzelnen Perspektiven unterschiedlich sind. Es waren gute Gespräche auf Augenhöhe für eine Welt, die multipolar, aber auch multilateral ist. ({1}) In Elmau haben wir uns auch mit den Konsequenzen dieses Krieges beschäftigt und gemeinsam ein globales Bündnis für Ernährungssicherheit geschaffen, mit dem wir dazu beitragen wollen, dass nicht als Folge des Krieges Millionen Menschen auf der Welt Hunger leiden müssen. Wir haben auch ansonsten Solidarität organisiert, wenn es etwa um das Thema der ja noch immer nicht beendeten Covid‑19-Pandemie in der Welt geht. Wir haben über die Resilienz von Demokratien gesprochen und natürlich auch darüber, wie wir den menschengemachten Klimawandel aufhalten können – ein großes, wichtiges Thema, das nur untergehakt zwischen den Staaten der Welt gut funktionieren kann. Deshalb ist es ein großer Fortschritt, einen Klimaklub der gleichgerichteten Staaten – derjenigen, die bis zur Mitte dieses Jahrzehnts klimaneutrale Industrieländer sein wollen – zu schaffen. Dass dieser Vorschlag Unterstützung gefunden hat, das ist ein weiteres gutes Ergebnis aus diesem G-7-Treffen in Deutschland. ({2}) Bei der NATO haben wir an Finnland und Schweden die Einladung ausgesprochen, dass sie Mitglieder unseres Verteidigungsbündnisses werden können – ein großer, wichtiger Schritt für das Verteidigungsbündnis, für die Sicherheit im transatlantischen Raum und ganz besonders in Europa, aber auch ein wichtiger Schritt, weil er verbunden ist mit weiteren Entscheidungen zur Stärkung unserer Ostflanke innerhalb des NATO-Bündnisses, aber auch zur Stärkung der militärischen Bereitschaft, die dann 300 000 Soldatinnen und Soldaten umfassen soll. Das ist ein wichtiger Weg nach vorne für ein Bündnis, das sich mehr rüstet für eine Gefahr, die von der russischen Aggression in der Ukraine ausgeht, und mehr rüstet dafür, dass das eigene Territorium und alle Mitglieder der NATO verteidigt werden können, wenn sie angegriffen werden – ein guter Fortschritt. ({3}) Die Themen, die auf diesen drei Gipfeln verhandelt worden sind, spielen natürlich gleichzeitig in Brüssel und auch hier eine Rolle. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir mit dem „Fit for 55“-Paket in den Europäischen Räten weitergekommen sind, dass wir aber gleichzeitig in dieser Woche im Deutschen Bundestag auch die Pakete verhandeln, mit denen die Bundesregierung Beschleunigung beim Ausbau der erneuerbaren Energien zustande bringen will. Deutschland will tatsächlich, so wie international vereinbart, bis zur Mitte dieses Jahrhunderts klimaneutral werden; bis 2045 wollen wir das als Land schaffen. Deshalb brauchen wir Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Auch das bringen wir jetzt voran. ({4}) Aber es geht nicht nur darum, dass wir diese internationalen Verabredungen treffen, dass wir bei dem wichtigen Vorhaben, klimaneutrales Industrieland zu werden, so schnell vorankommen, dass wir uns auf die Gefahren vorbereiten, die aus der Möglichkeit herrühren, dass die Energieversorgung nicht gesichert ist, wenn Russland den Transit zum Beispiel von Gas beeinträchtigt; wir sehen ja die angeblich technischen Gründe uns gegenwärtig schon beeinträchtigen. Sondern es geht auch darum, dass wir die Folgen für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes klar im Blick haben. Deshalb ist es ein guter Schritt, dass wir an eine wichtige Tradition in Deutschland anknüpfen: die Sozialpartnerschaft in Zusammenarbeit zwischen Staat, Gewerkschaften, Arbeitgeber- und Unternehmensverbänden, dass wir zusammen mit Bundesbank und Sachverständigenrat darüber diskutieren: Was ist zu tun, damit wir die Bürgerinnen und Bürger vor den dramatischen Preissteigerungen in ihrem persönlichen Leben schützen können? Die Konzertierte Aktion hat diese Woche am Montag das erste Mal getagt. Sie wird fortgesetzt werden. Es ist eine gute Kooperation, und aus ihr heraus werden wir die nächsten Schritte entwickeln. 30 Milliarden Euro haben wir als Entlastungspakete für die Bürgerinnen und Bürger auf den Weg gebracht: mit der Anhebung des Grundfreibetrags; mit der Arbeitnehmerpauschale, die wir angehoben haben; mit den verbesserten Möglichkeiten für die Pendlerpauschale; mit einem Heizkostenzuschuss für diejenigen, die Wohngeld bekommen; mit 200 Euro für die Empfänger von Grundsicherung; mit der Möglichkeit, dass wir monatlich 20 Euro für die Kinder zahlen, die in armen Haushalten leben, dass für alle Kinder 100 Euro gezahlt werden, dass wir ein Energiegeld zahlen und dass wir die EEG-Umlage abgeschafft haben.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Bundeskanzler.

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Aber das wird nicht reichen. Was wir jetzt brauchen, ist, dass wir uns unterhaken, und das ist der Weg, den die Konzertierte Aktion beschreitet – ein guter Weg für unser Land. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Bevor wir mit der Befragung beginnen, mache ich noch mal auf die Besonderheit bei der Kanzlerbefragung nach unserer parlamentarischen Übung aufmerksam. Der oder die Fragesteller/-in hat die Möglichkeit, gleich noch eine Nachfrage zum Themenkomplex zu stellen. Nachfragen anderer Abgeordneter werden aufgrund der mir zahlreich vorliegenden gemeldeten Fragen nicht zugelassen. Und bitte denken Sie daran, auch die Nachfragen möglichst kurz zu halten. Ich bitte auch den Kanzler, seine Antworten möglichst im Zeitrahmen zu halten, damit so viele Fragestellerinnen und Fragesteller wie möglich auch zum Zuge kommen. – Herzlichen Dank. Dann beginnen wir die Befragung des Bundeskanzlers. Zuerst hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion der Abgeordnete Johann Wadephul.

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, vielen Dank für die Erteilung des Wortes. – Ich erlaube mir die Anmerkung, dass das eine Fragestunde ist und wir mittlerweile eine unselige Tradition der Bundesregierung erleben, die hier fast eine kleine Regierungserklärung abgibt. ({0}) Vielleicht könnte die Präsidentin mal darauf hinweisen, dass hier vor allen Dingen den Abgeordneten Gelegenheit gegeben werden soll, Fragen zu stellen. Herr Bundeskanzler, Sie haben den G‑7-Gipfel angesprochen. Die G 7 haben sich in ihrer Schlusserklärung zu weitreichenden Sicherheitsgarantien für die Ukraine nach dem Krieg positiv erklärt. Können Sie konkretisieren, welche Sicherheitsgarantien das sind?

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank für Ihre Frage. – Die Frage, wie das organisiert werden kann, wird zwischen den Staaten besprochen, die als G 7 zusammengekommen sind, aber auch all denjenigen, die bereit sind, solche Sicherheitsgarantien zu geben; Deutschland ist eines dieser Länder, die dazugehören. Klar ist, dass es nicht solche Garantien sein werden, die Artikel 5 des NATO-Vertrages entsprechen. Sie müssen also auf diese konkrete Situation zugeschnitten sein. Wir sind auch im Gespräch mit der Ukraine über diese Fragen. Das ist alles ein Prozess, der noch lange nicht abgeschlossen ist und dessen Konkretisierung deshalb auch jetzt noch nicht vorgenommen worden kann. Aber der Rahmen ist damit beschrieben. Ein Punkt allerdings – das habe ich schon wiederholt und an vielen Stellen gesagt – wird sicherlich eine große Rolle spielen: Die hochwirksamen Sanktionen, die wir gegen Russland auf den Weg gebracht haben, werden immer etwas sein, das wir einsetzen können, wenn es Verletzungen von Vereinbarungen gibt, um die wir jetzt immer noch erst ringen; denn tatsächlich findet der brutale Krieg ja unverändert statt.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie können eine Nachfrage stellen.

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön. – Vielen Dank für diese Erläuterungen, die mir eine erste Vorstellung davon geben, was beabsichtigt ist. Mir stellt sich die Frage, warum Sie der fragenden Journalistin der Deutschen Welle nicht eine ähnliche Antwort bei der Pressekonferenz gegeben und das so brüsk abgewiesen haben.

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Verehrter Herr Abgeordneter, diese Frage hatte ich bereits so beantwortet, wie ich sie Ihnen beantwortet habe. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Fragesteller ist aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Bundeskanzler, Sie haben darauf verwiesen, dass die G‑7-Staaten versuchen, unter Ihrer Führung den Herausforderungen gerecht zu werden, etwa dadurch, dass der Kampf gegen den Klimawandel beschleunigt wird. Das ist nicht nur eine Frage des Klimaschutzes, sondern dabei geht es auch darum, unabhängiger von fossilen Energien zu werden. Dafür soll ein Klimaklub gegründet werden, wodurch diejenigen, die CO2-frei produzieren, ihre Märkte vor anderen, die das nicht tun, auch schützen können. Danach hat es ein Urteil des Supreme Courts der USA gegeben, das der amerikanischen Regierung faktisch untersagt, Maßnahmen zur Einführung eines CO2-Preises zu ergreifen. Jetzt frage ich Sie: Welche Chancen sehen Sie vor dem Hintergrund gerade dieses Urteils, diesen wichtigen Markt, die USA, in diesen Klimaklub zu bekommen und sie dort zu halten? ({0})

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Zunächst mal ist es so, dass die Entscheidung des amerikanischen Gerichts ja die amerikanische Regierung und den Kongress nicht daran hindert, die notwendigen Gesetze auf den Weg zu bringen, mit denen sie selber Klimapolitik aktiv vorantreiben können. Es ging um eine Handlungskompetenz der amerikanischen Behörde und ihre Freiheit, sich mit eigenen Kompetenzen in dieser Frage zu bewegen. Das ist sicherlich schwieriger geworden; aber ich weiß sowohl vom Präsidenten als auch von Herrn Kerry, der in dieser Frage sein Sonderbeauftragter ist, dass es ihnen ein ganz wichtiges Anliegen ist, voranzukommen. Die Idee des Klimaklubs ist aber ohnehin, dass wir uns nicht auf einen einzigen Pfad festlegen, sondern dass wir akzeptieren und verstehen, dass es unterschiedliche Pfade der Länder, die dort zusammenarbeiten, gibt und dass diese unterschiedlichen Pfade auch tatsächlich vernünftig und richtig zueinander passen, wenn sie das gleiche Ziel verfolgen, bis zur Mitte des Jahrhunderts klimaneutrale Wirtschaft zu organisieren. Das wollen alle. Und dann wird es welche geben, die wie in Europa mit CO2-Bepreisung arbeiten, und andere, die andere Wege beschreiten. Wichtig ist, dass das Ziel ernsthaft verfolgt wird.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie können eine Nachfrage stellen, Herr Trittin.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Bundeskanzler, ich habe in dem Zusammenhang noch eine Nachfrage. – Wir sind ja konfrontiert damit, dass der Wegfall russischen Gases aufgrund fehlender Produktion, Export- und Transportinfrastruktur sehr schwierig ist. Vor diesem Hintergrund haben die G 7, wie ich finde, zu Recht beschlossen, dass auch die Garantien und die Kreditierung von Investitionen in solche Infrastruktur durch Staaten der G 7 wieder möglich werden sollen. Das erzeugt aber einen Konflikt mit dem Ziel, das Sie eben genannt haben, 2045 klimaneutral zu sein, und dem Ziel, 2035 möglichst auch unsere Stromversorgung umgestellt zu haben. Ich würde Sie daher fragen: Wie wollen Sie eigentlich in diesen Kreditierungen und Exportkreditversicherungen eine zeitliche Limitierung einführen, die das Ziel der Dekarbonisierung bei diesen notwendigen Maßnahmen nicht infrage stellt?

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Wir können das sehr gut durch unsere eigenen Herausforderungen, die wir haben, verstehen. Wir wissen: Wir haben jetzt ganz aktuell die Herausforderung, Infrastrukturen zu etablieren, mit denen Gas nach Deutschland gebracht werden kann, und zwar auf andere Weise, als es bisher der Fall ist. Wenn wir das nicht tun würden, dann könnten wir nicht gewährleisten, dass wir immer unabhängig sind von einzelnen Importeuren. Und deshalb machen diese Investitionen Sinn. Aber sie halten Deutschland ja nicht davon ab, das genannte Ziel weiterzuverfolgen, nämlich spätestens 2045 CO2-neutral zu wirtschaften. Die Infrastrukturen, die wir hier etablieren, wollen wir immer auch mit dem Blick auf die Perspektive bauen, dass sie später zum Beispiel für Wasserstoffimporte genutzt werden können. Das ist dann gleichermaßen auch die Perspektive für viele andere Länder. Wenn dort neue Infrastrukturen errichtet werden, dann müssen sie Sinn machen bei der Verfolgung des 1,5‑Grad-Zieles, dann müssen sie auch solche Perspektiven mit in den Blick nehmen. Und das ist auch das, was sich – sehr sorgfältig ausgearbeitet – aus der Verständigung der G 7 ergeben hat. Aber gleichzeitig ist das auch eine gute Botschaft für Länder wie in Afrika zum Beispiel, die genau in dieser Übergangsphase, in der wir uns ja befinden, auch noch neue Investitionen benötigen. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Die nächste Frage kommt aus der AfD-Fraktion, von Steffen Kotré.

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Herr Bundeskanzler, wir stehen vor einem Scherbenhaufen Ihrer Politik, vor allen Dingen Ihrer Energiepolitik, durch den Ausstieg aus zwei Energieformen für die Stromversorgung. Ergebnis: Die Versorgungssicherheit ist gefährdet, und wir haben mit die höchsten Preise. Jetzt das Gleiche bei Öl und Gas: Sie provozieren, dass wir die Gaslieferungen nicht mehr so bekommen, wie wir sie eigentlich vertraglich gesichert haben. Sie sagen, Sie wollen kein Gas und Öl mehr aus Russland, und dann wundern Sie sich, dass es von daher Einschränkungen gibt. Diese realitätsferne Politik erschließt sich mir nicht. Vielleicht können Sie dazu was sagen. Auch hier sehen wir die Folgen: das Vier-, Fünf-, Sechsfache der Gaspreise. Das ist eine völlig unsoziale Politik, die Sie hier machen. Diese hohen Preise haben nichts mit dem Ukrainekrieg zu tun und auch nichts mit den Rohstoffpreisen, sondern mit Ihrer Politik der Verknappung. Warum machen Sie das? Wir haben jetzt zum ersten Mal nach Jahrzehnten wohl wieder eine Rationierung von Warmwasser in Deutschland; das konnten wir aus den Zeitungen entnehmen. Das wird sich fortsetzen. Wie kommen Sie dazu, eine so realitätsferne Politik gegen unsere Bevölkerung zu machen?

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Ich möchte Ihre Frage beantworten ({0}) und sehr klar sagen: Realitätsfern ist das, was Sie sagen. ({1}) Denn Sie nehmen nicht zur Kenntnis, dass da wirklich ein Krieg stattfindet in der Ukraine, dass Russland das Land angegriffen hat, dass gerade unglaublich viele Menschen sterben – sie verlieren ihr Leben in ihren eigenen Häusern, auf den Straßen, auf den Feldern der Ukraine –, dass Häuser zerstört werden, Dörfer, Städte kaputtgebombt werden und dass das ein furchtbarer, brutaler Krieg ist. Und die richtige Antwort auf diese Realität ist, dass wir der Ukraine die notwendige Solidarität leisten ({2}) und dass wir sie finanziell, humanitär und auch mit Waffenlieferungen unterstützen. Das ist eine realistische Kenntnisnahme dieser Wirklichkeit. ({3}) Es wäre ganz, ganz falsch, dem von Ihnen angesprochenen Vorschlag zu folgen, dass man wegen der Folgen, die Sie benannt haben, solche Solidarität nicht leistet. ({4}) Um im Bild zu bleiben: Wenn über Ihren Vorschlag und Ihre Meinung ein Scherbengericht abgehalten würde, dann würde es schlecht für Sie ausfallen. ({5}) Und die letzte – –

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Entschuldigung, die Zeit war abgelaufen. Aber der Kollege Kotré kann eine Nachfrage stellen.

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Wie können wir den Menschen in der Ukraine helfen, wenn wir hier frieren? Der russische Rubel hat sich erholt; die Finanzierung läuft jetzt über andere Schienen. ({0}) Wenn wir uns hier mit diesen Sanktionen selbst schädigen, schädigen wir Russland überhaupt nicht, und wir helfen damit der Ukraine überhaupt nicht. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge, die nicht zueinander passen. Deswegen die Frage: Warum halten Sie an diesen Sanktionen, diesen nutzlosen Sanktionen fest? Warum nehmen Sie nicht Nord Stream 2 in Betrieb? Das wäre dann die Antwort auf das, was Sie angesprochen haben, nämlich dass die Russen das Gas nicht durch Nord Stream 1 leiten wollen. Also nehmen wir Nord Stream 2; das ist doch da. Sie torpedieren das aber. Und warum überhaupt ein Ölembargo? Die PCK-Raffinerie in Schwedt geht mit ihren Arbeitskräften unter, wenn die Druschba-Trasse nicht mehr mit Öl beliefert wird. Das alles sind Mosaiksteine der schleichenden Zerstörung unseres Wohlstandes, und das ist leider Ausdruck Ihrer unsozialen Politik. Wie wollen Sie das den Bürgern erklären?

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Ich halte fest: Die AfD ist nicht nur eine rechtspopulistische Partei, sondern auch die Partei Russlands. Das sollten alle zur Kenntnis nehmen. ({0}) Ansonsten ist es so, dass wir uns ja genau auf diese Situation vorbereitet haben. Wir haben sorgfältige Vorbereitungen getroffen, dass wir unsere Kohleversorgung sicherstellen können ({1}) mit Importen aus aller Welt und eben nicht aus Russland. Wir treffen Vorsorge dafür, dass wir auf die Ölimporte verzichten können – die sind schon erheblich zurückgegangen –, und wir arbeiten daran, ({2}) dass es andere Importwege gibt als die, die bisher eingeschlagen worden sind. Es wird Ihnen nicht entgangen sein, dass eine der Raffinerien im Osten Deutschlands von sich aus längst entschieden hat, sich andere Importwege zu organisieren. ({3}) Was den Gasimport betrifft, ist es so, dass wir jetzt alles dafür tun, dass wir einerseits die vertraglich vereinbarten Lieferungen bekommen, die uns unverändert weiter zugesichert werden, und dass wir andererseits gleichzeitig dafür Sorge tragen, dass die jahrzehntelange Abhängigkeit von wenigen Importeuren dadurch beendet wird, ({4}) dass wir die Infrastrukturen bauen, mit denen wir von allen beliefert werden können. Das ist wirkliche Energiesicherheit für Deutschland im Sinne aller Bürgerinnen und Bürger. ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Die nächste Frage stellt Christoph Meyer aus der FDP-Fraktion.

Christoph Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004820, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke, Frau Präsidentin. – Herr Bundeskanzler, im letzten Monat stiegen die Verbraucherpreise in Deutschland um über 7 Prozent. Das stellt eine große Herausforderung für viele Menschen dar; Sie haben in Ihrem Eingangsstatement auch darauf hingewiesen. Diese ohnehin schon hohen Belastungen werden für viele Menschen noch dadurch verschärft, dass die Inflation bei den Einkommen mittelbar zu einem höheren Steuersatz führt. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie fragen, ob Sie der Auffassung sind, dass der Ausgleich der kalten Progression im Einkommensteuertarif in diesem Jahr notwendig ist. ({0})

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank für diese Frage. – Ich will gerne sagen, dass wir mit den beiden Entlastungspaketen, die wir bereits auf den Weg gebracht haben – und zwar bevor es eine sehr energische öffentliche Debatte dazu gegeben hat –, gezeigt haben, dass wir die einzelnen Herausforderungen für die Bürgerinnen und Bürger kennen und dass wir die Bürgerinnen und Bürger und auch die Unternehmen in diesem Land nicht alleine lassen wollen. Die 30 Milliarden Euro, die erst jetzt Stück für Stück tatsächlich bei allen Beteiligten ankommen, sind ein ganz deutliches Zeichen der Tat. Das ist in dieser Frage wichtig; denn es darf ja nicht nur geredet werden. ({0}) Gleichzeitig ist es aber so, dass wir uns auch fest vorgenommen haben, dass wir über das, was jetzt passiert, eine Verständigung weit über die Regierung hinaus erzielen wollen. Wir wollen eine Verständigung mit den Sozialpartnern, mit der ganzen Gesellschaft erreichen, weil es hier darum geht, dass wir uns unterhaken. Wenn jetzt ein riesiger Klangteppich an Vorschlägen über alles gelegt wird, dann werden die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr das Gefühl haben, dass wir als die Verantwortlichen das tun, wozu wir aufgefordert sind. Aber wenn es gelingt, ein solches Bündnis, anknüpfend an die sozialpartnerschaftlichen Traditionen Deutschlands, zustande zu bringen – und das ist ja gelungen – und daraus etwas zu machen, dann werden wir die einzelnen Schritte daraus ableiten, auch steuerlicher Art. ({1}) Aber das soll sich aus diesem Bündnis ergeben. ({2})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie können eine Nachfrage stellen.

Christoph Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004820, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke, Herr Bundeskanzler. – Ich glaube, die Entlastungspakete, die wir auf den Weg gebracht haben, und auch die Konzertierte Aktion sind ein sehr guter Ansatz. ({0}) Da sind wir bei Ihnen; das wissen Sie. Dennoch möchte ich auf die kalte Progression zurückkommen und fragen, ob Sie den Finanzminister – ähnlich wie es bei Ihnen selbst, als Sie Finanzminister waren, der Fall war – bei der Vorlage des Progressionsberichtes im Herbst unterstützen werden, sodass daraus dann Steuerentlastungen resultieren oder nicht. ({1})

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Danke für den Hinweis, dass ich als Finanzminister mehrfach dazu beigetragen habe, dass die kalte Progression ausgeglichen wird. ({0}) Das ist eine Haltung, mit der die Bundesregierung sicherlich insgesamt die Dinge betrachtet. ({1}) Trotzdem gilt, dass wir hier eine Verabredung getroffen haben, die ich für ganz, ganz wichtig halte, und zwar keine Verabredung der Regierung, sondern eine Verabredung der Gesellschaft, nämlich dass wir versuchen, jetzt davon wegzukommen, dass jeden Morgen ein neuer Vorschlag gemacht wird, und zu der Situation zu kommen, dass aus der Konzertierten Aktion und aus dem Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes die neuen Vorschläge für das, was demnächst zu tun ist, wenn die Preise weiter steigen, erwachsen. Das ist das Konzept, das wir verfolgen, und es wird ein gemeinsames Handeln der Regierung geben – schnell, zügig, zielgerichtet. ({2})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Fragestellerin: aus der Fraktion Die Linke Janine Wissler.

Janine Wissler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005260, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Bundeskanzler, laut Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes ist die Armutsquote in Deutschland auf einen neuen Höchstwert gestiegen. Die Armutsquote liegt bei 16,6 Prozent; das sind 13,8 Millionen Menschen, die von Armut betroffen sind. Mehr als jedes fünfte Kind lebt in Armut. Diese Zahlen beschreiben ja die Situation von 2021, das heißt, bevor wir die dramatischen Preissteigerungen erlebt haben. Wir wissen, dass die Preise für Nahrungsmittel seit dem letzten Jahr um fast 13 Prozent gestiegen sind. Im Internet schildern Menschen unter dem Hashtag #IchBinArmutsbetroffen, dass sie sich die Dinge des täglichen Bedarfs nicht leisten können, dass sie teilweise Mahlzeiten ausfallen lassen. Der Paritätische fordert eine deutliche Erhöhung der Grundsicherung. Aber von der Bundesregierung gibt es bisher überhaupt keine Signale, dass man die Hartz-IV-Regelsätze schnell erhöhen will. Deshalb meine Frage, Herr Bundeskanzler: Glauben Sie, dass man mit einem Regelsatz von 449 Euro über den Monat kommen kann? Glauben Sie, dass man von 285 Euro ein Kind über den Monat bringen kann? Und wenn nein: Was tun Sie, um den Betroffenen schnell zu helfen, um sie schnell und auch dauerhaft zu unterstützen? ({0})

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank für Ihre Frage. – Ich glaube, das, was Sie wissen wollten, ist: Ist das viel Geld? – Nein, in keinem Fall. Das ist etwas, wo man hart rechnen muss, und das tun viele Bürgerinnen und Bürger, die mit so wenig Geld auskommen müssen – neben den Leistungen, die sie zum Beispiel für die Finanzierung ihrer Wohnunterkunft aus der Grundsicherung bekommen. Deshalb hat die Regierung in der aktuellen Krise gehandelt und einige der Maßnahmen auf den Weg gebracht, die ich vorhin schon aufgezählt habe und die ganz wichtig sind. Viele haben auch von den Erleichterungen profitiert, die mit dem 9‑Euro-Ticket für drei Monate verbunden sind. Auch der Tankrabatt hat vielen geholfen. Gleichzeitig ist es ganz konkret so, dass wir einmalig 200 Euro mehr an Grundsicherungsempfänger zahlen, dass wir für Kinder, die in armen Verhältnissen leben, 20 Euro pro Monat mehr zahlen und dass wir für jedes Kind 100 Euro zahlen. ({0}) Das sind wichtige Unterstützungsleistungen – neben dem Heizkostenzuschuss, den wir über das Wohngeld auskehren. Alles das findet jetzt erst allmählich statt. Gleichzeitig erfolgt die regelmäßige Anpassung der Bezüge für Grundsicherungsempfänger, und da werden die Preisentwicklungen, die wir jetzt haben, eine große Rolle spielen müssen. Aber klar ist auch, dass wir uns ohnehin eine grundlegende Reform vorgenommen haben – zwei sogar, die hier sehr relevant sind. Wir haben nämlich gesagt: Wir werden perspektivisch ein Bürgergeld einführen, das dazu beitragen soll, dass wir ein besseres System der Absicherung für diejenigen haben, die es brauchen. Und wir verfolgen die Perspektive einer Grundsicherung für Kinder, die anders und gerechter bemessen ist und die viele Leistungen zusammenfasst. Im Vorgriff darauf ist jetzt schon jeden Monat die Erhöhung der Leistungen um 20 Euro erfolgt. Sie sehen also: Das Thema bewegt uns, und wir sind dran. ({1})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie können eine Nachfrage stellen.

Janine Wissler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005260, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der Hartz-IV-Regelsatz ist in diesem Jahr nur um 3 Euro erhöht worden, der für Kinder nur um 2 Euro. Wir haben das Problem ja nicht nur im Grundsicherungsbezug, sondern auch bei den Beschäftigten, wo die Inflation natürlich voll durchschlägt. Viele Durchschnittsverdiener und ganz besonders natürlich die Menschen im Niedriglohnbereich sind durch die hohen Preise enorm belastet. Jetzt haben Sie die Gewerkschaften und die Unternehmerverbände ins Kanzleramt zu Gesprächen eingeladen. Sie haben eben auch noch mal gesagt, dass sich jetzt alle unterhaken sollen. Für die Beschäftigten bedeutet es erfahrungsgemäß nichts Gutes, wenn ein Regierungschef sagt, man brauche jetzt eine Kraftanstrengung und man solle sich unterhaken. Gerade angesichts der Tatsache, dass viele Unternehmen in den letzten Jahren gute Gewinne gemacht haben – denken wir an die Energieunternehmen, an den Lebensmitteleinzelhandel und andere –, wäre es eigentlich höchste Zeit, dass die Beschäftigten durch vernünftige Lohnsteigerungen beteiligt werden. Deswegen meine Frage: Könnten Sie konkretisieren, was Sie mit „unterhaken“ meinen? Meinen Sie nach dem Vorbild der Konzertierten Aktion von 1967 Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften in den anstehenden Tarifrunden? Jetzt geht es um die Frage der steuerfreien Einmalzahlungen, die aber nicht nachhaltig sind und nicht auf die Rente angerechnet werden. Von daher meine Frage: Könnten Sie konkretisieren, was genau Sie mit „unterhaken“ meinen und was Ihre Vorstellung davon ist?

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank. – Ich glaube, dass man versuchen sollte, sich aus der Welt der eigenen Vorurteile irgendwann mal zu befreien. Es ist nie zu spät im Leben, das zustande zu bringen. Diese Empfehlung möchte ich hier gern loswerden. Das Zweite. Ich glaube, dass es völlig richtig ist, zu sagen, dass die Konzertierte Aktion eine notwendige Aktivität des Unterhakens ist. Das ist keine Bedrohung, sondern das empfinden viele Bürgerinnen und Bürger als genau das, was damit gemeint ist, nämlich sie nicht alleine zu lassen angesichts der großen Preissteigerung. Es geht nicht darum, dort Tarifverhandlungen zu führen. Das habe ich schon bei der Vorstellung dieses Vorschlags im Deutschen Bundestag gleich dazugesagt, weil ich ja weiß, welche Vorurteile in der Welt gepflegt werden. Es geht darum, den Bürgerinnen und Bürgern, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu helfen. Das wird auch aus diesem Zusammenschluss gelingen. Eine Sache muss ich noch sagen: Wir haben ganz konkret etwas dafür getan, dass sich die Löhne verbessern. Im Oktober wird der Mindestlohn auf 12 Euro angehoben – eine große Leistung, die gerade diejenigen im Blick hat, die viel arbeiten und wenig Geld verdienen. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Fragestellerin: aus der SPD-Fraktion Rasha Nasr.

Rasha Nasr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005165, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Bundeskanzler, wir haben jetzt schon ein paarmal über die Konzertierte Aktion von Montag gesprochen. Sie haben Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und die Bundesbank zusammengebracht. Sie haben gemeinsam beraten über die Auswirkungen der Inflation und darüber, welche Maßnahmen ergriffen werden könnten, um diese abzufedern. Meine Frage an der Stelle ist: Wie geht es jetzt konkret weiter? Wann können wir mit dem nächsten Treffen rechnen? ({0})

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank für die Frage. – Es ist so, dass wir uns weiter regelmäßig treffen wollen, immer zum Thema Preissteigerung. Die große Veränderung, die wir in unserer Gesellschaft mit den industriellen Investitionen vorhaben, findet in der „Allianz für Transformation“ statt. Auch da werden wir uns viermal im Jahr treffen. Aber das ist ein anderes Thema, wie wir das hinkriegen, die Digitalisierungsaufgaben oder die Frage der Klimaneutralität zu lösen. In diesem Treffen der Konzertierten Aktion geht es darum, wie wir den Bürgerinnen und Bürgern und Unternehmen angesichts der riesigen Preissteigerungen helfen können. Wie gesagt, das nächste Treffen wird bald, im September, stattfinden. Die Zeit bis dahin werden wir für viele Gespräche untereinander nutzen, um das Treffen gut vorzubereiten. Es wird sicher weitere Fortsetzungen geben. Das ist aus meiner Sicht der Weg, wie das gelingen kann. Der Korporatismus und die Sozialpartnerschaft gehören zu den starken Traditionen unseres Landes. Dies hat auch dazu beigetragen, dass es bei uns besser zugeht als in vielen anderen Ländern und dass wir einen starken Sozialstaat und eine leistungsfähige Wirtschaft haben. Darauf müssen wir aufbauen. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie können eine Nachfrage stellen.

Rasha Nasr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005165, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das mache ich sehr gerne. Vielen Dank, Frau Präsidentin. ({0}) Herr Bundeskanzler, eine Nachfrage: Welche ökonomische und fiskalische Strategie ist jetzt in Deutschland und in der EU angezeigt, und haben Sie in Schloss Elmau darüber beraten mit den G 7?

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Die Strategie, um die es jetzt geht, ist, dass wir alle notwendigen, wichtigen Investitionen tätigen, damit wir uns unabhängig machen von der Nutzung fossiler Ressourcen. Darüber besteht große Einigkeit. Das ist das, was mit der Idee des Klimaklubs verbunden ist, nämlich dass man versucht, unterschiedliche Wege für dieses ehrgeizige gemeinsame Ziel zusammenzuführen. Gleichzeitig wird es darum gehen, dass wir diejenigen, die Unterstützung brauchen, nicht alleine lassen. Das gilt in unseren Ländern, aber das gilt natürlich auch im Hinblick auf die ganze Welt. Wir haben die International Food Alliance auf den Weg gebracht. Wir üben Solidarität auch bei der Entwicklung von Energiepreisen. Für viele dieser Länder ist das ein Zeichen dafür, dass wir die Welt als Ganzes in den Blick nehmen, damit sie zusammenarbeiten. Auch das ist eine der ökonomischen Verabredungen von Elmau. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Fragestellerin: aus der CDU/CSU-Fraktion Dr. Anja Weisgerber.

Dr. Anja Weisgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004440, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, mir ist aufgefallen, dass Sie bei kritischen Fragen von Frauen eher belehrend antworten – anders als bei Fragen von Männern. ({0}) Jetzt zu meiner ganz konkreten Frage. Der Deutsche Bundestag hat im April dieses Jahres beschlossen – auch mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der Ampelregierungsfraktionen –, dass im Anschluss an das EU-Embargo für Kohle ein konkretes Ausstiegskonzept für russische Öl- und Gasimporte auf den Weg gebracht wird. Dieses konkrete Konzept liegt bis heute nicht vor. Uns droht im Winter eine Mangellage sowohl bei Gas als auch bei Strom; das wird man auch bei den Preisen merken. Deswegen frage ich Sie ganz konkret: Wann legen Sie dieses Ausstiegskonzept – wie vom Bundestag beschlossen – vor?

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Die Entscheidungen sind alle vorbereitet. Was die Umsetzung des Konzeptes betrifft, hatten Sie schon mehrfach Gelegenheit, hier im Bundestag darüber abzustimmen. Diese Woche werden Sie weitere Gelegenheiten dazu haben: Wir passen das Energiesicherungsgesetz an. Damit wollen wir uns in die Lage versetzen, auf Mangellagen zu reagieren. Wir sorgen dafür, dass Kraftwerke, die mit Kohle betrieben werden, in Betrieb genommen werden können, damit wir in diesem Jahr Gas sparen. Wir haben dafür gesorgt, dass – anders als in früheren Jahren – gesetzlich vorgeschrieben ist, dass die Gasspeicher gefüllt werden müssen, auch diejenigen, die russischen Eigentümern gehören. Und wir haben durch Marktinterventionsinstrumente dafür gesorgt, dass das auch tatsächlich geschieht. Wir bemühen uns gleichzeitig um neue Gaslieferanten und investieren in großem Umfang zusammen mit privaten Unternehmen in neue Importstrukturen für Gas nach Deutschland. Hierfür wurden entsprechende Gesetze zur Erleichterung der Verfahren beschlossen, damit wir planungsrechtliche Restriktionen abkürzen und so schnell wie möglich – für die ersten Anlagen vielleicht sogar schon zum Jahreswechsel – fertig sein können. Sie sehen also: Es ist sehr umfassend agiert worden. Das gilt übrigens auch für Kohle und Öl. Bei der Kohle geht es im Wesentlichen darum, dass sich die Unternehmen umstellen – das tun sie bereits –, und nach unseren Informationen haben sie auch alles gut vorbereitet. Wir kümmern uns mit ihnen darum, dass zum Beispiel die Transportkapazitäten der Deutschen Bahn auch dafür genutzt werden können. Und wir haben uns gleichzeitig mit den beiden Raffinerien, die an die Druschba-Pipeline angeschlossen sind, zusammengesetzt – und tun das auch weiter –, um Lösungen zu erarbeiten. Sie wissen, dass sich Leuna längst neue Importstrukturen über Pipelines und Schiffe besorgt hat, in diesem Fall über Polen. Das ist kein Geheimnis. Die haben einen großen Teil der Vorsorgeentscheidungen bereits getroffen. Bei Schwedt sind wir in diesen Tagen – übrigens auch heute wieder – in Gesprächen mit dem Unternehmen und mit vielen anderen, um ganz konkrete Lösungen zu finden. Sie sehen also: Wir setzen schon um, was Sie als Plan erst fordern. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie dürfen eine Nachfrage stellen.

Dr. Anja Weisgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004440, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, wir brauchen aber jede Kilowattstunde. Deswegen frage ich Sie ganz konkret: Warum nutzen Sie nicht alle Optionen, die wir haben? Warum bremsen Sie die Biomasse aus? Und warum lassen Sie die drei Kernkraftwerke, ({0}) die noch am Netz sind und grundlastfähig und sicher in Deutschland laufen, nicht befristet weiterlaufen? ({1}) Das ist möglich. Das wurde auch durch ein Gutachten des TÜV Süd bestätigt, entgegen den politisch motivierten Vermerken Ihrer beiden grünen Minister. Ihr Koalitionspartner, die FDP, sieht das genauso. Deswegen frage ich Sie ganz konkret: Wie wollen Sie diesen Konflikt – auch innerhalb Ihrer Koalition – lösen? ({2})

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Wie Sie ja gerade an der Gesetzgebung, die in dieser Woche im Deutschen Bundestag verhandelt wird, sehen können, haben wir es immer geschafft, sehr gute, energische Entscheidungen miteinander zu treffen. ({0}) Die sind hier vorbereitet, und auch diese Woche werden solche Entscheidungen getroffen. Wir haben auch im Europäischen Rat entsprechend gehandelt. Dort hat es keine „German vote“ gegeben, sondern gemeinsame Aktionen. Auch das ist ein Zeichen für die kraftvolle Führungstätigkeit dieser Regierung und ihre Einigkeit im Handeln. ({1}) Gleichzeitig – das will ich dazusagen – beschäftigen wir uns natürlich fachlich und ganz unideologisch mit solchen Fragen. In der Zeit, um die es uns jetzt zuallererst geht, nämlich dieses Jahr, laufen die Atomkraftwerke. Sie werden gerade in diesem Sommer gebraucht, damit möglichst viel Strom von ihnen produziert wird und wir deshalb auf Gas als Produktionsquelle verzichten können. Wie Sie sicher wissen, geht es bei den Atomkraftwerken ohnehin nur um die Stromproduktion. Das, was wir an Heizenergie brauchen, was wir an Prozessenergie für die Unternehmen brauchen, das kann dadurch gar nicht ersetzt werden. ({2}) Es geht also nur um einen kleinen Teil der Stromproduktion. Und da sind die Fachleute der Ministerien mit ihrer Expertise zu anderen Erkenntnissen gekommen als diejenigen, die Sie in Ihrer Frage untergebracht haben. ({3})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Die nächste Frage kommt aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sie stammt von Stefan Schmidt.

Stefan Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004877, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, nächste Woche jährt sich die Flutkatastrophe im Ahrtal. Morgen werden wir dazu ausführlich im Plenum diskutieren. Die Katastrophe ist eine schmerzliche Mahnung an uns, dass die Klimakrise in vollem Gange ist, dass Extremwetterereignisse uns überall und unvermittelt treffen können. ({0}) Zehntausende Menschen haben Angehörige, Freunde und Nachbarn verloren. Zusätzlich zu diesen Schicksalsschlägen standen viele Menschen auch vor dem finanziellen Ruin. Es war gut und richtig, dass Bund und Länder hier mit mehreren Milliarden Euro geholfen haben. Gleichzeitig müssen wir aber auch darüber reden, dass staatliche Ad-hoc-Hilfen keine verlässliche und auch keine gerechte Lösung sind und dass nur knapp die Hälfte aller Wohngebäude gegen Elementarschäden versichert sind. Sie selbst, Herr Kanzler, zeigten sich vor einem Jahr grundsätzlich offen für eine verpflichtende Elementarschadenversicherung. Sie haben damals darauf verwiesen, die Länder müssten sich einigen, dann würde der Bund dem sicher nicht entgegenstehen. Jetzt gibt es ja einige Einigung: Die Ministerpräsidentenkonferenz hat die Einführung einer Pflichtversicherung gegen Elementarschäden empfohlen. Stehen Sie noch zu Ihrer Aussage? Und: Wie würden Sie konkret vorgehen, insbesondere um auch sozialen Härten entgegenzutreten?

