Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen! Liebe Zuschauer! Wir beraten heute abschließend über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Strafgesetzbuches, Aufhebung des Verbots der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch, zur Änderung des Heilmittelwerbegesetzes und zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch. Das klingt maximal technisch. Das klingt maximal abstrakt. In Wahrheit geht es hier aber um etwas sehr Bedeutendes, etwas sehr Konkretes und etwas sehr Dringliches, meine Damen und Herren.
({0})
Wir leben heute in der digitalen Moderne, und das bedeutet: Wenn sich eine junge Frau mit der schwierigen Frage eines möglichen Schwangerschaftsabbruchs beschäftigt, dann wird sie sich in aller Regel Informationen im Internet beschaffen.
({1})
Das ist das niedrigschwelligste Angebot. Das ist niedrigschwelliger, als sich einem anderen Menschen, vielleicht einem völlig Fremden, zu offenbaren. Und im Internet kann jedermann, selbst jeder Troll und jeder Verschwörungstheoretiker, alles Mögliche über Schwangerschaftsabbrüche verbreiten. Aber dass wir hochqualifizierten Ärztinnen und Ärzten, die solche Eingriffe vornehmen, bei Kriminalstrafe verbieten, dort sachliche Informationen bereitzustellen, das ist absurd, das ist aus der Zeit gefallen, das ist ungerecht. Deshalb beenden wir diesen Zustand.
({2})
Viele haben mir durchaus vorwurfsvoll die Frage gestellt, warum ich entschieden habe, dieses Gesetzgebungsverfahren zu einem der ersten Gesetzgebungsverfahren dieser Bundesregierung und auch zum ersten Gesetzgebungsverfahren meines Hauses zu machen.
({3})
Die Antwort auf diese Frage ist ganz einfach: Es ist höchste Zeit, meine Damen und Herren.
({4})
Es ist höchste Zeit, weil jede weitere Verurteilung von Ärztinnen und Ärzten eine Verurteilung zu viel ist. Und die Mehrheit zur Änderung des Rechts war schon längst da. Die Arbeit hätte schon längst im letzten Deutschen Bundestag erledigt werden sollen.
({5})
Das ging damals nicht aus koalitionspolitischen Gründen. Aber jetzt, wo die Mehrheit der Fortschrittskoalition da ist, ist es unsere Aufgabe, sie auch zu nutzen, um das Recht auf die Höhe der Zeit zu bringen.
({6})
Ich möchte zwei Sorgen nehmen, die in diesem Zusammenhang immer wieder artikuliert werden.
Es wird zum einen immer wieder die Sorge geäußert, dass dadurch der Schutz des ungeborenen Lebens und das Schutzkonzept des Bundesverfassungsgerichts berührt würden. Aber das Schutzkonzept des Bundesverfassungsgerichts schlägt sich in § 218 nieder.
({7})
Der wurde 1995 nach einem Gruppenantragsverfahren hier im Deutschen Bundestag neu gefasst. § 219a dagegen geht auf quälende Debatten im Kaiserreich, in der Weimarer Republik zurück und wurde letztlich 1933 im Zuge der ersten nationalsozialistischen Strafrechtsreform eingeführt. Schon diese Unterschiede zeigen, dass man den Schutz des ungeborenen Lebens in § 218 und das Informationsverbot für Ärztinnen und Ärzte streng auseinanderhalten muss, meine Damen und Herren.
({8})
Es wird auch keine kommerzialisierende und banalisierende Werbung geben. Dem steht das Berufsrecht der Ärztinnen und Ärzte entgegen. Und wir haben den Schwangerschaftsabbruch auch in das Heilmittelwerbegesetz aufgenommen und damit Sorge dafür getragen, dass das nicht passieren kann.
Ich möchte mich an dieser Stelle bedanken, bei den Beamtinnen und Beamten meines Hauses, bei den Kolleginnen und Kollegen der Bundesregierung, die geholfen haben, dass wir schnell zu einem guten Gesetzentwurf der Bundesregierung kommen, und bei den Berichterstatterinnen und Berichterstattern dieses Hauses für die guten Beratungen.
Ich werbe für diesen Entwurf. Es ist Zeit für mehr Vertrauen in Ärztinnen und Ärzte, und es ist Zeit für mehr Informationsfreiheit für Frauen.
Herzlichen Dank.
({9})
Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Elisabeth Winkelmeier-Becker.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundesminister, laut Koalitionsvertrag haben Sie sich vorgenommen, wissenschaftliche Evidenz und Evaluierung von Gesetzen zum Maßstab für Ihre Kriminalpolitik zu machen. Mit dem Gesetzentwurf zur Streichung von § 219a StGB werden Sie diesem selbstgesetzten Anspruch nicht gerecht. Es gibt keine Evaluation.
({0})
Sie warten noch nicht einmal die ELSA-Studie ab, die zeitgleich im Bundesministerium für Gesundheit erstellt wird und die doch genau in den Blick nimmt, ob es ausreichende Beratung gibt bzw. wo es Defizite gibt. Alldem greifen Sie vor. Das ist nicht an Evidenz orientiert.
({1})
Einen objektiven Grund für Eile sehe ich auch nicht. Ich habe eher den Eindruck, dass es Ihnen darum geht, hier zusammen ein Erfolgserlebnis zu produzieren, weil Sie an anderen Stellen mit vielen Problemen zu tun haben, was sicherlich auch verständlich ist.
({2})
Es geht hier mehr um interne Gruppendynamik Ihrer Koalition.
({3})
Dabei ist klar: Eine ungewollte Schwangerschaft führt dazu, dass eine Frau auf der einen Seite massiv betroffen ist in ihren Grundrechten, in ihrer Selbstbestimmung. Wir haben auf der anderen Seite den Grundrechtskonflikt mit dem Menschenrecht auf Leben, mit dem Lebensrecht des Kindes. Das kann nicht in einem klassischen Kompromiss aufgelöst werden; es geht immer um alles oder nichts.
({4})
Jeder kann die Situation der Frau nachempfinden, denn wahrscheinlich hat jeder auch in seinem persönlichen Umfeld einmal eine solche Situation erlebt. Aber wir denken eben auch an das Lebensrecht des Kindes, und das ist der maßgebliche Unterschied, den ich zwischen uns sehe.
({5})
Das ist der maßgebliche Grund, weshalb wir an der geltenden Regelung festhalten wollen.
({6})
Aus den Reihen der Koalition gab es sowohl hier im Plenum als auch in den Social Media viele Beiträge, in denen das Kind keine Rolle spielt.
({7})
Ich muss sagen: An dieser Stelle kommen wir nicht zusammen.
({8})
Wir erleben gerade mit Blick auf die USA, auf Polen, wie dieser Konflikt eskalieren kann.
({9})
Wir haben ihn ja vor vielen Jahren auch bei uns gehabt. Die geltende Regelung, die wir jetzt in Deutschland haben, ist gut, der sogenannte dritte Weg,
({10})
der auf Rita Süssmuth zurückgeht und vom Bundesverfassungsgericht dann noch weiterentwickelt worden ist. Diese Regelung besagt, dass im Verfahren dafür gesorgt werden muss, dass die Rechte des Kindes auch gegenüber denen der Frau berücksichtigt werden. Das ist das wirksame Schutzkonzept, das das Bundesverfassungsgericht an dieser Stelle verlangt.
({11})
Im Mittelpunkt steht die Beratung, ergänzend kommt dazu das Werbeverbot. Denn es geht auch darum – auch das sagt das Bundesverfassungsgericht ganz ausdrücklich –, dass das Bewusstsein, dass das Gespür für das Lebensrecht des Kindes auch im allgemeinen Bewusstsein der Gesellschaft erhalten bleiben muss.
({12})
Dafür ist das Werbeverbot ein wesentlicher Faktor; denn es geht keineswegs nur um die Frage sachlicher Information
({13})
auf den Homepages der Ärzte.
({14})
Darum geht es nicht. Das sind immer die Beispiele, die gebracht werden. Aber es geht um viel mehr.
({15})
Mit der kompletten Streichung von § 219a ermöglichen wir auch Werbung, proaktive Werbung im Internet oder möglicherweise auch in Zeitschriften.
({16})
Und das suggeriert dann eben, dass es um eine ganz normale ärztliche Behandlung geht, bei der es nur um das Wohl und Wehe der Patientin, des Patienten geht. Genau das, lieber Herr Bundesminister Buschmann, ist der Unterschied.
({17})
Genau diese zusätzliche Aussage, die in der Werbung, die in der Kombination von Angebot und Information liegt, ist das, was sich dann hinterher auch auf das allgemeine Bewusstsein auswirkt.
({18})
Das Narrativ, dass es hier ein Defizit an Informationen gäbe, ist falsch; es ist Unsinn.
({19})
Denn die Realität ist doch,
({20})
dass jede Frau jede Information im Netz oder an anderer Stelle frei zugänglich finden kann.
({21})
Das ist auch in Ordnung so, dagegen spricht überhaupt nichts. Geben Sie doch einmal die Suchbegriffe „Abtreibung“ oder „ungewollt schwanger“ bei Google ein. Sie kriegen alle Informationen über Methoden, über die Entwicklung des Kindes und alles, was dazugehört.
({22})
Wenn es hier ein Defizit gäbe, dann hätte der Bundesgesundheitsminister es in der Hand, zum Beispiel das Angebot der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung noch besser zu machen.
({23})
Deren Homepage ist immer einer der ersten Treffer, wenn Sie eine Google-Suche machen. Das ist auch völlig in Ordnung so.
({24})
Das heißt, dass jede Information ganz leicht zugänglich ist. Es ist offenbar falsch, dass relevante Informationen vorenthalten würden.
Wir haben an einem anderen Punkt keinen Dissens: Ärzte und Ärztinnen müssen im Rahmen der Beratungslösung oder bei einer Indikation ohne strafrechtliches Risiko Schwangerschaftsabbrüche durchführen können. Es gehört zum Konzept der offenen Beratung, dass dann, wenn sich die Frau für den Abbruch entscheidet, dieser auch durchgeführt und medizinisch korrekt umgesetzt wird. Das setzt voraus, dass es auch Ärzte gibt, die das machen. Das ist völlig in Ordnung.
({25})
Aber es ist auch zumutbar, dass Arztpraxen bei einem Konflikt, bei dem Grundrechte auf beiden Seiten auszugleichen sind, auf Werbung verzichten
({26})
und nur den Weg über andere Ärzte und über die Beratungsstellen statt über offene Werbung gehen. Das ist ein sehr, sehr kleiner Eingriff in die Berufsfreiheit und mit Sicherheit verfassungsgemäß.
({27})
Wir lehnen es außerdem ab, dass Sie mit dem Gesetzentwurf rechtskräftige Urteile seit Oktober 1990 pauschal kassieren wollen.
({28})
Anscheinend wurde nicht einmal überprüft – jedenfalls steht nichts dazu in der Gesetzesbegründung –, welche Fälle das waren
({29})
und ob sie denn dann nach den neuen Regeln überhaupt straffrei wären. Es kommt bei gesellschaftlichen oder politischen Veränderungen durchaus immer mal wieder vor, dass Handlungen, die früher strafrechtlich sanktioniert wurden, nicht mehr für strafrechtlich relevant gehalten werden. Trotzdem dürfen dann rechtskräftige Urteile nicht einfach aufgehoben werden.
({30})
Da gibt es eine sehr, sehr hohe Hürde. Da geht es zum Beispiel um nationalsozialistisches Unrecht, SED-Unrecht
({31})
oder wie in letzter Zeit um Verurteilungen nach § 175 StGB. Das waren Ausnahmen, die Urteilsaufhebungen gerechtfertigt haben, aber damit kann § 219a nun sicherlich nicht verglichen werden.
({32})
Diese Norm wurde unter verschiedenen Regierungen einschließlich der sozialliberalen Koalition und auch unter Rot-Grün nicht angetastet.
({33})
Sie wurde durchgehend beibehalten. Wir können hier somit sicherlich nicht sagen, dass ein solches Unrecht vergleichbar ist mit den Urteilen, die kassiert werden können.
({34})
Wir wissen, dass Frauen sich die Entscheidung nicht leicht machen. Wir sollten sie in dieser Entscheidung unterstützen, ihnen helfen, am besten so,
({35})
dass wir sie ermutigen, sich für das Kind zu entscheiden.
({36})
In jedem Fall sollten wir helfen, unterstützen und Verständnis zeigen. Für uns heißt das heute, dass wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Danke schön.
({37})
Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dirk Wiese.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Die Abschaffung des § 219a Strafgesetzbuch durch die Ampelkoalition ist ein wichtiger Schritt zu mehr Rechtssicherheit bei Ärztinnen und Ärzten und zu einem verbesserten Zugang von Frauen zu Beratung und Betreuung, ja, zu dem Zugang zu Informationen.
({0})
Wir setzen heute eine wichtige Vereinbarung unseres Koalitionsvertrages um und folgen damit auch der Forderung einer breiten Mehrheit in der Bevölkerung. Ich sage es ganz offen hier: Das ist gut so. Gut, dass wir das als Ampelkoalition heute voranbringen!
({1})
Die letzten Jahrzehnte – da müssen wir ehrlich sein – sind von einer deutlichen und nüchternen Wahrheit geprägt: Verbote führen bei einer so wichtigen und persönlichen Entscheidung nicht weiter. Verbote führen nur dazu, dass es betroffenen Frauen schwerer gemacht wird, selbstbestimmt für sich und ihre Familie zu entscheiden. Und damit muss heute Schluss sein.
({2})
Kolleginnen und Kollegen, unser heutiger Beschluss ist das Ergebnis von Diskussionen, Engagement und, ja, auch Streit. Dabei ist die Diskussion genauso alt wie der Abschnitt im Strafgesetzbuch selbst. Seit der Einführung der entsprechenden Paragrafen in das Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches – Bundesjustizminister Buschmann hatte darauf hingewiesen – wird über Sinn und Unsinn gestritten. Es waren schon vor über 100 Jahren SPD-Politikerinnen und -Politiker
({3})
um den späteren Justizminister Gustav Radbruch, die sich für Selbstbestimmung und einen verantwortungsvollen Umgang mit diesem sensiblen Bereich eingesetzt haben. Sie wussten schon damals, dass restriktive Gesetzgebung eben nicht zu mehr Schutz des ungeborenen Lebens führt, sondern zur Pönalisierung armer und mittelloser Frauen, die sich keine verschwiegenen Privatärzte, schon damals in teuren Sanatorien, leisten konnten.
({4})
Wenn ich mir die Aussagen einiger Kollegen und Kolleginnen heute vergegenwärtige, dann – ich muss es so deutlich sagen – habe ich manchmal den Eindruck: Der eine oder die andere ist gesellschaftspolitisch vor 100 Jahren stehen geblieben.
({5})
Ich kann nur sagen: Schlagen Sie auch in der Opposition endlich ein neues Kapitel auf! Diese Diskussion kann man nur mit den betroffenen Frauen gemeinsam führen und nicht gegen sie.
Es war übrigens schon die sozialliberale Koalition unter Willy Brandt,
({6})
die Beratungen über die Neufassung dieses Abschnitts eingeleitet hatte und gemeinsam mit den Frauenrechtsbewegungen schon damals nach Wegen und Lösungen gesucht hat. Es war dann die Wiedervereinigung, die zu einer großen Herausforderung auf diesem Gebiet geführt hat. Ich erinnere nur daran, dass es galt, die in Ostdeutschland geltende Fristenregelung mit der im Westen praktizierten Indikationsregelung zu vereinen. Das war nicht einfach. Aber ich bin dankbar, dass diese Debatte damals wie heute – ja – leidenschaftlich, kontrovers, aber meistens auch immer mit Respekt geführt worden ist.
({7})
Mir persönlich zollt es Respekt ab, wie würdevoll viele Frauen diese Diskussionen führen konnten, während andere meinten, Entscheidungen über ihre Selbstbestimmung hinweg treffen zu müssen.
({8})
Diesen Respekt empfinde ich auch für Ärztinnen und Ärzte, die sich in den vergangenen Jahren für einen ungehinderten Zugang von Frauen zu Informationen zum Schwangerschaftsabbruch eingesetzt haben. Mit ihnen teilen wir die Überzeugung, dass betroffene Frauen und ihre Familien das Recht auf professionelle Beratung und Unterstützung durch behandelnde Ärztinnen und Ärzte haben. Und der heutige Tag ist auch ihr Verdienst. Ich bin dankbar, dass sie heute dieser Debatte beiwohnen.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte zum Schluss auch Elfriede Hoffmann, Inge Wettig-Danielmeier, Elke Ferner und Eva Högl stellvertretend für viele weitere Genossinnen danken,
({10})
die sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten unermüdlich für die Selbstbestimmung der Frauen in diesem Land eingesetzt haben. Auch ihr Einsatz trägt heute zur Streichung des § 219a StGB bei.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({11})
Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Thomas Seitz.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In der ersten Lesung hatten wir schnell Gewissheit, dass das Werbeverbot für Abtreibung nur aufgehoben werden soll, um das Verbot der Abtreibung selbst infrage stellen zu können.
({0})
Nach feministischen Phrasen wie der, dass man Frauen die Hoheit über ihren Körper zurückgebe, hat es Familienministerin Paus unverblümt ausgesprochen – Zitat –:
Deshalb wollen wir auch einen zweiten Schritt gehen und eine Regelung für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des StGB treffen.
Im Klartext: grundsätzliche Straflosigkeit für alle Abtreibungen.
({1})
Ohne Not zerstört die Koalition einen für viele Menschen ohnehin nur schwer erträglichen Kompromiss; denn angesichts von rund 100 000 offiziell gemeldeten Schwangerschaftsabbrüchen pro Jahr stellt sich doch allenfalls die Frage, wie das Lebensschutzkonzept verbessert werden kann, und nicht die, wie man es zerschlägt.
({2})
Wenn klar ist, dass die Aufhebung des § 219a nur ein Vorwand ist, dann versteht man plötzlich den Sinn dieser Debatte, bei der es gerade nicht um Aspekte wie Rechtssicherheit, Informations- oder Beratungsdefizite oder eine eingeschränkte Versorgung geht. Das ist nur Ihr Vorwand.
({3})
Bei der Anhörung im Ausschuss hat mich die Sachverständige Frau Professorin Angela Köninger beeindruckt: einerseits Lehrstuhlinhaberin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, andererseits Direktorin eines Perinatalzentrums mit über 3 500 Geburten pro Jahr.
({4})
Sie hat überzeugend dargelegt, dass es eben gerade kein Informationsdefizit gibt,
({5})
vielmehr ein Wegfall von § 219a ein Dammbruch wäre. Und sie hat auch erklärt, warum viele Ärzte keine Abtreibungen durchführen: nicht aus Angst vor dem Strafrecht, sondern weil es ihnen schwerfällt, gesunde und lebensfähige Kinder im Mutterleib zu töten,
({6})
während sie in anderen Fällen darum kämpfen, Kinder zu retten, die gerade einmal 300 Gramm wiegen.
({7})
In rechtlicher Hinsicht gibt es zunächst keinen verfassungsrechtlichen Handlungsbedarf. Möglich wäre es, den Anwendungsbereich einzuschränken, nicht aber die Vorschrift völlig aufzuheben, weil der Gesetzentwurf zu einem unauflösbaren Wertungswiderspruch führt.
Es gibt außerdem auch einen Zusammenhang zwischen Werbeverbot und Beratungskonzept; denn dieses ergebnisoffene, aber auf das Leben gerichtete Beratungskonzept wird durch den Wegfall des Werbeverbots unterminiert. Richtig ist, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Grundsatzentscheidung § 219a nicht erwähnt hat. Der Grund liegt jedoch darin, dass diese Vorschrift auch nicht Gegenstand des Verfahrens war.
Es handelt sich auch nicht um ein kontaminiertes Relikt aus der NS-Zeit; denn anderenfalls hätte 1976 die sozialliberale Koalition diese Vorschrift bei der Verschiebung von damals § 219a zu § 219b wohl kaum mit nur geringfügigen Änderungen inhaltlich aufrechterhalten.
({8})
Aber es braucht dieses Märchen, um die Aufhebung aller hierzu ergangenen Urteile scheinbar zu rechtfertigen, in Wahrheit aber die Gewaltenteilung in verfassungswidriger Weise zu durchbrechen.
Zum Recht der Frau auf sexuelle Selbstbestimmung gehört auch, eigenverantwortlich Sorge dafür zu tragen, dass sie nicht schwanger wird, wenn sie das nicht will.
({9})
Aber das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung in dieser Diskussion als Rechtfertigung für die vorsätzliche Tötung gesunden, ungeborenen Lebens heranzuziehen, macht deutlich, dass für Sie der Schutz des ungeborenen Lebens überhaupt keinen Stellenwert hat.
({10})
Niemals hat Deutschland eine Willkommenskultur für ungeborene Kinder dringender gebraucht als unter dieser Regierung.
({11})
Vielen Dank.
({12})
Nächste Rednerin: für die Bundesregierung die Bundesministerin Lisa Paus.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuschauende! Heute ist ein großartiger Tag,
({0})
für die Ärztinnen und Ärzte, aber vor allen Dingen für alle Frauen in diesem Land. Ein Tag, an dem ich voller Empathie auch an all die Frauen denke, die jahrzehntelang – exakt 89 Jahre lang – an den Folgen dieses Gesetzes gelitten haben und bis heute unter den schweren Folgen des sogenannten Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche leiden,
({1})
allein weil sie nicht den Zugang zu den Informationen erhalten haben, auf die sie ein Recht haben, nämlich das Recht auf ärztliche Auskunft, wie sie unter dem Schutz ihrer Gesundheit eine ungewollte Schwangerschaft beenden können.
({2})
Ausgerechnet dieses Recht hat der § 219a vereitelt.
Um Werbung allerdings, wie es dieser Paragraf formuliert, ging es eben nie, meine Damen und Herren.
({3})
Ungewollt schwangere Frauen suchten vielmehr Rat, und Ärztinnen und Ärzte wollten aufklären über verschiedene Methoden und Medikamente, über Vorzüge, über Risiken und auch über Komplikationen – je nach körperlicher und seelischer Verfassung der Schwangeren.
Der § 219a hat stattdessen erstens ein zutiefst menschliches Ereignis, nämlich eine ungewollte Schwangerschaft, unmenschlich sanktioniert und bestraft.
({4})
Zweitens hat er sich gezielt über wissenschaftliche Forschung und über medizinische Standards erhoben. Auch Juristinnen und Juristen halten den § 219a schon lange für überkommen; aber sie müssen bis zum heutigen Tage dieses Recht anwenden. Drittens hat dieser Paragraf der guten medizinischen Beratung und Versorgung von Schwangeren eben auch unnötig Steine in den Weg gelegt. Mit alldem wird nun endlich Schluss sein, meine Damen und Herren.
({5})
Mit der Abschaffung des § 219a endet endlich die jahrzehntelange Stigmatisierung und Kriminalisierung von Ärztinnen und Ärzten. Das Signal an sie lautet heute: Sie können endlich beraten und aufklären, wie sie es für richtig und wie sie es für geboten halten.
({6})
Gesundheit und Selbstbestimmung von Frauen sind Menschenrechte. Wir machen heute genau dafür den Weg frei.
Und ja, ich finde, im Jahr 2022 muss man auch über den § 218 reden. Deswegen wird diese Bundesregierung eine Kommission dafür einrichten.
({7})
Im Übrigen halte ich es nur für folgerichtig, dass im Medizinstudium künftig auch die Methoden eines Abbruchs gelehrt werden – medizintechnisch und medikamentös.
({8})
Denn frauenärztliche Versorgung ist mehr als Ultraschall, als Kreißsaal und als Krebsvorsorge.
Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete, wir haben gemeinsam für die Abschaffung des § 219a gestritten, auch gemeinsam mit Gästen heute auf der Tribüne. Ein ganz großes Dankeschön an die Bündnisse von Pro Choice, an die Ärztinnen und Ärzte, an pro familia, an die AWO, an den djb und an viele andere. Sie haben über Jahre gekämpft. Sie haben sich anfeinden und bedrohen lassen. Sie mussten Prozesse führen. Doch immer haben sie an der Seite der Frauen gestanden, die den Weg zu ihnen gesucht haben.
({9})
Sie haben allen Parteien Druck gemacht, und dank ihres bewundernswerten Einsatzes dürfen sich Frauen künftig darauf verlassen, endlich sachkundig beraten und unterstützt zu werden. Ein großes Dankeschön!
({10})
Ich freue mich aus tiefstem Herzen, dass die Koalition aus SPD, Grünen und FDP nun den Weg frei macht für sie, für ihre Patientinnen und für alle Frauen in Deutschland.
Danke schön.
({11})
Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Heidi Reichinnek.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin! Ja, heute ist ein großartiger Tag, weil wir endlich § 219a Strafgesetzbuch abschaffen.
({0})
Seit über 90 Jahren sorgt dieser Paragraf dafür, dass Informationen über Schwangerschaftsabbrüche strafbar sein können. Dieser Paragraf ist damit nichts anderes als Schikane von Schwangeren und Ärztinnen und Ärzten, nichts anderes als eine Entmündigung von Frauen
({1})
und nichts anderes als ein Versuch, Frauenkörper zu kontrollieren.
({2})
Dass § 219a heute endlich verschwindet, ist ein hart erkämpfter und längst überfälliger Schritt.
({3})
Trotz aller Genugtuung ist es aber nur ein erster Schritt.
({4})
Denn das Grundproblem ist und bleibt die Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen im Strafgesetzbuch, konkret in § 218. Der besagt, dass Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich strafbar sind und nur unter der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen straffrei bleiben. Das ist ein Skandal. Die Kriminalisierung von Schwangeren und Ärztinnen und Ärzten muss endlich aufhören.
({5})
Wir müssen nach § 219a endlich auch § 218 abschaffen. Das fordert auch unser Antrag.
({6})
Ein Schwangerschaftsabbruch auf Wunsch der Betroffenen ist keine Straftat.
({7})
Ich kann das gar nicht oft genug sagen.
Wir waren hier auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik auch schon mal weiter: In der DDR gab es ab den 70er-Jahren eine deutlich – Achtung, liebe FDP – liberalere Lösung. Bis zur zwölften Woche konnte sich eine Frau selbstständig nach einem Gespräch mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin für einen Abbruch entscheiden. Jetzt wird sie zur externen Zwangsberatung geschickt und muss mindestens drei Tage auf den eigentlichen Eingriff warten.
({8})
Der Eingriff und die Nachversorgung wurden damals von der Krankenkasse bezahlt. Heute kostet ein Eingriff mehrere Hundert Euro. Abbrüche konnten in zahlreichen Praxen durchgeführt werden. Es gab freie Ärztinnen- und Ärztewahl. Heute müssen Frauen teils 200 Kilometer und mehr fahren, um Ärztinnen und Ärzte zu finden, die einen Abbruch überhaupt anbieten. Ja, natürlich waren die Verhütungsmittel kostenlos und nicht nur Aufgabe der Frauen.
({9})
Leider blieb es nicht bei dieser selbstbewussten und selbstbestimmten Entscheidungsmöglichkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Schwangerschaftsabbrüche werden immer stattfinden. Die Frage ist, wie sicher sie sind und wie stark die Belastung für die Betroffenen ist. Die gesellschaftliche Stigmatisierung, die durch die Strafbarkeit verfestigt wird, muss endlich gebrochen werden. Warum gibt es denn so wenig Ärztinnen und Ärzte, die den Eingriff anbieten?
({10})
Warum wird das denn nicht in den Lehrplänen aufgenommen? Warum erzählen mir denn so viele Frauen davon, dass sie eben nicht wussten, was während der Prozedur in ihrem Körper vorgeht? Warum waren sie schockiert von den Folgen dieser medikamentösen Abtreibung? Weil sie keine Informationen gefunden haben, keine vernünftigen Informationen. Das kann einfach nicht wahr sein.
({11})
Aber gut, ich weiß, Sie würden sich hier lieber die Zunge abbeißen, als zuzugeben, dass die DDR uns gesellschaftspolitisch doch da einen Schritt voraus war.
({12})
Werfen wir mal einen Blick über die Grenzen: In Schweden können Frauen bis zur 18. Woche, in Dänemark bis zur 12. Woche, ohne irgendwelche Voraussetzungen zu erfüllen, einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen. Ähnliche Regelungen gibt es in 20 weiteren europäischen Ländern – nichts mit Strafgesetzbuch. Irland hat sich von einem der restriktivsten Länder zu einem der liberalsten gewandelt. Wir sehen also: Änderung ist möglich; man mag es kaum glauben.
({13})
Auch in Spanien werden die reproduktiven Rechte der Frauen gestärkt. Abgesehen davon, dass Abbrüche dort sowieso bis zur 14. Woche legal sind, sollen sie jetzt auch in allen staatlichen Krankenhäusern durchgeführt werden, und die dreitägige Wartezeit wird entfallen. Und in Deutschland? In Deutschland müssen wir verzweifelt dafür kämpfen, dass wenigstens Informationen frei zugänglich sind. Dabei hat das EU-Parlament schon vor einem Jahr gefordert, dass auch in Deutschland Schwangerschaftsabbrüche legalisiert und Hürden abgebaut werden müssen. Auch die Vereinten Nationen und die Weltgesundheitsorganisation kritisierten Deutschland dafür, hier nicht aktiv zu werden. Von wem müssen Sie das denn noch alles hören?
({14})
Der Weg ist lang. Aber dass wir heute diesen wichtigen Schritt gehen, möchte ich bei aller Kritik natürlich auch gebührend würdigen. Heute ist ein großer Tag für die Selbstbestimmung aller Frauen in diesem Land. Deswegen danke ich allen Gästen stellvertretend für den Kampf so vieler Menschen. Wir können hier tolle Reden halten, Anträge stellen und auch mal abstimmen. Aber nichts, gerade in diesem Bereich, funktioniert ohne euren unermüdlichen Druck aus der Zivilgesellschaft. Ohne euch funktioniert nichts. Deswegen danke für euren Einsatz, euer Durchhaltevermögen, euren Kampf. Wir werden gemeinsam weitermachen.
({15})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, wer von Ihnen sich selbst bereits näher mit der Frage der Abtreibung auseinandersetzen musste, und das geht mich auch nichts an. Mir ganz persönlich ist das erspart geblieben. Ich habe eine solche Notsituation in meinem näheren Umfeld jedoch vor einigen Jahren erlebt. Ich habe mit besprochen und abgewogen, Alternativen aufgezeigt, bedingungsloses Verständnis gehabt und schließlich die Hand gehalten.
Viele Menschen in unserem Land wissen besser als ich, was es heißt, in eine Situation zu geraten, in der man sich die Frage stellt, ob es richtig ist, eine Schwangerschaft zu beenden.
({0})
Seit damals und seit ich selbst schwanger war – eine Situation, in der Frauen gleichsam darauf programmiert sind, eine enge Bindung zu dem in ihnen wachsenden Baby aufzubauen –, bin ich absolut überzeugt, dass sich keine Frau die Entscheidung für eine Abtreibung leicht macht.
({1})
Unsere Aufgabe als Staat und als Gesellschaft muss es sein, Frauen, Partner und Familien in solchen schweren Situationen zu unterstützen, ihnen zur Seite zu stehen. Das bedeutet explizit – jetzt noch mal die Ohren spitzen, Kollegen von Union und AfD, bevor Sie weiter Tatsachen verdrehen – keine Abkehr vom Lebensschutzkonzept des Bundesverfassungsgerichts.
({2})
Denn zu dessen normativer Einkleidung in den §§ 218 bis 219 Strafgesetzbuch stehen wir als Freie Demokraten.
({3})
Aber Betroffene nicht alleine zu lassen, heißt eben auch, sie mit ihrem großen Informationsbedürfnis nicht alleine zu lassen, sondern vielmehr zu gewährleisten, dass sie bestmögliche und umfassende Informationen erhalten, und das auch unter ethischen Gesichtspunkten möglichst zügig. Es besteht also gleichsam ein Informationsgebot. Da erscheint es doch geradezu aus der Zeit gefallen, widersinnig, unerträglich, dass wir mit § 219a Strafgesetzbuch ein mit Strafe bedrohtes Informationsverbot haben, das zudem besonders Ärztinnen und Ärzte in die Zange nimmt, die ja wohl zweifelsohne besonders befähigt sind, über medizinische Sachverhalte zu informieren, und die zudem die Berufsgruppe sind, die gelobt hat, höchsten Respekt vor dem Leben zu haben.
({4})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von Union und AfD, mit Verlaub: Wer behauptet, der Ampelkoalition ginge es hier um etwas anderes als um sachliche Information, der hat entweder den Gesetzentwurf nicht gelesen oder er verhält sich – vorsichtig formuliert – unredlich;
({5})
denn Schutzlücken entstehen nicht.
Zum Schluss: Danke an die Kolleginnen und Kollegen aus den Ampelfraktionen und besonders auch an Minister Buschmann für dieses Tempo! Gut, dass § 219a Strafgesetzbuch heute endlich fällt!
({6})
Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Susanne Hierl.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich habe ich gedacht, wir sprechen heute über § 219a und nicht über § 218.
({0})
Aber anscheinend habe ich das falsch verstanden. Ich möchte auch festhalten: Es ist heute kein großartiger Tag für alle Frauen.
({1})
Ich weise das von mir.
Wenn wir über die Abschaffung des § 219a sprechen und damit über die Abschaffung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche, dann gilt es im Auge zu behalten: Wir haben im Kern immer zwei Rechtssubjekte, die in diesem Fall konkurrieren; beide sind von der Verfassung geschützt. Das ist einerseits die schwangere Frau mit ihrem Recht auf Selbstbestimmung, und das ist andererseits das ungeborene Kind, das noch nicht für sich selbst sprechen kann, mit seinem Recht auf Leben.
({2})
Auch das hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt.
({3})
Diese Rechte gilt es zu achten, und die Schutzbedürftigkeit ist gegeneinander abzuwägen. Weder darf der Schutz des ungeborenen Lebens völlig negiert
({4})
noch das Selbstbestimmungsrecht der Frau in einer Ausnahmesituation verneint werden.
§ 219a ist Teil der bestehenden und durch das Bundesverfassungsgericht bestätigten Lösung bei der Entscheidung über die Zulässigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs.
({5})
Es ist Teil eines hart errungenen Kompromisses, der auch zur Befriedung des gesellschaftlichen Konflikts rund um das Thema beigetragen hat.
({6})
Des Weiteren schafft § 219a Rechtssicherheit. Er regelt nämlich ganz klar, welche Informationen zu einem Schwangerschaftsabbruch gegeben werden dürfen. Wir sind daher der Meinung, dass Verbesserungen der derzeitigen Rechtslage – und die stellen wir nicht in Abrede – nur innerhalb der bestehenden Regelung erfolgen können.
Ein Argument für die Streichung des Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch, das die Ampel immer bringt, ist, dass dies den Ärztinnen und Ärzten Rechtssicherheit gibt und Ärztinnen und Ärzte würden mehr Schwangerschaftsabbrüche vornehmen mit dieser Streichung. Ich sage Ihnen: Genau das Gegenteil ist der Fall.
Entgegen der ursprünglichen Pläne, § 219a komplett zu streichen, wird die Regelung nun ins Heilmittelwerbegesetz aufgenommen. Es macht den Eindruck, als hätten Sie im letzten Moment kalte Füße bekommen und Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der ersatzlosen Streichung.
({7})
Mit der Aufnahme in das Heilmittelwerbegesetz wollen Sie nach den Anmerkungen im Gesetzentwurf verhindern, dass in Zukunft „unsachliche oder gar anpreisende Werbung“ betrieben wird.
({8})
Das Gesetz selbst verwendet aber nur den Begriff der „irreführenden Werbung“. Können Sie mir vielleicht verraten, was unter dem Begriff „irreführend“ zu verstehen ist?
({9})
Welche Informationen können Ärztinnen und Ärzte denn in Zukunft rechtssicher geben und veröffentlichen? Ich gehe davon aus, dass Sie mir keine Antwort darauf geben können.
Sie verweisen also auf einen unbestimmten Rechtsbegriff, und über die genaue Auslegung, also darüber, was angemessene Aussagen und Informationen zum Schwangerschaftsabbruch sind, werden wohl die Gerichte entscheiden müssen. Ich wage die Prognose, dass wir dann wieder an dieser Stelle stehen, die gleiche Diskussion führen und Sie die komplette Streichung dieses neuen Paragrafen fordern werden. Rechtssicherheit, meine Damen und Herren, sieht anders aus.
({10})
Darüber hinaus sieht das Heilmittelwerbegesetz bei einem Verstoß gegen die irreführende Werbung eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr vor. Ihr Ziel, die Ärztinnen und Ärzte vor dem Strafrecht zu schützen, haben Sie damit also nicht erreicht.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampelkoalition, wie viele Ihrer anderen Gesetzesvorhaben stellt sich der vorliegende Entwurf als ein ideologisch getriebenes und schlecht durchdachtes Stückwerk dar.
({12})
Wenn ein Tankrabatt fehlschlägt, weil Sie die Auswirkungen Ihrer Gesetzentwürfe nicht bis zum Ende bedenken, dann ist das ärgerlich, verbrennt im schlimmsten Fall aber „nur“ viel Steuergeld.
({13})
Aber im vorliegenden Fall experimentieren Sie mit einem höchst sensiblen Thema, das auch in der Gesellschaft sehr kontrovers gesehen wird, und riskieren, dass die alten Gräben wieder aufreißen. Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß, wie Sie das gerne hätten. Da will jede Gesetzesänderung wohlüberlegt sein, da sollte Ideologie niemals Vorrang vor Vernunft haben.
({14})
Und vor allem sollte die neue Regelung mehr Rechtssicherheit schaffen als die vorherige.
({15})
Stimmen Sie für einen verantwortungsvollen Rechtsrahmen zur Abwägung der Interessen der schwangeren Frauen und des Embryos, für Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte und für ein verbessertes Informationsangebot. Stimmen Sie unserem Antrag auf Änderung des § 219a zu!
({16})
Danke schön.
({17})
Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Sonja Eichwede.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher, insbesondere liebe Ärztinnen und Ärzte und Vertreter von Beratungsorganisationen! Ich sage das verbunden mit einem großen Dank für Ihre Leistung in den vergangenen Jahren.
({0})
Sie haben ein großes Verdienst an der nun kurz bevorstehenden Streichung des § 219a. Sie haben in den letzten Jahren unter großen persönlichen Herausforderungen vielen Frauen in Notsituationen geholfen. Sie haben dies in einer Situation getan, in der wir zwar eine politische Mehrheit hatten, aber in der Regierung nicht handeln konnten. Wir sind sehr froh, dass wir das jetzt angehen; Sie hingegen haben Ihre Tätigkeit für unsere gesamte Gesellschaft schon sehr lange ausgeübt.
({1})
Werte Kolleginnen und Kollegen, mit der Streichung von § 219a verbannen wir eine überholte und kriminalpolitisch verfehlte Strafvorschrift endlich in die Vergangenheit. Denn es ist doch absurd, dass die Kriminalisierung von Informationen über eine legale Leistung zur Erfüllung eines staatlichen Versorgungsauftrages im Strafgesetzbuch steht. Das kann nicht sein. Das darf nicht sein. Diese Regelung muss gestrichen werden. Es ist auch sehr wichtig, dass die Strafurteile aufgehoben werden und die Kriminalisierung von Ärztinnen und Ärzten endlich beendet wird.
({2})
Das ist vergleichbar mit anderen Tatbeständen, in denen dieses erfolgt ist.
({3})
Um zudem die Informationsfreiheit wirklich zu gewährleisten, haben wir im parlamentarischen Verfahren erreicht, dass im Schwangerschaftskonfliktgesetz eine zusätzliche Regelung aufgenommen wird, dass durch Ärztinnen und Ärzte informiert werden kann; denn wir haben mitbekommen, dass einige Länder daran gearbeitet haben, die Berufsordnung der Ärzte dahin gehend zu ändern, dass Informationen weiterhin untersagt werden. Nur die Streichung des § 219a tut es deshalb nicht. Es ist daher wichtig, hier eine positive Informationsfreiheit bundesrechtlich zu verankern.
({4})
Werte Kolleginnen und Kollegen von der Unionsfraktion, die Vermischung der Begriffe „sachliche Information“ und „Werbung“ ist nicht zeitgemäß. Das kann man nicht machen. Es ist rechtlich geregelt, dass Werbung eine Gewinnerzielungsabsicht haben muss, und die besteht hier nicht. Das hat auch die öffentliche Anhörung, der wir beigewohnt haben, ergeben. Wirtschaftlich gesehen, muss man feststellen: Es ist sogar ein Minusgeschäft für Ärztinnen und Ärzte, weil sie für die Leistungen, die sie erbringen, weil sie für den Versorgungsauftrag, den sie erfüllen, weniger bekommen, als sie tatsächlich aufwenden. Von daher ist insbesondere das Argument der Gewinnerzielungsabsicht beiseitezulegen. Und es vermittelt auch ein falsches Bild von Ärztinnen und Ärzten. Sie retten doch Leben, sie können die entsprechenden Informationen am besten bereitstellen und beraten. Von daher bitte ich Sie, Ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken.
({5})
Das Selbstbestimmungsrecht der Frauen muss gestärkt werden. Mit sachlichen Informationen setzen wir auch etwas den unlauteren Informationen von radikalen Abtreibungsgegnerinnen und ‑gegnern, insbesondere im Internet, entgegen; der Minister hat es ausgeführt.
Heute ist ein guter Tag, auch für mich als Rechtspolitikerin; denn wir gehen einen Schritt hin zu mehr Informationsfreiheit, einen Schritt hin zu einem modernen Strafrecht. Und ich freue mich als Frau, als Teil der Ampelkoalition und als Sozialdemokratin, dass wir dies nun endlich gemeinsam durchsetzen.
Vielen lieben Dank.
({6})
Nächste Rednerin: für die AfD-Fraktion Beatrix von Storch.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ampelregierung legt heute die Axt an den ethischen Grundkonsens unserer Verfassung und unserer christlich-abendländischen Kultur. Dieser Grundkonsens lautet: Jedem Leben kommt Würde zu, auch dem ungeborenen Leben. Und jeder Mensch hat das Recht auf Leben, auch der ungeborene Mensch.
({0})
Diesen Grundkonsens unserer Werteordnung zertrümmern Sie, und Sie feiern das. Das ist das Erschütternde dabei. Es ist Ihr Hass und Ihre Freude, die uns bis ins Mark erschüttern.
({1})
Die Ikone der Abtreibungsbewegung, Kristina Hänel, spricht nicht von einem Menschen oder von Leben, sie spricht von „Schwangerschaftsgewebe“. Das ist die Entmenschlichung des Menschen. Und deswegen reden Sie hier auch alle vom Interesse der Frau an Information und von den Werbeinteressen von den Ärzten. Aber so gut wie niemand von Ihnen – niemand! – redet über das Recht des ungeborenen Menschen auf Leben.
({2})
Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt: Der Mensch besitzt vom ersten Moment seiner Entwicklung an ein Recht auf Leben und Anspruch auf Schutz seines Lebens. – Diesen Schutz wollen Sie den Ungeborenen nehmen. SPD und Grüne machen daraus überhaupt gar keinen Hehl, während der Justizminister versucht, uns weiszumachen, dass die Streichung von § 219a keine Auswirkungen auf das Lebensschutzkonzept des § 218 hat. Frau Paus ist da sehr viel ehrlicher – vielen Dank, dass Sie so offen damit umgehen –; sie sagt: Die Streichung des § 219a hat Signalwirkung, und im nächsten Schritt soll die Abtreibung außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden. – Das heißt: Abschaffung des § 218, Abschaffung des Lebensschutzes, der ungeborene Mensch als Schwangerschaftsgewebe. Das wollen Sie. Herr Buschmann, geben Sie das doch bitte endlich zu!
({3})
Wir fordern Sie auf, den Schutzauftrag des Verfassungsgerichtes endlich ernst zu nehmen. Schwangerschaftskonfliktberatung muss persönlich passieren und nicht als Zoom-Konferenz. Sie muss dem Schutz des Lebens dienen, und der Staat muss über die Würde und die Schutzwürdigkeit des ungeborenen Lebens aufklären. Sie wollen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ignorieren. Wir wollen sie umsetzen. Wir stehen mit unserer Forderung auf dem Boden des Grundgesetzes und auf dem Boden unserer christlich-abendländischen Kultur – und Sie nicht.
Sie werden jetzt gleich in Jubel ausbrechen, wenn dieses Gesetz durchgeht. Aber vergessen Sie bei Ihrem Jubel bitte nicht: Sie können nur jubeln, weil Sie leben. 100 000 Kinder in diesem Land, und zwar jedes Jahr, werden niemals jubeln können, weil sie nicht leben werden.
Vielen Dank.
({4})
Nächste Rednerin: für Bündnis 90/Die Grünen Ulle Schauws.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Im Dezember 2017 stand die angeklagte Ärztin Kristina Hänel auf der Wiese draußen vor dem Bundestag und übergab uns Abgeordneten eine Petition mit über 150 000 Unterschriften verbunden mit der Forderung, § 219a StGB zu streichen. Sie und etliche Ärztinnen und Ärzte wurden jahrelang immer und immer wieder von Abtreibungsgegnerinnen und ‑gegnern verklagt, und zwar deswegen, weil sie ungewollt schwangere Patientinnen sachlich über Schwangerschaftsabbrüche informierten. Viereinhalb Jahre und einen Regierungswechsel später lösen wir Grüne, SPD und FDP zusammen mit den Linken heute ein, worauf sehr viele warten. Wir streichen den Strafrechtsparagrafen 219a, und zwar ersatzlos.
({0})
Schluss mit der Kriminalisierung von Ärztinnen und Ärzten, die wie Verbrecher/-innen vor Gericht stehen mussten! Schluss damit, dass Frauen der Zugang zu direkten ärztlichen Informationen aus erster Hand verwehrt wird! Sie haben nämlich ein Recht darauf.
Kolleginnen und Kollegen, die Streichung des § 219a schafft Rechtssicherheit für Mediziner und Medizinerinnen und stärkt die Selbstbestimmung von Frauen. Das ist überfällig und sehr richtig.
({1})
Dafür so lange zu kämpfen – das sage ich sehr klar –, wäre ohne den Mut der Ärztinnen und Ärzte und ohne starke Bündnisse nicht gegangen.
({2})
Wir sagen Dank euch allen, stellvertretend an Kristina Hänel, an Nora Szasz, an Natascha Nicklaus, an Bettina Gaber, an Kersten Artus, an das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, an die Medical Students and Doctors for Choice, an Alicia Baier. Danke auch dem AKF, den vielen Juristinnen und Juristen, dem djb und den Beratungsstellen. Das ist auch euer Erfolg!
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Mehrheit der Menschen in unserem Land befürwortet die Streichung von § 219a. Er ist ein Symbol auch für die Selbstbestimmung von Frauen geworden. Selbst bei den Gerichtsverhandlungen in Gießen und in Kassel, bei denen ich dabei war, haderten Richter/-innen mit der Verurteilung nach § 219a. Mir ist über die ganzen Jahre in vielen Auseinandersetzungen hier im Bundestag eines sehr klar geworden: Sie von der Union fahren bei § 219a und auch bei § 218 einen gefährlichen Kurs. Sie schüren Misstrauen gegenüber Ärztinnen und Ärzten. Sie misstrauen Frauen.
({4})
Einer Ärztin in die Ausübung ihres Berufes reinzureden, weil sie Abtreibungen vornimmt, ist falsch. Einer ungewollt Schwangeren ihre Selbstbestimmung abzusprechen, als wäre das normal, ist und bleibt falsch.
({5})
Zu unterstellen, dass Frauen leichtfertig mit der Entscheidung gegen eine Schwangerschaft umgehen, ist falsch.
({6})
Sie als leicht beeinflussbar abzustempeln – und das machen Sie immer wieder –: Was ist das bitte für ein fatales Bild, das Sie immer und immer wieder von Frauen beschreiben?
({7})
In einer Anhörung 2018 habe ich eine Sachverständige der katholischen Kirche gefragt, welchen Unterschied es für eine Frau, die einen Schwangerschaftsabbruch macht, ausmache, wo dieser gesetzlich geregelt sei. Sie antwortete, er müsse auch deswegen im Strafgesetzbuch geregelt bleiben, damit eine Frau sich schuldig fühlt. Genau deswegen ist das Signal heute so wichtig. Die Streichung von § 219a bricht mit einem Tabu. Die Botschaft ist: Wir trauen Frauen, wir trauen Ärztinnen und Ärzten.
({8})
Darum geht es in einem Staat, der Menschen befähigt, die Versorgung ungewollt Schwangerer als gute Gesundheitsversorgung wertzuschätzen; das ist zeitgemäß. Aber, Kolleginnen und Kollegen, angesichts des drastischen Rückgangs von über 50 Prozent Ärztinnen und Ärzten, die Abbrüche durchführen können, müssen wir die Versorgungssicherheit von Frauen verbessern.
({9})
Ein Schwangerschaftsabbruch gehört nicht ins Strafgesetzbuch. Ungewollt Schwangere brauchen eine gute Versorgung – überall im Land. Was sie nicht brauchen, sind Schuldgefühle. Heute ist ein guter Anfang.
({10})
Nächste Rednerin: für die FDP-Fraktion Nicole Bauer.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stehe heute vor Ihnen nicht nur als frauenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, sondern vor allem als junge und selbstbestimmte Frau. Wie Sie sehen können, bin ich in freudiger Erwartung. Ja, ich werde im Herbst Mutter, und das ist für mich ein persönliches Glück.
({0})
Die Entscheidung, ein Kind zu gebären, habe ich gemeinsam mit meinem Partner getroffen. Aber ebenso gibt es in unserem Land viele Frauen, die mit anderen Umständen und Schicksalen konfrontiert sind. Die Möglichkeit, eine informierte Entscheidung treffen zu können, braucht es in unserer Gesellschaft für alle Menschen. Genau darum geht es in der heutigen Debatte.
({1})
Wir wollen schwangeren Frauen eine selbstbestimmte und auf guter Beratung beruhende Entscheidung ermöglichen. Die Streichung von § 219a bedeutet dabei alleine die Abschaffung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche und nicht, wie ich heute schon einige Male hören musste, dass in Zukunft reißerische Werbung für Abtreibungen möglich sein wird oder dass quasi im Automatismus der § 218 abgeschafft werden soll.
({2})
Die Entscheidung, eine Schwangerschaft zu beenden, ist für jede Frau in unserem Land immer eine höchst emotionale Entscheidung, eine Entscheidung, die die Betroffenen meist jahrelang begleitet.
({3})
In solchen Situationen müssen die Betroffenen medizinische Informationen direkt auf den Webseiten der Ärztinnen und Ärzte bekommen. Sie müssen sich vertrauensvoll beraten lassen können. Deshalb dürfen wir Frauen, Ärztinnen und Ärzte in unserem Land in solchen Situationen nicht länger alleine lassen und erst recht nicht kriminalisieren.
({4})
Meine Damen und Herren, die Abschaffung des § 219a sowie die Anpassung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes sind deshalb nicht nur dringend notwendig, sondern längst überfällig.
Vielen Dank.
({5})
Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Dorothee Bär.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was für eine Debatte! Es geht heute in dieser Debatte um zwei Menschen. Es geht um die Frauen und um die Kinder. Und mich bestürzt es wirklich, dass das Thema Kind in Ihren Reden von der Ampel so gut wie gar nicht vorkommt.
({0})
Der Bundesjustizminister Marco Buschmann hat angekündigt: Es geht ausschließlich um § 219a, und § 218 spielt gar keine Rolle. – Die Bundesfamilienministerin sagt: Natürlich geht es auch um § 218. – Ich war ehrlicherweise der Überzeugung, dass Sie sich auch deswegen so schnell auf Ihr erstes großes familienpolitisches Vorhaben haben verständigen können, Herr Buschmann, weil eine große Einigkeit herrscht. Entweder ist es so, dass Sie uns heute nicht ganz die Wahrheit gesagt haben, dass es auch der FDP in Wahrheit natürlich um einen Steinbruch geht, tatsächlich danach sofort § 218 anzugehen, oder es gibt da keine Einigkeit.
({1})
Ich würde mir wünschen, dass das noch mal klargestellt wird.
({2})
Sie sagen, dass es mit der Streichung der Vorschrift vordergründig um eine bessere Informationsmöglichkeit geht. Aber die Informationsmöglichkeiten sind doch jetzt schon vorhanden, und es gibt selbstverständlich auch jetzt schon Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte. Ich finde es schofel, Frau Schauws, wirklich schofel, uns zu unterstellen, dass wir den Ärztinnen und Ärzten nicht vertrauen würden. Das tun wir. Wir haben ganz großes Vertrauen in Ärztinnen und Ärzte; aber wir haben eben auch die Verpflichtung, alles gegeneinander abzuwägen. Es geht natürlich um die Frauen; aber es geht auch um die Kinder.
({3})
Ich würde mir wünschen, dass es bei der Ampel bei diesem Thema etwas ernsthafter zugeht. Ich sage Ihnen ganz offen an die SPD-Bundestagsfraktion gerichtet: Ein bisschen mehr Ernsthaftigkeit und weniger Partyfeeling wäre wirklich angemessen an diesem Tag.
({4})
Ich habe gestern dreimal, viermal, fünfmal kontrolliert, ob das Video der SPD-Bundestagsfraktion von einem Fake Account kommt oder wirklich vom offiziellen SPD-Bundestags-Account, weil ich es skandalös finde, dass zu Walzerklängen gesagt wird, dass heute ein großartiger Tag wird, dass von einem schönen Moment die Rede ist.
({5})
Aber dass Sie ein Partyvideo machen und dass Sie darüberschreiben: „Dieser Freitag wird einfach umwerfend!“! Was ist denn umwerfend daran in dieser Dilemmasituation? Das frage ich Sie ganz offen.
({6})
Am Schluss dieses Partyvideos zu Walzerklängen steht ein grinsender Rolf Mützenich, der wirklich glücklich dreinschaut. Ich sage Ihnen ganz offen: Ich kenne keine Frau – und ich kenne viele Frauen –, die sich diese Abwägung leicht gemacht hat, die aus einer Abtreibungsklinik geht, Partykanonen schmeißt und sagt: Ich bin glücklich, und es ist ein guter Tag für Deutschland.
({7})
Da ist Ihnen an dieser Stelle jeglicher moralischer Kompass abhandengekommen.
({8})
Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben uns diese Debatte nie leicht gemacht.
({9})
Sie haben das auch an den herausragenden Reden meiner Kolleginnen Elisabeth Winkelmeier-Becker und Susanne Hierl heute schon gehört. Wir wägen ab zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Frau
({10})
und dem Schutz des ungeborenen Lebens, das dann nicht mehr die Chance hat, auf die Welt zu kommen. Ich hätte mir einfach gewünscht – –
({11})
– Warum bei dieser Debatte dauernd Männer aggressiv reinbrüllen, kann ich in keiner Weise nachvollziehen.
({12})
Frau Bär, Entschuldigung.
