Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Wie in jeder Kabinettssitzung seit den letzten Monaten beschäftigt das Kabinett natürlich die Situation in der Ukraine nach dem brutalen Angriffskrieg Putins auf die Ukraine. Wir befassen uns mit vielen Fragen, wie wir die Ukraine unterstützen können. Dazu gehört natürlich auch die Unterstützung aus meinem Ressort, aus meinem Fachbereich. Mir war es wichtig, heute Vormittag darüber zu informieren, dass, wie angekündigt, sieben Panzerhaubitzen 2000 aus unseren Beständen, aber auch fünf aus niederländischen Beständen inklusive der daran ausgebildeten ukrainischen Soldaten mittlerweile sicher in der Ukraine angekommen sind und jetzt damit gekämpft werden kann. Das ist ein wichtiges Zeichen; denn genau das wird jetzt seitens der Ukraine gebraucht, um diesen mutigen Kampf erfolgreich weiterzuführen.
Sie können in Zukunft auf der Internetseite des Bundespresseamtes einsehen, welche Lieferungen schon angekommen sind und welche Lieferungen in Vorbereitung sind; das sind zwei Listen. Sobald eine Lieferung in der Ukraine angekommen ist, geht der entsprechende Posten von der einen auf die andere Liste, aber eben erst dann. Das heißt, es wird vorab keine Information darüber geben, wann und vor allem auf welchem Transportweg eine Lieferung erfolgt. Das ist aus Gründen der Sicherheit so. Wir wollen ja, dass das, was geliefert wird, und vor allen Dingen auch die Personen, die diese Transporte begleiten, sicher dort ankommen. Diese Möglichkeit der Einsichtnahme ist jetzt für alle möglich. Diese Informationen gibt es also nicht nur für Abgeordnete oder für Abgeordnete in bestimmten Ausschüssen; sie sind für alle einsehbar. Das ist ganz wichtig.
Mittlerweile hat sich ja die Position der Ukraine in dieser Frage verändert. Ursprünglich gab es die ausdrückliche Bitte seitens der stellvertretenden Verteidigungsministerin an uns – dies konnte man auch in der deutschen Presse so lesen –, nichts zu veröffentlichen, weil man nicht riskieren wollte, dass der Feind mithört und der Feind dann nicht nur weiß, was geliefert wurde, sondern eben auch, was nicht geliefert wurde. Aus militärstrategischen Überlegungen kann ich durchaus nachvollziehen, dass man das nicht wollte. Da die Ukraine diese Position aufgegeben hat und wir das intensiv mit ihnen abgestimmt haben, werden wir jetzt diesen Weg gehen und die Waffenlieferungen dann auch entsprechend veröffentlichen.
Weitere Systeme werden folgen. Als Nächstes ist das Mehrfachraketenwerfersystem Mars II in der Vorbereitung. Die Ausbildung daran wird noch im Juni beginnen können. Wenn diese Ausbildung stattgefunden hat, wird auch dies in die Ukraine geliefert. Deutschland wird sich mit Großbritannien und den USA daran beteiligen. Wir werden drei solcher Systeme liefern, Großbritannien ebenfalls und die USA vier, um die Ukraine mit Artillerie zu unterstützen, die zum einen weitreichend, aber eben auch sehr präzise ist. Das ist das, was die Ukraine angefragt hat. Darüber hinaus wird es die Lieferung von Geparden geben, und das System IRIS‑T wird ebenfalls in die Ukraine geliefert werden.
Bei diesen Systemen geht manches über die Industrie, wie beispielsweise Gepard oder das System IRIS. Aber bei den Panzerhaubitzen oder auch bei Mars II ist es eine Länderabgabe. Das heißt, es erfolgt über die Bundeswehr. Da muss ich sagen, dass wir an der Grenze dessen angelangt sind, was noch verantwortbar ist; denn als deutsche Verteidigungsministerin möchte ich die Landes- und Bündnisverteidigung gewährleisten. Das ist meine Aufgabe, und zu der stehe ich auch. Deswegen gehen wir eben auch andere Wege. Wir helfen nicht nur, wie ich es eben beschrieben habe, sondern unterstützen die Ukraine auch dahin gehend, dass andere Länder der Ukraine Waffen aus ihren Beständen abgeben, beispielsweise Waffen der sowjetischen Bauart, an denen dann sofort gekämpft werden kann, und wir wiederum beim Auffüllen der Bestände durch den sogenannten Ringtausch helfen. Das ist sehr erfolgreich. Da sind wir im guten Austausch mit der Slowakei, mit Polen, mit Tschechien und mit Griechenland. Ich lese manchmal, dass es da holpert. Da werden dann auch Personen zitiert, aber der zuständige Minister im jeweiligen Ministerium in dem anderen Land weiß nichts von Schwierigkeiten. Davon lassen wir uns nicht beeindrucken, sondern wir unterstützen die Ukraine weiterhin in ihrem Kampf.