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank für diese Frage. – In der Tat ist es so, dass das größte Hemmnis in diesem Bereich immer gewesen ist, dass es keine Einigung unter den 16 Ländern darüber gegeben hat, ob eine verpflichtende Elementarversicherung überhaupt eingeführt werden soll. Es ist ein großer Fortschritt, dass uns gegenüber ein solcher Wunsch der Länder überhaupt mal geäußert worden ist. Jetzt wird natürlich darüber gearbeitet werden. Der zuständige Minister hat sich dieser Aufgabe gewidmet und wird dazu Vorschläge für die Diskussion mit den Ländern präsentieren. Aber es ist ganz klar, dass es mit der Grundabsicht, dass es eine verpflichtende Elementarschadenversicherung geben soll, noch nicht getan ist. Denn das Ganze bedeutet ja, dass man einen Weg finden muss, mit unterschiedlichen Risiken umzugehen, dass man einen Weg finden muss, mit unterschiedlichen Betroffenheiten umzugehen. All das aufzulösen, sodass auch am Ende weiterhin 16 Länder zustimmen, wird eine große Herausforderung sein. Aber der Wunsch ist geäußert. Und die Bundesregierung wird hilfreich tätig sein. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie können eine Nachfrage stellen.

Stefan Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004877, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Kehrseite der Pflichtversicherung ist tatsächlich die Prävention. Mich würde noch interessieren, was Sie zur besseren Prävention von Elementarschäden vorschlagen und welche Maßnahmen zur Klimafolgenanpassung, gerade auch mit Blick auf eine Reform des Katastrophenschutzes und einer Stärkung der Bundesebene in diesem Zusammenhang, Sie in Ihrem Arbeitspensum haben?

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Es gibt verschiedene Themenfelder, die damit angesprochen sind. Das eine Themenfeld ist ganz sicher die Frage, wie wir im Rahmen unserer Bauplanungen, im Rahmen von Stadtplanung, Landschaftsplanung, Raumordnungsplanung sicherstellen, dass solche Gefahren mit eingepreist und beachtet werden. Das ist aber eine langfristige Perspektive; denn angesichts über Jahrtausende gewachsener Siedlungsstrukturen gibt es nicht von einem auf den anderen Tag einfache Lösungen, die auch im Einklang mit der Bevölkerung möglich sind. Das wird also ein Aspekt sein: langfristig zusammen mit denjenigen, die vor Ort tätig sind, Lösungen und Wege zu finden. Das wird aber sicher nicht von einem auf den anderen Tag umgesetzt werden können. Das zweite Themenfeld ist, dass wir sicherstellen, dass unsere Katastrophenschutzinfrastrukturen in den Gemeinden, in den Ländern und im Bund gut funktionieren. Sie wissen, dass es Förderprogramme für klassische Warnsysteme gibt, etwa für solche, die sich mit Sirenen verbinden. Sie wissen, dass wir neue Möglichkeiten, die sich aus Funk und Digitalisierung ergeben, nutzen wollen. Das alles zusammen soll eine verbesserte Sicherheitsarchitektur schaffen, auch indem wir überprüfen und sicherstellen, dass die Katastrophenschutzinstitutionen gut ausgerüstet sind, um auch im Einzelfall zureichende Hilfe leisten zu können. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Fragesteller: aus der AfD-Fraktion Klaus Stöber.

Klaus Stöber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005232, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, vielen Dank, dass Sie heute Zeit für diese Befragung der Bundesregierung gefunden haben – im Gegensatz zu Ihrem Finanzminister, der es ja vorgezogen hat, seine Hochzeit auf Sylt zu zelebrieren. Ich habe eine Frage zur Inflation; Sie haben es in Ihren einleitenden Worten erwähnt. Die Inflation ist das Problem, das die Menschen im Moment am meisten bewegt. Es ist ja nicht nur der Spritpreis; es sind ja auch die horrend steigenden Energiepreise, die Preise für Gas, die Preise für Lebensmittel. Viele wissen wirklich nicht mehr, wie sie ihre täglichen Kosten decken sollen. Man muss auch sagen: Am Ende des Jahres werden wir wahrscheinlich vor dem Problem stehen – das haben Sie und Herr Habeck schon mal angedeutet –, dass kein Gas mehr da ist, um die Leute mit Wärme zu versorgen. Vor diesem Hintergrund muss man ja wohl feststellen, dass Ihre Sanktionspolitik gegenüber Russland gescheitert ist. Sie wollten Putin schaden; aber Sie haben Ihrem eigenen Volk geschadet. Und dann muss man ja die Frage stellen, wie Sie das mit dem Eid, den Sie als Bundeskanzler geschworen haben, Ihre „Kraft dem Wohle des deutschen Volkes“ zu widmen, in Übereinstimmung bringen können. Sie haben auf die Frage der Kollegin von der SPD die Konzertierte Aktion angeführt, die gerade läuft. Sie sagen, Sie wollen sich dazu regelmäßig treffen. Herr Kanzler, haben Sie sich überhaupt schon mal draußen informiert, wie die Situation auf der Straße ist? Die Menschen haben kein Verständnis dafür, dass Sie sich alle vier Wochen mal treffen, um zu diskutieren.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Kommen Sie bitte zur Frage.

Klaus Stöber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005232, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Die Menschen wollen eine konkrete Antwort. Deswegen wäre meine Frage: Gibt es denn schon konkrete Ergebnisse, die Sie uns und dem Volk vorstellen können? Das würde mich mal interessieren.

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank für Ihre Frage. – Natürlich habe ich mich ganz praktisch informiert, welche Auswirkungen das hat. Und deshalb sage ich: Viele Bürgerinnen und Bürger haben nicht genügend Rücklagen, um auf die plötzlichen Preissteigerungen, die zum Beispiel über die Energierechnungen auf sie zukommen können, aber auch auf viele andere Preissteigerungen im täglichen Leben reagieren zu können. Deshalb haben wir bereits zwei Pakete über insgesamt 30 Milliarden Euro auf den Weg gebracht; ich habe bereits mehrfach einzelne Aspekte davon aufgezählt. Das ist wirklich viel, und manches davon haben viele noch gar nicht zur Kenntnis genommen bzw. bemerkt, weil es noch gar nicht ausgezahlt wurde und damit noch nicht angekommen ist. Allein die Reduzierung der Stromrechnungen dadurch, dass die EEG-Umlage jetzt – es geht um 20 Milliarden Euro – Jahr für Jahr entfällt, ist ein Schritt, der vielen nützen wird: privaten Haushalten, aber auch den Unternehmen. Auch die vielen anderen Instrumente, die ich aufgezählt habe, werden ihren eigenen Beitrag leisten. Wir finden aber, dass gewissermaßen mit diesen beiden Schritten nicht alles getan ist. Und während diese gerade erst umgesetzt werden, fangen wir richtigerweise schon die Diskussion darüber an, was eigentlich in Zukunft zu tun ist, damit wir zurechtkommen können, damit alle Bürgerinnen und Bürger zurechtkommen können. Das ist das konkrete Ziel der Konzertierten Aktion. Ich sage noch mal: Wenn Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, wenn der Staat, die Bundesbank, der Sachverständigenrat gemeinsam diskutieren und Vorschläge entwickeln, dann ist das das Beste, was wir in Deutschland haben. Die Sozialpartnerschaft hat Deutschland starkgemacht, und sie wird uns als Land auch in Zukunft weiter starkmachen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich sage schönen guten Tag und frage: Wollen Sie eine Nachfrage stellen?

Klaus Stöber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005232, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja, gerne. Ich habe eine Nachfrage. – Ich möchte konkret festhalten: Eine Maßnahme, die die Regierung schon beschlossen hat, ist ja die sogenannte Energiepreispauschale, wonach im Prinzip jeder Erwerbstätige 300 Euro steuerpflichtig erhalten soll. Ich kann nicht erwarten, dass Sie sich mit jedem Gesetz intensiv auseinandersetzen. Aber vielleicht hat Ihnen ja einer Ihrer Kollegen aus der SPD-Fraktion berichtet, wie die Anhörung im Finanzausschuss zu diesem Thema war und dass die Energiepreispauschale von fast allen Experten heftig kritisiert wurde, nicht nur hinsichtlich der praktischen Umsetzbarkeit, sondern auch wegen des Fakts, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen vom Erhalt dieser Energiepreispauschale komplett ausgegrenzt wurden. Da frage ich Sie jetzt nicht als Kanzler, sondern als Sozialdemokraten, wie Sie es verantworten können, dass bei der Energiepreispauschale zum Beispiel 21 Millionen Rentner einfach mal vergessen wurden. Und ich frage Sie als Kanzler, wie Sie es mit sich vereinbaren können, dass Sie bei einem Monatsgehalt von 30 000 Euro Anspruch haben auf 300 Euro Energiepreispauschale und 21 Millionen Rentner keinen Anspruch darauf haben. Diese Frage würde ich hier gern einmal stellen.

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank für Ihre Frage. – In der Tat haben wir ganz viele Maßnahmen ergriffen, die sich an verschiedene Bevölkerungsgruppen richten. Viele der Maßnahmen, die wir ergriffen haben, haben auch direkte Auswirkungen auf Rentnerinnen und Rentner, ganz besonders auf diejenigen, die zum Beispiel auf Grundsicherung angewiesen sind. Sie profitieren auch von der Einmalzahlung, die wir direkt leisten. Es ist so, dass wir gleichzeitig mit dem Heizkostenzuschuss auch denjenigen helfen, die Wohngeld bekommen. Darüber hinaus gab es gerade jetzt eine substanzielle Rentenerhöhung. Wir haben gerade in diesem Bundestag – auch das wird umgesetzt – eine massive Anhebung vieler Erwerbsminderungsrenten beschlossen. Dadurch, dass wir die Zurechnungszeiten verändert haben, werden jetzt viele mehr bekommen. Noch umgesetzt wird die Grundsicherung. Wir haben gleichzeitig als Regierung auch beschlossen – das steht auch in der Vereinbarung über die Bildung der Regierung –, dass wir das Rentenniveau stabilisieren wollen. Es wird also sehr viel getan für Rentnerinnen und Rentner. Trotzdem sagen wir nicht, dass damit schon alles getan ist, sondern wir werden das weiterhin in den Blick nehmen. Auch ist es eine der Aufgaben der Konzertierten Aktion und der Diskussionen, die wir uns vorgenommen haben, dass wir ein Gesamtkonzept entwickeln für das, was als Nächstes zu tun ist. Sie können sich sicher sein: Wir werden alle im Blick haben und nicht nur einige. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Frage stellt die Kollegin Frau Dr. Jurisch.

Dr. Ann Veruschka Jurisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005094, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, ich möchte Sie gerne zum Thema Personalmangel/Arbeitskräfteknappheit befragen. Die aktuelle Personalnot an den Flughäfen ist ja nur die Spitze eines riesengroßen Eisbergs. Egal mit wem man spricht, sei es in der Gastronomie, im Handwerk, in der Industrie: Überall fehlen Arbeitskräfte. Wir sind eine alternde Gesellschaft. Die Demografie wird immer mehr zu einem ganz großen Problem für uns und zu einem Wachstumshemmer. Wir werden das Problem der Personalknappheit nicht allein aus dem Inland heraus beheben können. Experten sagen: Wir brauchen gezielte Zuwanderung von bis zu 400 000 Personen pro Jahr, mit steigender Tendenz. Die Koalition hat sich ja auch einen Paradigmenwechsel im Bereich der Migrationspolitik vorgenommen: in Richtung eines modernen Einwanderungslands mit dem Gestaltungsanspruch, dass wir vorausschauend und auch realistisch Migration planen wollen. ({0}) Deswegen möchte ich Sie gern fragen: Was plant die Bundesregierung, um den großen Bedarf an Arbeitskräften zu decken, sodass wir uns auch im internationalen Wettbewerb um Arbeitskräfte behaupten können? – Vielen Dank. ({1})

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank für Ihre Frage. – Zunächst einmal: Wir haben diese Herausforderung schon seit vielen Jahren. Deshalb geht es immer darum, wie wir dazu beitragen können, dass möglichst viele in diesem Land beschäftigt sind, auch zu guten Bedingungen. Ich glaube auch, dass sich die Lage verbessern wird. Die Einführung des Mindestlohns hat schon dafür gesorgt. Wenn dieser jetzt auf 12 Euro angehoben wird, wird dies dazu beitragen, dass für viele die Arbeit etwas attraktiver wird, als sie es bisher ist. Auch das wird auf den Arbeitsmarkt Auswirkungen haben. Was die Coronapandemie uns gezeigt hat, ist, dass viele, die ihre Arbeitsplätze aufgeben mussten, weil sie zu schlecht bezahlt waren oder weil sie nicht mehr weiterbeschäftigt wurden, sich etwas Neues gesucht und dabei auch etwas Besseres gefunden haben, weswegen sie nicht an ihre alten Arbeitsplätze zurückkehren. Es ist übrigens auch einer der Gründe für die Schwierigkeiten, die wir jetzt an den Flughäfen haben, dass dort zu viele weggeschickt wurden und dass die Arbeitsbedingungen nicht so attraktiv waren, sodass diejenigen, die weggeschickt wurden oder sich wegen der wirtschaftlichen Lage etwas Neues gesucht haben, jetzt nicht wieder zurückkehren. Darum wird zu den Maßnahmen, die wir ergreifen, nicht nur gehören, dass wir erlauben, dass die Fluggesellschaften Beschäftigte aus dem Ausland hierherholen und sie zu Tariflöhnen direkt einstellen können neben denjenigen, die hier vor Ort tätig sind, sondern es wird auch dazu gehören, dass man generell bessere Arbeitsbedingungen in diesem Bereich schafft. Aber wir brauchen auch Zuwanderung von Fachkräften nach Deutschland. ({0}) Deshalb ist es eines der großen Modernisierungsvorhaben dieser Regierung, dass wir mit erheblichen Fortschritten bei der Gesetzgebung dazu beitragen, dass Fachkräfteeinwanderung nach Deutschland einfacher wird. Auch das wird dazu beitragen, dass der Arbeitsmarkt in Deutschland sich entspannt, dass mehr Leute Beschäftigung finden. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben noch eine Nachfrage. Bitte sehr.

Dr. Ann Veruschka Jurisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005094, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, vielen Dank. – Daran möchte ich direkt anknüpfen. Die Freien Demokraten haben ja schon länger in ihrem Wahlprogramm gefordert – das haben wir auch im Koalitionsvertrag so vereinbart –, eine Chancenkarte auf der Basis eines Punktesystems einzuführen, die gerade auch für die Jobsuche eine Einreise nach Deutschland auf Grundlage von klaren Kriterien ermöglicht. Ich wollte Sie fragen: Wie prioritär wollen Sie dieses Thema behandeln, und wann können wir mit einem Gesetzgebungsvorschlag rechnen, damit wir weiter vorankommen hin zu einem modernen Einwanderungsland? – Vielen Dank.

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Die Bundesministerin Faeser und der Bundesminister Heil wollen noch in diesem Jahr Vorschläge zu diesem Bereich machen, die genau das beinhalten werden, was Sie angesprochen haben, nämlich eine weitere Verbesserung des bestehenden Rechts der Fachkräftezuwanderung, das in Deutschland existiert. ({0}) Wir haben, wie Fachleute wissen, eines der großzügigsten Rechtsregime in dieser Frage; aber es ist ein Wissen, das sich auf wenige beschränkt. Deshalb ist die Effizienz unserer bisherigen Fachkräftezuwanderung bisher nicht so groß, wie sie sein könnte. Neben der Beseitigung von Hürden und Schwierigkeiten, die dort existieren, wollen wir gleichzeitig dafür Sorge tragen, dass es auch eine qualifizierte Fachkräfteeinwanderung von Männern und Frauen gibt, die noch keinen Arbeitsplatz haben, aber so viel können, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass sie bald einen finden. Das ist das, was mit dem Punktesystem verbunden ist. Beide Systeme wollen wir zu einem guten, kohärenten Gesamtkonzept zusammenführen und damit einen großen Fortschritt für unser Land erreichen. Wir werden unseren Wohlstand nur erhalten können, wenn wir die hohe Zahl an Beschäftigten, die wir heute haben, auch in Zukunft sicherstellen können. Das wird gelingen, indem diejenigen, die hierzulande arbeitsuchend und arbeitsfähig sind, noch mehr, als es bisher der Fall ist, in Arbeit vermittelt werden und indem junge Leute Perspektiven auf dem Ausbildungsmarkt kriegen. Aber das gelingt auch durch Zuwanderung. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Frage stellt Christian Görke.

Christian Görke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005067, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass ich die Frage an den Bundeskanzler richten darf. Lars Klingbeil als Parteivorsitzender der Sozialdemokratischen Partei hat in der letzten Woche sehr eindringlich dafür geworben, angesichts der bizarren Gewinne von Energiekonzernen eine Übergewinnsteuer zu prüfen. Deshalb frage ich Sie angesichts dieser klaren Botschaft Ihres Parteivorsitzenden – Sie sind ja ein sozialdemokratischer Kanzler –, ob Sie sich im Kabinett dafür einsetzen werden, dass wir angesichts dieser Entwicklungen eine Gegenfinanzierung möglicher weiterer Entlastungspakete erreichen.

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Wie Sie wissen, lässt sich diese Frage, was man konkret machen kann, technisch gar nicht so einfach beantworten, zumal es auch viele Unternehmen gibt, die große Gewinne erzielen, aber nicht hierzulande, und sie deswegen auch hierzulande nicht besteuert werden können. Aber unabhängig davon handele ich auf der Basis der Entscheidung, die wir zur Bildung dieser Regierung miteinander getroffen haben, und der Konzepte, die sich im Koalitionsvertrag wiederfinden. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wollen Sie eine Nachfrage stellen?

Christian Görke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005067, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich würde gerne eine Nachfrage stellen; ich muss dann eben noch einmal anders anfangen. – Sie haben ja als Kanzlerkandidat für Respekt und Gerechtigkeit geworben. Was macht es eigentlich mit Ihrem Gerechtigkeitsgefühl, wenn sich marktmächtige Ölkonzerne auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung so bereichern? Konkret die Frage: Finden Sie diese leistungslosen Übergewinne, die nur durch die Marktposition entstehen, eigentlich okay? ({0})

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Wie Sie und wie, glaube ich, fast alle Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande finde ich es schon bedrückend, zu sehen, dass in einer Zeit, in der es für alle eng wird, einige ganz besonders große Gewinne machen, die allein der gegenwärtigen Situation geschuldet sind. Deshalb sind sie umso mehr verpflichtet, dazu beizutragen, dass die Preise nicht durch die Decke schießen, dass zum Beispiel, wenn wir steuerliche Regelungen zur Erleichterung für die Bürgerinnen und Bürger auf den Weg bringen, Entlastungen auch bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommen. Gleichzeitig müssen wir im Blick haben, dass wir natürlich auch einzelne Unternehmen haben, bei denen das gar nichts mit diesen Dingen zu tun hat, sondern mit technischen Innovationen, mit Fortschritt, mit vielen Leistungen, die damit verbunden sind. Gerade in der Coronapandemie haben wir gesehen, dass Unternehmen mit hohem innovativem Potenzial aus Deutschland in der Lage waren, uns und der ganzen Welt mit den von ihnen erzielten Fortschritten zu helfen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jasmina Hostert stellt die nächste Frage.

Jasmina Hostert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005088, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke, Frau Präsidentin. – Herr Bundeskanzler, ich möchte Ihnen gerne eine Frage zum Bereich der Kinderbetreuung und Bildung stellen. Wir wollen natürlich, dass alle Kinder in unserem Land die gleichen Bildungs- und Entwicklungschancen bekommen. Dafür ist eine gute Kindertagesbetreuung sehr wichtig. Das hat gerade auch die Coronapandemie gezeigt. Ich möchte Sie gerne fragen: Welche Wichtigkeit hat für Sie die frühkindliche Bildung? Inwiefern wird der Bund hier auch zukünftig Verantwortung übernehmen?

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Die frühkindliche Bildung ist sehr, sehr wichtig, und deshalb gehört es ja zu den Vorhaben dieser Regierung, dazu beizutragen, dass sie sich weiter verbessert. Wir haben auch Vorsorge für eine gute Kinderbetreuung in den nächsten Haushaltsjahren getroffen und werden das fortsetzen, was wir da bisher begonnen haben. Das ist wichtig für die Zukunft.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Haben Sie eine Nachfrage?

Jasmina Hostert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005088, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, sehr gerne. – Das Gute-KiTa-Gesetz soll ja weiterentwickelt werden. Welche Schwerpunkte sollen Ihrer Meinung nach hier besonders gesetzt werden?

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Ich glaube, dass es viele Schwerpunkte gibt, die von den Ländern und Gemeinden in dieser Frage ein wenig unterschiedlich gesehen werden. Es geht um Qualitätsverbesserung; die spielt da immer eine Rolle. Es geht um den Ausbau der Kapazitäten; auch das dürfen wir nie vergessen. Es ist unverändert in vielen, vielen Bereichen Deutschlands notwendig, dass wir mehr Betreuungskapazitäten schaffen. Es geht auch um die Frage: Kann man sich die Gebühren leisten? Kann man es sich eigentlich leisten, sein Kind dahin zu schicken? Also auch dieses Thema kommt da rein. Aus der Gesamtschau ergibt sich ein Setting, das wir bisher dadurch aufgelöst haben, dass wir uns mit den Ländern über die Art und Weise verständigt haben, wie sie das konkret umsetzen wollen. Entlang dieses Pfades werden wir sicherlich weitermarschieren.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jürgen Hardt ist der nächste Fragesteller.

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, die Ukraine – krasser Themenwechsel, aber ich muss es leider ansprechen – ist in einer extrem bedrohlichen Situation, jetzt auch militärisch neu unter Druck gekommen. Sie haben am 27. Februar gesagt: Wir müssen der Ukraine helfen, wo wir können. – Wir haben dann Ende April hier im Bundestag mit den Stimmen der Parteien der Mitte gemeinsam festgestellt, dass wir schwere Waffen liefern müssen, dass wir alles tun müssen, damit Putin unter dem Druck von Sanktionen einerseits und durch militärischen Widerstand von der Ukraine andererseits in eine Situation kommt, in der er erkennt, dass er diesen Weg nicht weitergehen kann, sondern von dieser Politik abkehren muss. Wenn wir gucken, was aus unseren Beschlüssen im Bundestag und aus den Ankündigungen konkret geworden ist, haben wir allerdings einige Fragezeichen. Sie haben gesagt, kein Land würde westliche Waffen liefern. Das stimmt nicht. Die Spanier wollen Leopard-2-Panzer liefern. Auch wir haben im Übrigen Panzerhaubitzen geliefert. Aber gleichzeitig stehen bei deutschen Rüstungsunternehmen Panzer auf dem Hof, Schützenpanzer Marder zum Beispiel, die nicht in die Ukraine ausgeliefert werden können. Woran liegt das? Wer steht da auf der Bremse?

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank für Ihre Frage. – Wir haben sehr, sehr viel Unterstützung für die Ukraine mobilisiert, auch was Waffen betrifft. Sie wissen – das haben Sie gerade angesprochen –, dass die Panzerhaubitzen, nachdem wir die Soldatinnen und Soldaten der Ukraine hierzulande daran ausgebildet haben, mittlerweile im Einsatz sind. Sie haben auch gehört, dass wir weitere schicken wollen. Sie haben mitbekommen, dass wir eine Entscheidung getroffen haben, dass wir zusammen mit Großbritannien und den USA Mehrfachraketenwerfer in die Ukraine schicken. Auch da hat die Ausbildung bereits begonnen. Das Gleiche gilt übrigens für den Flakpanzer Gepard, der in der Lage ist, die Truppen zu beschützen, die aus der Luft angegriffen werden, und dem damit eine ganz wichtige Funktion zukommt. ({0}) Das gilt auch für die weiteren Systeme, die wir jetzt im Hightechbereich liefern. Das ist zum Beispiel das Artillerieortungsradar COBRA, das ist das IRIS‑T-System, das wir auf den Weg bringen werden, modernste und auch sehr teure Technik, die in der Lage ist, ganze Städte gegen Angriffe aus der Luft zu schützen. ({1}) In dieser Linie werden wir auch immer weitermachen. Darauf können Sie sich verlassen. Gleichzeitig ist es so, dass wir eng zusammen mit unseren Verbündeten aktiv sind. Wenn Sie gucken wollen, was wir tun, können Sie sich ungefähr daran orientieren, was die USA oder Frankreich oder Großbritannien machen. Wenn Sie das abgleichen – das haben Sie ja längst getan und könnten das also bestätigen, wenn Sie wollten –, dann können Sie sehen, dass wir eingebunden in das sind, was die Verbündeten machen, was die Freunde tun, und wir immer weiter eingebunden bleiben werden. Alleingänge gibt es in dieser Frage nicht. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben noch eine Nachfrage in petto.

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, wir haben sichere Informationen, dass die deutsche Rüstungsindustrie in der Lage wäre, modernisierte gebrauchte Marder-Panzer, die auf dem Hof stehen, an die Ukraine zu liefern, und wir wissen, dass die Ukraine sie haben will. Das Gleiche gilt für Transportpanzer vom Typ Fuchs. Die Frage an Sie ist – die haben Sie eben nicht beantwortet –: Wer steht auf der Bremse, dass es nicht zu diesen Lieferungen kommt? Wenn Sie nicht liefern wollen, dann sagen Sie es, dann müssen wir uns damit auseinandersetzen. Aber diese Hinhaltetaktik finde ich nicht gut. ({0})

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Es ist eine Führungsentscheidung, die wir gemeinsam getroffen haben, dass wir keine Alleingänge machen, sondern immer mit unseren Verbündeten zusammenarbeiten. Deshalb kann ich Ihnen ganz konkret sagen: Wir haben jetzt mehrere Ringtausche vorbereitet, damit Waffen, die bei den osteuropäischen Verbündeten und Freunden vorhanden sind, direkt an die Ukraine geliefert werden. Diese passen zu den sowjetischen bzw. russischen Beständen, die dort genutzt werden, und für diese ist auch genügend Munition und Training vorhanden. Wir haben mit mehreren Ländern die Vereinbarungen jetzt so weit konkretisiert, dass sie unmittelbar mit Auslieferungen verbunden sein werden. Denen werden wir dann solche modernisierten Waffen aus deutschen Beständen zur Verfügung stellen, wie sie eben genannt wurden. Das ist ein Weg, den viele beschreiten. Wir haben darin sehr viel Energie investiert, dass das auch passiert. In den nächsten Wochen werden Sie über die Umsetzung dieser sehr fortschrittlichen und hilfreichen Maßnahmen informiert. Ich glaube, das wird Sie dann auch überzeugen, dass wir genau den richtigen Weg gehen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Konstantin von Notz stellt die nächste Frage.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Moin, Herr Bundeskanzler! Sie haben als erster Kanzler dieses Landes eine Botschaft zum Christopher Street Day gesendet. Das ist ein außerordentliches Zeichen des Respekts und der Anerkennung. Dafür möchte ich Ihnen im Namen aller hier sehr danken. ({0}) Zu Recht haben Sie dabei den Fokus auf die Bekämpfung der queerfeindlichen Hasskriminalität gelegt. Der schreckliche, mutmaßlich islamistische Anschlag von Oslo, aber auch die Gewaltattacken, die queere Menschen hier in Deutschland tagtäglich erfahren, zeigen: Es muss hier einfach sehr viel mehr getan werden als bisher. – Deswegen frage ich Sie. Die Innenministerkonferenz hat im Dezember 2021 die Bundesregierung in einem einstimmigen Beschluss gebeten, zur queerfeindlichen Hasskriminalität ein unabhängiges Expertengremium aus Wissenschaft und Praxis unter Einbindung von Fachverständigen aus der LSBTI-Gemeinde einzusetzen. Das Gremium soll Handlungsempfehlungen vorlegen, wie die Bekämpfung von gegen LSBTI gerichteter Gewalttaten weiter verbessert werden kann. Wird die Bundesregierung dieser Empfehlung der IMK nachkommen und noch in diesem Jahr eine solche Expertinnen- und Expertenkommission einberufen? ({1})

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Wir werden auf alle Fälle alles tun, um solche Hasskriminalität zu bekämpfen. Dazu gehört übrigens auch das Vorhaben, dass wir entsprechende gesetzliche Veränderungen vornehmen, die dazu führen, dass das auch strafrechtlich schärfer verfolgt werden kann, als das heute der Fall ist. Wir haben bereits eine Gesetzgebung, die Hasskriminalität zum Gegenstand hat, aber nicht, wenn es um queere Personen geht. Übrigens auch im Hinblick auf Frauen gibt es da etwas zu verbessern, was mit der heutigen Gesetzgebung nicht verbunden ist. Das werden wir tun. Natürlich werden wir Arbeitsstrukturen etablieren, die dazu beitragen, dass diese Sachen auch weiter untersucht werden und wir dazu kommen, dass die richtigen Maßnahmen ergriffen werden. Denn neben Gesetzen wird es ja auch darum gehen, ganz konkrete praktische Schritte miteinander zu vereinbaren. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Da gibt es keine Nachfrage. Mithin ist der nächste Fragesteller Dr. Michael Espendiller.

Dr. Michael Espendiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004711, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Kanzler, wir sind in einer sehr angespannten Haushaltslage, und die gesamte Bevölkerung leidet unter den enormen Preissteigerungen. Christian Lindner hat letzten Freitag die Grundzüge des Haushaltsplans 2023 und die mehrjährige Finanzplanung bis 2026 vorgestellt. Dort sind auch Entlastungen für die Bevölkerung bis 2026 eingeplant, und zwar insgesamt 12,7 Milliarden Euro. Rechnet man das runter, so ergibt sich, dass Sie also pro Kopf Entlastungen in Höhe von 3,19 Euro monatlich planen. Das kann man bestenfalls als symbolischen Beitrag werten. Eine richtige Entlastung planen Sie also ganz offensichtlich nicht. Auf der anderen Seite haben Sie der indischen Regierung 10 Milliarden Euro zugesagt. Wie passt das zusammen?

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Die Frage passt schon nicht, ({0}) weil das eine mit dem anderen nichts zu tun hat, wenn ich mir das erlauben darf zu sagen. Es ist wichtig, dass wir unseren internationalen Verpflichtungen nachkommen und dass wir dazu beitragen, dass zum Beispiel andere Länder auch den Weg einschlagen, den wir für die ganze Welt wichtig finden, nämlich eine CO2-neutrale Wirtschaft zu entwickeln. Das gelingt anderen Ländern nicht so einfach wie uns und nicht ohne unsere Unterstützung. Deshalb gehört zu den Politiken, die wir machen, wenn wir darum kämpfen, dass es zu einer industriellen Transformation hin zu einer CO2-neutralen Zukunft kommt, nicht nur, dass wir uns dafür einsetzen, dass das bei uns gelingt, sondern auch, dass andere Länder mitmachen, die ja, wenn man das pro Kopf ausrechnet – Sie haben auch so eine Rechnung vorgenommen –, viel weniger CO2 emittieren, als wir das heute tun. Trotzdem müssen wir sie davon überzeugen, dass sie jetzt nicht 200 Jahre das machen, was wir die letzten 200 Jahre gemacht haben. Es macht also Sinn und ist gut investiertes Geld in unserem eigenen Interesse, damit wir auf diesem Planeten leben können. Ansonsten haben Sie gesehen, dass wir es nach den Jahren der Coronapandemie mit dem Haushaltsentwurf geschafft haben, einen Haushalt 2023 und auch eine Finanzplanung entsprechend den Vorgaben des Grundgesetzes vorzuschlagen, dass wir mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, eine ehrgeizige Politik machen und dass in diesem Rahmen, ohne dass das bereits konkretisiert ist, auch steuerliche Entlastungen für Bürgerinnen und Bürger vorgesehen sind. So wie es im Steuerrecht der Fall ist, können wir da, wo wir das machen, immer dafür sorgen, dass diejenigen, die wenig Geld haben, besser wegkommen als diejenigen, die sehr viel Geld verdienen. Und auch das gibt uns neue Spielräume. Also: Alles passt zusammen. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wollen Sie eine Nachfrage stellen?

Dr. Michael Espendiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004711, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja, sehr gerne.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte.

Dr. Michael Espendiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004711, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Das sehen wir naturgemäß anders, und ich bin auch froh, dass jeder Bürger das zukünftig an seinem eigenen Portemonnaie prüfen kann. Ich bin nämlich nicht so zuversichtlich wie Sie. Noch mal zurück zu Indien. Ich hatte auch die Entwicklungshilfeministerin im Haushaltsausschuss gefragt, was denn der Zweck dieser Mittel in Höhe von 10 Milliarden Euro für Indien sein soll. Da sagte sie, dass man natürlich auch mit Indien in guten Gesprächen sein muss und dass Indien nicht nur mit China und Russland zusammenarbeiten möchte. Es geht also um so eine Art wirtschaftliche Balance. Jetzt muss ich leider feststellen, dass Indien sich nicht an den Sanktionen beteiligt. Im Gegenteil: Indien kauft gerade russisches Öl mit 25 bis 30 Prozent Rabatt im Vergleich zum Weltmarktpreis und exportiert dieses in Form raffinierter Kraftstoffe dann auch noch nach Europa. Im Mai sind die Exporte da um 50 Prozent gestiegen; 540 000 Tonnen sind es. Jetzt hat Indien am Freitag auch noch angekündigt, Exportzölle einzuführen, und zwar 16 Cent pro Liter. Anders formuliert: Indien beteiligt sich nicht an den Sanktionen, sondern versucht, sie auszunutzen, und bereichert sich auch noch daran. Als Haushälter stelle ich mir immer die Frage, ob die geplanten Mittel zum Zweck passen. Sind wir in der Lage, mit den 10 Milliarden Euro den Zweck zu erreichen? Wenn das Ziel war, eine wirtschaftliche Balance mit Indien einzuführen, muss man leider feststellen, dass das nicht funktioniert hat. Wenn man frech ist, kann man auch sagen: Die Inder bereichern sich an der Geschichte. Deswegen möchte ich Sie fragen: Halten Sie an den 10 Milliarden Euro fest, und was erhoffen Sie sich zukünftig noch davon im Vergleich zu dem, was die Entwicklungshilfeministerin gesagt hat?

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank. – Wir halten an unserer Entwicklungspolitik und Entwicklungshilfe fest – ja, die Frage will ich klar beantworten –, und wir haben auch gute Gründe dafür. Ich glaube, dass man sich entfernen muss von dem, was letztendlich hinter Ihrer Frage steht: eine etwas imperialistische Geste gegenüber der übrigen Welt, ({0}) die Vorstellung nämlich, dass alles und alle sich nach unseren eigenen Ideen richten. ({1}) Ich glaube, dass es sehr, sehr richtig ist, was wir machen, nämlich enge Gespräche zu führen mit den Freunden in der Welt. Ich hatte vorhin schon berichtet, dass wir die Regierungschefs und Präsidenten von Indonesien, Indien, Südafrika, Senegal und Argentinien eingeladen hatten zu unseren Gesprächen beim G-7-Gipfel. Ich bin dagegen, dass wir akzeptieren, dass es nach dem Putin’schen Weltbild, das Ihnen ja, wie ich eben gehört habe, nicht so fern ist, ({2}) eine Situation gibt, in der die Welt gespalten ist in den globalen Westen, wie er das immer nennt, und in den Rest. Vielmehr haben die Demokratien, die Staaten, die sich um ein gutes Miteinander bemühen, die nicht ihre Nachbarn überfallen, die Mehrheit und wollen auch zusammenarbeiten. ({3}) Das ist das, was wir mit unserer Politik unterstützen wollen und weiter unterstützen werden. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich beende die Befragung der Bundesregierung und bedanke mich bei allen Fragesteller/-innen und beim Bundeskanzler für die Bereitschaft. ({0}) – Haben Sie ein Problem, Herr Brandner? ({1}) – Fragesteller/-innen. Das wird schon noch kommen, dass Sie das verstehen.