Bitte.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung aus der Fraktion der Grünen?
Nein.
({0})
Es geht hier um eine sachliche Diskussion. Wir haben auch gefragt: Wo besteht Verbesserungsbedarf?
({1})
Wir haben einen Antrag vorgelegt. Wir haben heute schon darüber gesprochen, dass eigentlich noch mal eine Kommission angekündigt war. Und diese Koalition – das muss man leider Gottes auch mal der Bevölkerung und allen Zuschauerinnen und Zuschauern sagen – plant im Anschluss an diese Debatte einen Empfang, eine Feier, eine Party und hat dazu Partygäste eingeladen.
({2})
Das ist etwas, was ich in den letzten 20 Jahren so noch nicht erlebt habe. Man kann sich mal über ein Gesetz freuen. Man kann sich freuen, wenn man eine Rentenerhöhung durchsetzt. Man kann sich vielleicht bei einer neuen Sozialleistung freuen. Aber nach der Verabschiedung eines solchen Gesetzentwurfs eine Party zu feiern, finde ich tatsächlich höchst skandalös, finde ich nicht angemessen. Das ist meines Erachtens in keiner Weise ein Grund zur Freude.
({3})
Ich wünsche allen Frauen da draußen, die schwierige Entscheidungen zu treffen haben, eine sachliche, eine ruhige, eine hilfreiche Hand
({4})
und keine Partykanonen. Für mich als selbstbestimmte Frau und als Mutter von drei Kindern ist heute kein glücklicher Tag.
Herzlichen Dank.
({5})
Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Carmen Wegge.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Sehr geehrte Damen und Herren! Man kann es nicht häufig genug sagen – vor allem nach der Rede, die wir gerade gehört haben –: Heute ist ein guter Tag!
({0})
Es ist ein guter Tag für Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche vornehmen, weil sie endlich nicht mehr kriminalisiert werden – schöne Grüße auf die Tribüne; schön, dass Sie da sind!
Es ist ein guter Tag für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen, weil sie endlich den Zugang zu Informationen erhalten, die sie brauchen, um eine differenzierte und gute Entscheidung in einer schwierigen Situation ihres Lebens zu treffen.
({1})
Heute ist auch ein guter Tag für meine Partei, die SPD. Für die Streichung von § 219a haben wir alle gemeinsam schon so lange gekämpft und sind immer wieder gescheitert. Wenn wir gleich dieses Gesetz beschließen, dann wird das nicht nur alte Wunden heilen, sondern für uns ist es auch der Moment, in dem wir mal wieder merken, dass es sich immer lohnt, weiterzukämpfen und für politische Forderungen unermüdlich einzustehen.
({2})
Mit dem heutigen Tag machen wir endlich einen großen Schritt dahin, alte, konservative und nicht mehr zeitgemäße Vorstellungen zu reformieren. Wir schreiten damit in eine neue gesellschaftspolitische Ära.
({3})
Es ist – das sage ich noch mal sehr gerne – ein schöner Moment.
Kollegin Wegge, gestatten Sie aus der AfD-Fraktion eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung?
Nein, danke. – Ich weiß, dass es nicht allen in diesem Plenum so geht; das haben wir gehört. In den letzten Monaten, Wochen und, ja, auch heute konnten wir immer wieder erleben, dass die Debatte um die Streichung von § 219a emotionalisiert und – auch gerade wieder – verfälscht wird.
({0})
Da geht es dann auf einmal nicht mehr um das Zur-Verfügung-Stellen von Informationen, sondern um Werbung. Da geht es auf einmal nicht mehr um den § 219a, sondern um das Schutzkonzept des ungeborenen Lebens. Da wird von konservativer Seite Ärztinnen und Ärzten unterstellt, kein Interesse am Wohl ihrer Patientinnen, sondern lediglich an einer eigenen finanziellen Bereicherung zu haben. Da wird selbst in Bayern von „Abtreibungsindustrie“ gesprochen – total absurd: gerade da, wo die nächste Klinik für Abtreibung bis zu 200 Kilometer entfernt ist.
({1})
Deswegen sei jetzt hier noch einmal ganz klar gesagt:
Erstens. Schon jetzt ist die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen nicht rentabel. Niemand wird jetzt und auch in Zukunft mit der Vornahme dieses Eingriffs reich werden.
Zweitens. Wer hier behauptet, dass nun reißerische Werbung für Abbrüche möglich wird, der hat unrecht. Schon jetzt sind reißerische Werbungen für medizinische Eingriffe verboten.
Drittens. § 219a ist nicht Teil des unmittelbaren Schutzkonzepts des ungeborenen Lebens. Das Bundesverfassungsgericht nennt den § 219a in seinen beiden Entscheidungen zu dem Thema kein einziges Mal.
Aber genau wegen dieser Argumentationsstrukturen, die an der Wirklichkeit vorbeigehen und für sachliche und faktenbasierte Diskussionen nicht zugänglich sind, reicht es leider nicht, nur den § 219a zu streichen.
({2})
Um zu verhindern, dass konservative Länder die Landesärztekammerverordnung nutzen, um dort proaktiv das Informieren über Abbrüche zu verbieten, haben wir uns dafür entschieden, auch das Schwangerschaftskonfliktgesetz zu ändern. Wir stellen damit sicher, dass unser gesetzgeberischer Wille nicht umgangen werden wird.
({3})
Hier regeln wir nun explizit, dass es Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen, Krankenhäusern sowie Ärztinnen und Ärzten gestattet ist, sachlich und berufsbezogen zu informieren. Dazu gehören die Methode, das Medikament, die Wirkstoffe und die Nebenwirkungen,
({4})
und das selbstverständlich nicht nur persönlich, sondern auch öffentlich auf der Homepage. Es ist traurig, dass wir das explizit regeln müssen.
({5})
Wir erhoffen uns viel von dem, was wir heute entscheiden, gerade weil Frauenrechte auf der Welt immer mehr eingeschränkt werden. Wir zeigen heute, dass wir einen anderen Weg beschreiten – an der Seite von Frauen, für Frauen und für mehr Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft. Ich glaube, die Argumente sind ausgetauscht. Lasst uns § 219a streichen!
Vielen Dank.
({6})
Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, hat das Wort zu einer Kurzintervention Carolin Bachmann aus der AfD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin, vielen lieben Dank. – Frau Wegge, eine Frage an Sie: Ich habe gesehen, Sie sind Mutter – Sie haben eine Tochter –, und Sie sind hier sehr euphorisch und freudig in Bezug auf die Abschaffung des § 219a. Ihre ganze Fraktion freut sich die ganze Zeit schon und bejubelt das. Sie wollen eine Feier machen. Sie können eine Feier veranstalten; das ist Ihr gutes Recht. Ich hätte gerne eine Frage an Sie gestellt, und ich hoffe, Sie können mir diese beantworten.
Sie und Ihre Vorrednerinnen sprechen darüber, wie schwer es ist, sich als Frau, die ungewollt schwanger geworden ist, zu informieren, sich damit zu beschäftigen, ob eine Abtreibung ansteht oder nicht, sich mit den Vor- und Nachteilen zu beschäftigen. Ich sage Ihnen: Die Informationen gibt es am Markt. Die kann man bekommen.
({0})
Eine Frau stellt nach einem Monat fest, dass sie schwanger ist, und es gibt Beratungsgespräche, und es gibt Informationen.
Sie tun ja so, als gebe es in Deutschland keine Abtreibungen. Wissen Sie, wie hoch die Zahl der Abtreibungen in Deutschland ist? Durchschnittlich 100 000 Babys werden abgetrieben. Ich möchte Sie fragen: Ist Ihnen die Zahl bekannt, und was genau wollen Sie bewerben? Das war Frage eins.
Frage zwei ist: Wissen Sie, dass ungeborenes Leben schützenswert ist und dass von Beginn an, ab der Verschmelzung von Ei und Samenzelle, ein Leben mit Gefühl und Seele entstanden ist? Ist Ihnen das bekannt, und werden Sie die Frauen auch darüber beraten?
({1})
Frau Wegge, Sie haben die Möglichkeit, zu antworten.
Vielen Dank erst mal für die Aufklärung über Befruchtung und all das. Das ist tatsächlich schon passiert, als ich jünger war.
({0})
Um es gleich am Anfang klarzustellen: Wir haben heute nach der Debatte einen Empfang und kommen mit der Zivilgesellschaft zusammen, um in Austausch zu treten; das vielleicht vorweggeschickt. Ansonsten weiß ich auch nicht, was meine Mutterschaft mit der heutigen Debatte zu tun hat.
({1})
Ich persönlich habe mich selbstverständlich mit dem Thema auseinandergesetzt, damit, welche Prozesse man durchlaufen muss, wenn man einen Abbruch vornimmt. Ich war in Kliniken, die Abbrüche durchgeführt haben. Ich habe mit vielen Menschen aus der Zivilgesellschaft gesprochen. Mir ist durchaus bewusst, wie das passiert.
Ich möchte auf einen Logikfehler in Ihrer Argumentation hinweisen: Wenn Sie sagen, dass die Informationen überall vorhanden sind, dann ergibt es einfach gar keinen Sinn, dass es eine Berufsgruppe geben sollte, die eben nicht informieren darf, und zwar die, die Expertise hat. Das sind die Ärztinnen und Ärzte.
({2})
Ich kann Ihr Argument nicht nachvollziehen.
Ich habe es am Ende meiner Rede gesagt: Ich glaube, die Argumente sind dann auch ausgetauscht.
Vielen Dank.
({3})
Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Canan Bayram.
({0})
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Damen und Herren! Es ist in der Tat ein besonderer Tag für alle betroffenen Menschen: für jene, die Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen brauchen, für jene, die sie weitergaben und dafür vor Gericht gestellt und kriminalisiert wurden, und für Menschen, für die es ein Problem ist, dass andere kriminalisiert werden, weil sie sich in einer Konfliktlage entscheiden. Heute wollen wir als Gesetzgeberinnen und Gesetzgeber eine Situation für die Gesellschaft verbessern; dazu dient auch der Ausspruch: Weg mit § 219a. Das ist doch erst einmal gut, meine Damen und Herren.
({0})
Was in der Debatte noch nicht so oft beleuchtet wurde, ist, dass es hier um Familienplanungsthemen geht. Wenn Sie sich die Zahlen anschauen, dann sehen Sie: Es sind häufig Familien, die schon Kinder haben und die sich entscheiden müssen, ob sie noch die Kraft haben, ein weiteres Kind zur Welt zu bringen.
({1})
Es sind Väter, die mitentscheiden, dass die Frauen diese medizinische Behandlung durchführen lassen. Diese Menschen haben doch einen Anspruch darauf, dass sie medizinisch aufgeklärt werden und dann ihre Entscheidung treffen können.
({2})
Wir können das doch nicht voneinander trennen.
Ich finde es wirklich sehr grenzwertig, Frau Bär, wie Sie sich hier selbst instrumentalisieren,
({3})
um letztlich der Debatte aus dem Weg zu gehen, dass Menschen diesen Bedarf haben, dass es Menschen gibt, die diese Lebensrealität haben. Damit lassen Sie die Frauen, die Väter, die Männer und die Kinder im Stich, die unsere Unterstützung brauchen.
({4})
Wir sind doch hier die Gesetzgeber, die Antworten finden müssen in Bezug auf die Lebensrealität der Menschen, meine Damen und Herren.
({5})
Darum geht es doch heute und nicht um irgendwelche Scheindebatten, wie Sie die Welt gerne hätten in Ihrem Bayern; denn Bayern ist doch Teil des Problems.
({6})
Seien Sie doch ganz ehrlich.
Ich habe eine Zuschrift von einem älteren Arzt, der gerne in den Ruhestand gehen würde, sich das aber nicht leisten kann, weil dort keine Ärzte die Versorgung der Frauen bzw. der Menschen sicherstellen können. Das ist doch die Realität in Deutschland. Und die wollen wir ändern, meine Damen und Herren.
({7})
Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Josephine Ortleb.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Heute machen wir das zur Geschichte, was gesellschaftlich schon längst der Vergangenheit angehört. Wir schlagen ein neues Kapitel der Selbstbestimmung auf. Endlich streichen wir § 219a!
({0})
Ich weiß, viele fragen sich zu Recht, warum wir erst heute zu dieser Entscheidung kommen. Die Argumente liegen seit Jahren auf dem Tisch, Gutachten der Sachverständigen wurden erstellt, und der Druck der Betroffenen war immer hoch. Diesen Menschen können wir heute sagen: Dort, wo es keine konservativen Bremsklötze mehr gibt, wird fortschrittliche Gesellschaftspolitik endlich zur Realität.
({1})
Für uns als SPD-Fraktion war immer klar: § 219a muss weg. Wir haben die Fahne für Selbstbestimmung hochgehalten, auch bei Gegenwind. Heute machen wir mit der Streichung drei Selbstverständlichkeiten ganz klar: Frauen entscheiden selbst über ihren Körper; Selbstbestimmung braucht Information und keine Verfolgung; Ärztinnen und Ärzte werben nicht, sie helfen in schwierigen Situationen. Obwohl dies so selbstverständlich scheint, versuchen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, die Debatte – wir haben es heute wirklich wieder gehört – immer wieder mit dem Argument der Werbung zu verzerren oder zu verfälschen.
({2})
Sosehr Sie auch versuchen, die Wahrheit zu verdrehen: Wenn eine Ärztin auf ihrer Homepage über Schwangerschaftsabbrüche und die angewandten Methoden informiert, dient das der Aufklärung der Patientinnen und hat nichts mit Anpreisung oder Kommerzialisierung zu tun.
({3})
Und überhaupt – das ist für mich auch das Erschreckendste von all dem, was wir jetzt von Ihnen gehört haben –: Was ist denn das für ein Frauenbild, das dahintersteckt, wenn Sie den § 219a beibehalten wollen? Hoffen Sie heimlich, Frauen entscheiden sich gegen einen Schwangerschaftsabbruch, wenn man sie bloß im Dunkeln lässt über Methoden?
({4})
Das ist Ihr Frauenbild. Für uns ist klar: Wer den freien Zugang zu Informationen versperrt, will eine freie Entscheidung verhindern.
({5})
Wir als SPD-Fraktion setzen auf Information und Aufklärung und nicht auf Bevormundung und Angst. Es ist doch ganz offensichtlich – wir haben es schon gehört –: Keine Frau trifft eine so weitreichende Entscheidung, ob sie ein Kind austragen will, leichtfertig. Niemand denkt so unbeschwert über einen Schwangerschaftsabbruch nach wie über einen Handyvertrag oder ein neues Kleid. Diese Behauptungen sind lächerlich und schlichtweg für diese vielen Frauen verletzend.
({6})
Als ehrenamtliche Landesvorsitzende der pro familia Saar erlebe ich täglich, dass es für Frauen immer schwerer wird, Arztpraxen und Kliniken zu finden, in denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden. Im Saarland gibt es kaum noch Ärztinnen – ich glaube, es sind zwei –, die diese medizinischen Leistungen durchführen. Deutschlandweit werden diese weißen Flecken immer größer. Schon jetzt müssen Frauen auf dem Land teils Hunderte Kilometer fahren. Diese weißen Flecken sind Flecken der Unsicherheit, der Angst und der Entmündigung. Wenn Medizinerinnen und Mediziner strafrechtliche Verfahren fürchten müssen, wenn sie von fundamentalen Abtreibungsgegnern regelrecht verfolgt und persönlich angegriffen werden, ist der Schaden für diese Ärztinnen und Ärzte, für die Frauen und uns als Gesellschaft groß. In Zukunft können Ärztinnen und Ärzte nicht mehr strafrechtlich verfolgt und an den Pranger gestellt werden, nur weil sie ihren Job machen. Ich bin sicher, das wird auch die gesundheitliche Versorgungslage für Frauen verbessern.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, schon viele haben versucht, das Recht der Frau auf körperliche Selbstbestimmung für politische Zwecke zu missbrauchen. Und immer gab es Mutige, die für ihre Rechte gekämpft haben. Diesen Kampf müssen wir weiterführen; denn um nichts weniger geht es heute.
Vielen Dank.
({8})
Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Tina Rudolph.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Tribünen! Dass der § 219a heute aus dem Strafgesetzbuch fällt, ist längst überfällig. Es war nie richtig, dass es diesen Paragrafen gab, aber erst recht gehört er nicht in dieses Jahrhundert. Es gehört sich nicht, einen Paragrafen zu haben, der unterstellt, man könne über Schwangerschaftsabbrüche nicht angemessen informieren, ohne dass das in Werbung ausartet, in anstößige Werbung, und der unterstellt, dass jemand vorhätte, sich auf anstößige Art und Weise mit einem so ernsthaften Thema zu befassen.
({0})
Deswegen ist es wichtig, dass dieser Paragraf der Vergangenheit angehören wird.
({1})
Es ist aber auch wichtig – das zeigt die Debatte, die wir geführt haben –, dass es sich um eine stellvertretende Debatte handelt. Eigentlich geht es darum, wie wir gesellschaftlich mit Schwangerschaftsabbrüchen umgehen und ob wir davon ausgehen, dass sie unter gewissen Umständen möglich sein müssen. Um diese Frage geht es, und wir sagen: Ja, wenn sich eine Frau in einer Notlage befindet, in einer Situation, in der sie sich ihre Entscheidung nie einfach machen wird, die für keine Frau einfach ist, dann müssen wir es ihr ermöglichen, eine gut überlegte Entscheidung treffen zu können. Wir aus der sozialliberalen Koalition sagen: Ja, dann muss es möglich sein, diese Entscheidung auch treffen zu können.
({2})
Und wenn man zu diesem Schluss kommt: Ist es dann nicht nur folgerichtig, dass auch die Informationen über diesen Eingriff zugänglich sein müssen? Ist es dann nicht folgerichtig, dass diese Informationen zugänglich sein müssen und dass Frauen, die in dieser Notlage sind, diese Informationen auch finden, ohne dass wir es ihnen schwer machen? Und auch hier sagen wir: Ja. Ja, das ist unsere gesellschaftliche Verpflichtung.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wenn Sie wirklich noch Hinweise in Sachen Evidenz brauchen – es ist ja angesprochen worden, dass Sie erst einmal prüfen wollen, ob es wirklich so schwierig ist, diese Information zu finden –: Wenn man sich die Liste der Bundesärztekammer anguckt und die einmal durchtelefoniert – es gibt Personen, die das gemacht haben –, dann findet man dort Falscheinträge, Nummern, die ins Leere laufen. Das ist der Beweis, dass es nicht möglich ist, diese Informationen zu finden, so wie es sein sollte. Der wesentliche Punkt ist aber, dass es in einer solchen Situation nicht davon abhängig sein sollte, ob ich eine solche Liste finde. Es kann nicht sein, dass in einer solchen Situation das darüber entscheidet, ob eine Entscheidung informiert getroffen werden kann. Deswegen müssen wir einen besseren Zugang zu diesen Informationen schaffen. Vor allem müssen wir aufhören, diejenigen zu kriminalisieren, die genau dafür sorgen, die aufklären und sich ihrer Verantwortung sehr, sehr bewusst sind.
({4})
Die zweite Einlassung zur Evidenz – auch das muss ich hier einfach noch mal bemerken – ist, dass es Ihr ehemaliger Gesundheitsminister noch geschafft hat, 5 Millionen Euro für eine Studie zum Post Abortion Syndrome rauszuschlagen, ein Konzept, das seit den 80ern durch diverse Studien und Metaanalysen widerlegt ist.
({5})
Das ist die Auffassung von Evidenz der Union, und ich bin froh, dass wir damit heute abschließen.
({6})
Mir bleibt es, all denjenigen zu danken, die sich in den letzten Jahren unermüdlich eingesetzt haben, dass Zugang zu Informationen über Schwangerschaftsabbrüche möglich ist. Ich weiß, dass wir hier nicht aufhören dürfen, da wir vor dem Problem stehen, dass in den nächsten Jahren viele der Ärztinnen und Ärzte wie Kristina Hänel, die das aus Überzeugung gemacht haben, auch aus anderen Fachrichtungen als der Gynäkologie, zum Beispiel aus der Allgemeinmedizin, in den Ruhestand gehen werden und dann ein wirklicher Versorgungsengpass droht.
Deswegen ist es so wichtig, was wir heute machen: dass wir gesellschaftlich diese Frage diskutieren und noch mal klarmachen, dass Schwangerschaftsabbrüche möglich sein müssen, dass niemand sich diese Entscheidung leicht macht. Aber wir sehen auch in anderen Ländern ganz genau, dass ein restriktiver Zugang nicht zu weniger Schwangerschaftsabbrüchen führt, sondern zu unsicheren Schwangerschaftsabbrüchen, und das gilt es zu verhindern.
({7})
Deswegen bin ich stolz, heute hier zu stehen, und bin stolz, dass wir als Ampelkoalition für ein Frauenbild stehen, das unterstreicht, dass wir Frauen diese Entscheidung zutrauen, dass es eine Entscheidung der Betreffenden ist und dass niemand ihr diese Entscheidung abnehmen kann, dass wir gesellschaftlich die Verpflichtung haben, für gute Rahmenbedingungen und dann auch für eine gute medizinische Versorgung zu sorgen. Das ist unser Frauen- und unser Menschenbild. Dafür stehen wir, und darauf bin ich heute sehr stolz.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Antrag wird vielen in den Ampelfraktionen wohl nicht gefallen; denn er deckt einmal mehr auch hier das Zaudern und Zögern dieser Bundesregierung auf. Gerade bei der Bekämpfung von Kindesmissbrauch und Kinderpornografie ist ein Abwarten aber fatal. Schon der römische Kaiser Marc Aurel wusste – ich zitiere –: Oft tut auch der Unrecht, der nichts tut. Wer das Unrecht nicht verbietet, wenn er es kann, der befiehlt es. – Der Schutz unserer Kinder ist uns nicht nur in Sonntagsreden ein wichtiges Anliegen, sondern wir wollen die Schwächsten in unserer Gesellschaft tatsächlich und effektiv schützen.
({0})
Unser Antrag hat eine ganz klare Zielsetzung. Es geht hier nicht um allgemeine Kriminalitätsbekämpfung, sondern es geht einzig und allein um den Kampf gegen den sexuellen Missbrauch unserer Kinder, ja – es fällt schwer, das auszusprechen –, zum Teil von Kleinstkindern und Säuglingen.
Wer meint, es gebe hier keinen Handlungsbedarf, ignoriert offenbar die dramatische Entwicklung in diesem Bereich. Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik 2021 haben sich die Fälle der Verbreitung, des Erwerbs, des Besitzes, der Herstellung von Kinderpornografie mehr als verdoppelt, auf inzwischen 39 000 Fälle. Hinter jedem Bild, hinter jedem Video steht ein ekelhafter, realer Missbrauch. Jedes Opfer solcher Delikte ist eines zu viel; aber die nochmalige Steigerung der Fälle erschüttert und alarmiert uns. Wir als CDU/CSU werden es nicht hinnehmen, wenn immer mehr Kinder zu Opfern werden, meine Damen und Herren.
({1})
Was müssen wir deshalb für einen besseren Schutz unserer Kinder tun? Natürlich brauchen wir mehr Personal, wie es in NRW etwa Innenminister Herbert Reul vorgemacht hat. Er hat die Zahl der Polizeibeschäftigten in diesem Bereich nahezu vervierfacht.
({2})
Und die Ermittler brauchen für ihre unglaublich belastende Arbeit noch bessere technische Unterstützung, etwa durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz, die relevante Bilder vorsortiert.
Aber Personal und Technik allein reichen eben nicht. Wir brauchen vor allem auch die notwendigen und wirksamen rechtlichen Werkzeuge im Kampf gegen Kindesmissbrauch. Zur Aufklärung solcher Taten sind wir vor allem auf Hinweise des US-amerikanischen National Center for Missing and Exploited Children angewiesen; denn die Internetanbieter teilen diesem Center die strafrechtlich relevanten Sachverhalte mit, während bei uns die Meldepflicht nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz faktisch auf Eis liegt.
Im Jahr 2019 waren das 16,8 Millionen Hinweise auf potenzielle Straftaten weltweit, 2020 bereits 21,4 Millionen. Bei sage und schreibe 19 150 Hinweisen an das Bundeskriminalamt führte eine Bestandsdatenabfrage in den letzten fünf Jahren nicht zu einer Identifizierung des benutzten Anschlusses, und das nur deshalb nicht, weil in diesen Fällen als einziger Ansatz die IP‑Adresse zur Verfügung stand, diese aber in unserem Land nicht mehr bei den Providern gespeichert war.
Jetzt kann man das auf die Gerichtsurteile zur Vorratsdatenspeicherung schieben
({3})
und sich als Politiker achselzuckend zurücklehnen. Oder man kann den Spielraum, den die Rechtsprechung uns lässt, konsequent zugunsten der Kinder nutzen. Wir haben uns für Letzteres entschieden, meine Damen und Herren.
({4})
„Spielräume nutzen“ heißt bei uns: wirksam handeln; denn keinem missbrauchten Kind ist mit reiner Symbolpolitik geholfen. Symbolpolitik ist es, wenn man etwa salbungsvoll über ein Kindergrundrecht redet, aber sich in die Büsche schlägt, wenn es ernst wird beim Schutz von Kindern, die ganz besonders die Hilfe von uns allen hier im Bundestag brauchen.
({5})
Symbolpolitik ist es auch, wenn FDP-Justizminister seit Leutheusser-Schnarrenberger gebetsmühlenartig das Heil in einem sogenannten Quick-Freeze-Modell suchen. Danach werden Verbindungsdaten erst nach einem Verdachtsfall gespeichert. Ein Verdacht wird aber häufig erst erkennbar, wenn die Daten schon längst gelöscht sind. Das kennen wir alle von zu Hause: Wenn das Kühlfach leer ist, kann man eben auch nichts mehr rausholen. Meine Damen und Herren, so beruhigen Sie vielleicht Ihr schlechtes Gewissen, geholfen wird dadurch aber kaum einem Opfer.
({6})
Wir wollen den von Missbrauch betroffenen Kindern spürbar und effektiv helfen, indem wir Telekommunikationsanbieter zu einer sechsmonatigen Speicherung nur von IP‑Adressen verpflichten, ausschließlich zum Zwecke der Bekämpfung von schweren Straftaten gegen Kinder. Mit der zweifachen Einschränkung gegenüber der geltenden Verkehrsdatenspeicherung knüpfen wir direkt an die Urteile des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts an. Wir stellen damit die Verfassungs- und Europarechtskonformität dieses Modells sicher.
Bemerkenswert ist, dass die Innenministerin inzwischen erkannt hat, dass diese streng zweckgebundene IP‑Adressen-Speicherung richtig ist und eben etwas ganz anderes ist als die allgemeine Vorratsdatenspeicherung. Es wäre schön, wenn auch der Justizminister sich diesem Lernprozess nicht länger verschließt.
({7})
Es täte der Sache auch gut, wenn die Ampelfraktionen sich nicht reflexartig in Kampfrhetorik gegen eine vermeintliche Vorratsdatenspeicherung ergingen,
({8})
sondern sich dem Antrag in der Sache widmeten.
Ich fordere daher die linke Seite dieses Hauses auf: Helfen Sie den Kindern, die leider auch genau in diesem Moment, während wir hier heute Morgen debattieren, missbraucht und dabei aufgenommen werden! Für uns als Gesetzgeber ist es nur eine kleine Rechtsänderung; für viele Kinder kann es die Rettung aus unvorstellbarer Pein sein, meine Damen und Herren.
({9})
Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Sebastian Fiedler.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich will versuchen, nicht ganz so parteipolitisch-polemisch zu beginnen,
({0})
am Ende will ich aber durchaus darauf zu sprechen kommen. Ich will das Thema etwas breiter aufmachen. Ich will zunächst einmal am Anfang und am breitesten über die Opfer sprechen, anschließend über Ermittlerinnen und Ermittler und andere, die mit dem Thema zu tun haben, dann nur ganz kurz über die Täter und am Ende über die Politiker.
Zunächst einmal würde ich Sie bitten: Schauen Sie sich mal hier im Plenarsaal um, schauen Sie sich um, wenn Sie auf den Gängen unterwegs sind. Vergegenwärtigen Sie sich, dass mehrere Tausend Menschen hier im Deutschen Bundestag arbeiten, und denken Sie in den nächsten Tagen daran, dass Sie alltäglich in die Augen von Menschen schauen, die in ihrer Vergangenheit – als Kind, als Jugendlicher – sexuelle Gewalt erfahren haben. Alles, was wir dazu wissen, legt uns nahe, dass es genau so ist.
Wir sprechen häufig über Schülerinnen und Schüler. Wir wissen – Sie kennen diese Zahlen –: Es gibt ein bis zwei betroffene Kinder pro Klasse. Sie kennen die Zahlen aus dem Hellfeld: 15 500 Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs. Das sind etwa 42 Fälle im Hellfeld pro Tag, das heißt, Dunkelfeld eingerechnet, mehrere Hundert pro Tag. Das ist die Größenordnung; das sagt die Statistik.
Was steckt konkret dahinter? Herr Professor Krings hat es angedeutet; ich will es noch etwas klarer aussprechen und am Ende deutlich machen, warum ich das tue. Damit es nicht so abstrakt bleibt, nehmen wir den Fall aus Wermelskirchen: Das jüngste Opfer war einen Monat alt, ein Säugling. Wir sprechen über penetrierte Säuglinge. Mehr als die Hälfte der Opfer ist jünger als drei Jahre alt gewesen. Es geht um Kinder mit Behinderungen. Manche Kinder und Jugendliche müssen über Jahre sexualisierte Gewalt ertragen.
Hinzu kommt noch das ganze Thema, das wir noch gar nicht ausgiebig besprochen haben: das Thema der Misshandlungen: Zwei bis drei Kinder kommen – im Durchschnitt der letzten Jahre – pro Woche zu Tode. Etwa 4 000 Fälle körperlicher Misshandlung stehen jedes Jahr in der Statistik.
Nur ein kurzer Blick auf das, was die Szene ausmacht, diese fürchterliche Szene: Europol macht deutlich, welche Bedeutung Peer-to-Peer-Netzwerke, Darknet-Netzwerke haben. Diese Computerumgebungen, diese Plattformen sind nach wie vor der wichtigste Zugang zu diesem Darstellungsmaterial. Dieses Material wird auch im nichtkommerziellen Bereich in großem Stil verbreitet, teilweise gibt es aber auch Schnittstellen zur kommerziellen Verbreitung. Für Straftäter bedeuten diese Computerumgebungen ein Höchstmaß an Anonymisierung.
Das Livestreaming – darauf möchte ich Ihre Aufmerksamkeit richten – ist ein neuer Trend; muss man leider sagen. Dabei werden Kinder in Übersee misshandelt, und von westlichen Menschen wird sich das hier angeschaut. Es gibt Hinweise darauf, dass die kommerzielle Nutzung dieser perfiden Missbrauchssituationen dazu beiträgt, dass mehr dieser Darstellungen im Umlauf sind. Wir haben einen Live-Fern-Missbrauch, der sich als Trend abzeichnet.
Wir haben durch die starke Verbreitung von Smartphones vermehrt die Situation, dass Kinder und Jugendliche dazu angeleitet werden, von sich selbst Aufnahmen zu machen. Das Ganze dient zur sexuellen Erpressung.
Wir haben Gott sei Dank viele Ermittlerinnen und Ermittler – das ist das nächste Kapitel; dazu will ich zwei Sätze sagen –, wir haben viele Menschen, die sich darum kümmern, dieses Zeug aufzuarbeiten, die die Töne und die Schreie mit in den Schlaf nehmen. Wir haben viele, die in Jugendämtern und bei NGOs mit diesen Themen zu tun haben. Wir haben Therapeutinnen und Therapeuten, die sich um die Traumatisierungen kümmern. Wir haben engagierte Betroffene und eine neue Missbrauchsbeauftragte. – Ich glaube, an dieser Stelle können wir einen Applaus für diese Menschen in der Bundesrepublik als großen und aufrichtigen Dank unterbringen.
({1})
Und wir haben die Täter. Aus guten Gründen werde ich nur wenig Zeit darauf verwenden. Die Täterstrategien sind von großer Bedeutung. Die Vernetzung spielt eine Rolle. Sie tauschen sich darüber aus: Was passiert, wenn jemand erwischt wird? Sie lernen forensisch daran.
Und wir haben – das habe ich angedeutet; das ist der entscheidende Punkt; und ich habe durchaus die Gewichtung meines Wortbeitrages gut gewählt – die Politikerinnen und Politiker. Wir haben Politiker in der Ampelkoalition, die das Thema – deswegen habe ich sehr viel Zeit auf die Darstellung der unterschiedlichen Opferszenarien, der unterschiedlichen Tatszenarien aufgewandt – ganz breit angehen und die insbesondere auf diejenigen hören, die entweder Betroffene sind – die kennen nämlich die Täterstrategien äußerst gut – oder die bei den Ermittlerinnen und Ermittlern arbeiten. Ich bin jemand, der genau aus diesem Bereich kommt.
Wir tun sehr viel. Der Pakt für den Rechtsstaat steht im Koalitionsvertrag und wird ausverhandelt. Deswegen wird es nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch in anderen Bundesländern hoffentlich mehr engagierte Menschen geben, die in diesen Bereichen arbeiten. Das Bundeskriminalamt wird gestärkt. Wir machen was bei der Technik. Wir machen ein ZITiS-Gesetz und versuchen dort, technisch weiter zu unterstützen. Wir haben in unserer Fraktion gleich mehrere Arbeitsgruppen zu diesem Thema eingerichtet, um es breit anzugehen.
Wir haben uns mit der Missbrauchsbeauftragten Kerstin Claus getroffen. Wenn Sie wissen wollen, was noch alles zu tun ist, dann rate ich Ihnen: Schauen Sie sich ihre Interviews an, und schauen Sie, was dort alles zu tun ist. Ich jedenfalls kann für unserer Fraktion sagen, dass sie unsere vollste Rückendeckung und Unterstützung hat für ihre Vorhaben, die sie schon öffentlich kundgetan hat und die sie weiter vorantreibt. Zwei Beispiele dafür: Auf der einen Seite das Engagement für Betroffenenräte in den Ländern, und auf der anderen Seite werden Sie noch in diesem Herbst eine großangelegte Kampagne sehen, die für die Sensibilisierung der Bevölkerung sorgen soll.
({2})
Deswegen – das kann ich Ihnen nicht ersparen, Herr Krings – treffen Sie auf einen Punkt, von dem Sie wissen, dass es Einigkeit an bestimmten Stellen gibt; wir haben uns in der Vergangenheit häufig darüber ausgetauscht. Was ich Ihnen vorwerfe, ist eine bestimmte Passage im Antrag, bei der Sie so tun, als würde sich die ganze Ampelkoalition vor diesem Thema wegducken. Denn es gibt zu dieser einen Frage – und das zerren Sie sehr billig in die Öffentlichkeit – zwei Stellungnahmen: eine des Bundesjustizministers und eine der Bundesinnenministerin. Sie nutzen diesen Teil zulasten derjenigen, die ich alle aufgezählt habe, parteipolitisch aufs Übelste aus. Das werfe ich Ihnen hier vor.
({3})
Sie stellen einen Zusammenhang her, der bedeutet, nur durch die IP‑Adressen sei das Thema zu lösen. Deswegen will ich noch zwei Anmerkungen machen. Meine ganz persönliche Haltung, die wir durchaus diskutieren, ist, dass wir die Möglichkeiten, die der Europäische Gerichtshof uns gegeben hat, nutzen sollten und IP‑Adressen speichern sollten. Ich bin absolut auf der Seite unserer Bundesinnenministerin.
({4})
Wir können aber sicher sein, dass wir das zuerst in der Ampel auf der Grundlage der Argumente, die wir haben, diskutieren. Das müssen wir nicht anhand Ihres Antrages hier machen.
Letzter Satz. Gehen Sie mit mir den Weg – da sind wir hoffentlich alle einig – und folgen der Missbrauchsbeauftragten, die da sagt: Wir müssen die Tabus reißen. – Deswegen habe ich versucht, es möglichst konkret zu machen. Es darf kein gesellschaftliches Tabu sein. Sie vergleicht es zu Recht mit dem Brandschutz. Wir müssen all den Fragen, die so schmerzlich und übelst in der Mitte unserer Gesellschaft, quer durch alle gesellschaftlichen Schichten, vorhanden sind, ins Auge schauen. Also reden wir über sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen wie über den Brandschutz, und folgen wir ihrer Idee. Ich hoffe auf große Einigkeit zumindest in dieser Frage.
({5})
Lassen Sie uns das ohne Ideologie an dieser Stelle weitertreiben und den Opferinnen und Opfern den Vorzug geben.
({6})
Vielen Dank.
({7})
Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Gereon Bollmann.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die alten Griechen lehren uns, was von dem vorliegenden Antrag zu halten ist:
({0})
Ein trojanisches Pferd – erschaffen aus feinstem Holz, die Augen aus Obsidian und Bernstein, die Zähne aus Elfenbein und die Mähne aus echtem Pferdehaar. Hier heißt das Pferd „Schutz der Kinder vor sexuellem Missbrauch“. Die in seinem Inneren versteckten Krieger nennt man heute „Vorratsdatenspeicherung“. Nein, Dr. Krings, liebe Kollegen von der Union, auf diese Leimrute werden wir Ihnen nicht gehen.
Der Missbrauch von Kindern ist eine der widerlichsten Arten von Kriminalität. Diese Delikte schreien geradezu nach Strafverfolgung.
({1})
Aber damit eignen sie sich auch besonders gut, mit ihnen andere Ziele zu verstecken. Die Speicherung von Daten auf Vorrat kann nämlich missbraucht werden, und sie ist auch ungeeignet. Sie führt unter Beachtung der informationellen Selbstbestimmung, was die IP‑Adressen angeht, auch nicht zu Erfolgen.
({2})
Die gespeicherten Daten sind stets Objekte von Begehrlichkeiten, laden also zum Missbrauch ein. Sie müssen wissen, dass bei einer Durchsuchung oftmals sogenannte Zufallsfunde gemacht werden. Der Staatsanwalt spricht dabei von „Beifang“. Man sucht offiziell nach einer Mücke, will aber den Elefanten finden. Nach unserer Strafprozessordnung sind diese Elefanten dann auch verwertbar.
Nur mal auf den Punkt gebracht: Was ist eigentlich mit politischer Kriminalität? Staatsanwaltschaften – dies ist übrigens ein Verstoß gegen EU-Recht – sind immer noch dem jeweiligen Justizminister gegenüber weisungsgebunden. Es besteht also die Versuchung, auf die gespeicherten IP‑Adressen zuzugreifen, um auszuspähen, was sich bei dem politischen Gegner denn so alles finden lässt. Nein! Ich weiß doch, natürlich käme niemand von Ihnen hier auf die Idee, so was auch nur zu denken. Aber es besteht immerhin die Möglichkeit dazu.
Außerdem findet man in der Regel die Täter nicht. Wir kennen doch alle die sogenannten virtuellen privaten Netzwerke, kurz VPN. Auch die Kriminellen kennen sie und werden sie nutzen, sollten die IP‑Adressen gespeichert werden. Die Mehrheit dieser Täter bewegt sich außerdem im Darknet. Auch dort kann man sie mit den IP‑Adressen nicht aufspüren. Mit der Regelung der Union bewirken wir gar nichts. Die Speicherung ist ungeeignet. Ein solches Mittel ist aber bei Grundrechtseingriffen stets unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig.
({3})
Wir wollen den Kinderschutz im Netz dagegen ernsthaft und wirksam verbessern. Wir wollen die gebündelten Arbeitsgruppen bei den Cybercrime-Staatsanwaltschaften verstärken. Die Staatsanwälte aus solchen Arbeitsgruppen, die es in einigen Bundesländern schon seit Längerem gibt, haben auch Erfolg. Sie haben die technische Expertise, und sie haben die Ressourcen, auch große Plattformen und Datenmengen zu bearbeiten. Sie haben auch die Möglichkeit, verdeckte Ermittler einzusetzen. Dies kostet natürlich alles Geld. Wir müssen dieses Geld auch in die Hand nehmen, wenn wir unseren Kindern wirklich helfen wollen.
Liebe Kollegen von der Union, die Amerikaner haben eine treffende Bezeichnung für ausgeprägtes Wollen, ohne zu können:
({4})
A good try.
Vielen Dank.
({5})
Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Marcel Emmerich.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sexueller Missbrauch, sexuelle Ausbeutung und ihre Darstellung und Verbreitung müssen entschieden bekämpft werden – gerade auch dann, wenn es online geschieht. Daran gibt es überhaupt gar keinen Zweifel. Aber ich muss sagen: Ich finde es respektlos und infam, dass die Union mit ihrem Antragstext unterstellt, wir in den Koalitionsfraktionen würden den Kinderschutz auf die leichte Schulter nehmen.
({0})
Ich bin seit einem halben Jahr Vater. Ich finde, es ist nicht in Ordnung, wie Sie hier argumentieren.
({1})
Jeder einzelne Fall steht für ein zerstörtes Kinderleben. Daran gibt es nichts zu rütteln. Abscheulichen Verbrechen gegen Kinder müssen wir mit aller rechtsstaatlichen Entschlossenheit entgegentreten.
({2})
Dafür braucht es mehr und besser vernetzte Prävention, Kooperation zwischen den Jugendämtern, eine schnellere Löschung, eine bessere Ausstattung für die Ermittler/-innen und vor allem verfassungsrechtlich tragbare Lösungen für unsere Strafverfolgungsbehörden.
({3})
Aber all das spiegelt dieser Antrag nicht wider.
Immer wieder bringen Sie hier Beiträge ein, die eine unverhältnismäßige Überwachung der Bürgerinnen und Bürger legitimieren sollen.
({4})
Meine Damen und Herren von der Union, seien Sie doch mal ehrlich und benennen es mit dem Begriff, den Sie im Kern fordern, sich aber offensichtlich nicht trauen zu schreiben oder hier offen zu sagen. Sie fordern die anlasslose Vorratsdatenspeicherung, die Vorratsdatenspeicherung, mit der Sie während Ihrer 16-jährigen Regierungszeit zu Recht immer und immer wieder vor Gerichten gescheitert sind.
({5})
Wenn so Ihre Antwort auf schlimmste Verbrechen aussieht, erweisen Sie den Opfern einen Bärendienst. Das ist keine kluge Politik. Das ist eine Politik, die Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit nicht so genau nimmt.
({6})
Ihre Forderung ist die Fortsetzung der Politik der Scherbenhaufen – Scherbenhaufen, die wir als Koalitionsfraktionen jetzt zusammenkehren müssen, und das machen wir nach und nach. Und wissen Sie, was wir am Ende haben? Dann haben wir eine vorausschauende und faktenorientierte Sicherheitspolitik,
({7})
die auf bestehende sicherheitspolitische Gefahren zielgerichtet antwortet. Mit dieser rechtssicheren Politik und Gesetzgebungspraxis leisten wir einen Beitrag für die Demokratie und bringen obendrein noch ein Entlastungsprogramm für das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe auf den Weg, weil es weniger mit uns zu tun haben wird.
({8})
Man kann sich schon sehr wundern. Nachdem Sie jahrelang in Regierungsverantwortung gesagt haben, Sie könnten nicht an einer neuen Regelung arbeiten, weil Sie auf das EuGH-Urteil warteten, präsentieren Sie jetzt, kurz vor dem zu erwartenden EuGH-Urteil zur verkorksten deutschen Regelung, diesen halbgaren Antrag. Dabei sind schon die Strafverfolgungsbehörden viel kreativer als die Union. Schauen Sie dafür zum Beispiel mal nach Schleswig-Holstein! Da gibt es ein Positionspapier der GdP mit vier wichtigen Stichpunkten: Personalbedarf, Sachausstattung, Gesundheitsprävention, Wertschätzung. Das sind Dinge, auf die es ankommt.
({9})
Wir haben mit dem Quick-Freeze-Verfahren einen vernünftigen, einen adäquaten Vorschlag auf dem Tisch. Mit unserem Koalitionsvertrag – seit Neuestem übrigens auch dem Koalitionsvertrag in Schleswig-Holstein von Schwarz-Grün;
({10})
das haben Sie vielleicht schon gehört – schaffen wir es, mit dem Erfordernis des Anfangsverdachts und einer richterlichen Anordnung rechtsstaatliche Leitplanken einzuziehen. Der Weg ist also geebnet. Wir bringen wirksame Strafverfolgung und Grundrechtssicherung in Einklang. Lassen Sie uns vernünftig darüber reden und endlich die Erkenntnis gewinnen, die anlasslose Vorratsdatenspeicherung in Deutschland zu den Akten zu legen!
Vielen Dank.
({11})
Vielen Dank, Herr Kollege Emmerich. – Wir haben zwischenzeitlich den Vorsitz getauscht. Die Präsidentin hat sich nicht geschlechtlich verwandelt, sondern ich bin der Nachfolger.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Anke Domscheit-Berg, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2020 gab es über 14 000 Anzeigen wegen sexualisierter Gewalt an Kindern und fast 19 000‑mal Anzeigen zur Verbreitung von Bildern dieser Gewalt. Und ja, es muss viel mehr getan werden, um Kinder wirksam davor zu schützen.
({0})
Es braucht mehr Prävention, Stärkung von Jugendämtern, Schulsozialarbeit und auch Aufklärung von Eltern und Kindern selber; denn in meinem Wahlkreis kenne ich mehrere Fälle, wo Opfer, Lehrkräfte und Eltern völlig ratlos waren. Man kann digital zum Beispiel Onlinewachen für Minderjährige einrichten. Man kann verpflichtend Melde-Buttons haben, womit man mit einem Klick automatisch Beweise für die Strafverfolgung sichern kann oder Hilfe von Ombudspersonen bekommt. Bei Strafverfolgungsbehörden könnte man, müsste man mehr Kompetenzen und Ressourcen zur digitalen Beweissicherung haben und natürlich auch mehr Personal.
Aber nichts davon fordert die CDU/CSU in ihrem Antrag.
({1})
Stattdessen gibt es den immer gleichen Reflex: mehr Massenüberwachung statt Prävention. Sie will eine Vorratsdatenspeicherung von IP‑Adressen für sechs Monate. Schon 2007 hat die CDU/CSU die Vorratsdatenspeicherung eingeführt. Der EuGH hat sie zum Glück gekippt.
({2})
Die Ampel hat sich im Koalitionsvertrag ganz klar von der Vorratsdatenspeicherung verabschiedet. Das ist sehr gut so und erfüllt auch eine Forderung der Linksfraktion.
({3})
Aber im Koalitionsvertrag steht auch ein Recht auf Verschlüsselung, das aktuell durch eine europäische Verordnung, die auch den Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt zum Ziel hat, gefährdet ist. Auch diese europäische Verordnung enthält in ihrem Entwurf keinen einzigen effektiven Vorschlag für Prävention, nur Strafverfolgung, und das mittels der sogenannten Chatkontrolle; denn sie verlangt eine Durchsuchung aller Messengerdienste, auch verschlüsselter Dienste, um potenziell verdächtige Inhalte zu finden.
Mit der damit einhergehenden Schwächung der Verschlüsselung würde aber auch die Sicherheit unser aller Kommunikation gefährdet und auch für Dritte angreifbar. Und weil Algorithmen fehlerhaft sind, wird es Tausende falsche Verdachtsfälle geben. Die überlasteten Ermittler müssen sich dann auch noch mit harmlosen Fotos planschender Kinder im Garten von Oma beschäftigen, die ein Elternteil in dem Familien-Chat geteilt hat – Zeit, die Ermittlern fehlt. Tausende Male würde die Privatsphäre Minderjähriger dadurch zusätzlich verletzt. Das ist nicht nur nicht hilfreich, das verschlechtert den Kinderschutz.
({4})
Deshalb haben nicht nur 160 000 Bürger/-innen eine Petition unterschrieben und über 90 Grundrechtsorganisationen einen offenen Brief verfasst. Auch Kinderschutzorganisationen halten die Chatkontrolle für unangemessen und wenig hilfreich. Deshalb beantragt die Linksfraktion, dass die Bundesregierung in Brüssel ganz klar gegen die Chatkontrolle und jede Art der Schwächung des Rechts auf Verschlüsselung vorgeht und stattdessen für wirksame Maßnahmen kämpft, die Kinder besser schützen.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, helfen bitte auch Sie alle mit. Notieren Sie sich den Link
({6})
Zeigen Sie den überall in Ihren Schulen. Es gibt in jeder Klasse gefährdete Kinder, für die diese Informationen hoffentlich gerade noch zur rechten Zeit kommen. Ich sage es sicherheitshalber noch mal:
Zum Schluss möchte ich ein allerletztes Mal am Ende meiner Rede zu § 219a kommen. Es ist tatsächlich geschafft.
({7})
Vielen Dank an die Ampel dafür.
({8})
Aber auch beim Recht auf Verschlüsselung und bei der Absage an die Vorratsdatenspeicherung erwarte ich, dass man den Koalitionsvertrag erfüllt.
Vielen Dank.
({9})
Vielen Dank, Frau Kollegin Domscheit-Berg. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Konstantin Kuhle, FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der sexuelle Missbrauch an Kindern und die Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen gehören zu den schrecklichsten Straftaten, die es gibt. Deswegen haben wir alle gemeinsam in diesem Haus das Ziel, die Täter zu finden und zu bestrafen.
({0})
Es ist eine gute Nachricht, dass in der Polizeilichen Kriminalstatistik für das Jahr 2021, die gerade veröffentlicht worden ist, die Aufklärungsquote im Bereich der Missbrauchsdarstellungen bei 92,3 Prozent liegt. Diese Statistik hilft denjenigen nicht, die im Dunkelfeld sind. Diese Statistik hilft den 7,7 Prozent nicht, bei denen Missbrauchsdarstellungen eben nicht verfolgt werden konnten. Aber es zeigt uns doch, dass in diesem Land bei einer so schrecklichen Straftat vergleichsweise viele Ermittlungserfolge erzielt werden. Das haben wir den Beamtinnen und Beamten zu verdanken, die sich dieses widerliche Material ansehen müssen. Ihnen gilt unser Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Natürlich müssen wir hier auch darüber sprechen, welche Daten zur Verfügung stehen, um die Täter zu finden und zu bestrafen. Es wäre aber verfehlt, eine erneute Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung zu beginnen; denn die Vorratsdatenspeicherung gibt es längst. Sie steht im Gesetz, kann aber von den Ermittlern nicht eingesetzt werden, weil die Regelung mehrfach von deutschen und europäischen Gerichten für unanwendbar erklärt worden ist, weil sie die Grundrechte verletzt. Es ist auch gut so, dass diese Regelung nicht angewandt werden kann; denn in einer offenen Gesellschaft, in einer liberalen Demokratie, in einer freien Gesellschaft braucht der Staat eine Begründung, damit er anlasslos die Daten aller Menschen speichern kann. Das schlichte Bewegen im Internet ist keine ausreichende Begründung; das macht die Menschen noch nicht zu Tätern.
({2})
Deswegen wollen wir als Ampel eine Abkehr von der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden stattdessen eine Ausnahme nutzen, die der Europäische Gerichtshof zulässt, und zwar die Einführung einer Regelung zur anlassbezogenen Speicherung, zum Einfrieren von Daten nach einem richterlichen Beschluss.
({3})
Das ist der richtige Weg, das werden wir machen. Daran sehen Sie, dass wir auch die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs beachten werden.
({4})
Soweit sich die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs auch auf die IP‑Adresse erstrecken, sei an dieser Stelle gesagt, dass die IP‑Adresse in Deutschland längst gespeichert wird, und zwar mindestens für sieben Tage.
Die Aufklärungsquote von 92,3 Prozent haben wir doch deshalb, weil wir es über bessere Verfahren geschafft haben, innerhalb weniger Tage von dem Hinweis aus den USA zur Ermittlung der zuständigen Staatsanwaltschaft und dann zur Durchsuchung und zur Beschlagnahme zu kommen. Diese Verfahren müssen noch schneller werden. Daran arbeiten wir gerne gemeinsam. Bekämpfen wir gemeinsam Kindesmissbrauch, erhöhen wir die Aufklärungsquote, die dank der Beamtinnen und Beamten schon sehr hoch ist, aber schützen wir auch die Grundrechte aller unbescholtenen Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, die mit diesen widerlichen Taten nichts zu tun haben!
Herzlichen Dank.
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege Kuhle. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Alexander Throm, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns alle einig, dass Straftaten im Bereich Kinderpornografie und Kindesmissbrauch zu den widerwärtigsten Taten zählen, die es gibt. Das höre ich von allen meinen Vorrednern. Wenn es aber konkret wird, etwa bei der Speicherung von IP‑Adressen, dann verweigert sich die komplette Ampel. Das ist nicht akzeptabel.
({0})
Das fehlende Interesse der Ampelkoalition zeigt sich auch dadurch, dass keiner der betroffenen Minister hier anwesend ist, weder die Familienministerin noch die Innenministerin noch der Justizminister, und alle unentschuldigt.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel, Sie haben sich in Ihrem Koalitionsvertrag selbst Fesseln angelegt, indem Sie sich auf die anlassbezogene Speicherung bzw. das Quick-Freeze-Verfahren beschränken. Alle Fachleute, auch der Bund Deutscher Kriminalbeamter, Herr Kollege Fiedler, sagen uns, dass das Quick-Freeze-Verfahren keinesfalls ausreichend ist, um die Täter tatsächlich zu erwischen und vor allem zukünftige Taten zu verhindern.
({2})
Wenn Sie bei diesem Standpunkt bleiben, dann schützen Sie die Schwächsten in unserer Gesellschaft nicht. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel, lassen sie im Stich.
({3})
Erfreulicherweise hat das – ich habe es begrüßt – die Innenministerin erkannt, und zwar nach einem Besuch des BKA in Wiesbaden Ende Mai. Die dortigen Ermittler haben ihr die Situation dargestellt, und Präsident Münch hat sie aufgefordert, wie er es schon seit langer Zeit tut, Möglichkeiten zu schaffen, die IP‑Adressen speichern und auswerten zu dürfen,
({4})
und zwar mindestens sechs Monate rückwirkend.
({5})
– Ich komme gleich auf Sie zurück, Herr Kollege Fiedler.
In diesem Bereich ist die Ministerin weiter als die Ampel. Denn die Ampel, Herr Kollege Kuhle, bleibt mit dem, was Sie gesagt haben und was im Koalitionsvertrag steht, hinter den Möglichkeiten zurück, die der EuGH uns gewährt.
({6})
Der EuGH ist nun wirklich nicht bekannt dafür, dass er mit dem Datenschutzrecht lax umgeht oder Grundrechte missachtet. Erst im April dieses Jahres hat er in einem Urteil zu einem Fall aus Irland erklärt, dass bei schwersten Straftaten – und das sind doch wohl Kindesmissbrauch und Kinderpornografie – die Speicherung, auch die rückwirkende Speicherung von IP‑Adressen zulässig ist. Er sieht nämlich in der Speicherung von IP‑Adressen einen geringeren Grundrechtseingriff und deswegen einen geringeren Schutzbedarf.