Wie gesagt, in Bezug auf Länderabgaben sind wir ziemlich an die Grenzen gekommen. Damit sich das ändern kann, hat der Deutsche Bundestag ja vor einigen Tagen eine Grundgesetzänderung beschlossen, wonach das Sondervermögen in einer Größenordnung von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr möglich ist. Dafür möchte ich mich recht herzlich bedanken – im Namen der Bundeswehr und aller Soldatinnen und Soldaten. Denn das wird dazu führen, dass wir endlich so ausgestattet sein können, wie wir es sein müssen, um diese Aufgabe erfüllen zu können. Dafür ein herzliches Dankeschön!
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Ich weiß, dass damit der Anspruch verbunden ist – ich teile das absolut –, dass diese 100 Milliarden Euro so effizient wie möglich eingesetzt werden.
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Deswegen ist mir ganz wichtig, dass sich sehr viel in Bezug auf das Beschaffungswesen verändert. Ich habe ja schon Veränderungen vorgenommen.
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– Ich nehme das als leise Aufforderung. Ich gehe davon aus, dass es noch lauter werden wird.
Frau Ministerin, Sie können darauf wetten, dass es lauter wird, wenn Sie nicht zum Ende kommen.
Deswegen werden wir in dieser Woche – auch wenn ich nicht federführend dafür zuständig war, habe ich es als meine Aufgabe angesehen, mit dem Kollegen Habeck daran zu arbeiten – das Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz – schlimmes Wort, aber gute Sache – beraten. In Zukunft können die Verfahren beschleunigt werden. Wir setzen mehr darauf, dass bestimmte Fristen nicht überschritten werden können. Da gehen wir ziemlich hart an die Grenze dessen, was eben noch möglich ist. Aber wir müssen das machen; denn in der Zeit, in der wir leben, ist es eben nötig, dass wir nicht nur das entsprechende Geld zur Verfügung haben, sondern damit auch effizient umgehen und eine zügige Beschaffung gewährleisten können. Deswegen würde es mich natürlich freuen, wenn wir wie beim Sondervermögen die Unterstützung auch bei diesem Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz bekommen.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Ministerin. Der Tagesordnungspunkt heißt „Regierungsbefragung“ und nicht „Regierungserklärung“.
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Vorgesehen sind fünf Minuten. – Für die nachfolgenden Fragesteller und Redner gilt die Bitte um Einhaltung der Redezeit in gleicher Weise.
Wir beginnen die Regierungsbefragung zu den einleitenden Ausführungen der Bundesministerin und zu ihrem Geschäftsbereich sowie zu den vorangegangenen Kabinettssitzungen und mit allgemeinen Fragen.
Das Wort hat als erster Fragesteller der Kollege Florian Hahn, CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Vier Monate nach Kriegsbeginn und vielen Tausend Toten und Verletzten in diesem Krieg haben wir jetzt endlich schwere Waffen aus Deutschland in die Ukraine bringen können. Das ist gut. Das muss jetzt aber mit allem Engagement auch aus meiner Sicht so weitergehen.
Mich würde interessieren, Frau Ministerin: Liegen der Bundesregierung Anträge der Rüstungsindustrie zum Export bzw. Bitten der Ukraine zur Lieferung des Schützenpanzers Marder oder des Kampfpanzers Leopard 1 vor?
Das ist mittlerweile öffentlich geworden, auch wenn es ein Antrag an den Bundessicherheitsrat ist, der eigentlich nicht öffentlich diskutiert werden sollte. Ja, es gibt diese Anträge. Es gibt aber auch die Entscheidung der Bundesregierung – auch das ist öffentlich diskutiert worden –, dass wir bei allem, was wir tun in der Unterstützung der Ukraine, immer sehr abgestimmt mit unseren Alliierten vorgehen werden. Es darf und wird auch in dieser Frage keine deutschen Alleingänge geben. Sowohl der Leo als auch der Marder sind Panzer. Es gibt noch keine Lieferung eines anderen Landes in Bezug auf Panzer westlicher Bauart in die Ukraine. Deswegen gibt es die Entscheidung aus dem Kabinett heraus, dass wir diesen deutschen Alleingang nicht gehen werden.