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unser Land steuert möglicherweise auf die schwerste Wirtschaftskrise seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland zu. Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, um mit der Bundesregierung über die Folgen und über politische Schlussfolgerungen daraus zu diskutieren. Auf der Regierungsbank sitzt nicht ein einziges Mitglied der Bundesregierung, ({0}) und auch der Bundeskanzler hält es nicht für nötig, an dieser Diskussion teilzunehmen. ({1}) Ich will hier einmal feststellen: Das ist eine wirklich grobe Missachtung des Deutschen Bundestages, ({2}) und das dokumentiert zugleich ein wirklich atemberaubendes Desinteresse an den Sorgen der Menschen in unserem Land. Das ist unfassbar. ({3}) Wir sehen im Augenblick alle Vorzeichen für diese ernsthafte Wirtschaftskrise. Lassen Sie mich nur einige wenige nennen: Neben der Energieversorgung, die uns noch an anderer Stelle in dieser Woche beschäftigen wird, haben wir zurzeit die höchste Inflationsrate seit 30 Jahren. Wir sehen eine Handelsbilanz, die für Deutschland immer positiv war mit großen Handelsbilanzüberschüssen, erstmalig in der Geschichte der letzten Jahrzehnte ins Negative kippen mit der Folge, dass wir in Deutschland mehr Importe haben werden als Exporte. So etwas hat es lange nicht gegeben. ({4}) Der Euro verliert beständig an Wert – wir liegen mittlerweile auf einem Tiefpunkt gegenüber dem US-Dollar –, und dies hat etwas mit Wirtschaftspolitik, mit Finanzpolitik, mit Währungspolitik der letzten Jahre zu tun, ({5}) was auch diese Bundesregierung heute zu verantworten hat, meine Damen und Herren. ({6}) Ferner beklagen wir einen hohen Facharbeitermangel in Deutschland, und die deutsche Wirtschaft verliert international zugleich beständig an Wert und Wettbewerbsfähigkeit. ({7}) – So, und jetzt habe ich genau auf diesen Zwischenruf gewartet, meine Damen und Herren. Das ist ja das Mantra, das vermutlich auch alle nachfolgenden Redner hier zum Ausdruck bringen werden. ({8}) Meine Damen und Herren, ich will Ihnen nur zwei sehr konkrete Punkte sagen: Erstens. Es war ein schwerer arbeitsmarktpolitischer Fehler Ihrer Koalition, auf die letzten Elemente der großen Arbeitsmarktreformen der 80er- und 90er-Jahre bis hin zu denen der Regierung von Gerhard Schröder zu verzichten. ({9}) Dass Sie das Prinzip „Fördern und Fordern“ aufgegeben haben und nur noch fördern und nicht mehr fordern, ({10}) zeigen die Arbeitsmarktdaten, die wir hier vor uns liegen haben. ({11}) Wir haben in Deutschland 2,4 Millionen Arbeitslose. Wir haben immer noch 260 000 Menschen in Kurzarbeit, und Sie in dieser Koalition sind nicht in der Lage, den Facharbeitermangel zu beheben. Das ist Ihre Verantwortung und hat mit 16 Jahren vorher rein gar nichts zu tun. ({12}) Ich nenne Ihnen einen zweiten Grund. Wir diskutieren in Deutschland seit Jahren über eine notwendige große Unternehmensteuerreform. ({13}) In diesen Tagen konnten wir lesen, dass unter den 100 größten Unternehmen der Welt kein einziges deutsches Unternehmen mehr vertreten ist. Sie auf der linken Seite dieses Hauses sind von Sachverständigen, von Fachleuten aus den Unternehmen selbst seit Jahren auf die Gefahren hingewiesen worden, ({14}) die insbesondere mit unserer Arbeitsmarktpolitik und die insbesondere mit der Steuerpolitik dieses Landes verbunden sind. Sie haben es hartnäckig ignoriert. Sie weigern sich bis zum heutigen Tag, dem Gedanken nahezutreten, den Solidaritätszuschlag auch für die Kapitalgesellschaften und für die Personengesellschaften aufzugeben. Das sind allein 10 Milliarden Euro jährliche Zusatzbelastung für deutsche Unternehmen und damit für Arbeitsplätze in Deutschland – jedes Jahr! ({15}) Sie weigern sich hartnäckig in dieser Koalition, über eine Unternehmensteuerreform nachzudenken. Wir sind ein Hochsteuerland. Wir sind ein Land mit hohen Bürokratiekosten. Wir sind ein Land mit sehr hohen Sozialkosten. Das ist alles in Ordnung; aber jetzt droht die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen endgültig verloren zu gehen. ({16}) Sie haben keine Antworten auf diese Fragen. Sie machen eine Konzertierte Aktion mit dem Bundeskanzler, die genauso ausgehen wird wie die letzten Konzertierten Aktionen: Sie dauern Jahre, sie sind endlose Gesprächsrunden, sie sind ein Alibi dafür, dass Sie keine Reformen in diesem Lande durchsetzen wollen, ({17}) und Sie werden in wenigen Jahren – spätestens – mit der bitteren Wahrheit konfrontiert sein, dass diese unterlassenen Reformen und Veränderungen dieses Jahres nicht durch runde Tische zu beseitigen sind, sondern nur durch aktives Handeln in der Wirtschaftspolitik, in der Finanzpolitik und in der Arbeitsmarktpolitik. ({18}) Und hören Sie auf, über 16 Jahre zu reden! ({19}) Dieser Befund heute ist Ihre Herausforderung, und wenn es so bleibt, meine Damen und Herren, dann ist es allein Ihre Verantwortung, die Sie dafür in Deutschland zu tragen haben. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({20})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jens Peick hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Jens Peick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Abgeordnete! Sehr geehrter Herr Merz, lassen Sie uns da beginnen, wo wir uns einig sind, und das ist die Problemanalyse. Das Leben der Menschen in diesem Land wird spürbar teurer, ob an der Supermarktkasse, an der Zapfsäule oder bei den Wohnnebenkosten. Die Menschen müssen aufgrund von Corona, von Lieferengpässen und wegen des Krieges in der Ukraine den Gürtel enger schnallen, teilweise in dramatischen Ausmaßen. Nach einer INSA-Umfrage vom letzten Monat lässt jetzt schon jeder Sechste wegen der Inflation eine Mahlzeit ausfallen, weil Lebensmittel zu teuer sind, und – so ehrlich muss man sein – diese Lage kann sich in den nächsten Monaten auch noch deutlich verschärfen. Eines muss man sagen – Herr Merz, da gehen unsere Einschätzungen auseinander –: Genau deshalb handeln wir. ({0}) Wir haben sehr viel getan durch Entlastungspakete, um kurzfristig und schnell den Druck von den Menschen zu nehmen. Wir haben die EEG-Umlage Anfang dieses Monats abgeschafft, damit Strom bezahlbarer wird. Wir haben einen Kinderbonus von 100 Euro auf den Weg gebracht, der diesen Monat noch ausgezahlt wird. ({1}) Wir haben alle Beschäftigten mit einer Energiepreispauschale von 300 Euro unterstützt ({2}) und das 9‑Euro-Ticket ermöglicht für günstige Mobilität von A nach B. ({3}) Das alles wird einen durchschnittlichen Haushalt in diesem Land um circa 1 000 Euro entlasten. Wir wissen aber alle – so gut und richtig das ist –: Das ist keine Dauerlösung. Es wird bei gleichbleibend hoher Inflation nicht verhindern können, dass es eine soziale Spaltung in diesem Land gibt. Deswegen brauchen wir, so richtig diese Sofortmaßnahmen auch sind, andauernde und nachhaltige Antworten ergänzend zu dem, was wir schon getan haben. Dafür, liebe CDU/CSU, müssen wir uns Zeit nehmen – auch das ist richtig –; denn was bei Schnellschüssen passiert, haben wir letztes Jahr in der Coronazeit beim Oster-Lockdown gesehen: in der Nacht beschlossen, am nächsten Tag zurückgenommen. Das darf in dieser schwierigen Zeit nicht passieren. ({4}) Deshalb ist es richtig, dass Olaf Scholz sich jetzt Zeit für nachhaltige und längerfristige Lösungen – und zwar ergänzend zu den Sofortmaßnahmen – nimmt und dazu die Konzertierte Aktion ins Leben gerufen hat, ({5}) wie es vor ihm der sozialdemokratische Wirtschaftsminister Karl Schiller 1967 in einer ähnlichen Krise getan hat, damals wie heute mit zwei wichtigen Zielen: Preisstabilität auf der einen Seite und sichere Arbeitsplätze auf der anderen. Karl Schiller hat diese Konzertierte Aktion damals „Tisch der gesellschaftlichen Vernunft“ genannt. An diesen Tisch hat Olaf Scholz jetzt Gewerkschaften und Unternehmen gebracht. An diesem Tisch werden unterschiedliche Interessen ausgeglichen und gemeinsam Maßnahmen zur Bewältigung der Krise entwickelt. Gemeinsam Arbeitsmarkt und Wirtschaft stabil zu halten, das ist das Gebot der Stunde. Wir brauchen das Konzert der Einheit von Wirtschaft und Arbeit, die Konzertierte Aktion, um die Inflation effektiv und nachhaltig zu bekämpfen. Dafür haben wir auch wichtige arbeitsmarktpolitische Instrumente ergriffen. Wir können nicht oft genug sagen, dass wir die Kurzarbeit auf den Weg gebracht haben, die von Ihrer Seite kritisiert wurde. Und wenn Sie sagen, wir hätten „Fördern und Fordern“ aufgegeben, zeigt das nur, dass Sie eben nicht wissen, wie man gesellschaftlichen Zusammenhalt erzeugt: indem man die Menschen zusammenbringt. ({6}) Aktuell diskutieren wir über drei Krisenfaktoren: die Lohn-Preis-Spirale, die Kosten-Preis-Spirale und die Gewinn-Preis-Spirale. Die letztere, die Gewinn-Preis-Spirale, haben wir erlebt: wenn die Spritpreise steigen, nur weil Unternehmen Gewinne machen können. Die Kosten-Preis-Spirale erleben wir durch die Lieferengpässe und wenn Unternehmen die höheren Preise für Importe an die Kunden weitergeben. Aber an dieser Stelle möchte ich auch eins ganz deutlich sagen, damit das vorweg klar ist: Die Lohn-Preis-Spirale sehen wir nicht und haben wir auch nicht gesehen. Höhere Löhne und bessere Tarifabschlüsse sind nicht das Problem, sondern ein Teil der Lösung. ({7}) Und jetzt noch ein Wort zum knackigen Titel Ihrer Aktuellen Stunde „Worten müssen Taten folgen“. Ich bin an vielen Stellen froh, dass Ihren Worten keine Taten folgen. Herr Merz, Sie ganz persönlich haben schon vor einigen Monaten einen Stopp von Gaslieferungen über Nord Stream 1 gefordert. ({8}) Hätten wir das damals gemacht, dann wären wir jetzt bis zum Hals in einer ganz anderen Wirtschaftskrise; die Probleme wären viel größer. ({9}) Diese oppositionellen Tanzschritte sind dem Ernst der Lage nicht angemessen. Ich bin überzeugt davon, dass Olaf Scholz mit der Konzertierten Aktion, ({10}) gemeinsam mit Gewerkschaften und Unternehmen, bis zum Herbst die Maßnahmen entwickelt, die uns aus der Krise bringen. Und ich bin auch heilfroh, dass wir einen Kanzler haben, der ganz klar dem Maßstab folgt: erst nachdenken, dann handeln. Danke. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich habe eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung. Frau Warken, bitte.

Nina Warken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004437, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, vielen Dank. – Ich darf im Namen meiner Fraktion beantragen, dass wir nach § 42 der Geschäftsordnung über die Herbeirufung des Bundeskanzlers Olaf Scholz hier beschließen. ({0})

Enrico Komning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004787, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Nach dem Hammelsprung folgte die Flucht der Abgeordneten aus dem Plenarsaal; ({0}) dabei wird meine Rede gar nicht so uninteressant. Aber es hatte was für sich: Das war der erste Hammelsprung in dieser Legislatur. Für die neuen Abgeordneten war es etwas Neues, und für die Besucher auf der Tribüne war es sicher auch ganz interessant. Auch ich hätte mir gewünscht, dass der Bundeskanzler da ist; denn – insofern bin ich der Union dankbar – die Aktuelle Stunde gibt Anlass zu einer Generalabrechnung. Wenngleich, liebe Kollegen von der Union: Was eine Zeitenwende nicht vollbringen kann, wird auch keine Aktuelle Stunde schaffen. Herr abwesender Bundeskanzler, wir erleben eine Zeitenwende, und die erfordert entschlossenes Handeln. Dazu gehört aber zuallererst eine ehrliche Analyse der Ursachen der Krise. Ohne verkommt Ihre, Herr abwesender Bundeskanzler, Konzertierte Aktion zu einem belanglosen Kaffeekränzchen mit alten Genossen. Deutschland steckt in einer fundamentalen Krise. Die Kassen sind leer, den Menschen schmilzt angesichts der gegenwärtigen Inflation das Geld in den Händen weg. Die Steuer- und Abgabenlast wird schier unerträglich, und im kommenden Herbst müssen wir uns alle auf kalte Duschen, Stromsperren und kaum noch beheizbare Wohnungen einstellen. Die Ursachen, Herr abwesender Bundeskanzler, sind nicht der Ukrainekrieg und Corona. Die Ursachen der Krise sind Ihre hemmungslose Schuldenpolitik, Ihre Energiewende, die schamlose Gelddruckmaschine EZB und nicht zuletzt Ihre Corona-Bazooka, deren Kollateralschäden jetzt für alle sichtbar werden. ({1}) Wenn schon eine Konzertierte Aktion, dann brauchen wir eine der Maßnahmen und nicht eine Konzertierte Aktion von Kaffeeschlürfern. ({2}) Kehren Sie zur Haushaltsdisziplin zurück! Beenden Sie Ihre Umverteilungsorgien, die aus Leistungsträgern schuldenfinanzierte Leistungsempfänger machen! Verschieben Sie die Erhöhung des Mindestlohns! Entlasten Sie Arbeitnehmer und mittelständische Unternehmer vom inflationsbedingt dramatischen Aufwuchs von Steuern, und speisen Sie sie nicht mit halbgaren, kaum wirksamen Energieentlastungspaketen ab! Machen Sie aus dem Haushalt einen Investitionshaushalt! ({3}) Schaffen Sie endlich vernünftige Rahmenbedingungen für nachhaltiges Wachstum beim Mittelstand! Wir brauchen wieder mehr wertschöpfende Leistungsträger und weniger Selbstverwirklicher auf Egotrip. Das ist das beste Rezept gegen eine galoppierende Inflation. Beenden Sie endlich diese vollkommen nutzlose, monströs teure, umweltzerstörende und am Ende rein ideologiegetriebene Energiewende! Stoppen Sie den Kohle- und Kernkraftausstieg, meine Damen und Herren! ({4}) Steigen Sie ein in Erforschung und Entwicklung moderner Kernkrafttechnologien! Nur so kann der Energiekrise, in die Sie uns hineingetrieben haben, begegnet werden. Machen Sie Energie endlich wieder sicher und bezahlbar. ({5}) Verabschieden Sie sich von Ihren willkürlich festgelegten, vollkommen illusorischen Klimazielen! Stoppen Sie die Deindustrialisierung Deutschlands! Lassen Sie den Wettbewerb unterschiedlichster Mobilitätskonzepte wieder zu! Herr Bundeskanzler, stellen Sie unser Land wieder auf demokratische Füße, indem der Bundestag tatsächlich und nicht nur symbolisch wieder die Entscheidungen mit Mehrheit trifft und nicht irgendwelche Kanzler-Ministerpräsidenten-Klüngelrunden, Brüsseler Hinterzimmer oder Gesundheitsminister mittels Notverordnungsermächtigungen! Und wenn schon Klüngelrunden, dann überzeugen Sie die Entscheidungsträger der EZB davon, dass die Zeiten des hemmungslosen Gelddruckens endlich vorbei sein müssen! ({6}) Beenden Sie Ihre gesellschaftliche Spaltung! Stellen Sie Ihre Hetzjagd auf Andersdenkende ein! Unterbinden Sie den Krieg Ihrer Jugendorganisation gegen Meinungsvielfalt an Schulen und Universitäten, und lassen Sie die öffentlich-rechtlichen Medien aus Ihrem Zensurwürgegriff! Verschonen Sie unser Land endlich mit Ihrem elenden zeit-, geld- und ressourcenverschwendenden Geschlechterkampf! Bekämpfen Sie mit uns dieses unsägliche Gender-Gaga, was insbesondere bei Kindern und Jugendlichen dem Missbrauch nahekommt.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Enrico Komning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004787, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr abwesender Bundeskanzler, Wokeness und Cancel Culture gehören nicht zu Deutschland. Wir haben in Deutschland ernsthafte Probleme und brauchen dafür ernsthafte Menschen auf der Regierungsbank. Für eine konzertierte Aktion –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Komning, Ihre Redezeit ist vorüber.

Enrico Komning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004787, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– zur Beendigung des rot-grünen Gesellschaftsexperiments hätten Sie unsere volle Zustimmung. Vielen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Andreas Audretsch, Bündnis 90/Die Grünen, ist der nächste Redner. ({0})

Andreas Audretsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005011, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Merz, was für ein absurdes Theater, das Sie hier spielen! ({0}) Im Auswärtigen Ausschuss und im Verteidigungsausschuss geht es im Moment um den Beitritt Finnlands und Schwedens zur NATO. Dort machen wir ernsthafte Politik. Und was machen Sie? Sie machen nichts anderes als Klamauk im Hohen Haus. ({1}) Ehrlich gesagt: Das ist einem Vorsitzenden der größten Oppositionsfraktion nicht angemessen. Und ich will Sie noch etwas fragen: Warum sollte der Bundeskanzler anwesend sein, wenn Sie hier am Rednerpult – und damit bin ich bei den Inhalten, die Sie vorhin vorgetragen haben – einen völligen Realitätsverlust erleiden? Kein Wort zum Krieg, nichts zur aktuellen Situation, ({2}) kein Wort zu den Lieferketten, kein Wort zu den Gaspreisen, die mit Putin zusammenhängen! Nichts zu alledem haben Sie gesagt. Das Einzige, was Sie hier getan haben, ist, Ihre Mottenkiste aus den 90er-Jahren wieder rauszuholen und die alten, verstaubten Instrumente durch den Raum zu schmeißen, statt etwas zu den aktuellen Fragen zu sagen. Das ist zu wenig, Herr Merz. Das ist viel zu wenig. ({3}) Wir haben einen Angebotsschock bei fossilen Energien. Unsere Abhängigkeit von Putin bei fossilen Energien treibt im Moment die Preise nach oben. Da ist es schon unfassbar dreist, Herr Merz – das muss ich noch einmal aus anderer Sicht sagen –, dass Sie es überhaupt wagen, dieses Thema hier aufzusetzen. ({4}) Im März dieses Jahres haben Sie gefordert, Nord Stream 1 sofort dichtzumachen. ({5}) Dann hätten wir seit vier Monaten keinerlei Gaslieferungen. Wissen Sie, was die Folge gewesen wäre? Dann wären wir jetzt in einer ganz anderen Situation. Dann wären die Preise ganz anders, und dann wäre der Angebotsschock noch viel größer. Dieses Thema hier aufzusetzen, zeigt, dass Sie keine Ahnung von der Realität haben, dass Sie sich nicht mit der Realität auseinandersetzen. ({6}) Ich bin sehr froh, dass Robert Habeck im Wirtschaftsministerium sitzt und nicht Sie, weil Sie sich offensichtlich der Realität verweigern, während Robert Habeck weiß, was er tut. ({7}) Das ist der Unterschied. ({8}) Sie haben nicht nur den Blick für die Realität in der Breite verloren. Sie haben offensichtlich auch den Kontakt zur Wirtschaft verloren. ({9}) Bei der Konzertierten Aktion Inflation war die Analyse eindeutig. Der Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hat wörtlich gesagt – das möchte ich für Sie zitieren –: Dieses Land steht vor der härtesten wirtschafts- und sozialpolitischen Krise seit der Wiedervereinigung. Und zur Analyse hat er gesagt – ich zitiere –: Aktuell sehen wir die Inflationstreiber auf der Angebotsseite: Energiekosten, Rohstoffknappheit, fehlende Vorprodukte durch unterbrochene Lieferketten. Das sagt der Arbeitgeberpräsident. Aber zu alledem nicht ein einziges Wort von Ihnen, nichts, gar nichts! Was Sie hier gerade abgeliefert haben, zeigt einen kompletten Realitätsverlust. Das ist es, was Sie getan haben, und das ist peinlich, Herr Merz, nichts anderes. ({10}) Ich will Herrn Dulger an der Stelle expliziert recht geben. Ich teile diese Analyse; ich stimme der Analyse voll und ganz zu. Deswegen müssen wir Antworten finden. Er sagt auch: Das wird langfristig gehen. – Deswegen müssen unsere Antworten grundsätzlich sein. Wir brauchen Antworten in der Wirtschaftspolitik, in der Energiepolitik und in der Sozialpolitik. ({11}) Und ich sage Ihnen noch etwas: Das sind die Antworten, die Sie 16 Jahre lang verschlafen haben. ({12}) Nichts haben Sie 16 Jahre gemacht. Der Realitätsverlust läuft schon länger, und bei Ihnen kulminiert das jetzt. Das ist ein Problem für Sie; das tut mir leid. Es ist wichtig, dass wir das jetzt angehen. Ich sage Ihnen jetzt mal, was wir tun, ({13}) weil wir ja an diesen ganzen Fragen arbeiten. Robert Habeck ist unterwegs und sorgt dafür, dass wir billige Energie bekommen, ({14}) was wir jetzt brauchen, um den Angebotsschock runterzukriegen. Wir tun das ohne Scheuklappen. ({15}) Selbstverständlich sind wir auf der Welt unterwegs und gucken, woher wir Gas bekommen, weil wir Verantwortung übernehmen. ({16}) Selbstverständlich sagen wir, dass die Kohlekraftwerke ein Stück weit länger laufen müssen. Wissen Sie, wie das meiner Partei wehtut? Aber wir tun es, weil es um Verantwortung geht, die wir im Unterschied zu Ihnen übernehmen. ({17}) Der zweite große Punkt – auch das möchte ich sagen; denn auch daran haben Sie sich in den letzten 16 Jahren nicht gemacht – betrifft die oligopolen Strukturen im Energiemarkt. ({18}) Das ist doch das Problem; da geht das Geld weg. Wir gehen das jetzt an. Robert Habeck arbeitet am Kartellrecht. ({19}) Wir legen Ihnen dazu was vor. Auch da geben wir Antworten. Wir gehen die Fragen an, die Sie 16 Jahre lang in den Wind geschossen haben. ({20}) Ich nenne Ihnen einen weiteren Punkt: Sie haben 16 Jahre lang den Ausbau der erneuerbaren Energien geblockt. ({21}) Das war Ihre Politik, und das führte zur Abhängigkeit und jetzt zur Inflation. ({22}) Das genau führte in die Krise, in der wir sind. Wir als Ampel bringen in dieser Woche ein riesiges Energiepaket auf den Weg, ({23}) weil wir sagen: Jetzt muss gehandelt werden!

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Audretsch.

Andreas Audretsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005011, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

All das haben Sie in den letzten 16 Jahren vermasselt. Gut, dass wir das jetzt gemeinsam angehen. ({0}) Dieses Theater sollten Sie nicht hier, sondern irgendwo anders aufführen. ({1}) Danke schön. ({2})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der nächste Redner in der Debatte ist Dr. Dietmar Bartsch, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Dietmar Bartsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003034, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin im Gegensatz zu Herrn Audretsch der Union dankbar, dass sie die Aktuelle Stunde aufgesetzt hat; denn jedes dieser drei großen Themen – Konzertierte Aktion, Energiesicherheit, Bundeshaushalt – wäre schon eine Aktuelle Stunde wert, meine Damen und Herren. ({0}) Wir sind in einer Situation, in der die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen, wie wir alle wissen, vor dramatischen Herausforderungen stehen. Deshalb hätte der Bundeskanzler hier sein müssen. Statt Sommerpause wäre hier eine Regierungserklärung, wie meine Fraktion gefordert hat, fällig. Das wäre notwendig gewesen. ({1}) Man muss sich doch den Problemen vor der Sommerpause stellen. Aber natürlich muss ich auch sagen, Herr Merz: Dass Sie nun nach 16 Jahren so gar keine Verantwortung tragen, ({2}) ist wohl nicht ganz korrekt. Ich glaube, die Situation im Land hat sehr viel mit Ihrer Regierungsverantwortung zu tun, auch wenn Sie selbst in dieser Zeit nicht hier waren. Meine Damen und Herren, viele Bürgerinnen und Bürger ächzen unter den Preislawinen im Supermarkt und bei der Energie, wenn die Nebenkostenabrechnungen und die Mieterhöhungen kommen. Das treibt die Bürgerinnen und Bürger in Existenzängste. Letzte Woche – wir alle haben die Zahlen gesehen – hat der Paritätische Wohlfahrtsverband darauf hingewiesen: 13,8 Millionen Menschen gelten als arm. Und Olaf Scholz sagt hier in der Regierungsbefragung auf Nachfrage: Wir haben ganz viel getan. 30 Milliarden Euro! Wir sind toll. – Nein, nicht toll! Angesichts dieser Zahlen ist das inakzeptabel. ({3}) Wenn er selbst von sozialem Sprengstoff spricht, dann kann ich nur sagen: Wann schicken Sie endlich das Entschärfungskommando? Das wäre notwendig, meine Damen und Herren. ({4}) Der Bundeskanzler hat jetzt die Konzertierte Aktion angestoßen. Da hat er an ein historisches Format anknüpfen wollen. ({5}) Aber das Ergebnis ist bisher eine Nullnummer. Es ist eine konzertierte Luftnummer. Die Preise sind jetzt hoch. Jetzt muss agiert werden. Die Gespräche dürfen nicht bis ins nächste Jahr geführt werden. Ich bin sehr gespannt, was real passiert. Wir werden das an den Ergebnissen messen. Aber eines steht fest: Wenn er sagt, 90 Prozent der Mehrkosten würden für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen ausgeglichen, dann ist das eindeutig falsch. Die Wahrheit ist, dass Millionen auf 90 Prozent der Mehrkosten sitzen bleiben. ({6}) Das ist die Realität, meine Damen und Herren. ({7}) 8 Prozent Inflation sind real ein Monatseinkommen oder eine Monatsrente. Da reichen auch die 300 Euro Energiepauschale nicht. Sie tun hier immer so, als würde ganz viel getan. Aber es bleibt dabei: Dass Rentnerinnen und Rentner und Studierende die 300 Euro nicht bekommen, ist ein Skandal, meine Damen und Herren. ({8}) Wir brauchen dringend ein drittes Entlastungspaket. Aber statt die Bürgerinnen und Bürger zu schützen, schützen Sie die Schuldenbremse von Christian Lindner. Das Ergebnis wird ein Lügenhaushalt sein. Wer etwas anderes sagt, sagt nicht die Wahrheit. Hier wird Solidität vorgegaukelt; aber in Wahrheit legen Sie die Axt an den sozialen Zusammenhalt in unserem Land, meine Damen und Herren. Das ist die Wahrheit. Dass Sie die Schuldenbremse einhalten, ist eine Märchenstunde. In der Haushaltsrealisierung wird das bei Krieg, Pandemie und den Herausforderungen des Klimawandels niemals möglich sein; das sage ich Ihnen voraus. ({9}) Offensichtlich haben die Sozialdemokraten Angst vor dem Finanzminister, und das finde ich inakzeptabel. ({10}) Jetzt höre ich immer so tolle Vorschläge wie „weniger heizen“ oder „kürzer duschen“. Ehrlich gesagt: Ich empfinde das als zynisch. Im Klartext ist es doch so, dass Sie keinen Plan haben, wie die Menschen ihre Wohnzimmer im Winter warm bekommen sollen. Das ist das Gegenteil von Verantwortung, meine Damen und Herren. Sie reden hier von Energiesicherheit. Was sagte Olaf Scholz in der Regierungsbefragung? Ich zitiere: Wir brauchen mehr Tempo beim Ausbau erneuerbarer Energien. – Wie lange regieren Sie denn schon? Sie bringen das erst diese Woche ein. Ein Jahr sind Sie fast schon im Amt. ({11}) Die Sommerpause steht an. Bis heute ist nahezu nichts passiert bei erneuerbaren Energien. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren. ({12}) Ich will noch einen Punkt ansprechen, der mir wichtig ist. Eingestanden hat der Kanzler in der Regierungsbefragung auch, dass es offensichtlich Bereicherung gibt, dass es auch obszönen Reichtum gibt. Dann aber sagt er: Es ist schwierig, da etwas zu machen. – Das Komische ist: Selbst Boris Johnson – gerade nicht so fest im Sattel – kriegt das in Großbritannien hin. In Griechenland kriegt eine konservative Regierung eine Übergewinnsteuer hin. In Italien kriegen sie das hin. Andere Länder handeln, und die Ampel schaut zu, und vor allen Dingen lobt sie sich selbst. Ich glaube, das ist viel zu wenig, meine Damen und Herren. ({13}) Ich sage ganz klar: Statt konzertierter Abgehobenheit brauchen die Bürgerinnen und Bürger konsequente Unterstützung, und zwar jetzt und nicht erst 2023, meine Damen und Herren. ({14}) Die Wahrheit ist: Sie haben die Lage nicht im Griff und machen Millionen Bürgerinnen und Bürger ärmer. Wenn Sie in der Ampel so weitermachen, dann steht im Winter der soziale Frieden in Deutschland auf dem Spiel. Deshalb sage ich ganz klar: Nutzen Sie die Sommerpause, und bereiten Sie ein drittes, wirksames Entlastungspaket für Deutschland vor! Es ist so dringend notwendig. Tun Sie das! Dann werden Sie auch unsere Unterstützung dafür haben. Herzlichen Dank. ({15})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Michael Kruse, FDP-Fraktion, ist der nächste Redner in der Debatte. ({0})

Michael Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005117, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss sagen: Ich fand die Anmeldung der heutigen Aktuellen Stunde eigentlich sehr gut; ich fand das Thema durchaus gut gewählt. Es fasst viele sehr wichtige Themen, die es im Moment gibt, zusammen, wenn auch vielleicht nicht ganz so verständlich. Die Konzertierte Aktion ist ja notwendig, weil wir im Moment einen Angebotsschock haben, eine hohe Inflation durch den russischen Angriff und die daraus folgende Energiekrise. Das Thema Energiesicherheit ist sehr wichtig, weil wir hier eine Reihe von Notgesetzgebungen – so muss man es fast schon sagen –, jedenfalls Gesetzgebungen, die wir in hoher Geschwindigkeit vorliegen haben, durchführen müssen. Auch das Thema Bundeshaushalt, insbesondere die schwarze Null, die diese Koalition anstrebt, ist sehr wichtig. Was Sie allerdings hier mit Ihrem Geschäftsordnungstheater gemacht haben, konterkariert in gewisser Weise das, was Sie vorgeben, selber an Zielstellung verfolgt zu haben. ({0}) Ich will Ihnen auch sagen, warum. ({1}) Herr Merz, ich habe Ihrer Rede aufmerksam zugehört, sogar aufmerksamer, als Sie das gerade bei mir tun, weil Sie mit Zwischenrufen beschäftigt sind. Wenn davon heute Abend etwas im Fernsehen gezeigt wird, vielleicht sogar Ihre Kritik daran, dass der Kanzler nicht hier sei und nicht höre, ({2}) was Sie sagen, dann muss ich Ihnen sagen: Ihre Kritik belegt ausschließlich, dass Sie offensichtlich nicht anwesend waren, als der Kanzler hier stand und Fragen beantwortet hat, ({3}) insbesondere zu Ihrem Thema. ({4}) – Ja, ich weiß, Herr Merz ist anwesend gewesen; ich war ja auch anwesend. Aber Sie sind nicht da gewesen. Der Bundeskanzler hat hier eben Fragen beantwortet, unter anderem zum Thema Einwanderung. Ich muss mich sehr wundern, dass Sie Ihren kurzen Slot hier dafür nutzen – und die Regierungsbefragung haben Sie offensichtlich völlig vergessen, obwohl sie erst eine halbe Stunde her war –, über Themen zu reden, bei denen Sie ja nicht die Ampel kritisieren. Und jetzt wird es inhaltlich interessant: Über das Thema Einwanderungspolitik, Herr Merz, habe ich das letzte Mal mit Ihrem Kollegen Spahn diskutiert. ({5}) Er war ein bisschen angefasst, weil ich gesagt habe: Wir räumen hinter Ihrer Politik her. – Ich möchte mich heute in gewisser Weise korrigieren; denn was Sie gerade tun, ist: Sie räumen hinter Ihrer eigenen Politik her. – Herr Merz, wir als Ampel laden Sie ein, zuzustimmen und dieses Land für eine vernünftige, zukunftsorientierte Einwanderungspolitik zu öffnen. In den letzten 16 Jahren ist das nämlich an Ihrem Widerstand gescheitert. ({6}) Sie wissen, dass wir qualifizierte Zuwanderung dringend benötigen. Sie wissen, dass es für unser Land von entscheidender Bedeutung ist, dass wir die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitskräfte in diesem Land auf hohem Niveau halten, weil wir sonst unseren Wohlstand riskieren. Herr Merz, Sie haben außerdem das Thema Energiesicherheit angemeldet, aber dazu gar nicht gesprochen. ({7}) Ich wundere mich ein bisschen, warum Sie zu diesem Thema überhaupt keine Worte gefunden haben. Liegt es vielleicht daran, dass sich Ihr wesentlicher Frust gar nicht auf die Politik der Ampel bezieht, sondern auf die Politik ihrer Vorgängerin, nämlich der Bundeskanzlerin Angela Merkel, bezieht? Könnte das sein, Herr Merz? ({8}) Ich möchte Ihnen raten: Wenn Sie einen unionsinternen Richtungsstreit haben, dann sollten Sie den innerhalb Ihrer Partei klären. Die ehemalige Bundeskanzlerin hat jetzt ein bisschen mehr Zeit. Rufen Sie doch einfach einmal bei Frau Merkel an, und klären Sie Ihre Richtungsthemen innerhalb Ihrer Partei. Das Plenum ist dafür wirklich nicht der richtige Ort. ({9}) Warum ist denn jetzt Energiesicherheit so ein wichtiges Thema? Warum gehört das in die Aktuelle Stunde? Das gehört in die Aktuelle Stunde, weil Sie jede Menge Fehler in diesem Bereich zu verantworten haben, die für unser Land richtig gefährlich geworden sind. Unter Ihrer Ägide sind die Gasspeicher an russische Unternehmen verkauft worden. Wir haben jetzt dafür gesorgt, dass die Gasspeicher erstmalig in diesem Land kritische Infrastruktur werden. Wir haben dafür gesorgt, dass russische Unternehmen enteignet werden können, wenn sie kritische Infrastruktur gegen die deutschen Interessen missbrauchen. ({10}) Ich frage Sie: Wo sind Sie eigentlich gewesen, als diese Entscheidungen getroffen worden sind? Sie tragen für diese Entscheidungen die Verantwortung. Wir müssen im Bereich der Energiesicherheit jetzt viele wichtige Entscheidungen treffen, weil Sie falsche Entscheidungen in Ihrer Verantwortungszeit getroffen haben. Das wird Ihnen noch lange nachhängen. ({11}) Wir sorgen jetzt mit dem schnellsten Infrastrukturausbau in diesem Land dafür, dass wir LNG-Terminals bekommen, –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Michael Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005117, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

– damit wir mehr Gas nach Deutschland importieren können – auch das ein Gesetz, das wir nur machen mussten, weil Sie es nicht geschafft haben, entsprechende Terminalstrukturen in Deutschland zu installieren. Herzlichen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der nächste Redner in der Aktuellen Stunde ist Alexander Dobrindt, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Kollegen der Ampelfraktionen, die Art und Weise, wie Sie hier mit Applaus die Abwesenheit der Bundesregierung bei so einer Debatte über grundlegende Fragen unseres Landes quittieren, zeigt die ganze Arroganz Ihrer politischen Arbeit! ({0}) Ich empfehle dringend: Fangen Sie einmal an, über Ihre sechs Monate Regierung nachzudenken. Unter Ihrer Führung macht Deutschland in sechs Monaten mehr Schulden als sechs Regierungen von Adenauer bis Kohl in 40 Jahren – das ist ein Teil Ihrer Bilanz. ({1}) Unter Ihrer Führung ist Deutschland vom Exportland zum Importland geworden – das ist Teil Ihrer Bilanz. Unter Ihrer Führung hat Deutschland zum ersten Mal seit 30 Jahren ein Handelsbilanzdefizit, und unter Ihrer Führung hat Deutschland die höchste Inflation seit fast 40 Jahren. Das ist Ihre Bilanz! ({2}) Ich kann verstehen, dass Sie sich dem nicht stellen wollen. Damit wir uns da nicht falsch verstehen: Wir machen Sie auch nicht verantwortlich für die Krisen auf der Welt, aber wir machen Sie verantwortlich für Ihr Krisenmanagement, und das ist schlicht verheerend, meine Damen und Herren. ({3}) Minister Habeck hat heute die Handwerksmesse in München eröffnet. Da spricht er in seiner Rede von der Bräsigkeit unseres Landes. Es rentiert sich, einmal nachzuschauen, was unter „Bräsigkeit“ zu verstehen ist: nicht imstande, sich auf etwas einzustellen. Das ist bräsig. Mal abgesehen davon, dass das ein ungeheuerlicher Vorwurf gegenüber den Menschen in unserem Land ist, sage ich Ihnen: Das Einzige, was bräsig ist, ist diese nicht anwesende Bundesregierung. ({4}) Nicht imstande, sich auf etwas einzustellen. Ihre Bundesnetzagentur hat Energieszenarien für den Winter vorgestellt, und in allen klafft eine riesige Gaslücke. Sie sind nicht in der Lage, sich darauf einzustellen. Italien hat bereits feste Lieferverträge mit Katar für Flüssiggas gemacht. Herr Audretsch, Sie haben erwähnt, Robert Habeck sei auch schon in Katar gewesen. Ja, er hat sich verbeugt, aber er hat nicht vorgebeugt. Bis heute kein einziger Vertrag, die Lücke bleibt. Sie sind nicht in der Lage, sich darauf einzustellen. ({5}) Deutschland hat Kernkraftwerke, die kann man weiterlaufen lassen. Sie verweigern das aus ideologischen Gründen. Das EU-Parlament hat heute festgestellt: Kernkraftwerke in Europa sind nachhaltig. – Sie sind nicht in der Lage, sich drauf einzustellen. ({6}) Glauben Sie mir, es sind nicht die Menschen in diesem Land, die bräsig sind, wie es offensichtlich Minister Habeck meint. Die Menschen in diesem Land haben etwas Besseres verdient als so eine bräsige Bundesregierung. Das ist die Wahrheit! ({7}) Der Bundeskanzler hat heute in der Regierungsbefragung gesagt, es gehe bei der Kernkraft nur um Strom und nicht um Gas. ({8}) Was für eine Fehleinschätzung! Es ist Ihr Bundeswirtschaftsminister Habeck, der den Menschen empfiehlt, für den Winter Stromaggregate zu kaufen. Offensichtlich geht es doch um Strom an dieser Stelle. ({9}) Wir haben in diesem Jahr eine Rekordverstromung von Gas erlebt; das sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Im Mai dieses Jahres hatten wir eine Rekordverstromung an Gas. ({10}) Die größte Gaslücke herrscht im Winter. Ich sage Ihnen: Die Antwort lautet ganz einfach: Kernkraft statt kalter Winter. Das ist das, was von Ihnen entschieden werden muss. ({11}) Ich erinnere übrigens auch deshalb daran, weil der Kollege Dürr von der FDP, der am Sonntag ein Interview gegeben hat, heute aber offensichtlich keine Zeit hat, bei dieser Debatte anwesend zu sein, ({12}) eben in diesem Interview sagte: Es wäre möglich, es länger laufen zu lassen. – Er spricht vom Kernkraftwerk Isar 2, einem der modernsten in Europa; es steht in Bayern. Er sagt: Es wäre ein Fehler, die Kernkraftwerke jetzt abzuschalten. – Ja, meine Damen und Herren, das sagt die FDP. Wer regiert denn eigentlich in diesem Land? Sie sind doch Teil dieser Bundesregierung. Warum kümmern Sie sich denn nicht darum? ({13})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber vielleicht geben Sie es doch einfach zu und sagen: In diesem Land regieren inzwischen offensichtlich nur noch die Grünen. – Sie haben, Herr Audretsch, darauf hingewiesen, dass Sie die Kohlekraftwerke weiterlaufen lassen wollen.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Letzter Satz jetzt, bitte.

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich halte das übrigens für richtig. – Letzter Satz. – Aber ich sage Ihnen: Die Kernkraft ist notwendig, um die Stromversorgung zu sichern. Wenn Sie als Grüne sagen: „Die Kohle lassen wir weiterlaufen“, aber die Kernkraft nicht“ -

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Jetzt bitte wirklich zum Schluss kommen.