Aber der selbsternannte Freiheitskämpfer Justizminister Buschmann,
({7})
insbesondere die FDP
({8})
und auch die Grünen sitzen hier schon seit Jahr und Tag im Bremserhäuschen,
({9})
aber – Herr Kollege Fiedler, ich komme auf Sie zurück – auch die SPD. Zu dem Vorwurf „Warum haben Sie das nicht schon lange gemacht?“: Wir haben bereits 2020, bei der Verabschiedung des letzten Gesetzespakets zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch, genau diesen Vorschlag, den wir heute singulär einbringen, der damaligen Justizministerin Lambrecht unterbreitet, die ihn für die SPD abgelehnt hat. Wir hätten das schon in der letzten Koalition umsetzen können, wenn die SPD mitgemacht hätte. Herr Kollege Fiedler, jetzt ist es an Ihnen, gemeinsam mit der Innenministerin endlich für Vernunft in dieser Koalition zu sorgen und die Speicherung von IP‑Adressen zu ermöglichen.
({10})
Ein letztes Wort insbesondere an die Kollegen der FDP. Herr Kollege Kuhle, wir hatten uns schon in den Haushaltsberatungen bei einer Zwischenfrage von mir über das Thema ausgetauscht. Ich fand es schon bemerkenswert, dass Sie auf die Frage, ob man IP‑Adressen rückwirkend speichern können soll, mit einem einzigen Wort geantwortet und Nein gesagt haben.
({11})
– Jawoll. – Aber ich fand es bemerkenswert, dass Sie noch nicht einmal darüber nachgedacht, das reflektiert haben, sondern nur auf die Vergangenheit, auf die letzten Regierungsjahre eingegangen sind.
({12})
Das finde ich nicht verantwortungsbewusst.
({13})
Ich lese Ihnen den Text vor, den Sie vor einem Jahr ins Grundgesetz schreiben wollten: Jedes Kind hat das Recht auf Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit. – Ja, das hat es. Aber Missbrauch macht das weitestgehend unmöglich. Die körperlichen und seelischen Schäden sind so schlimm, dass die Kinder ein Leben lang darunter leiden. Sie lassen diese Kinder, die Schwächsten in unserer Gesellschaft, im Stich,
({14})
wenn Sie aus ideologischen Gründen, die Möglichkeiten, die der EuGH uns, auch Ihnen gewährt, nicht nutzen.
Herzlichen Dank.
({15})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Anna Kassautzki, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Sehr geehrte Damen und Herren! „Kinderschutz vor Datenschutz – Mit der Speicherung von IP‑Adressen sexuellen Kindesmissbrauch wirksam bekämpfen“ – was für ein Titel! Hier werden hohe Güter gegeneinander ausgespielt, und das mit dem klaren Ziel – anders kann ich es mir nicht erklären –, Akteurinnen und Akteure zu diskreditieren, die sich für Datenschutz einsetzen.
({0})
Dafür eignet sich das Thema Kinderschutz besonders gut; denn niemand kann gegen den Schutz von Kindern sein, ich bin es auch nicht. Kinder, vor allem Kleinkinder – das hat der Kollege Fiedler vorhin gesagt –, sind eine besonders vulnerable Gruppe. Das Thema ist deswegen hoch emotional, und die Argumentation scheint im ersten Moment simpel.
So kommen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, dabei wieder und wieder auf die eine oder andere Form der Vorratsdatenspeicherung zurück, einem Mittel, das seit nunmehr 20 Jahren durch dieses Haus geistert. Es war schon damals nicht akzeptabel und ist es auch heute nicht.
({1})
Fakt ist, dass Ihr Antrag gespickt ist von unscharfen Formulierungen. Ja, es ist richtig, dass für die Herausgabe von Zuordnungsdaten von IP‑Adressen zu Anschlussinhaberinnen und ‑inhaber ein Richtervorbehalt besteht, im Übrigen völlig zu Recht, wie ich finde. Dass durch diese Zuordnung Anschlussinhaber/-innen identifiziert werden, nicht aber zwingend Täter/-innen, sagen Sie selbst in Ihrem Antrag. Denn wenn mehrere Personen in einem Haushalt, einer WG, einem Internetcafé den gleichen Zugang nutzen, sind sie eben nicht klar identifizierbar. Daran ändert auch das weitgehend zusammenhanglose Erwähnen von Portnummern nichts. Diese Ports eindeutig einem Endgerät, nicht einem Nutzer oder einer Nutzerin zuzuordnen, ist technisch noch weniger praktikabel als die eindeutige Zuordnung einer IP‑Adresse zu Anschlussinhaberinnen und ‑inhabern. Sie versuchen, unter dem Vorwand Kinderschutz den Datenschutz auszuhöhlen.
({2})
Die Union sagt: Kinderschutz vor Datenschutz. – Ich sage: Datenschutz ist Kinderschutz. Kindern im Rahmen der Medienkompetenz beizubringen, sparsam mit ihren Daten umzugehen, sich nicht identifizierbar zu machen und sich somit vor potenziellen Täter/-innen zu schützen, das ist gelebter Datenschutz, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist eine sinnvolle Präventionsmaßnahme.
({3})
Ich zitiere an dieser Stelle den Bundesdatenschutzbeauftragten, Professor Ulrich Kelber, aus dem Herbst 2021, der auch sagte: Datenschutz ist kein Täterschutz. Datenschutz ist Freiheitsschutz.
Und überhaupt: Was ist denn Datenschutz? Datenschutz ist integraler Bestandteil des Schutzes von Menschen, der Schutz unserer Kommunikation, unserer Privatsphäre und unseres Persönlichkeitsrechts. Das hat auch die Fortschrittskoalition für sich erkannt und sich diesen Schutz, insbesondere im digitalen Raum, zum Auftrag gemacht: Eine Identifizierungspflicht lehnen wir ab. Anonyme und pseudonyme Onlinenutzung werden wir wahren. – So steht es im Koalitionsvertrag.
({4})
Legitim ist die Beschneidung dieser Grundrechte und des Datenschutzes nur aufgrund eines begründeten Verdachts unter richterlicher Aufsicht, keinesfalls aber präventiv, anlasslos und allgemein.
({5})
Sexuellen Missbrauch von Kindern im Netz und die Darstellung davon bekämpfen wir nicht dadurch, dass wir mehr anlasslose Überwachung forcieren oder den Datenschutz aushebeln. Unser Fokus sollte darauf liegen, Kinder schon vor den Anbahnungsversuchen, also vor den Missbrauchsfällen zu schützen. Dazu gehört Prävention. Das ist die Aufklärung über sichere Nutzung moderner Kommunikationsmedien genauso wie die Aufklärung über körperliche und sexuelle Selbstbestimmung der Kinder. Denn Kinder wissen ganz häufig, wann etwas nicht okay ist. Wir müssen mit Ländern und Kommunen zusammenarbeiten, um bei Kindern, deren Eltern, ihren Kontakt- und Aufsichtspersonen ein Bewusstsein für die Problematik zu schaffen, ihnen Mittel und Hilfen an die Hand zu geben, Missbrauchsfälle vor Ort zu erkennen und zu verhindern.
Dazu gehört auch die angemessene Ausstattung unserer Behörden mit Personal im Bereich des digitalen Raums, insbesondere mit entsprechendem Fachpersonal, eine zeitgemäße technische Ausstattung und das nötige Know-how. Dies erstreckt sich selbstverständlich auch auf die Strafermittlungsbehörden. Es darf nicht sein, dass Ermittlungsverfahren zu lange dauern oder nicht stattfinden, weil es an Personal und/oder an Fähigkeiten mangelt. Der Darstellung von Kindesmissbrauch geht immer ein realer Kindesmissbrauch voraus. Täter/-innen müssen schneller und effektiver gefasst werden. Wir sind uns sicher: Dies lässt sich auch ohne unverhältnismäßige Eingriffe in digitale Bürger/-innenrechte realisieren.
Wir brauchen mehr als kosmetische Politik, um Kinder wirksam zu schützen. Die Bekämpfung von Kindesmissbrauch ist nicht mit einer Maßnahme zu erledigen. Es ist eben nicht simpel. Es ist kein rein technisches, es ist ein gesellschaftliches Problem, über das wir hier reden.
Der Titel des Antrags der CDU/CSU-Fraktion lautet „Kinderschutz vor Datenschutz – Mit der Speicherung von IP‑Adressen sexuellen Kindesmissbrauch wirksam bekämpfen“. Das ist aus meiner Perspektive doppelt blanker Hohn: Erstens ist Datenschutz Kinderschutz – er ist Menschenschutz –, und zweitens wird sexueller Missbrauch von Kindern nur wirksam bekämpft durch sinnvolle Präventionsmaßnahmen, durch Medienerziehung, durch Sensibilisierung und durch Opferschutz.
({6})
Dafür benötigen wir eine angemessene Ausstattung unserer Strafverfolgungsbehörden mit Personal, Technik und Know-how, nicht aber mit einem weiteren fragwürdigen Überwachungsinstrument.
({7})
Das ist ein längerer Weg, aber es ist ein grundrechtskonformer, nachhaltiger und effektiver Weg.
Herzlichen Dank.
({8})
Vielen Dank, Frau Kollegin Kassautzki. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Eugen Schmidt, AfD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Ich habe selbst vier bezaubernde Kinder; das jüngste kam erst dieses Jahr zur Welt. Wer, wenn nicht wir, Väter und Mütter, können nachvollziehen, was es bedeutet, unsere Kinder in das aktuelle Chaos unseres einst so stolzen Landes zu entlassen?
Die Unionsfraktion fordert in ihrem aktuellen Antrag die Vorratsdatenspeicherung von IP‑Adressen, vorgeblich um Kinder vor sexuellem Missbrauch zu schützen. In den Händen dieser Regierung aber sind weitere Überwachungswerkzeuge und überbordende Macht hoch gefährlich. Wer ihr Macht gibt, bekommt weitere abscheuliche Sexualisierung von Kindern. Das bedeutet mehr Kindesmissbrauch.
Sie kennen Daniel Cohn-Bendit, Mitglied der Grünen, und seine unerträglichen Aussagen über die Erotik von fünfjährigen Mädchen. Sie kennen den unsäglichen Netflix-Film „Cuties“, der sich an sexualisierten Posen kleiner Mädchen ergötzt. Verwahrloste linke Kultur normalisiert die Sexualisierung von Kindern.
({0})
Genau so gehen laut Experten auch Pädophile vor. Aber Sexualisierung von Kindern ist nicht normal und darf es auch niemals werden. Schluss damit!
({1})
Hierzulande werden GEZ-Verweigerer oft schwerer bestraft als manch prominenter Pädophiler. Schluss mit laxen Strafen, Schluss mit Verständnis und Unterstützung durch die Machtpolitiker! Die Verantwortlichen für Hunderte Tabubrüche, niedere Ideologie und schlussendlich die fatale Entwicklung der letzten Jahre versammeln sich hier im Saal.
Der CDU-Plan würde vielmehr bewirken, dass rechtschaffene Bürger bis auf die Knochen durchleuchtet würden. Täter allerdings nutzen Datenumleitungen um die ganze Welt und Verschlüsselungen, um ihre schändlichen Verbrechen zu vertuschen. Der wahre Grund für den Vorstoß der Union steht fest: die tiefe Sehnsucht nach Kontrolle, Bespitzelung und Unterdrückung.
({2})
Sie wünschen sich einen gläsernen Bürger in einer gar nicht so utopischen Welt der absoluten Kontrolle über das Volk.
({3})
Der Antrag der CDU ist eine hinterlistige Falle und ein trojanisches Pferd. Die blütenweiße Fassade des vorgeschobenen Kinderschutzes hat tiefe Risse; denn das, was sich dahinter verbirgt, ist ein Angriff auf die Freiheit all unserer Landsleute und ein weiterer Riesensprung in Richtung Totalüberwachung.
({4})
Ja zu harten Strafen für Kinderschänder, Nein zum gläsernen Bürger!
Wir lehnen diesen Antrag ab.
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege Schmidt. – Nächster Redner ist der Kollege Helge Limburg für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich gehört habe, dass die Union einen Antrag zum Thema Kinderschutz einbringen wird, habe ich mich gefragt: Worüber werden wir reden? Über die verbesserte Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg zwischen Jugendämtern, Polizei, Schulen und anderen Stellen? Oder werden wir über Konzepte zur Stärkung des Selbstbewusstseins für Kinder reden, damit sie offensiv Nein sagen können, sich selber wehren und sich selber Hilfe suchen können? Werden wir über Informations- und Beratungsangebote für besorgte Erzieherinnen, Erzieher, Eltern und andere Verwandte reden? Nein, über all das wollen Sie hier keine Debatte führen. Sie beschreiben auf anderthalb Seiten – ja, zu Recht – viele schreckliche Taten, aber die einzige Schlussfolgerung, die Sie daraus ziehen, ist, zum wiederholten und wiederholten Mal die Vorratsdatenspeicherung zu fordern. Das ist sehr, sehr dünn, Herr Kollege Krings.
({0})
Also, Sie wollen in Wahrheit eine Debatte über die Vorratsdatenspeicherung. Dann führen wir diese Debatte.
Zunächst einmal ist darauf hinzuweisen – viele Kolleginnen und Kollegen haben das bereits getan –, dass die Vorratsdatenspeicherung eine kurze, wechselvolle und letztlich auf ganzer Linie gescheiterte Episode in diesem Rechtsstaat war, und das war gut so, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Die Vorratsdatenspeicherung war von Anfang an ein Fremdkörper in unserem Strafermittlungssystem, und zwar deshalb, weil der Regelfall ist, dass wir unter anderem in der Strafprozessordnung festlegen, unter welchen Voraussetzungen der Staat bestimmte Daten erheben, bestimmte Ermittlungsmaßnahmen durchführen darf. Nur die Vorratsdatenspeicherung hat private Dritte dazu verpflichtet, Daten zu sammeln und zu speichern, damit der Staat später im Wege der Strafverfolgung auf sie zugreifen kann. Es ist gut, dass dieser Fremdkörper beseitigt wurde.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, es hilft den Ermittlerinnen und Ermittlern auch nichts, wirklich gar nichts, wenn Sie zum wiederholten Male und zum wiederholten Male und zum wiederholten Male mit Ihrem Kopf gegen eine Stahlbetonwand rennen, in der Hoffnung, doch noch irgendeine Variante dieses Mittels durchzubekommen. Dieses Auf und Ab der letzten Jahre, das Hü und Hott, erst ja und dann vielleicht wieder doch nicht, das nützt keinem Praktiker, keiner Praktikerin. Es hat der Strafverfolgung jedenfalls nicht gedient, nein.
({3})
Kommen Sie endlich von diesem überholten und geschichtlichen Instrument ab! Gestalten Sie doch zusammen mit uns, mit der Fortschrittskoalition und mit Minister Buschmann!
({4})
Wir haben ein Instrument, das wirksam und rechtssicher ist, das kein Grundrecht einschränkt – so sollte es in einem Rechtsstaat sein –, nämlich die anlassbezogene Speicherung von vorhandenen Daten im Wege des Quick Freeze. Das ist ein grundrechtschonendes Mittel, das gleichzeitig den Erfolg der Ermittlungsmaßnahmen ermöglicht.
({5})
Es wäre schön, wenn Sie dazu mal konkrete Vorschläge machen würden, anstatt hier immer vergangenheitsbezogene Debatten zu führen.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich gehört zu einem Rechtsstaat, dass schlimme Verbrechen aufgeklärt werden müssen. Herr Kuhle zum Beispiel hat schon viel Richtiges dazu gesagt: Zahl der Ermittler aufstocken, Zusammenarbeit stärken, V-Personen in die Szene einschleusen, Zeugen schützen und stärken, Opfer beschützen und unterstützen, damit sie aussagen, auch umfangreich aussagen können. Insbesondere Kinder sollten in solchen Verfahren stärker betreut werden. Das alles wären doch wirksame Maßnahmen.
({7})
Ihr Kollege aus demselben Landesverband in Nordrhein-Westfalen, Herr Krings, war übrigens schon viel, viel weiter mit seinen Konsequenzen aus den Fällen in Lügde und anderswo.
({8})
Es wäre schön, wenn Sie so etwas in diesen Antrag geschrieben hätten, anstatt nur diese eine stumpfe Debatte führen zu wollen.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gehört zum Wesen des Rechtsstaates, dass es keine Strafverfolgung um jeden Preis gibt. Es gehört zum Wesen des Rechtsstaates, dass – und das hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht ausgeführt – Überwachungsmaßnahmen nicht zu einem diffusen Gefühl aller des Überwachtseins, des stetigen kontrollierten Überwachtseins führen dürfen. Aber genau das ist doch die Gefahr bei der von Ihnen vorgeschlagenen anlasslosen massenhaften Speicherung von IP‑Adressen, nämlich dass sich alle, die sich im Internet bewegen, überwacht fühlen. Das ist ja letztlich auch unmittelbare Folge der Maßnahmen.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend: Das Pferd mit dem etwas sperrigen Namen Vorratsdatenspeicherung ist in diesem Land schon viele, viele Tode gestorben.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Anstatt immer wieder zu versuchen, es wiederzubeleben, sollten Sie endlich absteigen und mit uns gemeinsam an fortschrittlichen Konzepten arbeiten.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Limburg. – Als Nächster hat das Wort der Kollege Dr. Thorsten Lieb, FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne! Der sexuelle Missbrauch von Kindern ist eine besonders abscheuliche Tat. Er ist besonders widerlich, wenn er im familiären und persönlichen Umfeld geschieht; das macht mich gerade als Vater von vier Kindern fassungslos. Dass gerade die Täterinnen und Täter in diesem Bereich dann natürlich mit aller Konsequenz des Rechtsstaates – ich sage bewusst: Konsequenz – zur Verantwortung gezogen werden müssen, daran kann – da widerspricht hier ja auch niemand – nicht der geringste Zweifel bestehen.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, „Kinderschutz vor Datenschutz“, wie der Titel Ihres Antrags lautet? Ich muss offen sagen: Ich halte das schon für einigermaßen perfide.
({0})
Zwei wichtige und fundamentale Grundrechte – das Recht auf körperliche Unversehrtheit, in diesem Falle durch Kinderschutz, und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung – so gegeneinander auszuspielen und hier eine Rangfolge zu bilden, wird dem Ernst und der Bedeutung dieses Themas alles andere als gerecht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Da vermischen Sie Dinge, die nicht zusammengehören.
({1})
Es sei daran erinnert, dass die Kollegin Bär beim vorherigen Thema an die gebotene Sachlichkeit in der Debatte erinnert hat. Wir sind gut beraten, auch an dieser Stelle zur Sachlichkeit zurückzukehren.
({2})
Richtig ist – auch das ist schon mehrfach erwähnt worden –, dass der EuGH in seiner Entscheidung auch die Möglichkeit eröffnet hat, IP‑Adressen abzuspeichern.
({3})
Aber – und das vermisse ich in Ihrem Antrag und bei der Positionierung der CDU/CSU-Fraktion völlig – der EuGH hat auch drei andere Wege eröffnet, von denen der eine das Quick-Freeze-Verfahren ist, das wir als Koalition durchsetzen wollen.
({4})
Deswegen kann es doch nicht richtig sein, einen solchen Antrag zu stellen. Mich ärgert die Instrumentalisierung dieses Themas
({5})
und dass Sie sich mit den anderen Wegen überhaupt nicht sachlich auseinandersetzen. Das würde zu einem seriösen Antrag selbstverständlich dazugehören.
Abschließend will ich noch auf einen ganz bemerkenswerten Absatz in Ihrem Antrag eingehen – die Kollegin hat es schon erwähnt –, in dem Sie davon sprechen, dass für den Fall, dass eine IP‑Adresse durch mehrere Personen benutzt wird, auch die Speicherung von technischen Begleitdaten erforderlich sei. Ich will das gar nicht technisch erörtern, aber eines müssen wir für die Debatte doch festhalten: Dieser Punkt wird in der EuGH-Entscheidung gar nicht angesprochen; das ist überhaupt nicht Thema gewesen.
({6})
Wir wissen gar nicht, ob das überhaupt grundrechtskonform ist.
({7})
Statt dass Sie einen Antrag formulieren, mit dem man arbeiten kann, formulieren Sie also etwas, wodurch noch zusätzliche rechtliche Risiken entstehen. Da möchte ich Ihre Reaktion sehen, wenn wir das machen und der EuGH es aufhält. Wir als Koalition stehen für eine rechtskonforme Lösung, und die setzen wir auch um.
Vielen herzlichen Dank.
({8})
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Lieb. – Nächster Redner ist der Kollege Christoph de Vries, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe erst jetzt im Mai an einer Fachtagung zum Thema „Sexueller Kindesmissbrauch im Internet“ teilgenommen. Dort waren alle Fachleute vertreten, und was sie dort über die Art und Weise des sexuellen Missbrauchs an Kindern berichtet haben, ist so unvorstellbar, dass es einem fast die Sprache verschlägt; einige haben das heute schon gesagt. Das jüngste Kind, das live im Netz, wo Tausende zuschauen, missbraucht wurde, war noch nicht einmal einen Monat alt – einen Monat, liebe Kolleginnen und Kollegen! –, und die Täter konnten bis heute nicht gefasst werden.
Das ist kein Einzelfall. Laut IJM sind während der Coronapandemie die Uploadzahlen noch einmal um 200 Prozent gestiegen. Allein Europol verfügte im Jahr 2020 über 51 Millionen Bilder, Filme und Texte. Während wir hier sitzen und dieses Thema diskutieren, werden weltweit über 200 Bilder und Videos pro Stunde hochgeladen. Die Verbreitung dieses widerlichen Materials findet immer rasanter statt.
Und immer häufiger kommen Täter ungeschoren davon. Es ist angesprochen worden – ich hatte die Bundesregierung gefragt –: 19 150 Hinweise konnten nicht verfolgt werden, weil es in Deutschland keine Pflicht der Provider zur Speicherung von Verkehrsdaten gibt. Um das einmal ganz deutlich zu sagen: Alle Fachleute in den Landeskriminalämtern, im Bundeskriminalamt, in den Kinderschutzorganisationen fordern unisono eine allgemeine, zeitlich begrenzte Speicherung der IP‑Adressen.
({0})
Und wir als Union fordern das deshalb auch, meine Damen und Herren.
({1})
Es ist ganz klar: Es gibt kein besseres, schnelleres und effektiveres Mittel zur Ermittlung der Täter. Weil das so ist und weil der Bundesjustizminister an dieser Stelle immer auf der Bremse steht, will ich Sie auch einmal ganz persönlich fragen: Wollen Sie wirklich weiterhin in Kauf nehmen, dass Tausende Kinder sexuell missbraucht werden und die Täter weiterhin nicht ermittelt werden können?
({2})
Ich will Ihnen auch diese Frage stellen: Ist Ihnen der Datenschutz denn wirklich so heilig, dass er an dieser Stelle – nicht allgemein, aber an dieser Stelle – die Täter mehr schützen soll als die Opfer?
({3})
Und ich will Ihnen eine dritte Frage stellen: Wollen Sie als Justizminister unsere Ermittlungsbehörden eigentlich bei ihrer wichtigen Arbeit unterstützen, oder wollen Sie sie weiter dabei behindern?
Das sind nicht meine Fragen, das sind die Fragen, die der Ehrenvorsitzende der Deutschen Kinderhilfe in einer Pressemitteilung am 20. Juni sinngemäß aufgeworfen hat. Und wir stellen uns diese Fragen eben auch, Herr Minister. Ich frage mich: Wie empathielos muss man eigentlich sein, um liberale Prinzipienreiterei bei der Bekämpfung von Kindesmissbrauch über den Kinderschutz zu stellen?
({4})
Wir reden doch hier nicht über eine Steckdosenverordnung der EU oder Ähnliches. Ich sage Ihnen: Ich habe dafür überhaupt kein Verständnis.
({5})
Und ich habe auch kein Verständnis dafür, dass immer wieder der Eindruck erweckt wird, mit einer befristeten Speicherung von IP‑Adressen und einer Herausgabe auf richterlichen Beschluss hin
({6})
wäre hier staatlichem Datenzugriff Tür und Tor geöffnet. Das ist einfach Unsinn, meine Damen und Herren, und es ist falsch, dass hier immer wieder dieser Eindruck erweckt wird.
({7})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. – Lassen Sie mich zum Abschluss sagen: Wir richten unseren hoffnungsvollen Blick hier auf Innenministerin Faeser, die sich für die Speicherpflicht ausgesprochen hat. Herr Fiedler, ich kann nur sagen: Unterstützen Sie sie! Bleiben Sie an dieser Stelle mal standhaft und wehrhaft gegen FDP und Grüne! Sie würden dem Kinderschutz in Deutschland wirklich einen großen Dienst erweisen.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich will jetzt einfach nur geschäftsleitend darauf hinweisen, dass meiner Bitte, zum Schluss zu kommen, von den nächsten Rednern Folge zu leisten ist, sonst werde ich ihnen das Wort entziehen. Das ist diesmal gnädigerweise von mir nicht vollzogen worden; aber es macht keinen Sinn, die Redezeit regelmäßig um 10 Prozent zu überziehen.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Carmen Wegge, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Sehr geehrte Damen und Herren! Die heutige Debatte – wir haben es gerade gesehen – ist ein Musterbeispiel aus dem Lehrbuch, aus dem ewigen Klassiker „Wie fordere ich mehr anlasslose Überwachung?“.
({0})
Ich erkläre das kurz: Man nehme ein Verbrechen, das wirklich jeder schrecklich findet, zum Beispiel Terrorismus, sexuelle Gewalt gegen Kinder. Man fordere dann technische Lösungen, die man schon immer wollte; hier den Klassiker der Union, die Vorratsdatenspeicherung. Man erntet den großen Aufschrei der Bürgerrechtler/-innen. Man schlägt zurück und bezeichnet alle differenziert Abwägenden oder vorsichtigen Grundrechtsschützer/-innen als Täterschützer.
({1})
Man ruft laut „Kinderschutz vor Datenschutz!“, und ruckzuck hat man eine wunderschöne Diskussion, bei der sich zwei laut brüllende Gruppen auf die Bäume jagen und sich von den Baumkronen aus streiten.
Aber dieses Spiel mache ich persönlich nicht mit, ich trage gerne zu etwas Ruhe und Differenziertheit in der Debatte bei.
({2})
Sexualisierte Gewalt gegen Kinder müssen wir bekämpfen. Wir brauchen natürlich auch technische Lösungen, aber vor allem eine Stärkung der Prävention. Ich will Ihnen in drei Schritten gerne erläutern, wie wir als SPD-Fraktion diese Debatte führen wollen:
Der erste Schritt. Trauen wir uns, genauer hinzuschauen und nicht auf der Empörungswelle zu reiten! Worüber sprechen wir beim Gegenstand Ihres Antrags? Anlass Ihres Antrags war der Anstieg der Zahl der Fälle, der sich aus der aktuellen Sonderauswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik ergibt. Von 2020 auf 2021 haben sich die Anzeigen zum Straftatbestand „Herstellung, Besitz und Verbreitung kinderpornographischer Inhalte“ verdoppelt. Was steckt hinter diesem Anstieg? Ich möchte Ihnen gerne drei Gründe nennen.
Erstens. In den letzten Jahren haben BKA und LKAs, aber auch die Staatsanwaltschaften ihre Kapazitäten zur Ermittlung von Onlinekriminalität stark ausgebaut. Wenn mehr Polizistinnen und Polizisten und mehr Staatsanwältinnen und Staatsanwälte ermitteln, werden sie auch mehr finden – und das ist auch gut so.
Zweitens. Was zeigt uns die Polizeiliche Kriminalstatistik genau? Sie erfasst die Zahl der Anzeigen und der Verdächtigen und teilt nun also nicht automatisch die Taten und Täter mit und erst recht nicht, wie viele der Ermittlungen am Ende zu rechtskräftigen Verurteilungen geführt haben. Sie hilft uns, uns der Wirklichkeit anzunähern, gibt aber nicht die Wirklichkeit exakt wieder.
Und drittens. 50 Prozent der Tatverdächtigen in der Kategorie „Verbreitung kinderpornografischen Materials“ sind Minderjährige. Die Kinder und Jugendlichen sind zwischen 12 und 17 Jahre alt. Sie tauschen unter Gleichaltrigen Bilder von sich aus, wobei eine pädokriminelle Absicht eher selten unterstellt werden kann.
({3})
Sie werden aber durch diesen Straftatbestand kriminalisiert. Die Innenministerkonferenz hält bereits jetzt eine rechtliche Prüfung zum Umgang mit minderschweren Fällen für erforderlich, da diese Ermittlungen so viele Ressourcen binden.
({4})
Kommen wir zum zweiten Schritt in unserer Debatte. Was bieten Sie als Problemlösung an? Sie wollen eine rein technische Lösung, nämlich eine Pflicht zur sechsmonatigen Speicherung von IP‑Adressen bei den Providern.
({5})
Wir verschließen uns technischen Möglichkeiten im Kampf gegen Kindesmissbrauch nicht.
({6})
Aber wir wollen technische Möglichkeiten an ihrer Effektivität messen,
({7})
inwieweit sie die Ermittler/-innen wirklich unterstützen, Verbrechen zu entdecken und aufzuklären.
({8})
Die Ermittlungen über IP‑Adressen ist nur ein Ausschnitt davon.
Sie nennen in Ihrem Antrag 19 150 Fälle. In diesen Fällen stand als einziger Identifizierungsansatz lediglich die IP‑Adresse zur Verfügung, die dann aber nicht mehr bei den Providern gespeichert war. Jeder Fall, der nicht aufgeklärt werden kann, muss uns natürlich besorgen. Aber: Wenn Sie mit einer Zahl kommen, dann setzen Sie diese bitte auch ins Verhältnis. Alles andere beschreibt nur einen Teil der Wahrheit. Die rund 19 000 Fälle waren nämlich innerhalb von fünf Jahren, 2017 bis 2021,
({9})
und machten bei insgesamt 302 000 Meldungen nur circa 6 Prozent der Fälle aus.
({10})
Die Innenministerkonferenz prüft aktuell, welche Sicherungsmechanismen und welche Sicherungszeiten von IP‑Adressen für erfolgreiche Ermittlungsarbeit notwendig erscheinen. Wir sind also schon tätig, aber eben unaufgeregt.
({11})
Drittens: der große und wichtigste Schritt. Die Lösung von komplexen sozialen Problemen wollen wir auf allen Ebenen denken, auch wenn es mühsam wird. Sie sprechen in Ihrem Antrag vor allem über die Bekämpfung von Abbildungen von sexueller Gewalt gegen Kinder, wenig von der Bekämpfung der direkten sexuellen Gewalt gegen Kinder.
({12})
Wir wissen: Jedes Bild online entsteht offline. Das ist das größere Übel. Hier müssen wir nicht nur technische Lösungen im Werkzeugkoffer haben. Wir müssen über Sensibilisierung im sozialen Umfeld von Kindern, über Medienerziehung in Kitas und Schulen, über kinderfreundliche und niederschwellige Meldestellen off- und online sprechen. Ja, das macht Arbeit, das ist kleinteilig und langwierig. Ja, dafür brauchen wir die Kommunen, die Länder, liebe Union,
({13})
die Lehrer/-innen, die Erzieher/-innen, die Sozialarbeiter/-innen im Jugendamt, die Väter, die Mütter – einfach sehr, sehr viele Menschen. Eine Rechtsänderung zur Vorratsdatenspeicherung mag da bequemer erscheinen,
({14})
ist aber nicht so wirksam wie echte Prävention und gesellschaftliche Debatten über echten Kinderschutz.
({15})
Und zuletzt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union: Wer Kinder schützen will, schützt ihre Rechte. Kinder sind Trägerinnen und Träger von Rechten.
({16})
Unterstützen Sie uns doch dabei, Kinderrechte ins Grundgesetz zu schreiben!
({17})
Verankern Sie doch den Kinderschutz in Artikel 6 Grundgesetz! Das steht dann nämlich weit vor allen anderen Normen. Und das müsste Ihnen dann ja gefallen.
Vielen Dank.
({18})
Herr Kollege de Vries, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf für „Sie sind bescheuert“. Dagegen können Sie sich dann wehren. Aber das ist nicht nur unparlamentarisch, sondern eines Ordnungsrufes wert.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Denise Loop, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe CDU/CSU-Fraktion, auch wenn der erste Satz Ihrer Initiative bizarr ist, Sie haben recht mit der Feststellung: Sexualisierte Gewalt stellt eine schwerste Rechtsverletzung dar und „gehört zu den abscheulichsten Dingen, die einem jungen Menschen angetan werden können“. Dem müssen wir uns als Gesellschaft mit der notwendigen Ernsthaftigkeit widmen. Sie tun dies aber leider nicht.
({0})
Als Ampelkoalition werden wir sexualisierte Gewalt gegen Kinder entschieden und wirkungsvoll bekämpfen.
({1})
Um hier nur drei Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag zu nennen: Wir werden das Amt der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs gesetzlich verankern.
({2})
Wir werden die Unabhängige Aufarbeitungskommission Kindesmissbrauch weiterführen. Und wir werden die länderübergreifende Zusammenarbeit in Kinderschutzfällen verbessern.
({3})
Zu glauben, dass das Ziel allein mit der Speicherung von IP‑Adressen erreicht werden kann,
({4})
zeugt von einem massiv mangelnden Verständnis der Komplexität dieses Themas; denn es darf hier nicht nur um die Frage „Kinderschutz versus Datenschutz“ gehen. Ihre Versuche, verschiedene Grundrechte gegeneinander auszuspielen, sind schlicht absurd.
({5})
Denn das Thema ist vielschichtig und muss umfassend betrachtet werden. Ihr Antrag leistet das in keinster Weise. Ihre Forderung ist ebenso reflexhaft wie ineffektiv.
({6})
Er wird dem Thema nicht gerecht, und Ihre Forderung schützt vor allem kein einziges Kind vor sexualisierter Gewalt.
({7})
Denn um Kinder wirksam davor zu schützen, offline wie online, braucht es viel mehr. Was das für die Sicherheitsbehörden bedeutet,
({8})
haben meine Ampelkolleginnen und ‑kollegen hier jetzt schon sehr deutlich gemacht.
Unser Ziel muss sein, dass keine Taten passieren. Dafür müssen wir viel früher ansetzen. Wir brauchen Prävention und Schutzkonzepte in Schulen, in Kitas, in Sportvereinen, in allen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Auch das private Umfeld müssen wir in den Blick nehmen; denn viele Taten passieren im direkten sozialen Nahraum.
({9})
Für effektive Prävention braucht es eine umfassende Aufarbeitung der Taten, die geschehen sind und die noch jeden Tag geschehen. Das heißt: Es muss Angebote für Betroffene geben, um über ihre Erfahrungen sprechen zu können. Sie sollten die Möglichkeit bekommen, zu sagen, welche Präventionsangebote, Unterstützung und Hilfe sie benötigen. Denn es darf nicht vom Zufall abhängen, ob Betroffene Zugang zu derartigen Angeboten haben oder eben nicht. Um Aufarbeitung zu stärken, müssen also verbindliche Strukturen und Hilfsangebote geschaffen werden. Und das sage ich auch als Sozialarbeiterin, die bis vor zehn Monaten im Jugendamt gearbeitet hat und tagtäglich mit dem Schutz von Kindern beauftragt war.
({10})
Wenn Sie also ein ernsthaftes Interesse daran haben, den Kampf gegen sexualisierte Gewalt an Kindern zu führen, dann lassen Sie uns bitte darüber sprechen, wie wir die Kooperation von allen beteiligten Institutionen voranbringen, wie wir funktionierende Schutzkonzepte in allen Bereichen, in denen sich Kinder und Jugendliche bewegen, etablieren, wie wir alle Menschen für das Thema und die Gewalt, die Kindern und Jugendlichen angetan wird, sensibilisieren und wie wir die Arbeit der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs und der Unabhängigen Aufarbeitungskommission Kindesmissbrauch stärken. Ich bin gespannt auf Ihre konstruktiven Vorschläge.
Vielen Dank.
({11})
Vielen Dank, Frau Kollegin Loop. – Nunmehr erhält das Wort die Kollegin Mechthilde Wittmann, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Herr Bundesminister! Frau Staatssekretärin! Die CDU/CSU-Fraktion hat aus gegebenem Anlass heute den Antrag eingebracht, durch Speicherung von IP‑Adressen sexuellen Kindesmissbrauch zu bekämpfen und für mehr Kinderschutz zu sorgen. Es geht hier nicht um Vorratsdatenspeicherung. Insofern, meine sehr verehrten Damen und Herren, sprachen 90 Prozent meiner Vorredner vollkommen am Thema vorbei. Warum tun Sie dies? Weil Sie in Ihrer Koalition keine Einigkeit erreichen können, wie Sie in den Haushaltsberatungen deutlich mitgeteilt haben, weil in Wirklichkeit sowohl Grüne als auch SPD sich gerne unserem Antrag anschließen würden, dies aber aufgrund der Weigerung der FDP und ihres Bundesministers nicht können.
({0})
Ich darf mich direkt meinem Vorredner Christoph de Vries anschließen, der genauso wie Alexander Throm und Günter Krings klar gesagt hat: Wir stellen uns hier hinter die Bundesinnenministerin, die heute leider nicht da ist, die nach vorheriger Weigerung nun selbst erkannt hat, nämlich seit ihrem Besuch im BKA, dass Sie einer Speicherung der IP‑Adressen und – es wäre halt gut, dass Sie, wenn Sie über technische Dinge reden, auch wüssten, wovon Sie sprechen –
({1})
bei dynamischen IP‑Adressen der Zuordnung der sogenannten Portnummern zustimmen könnten. Sie hat verstanden, dass es notwendig ist, um das zu tun, was Sie hier angeblich fordern, nämlich Prävention. Und die beste Prävention vor Kindesmissbrauch ist das Fassen der Täter.
({2})
Meine Damen und Herren, Kindesmissbrauch – das wurde immerhin richtig angesprochen – hat zwei Tatebenen. Es hat zunächst die Tatebene des Missbrauchs, und zwar der wehrlosesten Mitglieder unserer Gesellschaft. Frau Wegge, wenn Sie da so spöttisch über die Festschreibung von Kinderrechten im Grundgesetz sprechen:
({3})
Darüber können wir diskutieren.
({4})
Aber spöttisch darüber zu reden, dass dies irgendetwas bewirken würde, wenn ein ein Monate alter Säugling missbraucht wird, das ist doch wirklich eine Unverschämtheit allen Opfern gegenüber.
({5})
Diese Opfer sind wehrlose Kinder, und um die haben wir uns zu kümmern.
Die zweite Tatebene, meine Damen und Herren, ist die Herstellung, der Besitz und die Verbreitung von kinderpornografischem Material, deren Ausmaß angewachsen ist wie nie zuvor, welche im Netz stattfindet und damit eine Ebene erreicht, die für die Opfer noch schwerwiegender ist, die eine noch größere Last obendrauf legt. Deswegen möchten wir eines erreichen: Wir möchten, dass diese IP‑Adressen anlasslos gespeichert werden und anlassbezogen darauf zugegriffen werden kann, wenn vielleicht ein Anlass erkennbar geworden ist; so ist es ja auch beim Quick-Freeze-Verfahren gemeint. Wenn in diesem Zusammenhang ein Anlass erkennbar wird, ist die Tat bereits erfolgt, meine Damen und Herren. Ich kann nicht mehr zurückverfolgen, welche weiteren Täter und Netzwerke sie betrifft. Das kann ich aber, wenn ich in die IP‑Adressen reingehen kann.
Es war der sogar von Ihnen gelobte Innenminister von Nordrhein-Westfalen, der leider feststellen musste, dass bei den beiden Fällen – ich muss nur kurz gucken, wie die Orte hießen – in Wermelskirchen und Münster ein Zusammenhang hätte festgestellt werden können. Das heißt, wir hätten weitere Fälle verhindern können. Und darum geht es uns mit unserem Antrag und um nichts anderes. Die Zugriffe werden immer anlassbezogen sein. Die Verschlüsselung ist möglich. Es geht, insbesondere im dynamischen Bereich, darum, den Schlüssel aufmachen zu können. Wir plädieren dafür, dass wir tatsächlich die Kinder vorrangig schützen. Ihr Schutz geht vor fehlgeleitetem und fehlverstandenem Datenschutz.
Ich danke Ihnen.
({6})
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Das letzte Wort in dieser Debatte hat der Kollege Manuel Höferlin, FDP-Fraktion.
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über ein sehr ernstes Thema. Die Straftaten an den Schwächsten in der Gesellschaft erschüttern jeden von uns, und das ist auch der Teil, in dem wir uns absolut einig sind: Wir müssen mit allen rechtsstaatlichen Mitteln diese schwersten Verbrechen bekämpfen.
({0})
Das ist der einigende Teil zwischen uns.
Ich habe sehr gut zugehört, liebe Kollegen der Union, als Sie sagten, es passiere ja nichts, wir machten Symbolpolitik. Ich frage mich manchmal: Herr Krings, Herr de Vries, was haben Sie eigentlich 16 Jahre lang gemacht?
({1})
16 Jahre lang haben Sie immer wieder die gleiche Leier abgezogen und sind Sie immer wieder mit dem Kopf gegen die Wand gerannt. Und Frau Wittmann, da Sie sagen, wir hätten keine Ahnung, lade ich Sie gerne ein, mit mir mal über das IPv6 und die Privacy Extensions zu sprechen. Daraus ergeben sich sicher weitere Diskussionspunkte in diesem Bereich.
({2})
Sie rennen mit dem immer gleichen Mittel, das untauglich und nicht verhältnismäßig ist, immer wieder gegen eine Mauer, hinter der die sexuellen Straftaten gegen die Kinder stattfinden. Und die Mauer heißt nicht „Datenschutz“, wie Sie zu suggerieren versuchen, sondern die Mauer, an der Sie immer wieder krachend scheitern, ist die mangelnde Verfassungsmäßigkeit Ihrer Vorschläge.
({3})
Wie ein kleines trotziges Kind kommen Sie immer wieder auf die Vorratsdatenspeicherung und benennen sie einfach anders; das ist total unangemessen. Herr Throm, Sie sagen, wir sollen verantwortungsvolle Politik machen. Das, was Sie tun, ist verantwortungslos.
({4})
Anstatt Maßnahmen zu ergreifen, die hätten umgesetzt werden können, mit denen Sie die Kinder hinter der Mauer hätten schützen können, kommen Sie immer wieder mit dem Mittel, das nicht durchführbar ist.
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? Es erhöht dann Ihre Redezeit.
Ja, gerne. Und die fünf Sekunden überziehe ich dann nachher mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident.
Herr Kollege Höferlin, herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade gesagt, dass die Union in ihrem Antrag verfassungswidrige Vorschläge machen würde. Deswegen eine ganz einfache Frage: Halten Sie den Vorschlag der Bundesinnenministerin auch für verfassungswidrig?
({0})
Ich bin der Meinung, dass es, wenn man von einem Gericht wie dem EuGH vier Möglichkeiten vorgeschlagen bekommt und eine davon die Datenspeicherung ist, mit der man schon mehrfach gescheitert ist,
({0})
und Sie diese um einen weiteren Punkt, weitere Eigenschaften ergänzen, grob fahrlässig ist. Es spiegelt Ihre Politik der letzten Jahre wider, nämlich möglichst nah an bis leicht über die Grenze der Verfassungsmäßigkeit zu gehen, um sich später von Gerichten wieder korrigieren zu lassen. Das ist nicht die Politik der Fortschrittskoalition.
({1})
Wir bringen Rechte in Ausgleich, und ich finde es schändlich, wenn Sie uns vorwerfen, wir würden uns nicht um die Opfer kümmern. Wir nehmen ein anderes Mittel des EuGH. Und das ist verantwortungsvolle und verfassungsgemäße Politik.
({2})
Ich finde, es gibt viele Möglichkeiten, wie man hinter die Mauer kommt, um zu den Opfern und zu den Tätern zu kommen, um dort etwas zu unternehmen. Wir haben ein anderes der vom EuGH vorgeschlagenen Mittel gewählt. Und nur weil wir ein anderes Mittel wählen, ist es nicht nur unangemessen, sondern völlig unangebracht und extrem populistisch, uns vorzuwerfen, wir würden uns dem Thema nicht und vor allem nicht verantwortungsvoll nähern. Damit stellen Sie sich in die populistische Ecke.
({3})
Deswegen werden wir Quick Freeze, werden wir eine Log-in-Falle auf den Weg bringen. Das sind Mittel, mit denen wir uns dem nähern.
({4})
Sie in den Bundesländern können dafür sorgen, dass von den Ermittlungsbehörden KI bei der Auswertung der Bilder verwendet wird. Da sperren Sie sich nämlich im konkreten Fall.
({5})
Das würde die stark strapazierten Ermittlungsbeamtinnen und ‑beamten sicher entlasten.
({6})
Wir schaffen in der Fortschrittskoalition außerdem die Grundlage für regelmäßige Berichtspflichten des Unabhängigen Beauftragten.
Damit – das ist mein letztes Wort, meine Damen und Herren – schaffen wir die Möglichkeit, die Sie nicht erreicht haben, nämlich um die Mauer einfach herumzugehen und zu den Opfern und zu den Tätern zu kommen, anstatt wie Sie immer wieder dagegen zu rennen.
Herzlichen Dank.
({7})
Vielen Dank, Herr Kollege Höferlin. – Damit schließe ich die Aussprache.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom Februar 2020 ausdrücklich das Recht auf selbstbestimmtes Sterben als Ausdruck persönlicher Autonomie anerkannt. Dieses Recht umfasst auch die Freiheit, hierfür Hilfe von Dritten in Anspruch zu nehmen. Eine solche freie Entscheidung, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen, steht also jedem Menschen zu. Sie ist zu respektieren. Dennoch darf Selbsttötung nicht zum gesellschaftlichen Normalfall werden und Suizidassistenz nicht zu einer gewöhnlichen Dienstleistung.
({0})
In unserem Staat haben wir die Achtung der Würde des Menschen zum Leitmotiv unseres Grundgesetzes gemacht. Alle gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten und Institutionen haben den Auftrag, die Unversehrtheit menschlichen Lebens zu schützen; darum gibt es Regelungsbedarf. Ja, es muss für Sterbewillige, die sich in der letzten Phase einer unheilbaren Krankheit befinden, möglich sein, ohne große Hürden Hilfe zur Suizidassistenz zu erhalten, um Leiden nicht unnötig zu verlängern. Auch das wollen wir gewährleisten. Aber gleichzeitig braucht es ein abgestuftes und ausgewogenes Schutzkonzept, das die Autonomie und freie Verantwortlichkeit tatsächlich gewährleistet.
({1})
Darum schlagen wir mit unserem Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung und zur Sicherstellung der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zur Selbsttötung vor, den assistierten Suizid unter Bedingungen zu ermöglichen, ihn aber nicht zu fördern.
({2})
Das können wir durch ein Werbeverbot für die Suizidassistenz, durch ärztliche Beratung, durch ein Mehraugenprinzip, durch zeitlichen Abstand zwischen Entschluss und Umsetzung und vor allem durch Unterstützung und Begleitung, die Alternativen aufzeigt, erreichen.
({3})
Aus der Suizidforschung wissen wir, dass erschreckend viele Menschen im Lauf ihres Lebens eine suizidale Krise haben. Hierfür gibt es vielfältige Ursachen wie Probleme im Kontext der eigenen Lebenssituation, soziale Notlagen oder auch psychische Erkrankungen. In den allermeisten dieser Fälle handelt es sich um eine veränderbare Krisensituation,
({4})
und da kann schnelle, diskriminierungsfreie und unbürokratische Hilfe schon den entscheidenden Unterschied machen und den Sterbewunsch verändern. Aus diesem Grund ergänzen wir den Gesetzentwurf um eine Initiative zur Stärkung der Suizidprävention.
({5})
Ich bin fest davon überzeugt: Suizid darf keine gesellschaftlich akzeptierte Antwort auf soziale Nöte, Existenzsorgen oder Einsamkeit sein. Er muss die seltene Ausnahme bleiben.
({6})
Wer Suizidassistenz anbietet, muss darum nach klaren Regeln sicherstellen, dass dieser Wunsch frei verantwortlich, ohne Druck von Dritten geäußert wird und dauerhaft ist. Schließlich geht es um eine unumkehrbare Entscheidung.
({7})
Darum muss Menschen mit Sterbewunsch zunächst der Raum eröffnet werden, den eigenen Entschluss sorgfältig zu reflektieren, womöglich eine andere Perspektive einzunehmen und Lebensmut und Lebenswillen zurückzugewinnen. Dies sage ich ausdrücklich als Sozialpolitikerin, die sich seit Jahren für eine menschenwürdige Pflege, für eine flächendeckende, gute Versorgung durch Hospiz- und Palliativmedizin und für tragfähige Beratungs- und Hilfestrukturen einsetzt, wohl wissend, dass das heute noch nicht ausreichend ist.
Lassen Sie uns heute und im weiteren parlamentarischen Verfahren intensiv und respektvoll über die vorliegenden Gesetzentwürfe beraten. Ich werbe um Unterstützung für unseren Gesetzentwurf, weil ich davon überzeugt bin, dass wir damit eine Balance zwischen den Rechtsgütern „Leben“ und „Selbstbestimmung“ herstellen. Wir fördern flächendeckende und niedrigschwellige Angebote zur Suizidprävention, aber gleichzeitig schaffen wir hohe Hürden für geschäftsmäßige Suizidassistenz. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen: Sterben ist nicht leicht. Den Tod herbeizuführen, muss schwerer sein.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank, Frau Kollegin Baehrens. – Nächster Redner ist der Kollege Thomas Seitz, AfD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Obwohl es um Gewissensfragen geht, haben Sie unsere Fraktion von den Gruppenanträgen faktisch ausgeschlossen – zugleich Millionen Wähler. Das ist keine Sternstunde des Parlamentarismus.
Aber zur Sache. Die Suizidbeihilfe braucht eine Regelung, die selbstbestimmtes Sterben ermöglicht, den notwendigen Schutz vulnerabler Gruppen – dazu gehören Minderjährige genauso wie psychisch angeschlagene Menschen – gewährleistet und vor Missbrauch schützt. Hierzu braucht es die Mitwirkung qualifizierter Berufsträger, die zwangsläufig geschäftsmäßig handeln; denn damit ist allein eine auf Wiederholung angelegte Tätigkeit gemeint. Es geht nicht um die Frage der Entgeltlichkeit; wobei es auch nicht unredlich ist, als Berufsträger durch die Mitwirkung an einem frei bestimmten Suizid Geld zu verdienen. Denn das ist notwendig, damit Menschen in Würde von uns gehen können. Diesen Ansprüchen genügt leider keiner der drei Gesetzentwürfe.
Ich beginne mit Drucksache 20/904 – ein Gesetzentwurf, der mehr Verhinderungslösung denn Ermöglichungslösung ist. Das Wesen der Autonomie wird völlig verkannt, wenn jede geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung für tatbestandsmäßig, also strafbar erklärt wird. Die Idee eines multiprofessionellen Beratungsgesprächs ist ohne institutionelle Verankerung und gesicherte Finanzierung völlig unpraktikabel, und eine Zeitspanne von zwei Monaten zwischen letzter Untersuchung und Suizid ist realitätsfremd. Vor dem Bundesverfassungsgericht haben Betroffene eindrucksvoll geschildert, wie erst die Gewissheit, das eigene Leben jederzeit beenden zu können, ihnen die Kraft gegeben hat, ihr Schicksal über Jahre auszuhalten. Die rund 60 Unterzeichner aus den Regierungsfraktionen frage ich, wie Sie den Wertungswiderspruch rechtfertigen, wenn Sie vorhin § 219a verteufeln und jetzt als Vorbild für ein neues Werbeverbot heranziehen. Ist das Heuchelei oder Schizophrenie?
Die beiden anderen Gesetzentwürfe kranken am Schutzkonzept. Nach dem Entwurf auf Drucksache 20/2293 sollen Beratungsstellen maßgeblich sein, die in erster Linie mit Ehrenamtlichen besetzt sind. Eine zwingende ärztliche Beteiligung in den Beratungsstellen ist nicht vorgeschrieben. Damit lassen sich das Fehlen von Willensmängeln und die Freiheit von äußerer Beeinflussung nicht wirksam feststellen. Im Entwurf auf Drucksache 20/2332 ist zunächst der Schutz Minderjähriger völlig unzureichend ausgestaltet. Auch im Übrigen fehlt es an Kontrolle und erinnert eher an das lästige Abhaken einer unvollständigen Checkliste.
Ich verstehe nicht, warum kein Entwurf die Suizidassistenz in Anlehnung an die Unterbringung und Betreuung nach BGB und FamFG regelt. So wie Betreuungsrichter, beraten durch Sachverständige, über gefährliche Heilmaßnahmen, Freiheitsentziehung oder Zwangshandlungen entscheiden, kann man ihnen auch die Befugnis übertragen, festzustellen, dass ein Suizidwunsch frei von Willensmängeln und hinreichend gefestigt ist. Dieser Feststellungsbeschluss ist dann die Grundlage für die Abgabe eines tödlich wirkenden Medikaments.
Der Antrag zur Suizidprävention ist selbstredend zu begrüßen.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Seitz. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Helling-Plahr, Gruppe „Helling-Plahr“.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sterben – ehrlich gesagt, ein Thema, das mir Angst macht. Schon seit ich ein kleines Kind war, tut es das. Ich kann mir das irgendwie gar nicht vorstellen, nicht mehr da sein auf dieser Welt. Wo dann? Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – vielleicht genauso, vielleicht ganz anders. Wir reden ja alle kaum darüber, meist nur mit nahen Angehörigen. Ich glaube, das sollten wir ändern.
Ich habe aus den Gesprächen, die ich geführt habe, das Gefühl, dass sich die Emotionen beim Gedanken an den eigenen Tod mit dem Alter und mit Krankheit ändern. Meine Großmutter, zu der ich ein sehr enges Verhältnis hatte, vermittelte mir immer das Gefühl, dass es schon okay ist, wenn es so weit ist. Viele haben auch gar keine Angst vor dem Tod selbst, sondern vor den Umständen, unter denen er eintritt: vor Schmerzen, davor, an Geräten zu hängen, vor Kontrollverlust. Ich kann es auch ganz gut verstehen, dass man – vor allen Dingen, wenn man sowieso weiß, dass das Leben ein Ende nimmt, und für sich auch keine Lebensqualität mehr empfindet –, es dann auch selbst beenden möchte, dass man auch in einer solchen Situation selbstbestimmt sein möchte, vielleicht im Kreise seiner Angehörigen gehen will.