Ich sehe, Sie haben eine Nachfrage. – Bitte.
Vielen Dank. – Frau Bundesministerin, in dem Zusammenhang müssen Sie mir bitte erklären, was der Unterschied ist zwischen der Entscheidung, die offensichtlich, wenn ich es richtig verstanden habe – das wäre die erste Frage –, nicht im Bundessicherheitsrat getroffen wurde, den Marder nicht zu liefern, und der Entscheidung, den Gepard zu liefern. Was ist hier der substanzielle Unterschied?
Der Gepard ist kein Panzer; das ist der Unterschied.
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Er wird anders eingeordnet. Zumindest ist das die Einordnung des Generalinspekteurs beispielsweise oder der militärischen Beratung. Das ist der Unterschied. Es gibt bisher keine Lieferung von Panzern westlicher Bauart. Deswegen wird es auch keinen deutschen Alleingang geben.
Vielen Dank. – Eine Nachfrage aus der Unionsfraktion. Bitte.
Danke schön, Herr Präsident. – Frau Bundesministerin, meines Wissens ist das Kanonenrohr des Gepard dicker als das des Marder. Also, er ist eine schwerere Waffe als der Marder. – Ich möchte mich aber auf das Thema Ringtausch konzentrieren. Da gibt es ja starke Ankündigungen vonseiten der Bundesregierung. Können Sie noch einmal sagen, welche Ringtauschprojekte konkret in Planung sind?
Ja. Ich habe es in meinen – etwas ausführlicheren – Eingangsbemerkungen schon angedeutet: Wir sind in Verhandlungen mit Polen, mit Griechenland, mit der Slowakei und mit Slowenien. Das ist das, was momentan in der Diskussion ist. Ich bitte um Verständnis, eben weil wir da im Austausch und in den Verhandlungen sind, dass ich zu einzelnen Zahlen jetzt keine Auskunft geben kann. Teilweise wird das von den anderen Ländern auch ausdrücklich nicht gewünscht. Aber das ist auf einem guten Weg. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir sehr zeitnah dazu kommen, dass diese Länder dann in die Ukraine abgeben können und wir das entsprechend auffüllen. Es ist wichtig, dass wir zusammen mit unseren Verbündeten agieren.
Wir haben beispielsweise mit der Slowakei einen solchen Ringtausch schon zu Beginn des Angriffs auf die Ukraine vorgenommen. Die Slowakei hat sehr früh ihr Luftverteidigungssystem S‑300 an die Ukraine abgegeben, und wir wiederum haben zusammen mit unseren niederländischen Alliierten dafür gesorgt, dass die Luftverteidigung in der Slowakei gewährleistet ist, indem wir Patriots dorthin geliefert, aber auch deutsche und niederländische Soldatinnen und Soldaten dorthin entsandt haben, um gemeinsam die Lücke zu schließen, die durch die Abgabe durch die Slowakei entstanden ist. Und so werden wir auch weiter agieren.
An sich gibt es immer nur eine Nachfrage pro Nachfrager. Aber bitte.
Eine ganz kurze. – Ich entnehme Ihren Ausführungen, dass wir, bis auf dieses von Ihnen gerade geschilderte Beispiel Slowakei, bisher keine erfolgreichen Ringtausche umgesetzt haben.
Wie gesagt, das hängt damit zusammen, dass beispielsweise Griechenland erst nächste Woche eine Delegation nach Deutschland schickt, um sich die Panzer anzuschauen, die zur Verfügung stehen, um diese Lücke aufzufüllen. Es ist ja auch nachvollziehbar, dass man sich das erst einmal anschauen möchte, ehe die Verhandlungen geführt werden; denn die Länder, die abgeben, möchten sicher sein, dass das entsprechend aufgefüllt wird. Bevor sie abgeben, entscheiden sie eben erst auf dieser Grundlage. Deswegen: Wir sind in den Verhandlungen. Aber keines dieser Länder ist bereit, zuerst abzugeben und dann zu schauen, ob das Auffüllen gewährleistet ist. Polen hat ja schon geliefert; aber das ist ein anderer Fall. – Das ist der Sachstand.
Vielen Dank. Keine weitere Nachfrage zu dem Thema. – Dann ist der nächste Fragesteller der Kollege Stefan Schwartze, SPD-Fraktion.
Danke, Herr Präsident. – Frau Ministerin, Sie haben eben ausgeführt, dass die Panzerhaubitze 2000 jetzt geliefert wurde. Dem ist ja eine aufwendige Ausbildung vorausgegangen. Können Sie uns erklären, was zu dieser Ausbildung gehört, und das noch einmal genau ausführen?