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– dann regiert bei Ihnen offensichtlich mehr die Antikernkraftsekte als die Klimapartei, meine Damen und Herren. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen wirklich, sich an die Redezeiten in der Aktuellen Stunde zu halten. Wir haben eine Vereinbarung in der Geschäftsordnung, wie die Aktuelle Stunde auszuschauen hat, und ich bitte alle Redner, sich daran zu halten. Dr. Nina Scheer, SPD-Fraktion, ist die nächste Rednerin. ({0})

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, Sie von der Unionsfraktion müssen sich einmal entscheiden, was Sie heute hier eigentlich thematisieren wollen. Wollen Sie uns unterstellen, dass wir nicht handeln? ({0}) Oder wollen Sie uns unterstellen, dass wir nicht Ihre Fehler fortsetzen, die Sie immer in der Energiepolitik gemacht haben? Wenn Sie uns vorhalten, dass wir Schulden machen, dann sind Sie, was die Rettungspakete angeht, richtigerweise daran beteiligt gewesen. Wenn es um Investitionen geht, müssten Sie zugeben – und damit komme ich zu meiner Eingangsfrage –, dass wir offenbar handeln; denn wir geben natürlich Gelder in Richtung Zukunftsinvestitionen und damit auch in Richtung struktureller Wandel aus. Das haben Sie im Grunde genommen mit Ihrem plumpen Vorwurf, dass hier nicht gehandelt würde und nur Schulden gemacht würden, gerade schon eingestanden. ({1}) Insofern sind Sie sich offenbar bis zur jetzigen Minute nicht im Klaren darüber, was Sie heute hier überhaupt thematisieren wollen. Wir haben hier eine sehr brenzlige Lage; das ist in der Tat so. Wir wissen – das war auch schon vor dem Krieg so, als die Preissteigerungen für die fossilen Energien anfingen –, dass jetzt verschärft nach dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine nicht mehr ausgeschlossen werden kann, dass auch weiterhin und noch verstärkt ausbleibende Energielieferungen und Gaslieferungen als Waffe eingesetzt werden. Insofern ist hier natürlich verstärkt zu handeln. Ich möchte auch daran erinnern, dass das Handeln, das Sie vorgeschlagen hatten – das hatten Vorredner schon verschiedentlich erwähnt, und ich möchte es unterstreichen –, nämlich einfach Nord Stream 1 zu kappen, wohl das Allerschlimmste gewesen wäre. ({2}) Das waren Ihre Vorschläge. ({3}) Ich kann Sie nur davor warnen, weiter solche Blindflugvorschläge zu machen; denn das wären definitiv nicht die Taten, die man haben möchte. ({4}) Wenn Sie fordern, Worten Taten folgen zu lassen: ({5}) Ich habe mich verschlucken müssen, Herr Merz, als ich Ihre Emotionalität wahrgenommen haben. ({6}) Sie behaupten Dinge: Hier würde nicht gehandelt, es gebe Stillstand. Sie konnten sich gar nicht selbst genug sein vor lauter Empörung über angebliches Nichthandeln. Aber Sie müssen einfach eingestehen, dass Behauptungen plus Empörung noch lange keine Realitäten erzeugen; das ist einfach so. ({7}) Behauptungen und Empörung sind nicht mit der Realität gleichzusetzen. Insofern komme ich jetzt zur Realität zurück. Wir haben in den letzten sechs Monaten so viele Gesetze verabschiedet, dass ich gar keinen Vergleichsparameter parat habe; den wird es auch nicht geben. ({8}) Es sind enorm viele Gesetze, und zwar richtige, gute Gesetze entstanden. Sie wissen ganz genau, dass die notwendig waren. Wir haben das Gasspeichergesetz verabschiedet. – Wenn Sie jetzt den Kopf schütteln, dann bestreiten Sie, dies zu kennen. Ist das das Niveau, auf dem wir hier diskutieren? ({9}) Also: das Gasspeichergesetz. Sie werden kaum leugnen können, dass wir das brauchen. Auch die Diversifizierung des Gasmarktes ist eingeleitet worden durch ein weiteres Gesetz, das wir auf den Weg gebracht haben, das LNG-Beschleunigungsgesetz. Es ist zudem eine Absenkung der EEG-Umlage zur Entlastung mit vielen weiteren Entlastungsmaßnahmen auf den Weg gebracht worden. Wir hatten gestern zudem ein riesiges Osterpaket im Ausschuss, das morgen zur Verabschiedung steht, ({10}) womit ein massiver Ausbau erneuerbarer Energien erreicht wird. Wir haben über die Reform des Energiewirtschaftsgesetzes und der Preisweitergabemöglichkeiten Vorsorge dafür getragen, dass keine Preissprünge entstehen, dass die Menschen nicht ewig lang in Ersatzstromtarifen hängen, sondern aufgefangen werden, und dass die Stadtwerke damit umgehen können. Auch da haben wir mit gesetzlichen Änderungen Vorsorge getroffen. Wir haben mit dem Osterpaket die EEG-Umlage abgeschafft. Wir haben das Wind-an-Land-Gesetz dabei. Wir haben das Windenergie-auf-See-Gesetz dabei. ({11}) Das Gebäudeenergiegesetz ist dabei. Wir haben jetzt ein Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz auf den Weg gebracht. Wir haben zudem darin noch Änderungen des Energiesicherungsgesetzes auf den Weg gebracht. – Sie schauen überhaupt nicht mehr zum Rednerpult. Sie fühlen sich überhaupt nicht angesprochen. Sie interessieren sich überhaupt nicht für die Taten. Gut, dann wende ich mich denen zu, die es interessiert. ({12}) Wir haben all dies auf den Weg gebracht. Offenbar halten Sie weiter an Ihrer Realitätsleugnung fest. Das kann ich nur bedauern. ({13})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich danke Ihnen, dass Sie diese Aktuelle Stunde aufgesetzt haben, weil es wichtig war, dies noch einmal klargestellt zu haben: Wir haben gehandelt, und wir werden es auch weiter tun. Vielen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile das Wort Dr. Ingrid Nestle, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Merz, in der Tat bin auch ich froh, dass Olaf Scholz und Minister Habeck gerade nicht hier sind, um sich mit Ihren Argumenten auseinanderzusetzen, ({0}) sondern dass sie sich um die Probleme in diesem Land kümmern, dass sie gerade genau die Taten umsetzen, von denen Sie sprechen. ({1}) Denn, Herr Merz, es reicht nicht, ein wichtiges Thema anzusprechen, um eine gute Debatte zu haben. Man muss auch eine richtige Analyse zu dem Thema haben. ({2}) – Ja, eine gute Rede würde auch helfen; da bin ich ganz bei Ihnen. Sie haben konkret angesprochen, dass uns die schwerste Wirtschaftskrise seit Langem droht. Das ist richtig, und das ist ernst zu nehmen. Aber man hat den Eindruck: Sie haben noch nicht einmal mitbekommen, dass Krieg in Europa ist. Sie haben eben gesagt, das sei hier nicht das Thema; das haben Sie reingerufen. ({3}) Wenn Sie meinen, dass die derzeitige schwierige Lage in der Wirtschaft nichts mit dem Krieg in Europa zu tun habe: Wo waren Sie denn die letzten Monate? ({4}) Stattdessen liefern Sie in Ihrer Analyse: Oh, die hohe Steuerlast! – Ja, das ist jetzt natürlich sehr wahrscheinlich – – ({5}) – Sie haben gerade von der hohen Steuerlast gesprochen. ({6}) – Darf ich mein Argument einmal entwickeln? ({7})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Führen Sie bitte Ihre Rede fort. Die anderen hätten die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen. ({0})

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Also: Uns droht eine schwere Wirtschaftskrise. Sie haben zum Beispiel – ich nehme die anderen Argumente gerne auch noch auf, wenn Sie mich sprechen lassen – ({0}) von der hohen Steuerlast gesprochen. Das ist jetzt natürlich sehr wahrscheinlich, dass die Steuern, die wir nicht erhöht haben, seit die Große Koalition regiert hat, das Problem sind, das unser Land gerade so hart beutelt – sehr wahrscheinlich! Hat es nicht vielleicht eher etwas damit zu tun, dass – das war eines Ihrer nächsten Argumente: Importe haben zugenommen – Importe fossiler Energien so dramatisch teuer geworden sind? Hat es vielleicht doch etwas mit dem Krieg zu tun, den Putin in brachialer Brutalität gegen die Ukraine mit Waffen, aber gegen uns als Wirtschaftskrieg mit Energiepreisen führt? Das interessiert Sie nicht. Sie hören nicht mehr zu. ({1}) Die Analyse interessiert Sie nicht. Sie wollen nur Ihre alten, angestaubten Worte in die Debatte werfen: Steuern. ({2}) Dann, Herr Dobrindt, komme ich zu Ihnen: Sie haben einen guten Teil Ihrer Rede nur über Atomenergie gesprochen. Das zeigt wieder: Sie haben keine Analyse zur aktuellen Situation. Selbst wenn man die drei Atomkraftwerke, was nicht geht, weil die Brennelemente dafür nicht da sind, weiterlaufen lassen würde, selbst wenn man es könnte ({3}) – die Brennelemente sind nicht da, und wenn Sie welche in der Tasche haben, dann holen Sie sie raus –, ({4}) könnten wir damit nur ungefähr 1 Prozent unserer Gesamtenergie erzeugen – 1 Prozent der Gesamtenergie! ({5}) Womit wir aber – je nach Experteneinschätzung – 10 bis 20 Prozent einsparen könnten, nicht 1 Prozent, sind Energieeffizienz und ‑einsparung. Dazu haben Sie nichts gesagt. ({6}) Das ist genau das Problem: dass Sie nicht die Analyse an den Anfang stellen und überlegen: Was bringt uns denn was? Wie können wir Verantwortung übernehmen für dieses Land? Wie können wir die Krise lösen? ({7}) Stattdessen holen Sie irgendein Schlagwort aus der Mottenkiste, das Ihnen gerade passt, und werfen das hier in den Raum. Das ist verantwortungslos. ({8}) Was uns wirklich entscheidend voranbringt, ist der Ausbau der erneuerbaren Energien. Und es ist wirklich schwer, das nach Ihrer langen Regierungszeit wieder in Gang zu bringen. Nina Scheer hat vieles genannt, was wir gemacht haben. ({9}) Morgen haben Sie die Chance, der Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes zuzustimmen. Und Sie haben überall im Land die Chance, den realen Ausbau der erneuerbaren Energien voranzubringen. ({10}) Auch das bringt uns so viel mehr als die Träume, die Sie über Atomenergie haben, die gar nicht umzusetzen sind. ({11}) Ich bin wirklich froh, dass Minister Habeck in dieser Krise regiert, dass er zahllose Gesetze schon auf den Weg gebracht hat, dass er vor Ort ist bei der Handwerkermesse; denn auch das ist Teil der Lösung. Die müssen dazu beitragen. Ich bin so froh, dass Minister Habeck hier regiert und nicht jemand, der versucht, jetzt über Steuererleichterungen die Probleme, die wir mit dem Ukrainekrieg haben, die wir mit der Preisexplosion bei fossilen Energien haben, zu lösen. Herzlichen Dank. ({12})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Maximilian Mordhorst, FDP-Fraktion, ist der nächste Redner.

Maximilian Mordhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005158, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss sagen, dass ich mich mit dem Verlauf der Debatte und damit, wie das Ganze hier gerade passiert, ziemlich schwer tue. Wenn ich in die Gesichter der Menschen schaue, frage ich mich: Ist die Debatte – die ich auch für wichtig halte –, wie wir sie hier gerade führen, eigentlich das Richtige? Voller Schuldzuweisungen zu sagen: „Wer hat das gemacht, wer hat das gemacht?“, das hilft den Menschen doch überhaupt nicht. ({0}) Und ja, lieber Kollege Merz, natürlich kann man berechtigterweise sagen: Die Energieabhängigkeit, die zu den steigenden Preisen geführt hat und die dazu geführt hat, dass wir eine solche Inflation haben, ist natürlich nicht in den letzten sechs Monaten Ampel entstanden; das muss man sich eingestehen. Auf der anderen Seite haben wir jetzt natürlich alle gemeinsam die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass wir die Inflation zwar nicht bekämpfen – das können wir in diesem Sinne als Staat kaum –, aber dass wir sie zumindest nicht noch weiter befeuern und sie entsprechend einhegen. Ich glaube, wir sind als Politik insgesamt, als Menschen, die von vielen in diesem Land das Vertrauen geschenkt bekommen haben, für sie zu regieren, Entscheidungen zu treffen – ob das nun in der Opposition oder in der Regierung ist –, gut beraten, gemeinsam dafür zu sorgen, dass die Entlastungen, die wir vornehmen, möglichst zielgerichtet sind, dass sie ankommen. Ich glaube, es ist auch weiterhin richtig, zu sagen, dass wir nicht nichts tun. Es ist richtig, das wir in Deutschland für eine Entlastung von fast 40 Milliarden Euro gesorgt haben. Natürlich gehören dazu auch Steuersenkungen. Denn es ist nicht nur wichtig, das Geld zu verteilen, sondern es ist auch wichtig, den Menschen einen Teil ihres Geldes zu lassen. Auch das ist eine wichtige Reaktion auf die wirtschaftliche Krise. ({1}) Natürlich muss man über Arbeitsmarktpolitik reden. Wir haben überall Personalmangel. Die Menschen sehen es an den Flughäfen, sie sehen es aber auch in der Bahn und in vielen anderen Bereichen. Das hat mit dem Fachkräftemangel zu tun. Wir sind in diesem Bereich, was Einwanderung betrifft, noch nicht gut genug. Das wollen wir jetzt dringend ändern. Eigentlich wäre es schon vorher wichtig gewesen, das zu machen, aber wir gehen es jetzt an. Natürlich hat der Personalmangel auch damit zu tun, dass sich immer noch zu wenige Frauen in Deutschland für eine Erwerbstätigkeit entscheiden. Hier müssen wir bessere Anreize, ein besseres Umfeld schaffen; auch das ist in den letzten 16 Jahren nicht gelungen. Wir müssen auch dafür sorgen, dass in einer Welt, in der Biografien immer vielseitiger und pluraler werden, zum Beispiel Menschen, die älter sind und noch arbeiten wollen, die Möglichkeit dazu haben. Auch das wurde bisher nicht möglich gemacht, aber wir gehen das jetzt endlich an. Ich finde das richtig. ({2}) Ich muss über etwas sprechen, was mich sehr besorgt. Eines dürfen wir als Staat auf keinen Fall machen: Wir dürfen nicht davon abweichen, die Schuldenbremse ab 2023 wieder einzuhalten. Wir sind stolz auf die Schuldenbremse. Herr Dr. Bartsch, Sie haben das Thema angesprochen – er ist nicht mehr da; okay, vielleicht bekommt er es trotzdem mit –, und ich sage Ihnen: Es wäre ein riesiges Problem, wenn wir in Deutschland weiter Schulden machen würden. Es wird immer wieder gesagt, es hätten Investitionen für die kommenden Generationen gefehlt. So ist es aber nicht. Die brauchen kein Geld, sie brauchen Planungssicherheit, sie brauchen schnellere Verfahren. Auch das gehen wir jetzt an. Schauen Sie in den Koalitionsvertrag! Wir wollen die Verfahrensdauer halbieren – eine Revolution in Deutschland –, was ein großer Erfolg wäre, wenn wir das hinbekämen. Ich glaube, das würde den Menschen sehr helfen. ({3}) Ein weiterer Aspekt zum Thema Schuldenbremse. Bei vielen ist die Idee angekommen, man müsse nur mehr Schulden machen, mehr Geld ausgeben, dann führe das dazu, dass man alle Investitionen hinbekomme und solche Geschichten. Ich glaube, man muss den Menschen erklären, wie der Staat Schulden macht: Er gibt Anleihen heraus. Im Inland holen sich davon zwei Drittel die Kreditinstitute; zugespitzt formuliert: Banken und Investmentfonds. Bei denen haben wir als Staat dann Schulden. Die machen das aber nicht, weil sie so nett sind, sondern weil die Banken und Investmentfonds Zinsen dafür bekommen, und die Zinsen steigen gerade. Wir haben es im Haushalt gesehen: Die Zinslast steigt wahrscheinlich von 4 Milliarden Euro auf 30 Milliarden Euro; 30 Milliarden Euro, die wir nur für Zinsen ausgeben, die wir nicht investieren können. Das ist genau das Problem. Die Schuldenpolitik von ganz links führt dazu, dass das Geld kommender Generationen aufgefressen wird. ({4}) Und noch viel schlimmer: Sie werfen es den Banken und Investmentfonds in den Rachen. Das ist linke Politik im 21. Jahrhundert. Das ist eine Schuldenpolitik, die wir dringend beenden müssen, weil sie Deutschland nicht zukunftsfähig macht. Deswegen ist das Thema „Bundeshaushalt und Schuldenbremse“, das hier bisher kaum angesprochen wurde, so entscheidend dafür, dass der Staat die Inflation nicht noch weiter befeuert. Wir sollten dringend die Schuldenbremse einhalten. Wir als FDP werden garantieren, dass dieses Thema in der Regierung weiterhin Beachtung findet. Vielen Dank. ({5})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile das Wort Antje Tillmann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Antje Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003646, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Zugegeben: Diese Regierung hat zwei Entlastungspakete für Bürgerinnen und Bürger in der schwierigen Phase der Inflation auf den Weg gebracht. ({0}) Einige der Maßnahmen der genannten Entlastungspakete haben wir mitgetragen, weil die Entlastungen dort ankommen, wo sie gebraucht werden. Als Beispiel nenne ich den Sofortzuschlag für von Armut betroffene Kinder, den Kinderbonus und die Einmalzahlung bei SGB‑II-Empfängern. Weil Sie aber offenbar selbst der Meinung sind, dass die Maßnahmen zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger nicht reichen, kommen jeden Tag neue Versprechungen. Minister Heil verspricht ein Energiegeld, Minister Özdemir will die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel, Minister Lindner verspricht die Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie, und die Familienministerin lässt keinen Tag aus, ohne die Einführung der Kindergrundsicherung zu versprechen. Keines dieser Versprechen ist im Haushalt abgebildet. Sie versprechen jedem, was er hören will. Wahrscheinlich werden wir morgen lesen: Die Regierung ist wieder unterwegs, um Versprechungen zu machen, statt – und darum geht es ja – den Worten Taten folgen zu lassen. – Diese Versprechungen sind alle nicht finanzierbar. Das ist kein seriöses Handeln. Sie machen Hoffnung, ohne zu Ergebnissen zu kommen. ({1}) Sie versprechen so viel, dass selbst der Kanzler sich genötigt fühlt, zu sagen, dass all diese Entlastungswünsche nicht mit dem Haushalt vereinbar sind, und ich teile diese Mahnung. Allein ein 15-minütiges Durchblättern durch den Haushaltsentwurf zeigt Tricksereien in Höhe von über 10 Milliarden Euro, die Umgehung der Schuldenbremse, eine Verschiebung von Darlehen auf die Sozialversicherungssysteme. Auch die ausgewiesene Beteiligung am Gewinn der Bundesbank ist völlig illusorisch. 10 Milliarden in 15 Minuten – ich will nicht wissen, wie viele Risiken wir noch entdeckten, wenn wir uns intensiv mit dem Haushalt befassten. Herr Kollege Mordhorst, ich schätze sehr Ihren Appell zur Einhaltung der Schuldenbremse – ich wünsche Ihnen viel Glück –, aber mit diesem Haushalt werden Sie die Schuldenbremse nicht einhalten. ({2}) Unter dieser Vorgabe, dass nicht alles, was nötig und wünschenswert wäre, finanzierbar ist, muss man sich die Entlastungspakete durchaus noch einmal ansehen. Und da frage ich Sie: Warum erhöhen Sie die Mittel für den Werbungskostenpauschbetrag um 1,2 Milliarden Euro, um Menschen zu entlasten, die überhaupt keine Kosten haben? Dagegen entlasten Sie Pendler aber nicht, die an der Tankstelle jeden Tag merken, wie sich die Energiepreise entwickeln. Sie erhöhen den Kinderzuschlag um 20 Euro. Wenn Sie auf die Erhöhung des Werbungskostenpauschbetrags verzichtet hätten, hätten Sie den Betrag auch auf 50 Euro erhöhen können. Nun fehlen den Familien jedes Jahr 360 Euro, und das nur, weil Sie Menschen entlasten, die gar nicht belastet sind. Warum unterstützen Sie mich durch das 9‑Euro-Ticket drei Monate im Sommer, statt diejenigen, die auf den ÖPNV angewiesen sind, längerfristig über den ganzen Winter? Das wäre eine Entlastung bei den Energiekosten. Warum bekomme ich die Energiepreispauschale und die Rentnerin und der Rentner und der Student nicht? Das sind alles Fragen, die Sie sich stellen müssen. Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass Sie vor den Landtagswahlen noch schnell etwas auf den Markt schmeißen wollten, ohne näher darüber nachgedacht zu haben. ({3}) Wir merken jetzt, dass der Haushalt so eng ist, dass wir gar nicht mehr diejenigen unterstützen können, die es zwingend nötig hätten. Letzte Frage zu Ihren Entlastungspaketen: Warum nehmen Sie Menschen mit geringem Einkommen durch die kalte Progression Geld weg? Der Haushalt ist mit 10 Prozent zusätzlichen Einnahmen geplant, davon entfallen mindestens 8 Prozent auf die kalte Progression. Das heißt, Sie vermindern die Haushaltseinkommen durch Steuererhöhungen im Zuge der kalten Progression, statt tatsächlich die Entlastungen durchzusetzen, die Sie immer wieder in den Raum stellen. ({4}) Jetzt kommt noch die sogenannte Konzertierte Aktion. Wir hören von Ökonomen, Beratern im Zuge dieser Konzertierten Aktion, die Bundesregierung könnte doch allen Arbeitnehmern Entlastungen über steuerfreie Boni in Aussicht stellen. Was ist das denn für ein Unfug? Wie soll die Bundesregierung das tun? Will sie die Arbeitgeber verpflichten, diesen Bonus auszuzahlen? Der steuerfreie Bonus wird wieder all denjenigen zugutekommen, die das Glück haben, bei einem potenten Arbeitgeber angestellt zu sein: die, die in der Coronakrise schon von der Steuerfreiheit der Arbeitgeberaufstockung des Kurzarbeitergeldes profitiert haben, ({5}) die, die ein kostenloses Jobticket von ihrem Arbeitgeber bekommen, die, die von steuerfreier Gesundheitsförderung im Büro und von einem Betriebskindergartenplatz profitieren können. ({6}) Das sind alles gute Maßnahmen – ich danke jedem einzelnen Arbeitgeber und jeder einzelnen Arbeitgeberin, dass sie ihre Mitarbeiter so unterstützen –, aber all das hat die Bäckereifachverkäuferin im kleinen Laden um die Ecke nicht bekommen. ({7}) Sie wird leider auch keinen Inflationsbonus bekommen, da ihre Chefin wegen der hohen Lebensmittel- und Energiepreise selbst nicht weiß, wie sie über die Runden kommen soll. Das ist keine soziale Politik. Das können wir so nicht mitmachen. Ich wundere mich, dass gerade Sozialdemokraten solche Vorschläge vorlegen. ({8}) Dagegen könnten Sie einer Lohn-Preis-Spirale vorbeugen, indem Sie die Auswirkungen der kalten Progression reduzieren. ({9}) Denn dann hätte der Arbeitnehmer mehr in der Tasche, ohne dass es Lohnerhöhungen geben müsste. Das kann man sozialverträglich hinbekommen. Man muss sich nur mal fünf Minuten Gedanken darüber machen. Wir sind gerne dabei. ({10})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Antje Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003646, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auch dabei sind wir beim Kindergeld, beim Kinderzuschlag und beim Entlastungsbetrag für Alleinerziehende. Machen Sie sozial ausgewogene Vorschläge, dann haben Sie uns an Ihrer Seite. Herzlichen Glückwunsch dazu! ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der letzte Redner in der Aktuellen Stunde ist Hannes Walter, SPD-Fraktion. ({0})

Hannes Walter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005250, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Regierungsbefragung haben Sie dem Kanzler noch vorgeworfen: Die einführenden Worte waren viel zu lang, das war schon eine halbe Regierungserklärung. – Jetzt zitieren Sie ihn herbei. Auch ich bin ein großer Fan von Olaf Scholz; aber das kann man sicherlich auch anders regeln. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Finanzexperte André Kostolany hat einmal gesagt: „Inflation ist zunächst ein laues Bad, dann wird das Wasser immer heißer und am Schluss explodiert die Wanne.“ Mit anderen Worten: Inflation bringt enormen sozialen Sprengstoff mit sich. Die Preise steigen in allen Bereichen; das sehen wir täglich beim Gang in den Supermarkt. Die Preissteigerungen bei den Grundnahrungsmitteln sind enorm: Speiseöl plus 37 Prozent, Butter plus 31 Prozent, Nudeln plus 35 Prozent. Das trifft Menschen mit niedrigen Einkommen und Menschen mit mittleren Einkommen am stärksten. An der Kasse stellt sich vielen Eltern dann die Frage: Ist das Eis für die Kinder noch drin? – Ich finde, das muss es auch in Zukunft noch sein. Deshalb wird zu Recht erwartet, dass der Staat Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen unterstützt und soziale Härten abfedert. Das tut die Ampelkoalition auch. Wir haben zahlreiche Entlastungen auf den Weg gebracht. Für die unteren und mittleren Einkommen haben wir schon circa 90 Prozent der Preissteigerungen durch aktuelle Maßnahmen kompensiert. Liebe Union, ich weiß nicht, wie oft wir es hier im Plenum noch sagen sollen: Wir müssen die Maßnahmen aber auch wirken lassen. Im Juli steigt der Mindestlohn auf 10,45 Euro, im Oktober werden es dann 12 Euro sein. Allein in meinem Wahlkreis in Südbrandenburg profitieren davon über 22 000 hart arbeitende Menschen. ({1}) Auch die Renten steigen, um über 5 Prozent im Westen und um mehr als 6 Prozent im Osten; wir erleben gerade das größte Rentenplus seit Jahrzehnten. Grundsicherungs- und Sozialhilfeempfänger erhalten einen Coronabonus von 200 Euro, Familien einen Kinderbonus von 100 Euro pro Kind. Außerdem schaffen wir die EEG-Umlage ab. Dadurch wird der Strom günstiger. Im September tritt die Energiepreispauschale von 300 Euro in Kraft; sie gilt auch für kurzzeitig Beschäftigte und Minijobber. Selbstständige erhalten einen Vorschuss über eine einmalige Senkung ihrer Einkommensteuer-Vorauszahlung. Die Union ruft: Das sind keine wirksamen Maßnahmen. – Wie gesagt, das lässt sich erst im Nachhinein beurteilen. Statt Bedenkenträger brauchen wir jetzt Macher. Ich bin daher froh, dass Bundeskanzler Olaf Scholz zu Beginn der Woche zur Konzertierten Aktion ins Bundeskanzleramt eingeladen hat. Wie kann der wirtschaftliche Schaden der Inflation begrenzt werden? Darüber wurde diskutiert, und zwar nicht im stillen Kämmerlein, sondern zusammen mit Sozialpartnern, der Bundesbank und der Wissenschaft. Das ist der richtige Weg. Wir können die Herausforderungen nur mit gemeinsamen Lösungsansätzen bewältigen. Miteinander reden, die Gesellschaft zusammenhalten, nicht einzelne Gruppen gegeneinander ausspielen, darum geht es. ({2}) Erste Erfolge hat die Konzertierte Aktion bereits gebracht. Es ist ein gutes Zeichen, wenn Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände dem Gespenst der Lohn-Preis-Spirale gemeinsam entgegentreten; denn Inflation belastet Unternehmen genauso wie Beschäftigte, sie ist angebotsseitig getrieben. Wir müssen die Kaufkraft erhalten – das ist für die Binnennachfrage unverzichtbar –, und das geht nur, wenn alle Seiten an einem Strang ziehen. Das Fazit der ersten Konzertierten Aktion zeigt: Miteinander reden tut gut. Eines möchte ich noch einmal betonen: Grund für die gestiegenen Preise sind die anhaltenden Störungen der Lieferketten auf der einen Seite; auf der anderen Seite treibt der russische Angriffskrieg die Energiepreise in die Höhe. Die Krise wird nicht in ein paar Wochen vorbei sein. Deshalb braucht es jetzt eine gemeinsame Kraftanstrengung und effektive Entlastung. Nicht jede Preissteigerung wird der Staat eins zu eins kompensieren können. Die Politik hat aber dringende Aufgaben: Erstens. Wir müssen die Lasten so ausgleichen, dass der soziale Zusammenhalt im Land gewahrt bleibt. Zweitens. Wir müssen eine Rezession vermeiden. Und drittens. Die Inflation darf nicht weiter aus dem Ruder laufen; hier müssen wir effektiv und überlegt gegensteuern. Wir stehen vor großen Herausforderungen. Nur gemeinsam können wir diese Herausforderungen bewältigen. Neue Lösungsansätze und das Überwinden alter Gräben braucht Mut. Diesen Mut bringen wir auf, dazu sind wir bereit. Vielen Dank. ({3})

Mario Brandenburg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004677

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Das Leitmotiv unserer neuen Bundesregierung lautet „Mehr Fortschritt wagen“. Wir sind angetreten, um den technologischen Fortschritt zu beschleunigen, um Forschung schneller in Anwendung zu bringen und um den großen Herausforderungen unserer Zeit mit Innovation zu begegnen. Ich danke der Expertenkommission Forschung und Innovation für das Gutachten 2022, in dem sie in bewährter Weise die forschungs- und innovationspolitischen Vorhaben der Bundesregierung kommentiert und Empfehlungen formuliert hat. Eine elementare Zahl vorweg: 3,14 Prozent. Wirtschaft, Staat und Hochschulen gaben im Jahr 2020 knapp 106 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus. Staat und Wirtschaft verfolgen gemeinsam das gleiche Ziel, Deutschland zum innovationsstarken Standort zu machen. Wir stoppen auch nicht beim Europaziel von 3 Prozent, sondern wollen den Anteil von Forschung und Entwicklung bis 2025 auf 3,5 Prozent des nationalen Bruttoinlandsprodukts steigern; das hat die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben. ({0}) Der Staat hat seinen Teil erfüllt: Die Ausgaben des Staates und privater Institutionen ohne Erwerbszweck stiegen im Jahr 2019 um 3,8 Prozent, von 15 Milliarden Euro auf 15,6 Milliarden Euro in 2020. Die Wirtschaft jedoch verringerte ihre Ausgaben – leider, coronabedingt – deutlich, um 6,3 Prozent. Daher stimme ich der Expertenkommission Forschung und Innovation zu: Es ist „notwendig, aufbauend auf den Erfahrungen der Hightech-Strategie … eine neue, umfassende Forschungs- und Innovationsstrategie zu entwickeln“. Auf Basis unseres Koalitionsvertrages bereitet das BMBF als federführendes Ressort derzeit einen Entwurf der Zukunftsstrategie Forschung und Innovation vor. Wie geplant, werden die anderen Ressorts zeitnah eingebunden, Verbändebeteiligung ist geplant, und eine Kabinettsbefassung wird bereits im Herbst dieses Jahres stattfinden. Die Zukunftsstrategie adressiert die in unserem Koalitionsvertrag verankerten Schwerpunkte in der Forschungs- und Innovationspolitik. Kurz gefasst: Wir wollen die Rahmenbedingungen und Strukturen für Transfer und Innovation verbessern. Wir wollen Bestehendes besser machen und, wo es nicht ausreicht, Neues erschaffen. Dabei folgen wir den Empfehlungen der Expertenkommission Forschung und Innovation. Die im Koalitionsvertrag definierten Zukunftsfelder werden durch Bündelung und Verschränkung missionsorientiert geordnet, um gesellschaftliche Herausforderungen zielgerichteter lösen zu können. Missionen stellen dabei ein auf Transformation zu einer nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsweise ausgerichtetes Instrument dar, welches die Lösungen zum Erreichen der Ziele nicht vorgibt und der Forschung und Wissenschaft Freiheit einräumt. Die Zukunftsstrategie entwickelt Transformationspfade für notwendige Veränderungsprozesse, die wir durch messbare Indikatoren unterlegen werden. Die Bundesregierung hat bereits mit dem Bundeshaushalt 2022 ein klares Statement abgegeben: Zur Stärkung missionsorientierter Forschung bezüglich zentraler gesellschaftlicher Themen wie Klimaschutz, Gesundheit und Schlüsseltechnologien stellt das BMBF 3,05 Milliarden Euro im Jahr 2022 bereit. Mit der DATI wird die Grundlage gebildet, damit die Umsetzung von Ideen in Innovationen nicht am Weg scheitert. Für den Aufbau der DATI sind bereits in diesem Jahr 15 Millionen Euro veranschlagt. Für laufende Transfer- und Vernetzungsmaßnahmen sind 2022 insgesamt über 400 Millionen Euro eingeplant. Das BMBF bleibt damit zuverlässiger Partner der Forschung; denn mit dem Pakt für Forschung und Innovation wird die institutionelle Förderung von Wissenschafts- und Forschungsorganisationen weiterhin jährlich um 3 Prozent gesteigert. ({1}) Damit haben wir die wichtige Weichenstellung für „Mehr Fortschritt wagen“ getroffen, um vom Wagen zum Gewinnen zu kommen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Prof. Dr. Michael Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005100, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Zu Beginn eine positive Anmerkung: 2020 hat Deutschland mit Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung in Höhe von 3,14 Prozent vom BIP mehr investiert als die meisten anderen EU-Staaten – so weit, so schön. Doch Geldausgeben allein löst noch keine Probleme. Es kommt vielmehr darauf an, die Mittel so einzusetzen, dass die Freiheit und der Wohlstand Deutschlands auch langfristig gesichert werden. ({0}) Da versagt die gegenwärtige Regierung ebenso kläglich wie ihre Vorgängerin. Genderstudien mögen zwar ein ideologisches Bedürfnis von Grünen und SPD befriedigen, sie lösen jedoch keines der drängenden Probleme in unserem Land. Wie weit die ideologische Beschränkung der Wissenschaft inzwischen geht, zeigte sich jüngst an der Humboldt-Universität, die sich mit Wissenschaftsfeinden aus dem linken Milieu gemeinmachte und einen Vortrag einer ihrer Wissenschaftlerinnen verhinderte. Dass Sie, Frau Stark-Watzinger – sie glänzt heute durch Abwesenheit genauso wie die anderen Regierungsmitglieder; Herr Staatssekretär Brandenburg, richten Sie ihr das bitte aus –, und auch Ihr geschätzter Kollege Kubicki daran deutliche Kritik geübt haben, begrüßen wir als AfD ausdrücklich. Aber denken Sie auch einmal darüber nach, ob Sie sich vielleicht die falschen Verbündeten gesucht haben. Der positive Grundton des Bundesberichts ist der Lage nicht angemessen; denn Deutschland verliert bei Forschung und Innovation den Anschluss. Der Global Innovation Index führt Deutschland nur noch auf Platz 10 weltweit. Das konterkariert den Regierungsslogan „Mehr Fortschritt wagen“; das konterkariert auch die ambitionierten Ziele, die Herr Mann von der SPD gerade formuliert hat. Das ist entschieden zu wenig für die größte Volkswirtschaft Europas und geradezu beschämend, ({1}) wenn man bedenkt, dass unser Land für seine Innovationen und seine Technologieführerschaft bekannt und geschätzt war. In einem Bereich jedoch attestiert der Bericht Deutschland eine führende Position, und zwar in der Innovationsfähigkeit. Mit anderen Worten: Das Potenzial deutscher Forschung ist nach wie vor vorhanden, doch es gelingt nicht mehr, dieses Potenzial zu heben. Das sollte Anlass zu Demut und Selbstkritik sein. Man versetze sich einmal in die Lage eines jungen, motivierten Wissenschaftlers, der sich überall von ideologischen Barrieren eingeengt sieht: An der friedlichen Nutzung der Kernenergie darf er nicht forschen, an der Optimierung von Verbrennungsmotoren erst recht nicht, und auch synthetische Kraftstoffe sind ideologisch nicht erwünscht. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Niemand von uns weiß, auf welchem Gebiet ein genialer Kopf die nächste revolutionäre Entdeckung machen wird. Derzeit ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dieser geniale Kopf zwar in Deutschland ausgebildet wird, sein Wissen und seine Ideen aber lieber im Ausland nutzt und in marktfähige Innovationen umsetzt. Genau deshalb braucht Deutschland endlich wieder eine technologieoffene Forschungsförderung. ({2}) Auch das McKinsey Global Institute attestierte Europa gerade erst, in fast allen wichtigen Technologiebereichen den Anschluss zu verlieren. Dadurch werden europaweit bis 2040 2 Billionen bis 4 Billionen Euro jährlich an Wertschöpfung verloren gehen. ({3}) Die Forschungspolitik der Bundesregierung verspielt somit unseren zukünftigen Wohlstand. Das darf nicht so weitergehen! Unternehmen Sie etwas, bevor es zu spät ist. Beseitigen Sie die ideologisch motivierten Schranken aus den Köpfen unserer Forscher, gestalten Sie Forschungsförderung wieder technologieoffen, und beenden Sie den Braindrain, –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Prof. Dr. Michael Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005100, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– indem Sie ein Innovationsklima schaffen, das junge Talente motiviert, ihre Zukunft gerne und aus Überzeugung bei uns in Deutschland zu suchen. Vielen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile das Wort Laura Kraft, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Laura Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005113, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Forschung ermöglicht Fortschritt. Es braucht gute Forschung, um Pandemien aufzuhalten, um den Klimawandel zu bremsen und um Antworten auf die vielfältigen Herausforderungen von morgen zu finden. Gute Forschung braucht aber auch gute Rahmenbedingungen. „Die Verwertung von Ideen hin zu neuen Innovationen und Unternehmensgründungen bleibt in Deutschland noch hinter den Erwartungen zurück“, so heißt es im Bundesbericht Forschung und Innovation. Das liegt auch daran, dass Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft in der Vergangenheit zu wenig zusammengedacht wurden. Aber erst wenn wir diese Aspekte zusammendenken, dann wird Innovation möglich. ({0}) Investitionen in Forschung und Innovation sind in der Tat eine Investition in die Zukunft. Der Bundesbericht benennt es genau richtig: Wir befinden uns im Aufbruch in ein Transformationsjahrzehnt, aber wegzukommen von Gas, von Kohle, von Öl, ist kein einfacher Weg. Wir müssen jetzt hierfür die Weichen stellen und für eine nachhaltige, klimaschonende Zukunft Methoden fördern und auch unterstützen. Eine solche Transformation ist notwendig, sie erfordert aber erhebliche wirtschaftliche und gesellschaftliche Anstrengungen und auch Veränderungen. Wir müssen hierfür auch den Forschenden und den Innovatorinnen und Innovatoren die nötige Unterstützung bieten – sowohl finanziell als auch legislativ. ({1}) Dazu gehört eine leistungsstarke digitale Infrastruktur. Wir müssen endlich bürokratische Hürden abbauen. Deutschlands Rolle in Europa, aber auch weltweit wird dadurch gestaltet, wie wir mit Innovationen in unserer Gesellschaft umgehen. Vor dem Hintergrund des Angriffskriegs gegen die Ukraine müssen wir unsere Forschungskooperationen noch mal ganz neu in den Blick nehmen. Wissenschaft und Forschung bieten die Möglichkeit, Brücken da aufrechtzuerhalten und im Dialog zu bleiben, wo an anderer Stelle vielleicht schon längst Brücken abgerissen wurden. Das ist in diesen Zeiten besonders wichtig. ({2}) Gute Forschung ist auf Kooperation angewiesen, aber wir müssen unsere Partnerschaften angesichts der neuen weltpolitischen Lage auch noch mal ganz neu in den Blick nehmen und die Zukunft darauf ausrichten. Wir müssen im Zweifel eine größere Souveränität für uns aufbauen und gleichzeitig enger mit unseren verlässlichen Partnerinnen und Partnern zusammenhalten. Durch gelungene Forschungs- und Innovationspolitik stärken wir Deutschland als Wissenschaftsstandort und auch im internationalen Wettbewerb. Dafür wollen wir als Ampelkoalition die richtigen Weichen stellen. Es ist Zeit, dass wir die Erkenntnisse, wie sie uns der Bundesbericht liefert, nicht nur wahrnehmen, sondern auch endlich in politisches Handeln überführen. ({3}) Die Herausforderungen der Zukunft, sie sind groß, sie sind ernst.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Laura Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005113, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Zeit wird knapp. Packen wir es an! Ich bedanke mich. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Die nächste Rednerin ist Dr. Petra Sitte, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kraft, als hätten wir unsere Reden gemeinsam geschrieben! Ich kann Ihren Redebeitrag sozusagen fortsetzen und vielleicht den einen oder anderen Punkt als Oppositionsfraktion noch mal betonen. Ja, wir beraten den durch die Bundesregierung in Auftrag gegebenen Bundesbericht Forschung und Innovation 2022 und das Expertengutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2022. Das Besondere ist – für das Publikum ist das wichtig –: Es werden die vergangenen Regierungsjahre und nicht die jetzige Regierung bewertet. ({0}) Mit den sich verschärfenden gesellschaftlichen Großkrisen – der Ukrainekrieg, die Klimakatastrophe, die Coronapandemie, eine globale Hungersnot und wachsende soziale Spaltungen –, also genau vor dem Hintergrund dieses Berichtes stellt sich die Frage: Soll so weitergemacht werden? Sie haben diese Frage jetzt auch selbst aufgeworfen, und wir sagen wie Sie: Nein, so wollen wir nicht weitermachen. ({1}) Für die Bewältigung dieser Krisen brauchen wir eine Innovations- und Wissenschaftspolitik, die Forschung an genau diesen Themen verlässlich und langfristig finanziert. Sie muss der Komplexität durch kooperative Ansätze Rechnung tragen, statt durch unzählige wettbewerbliche Vergaben in gesplitteten Förderprogrammen oder Exzellenzinitiativen Ressourcen von Forschenden – Zeit, Nerven; ich kann das gar nicht alles ausführen – ohne Ende zu verschleißen. Letztlich sind dann aber doch alle Projekte nur befristet finanziert. Starke Kritik an dieser Praxis kommt auch aus der Wissenschaftscommunity selbst. Meine Damen und Herren, ja, es stimmt, wir haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die mit hoher Motivation lehren und forschen – und das zum Teil unter unfassbar schlechten und unsicheren Beschäftigungsbedingungen. Es stimmt, mit den Hochschulen, Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Förderlandschaft haben wir ein Riesenpotenzial. Dieses Potenzial wird aber seit gut 20 Jahren immer weiter verengt. Beispielsweise wurde die unternehmerische Hochschule etabliert – und das alles bei unzureichender Grundausstattung von Lehre und Forschung. Nunmehr – das ist meine Befürchtung – verschiebt die Debatte um die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation für die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften – eventuell auch für kleinere Universitäten – und um die Zukunft der Bundesagentur für Sprunginnovationen diesen Schwerpunkt immer mehr von der Lehre und Forschung hin zum Transfer in Unternehmen. Wir brauchen uns hier nicht irgendwie heiligreden. Natürlich müssen wissenschaftliche Erkenntnisse umgesetzt werden, aber Wissenschaftspolitik ist eben mehr als Wirtschaftspolitik. ({2}) Ich habe schon immer zu Herrn Sattelberger gesagt: Wissenschaftseinrichtungen sind keine Industrieforschungseinrichtungen. Wie frei kann man bei dieser Ausrichtung denn sein? Wie frei kann da noch gelehrt und geforscht werden?