Meine Damen und Herren, ich bin unfassbar dankbar, dass wir in einem Land leben, in dem von Verfassung wegen jedem diese Möglichkeit gegeben ist, in dem es ein grundgesetzlich verbürgtes Recht auf selbstbestimmtes Sterben gibt, das es jedem ermöglicht, gerade diesen besonderen letzten Lebensmoment, soweit es die körperlichen Umstände erlauben, so wie er es individuell als würdevoll empfindet, zu gestalten. Ich finde, wir müssen dieses Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch ernst nehmen. Wenn wir das tun, dann ist es doch geradezu widersinnig und unmenschlich, dass wir Menschen in unserem Land, die ihr Leben selbstbestimmt beenden möchten, keinen Zugang zu den geeignetsten Medikamenten zur Selbsttötung ermöglichen. Das müssen wir ändern.
({0})
Wir müssen selbstbestimmt handelnden Erwachsenen die Möglichkeit geben, nach einer entsprechenden umfassenden Beratung in einer Beratungsstelle über Handlungsalternativen ein tödliches Medikament verschrieben zu bekommen.
Weil einige immer wieder versuchen, uns da bewusst falsch zu verstehen: Ich möchte, dass wir Betroffenen in den Beratungsstellen jede helfende Hand reichen, ihnen die Möglichkeit geben, nach jedem Strohhalm zu greifen. Beratung ist die beste Prävention. Wenn sie sich aber dafür entscheiden, gehen zu wollen, dürfen wir sie auch dann nicht alleine lassen – ohne erhobenen Zeigefinger und ohne ihnen das Gefühl zu vermitteln, sie tun etwas Unrechtes.
({1})
Das haben Menschen in solchen Situationen nicht verdient. Sie haben gesellschaftliche Geborgenheit verdient.
Unser höchster Respekt sollte deshalb auch Menschen gelten, die bereit sind, Sterbewillige auf ihrem letzten Weg zu begleiten und ihnen sogar behilflich zu sein. Das ist nicht leicht, das kann nicht jeder. Vielfach sind es Angehörige, die ihre eigenen Gefühle, ihren unbedingten Wunsch, den geliebten Menschen so lange wie möglich bei sich zu behalten, zurückstellen, weil sie dem Betroffenen sein selbstbestimmtes Ende ermöglichen wollen.
Ich will ehrlich sein: Mir läuft es bei dem Gedanken, dass wir diese Menschen, wenn die Gruppe „Castellucci et al.“ eine Mehrheit fände, wieder mit einem neuen Straftatbestand bedrohen könnten, eiskalt den Rücken herunter. Denn, verehrte Unterstützer des entsprechenden Gesetzentwurfs, Sie stellen die Leistung von Suizidhilfe ganz grundsätzlich wieder unter Strafe. Sie machen die Ausübung eines grundgesetzlich verbürgten Rechts zum Kasus eines Straftatbestandes. Sogar Angehörige machen sich bei Ihnen, jedenfalls wenn sie mehrere ihnen nahestehende Menschen – zum Beispiel Vater und Mutter – haben, denen sie sich vorstellen können zu helfen, wieder strafbar. Wie beim vormaligen § 217, dessen Verfassungswidrigkeit das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, wird sich kaum jemand mehr trauen, zu helfen – alter Wein in neuen Schläuchen. Die Ausnahmen, die Sie nominell vorsehen, sind so eng, dass Betroffene doch wieder, wenn sie es sich leisten können, ins Ausland gehen oder sich auf Brutalsuizide verwiesen sehen. Das dürfen wir den Menschen nicht antun.
({2})
Mein Appell: Fallen wir nicht in die Zeit des § 217 Strafgesetzbuch zurück! Sprechen wir mehr miteinander, auch über das Lebensende. Helfen wir Menschen im Leben, akzeptieren wir selbstbestimmte, frei verantwortliche Entscheidungen.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank, Frau Kollegin Helling-Plahr. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Lukas Benner, Gruppe „Künast“.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben, welches das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 26. Februar 2020 abgeleitet hat, geht es nicht um individuelle Wertvorstellungen. Es geht nicht um eine Meinung für oder gegen die Suizidhilfe, sondern es geht um ein Grundrecht,
({0})
ein Grundrecht, welches das Verfassungsgericht aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitet hat, ein Grundrecht, bei dem die Selbstbestimmung des oder der Einzelnen im Zentrum steht, und ein Grundrecht – so ehrlich müssen wir hier sein –, welches aktuell nicht ausreichend geschützt wird. Ich verstehe, dass Menschen sich in dieser Debatte schwertun, sie emotional führen oder das Ergebnis des Urteils des Bundesverfassungsgerichts nicht für sich gelten lassen möchten. Aber wir beraten hier und heute über nicht weniger als die Frage, wie wir in diesem Land ein Grundrecht schützen.
({1})
Machen wir uns nichts vor: Die Beihilfe zur Selbsttötung findet statt – jetzt in diesem Moment, in rechtlichen Grauzonen, ohne die nötige Klarheit, ohne die Klarheit darüber, wie Betroffene und behandelnde Ärztinnen und Ärzte konkret geschützt werden. Wenn wir uns anschauen, dass es im Sinne des Bundesverfassungsgerichts die Entscheidung des Einzelnen ist, entsprechend dem eigenen Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz dem Leben ein Ende zu setzen, dann, meine Damen und Herren, können wir diesen Zustand so nicht belassen.
({2})
Deswegen habe ich gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen Renate Künast, Katja Keul, Nina Scheer, Edgar Franke und vielen anderen einen Gesetzentwurf eingebracht, um diese Rechtslücke zu schließen. Wir wollen mit unserem Gesetz zum Schutz des selbstbestimmten Sterbens den Zugang zu Natrium-Pentobarbital unter Sicherstellung der Kriterien für einen autonomen, dauerhaften und ernsthaften Sterbewunsch ohne Einflussnahme Dritter regeln.
Dafür sehen wir ein allgemeines Verfahren vor. Es beginnt mit einem Antrag an eine nach Landesrecht zuständige Behörde. Anschließend folgen zwei Beratungstermine im Abstand von mindestens zwei Monaten, bei denen im Zentrum der Wert des Menschenlebens steht, die den Zweck haben, die Dauerhaftigkeit, die Ernsthaftigkeit, den freien Willen dieser Entscheidung festzustellen. Anschließend folgt bei Bejahung die Bescheinigung auf Herausgabe von Natrium-Pentobarbital. Anders handhaben wir es bei Menschen in medizinischer Notlage, aus dem Grund, dass wir da die prozessuale Notwendigkeit sehen, da sie ohnehin im Gesundheitssystem sind, diese Entscheidung auch dort zu treffen.
Was aber ist der Unterschied zwischen unserem Gesetzentwurf und den anderen beiden Gesetzentwürfen?
Fangen wir einmal an mit dem gerade von Kollegin Helling-Plahr vorgestellten Suizidhilfegesetz. Ich glaube, wir haben einige Gemeinsamkeiten, aber einer der größten Unterschiede liegt in der Zeitspanne. Im allgemeinen Verfahren sehen wir mindestens zwei Monate vor, um die Prüfung der Dauerhaftigkeit und Ernsthaftigkeit gewährleisten zu können. Ein weiterer großer Unterschied findet sich bei der Frage, wer die Kontrolle in diesem System übernimmt, wer in diesem Land Grundrechte schützt. Wir sagen: Es ist Aufgabe des Staates, und deswegen schalten wir die entsprechende Behörde ein. – Im anderen Entwurf sind es Private, also Ärztinnen und Ärzte, die diese Entscheidung zu tragen haben.
Viel größere Differenzen gibt es zum Entwurf des neuen § 217 StGB von Kollege Castellucci und anderen. Wir müssen noch einmal festhalten, dass grundsätzlich in diesem Land gilt, dass der Staat Rechte dann einschränken darf, wenn er dafür eine Grundlage hat und eine Abwägung getroffen hat. Der vorliegende Entwurf, so wie man ihn liest, kehrt das aber um: Man muss eine Rechtfertigung haben, um sein Grundrecht in Anspruch zu nehmen. Diese Umkehr ist doch eine Abweichung von unserer immer dagewesenen Grundrechtssystematik.
({3})
Schauen wir uns einen Leitsatz des Bundesverfassungsgerichts an: „Wenn die Rechtsordnung bestimmte, für die Autonomie gefährliche Formen der Suizidhilfe unter Strafe stellt ...“ Das heißt, es ist doch klar, dass das Schutzgut die Autonomie sein muss, es ist doch klar, dass es hier darum geht, diese Autonomie, die Entscheidung und den Suizid, zu ermöglichen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Strafrecht ist der gänzlich falsche Ort, die Autonomie zu gewährleisten.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werbe hier, ganz ehrlich, gar nicht dafür, dass Sie sich alle unserem Gesetzentwurf anschließen; denn darum geht es nicht. Diese Entscheidung, die wir alle gemeinsam zu treffen haben, ist für einige eine tief persönliche. Sie ist eine Entscheidung frei von Partei- und Fraktionsmeinung. Deswegen bitte ich Sie vor allen Dingen um eines: Setzen Sie sich mit der im Zentrum stehenden Frage auseinander: Wie wollen wir in diesem Land das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben schützen?
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege Benner. – Nächster Redner ist der Kollege Patrick Schnieder, Gruppe „Castellucci und andere“.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Inwiefern darf Menschen bei einem Suizid geholfen werden? Nach der breiten und konstruktiven Debatte, die wir im Jahr 2015 geführt haben, müssen wir uns heute erneut mit dieser Frage beschäftigen, wenn auch unter anderen Vorzeichen.
Das Bundesverfassungsgericht hat vor über zwei Jahren entschieden, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Ausdruck persönlicher Autonomie auch das Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst und hierfür die Hilfe Dritter rechtmäßig ist. Das 2015 beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe wurde damit gekippt. Zugleich macht Karlsruhe in seiner Entscheidung deutlich, dass sich die Regelung der Suizidassistenz im Spannungsfeld von Selbstbestimmungsrecht und Lebensschutz als staatliche Aufgabe bewegt und der Gesetzgeber daher weiterhin die Möglichkeit zur Regulierung der Sterbehilfe unter bestimmten Voraussetzungen hat. Es geht also um zwei widerstreitende Rechtsgüter.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung nicht nur ein neues Grundrecht, das Recht auf selbstbestimmtes Sterben, geschaffen, sondern stellt den Gesetzgeber zugleich vor die Aufgabe, wieder einen Ausgleich zu schaffen zwischen Selbstbestimmungsrecht und Lebensschutz. Derzeit besteht eine Schieflage zwischen den beiden Rechtsgütern, da es beispielsweise keine Regelungen gibt, die sicherstellen, dass die Betroffenen ihre Entscheidung freiwillig und ohne Druck von außen treffen.
Der vorliegende Gesetzentwurf zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Sterbehilfe legt hierfür einen gut austarierten Kompromiss vor. Um das hohe Rechtsgut Leben zu schützen, sieht der Entwurf vor, die geschäftsmäßige Sterbehilfe grundsätzlich wieder unter Strafe zu stellen. Angesichts des hohen Rangs, den unsere Verfassung dem Leben beimisst, ist es legitim, zu Mitteln des Strafrechts zu greifen, um Leben zu schützen. Ich halte das für einen ganz wichtigen Punkt, um den Wert wirklich sichtbar und deutlich zu machen.
Ich will hier klarstellen – sowohl gegenüber meinem Vorredner wie auch gegenüber der Kollegin Helling-Plahr –: Es geht hier um geschäftsmäßige Suizidbeihilfe. Es geht nicht um die Beihilfe zum Suizid schlechthin; die ist und bleibt in der Akzessorietät zur Haupttat immer straffrei,
({0})
in den, ich sage einmal, normalen Fällen. Es geht um die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe und die Angst davor, dass das über eine Normalisierung dieses Angebots in der Gesellschaft und den Druck, den ältere, kranke Menschen empfinden mögen, als normales Mittel empfunden wird, um Leben zu beenden. Das wollen wir verhindern, indem wir das Rechtsgut so hoch aufhängen und mit einer grundsätzlichen Strafbarkeit im Rahmen der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe versehen.
({1})
Darüber hinaus ist es im Sinne des Lebensschutzes nicht zuletzt die Aufgabe des Staates, dieser Normalisierung oder Förderung der Suizidassistenz in der Öffentlichkeit oder in der gesellschaftlichen Debatte entgegenzutreten. Weil uns das grundsätzlich ein besonderes Anliegen ist, ist es auch folgerichtig, das mit einem Werbeverbot für die Hilfe zur Selbsttötung zu versehen.
Zugleich war es aber auch den Initiatoren und Unterzeichnern wichtig, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts einzuhalten. Natürlich respektieren und akzeptieren wir das dort herausgehobene Recht auf selbstbestimmtes Sterben, das in gleichem Maße zu würdigen wie den Lebensschutz. Ich darf auf das verweisen, was die Kollegin Baehrens hier sehr treffend ausgeführt hat: Das Schutzkonzept, das wir in diesem Gesetzentwurf vorgesehen haben, wird diesem Anspruch sicherlich gerecht.
({2})
Wir wissen allerdings durch die Studienlage, durch zahlreiche Berichte von Betroffenen, von Angehörigen, von Ärzten, von Pflegenden, dass Suizidwünsche sehr volatil sind, dass sie oft einer Situation entspringen, dass sie schon wieder aufhören, wenn der Betroffene eine Perspektive bemerkt, wenn er nicht mehr das Gefühl hat, alleingelassen zu sein, wenn er Hilfen in Aussicht gestellt bekommt, wenn sein aktives Leiden gemindert werden kann.
({3})
Genauso wichtig wie das Schutzkonzept sind deshalb die Vorschläge zur Stärkung der Suizidprävention – ich glaube, dem kann sich eigentlich jeder in diesem Hause anschließen –, die wir mit diesem Gesetzentwurf verbunden haben.
({4})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, innerhalb der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Grenzen, dem daraus resultierenden Status quo und im Vergleich zu den übrigen vorliegenden Initiativen mag dieser Vorschlag den einen zu restriktiv erscheinen. Gemessen am christlichen Menschenbild und der Entscheidung, die wir 2015 getroffen haben, ist er anderen vermutlich zu weitgehend. Ich glaube, die Stärke dieses Entwurfs ist, diese unterschiedlichen Sichtweisen gleichermaßen zu würdigen und in den Grenzen des Bundesverfassungsgerichts zu bleiben, und dass das in der Kombination mit dem Antrag zur Suizidprävention als Ganzes gesehen wirklich eine runde Sache ist.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege Schnieder. – Als Nächste erhält das Wort die Kollegin Beatrix von Storch, AfD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Werbeverbot für Abtreibungen wird gestrichen, und nun die gewerbliche Suizidbeihilfe – beides an einem Vormittag. Ich finde, das ist ein Symbol. Es geht um die Fundamente unseres christlich-abendländischen Menschenbildes. Jeder Suizid ist eine menschliche und eine soziale Katastrophe. Er betrifft nicht nur den Menschen, der geht, sondern er betrifft auch die Menschen, die er zurücklässt.
Wie tief und wie hart sie getroffen werden, belegen Datenanalysen aus Schweden. Suizide ziehen Suizide nach sich. Nach dem Suizid eines Familienangehörigen steigt die Gefahr für seine Angehörigen für Suizid um das Achtfache und bei den Kollegen am Arbeitsplatz um das Dreieinhalbfache. Suizide sind nicht nur eine individuelle Katastrophe, sondern auch eine gesellschaftliche Tragödie.
Suizidgefährdete Menschen werden nach meiner Ansicht im Stich gelassen, indem man ihnen Natrium-Pentobarbital gibt, um sich zu töten, so wie es der Gesetzentwurf von Renate Künast vorsieht. Solche Angebote schaffen – davon bin ich überzeugt – Nachfrage und vergrößern das Leid.
Die Legalisierung der Suizidbeihilfe wird Menschenleben kosten. Wir werden so künftig mehr Suizide haben. Die Suizidrate wird steigen, und sie wird höher sein als in Ländern, die diese Regelungen nicht haben. Ich danke daher den Kollegen des Gruppenantrags „Suizidprävention“, dass sie diese Gefahr so klar benennen.
Von 182 Ländern haben 140 Länder auf der Welt eine niedrigere Suizidrate als Deutschland. Die meisten dieser Länder sind sehr viel ärmer als wir; aber bei ihnen spielen Religion, Heimat und auch Familie eine größere Rolle als bei uns. Der Verlust von Bindung, von Kultur und, ja, ich glaube, auch von Glauben macht die Menschen unglücklicher und hoffnungsloser. Als Antwort auf diese kulturelle Krise brauchen wir eine Kultur des Lebens – nicht Hilfe zum Sterben, sondern Hilfe zum Leben.
Vielen Dank.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Leben ist immer ein Leben in Beziehungen, und so ist das eigene Sterben immer auch ein Sterben inmitten des Geflechtes der Beziehungen, in denen wir im Leben stehen. Deshalb möchte ich unsere Aufmerksamkeit auch auf die Situation von Angehörigen von Sterbewilligen richten, deren Leben vom Sterbewunsch und vom Tod ihres sterbewilligen Angehörigen berührt und betroffen ist.
Als Seelsorger habe ich schon einige Familien von Suizidenten begleitet. Fachleute gehen im Schnitt von sechs Personen aus, deren Leben durch den Suizid eines nahen Angehörigen betroffen – ja, man muss sagen: tief getroffen – wird. Es sind neben dem schmerzhaften Verlust und den Fragen nach dem Warum sehr häufig auch die Fragen nach eigener Schuld und eigenem Versagen, die Angehörige lange Zeit quälen können. Es geht um Menschen, die ihre Partnerin, ihren Partner verlieren. Es geht um Eltern, die ihre Tochter oder ihren Sohn verlieren. Es geht um Kinder, die Vater oder Mutter verlieren, Geschwister, die Schwester oder Bruder verlieren.
Wenn ich mit Bürgerinnen und Bürgern über Sterbehilfe rede, dann begegnet mir häufig die Sorge vor gesundheitlich ausweglosen Situationen, die mit einem schmerzhaften, von Hilflosigkeit geprägten Sterbeprozess verbunden sind. Das ist das Bild, das viele vor sich haben, wenn sie der Diskussion um Sterbehilfe folgen und sich daran beteiligen. Die Regelungen, die wir aber als Gesetzgeber treffen müssen, müssen auch für ganz andere Situationen gute Lösungen sein:
({0})
für Menschen beispielsweise, die unter Depressionen leiden, die akute, sie überwältigende Sorge oder Trauer spüren, die unter finanziellen Problemen leiden, die Suchterkrankungen durchleiden, und für Menschen, die anderen in bestimmten Lebenssituationen nicht zur Last fallen wollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie würden wir denken, wenn es um unseren Bruder, wenn es um unsere Schwester ginge, um unseren Sohn, um unsere Tochter, die einen Sterbewunsch in ihrem Herzen trägt? Sicher, niemand möchte seinen Nächsten im Sterben leiden sehen, und niemand darf einen Sterbewunsch per Gesetz verbieten – das will hier auch niemand –, und niemand will den Sterbewilligen kriminalisieren.
({1})
Aber ich bin mir auch sicher, dass wir uns alle wünschen würden, dass der Sterbewunsch unseres Angehörigen sorgfältig – ja, sorgfältigst – überdacht wäre, dass er ohne äußeren Druck gefallen wäre, dass ihm vor allen Dingen alle Möglichkeiten des Auswegs aus der als ausweglos empfundenen Situation bekannt gemacht worden wären und von ihm mit bedacht werden konnten.
({2})
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es so wichtig, dass wir Regelungen verabschieden, die genau das mit bedenken und mit ermöglichen. Deshalb ist es wichtig, dass wir ein gestuftes Beratungsverfahren etablieren, das auch – sofern der erwartete Verlauf einer Krankheit dem nicht entgegensteht – Zeit zum Überlegen, Zeit und Raum für neue Begegnungen und neue Gedanken und die Entwicklung neuer Gedanken lässt und das vor allem interdisziplinär durch entsprechende Beratungsmöglichkeiten Alternativen des Ausweges aus der als ausweglos empfundenen Situation eröffnet, die dem Sterbewilligen bekannt gemacht werden.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank, Herr Kollege Kober. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Helge Lindh für die Gruppe „Helling-Plahr und andere“.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Trotz der aus unserer Sicht unberechtigten Vorwürfe, wir würden mit unserem freiheitlichen Entwurf keine Prävention wollen und nicht das Leben schützen wollen, haben wir bisher, denke ich, in den vergangenen Monaten sehr zurückhaltend argumentiert. Ich denke aber, wir müssen das jetzt offensiver tun.
Gestern sprach mich ein Taxifahrer an. Anlass waren eigentlich die Debatte und die Entscheidung über § 219a; aber er sprach mich auch auf den assistierten Suizid an, den er befürwortet. Er berichtete von einer 90-jährigen Frau aus seiner entfernten Nachbarschaft, die sich, nachdem ihr Mann verstorben war – und sie selbst war schwer krank; wie schwer, ist nicht klar –, einsperrte, dies mitteilte und sich zu Tode hungerte.
Wie gehen wir damit um? Wenn wir Beratungsmöglichkeiten haben, wie wir es vorsehen, besteht die Möglichkeit, dass sich diese grausame Form des Todes nicht wiederholt. Aber wir haben keine Gewissheit, dass sie sich anders entschieden hätte. Wenn ihr eine entsprechende Beratung und umfassende Aufklärung angeboten worden wären, hätte die Chance bestanden, dass sie sich für das Leben entschieden hätte und nicht für den Tod. Aber wir wissen es nicht.
Wir können es nicht gewähren, und wir wollen es auch nicht gewähren und sicherstellen können; denn wir müssen am Ende akzeptieren, dass der Moment kommen kann, in dem jemand sich selbstbestimmt entscheidet – aus Motiven, über die er oder sie selbst entscheidet –, aus dem Leben zu gehen. Das müssen wir ermöglichen, und wir müssen es auch assistiert ermöglichen; das hat uns das Verfassungsgericht aufgegeben.
({0})
Ich erinnere auch an einen beeindruckenden Bericht in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ über die Familie des ehemaligen Berliner Staatssekretärs Mark Rackles, der mit seinen Geschwistern Melanie und Jennifer die Eltern Cynthia und Rolf über Jahre begleitet hat. Am Ende gingen sie gemeinsam in den Suizid. Das ist kein romantisierender und kein dämonisierender Bericht. Er macht zwei Dinge deutlich: Die Geschwister – und es war für sie ein schweres Ringen – sind am Ende immer noch der Meinung, dass es richtig war, auf diesem Weg zu begleiten – trotz allem. Aber vor allem wird an diesem Bericht deutlich, dass wir uns in unserer Gesellschaft gegenwärtig nicht darauf verstehen und keinen Weg gefunden haben, mit Menschen umzugehen, die die Entscheidung treffen wollen und am Ende auch treffen, die sich wünschen, ihr Leben selbstgewählt, mit Unterstützung zu beenden. Das ist eine große Leerstelle, und wir führen die Debatte seit dem Verfassungsgerichtsurteil, wenn wir ehrlich sind, nicht breit und gesellschaftlich. Aber wir hätten das in dieser Form tun müssen.
Deshalb ist für uns Folgendes klar: Wir halten den Weg über das Strafgesetzbuch, über das Strafrecht nicht für gangbar und für grundlegend falsch.
({1})
Wir halten es auch nicht für richtig, ein Werbeverbot über einen § 217a – dem § 219a nachgebildet, dessen Aufhebung wir ja vorhin beschlossen haben – zu erlassen. Wir halten es für sinnvoll, das vertrauliche Verhältnis zwischen Arzt/Ärztin und Person ins Zentrum zu stellen. Wir sind auch noch nicht überzeugt und sehen auch Probleme in der Abgrenzung zwischen medizinischer Notlage und anderen Situationen, weil auch das Verfassungsgericht deutlich gemacht hat, dass wir nicht über Motive zu richten haben und dass nicht fremddefinierte, materielle Kategorien entscheidend sein dürfen. Zudem ist es eine Abgrenzungsfrage.
Vor allem aber stelle ich folgende Frage: Was für ein Menschen- und Gesellschaftsbild haben wir? Es ist doch nicht so, dass wir uns in einem Verrechnungsverhältnis von Palliativmedizin, Hospizbewegung, Prävention und assistiertem Suizid bewegen. Nein, zusammen ist das zu denken.
({2})
Und wieso gehen wir oft davon aus, dass Menschen – auch wenn uns das nicht gefällt, auch wenn wir uns dagegen wehren – am Ende, auch wenn es sozial nicht angemessen sein mag, eine solche Entscheidung nicht treffen bzw. treffen können? Wir können nicht von unserer eigenen Befindlichkeit ausgehen, sondern müssen diese zutiefst persönliche Entscheidung in ihrer persönlichen Form wahrnehmen und sehen. Dabei müssen wir diejenigen unterstützen und beraten, die sich dafür entscheiden, diejenigen, die noch nicht entschieden sind, aber auch diejenigen, die helfen, statt sie der Gefahr der Strafbarkeit auszusetzen.
Deshalb ist es aus meiner Sicht notwendig, in diesem Moment an jemanden zu erinnern, der uns leider verlassen hat, nämlich Peter Hintze, der vor vielen Jahren in einem, glaube ich, sehr eindrucksvollen Statement als Wuppertaler Abgeordneter der CDU Folgendes gesagt hat:
Wir wollen, dass am Sterbebett nicht Staatsanwälte stehen, sondern Angehörige und Ärzte.
Wir wollen mit unserem Entwurf erreichen – das sage ich für uns alle –, dass wir Ärzte und Ärztinnen, dass wir Angehörige, dass wir Betroffene, die entschieden sind oder auch noch mit ihrer Entscheidung ringen, nicht alleinlassen. Wir wollen, dass ihr Leben geschützt wird, –
Kollege, kommen Sie zum Schluss.
– dass wir ihnen aber auch beistehen in ihrer Freiheit, nach ihrem Gewissen zu entscheiden, in ihrer Selbstbestimmung, die für uns eine Anstrengung, eine Zumutung ist, die wir aber aushalten und ertragen müssen – ja, wir müssen es. Genau das wollen wir, und deshalb bitten wir um Ihre Unterstützung.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Lindh. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Kirsten Kappert-Gonther für die Gruppe „Castellucci und andere“.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute geht es ja tatsächlich um die großen, um die letzten, um sehr persönliche Fragen, die wir alle ganz individuell beantworten müssen, sowohl hier im Parlament als auch im Leben.
Wie nähere ich mich eigentlich diesem unfassbaren Gedanken, dass wir alle zum Tode hin leben? Wie gehe ich denn damit um, wenn ich selbst oder Personen in meinem Umfeld nicht mehr leben wollen? Und Suizidalität ist häufig. Fast alle Menschen kennen diese Gedanken: in der Pubertät, in Lebenskrisen, im Alter. Suizidale Gedanken sind volatil, und sie entstehen immer – immer! – im Kontext der Lebensbedingungen und unserer Beziehungen. So persönlich dieses Thema also ist, so relevant ist es, wie wir als Gesellschaft damit umgehen.
Ich halte es für elementar – und das sage ich aufgrund meiner langjährigen Erfahrung als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie –, dass wir das Thema Suizidalität enttabuisieren. Wir müssen es aushalten, zulassen
({0})
und Menschen ermutigen, über ihre Gefühle zu sprechen. Das senkt das Suizidrisiko. Suizidalität ist nämlich meistens nicht der Wunsch nach dem Tod, sondern der Wunsch nach einer Pause von einer als unerträglich empfundenen Lebenssituation. Und wenn diese Drucksituationen nachlassen, dann verschwindet oft auch der suizidale Impuls. Innere Drucksituationen sind eine psychische Erkrankung, das Gefühl, überflüssig zu sein, oder anderen nicht zur Last fallen zu wollen. Äußere Drucksituationen sind beispielsweise mangelnde Pflege, aber auch Armut oder Überschuldung.
Ich finde, es ist eine gesellschaftliche Dystopie, wenn wir den Zugang zum assistierten Suizid leichter erreichbar machen wollen als andere Hilfen.
({1})
Es ist also, liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere zentrale gesellschaftliche Aufgabe, Suizidprävention auszubauen. Das fordert im Übrigen ja auch der Ärztetag mit seinem Beschluss im Mai im schönen Bremen. Als interfraktionelle Gruppe von Abgeordneten aller demokratischen Fraktionen legen wir darum also, gemeinsam mit unserem Gesetzentwurf zur Regulierung des assistierten Suizids, gleichzeitig einen Antrag für mehr Suizidprävention vor.
Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt: Der Zugang zu assistiertem Suizid muss möglich sein, und die Autonomie muss gesichert werden. Das Gericht hat klargestellt, dass der Gesetzgeber mit einem Schutzkonzept genau diese Freiverantwortlichkeit absichern kann. Das Gericht hat auch klargestellt, dass gefahrträchtige Angebote des assistierten Suizids verboten werden dürfen. Genau darum geht es meiner Gruppe: die Suizidassistenz zu ermöglichen, aber nicht zu fördern und die Autonomie eben gerade zu sichern durch ein Schutzkonzept, damit der Wille tatsächlich freiverantwortlich und von Dauer gebildet ist.
Unser Gesetzentwurf wählt das Strafrecht, um eine möglichst widerspruchsfreie Gesetzgebung zu ermöglichen. Wir erwarten von denen, die die Suizidassistenz anbieten, dass sie sicherstellen, dass die Hilfesuchenden wirklich autonom handeln, dass hier die Freiverantwortlichkeit gesichert ist.
({2})
Dafür definieren wir klare Kriterien: das psychiatrische Gespräch, Wartefristen, ein Mehr-Augen-Prinzip und dass der assistierte Suizid bei Kindern und Jugendlichen ausgeschlossen ist.
({3})
Im Übrigen regeln auch die Schweiz und die Niederlande ihre Suizidassistenz im Strafrecht. Dahinter sollten wir nicht zurückfallen.
Es taucht immer mal das Argument auf – auch heute hier in der Debatte –, ein breiter Zugang zum assistierten Suizid erspare den Menschen, beispielsweise auch Lokführern, die schrecklichen harten Suizide. Aber das ist falsch.
({4})
Die harten Suizide verringern sich nicht durch Angebote des assistierten Suizids, stattdessen werden andere Bevölkerungsgruppen womöglich zum Suizid hingeführt. Deswegen steigen die Zahlen in Ländern mit leichterem Zugang zum assistierten Suizid, beispielsweise in Belgien, in der Schweiz, aber auch in Oregon. Die schleichende Normalisierung halte ich für ein Problem.
({5})
Es ist eine Gefahr, wenn wir alten, kranken, armen Menschen womöglich vermitteln, sie seien überflüssig, insbesondere in Modellen, die eine Art staatliches Gütesiegel für Angebote des assistierten Suizids vorsehen. Das sollten wir verhindern. Niemand, wirklich niemand in unserem Land soll das Gefühl bekommen, nicht gewollt zu sein.
Nehmen wir also das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ernst. Ermöglichen wir den Zugang zum assistierten Suizid in klar definierten Bahnen und verbessern wir gleichzeitig die Suizidprävention.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank, Frau Kollegin Kappert-Gonther. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Edgar Franke, Gruppe „Künast und andere“.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat 2020, denke ich, ein historisches Urteil gefällt. Wer sterben will, darf sich dabei unterstützen lassen, hat es ausgeführt. Deshalb haben wir als Gruppe einen Gesetzentwurf zum Schutz des Rechts auf ein selbstbestimmtes Sterben vorgelegt. Lukas Benner hat aus juristischer Sicht schon einiges dazu ausgeführt.
Unser Vorschlag, so denke ich, schafft einen rechtssicheren Weg, der das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts tatsächlich umsetzt. Dabei unterscheidet unser Entwurf zwischen Sterbewilligen, die in einer medizinischen Notlage sind, und allen anderen. Für die erste Gruppe soll es schneller und einfacher möglich sein, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Denn wer unerträgliche Schmerzen hat, wer keine Aussicht mehr auf Heilung hat, soll nicht übermäßig leiden müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, die Palliativmedizin kann das Leiden von Todkranken oft wirklich erheblich mildern. Aber wir dürfen Menschen, die furchtbare Qualen erleiden, die zusätzliche Möglichkeit des selbstbestimmten Sterbens nicht nehmen. Ich musste persönlich erleben, wie geliebte Menschen mit dem Tod ringen. Irgendwann war meiner Frau Carmen, irgendwann war meiner Mutter, die beide schwer an Krebs erkrankt waren, klar, dass sie den Kampf nicht gewinnen werden. In solchen Situationen sollten Menschen Sterbehilfe in Anspruch nehmen können. So geben wir ihnen Autonomie und Würde am Lebensende zurück.
({0})
Meine Damen und Herren, auch für jene, die nicht in einer medizinischen Notlage sind, sieht unser Entwurf einen Weg zum selbstbestimmten Sterben vor; denn diese Personen haben ein Recht darauf, insbesondere nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Dieser Weg soll allen volljährigen Menschen offenstehen, die selbstbestimmt und klar entscheiden können; denn durch unabhängige Beratungsgespräche mit angemessenem zeitlichem Abstand wird die Dauerhaftigkeit des Sterbewunsches sichergestellt. Zudem müssen die Beratungsgespräche zweifelsfrei feststellen, dass eine solche stabile Entscheidung ohne äußeren Druck getroffen wurde. Dieser Aspekt ist mir besonders wichtig; denn niemand soll früher aus dem Leben scheiden, weil er glaubt, anderen zur Last zu fallen. Mit den Beratungsgesprächen wollen wir Menschen, die sterben wollen, vielmehr Perspektiven aufzeigen, Perspektiven zum Leben. Diese Beweggründe sollen eine Einladung gerade zum Weiterleben sein, eben keine Aufforderung zum Sterben, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({1})
Wer aber selbstbestimmt aus dem Leben scheiden will, dem dürfen wir uns als Gesellschaft nicht in den Weg stellen. Das möchte ich ausdrücklich sagen. Deshalb muss gelten: Wer andere beim Sterben unterstützt, darf dafür nicht bestraft werden. Ich frage Sie: Wie kann jemand bestraft werden, der dabei hilft, etwas nicht Verbotenes zu tun?
({2})
Das Strafrecht – das haben wir immer gelernt, jedenfalls die hier nicht wenigen Juristinnen und Juristen – kann nur die Ultima Ratio der Gesetzgebung sein. Das Strafrecht kann und darf nicht für jene gelten, die aus Mitgefühl, aus Menschlichkeit Sterbehilfe leisten, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin mir sicher – das hat auch die heutige Debatte wieder gezeigt –, dass kein Abgeordneter es sich bei dieser wirklich existenziellen Frage leicht macht. Wir alle wollen das Leben schützen, und wir alle wollen die Würde des Einzelnen achten. Mit dem Entwurf unserer Gruppe „Künast“ schaffen wir ein Gesetz zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben, schlagen wir einen rechtssicheren, vernünftigen Weg vor, einen Weg, der zum Leben ermutigen will, aber anerkennt, dass sich Menschen auch für den Tod entscheiden dürfen, einen Weg, der Betroffenen und Hilfewilligen mehr Klarheit und Rechtssicherheit gibt. Lassen Sie uns gemeinsam einen würdigen und sicheren Rahmen für die Sterbehilfe in Deutschland finden.
Danke schön.
({3})
Vielen Dank, Herr Kollege Franke. – Nächster Redner ist der Kollege Stephan Pilsinger, Gruppe „Castellucci und andere“.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als noch praktizierender Hausarzt weiß ich, dass die Coronapandemie nicht nur Infektionswellen, sondern auch Wellen der Depression über unser Land hat brechen lassen. Sätze wie: „Es ist mir alles zu viel; ich habe einfach keine Lust mehr“, kommen in der Regel von Menschen, die einen leidvollen Weg hinter sich haben, oft depressiv sind, keinen Ausweg mehr zu sehen glauben und die ihrem scheinbar unerträglichen Leben ein rasches Ende setzen wollen. Doch wollen diese Menschen das wirklich, wenn sie so reden? Ist der Suizid wirklich der unbedingte, freie und selbstbestimmte Wille derjenigen Person, die so redet? Ist es da nicht angenehm, ja verführerisch, zu wissen, dass es Sterbehilfevereine gibt, die in einer solchen Situation versprechen: „Wir helfen Ihnen, den Ausklang Ihres Lebens zu gestalten“, oder die ein humanes Sterben in Aussicht stellen, nach dem Motto „selbstbestimmt Leben, selbstbestimmt Sterben“?
Wie ist es aber tatsächlich um die Selbstbestimmung bei solchen Sterbehilfevereinen bestellt? Ist sie tatsächlich das zentrale Attribut bei jedem Fall von begleitetem Suizid? Ich bezweifle das.
({0})
Jedenfalls ist Selbstbestimmung in unserem Gesetzentwurf das zentrale Leitmotiv, um die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Möglichkeit des assistierten Suizids zu legitimieren. Das Bundesverfassungsgericht nennt in seinem Urteil vom 26. Februar 2020 zwar keine konkreten materiellen Voraussetzungen für die Entscheidung zum Suizid, betont aber, dass die Entscheidung des Suizidenten von Freiverantwortlichkeit, von Dauerhaftigkeit und von innerer Festigkeit geprägt sein muss.
Gleichzeitig hat das Gericht auch betont, dass der Gesetzgeber ein legitimes Ziel verfolgt, wenn er verhindern möchte, dass sich assistierter Suizid als normale Form der Lebensbeendigung durchsetzt, und wenn er sicherstellen möchte, dass der folgenreiche Entschluss des Betroffenen tatsächlich auf einem freien, nicht von äußeren Umständen geprägten Willen beruht. Das ist der Leitgedanke unseres überfraktionellen Gesetzentwurfs.
({1})
Denn zwischen 50 und 90 Prozent der Selbstmorde in Deutschland stehen nach Auskunft der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde in Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen, die man auch erfolgreich behandeln und in den Griff bekommen kann, wenn man sie rechtzeitig erkennt und therapiert.
Insbesondere Menschen mit Depressionen haben nachweislich ein stark erhöhtes Suizidrisiko, Menschen, die es besonders – vor sich selbst und vor äußeren Einflüssen – zu schützen gilt. Die meisten Suizidgedanken sind nach den Erkenntnissen psychiatrischer und psychotherapeutischer Fachkreise volatil, also kurzfristiger, situativ bedingter Natur. Sie sind also weniger Ausdruck eines zutiefst empfundenen Wunsches, tatsächlich zu sterben, als vielmehr die Sehnsucht nach einer „Auszeit“ aus einer als unerträglich empfundenen Lebenssituation. Daher haben wir eine engmaschige und klar vorgegebene Beratungspflicht mit bestimmten Wartefristen vorgegeben, damit ein möglicherweise doch lösbarer und temporärer Zustand nicht vorschnell zu einer irreversiblen Entscheidung für die Selbsttötung werden kann.
({2})
Nach jetzigem Recht stehen den Sterbehilfevereinen Tür und Tor offen, die Betroffenen schnell vermeintlich zu „erlösen“. Das können und dürfen wir so nicht stehen lassen, meine Damen und Herren!
({3})
Daher ist die Verortung der Regelung im Strafgesetzbuch auch die einzig wirksame gesetzgeberische Lösung, um Missbrauch zu verhindern und Menschen vor falschen äußeren Einflüssen zu schützen. Wer diese Selbstbestimmung und damit die Würde des einzelnen Menschen missachtet, handelt zutiefst kriminell und muss entsprechend strafrechtlich belangt werden können, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
In Kenntnis des Urteils des Bundesverfassungsgerichts wollen wir die Suizidassistenz ermöglichen, sie aber nicht fördern. Ältere und schutzbedürftige sowie von schweren persönlichen Schicksalsschlägen gepeinigte Menschen müssen wir vor falschen Einflüssen schützen. Deshalb ist auch die Suizidprävention auf allen Ebenen wichtig, so wie wir sie in unserem Begleitantrag fordern.
({5})
Meine Damen und Herren, wie das Bundesverfassungsgericht sehen auch wir die autonome Selbstbestimmung eines Menschen als unmittelbaren Ausdruck seines Persönlichkeitsrechts, in der sich seine Würde als Mensch in seiner Individualität, Identität und Integrität entfaltet.
Im Sinne des christlichen Menschenbildes und der europäischen Aufklärung führt unser Gesetzentwurf nach meiner festen Überzeugung am ehesten dazu, dass die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts beachtet werden und der Mensch als selbstbestimmtes Wesen geachtet, aber auch geschützt wird.
Vielen Dank.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich grüße Sie ganz herzlich am Freitagmittag.
Wir fahren in der Debatte fort mit Dr. Petra Sitte für die Gruppe „Helling-Plahr und andere“.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Man lebt nur einmal!“ Was da so beschwingt besungen wird, ist nur die eine Seite der Medaille: Man stirbt auch nur einmal. Sterben und Tod gehören zum Leben, sind aber doch etwas ganz Besonderes, das wir gern aus unserem Alltag verbannen. Entscheidungen darüber sind stets ausgesprochen bewegend. Wir alle müssen sterben, aber normal wird doch der Tod deshalb nie, und demzufolge wird es auch der Suizid nicht und nicht die Suizidhilfe – anders, als das behauptet wird.
({0})
Meine Damen und Herren, man hat versucht, sein Leben weitgehend selbstbestimmt zu führen, wie es ja auch immer von uns erwartet wurde. Warum bitte soll man bei der Sterbeentscheidung damit aufhören? Auch über das Ende des eigenen Lebens wollen Menschen selbst entscheiden, und sie sollen es selbst entscheiden können. Und das Bundesverfassungsgericht hat uns ausdrücklich aufgegeben – das war ja für viele überraschend –, keine Unterscheidung zwischen krankheitsbedingtem Wunsch auf Suizidhilfe und anderen Motiven zu treffen.
Tatsächlich ist es doch so, dass Menschen abwägen, dass wir uns Gedanken machen, dass Rat gesucht wird, dass Austausch gesucht wird. Niemand trifft derlei Entscheidungen leichtfertig. Viele Betroffene fühlen sich geradezu überfordert. Aber guten Freunden oder Angehörigen geht es doch nicht anders.
Sterben ist bei Weitem nicht nur ein medizinisches Problem, wenngleich es auch darüber einer Aufklärung bedarf. Aber ich will das ausdrücklich hier auch mit sagen: Es bettet sich ein in unsere konkreten Lebensverhältnisse. Wie frei kann man denn in Altersarmut entscheiden? Das gehört auch zur Suizidprävention.
({1})
Zudem geht es um eine ebenso individuelle wie soziale, ja psychosoziale Entscheidung. Man löst sich schließlich von Menschen, man löst sich vom Leben. Und daher soll eine Beratung geboten werden, welche ergebnisoffen geführt wird und die alle Optionen in der einen wie in der anderen Richtung zur Sprache bringt. Darum geht es, entgegen manchen Behauptungen, in unserem Gesetz ausdrücklich: Es geht um Prävention, es geht um Aufklärung über alle Fragen, und es geht um Alternativen.
Bleibt es dann doch beim Sterbewunsch, geht es darum, diesen sicher und würdevoll umsetzen zu können. Bislang war genau das nahezu unmöglich, obwohl es anderslautende gerichtliche Entscheidungen gab, nicht zuletzt sogar vom Bundesverfassungsgericht. Es blieb also nur, dass man sich für hohe Summen von Sterbehilfevereinen begleiten ließ oder auch in einer Grauzone von Sterbehelfern. Das ist doch nicht akzeptabel. Obwohl Deutschland fast 150 Jahre Suizidhilfe ungeregelt gelassen hat, hatte niemand legalen Zugang zu einem entsprechenden Medikament. Was für ein Widerspruch! Wir sind verpflichtet, diesen Widerspruch aufzulösen.
({2})
Wir wollen aber zunächst kostenfreie und kompetente Beratung, bevor ein Arzt nach weiterer medizinischer Aufklärung das Medikament verschreiben kann. Es sei an dieser Stelle noch mal ausdrücklich betont: Kein Arzt, keine Ärztin soll dazu verpflichtet werden.
Meine Damen und Herren, über unser Konzept werden kompetente und unparteiliche Hilfe und Beratung allen kostenlos zugänglich. Die eigene soziale Situation kann also niemanden bei der Suche nach Hilfe und Beratung begrenzen. Niemand soll mit seiner Entscheidung alleingelassen werden, aber jeder und jedem soll sie als letzte Lösung offenstehen. Auch Sterben gehört zu einem selbstbestimmten Lebensweg.
Ich danke.
({3})
Vielen Dank. – Als letzter Redner in dieser Debatte erhält Benjamin Strasser für die Gruppe „Castellucci und andere“ das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil aus dem Februar 2020 Rechtsgeschichte geschrieben. Es hat zum ersten Mal ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben manifestiert, und das ist auch richtig. Niemand hat das Recht, darüber zu entscheiden, ob das Leben eines anderen noch lebenswert ist oder nicht, im Positiven wie im Negativen. Deshalb ist unserer Gruppe die rechtliche und die tatsächliche Durchsetzung der Selbstbestimmung von allen Menschen in allen Lebenslagen so wichtig.
({0})
Das Bundesverfassungsgericht hört aber nicht bei dieser Feststellung auf. Anders als manche Debattenbeiträge im Parlament und in der Öffentlichkeit vermuten lassen, ist es eben nicht so, dass es sich damit begnügt, dieses Recht festzustellen. Denn ob wir es wollen oder nicht: Wir alle leben in Beziehungen. Unser Wille ist geprägt von den Erfahrungen, die wir im Leben machen, aber auch von Haltungen und Werten anderer, von unserem sozialen Umfeld. Deshalb war es den Richterinnen und Richtern des Verfassungsgerichts eben auch wichtig, dass wir als Gesetzgeber die Aufgabe haben, die tatsächliche Autonomie des Suizidwilligen bestmöglich zu schützen. Und auch dieser Leitlinie folgt unser Gesetzentwurf.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir müssen darüber sprechen, dass Sterbewünsche endlich enttabuisiert werden. Wir müssen uns als Gesellschaft mit ihnen auseinandersetzen. Denn die Praxis zeigt, dass oftmals, wenn Betroffene den Satz äußern: „Ich will nicht mehr leben“, nach einer Auseinandersetzung, nach einem ernsthaften Gespräch mit ihnen der Satz verstanden werden muss als: „Ich will so nicht mehr leben“.
({2})
Die Betroffenen wollen sich aus einer Situation befreien, die sie persönlich als nicht mehr lebenswert empfinden. Das zeigt: Der Grat zwischen einem dauerhaften und ernsthaften Suizidwunsch und einem Hilferuf an die Gesellschaft ist schmal.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der Hilferufe verhallen oder mit Achselzucken zur Kenntnis genommen werden. Deswegen ist es Kern unseres Gesetzentwurfs, dass eine umfassende Beratungspflicht über die Alternativen zum assistierten Suizid sichergestellt wird. Den Menschen in einer solchen Lage muss bewusst sein, welche anderen Möglichkeiten es gibt, um sich aus einer solchen von ihnen als nicht mehr lebenswert empfundenen Situation zu befreien.
({3})
Dieses Aufzeigen ist doch keine Bevormundung oder kein Aufzwingen der eigenen Moral oder des eigenen Willen, sondern es ist der Kampf für echte Selbstbestimmung, für Wahlfreiheit, wenn ich weiß, welche Alternativen ich habe.
({4})
Diese Alternativen müssen dann aber auch tatsächlich und zeitnah zur Verfügung stehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen sind wir die einzige Gruppe, die einen Antrag zur Suizidprävention erarbeitet hat. Das gehört zusammen.
Ich möchte an der Stelle auch noch sagen: Manche Debattenbeiträge, insbesondere in der Orientierungsdebatte, aber auch in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit, haben mich wirklich irritiert. Da wird beispielsweise behauptet, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts verbiete es – Zitat – über eine strafrechtliche Lösung überhaupt nur nachzudenken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Verfassungsgericht hat es uns als Gesetzgeber in seinem Urteil ausdrücklich ermöglicht, diese Frage wieder im Strafrecht zu regeln.
({5})
Das Bundesverfassungsgericht spricht in seinem Urteil davon, dass von einer Normalisierung des assistierten Suizids sowie dem Angebot der geschäftsmäßigen Suizidassistenz eine Gefahr für die Selbstbestimmung des Einzelnen ausgeht.
({6})
Deswegen ist die Frage relevant, wie wir ein Beratungs- und Schutzkonzept, das wir ja offensichtlich alle wollen, in der Praxis so umsetzen können, dass es gelebt wird und das nicht nur im Bundesgesetzblatt steht.
Insofern ist für unsere Gruppe klar: Wer sich erlaubt, sich über ein gesetzlich vorgeschriebenes Beratungsverfahren hinwegzusetzen und damit in unzulässiger Weise in die Selbstbestimmung anderer einzugreifen, der muss mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen.
({7})
Das ist keine Kriminalisierung von Sterbewilligen, das ist auch, Kollege Franke, keine Kriminalisierung von Menschen, die Hilfe zum Suizid leisten wollen im Rahmen eines Beratungskonzepts, sondern das ist die konsequente Umsetzung des Auftrags des Bundesverfassungsgerichts, nämlich die Selbstbestimmung von allen Menschen in allen Lebenslagen tatsächlich zu sichern.
Vielen herzlichen Dank.
({8})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wer einen Fehler begeht, der muss ihn auch wieder richtigstellen. Das gilt für Soldaten, und das hat für Politiker natürlich genauso zu gelten. Und es sind viele politische Fehler gemacht worden im Umgang mit dem Kommando Spezialkräfte. Den gesamten Verband hat man in der Öffentlichkeit vollkommen zu Unrecht in ein falsches Licht gestellt.
({0})
Natürlich gab es Fehlverhalten Einzelner im Verband – das bestreitet ja niemand –; aber man kann dieses Fehlverhalten Einzelner doch nicht dem gesamten Verband zurechnen. Und tatsächlich: Wenn man sich die Begründung für das Vorgehen im KSK anschaut, dann stellt man fest, dass das gar nicht der Grund war, sondern eine angeblich vorhandene grundsätzliche Problematik, die man dort entdeckt haben wollte. Auch das ist natürlich vollkommen absurd und mit Sicherheit Folge der politischen Unsitte, in jeder Ecke irgendwie Rechtsextremismus entdecken zu wollen, damit man sich anschließend selbst als der energischste Bekämpfer inszenieren kann.
({1})
Viele Soldaten haben den Verband damals verlassen, einen Verband, der ohnehin unter Personalproblemen leidet. Viele Soldaten, mehr als 100 zeitweise, haben sich in truppenpsychologische Betreuung begeben, weil sie diese ungerechte Diffamierung und dieses Klima der Angst, das im Verband erzeugt wurde, nicht mehr ausgehalten haben. Wir wissen doch, spätestens seit wir den Abschlussbericht zu den Maßnahmen im KSK im Verteidigungsausschuss besprochen haben, dass es nie eine Grundlage für diese Vorwürfe gegen das Kommando Spezialkräfte gegeben hat.
({2})
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der SPD-Fraktion?
Natürlich, gerne.
Ich bedanke mich, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.
Gerne.
Sie haben in Ihrem Antrag geschrieben – jetzt gerade haben Sie das auch noch mal gesagt; in Ihrem Antrag verwenden Sie noch den Konjunktiv; jetzt haben Sie das anders formuliert –:
Zeitweise sollen aufgrund dieses öffentlichen Drucks
– gemeint ist die Berichterstattung, vielleicht auch die Gründung der Arbeitsgruppe; ich bin mir nicht ganz sicher, wie Sie das meinen –
mehr als 100 KSK-Soldaten in psychologischer Behandlung gewesen sein.
Genau.
Heute haben Sie gesagt: Die waren in Behandlung. – Mich würde interessieren, auf Grundlage welcher Quelle Sie diese Behauptung aufstellen. Geben Sie mir nicht recht, dass der Druck, der auf KSK-Soldaten aufgrund ihrer Aufgaben lastet, doch eigentlich viel höher ist in Bezug auf Terrorbekämpfung, Rettung, Evakuierung und vieles andere, was sie machen müssen? Ist das nicht eigentlich ein viel höherer Druck als öffentliche Berichterstattung? Müssten die das nicht aushalten können?
Ach, die müssten das aushalten können? – Danke, dass Sie das noch mal so deutlich formuliert haben, Frau Kollegin.
Also, erstens können Sie diese Zahl der Medienberichterstattung ganz normal entnehmen.
Zweitens ist das ja gerade der Punkt, Frau Kollegin: Diese Soldaten setzen sich Einsätzen aus, die hochgefährlich sind; sie sind einen großen Teil des Jahres weg von ihrer Familie; sie leisten Großes für Deutschland. Und jetzt kommen Sie daher und sagen: Die müssen diese Diffamierung und diese falsche Verdächtigung aushalten. – Sie kommen aus der SPD. Wegen Ihnen hat die Bundeswehr jahrelang keine bewaffneten Drohnen bekommen. Ihre Partei ist es, die verhindern wollte, dass in Berlin Soldaten an Schulen gelassen werden. Ihre Partei ist es, die in Nordrhein-Westfalen verhindern wollte, dass ein Denkmal für den in Afghanistan gefallenen Soldaten Martin Augustyniak gesetzt wird. Und jetzt stellen Sie sich hierhin und behaupten, dass die KSK-Soldaten es aushalten müssen, wenn man so einen Unsinn über sie in der Öffentlichkeit verbreitet. Das sagt mehr über Sie, das sagt mehr über die SPD als über die AfD, Frau Kollegin.
({0})
Ich fahre fort. Wir wissen also, seit wir den Abschlussbericht zu diesen Maßnahmen im Verteidigungsausschuss besprochen haben, dass es keine Grundlage für diese Verdächtigungen gab. Der MAD ist doch immer eng miteinbezogen worden. Wir müssen jetzt mal ein Fazit ziehen und uns fragen: Wo ist denn der strukturelle Extremismus ist, den es da gegeben haben soll? Wo sind denn die rechtsextremistischen Netzwerke? Wo sind die Extremisten in der 2. Kompanie, die man aufgelöst hat? Nichts davon konnte nachgewiesen werden – nichts davon.
({1})
– Die Frage lasse ich zu, Frau Präsidentin, wenn Sie sie auch zulassen. Entschuldigung.
Ja, ich lasse sie zu. – Bitte schön.
Herr Kollege, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.
Gerne.
Ist Ihnen bekannt, dass der Untersuchungsbericht des Generalinspekteurs der Bundeswehr auch noch wesentliche andere Aspekte enthält als Rechtsextremismus? Da geht es zum Beispiel um toxische Führungskultur und verkrustete Führungsstrukturen innerhalb dieser 2. Kommandokompanie, deren Auflösung Sie ja hier monieren.
Es geht auch darum – ich zitiere jetzt aus dem Untersuchungsbericht –, dass „ein Geflecht von Kontakten … unterschiedlicher Art und Intensität zwischen einzelnen im Fokus stehenden Personen“ erkannt wurde, welches „durch eine übereinstimmende Geisteshaltung getragen zu sein scheint und das weiterhin aufgeklärt und bearbeitet wird“. Also, es geht hier um wesentlich mehr als um Rechtsextremismus. Im Rahmen der Inneren Führung und unserer Kultur des Staatsbürgers in Uniform müssen diese Vorgänge auch weiterhin untersucht werden, ohne natürlich einen gesamten Verband unter Generalverdacht zu stellen.
Okay. Danke für die Frage, Herr Kollege. – Sie waren ja noch nicht Mitglied des Verteidigungsausschusses, als wir das thematisiert haben. Deswegen haben Sie es vielleicht nicht mitbekommen. Das ist auch in Ordnung.
Ja, das, was Sie zitiert haben, steht im Bericht. Aber dass der offizielle Bericht so ungefähr die Meinung der damaligen Verteidigungsministerin wiedergibt, die die Auflösung der 2. Kompanie angefordert hat und die diesen politischen Symbolismus und diese Verunglimpfung des KSK betrieben hat, das ist, glaube ich, nicht so richtig verwunderlich, oder? Sie können demselben Bericht übrigens genau das entnehmen, was ich gesagt habe: Nicht diese einzelnen Vorfälle waren die Begründung für dieses Vorgehen im KSK, sondern angeblich eine grundsätzliche Problematik.
Was man im Verteidigungsausschuss nämlich auch macht – das wissen Sie ja –: Man stellt Fragen. Die Beantwortung dieser Fragen schlägt sich nieder in den Protokollen. Ich lade sehr dazu ein, die mal zu lesen. Daraus geht klar hervor, dass im Grunde nichts dahinter war. Natürlich versucht ein solcher Bericht, der aus dem BMVg kommt, die Position der Ministerin zu untermauern.
Aber man muss sich schon sehr anstrengen, wenn man die Protokolle und auch die kritischen Fragen, die von der Opposition gestellt wurden, liest, um darin irgendeine Berechtigung für dieses diffamierende und auch verunglimpfende und ungerechtfertigte Vorgehen gegen das KSK zu sehen.
({0})
Wer sich also hier heute ans Rednerpult stellt und noch behauptet, es habe Nachweise gegeben für all diese Dinge, der muss dann bitte so redlich sein und auch erklären, woher er es hat – aus dem Verteidigungsausschuss jedenfalls nicht.
({1})
– Sie können gerne noch eine Frage stellen. Das ist kein Problem.
({2})
Meine Damen und Herren, die Bundeswehr hat sich das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform als Lehre aus dem Unrecht des Dritten Reiches gegeben. Ich will daran erinnern, dass man damals nicht ein paar Soldaten im Blick hatte, die sich vielleicht falsch verhalten, sondern dass man dabei an die zukünftigen deutschen Regierungen gedacht hat. Nie wieder sollte eine deutsche Regierung den Soldaten vorschreiben, was sie politisch zu denken haben. Aber genau in diese Richtung geht es doch wieder.
({3})
Wenn der Korridor des Denk- und Sagbaren immer weiter eingeschränkt wird, sodass jede konservative Positionierung die Gefahr des beruflichen Nachteiles in sich trägt, dann haben wir ein Problem, meine Damen und Herren.
({4})
Die Maßstäbe, die an die Soldaten angelegt werden, sind oft nicht rechtsstaatlich. Sie sind nicht nachvollziehbar. Sie sind willkürlich. Man gerät ja schon in den Fokus, wenn man die Gendersprache ablehnt oder der Meinung ist, dass der Bundespräsident direkt vom Volk gewählt werden sollte, oder der Meinung ist, dass die Grenzöffnung 2015 rechtswidrig gewesen sei. Das sind alles echte Beispiele.
Dieser Wahnsinn, der führt dazu, dass viele Soldaten es gar nicht mehr wagen, ihre staatsbürgerlichen Rechte voll wahrzunehmen. Verteidigungsminister – da muss man natürlich auch die CDU/CSU anschauen, die 16 Jahre lang Verantwortung für das Ressort hatte –, die ein solches Klima in der Bundeswehr erzeugen, die sind eine größere Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, als ein paar Soldaten es jemals sein können.
({5})
Wir fordern heute, die 2. Kompanie wieder aufzustellen; denn sie wurde zu Unrecht aufgelöst. Wir fordern, das Kommando Spezialkräfte endlich öffentlich voll zu rehabilitieren; denn die Vorwürfe sind einfach falsch. Und wir fordern, festzustellen, welchen Schaden dieser politische Druck auf unsere Soldaten in der Bundeswehr schon angerichtet hat.
({6})
Das Wort erhält für die SPD-Fraktion Dr. Joe Weingarten.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ein altes Sprichwort lautet: „Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.“
({0})
Damit ist das Verhältnis zwischen der Bundeswehr und der AfD hinreichend beschrieben.
({1})
Die AfD ist kein Freund der Bundeswehr. Das zeigt auch wieder dieser Antrag mit seiner kruden Mischung aus oberflächlichen Anbiederungen, politischen Verdrehungen und Halbwahrheiten. Die Bundeswehr braucht solche Anbiederungen nicht.
Keine Einheit der Bundeswehr steht unter dem Verdacht grundsätzlich fehlender Verfassungs- und Demokratietreue. Die Soldaten des Kommandos Spezialkräfte zeigen regelmäßig, dass auf sie auch in dieser Richtung Verlass ist. Das ist umso wichtiger, weil sie eine der wichtigsten Spezialeinheiten unserer Bundeswehr bilden.
Denn Soldat im KSK zu sein, das ist kein normaler Beruf, das ist eine Berufung. Man wird nicht Teil des Kommandos Spezialkräfte, weil man im Rampenlicht stehen will. Man macht es aus Überzeugung für die Sache und bringt dafür erhebliche Opfer an persönlicher Freiheit und mit Blick auf die Härte und Länge der Ausbildung.
Wir vertrauen auf das KSK. Bei unbekannten, manchmal nie diskutierten Operationen oder bei Hilfen in lebensbedrohlichen Situationen wie auch bei der Evakuierungsmission aus Kabul waren die Soldaten des KSK da, als wir sie brauchten. Dafür gilt ihnen unser Dank und unsere Anerkennung!
({2})
Aber nicht nur wir müssen den Soldaten vertrauen. Unsere Soldatinnen und Soldaten können auch Vertrauen in das Parlament haben. Dieser Bundestag steht hinter der Truppe, seiner Parlamentsarmee!
Die Soldatinnen und Soldaten beobachten genau, was wir hier diskutieren, und sie nehmen Fehler wahr. Deswegen müssen wir unsere Worte genau abwägen, wenn von politischer Seite Einschätzungen über den Zustand der Bundeswehr oder ihre innere Verfasstheit abgegeben werden. Man muss auch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, Einschätzungen über die Bundeswehr korrigieren, wenn sie falsch sind, so wie den Satz der damaligen CDU-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, dass die Bundeswehr ein „Haltungsproblem“ habe – ich zitiere – und zugleich „Führungsschwäche“ auf allen Ebenen und – auch ein Zitat – „falsch verstandenen Korpsgeist“ habe, der das alles decke. Diese Sätze waren sachlich falsch und politisch unklug, und das sind sie auch noch heute. Es wäre an der Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, diese Pauschalverdächtigung unserer Bundeswehr zurückzunehmen. Auch das würde zur Versachlichung der Debatte beitragen.
({3})
Denn solche Einschätzungen geben der Rechtsfraktion erst die Gelegenheit, sich hier zum Anwalt der Soldatinnen und Soldaten aufzuspielen. Aber keine Sorge: Die Soldatinnen und Soldaten bekommen genau mit, wenn die AfD versucht, diese Truppe zu instrumentalisieren.
({4})
– Ich darf auch noch hin, im Gegensatz zu dem einen oder anderen aus Ihrem Haufen.
({5})
Das ist es, was gerade passiert mit dem Versuch, jeglichen Rechtsextremismus in der Bundeswehr zu leugnen. Und auch das ist falsch.
({6})
Natürlich gibt es Rechtsextremismus in der Bundeswehr – wie auch in unserer Gesellschaft, wie auch in diesem Parlament, wie auch in diesem Moment in diesem Raum.
({7})
An keinem Ort sind Rechtsextremisten ungefährlich; aber sie sind unterschiedlich gefährlich. Um es klar zu sagen: 80 Rechtsextremisten im Deutschen Bundestag hält diese Gesellschaft aus, 80 bewaffnete Rechtsextremisten in der Bundeswehr nicht.
({8})
Deswegen werden wir auch weiterhin jeden Einfluss des rechten Ungeistes in unseren Streitkräften bekämpfen. Wer unsere Demokratie bekämpft oder verächtlich macht, gehört nicht in die Bundeswehr. Und wenn er zur AfD gehört, gehört er auch nicht in Uniform.
({9})
Aber es gibt keinen Pauschalverdacht. Wir stehen zu den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und zu den Angehörigen unserer Spezialkräfte.
({10})
Es ist gut, dass wir uns dabei auf einer Linie mit der Wehrbeauftragten des Bundestages befinden, der ich ausdrücklich für ihr Engagement in dieser Sache danke.
({11})
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird das KSK weiter dabei unterstützen, seine militärischen Qualitäten in den Vordergrund zu stellen und seine Aufgabe zu erfüllen. Aber dazu brauchen wir keine Belehrungen von rechts. In diesem Parlament wird nicht der Bock zum Gärtner gemacht.
({12})
Ein demokratisches Parlament stellt Regelungen für eine in der Demokratie geführte Bundeswehr auf und kontrolliert deren Einhaltung. Genau dabei bleibt es!
Vielen Dank.
({13})
Für die Unionsfraktion erhält jetzt Kerstin Vieregge das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Wehrbeauftragte! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Keiner hier streitet ab, dass die gesellschaftliche Wertschätzung gegenüber unserer Bundeswehr ein wichtiger Faktor für die Motivation unserer Soldatinnen und Soldaten ist. Hier gibt es zweifelsohne noch viel zu tun.
Den Handlungsbedarf haben Sie schon mal erkannt, werte Kolleginnen und Kollegen von rechts außen. Aber Ihre Vorschläge sind rückwärtsgewandt, regressiv und dienen nur einem einzigen Zweck: der Relativierung des Extremismus in Ihren eigenen Reihen.
({0})
In der Vergangenheit äußerten sich AfD-Funktionäre immer wieder zu der Notwendigkeit von historischen Vorbildern für unsere Soldatinnen und Soldaten. Zudem beschwören Sie weiterhin die Tradition der deutschen Militärgeschichte. Über beides kann man reden –
({1})
aber nicht mit einer Partei, auf deren Parteitag Zeitschriften mit Titeln wie „Männer der Waffen-SS“ verteilt werden.
({2})
Sind das etwa die Vorbilder und Traditionen, welche sich die AfD für unsere Soldatinnen und Soldaten wünscht?
({3})
Wenn wir hier schon über Vorbilder sprechen: Selbsternannte schneidige Unteroffiziere a. D., die ausschließlich Erfahrung damit haben, gegen Uniformtrageverbote zu kämpfen, repräsentieren keinesfalls unsere stolze Bundeswehr.
({4})
Sie sprechen aber wohl für die immer radikaler werdende AfD. – Bevor Sie fragen, Frau Präsidentin: Ich werde keine Zwischenfragen zulassen. – Aber genug davon.
Sprechen wir über das Kommando Spezialkräfte und den heutigen Antrag. Die Maßnahmen, die von der damaligen Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer ergriffen wurden, waren richtig, nicht nur wegen der Häufung von Verdachtsfällen in der Einheit. Der von der Arbeitsgruppe KSK erarbeitete Maßnahmenkatalog wurde bereits fast vollständig umgesetzt, mit der Folge, dass die Struktur des Kommandos optimiert und an die Herausforderungen unserer Zeit angepasst wurde. Zu diesen strukturoptimierenden Maßnahmen gehören unter anderem die Stärkung der Stab- und Logistikstrukturen sowie die Unterstellung der Führungskompanie des KSK unter die Division Schnelle Kräfte. So kann sich die Einheit auf ihre Kernaufgaben konzentrieren. Diese Maßnahmen haben unsere Spezialkräfte gestärkt und keinesfalls geschwächt. Auch deshalb wurde der Reformprozess von der überwältigenden Mehrheit der KSK-Soldaten mitgetragen.
Und ja, die vergangenen Jahre waren für die Soldaten des KSK sowie deren Angehörige nicht leicht. Trotz des politischen und medialen Drucks auf die Truppe hat sie zu keinem Zeitpunkt an Professionalität und Leistungsfähigkeit verloren. Das wurde besonders bei der Evakuierung des Kabuler Flughafens deutlich.
Einiges an Ihrem Antrag ist verwunderlich; denn angesichts der Pressemitteilungen sowie der Unterrichtung des Parlamentes über den Personalmangel beim KSK kann ich mir nicht erklären, warum die AfD hier und heute die Wiederaufstellung der aufgelösten 2. Kommandokompanie fordert. Trotz der Auflösung dieser Kompanie liegt die Dienstpostenbesetzung bei den Einsatzeinheiten des KSK weit unter 100 Prozent. Warum fordern Sie die Wiederaufstellung einer weiteren, dann zweifelsohne unterbesetzten Kompanie?
Zunächst müssen die Personallücken der noch bestehenden Einheiten gefüllt werden; denn dann können wir über eine Neuaufstellung der 2. Kompanie reden. Denn eines ist klar: Die sicherheitspolitischen Herausforderungen und die damit verbundenen Aufgaben für unsere Spezialkräfte nehmen nicht ab – im Gegenteil.
Um in diesem sicherheitspolitischen Umfeld bestehen zu können, brauchen wir nicht nur ein starkes Kommando Spezialkräfte, sondern auch gut ausgebildete, spezialisierte Soldatinnen und Soldaten in allen anderen Teilstreitkräften und militärischen Organisationsbereichen der Bundeswehr. Dies ist nur möglich, wenn wir in sämtlichen Verbänden der Bundeswehr das Ziel der materiellen Vollausstattung erreichen und damit endlich unseren Soldatinnen und Soldaten ermöglichen, ihrem Selbstanspruch, dem Mantra „Train as you fight“, gerecht zu werden. Durch die Verbesserung des Ausbildungs- und Übungsstandes aller Soldatinnen und Soldaten vergrößern wir auch den Personalpool für die Elite unserer Steitkräfte, das KSK.
Wir haben es alle oft genug in der letzten Regierungserklärung der Ministerin gehört: Jetzt ist Schluss mit Zögern und Zaudern. Von nun an wird alles besser. – Wollen wir das glauben.
({5})
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Niklas Wagener.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorab möchte ich den Angehörigen, Freunden sowie Kameradinnen und Kameraden des vor zwei Wochen am 9. Juni verunglückten Soldaten des Kommandos Spezialkräfte mein herzliches Beileid aussprechen. Er wurde bei einer Übung mit vier Kameraden im Kaisergebirge in Tirol von einer Felslawine verschüttet. Er hat, wie es die anderen Soldatinnen und Soldaten des KSK und der Bundeswehr jeden Tag tun, sein Leben für die Sicherheit Deutschlands, für unser aller Sicherheit aufs Spiel gesetzt. Dafür möchte ich mich im Namen der Grünenfraktion bedanken und unsere aufrichtige Anteilnahme aussprechen.
({0})
Das KSK hat einzigartige Fähigkeiten. Einsätze im Gebirge, im Dschungel, in der Wüste, in der Arktis verlangen den Soldatinnen und Soldaten einiges ab. Es bedarf besonderer Ausbildung, Ausrüstung und einer entsprechenden Struktur. Die Einsätze unterliegen der Geheimhaltung und finden in einem gefährlichen Umfeld statt. Die Kommandosoldatinnen und ‑soldaten tragen mit ihren Einsätzen zu unserer Sicherheit bei.
({1})
Wir brauchen sie zum Beispiel bei der Befreiung deutscher Staatsbürger/-innen im Ausland. Es waren zudem auch gerade Angehörige des KSK, die im Sommer 2021 den Abzug der letzten Kräfte der Bundeswehr aus Afghanistan sicherten. Dafür ist das KSK als besonders ausgebildete Spezialeinheit mit besonderen Fähigkeiten unabdingbar.
({2})
Kurzum: Wir verlangen viel von den Kommandosoldatinnen und ‑soldaten. Dafür, dass sie ihr Leben für uns aufs Spiel setzen, schulden wir ihnen Respekt, fairen Umgang und Dankbarkeit. Das steht für uns Grüne ohne Wenn und Aber fest.
Klar ist auch, dass der große Teil der Soldatinnen und Soldaten einen außergewöhnlichen Dienst leistet. Dass das KSK und die Bundeswehr durch rechtsextreme Vorfälle in ein sehr negatives Licht gerückt werden, tut all denjenigen Soldatinnen und Soldaten Unrecht, die jeden Tag ihren Dienst in der Bundeswehr mit verantwortungsbewusster und demokratischer Haltung leisten. Es ist deshalb nicht angebracht, das KSK oder die ganze Bundeswehr unter einen Generalverdacht zu stellen.
({3})
Gleichzeitig möchte ich betonen: Jede Person, die im Namen des Staates eine Waffe trägt, egal ob Bundeswehr oder Polizei, unterliegt zu Recht hohen Anforderungen. Sie übt im Auftrag des Staates das Gewaltmonopol aus und muss damit fest auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Wer sich rassistisch, antisemitisch oder sexistisch äußert oder entsprechend handelt, hat somit keinen Platz in der Bundeswehr, hat keinen Platz in unseren Sicherheitsbehörden,
({4})
wer Waffen oder Munition entwendet, ebenso wenig. Das sind rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen. Solche Vorfälle müssen geahndet und sie müssen sanktioniert werden. Wir müssen Rechtsextremismus mit aller Härte bekämpfen. Ich glaube, dass wir das KSK an unserer Seite haben, und dafür darf auch das KSK uns als Parlament an seiner Seite wissen.
({5})
Ich bin mir so sicher, dass wir das KSK an unserer Seite haben, weil es seinen Willen zur Umstrukturierung und Neuaufstellung bewiesen hat. Der Abschlussbericht der Analyse von rechtsextremistischen Bestrebungen innerhalb des KSK hält fest, dass ein Großteil der Maßnahmen, nämlich 58 von 60, als Reaktion auf Missstände und personelle sowie strukturelle Defizite umgesetzt wurden. Beispielsweise wurden 50 zusätzliche Dienstposten geschaffen, die der Unterstützung in den Bereichen der stellvertretenden Bataillonskommandeure, des Personals der militärischen Sicherheit und Logistik, Truppenpsychologie, Psychiatrie und Psychotherapie dienen. Dass von diesen neuen Stellen bereits 90 Prozent besetzt sind, ist ein gutes Zeichen. Und auch, dass jeder angehende Kommandosoldat, jede angehende Kommandosoldatin gesondert psychologisch gescreent wird, ist sehr gut; denn die Soldaten stehen nicht nur unter besonderen physischen, sondern auch unter hohen psychischen Belastungen.
Diese sehr hohe Quote der Umsetzung der Maßnahmen zeigt: Das KSK hat aus dieser Krisenzeit gelernt. Es steht deshalb heute anders da als vor einigen Jahren. Das ist gut, und das kann man nicht nur, das muss man auch anerkennen.
Gleichzeitig ist es schwierig, dass manche Vorfälle heute noch nicht vollständig aufgearbeitet sind, weil es den Truppendienstgerichten an Personal fehlt. Hier sehen wir als Grüne eine Schlüsselaufgabe der Truppendienstgerichte. Verfassungswidrige Vorfälle müssen zügig bearbeitet und zügig abgeschlossen werden, damit das KSK nicht wieder unter Generalverdacht gerät.
({6})
Deshalb müssen die Truppendienstgerichte personell besser ausgestattet werden.
Es ist wichtig, dass wir im Herbst eine Evaluation der umgesetzten Maßnahmen angehen, um herauszufinden, welche Maßnahmen gut liefen und wo Verbesserungsbedarf besteht. Außerdem freue ich mich darauf, dass bald eine der beiden noch ausstehenden Maßnahmen, die Errichtung eines öffentlichen Besucherzentrums in Calw am Standort des KSK in Baden-Württemberg, abgeschlossen sein wird. Ich würde mich freuen, wenn wir als Parlament dies zum Anlass nähmen, gemeinsam an diesen Ort zu fahren, um uns persönlich ein Bild von den umgesetzten Maßnahmen zu machen.
({7})
Damit verdeutlichen wir unsere Verbundenheit, unsere Wertschätzung und unsere Dankbarkeit gegenüber dem KSK und der gesamten Bundeswehr.
Vielen Dank.
({8})
Für Die Linke erhält das Wort Ali Al-Dailami.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich kann man fast schon froh sein über diesen Antrag; denn er macht sehr deutlich, wes Geistes Kind diese Partei eigentlich ist. Egal wie viele rechte Umtriebe und Skandale beim KSK öffentlich werden: Die AfD hält stur an ihrer Demagogie fest und behauptet, es gebe so gut wie nichts auszusetzen, und denunziert somit all jene, die um Aufklärung bemüht sind. – Ihr Antrag ist selbstentlarvend und zeigt einmal wieder deutlich, wie antiaufklärerisch Sie tatsächlich sind.
({0})
In Ihrem Antrag ist die Rede von – ich zitiere – „vermeintlichen Vorfällen aus dem Phänomenbereich des Rechtsextremismus“. Ich frage mich: Was heißt hier denn eigentlich „vermeintlich“? Die Fälle sind offenkundig, und das nicht erst seit gestern. Um Ihnen mal auf die Sprünge zu helfen, hier nur einige wenige Beispiele:
Im Juni des Jahres 2000 überfällt ein früherer KSK-Angehöriger auf einem Truppenübungsplatz übende Soldaten und erbeutet Munition und Pistolen. Während des Gerichtsprozesses offenbart er sein extrem rechtes Weltbild. Er gibt offen zu, weitere Überfälle sowie Anschläge auf Politiker und Minderheiten hier in Deutschland geplant zu haben.
2001: Kommandosoldaten bringen bei Vorbereitungen auf ihren Afghanistan-Einsatz Wehrmachtssymbole auf Geländewagen an.
2002: Ein KSK-Kommandeur lobt eine hier im Bundestag von einem AfD-Mitglied – wie kann es anders sein –
({1})
gehaltene eindeutig antisemitische Rede. Es folgte richtigerweise die unehrenhafte Entlassung aus dem Dienst.
2015: Der KSK-Soldat André S. baut unter dem Tarnnamen „Hannibal“ ein rechtes Netzwerk auf. In Chatgruppen tauscht man sich über mögliche Bürgerkriegsszenarien aus und bereitet sich auf den lang ersehnten Tag X vor, jenen Tag also, an dem man das verhasste demokratische System hier in Deutschland stürzen will.
Mai 2020: Im Privathaus und Garten eines Kommandosoldaten werden unter anderem 2 Kilogramm Plastiksprengstoff, ein Maschinengewehr, Schalldämpfer, Zündschnüre für Sprengstoff sowie faschistische Literatur gefunden.
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
({0})
Die Liste ließe sich noch fortsetzen; aber dazu reicht die Zeit nicht.
Wir haben es beim KSK mit einem ernsthaften Problem zu tun. Wir glauben nicht, dass es mit Reformen getan sein wird; denn die Probleme dort bestehen seit Jahrzehnten und sind struktureller Natur.
({1})
In Ermittlungen im Bereich des KSK ist immer wieder – und das wissen Sie auch – die Rede von einer Mauer des Schweigens. Viel zu lange hat man weggeschaut und, wie Sie es heute auch tun, das Problem verharmlost. Dank investigativer Recherchen ist es gelungen, das extrem rechte Netzwerk um „Hannibal“ aufzudecken. Allerdings bedurfte es erst eines Hilferufs eines KSK-Hauptmanns im Jahr 2020 an die ehemalige Verteidigungsministerin, bis endlich Substanzielles in der Sache passiert ist.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zuletzt sagen: Unser aufrichtiger Dank gilt all jenen in den Reihen der Bundeswehr und des KSK, die den Mut aufbringen, solche Vorfälle öffentlich zu machen und dafür Sorge zu tragen, dass dieser rechte Ungeist in ihren Reihen nicht weiter Fuß fasst.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Als Nächstes erhält das Wort Dr. Marcus Faber für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Unsere Anteilnahme gilt heute den Angehörigen, Freundinnen und Freunden sowie Kameradinnen und Kameraden des tödlich verunglückten KSK-Soldaten. Ich denke, das sollte man in solch einer Debatte voranstellen, und die Debatte heute sollte, glaube ich, auch die Ernsthaftigkeit haben, die dem Thema entspricht.
Die Spezialkräfte sind für die schwierigen Aufgaben da. Eine der schwierigsten Aufgaben hatten sie in den letzten Jahren mit sich selbst zu lösen. Da gibt es nichts zu beschönigen, und da gibt es auch nichts zu verklären. Aber das KSK hat eben auch diese Aufgabe mit Bravour gemeistert; auch das kann man an dieser Stelle mal anerkennen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir erinnern uns: Das KSK hat im Wesentlichen zwei Probleme: Rechtsextremismus bei Einzelnen und Munitionsverluste.
Zu Ersterem. Über Jahre hinweg haben sich in einem Teil des Verbandes rechtsradikale und rechtsextremistische Entwicklungen bei Einzelnen vollzogen. Das blieb zu lange unentdeckt. Eine Entwicklung, die das Potenzial hatte, den gesamten Verband und seine Leistungsfähigkeit zu zerstören.
Zweitens: Munitionsverluste. Da hat es einen Umgang mit Munition gegeben, der schlichtweg rechtswidrig war. Dieses rechtswidrige Verhalten muss man auch so benennen. Das ist keine Verunglimpfung, wie es der Antragsteller hier darstellt, sondern das ist schlicht die Rechtslage.
Meine Damen und Herren, ich entgegne Ihnen deshalb: Eine Bagatellisierung von Straftaten darf es nicht geben; sie darf es nicht von der AfD aus geben, aber auch von sonst niemandem hier im Haus. Das gilt sowohl für Rechtsextremismus als auch für das Verschwindenlassen von Munition.
({1})
Erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Nein. – Mit uns Freien Demokraten wird es die auch nicht geben. Und gerne noch mal zum Mitschreiben: Wer nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht, auf der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, der hat bei der Bundeswehr nichts verloren und der hat auch bei den Spezialkräften nichts verloren. Das gilt für jeden Bürger, das gilt sogar für Mitglieder Ihrer Bundestagsfraktion.
({0})
Schauen wir uns den Prozess der Aufarbeitung und den Bericht dazu einmal an – den Bericht hätten Sie übrigens auch mal studieren können; denn dann wären Sie heute vielleicht zu den richtigen Schlüssen gekommen –: Das Ministerium hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit den Vorwürfen und Vorfällen beschäftigt hat. Dieser Bericht umfasst 55 Seiten. 60 Maßnahmen in sechs Themenfeldern wurden angeordnet; die meisten davon sind inzwischen umgesetzt. Die betreffenden Soldaten wurden auch disziplinarrechtlich belangt und mussten die Truppe zum Teil verlassen.
Meine Damen und Herren, zwei zentrale Maßnahmen möchte ich hier ansprechen:
Zum einen wurden die Führungsstrukturen so umgebaut, dass Probleme frühzeitig erkannt wurden.
Zum Zweiten: Die Soldaten der Spezialkräfte unterliegen durch ihre intensive Ausbildung und der Geheimhaltung sehr starken physischen, aber auch psychischen Anforderungen. Sie haben nicht – wie jeder von uns hier – die Möglichkeit, über ihre Arbeit zu Hause am Essenstisch mit ihren Partnern zu sprechen. Deswegen wurden 50 zusätzliche Dienstposten neu geschaffen, unter anderem eben auch beim psychologischen Dienst. Lehrgänge und psychologische Screenings tragen dazu bei, dass sich unsere Soldaten auf ihre Aufgabe konzentrieren können. Die Rotation der Truppenpsychologen ist dabei ein sehr wichtiges Element. Einige dieser Maßnahmen zeigen zum Teil jetzt schon Wirkung, andere werden ihre Wirkung mittel- und langfristig entwickeln.
Meine Damen und Herren, wenn man über die Spezialkräfte spricht, muss man auch berücksichtigen: Wir haben derzeit Krieg – mitten in Europa. Die Bundeswehr braucht jetzt eine schlagkräftige Einsatztruppe, die auch binnen kürzester Zeit besondere Aufgaben wahrnehmen kann. Das haben wir letztes Jahr in Kabul gesehen. Das Kommando Spezialkräfte stellt für die Bundeswehr ein wichtiges Instrument im Krisenmanagement dar. Der mediale Fokus auf die Soldatinnen und Soldaten war in den letzten Jahren enorm. In den letzten Monaten wurden viele Fortschritte erzielt. Ich wünsche mir auch einen medialen Fokus auf diese Fortschritte; den vermisse ich leider bisher.
Meine Damen und Herren von der AfD, ich bitte Sie deshalb: Wenden auch Sie Schaden vom KSK ab, und relativieren Sie hier nicht Rechtsextremismus und auch nicht Straftaten wie den Diebstahl von Munition.
({1})
Das schadet dem KSK. Das KSK ist gerade auf einem guten Weg, den wir nicht gefährden sollten.
Vielen Dank.
({2})
Als Nächstes erhält Marja-Liisa Völlers für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Intention des Antrags der AfD und die darin sachlich falsch dargelegten Annahmen wurden ja bereits von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern aus den anderen demokratischen Fraktionen deutlich widerlegt.
({0})
Daher möchte ich die Gelegenheit nutzen und den Aspekt des Rechtsextremismus in der Bundeswehr und im Umgang mit Verdachtsfällen am Beispiel des KSK beleuchten.
({1})
Lassen Sie mich vorher bitte zwei Dinge festhalten:
Erstens. Die große Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten sowie der zivilen Mitarbeitenden verrichten ihre Arbeit mit großer Verantwortung und stehen ohne jeglichen Zweifel hinter unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
({2})
Ihnen kann ich versichern: Wir, die Ampel und auch die demokratische Opposition, stehen fest an der Seite derer, die ihren Dienst treu und gewissenhaft unter Achtung des Grundgesetzes leisten. Eine Generalverdächtigung gibt es von meiner Seite nicht.
({3})
Zweitens. Diejenigen, die extremistisches Gedankengut haben, gehören nicht in die Bundeswehr. Wir dulden keine Form von Extremismus; jeder Fall von zum Beispiel Rechtsextremismus ist daher ein Fall zu viel.
({4})
Sehr geehrte Damen und Herren, wir dürfen die Augen aber nicht verschließen und müssen auch innerhalb der Bundeswehr wehrhaft gegen Gegner unseres demokratischen Grundwertekorsetts sein. Ich begrüße daher, dass jedem Hinweis mit höchster Wachsamkeit nachgegangen wird und, wo notwendig, auch Konsequenzen gezogen werden. Dass der Staat dazu in der Lage ist, haben wir bei den Fällen im Bereich des KSK, die heute schon geschildert wurden, gesehen.
Seit 2017 stand das KSK wegen gravierender rechtsextremistischer Vorfälle in der Kritik, beispielsweise wegen des Zeigens des Hitlergrußes. 2017 hat das BAMAD im Zusammenhang mit dieser Affäre den Phänomenbereich Rechtsextremismus bzw. Reichsbürgertum aufgeklärt und circa 50 Personen in die Verdachtsfallbearbeitung aufgenommen. Fünf Personen wurden daraufhin aus der Bundeswehr entlassen. Eine Person wurde rechtskräftig strafrechtlich verurteilt. 18 weitere Soldatinnen und Soldaten wurden versetzt und haben die Einheit verlassen. Diese Zahlen sprechen leider für sich und weisen eben auch auf erhebliche Defizite hin.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen in der Bundeswehr auch Spezialeinheiten.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
({0})
Das KSK ist für besondere Aufgaben von strategischem Interesse, zum Beispiel für die Rettung deutscher Staatsangehöriger aus Kriegs- und Krisengebieten oder für die Ausbildung von verbündeten Streitkräften.
({1})
Diese Kompetenzen werden – gerade unter dem Brennglas der Zeitenwende – gebraucht; und das ist uns allen, glaube ich, klar. Doch die Spezialkräfte müssen eben auch exemplarisch sein für unsere Werte, für die Werte der demokratischen Grundordnung.
({2})
Rechtsextremes oder anderes extremistisches Gedankengut darf keinen Platz haben; ich glaube, darüber sind sich die meisten von uns hier einig.
({3})
An dieser Stelle möchte auch ich die ehemalige Verteidigungsministerin loben. Die Unionskollegin hat damals schnell und gezielt reagiert, die gehäuften Verdachtsfälle aufarbeiten lassen und ist intern eine andere Linie gefahren. Vielen Dank noch mal an dieser Stelle.
Die Ergebnisse waren und sind immer noch schockierend. In Teilen konnte sich eine toxische Führungskultur entwickeln – Kollege Faber hat das eben schon ausgeführt –, die Einheiten konnten sich in Teilen verselbstständigen, und extremistische Tendenzen sowie ein laxer Umgang mit Material und Munition konnten sich entwickeln.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Entwicklung musste gestoppt und Gegenmaßnahmen mussten ergriffen werden. Wir haben schon über die 60 Einzelmaßnahmen gesprochen, die identifiziert worden sind, um eine Reform einzuleiten. Wir haben auch schon den Abschlussbericht zur Umsetzung des Maßnahmenkatalogs debattiert. Im Jahr 2021 sehen wir bereits erste positive Entwicklungen. Mehr als 90 Prozent der Maßnahmen sind bereits umgesetzt. Aber wichtig ist – das wird eben auch deutlich –: Einige der Maßnahmen bedürfen mittelfristig einer weiteren engen Begleitung, Evaluierung und eben auch einer Nachjustierung.
Ich glaube, das Kommando Spezialkräfte hat eine gute Zukunft innerhalb der Bundeswehr vor sich. Der Weg dafür wurde bereitet. Wir sollten das KSK an dieser Stelle auch unterstützen. Auf den Todesfall wurde eben schon Bezug genommen. Das ist tragisch. Die Arbeit und das Engagement bis zum Tode hin, das diese Soldatinnen und Soldaten bringen, sollten wir auch wertschätzen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Fall zeigt: Der Staat schaut bei rechtsextremistischen Vorfällen in der Bundeswehr genau hin und ist in der Lage, mit aller Härte gegen staatsfeindliche Strukturen vorzugehen und eben auch für die notwendigen Veränderungen zu sorgen. Daran müssen wir nun anknüpfen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Abwehr und die Prävention von Rechtsextremismus überall Priorität haben: angefangen bei den Einstellungs- und Bewerbungsprozessen über die Ausbildung und im Alltag in den Standorten bis hin zur Arbeit in den Ministerien. Diese Aufgabe müssen alle im Blick behalten und diesbezüglich auch die Zusammenarbeit stärken. Abwehr und Prävention von Rechtsextremismus können nicht alleine nur vom BAMAD getragen werden. Es ist eben auch eine Aufgabe für uns alle, für uns Demokratinnen und Demokraten innerhalb und außerhalb der Streitkräfte.
Um zum Schluss zu kommen: Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute ist der 100. Jahrestag der Ermordung von Reichsaußenminister Walther Rathenau. Die Geschichte lehrt uns: Demokratie und Freiheit sind nichts Naturgegebenes. Sie müssen verteidigt werden gegen ihre Feinde von innen genauso wie von außen. Eine wehrhafte und fest in den Werten des Grundgesetzes verankerte Bundeswehr muss ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft sein. Daher werden wir als SPD-Bundestagsfraktion weiterhin sicherstellen, dass Rechtsextremismus in der Bundeswehr keinen Platz hat.
Herzlichen Dank.
({5})
Als letzter Redner in dieser Debatte erhält Jens Lehmann für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute über unser Kommando Spezialkräfte sprechen, dann denke ich zuallererst an den verstorbenen Kommandosoldaten, der vor knapp zwei Wochen bei einem tragischen Unfall in Ausübung seines Dienstes ums Leben gekommen ist. Ein schrecklicher Verlust für seine Frau, sein Kind und seine Kameraden. Der Verlust wiegt schwer. Worte können diesen Schmerz der Angehörigen kaum lindern.
Ich denke, wir sollten sowohl die Familie als auch das KSK stärken und zur Ruhe kommen lassen. Der Antrag bewirkt genau das Gegenteil von dem: öffentliche Aufmerksamkeit.
({0})
Sie kritisieren den öffentlichen Druck, in dessen Folge Sie mehr als 100 Kommandosoldaten in psychologischer Behandlung wähnen, und schaffen gleichzeitig genau jenen öffentlichen Druck auf das KSK, den Sie selbst kritisieren und der seit einem Jahr erfreulicherweise abgenommen hat. Aus meiner Sicht hat diese Lage unter dem Radar der internen Neuaufstellung des KSK sehr gut getan.
Wir alle kennen die Vorgänge und das Fehlverhalten einiger, die das Kommando in Verruf gebracht haben und Auslöser des Maßnahmenkataloges waren. Aber die überwältigende Mehrheit aller Kommandosoldaten dient stets mit beiden Füßen auf dem Boden des Grundgesetzes und steht treu zu unserem Land. Sie waren es, die die angeordneten Maßnahmen angenommen und umgesetzt haben.
Ich möchte deshalb allen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte für ihren Dienst herzlich danken. Wir wissen, welche gefährlichen Missionen sie mit Bravour meistern, welche Entbehrungen sie in Kauf nehmen, um diesen Beruf zu leben. Hier zeigen sich wahrlich die soldatischen Tugenden. Sie erhalten einen Auftrag und erfüllen diesen außergewöhnlich gut und professionell, sei es im Einsatz, auf einer Übung oder eben bei der Neuaufstellung des eigenen Verbandes.
({1})
Sie haben ihrer Einheit dazu verholfen, sich wieder zu finden. Sie haben im Zuge der Reformmaßnahmen den Willen für einen zukunftsfähigen Verband gezeigt.
Meine Damen und Herren, wir müssen zu Recht sagen, dass die Munitionsbewirtschaftung beim KSK in der Vergangenheit sehr schlecht gelaufen ist. Deswegen wurden richtige Maßnahmen ergriffen. Ich möchte eine Aktion jedoch noch einmal betonen: Ich fand die Munitionssammelaktion des damaligen Kommandeurs Kreitmayr richtig. Sie war in manchen Augen unorthodox. Ob sie rechtlich einwandfrei war, ist Gegenstand eines aktuellen Verfahrens. Ich bewerte die Situation so, dass General Kreitmayr ganz im Sinne der Inneren Führung gehandelt hat: das Gewissen als letzte Entscheidungsinstanz. Denn: Die Situation war wahrlich unübersichtlich; die Mengen hatten sich in den Jahren zuvor angehäuft. Und er hat Führung bewiesen, wollte, dass die angefallene Munition gesammelt wird. Das war sein Ziel; das finde ich ehrenwert.
({2})
In dieser Situation hatte General Kreitmayr nur zwei Optionen des Handelns: entweder die Munition nicht einzusammeln oder die Munition einzusammeln. Er wählte den aus meiner Sicht richtigen zweiten Weg. Als Bürger hätte ich mir gewünscht, dass bei einer solchen Gewissensentscheidung die Führungskräfte eindeutig hinter ihm gestanden hätten.
Werte Kollegen, wir müssen uns um das Hochwertinstrument KSK kümmern. Die Reformierung des Kommandos würde ich als abgeschlossen bezeichnen. Mit den jetzigen Strukturen hat das Verteidigungsministerium den Verband zukunftsfähig aufgestellt. Lassen Sie die Maßnahmen wirken. Lassen Sie uns im kommenden Jahr erneut schauen, wie sich das KSK entwickelt hat.
Deshalb braucht es jetzt beispielsweise keine Wiederaufstellung der 2. Kommandokompanie. Wir müssen uns vielmehr um die anderen Kommandokompanien kümmern. Wir müssen uns um das Personal und vor allen Dingen um Personalnachwuchs kümmern. Angesichts des jüngsten Berichtes mit den nicht zufriedenstellenden Besetzungen von Kommandofeldwebeln sollten wir hier ansetzen, anstatt über die Wiederaufstellung der 2. Kommandokompanie zu reden.
Sehr geehrte Kollegen, das Personal des KSK ist das Herzstück des Verbandes. Wir müssen schauen, dass wir die Vorbereitungskurse intensivieren, dass wir die am KSK interessierten Soldaten schon frühzeitig so trainieren, dass sie die zweifellos unabdingbaren sehr harten körperlichen und geistigen Anforderungen meistern. Nur wer geistig und körperlich topfit ist, bringt im entscheidenden Moment seine Leistung. Deshalb müssen wir die Soldaten frühzeitig auf die sehr harten, aber notwendigen Voraussetzungen eines Kommandosoldaten vorbereiten.
Ich plädiere für eine bessere truppenweite Vorbereitungsphase für das Potenzialfeststellungsverfahren und unterstütze die Truppe dahin gehend bei allen Maßnahmen. Wir müssen auch bei der Bundeswehr mehr Weitsicht für die Laufbahn eines Kommandosoldaten fördern. Wer früh Potenzial zeigt, der muss in seinem weiteren Werdegang intensiv begleitet werden.
Meine Damen und Herren von der AfD, abschließend möchte ich Ihnen noch sagen, dass wir Ihren Antrag auch deshalb ablehnen, weil er heuchlerisch ist.
({3})
Sie spielen sich hier wieder einmal als einziger und wahrer Retter der Bundeswehr auf.
({4})
Als Fraktion haben Sie aber, als es konkret wurde, Ihre wahre Wertschätzung gegenüber der Bundeswehr gezeigt und mehrheitlich gegen eine bessere Ausstattung der Bundeswehr gestimmt.
({5})
Das wissen die Soldaten, und das werde ich auch jedem Soldaten weiterhin so berichten.
Wir lehnen Ihren Antrag ab.
Vielen Dank.
({6})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich möchte ganz ehrlich sein: Die Unsicherheit, ob wir es schaffen, die Klimakrise aufzuhalten oder nicht, bereitet mir wahrlich große Sorgen. Und in vielen Regionen dieser Welt zerstört die Klimakrise bereits die Lebensgrundlagen von Menschen,
({0})
weshalb auf den UN-Klimakonferenzen aktuell schon ein Diskurs über Loss and Damage, über Verluste und Schäden durch die Klimakrise läuft. Warum erzähle ich das, wenn es in diesem Gesetz doch um eine mögliche Verlängerung der Laufzeit der Kohlekraftwerke geht? Beim Versuch, eine Krise, eine Notlage zu bewältigen, dürfen wir nicht die anderen aus den Augen verlieren.
({1})
Wenn wir politische Entscheidungen treffen, dann müssen wir dabei das Wohl aller Menschen im Auge behalten. Die Krisen unserer Zeit können wir nur gemeinsam lösen.
Ja, wir befinden uns in einer Notlage, einer Gasnotlage. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, zu sagen, dass sie entstanden ist, weil sich die früheren Regierungen nicht von der Abhängigkeit von den Fossilen gelöst haben und wir nun vor einem Desaster stehen. Diese nichtzeitgemäße Politik werden wir aber nicht weiter fortführen. An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich all jenen Abgeordneten danken, die sich aktuell unermüdlich für die Erneuerbare-Energien-Wende einsetzen. Ihr macht einen grandiosen Job! Vielen, vielen Dank.
({2})
Zurück zu diesem Gesetz. Wir prüfen natürlich mit großer Ernsthaftigkeit die Auswirkungen der unterschiedlichen Szenarien auf die Klimakrise. Und wir prüfen die mögliche Konsequenz, dass wir an anderer Stelle hart Emissionen einsparen und/oder sogar dafür sorgen müssen, dass Rohstoffe im Boden bleiben müssen und fossile Rohstoffe nicht mehr verfeuert werden dürfen. Wir prüfen beispielsweise auch, ob überhaupt die Notwendigkeit besteht, die Braunkohle ins Gesetz aufzunehmen, da sie die CO2-intensivste Energieform ist.
Für mich ist eine weitere Perspektive von besonderer Bedeutung: die der Menschen in den Abbauregionen. In den Bergbauregionen in Nordkolumbien zum Beispiel werden Menschenrechte massiv verletzt. Betroffen ist beispielsweise in diesen Territorien die indigene Bevölkerung der Wayuu. Die Erweiterung des Tagebaus in ihrer Heimat geht mit massivem Landraub und Umweltzerstörung einher – und das nur, damit wir hier in Deutschland ohne Kompromisse unseren Wohlstand leben können. Ihre Existenz wird durch unser Handeln hier und jetzt bestimmt. Dieser Wahrheit und auch dieser Verantwortung müssen wir uns deshalb stellen. Keine Steinkohletagebaue in anderen Regionen der Welt dürfen durch unsere Notfallmaßnahmen erweitert oder neu erschlossen werden.
({3})
Aus meiner eigenen Region, dem Rheinischen Braunkohlerevier, möchte ich euch Folgendes mitgeben: Auch hier wurde die Perspektive der Menschen, die ihre Dörfer und Höfe wegen des Abbaus der Braunkohle verlieren, lange nicht beachtet. Sie dürfen nicht länger die Leidtragenden der Fehler der Vergangenheit sein.
({4})
Das aktuell akut bedrohte Dorf Lützerath am Tagebau Garzweiler muss erhalten bleiben. Die 55 Meter dicke Kohleflözschicht unter dem Dorf darf nicht mehr verfeuert werden. Das sind die fossilen Ressourcen, die wir jetzt im Boden lassen müssen.
Was wir ebenfalls prüfen, sind die Bedenken der Grünen Liga hinsichtlich des Einsatzes der Kraftwerkblöcke Jänschwalde E und F mit Bezug auf die Auswirkungen des Kühlwasserverbrauchs auf die Spree, besonders auf die Trinkwassergewinnung.
({5})
Brandenburg und Berlin erleben bereits eine Dürre; und deshalb werden wir die Auswirkungen sehr genau prüfen.
Kurzfristige Maßnahmen auf Grundlage dieses Gesetzes dürfen nicht zu langfristigen negativen Effekten führen. Darüber werden wir weiter verhandeln. Die Frage, ob die Braunkohle überhaupt hinzugezogen wird, ist eine Frage, die wir noch klären werden.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort erhält Mark Helfrich für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Gnadenfrist für die Kohlekraft“, unter dieser Überschrift lässt sich der Gesetzentwurf der Ampel treffend zusammenfassen. Warum? Um Deutschland für einen Engpass in der Gasversorgung zu rüsten, sollen Kohlekraftwerke nicht vom Netz bzw. wieder ans Netz gehen. Sie sollen ab dem 1. November dieses Jahres zwei Jahre lang auf Stand-by gehalten werden, um auf Abruf am Strommarkt teilzunehmen.
({0})
Aufgrund der Drosselung russischer Gaslieferungen können wir damit aber nicht bis zum 1. November warten. Wir müssen die Gasverstromung schon jetzt stoppen und die Kohlekraftwerke umgehend aus der Reserve holen und ans Netz bringen.
({1})
Mir ist im Übrigen völlig schleierhaft, warum damit noch nicht begonnen wurde.
({2})
Im Mai wurden immerhin noch knapp 7 000 Gigawattstunden Gas zur Stromerzeugung verfeuert, anstatt sie in unsere Erdgasspeicher einzuspeisen.
({3})
Damit hätten wir unseren Gasspeicherstand immerhin um 3 Prozent erhöhen können.
Mehr Kohleverstromung kann aber nicht die einzige Antwort auf die Frage sein, wie wir die Gasverstromung kompensieren können. Die Union fordert seit Monaten eine offene Debatte über eine befristete Laufzeitverlängerung der letzten Kernkraftwerke in Deutschland. Wenn ich die aktuellen Diskussionen in der FDP verfolge, dann kann ich feststellen, dass die Union mit dieser Ansicht offensichtlich nicht allein dasteht.
({4})
Aber auch der AKW-Betreiber PreussenElektra sowie der Branchenverband Kernenergie Deutschland halten eine Laufzeitverlängerung für möglich und sinnvoll.
({5})
Auch Juristen der Ruhr-Universität Bochum bestätigen in einem Gutachten, dass die weitere Nutzung rechtlich zulässig und rechtssicher regelbar ist.
({6})
Und natürlich stellen sich immer mehr Menschen in Deutschland die Frage: Sollen wir wirklich im kommenden Winter die Kernkraftwerke in Deutschland abschalten?
({7})
Sie sind ein Reservepuffer, und das in einer Zeit, in der unser Nachbar Frankreich vor einer Strommangellage steht
({8})
und auf Strom aus Deutschland angewiesen sein wird. Mit diesen Kraftwerken würde Deutschland nächstes Jahr mit knapp 6 Prozent Erdgas weniger auskommen als ohne sie.
Wer von den Bürgern ein Frieren für den Frieden erwartet, der muss auch in der Lage sein, über seinen eigenen grünen ideologischen Schatten zu springen.
({9})
Es steht auch außer Frage, dass Atomstrom im Vergleich zu Kohlestrom die bessere CO2-Bilanz aufweist. Last, but not least würden wir ein starkes preisdämpfendes Signal in den Energiemarkt senden.
({10})
Meine Damen und Herren, dass Kernenergie selbst im Fall einer Gasmangellage keine Rolle spielen darf, mag aufgrund grüner Ideologie gerade noch erklärbar sein,
({11})
Bioenergie hier jedoch außen vor zu lassen, kann man nur noch als grüne Idiotie bezeichnen. Biogasanlagen sowie Holz- und Wasserkraftwerke erzeugen in Deutschland zuverlässig Strom und Wärme. Viele diese Anlagen sind in der Lage, kurzfristig ihre Strom-, Wärme- und Gasproduktion zu erhöhen. Allein das zusätzliche Potenzial der Biogasanlagen beträgt etwa 4 Prozent der russischen Erdgasimporte vor Kriegsausbruch. Leider ignoriert die Ampel auch dieses Potenzial und beschränkt sich auf Anreize für fossile Kraftwerke.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die völlige Unbestimmtheit des Gesetzentwurfes. So ist absolut unklar, wann eine Gasmangellage eintritt, da die Kriterien dafür nicht geregelt werden. Ebenfalls durch völlige Unbestimmtheit zeichnet sich die im Gesetzentwurf vorgesehene Verordnungsermächtigung aus. Mit dieser wird die Ampelregierung ermächtigt, im Notfall den Einsatz von Gaskraftwerken mit einer Geldstrafe zu belegen. Was Unternehmen in dieser Extremsituation benötigen, ist doch Klarheit und Verlässlichkeit.
Durch die Strafzahlungen werden zudem zwangsläufig die Kosten für die privaten Wärmekunden noch weiter steigen. Das gilt insbesondere auch für KWK-Anlagen der öffentlichen Versorgung. Diese liefern Fernwärme an unsere Bürger und können deshalb nicht einfach so außer Betrieb genommen werden. Deshalb ist mein Appell an die Ampel: Sie können doch nicht wirklich noch künstlich die Preise in die Höhe treiben wollen! Das kann doch in Zeiten einer Energiepreiskrise nicht Ihre Antwort sein. Nehmen Sie doch zumindest die KWK-Anlagen der öffentlichen Versorgung aus den Strafzahlungen heraus!
({12})
Besser noch: Verzichten Sie ganz auf diese Vorschrift!
Meine Damen und Herren, trotz aller Eilbedürftigkeit: Wenn Sie schon nicht auf die Union hören wollen, dann hören Sie wenigstens auf die massive Kritik der Energiewirtschaft.
({13})
Ich sage es zum Schluss ganz deutlich: Der Gesetzentwurf ist in seiner bisherigen Fassung ein Blankoscheck für die Ampelregierung, den wir in dieser Fassung mit Sicherheit nicht mitzeichnen werden.
({14})
Für die SPD-Fraktion erhält das Wort Andreas Rimkus.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Ich spreche heute zu Ihnen zum Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz, für das ich in meiner Fraktion inhaltlich federführend verantwortlich zeichne. In der vorvorletzten Sitzungswoche stand ich hier und redete in gleicher Funktion zum Energiesicherungsgesetz. Zusammen mit dem Gasspeichergesetz und dem LNG-Beschleunigungsgesetz, bei denen mein hochgeschätzter Kollege Bengt Bergt SPD-seitig die Feder führte, ist das nun das vierte Krisengesetz, an dem ich unmittelbar beteiligt war –
({0})
das vierte Gesetz, das es so nicht gegeben hätte ohne den russischen Überfall und die menschenverachtenden Gräueltaten in der Ukraine, ohne den Versuch Putins, unsere Energieversorgung als Waffe gegen uns einzusetzen. Diesen Kontext dürfen wir nie vergessen.
({1})
Wir befinden uns derzeit wahrlich in einer Ausnahmesituation. Es ist deshalb gut und richtig, dass wir handeln, und zwar schnell und entschlossen. Wie auch schon beim Energiesicherungsgesetz danke ich deshalb Minister Robert Habeck und seinem Haus sowie auch der gesamten Bundesregierung für die Vorlage zum Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz.
({2})
Ohnehin bin ich dankbar, dass die Ampelkoalition von Beginn dieser Krise an schnell und entschlossen Maßnahmen zur Sicherstellung unserer Energieversorgung ergriffen hat.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, angesichts der derzeitigen Lage mit stark verminderten Gasflüssen über Nord Stream 1, was übrigens ganz offensichtlich politisch motiviert ist, bei ohnehin schon hohen Gaspreisen und unerbittlich voranschreitender Zeit, schauen wir gerade alle wie gebannt auf die Speicherfüllstände und merken gerade, wie froh wir sind, dass wir schon sehr frühzeitig dieses Gasspeichergesetz auf den Weg gebracht haben.
In meiner Rede zum Energiesicherungsgesetz vor sechs Wochen habe ich an dieser Stelle gesagt, wie froh ich sein würde, wenn wir das Gesetz niemals zur Anwendung bringen müssten. Nun mag es anders kommen. Umso wichtiger ist es, dass wir vorbereitet sind. Das trifft auch auf das heute eingebrachte EKBG zu.
({3})
Wir werden mit dem Gesetz die Voraussetzungen dafür schaffen, im Bereich der Stromerzeugung nach Kräften Gas einzusparen. Dazu werden wir im Gesetzentwurf weitere konkrete Instrumente vorbereiten. Insbesondere wird die Kohle in Stellung gebracht, um das in der Stromerzeugung eingesparte Gas zu kompensieren, damit trotz der Einsparungen die Versorgungssicherheit so lange wie möglich gewährleistet bleiben kann. Lassen Sie mich dies noch einmal sehr deutlich sagen: Dieses Instrument ist notwendig, wirkungsvoll und schmerzhaft. Ich glaube, ich darf für die gesamte Koalition sprechen, wenn ich sage, dass niemand von uns ein Interesse daran hat, mehr Kohle als nötig zu verbrennen.
({4})
Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, leider – und da pflichte ich dem Minister bei – ist genau dieser Schritt in der derzeitigen Situation notwendig. Die Koalition arbeitet deshalb mit Hochdruck daran, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen. Aber wir brauchen noch eine Lösung für den kommenden Winter, nämlich für jetzt.