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Gerne. – Jetzt haben Sie selber sich „Soziale Innovationen“ auf den Schild gehoben. Was muss in der Gesellschaft passieren? Was muss im sozialen Bereich, zum Beispiel in der Rentenpolitik etc., passieren? Überall dort brauchen wir auch Forschungsergebnisse aus der Wissenschaft. Deshalb sagen auch wir: Steuern Sie um! Wissenschaft und Forschung sind öffentlich finanziert. Sie sollen also auch den Menschen hier und diesem Land lokal, national und auch europäisch zugutekommen. Das ist unsere Aufgabe. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Das war jetzt wirklich der letzte Satz. – Dr. Holger Becker, SPD-Fraktion, ist der nächste Redner in der Debatte. ({0})

Dr. Holger Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005021, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir begrüßen es außerordentlich, dass es Berichte wie den hier vorliegenden Bundesbericht Forschung und Innovation 2022 sowie den Bericht der Expertenkommission Forschung und Innovation gibt, der seit 2008 aus meiner Sicht immer eine anspruchsvolle Mischung aus Orientierung und Hausaufgaben für die Regierung darstellt. Bedenkt man, dass im EFI-Bericht unter anderem von der Idee eines Klimaklubs und der Forderung nach verbesserten Bedingungen für Start-ups in unserem Land die Rede ist, kann man nach der Veröffentlichung des ersten Entwurfs der Start-up-Strategie der Bundesregierung und auch nach den Ergebnissen des G‑7-Gipfels sagen: Ja, wir sind zügig dabei, unsere Hausaufgaben zu erledigen. Auf anderen Feldern allerdings wird deutlich darauf hingewiesen, dass Deutschland im internationalen Vergleich noch hinterherhinkt. Das zentrale Thema ist hier – ich glaube, das wundert keinen – die Digitalisierung. Ob es nun die Digitalisierung unserer Verwaltung oder innerhalb einzelner Branchen ist: Hier haben wir definitiv aufzuholen. Dieses Aufholen – ob im Bereich Digitalisierung oder in anderen Innovationsbereichen – ist erklärtes Ziel dieser Fortschrittskoalition, und ich kann Professor Cantner und sein Team von der Friedrich-Schiller-Universität in Jena nur dazu auffordern, uns auch weiterhin auf diesem Weg kritisch zu begleiten. Nicht umsonst taucht der Begriff „Forschung“ 94‑mal in unserem Koalitionsvertrag auf. Das ist, könnte man jetzt sagen, eine quantitative Aussage; aber auch qualitativ wollen wir den Wissenschaftsstandort durch bessere Rahmenbedingungen für Hochschule, Wissenschaft und Forschung kreativer und wettbewerbsfähiger machen. Dazu eine meiner Lieblingspassagen im Koalitionsvertrag: „Wir brauchen einen Digitalisierungsschub zum Abbau von Bürokratie …“. Ich glaube, das eint uns alle hier in diesem Haus. ({0}) Genauso eint uns wahrscheinlich die Spannung vor der Veröffentlichung der Digitalstrategie der Bundesregierung; das wird spannend. Noch mehr als die vorliegenden Berichte selbst begrüße ich allerdings, dass wir hier stehen und im Plenum des Deutschen Bundestages über Forschung und Innovation reden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, erlauben Sie mir an dieser Stelle ein wirklich sehr persönliches Wort: Als Naturwissenschaftler und jemand, der die letzten 30 Jahre im Bereich „Forschung und Innovation“ zugebracht hat – sowohl im Bereich der Hochschulen als auch in der freien Wirtschaft –, möchte ich an dieser Stelle einfach mal klar sagen: Auf all die drängenden Herausforderungen dieser Zeit – Klimawandel, Ernährungssicherung, globale Gesundheit, Energie, Umwelt, aber auch persönliche Entwicklungsperspektiven, Chancengleichheit und Erhaltung des gesellschaftlichen Wohlstandes – beinhalten Wissenschaft und Innovation die Antwort. ({1}) Das geht auch aus der aktuellen Erklärung der fünf großen naturwissenschaftlichen Fachgesellschaften Deutschlands hervor, die eine Stärkung der Forschung in Deutschland fordern. Die Wissenschaft ist es, die den Weg für echten technologischen und industriellen Fortschritt bereitet. Innovationen schaffen die Basis für fortwährende und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklungen und Lösungen unserer alltäglichen Probleme. Wir alle sollten uns daher die Fragen stellen: Haben Wissenschaft und Innovation in unserer Gesellschaft und im politischen Diskurs angesichts dieser hohen Bedeutung eigentlich den richtigen Stellenwert? Nutzen wir das wissenschaftliche Know-how, das uns im politischen Bereich zur Verfügung steht, wirklich aus? Leider lautet in meiner Wahrnehmung die Antwort auf diese Fragen: Nein. Die Fortschrittskoalition ist dafür angetreten, dies zu ändern, und ich persönlich sehe meinen Beitrag in diesem Haus genau darin, diesen Themen mehr Stimme zu verleihen. Nur wenn es uns gelingt, Wissenschaft und Innovation in Politik und Gesellschaft stärker zu verankern und daraus entsprechende Handlungen auf allen gesellschaftlichen Ebenen abzuleiten, können wir in Europa und auch darüber hinaus eine Spitzenposition einnehmen. Das muss unser Anspruch sein für eine freiheitliche, demokratische, nachhaltige und gesellschaftlich vorbildhafte Perspektive für die Menschen in unserem Land. Daran wollen wir mit aller Kraft arbeiten. Vielen Dank. ({2})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Dr. Anna Christmann, Bündnis 90/Die Grünen, ist die nächste Rednerin. ({0})

Dr. Anna Christmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004694, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich begrüße diese Debatte heute sehr. Die Stärkung von Forschung und Innovation ist uns hier, glaube ich, ein gemeinsames Anliegen. Aber es ist auch klar: Wir müssen einige Dinge anders machen, damit wir schneller vorankommen, als das in den letzten 16 Jahren der Fall war. ({0}) Wir müssen zum einen Missionen formulieren. Wir haben hier die Zukunftsstrategie; Mario Brandenburg hat sie vorgestellt. Wir haben ganz klar sechs Missionen definiert und gesagt, wo wir hinwollen. Es wird ganz entscheidend sein, klare Messlatten zu benennen, um zu zeigen, wo wir hinwollen und wie wir das erreichen wollen. Wir haben das bei einigen Punkten schon getan. Es ist nicht so, dass alle Dinge viel Zeit brauchen werden. Ich denke an das Luftfahrtforschungsprogramm – ich gucke den Kollegen Jarzombek an –, das auch in dem Bericht vorkommt, wie ich festgestellt habe. Aus dem Luftfahrtforschungsprogramm ist schon das Luftfahrtforschungsprogramm Klima – LuFo Klima – geworden, eine Neuerung, die wir als Ampelkoalition eingeführt haben. ({1}) Bei Anträgen muss man jetzt darlegen, was der Dekarbonisierungseffekt eines Projekts sein wird. Hier sehen wir: Missionsorientierung, klare Ziele. Das hat sofort einen Effekt auf die Ausrichtung und fürs Klima. ({2}) Neben Missionsorientierung ist es natürlich auch wichtig, Hochtechnologie, Deep Tech, zu fördern. Auch das kann man aber zusammenbringen; Klimatechnologien sind oft Deep Tech. Deswegen haben wir uns auch mit dem ersten Entwurf der Start-up-Strategie vorgenommen, den Deep Tech and Climate Fund zu gründen, mit dem wir klar aufzeigen: Es braucht Investitionsschwerpunkte gerade für Forschung und Entwicklung, für Deep Tech und für Klimaschutz; denn wir brauchen jetzt Lösungen für die Klimakrise. ({3}) Natürlich ist Grundlagenforschung ein ganz zentraler Baustein, auf dem das alles aufbaut. Es geht nicht darum, alles in eine bestimmte Richtung zu lenken, sondern natürlich sind Investitionen in Quantentechnologien, in künstliche Intelligenz, in all die Dinge, die uns Anwendungen ermöglichen, ganz zentral. Insofern begrüße ich auch, dass das BMBF jetzt auch die Kompetenzzentren für Maschinelles Lernen verstetigt hat. Wir haben uns im Koalitionsvertrag auch vorgenommen, gerade die europäische Zusammenarbeit bei solchen Hochtechnologien wie KI zu stärken; denn am Ende kommt es, global betrachtet, darauf an, dass wir als Europa ein starker Technologiestandort sind. Gerade in diesen geopolitischen Zeiten geht es darum, hier auch technologische Souveränität zu sichern. ({4}) Um all das zu erreichen, ist, glaube ich, auch ein Punkt sehr wichtig, in dem wir Fortschritt wirklich als Fortschrittskoalition gemeinsam erreichen wollen: Wir wollen diese Dinge ressortübergreifend und gemeinsam angehen; denn wir haben in der Vergangenheit häufig gesehen: Wenn Dinge an Ressortgrenzen stecken bleiben, führt das nicht zu mehr Innovation, sondern zu Stillstand. ({5}) Deswegen wollen wir viele Dinge gemeinsam angehen. Wir erarbeiten gerade die Start-up-Strategie zusammen. ({6}) Ich sehe Kollege Luksic, mit dem wir das klimaneutrale Fliegen gemeinsam voranbringen wollen. Insofern laufen wir gemeinsam in die richtige Richtung, und zwar mit hohem Tempo, und so wird es weitergehen. ({7})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Dr. Lina Seitzl, SPD-Fraktion, ist die nächste Rednerin. ({0})

Dr. Lina Seitzl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005221, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der diesjährige Bundesbericht Forschung und Innovation zeigt sehr eindrücklich, dass wir mitten in einem Transformationsjahrzehnt stecken. Es geht um die Digitalisierung unseres alltäglichen Lebens, es geht um die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft, es geht um nachhaltige Mobilität, es geht um sozialen Zusammenhalt. All diese Herausforderungen werden wir nur meistern, wenn wir eine umfassende Forschungs- und Innovationslandschaft haben, die Technologien entwickelt und sie dann auch umsetzt. Zu diesem Forschungs- und Innovationssystem gehören natürlich auch die 420 Hochschulen, die wir in Deutschland haben. An den Universitäten wird hervorragende Grundlagenforschung betrieben. In vielen Regionen sind die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften der Mittelpunkt von regionalen Innovationssystemen, in denen sie zusammen mit Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen an Lösungen für diese gesellschaftlichen Herausforderungen arbeiten. Nicht zuletzt sind die Hochschulen auch verantwortlich für die Ausbildung und Qualifizierung all derjenigen, die wir in diesem Transformationsjahrzehnt brauchen, um diese Ideen und Technologien umzusetzen. Das ist auch der Grund, warum wir die Hochschulen in dieser Fortschrittskoalition stärken möchten. Ich möchte hier auf drei Punkte eingehen. Erstens. Wir schaffen die finanziellen Voraussetzungen für Forschung und Entwicklung an den Hochschulen. Wir führen die Exzellenzinitiative fort, die hervorragende Grundlagenforschung sichert. Wir stärken die Forschung an den Hochschulen. Wir unterstützen mit der DATI die Schaffung von regionalen Transformationsregionen, in denen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam Innovation voranbringen. ({0}) Zweitens. Wir schaffen gute Arbeitsbedingungen an den Hochschulen, weil wir ohne gute Köpfe Innovationen nicht schaffen und dieses Transformationsjahrzehnt nicht gestalten können. Dafür brauchen wir klare und verlässliche Anstellungsbedingungen, klare und verlässliche Karrierewege ohne ständige Befristungen. Deshalb reformieren wir die rechtlichen Rahmenbedingungen mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Wir schaffen mehr Planbarkeit, und wir verbessern die Qualitätssicherung für Promovierende. ({1}) Drittens. Wir unterstützen die Hochschulen bei der Nachwuchsförderung, bei der Ausbildung von Studierenden. Wir dynamisieren den Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken“ und setzen ihn damit mit dem Pakt für Forschung und Innovation gleich. Wir investieren in Digitalisierung, wir investieren in Innovation in der Hochschullehre durch die Finanzierung der Stiftung Innovation in der Hochschullehre – all das, um Studierende an den Hochschulen zu stärken. Das tun wir alles gemeinsam, zusammen mit den Ländern, weil wir hier in diesem Haus nur gemeinsam mit den Wissenschaftsorganisationen, mit den Hochschulen, mit der Gesellschaft dieses Transformationsjahrzehnt gestalten können. Vielen Dank. ({2})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Gitta Connemann, CDU/CSU-Fraktion, ist die letzte Rednerin in der Debatte. ({0})

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Made in Germany“, eine weltbekannte Marke: Sie steht für Qualität, Langlebigkeit, Ingenieurs-, aber auch Handwerkskunst. Es waren deutsche Tüftler und Ausdenker, die das Fundament für den internationalen Erfolg Deutschlands gelegt haben, übrigens vom Hidden Champion bis zum Konzern. Leider kam aber der Mittelstand in den Beiträgen der Ampel in der heutigen Debatte überhaupt nicht vor. Ohnehin scheinen Forschung und Innovation für die Ampel kein Schwerpunkt zu sein; denn in der GroKo wurde über dieses Thema in der Kernzeit gesprochen, bei der Ampel reicht es dazu nicht. Schade für das Thema, schade aber auch für die Betriebe, die massiv in Forschung und Entwicklung investieren. In diesem Jahr geben kleine und mittelständische Unternehmen dafür 24,4 Milliarden Euro aus. 42,6 Prozent der deutschen KMU weisen Innovationsaktivitäten aus. Deshalb ist der deutsche Mittelstand bei Spitzentechnologien wie Elektro, Chemie oder Pharma absolute Spitze. Dafür auch mal ein Dank an diese Betriebe! ({0}) Aber deswegen muss uns das EFI-Gutachten auch alarmieren; denn die Forschungs- und Entwicklungsausgaben für Neuheiten sind im Jahr 2022 erstmals gesunken. Dieser Abstieg ist für den Standort Deutschland brandgefährlich, gerade auch vor dem Hintergrund des Systemwettbewerbs mit der Volksrepublik China und der Aufholjagd genau dieser Volksrepublik. Nur einige Zahlen: 2000 kamen 3,6 Prozent der weltweit gehandelten Hightechexporte aus China, heute 23,8 Prozent. Genauso sieht es bei wissenschaftlich-technischen Publikationen aus. Dort haben die Chinesen um das 18,2-Fache zugelegt, und heute melden die Chinesen 52,8‑mal mehr Patente an als zur Jahrtausendwende. Darauf müssen wir reagieren, und darauf müssen die Betriebe reagieren können; denn die Zukunft steht und fällt mit der Innovationsfähigkeit unserer Wirtschaft. Aber Fortschritt ist ein Wagnis, wenn dieser nicht solide finanziert ist. Deshalb wurde auf Druck der Union in den letzten Jahren das 3,5-Prozent-Ziel in der Hightech-Strategie bis 2025 festgeschrieben; denn ohne Zielmarke ist das Bekenntnis zum 3,5-Prozent-Ziel nicht mehr als Schaufensterpolitik. ({1}) Deshalb ist es gut, dass der Staatssekretär seit langer, langer Zeit wieder einmal eine Zielmarke genannt hat. Entscheidend wird aber sein, ob diese eingehalten werden wird; denn wir hören in diesen Reden viel „Wir wollen“, aber nicht: „Wir tun“. Daran werden Sie gemessen werden müssen, auch für unser Land. ({2}) Mit jedem staatlichen Euro muss ein Anreiz geschaffen werden. Diese starke Hebelwirkung wurde mit ZIM erreicht. Es ist das zentrale Instrument für die Innovationsförderung im Mittelstand. Dieses abzukoppeln, ist grotesk, und die Ampel macht nichts anderes. Seit Oktober 2021 sind keine Anträge mehr möglich, obwohl die Ampel versprochen hat, das Instrument bis zum Sommer wieder zum Laufen zu bringen. Das ist jetzt acht Monate her. Sommer ist jetzt. Wann kommt ZIM? Beantworten Sie endlich diese Frage! ({3}) Die Gründungs- und Transferinfrastruktur muss ausgebaut werden. Gerade KMU haben es oft schwer, in diese Forschungsnetzwerke hineinzukommen, von der Forschung zu profitieren. Deshalb sind die Empfehlungen aus dem Gutachten gut. Das gilt übrigens auch für die B2B-Plattformen, die entsprechend erwähnt werden. Am Ende muss Deutschland das Land der Tüftler und Ausdenker bleiben, und das geht nicht ohne den Mittelstand.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Er war und ist Herzkammer der Innovationsfähigkeit. Deshalb hätte er heute wenigstens eine Erwähnung seitens der Ampel verdient. Vielen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 20/2400 und 20/1656 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen.

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland hat einen im internationalen Vergleich starken Bevölkerungsschutz. Das liegt an unseren professionellen Sicherheits- und Rettungskräften, und es liegt an den 1,7 Millionen Menschen, die sich in Deutschland ehrenamtlich in diesem Bereich engagieren. Allein 90 Prozent der Einsatzkräfte im Ahrtal waren ehrenamtliche Bürgerinnen und Bürger. Ihnen allen möchte ich heute an dieser Stelle zunächst einmal ein herzliches Dankeschön für ihren Einsatz zurufen. ({0}) Zu diesen stillen Helden, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehörte auch die 19-jährige Feuerwehrfrau Katharina, die am Abend des 14. Juli letzten Jahres gemeinsam mit ihrem Vater und den Kameraden von der Freiwilligen Feuerwehr Barweiler, ohne zu zögern, den Notrufen vom Campingplatz Stahlhütte folgte. Sie starb dort bei dem selbstlosen Versuch, eine bettlägerige Frau zu retten, und mit Katharina verloren in dieser Nacht rund 190 Menschen ihr Leben. Wir als Politiker im Bund, im Land und in den Kommunen sind es Katharina und den vielen anderen Opfern und ihren Angehörigen schuldig, die richtigen Lehren aus dieser Katastrophe zu ziehen. Wir müssen auch die richtigen Lehren aus den Folgen der Pandemie und des jetzigen Ukrainekrieges ziehen. ({1}) Die alte Bundesregierung, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat dafür bereits wichtige Weichen gestellt: Wir haben den THW-Haushalt in den letzten Jahren mehr als verdoppelt. Bereits im März 2021 wurden die Neuausrichtung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und das Gemeinsame Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz von Bund und Ländern als Plattform für alle relevanten Akteure auf den Weg gebracht, und das ist gut so. Wir haben im August 2021 auch den Cell Broadcast auf den Weg gebracht. Damit können Warnnachrichten direkt auf die Handys geschickt werden. Er wird in diesem Jahr eingeführt. Es ist gut, dass unsere Bundesinnenministerin diesen Weg weitergeht. Allerdings würde ich mir von ihr wünschen, dass sie sich nicht nur für das von uns bereits beschlossene und eingerichtete Kompetenzzentrum feiern lässt, sondern dass sie endlich auch Eigeninitiative entwickelt und Führungsstärke zeigt. ({2}) Sie hätte hier auf der Sommer-IMK eine große Chance gehabt, mit den Ländern einen echten Durchbruch im Bevölkerungsschutz zu organisieren. Sie hat diese Chance leider verpasst. Die IMK-Beschlüsse und die Forderung nach 10 Milliarden Euro in zehn Jahren für den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe stehen im luftleeren Raum, solange sich die Bundesinnenministerin nicht nachdrücklich auch selbst dahinterstellt. Wir brauchen die 10 Milliarden Euro in zehn Jahren für den Zivil- und Katastrophenschutz genauso, wie wir die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr brauchen. ({3}) Wir haben in unserem Antrag zehn besonders relevante Punkte als Impuls aus dem Parlament zusammengefasst. Wir brauchen – davon sind wir fest überzeugt – einen Pakt für den Bevölkerungsschutz, in dem sich Bund, Länder und Kommunen gemeinsam verpflichten, den Zivil- und Katastrophenschutz nachhaltig zu modernisieren. Hierzu brauchen wir genügend Personal, genügend Ausstattung und genügend Finanzmittel, und wir brauchen vor allen Dingen – daran fehlt es bis dato – einen klaren Fahrplan und überprüfbare Ziele, die wir auch hier im Bundestag regelmäßig kontrollieren und prüfen können, und das nicht erst, wenn wir die nächste Katastrophe haben. ({4}) Wir haben es ganz klar gesehen: Wir müssen die Resilienz in der Bevölkerung und auch die der Hilfsorganisationen stärken. Es kann nicht sein, dass die Bundeswehr angesichts der neuen Bedrohungslagen weiterhin als Lückenfüller herhalten muss. Die Bundeswehr muss entlastet werden, und wenn wir Mittel und Ausstattung zur Verfügung stellen, dann muss das Ganze auch bedient und mit Leben erfüllt werden. Deswegen schlagen wir neben den bereits vorhandenen Organisationen den Aufbau einer zivilen Reserve aus Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes vor; denn es ist wichtig, dass wir Bürgerinnen und Bürger haben, die in solchen Fällen mit einer Art Grundausbildung, einer freiwilligen Grundausbildung im Bevölkerungsschutz, in der Lage sind, im Bereich der Ersten Hilfe, im Bereich der Führung in Krisenlagen, im Bereich der Pflege – wir haben das jetzt alles gesehen – mit einspringen können und mithelfen können. Das müssen wir auch zur Entlastung der Bundeswehr umsetzen, und dazu fordern wir die Bundesregierung auf: Fangen Sie an, sich nicht nur mit Mitteln und mit Geld zu beschäftigen, sondern auch mit dem Aufbau einer zivilen Reserve! ({5}) Starker Bevölkerungsschutz wächst von unten nach oben. Wichtig sind die Landräte vor Ort bis hin zur Bundesinnenministerin. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will abschließend sagen: Wir werden hier nur stärker, wenn alle politischen Ebenen gemeinsam zusammenarbeiten. Liebe FDP, wenn Sie diese Debatte kaputtmachen wollen, –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– dann müssen Sie weiterhin von der Grundgesetzänderung sprechen. Wir brauchen im ersten Schritt keine Grundgesetzänderung – ob wir sie überhaupt brauchen, steht völlig in den Sternen –; aber was wir brauchen, ist der gemeinsame Wille von Bund, Ländern und Kommunen zu Veränderungen. Dazu fordere ich Sie auf. Helfen Sie mit, und packen Sie mit an, damit wir den Bevölkerungsschutz stärken! Vielen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der nächste Redner ist Ingo Schäfer, SPD-Fraktion. ({0})

Ingo Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005199, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Liebe Fraktion der CDU/CSU, 16 Jahre lang haben Sie geschlafen, und einen Tag vor der Debatte zum Jahrestag der Flutkatastrophe 2021 wachen Sie auf. ({0}) Da frage ich mich: Was haben Sie denn aus den Krisen der vergangenen 20 Jahre gelernt? Was haben Sie verbessert? Die Mängel sind seit dem Untersuchungsbericht zum Elbehochwasser von 2002 bekannt. Zitat aus dem Bericht: „Eine geordnete Unterrichtung von Landkreis zu Landkreis fand nicht statt.“ So steht es im Untersuchungsbericht 2002, und 20 Jahre später fehlt es immer noch an Mitteln und Wegen, um eine landkreisübergreifende Lage schnell beurteilen zu können. Was damals fehlte und heute noch immer fehlt, ist ein Katastrophenschutzsystem von Bund, Ländern und Kommunen, das die Strukturen, Verantwortlichkeiten und einsatztaktischen Maßnahmen für Großlagen bereithält. Deshalb ist es erfreulich, dass die Ampelkoalition einen Föderalismusdialog führen wird. Wir werden gemeinsam mit den Bundesländern ein belastbares System zum Schutz der Bevölkerung in Großschadenslagen verabreden. ({1}) Was auch seit 2002 bekannt ist – ich zitiere – : „Entscheidender ist die Frage, inwieweit eine vorausschauende Planung der Kräfteanforderung und des Kräfteeinsatzes bestand.“ Das war 2002 an der Elbe so, das war 2005 im Münsterland so und 2021 am Nürburgring genauso. Wir werden zeitnah dafür sorgen, dass viele Einsatzkräfte auch tatsächlich eingesetzt werden. Ein weiterer Mangel, der schon seit 20 Jahren bekannt ist: „Ein strukturiertes System zur Warnung der Bevölkerung besteht nicht.“ Während die Handywarnung in den Niederlanden Standard ist, wird sie in Deutschland erst jetzt eingeführt. Es wäre schön gewesen, wenn sich Ihre Innenminister darum gekümmert hätten. ({2}) Ich habe noch einen Punkt. Im Ahrtal fehlen Hubschrauber mit Seilwinden. Der Bund hatte 18 Zivilschutzhubschrauber. Aber warum sind nur die beiden aus Bayern mit Seilwinden bzw. Winschen ausgestattet, um Menschenleben zu retten? Warum haben Ihre Innenminister keine Hubschrauber mit Seilwinden besorgt? Warum wollte Ihr Innenminister Horst Seehofer von der EU keine Hubschrauber zur Waldbrandbekämpfung? Die EU hätte 100 Prozent der Kosten für Ihr Katastrophenschutzprogramm übernommen, und Ihr Innenminister hat das Geld auf der Straße liegen lassen. ({3}) Sie hätten die vielen tollen Ideen, die Sie hier jetzt vorlegen, in den vergangenen 16 Jahren ganz einfach verwirklichen können. ({4}) Zum Thema Ausstattung gehören auch die 1 400 fehlenden Katastrophenschutzfahrzeuge des Bundes. Schon 2013 hat die Bundesregierung festgestellt – man fragt sich, wer gerade an der Regierung war –, dass jedes Jahr mindestens 270 Fahrzeuge beschafft werden müssen. Dieses Ziel wurde in den vergangenen zehn Jahren immer verfehlt. Im laufenden Jahr 2022, also in diesem Jahr, wurde den Kommunen kein einziges Fahrzeug geliefert. Da es sich bei den anzuschaffenden Gerätschaften um Spezialwerkzeug und Spezialfahrzeuge handelt, findet man diese nicht in einem Baumarkt oder in einem normalen Autohaus. Es bedarf einer gewissen Vorlaufzeit, um hier Abhilfe zu schaffen. Sie waren verantwortlich, diesen Vorlauf zu gewährleisten. ({5}) Deswegen müssen wir eine Priorisierung festlegen, um die notwendigen Schritte in die Wege zu leiten. Hierzu benötigen wir mindestens zehn Jahre, um das Versäumte aufzuholen. Die 16 Jahre Mangelverwaltung im Bevölkerungsschutz lassen sich nicht innerhalb von 6 Monaten kompensieren. Also: Packen wir’s an! ({6}) Ich gebe Ihnen ein weiteres Beispiel Ihrer Untätigkeit. Was folgte denn aus der neuen „Konzeption Zivile Verteidigung“, die Ihr Minister de Maizière vor sechs Jahren vorgestellt hat? Nichts. Herr de Maizière hat versucht, das Thema zu setzen, und er ist gescheitert. Es ist die Ampelkoalition, die nun im Koalitionsvertrag verankert hat, die „Konzeption Zivile Verteidigung“ strategisch neu auszurichten. Wir haben bereits erste Konsequenzen aus der neuen Lage gezogen. Wir haben im Haushalt 2022 Mittel bereitgestellt, um weitere drei Betreuungsmodule „Labor Betreuung 5.000“ anzufinanzieren. Wir werden in Zukunft dafür sorgen, dass jedes Bundesland eine solche Versorgungseinheit für 5 000 Menschen erhält. Im Haushaltsentwurf 2023 haben wir nun weitere 146 Stellen für das BBK vorgesehen. Das ist dringend notwendig, damit das Amt seine vielfältigen Aufgaben wahrnehmen kann. Sie dagegen stehen nur an der Seitenlinie und erklären uns, was alles notwendig ist. Was Sie hier jetzt vorlegen, hätten Sie in den vergangenen 16 Jahren verwirklichen können. ({7}) – Ja, die SPD hat auch regiert; aber das Innenministerium war ein 16 Jahre lang von Ihrer Partei geführtes Ministerium. ({8}) Die Ampelkoalition ist nun für den Bevölkerungsschutz verantwortlich, und sie handelt verantwortungsvoll. ({9}) Wir beschaffen die fehlenden Hubschrauber und die Katastrophenschutzfahrzeuge; wir sorgen für ein gutes Krisenmanagement und ein länderübergreifendes Lagebild. Wir sorgen vor, damit der Zivilschutz in Zeiten des Krieges verbessert wird. Wir haben den Bevölkerungsschutz endlich aus dem langen Dornröschenschlaf befreit. ({10}) Wir wissen, was getan werden muss, um den Menschen in Deutschland in der Not helfen zu können, und wir setzen das Notwendige auch um. Zu guter Letzt möchte ich mich bei den vielen hauptamtlichen und ehrenamtlichen Helfern, der Berufsfeuerwehr, der Freiwilligen Feuerwehr, dem THW, dem Malteser Hilfsdienst, dem DRK, dem Arbeiter-Samariter-Bund, den Johannitern, der DLRG und den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sowie den vielen, vielen zivilen Helfern für ihren unermüdlichen und selbstlosen Einsatz bedanken. Ohne sie wäre die Katastrophe noch viel schlimmer gewesen. Vielen Dank. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Schäfer. – Nächster Redner ist der Kollege Steffen Janich, AfD-Fraktion. ({0})

Steffen Janich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005092, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist jetzt fast ein Jahr her, dass ein Teil Deutschlands von der Katastrophe heimgesucht wurde, wie es sie seit der Sturmflut im Jahre 1962 nicht mehr gegeben hat. Große Gebiete vor allem, aber nicht nur in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen wurden überflutet. Allein im Ahrtal kamen 133 Menschen ums Leben; im Kreis Euskirchen fanden 27 Menschen den Tod. Insgesamt wird von 186 Toten in Deutschland ausgegangen. Experten gehen davon aus, dass etwa ein Drittel der von den Flutmassen betroffenen Menschen nicht oder nicht rechtzeitig gewarnt wurde. Etwas Derartiges darf sich niemals – und ich betone: niemals – in Deutschland wiederholen. ({0}) Es ist darum richtig und wichtig, dass sich der Innenausschuss in dieser Woche hierzu in Selbstbefassung eine Expertenanhörung gegeben hat. Ich werde morgen hierzu gesondert sprechen und für die wichtigsten Schlussfolgerungen aus dieser öffentlichen Anhörung werben. Auf den insgesamt nur zwei Seiten Ihres Unionsantrages werden völlig unterschiedliche Sachverhalte dargestellt. Die Coronapandemie, die Starkregenflut 2021 wie auch der Krieg in der Ukraine stehen hier gleichrangig in einer Reihe, um nur einen Teil zu nennen. Sie ignorieren dabei völlig die Vielschichtigkeit jeweils hochkomplexer Bedrohungslagen, indem Sie die Wesenstiefe viel zu oberflächlich betrachten. Ihr Antrag, meine Damen und Herren, ist reine Symbolpolitik und wird den Anforderungen in der Realität nicht mal ansatzweise gerecht. ({1}) Es gibt auch keinen ersichtlichen Grund, warum man in dieser veränderten Lage von heute die „Konzeption Zivile Verteidigung“ aus der Merkel-Regierung gesondert begrüßen sollte. Gerade der in dieser Konzeption vorgesehene Rückbau der öffentlichen Schutzräume war aus heutiger Sicht ein großer Fehler. Wie die Kleinen Anfragen meiner Fraktion ergeben haben, wird die Tauglichkeit noch vorhandener Schutzräume derzeit vom BBK überprüft. Sie begrüßen, dass massive Budgetsteigerungen beim THW die Krisenvorsorge ausbauen. Das ist selbsterklärend; mit mehr Geld lässt sich nun mal mehr erreichen. Beim Bevölkerungsschutz in unserer heutigen Zeit darf es aber kein Weiter-so mit etwas Kosmetik geben. Wir sagen daher ganz klar: Eine geänderte Bedrohungslage erfordert kein Weiter-so, sondern eine kritische Evaluation und dort, wo es notwendig ist, einen echten Aufbruch. Der Ausbau des Bevölkerungsschutzes ist auch ein Kernanliegen meiner Fraktion. Allerdings nützen die besten Konzepte nichts, wenn sie in Katastrophenlagen nicht unverzüglich umgesetzt werden. Im Ahrtal waren die Helferorganisationen und helfenden Nachbarn vor Ort im Einsatz. Was fehlte, waren unter anderem ein ad hoc aufzustellender Krisenstab und eine gesicherte Kommunikation in der Katastrophennacht. Wir haben in unserem Land viele Helferorganisationen, welche innerhalb kürzester Zeit am Einsatzort geführt und koordiniert werden müssen. Die Teilung der Aufgaben des Zivil- und Katastrophenschutzes in Bund und Land muss wie vieles andere völlig neu überdacht werden. Lassen Sie uns gemeinsam für die Menschen in unserem Land den Bevölkerungsschutz praxisorientiert aktualisieren! Wir stehen dafür bereit. Vielen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Leon Eckert, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Leon Eckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005047, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolleginnen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Vor zehn Tagen war ich in Elmau beim THW und habe mir angeguckt, wie der Einsatz zur Sicherung des G‑7-Gipfels von ihm durchgeführt worden ist. Von der Fachgruppe Führung/Kommunikation über Stromversorgung bis zur Logistikeinheit war einiges im Einsatz, und ich bin jedes Mal beeindruckt, welche Fähigkeiten in unserem Bevölkerungsschutz vorhanden sind. Sie stehen stellvertretend für die Kräfte, die jeden Tag für uns, für unsere Sicherheit im Einsatz sind. Dafür gilt ihnen unser Dank. ({0}) Der vorliegende Antrag beschreibt die Grundlage und die ehrenamtliche Stärke unseres Systems sehr gut. Die Forderungen sind wohlbekannt, sind sie doch eine Zusammenfassung der Kernpunkte unseres Koalitionsvertrages, ({1}) etwas angereichert mit Punkten aus den neuerlichen Koalitionsverträgen aus Schleswig-Holstein und NRW. Gucke ich mir die drei Regierungen an, erkenne ich ein Muster: Dort, wo Grün in der Regierung ist, ist der Bevölkerungsschutz hoch im Kurs und hat einen hohen Stellenwert. ({2}) Bevölkerungsschutz heißt für uns im Bund in erster Linie Zivilschutz. Der Zivilschutz soll in der Landesverteidigung Infrastruktur für das Militär aufrechterhalten, Menschen vor konventionellen, atomaren, biologischen und chemischen Angriffen schützen. In der Debatte um das Sondervermögen konnten wir ja feststellen, wer den Zivilschutz als elementaren Bestandteil der Gesamtverteidigung verstanden hat und dessen Rolle auch den entsprechenden Stellenwert eingeräumt hat. Ernüchternd musste ich feststellen, dass aus politischen Überlegungen dieser Punkt von der Union herausverhandelt wurde. Die Union hat mit dieser Aktion dem Zivilschutz und der Gesamtverteidigung einen Bärendienst erwiesen. Sie haben in dem Moment die Menschen vergessen, von denen Sie gerade gesprochen haben. ({3}) Gerade angesichts des Krieges in der Ukraine und immer stärkeren Katastrophen müssen wir von der Kommune über die Länder zusammenarbeiten, um den Bevölkerungsschutz zu stärken; sonst werden wir wieder Menschen nicht rechtzeitig warnen und retten können, wieder Milliardenschäden in Kauf nehmen müssen. Ich kann für unsere Fraktion sagen, dass wir mit voller Kraft hinter der Innenministerin und dem Innenministerium stehen, um die Finanzierung für den Bevölkerungsschutz sicherzustellen. Unabhängig von den Investitionen ist es wichtig, auch strukturelle Probleme zu beheben; das GeKoB wurde angesprochen. Ein Beispiel: Es gibt mindestens acht verschiedene Warnsignalkombinationen in den Ländern, und zwar immer noch, obwohl wir eine Angleichung schon länger vereinbart hatten – ein Beispiel von vielen, in denen von Einheiten bis zu Funktionsbezeichnungen vieles völlig unterschiedlich ist und zu Reibungsverlusten in länderübergreifenden Einsätzen führt. Dann muss man sich natürlich schon fragen: Wie lange warten wir die Freiwilligkeit und den Koordinationswillen der Länder bei bestimmten Standards ab? Wenn wir sehen, dass es an der Koordination und der Freiwilligkeit offensichtlich scheitert, müssen wir dann nicht irgendwann verbindliche Standards setzen, um zu verhindern, dass Leute wieder nicht gewarnt werden können, wieder nicht rechtzeitig gerettet werden können? Wir müssen besser zusammenarbeiten, von unten bis nach oben, um Menschenleben zu retten. In diesem Sinne werden wir den Antrag auch im Ausschuss beraten. Vielen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Eckert. – Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. André Hahn, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Aus den Krisen lernen – Für einen starken Bevölkerungsschutz“, so lautet die Überschrift des Antrags der Union. Das kann man auch so verstehen, dass erst furchtbare Dinge wie Naturkatastrophen passieren müssen, bevor Sie darauf im Bevölkerungsschutz reagieren wollen. Diese Herangehensweise ist ein folgenschwerer Irrweg. ({0}) Das mag vielleicht verhindern, dass zu große Summen in Prävention fließen, die in absehbarer Zeit womöglich gar nicht in vollem Umfang gebraucht werden. Aber dann reden Sie doch bitte nicht von vorsorgendem Bevölkerungsschutz; denn diese Taktik läuft darauf hinaus, dass Sie erst dann Hilfe leisten, wenn Menschen bereits gestorben und Schäden in Milliardenhöhe entstanden sind. So schützen Sie doch niemand, es sei denn, es passiert rein zufällig einmal eine Katastrophe, aus der Sie dann vielleicht gelernt haben, wie zum Beispiel die tragischen Tode in der Behinderteneinrichtung in Sinzig im Ahrtal. Moderne Feuerwehren und THW-Technik müssen schlichtweg in ausreichendem Maße bereitstehen, ({1}) auch wenn wir alle hoffen, dass sie möglichst wenig zum Einsatz kommen müssen. Doch genau daran mangelt es. Das wurde in der Innenausschussanhörung vorgestern deutlich, in der die teils museale Ausrüstung von Rettungs- und Hilfsdiensten kritisiert wurde. Hier muss sich endlich etwas ändern. ({2}) Noch vier Monate vor der Flut wollte der damalige Präsident des BBK, unser ehemaliger CDU-Kollege Armin Schuster, mit einem Achtpunkteprogramm Abhilfe schaffen. Wesentlich vorangegangen ist es seither in keinem Bereich. Das Programm zur Wiedererrichtung von Sirenen, die es im Osten im Übrigen oft noch gibt, ist ins Stocken geraten; Mittel werden nicht abgerufen. Es gibt weder bundesweit einheitliche Vorgaben für die Art der Sirenen noch für die sich daraus ergebenden Warntöne und die erforderliche Sensibilisierung der Bevölkerung. Nach der Flut vor einem Jahr sollte dies laut dem damaligen Bundesinnenminister Seehofer alles ganz schnell gehen. Jetzt redet die Union in ihrem Antrag von einem langfristigen Programm. So schafft man kein Vertrauen, meine Damen und Herren. ({3}) Wenn Sie vor diesem Hintergrund bereits Ende 2022 – so schreiben Sie im Antrag – bundesweit und barrierefrei die Bevölkerung warnen wollen, dann müssen Sie auch erklären, wie Sie das machen wollen. Doch das verraten Sie in Ihrem Antrag aber nicht. Einen Punkt im Antrag will ich aber durchaus loben: Sie listen das zunehmend komplexere Gefahrenspektrum korrekt auf, nennen neben Dürre, Extremwetterlagen, Klimawandel, Cyberattacken auf kritische Infrastrukturen auch weitere Szenarien. Das muss natürlich durch einen kompetenten Katastrophenschutz beantwortet werden. Das, was die Union, aber leider auch die Ampel bisher dafür finanziell vorsehen, ist völlig unzureichend. Zudem bin ich auf Ihre Argumentation im Ausschuss gespannt, warum Sie die Bewältigung all dieser Szenarien auch künftig überwiegend freiwilligen Helfern aufbürden wollen; denn vom Ausbau hauptamtlicher Personalstrukturen im Katastrophenschutz, der bei steigender Komplexität der Bedrohungsszenarien eigentlich nötig wäre, lese ich in Ihrem Antrag nichts. Es ist also noch viel Luft nach oben, und ich hoffe, dass wir da im Zuge der Ausschussberatungen noch nachbessern können. Herzlichen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Hahn. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Sandra Bubendorfer-Licht, FDP-Fraktion. ({0})