An dieser Stelle geht der Gesetzentwurf in meinen Augen genau in die richtige Richtung, auch wenn wir im parlamentarischen Verfahren sicher jetzt noch über konkrete Details der Umsetzung sprechen werden. Da wären beispielsweise Fragen nach der Geschwindigkeit, mit der wir die einzelnen Maßnahmen an den Start bringen können. Wir sind nämlich in einer Situation, in der jeder Tag tatsächlich wertvoll ist. Andere Fragen zielen auf die Vorhaltung von Personal an den Kraftwerksstandorten ab, was übrigens auch alles andere als ein Selbstgänger ist, oder auf die rechtssichere Definition der Auslösetatbestände.
Neben den Vorkehrungen für die Kohle sind im Gesetzentwurf aber auch Instrumente vorgesehen, die direkt bei der Gasverstromung ansetzen. Ich will den Verhandlungen nicht vorgreifen, aber ich verrate auch kein Geheimnis, wenn ich sage, dass ich es für überaus wichtig halte, dass wir hier sehr genau aufpassen, welche tatsächliche Wirkung die jeweiligen konkreten Maßnahmen erzielen können. Das gilt sowohl für die tatsächliche Versorgungssituation als auch für die Frage der preislichen Auswirkungen. Der zusätzlich erzeugte Kohlestrom wird zweifelsohne in erheblichem Maß Gas aus dem Strommarkt herausdrängen, was ja gerade richtig ist. Darüber hinaus müssen wir darauf achten – davon bin ich überzeugt –, dass wir nicht ausgerechnet den effizientesten und saubersten KWK-Anlagen die Existenzgrundlage entziehen, die neben der Stromerzeugung auch für die Wärmeversorgung vieler Bürgerinnen und Bürger verantwortlich sind.
({5})
– Ich weiß, Mark, wir sind uns ja in vielen Dingen einig, bei einem anderen Punkt, bei Atom, definitiv nicht.
({6})
Mit Blick auf den leider notwendig gewordenen sehr ambitionierten Zeitplan haben wir Gespräche zwischen den Koalitionsfraktionen schon aufgenommen. Ich bin Kathrin Henneberger und Olaf in der Beek sehr dankbar, dass wir so vertrauensvoll an dieser Stelle zusammenarbeiten,
({7})
weil wir gemeinsam wissen, dass es notwendig ist, was wir da machen. Ich danke sehr für den konstruktiven Austausch.
({8})
Selbstverständlich freue ich mich auch auf die Diskussion im Ausschuss, an den wir den Entwurf heute überweisen werden. Wir werden schon sehr bald die erste offizielle Gelegenheit haben, über diesen Gesetzentwurf zu reden, nämlich schon heute Abend in der Anhörung. Ich bin sicher, wir werden im parlamentarischen Verfahren ein gutes Ergebnis erzielen.
Uns allen wünsche ich jetzt einen guten Freitagnachmittag. Die knapp eine Minute, die ich jetzt noch habe, schenke ich Ihnen allen und wünsche ein schönes Wochenende.
({9})
Vielen Dank. Am Ende war es nur noch eine halbe Minute.
({0})
Jetzt erhält für die AfD-Fraktion Karsten Hilse das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Landsleute! Wieder einmal stehen die Altparteien vor einem Scherbenhaufen, den ihre Energiepolitik – von uns vorausgesagt – angerichtet hat. Wieder einmal kann die AfD nur den Finger in die Wunde legen; denn wieder einmal wird der mit Volldampf gefahrene Weg ins Verderben fortgesetzt werden.
({0})
Zu den selbstgemachten Problemen der bisher schon immensen, aber gewollten Energieverteuerung kommt jetzt als Brandbeschleuniger der Ukrainekrieg hinzu, der wiederum ein unsägliches Possenspiel von Sanktionen gegen unseren wichtigsten Energielieferanten mit katastrophalen Schäden für Deutschland ausgelöst hat. Putin dreht uns nun unbeeindruckt von sämtlichem Sanktionsgefasel Stück für Stück den Gashahn zu. Klar denkende Menschen, die darauf hinweisen, dass Deutschland mit seinen Sanktionen, die uns selbst am meisten schaden, die Drosselung förmlich herausgefordert hat, haben laut Minister Habeck eine präfaschistische Position. Aber um zu glauben, dass, wenn man Putin ständig mit dem Stopp des Bezugs von Erdgas und Öl droht, dieser nicht von selbst auf die Idee kommt, an der Lieferschraube zu drehen, muss man schon sehr dumm oder sehr ideologisch sein, was aber natürlich auf dasselbe herauskommt.
({1})
Nun bricht hierzulande Panik aus – völlig zu Recht; denn Deutschland wird schon den kommenden Winter, wenn nicht mehrere Wunder geschehen, kaum überstehen. Zu viele nur dem Klimawandel geschuldete Stilllegungen von völlig intakten und sicheren Kraftwerken sind schon erfolgt, Braunkohletagebaue sind geschlossen und die Produktion von einheimischem Schiefergas ist verunmöglicht worden. Jetzt gaukeln Sie dem Volk vor, dass Sie irgendwas aktiv an der Vermeidung des selbsterzeugten Mangels ändern wollten. Das könnten Sie mit einer 180-Grad-Wende Ihrer gesamten Energiepolitik. Allerdings hängen Sie wie Marionetten an den Strippen der Windkraftlobby und den Planern des Great Reset.
({2})
Diese flüstern Ihnen ein, was Sie hier behaupten, zum Beispiel, dass immer mehr Vogelschredder eine positive Wirkung auf unser Versorgungsproblem hätten. Vollkommen absurd! Sie nutzen weder dem Klima etwas – das wissen alle –, noch lösen Sie mit Ihrem Flatterstrom das Versorgungsproblem. Im Gegenteil: Sie verstärken es; denn zu jeder Windindustrieanlage gehört ein Gaskraftwerk, um die schnellen Windfluktuationen auszugleichen, betrieben mit Gas, was wir nicht haben – heute nicht, morgen auch nicht. Denn der Weltmarkt wartet nicht auf Deutschland als Gaskunden. Da nützt auch kein noch so tiefer Bückling vor den Kataris oder vor „Sleepy Joe“. Wo nichts ist, kann nichts geliefert werden.
Und dann behaupten Sie und auch andere hier, dass man die Kernkraftwerke nicht weiter betreiben könnte, weil beispielsweise die Brennstäbe fehlten; dazu sei es zu spät. Doch fast immer, wenn Kommunisten den Mund aufmachen, lügen sie. Denn wie die Firma Westinghouse dem „Handelsblatt“ sagte, habe sie der Bundesregierung schon im März mitgeteilt, dass man sehr wohl rechtzeitig liefern könne. Aber man habe von der Bundesregierung seitdem nichts mehr gehört. Das Zeitfenster schließt sich nun schnell. Eine Anfrage müsste rasch erfolgen.
Daher können wir hier nur feststellen: Gnade uns Gott; denn eine dermaßen zerstörerische Energiepolitik gegen das eigene Volk hätte sich wohl keiner unserer Feinde ausdenken können. Das können nur Sie und Ihre Deutschlandhasser.
Vielen Dank.
({3})
Olaf in der Beek spricht für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Selten war ein Gesetz so notwendig und dringlich zugleich wie das Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz. Aber die letzten Entwicklungen lassen uns keine Wahl. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat sich zu einem Handelskrieg Putins gegen die Europäische Union entwickelt. An jeder Stelle wird versucht, Europa von der Unterstützung der Ukraine abzubringen. Als Waffe nutzt Putin Gas, von dem viele europäische Länder in großem Umfang abhängig sind. Und das trifft auch uns und unsere Industrie, aber auch die Energieversorger, die in Deutschland Millionen Haushalte mit Gas versorgen. Die nun von russischer Seite reduzierten Gaslieferungen zwingen uns zu einem entschlossenen Handeln. Wir werden jetzt, also noch früh genug, die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Energieversorgung in Deutschland kurz- und mittelfristig gesichert wird.
Die Lage ist ernst. Angst und Panik sind aber wie immer die falschen Berater. Trotz aller Schwierigkeiten müssen wir vor allem besonnen bleiben; und genau das tun wir mit diesem Gesetz. Wir müssen unseren Gasverbrauch senken. Tun wir das nicht, drohen uns verheerende Folgen im Winter. Wir müssen unbedingt vermeiden, dass ein möglicher Lieferstopp vonseiten Russlands zu Problemen in der Energieversorgung führt. Das hätte verheerende Konsequenzen für den Wirtschaftsstandort Deutschland und damit auch für den sozialen Frieden in unserem Land.
({0})
Kurzarbeit, der Wegfall von Jobs und Insolvenzen könnten die Folge sein, ganz abgesehen von weiteren deutlichen Preissteigerungen. Außerdem wollen wir natürlich unsere Abhängigkeit von Russland weiter reduzieren. Und dafür müssen wir unsere Speicher füllen und den Verbrauch senken. Mit diesem Gesetz zeigen wir nicht nur, dass wir auch in Krisensituationen handlungsfähig sind, vielmehr schützen wir damit unser Land vor den Auswirkungen einer noch gefährlicheren Gassituation. Wir müssen und werden auf alles vorbereitet sein. Es steht uns ein Winter bevor, der für uns energiepolitisch zur Herausforderung wird. Deshalb müssen wir handeln, und wir werden handeln. Dieses Gesetz wird dafür sorgen, dass wir sicherer durch den Winter kommen.
({1})
Und ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen dafür auch auf Energiequellen zurückgreifen, von denen wir uns schon verabschieden wollten. Wir müssen aber in der aktuellen Lage in den sauren Apfel beißen und wieder mehr auf die Verstromung von Kohle setzen. Das aber – und das ist mir als Klimapolitiker ganz besonders wichtig – berührt auf keinen Fall die Kohleausstiegspläne. Wir brauchen vor allem für den kommenden Winter die Verstromung aus Kohle, um die Versorgung unserer Bevölkerung und Industrie sicherzustellen. Darüber freut sich niemand von uns. Aber es ist notwendig. Und ich bin froh, dass wir über Parteigrenzen hinweg einen Konsens bekommen werden, dass dies zur Sicherung der Versorgung in unserem Land unverzichtbar ist.
Eines möchte ich zum Ende hier betonen: Die Menschen in Deutschland können sich auf uns verlassen. Wir tun alles, um ein Defizit bei der Energieversorgung zu verhindern. Wir werden jetzt schnell, effizient und auch besonnen handeln. Das ist und bleibt Maßgabe der Bundesregierung und auch der drei Ampelfraktionen.
Vielen Dank.
({2})
Als letzter Redner in dieser Debatte erhält Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Kurzfristig auf Erdgas zu verzichten, fällt unserer Gesellschaft schwer. Etwa 30 Prozent des deutschen Gasverbrauches nutzen Haushalte zum Kochen und Heizen, 36 Prozent braucht die Industrie, 14 Prozent werden zur Stromversorgung eingesetzt, 13 Prozent für Handel und Dienstleistungen gebraucht, 7 Prozent werden direkt in Fernwärmenetzen genutzt. Im kommenden Winter fehlen vermutlich 10 bis 15 Prozent des benötigten Gases. Diese Zahlen konnte ich Ihnen als Techniker nicht ersparen. Sie sind zum Verständnis des Gesetzentwurfes notwendig.
Bei Haushalten kann man zwar sparen, aber zum Heizen und Kochen braucht man immer Gas. Dienstleistungen genauso wie Krankenhäuser müssen funktionieren. Fernwärmenetze müssen versorgt werden. Da bleiben zur Abschaltung bei Gasmangel also nur Industrie und Stromerzeugung. Die Koalition glaubt, die Lücke zu schließen, indem sie das durch Spekulationen schon teure Gas für die Stromerzeugung zusätzlich durch Strafzahlungen weiter verteuert und als Ersatz abgeschalteten Kohlekraftwerken wieder erlaubt, Strom an der Börse zu verkaufen.
Vergessen haben die Autoren des Gesetzes, dass bei vielen Gaskraftwerken, insbesondere bei den von Stadtwerken betriebenen, mit der Abwärme die Fernwärmenetze versorgt werden. Technisch ist es oft nicht möglich, Fernwärme ohne gleichzeitige Stromerzeugung bereitzustellen. Also müssen die Stadtwerke Strom produzieren, die hohen Preise und Zusatzstrafen zahlen. Dann gehen sie pleite oder müssen die Preise für die Fernwärme nochmals erhöhen. Das betrifft dann besonders die Mieterinnen und Mieter in den Städten. Dass die privaten Haushalte die Kosten des Gasmangels überproportional zahlen, ist zutiefst unsozial. Das lehnt Die Linke ab!
({0})
Wir schlagen vor, in der Industrie endlich Priorisierungen vorzunehmen, Produktionsanlagen von Gas auf Strom umzustellen; das brauchen wir eh für den Klimaschutz. Und bei schnellerer Dekarbonisierung der Industrie ist es hinnehmbar, vorübergehend auch mal kurzzeitig mehr Kohle zu verbrennen.
Vielen Dank.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon heute fehlen 2 000 Lokführer, 80 000 Lkw-Fahrer und in den nächsten acht bis zehn Jahren 36 000 Busfahrerinnen und Busfahrer. Es gibt zu wenig Berufseinsteiger, und diejenigen aus Drittstaaten, die sich hierzulande für den Beruf interessieren, stehen vor großen bürokratischen Hürden. Gleichzeitig wollen wir die Fahrgastzahlen im ÖPNV verdoppeln. Doch die Disponenten in den Unternehmen verzweifeln daran, überhaupt den Erhalt des Status quo sicherzustellen. Immer öfter bleiben Lkw, Busse und Züge stehen.
Bisher war das Problem beherrschbar. Doch Corona und der Angriffskrieg auf die Ukraine verschärfen jetzt das Personalproblem. Dazu kommen aktuell zusätzlich Krankenstände wegen Überlastung des Personals durch den explodierenden Ausflugsverkehr mit dem 9‑Euro-Ticket.
Die Branchenexperten haben es in der Anhörung ganz deutlich gemacht: Es muss etwas geschehen, sonst laufen wir in englische Verhältnisse: leere Regale, lange Schlangen an den Tankstellen, Lieferengpässe. Die Unternehmen haben in den letzten Jahren getan, was sie konnten. Ich selber habe vor meiner Landtagszeit als Prokurist eines kommunalen Verkehrsunternehmens im Münsterland eine Kampagne in Auftrag gegeben, um Busfahrer zu gewinnen. Das war 2012. Auch das Lohnniveau im ÖPNV hat sich positiv entwickelt. Der Einstiegslohn für Busfahrer in Nordrhein-Westfalen liegt bei gut 17 Euro brutto. Doch das alles reicht nicht. Deshalb haben wir als CDU/CSU hier einen starken Antrag mit den folgenden drei richtigen Stellschrauben vorgelegt:
Erstens. Wir brauchen Änderungen bei der Berufskraftfahrerqualifikation. Der Erwerb des Busführerscheins dauert bei uns sechs Monate, in Österreich dauert er sechs bis zehn Wochen. Das muss auch in Deutschland gehen.
({0})
Zweitens muss das Arbeitsumfeld der Lkw-Fahrer verbessert werden, das heißt: saubere, sichere und genügend Rastplätze und weniger Lärm dort in den Erholungspausen. Damit würden wir den Job auch für Frauen attraktiver machen.
({1})
Und drittens muss der Führerscheinerwerb für Einwanderer erleichtert und die Anerkennung und Umschreibung von Führerscheinen aus Drittstaaten, zum Beispiel aus der Ukraine, Serbien oder der Türkei, ermöglicht werden.
({2})
Ich freue mich übrigens, dass viele unserer Forderungen Rückhalt bei den anderen Fraktionen haben. Der Kollege Udo Schiefner ist beispielsweise ein Mitstreiter und setzt sich ebenfalls dafür ein, den Berufskraftfahrermangel an der Wurzel zu packen. Vielen Dank!
({3})
Aber, meine Damen und Herren, in der Bundesregierung tut man sich noch sehr schwer. Ende April hatte ich eine Einzelfrage an die Parlamentarische Staatssekretärin Kluckert gerichtet:
Wie hoch schätzt die Bundesregierung den Bedarf an zusätzlichem Fahrpersonal im Güter-, Bus- und Schienenverkehr, um funktionierende Lieferketten, Versorgungssicherheit und Personentransport weiterhin zu erhalten?
Die Antwort des Verkehrsministeriums war der eine Satz:
Aktuell sind weder Lieferketten noch die Versorgungssicherheit oder der Personentransport durch Personalmangel gefährdet.
Diese Vogel-Strauß-Politik muss ein Ende haben, liebe Kolleginnen und Kollegen!
({4})
In der Anhörung waren auch Vertreter des Verkehrsministeriums anwesend. Da haben Sie es auch gehört: Neben den explodierenden Kraftstoffkosten ist der Fahrpersonalmangel das Problem der Verkehrsbranche. Beide Probleme werden nicht weggehen, wenn man sie ignoriert.
Wenn man das wirksam angehen will, braucht es die volle Unterstützung von zwei Häusern, die seit Jahrzehnten nicht von Vertretern der Union, sondern von Vertretern der Ampelparteien geleitet werden. Das Arbeitsministerium und das Auswärtige Amt müssen sich bewegen. Ich bitte Sie: Nehmen Sie die Hilferufe der Wirtschaft ernst! Machen Sie den Weg frei für die erleichterte Ausbildung, Anwerbung und Anerkennung von Fahrerinnen und Fahrern für Busse und Lkw! Es ist fünf vor zwölf.
Ich möchte mit einem Appell an alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schließen, die im Job unzufrieden sind: Machen Sie Ihr Ding! Werden Sie Trucker auf den modernsten Lkws der Welt, und helfen Sie mit, dass die Wirtschaft brummt! Werden Sie Mitglied im Team Klimaschutz als Busfahrer bzw. Busfahrerin oder Lokführer im ÖPNV! Packen wir es an!
({5})
Als Nächstes erhält das Wort für die SPD-Fraktion Udo Schiefner.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst mein herzlicher Dank an Sie, die Sie uns heute mit Ihrem Antrag einmal mehr die Möglichkeit geben, dieses Thema zu diskutieren. Damit nehmen Sie den Ball auf, den wir schon am 18. Mai im Verkehrsausschuss auf den Punkt gelegt und wieder ins Spiel gebracht haben, nämlich über das Thema des Fahrerinnen- und Fahrermangels zu diskutieren. Als Wirtschaftsfaktor und Arbeitsplatz hat der Bereich „Transport und Logistik“ enorme Relevanz, nicht nur bei uns im Land. Nahezu drei Viertel aller Gütertransporte in Deutschland finden auf der Straße statt. Auch zur Bedeutung des Omnibusverkehrs haben Sie schon etwas gesagt.
Die aktuelle Krise unterstreicht die Bedeutung der Berufskraftfahrerinnen und ‑fahrer. Sie zeigt auch, wie anfällig unser Logistiksystem unter den jetzt vorhandenen Bedingungen ist. Und doch erhalten Fahrerinnen und Fahrer von Lkw selten Anerkennung. Ihre Arbeit hat ein unberechtigt schlechtes Ansehen. Kein Wunder, dass junge Menschen immer weniger Interesse daran haben, den Fernfahrerberuf zu erlernen. Qualifizierter Nachwuchs ist äußerst schwer zu gewinnen. Bereits im November 2015 habe ich hier im Haus festgestellt, dass eigentlich jedes Jahr über 20 000 neue Fahrerinnen und Fahrer eingestellt werden müssten. Seit vielen Jahren diskutieren wir deshalb immer wieder über Arbeits- und Wettbewerbsbedingungen, Aus- und Weiterbildung, Kontrollen, Fragen der Digitalisierung, bürokratische Hemmnisse und auch Zuwanderung. Und doch wird es immer dramatischer.
Deshalb freue ich mich, dass auch die jetzige Oppositionsfraktion CDU/CSU, die ja lange die zuständigen Minister gestellt hat, den Fahrpersonalmangel in der Verkehrswirtschaft nun für sich entdeckt. Aber einfach ein paar Punkte aus der Anhörung, die wir durchgeführt haben, flott zur Abstimmung zu stellen, ist meiner Meinung nach der falsche Weg, um dieses Problem wirklich seriös und nachhaltig zu beseitigen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Rechtlich prüfen, Inhalte diskutieren, weitere Aspekte aufgreifen, den Verkehrsausschuss, die Verbände und Organisationen sowie die Fahrerinnen und Fahrer zu beteiligen, das ist der richtige Weg. Das geht nicht am Freitagnachmittag mit einem Schnellschuss in Form dieses Antrags, in dem Sie eigentlich nur die Punkte aufgreifen, die genannt wurden und in der Zukunft weiter seriös zu bearbeiten sind, meine Damen und Herren der Opposition.
({1})
Deshalb können wir diesem Antrag auch nicht zustimmen. Dafür sind die Probleme nämlich viel zu groß. Es reichen nicht mal eben zwei Seiten, die Sie uns hier als Antrag vorlegen, mit einer Problembeschreibung, aber ohne Lösungsansatz. Wenn wir so weiterarbeiten und mit dem Thema umgehen, denke ich, werden wir am Ende nicht das erreichen, was wir erfolgreich erreichen wollen.
({2})
Wir hätten es uns übrigens ebenso leicht machen können; denn bereits im März 2017 wurde mit der Bundestagsdrucksache 18/11431 eine umfassende Entschließung von uns vorgelegt, übrigens gemeinsam erarbeitet mit Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion.
({3})
Nur: Leider wurde bisher, also vor dem Wechsel im Ministerium, an der Umsetzung des Papiers nur wenig gearbeitet.
({4})
– Jetzt fangen wir an.
Jetzt tun Sie so, als könnte das neu aufgestellte Ministerium alle Probleme mal eben durch Ihren Antrag lösen. Nein, das ist nicht so. Ihr Antrag zeigt zwar, dass es bei Ihnen in der Fraktion immer eine Sensibilisierung gab – ich danke Ihnen auch noch mal dafür, dass wir gut zusammengearbeitet haben –, aber trotz Ihrer Beteiligung rufen Sie jetzt: Haltet den Dieb! – Ich denke, so kann man nicht verfahren. Es war ja ein Minister, der aus Ihren Reihen kam, der diese Entschließung nicht so ernst genommen hat; sonst wären wir heute vielleicht viel weiter.
Ich denke, wir sollten den Weg, den wir am 18. Mai gemeinsam eingeschlagen haben, fortsetzen und alle fraktionsübergreifend weiterarbeiten. Das ist seriös, das hilft den Fahrerinnen und Fahrern, das hilft der Branche. Noch einmal vielen Dank auch für Ihre Unterstützung!
In dem Sinne: Ihnen noch einen schönen Freitagnachmittag und Glück auf!
({5})
Es spricht für die AfD-Fraktion René Bochmann.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Liebe Zuschauer auf den Tribünen und an den Bildschirmen! Der vorliegende Antrag der CDU/CSU-Fraktion soll den Mangel an Berufskraftfahrern bekämpfen. Mit anderen Worten: Er soll die jahrelange Vernachlässigung unseres Transportgewerbes unter CDU-Verantwortung und die Fortführung dieses Irrweges durch die Ampel korrigieren. Schade, dass die CDU/CSU-Fraktion ihre Aufgabe erst jetzt auf der Oppositionsbank erkannt hat.
Um weiterhin den sicheren Betrieb des Transportgewerbes zu gewährleisten, fand am 18. Mai eine öffentliche Anhörung zu den Arbeitsbedingungen von Berufskraftfahrern und wirksamen Maßnahmen gegen den Fahrermangel statt. Wer bei dieser Expertenanhörung den Branchenvertretern aufmerksam zugehört hat, weiß: Der Mangel an Berufskraftfahrern hat für die Transport- und Logistikbranche existenzbedrohende Formen angenommen und ist nicht allein auf eine zu geringe Entlohnung zurückzuführen.
({0})
Die Branchenvertreter fordern daher zu Recht bessere Arbeitsbedingungen und eine höhere Wertschätzung gegenüber ihrem Gewerbe und seinen Mitarbeitern. Unternehmen in Baden-Württemberg zahlen bereits 4 000 Euro brutto monatlich, in Berlin-Brandenburg hingegen eher die Hälfte, circa 2 000 Euro.
Starker Stress durch Termindruck, die hausgemachte Verknappung der Verkehrsräume, die hohe Kontrolldichte, meist verschmutzte Sanitäranlagen auf den Parkplätzen und unnötig lange Ausbildungszeiten machen den Beruf besonders für junge Menschen unattraktiv. Fahrradkuriere, Studienabbrecher und Genderwissenschaftler garantieren jedoch keine breite Versorgungssicherheit, unsere Berufskraftfahrer hingegen schon.
({1})
Die Hoffnung der Branche auf Fachkräftezuwanderung lässt sich ebenfalls nur durch einen deutlichen Abbau an Bürokratie realisieren. Jedoch sind die persönlichen Fähigkeiten, Charakterzüge, Verhaltensweisen und vor allem die Arbeitsmoral am wichtigsten. Deshalb empfehlen wir zusätzlich, sich bei Zuwanderungsregelungen an vorgenannten Eigenschaften zu orientieren.
Das Beispiel von Weißrussen und Ukrainern mit einer gültigen Fahrerlaubnis sowie einer polnischen Weiterbildung für den Transport von Gefahrgut beweist tagtäglich auf unseren Straßen, dass diese Kollegen bereits bestens qualifiziert sind. Warum müssen diese tatsächlichen Fachkräfte, wenn sie in Deutschland als Berufskraftfahrer arbeiten möchten, eine neue Fahrerlaubnis vorweisen? Ohne diesen Unsinn könnte so mancher Kriegsflüchtling unverzüglich als Berufskraftfahrer arbeiten und integriert werden.
({2})
Dabei ist es ganz einfach: Erstens. Die unbürokratische Anerkennung ausländischer Führerscheine muss Eingang in die Fahrerlaubnisverordnung finden. Daher ist Anlage 11 wie folgt zu ändern: Die Staaten Ukraine und Weißrussland müssen in die Anlage 11 aufgenommen werden. Zweitens. Bei diesen Staaten sind dann bei den anzuerkennenden Führerscheinen die Klassen D1, D1E, D und DE einzufügen. Und drittens. Bei dem Erfordernis einer theoretischen oder praktischen Prüfung ist jeweils ein „Nein“ an die Stelle des „Ja“ einzufügen. Bei der Anerkennung von Berufskraftfahrerqualifikationen aus Drittstaaten stimmen wir Ihnen grundsätzlich zu.
Was für unsere Lkw-Fahrer gilt, ist auch für Busfahrer relevant: viel zu lange Ausbildungszeiten im Vergleich zu anderen EU-Staaten und zu hohe Führerscheinkosten, nämlich von 8 000 bis 10 000 Euro. Unsere Lösung ist, erstens, Ausbildung verkürzen, zweitens, Wettbewerbsnachteile abbauen und, drittens, ein klares Bekenntnis zu unserem Berufskraftfahrerbestand samt seinem zukunftsfähigen Arbeitsgerät, dem Lastkraftwagen.
Jedoch können wir der von Ihnen angeforderten Ausweitung der Anreize über Osteuropa hinaus sowie einer Absenkung des Mindestalters für Busfahrer derzeit nicht zustimmen. Deshalb enthalten wir uns zu diesem Antrag.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Nächste Rednerin ist Nyke Slawik für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir steuern mit dem Fahrer/-innenmangel in der Verkehrsbranche auf ein riesiges Problem zu, ein Problem, das künftig mindestens genauso dramatisch werden könnte wie der Sanierungsstau bei maroden Autobahnbrücken, dem wir uns erst unter dieser Regierung gewidmet haben, weil Andi Scheuer es nicht angegangen ist.
({0})
Vom akuten Fahrer/-innenmangel ist die gesamte Verkehrswirtschaft betroffen, von der Logistikbranche bis zu den Busfahrer/-innen. Aktuell fehlen deutschlandweit 60 000 bis 70 000 Fahrer/-innen. Jährlich werden in etwa 15 000 neu ausgebildet; derzeit gehen jährlich aber auch etwa 30 000 in Rente. Jedes Jahr fehlen uns also weitere 15 000 Fahrer/-innen zusätzlich. Es werden kaum mehr junge Menschen für diesen Berufsstand ausgebildet. Die meisten Fahrer/-innen sind über 55 Jahre alt. Das heißt, die Altersstruktur führt dazu, dass sich dieser Trend verschärft. Die Katastrophe ist vorprogrammiert, wenn wir nicht zeitnah etwas dagegen tun.
Die zentralen Gründe, warum der Berufsstand unattraktiv ist, liegen auf der Hand. Die Entlohnung als Berufskraftfahrer/-in ist schlecht, die Arbeitsbedingungen sind desaströs, und der Berufsstand hat ein Imageproblem. Wir stimmen mit einigen Lösungsansätzen, die die CDU/CSU in ihrem Antrag nennt, überein. Jedoch greift dieser Antrag zu kurz. Ich wünsche mir von der Koalition eine größere Ambition; das haben wir im Koalitionsvertrag verankert.
Zum einen will die Union den Lkw-Stellplatzmangel beheben und die Situation auf Raststätten verbessern sowie die Kontrolldichte durch die Behörden erhöhen. Das ist gut und richtig, aber angesichts der Situation der Branche ist es auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, der keine nennenswerte Verbesserung der Arbeitsbedingungen mit sich bringt. Die Union will zum anderen die Zugangsbeschränkungen für den Beruf erleichtern, sodass es beispielsweise für osteuropäische Arbeitskräfte leichter werden soll, Zugang zu diesem Berufsstand zu bekommen. Kosten für den Führerscheinklassenerwerb und die Anforderungen an Sprachkenntnisse sollen gesenkt werden.
Aber der Fahrer/-innenmangel ist ein weltweites Problem. In Polen beispielsweise spitzt sich die Situation seit Anfang des Jahres zu, da viele ukrainische Fahrer/-innen, die dort gearbeitet haben, wegen der Mobilmachung im Ukrainekrieg nicht mehr als Arbeitskräfte verfügbar sind. Im Baltikum sucht man händeringend Arbeitskräfte aus der Mongolei und den Philippinen. Das Problem wird nicht strukturell gelöst, indem wir günstige Arbeitskräfte aus dem osteuropäischen Ausland abwerben, auch wenn das kurzfristig eine Abkühlung der Symptome in Aussicht zu stellen scheint.
({1})
Es liegt auf der Hand, was wir für die Branche benötigen. Wir müssen diesen Berufsstand wieder lohnenswert machen.
({2})
In der Coronakrise haben wir viel über systemrelevante Berufe gesprochen. Ich kann Ihnen sagen: Anerkennung auszusprechen und Dankbarkeit zu zeigen, dass diese Menschen unser System aufrechterhalten, reicht nicht aus. Wir müssen darüber sprechen, wie wir die Entlohnung von Berufskraftfahrer/-innen und ihre Arbeitsbedingungen verbessern können.
Die Arbeitsbedingungen sind oftmals katastrophal. Lkw-Fahrer/-innen trifft es besonders hart. Manche sind über Wochen im europäischen Ausland unterwegs. Auch bei Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben, die in der europäischen Gesetzgebung seit dem Mobilitätspaket bestehen, sind viele Lkw-Fahrer/-innen viele Stunden täglich unterwegs, unterbrechen die Arbeitszeiten nur kurzzeitig zur Einhaltung der Ruhezeiten und zum Übernachten. Das ist ein Knochenjob, für den eine Entlohnung winkt, die diesen Entbehrungen nicht gerecht wird. Ja, auch der Parkplatzmangel an Raststätten oder die oft defekten Sanitäranlagen sind ein Problem für die Branche. Und es ist auch ein Problem, dass wir kaum Frauen haben, die Lkw-Fahrerin oder Berufskraftfahrerin werden wollen. Das kommt daher, dass dieser Berufsstand zum einen kaum vereinbar ist mit der Familiengründung, zum anderen bieten Raststätten keinen sicheren Übernachtungsort für Frauen. Da müssen wir ran, damit dieser Berufsstand auch für Frauen attraktiv wird.
({3})
Wir können Sozialdumping verhindern, indem wir dafür sorgen, dass die gesetzlichen Vorgaben, die wir bereits jetzt haben, auch eingehalten werden. Das gilt für die Lenk- und Ruhezeiten, die wichtig sind, damit sich die Fahrer/-innen erholen können, aber auch, damit sie keine Gefahr für sich und andere Verkehrsteilnehmer/-innen darstellen. Das gilt auch für die Kabotageregeln der EU. Wir müssen jetzt gemeinsam daran arbeiten, dass wir die Tarifbindung stärken, um bessere Entlohnung möglich zu machen, auch ein Thema, das in den letzten Jahren liegen geblieben ist.
({4})
Die europäische Gesetzgebung ist besonders wichtig; denn nur dann, wenn alle Mitgliedstaaten sich zu Mindeststandards bekennen, kann der Wettbewerb eingehalten werden. Allerdings können wir uns nicht darauf ausruhen, uns an dem Mindestmaß zu orientieren, das wir in Europa haben. Wir müssen auch bundesrechtlich alle Möglichkeiten ausschöpfen, um diesen Berufsstand aufzuwerten. Wir können beim Thema „ÖPNV und öffentliche Aufträge“ auch die Vergabe öffentlicher Mittel an Vorgaben zur Einhaltung von Sozialvorschriften knüpfen;
({5})
diese Möglichkeit sollten wir nutzen, um auf faire Löhne hinzuwirken. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten.
Vielen Dank.
({6})
Herr Moncsek, sie hat tatsächlich schon mit ihrer Rede aufgehört. Ich warte immer, bis der Satz zu Ende ist; aber der ging leider nicht zu Ende.
({0})
Dann ist der nächste Redner Thomas Lutze für Die Linke.
({1})
Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Präsidentin! Die Union hat nach zwölf Jahren Geisterfahrt im Verkehrsministerium zumindest teilweise die Zeichen der Zeit erkannt. Ihr fällt auf, dass die drängenden Probleme beim Mangel von Fahrerinnen und Fahrern gerade im Straßengüterverkehr besonders gravierend sind und sich noch weiter verschlechtern werden, wenn nichts passiert. Bei aktuell 560 000 Fahrer/-innen – wobei man die weibliche Form oder Schreibweise an der Stelle fast vernachlässigen kann –
({0})
werden immer noch 60 000 bis 80 000 weitere benötigt. Jedes Jahr verlieren wir Zigtausende Fahrer/-innen. Wenn nichts passiert, sehen wir uns spätestens 2025 einem so gravierenden Missstand ausgesetzt, dass Lieferprobleme, wie wir sie aktuell im Vereinigten Königreich erleben können, auch in Deutschland auftreten werden können. Das muss verhindert werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Die Ursache ist leicht auszumachen: Jede dritte Fahrer/-in ist über 55, und kaum ein junger Mensch hat Lkw-Fahrerin oder -Fahrer als Traumjob auf ihrer oder seiner Liste. Das hängt nicht zuletzt mit den schlechten Arbeitsbedingungen und vor allen Dingen mit der geringen Wertschätzung der Gesellschaft gegenüber diesen Kolleginnen und Kollegen zusammen. Solange sich das nicht ändert, helfen auch die vielen richtigen aufgezählten Verbesserungen im Antrag nicht wirklich weiter.
({2})
Die Union schlägt in ihrem Antrag eine Vielzahl von verwaltungstechnischen Verbesserungen vor. Dem können wir zustimmen. Die Wurzel des Problems, nämlich die Arbeitsbedingungen, hat die Union leider zum großen Teil übersehen. Als Linksfraktion würden wir ihrem Antrag sofort zustimmen, wenn staatliche Aufträge zum Beispiel nur an tarifgebundene Unternehmen erteilt würden.
({3})
Wir würden zustimmen, wenn es eine höhere Tarifbindung gäbe; zurzeit liegt sie in der Branche nur bei 20 Prozent. Das muss sich dringend ändern.
Zudem brauchen wir eine echte Rückkehrpflicht an den Lebensmittelpunkt der Berufskraftfahrer/-innen, die dann auch konsequent kontrolliert werden muss. Bereitschaftszeiten müssen vollumfänglich als Arbeitszeit gelten. Außerdem brauchen wir Ausnahmeregelungen in der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung, was den Bereich der Gesamtlänge von Lkws betrifft. Es geht dabei um die Ermöglichung von größeren Fahrerhäusern für die Kolleginnen und Kollegen, die sich darin stundenlang aufhalten sollen und zum Teil dort übernachten. Der Beruf muss Arbeitsbedingungen mit sich bringen, die letztendlich als menschenwürdig bezeichnet werden können.
({4})
Leider verkennt die Union auch, dass die Lösung nicht darin liegt, den Mangel an Fahrer/-innen durch Anwerbung weiterer osteuropäischer Fahrer/-innen immer weiter nach Osten zu verlagern; denn im benachbarten Polen fehlen aus diesem Grund bereits heute im großen Stil Fahrerinnen und Fahrer. Außerdem blendet die Union hier vollkommen aus, dass das bisherige System des Güterstraßenfernverkehrs im Prinzip ausgedient hat. Wir brauchen endlich eine Verkehrswende, auch im Güterverkehr. Güter müssen runter von der Straße, zumindest im Fernverkehr, und rauf auf die Schiene.
({5})
Das entlastet nicht nur unsere Straßen und Brücken, es ist auch wesentlich klimaschonender.
Glück auf!
({6})
Jetzt erhält das Wort der Parlamentarische Staatssekretär Oliver Luksic.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Logistikketten sind in Deutschland in der Tat aus verschiedenen Gründen, die eben erörtert wurden, angespannt. Aber sie halten.
Es ist gut, dass wir über dieses Thema heute diskutieren. Es gibt ja nicht nur einen Mangel im Straßengüterverkehr, sondern auch auf der Schiene, auch bei der Binnenschifffahrt beispielsweise; deswegen hat diese Koalition ihn auch im Koalitionsvertrag adressiert. Wir haben eine Arbeitsgruppe innerhalb der Bundesregierung, und wir brauchen hier vor allem einen Dreiklang. Wir müssen – und das war bisher noch gar kein Thema – neben den Gesetzen auch auf Technik, auf Automatisierung, Digitalisierung, autonomes Fahren, aber vor allem auch auf Einwanderung setzen. Wir brauchen gezielte Einwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt. Da ist in den letzten Jahren in Ihrer Regierungszeit zu wenig passiert. Da werden wir ganz neue Akzente setzen.
({0})
Es gibt eine Reihe an Themen – und da ist der Katalog in dem Antrag der Union noch nicht abschließend –, die wir angehen müssen. Viele sind in Federführung beim BMAS, beim BMI, teilweise beim AA, auch bei der Industrie- und Handelskammer – Stichwort „Anerkennung von Abschlüssen“ –, bei den Bundesländern. Das ist also ein breiter Katalog, den wir angehen wollen.
Auf einige Themen möchte ich kurz eingehen. Dabei muss ein Aspekt, der eben schon genannt wurde, zunächst herausgestellt werden: Das Entscheidende sind ja nicht die Gesetze; das Entscheidende ist doch, dass der Beruf attraktiv wird. Deswegen brauchen wir zum einen angemessene Löhne – wenn wir schauen, was teilweise in den USA für Fernfahrer gezahlt wird, merken wir: da ist es noch ein weiter Spagat –
({1})
und zum anderen bessere Arbeitsbedingungen; das wurde eben zu Recht angesprochen. Und da – das sage ich auch als Liberaler – muss auch der Mittelstand dafür sorgen, dass wir bei den Speditionen beispielsweise angemessene Aufenthaltsräume haben, dass die Fahrer an der Rampe ordentlich behandelt werden, dass es aber auch – und das ist auch ein Unterschied zu früher – gesellschaftliche Akzeptanz und Anerkennung gibt. Früher war der Fernfahrer mal der König der Landstraße. Wenn man schaut, wie sie an den Raststätten heute behandelt werden: Da fehlt es an gesellschaftlicher Akzeptanz und Wertschätzung.
({2})
Wir haben in unserem Haus bereits einige Maßnahmen im wichtigen Feld der Aus- und Weiterbildung ergriffen; dabei stimmen wir uns eng mit dem Gewerbe ab und entwickeln die vorhandenen Programme immer weiter. Es wird sich jetzt vieles neu auf Digitalisierung fokussieren. Wir werden natürlich auch – es wurde eben von den Kollegen angesprochen – die Arbeitsbedingungen besser kontrollieren. Durch das Mobilitätspaket wird sich hier jetzt einiges ändern. Das BAG bekommt mehr Stellen, vor allem auch bessere Technik, um die Durchsetzung von Kontrollen zu verbessern. Ich glaube, das ist ein wichtiger Aspekt.
Wir müssen – es wurde eben auch genannt – sowohl im Unterricht als auch bei der Abnahme von Prüfungen stärker auf andere Fremdsprachen setzen. Dazu sind wir bereits mit den Ländern in Kontakt, die dabei auch eine Rolle spielen. Auch das ist ein weiterer wichtiger Aspekt, den wir angehen müssen.
Und nicht zu vergessen ist das Thema der Raststätten an den Autobahnen. Wir werden hier von 2021 bis 2025 700 Millionen Euro investieren. Wir bauen also aus; aber wir brauchen auch mehr Qualität. Deswegen brauchen wir mehr Digitalisierung, um beispielsweise den Parksuchverkehr einzuschränken. Ich glaube, auch das ist ein neuer, wichtiger Ansatz dieser Koalition.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?
Bitte schön.
Vielen Dank. – Sie reden jetzt von Digitalisierung, Digitalisierung. Wie erklären Sie uns hier und den Leuten auf der Tribüne, wie Sie einen Bierkasten durch die digitale Leitung kriegen, wie Sie Waren durch die digitale Leitung kriegen?
({0})
Nennen Sie mal richtige, konkrete Beispiele, was Digitalisierung in dieser Wirtschaft ausmacht! Und die zweite Frage: Wann waren Sie das letzte Mal auf einem Verkehrshof oder bei einem Spediteur mittelständischer Art?
({1})
Lieber Herr Kollege, ich bin mir sicher: Ich bin dort sehr viel öfter als Sie. Ich war noch vor zwei Wochen im Saarland bei einem großen Spediteur. Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.
({0})
Zur Digitalisierung. Auch wenn Sie es vielleicht nicht wissen: MAN wird jetzt zum Beispiel durch unser neues Gesetz und die sich daran anschließende Verordnung Hub-to-Hub-Verkehre fahrerlos machen können. Digitalisierung spielt auch eine große Rolle in der Lagerlogistik. Schauen Sie sich mal bei großen Speditions- und Logistikunternehmen an, wie viel dort digital gemacht werden kann, wenn das Fahrzeug an der Rampe steht. Auch hier gibt es große Fortschritte. Deswegen stehe ich dazu: Digitalisierung ist ein Teil der Lösung, ein wichtiger Teil. Wir setzen darauf, dass wir den Fachkräftemangel dadurch auch ein Stück weit überwinden können.
({1})
Ein anderer besonders wichtiger Aspekt ist natürlich, dass wir im Ausland Fachkräfte anwerben. Es wird nicht anders gehen. Das ist die Wahrheit.
({2})
Deswegen müssen wir hier die Möglichkeiten nutzen. § 24a Beschäftigungsverordnung ist dabei einer der Aspekte. Dazu sind wir zum Beispiel in enger Abstimmung mit den Kollegen aus dem BMAS, aber auch aus dem BMI.
Das, was wir schon gemacht haben – das ging hier etwas durcheinander –, sind zwei Aspekte. Das eine betrifft das Berufskraftfahrerqualifikationsrecht. Das basiert auf europarechtlichen Regelungen; das können wir gar nicht national lösen. In Ihrem Antrag ist das etwas unsauber. Das andere und viel Wichtigere ist die Frage: Was können wir mit Drittstaaten machen? Denn das Führerscheinrecht gilt für die EU; da können wir nicht unilateral entscheiden. Aber mit Drittstaaten können wir Abkommen schließen; deswegen haben wir das mit der Republik Kosovo, der Republik Moldau, auch mit Albanien gemacht. Weitere Abkommen sind gerade in Arbeit, um den Menschen mit Führerschein in diesen Ländern erlauben zu können, hier zu arbeiten, sich zu bewegen. Das ist gelebte Integration. Es hilft auch dabei, dass die Menschen, die wir hier brauchen, zu uns kommen und sich gut integrieren können.
({3})
In Bezug auf die Ukraine wird es ein solches Abkommen für die gesamte EU geben. Es ist natürlich noch besser, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: einen Beitrag zur Integration in Deutschland zu leisten, aber eben auch dafür zu sorgen, dass die Menschen, die zu uns kommen, hier arbeiten können und damit den Fachkräftemangel lindern helfen.
Sie sehen: Wir haben eine Reihe von Maßnahmen. Wir müssen verhindern, dass Regale oder Lagerhallen leer stehen. Deswegen brauchen wir diesen Dreiklang aus Technik, Einwanderung und Bürokratieabbau. Das gehen wir zusammen an.
Vielen Dank.
({4})
Für die CDU/CSU-Fraktion erhält das Wort Martina Englhardt-Kopf.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Damen und Herren und vor allem liebe Fahrerinnen und Fahrer! Ich denke, wir alle haben die Bilder aus Großbritannien kurz nach dem Brexit in Erinnerung: leere Regale in Supermärkten, geschlossene Tankstellen. Warum? Der Grund: Fahrermangel. Ohne die Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrer mit ihren Lkws, die in Deutschland tagtäglich drei Viertel aller Güter von A nach B bringen, stehen auch bei uns Produktionsstätten still, bleiben Geschäfte leer. Es fehlen heute bereits 60 000 bis 80 000 Berufskraftfahrerinnen und ‑fahrer. Die nachrückenden neuen Berufskraftfahrer können bei Weitem nicht die künftig in Rente gehenden Berufskraftfahrer ersetzen. Gerade hier droht, insbesondere in den kommenden Jahren, ein Versorgungskollaps auf Raten.
Deshalb bin ich froh, dass wir das Thema im Verkehrsausschuss auch durch die öffentliche Anhörung konsequent angehen. Wenn der Antrag heute hier beschlossen würde, dann hätten wir viele Lösungsmöglichkeiten. Vieles ist bereits in Arbeit. Die Zeit drängt, es muss zügig umgesetzt werden. Unser Antrag enthält viele Lösungen. Aufgrund der Dringlichkeit dieses Themas bitte ich an dieser Stelle um Zustimmung.
({0})
Aber was ist das Besondere, wenn wir über Fachkräftemangel sprechen? Der Fachkräftemangel ist in aller Munde. Sämtliche Branchen in Deutschland sind betroffen. Das Problem in der Branche der Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrer sind die hohen Kosten im Bereich der Ausbildung; die Führerscheinqualifikation und die zusätzliche Berufskraftfahrerqualifikation ziehen eine lange Ausbildungsdauer und hohe Kosten nach sich. Die doppelt so hohen Kosten für den Führerschein sind ein Hemmnis für junge Menschen, in diesen Beruf einzusteigen. Das ist ein Unterschied zu vielen anderen Branchen. Genau hier müssen wir ansetzen; viele Punkte in unserem Antrag bringen das auch zum Ausdruck. Ich denke an die Ausbildung. Diese muss dringend reformiert werden. Ausbildungsinhalte müssen komprimiert und gekürzt werden. Der Führerschein muss preiswerter werden.
Das sind konsequente Lösungsmöglichkeiten. Wenn wir diese entsprechend angehen, können wir die Situation für die Zukunft entscheidend verbessern. Wir müssen im Bereich der beruflichen Bildung anpacken, und wir brauchen vielleicht auch Lösungen wie das begleitete Fahren. Bundesweit ist das begleitete Fahren ja ein großer Erfolg. Warum also sollte man das nicht im Bereich der Berufskraftfahrerqualifikation anwenden? Es wäre doch möglich, dass junge Menschen begleitet einsteigen und den Führerschein dann früher erwerben können.
({1})
Des Weiteren hat der Beruf leider ein schlechtes Image; die schwierigen Arbeitsbedingungen, der Termindruck, die Staus, die schwierige Situation an den Raststätten, die schlechten sanitären Einrichtungen, lange Abwesenheiten von zu Hause, aber auch die fehlende Wertschätzung wurden angesprochen. All das sind Hindernisse, und da müssen wir zügig ran. Wir verlieren jährlich künftige Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrer der kommenden Generation, die sich anderweitig entscheiden und nicht in diesen Beruf einsteigen.
Sicherlich kann die Politik nicht all das lösen. Deshalb bin ich Verbänden wie dem BGL, aber auch den Unternehmerinnen und Unternehmern, die bereits viele Initiativen zur Verbesserung des Berufsbildes gestartet haben, sehr dankbar. Ich denke hier an den Verein Pro Fahrer-Image, der auch gegründet wurde, um die Wertschätzung dieses Berufes in der Gesellschaft, die Anerkennung weiter zu erhöhen. Auch das sind wichtige Punkte, die wir angehen müssen.
({2})
Der Bund muss aber auch dafür Sorge tragen, dass das Arbeitsumfeld stimmt. Die Raststätten wurden angesprochen; hier müssen wir zügig vorankommen. Wir sprachen heute auch bereits über das Thema Digitalisierung. Natürlich wäre es dem Fahrer möglich, durch ein kluges Parkplatzmanagementsystem frühzeitig zu wissen: Wo habe ich eine Stellfläche, wo kann ich übernachten? Das alles sind Erleichterungen, die wir dringend und schnell umsetzen müssen, um die Situation deutlich zu verbessern.
Ein letzter Punkt ist natürlich das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Auch da müssen wir die Stellschrauben drehen,
({3})
damit Bildungsabschlüsse aus Drittländern künftig leichter anerkannt werden und wir hier Nachwuchs generieren können; ein wichtiger weiterer Punkt, den wir besser heute als morgen angehen müssen.
Abschließend ist eines klar: Der Transport ist für unsere Volkswirtschaft, für unsere ganze Gesellschaft systemrelevant. Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrer sind systemrelevant. Wir müssen jetzt starten, kraftvoll, aber auch ganz konsequent, alle Punkte aus dem Antrag und vieles darüber hinaus umzusetzen. Lassen Sie uns nicht wertvolle Zeit verlieren. Stimmen Sie heute für unseren Antrag!
Herzlichen Dank.
({4})
Es folgt für die SPD-Fraktion Anja Troff-Schaffarzyk.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Versorgungsketten sind komplex. Es gibt viele Arbeitsschritte, viele Beteiligte. Wenn ein Punkt in dieser Versorgungskette Probleme bereitet oder nicht funktioniert, hat das Auswirkungen entlang der gesamten Kette.
Wenn wir heute über den Fahrpersonalmangel sprechen, möchte ich den Blick auf den Kostendruck für die Logistikunternehmen lenken. Ziel derjenigen, die Aufträge erteilen, ist es, Waren möglichst günstig an den Markt zu bringen. Es findet sich eigentlich immer jemand, der Preise unterbieten kann. So kommt es dann eben mitunter zu einer Unterwanderung von Regeln, die mal dazu geschaffen wurden, für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen. Das führt in eine Spirale, an deren Ende wir uns dann hier im Plenum mit einem Antrag wie diesem wiederfinden. Dieser Antrag sagt: Ebendiese Regeln sind das Problem. Lasst uns die doch einfach ein wenig aufweichen. Das wird der Branche helfen, das akute Problem zu regulieren. – Aber, Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, nachhaltig ist das nicht, und es ist nicht richtig.
({0})
Sie gehen Punkte in der Kette an, die im Zusammenhang mit dem Fahrpersonalmangel nicht sinnvoll sind. Sie wollen zum Beispiel eine Reduzierung der Fahrstunden in der Ausbildung. Das ist Beschleunigung um der Beschleunigung willen, ohne damit etwas für die Beschäftigten oder für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu tun.
Ihr Antrag schafft es nicht, eine gute Balance hinzubekommen. Versteckt unter Nummer 2 Buchstabe c wollen Sie Sozialdumping durch mehr Kontrollen vorbeugen. Wir haben im Mai bei der Anhörung im Ausschuss gehört, wie alle Seiten – Logistikverbände, Speditionsunternehmen, Gewerkschaft, Fahrende – uns gesagt haben, dass genau das das Hauptproblem ist: Die Regeln sind längst da, doch niemand setzt sie durch. Und so sind wir in diese Spirale geraten, von der ich eben gesprochen habe, in der die Situation sich immer weiter verschlechtert.
({1})
Bei Ihnen wird das zur Fußnote.
Wir laufen in einigen Jahren in eine massive Unterdeckung beim Fahrpersonal für Busse und Lkw, einfach weil die derzeit Fahrenden immer älter werden und der Nachwuchs fehlt. Wir können den Effekt abschwächen, indem wir weiterhin mehr Güter auf die Schiene bringen. Aber das Grundproblem der Branche lösen wir damit nicht. Der Beruf ist momentan einfach nicht mehr attraktiv genug. Wenn wir weiterhin alle Waren überall pünktlich und ständig verfügbar in unseren Supermarktregalen haben wollen, wenn wir die Industrie durch rechtzeitige Lieferung von Material am Laufen halten wollen, wenn wir weiterhin Busreisen mit unseren örtlichen, oftmals auch kleinen Busunternehmen machen möchten, dann muss sich etwas verändern.
Wir wollen den Unternehmen helfen, gerade den kleinen und mittleren, indem der Beruf wieder attraktiver wird. Zuallererst wollen wir die Situation für die Beschäftigten verbessern, das heißt: mehr Tarifbindung, bessere Kontrollen, fairer europäischer Wettbewerb, mehr digitale Angebote für die Aus- und Weiterbildung, weniger Entgrenzung bei Termindruck und Überstunden, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und deutliche Unterstützung seitens der Politik für mehr gesellschaftliche Akzeptanz für das Berufsbild. Das sind die Punkte in der besagten Versorgungskette, an die wir gemeinsam ranmüssen.
Vielen Dank.
({2})
Letzter Redner in dieser Debatte ist Jürgen Berghahn für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Dass wir unabhängiger von fossilen Importen werden müssen, darüber sind wir uns mittlerweile sogar hier alle einig. Wie man in dieser ernsten Lage transparent und ehrlich kommuniziert und auch handelt, zeigt der Bundeswirtschaftsminister ganz aktuell. Umso abstruser ist es, welche Vorschläge jetzt gerade von einigen in die Diskussion eingebracht werden – auch heute hier im Plenum und von einem Ministerpräsidenten aus Bayern –, Vorschläge, die nicht nur rückwärtsgewandt und gefährlich sind. Vielmehr würden sie auch neue Abhängigkeiten von Russland auslösen; denn Russland dominiert den Weltmarkt für Uranbrennstäbe. Stattdessen hätte der Ministerpräsident einfach in seinem Bundesland selbst handeln können, indem er zum Beispiel die pauschale 10‑H-Regelung abgeschafft hätte.
({0})
Das Gesetzespaket für Windenergie an Land, das wir als Fraktionen einbringen, ist ein entscheidender Baustein für eine schnellere Umsetzung der Energiewende. Die in der EEG-Novelle angelegten Ausbauziele können nur gelingen, wenn auch der Windenergieausbau endlich wieder in Schwung kommt.
({1})
Dafür müssen wir Planungs- und Genehmigungsverfahren vereinfachen, und dafür benötigen wir dringend mehr Flächen für die Windenergie. Genau das regeln wir mit diesem Gesetzespaket.
({2})
Diese Anpassungen sind dringend notwendig, wenn man wirklich ernst nimmt, was in den letzten Tagen und Wochen klar geworden ist: Wir brauchen eine Zeitenwende auch in der Energiepolitik, insbesondere einen schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien. Das gilt nicht nur, weil wir so schnell wie möglich unabhängig von fossilen Importen werden wollen, sondern auch, weil wir die Klimakrise begrenzen müssen.
({3})
Wir alle haben in den letzten Wochen die erschreckenden Bilder von den Folgen nie dagewesener Hitzewellen weltweit gesehen: Menschen sind gestorben, Flüsse ausgetrocknet, Tiere verdurstet. Auch wir hatten Temperaturen von über 50 Grad in Europa mit all den damit zusammenhängenden Auswirkungen für Menschen, für unsere Lebensgrundlagen und für unsere Infrastruktur. In Frankreich wurde der Wasserverbrauch rationiert und die Bahn fuhr nicht mehr, weil sich Gleise verformten. Auch bei uns kommt die Hitze mit einer immer stärkeren Härte an. Nachrichten von Menschen, die wegen Waldbränden ihre Häuser verlassen müssen, kennen wir sonst eher aus Kalifornien. Auch einige Regionen in Deutschland schränken schon jetzt den Wassergebrauch ein, weil die Böden so trocken sind. Das alles zeigt eindrücklich, worauf wir uns einstellen müssen, wenn wir es nicht schaffen, unsere Lebensgrundlagen zu schützen; denn die Veränderungen sind längst da. Wir können uns noch entscheiden, ob wir sie aktiv gestalten, ob wir Deutschland wieder zu einem Vorreiter erneuerbarer Energien machen und damit auch fit für die Zukunft oder ob wir abwarten und alles riskieren wollen. Mit diesem Gesetzespaket gestalten wir die Energiewende gezielt und unterstützen damit eine klimafreundliche, bezahlbare und souveräne Energieversorgung.
Ich freue mich auf die weitere Diskussion.
({4})
Andreas Jung hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bringen als Unionsfraktion zu dieser Debatte unsere Initiative für den beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien ein mit 27 sehr konkreten Forderungen dazu, was jetzt getan werden kann und – wir meinen – getan werden muss,
({0})
um das, was sich viele auf die Fahnen schreiben, konsequent umzusetzen.
Für uns ist die Position klar, und die heißt: Die Erneuerbaren müssen turbomäßig vorangebracht werden.
({1})
– Sie müssen, wenn Sie schon Zwischenrufe machen, sie etwas deutlicher machen, ich habe es leider nicht verstanden.
({2})
Dazu ist es jetzt notwendig, alle Potenziale der erneuerbaren Energien zu nutzen. Wir müssen Sonne und Wind voranbringen, aber auch die Potenziale der Biomasse, der Geothermie und der Wasserkraft nutzen und nicht links liegen lassen.
Wir dürfen keine Klassengesellschaft der Ökoenergie aufmachen, mit den einen, die sehr im Fokus stehen, für die vermeintlich alles getan wird – auch das ist ein wichtiger Punkt –, und mit den anderen, die gedeckelt oder gar abgewürgt werden. Dafür stehen wir: Bürokratie weg, die richtigen Rahmen setzen, Systemintegration mit Netzen und Speichern, alle Potenziale der Ökoenergie nutzen. Das ist unsere Richtung.
({3})
Nachher kommt der erste Teil des Osterpakets mit dem Energiewirtschaftsgesetz zur Abstimmung. Ich darf Ihnen mitteilen, dass wir als Union diesem Gesetz zustimmen werden.
({4})
Ich will Ihnen sagen, warum. Wir werden deshalb zustimmen, weil wir eine gemeinsame Verantwortung für die Dinge sehen, die notwendig sind in unserem Land, und wir müssen beim Netzausbau beschleunigt vorankommen. Und wir werden zustimmen, weil Sie in den Beratungen Punkte, die auch uns wichtig waren, die wir mit unseren Forderungen eingebracht haben, aufgegriffen haben und Sie jetzt in den Veränderungen auch den Netzausbau und auch die Wasserstoffinfrastruktur zum herausragenden öffentlichen Interesse machen. Das hat uns bewogen, zuzustimmen, und das werden wir hier auch machen.
({5})
Ich will aber gleichzeitig dazusagen, dass wir das bei den weiteren Teilen des Osterpakets leider nicht so sehen. Unsere Auffassung ist, dass Sie da nicht nur hinter unseren Forderungen, sondern hinter den eigenen Erwartungen und dem eigenen Anspruch zurückbleiben.
Ich will es konkret sagen: Beim Windkraftausbau, Herr Staatssekretär Kellner, ist in allen Ihren Papieren die Rede von einem Pakt mit den Ländern. Ich frage Sie: Wo ist der Pakt mit den Ländern? Es gab eine Reise des Ministers durch die Bundesländer. Er hätte doch die Chance gehabt, danach alle zu versammeln. Es ist doch überall Bereitschaft da.
Schauen Sie sich die Koalitionsverträge an, schauen Sie sich die Regierungsverhandlungen an, schauen Sie sich die Bewegung an. In allen Ländern ist Bereitschaft da. Warum vergeben Sie die Chance, dasselbe zu erreichen, was Sie beim beschleunigten Netzausbau erreicht haben, nämlich dass es ein Mehrwert für Akzeptanz ist, wenn außer denen von links außen und den Radikalen von rechts alle in diesem Haus zustimmen?
Es ist eine Chance für mehr Akzeptanz, wenn man sich vor Ort gemeinsam hinstellen und jeder sagen kann: Das ist breit getragen, über die Grenzen von Regierung und Opposition hinweg; von Bund und Ländern ist das gemeinsam gemacht worden. – Warum vergeben Sie diese Chance? Warum vergibt der Minister diese Chance? Das halten wir für ein großes Versäumnis.
({6})
Und wir halten es für falsch. Natürlich brauchen wir mehr Flächen für mehr Windkraft; da gibt es einen Zusammenhang. Aber unser Ziel ist doch nicht mehr Flächen; unser Ziel ist mehr installierte Leistung,
({7})
mehr Ökoenergie, ein Pakt mit den Ländern. Warum haben Sie es nicht so gemacht, dass Sie sich mit den Ländern an einen Tisch gesetzt haben, dass Sie gesagt haben: „Jeder muss jetzt seinen Beitrag leisten; jeder muss Leistung bringen für erneuerbare Energien“? Der eine kann es mehr mit Wind machen, der andere kann es mehr mit Sonne tun, der andere hat andere Potenziale. Entscheidend ist, dass wir die Ziele erreichen, weil es auf Leistung ankommt. Wir brauchen ein Mehr-Leistungs-, nicht ein Mehr-Flächen-Gesetz.
Sie haben noch nicht mal eine flexiblere Regelung. In Baden-Württemberg, Herr Staatssekretär Kellner, haben wir einen grünen Ministerpräsidenten. Dort wird gesetzlich festgeschrieben: 2 Prozent für Windkraft und Freiflächen-PV. Das bietet mehr Flexibilität. Warum haben Sie diese föderale Vielfalt nicht ermöglicht? Das halten wir für ein Versäumnis. Sie haben ja noch zwei Wochen Zeit, die Dinge nachzuholen.
Ich glaube, es wäre eine Chance, alle an einen Tisch zu bringen. Die Bereitschaft ist da. Nutzen Sie diese Chance für einen Windkraftkonsens.
({8})
Der ist möglich. Aber was Sie machen, ist das Gegenteil. Was Sie machen, ist eine Politik des Durchregierens par ordre de mufti und eben nicht, das Gemeinschaftswerk, das wir brauchen, voranzubringen. Die Energiewende gelingt aber nur als Gemeinschaftswerk. Das ist unsere Position, und so werden wir es weiterverfolgen.
({9})
Zur Sonne ganz konkret. Greifen Sie den Antrag auf, den das Land Baden-Württemberg, den der grüne Finanzminister Danyal Bayaz in den Bundesrat eingebracht hat, den der Bundesrat beschlossen hat, dessen Inhalt in NRW in der Koalitionsvereinbarung gefordert wird, mit der ganz einfachen Botschaft: Steuerfreiheit für jeden, der auf sein privates Dach eine Photovoltaikanlage schraubt.
Steuerfreiheit bis 30 kW fordern wir in unserem Antrag. Nehmen Sie diesen Antrag an, weil die Menschen Freude habe an der Sonne auf dem Dach, aber Ärger am Schreibtisch mit der Bürokratie.
Wir haben ja in der Großen Koalition damit gemeinsam begonnen. Das muss jetzt gemacht werden. Greifen Sie diese Anträge auf! Wir haben sehr konkrete Vorschläge gemacht. Bei Sonne und Wind, bei Biomasse, Geothermie und bei der Wasserkraft müssen die Potenziale genutzt werden. Machen Sie doch auch dort den Schritt, den Sie jetzt bei diesem Gesetz gemacht haben.
Am Anfang gab es ja beim Netzausbau und der Wasserstoffinfrastruktur nicht das herausragende öffentliche Interesse. Sie sagen: Die erneuerbaren Energien müssen höchste Priorität haben; deshalb müssen sie von herausragendem öffentlichen Interesse werden. – Und dann streichen Sie es bei der Wasserkraft hinten wieder raus.
Herr Kollege.
Das ist die Zweiklassengesellschaft; das darf nicht sein. Wir müssen alle Potenziale nutzen.
Herzlichen Dank.
({0})
Bengt Bergt hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Herr Jung, ich weiß nicht, wie das mit Ihren Rechenfähigkeiten aussieht, aber wenn wir 2 Prozent der Fläche für Solar nehmen, dann kommen wir schlicht nicht auf den Ertrag an Energie, den wir brauchen.
({0})
Denn wir haben pro Hektar 500 kW Leistung bei PV, aber 6 MW bei Wind.
Liebe Bürgerinnen und Bürger, ich möchte Sie zu Beginn zu einer kleinen gedanklichen Reise einladen, und zwar in das Jahr 2032. Ich frage Sie: Wie sieht das Deutschland aus, in dem Sie dann leben möchten, in dem Ihre Kinder und Enkelkinder aufwachsen? Wahrscheinlich eher in einem Deutschland, in dem die Luft mehr als heute einlädt zum kräftigen Einatmen, das innovativ und wirtschaftlich stark ist und unabhängig von anderen.
({1})
Die meisten von uns wollen wahrscheinlich in so einem Land leben. Wir wollen auch, dass dieses Land Energieträger nutzt, die kostenlos sind und uns von der Natur zur Verfügung gestellt werden, und nicht die Ressourcen, die man ausbuddeln und verfeuern muss. Weniger graue Energie, mehr grüne Energie – das würde übrigens auch unserer Erde die dringend benötigte Abkühlung verschaffen.
Wahrscheinlich wollen Sie in einem Land leben, das wirtschaftlich und klimapolitisch seiner Verantwortung gegenüber der künftigen Generation gerecht wird und Kindern und Jugendlichen die Verwirklichung ihrer Träume ermöglicht. In so einem Land möchten wahrscheinlich fast alle von uns leben; das ist auch verständlich. Das bedeutet aber, dass wir jetzt den Grundstein legen müssen für das Deutschland 2032, meine Damen und Herren.
({2})
Das tun wir, indem wir die nötigen Flächen für den Windkraftausbau bereitstellen und den wichtigsten Schlüssel für die Energiewende in die Hand nehmen und endlich die Tür aufschließen. Genau das tun wir mit dem Wind-an-Land-Gesetz, das wir heute auf den Weg bringen, eingebettet in eine ambitionierte europäische Strategie; denn Deutschland alleine ist zu klein für die Bewältigung der riesigen Aufgabe Klimawende. Was wir aber in Deutschland haben, sind ehrgeizige Menschen, Erfindergeist und die nötige Technik, um voranzugehen und zu zeigen, dass die Energiewende funktioniert.
Viele Details des Wind-an-Land-Gesetzes werden wir in der parlamentarischen Arbeit noch zu klären haben. Aber eins ist jetzt schon klar: Wir stärken die Windenergie, und zwar in einem nie gekannten Ausmaß, in einem enormen Tempo, meine Damen und Herren.
({3})
Das kostet Kraft – das ist wahr –, das geht auch nicht ohne Kosten, und das geht auch nicht ohne Konflikte; so ehrlich müssen wir tatsächlich sein. Aber unsere Kinder und Enkelkinder werden es uns danken, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Das entscheidende Stichwort ist auch schon gefallen: Flächen. 2035 wollen wir unseren Strom fast ausschließlich aus Erneuerbaren produzieren. Unsere heutige Stromerzeugung aus den erneuerbaren Energien, etwa 240 Terawattstunden pro Jahr, müssen wir schon 2030 mehr als verdoppelt haben. Das ohne die Flächen für die nötigen Windkraftanlagen – nicht für PV übrigens – zu erreichen, wird nicht funktionieren.
Es gibt im Wesentlichen zwei Hemmschuhe für den Ausbau der Windenergie: erstens die zu langen Genehmigungsverfahren – das gehen wir an – und zweitens die Flächen, die oft nicht rechtzeitig verfügbar sind. Beides wird jetzt konsequent angegangen. Der Klimawandel wartet nämlich nicht auf uns, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir müssen ihn einholen; wir müssen vor die Lage kommen.
Der Umwelt- und Artenschutz auf der Welt hat immer noch einen sehr hohen Stellenwert. Aber es darf nicht mehr sein, dass die Windenergieprojekte auf Jahre lahmgelegt sind oder gar nicht mehr gebaut werden können, wenn keine umwelt- und artenschutzverträgliche Lösung gefunden werden kann. Jetzt heißt es nämlich: Bauen, bauen, bauen.
Für die Windkraftanlagen werden die Länder die nötigen Flächen ausweisen. Das machen nicht wir, sondern die Länder machen das.
({4})
Wir legen aber fest, dass es ein konkretes Ziel gibt und eine konkrete Zeitspanne. Wir brauchen das, weil wir bis 2032 2 Prozent der Fläche Deutschlands für die Windenergie ausgewiesen haben wollen.
({5})
Um sich das mal vorzustellen: 2 Prozent, das ist ungefähr dreimal das Saarland; im Moment haben wir nur einmal das Saarland. Das zeigt aber auch, wie klein das Saarland ist.
Alleine daran sieht man, wie groß unsere Aufgabe ist. Aber wir sind ja nicht gewählt, um hier rumzujammern und rumzulamentieren und immer vom Ewiggestrigen zu erzählen, sondern wir sind hier, um Lösungen zu finden und Deutschland in eine gute Zukunft zu führen. Mindestabstände sind kein Teufelszeug, die sind okay; sie dürfen aber unsere Ziele nicht torpedieren.
Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, dass unsere Kinder und unsere Enkelkinder uns diesen Dank aussprechen werden. Das wird auch passieren.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Karsten Hilse ist der nächste Redner für die AfD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Regierung begibt sich mit ihrem Gesetz – Windkraft an Land – in eine unselige Tradition. In den 1930ern wollte das damalige Terrorregime die sogenannten Reichskrafttürme errichten, um fossile Energieträger nicht mehr zur Stromproduktion nutzen zu müssen und sich unabhängig von Rohstoffimporten zu machen. Der Plan scheiterte, da die dafür notwendigen Werkstoffe nicht vorhanden waren. Damals sollten die Reichskrafttürme direkt in die Städte gestellt werden. Heute zerstören deren Nachfolger unsere Kulturlandschaften und töten Hunderttausende Vögel und Fledermäuse.
Wenn es allerdings nach der grünen Bundesregierung ginge, würden diese Killermaschinen mitten in den Vorgärten der ländlichen Bevölkerung stehen. Den grünen Kommunisten, die faktisch die Regierungspolitik bestimmen, trotten die jämmerlichen Reste von Sozis und ehemals Liberalen nur noch hinterher. Zwar mimt Herr Lindner Herrn Kubicki, der sich während der letzten zwei Jahre immer wieder einmal gegen den Rest der Magentasozialisten stellte, wenn es um Grundgesetz und Impfpflicht ging; aber seine Worte fliegen dahin wie ein gelbes, verwelktes Blatt im Wind.
Wenn Herr Lindner zu Recht fordert, ergebnisoffen den Weiterbetrieb von Kernkraftwerken zu diskutieren und ein Verbot von Verbrennungsmotoren auszuschließen, dann schert das die „Die Partei, die Partei, die hat immer recht“ vor sich hin summenden grünen Kommunisten herzlich wenig. Sie gehen ihren Weg der Deutschlandzerstörung und Kriegstreiberei konsequent weiter.
({0})
Ob sie ihre Weisungen direkt von „Sleepy Joe“ bekommen, ob sie Überzeugungstäter oder einfach nur willenlose und für die Globalisten nützliche Idioten sind, spielt kaum eine Rolle. Das Wirken gegen die Interessen des deutschen Volkes ist nur verachtenswürdig.
({1})
An der Spitze dieser eiskalten Deutschlandvernichter steht das Duo Infernale, eine Außenministerin, die geschichtsvergessen dem deutschen Volk nach zwei verlorenen Weltkriegen Kriegsmüdigkeit vorwirft, und ein Wirtschaftsminister, der knallhart amerikanische, aber nicht deutsche Interessen vertritt.
Schon vor drei Jahren warnte ich hier, an dieser Stelle, dass die Klimareligion, die ja die Begründung für die heute eingebrachten Gesetze ist, nur als Vehikel dient, um sozialistische Verhältnisse einzuführen: Planwirtschaft, Mangelwirtschaft, Verelendung des Volkes,
({2})
Zerstörung der Natur und die Umerziehung der Menschen zu willenlosen, die Freiheit verachtenden Sklaven. So wie die Partei in George Orwells „1984“ erkannte, dass das Volk im permanenten Ausnahmezustand gehalten werden muss, damit es nicht auf die Idee kommt, den Weg der Regierung zu hinterfragen, so haben das auch die Kommunisten von heute erkannt. Die sinnlosesten und zerstörerischsten Gesetze, wie zum Beispiel das Windkraft-an-Land-Gesetz, können durchgesetzt werden, wenn das Volk nur ständig in Angst gehalten wird: Angst vor Covid, Angst vor Klimainferno, Angst vor Russland. Dann, so die Hoffnung der grünen Kommunisten, fällt den Menschen auch nicht auf, dass die nach außen propagierten Ziele aus den Gründungszeiten, Frieden und Umweltschutz, schon immer nur die Feigenblätter von Menschen waren, die letztendlich ganz andere Ziele hatten: Legalisierung der Pädophilie, Kampf gegen die Bourgeoisie,
({3})
Zerstörung menschlicher Bindungen, Einführung sozialistischer Verhältnisse. Von der Legalisierung der Pädophilie hat man sich gottlob, bis auf wenige Ausnahmen, verabschiedet. Die anderen Ziele werden heute mehr oder weniger offen verfolgt.
({4})
In der Zwischenzeit hat man sich potente Unterstützer gesucht und sie auch gefunden: weltweit agierende NGOs wie die Open Society Foundations von George Soros, verschiedene Stiftungen des World Economic Forum und natürlich die Wind- und die Rüstungslobby in Deutschland.
({5})
Jeder, der sich mit den grünen Kommunisten ins parlamentarische Bettchen legt, versündigt sich an unserem Vaterland. Jeder, der die Altparteien wählt, macht sich mitschuldig an der Zerstörung unserer Umwelt und unserer Lebensgrundlagen.
Ich bedanke mich.
({6})
Dem Kollegen Dr. Lukas Köhler gebe ich jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Kombination aus Wind- und Atomkraftlobby als neue unheilige Allianz – das habe ich selten gehört, Herr Hilse; aber Sie haben wenigstens ein bisschen Spaß ins Parlament gebracht. Wenn es auch nicht sinnvoll war.
Meine Damen und Herren, was wir tun müssen in einer Zeit wie dieser, ist, dafür zu sorgen, dass es mit diesem Land schnell vorwärtsgeht. Was wir gerade in hoher Geschwindigkeit tun, ist, dafür zu sorgen, dass das so ist.
({0})
Das hat aber ganz konkrete Auswirkungen, und das stellt uns vor ganz konkrete Fragen und Herausforderungen. Alle großen Studien – vom BDI, von dena, Agora Energiewende und allen anderen – besagen, dass wir dringend große Mengen erneuerbare Energien brauchen. Dass die günstig und nachgefragt sind, zeigt sich im Moment am Solarmarkt. Auf dem geht es im Moment nicht schnell genug voran, aber nicht, weil er kein Interesse geweckt hat, sondern, im Gegenteil, weil er so viel Interesse geweckt hat, dass ihm – wie es leider auch in vielen anderen Branchen der Fall ist – Chips und ganz viele andere Dinge zum Bau der Panels, zum Anbringen auf dem Dach usw. fehlen. Das große Problem wurde vom Kollegen Bergt richtigerweise schon erwähnt. Die Frage lautet zum einen: „Kriegen wir genügend Material?“, zum anderen aber auch: „Schaffen wir es, die Planungs- und Genehmigungsverfahren schnell durchzuführen?“
Das ist aber nur ein Teil des Problems. Ein anderer Teil des Problems beim Windenergieausbau betrifft die Frage: Wie viel Fläche haben wir zur Verfügung? Das ist ein wichtiger Aspekt. Die Studien, die ich gerade erwähnt habe, haben so ziemlich durch die Bank weg – Pi mal Daumen – eines gemeinsam und besagen: Wir brauchen in Deutschland 2 Prozent der Landesfläche, um dafür zu sorgen, dass wir mit genügend Wind in eine klimaneutrale Zukunft kommen.
({1})
Diese 2 Prozent sind richtig. Die wurden nicht nur in den Koalitionsvertrag geschrieben, sondern die standen auch schon im Sondierungspapier. Das ist völlig richtig. Man kann sich nicht die Hände vor die Augen halten und sagen: „Die Welt ist so, wie sie mir gefällt“, sondern ich muss natürlich auf die Bedenken und Sorgen der Menschen in diesem Land hören. Das sind Aushandlungsprozesse. Deswegen ist es richtig, auf der einen Seite zu sagen: „Ja, wir brauchen verbindlich 2 Prozent“, und auf der anderen Seite weiterhin dafür zu sorgen, dass es den Ländern erlaubt ist, ihre Raumordnungsverfahren, insbesondere mit der Länderöffnungsklausel, aufrechtzuerhalten,
({2})
sodass die Länder weiter ihre Planungen machen können. Es ist richtig, dass wir dafür sorgen, dass ein Kompromiss geschlossen wird zwischen dem notwendigen Fortschritt, den wir brauchen, und den Sorgen, die es in diesem Land gibt. Diese Gemeinsamkeit, die wir in dieses Gesetz geschrieben haben, ist ein guter und wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
({3})
Das ist aber kein Kompromiss, wie man ihn sonst oft kennt, meine Damen und Herren. Das ist nicht der kleinste gemeinsame Nenner, sondern das ist tatsächlich der richtige Weg in die Zukunft. Dafür stehen wir nicht nur mit dem Wind-an-Land-Gesetz, sondern mit den ganzen Gesetzespaketen, die zur Beschleunigung der Planungsverfahren, zu all dem, was jetzt nötig ist, heute im Bundestag sind und die wir in der kommenden Zeit durch den Bundestag bringen werden. Ich glaube, wir sind gut beraten, auf diesem Weg schnell weiterzugehen.
Vielen Dank.
({4})
Der Kollege Ralph Lenkert spricht für Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Die aktuelle Hitze, durchbrochen von Unwettern, macht uns die Dringlichkeit von mehr Klimaschutz erneut klar. Ohne Energiewende, ohne mehr Windenergieanlagen wird der Klimaschutz scheitern.
({0})
Union und FDP blockieren in meiner Thüringer Heimat wie die CSU in Bayern wider besseres Wissen die Errichtung von Windkraftanlagen. Durch starre Abstandsregelungen und das Beharren auf Tabuzonen verhindern sie den Ausbau der Windenergie.
({1})
Damit die Blockade der Union durchbrochen wird, ist ein Bundesgesetz notwendig, um Flächenausbauziele für Windkraftanlagen zu definieren. Und das unterstützt Die Linke.
({2})
Liebe Koalition, Ihr Gesetzentwurf hat trotzdem, positiv formuliert, viel Verbesserungspotenzial:
Erstens. Machen Sie klar, dass Abstandsregelungen durch viel zielgenauere Vorgaben aus dem Bundes-Immissionsschutzgesetz und der TA Lärm ersetzt werden.
Zweitens. Korrigieren Sie sich. Wieso braucht Bayern nur 1,8 Prozent seiner Fläche bereitzustellen, während Hessen und Thüringen 2,2 Prozent vorhalten müssen?
({3})
Jedes Bundesland muss seinen gerechten Anteil leisten, auch Bayern.
Drittens. Haben Sie eine Ahnung, wie aufwendig die Erstellung der regionalen Flächenplanung ist? Ich habe dies in Ost- und Mittelthüringen begleitet. Es ist falsch, in zwei Schritten die Flächenbeitragswerte für Windenergieflächen zu erreichen. Zweimal den gleichen Prozess zu durchlaufen, bindet unnötig die eh knappen Ressourcen bei den Behörden und den Dienstleistern und sorgt für Unsicherheit in den Regionen. Das muss in einem Schritt erledigt werden.
Viertens. Entscheidend für die Erreichung der Ziele ist die Akzeptanz in der Bevölkerung. Da hat das Ostergesetzespaket der Ampel gravierende Lücken. Führen Sie endlich einheitliche Netzentgelte ein, damit die Regionen mit viel Windenergieerzeugung beim Strompreis entlastet werden! Garantieren Sie allen Kommunen für zukünftige und bestehende Windräder auf ihren Flächen eine Vergütung von 0,5 Cent je erzeugter Kilowattstunde Windstrom!
Wieso sind die Truppenübungsplätze der Bundeswehr, die in Summe so groß sind wie das gesamte Saarland,
({4})
eigentlich tabu für Windräder?
({5})
Wieso darf die Luftwaffe ihre Tiefflugkorridore für Windkraftenergieanlagen sperren? Die Linke ist überzeugt: Auch die Bundeswehr muss ihren Anteil zur Energiewende leisten.
({6})
Als ehemaliger Wehrdienstleistender weiß ich: Armeen müssen realitätsnah üben. Windräder sind die zukünftige Realität in vielen Regionen.
({7})
Die Luftwaffe der Bundeswehr muss Deutschland auch in Schleswig-Holstein und in Brandenburg – überall dort, wo Windparks stehen – verteidigen können. Das muss sie üben.
({8})
Deshalb sind Windkraftenergieanlagen sowohl auf Truppenübungsplätzen als auch in Tiefflugkorridoren eigentlich unverzichtbar.
Vielen Dank.
({9})
Der Kollege Harald Ebner spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Dürre, Hitze, Waldbrände zeigen uns die anhaltende Verschärfung der Klimakrise und in Verbindung mit Russlands Angriffskrieg auch die Dringlichkeit einer schnellen Energiewende hin zu erneuerbaren Energien. Gleichzeitig geht das dramatischste Artensterben seit Menschheitsgedenken ungebremst weiter. Laut EU-Kommission sind 80 Prozent der Naturräume der EU in einem schlechten Zustand. Wir müssen deshalb beides tun: Klima schützen und Artenvielfalt retten.
({0})
Wir stellen uns heute dieser enormen Herausforderung. Zur Erhöhung der Ausbaubeschleunigung müssen viele Bremsen gelockert werden. Auch im Naturschutzrecht lassen sich Potenziale zur Verbesserung der Verfahrensabwicklung heben. Denn nicht der Schutz der Arten ist das Problem; die Rechtsunsicherheiten bei der Umsetzung vieler Verfahren führen zu Verzögerungen. Eine Herzkammer der heutigen Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes ist daher die Beschleunigung der Prüfverfahren bei kollisionsgefährdeten Brutvogelarten. Durch Standardisierung beseitigen wir Rechtsunsicherheiten und schaffen eine bundesweit einheitliche Umsetzung der artenschutzrechtlichen Vorgaben bei der Anlagengenehmigung. So entlasten wir Behörden und Gerichte.
Das im Einklang mit dem europaweit geltenden Artenschutzrecht zu erreichen, ist ein Balanceakt. Der vorgeschlagene Kompromiss zur Standardisierung mit definierter Artenliste und definierten Prüfabständen ist für manche Naturschützer eine Zumutung und in der Fachwelt nicht unumstritten; manche hätten gerne längere Artenlisten und größere Abstände. Aber es ist ein tragbarer Kompromiss, der die notwendige Balance, die ich genannt habe, wahren kann.
Damit die vorgenannten artenschutzrechtlichen Neuregelungen real, sachgerecht und EU-rechtskonform sind, legt der Bund künftig Artenhilfsprogramme auf. Sie sind die zweite Herzkammer dieser Neuregelung. Dabei gilt: Die eine Kammer pumpt nicht ohne die andere. Wir stabilisieren damit den Erhaltungszustand der Populationen windsensibler Tierarten und schaffen die Voraussetzungen, um die neuen Regelungen EU-rechtskonform auszugestalten.
Windkraft ist aber nicht hauptverantwortlich für den teils schlechten Erhaltungszustand mancher Vogelarten. Da gibt es viele andere Faktoren. Der Staat trägt deshalb eine Gesamtverantwortung. Diese Gesamtverantwortung nehmen wir auch dadurch wahr, dass wir das Artenhilfsprogramm mit Geldern in Höhe von 80 Millionen Euro ausstatten. Gleichzeitig werden die Windkraftbetreiber/-innen ihrerseits Finanzierungbeiträge zu diesen Programmen leisten.
({1})
Klima- und Artenkrise müssen gemeinsam gelöst werden. Ich sage Ihnen eines: Die Umsetzung der Artenhilfsprogramme muss jetzt genauso beschleunigt werden wie der Ausbau der erneuerbaren Energien. Nur wenn wir beides zusammen schnell anpacken, werden wir erfolgreich sein. Wir packen es an.
Danke schön.
({2})
Klaus Mack hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu kurz gesprungen und unausgegoren, so kann man die hier vorgelegten Gesetzentwürfe bezeichnen. Wir stehen vor einem kalten Winter, und die Energieversorgung dieses Landes sollte eigentlich die Hauptsorge dieser Bundesregierung sein. Putin dreht den Gashahn zu, und Sie verpassen die Chance, die regenerativen Energien umfassend auszubauen. Ihr Gesetzentwurf, der Teil des Osterpaketes ist, beschränkt sich auf die Windkraft. Photovoltaik ist nicht vorgesehen. Die Wasserkraft wollen Sie förmlich austrocknen. Sie beteiligen die Verbände nur selektiv und stoßen die Kommunen vor den Kopf. So macht man keine Politik für die Bürger und die Menschen in diesem Land, meine Damen und Herren.
({0})
Aber so ist es eben. Wenn man Osterpakete erst im Sommer öffnet, dann passiert es, dass im Osternest das eine oder andere faule Ei liegt.
({1})
Ich hätte nach der vollmundigen Ankündigung des Osterpakets einen umfassenden Aufschlag der Bundesregierung erwartet. Wenn wir jetzt zum Beispiel Ausgleichsflächen für die Windkraft neu regeln, warum dann nicht auch gleich die Ausgleichsflächen für die Freiflächenphotovoltaik? Sie könnten heute den Sonnenturbo einlegen und bei Freiflächenphotovoltaik ganz auf Ausgleichsflächen verzichten.
({2})
Warum muss man weitere wertvolle landwirtschaftliche Fläche stilllegen, wenn ganz Europa dringend Produktionsfläche für Nahrungsmittel braucht?
({3})
Unsere Bundesumweltministerin Steffi Lemke hat am Montag beim NABU noch gesagt, man dürfe den Windkraftausbau nicht gegen den Rotmilan ausspielen, Klimaschutz nicht gegen Biodiversität. Sie aber spielen die Wasserkraft gegen die Bachforelle aus und verpassen damit die Chance, die Energiewende umfassend zu gestalten.
Auch bei der Windkraft sind Sie entgegen großer Ankündigungen hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Die Frage ist doch: Was brauchen wir, um Artenschutz und Windkraft unter einen Hut zu bringen? Hier ist der Vogelschutz der entscheidende Punkt. Auch ein veränderter Rechtsrahmen muss dem europäischen Recht entsprechen. Beim Wolf ist Ihnen das ja immer ganz wichtig. Bei den Vögeln wiederum ignorieren Sie die Gutachten Ihres eigenen Hauses und legen willkürliche Abstandsregeln zu Nistplätzen fest. Aber es wäre fatal, jetzt Gesetze zu beschließen, die wir in einigen Jahren wieder einkassieren müssen. Das wäre ein Desaster für private Investoren und vor allem für die vielen Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, die sich für Bürgerenergiegenossenschaften engagieren. Politik muss hier verlässlich sein, meine Damen und Herren.
Ja, wir brauchen eine deutliche Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren. Deshalb ist es zu begrüßen, dass im Gesetzentwurf eine Liste mit kollisionsgefährdeten Brutvögeln enthalten ist, also Arten, von denen man ausgeht, dass sie per se einem Bau von Windrädern nicht entgegenstehen. Ich frage mich aber, warum so manche andere geschützte Art nicht enthalten ist, zum Beispiel die Fledermaus. Prüfen Sie doch mal, wie viele Windräder durch Fledermäuse verhindert wurden!
({4})
Wenn diese Tierart ausgenommen ist, wird von Ihrer Planungsbeschleunigung nicht viel übrig bleiben.
Herr Ebner – Sie haben es gesagt –, Sie schaffen ein aufwendiges Artenhilfsprogramm, das zudem die Windkraftbetreiber zusätzlich belasten wird. Es ist ein millionenschwerer Ausgleichsfonds, der nicht näher definiert ist. Der Windkraftausbau, den Sie vorschreiben wollen, soll dann auch noch 2 Prozent der Landesfläche umfassen, und das als pauschale Vorgabe. Damit hebeln Sie in einem Handstreich die kommunale Planungshoheit aus. Dabei sollten Sie doch die Bürger und Kommunen zu Partnern der Energiewende machen und nicht zu Gegnern.
Wir werden den Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes in den anstehenden Ausschussberatungen nachjustieren müssen. Energiewende ja, meine Damen und Herren, aber nicht mit der Brechstange und rechtssicher.
Vielen Dank.
({5})
Der Kollege Helmut Kleebank spricht jetzt zu uns für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, es gibt eine Klimakrise; die Kollegin Katrin Uhlig hat es ausgeführt. Ihnen, Herrn Hilse, hätte ich geraten, zugehört zu haben. Dann wüssten Sie nämlich, dass das Klimainferno, das Sie angedeutet haben, längst da ist, weshalb ich das nicht weiter vertiefen muss.
({0})
Es gibt aber auch das Artensterben, es gibt ein weltweites Waldsterben, es gibt ein weltweites Plastikproblem, und es gibt eine weltweite Wasserkrise. Diese greifen ineinander, bedingen zum Teil einander, aber sie haben auch Gemeinsamkeiten. Eine Gemeinsamkeit ist – das wurde schon mehrfach gesagt –: Wir haben nicht mehr viel Zeit. Das Zeitfenster für alle diese Probleme schließt sich. Wir müssen schnell handeln, und genau das machen wir mit diesem Paket, das heute hier zur Diskussion steht.
({1})
In der Analyse ist klar: Wir Menschen haben alle diese Krisen verursacht; das ist der schlechte Teil der Botschaft. Der gute Teil ist: Weil wir sie verursacht haben, können wir gegensteuern. Wir können etwas dagegen unternehmen. Wir haben die Kenntnisse, wir haben die Mittel in der Hand, und wir haben die Ressourcen. Lassen Sie es uns gemeinsam tun, meine Damen und Herren.
({2})
Wir müssen Tempo machen, und mit dem vorliegenden Gesetzespaket machen wir Tempo: durch die Vereinfachung bei Genehmigungsverfahren, durch die artenschutzrechtlichen Vorgaben – Herr Ebner hat das ausgeführt, und ich bin völlig bei ihm: das sind die richtigen Ansätze, auch wenn man vielleicht noch mal auf die Details schauen muss –, durch die Einführung der Schutzbereiche, die Regelannahmen, die Standardisierung und auch die Möglichkeit, einzugreifen, wenn man im Einzelfall doch zu einer anderen Beurteilung kommt, zum Beispiel im Sinne der Windkraft. Das sind wichtige Maßnahmen. Dies wird mit der Möglichkeit kombiniert, weitere Schutzmaßnahmen einzuführen, zum Beispiel die Nutzung von Antikollisionssystemen und gezielten Abschaltungen, unterstützt durch künstliche Intelligenz. Das ist die Zukunft. Die Systeme sind da, und sie funktionieren, meine Damen und Herren.
({3})
Die Lösung ist also der ausgewogene Ausbau, um nicht die eine Krise zu bekämpfen und die andere zu verschärfen. Das ist der Schlüssel.
Ich will da anknüpfend noch einmal ausdrücklich sagen: Ein anspruchsvolles Artenhilfsprogramm hilft nicht erst, wenn die Windräder da sind, sondern bereits jetzt. Das Geld, verteilt bis 2026, ist da. Das Bundesamt für Naturschutz hat schon jetzt den Auftrag, die Planungen aufzustellen, Artenhilfsprogramme zu entwickeln. Was mich besonders freut: Es gilt nicht ausschließlich für die geschützten Brutvogelarten, die in der Liste stehen, sondern kann darüber hinaus wirksam werden. Das heißt, es gibt einen echten Mehrwert für den Artenschutz. Das ist die weitere wichtige Botschaft.
({4})
Meine Damen und Herren, es ist schon angeklungen, aber ich will es noch einmal besonders hervorheben: Für uns sind erneuerbare Energien zutiefst soziale Energien.
({5})
Ich will das kurz begründen. Die bisherige Verwendung der Fossilen hatte auch positive Wirkungen. Sie hat zu Preisstabilität für die Kundinnen und Kunden geführt, zu sozialer Sicherheit und zu Versorgungssicherheit. All das haben wir viele Jahrzehnte genossen, und wir sehen, wie all dies zurzeit durch die Krisen, aber natürlich auch den Krieg in der Ukraine zerbröselt. Wir wissen, wir stehen da auf tönernen Füßen. Durch die Verwendung der erneuerbaren Energien, den flächendeckenden Ausbau und die umfassende Versorgung im Strombereich durch diese, wird genau das wieder eingeführt: eine stabile Versorgung, Preisstabilität und Bezahlbarkeit für alle.
In diesem Sinne wünsche ich dem Paket viel Erfolg – ich bin sicher, das wird es haben –, gerade auch in der Umsetzung.
Vielen Dank.
({6})
Ulrike Harzer ist die nächste Rednerin für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der heute hier vorliegende Gesetzentwurf zum Bundesnaturschutzgesetz setzt ein wichtiges Zeichen; denn die Energiewende werden wir ohne den Abbau von ökologischen Schutzstandards vorantreiben. Um die Energiewende naturverträglich zu gestalten, werden wir ein nationales Artenhilfsprogramm auflegen. Dieses Programm verbessert den Schutz derjenigen Arten, bei denen es Konflikte mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien gibt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir schaffen bundesweit einheitliche Standards für die artenschutzrechtliche Prüfung beim Bau von Windkraftanlagen. Wir gehen dazu bei der Neugestaltung des Bundesnaturschutzgesetzes zwei Bereiche an, erstens die Signifikanzprüfung und zweitens die Ausnahmeregelung. Mit unserem Entwurf erreichen wir eine einheitliche Vorgehensweise zur Überprüfung des Tötungsrisikos für Brutvögel durch Windkraftanlagen.
({0})
Wir werden deshalb regeln, wann das Tötungsrisiko erheblich ansteigt und wie artenschutzrechtliche Bedenken mit dem Ausbau der Windkraft in Einklang gebracht werden können. Mithilfe dieser Standardisierung vereinfachen wir die Genehmigungsverfahren und entbürokratisieren sie. Damit erleichtern wir die Vorbereitung und die Durchführung der artenschutzrechtlichen Prüfungen deutlich.
({1})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, durch die vorgegebenen Standards, die solche Anlagen erfüllen müssen, werden wir den Aufwand für Antragsteller und für Behörden verringern. Der vorliegende Entwurf ist damit ein wichtiger Start für die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren vieler wichtiger Windkraftprojekte unter Berücksichtigung des Natur- und Umweltschutzes. Als Koalition können wir damit optimistisch den Ausbau der erneuerbaren Energien in der Zukunft in Angriff nehmen.
Vielen Dank.
({2})
Bernhard Daldrup ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befinden uns, wenn wir über erneuerbare Energien reden, eigentlich nicht mehr im Bereich des Wünschbaren, sondern sozusagen im Bereich der Notwendigkeit. Und es wird, Herr Jung, sicherlich nicht das letzte Mal sein, dass wir über diese Fragen diskutieren. Christian Lindner hat ja von Freiheitsenergien gesprochen, und die CDU/CSU hat sicherlich auch eine Menge dazugelernt. Wenn man jetzt in den Koalitionsvertrag von Schwarz-Grün in Nordrhein-Westfalen schaut, sieht man: Dort ist all das weg, was vorher als völlig unmöglich galt:
({0})
die 1 000 Meter sind weg, die 1 500 Meter sind weg, selbst Waldflächen können jetzt genutzt werden. Es ist gut, wenn da etwas gelernt worden ist; das muss ich schon sagen.
Ich will an dieser Stelle aber auch sagen: Wenn Sie hier 27 Vorschläge machen, Herr Jung, dann ist das okay; das muss man sich tatsächlich mal angucken. Eine Nummer aber passt nicht: Wenn Sie hier von Versäumnissen sprechen, dann müssen Sie eigentlich ein schlechtes Gewissen haben, beispielsweise bei der Frage der Steuerfreiheit bei Nutzung der Solarenergie. Ich kann mich gut daran erinnern, wie das seinerzeit gewesen ist.
({1})
– Nein, das ist nicht ganz so gewesen. Ohne uns wäre das gar nicht auf den Weg gekommen. Da bin ich ziemlich sicher. Wir haben es nicht blockiert, Olaf Scholz auch nicht. – Jetzt habe Ihnen schon zu viel Zeit gewidmet.
Ich will auf Folgendes noch mal ausdrücklich aufmerksam machen: Wir sind ein föderales Land, und ich glaube, dass es notwendig ist, jetzt durch die Systematik von Bauleitplanung und Raumordnungsrecht die Windenergie zur Geltung zu bringen. Das schaffen wir, glaube ich, mit diesem Gesetzentwurf ganz gut. Das ist zumindest meine Auffassung. Ich will das an ein paar Punkten belegen.
Erster Punkt. Das Flächenziel von 2 Prozent hatten wir vor über 20 Jahren in der Landesentwicklungsplanung in Nordrhein-Westfalen stehen – diejenigen, die aus Nordrhein-Westfalen kommen, wissen das –, übrigens Vorranggebiete mit Ausschlusswirkung. Das war alles schon da, ist aber dann von denjenigen, die jetzt dazulernen, aufgegeben worden. Ich sage noch mal ausdrücklich: Das ist ein wichtiges Ziel.
Zweiter Punkt. Die Priorisierung bei der Abwägung ist von eminenter Bedeutung. Es wird maßgeblich zu Verfahrensverkürzungen beitragen, dass wir den Erneuerbaren im überregionalen öffentlichen Interesse jetzt den Vorrang einräumen.
Dritter Punkt. Wind an Land hat auch eine industrie- und arbeitsmarktpolitische Perspektive – auch für die Landwirtschaft, auch für gleichwertige Lebensbedingungen –, und dies enthebt uns der Notwendigkeit immer weiterer Energieimporte.
({2})
Der vierte Punkt, den ich ansprechen will, betrifft die Kommunen. Es ist keineswegs so, dass man die Kommunen vergessen würde. Gucken Sie sich die Stellungnahme der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände an! Sie begrüßen dieses Gesetz ausdrücklich, genauso wie Schwarz-Grün in Nordrhein-Westfalen alle Hoffnungen darauf setzt. Sehen Sie sich das an! Das steht alles in Ihrem Koalitionsvertrag dort. Sie können ja vielleicht mal eine Kopie davon nach Bayern schicken. Das wäre eine ganz gute Geschichte.
Ich glaube, dass wir einen letzten Punkt ansprechen müssen, nämlich die Besorgnisse in der Bevölkerung beim Thema Windenergie. In diesem Zusammenhang ist mir relativ wichtig, zu sagen, dass abstrakte Zustimmung und konkrete Betroffenheit häufig auseinandergehen. Deswegen ist es wichtig, beim Haben und beim Sagen mitbestimmen zu können.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.
Sagen ist das eine, Haben ist das andere. Deswegen ist es, glaube ich, auch notwendig, dass wir, wie das Bundesverfassungsgerichts geurteilt hat, die Kommunen in Zukunft an den finanziellen Auswirkungen beteiligen. Auch das wird ein Beratungspunkt sein.
Herzlichen Dank.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gleich drei zentrale Vorhaben wollen wir mit diesem Gesetzentwurf zum Abschluss bringen. Sie sind Teil eines großen Paketes. Hiermit zeigen wir: Ja, wir liefern. Wir brauchen dringend Antworten auf die großen Krisen im Energiebereich. Wir müssen die Klimakrise lösen, und zwar durch eine andere Energiepolitik. Wir müssen aber auch Antworten finden auf die große Krise, die Putin ausgelöst hat, im Hinblick auf Bezahlbarkeit von Energie und Versorgungssicherheit. Dafür brauchen wir vor allem den Ausbau der erneuerbaren Energien und mehr Energieeffizienz.
({0})
Doch der Ausbau der erneuerbaren Energien kann nicht für sich alleine stehen. Er muss in ein System eingebettet sein, das funktioniert. Der Strommarkt muss dazu passen, aber auch viele andere Dinge. Entsprechende Maßnahmen haben wir mit diesem Gesetzentwurf entscheidend vorangebracht.
Ich nenne Beispiele: Wir brauchen ein belastbares Stromnetz so dringend wie nie zuvor. Wir brauchen es, weil wir mehr Erneuerbare transportieren müssen. Wir brauchen es, weil die Gaskraftwerke nicht mehr die sichere Option sind, wie noch vor Kurzem geglaubt. Wir brauchen belastbare Stromnetze, weil wir aufgrund der Auswirkungen des Angriffskriegs Putins im Ausland nicht mehr so leicht Reservekraftwerke kontrahieren können. Deswegen haben wir eine ganze Reihe von entscheidenden Verbesserungen eingebracht.
Wir werden neue Stromleitungen einsetzen, die wir brauchen. Wir erreichen außerdem eine spürbare Beschleunigung des Ausbaus durch pragmatische Planungskonzepte, Verschlankung der Verfahren, Stärkung des Bündelungsgebots entlang der Bestandstrassen, digitalisierte Beteiligung und vorzeitigen Baubeginn. Wir erzielen auch Verbesserungen in der Systemoptimierung, das heißt, wir können die Bestandsnetze künftig besser ausnutzen; denn wir haben eine Änderung zum Umgang mit der TA „Lärm“ eingebracht. Liebe Übertragungsnetzbetreiber, ihr habt uns immer gesagt, dass ihr das braucht, um das Bestandsnetz besser auszunutzen. Ich rufe Sie dazu auf: Nutzen Sie das jetzt!
({1})
Wir haben auch die Aufnahme von Wasserstoffleitungen in das Verteilernetz als überragendes öffentliches Interesse in diesem Gesetzentwurf verankert.
Ich bin überzeugt: Wir haben mit diesem einen Gesetz – es wird nicht das letzte sein – mehr Beschleunigung in den Ausbau der erneuerbaren Energien gebracht als die letzte Regierung mit, ich glaube, drei oder vier Planungsbeschleunigungsgesetzen.
({2})
Aber es geht nicht nur um den Netzausbau. Es geht auch darum, konkrete bürokratische Hindernisse abzubauen. So gab es Probleme mit der Zertifizierung von PV-Anlagen; viele von Ihnen sind bestimmt schon darauf gestoßen. Fertige Anlagen konnten nicht ans Netz genommen werden; das wurde zum Beispiel am 11. Mai im „Handelsblatt“ ausführlich beschrieben. Jetzt, nur einen guten Monat später, legen wir den fertig formulierten Vorschlag, der dieses Problem lösen wird, als Gesetzentwurf auf den Tisch. Das ist schneller Bürokratieabbau.
({3})
Auch beim Ausbau der Smart Meter geht es voran durch eine klare Zuordnung der Festlegungskompetenz bezüglich der energiewirtschaftlich relevanten Mess- und Steuerungsvorgänge. Durch das neue Konzept „Nutzen statt Abschalten“ kann der sonst vor einem Netzengpass abgeregelte Strom endlich leichter genutzt werden, nicht nur bei der KWK, sondern auch in anderen Wärmeprozessen. Und ja, wir richten auch die Netzplanung für Strom und Gas künftig an der Klimaneutralität aus, damit die verschiedenen Systeme ineinandergreifen und zusammenpassen.
Dieser Gesetzentwurf beinhaltet aber nicht nur für die Energiewende, sondern auch für den Verbraucherschutz Maßnahmen. Wir schaffen mehr Klarheit und stärken die Kundenrechte. Unrechtmäßige Kündigungen von Stromlieferverträgen, wie wir es dieses Jahr gesehen haben, werden so künftig nicht mehr möglich sein. Und das ist gut so.
({4})
Wir lösen ein weiteres Problem beim Verbraucherschutz, und zwar an den Tankstellen. Künftig stehen den Kartellbehörden umfangreichere Daten zur Verfügung, um Missbrauch festzustellen, wenn die Erdölpreise an den internationalen Märkten fallen oder ein Tankrabatt eingeführt wird und das bei den Kunden an den Tankstellen nicht ankommt. Auch da wird die Handlungskompetenz gestärkt.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das wird nicht der letzte Gesetzentwurf in diesem Bereich bleiben. Wir haben zahlreiche Verbesserungen eingebracht. Jetzt ist nicht die Zeit, sich in die Schützengräben zu legen und auf Kosten inhaltlich guter Lösungen politisch punkten zu wollen. Die Lage ist ernst. Deshalb werbe ich sehr um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf und darum, dass wir die Beratung zu weiteren Gesetzen in dieser Verantwortung führen.
Danke.
({6})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt Fabian Gramling das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern haben wir sehr ausführlich über die aktuelle Versorgungslage in Deutschland diskutiert und wiederholt von der Ampel ein Ammenmärchen aufgetischt bekommen. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsparteien, wer der CDU vorwirft, dass wir im Sommer 2021 bereits auf die Gasmangellage hätten reagieren müssen, dem kann und muss man hier heute den Spiegel vorhalten und die Frage stellen: Auf welcher Seite Ihres Koalitionsvertrages, der Ende des Jahres 2021 unterschrieben wurde, thematisieren Sie denn die Gasmangellage, und warum hat der Wirtschaftsminister im Januar dieses Jahres bei der groß inszenierten Eröffnungsbilanz noch voll auf Gas als Energieträger gesetzt, wenn die Gasmangellage im Sommer 2021 scheinbar schon absehbar gewesen sein soll?
({0})
Ich will nicht bestreiten, dass man manche Dinge in den vergangenen 16 Jahren hätte anders machen können. Aber ich möchte die Ampelparteien darauf hinweisen: Ihr selbstgesteckter Anspruch kann nach gut einem halben Jahr Regierungszeit als vieles, aber nicht als erfolgreich bezeichnet werden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Mitte März, drei Wochen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, haben wir hier im Bundestag das Gasspeichergesetz beschlossen. Bereits damals habe ich in meiner Rede darauf hingewiesen, dass wir die Gasverstromung sofort reduzieren müssen, um die Gasspeicher zu füllen. Jetzt, nach über drei Monaten, ist die Regierung endlich aufgewacht und auch zu dieser Erkenntnis gekommen. Bereits damals habe ich die Regierung aufgefordert, nicht nach dem Wunsch-Case-Szenario, sondern nach dem Worst-Case-Szenario zu handeln. Die Tatsache, dass Kohlekraftwerke laut dem ersten Entwurf erst ab dem 1. November als Gasersatz und mit der Vorhaltung der Reserven ans Netz gehen sollen, verdeutlicht wieder einmal das zögerliche Handeln der Regierung.
Sehr geehrte Damen und Herren von der Koalition, Sie können noch so oft erzählen, wie toll Sie sind. Aber glauben Sie mir, die Menschen in unserem Land merken den Unterschied zwischen großen Ankündigungen und der tatsächlichen Regierungsarbeit – beim Impfchaos, beim Tankrabatt und bei der Versorgungssicherheit.
({1})
Die CDU/CSU-Fraktion hat in den letzten Monaten mehrfach gezeigt, dass wir in dieser herausfordernden Zeit bereit sind, mit der Regierung konstruktiv zusammenzuarbeiten, auch bei diesem Gesetz. Einige Punkte sind zwar aus unserer Sicht nicht zu Ende gedacht; aber die Maßnahmen gehen in die richtige Richtung. Deshalb werden wir diesem Gesetzentwurf auch zustimmen.
Ein Punkt ist mir dabei persönlich wichtig, und zwar die Planungsbeschleunigung. In der Großen Koalition haben wir hier bereits Initiativen gestartet; denn wir müssen in Deutschland von der Planung bis zur Realisierung eines Projektes schneller werden. Die SuedLink-Stromtrasse verdeutlicht das Problem. Sie endet bei mir im Wahlkreis vor den Toren Heilbronns und soll erst 2028 fertiggestellt werden. Der Ausbau der Netze muss aber mit dem Ausbau der Erneuerbaren Hand in Hand gehen; nur so kann die Versorgungssicherheit wirklich gewährleistet werden. Deshalb brauchen wir den Turbo bei der Planung und der Genehmigung.
Aber diesen Turbo brauchen wir nicht nur bei den Stromtrassen, sondern dringend auch bei allen anderen Infrastrukturprojekten in unserem Land.
({2})
Deshalb ist es für mich unerklärlich, warum im vorliegenden Gesetzentwurf das überragende öffentliche Interesse bei Wasserstoffleitungen nur bis Ende 2025 gelten soll. Liebe Ampelparteien, gerade im Sinne eines dringend notwendigen Wasserstoffhochlaufs brauchen wir hier ein deutliches Signal. Oder sind Sie der Meinung, dass in Zeiten von Fachkräftemangel, von Lieferproblemen, von Materialknappheit bis 2025 ein zukunftsfähiges Wasserstoffnetz in Deutschland aufgebaut ist? Die so oft geforderte Planungssicherheit geben Sie Projektentwicklern damit auf jeden Fall nicht.
Die Politik beginnt, wie wir alle wissen, häufig mit der Betrachtung der Wirklichkeit. Wenn die Sanierung von Häusern, das Verlegen von Glasfaserleitungen oder der Bau von Wohnungen insbesondere durch den Fachkräftemangel ausgebremst werden, dann ist es für mich unerklärlich, wie ein Staatssekretär in diesen Zeiten die Betreiber auffordern kann, die Gasverteilnetze zurückzubauen. Denn erstens werden heutzutage in jedem Neubau Leerrohre verlegt, und zweitens können viele Gasleitungen auf Wasserstoff umgestellt werden. Immerhin hängen 1,8 Millionen Industrieunternehmen und andere Gewerbekunden an diesem Netz und können in Zukunft mit Wasserstoff versorgt werden.