Sandra Bubendorfer-Licht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004956, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der Unionsfraktion stellt im Grunde ein Zeugnis dar – ein Zeugnis der eigenen Versäumnisse in 16 Jahren innenpolitischer Verantwortung in diesem Land. ({0}) All diese Punkte hätten wir uns gerne schon früher gewünscht und auf den Weg gebracht gesehen. Man hätte womöglich viel Schaden abwenden können. ({1}) Denn Fakt ist nun mal: Der Bevölkerungsschutz wurde in den letzten 30 Jahren leider konsequent zurückgebaut. Den Katastrophenschutz stemmt eine ehrenamtliche Basis, der wir nicht genug für ihr Engagement danken können und ohne die wir verloren wären. Der Zivilschutz ist im Grunde nicht existent und muss nun, parallel zur Bundeswehr, ebenfalls Schritt für Schritt und mit den möglichen finanziellen Mitteln und Reformen dringend ausgebaut werden. Ich bin wirklich froh, dass wir nun endlich in den fachlichen Dialog treten und nun auch Sie moderne Warnsysteme fordern, wie zum Beispiel Cell Broadcast, dessen Einführung bereits seit Anfang 2020 Fraktionsbeschluss der Freien Demokraten ist. ({2}) Während Ihrer Regierungszeit konnte man dieses Thema im Innenausschuss jedoch ansprechen, wie man wollte: Gehör oder Aufmerksamkeit seitens Herrn Seehofer – vergebens. ({3}) Es sei zu teuer, technisch nicht möglich und nicht umsetzbar. Erst die dramatische Flutkatastrophe im letzten Sommer hat ein Umdenken bewirkt. ({4}) Es wurde höchste Zeit, dass in diesem Land ein Politikwechsel Einzug hält, der sich dem Fortschritt verschrieben hat, ({5}) eine Politik, die nicht versucht, das föderale Kirchturmdenken weiter zu befeuern, ({6}) sondern die nach pragmatischen und zukunftsorientierten Lösungen im Bevölkerungsschutz sucht. Hier packt die Fortschrittskoalition an. ({7}) Wir haben das BBK im Haushalt mit 280 Millionen Euro und noch mal mit 50 Millionen Euro im Ergänzungshaushalt gestärkt und neue Stellen geschaffen. Dieses Bundesamt muss unbedingt mehr Zugkraft und Strahlkraft erhalten ({8}) und eine Zentralstellenfunktion bekommen. Viel zu lange war es ein zahnloser Tiger. ({9}) Darüber hinaus haben wir das THW finanziell und auch materiell gestärkt und ein Einsatznachsorgezentrum aufgestellt, in dem Einsatzkräfte Erlebnisse, wie zum Beispiel die Flutkatastrophe im Ahrtal, besser verarbeiten können. Wir haben das nun gestartete Gemeinsame Kompetenzzentrum von Bund und Ländern endlich arbeitsfähig gemacht, indem nun die Drähte der einzelnen Ebenen und Akteure zusammenlaufen. Dieses Zentrum kann aber erst der Anfang sein. Darauf dürfen wir uns nicht ausruhen; das haben nämlich viel zu lange andere gemacht. ({10}) Hierbei darf es aber auch nicht nur bei Versprechungen und einem Goodwill in der föderalen Zusammenarbeit mit den Ländern bleiben. Wir als Freie Demokraten würden uns klarere rechtliche Regelungen und Grundlagen wünschen, die den Herausforderungen der Zeit gerecht werden. ({11}) Und dabei geht es nicht darum, jemand etwas wegzunehmen oder ihn in seinen Kompetenzen zu beschneiden, sondern es geht darum, Jahrhundertkatastrophen mit allen verfügbaren Ressourcen und Kräften koordiniert zu bewältigen. Ausgehend von solchen Katastrophen, die uns klimabedingt leider häufiger ereilen werden, müssen wir den Bevölkerungsschutz in der Zukunft aufstellen. Wichtig ist aber auch, die gesamte Thematik des Zivil- und Katastrophenschutzes viel umfassender zu denken. Das wurde auch in der Anhörung im Innenausschuss am Montag deutlich. Wir brauchen zum Beispiel eine Transferstelle zwischen wissenschaftlichen Daten und Auswertungen und der praktischen Umsetzung im Bevölkerungsschutz. Solche evidenzbasierten Untersuchungen sind unerlässlich, gerade für die Krisenstäbe und auch die Entscheider vor Ort. Mit meteorologischen und geologischen Einzeldaten lassen sich kommende Gefahren besser abschätzen und berechnen, wenn diese, gepaart mit vielen weiteren wichtigen Daten, in ein Gesamtlagebild gepackt werden. Sie helfen, besser auf Katastrophen und komplexe Lagen vorbereitet zu sein und dann auch entsprechend handeln zu können. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich bin frohen Mutes, dass wir hoffentlich gemeinsam und zum Wohle der Menschen in unserem Land den Bevölkerungsschutz ernst nehmen und neu denken. Herzlichen Dank. ({12})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Bubendorfer-Licht. – Als nächster Redner erhält das Wort der fraktionslose Kollege Stefan Seidler, Südschleswigscher Wählerverband. ({0})

Stefan Seidler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005219

Vielen Dank. – Moin, Herr Präsident! Moin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir den Bevölkerungsschutz stärken, dann müssen wir dabei auch die jeweiligen regionalen Anforderungen im Blick behalten; denn nicht nur die Binnengewässer stellen eine potenzielle Gefahrenquelle für Naturkatastrophen dar. Rund 2,4 Millionen Menschen in Deutschland leben an der Küste und sind von Sturmfluten bedroht. Der Klimawandel führt vermehrt zu Extremwetterlagen; die Pegelstände am Meer steigen. Bei uns in Schleswig-Holstein merken wir das in zunehmendem Maße. Darum sage ich: Küstenschutz ist auch Bevölkerungsschutz. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN und der Abg. Petra Nicolaisen [CDU/CSU]] Wir haben es in der Anhörung im Innenausschuss am Montag gehört: Schnelle Bereitstellung und Verarbeitung von Informationen, das ist es, was Einsatzkräfte brauchen, um zeitnah auf Katastrophen reagieren zu können. Dieser Aspekt kommt mir in Ihrem Antrag leider etwas zu kurz. Ich will ein Beispiel geben: An der dänischen Ostküste haben kommunale Behörden zentralen Zugriff auf eine einheitliche aktuelle Datenbasis. Sie erhalten Daten in Echtzeit zur Regenintensität, Prognosen zu Fließwegen und zu Wasserständen. Automatisierte Schleusen reagieren dann, schließen und vermeiden Schäden. Es ist klar: Analoge Investitionen allein reichen im Jahr 2022 einfach nicht mehr aus. ({0}) Auch die Anwohnerinnen und Anwohner müssen eingebunden werden. In vielen Schulen in Schleswig-Holstein finden ehrenamtlich organisierte Übungen und Aufklärung zu Hochwasser für Kinder und Jugendliche statt. Genau darum muss das Ehrenamt gestärkt werden, aber ebenso unsere Strukturen und die Kommunikation zwischen Kommunen, Ländern und Bund. Vielen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Seidler. – Als nächster Redner erhält das Wort Herr Staatsminister Peter Beuth. ({0})

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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen: Dass ausgerechnet die Abgeordneten von SPD und FDP das angebliche Versagen früherer CDU-geführter Bundesregierungen hier geißeln, obwohl sie wechselnd daran beteiligt waren, finde ich ziemlich bemerkenswert. ({0}) Aber das nur am Rande. ({1}) Es bringt uns auch im Thema keinen Millimeter weiter. Die Stark- und Unwetterkatastrophen und der völkerrechtswidrige Angriff Russlands haben in der deutschen Bevölkerung schlagartig wieder Themen wie die „militärische Verteidigungsfähigkeit“ und den „Bevölkerungsschutz“ ins Bewusstsein gebracht. Das 100-Milliarden-Euro-Sofortpaket für die Bundeswehr war eine dringend erforderliche Maßnahme, aber auch ein wichtiges Signal für die Bereitschaft, unsere Verteidigungsfähigkeit wiederherzustellen. Neben den militärischen Fähigkeiten ist die zivile Verteidigung ein wichtiger Baustein, um Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger in Krisensituationen herzustellen. Im Kreise der Innenminister haben wir in Würzburg deutlich gemacht, dass es auch eines Paktes für den Zivilschutz in Höhe von 10 Milliarden Euro seitens des Bundes bedarf. Zwar mussten die Länderinnenminister die Bundesministerin von der Dringlichkeit erst noch überzeugen; ob der Groschen allerdings wirklich gefallen ist, werden wir sehen. Es ist schade, dass sich – wie ich gerade von Kollegin Lindholz hören musste – die Bundesinnenministerin das hier im Hause bisher noch nicht zu eigen gemacht hat – wirklich außerordentlich schade! ({2}) Aber ich kann Ihnen sagen, Herr Kollege Schäfer: Der Dialog zwischen Bund und Ländern findet statt. Er findet in der Innenministerkonferenz statt. Die Umsetzung hier im Hause seitens der Koalition ist aber offensichtlich noch ein bisschen problematisch. ({3}) Denn Absichtserklärungen füllen keine Sandsäcke, meine Damen und Herren, beschaffen keine Zivilschutzfahrzeuge, versorgen keine Verletzten und bauen weder Warninfrastruktur noch Schutzraumkonzepte. ({4}) Mit dem Gemeinsamen Kompetenzzentrum haben wir zudem eine wichtige Plattform für Bund und Länder geschaffen. Wir brauchten eine bessere Vernetzung und Koordinierung. Das wird das GeKoB künftig unter anderem mit der Personalgestellung der Bundesländer leisten, ohne eine zentralistische Mammutbehörde ohne Bodenhaftung zu den lokalen Gefahrenlagen zu werden, meine Damen und Herren. ({5}) Die Einrichtung des GeKoB ist das sichere Zeichen, dass die freiwillige Zusammenarbeit gerade nicht gescheitert ist, Herr Kollege. Darüber hinaus ist es jetzt an der Bundesregierung, eine Ausstattungsoffensive zu starten, um das Material des Bundes für die zivile Verteidigung grundlegend zu modernisieren – auch beim THW, aber nicht nur beim THW. Wir greifen im Bevölkerungsschutz auf gemeinsames ehrenamtliches Personenpotenzial im Zivil- und Katastrophenschutz zurück. Diese hochengagierten Menschen brauchen aber auch moderne Einsatzmittel, zu denen Bund und Länder jeweils ihren Beitrag leisten müssen – aber eben auch der Bund, wie wir das an den Zivilschutzfahrzeugen des Bundes sehen. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Höferlin?

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Bitte, gerne.

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Staatsminister Beuth, ich habe eine Frage. Sie haben gerade erklärt, wie wichtig es ist, dass Bund und Länder besser koordinieren. Jetzt gab es in der Vergangenheit eine Vororganisation, nämlich das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum beim BBK – nicht des BBK –, das vor allen Dingen mit Personal aus den Ländern bestückt sein sollte, damit am BBK eine Lage entstehen konnte. Würden Sie mir zustimmen, dass die Länder in der Vergangenheit so gut wie kein Personal beim BBK abgestellt haben? Und wie viel Personal hat das Land Hessen beim BBK, bei dem alten Lagezentrum, konkret gehabt?

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Ich kann Ihnen die Personalgestellung des Landes Hessen für das BBK nicht nennen. ({0}) Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir mit dem GeKoB eine gemeinsame Einrichtung geschaffen haben. Wir haben auf der Innenministerkonferenz eine entsprechende vertragliche Vereinbarung getroffen. Ich finde, dass das ein gutes Signal für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Zivil- und Bevölkerungsschutz ist. Ich weiß gar nicht, welches Problem Sie mit Ihrer Frage andeuten wollen. ({1}) Meine Damen und Herren, wir brauchen eine Ausstattungsoffensive des Bundes. Das Beschaffungsverfahren muss dabei deutlich effektiver werden, wie übrigens auch bei der Bundeswehr; das wissen Sie schon. Das Schutzraumkonzept gehört auf den Prüfstand. Das Bundesförderprogramm zur Ertüchtigung der bundesweiten Warninfrastruktur, insbesondere des Sirenennetzes, gehört weiter ausgebaut. Hier kann die Koalition sofort und unmittelbar mit Geld liefern. ({2}) Die Förderung des Ehrenamtes, der ehrenamtlichen Männer und Frauen, dieses Schatzes in unserem Hilfeleistungssystem muss eine tragende Rolle auch bei der Stärkung des Zivilschutzes einnehmen, die vielleicht auch über nichtmonetäre Anerkennung und Wertschätzung hinausgeht. Meine Damen und Herren, es nötigt mir den größten Respekt ab, wie sich die ukrainische Nation seit weit über 100 Tagen tapfer gegen den Angriffskrieg wehrt und dabei die staatliche Ordnung aufrechterhalten hat – die staatliche Ordnung aufrechterhalten hat! –: Grenzsicherung, Schule, Polizei, Lebensmittelversorgung als Beispiele. Das ist keine Frage von Geld. Es wird daher nicht mit Paketen in Milliardenhöhe bei Bund und Ländern allein getan sein. Es bedarf einer grundlegenden Stärkung unserer gesellschaftlichen Krisenresilienz. Das Zivilschutzkonzept von 2016 ist eine gute Grundlage, die auch die Bürgerinnen und Bürger an ihre eigene Verantwortung erinnert. Eigene Vorsorge zu treffen, gilt eben nicht nur für den Staat und die Kommunen, sondern auch für die Bevölkerung. Der Staat muss hier allerdings unterstützen und fördern. Und das müssen wir uns in unser Aufgabenheft schreiben. ({3}) Machen wir, meine Damen und Herren, aus der augenblicklichen Not, die wir im Bevölkerungsschutz sehen, eine Tugend. Bleiben wir nicht bei einem Sondervermögen stehen! Stärken wir die Krisenresilienz unserer Gesellschaft umfassend! Nehmen wir das als gemeinsame Aufgabe wahr für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in Bund und Ländern. Vielen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dunja Kreiser, SPD-Fraktion. ({0})

Dunja Kreiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005115, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Am 26. Juli 2017 fand ein Starkregenereignis in Niedersachsen, in Thüringen und in Hessen statt. In meiner Region, in Goslar, war das sehr stark ausgeprägt. Dort sind in 48 Stunden 250 Liter auf den Quadratmeter gefallen. Die Stadt Goslar ist dadurch sehr stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Abzucht, ein kleiner Nebenfluss der Oker, ist zu einem reißenden Fluss geworden. Verehrte Damen und Herren, die tägliche Regenmenge dieses Regenereignisses ist exakt die gleiche wie beim Ereignis im Ahrtal; es hat bloß glücklicherweise früher aufgehört, zu regnen. Auch in Goslar gab es Evakuierungen; ein Altenheim ist evakuiert worden. Die Stadt wurde stark in Mitleidenschaft gezogen. Diese Flutwelle zog dann weiter nördlich Richtung Wolfenbüttel und Hildesheim. Ich bin Abwassermeisterin, Arbeiterin, Technikerin, und ich bin froh, in diesen Bundestag gewählt zu worden zu sein, um hier als Frau meine Expertise einbringen zu können. Ich danke für dieses Vertrauen. Ich habe an dem auf das Regenereignis folgende Wochenende, nämlich vom 28. bis zum 30. Juli, Bereitschaftsdienst gehabt, 72 Stunden am Stück. Und warum erzähle ich Ihnen das? Weil wir natürlich mit den Helferinnen und Helfern im Zivil-, Bevölkerungs- und Katastrophenschutz zusammenarbeiten. Von daher weiß ich, welche hohe Belastung diesen Männern und Frauen auferlegt wird. Ich möchte hier einmal ganz klar sagen, dass auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ver- und Entsorgungsunternehmen einen Dank erfahren müssen, weil sie auch am Hochwasser- und Katastrophenschutz arbeiten und oftmals Hochwasser schon vorher abwehren. ({0}) Es ist also ganz klar: Bei solchen sintflutartigen Ereignissen sind wir von ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern abhängig, von hauptamtlichen Einsatzkräften, und diese brauchen ganz klar unsere Unterstützung. Ihnen gilt auch ganz klar unser Dank. Wir haben morgen einen Tagesordnungspunkt zum Jahrestag dieses grausamen Ereignisses im Ahrtal. Ich finde es ein bisschen vermessen, dass Sie heute hier diesen Antrag auf den Weg gebracht haben, einen Antrag, der im Prinzip eine Selbstinszenierung der Union ist. Ich weiß nicht, ob das Ehrenamt und der Rettungsdienst das eigentlich verdient haben. ({1}) Wir wollen den Rettungsdienst, die Katastrophen- und die Gefahrenabwehr gemeinsam auf den Weg bringen. Dafür ist unter anderem auch dieser Tagesordnungspunkt morgen bestimmt. Wenn ich Ihren Antrag hier lese, ist das eigentlich davon abgeschrieben, was die Innenministerkonferenz im Juni 2022 beschlossen hat. Die Impulse, die Sie vorhin genannt haben, gibt es schon; sie haben wir auch eingebracht. Aber ich bedanke mich natürlich dafür, dass Sie hier auch noch einmal ganz klar genannt haben, welche Errungenschaften wir in die Haushaltsberatungen eingebracht haben, nämlich die Stärkung des THWs; denn wir haben seitens der Regierungsfraktionen Mittel eingebracht, um das THW und die Rettungskräfte weiter auszubauen. Insbesondere unserem Haushälter, Martin Gerster, gebührt da sehr großer Dank. ({2}) Wir wollen den Rettungsdienst aber auch so ausbauen, dass wir die Menschen, die Bevölkerung befähigen, sensibler für das gemeinschaftliche Helfen zu werden, um sich gegenseitig zu schützen. Wir wollen die technische Affinität von jungen Menschen, von Menschen in der Bevölkerung nutzen, um sie in das Ehrenamt zu bringen, ganz nach dem Motto: Egal was du kannst, du kannst auf jeden Fall helfen. ({3}) Es ist wichtig, das Ehrenamt weiter zu stärken und die Bevölkerung zu sensibilisieren, die Nachbarschaft zu sensibilisieren, und zwar nicht über digitale Messengerdienste, sondern dafür, in einem Katastrophenfall aus dem Fenster zu schauen, an die Tür zu klopfen und zu sehen: Geht es meinen Nachbarn gut? Wo kann ich Hilfestellung leisten? ({4}) Unter all den Punkten, die Sie hier genannt haben, finde ich den sehr putzig, bei dem Sie sagen, Sie hätten sich dafür eingesetzt, den Katastrophenschutz mit einem Sondervermögen auszustatten. Also ich habe das so in Erinnerung, dass wir das eigentlich SPD-geführt aus unserer Arbeitsgruppe mit unserem Innenminister Boris Pistorius auf den Weg gebracht haben. Ich weiß jetzt nicht, wo da Ihr großartiger Einsatz ist. Aber das ist ganz klar eine niedersächsische, eine SPD-Idee. ({5}) Lesen wir noch einmal weiter in diesen Punkten, die Sie aufgeführt haben. Sie wollen eine barrierefreie Warn-App einführen. Das machen wir ja bereits mit NINA. Aber barrierefrei ist in der Warnalarmierung ein bisschen was anderes. Menschen mit Behinderung, mit Beeinträchtigung müssten noch ganz andere Warnsysteme und Hilfeleistungen bekommen. Also das, was ich hier lese, ist sehr unvollständig. Wir haben sicherlich noch Beratungsbedarf im Ausschuss; da helfen wir gerne mit. Aber wir machen es gemeinschaftlich, Resilienz bei unserem Katastrophenschutz auf den Weg zu bringen und zu unterstützen. Danke für die Aufmerksamkeit. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Letzter Redner zu dem Themenkomplex ist der Kollege Dr. Janosch Dahmen, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Janosch Dahmen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004962, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Liebe Menschen in diesem Land, die sich in Haupt- und Ehrenamt als Spontanhelferinnen und Spontanhelfer für den Schutz von Menschen in großer Not oder auch in der Prävention einsetzen! Ich habe in dieser Debatte sehr aufmerksam zugehört, in die ich durchaus mit der wohlwollenden Einstellung gegangen bin, dass ich es jeder einzelnen Kollegin oder jedem einzelnen Kollegen in diesem Haus anrechne, wenn wichtige Themen aufgerufen werden, um sie hier gemeinsam zu beraten. Aber ich muss sagen: Nach dieser Debatte kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es durchaus wohlfeil ist, was hier als Antrag eingebracht wurde und in der Debatte vorgebracht wird, angesichts dessen, was in den letzten 16 Jahren im Innenministerium des Bundes passiert ist. ({0}) Wir haben multiple Krisen gebraucht, wir haben ein Hochwasser gebraucht, wir haben die Pandemie gebraucht, und es hat einen Krieg in unmittelbarer Nachbarschaft gebraucht, damit Dinge in den Ländern und hier im Bund in Ordnung gebracht werden, die dringend in Ordnung hätten gebracht werden müssen und längst hätten auf den Weg gebracht werden können. Der Kollege Schäfer hat richtigerweise herausgearbeitet, welch dramatische Defizite im Kontext des Warnmixes bestanden, dass die Einsatzfähigkeit von Zivilschutzhubschraubern des Bundes mit Winde zur Rettung von Menschen auf Hausdächern in größter Not nicht gegeben war, weil die Union im Bereich des Bevölkerungsschutzes über Jahre blind war und sich einzig und allein auf die polizeiliche Gefahrenabwehr als Teil der Innenpolitik im Bund konzentriert hat. Das ist sträflich, und das hat dieses Land im Bereich des Zivil- und Bevölkerungsschutzes in eine wirklich dramatische Lage gebracht, sodass wir – unterfinanziert, schlecht ausgebildet, schlecht koordiniert – in großen Teilen der Gefahrenabwehr, die wir jetzt dringend brauchen, schlecht aufgestellt sind. ({1}) Ich kann nur sagen: Die Ampelregierung geht diese ganzen Herausforderungen gezielt an, indem wir durch eine Gesundheitsreserve, die wir zu einem Gesundheitsvorsorgesetz ausbauen, dafür sorgen, dass wir in Pandemien und gesundheitlichen Gefahren besser aufgestellt sind – durch Schutzausrüstung, die vorgehalten wird, durch Personal, das ausgebildet und in Katastrophenszenarien miteinander geübt ist –, indem wir dafür sorgen, dass Menschen in einem komplexen Warnmix nicht nur auf digitalem Wege, sondern auch auf analogem Weg barrierearm entsprechend geschützt werden, indem wir in der anstehenden Notfallreform dafür sorgen, dass Leitstellen besser zusammenarbeiten, damit dort, wo der Notruf eingeht und die Hütte brennt, Menschen sich darauf verlassen können, dass Redundanzen geschaffen sind, dass Leitstellen zusammenarbeiten und sich gegenseitig mit Systemen ausgeholfen wird, die ineinandergreifen. All das sind Dinge, die in den letzten 16 Jahren hätten auf den Weg gebracht werden können und die mit einem Antrag, der im Abstrakten bleibt, das Konkrete nicht benennt und auch – das will ich gesagt haben – die Rolle der Länder sträflich vernachlässigt, nicht behoben werden. Und nur auf den Bund zu zeigen, wenn Geld gezahlt werden soll, den eigenen investiven Aufgaben im Katastrophenschutz aber nicht nachzukommen, ist ebenso wohlfeil wie ein Antrag, der Notwendiges nicht benennt. ({2}) In diesem Sinne: Die Ampelregierung wird auch in diesem Bereich der Politik Fortschritt nach vorne bringen. Ich danke den Kollegen für das Konkrete in der Arbeit im Ausschuss. Wir werden aus dem Gesundheitsausschuss heraus die Kolleginnen und Kollegen im Innenausschuss begleiten.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.

Dr. Janosch Dahmen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004962, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich danke für die gute interdisziplinäre Zusammenarbeit zur Lösung der echten Probleme. ({0})

Jamila Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005200, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Europäische Union ist durch Putins Angriffskrieg als geopolitische Akteurin so gefragt wie noch nie zuvor. ({0}) Eine starke gemeinsame Währung ist eine wichtige Säule für die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union. Wir brauchen einen starken Euro und eine stabile Währungsunion für eine souveräne EU. Und wir brauchen eine souveräne EU, um das Versprechen auf Freiheit, Frieden und Wohlstand einzulösen. ({1}) Eine wachsende Währungsunion verdeutlicht die Relevanz des Euro und eines kooperativen Währungssystems. Deshalb freuen wir uns, dass das Verfahren zum Beitritt Kroatiens in die Eurozone erfolgreich verläuft. Das Ziel unserer Europolitik bleibt eine auf Multilateralismus und Kooperation ausgerichtete Währungsunion. Dabei kommt uns als größter Volkswirtschaft im Euroraum natürlich eine sehr große Verantwortung zu, eine Verantwortung, die wir natürlich nicht mit dem Drang verwechseln dürfen, Vorschriften für andere Parlamente zu machen; vielmehr gilt auch hier weiterhin das Subsidiaritätsprinzip. Eine auf parlamentarischer Demokratie und demokratischer Selbstbestimmung basierende Zusammenarbeit auf Augenhöhe macht die EU als Ganzes resilient. ({2}) Das muss gerade auch vor dem Hintergrund der großen strategischen Herausforderungen der EU unser Ziel sein. An diesen Herausforderungen werden sich auch unsere europäischen fiskalpolitischen Regeln messen lassen. Wir erleben gerade den Angriff Putins auf die liberale Demokratie als solche. Schon lange waren Desinformation, Propaganda und Wahlmanipulation Mittel, um die Idee der liberalen Demokratie zu beschädigen. Gerade in diesen Zeiten muss das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit von uns mit aller Kraft verteidigt werden. Und das bedeutet, dass wir natürlich auch in unseren eigenen Reihen ganz genau hinschauen; denn das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit. Diese Glaubwürdigkeit nimmt aktuell leider Schaden durch die Menschenrechtsverletzungen und Rechtsbrüche an den europäischen Außengrenzen. Deshalb möchte ich hier ganz klar sagen: Ich erwarte von der kroatischen Regierung, dass sie ein verlässlicher Partner bei der Verteidigung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit ist, gerade wenn es um die Rechte von Schutzsuchenden geht. ({3}) Denn es liegt in unser aller Verantwortung, unser eigenes europäisches Handeln auch im globalen Systemwettbewerb glaubwürdig zu gestalten; denn nur wer Haltung hat, kann auch anderen Halt geben. ({4}) Das Projekt der Europäischen Union basiert auf gemeinsamen Werten. ({5}) Und ich glaube ganz fest daran, dass es uns, wenn wir diese Werte bei jedem Schritt der Integration hochhalten, auch gelingen wird, das Wachsen des Euroraums im Einklang mit diesen Werten zu gestalten. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu unserer Stellungnahme. Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Schäfer. – Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, begrüße ich auf der Ehrentribüne den Botschafter Kroatiens. Exzellenz, seien Sie uns herzlich willkommen! ({0}) Nächster Redner ist der Kollege Yannick Bury, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Yannick Bury (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Botschafter! Meine Damen und Herren! Ich war im Jahr 2008 zum ersten Mal in Kroatien. Ich war damals zu Gast im Osten des Landes, in Vinkovci, der Partnerstadt der Stadt Kenzingen in meinem Wahlkreis. Schon 2008 habe ich gerade bei der jungen Generation in Kroatien den Wunsch und den Willen erlebt, nicht nur Teil Europas zu sein, sondern auch Teil der Europäischen Union zu werden. Wir haben damals in unserer Gruppe vereinbart, dass wir, wenn Kroatien der EU beitritt, wieder nach Vinkovci kommen werden, um den EU-Beitritt gemeinsam mit unseren kroatischen Freunden zu feiern. Und so war ich dann in der Nacht zum 1. Juli 2013 wieder dort und habe zum einen die Freude und auch den berechtigten Stolz der Kroaten erlebt, dass sich die Anstrengungen des Landes gelohnt haben, um in die Europäische Union zu kommen. Gleichzeitig war aber auch damals schon klar, dass die Anstrengungen Kroatiens weitergehen würden und das nächste Etappenziel der volle Beitritt des Landes zur Währungsunion und zur Eurozone sein wird. Heute, fast auf den Tag genau neun Jahre später, hat Kroatien auch diese Anstrengungen gemeistert und die Anforderungen in einem beachtlichen Tempo erfüllt. Das Land erfüllt die Konvergenzkriterien in Sachen Preisstabilität, bei der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen und mit stabilen Wechselkursen. Und, meine Damen und Herren, in Anbetracht des dauerhaften Abbaupfades der Verschuldung, in Anbetracht auch der Bemühungen, die Empfehlungen des Moneyval-Prüfberichts umzusetzen, kann und – da bin ich mir sicher – wird Kroatien ein Stabilitätsfaktor und damit eine Bereicherung für die gesamte Eurozone werden. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kroatien erfüllt die Beitrittskriterien zum Euroraum und darf darum stolz sein, ab 2023 der Eurozone vollständig beitreten zu können. Gleichzeitig ist eine solche Erweiterung der Eurozone auf dann 20 Länder ein fundamentaler, ja ein historischer Schritt für den Euroraum. Darum muss eine solche Erweiterung der Eurozone auch Anlass sein, die Zukunft der Währungsunion insgesamt in den Blick zu nehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Diskussion um die Zukunft der Währungsunion ist in vollem Gange. Was mir dabei Sorge macht, ist, dass die Bundesregierung an dieser Diskussion bislang so gut wie überhaupt nicht teilnimmt. Zur Aussetzung der Schuldenbremse auf europäischer Ebene ab 2023 war keine klare Position der Bundesregierung vernehmbar und ist es bis heute nicht. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vor dem EU-Gipfel in der letzten Sitzungswoche kein Wort zur Zukunft der Währungsunion verloren. ({1}) Der Finanzminister hat seine konkreten Vorstellungen, wie es mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt in der zweiten Jahreshälfte weitergehen soll, bislang nicht formuliert, sondern bleibt in seinen Interviewäußerungen maximal vage. Die Diskussion um die künftigen europäischen Fiskalregeln läuft bislang ohne eine spürbare Beteiligung und ohne einen spürbaren Einfluss Deutschlands. Stattdessen sind es die Europäische Kommission und andere Mitgliedstaaten, die mit sehr konkreten Vorschlägen die Debatte um die Zukunft von Stabipakt und Währungsunion prägen. Meine Damen und Herren, diese Passivität kann und darf nicht der Anspruch, diese Passivität kann und darf nicht die Rolle sein, die Deutschland in der Diskussion darüber spielt, wie es mit der Währungsunion weitergeht. ({2}) Darum: Verstecken Sie sich nicht weiter hinter der Europäischen Kommission, sondern sagen Sie uns und unseren europäischen Partnern, ob Sie die Aussetzung der europäischen Schuldenregeln auch in 2023 begrüßen oder nicht, ob Ihre Koalition an den Maastricht-Kriterien dauerhaft festhalten will oder nicht, ob Sie an der Definition des strukturellen Defizits, wie es jetzt ist, festhalten wollen oder ob Sie zusätzliche Verschuldung erlauben wollen. Andere Mitgliedstaaten machen das längst und prägen so die Debatte. Es wird allerhöchste Zeit, dass die Bundesregierung mit dem Fokus auf finanzielle Stabilität diese Debatte spürbar und auch hörbar mitprägt. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie konkrete Vorschläge machen, die auf Stabilität und Solidität in Europa setzen, dann haben Sie uns an Ihrer Seite. Meine Befürchtung ist aber gerade, dass Sie durch das Vagebleiben, das Verzögern, das Verstecken Ihrer Position in Wahrheit nicht nur die deutsche, sondern perspektivisch auch die europäische Schuldenbremse verwässern möchten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Währungsunion ist bei allen Schwierigkeiten und Schwächen, die wir in den letzten Jahren diskutiert haben, ein, wenn nicht eines der größten Erfolgsprojekte Europas. ({4}) Darum sind die Reformdiskussionen zur Währungsunion so zentral für die Zukunft Europas. Gerade dann, wenn der Euroraum ab 2023 um ein wertvolles Mitglied reicher sein wird. Ich bin mir sicher: Mit Kroatien bekommt die Währungsunion ein neues Vollmitglied, das den Euro ökonomisch bereichern wird und das das Ziel einer stabilitätsorientierten Währungsunion teilt und unterstützt. Nehmen Sie darum den historischen Schritt der Euroeinführung Kroatiens zum Anlass, endlich auch in die Debatte einzusteigen, wie wir die Währungsunion stabilitätsorientiert weiterentwickeln. Die ganze Eurozone und heute ganz besonders Kroatien haben das verdient. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Bury. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Josip Juratovic, SPD-Fraktion. ({0})

Josip Juratovic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003782, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich mich vor vier Jahrzehnten mit meinen kroatischen Wurzeln in Deutschland politisch zu engagieren begann, hatte ich einen Traum. Mein Traum war, dass das ehemalige Jugoslawien, die heutigen Westbalkanstaaten, eines Tages zur Europäischen Gemeinschaft gehören würde. Umso mehr freue ich mich heute, dass Kroatien seit dem 1. Juli 2013 EU-Mitglied ist, und das mit zwei strategisch wichtigen Zielen: zum einen der Eintritt in den Euroraum der Europäischen Union und zum anderen der Eintritt in den Schengenraum. Kroatien trat am 10. Juli 2020 der Bankenunion bei und arbeitete infolgedessen erfolgreich an der Erfüllung der Konvergenzkriterien. Am 16. Juni 2022 haben nun die Mitgliedstaaten des Eurowährungsgebiets die Aufnahme Kroatiens als 20. Mitglied der Eurozone empfohlen. ({0}) Für den Bericht zur Einführung des Euro am 1. Januar 2023, in dem bewertet wird, dass Kroatien alle Kriterien für den Beitritt zur Eurozone erfüllt, stimmten am Montag im Europaparlament 539 der 632 anwesenden Abgeordneten. Es gab 48 Enthaltungen, und lediglich 45 Abgeordnete stimmten dagegen. Die Gegner stammen vor allem aus rechten parlamentarischen Klubs, die in der Debatte am Montag im Plenum des Parlaments den Beitritt Kroatiens zur Eurozone kritisiert haben. Diese stehen aber auch sonst für eine Schwächung der Europäischen Union. ({1}) Kroatien soll ab dem 1. Januar 2023 Mitglied des Eurowährungsgebiets werden und von der Einführung des Euro profitieren. Das wird ein historischer Tag für Kroatien, aber auch für die Europäische Union. Kolleginnen und Kollegen, zu oft hat die Europäische Union ihre eigene Glaubwürdigkeit infrage gestellt, allem voran in der Frage der EU-Erweiterung, zuletzt für Nordmazedonien und Albanien. Mit der Aufnahme Kroatiens in den Euroraum zeigen wir, dass wir es ernst meinen. ({2}) Wir zeigen den Nachbarstaaten Kroatiens auf dem Westbalkan, dass sie bei Erfüllung der Kriterien auch integriert werden. Denn Kroatien ist als gutes Beispiel vorangegangen, indem es in den Jahren zuvor seine Hausaufgaben gemacht hat. Das öffentliche Defizit lag 2021 unter dem Maastricht-Referenzwert von 3 Prozent. Die nationale Währung, der Kuna, blieb seit 2020 stabil. Kroatien hat die höchste Preiskonvergenz mit dem Euroraum im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten, die in der Vergangenheit vor dem Eintritt in den Euroraum standen. Das heißt, durch eine kontinuierliche wirtschaftliche Heranführung des Landes an den Euroraum hat Kroatien schlussendlich alle Konvergenzkriterien erfüllt. ({3}) Kolleginnen und Kollegen, was bedeutet ein Beitritt zum Euroraum für Kroatien? Der Euro sorgt sowohl für eine größere Widerstandsfähigkeit als auch für Stabilität des kroatischen Staates. Die Kroaten werden von niedrigeren Zinssätzen und besserer Kreditwürdigkeit des Staates profitieren. Eine Rezession wird durch die Abwertung der Kuna verhindert. ({4}) Die kroatischen Export- und Importunternehmen werden durch ein geringeres Wechselkursrisiko sowie durch den Wegfall der Umrechnungskosten entlastet. 70 Prozent der Touristen in Kroatien kommen aus Euroländern, weshalb die starke Tourismusbranche ebenfalls massiv vom Euro profitieren wird. ({5}) Es wird auch größere Sicherheit beim Kampf gegen Geldwäsche und gegen Terrorismusfinanzierung bedeuten. Kurzum: Der Beitritt zum Euroraum bietet Kroatien und seiner Bevölkerung die Möglichkeit eines wirtschaftlichen sowie gesellschaftlichen Fortschritts. Kolleginnen und Kollegen, für Kroatiens Weg in den Euroraum möchte ich an dieser Stelle insbesondere dem scheidenden kroatischen Finanzminister Zdravko Maric für seine hoch professionelle Arbeit danken. ({6}) Ihre Exzellenz, den kroatischen Botschafter, der hier auf der Tribüne unsere Debatte verfolgt, möchte ich bitten, ihm unsere Grüße und unsere Anerkennung zu übermitteln. ({7}) Kolleginnen und Kollegen, der Beitritt Kroatiens zur Eurozone hat Signalwirkung, nicht nur für die Nachbarländer Kroatiens auf dem Westbalkan, sondern auch für Deutschland und die Europäische Union. Der Beitritt Kroatiens zur Eurozone ist ein starkes politisches Signal für die Nachhaltigkeit und Attraktivität der einheitlichen Währung der Union. Zwanzig Jahre nach Einführung der ersten Banknoten ist der Euro ein hoch anerkanntes Symbol europäischer Stärke und Einheit. Außerdem bedeutet es auch mehr Stabilität für die Europäische Union, und es ist ein Zeichen der Verbundenheit unter den Mitgliedstaaten der Union. Gerade vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges ist es aber auch ein Baustein für einen stärkeren Zusammenhalt innerhalb der Union. Vor allem in der heutigen Zeit, in der Staaten wie Russland und China nur die Sprache der Stärke sprechen, ist es umso wichtiger, dass wir als europäische Familie solidarisch zusammenstehen, eine Sprache sprechen und entschlossen und geschlossen eine Einheit bilden. ({8}) Deswegen können wir die Europäische Kommission und die kroatische Regierung zu dieser Entscheidung nur beglückwünschen. Kolleginnen und Kollegen, wir leisten mit dem heutigen Antrag unseren Beitrag für mehr Europa in der Europäischen Union. Ich bitte Sie daher um Ihre Zustimmung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster hat das Wort der Kollege Norbert Kleinwächter, AfD-Fraktion. ({0})