Auf der anderen Seite beschwert sich ein Parlamentarischer Staatssekretär beim „Handelsblatt“-Wasserstoff-Gipfel vor zwei Wochen, er könne stundenlang erklären, warum wir so hohe Hürden haben, warum alles so lange dauern und warum wir sinnvolle Entwicklungen verhindern würden. Lieber Herr Staatssekretär Krischer, wer vor Ort seine Klientel motiviert, alle erdenklichen Möglichkeiten in einem Rechtsstaat zu nutzen, um Projekte auszubremsen und auch zu verhindern, der braucht sich in Berlin nicht vor die Kameras zu stellen und zu beklagen, dass es in Deutschland so langsam vorangeht. Das ist keine seriöse Politik, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({3})
Erlauben Sie mir eine Anmerkung: Wenn ich Twitter Glauben schenken darf, darf ich an dieser Stelle Herrn Krischer herzlichen Glückwunsch zur Nominierung als Umwelt- und Naturschutzminister übermitteln und ihm viel Erfolg dabei wünschen, dass er in Zukunft Projekte für die Menschen in NRW zügig und schnell umsetzen wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dem vorliegenden Gesetz stimmen wir zu – nicht aus innerer Überzeugung, sondern aus Verantwortungsbewusstsein in dieser herausfordernden Zeit.
Vielen Dank.
({4})
Markus Hümpfer hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Union, ich glaube, ich kann schon behaupten, dass wir unserem selbstgesteckten Anspruch durchaus gerecht werden. Wir agieren hier im Krisenmodus und stellen die Versorgungssicherheit für die Bürgerinnen und Bürger, für uns alle ständig sicher.
({0})
Damit die Energiewende gelingt, braucht Deutschland eine Regierung mit Herz.
({1})
Herr Gramling, Sie haben ja gesagt, wir beweihräucherten uns immer selbst. Aber es ist auch so: Es braucht eine Regierung, die sich ein Herz nimmt und zupackt, eine Regierung, die beschleunigt und nicht bremst,
({2})
die Ergebnisse liefert und nicht nur Ankündigungen macht.
({3})
Es braucht aber auch eine Regierung, die das Herz am richtigen Fleck hat, die die enormen Anstrengungen der Energiewende fair verteilt, die bei aller klimapolitischer Notwendigkeit versteht, dass in diesem Land nicht ökologische Fußabdrücke, sondern Menschen leben.
({4})
Diese Regierung, Herr Spahn, hat Deutschland mit der Ampel bekommen. Mit der Novelle zum Energiewirtschaftsgesetz zeigen wir, wofür und in welchem Takt unser Herz schlägt. Unser Herz schlägt für die Energiewende.
({5})
Aber – das ist das Entscheidende – unsere Liebe zur Energiewende macht uns nicht blind. Uns ist bewusst, dass der Teufel bei vielen Dingen im Detail steckt. Manchmal ist das Detail 50 Meter hoch, aus Stahl und trägt mindestens drei Leiterseile. Ich rede von den Stromtrassen, die unser Stromnetz tragen.
Zu lange hat die Öffentlichkeit nur auf den Ausbau der Übertragungsnetze geschaut. Das bezieht sich auf die höchste Spannungsebene mit den längsten Distanzen. Aber der wahre Engpass zeichnet sich aufseiten der darunterliegenden Spannungsebene ab, in den Verteilnetzen mit einer Spannung von 110 Kilovolt. Hier hakt es vorne und hinten.
Immer häufiger passiert es, dass zusätzliche erneuerbare Energien nicht angeschlossen werden können, weil die Kapazitäten in den Verteilnetzen fehlen. Ein Beispiel: Da gibt es eine schöne neue Photovoltaikanlage auf dem Dach. Aber der Versorger sagt: Sorry, das Netz ist voll. Aber 2030 soll es neue Leitungen geben. Komm doch dann wieder. – Da sagen wir ganz klar: Das kann doch nicht unser Ernst sein in Deutschland, meine Damen und Herren.
({6})
Wir müssen die erneuerbaren Energien so schnell wie möglich ausbauen und ans Netz anschließen.
({7})
Deswegen müssen wir auch die Verteilnetze so schnell wie möglich ausbauen. Damit das passiert, haben wir festgehalten, dass auch der Ausbau der Verteilnetzebene ein überragendes öffentliches Interesse darstellt.
({8})
Wir haben alle ein Interesse daran, dass die Energiewende so schnell wie möglich kommt, egal ob unter Klima- oder Sicherheitsaspekten. Wir wissen aber auch, dass das beste Stromnetz der Welt nicht reichen wird, damit unsere Industrie in Deutschland kurzfristig klimaneutral wird. Wir müssen also viel mehr verschiedene Technologien verbinden.
({9})
Wir brauchen deswegen auch dringend eine funktionierende Wasserstoffinfrastruktur – wer hätt’s gedacht!
({10})
Deswegen schreiben wir fest, dass auch der Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur – Herr Gramling, das haben Sie richtigerweise gesagt – im überragenden öffentlichen Interesse ist,
({11})
aber nur bis 2025. Diese Befristung ist eine Entwarnung an alle, die Angst haben, wir würden auch für den Wasserstoff dauerhaft die Balance der Güterabwägung verändern.
({12})
Sie ist gleichzeitig eine Erinnerung an die Politik und an die Industrie,
({13})
dass der Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur nicht auf die lange Bank geschoben werden darf. Wir brauchen sie so schnell wie möglich.
({14})
Unser Herz schlägt für die Energiewende, und es schlägt für Technologieoffenheit. Es schlägt aber auch für jeden und jede hier im Saal. Damit meine ich nicht nur die Damen und Herren Abgeordneten, sondern auch Sie alle auf der Zuschauertribüne. Wir alle sind Bürgerinnen und Bürger. Wir alle sind Verbraucherinnen und Verbraucher und als solche zurzeit einem Markt ausgeliefert, der unvorstellbare Preise mit sich bringt, einem Markt, der zum Teil unvorstellbares Marktverhalten zeigt.
Wir haben uns an dieser Stelle schon mal über Lieferanten wie Stromio unterhalten, die ihre Kunden einfach im Regen stehen lassen, wenn die eigene Spekulation nicht aufgeht. Solche Firmen kaufen Strom kurzfristig ein und spekulieren, dass das günstiger ist als bei langfristigen Verträgen. Wenn sich der Wind dann dreht, kündigen sie einfach ihren Kunden oder scheiden aus dem Markt aus. Das ist nicht nur herzlos, sondern das ist eine riesige Sauerei, meine Damen und Herren.
({15})
Wir schützen die Kundinnen und Kunden in Zukunft, indem wir das plötzliche Ausscheiden aus dem Markt unterbinden. Hinzu kommt, dass wir ihnen einen pauschalisierten Mindestschadensersatz an die Hand geben. Sie haben damit einen Rechtsanspruch gegen den Lieferanten, der sie im Regen hat stehen lassen. Die Unternehmen werden sich künftig genau überlegen müssen, ob sie diesen Schritt trotzdem gehen wollen. Wenn doch, dann ist es für die Verbraucher künftig einfach, den Schadensersatz einzufordern. Das, meine Damen und Herren, ist Verbraucherschutz. Das ist Politik für die Menschen in diesem Land. Das ist Politik mit Verstand und mit Herz.
({16})
Dieses Herz, das Herz der Ampel, schlägt für die Energiewende. Es schlägt für Technologieoffenheit, es schlägt für Verbraucherschutz, und damit schlägt es am Puls der Zeit und im Pakt von Fortschritt und Fairness. Ich finde, es ist damit genau am richtigen Fleck, und deshalb werbe ich für Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
Vielen Dank.
({17})
Steffen Kotré spricht jetzt für die AfD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Herz der Ampel schlägt leider nicht für Technologieoffenheit – Stichwort „Kernenergie“ oder auch Stichwort „Wasserstoff“. Wasserstoff sei jetzt – das ist von Frau Dr. Nestle gesagt worden – von überragendem öffentlichem Interesse. Eine Technologie so hoch zu hängen, kann niemals von öffentlichem Interesse sein.
({0})
Von öffentlichem Interesse müsste es sein, das energiepolitische Zieldreieck im Blick zu halten, nämlich eine preiswerte, sichere und umweltschonende Energieversorgung in Deutschland. Eine solche haben wir leider nicht mehr.
Richtig, wir haben eine Energiekrise. Aber diese Energiekrise ist nicht vom Himmel gefallen, sondern ist von den Bundesregierungen hier bei uns gemacht worden; das ist völlig klar. Wenn ich das Gut Energie künstlich verknappe, indem ich die Kapazitäten herunterfahre, nämlich indem ich die Kernenergie zerstöre und die Kohlekraftwerke nach und nach vom Netz nehme, dann ist völlig klar, dass wir hier höhere Preise haben. Dafür sind diejenigen verantwortlich, die dieses Gut verknappen.
Stichwort „Klimaerwärmung“: Ich habe auch heute hier bei den Rednern am Rednerpult ständig so etwas wie Hysterie wegen der Klimaerwärmung gespürt. Ja, das Klima erwärmt sich. Aber wir dürfen doch nicht in Hysterie verfallen, sondern wir müssen uns überlegen, wie wir damit umgehen. Wenn wir das tun, dann kommen wir automatisch wieder zur Kernenergie. Das ist doch ganz logisch und liegt auf der Hand. Aber so viel CO2 muss dann vielleicht doch nicht eingespart werden, so schlimm ist das Ganze dann vielleicht doch nicht, da man die Kernenergie hier außen vor lässt. Das ist nicht ganz nachvollziehbar.
({1})
Hier ist von Planungsbeschleunigungen die Rede, von einem pragmatischen und beschleunigten Ausbau. Na ja, dabei wird hier dann wohl die Rechtsstaatlichkeit auf der Strecke bleiben. Jeder Häuslebauer muss sich verantworten, wenn er etwas zubaut, aber die Großindustrie darf jetzt in die Vollen gehen, und es dürfen sogar Enteignungen vorgenommen werden. Auch dann, wenn noch Einsprüche eingelegt worden sind, darf schon losgelegt werden. Das ist ein Abbau von Rechtsstaatlichkeit, meine Damen und Herren, nichts anderes.
({2})
Wenn Herr Wirtschaftsminister Habeck die Kernenergie verhindern möchte und das mit Unwahrheiten begründet, nämlich dass jetzt die Sicherheitsanforderungen nicht mehr erfüllt seien, dann wird er widerlegt. Oder wenn er sagt, dass man keine Brennstäbe beschaffen könne, wird er widerlegt. Schauen Sie bitte ins „Handelsblatt“, schauen Sie sich die bayerischen Studien zu Isar 2 an, oder hören Sie auf die eigenen Experten aus dem Haus des Wirtschaftsministers. Alle widerlegen die Bedenken gegen eine Fortführung der Kernenergie. Nein, wir können sie weiterführen, und wir müssen sie sogar weiterführen. Das hat die AfD schon immer gesagt.
({3})
Langsam bricht sich diese Erkenntnis auch Bahn. Also, ich gehe davon aus, dass wir in fünf Jahren darüber nicht mehr zu reden brauchen. Alle um uns herum sind schon aufgewacht und wissen ganz genau: Das ist die Zukunftstechnologie.
Vielen Dank, Herr Kollege.
In fünf bis zehn Jahren wird das auch in Deutschland so sein.
Vielen Dank.
({0})
Konrad Stockmeier spricht jetzt für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Der Hochlauf der erneuerbaren Energien kann selbstverständlich nur dann funktionieren, wenn er mit einem starken Netzausbau einhergeht. Der Netzausbau ist das Rückgrat, und dafür gehen wir heute mit der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes einen ersten ganz wichtigen Schritt – sozial ausgewogen, technologieoffen, zukunftsorientiert.
Lassen Sie mich kurz darauf eingehen, welche Punkte aus Sicht der Freien Demokraten besonders erfreulich sind:
Erstens erreichen wir mit dieser Novellierung, Verfahren entscheidend zu beschleunigen. Dabei machen wir keine qualitativen Abstriche, sondern wir vermeiden so etwas wie unnötige Doppelprüfungen derselben Tatbestände. Da bringen wir also Tempo hinein. Das eine oder andere digitalisieren wir auch an dieser Stelle. Das ist eine gute Nachricht.
({0})
Der zweite Punkt, der den Freien Demokraten an dieser Stelle besonders wichtig ist, ist, dass der Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur nun auch von übergeordnetem nationalem Interesse ist.
({1})
Und keine Sorge, die Befristung bis 2025 ist der Tatsache geschuldet, dass noch ein entsprechender Wasserstoffnetzentwicklungsplan aufs Gleis gesetzt wird. Dadurch wird die Befristung dann hinfällig sein. Den Herren von der Union kann ich nur sagen: Reden Sie beispielsweise mit thyssenkrupp. Dieses Unternehmen hat schon längst eine solche Strategie aufs Gleis gesetzt. Die wissen schon, wo sie ihr Geld hineinstecken, die sind auf dem richtigen Weg.
Übrigens sei bezüglich der Wasserstoffinfrastruktur auch der Hinweis gestattet, dass aus den Reihen der Übertragungsnetzbetreiber zu hören ist: Um Gottes willen, vernachlässigt uns jetzt nicht die Erdgasnetze. Sollten wir diese wasserstoff-ready kriegen, werden wir sie unbedingt brauchen, um viel Energie vom Norden in den Süden zu transportieren; da geht es um den Aufbau großer Elektrolyseure an der Küste. Denn die Energiedichte, die dann in den Gasnetzen vorhanden ist, wenn Wasserstoff durchfließt, ist ganz erheblich.
({2})
Ein weiterer Punkt, der für die Freien Demokraten sehr erfreulich ist, ist, dass wir mit dieser Novellierung auch die Speicherdefinition der EU im deutschen Energiewirtschaftsrecht verankern. Das wird der Auftakt zu einer ganz wichtigen, ganz zentralen Erarbeitung einer Speicherstrategie sein, an der wir uns als Freie Demokraten gerne sehr konstruktiv beteiligen und die wir vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz auch einfordern werden. Die Speicherdefinition ist der entscheidende Punkt dafür, dass wir bei der Speicherung überhaupt vorankommen. Ich hatte in diesen Tagen die Gelegenheit, mit einem Player im Markt zu sprechen, der aufgezeigt hat, welche Potenziale wir im kommunalen Wärmemanagement, im Quartiersmanagement haben. Wenn wir dieses Tor öffnen, dann können die Erneuerbaren, wenn wir sie mit starken Speichern kombinieren, auch grundlastfähig werden, dann können wir der Realisierung der erneuerbaren Energien, der Freiheitsenergien, einen entscheidenden Schritt näher kommen.
Als passioniertem Europapolitiker gestatten Sie mir zum Abschluss die Bemerkung, dass wir mit dem Netzausbau auch einen wichtigen Beitrag zur stärkeren Integration des europäischen Strommarktes leisten.
Ich möchte, weil wir hier gemeinsam an einem Strang ziehen, an dieser Stelle durchaus auch der CDU/CSU-Fraktion danken, dass sie diesem Gesetzesvorhaben zustimmt. Die Öffentlichkeit darf ruhig erfahren, dass wir insbesondere im Ausschuss für Klimaschutz und Energie bei diesen energiepolitischen Fragen, die wirklich von großer Bedeutung sind, immer wieder konstruktiv zusammenarbeiten.
Schönes Wochenende!
Vielen Dank.
({3})
Moment, noch nicht: Schönes Wochenende! Wir arbeiten ja noch weiter. Nicht dass jetzt alle auf einmal gehen.
({0})
Jetzt gebe ich noch Ralph Lenkert für Die Linke das Wort
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Im letzten Herbst explodierten die Strompreise,
({0})
weil sich einige Spekulantinnen und Spekulanten verzockt hatten und andere sich wegen Gesetzeslücken Extraprofite ergaunerten. Dass Sie Spekulation zukünftig erschweren, begrüßt Die Linke.
({1})
Als Techniker denke ich vom Ergebnis her – das sollte die Ampel auch. Letztes Jahr gab es erstmals eine komplette Studie der Deutschen Energie-Agentur für ein klimaneutrales Energiesystem. Die Erkenntnisse dieser Studie blendet dieses Gesetz aus. Gerade wird bei der Bundesnetzagentur erstmals ein realistischer Szenariorahmen für das Stromnetz erstellt, und die Zusammenbetrachtung von Strom-, Gas- und Wärmenetzen wurde noch immer nicht durchgeführt.
Die Ampel will hier einen Plan zum Stromleitungsbau beschließen auf Grundlage von völlig veralteten Daten und sogar bei fehlenden Daten. Notwendige Energiespeicher und Reservekapazitäten für Dunkelflauten sind nicht ausreichend berücksichtigt, die geplante Wasserstoffinfrastruktur ist nicht berücksichtigt. Die Wirkung einer dezentralen Erzeugung erneuerbarer Energien ist nicht eingerechnet, und die Stromhändler brauchen weiterhin nicht die von ihnen verursachten Kosten zu zahlen. So sichert die Ampel nicht die zukünftige Energiesicherheit, sondern nur Extraprofite von 50Hertz, TenneT, Amprion und TransnetBW in Höhe von mindestens 1,6 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist zumindest fahrlässiges Versagen.
({2})
Ich fordere Sie auf: Erlassen Sie ein sofortiges Moratorium zum Stopp des Übertragungsnetzausbaus. Die Steuern und die Abgabenstruktur stammen aus dem konventionellen Energiezeitalter – sie behindern und verteuern ein erneuerbares Energiesystem. Die Linke will die Abgabenstruktur an ein erneuerbares Energiesystem anpassen, dann verringert sich auch der technisch benötigte Stromnetzbedarf deutlich. Folgen Sie uns!
({3})
Wir werden dieses Gesetz ablehnen, weil es in Summe schwere Hindernisse in den Weg hin zu einer klimaneutralen Energieversorgung legt und unnötige Strompreiserhöhungen verursacht.
Vielen Dank.
({4})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es geht um das Mandat EUFOR Althea, nicht um Atalanta. Es ist ganz wichtig, das noch einmal deutlich zu machen; denn es geht um Bosnien-Herzegowina. Darauf werde ich jetzt gleich eingehen.
Mir ist es wichtig, zuallererst zu sagen: Ja, der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine beschäftigt uns alle sehr intensiv, und das ist auch wichtig und richtig so. Nichtsdestotrotz dürfen wir andere Regionen in dieser Welt und gerade auch in Europa nicht aus den Augen verlieren. Und der Westbalkan gehört dazu. Deswegen ist das so wichtig. Ich möchte Ihren Blick heute insbesondere auf die Situation in Bosnien-Herzegowina richten. Dort waren wir von 2004 bis 2012 als Bundeswehr bei EUFOR Althea engagiert. Wir waren bei diesem Mandat dabei. Wenn man mit politisch Verantwortlichen oder auch mit Bürgerinnen und Bürgern vor Ort spricht, dann merkt man, dass dieses Mandat ein in der Bevölkerung sehr hoch anerkannter Garant für Sicherheit und Frieden in Bosnien-Herzegowina, aber auch in der ganzen Region war.
Heute bringen wir ein Mandat ein, das an dieses erfolgreiche Agieren von 2004 bis 2012 anknüpft. Wir schlagen Ihnen vor, dass wir uns an diesem Mandat wieder beteiligen. Nun stellt sich die Frage: Warum? Warum jetzt, zehn Jahre später? Ich kann Ihnen das genau sagen: Die Sicherheitslage hat sich insgesamt in Bosnien-Herzegowina nicht drastisch verändert. Natürlich spielen die Folgen des Krieges noch heute eine Rolle. Gerade ethnische Spaltungen prägen immer noch den Alltag. Sie dominieren Politik und blockieren zum Teil Fortschritt und Reformen. Die bosnisch-serbische Republika Srpska strebt nach Unabhängigkeit. Das alles sind Faktoren, die vor Ort eine Rolle spielen und befürchten lassen, dass das, was man auf gutem Wege gesehen hat, nämlich Frieden und Stabilität in diesem Land, in dieser Region zu gewährleisten, in Gefahr ist. Insbesondere angesichts der Wahlen, die jetzt im Oktober anstehen, möchten wir einen Beitrag dazu leisten, dass diese Wahlen auch frei, geheim und demokratisch durchgeführt werden können. Deswegen schlagen wir Ihnen vor, uns an diesem Mandat erneut zu beteiligen, meine Damen und Herren.
({0})
Wie stellen wir uns das vor? Wir möchten uns gern beteiligen an sehr erfolgreichen Operationen von Verbindungs- und Beobachterteams. Das sind Teams, die heute schon von vielen Nationen gestellt werden. Sie sind vor Ort präsent, suchen den Austausch mit der Bevölkerung und gewinnen so ein sehr wertvolles Bild über die aktuelle Situation, über das ganze Land verteilt, knüpfen Kontakte und können dann eben auch, wenn regional unterschiedlich bestimmte Entwicklungen spürbar werden, frühzeitig gegensteuern. Das ist der Beitrag, den wir leisten wollen. Sie beraten die Menschen vor Ort und die Behörden, auch in Bezug auf Fragen der Sicherheit. Genau das hat sich bewährt, von vielen Nationen getragen. Wir würden uns ebenfalls hier jetzt miteinbringen. Denn so ist gewährleistet, dass man den Kontakt zur Bevölkerung hat, dass man den Kontakt zu den Behörden hat, dass es möglich ist, Stabilität ganz konkret voranzubringen. Das ist das, was wir Ihnen vorschlagen.
Es geht dabei um voraussichtlich 25, maximal 50 Soldatinnen und Soldaten. Und genau dieses Vorgehen ist das, was mir auf einer Balkanreise im Mai als notwendig beschrieben wurde. Das sind Fähigkeiten, die dort vor Ort gebraucht werden. Das wäre ein wichtiger militärischer Beitrag, ergänzt natürlich durch all das, was auf dem Westbalkan, in Bosnien-Herzegowina weit darüber hinaus heute schon geleistet wird in Bezug auf Modernisierung der Infrastruktur, Entwicklung der Privatwirtschaft etc. Das wäre ein wesentlicher Beitrag zur Sicherung, zur Stabilität und vor allem dafür, dass die Wahlen im Oktober frei und unabhängig durchgeführt werden können und sie eben nicht von Nationalisten, unter Umständen auch durch Einflussnahme Putins – Russland versucht selbstverständlich, auch in dieser Region seinen Einfluss zu verstärken –, dominiert werden. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Mandat.
Vielen Dank.
({1})
Armin Schwarz hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute einen Antrag, der weder Fisch noch Fleisch ist. Die Beteiligung von bis zu 50 Soldatinnen und Soldaten an der EUFOR-Operation Althea ist zwar in der Sache richtig, greift aber zu kurz und ist nicht bis zum Ende gedacht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Warum ist das so? Frau Ministerin, Sie hatten darauf hingewiesen: Im Oktober dieses Jahres sind Wahlen in Bosnien-Herzegowina, die durchaus das Potenzial haben, zu einem Scheidepunkt für das Land selbst, aber auch für die gesamte Westbalkanregion zu werden. Die Beitrittsperspektiven der sechs Westbalkanländer betreffend die Europäische Union stagnieren leider. Der Europäische Rat gestern hat bedauerlicherweise auch keine Fortschritte gebracht.
Und – auch darauf haben Sie hingewiesen –: Der Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine hat das Potenzial, die Region zu destabilisieren. Wir sehen einen stärker werdenden Einfluss Russlands. Die Republika Srpska steht unter serbisch-russischem Einfluss und destabilisiert durch Separationstendenzen natürlich gleichermaßen. Russland fährt darüber hinaus noch eine sehr harte Propagandawelle, sei es durch Desinformation, sei es durch eine Impfdiplomatie oder medial ausgeschlachtete Hilfslieferungen. Deswegen: Die Wahlen am 2. Oktober sind wirklich ganz entscheidend, möglicherweise ein Kristallisationspunkt, sei es ethnisch, sei es religiös oder politisch.
Jetzt will ich auf den Antrag der Bundesregierung zu sprechen kommen. Der Antrag betont, dass wir das Mandat aufnehmen, wenn es einhergeht mit dem Mandat der Vereinten Nationen. Gleichzeitig wird im Antrag aber darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung das Risiko sieht, dass Russland ein Veto einlegt. Darin sehe ich, ehrlich gesagt, ein Paradoxon. Denn ich frage mich: Was passiert denn in dem Moment, wenn ein Veto eingelegt wird? Mir fehlt, ehrlich gesagt, eine konkrete Antwort im Antrag der Bundesregierung, was wir dann machen.
Was wir brauchen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein strategischer Ansatz. Dieser besteht aus dem klaren Bekenntnis, auf dem Westbalkan Flagge zu zeigen und darüber hinaus die Anbindung an die Europäische Union und an Europa zu unterstützen. Das Symbol von bis zu 50 Soldatinnen und Soldaten ist zwar richtig – das will ich ausdrücklich sagen –, aber im Vergleich zu dem, was deutlich kleinere Länder dort an Kontingenten liefern und auch mit dem Ansatz von Bundesaußenministerin Baerbock, die gesagt hat: „Wir brauchen dort mehr Soldaten“, bleiben wir weit hinter den Erwartungen zurück. Das zeigt ein Stück weit auch die Inkonsistenz und die Halbherzigkeit dieser Bundesregierung: Uneinigkeit, sei es bei Althea, sei es bei den 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben plus 100 Milliarden Euro Sondervermögen oder bei den Waffenlieferungen. Da erwarten wir mehr Führung, mehr Klarheit, mehr Kompass. Wir schaden damit dem Ansehen unseres Landes, und wir unterstützen die Partner auch in unserer Form von Verantwortung nicht auskömmlich; das finde ich sehr bedauerlich.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Union hat diese Woche einen Antrag eingebracht, der mit einem strategischen Ansatz den Westbalkan enger an Europa bindet. Es geht darum – das habe ich eben schon gesagt –, Flagge zu zeigen, und ganz besonders darum, die Wahlen zu schützen. Es geht um sichere Wahlen, die geordnet über die Bühne gehen. Lassen Sie mich an dieser Stelle den Soldatinnen und Soldaten danken, die möglicherweise auf den Weg geschickt werden, um diese herausfordernde Aufgabe zu erfüllen.
Unser Antrag belebt den Beitrittsprozess, der leider ins Stocken geraten ist. Die EU und der Westbalkan sind wirtschaftliche und politische Partner. Wir haben dort einen deutlich engeren Austausch, als Russland oder China ihn jemals hatten. Wir haben geeignete Zwischenschritte aufgezeigt; eine assoziierte Mitgliedschaft ist ein Beispiel dafür. Ich halte es ausdrücklich für richtig, dass man nicht sofort den großen Wurf macht; man weiß, wie schwierig das ist. Aber wir sollten sehr klar das Glaubensbekenntnis äußern, dass wir wollen, dass der Westbalkan an Europa herankommt. Deswegen: Das vorliegende Mandat, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist allenfalls ein Schrittchen in die richtige Richtung.
Herr Kollege.
Ich persönlich hätte mir mehr gewünscht.
Ich bedanke mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche ein schönes Wochenende, wenn es so weit ist. Alles Gute!
({0})
Für die Bundesregierung hat das Wort die Kollegin Dr. Anna Lührmann.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die letzte Debatte in diesem Haus über die Beteiligung an dem von der Europäischen Union geführten Mandat EUFOR Althea in Bosnien und Herzegowina liegt mehr als zehn Jahre zurück. Es ist ganz klar – darüber sind wir uns hier, denke ich, alle einig –, dass eine nachhaltige Stabilisierung Bosnien und Herzegowinas im europäischen Interesse liegt.
Gemeinsam mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern wollen wir deshalb unserer Verantwortung für Bosnien und Herzegowina, wie auch für den gesamten westlichen Balkan, gerecht werden. Wir brauchen einen stabilen Balkan. Dafür brauchen wir jetzt den Wiedereinstieg deutscher bewaffneter Kräfte bei EUFOR Althea. Denn die innenpolitische Lage in Bosnien und Herzegowina ist zunehmend angespannt. Sie gefährdet die Entwicklung Bosnien und Herzegowinas zu einem friedlichen und demokratischen Rechtsstaat, dazu gehört die fortschreitende Sezessionspolitik der bosnisch-serbischen Entität Republika Srpska unter Führung von Milorad Dodik, dazu gehört aber auch der verstärkte Nationalismus im Vorfeld der für Oktober angesetzten Wahlen, und zwar der Nationalismus, den man in allen Volksgruppen finden kann. Klar ist: Jegliche Behinderung und jeglicher Boykott der Wahlen ist absolut inakzeptabel.
({0})
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine verstärkt in der Tat Befürchtungen, dass Russland auch in Bosnien und Herzegowina stärker destabilisierend wirken könnte. Sehr geehrter Herr Kollege Schwarz, ich denke, deshalb ist es genau richtig, dass wir jetzt hier dieses entschiedene Bekenntnis zu Bosnien und Herzegowina abgeben und ein klares Signal der politischen Stabilität senden. Wir sollten nicht wegen eines möglichen russischen Vetos im November im UN-Sicherheitsrat in vorauseilendem Gehorsam auf eine Beteiligung verzichten. Im Gegenteil: Wir müssen jetzt dieses klare Zeichen setzen, und ich kann Ihnen versichern, dass wir auch in engsten Gesprächen mit den Verbündeten sind, um eine Lösung zu finden, sollte eine solche Entwicklung eintreten.
({1})
Denn mit EUFOR Althea verfügt die EU bereits seit 2004 über ein sehr bewährtes Instrument des effektiven Krisenmanagements vor Ort, das wir angesichts der neuen Lage stärken wollen. Darum hat auch die Führung vor Ort gebeten, und auch alle unsere Gesprächspartner in Sarajevo haben sich positiv zu einem deutschen Beitrag zu EUFOR Althea geäußert. Es ist aus mehreren Gründen ein wertvolles Instrument:
Erstens. Es sichert eine Stabilität, eine Präsenz im gesamten Land, weil EUFOR Althea wirklich vor Ort präsent ist. Zweitens. Es ist der maßgebliche Ausbildungs- und Kooperationspartner der Sicherheitsbehörden. Das heißt, hier geht es auch um den nachhaltigen Aufbau von Sicherheitsbehörden.
Drittens. EUFOR Althea sichert die Arbeit des Hohen Repräsentanten ab, der eine wirklich wichtige Rolle vor Ort spielt.
Viertens. EUFOR Althea ist wesentlich an der Demilitarisierung und der Entminung des Landes beteiligt.
In dieser aktuellen, kritischen Phase ist Bosnien und Herzegowina wirklich besonders auf internationale Unterstützung angewiesen. Der Einsatz zeigt auch exemplarisch, was wir in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU gemeinsam erreichen können.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen: Mit der Beteiligung an EUFOR Althea sendet Deutschland ein ganz klares Signal. Wir treten jedem Versuch der Destabilisierung entschieden entgegen. Wichtig ist, dass wir jetzt gemeinsam das Umfeld für die Wahlen im Oktober absichern. Dafür wollen wir uns vor Ort engagieren; deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zur Wiederaufnahme der deutschen Beteiligung an der Operation.
({2})
Für die AfD-Fraktion spricht jetzt Petr Bystron.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Schon wieder sollen deutsche Soldaten nach Bosnien, in eine Mission, die wir vor zehn Jahren verlassen haben und die der damalige Hohe Repräsentant Lajcak als ein „totes Pferd“ bezeichnet hat, das er selbst nicht mehr reiten wollte.
Deswegen stellt sich tatsächlich die Frage, Frau Ministerin: Warum? Die Erklärung, die Sie uns hier gegeben haben, dass Sie Wahlen sichern wollen, glauben Sie, denke ich, selbst nicht. Die Sicherung von Wahlen ist Aufgabe der OSZE, nicht der Bundeswehr. Selbst wenn dem so wäre, glaube ich nicht, dass die 50 deutschen Soldaten da wirklich irgendetwas ausrichten könnten.
({0})
Was sind die wahren Gründe? Ich denke, das ist Geopolitik. Die EU wollte mit der Militärpräsenz die künstlich geschaffenen Gebilde wie Bosnien und Herzegowina oder auch den Kosovo stabilisieren. In Bosnien und Herzegowina wollten Sie ein multiethnisches Bosnien und Herzegowina, in dem Serben, Kroaten und Bosniaken zusammenleben, Sie wollten sichern, dass sie friedlich zusammenleben oder vielleicht sogar zu einer Nation zusammenfinden. Leider zeigen uns die Ergebnisse der Wahlen und auch die Realität in diesem Land, dass es kein Miteinander ist, sondern höchstens ein Nebeneinander. Die Serben unter Dodik wollen – Sie haben das auch gesagt – eigenständig sein, vielleicht sogar einen Anschluss an Serbien, Kroaten wollen vielleicht auch nach Kroatien. Also, diese Mission ist gescheitert, und auch diese Ideologie ist gescheitert.
({1})
Warum soll es noch einmal eine deutsche Militärpräsenz in dieser Region auf dem Balkan geben? Sie haben auch gesagt: Sie wollen den Balkan nicht in die Einflusssphäre Russlands geraten lassen. Sie wollen den Balkan in der Einflusssphäre der EU behalten. – Liebe Freunde, wenn wir unsere Einflusssphären mit Militärpräsenz sichern müssen, dann haben wir schon verloren. Das hat immer der Ostblock gemacht. Das haben Autokraten nötig. Die Stärken des Westens waren immer die Demokratie, die Freiheit und die wirtschaftliche Prosperität. Das waren die Attribute, um die uns jeder beneidet hat, und die Gründe, warum die Staaten zu uns wollten.
Also noch einmal: Diese Militärmission war falsch, und die dieser Mission zugrundeliegende Annahme war falsch. Sie sind beide gescheitert. Deswegen lautet die Schlussfolgerung: Statt dieses tote Pferd weiterzureiten, sollten wir die Realität anerkennen und nach neuen Lösungsansätzen suchen. Es ist gleichgültig, ob wir zum Beispiel den Vorschlag des slowenischen Premiers Janez Jansa – eine Neuordnung nach Ethnien – aufnehmen.
({2})
– Ich sage ja: Es ist egal. Wir sollten nach etwas Neuem suchen, nach einer Lösung im Sinne der Selbstbestimmung der Völker.
Aber egal welchen Weg wir beschreiten: Der Schlüssel zu einer positiven Entwicklung auf dem Balkan liegt in Belgrad. Wir müssen mit Belgrad reden. Daher war die Reise des Bundeskanzlers generell ein Hoffnungsschimmer; es war gut, dass er nach Belgrad gefahren ist. Aber wenn er zuerst nach Pristina fährt und erst dann nach Belgrad, dann ist das schon einmal das falsche Signal. Und das, was er in Belgrad gemacht hat, war noch viel schlimmer; denn es hat unnötig eine Konfrontation geschürt. Man kann die Völker nicht darüber belehren, dass sie Sanktionen gegen Russland unterstützen sollen, die sie nicht wollen. Das ist in Serbien nicht mehrheitsfähig.
({3})
Also: Auch das war ein Versuch, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Diesen Weg geht die AfD nicht mit, und wir unterstützen diesen Antrag nicht.
Danke schön.
({4})
Der Kollege Alexander Müller spricht für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben gerade, wie die Spannungen im gesamten Osten Europas zunehmen. Die Erschütterungen des menschenverachtenden Angriffskriegs Russlands in der Ukraine wirken sich auf eine ganze Reihe anderer Staaten aus, die sich direkt oder indirekt von Russland bedroht sehen. So erleben wir außergewöhnliche, gar historische Schritte: Finnland und Schweden beantragen den Beitritt zur NATO. Im Baltikum verstärken wir im NATO-Bündnis massiv die Militärpräsenz. Die Ukraine und Moldau erhalten den Status als EU-Beitrittskandidaten und Georgien und Bosnien und Herzegowina, sobald sie eine Reihe von Vorbedingungen erfüllen.
Trotz aller noch vorhandenen Herausforderungen, wie die Beispiele Serbien, Nordmazedonien, Albanien, Montenegro und das Kosovo demonstrieren, zeigt sich die EU handlungsfähig. Trotz aller Debatten der letzten Zeit – wie über den behaupteten Hirntod der NATO – ist es doch gerade Putins Handeln, welches die Bedeutung und die Attraktivität der NATO beweist.
Die Menschen in den Staaten Bosnien und Herzegowina und Kosovo fühlen sich durch die kremlnahen Machthaber in der Republik Srpska und in Serbien besonders bedroht. Umso wichtiger ist es, dass wir als internationale Gemeinschaft den beiden bedrohten Demokratien nicht nur unsere Unterstützung ausdrücken, sondern auch konkret vor Ort für Sicherheit sorgen.
({0})
Die Präsenz von NATO- und EU-Missionen, von Polizei und Militär ist für die Stabilität dieser beiden Staaten enorm wichtig, insbesondere in diesen Monaten des Krieges.
Im kommenden Oktober wird in Bosnien und Herzegowina gewählt. Da eine Wahlrechtsreform in den letzten Jahren nicht zustande gebracht wurde, ist die Situation angespannt. Spitzenpolitiker vor Ort nutzen den Wahlkampf, um ethnische Unterschiede zu betonen, anstatt den Gemeinschaftssinn zu beschwören. Auch deshalb ist es für die Bevölkerung vor Ort so wichtig, dass wir ein deutliches Zeichen setzen: Deutschland und Europa lassen euch nicht im Stich. Wir sehen eure Situation, wir unterstützen euch. – Das ist die Verantwortung, die wir übernehmen müssen.
({1})
Wir haben uns die Entscheidung auch nicht leicht gemacht. Als Koalition haben wir uns vorgenommen, Mandate mit klaren Zielen und mit einer Exit-Strategie zu formulieren. Zudem können wir die Bundeswehr nicht überstrapazieren. Die Bundeswehr hat personelle und materielle Grenzen. Aber zur Wahrheit gehört, dass der Krieg in der Ukraine weitreichende Konsequenzen hat, dass Russland den Westbalkan aktiv destabilisiert, um weitere Konfliktherde anzufachen. Davor können wir unsere Augen nicht verschließen. „Zeitenwende“ umfasst eben nicht nur die Ausrüstung der Bundeswehr; sie bedeutet auch, dass wir unserer Verantwortung in Europa und in der Welt nachkommen.
({2})
Mit dem vorliegenden Antrag möchten wir daher die Wiederaufnahme der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Sicherheitsoperation in Bosnien und Herzegowina ermöglichen. Wir werden uns mit Soldaten im Stab der Mission in Sarajevo beteiligen. Zudem werden deutsche Soldaten die LOTs, also die Liaison and Observation Teams, der Mission unterstützen.
Grundlage für das Mandat sind die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats. Sollte Russland einer Verlängerung in diesem Jahr nicht mehr zustimmen, erlischt die Ermächtigung für dieses Mandat. Lieber Kollege Schwarz, Sie haben das Kunststück fertiggebracht, alle Argumente für diesen Einsatz herunterzubeten und zu loben, aber dann unser Mandat zu kritisieren. Als einzigen konkreten Kritikpunkt haben Sie angeführt, dass im Antragstext nicht drinstehe, was passiert, wenn Russland nicht zustimmt. Ich kann Ihnen natürlich weiterhelfen. Unter Punkt 2 finden Sie den Satz: „Der Einsatz … erfolgt auf der Grundlage …“, und dann folgen alle Resolutionen. Das heißt, wenn die Gültigkeit der Resolutionen erlischt, entfällt auch die Grundlage. Unter Punkt 5 finden Sie diese Feststellung noch einmal. Dort wird ausdrücklich darauf hingewiesen: Der Einsatz endet, wenn die UN-Grundlage entfällt. – In diesem Fall packen wir dann zusammen; so ist das nun einmal.
({3})
Wichtig ist aber, dass unsere Präsenz im Zeitraum der Wahlen sichergestellt werden kann und so zu einer Stabilisierung der Region beigetragen werden kann.
Wollen Sie die Zwischenfrage zulassen?
Nein, danke.
Wir sprechen im Moment viel über die Neuausrichtung deutscher Außen- und Sicherheitspolitik und über die Frage von Wertepartnerschaften und Resilienz gegenüber Manipulation und Desinformation aus Ost und Fernost. Diese Neuausrichtung darf nicht nur theoretischer Natur sein. Mit der Beteiligung an der Operation Althea werden wir nun ganz konkrete Taten folgen lassen – ein Beitrag zur Stabilisierung mitten in Europa. Daher bitte ich Sie, den Antrag zu unterstützen.
Vielen Dank.
({0})
Als Nächstes spricht Sevim Dağdelen für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Pünktlich zum Jahrestag des Überfalls Nazideutschlands auf die Sowjetunion hat der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil erklärt, Deutschland müsse – Zitat – „den Anspruch einer Führungsmacht haben“.
({0})
Klingbeil stellte sein Plädoyer – wieder Zitat –, „militärische Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik zu sehen“, sprich: wieder unbelastet Krieg führen zu wollen, bewusst in diesen historischen Kontext.
({1})
Klingbeil weiter – Zitat –: „Nach knapp 80 Jahren der Zurückhaltung hat Deutschland heute eine neue Rolle im internationalen Koordinatensystem“, so der SPD-Vorsitzende. Diese knapp 80 Jahre der Zurückhaltung sollen nunmehr beendet werden.
Der von der militärischen Stationierungsstärke her eher symbolische Althea-Einsatz in Bosnien ist ein weiterer Beleg, dass die Bundesregierung bereits der von Klingbeil ausgegebenen Strategie folgt. Nicht die Menschen auf dem Balkan sollen entscheiden, sondern die Bundesregierung will politisch dort bestimmen. Ich fürchte, dass die Bundesregierung diesen neuen Militäreinsatz, der – erinnern wir uns – 2012 unter Außenminister Guido Westerwelle beendet worden war, allein wieder auf die Schiene setzt, um den in Dayton eingefrorenen Konflikt aufzutauen und Bosnien als Ganzes an die NATO zu binden. Ich fürchte, dass Sie damit eine Dynamik auslösen, bei der am Ende eine Eskalation des Konflikts steht.
Das Schlimme an Ihrer Außenpolitik ist, dass Sie in den letzten Jahrzehnten immer wieder die Türen geöffnet haben, durch die am Ende dann andere hindurchgehen. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Sie haben die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo 2008 anerkannt. Mit welchem Recht wollen Sie denn gegen weitere Sezessionen auf dem Balkan argumentieren? Die Wahrheit ist, dass Sie durch Ihre Außenpolitik, die das Völkerrecht eben mit Füßen tritt,
({2})
den Nationalisten erst die Instrumente in die Hand geben. Diese Nationalisten berufen sich nämlich genau darauf. Das ist fatal, und deshalb haben wir das auch nicht unterstützt.
({3})
Jetzt ist absehbar, dass es durch die zunehmende Einbindung von Althea in die NATO als Leuchtturm der EU-NATO-Zusammenarbeit, wie es das Bundesverteidigungsministerium stolz nennt, und indem Sie Bosnien zu einem NATO-Manöverfeld machen, immer wahrscheinlicher wird – es wurde schon angesprochen –, dass Russland im Herbst einer Verlängerung des UN-Mandates nicht mehr zustimmt. Dann soll das Ganze als NATO-Mission weitergeführt werden – so die Überlegungen, die jetzt schon veröffentlicht worden sind.
Die Welt und erst recht der Balkan werden an einer militärisch abgesicherten deutschen Großmachtpolitik nicht genesen. So wie Sie hier deutscher Weltführung mit Ihrem Führungsanspruch, Krieg, Waffenlieferungen und Aufrüstung das Wort reden, werden wir uns noch einmal nach den 80 Jahren Zurückhaltung zurücksehnen.
Vielen Dank.
({4})
Dietmar Nietan spricht jetzt für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt das erneute Engagement deutscher Soldatinnen und Soldaten in Bosnien und Herzegowina. Ich bin der Bundesverteidigungsministerin dankbar, dass sie sehr ausführlich dargestellt hat, aus welchen Gründen wir das tun. Ich will noch einmal betonen: Wenn es der NATO gelingen würde, mit bis zu 50 deutschen Soldaten Militärpolitik in Bosnien zu machen, dann wäre das wahrscheinlich so etwas wie ein Weltwunder. Es ist immer interessant, zu was Dinge herhalten müssen, die einen ganz anderen Sinn haben. Es geht darum, einen Beitrag dazu zu leisten, Bosnien und Herzegowina zu stabilisieren, und deutlich zu machen, dass wir Bosnien und Herzegowina nicht im Stich lassen.
({0})
Natürlich wissen wir, dass es in allen Entitäten, in allen Volksgruppen nationalistische Bestrebungen gibt. Aber wir müssen feststellen, dass die Abspaltungsaktivitäten von Herrn Dodik und der Republika Srpska einhergehen mit der tatkräftigen Blockierung aller möglichen Veränderungen in Bosnien und Herzegowina. Dabei bekommen sie die Unterstützung von Russland. Wie unter einem Brennglas lässt sich die Politik der Russischen Föderation, Europa zu destabilisieren, dort sehen. Vielleicht müssen wir umgekehrt gegenüber dem Westbalkan zeigen, dass wir die Zurückhaltung aufgeben und dort auch mit den demokratischen Kräften Verantwortung gegen diese Destabilisierung übernehmen.
({1})
Ich möchte aber auch betonen, dass, wer Bosnien und Herzegowina kennt, weiß, dass es nicht nur ein wunderbares Land mit wunderbaren Menschen ist, sondern auch große Entwicklungspotenziale hat. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass ein Großteil der dortigen politischen Eliten sich durch die Bewahrung des Status quo und damit in der Stagnation selbst eingerichtet hat. Dabei nutzen die Mächtigen in einer zynischen Art und Weise ethnische Trennlinien und die Bedienung ihrer Klientel, um ihre Macht und die damit verbundenen Privilegien zu sichern. Das wird nicht mehr lange gut gehen. Deshalb müssen wir dort Verantwortung übernehmen. Aus diesem Grund, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir nicht warten, bis auf einmal das Wort einer erneuten Kriegsgefahr in Bosnien und Herzegowina die Runde macht.
({2})
Entgegen allen Verschwörungstheorien will ich hier sagen: Wir setzen dort gerade auf die nach Europa und auf die Demokratie blickenden engagierten Menschen in einer Zivilgesellschaft. Es geht um diese Zivilgesellschaft, in der die EUFOR-Mission begrüßt wird und gesehen wird, dass das als ein Zeichen der Solidarität aufzufassen ist und nicht als irgendeine militaristische Politik. Ich finde, wir müssen diejenigen Menschen unterstützen, die sich dafür einsetzen, dass der Nationalismus zurückgedrängt wird, dass die Kinder in den Schulen nicht mehr ethnisch sortierte Schulbücher bekommen, diejenigen, die sich für wirklich freie Wahlen einsetzen. Die warten auf ein solches Signal wie die Beteiligung an dieser Militärmission, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen.
({3})
Diese Repräsentantinnen und Repräsentanten der Zivilgesellschaft in Bosnien und Herzegowina verdienen unseren Respekt und unsere Unterstützung; denn bei denen ist – ich sage selbstkritisch: an manchen Punkten vielleicht auch nicht zu Unrecht – der fatale Eindruck entstanden, dass die EU und die USA seit Jahren viel zu sehr mit den ewigen Ethnokraten dort verhandeln, anstatt sich mehr für die Stabilisierung und Unterstützung der Zivilgesellschaft einzusetzen.
({4})
In diesem Sinne, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Entsendung von Soldatinnen und Soldaten für EUFOR Althea ein wichtiger und für viele Menschen vor Ort willkommener Beitrag, der deutlich macht, dass wir die Menschen in Bosnien und Herzegowina nicht vergessen haben und dass wir sie weiter unterstützen wollen in der Perspektive auf einen Beitritt zur Europäischen Union. Das hat dieses Land, finde ich, verdient.
Vielen Dank.
({5})
Tobias Winkler hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen, die dem Drang widerstehen konnten, die Sitzungswoche am späten Freitagnachmittag schon vorzeitig zu beenden! Ich möchte für die CDU/CSU-Fraktion sagen, dass wir ausdrücklich den Vorschlag begrüßen, bewaffnete deutsche Streitkräfte wieder an der EUFOR-Althea-Mission zu beteiligen. Damit folgen Sie dem Vorschlag des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina, Christian Schmidt, und senden ein eindeutiges Signal aus – ich glaube, das ist an dieser Stelle auch sehr wichtig –: Deutschland steht zu seiner Verantwortung, Deutschland steht an der Seite von Bosnien und Herzegowina.
Wir müssen auf das zurückblicken, was wir in der Verantwortung für dieses Land schon geleistet haben, um dann zu verstehen, warum es jetzt wichtig ist, dieses Engagement fortzusetzen und zu verstärken. Blicken wir 27 Jahre zurück: Am 30. Juni 1995 hat der Deutsche Bundestag zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wieder Soldaten in einen bewaffneten Einsatz geschickt – die erste solche Entscheidung des Deutschen Bundestages seit dem Zweiten Weltkrieg, und es ging um Bosnien und Herzegowina. Nur wenige Tage später, am 11. Juli, mussten wir mit dem furchtbaren Völkermord von Srebrenica den moralischen Tiefpunkt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erleben. Dann, am 14. Dezember des gleichen Jahres, konnte der Friedensschluss in Paris unterzeichnet werden, das Rahmenabkommen von Dayton. Seitdem hat Bosnien und Herzegowina eine wechselvolle, lange Geschichte hinter sich. Wir sehen: Bei 27 Jahren ist es eine ganze Generation, die seitdem in diesem Land aufgewachsen ist.
Was uns aber Sorge machen muss – deswegen habe ich mir auch noch einmal die Reden von 2012 angesehen, als es darum ging, die deutsche Beteiligung zu beenden –: Wir hatten damals die Hoffnung, dass der Frieden dieses Landes dauerhaft von innen heraus entstehen könnte und von innen heraus entstehen muss. Diese Hoffnung dürfen wir nicht aufgeben. Wir sehen aber gerade in der Entwicklung der letzten Jahre, dass es unserer mutigen Unterstützung bedarf. Sie, Herr Müller, Herr Nietan, haben dargestellt, was alles auf dem Spiel steht; sie haben sogar eine drohende Kriegsgefahr erwähnt. Vor diesem Hintergrund verstehen wir nicht, warum Sie das Mandat auf eine Obergrenze von 50 Mann begrenzt haben. Ich glaube, hier wäre ein mutigeres Zeichen nötig gewesen, um glaubhaft die vielen Aufgaben, die vor uns stehen, die Sie skizziert haben, zu erfüllen.
Sie, Frau Ministerin, haben den Zweck darauf beschränkt, zu sagen: Wir müssen die Wahlen am 2. Oktober sichern. – Ich glaube, die Gründe, die Rechtfertigungen für diesen Einsatz, die hier genannt worden sind, sind vielfältiger und wären mit einer Mannstärke in Kompaniestärke, 150 Mann Obergrenze, sicherlich noch besser zu erfüllen gewesen. Wir hätten damit auch die Chance gehabt, unsere internationale Glaubwürdigkeit zu stärken und dem verlorengegangenen Vertrauen in uns in den letzten Monaten, mutig die Zeitenwende mit Leben zu erfüllen, entgegenzuwirken, indem wir mit dem starken Engagement in Bosnien-Herzegowina ein Zeichen gesetzt hätten. Wenn wir hier mutiger aufgetreten wären, hätte das den einen oder anderen überzeugen können, bei dem wir Zweifel geweckt haben, ob wir jetzt wirklich dazu stehen, uns auch militärisch zu engagieren und den Frieden in Europa zu sichern. Ich glaube, Deutschland als der stärksten Wirtschaftsnation in der Europäischen Union hätte es gut angestanden, hier mutiger voranzugehen.
({0})
Grundsätzlich ist es ein richtiger und wichtiger Schritt, deutsche bewaffnete Streitkräfte hier wieder an EUFOR Althea zu beteiligen. Wir hätten uns mehr vorstellen können; wir hätten uns mehr gewünscht. Es hätte uns gut getan und uns gut zu Gesicht gestanden. Vielleicht überdenken Sie den Vorschlag noch einmal oder sind so flexibel, dass Sie, wenn sich die Lage dort anders entwickelt, dieses Mandat entsprechend anders ausgestalten. Jetzt ist es eben so, wie es in dem Antrag vorliegt. Was ich dazu gesagt habe, ist: verpasste Chance. Wir hätten mehr tun können, aber immerhin.
Vielen Dank.
({1})
Boris Mijatović hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte meinen Redebeitrag mit einem Dank beginnen. Mein Dank geht nach Bulgarien. Die Entscheidung, die heute in Sofia getroffen wurde, ist ein Hoffnungszeichen. Die Blockade zu beenden, sodass Nordmazedonien in die europäische Familie aufgenommen werden kann, ist ein gutes Zeichen für Europa, für den ganzen westlichen Balkan.
({0})
Ich danke der Bundesregierung ausdrücklich für die rasche Umsetzung unseres Wunsches, EUFOR Althea wieder auf den Weg zu bringen. Wir haben einen Antrag parallel im Geschäftsgang, in dem wir genau dies auch fordern. Und wir setzen darauf, dass die Wahlen in einer Atmosphäre des Friedens stattfinden können. Es ist tatsächlich so, dass in Bosnien und Herzegowina – das haben Sie alle am 9. Januar in der „Tagesschau“ zu bester Sendezeit gesehen – 2 000 Mann schwer bewaffnet über die Straßen Banja Lukas gelaufen sind. Das ist etwas, was uns beunruhigt, und das ist etwas, was unserer Aufmerksamkeit bedarf. Ich habe es am Mittwoch schon gesagt, und ich wiederhole es heute gerne noch mal: Alleine dass wir uns hier damit beschäftigen und darum kümmern, ist viel wert. Dass wir jetzt wieder das Mandat ergreifen und dort einen Beitrag zur Sicherung der Stabilität leisten, ist ein Gewinn für sich.
({1})
Lassen Sie mich noch einen zweiten Punkt ergänzen, den ich sehr wichtig finde. Ich war Anfang der Woche in Prijedor und habe dort Leute kennengelernt, die sich um die Geschehnisse des Krieges, um die Opfer der Lager in Prijedor kümmern. Ich weiß selber als Deutscher, welche Verantwortung wir für die Verbrechen der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg haben. Es ist nicht leicht, darüber zu sprechen, was die Vergangenheit an Schuld auf uns geladen hat; aber es ist wichtig, darüber zu sprechen. Ich rufe an dieser Stelle den Bürgermeister von Prijedor auf, sich dem Gespräch nicht zu verweigern. Den Mantel des Schweigens über die Geschichte zu legen, ist nicht unsere Aufgabe, sondern darüber zu reden, das Vergangene zu verarbeiten, das wäre ein Gewinn. Das fordern wir auch in unserem Antrag, für den ich um Ihre Unterstützung bitte.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})