Norbert Kleinwächter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004781, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Werter Herr Präsident! Eure Exzellenz! Werte Kolleginnen und Kollegen! Kroatien will den Euro einführen. Ich bitte die Bundesregierung darum, das im Rat abzulehnen; denn Kroatien ist nicht reif für den Euro, und die Eurozone ist nicht reif für Kroatien. ({0}) Ich weiß nicht, ob Sie es mitbekommen haben, aber selbst die „Tagesschau“ berichtet, dass wir wieder mitten in einer Eurokrise sind. Finanzexperten sehen das Ende des Euros kommen. ({1}) Versprochen hatte uns Helmut Kohl ja einen Euro mit unbedingter Haushaltsdisziplin, mit strikter Preisstabilität, wie es der D‑Mark würdig sein sollte. Bekommen haben wir eine Schrottwährung. Die EZB macht permanente Rettungspolitik, druckt hemmungslos Geld, um Italien, Frankreich, Spanien zu retten, die sich verschulden ohne Ende. Und, wen wundert’s: Italien ist schon wieder pleite und weiß nicht, wie es sich finanzieren soll. Dafür hat Deutschland Target2-Salden in Höhe von 1,16 Billionen Euro. ({2}) Ein kleiner Hinweis: Das entspricht einem Fünftel des Gesamtwerts aller Wohnimmobilien in Deutschland. Da brauchen Sie nicht zu lachen in der Union. Meine Damen und Herren, das bedeutet nämlich: Wir haben faktisch jedes fünfte Haus an irgendeinen Schuldenstaat verliehen; zumindest vom Wert her. ({3}) Kein Wunder, dass der Euro an den Börsen auf Talfahrt geht. Bezahlen müssen all das die Bürger mit einer mörderischen Inflation und völlig unerschwinglichen Wohneigentumspreisen. Der Euro bedeutet Armut für alle. ({4}) Mit dem Euro, verehrte Kolleginnen und Kollegen, haben Sie sich am Wohlstand der Deutschen versündigt. ({5}) Und Sie sündigen weiter, wenn Kroatien nun in den Euroraum aufgenommen wird; denn Kroatien ist das neue Griechenland, ({6}) und zwar nicht deshalb, Eure Exzellenz, weil es die Statistiken selbst schönt, sondern weil die EU-Kommission es sich selbst schönrechnet. Die Kommission, Herr Krichbaum, schummelt im Konvergenzbericht. ({7}) Eines der wesentlichen Kriterien ist doch die langfristige Preisstabilität, und die richtet sich laut der Verträge an den besten drei Euroländern aus. 4,7 Prozent hat man für Kroatien an Inflation berechnet über die Zwölfmonatssichtweise. Tja, dumm nur, dass Malta und Portugal um die 2 Prozent haben, Kroatien damit die Konvergenzkriterien nicht erfüllt hätte. Deswegen hat die Kommission da mal eben beschlossen: Malta und Portugal sind Outliers, sind Ausreißer; die sind zu gut. Kein Wunder: Kroatien hätte sonst nicht bestanden. ({8}) Wie auch? Wie auch mit einer tatsächlichen Inflation, wie wir sie im Mai 2022 gesehen haben, mit einer Preissteigerung um 10,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat? Da ist nichts mit langfristiger Preisstabilität. Da ist nichts mit der Erfüllung der Konvergenzkriterien, meine Damen und Herren. ({9}) Das ist übrigens genauso wie bei den Staatsschulden. Die sollen ja laut Vertrag langfristig tragfähig sein, maximal 60 Prozent des BIPs. Sie kennen die Grenze aus dem Vertrag von Maastricht. Die hat Kroatien seit 2011 nie wieder erreicht und wird sie auch nie wieder erreichen; es steht bei 79,8 Prozent des BIP. Die EU sieht die Schuldenregel interessanterweise trotzdem als erfüllt an, und zwar wegen der sogenannten Zwanzigstelregel. Das heißt, dass ein Zwanzigstel der über der Marke von 60 Prozent vom BIP liegenden Schulden jährlich abgetragen werden muss. Und Kroatien hat das tatsächlich einmal gemacht, nämlich 2021. Da waren ungefähr 590 Millionen Euro zurückzuzahlen. Das ging ja auch mit einer schönen Finanzspritze aus Brüssel. 2021 hat Kroatien nämlich 818 Millionen Euro aus „Next Generation EU“ erhalten. Was nicht passt, wird passend gemacht. Das ist die Position der EU. ({10}) Von Artikel 126 AEUV, wonach die Schulden erheblich und laufend zurückgehen müssten, ist natürlich keine Rede. Verheerend sind auch die anderen Werte: BIP pro Kopf weniger als die Hälfte der EU, ungefähr ein Drittel Deutschlands; Handelsbilanz negativ, Leistungsbilanz negativ, Korruption grassiert, Rechtsstaatlichkeit schlecht, Gesetzgebung schlecht. Das sagt sogar die EU in ihrem Konvergenzbericht. Meine Damen und Herren, ich hoffe, ich habe Ihnen hinreichend dargetan: Kroatien gehört nicht in einen Währungsverbund und erst recht nicht in einen Haftungsverbund mit Deutschland. Der Beitritt Kroatiens wird die Probleme des Euro noch weiter verstärken. Dann ist eine Rettung Kroatiens vorprogrammiert. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Kleinwächter. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Thorsten Lieb, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Thorsten Lieb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005129, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Botschafter! Liebe kroatische Mitbürgerinnen und Mitbürger! Mir ist meine Redezeit zu schade, um auf diesen unerträglichen, europahassenden Vortrag hier in diesem Hause einzugehen. ({0}) Es ist eine Unverschämtheit, in Anwesenheit des Botschafters so zu agieren. Erst stimmen Sie heute noch der NATO-Aufnahme von Schweden und Finnland zu, und dann halten Sie hier eine solche Rede. ({1}) Dieses differenzierte Bild müssen Sie mal aufklären. Aber lassen wir das jetzt; meine Zeit ist mir dafür zu schade. ({2}) Mit dem heute vorliegenden Antrag zur Zustimmung zur Einführung des Euros in Kroatien setzen wir ein ganz wichtiges Zeichen in der Europäischen Union. ({3}) Gemeinsam stellen wir diesen Antrag – Koalition und Union –, und das ist ein gutes Signal und richtig so. Lieber Herr Kollege Bury, Sie wissen, ich schätze Sie sehr, aber ich finde es schon fast kleingeistig und kleinkariert, in Anwesenheit des Botschafters hier in diesem Haus von diesem Pult eine tagespolitische Auseinandersetzung über die Frage zu führen, welche deutschen Vorschläge es zur Fiskalunion gibt. Machen Sie sich keine Sorgen! Die Vorschläge werden kommen, und es werden gute Vorschläge kommen; aber heute wollen wir was anderes diskutieren, und wir beschließen einen gemeinsamen Antrag. Deswegen konzentrieren wir uns bitte darauf. ({4}) Es ist ein wichtiges Signal für die Bürgerinnen und Bürger Kroatiens, für über 400 000 Kroatinnen und Kroaten, die Mitbürgerinnen und Mitbürger hier in Deutschland sind, alleine 16 000 in meiner Heimatstadt Frankfurt am Main, ein wichtiges Signal der Vereinfachung des Lebens. Es gibt keinen Umtausch mehr. Das ist ein positives Symbol, und genau diese Symbole brauchen wir doch jetzt in der Europäischen Union. ({5}) – Ist ja gut. Kommission und EZB – es ist schon gesagt worden; ich kann das abkürzen – haben die Konvergenz festgestellt. Deswegen diskutieren wir das heute, und deswegen begrüßen und unterstützen wir – wir als FDP sind ja Mitantragsteller – diesen Antrag. Klar ist aber auch – auch das fordert der Antrag; und da schaue ich auch noch mal nach oben –: Wir wünschen und erwarten, dass dieser konsequente Konsolidierungsweg fortgesetzt wird. ({6}) Denn ich betone für meine Fraktion an dieser Stelle sehr bewusst, dass Konvergenz, und zwar auf Dauer, ein fundamentaler und zentraler Baustein und Bestandteil einer funktionierenden Wirtschafts- und Währungsunion ist. ({7}) Es steht schon im Vertrag: „Die Mitgliedstaaten vermeiden übermäßige öffentliche Defizite.“ So ist die Union angelegt, und wir Freie Demokraten stehen insbesondere dafür, immer wieder deutlich zu betonen, wie zentral das ist. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Dr. Lieb, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kleinwächter, AfD-Fraktion? ({0}) Es verlängert die Redezeit.

Dr. Thorsten Lieb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005129, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Norbert Kleinwächter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004781, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Dr. Lieb, was Sie gerade gesagt haben, passt nicht zu dem ersten Teil Ihrer Rede, wo Sie im Endeffekt ein bisschen auf mich losgegangen sind. Sie haben gerade die Verträge erwähnt. Ich finde die Verträge außerordentlich wichtig; denn gerade Artikel 126 und Artikel 140 AEUV regeln ja sehr klar, was von den Beitrittskandidaten in Bezug auf die Konvergenzkriterien entsprechend verlangt wird. Wenn zum Beispiel ganz klar drinsteht, dass sich die Staatsschulden erheblich und langfristig mindern müssen, und zwar auf ein Niveau, das dem Referenzwert entspricht – das sind 60 Prozent des BIP –, dann müssen Sie doch eigentlich zugeben, dass Kroatien, das im Moment 79,8 Prozent des BIP Staatsverschuldung hat, das bei deutlich über 80 Prozent Staatsverschuldung war, von der die EU-Kommission schon in ihren relativ positiven Berechnungen sagt, dass sie eigentlich nicht wesentlich unter 72 Prozent kommen wird – ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, Sie sollen keinen Redebeitrag leisten.

Norbert Kleinwächter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004781, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– ich stelle eine Frage –, und die weiter steigen wird, diese Kriterien nicht erfüllt. Wie kommen Sie dann auf die Idee, hier die Erfüllung der Konvergenzkriterien zu postulieren, wo Sie von Anfang an eben nicht erfüllt sind?

Dr. Thorsten Lieb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005129, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Frage ist ganz einfach zu beantworten. Ich empfehle, die Verträge und die Kommentierungen mal gründlich zu lesen. Dann können Sie sich die Frage selbst beantworten. ({0}) Das, was Sie in die Verträge reininterpretieren und was Prüfungsgegenstand war, entspricht dem so nicht. ({1}) Ich habe dazu mal 30 Seiten geschrieben; ich kann die Ihnen gerne mal schicken. Das müssen wir jetzt an dieser Stelle nicht vertiefen. ({2}) Mit der anstehenden Entscheidung des Rates, der wir hier und heute zustimmen, setzen wir – ich habe es erwähnt – ein ganz wichtiges Signal in Richtung Handlungsfähigkeit der Europäischen Union in herausfordernden Zeiten. ({3}) Es ist vor allem ein wichtiges Zeichen, das all denen widerspricht, die der Europäischen Union Schwäche und Handlungsunfähigkeit vorwerfen. Wir zeigen mit diesem Antrag Handlungsfähigkeit, und wir gehen mit der Europäischen Union nach vorne und begrüßen Kroatien am 1. Januar 2023 als 20. Mitgliedstaat in der Eurozone von Herzen. ({4}) Die Entwicklung ist in der Tat bemerkenswert, auch wenn der Kollege es kritisiert hat. Der Schuldenabbaupfad ist vorbildlich in der Europäischen Union. Das Kriterium von 3 Prozent wird eingehalten, auch das ist vorbildlich. Das Defizit liegt deutlich unterhalb des Eurozonendurchschnitts. Wenn es ein Mitgliedstaat der EU verdient hat, neu zur Eurozone zu gehören, dann ist das Kroatien. Deswegen beraten und beschließen wir das heute, und genau so muss das sein. ({5}) Man kann aber natürlich nicht über die Einführung des Euro in Kroatien sprechen, ohne kurz etwas über die tatsächliche aktuelle Situation der Eurozone insgesamt zu verlieren. Die Staatsfinanzen sind – leider – insgesamt in schlechterer Verfassung als vor der Pandemie. Die Herausforderungen sind gewachsen. Die Inflation ist gestiegen; das ist sie übrigens auch schon vor dem Ukrainekrieg. Deswegen ist es umso wichtiger, hier und heute in Deutschland und in der gesamten Europäischen Union auf Haushaltsdisziplin zu achten. Genau das macht diese Koalition, ({6}) indem wir für 2023 einen Haushalt vorlegen, der die Schuldenbremse einhält. Das ist richtig und wichtig in dieser Zeit. ({7}) Wir als Koalition befinden uns damit im Einklang mit dem, was die Deutsche Bundesbank im aktuellen Monatsbericht formuliert. ({8}) Trotzdem – und das ist an dieser Stelle auch noch zu erwähnen – müssen wir mit weiteren Maßnahmen vorsichtig und zurückhaltend sein. Wir machen uns Sorgen bei aktuellen Politikvorschlägen, die Konvergenzkriterien weiter auszuhöhlen, weitere Maßnahmen zu ergreifen, oder wenn die EZB darüber diskutiert, neue Finanzmittel einzuführen. Gerade in Inflationszeiten ist es wichtig, daran zu erinnern, dass das vorrangige Ziel von Geldpolitik sein muss, Stabilität zu gewährleisten. Deswegen: Haben wir mehr Mut, das zu tun! Kroatien hatte den Mut und gehört ab dem 1. Januar 2023 dazu. Darüber freuen wir uns. Das beschließen wir heute. Wir bitten um Zustimmung. Vielen Dank. ({9})

Gökay Akbulut (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004653, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kroatien hat nach den erfolgreichen und langwierigen Vorbereitungen selbstverständlich das Recht, Mitglied der Eurozone zu werden. Wir haben aber starke Bedenken in Bezug auf die strukturellen Probleme der Europäischen Währungsunion. In ihrer heutigen Form weist die Eurozone gravierende Konstruktionsmängel auf. Aus Sicht der damaligen Bundesregierung und auch großer Teile der Opposition waren die südeuropäischen Länder aufgrund von mangelnder Haushaltsdisziplin und Verschuldung die Verursacher der Eurokrise. Wir hingegen haben immer betont, dass die Probleme in der Konstruktion der Eurozone selbst liegen und die Krisen daher vorprogrammiert und selbst gemacht waren. Natürlich hatten viele südeuropäische Länder lange Zeit zu hohe Importüberschüsse; aber die Importüberschüsse der einen sind eben die Exportüberschüsse der anderen Länder. Deutschland hat sehr gut und über Jahre hinweg an den Importüberschüssen seiner EU-Nachbarn verdient. ({0}) Das Geld für die hohen Importrechnungen wurde zugleich von deutschen Banken zur Verfügung gestellt. Zugespitzt sagen wir und viele andere auch, dass das deutsche Exportweltmeistermodell, einhergehend mit Lohnkürzungen, Niedriglohnsektor und Hartz IV, die Eurokrise auch in Deutschland wesentlich mit verschärft hat. Die Reformen der Europäischen Währungsunion sind seitdem einseitig gestaltet worden. ({1}) Die europäischen Fiskalregeln, das Europäische Semester, all die Verfahrensänderungen nehmen vor allem die ökonomisch schwächeren Länder in die Pflicht, während es den wirtschaftlich stärkeren Ländern wie Deutschland mehr oder weniger selbst überlassen bleibt, ob sie nur an sich oder an das Wir in Europa denken und auch wirtschaftlich schwache Länder mitnehmen. ({2}) Es ist nur der Geldpolitik der EZB und den in Deutschland erzielten Reallohnsteigerungen in den 2010er-Jahren zu verdanken, dass viele die Probleme der Eurozone schon als überwunden angesehen haben. Beides aber war ein Glücksfall, und das Überleben und die Stabilität einer Währungsunion, die auch die schwächsten Länder mitnimmt, darf nicht vom Glück abhängen, sondern muss von kluger, nachhaltiger Wirtschafts- und Finanzpolitik gestaltet werden. ({3}) So führte die Einleitung einer Zinswende durch die EZB vor zwei Wochen dazu, dass die Renditedifferenzen europäischer Staatsanleihen, die sogenannten Spreads, wieder massiv in die Höhe geschossen sind. Wir werden sehen, ob und wie lange die Europäische Währungsunion die nächste Krise aushalten wird. Kroatien zieht es mit dem Eurobeitritt vor, in einem einsturzgefährdeten Eurohaus ein Dach über dem Kopf zu haben. ({4}) Das ist angenehmer, als draußen allein im Schneeregen des internationalen Kapitalmarktes zu stehen. Wir können die Beweggründe verstehen; aber ein unbeschwerter Grund zur Freude ist der Eurobeitritt für Kroatien nicht. Wir unterstützen natürlich alle ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Prozesse in Kroatien. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Herr Kollege Reichardt, Sie müssen mit Ihren Zwischenrufen nicht das Protokoll füllen. Sie könnten sich vielleicht mal bei Ihrer Fraktion darum bemühen, Redezeiten zu bekommen. ({0}) Nächster Redner ist der Kollege Dr. Anton Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen. ({1})

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist einfach klasse, dass mit Kroatien inzwischen das 20. Land Mitglied der Eurozone ist. ({0}) Das zeigt: Auch wenn es schwierig ist, auch wenn es harte Zeiten sind: Die europäische Einigung schreitet trotz aller Unkenrufe voran, und das ist gut für uns alle. ({1}) Kroatien hat eine ganze Reihe guter Reformen auf den Weg gebracht. Es hat sich damit selbst erarbeitet, Mitglied der Eurozone zu werden. Ich finde, die Leistung muss man anerkennen. Ich finde auch, man muss all denjenigen, die die mühevollen Reformen durchgezogen haben, dankbar sein. Es ist nicht immer einfach, solche Reformen im eigenen Land durchzuziehen. ({2}) Es hat auch einen ganz praktischen Nutzen, wenn es dort bald den Euro gibt. Das wird jeder merken, der gerne in den Urlaub fährt. Kroatien ist ein schönes Land. Ich war als Kind öfter dort. ({3}) Es hat eine schöne Küste. Nun hat man den großen Vorteil, dass man keine Wechselkursprobleme mehr hat. Vielmehr kann man einfach in der Währung, die man kennt, bezahlen. Das ist angenehmer und auch praktisch. Für ein Land wie Kroatien, das eine große Tourismusindustrie hat, ist das auch ein großer ökonomischer Gewinn. Ich finde, darüber kann man sich freuen. Da wir Deutschen gerne reisen, freuen wir uns mit all den Menschen, die vorhaben, dort Urlaub zu machen. Man könnte einfach mal weniger verbissen, weniger vergnatscht, weniger gehässig sein ({4}) und sich einfach mal mit Menschen freuen, denen es besser gehen wird und die eine schönere Zukunft haben. ({5}) Aber es geht nicht nur um das Schöne und darum, dass man unbeschwerter und unkomplizierter Urlaub machen kann. Die Westbalkanregion ist eine Region, wo autoritäre Mächte und Diktaturen wie Russland und China versuchen, Einfluss zu nehmen. Deshalb ist es in unser aller Interesse, dass es auf dem Westbalkan mit der Integration in die Europäische Union vorangeht. Daran haben wir ein hohes Eigeninteresse; denn wir sehen, dass Russland unser Gegner, ein harter Gegner, ist, und auch China wird immer mehr zum Systemwettbewerber. Deshalb ist es geopolitisch klug, dass wir uns mehr um die Region kümmern. ({6}) Die Bedeutung von Kroatien für die Region ist groß. Deswegen müssen wir in Richtung Kroatien klar sagen: Nationalistische Töne und die Einmischung in Bosnien-Herzegowina sind ein Problem. Deshalb müssen wir uns gemeinsam stärker um die Region kümmern. Nordmazedonien und Albanien haben einen Anspruch darauf, dass wir die Gespräche endlich starten. Wir müssen uns um den Kosovo kümmern, was die Visaliberalisierung angeht. Wir müssen auch klarer gegenüber Serbien auftreten.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie zum Schluss, bitte.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Und wir müssen Montenegro bei seinen Bemühungen, das nächste Mitglied der Europäischen Union zu werden, unterstützen. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Hofreiter. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Andreas Scheuer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Zeit meiner Jugend in meinem heutigen Wahlkreis Passau war auch davon geprägt, dass auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien von 1991 bis 2001 ein Krieg stattgefunden hat. Auch wenn sich daran nur noch wenige erinnern: Für mich ist es die Basis der Debatte mit Blick auf den Zeitplan und darauf, wo Kroatien jetzt steht. 2001 endete der Krieg. Vorher wurden zehn Jahre lang blutige Auseinandersetzungen geführt, viele Flüchtlinge wurden in meiner Heimat aufgenommen. In diesem Zusammenhang denke ich daran, was unser Land angesichts der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine leistet; Sie merken, welchen Bogen ich spannen möchte. Nach 2001 wurde der Beitrittsprozess eingeleitet. Es ging weiter 2003 mit dem Beitrittsgesuch Kroatiens. Die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen erfolgte 2005. Zehn Jahre nach dem Beitrittsgesuch erfolgte die Aufnahme als Mitgliedsstaat. Danach folgten große Anstrengungen trotz eines schwierigen Umfeldes. Wo steht Kroatien jetzt? Wenn ich mir die Rahmendaten anschaue, wenn ich sehe, welche immensen Reformanstrengungen Kroatien trotz der Pandemie gemacht hat, um wiederum nach zehn Jahren, am 1. Januar 2023, den nächsten logischen Schritt zu erreichen – nachdem bewiesen wurde, dass Reformen gemacht wurden und die Ergebnisse stimmen – und Mitglied der Eurozone zu werden, dann kann ich nur sagen: Herr Botschafter, herzlichen Glückwunsch an Kroatien! Die CDU/CSU ist an Ihrer Seite. Mit Ihren Reformbemühungen haben Sie die Grundlagen dafür geschaffen, dass wir heute im Deutschen Bundestag über die Einführung des Euro in Kroatien diskutieren. Herzlichen Dank, dass Kroatien so weit gekommen ist und sich so gut entwickelt hat. ({0}) Herr Kollege Dr. Lieb von der FDP, Herr Bury hat zu Recht die Aufgaben der Bundesregierung das Thema Stabilität betreffend angesprochen. Wir haben die ganze Zeit darüber diskutiert, dass Kroatien davon profitiert, in die Eurozone aufgenommen zu werden. ({1}) Jetzt drehe ich die ganze Sache mal um. Ich könnte mich dem Kollegen Hofreiter anschließen und die praktischen Seiten wie Investitionen aufzählen. Das Leben wird für beide Seiten leichter, weil wir eine Währung haben. Die Bilanz für Deutschland hinsichtlich der Einführung des Euro ({2}) zeigt – es wurden gerade immer wieder die letzten 16 Jahre bemüht –: Das letzte Jahrzehnt war für Deutschland eine Erfolgsgeschichte. Es brachte Wohlstand. Das hat damit zu tun, dass Deutschland von der Eurozone sehr profitiert. ({3}) Das ist Patriotismus, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD. ({4}) Der Herr Kleinwächter ist heute so mitteilsam. Ich glaube, das liegt an seiner Ausbildung als Theaterwissenschaftler; ({5}) er hat Darstellendes Spiel studiert, und ich sage Ihnen: Dieses Spiel hier ist unwürdig. ({6}) Und auch an die andere Seite des Hauses gerichtet muss ich sagen: Gott sei Dank liegt ein gemeinsamer Antrag vor, an dem CDU und CSU beteiligt sind. Ich bin etwas enttäuscht darüber, dass ähnliche Redepassagen wie von rechts auch von der Linksfraktion kommen; Stichwort „einstürzendes Gebilde der Eurozone“. Meine Damen und Herren, die Eurozone hat nicht nur einen wirtschaftlichen Charakter, sondern sie hat heutzutage einen zutiefst geopolitischen Charakter, um klarzumachen, dass wir mit einer erfolgreichen Wirtschaft und mit einer stabilen Währung dem Aggressor in Russland entgegenstehen und das auch dokumentieren. ({7}) Natürlich ist es auch ein Signal an die Staaten, die gerne in der europäischen Familie wären, aber vielleicht die eine oder andere Sekunde darauf verwenden, mit dem Blick nach Russland zu schweifen. Dementsprechend kann ich denen, die Mitglied in der Europäischen Union werden wollen, nur sagen: Nehmt euch ein Beispiel an Kroatien! Wer die Regeln erfüllt, wer die Aufgaben erfüllt, wer die Reformen erfüllt, der wird nicht nur Teil der europäischen Familie, sondern auch der Eurozone. Das sind die Regeln schlechthin. ({8}) Zum Abschluss: Ich sehe ein Riesenpotenzial in Kroatien. Durch die Pandemie wurde Kroatien stark gebeutelt, natürlich auch durch die Inflation. Aber eines ist auch klar: 2021 hat es beim Wirtschaftswachstum ein Plus von rund 10 Prozent verzeichnet, das BIP lag bei 57,2 Milliarden Euro. ({9}) Damit wird nicht nur der Euroraum größer. Auch die Chancen und die geopolitische Bedeutung werden größer. Dieses Potenzial sollten wir alle miteinander ausschöpfen. Aber unser Euroraum muss auch stabil bleiben. Das ist jetzt die Aufgabe der Bundesregierung. Wir fordern Sie auf, die Bemühungen um Stabilität endlich mit konkreten Fakten zu untermauern. Herzlichen Dank. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Scheuer. Das war jetzt der CSU-Bonus. Letzter Redner zu diesem Komplex ist der Kollege Johannes Schraps, SPD-Fraktion. ({0})

Johannes Schraps (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004881, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Scheuer hat gerade zu Recht auf den Zeitraum seit den 1990er-Jahren hingewiesen. 2013 ist Kroatien der Europäischen Union beigetreten, und wie alle Staaten der Europäischen Union ist Kroatien mit dem EU-Beitritt auch Teil der Wirtschafts- und Währungsunion geworden. Die gemeinsame Währung wurde damals aber tatsächlich noch nicht eingeführt, weil bis dato noch nicht alle gemeinsam vereinbarten erforderlichen Voraussetzungen für die Einführung des Euro erfüllt werden konnten. Dieser Punkt ist nun aber erreicht; denn die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank bestätigen in ihren Konvergenzberichten unisono, dass Kroatien die notwendigen Kriterien nun erfüllt und nun auch dem Euroraum beitreten kann, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Beide Institutionen, sowohl die Kommission als auch die Zentralbank, sind angehalten, im Falle der Mitgliedstaaten, die den Euro noch nicht eingeführt haben, regelmäßig zu prüfen, ob die weitere Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion möglich ist. Die wichtigsten Konvergenzkriterien, die nun auch erfüllt sind – stabile Preise, niedrige Zinsen, gesunde Staatsfinanzen, stabiler Wechselkurs –, sind jetzt im Rahmen der Debatte bereits mehrfach angesprochen worden; ich möchte deshalb nicht mehr in aller Ausführlichkeit auf sie eingehen. Das Ergebnis ist wichtig, und im Ergebnis legen sowohl die EU-Kommission als auch die EZB ganz klar dar, dass Kroatien sämtliche Kriterien erfüllt und somit seinen Verpflichtungen bei der Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion nun nachgekommen ist. Das ist – darauf hat der Kollege Josip Juratovic vollkommen zu Recht hingewiesen – ein sehr gutes und wichtiges Signal, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Der Beitritt Kroatiens zu dieser dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion wird von der Bundesregierung unterstützt; das haben auch die FDP-Fraktion und Finanzminister Lindner deutlich gemacht. Als Bundestag haben wir nach § 9a EUZBBG eine qualifizierte Mitwirkungsmöglichkeit bei der Frage der Einführung des Euro. Die müssen wir nicht nutzen; wir nutzen sie hier aber. Wir machen durch die Einbringung unseres Antrags hier im Plenum von unserem Stellungnahmerecht Gebrauch, so wie übrigens auch bei den beiden Präzedenzfällen 2014 und 2015, also wie bei Lettland und Litauen. Wir stellen damit als Parlament nicht nur das geforderte Einvernehmen zwischen Bundesregierung und Bundestag her, sondern zeigen durch die gemeinsame Einbringung dieses Antrags durch die Ampelkoalition und Teile der Opposition auch – und auch das hat die Debatte gezeigt –, dass es hier im Haus eine große Mehrheit und einen breiten Konsens für eine Vertiefung der europäischen Integration gibt. Mit Ausnahme eines Totalausfalls auf der rechten Seite haben das fast alle Rednerinnen und Redner deutlich gemacht. Deshalb senden wir mit der Verabschiedung dieses Antrags heute nicht nur ein Zeichen der Unterstützung an die Menschen in Kroatien, sondern wir setzen als Parlament auch ein ganz deutliches Zeichen der europäischen Geschlossenheit, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Die Vorteile liegen auf der Hand: Es entfällt die Notwendigkeit, bei Auslandsreisen Geld zu wechseln. Statt italienischer Lira, statt französischem Franc, statt Deutscher Mark oder eben statt kroatischer Kuna wird ab dem 1. Januar 2023 bereits in 20 europäischen Mitgliedstaaten mit der gemeinsamen Währung bezahlt werden können. Doch nicht nur diejenigen, die viel in andere Länder reisen, wie Kollege Hofreiter das angesprochen hat, und dort dann mit derselben Währung ohne große Umtauschgebühren bezahlen können, profitieren von der Euroeinführung. Denn nicht nur Umtauschgebühren entfallen, sondern es wird auch die Buchhaltung in vielen Bereichen einfacher. Viele Kroatinnen und Kroaten erhoffen sich beispielsweise eine Erleichterung bei wirtschaftlichen Investitionen, eine stabile Währung und natürlich auch einen Anstieg der Exporte in den Rest des Euroraums. Das alles sind Stärken, die in den anderen Euroländern, zuletzt in den baltischen Staaten, die 2011, 2014 und 2015 der Eurozone beigetreten sind, bereits Wirkung entfalten und die Kroatien nachvollziehbarerweise natürlich ebenfalls nutzen möchte. Und mit Bulgarien hat bereits ein weiterer Mitgliedstaat angekündigt, den Euro zeitnah einführen zu wollen. Natürlich entsteht der Wunsch nach der Euroeinführung ganz grundsätzlich aus der Erkenntnis, dass sich die volle Kraft des gemeinsamen Binnenmarktes nur mit einer gemeinsamen Währung so richtig ausschöpfen lässt. Aber trotzdem geht es bei der Euroeinführung in Kroatien auch um mehr als einfach um den Wechsel einer Währung. Denn gerade in Zeiten wie diesen, wie wir sie heute erleben, ist diese Euroeinführung auch ein Zeichen für europäischen Zusammenhalt und vor allen Dingen für den Willen in der Europäischen Union, die eigene Integration weiter voranzutreiben. Und sie ist auch ein Zeichen für den Willen, den Menschen in allen Mitgliedstaaten auf Basis der Einhaltung von Rechtsstaatskriterien die Grundfreiheiten zu ermöglichen und zu garantieren, die wir alle in der EU als vollkommen selbstverständlich wertschätzen dürfen. Damit, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist sie letztlich auch ein Zeichen für die ungebrochene Attraktivität der Europäischen Union. Ich danke Ihnen herzlich für die Aufmerksamkeit. ({2})

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 2,5 Millionen Patienten hatten 2021 so schwere Impfnebenwirkungen, dass sie ärztliche Hilfe gesucht haben. Das sind mehr als 30‑mal so viele wie in den Vorjahren, in denen es maximal 77 000 gab. Von 77 000 auf 2,5 Millionen, das heißt: Es waren in den Vorjahren immer weniger, als Lüdenscheid Einwohner hat; letztes Jahr hingegen waren es mehr Fälle, als Hamburg und Bremen zusammen an Einwohner haben – 2,5 Millionen! Und das ist nur die Spitze des Eisbergs; das sind nur die erfassten Fälle von Kassenpatienten bei Kassenärzten. Die Nebenwirkungen von Privatpatienten oder die Nebenwirkungen, die in Krankenhäusern erfasst wurden, kommen obendrauf. Auch die vielen Fälle, in denen Patienten mit Impfnebenwirkungen nicht ernst genommen wurden und in denen die Ärzte den Patienten gesagt haben, die Nebenwirkung habe nichts mit der Impfung zu tun, fehlen. Bei 2,5 Millionen dokumentierten Fällen ist also noch von einer hohen Dunkelziffer weiterer Fälle auszugehen. ({0}) Ja, ich weiß – und ich höre es hier jetzt auch wieder –: Sie versuchen, es kleinzureden. ({1}) Das Standardargument wird sein, dass es mehr Impfungen gab. Das ist ein ganz schwaches Argument; denn es waren nur viermal so viele Impfungen wie im Vorjahr, aber es gab mehr als 30‑mal so viele Nebenwirkungen. Das heißt, die Zahl der Nebenwirkungen, die so schwer waren, dass jemand deswegen beim Arzt war, ist um 800 Prozent gestiegen. Und noch einmal: Wir reden hier von Millionen Betroffenen. ({2}) Das nächste Argument wird sein, dass die Impfung weniger erprobt ist. Ja, aber genau das ist doch das beste Argument dafür, endlich alle Daten zu den Nebenwirkungen zu erheben und auszuwerten. Genau weil diese Impfstoffe ein medizinisches Experiment sind, ist es unverantwortlich, weiter im Blindflug unterwegs zu sein. ({3}) Und dann wird kommen: Ja, die Nebenwirkungen sind wahrscheinlich alle harmlos. ({4}) Wir alle wissen nicht, was es für Nebenwirkungen sind. Es könnten 2,5 Millionen Fälle von Hautausschlag oder von Juckreiz sein, es könnten aber auch 2,5 Millionen Fälle von Krebs- und von Herzerkrankungen sein. Niemand weiß es, und das ist der eigentliche Skandal. ({5}) Wir haben Millionen Fälle von Impfnebenwirkungen, und die Daten dazu werden nicht ausgewertet. Letzten Freitag erst teilte mir die Bundesregierung mit – ich zitiere –: Eine … Auswertung … zur Angabe der Art der … Nebenwirkung … liegt nicht vor. Dabei hat die Regierung gemäß Infektionsschutzgesetz sogar die Pflicht, die Daten der Kassenärztlichen Vereinigungen auszuwerten. Diese Regierung tritt nicht nur den Rechtsstaat, sondern auch die Gesundheit von Millionen Bürgern mit Füßen. Damit muss endlich Schluss sein. ({6}) Es muss analysiert werden, welche Symptome und Krankheitsbilder die Menschen haben, die unter Impfnebenwirkungen leiden. Die Ergebnisse dieser Analyse müssen dann veröffentlicht und insbesondere den Ärzten mitgeteilt werden, damit die Impfgeschädigten endlich ernst genommen werden. Es muss eine Infrastruktur aufgebaut werden, um Impfgeschädigten schnell zu helfen. ({7}) Und es ist unverantwortlich, dass Impfgeschädigte monatelang auf Termine bei Fachärzten warten müssen. Die Regierung hat hier eine besondere Verantwortung; denn sie hat den Menschen versprochen, dass die Impfung sicher ist. 2,5 Millionen Impfgeschädigte sind ein deutlicher Beweis dafür, dass die Impfung eben nicht sicher ist. ({8}) Ich möchte mit zwei emotionalen Einzelfällen enden. Ich war neulich bei einer jungen Frau, die eine Organspende benötigt und deren Lebenstraum ein eigenes Kind ist. Die hat das Krankenhaus knallhart erpresst. Man hat ihr gesagt, wenn sie sich nicht impfen lässt, nehme man sie nicht auf und mache nicht die Untersuchungen, die sie benötigt, um auf die Warteliste für eine Organspende zu kommen. Seit der Impfung spielt ihr Zyklus verrückt, und sie weiß nicht, ob sie überhaupt noch ein Kind bekommen kann. Der Lebenstraum dieser Frau wurde zerstört. Ich habe mehrere Stunden bei einer Mutter gesessen, die nach der Coronaimpfung ihre lebensfrohe, gesunde Tochter verloren hat. Das Mädchen ist beim Abendessen einfach so, aus dem Nichts tot umgefallen. „Postvakzinale Myokarditis“ sagte dazu der Arztbrief. Ich verspreche Ihnen eines: Es ist egal, wie oft Sie sagen: „Der sollte das nicht sagen“ und: „Die AfD sollte aufhören, darüber zu reden“. Ich und meine Fraktion, wir fühlen eine besondere Verantwortung. Die gesamte AfD, wir werden nicht ruhen, bis man aufhört, gesunde Menschen gegen ihren Willen zu nötigen, an einem medizinischen Experiment teilzunehmen. ({9}) – Setzen Sie sich endlich mal mit den Fakten auseinander. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Sichert. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Andreas Philippi, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Andreas Philippi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005179, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist manchmal schwierig, wenn vor der eigenen Rede populistische Reden gehalten werden; man muss das leider so sagen. ({0}) – Nein, das sind keine Fakten. Nein! ({1}) Frau Baum, Sie sollten es besser wissen, Sie haben Medizin studiert. Sie sollten wissen, was Fakten sind. ({2}) – Nein, sie weiß es nicht besser. ({3}) Sie sollten vor allen Dingen den Unterschied zwischen Nebenwirkungen und Begleiterscheinungen mal differenziert betrachten. ({4}) Kennen Sie die Brüder Grimm? Kennen Sie das Märchen vom Rotkäppchen? ({5}) Wissen Sie, was der Wolf gemacht hat?

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, einen ganz kleinen Moment. – Ich weise die Mitglieder der AfD-Fraktion noch mal darauf hin: Einige Zwischenrufe sind ja gewünscht und erlaubt; aber wenn das ausartet und Ziel ist, den Redner dauernd zu unterbrechen, dann werde ich von Ordnungsmaßnahmen Gebrauch machen. Ich drohe das jetzt an. ({0}) – Nein, Herr Baumann, ({1}) in aller Ruhe: Mit mir nicht! Das würden Sie sonst überall auch erleben. ({2}) Wir hören dem Redner jetzt zu. Einige Zwischenrufe sind erlaubt. Aber gerade bei Ihnen – Sie habe ich besonders im Auge, Herr Reichardt – wird meine erste Ordnungsmaßnahme landen, wenn Sie damit nicht aufhören.

Dr. Andreas Philippi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005179, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wissen Sie, als Chirurg wünscht man sich dann eine Kurznarkose; dann ist Ruhe. ({0}) Wissen Sie, was der Wolf gemacht hat, um seine Stimme zu verstellen? Ja, das wissen Sie. ({1}) Er hat Kreide gefressen, die gleiche Kreide, mit der Sie von der AfD diesen Antrag formuliert haben. „Impfnebenwirkungen aufklären und ernst nehmen“, das klingt für einen praktizierenden Arzt erst mal ganz gut. Kennt man aber die Autoren des Antrags, dann weiß man, dass Sie die Kreide genau so benutzt haben, wie der Wolf sie benutzt hat: Sie täuschen, Sie desinformieren, und Sie säen Angst und Verunsicherung bei den Menschen. Sie verhalten sich verantwortungslos. ({2}) In Anbetracht eines dermaßen irreführenden Antrages, der uns übrigens erst knapp 24 Stunden vor der Debatte zugegangen ist, werde ich mich auf sachliche Erklärungen und Fakten des Robert-Koch-Institutes und des Paul-Ehrlich-Institutes konzentrieren, der beiden Behörden in Deutschland, die seit Jahrzehnten nachgewiesenermaßen die wissenschaftliche Expertise dafür haben und die regelmäßig in ihren Wochenberichten dazu Auskunft geben. Meine Damen und Herren, wozu dient medizinische Forschung? Wozu dient medizinisches Handeln? Wozu dient politische Abwägung zwischen notwendiger Intervention und freier Entscheidung? Immer haben alle Beteiligten in diesem komplizierten und verantwortungsvollen Prozess das Wohl jedes einzelnen Patienten und das Wohl aller im Auge. Ich beginne mit dem zweiten Aspekt im Titel Ihres Antrags – „ernst nehmen“ –; denn der lässt sich leicht beantworten und entkräften. Mit dem Ausdruck tiefer Überzeugung kann ich für mich und für meinen Ärztestand sprechen, wenn ich sage: Den Patienten ernst nehmen mit seinen Problemen und Ängsten ist der Grundkonsens unserer Berufsauffassung und Ausgangsethik all unseres medizinischen Handelns. Man nennt das dann den hippokratischen Eid. Dies überhaupt infrage zu stellen, wie Sie, Herr Sichert, das eben gemacht haben, ist eine haltlose Unterstellung und Frechheit. ({3}) Für eine ernsthafte politische und exakte wissenschaftliche Auseinandersetzung ist eine korrekte Verwendung der Fachbegriffe nun mal notwendig. Es gibt Impfnebenwirkungen und Impfbegleiterscheinungen. Ich betone es gerne: Ja, beides gibt es, und kein Beteiligter in dem genannten Abwägungsprozess bestreitet das. „Keine Wirkung ohne Nebenwirkung“ hat mir mein Pharmalehrer beigebracht. Oder anders gesagt: Unterstützt man durch ein Medikament oder durch eine Impfung einen menschlichen Organismus, gibt es eben diese Wirkungen und Nebenwirkungen. Das Gute ist: Aufgrund unserer Forschung und verantwortungsvoller medizinischer Anwendung sind die angestrebten Reaktionen in überwältigender Anzahl positiv. Sie schützen und verhindern schwere und tödliche Verläufe. ({4}) – Hohes Haus? Da Impfbegleiterscheinungen wie eine Rötung an der Einstichstelle in den allermeisten Fällen unkritisch sind, konzentriere ich mich auf kurzzeitige bis langzeitige Nebenwirkungen. Die Erfahrungen mit vielen anderen Impfstoffen über nahezu ein Jahrhundert haben gezeigt, dass Nebenwirkungen kurze Zeit – in der Regel innerhalb weniger Stunden oder bis einige Wochen nach der Impfung – auftreten können. ({5}) Von diesen Erfahrungen profitieren wir auch bei den Covid-Impfungen, und wir können sie modelliert anwenden. Da die Impfstoffe auch nach Zulassung und parallel zur Anwendung weiter durch das Paul-Ehrlich-Institut aktiv überwacht werden, haben wir auch zunehmend mehr Erkenntnisse zur Langzeitsicherheit, insbesondere zu sehr seltenen Nebenwirkungen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sichert aus der AfD-Fraktion?

Dr. Andreas Philippi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005179, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. Sie haben doch schon genug dazwischengerufen. Dies ist wichtig, da wir in der Tat von neuen Impfstoffentwicklungen sprechen, die allerdings in einer unvergleichbaren empirischen Breite angewendet werden. Bis zum heutigen Tag, so die WHO, sind über 12 Milliarden Impfdosen verabreicht worden. 4,8 Milliarden Menschen sind vollständig geimpft. Das sind 62 Prozent der Weltbevölkerung. Ich zolle dieser Leistung höchsten medizinischen, volkswirtschaftlichen, politischen und nicht zuletzt persönlichen Respekt. ({0}) Sogenannte Langzeitnebenwirkungen, die unerwartet und teilweise erst mehrere Jahre nach der Impfung auftreten, sind bei sehr wenigen Impfungen bisher beobachtet worden und sind daher auch bei den Covid-19-Impfstoffen höchst selten zu erwarten. Als Mediziner werden wir diese Möglichkeit nicht ausschließen, können aber mit Bestimmtheit davon ausgehen, dass sich die Zahl der Fälle langfristig im Promillebereich bewegen wird. ({1}) Was sagen uns die Zahlen aus den Wochenberichten der renommierten Institute Robert Koch und Paul Ehrlich? Für das erste Quartal 2022 ist zu entnehmen, dass die Melderate für Nebenwirkungen in Bezug auf alle Anti-Covid-Impfstoffe zusammen bei 0,17 Prozent liegt. Für schwerwiegende Reaktionen ist ein Fall auf 5 000 Impfungen dokumentiert.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Dr. Andreas Philippi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005179, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Zusätzlich informierte das Paul-Ehrlich-Institut schon vor Wochen über die Einrichtung eines digitalen Meldeportals für Verdachtsfälle von Impfnebenwirkungen für alle Bürgerinnen und Bürger. Es gibt kein Interesse, Nebenwirkungen zu verschleiern. Um im Bild zu bleiben: Wir brauchen die Kreide nicht. Wir haben ein Interesse, die Daten und Erkenntnisse zum Wohle aller zu nutzen und auszuwerten. Als SPD-Bundestagsfraktion und als Ampelkoalition setzen wir auf Transparenz, Ehrlichkeit und Aufklärung. ({0}) Das schafft Vertrauen. Sie von der AfD schaffen Verunsicherung: der Wolf im Schafspelz. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Georg Kippels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dieser Antrag reiht sich in fast schon guter Tradition in die Pamphlete der AfD zur Desinformation, zur Verunsicherung und zum Schüren von Ängsten ein. Und das ist in dieser Lage, zweieinhalb Jahre nach Beginn der Coronapandemie, unangebracht und politisch verantwortungslos. ({0}) Wir haben eine dringende Verpflichtung hier im Hohen Hause gegenüber den Menschen überall in Deutschland, die sich in dieser Zeit mit der Coronapandemie auseinandersetzen und dauernd in der Hoffnung leben, dass medizinische Hilfsmittel – seien es nun entsprechende Therapien oder auch die Impfung – ihnen auf Dauer den Umgang mit dieser Pandemie ermöglichen bzw. Heilung verschaffen. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass man in eine ständige Beobachtung dieser Impfkampagne, dieses Impfsystems eintritt, aber mit Sachlichkeit und vor allen Dingen mit einem wachen Auge. An der entscheidenden Stelle muss auch darauf Wert gelegt werden, dass den Menschen Beruhigung verschafft wird. Wir arbeiten mit wachen Augen, und wir haben ein System beim PEI, das sehr wohl geeignet ist, den Menschen die Gelegenheit zu verschaffen, in der Annahme von Nebenwirkungen – das ist ein etwas unpräziser Ausdruck – dort Meldungen vorzunehmen. Direkt auf der ersten Seite der Webseite des Paul-Ehrlich-Instituts unter „Top-Themen“ finden wir die Rubrik „Nebenwirkungen melden“. Von dort wird man zu einem entsprechenden Meldeformular weitergeleitet. Was aber für die Diskussion am heutigen Tag, glaube ich, sehr wichtig ist – Kollege Philippi hat es auch schon fachlich angerissen –, ist die begriffliche Präzision. Sie sprechen von Nebenwirkungen, was allerdings der tatsächlich notwendigen Unterscheidung nicht ausreichend gerecht wird. Wir müssen unterscheiden zwischen Impfreaktionen, die für das PEI nicht meldepflichtig sind, und Impfkomplikationen, die ihrerseits sehr wohl meldepflichtig sind. Ersteres sind physiologische Reaktionen des Immunsystems wie etwa Schwellungen an der Einstichstelle oder auch eine erhöhte Temperatur als Immunantwort. Und die müssen keineswegs als angenehm empfunden werden, sondern können durchaus auch als unangenehm empfunden werden, aber sie sind keine Komplikationen und unterliegen deshalb nicht der Meldepflicht. Das, was Sie aber in Ihrem Antrag dargestellt haben, ist, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. ({1}) Die Codierung in der Auswertung der KBV mit den ICD-10-Kennziffern orientiert sich zwar insgesamt am Thema der Covid-Impfung, aber nicht präzise an Komplikationen, sondern an allen denkbaren gesundheitlichen Auffälligkeiten. Insbesondere der ICD-10-Code mit der Schlüsselnummer U12.9 – Originaltext – „Unerwünschte Nebenwirkungen bei der Anwendung von COVID-19-Impstoffen, nicht näher bezeichnet“, ist keineswegs ein Rückschluss auf eine meldepflichtige Auffälligkeit. Vielmehr ist es jede ärztliche Wahrnehmung im Gespräch mit dem Patienten, die dort erfasst werden kann, und Rückschlüsse sind in keiner Weise, weder in Quantität noch in Qualität, zulässig. Ich gebe zu, dass es in der Diskussion auch im Vorfeld nicht besonders glücklich war, dass Gesundheitsminister Lauterbach mal in einem Tweet von einer „nahezu nebenwirkungsfreien Impfung“ gesprochen hat. Das erzeugt eine gewisse Erwartungshaltung bei den Impfwilligen, die dann vielleicht doch eher enttäuscht wird. Aber es hat mit der objektiven Sachlichkeit der Bewertung des Sachverhalts nichts zu tun. Natürlich ist auch nicht zu übersehen, dass wahrscheinlich die Menschen in Ansehung der Diskussion, die um die Impfung geführt wird, eine höhere Sensibilität aufweisen und vielleicht eher und intensiver den Arzt ihres Vertrauens aufsuchen, um von diesem auch Beruhigung zu erfahren. Bei der Codierung wird dann eben noch nicht zwischen „Verdacht“ und „bestätigter Nebenwirkung“ unterschieden.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Georg Kippels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Halten wir fest: Wir haben dort keine vergleichbaren Parameter, die einer Untersuchung unterzogen werden dürfen, und deshalb ist dieser Antrag unsinnig. Zum Schluss erlaube ich mir noch den Hinweis, dass es für die Aufarbeitung des Themas sicherlich hilfreich sein könnte, wenn man mit der Einrichtung des Impfregisters, das die CDU/CSU schon gefordert hat, ein weiteres wirkungsvolles Instrument implementiert. Der Antrag ist jedenfalls abzulehnen. Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Kippels. – Sie haben es jetzt zu bewirken vermocht, dass ich die beiden nachfolgenden Redner der CDU/CSU-Fraktion nicht mehr nachsichtig behandeln werde. Wenn die Uhr abgelaufen ist, ist Schluss. 40 Sekunden über der Redezeit ist schon eine harte Sache. – Die nächste Rednerin ist die Kollegin Saskia Weishaupt, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Saskia Weishaupt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005253, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon wieder stehen wir hier und reden dank der AfD über die Coronaimpfung. Langsam fällt es einem ja wirklich schwer, etwas zu sagen, das nicht schon etliche Male gesagt wurde, sei es hier im Plenum oder im Gesundheitsausschuss. Dutzende kompetente Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft haben Ihnen schon gefühlt hundertmal die Wirkungen und Nebenwirkungen der Impfung dargestellt. ({0}) Woche für Woche stehen das Bundesgesundheitsministerium, das Robert-Koch-Institut und das Paul-Ehrlich-Institut bereit, um Fragen zu klären. Doch bei Ihnen scheint die Hauptbotschaft nicht so richtig anzukommen: Die Impfung wirkt! ({1}) Denn wer geimpft ist, hat ein geringeres Risiko, sich zu infizieren, gibt das Virus seltener an andere weiter und ist besser vor einem schweren Verlauf geschützt. Die Impfung hat 20 Millionen Menschen das Leben gerettet – ({2}) 20 Millionen Menschen, die jetzt nicht mehr unter uns weilen würden. Und diese 20 Millionen Menschen, egal ob Mutter, Arbeitskollege oder die Pflegenden in den Krankenhäusern, sie sind es, die von diesem Impfschutz profitiert haben. ({3}) Jetzt erwähnen Sie in Ihrem Antrag die Zahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zu den Impfnebenwirkungen und unterstreichen, dass diese umfassend und realitätsgenau sind. Doch zu dieser Realitätsgenauigkeit zählen eben auch die mit aufgenommenen Impfreaktionen. Hätten Sie diese Publikation einmal vollständig gelesen, hätten Sie es vielleicht auch gemerkt. Einfache Impfreaktionen wie Rötungen, Fieber, Kopfweh, Schwindel – die hatten wir vielleicht alle einmal – müssen klar unterschieden werden von Impfnebenwirkungen. Diese gehen per Definition über das übliche Maß der Reaktion hinaus. Um Angst zu schüren, reißen Sie die Zahlen gezielt aus dem wissenschaftlichen Kontext. Aber es sollte doch klar sein, dass eine Rötung zu unterscheiden ist von einer Herzmuskelentzündung. ({4}) Der Kollege Philippi hat es schon gesagt: Es gibt Nebenwirkungen, und wir nehmen sie wirklich ernst. Uns ist wichtig, dass diese Menschen mit ihren Symptomen auch eine angemessene Versorgung erhalten. Doch was wir hier nicht hinnehmen werden, ist, dass Sie Einzelschicksale instrumentalisieren, um Ihre politische Agenda durchzusetzen. ({5}) Denn ehrlich gesagt: Das ist respektlos gegenüber den Betroffenen! ({6}) Die Covid-Impfung hat Leben gerettet, Freiheiten zurückgegeben und viele Menschen vor Long Covid bewahrt. Die Impfung ist eine wichtige Maßnahme in dieser Pandemie und wird auch für den kommenden Herbst und Winter eine wichtige Maßnahme bleiben. Ihr Antrag beweist ein weiteres Mal: Sie können und wollen sich gar nicht einer ernsthaften Debatte stellen. Letztlich geht es Ihnen auch nullkommanull um die Menschen, die unter den Impfnebenwirkungen leiden. Danke schön. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Weishaupt. – Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Kathrin Vogler, Fraktion Die Linke. ({0})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss an Churchill denken, der einmal gesagt hat: Ich glaube nur der Statistik, die ich selbst gefälscht habe. – Genau so agiert die AfD mit Ihrem Antrag. ({0}) Ihnen geht es darum, die Menschen mit Fake News maximal zu verunsichern, und ich bin wirklich entsetzt, dass sich daran teilweise auch Medien beteiligen, die diese Erzählung kaum geprüft weiterverbreiten. Deshalb hier ein paar Fakten, die ich übrigens weitgehend aus demselben Datenmaterial habe, das die AfD für ihre Stimmungsmache missbrauchen will. Zunächst mal: Impfstoffe ohne Nebenwirkungen gibt es nicht. Aber: Nicht jede Nebenwirkung ist ein ernstzunehmender Impfschaden, wie das hier immer suggeriert wird. Wenn die AfD die wenigen Menschen, die tatsächlich schwere Impfschäden davontragen, für ihre ekelhafte Antiimpfpropaganda missbraucht, dann ist das einfach inakzeptabel ({1}) und schadet dem berechtigten Anliegen, über die Anerkennung von Impfschäden und die Entschädigung der Betroffenen eine seriöse Debatte zu führen und ihnen so gut wie möglich zu helfen. ({2}) Richtig ist auch: Im Jahr 2021 wurden auf 172 Millionen Coronaimpfungen fast 2,5 Millionen Nebenwirkungen von Ärztinnen und Ärzten codiert. Ja, das klingt dramatisch, ist es aber nicht. Wenn man nämlich mal nachrechnet, dann sieht man, dass von 200 Geimpften nicht einmal 3 mit Beschwerden nach der Impfung eine Arztpraxis aufgesucht haben. Im gleichen Zeitraum gab es 1 219 Anträge auf staatliche Leistungen wegen Impfschäden. Das ist nicht einmal ein Fall pro 10 000 Impfungen. Diese Zahlen muss man doch ins Verhältnis setzen! ({3}) Dem stehen inzwischen 500 000 bekannte Long-Covid-Fälle in Deutschland gegenüber, und Forschende gehen davon aus, dass ein bis zwei von zehn Erkrankten das Risiko haben, langwierige Gesundheitsschäden zurückzubehalten, die sich teilweise dramatisch auf die Lebensqualität auswirken. Auch deswegen sagen Wissenschaftler/-innen hochrenommierter Universitäten – vom israelischen Clalit Research Institute bis zur Harvard University – ganz klar: Lassen Sie sich impfen; es ist sicher. Die Risiken, die eine schwere Coronaerkrankung mit sich bringt, sind unendlich viel gravierender. ({4}) Zum Schluss nur noch eines: Wer die Gefahren durch Covid-19 leugnet und die Pandemie als ideologisches Schlachtfeld missbraucht, Misstrauen gegen die Wissenschaft schürt, zum Hass gegen Impfärztinnen und Impfärzte aufstachelt, der macht sich mitverantwortlich für unnötiges Leid, vermeidbare Todesfälle und langfristige Gesundheitseinschränkungen gesunder Menschen. Man kann es ganz kurz sagen: Wer so agiert, ist ein Menschenfeind, und diesen Menschenfeinden müssen wir uns alle entgegenstellen. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Vogler. – Nächster Redner ist der Kollege Professor Dr. Andrew Ullmann, FDP-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir gestern Abend diesen Antrag der AfD erhalten haben, habe ich nur gedacht: O weia, schon wieder so ein Antrag! Man erkennt hier sehr klar eine Handschrift; hier fehlt in der AfD sicherlich auch medizinische, humanmedizinische Kompetenz. Die ist in der GroKo, aber auch in der Union vorhanden. Da merkt man schon den Unterschied. Deshalb erlaube ich mir eine kleine Fortbildung medizinischer Art, damit Sie etwas verstehen. Viele Kolleginnen und Kollegen haben hier schon gesagt, es gibt Impfreaktionen, Impfnebenwirkungen, Impfkomplikationen. Das ist übrigens normal. Wer einmal meine Vorlesung an der Uni besucht hat, wenn ich über Impfungen gesprochen habe, der weiß, dass ich dann sage: Ein Impfstoff ohne Reaktion ist kein guter Impfstoff. – Warum ist das so? Es gibt eine immunologische Reaktion; diese immunologische Reaktion ist auch gewollt. In der Medizin müssen wir darauf achten, dass es nicht zu schweren Komplikationen kommt. Und es gibt schwere Komplikationen, auch bei der Covid-Impfung; das verleugnen wir gar nicht. Ein Beispiel sind die thromboembolischen Geschehnisse ganz zu Anfang, als die Impfstoffe zur Verfügung gestellt worden sind. Diese sind gemeldet und nicht verschleiert worden, wie die AfD hier immer gerne sagt. Die Indikationen und die Kontraindikationen der Impfstoffe sind daraufhin geändert worden. Das System funktioniert. Wo ist eigentlich Ihr Problem? ({0}) Diese Partei hier zu unserer extremen Rechten tritt erneut als Heuchler auf. Sie tut alles, um unsere Gesellschaft zu spalten. Sie will keinen Diskurs und schon gar nicht eine Verbesserung der medizinischen Versorgung. Sie verdreht und ignoriert die medizinischen Tatsachen. Sie neigt zu wilden Thesen, zum Beispiel im Ausschuss – ich dachte, ich habe da nicht richtig gehört –, mit der Behauptung, dass die Affenpocken von einem Pharmaunternehmen ausgelöst wurden. Wo sind wir denn hier? Im Phantasieland oder in Deutschland? ({1}) Sie ignoriert publizierte Fakten; „Desinformation“ ist hier ja schon wiederholt genannt worden. Die Effektivität der Impfung wird infrage gestellt, und es wird gesagt, jede natürliche Infektion sei besser. Wo sind wir denn hier, dass die Leute schwer krank werden? Übrigens, Herr Sichert, ich habe Freunde, die ihre Eltern, ihre Brüder, ihre Schwestern verloren haben. Was soll ich denen denn sagen? – Wir haben keine Impfstoffe gehabt; wir hätten sie unter Umständen retten können. Mit der Impfung haben wir hier in Deutschland Leben gerettet – damit hat die Kollegin Saskia Weishaupt absolut recht –, und wir sind jetzt natürlich noch viel weiter. Oder noch besser – der Kollege Philippi hat es gerade gesagt –: Die AfD nimmt sich heraus, in ihrem Antrag eine Nicht-Impfempfehlung auszusprechen, ohne ärztliche Kompetenz. Das geht gar nicht; auch standesrechtlich funktioniert das nicht. ({2}) – Das ist heute nicht das Thema. Sie zweifeln an Effektivitätsdaten und an therapeutischen Möglichkeiten. Sie versuchen mit Ihrem Cherry Picking, mit der Auswahl selektiver Daten, und der Datenmanipulation, die Impfung infrage zu stellen. Ich würde tatsächlich so weit gehen, zu sagen: Die AfD stellt eine Gefahr für die Gesundheit unseres Landes dar. Das muss man hier mal ganz deutlich sagen. ({3}) Es ist keine Frage, dass wir in der Digitalisierung besser werden müssen. Unsere Fortschrittskoalition will ja auch, dass die Digitalisierung im Gesundheitssystem besser wird, damit auch die Versorgungsforschung vorankommt. Das ist unsere Aufgabe; das kriegen wir auch hin. Das ist auch richtig und wichtig so – gerade auch in der Covid-Situation. Wer die Einordnung von Impfreaktionen und Impfnebenwirkungen nicht versteht, sollte aber wirklich mal in der Literatur nachlesen; ich gebe Ihnen das gleich mal. Im „The Lancet“, eine der renommiertesten medizinisch-wissenschaftlichen Zeitschriften der Welt, steht explizit: „Real-life data“; es sind echte Daten aus dem Alltag. Hier wird gesagt, dass die systemischen Nebenwirkungen sogar geringer sind als in den Studien. Und da kommen Sie mit Einzelfällen daher und sagen: Deswegen ist alles Mist! Sorry, Sie müssen begreifen: So funktioniert Wissenschaft nicht, und so funktioniert auch die Versorgung nicht. ({4}) Wiederholt wird auch gesagt, es gibt keine ärztliche Versorgung. Was für ein Schmarrn! Die ärztliche Versorgung und auch Infektiologien gibt es; sie werden sogar ausgebaut, damit diese Menschen versorgt werden. Zum Thema Impfnebenwirkungen: Wenn Sie keine Humanmedizinerinnen und ‑mediziner in Ihrer Fraktion haben, ({5}) dann empfehle ich Ihnen: Gucken Sie bei Google nach. Geben Sie mal „Impfnebenwirkungen“ ein. Was entdecken Sie da? Da entdecken Sie das Paul-Ehrlich-Institut, bei dem jede Bürgerin und jeder Bürger die Nebenwirkungen und Reaktionen eingeben kann. Sie sehen dann auch die Möglichkeit der ärztlichen Meldung, um eine Korrelation oder Nichtkorrelation der Nebenwirkungen festzustellen. Meine Damen und Herren, was wir brauchen, ist ein besseres Gesundheitssystem, und was wir nicht brauchen, ist ein Nonsensauftreten der AfD hier in diesem Plenum. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Ullmann. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Tina Rudolph, SPD-Fraktion. ({0})

Tina Rudolph (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005195, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Sehr geehrter Herr Präsident, vielen Dank für die vier Minuten; ich werde sie nutzen. Viele Kolleginnen und Kollegen haben schon viel über Evidenz, Korrelation und Kausalitäten, also darüber geredet, wie wissenschaftliche Erkenntnisse zustande kommen. Trotz des Abzugs von einer Minute werde ich den Versuch wagen, einen historischen Exkurs zu unternehmen, um das an einem anderen Beispiel noch mal ein bisschen plastischer zu machen. Und zwar möchte ich Sie gerne mitnehmen in die Debatte der 70er-Jahre, als die Gurtpflicht diskutiert wurde, eine Debatte, die man sich heutzutage gar nicht mehr vorstellen kann, weil es einfach evident ist, das heißt, wissenschaftlich belegt ist, dass ein Sicherheitsgurt im Auto sehr viel mehr schützt, als keinen Sicherheitsgurt zu haben. Trotzdem muss man sich mal angucken, wie das damals in den 70ern diskutiert wurde. Auch damals gab es natürlich die wenigen Fälle, die man auch belegen kann und nicht verschweigen sollte, in denen ein Sicherheitsgurt nicht geschützt hat, sondern in denen gerade der Sicherheitsgurt geschadet hat, weil man nicht aus dem Auto rauskam, wie das auch bei einem Airbag der Fall sein kann. Das sind Fälle, die man nicht unter den Tisch fallen lassen darf, und trotzdem war es damals falsch, das aufbauschen zu wollen, um zu suggerieren – das geschah in vielen Artikeln, und auch die Presse hat das teilweise gemacht –, dass das die Mehrheit der Fälle wäre, dass ein Sicherheitsgurt also eigentlich mehr schaden würde. Die AfD versucht hier gerade genau das Gleiche bei den Coronaimpfungen. Ja, es gibt Nebenwirkungen, die man auch nicht verschweigen darf, aber die AfD versucht, zu suggerieren, dass es eine überwiegende Anzahl an Nebenwirkungen gibt, und das ist falsch. Das ist keine redliche wissenschaftliche Kommunikation. Dem müssen wir etwas entgegensetzen. ({0}) Es ist die Frage: Wie entsteht wissenschaftliche Evidenz? Wie kommen wir also zu solchen Erkenntnissen? Na ja, man guckt sich immer zwei Gruppen an. Man guckt sich an, wie die Dinge in der Gruppe aussehen, die es betrifft – in dem Fall also die Leute, die geimpft wurden –, und wie es mit den Nebenwirkungen in der Vergleichsgruppe aussieht. Dann muss man gucken, ob da tatsächlich ein Effekt zu beobachten ist. Man kann nicht einfach nur die erste Gruppe betrachten. – Und all das passiert. Wenn man Nebenwirkungen bei einer Coronaimpfung feststellt, dann gibt es sogar die Verpflichtung, das zu melden. Es ist sogar möglich – das haben Kolleginnen und Kollegen hier auch ausgeführt –, dass das jede einzelne Privatperson oder die Angehörigen über das Paul-Ehrlich-Institut machen. Das ist nicht versteckt, sondern es gibt das Portal, auf dem man das melden kann. Das kann man per Post, per Telefon, auf alle erdenklichen Wege machen. Man kann hier also nicht konstatieren – das ist genau das, was Sie hier versuchen –, dass es ein wirkliches Hindernis dafür gibt, diese Meldung vorzunehmen. Das stimmt nicht. Es haben viele Kolleginnen und Kollegen gesagt, dass das möglich ist. ({1}) Also: Wir haben hier kein Defizit der Erfassung und deswegen auch kein politisches Regelungsproblem. Ich würde die restliche Zeit gerne trotzdem nutzen. Viele Kolleginnen und Kollegen haben ja auch schon auf das Meldeportal verwiesen: Was passiert denn mit den Daten danach? Danach macht das Paul-Ehrlich-Institut Folgendes: Es verfasst einen Sicherheitsbericht. Eigentlich hätten Sie das in Vorbereitung auf Ihren Antrag lesen müssen, haben Sie anscheinend nicht gemacht. Ich habe das, wie viele Kolleginnen und Kollegen, heute noch mal gemacht. Das nennt man dann parlamentarische Serviceleistung, glaube ich. ({2}) Ich kann auf jeden Fall noch einen kleinen Lesetipp anschließen: Auf Seite 23 zum Beispiel finden Sie die Einschätzung, wie schwerwiegende Nebenwirkungen im Sinne der Coronaimpfstoffe definiert werden, und die Information, dass man da eine andere Definition nimmt, gerade weil man besonders vorsichtig ist im Vergleich zu früheren Impfstoffen, und schon allein deswegen die Zahlen nicht vergleichbar sind. Aber auch hier ist wieder nicht das Problem, dass diese Informationen nicht da sind, sondern einfach, dass Sie sich nicht die Mühe machen, diese Informationen zu suchen und zu finden. ({3}) Das heißt aber nicht, dass man behaupten darf, dass diese Informationen nicht existieren. Also: Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts auf Seite 23, einfach fürs nächste Mal. ({4}) Jetzt der Querverweis – den würde ich einfach noch mal machen, auch wenn das viele Kolleginnen und Kollegen schon gemacht haben –: ({5}) Warum ist das Ganze nicht mit den Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vergleichbar? Weil da eben alle Fälle eingegangen sind wie die, dass jemand nach der Impfung beim Arzt war, also auch, dass man zwei Tage lang krank war und sich eben nicht so gut gefühlt hat, was nach einer Impfung durchaus passieren kann und was nicht zu vergleichen ist mit wirklich schwerwiegenden Nebenwirkungen. Bei diesen schwerwiegenden Nebenwirkungen führt man eben genau diese Observed-versus-Expected-Analyse durch, also man guckt: Was würde in der Normalbevölkerung passieren, und was tritt in dieser Gruppe auf? Da sieht man nur für wenige Vorkommnisse, wie zum Beispiel die Lungenembolie, dass es tatsächlich ein gesteigertes Risiko gibt, und das wird transparent ausgewiesen. ({6}) Zusammenfassend lässt sich sagen: Wir haben kein Regelungsproblem. Es gibt nicht das Problem, dass Nebenwirkungen nicht erfasst werden können. Vielmehr kann das jede Privatperson melden; da gibt es überhaupt kein Problem. Wir sollten einfach dazu kommen, dass wir wissenschaftlich seriös kommunizieren. Dass wir uns natürlich auch über Risiken austauschen müssen und dass man wahrscheinlich dazu übergehen muss, dass man über solche Sachen, über medizinisches Wissen und Erkenntnisse insgesamt besser kommuniziert, das machen wir gerne. Aber es ist kein politisches Regelungsproblem. Hören Sie auf, so zu tun und es zu einem solchen zu machen! Vielen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Rudolph. – Ich bin ja schon schnell, aber Sie schlagen mich um Längen. Ich glaube, die Rede muss ich noch mal nachlesen. ({0}) Nächste Rednerin ist die Kollegin Simone Borchardt, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Simone Borchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005030, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das RKI unterscheidet zwischen Impfreaktionen, Impfkomplikationen sowie Impfschäden. Impfreaktionen – das wurde heute schon oft gesagt – sind Beschwerden wie Rötungen, Schwellungen. Sie sind nichts Ungewöhnliches, und es sind sogar erwünschte Reaktionen des Immunsystems. Dagegen sind Impfkomplikationen, gemeinhin auch als Impfnebenwirkungen bezeichnet, schwerwiegende und vor allen Dingen unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Sie sind da, dürfen nicht ausgeblendet werden. Wir müssen uns sachlich damit beschäftigen, wie Sie heute auch schon gesagt haben. Und vor allem: Sie sind meldepflichtig. Impfnebenwirkungen stehen seit Beginn der Pandemie immer wieder im Fokus, werden aber teilweise ignoriert und nicht ernst genommen. Das festzustellen, gehört zur Wahrheit dazu. So verwundert es nicht, dass viele Menschen verunsichert und vor allem auch besorgt sind. Wir müssen diese Sorgen ernst nehmen. Impfnebenwirkungen sind teilweise noch zu wenig erforscht, und es gibt keine ausreichende Sensibilität dafür und Fachkenntnis darüber. Das gilt offensichtlich auch für unseren Gesundheitsminister, der als Mediziner diese Impfnebenwirkungen anfangs ignoriert hat. ({0}) Vor Kurzem hat er seine Ansicht korrigiert und sagt jetzt: „In sehr seltenen Fällen“ können doch Nebenwirkungen auftreten. – Genau deshalb sind Transparenz und Aufklärung ganz wichtig. Daran hat es in den vergangenen Monaten wirklich gehapert. ({1}) Sehr verehrte Damen und Herren, ich befinde mich mit vielen Ärztinnen und Ärzten in einem sehr engen Austausch. Immer wieder wird auch von schwerwiegenden Impfnebenwirkungen berichtet. Es wird auch davon berichtet, dass viele Kolleginnen und Kollegen nicht die Zeit für ein aufwendiges Meldeverfahren haben; und es ist nicht nur die Zeit. Ehrlicherweise muss man sagen: Es wird auch nicht honoriert. In Vorbereitung auf den Herbst ist es wichtig, genügend Kapazitäten und Ressourcen für die aufmerksame und sorgfältige Erfassung von Impfnebenwirkungen bereitzustellen. ({2}) Der Gesundheitsminister muss sich endlich diesem Problem und vor allem diesem Prozess stellen, und er muss reagieren. Da reicht auch nicht ein Flyer zum Downloaden oder ein Meldeformular, das heute schon so oft genannt wurde; denn das muss man ausdrucken, ausfüllen, faxen und Ähnliches. Das ist kein vernünftiger Weg. ({3}) Zur Transparenz und Glaubwürdigkeit gehört es, dass potenzielle Impfnebenwirkungen, die es ja nun mal gibt, und Impfschäden wirklich und sachlich ernst genommen werden, nicht mehr ignoriert werden, besser erforscht werden und vor allen Dingen letzten Endes ordentlich und unkompliziert erfasst werden können. ({4}) Panik machen und Ängste schüren hilft in diesen Zeiten auch nicht, ganz im Gegenteil. Bezug nehmend auf den Herbst kann ich nur sagen: Die einen Menschen haben Angst vor der Impfung und die anderen vor der Krankheit. Da wir mündige Bürger haben, soll bitte jeder selbst entscheiden, welchen Weg er gehen möchte. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Borchardt. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Professor Armin Grau, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Prof. Dr. Armin Grau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! ({0}) Die Coronapandemie ist eine schreckliche Bürde für uns alle: mehr als 140 000 Tote in Deutschland, viele schwer Erkrankte, eine hohe Prävalenz von Long Covid. Corona ist eine Zumutung für uns alle. Umso weniger haben wir es verdient, dass Sie von der AfD uns irreführende Anträge wie den vorliegenden zumuten. ({1}) In diesen schweren Zeiten ist es ein Segen, dass wir so schnell hochwirksame Impfstoffe hatten. Wissenschaftler aus London haben errechnet, dass weltweit im ersten Jahr der Pandemie rund 31 Millionen Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus zu erwarten gewesen wären. Davon haben die Impfungen knapp 20 Millionen Todesfälle verhindert. Welch ein Glück für uns, diese Impfstoffe so schnell gehabt zu haben! ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?

Prof. Dr. Armin Grau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, nein. ({0}) Ich habe selbst als Arzt in der Klinik sehr schwere und tödliche Verläufe der Covid-Erkrankung erlebt und bin deswegen so dankbar, dass durch die Impfungen der Verlauf der Krankheit deutlich abgeschwächt und im Übrigen auch die Weitergabe der Krankheit reduziert werden konnte. Alles, was Wirkung erzielt in der Medizin, hat auch Nebenwirkungen. Das Prinzip „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“ gibt es leider auch in der Medizin nicht. ({1}) Nach den Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung haben bei 172 Millionen Impfungen knapp 2,5 Millionen Patienten von Impfreaktionen berichtet. Sie von der AfD verwechseln aus purer Unkenntnis Nebenwirkungen mit leichten Impfreaktionen, über die die Patienten berichtet haben. Die Rate dieser Impfreaktionen ist wirklich nicht hoch und kein Grund zur Dramatisierung. Anders als die AfD ausführt, sind die Daten des Paul-Ehrlich-Instituts die wirklich aussagekräftigen, da sie sich entsprechend dem Infektionsschutzgesetz auf den „Verdacht einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung“ beziehen. Was das übliche Maß ist, wurde auch klar definiert. Der Antrag der AfD suggeriert, es gebe keine validen Daten zu Impfnebenwirkungen. Sie sprechen von einem „Blindflug“, Herr Sichert. Dabei sind Sie es, die blind sind für die Daten und Fakten hier. ({2}) Das Meldewesen in Deutschland funktioniert. Das Paul-Ehrlich-Institut meldet für 2021 eine Rate schwerwiegender Reaktionen von 0,02 Prozent. Wirklich schwere Nebenwirkungen wie eine Herzmuskelentzündung oder eine generalisierte Nervenlähmung, Guillain-Barré-Syndrom , sind glücklicherweise sehr, sehr selten. Alle Verantwortlichen haben ein waches Auge auf Impfnebenwirkungen. Da wird nichts bagatellisiert, insbesondere nicht von der Ampelkoalition oder der Bundesregierung. Mir als Arzt und Wissenschaftler ist ein sachlicher Blick auf die Datenlage wichtig. Der vorliegende Antrag reiht sich leider nahtlos ein in die Desinformationskampagne bezüglich der Impfung seitens der AfD. Dadurch nehmen Menschen indirekt Schaden, weil sie getäuscht werden und sich eventuell nicht impfen lassen. ({3}) Kurzum, meine Damen und Herren der AfD-Fraktion: Ihr Antrag ist völlig deplatziert. Vielen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Professor Grau. – Die AfD-Fraktion hat um eine Kurzintervention gebeten, die ich zulasse. Bitte, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Kay Uwe Ziegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005265, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, dass Sie die Zwischenintervention zulassen. – Ich habe an Sie nur eine Frage. Sie sagten eben in der Einleitung zu Ihrer Rede, dass Sie die Impfung für sehr wirksam halten. Ich habe für Sie folgende Frage: Die Sieben-Tage-Inzidenz heute beträgt 678 laut RKI, vor einem Jahr lag sie am selben Tag bei 4,9, und im Jahr davor lag sie bei 2,9. Können Sie mir bitte aus medizinischer Sicht erklären, wie man nach anderthalb Jahren Impfkampagne zu so einer Inzidenz kommt und was das mit einer sicheren und zuverlässigen Impfung zu tun hat? Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Professor Grau, Sie können antworten, müssen aber nicht. Aber Sie wollen antworten; das verstehe ich.

Prof. Dr. Armin Grau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich gebe darauf durchaus eine Antwort.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Gut.

Prof. Dr. Armin Grau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Antwort ist ganz einfach, und wer in den letzten Monaten die Fakten verfolgt hätte, die Presse und vor allem auch wissenschaftliche Publikationen ab und zu gelesen hätte, der wüsste die Antwort: Wir haben Immun-Escape-Varianten. Wir haben tatsächlich eine Situation, in der die Impfstoffe weniger gut wirken. ({0}) Sie wirken aber nach Boosterimpfung sehr gut. Vor allem machen sie eines: Sie vermindern schwere Verläufe, und sie mindern Todesraten in erheblichem Maße. Das ist wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis. ({1}) Die ignorieren Sie die ganze Zeit über, und das ist ganz falsch. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

So, damit ist das beantwortet. – Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Erich Irlstorfer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Erich Irlstorfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004311, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man sieht in dieser Debatte, dass hier Menschen verunsichert werden. Ich kann uns allen nur raten, dass wir verbal abrüsten, dass wir uns an Fakten halten, dass wir die Dinge, die es gibt, auch nennen. Die Dämonisierung einer Impfung ist genauso falsch wie eine Verharmlosung. Deshalb ist es wichtig, dass wir beraten, dass wir aber auch jedem einzelnen Menschen die Möglichkeit geben, sich ordentlich beraten zu lassen und dann für sich selbst zu entscheiden. Es ist klar, dass es viele Menschen gegeben hat, die von der Impfung profitiert haben – die schweren Verläufe wurden gerade angesprochen –; das ist nachgewiesen, das ist so. Aber natürlich gibt es auch Menschen, die durch die Impfung Leid erlitten haben; auch das gehört dazu. Und wenn Sie ein Betroffener sind – ich habe da auch viele Anrufe bekommen – und Sie durch eine Impfung erkrankt sind, dann sehen Sie das ganz anders. Ich glaube, es ist notwendig, dass wir das ernst nehmen, und ich glaube auch, dass wir uns immer wieder verbessern müssen, auch was das Meldewesen betrifft. ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brauchen hier auf jeden Fall Transparenz. Transparenz ist der Schlüssel zum Erfolg, dass uns die Menschen glauben. Ich glaube – wir haben das ja auch gesehen –, dass Wissenschaft und Forschung Impfstoffe in kurzer Zeit auf den Markt bringen können und dass sie vielen, vielen Millionen Menschen auch geholfen haben. Trotzdem dürfen wir das andere nicht aus den Augen verlieren. Das Paul-Ehrlich-Institut hat eine robuste epidemiologische Studie angekündigt, die es durchführen will. Dazu möchte ich noch anfügen: Sie muss flächendeckend sein, sie muss belastbar sein, und sie muss transparent sein. Egal ob Regierung oder Opposition: Es muss unser Ziel sein, für den Herbst, für den Winter und danach, aber auch jetzt, in dieser Welle, zu schauen, dass die Menschen nicht zu Schaden kommen. Das ist unser politischer Auftrag. Dazu, glaube ich, sind wir alle bereit. Herzlichen Dank. ({1})