Zu dieser Ausbildung gehört, dass man mit diesem hochmodernen Gerät umgehen kann. Das ist eine computergestützte Panzerhaubitze. Dazu muss man in der Lage sein, gerade wenn man im Gefecht ist, all das, was beispielsweise an Fehlermeldungen angezeigt wird, zu handhaben. Es gab zum einen die Ausbildung in Bezug auf Sprache; denn das System ist ursprünglich auf Deutsch bzw. Englisch, ist jetzt aber auf Ukrainisch angepasst worden. Zum anderen muss man auch im Verband damit umgehen können. Es ist ja selten, dass man nur mit einer Panzerhaubitze fährt, sondern es macht Sinn, wenn man das ergänzen kann. Auch das gehört zur Ausbildung. Das macht deutlich, wie umfangreich diese Ausbildung ist und – ich sage auch – sein muss. Deswegen war es richtig, dass wir darauf bestanden haben, dass die ukrainischen Soldaten daran entsprechend ausgebildet werden.
Ich weiß, es gab die Forderung: Schickt die jetzt sofort! Das kann man sich doch irgendwo anlesen. – Es gab den schlauen Hinweis: „Macht doch eine Hotline! Dann kann man da anrufen“ oder auch: Ein Youtube-Video könnte man machen. – Ich kann nur sagen: Wer sich einmal angeschaut hat, was für eine hochmoderne Waffe das ist und was damit verbunden ist, wird solche Vorschläge nicht machen. Das ist zynisch; denn die Soldaten, die in der Ukraine im Gefecht diese Waffe bedienen müssen, müssen dazu auch in der Lage sein – zu ihrem Schutz, zum Schutz der Kameraden und auch zum Schutz der Haubitze. Deswegen war es richtig, darauf zu drängen, dass diese Ausbildung genau so, wie sie vorgesehen war, durchgeführt wurde. Wir haben sie schon zeitlich auf das Nötigste reduziert. Aber ich sage noch einmal: Es war wichtig und richtig, darauf zu bestehen.
Bevor Sie nachfragen, Herr Kollege, will ich die Ministerin darauf hinweisen, dass das Blinken der Farbe Rot dort oben anzeigt, dass die Redezeit überschritten ist. Da möglichst viele zu Wort kommen sollten, würde ich Sie bitten, bei der Anzeige der Farbe Gelb zum Ende zu kommen und bei Rot dann auch aufzuhören.
Herr Kollege, Sie haben die Gelegenheit zu einer Nachfrage.
Danke, Herr Präsident. Ich werde, wie bei meiner ersten Frage, auch dieses Mal meine Fragezeit straffen. Dann holen wir das wieder ein.
Wir liefern ja weitere Waffensysteme an die Ukraine, und auch die bedürfen einer ausgiebigen Ausbildung. Können Sie das für die Waffengattungen noch einmal schildern?
Selbstverständlich muss man auch am Gepard ausgebildet werden, wenn man ihn entsprechend bedienen will. Es gab ja einige Diskussionen, was damit verbunden ist, zum Beispiel was passiert, wenn man den Gepard auf Dauerfeuer stellt, wie lange die Munition ausreicht. Deswegen werden die Soldaten, die damit kämpfen werden, sehr wohl entsprechend ausgebildet, zum Beispiel dass der Gepard nicht für Dauerfeuer ausgelegt ist; denn dann ist nicht nur die Munition verbraucht, sondern auch das Rohr kaputt – aber das nur zur Klarstellung, weil ich das lustigerweise öfter in Talkshows gehört habe.
Selbstverständlich werden wir auch an Mars II ausbilden; das ist ganz wichtig. Hier beginnt nächste Woche die Ausbildung. Wir werden immer dafür sorgen, dass die Soldaten damit entsprechend kämpfen können. Dazu sind wir verpflichtet.
Vielen Dank. – Es gibt Nachfragen aus der CDU/CSU-Fraktion, aber bitte nacheinander, nicht alle gleichzeitig. – Bitte, Herr Kollege.
Sehr geehrte Frau Bundesministerin, Sie haben das Stichwort „Bundessicherheitsrat“ erwähnt. Bisher wurden Anträge auf Genehmigung von Waffenlieferungen im Bundessicherheitsrat beraten und entschieden. Aus welchen Gründen hat sich die Bundesregierung entschieden, das Verfahren im Jahr 2022 zu ändern und die Entscheidung nicht mehr im Bundessicherheitsrat zu treffen, sondern auf der sogenannten Leitungsebene? Und warum sind über diese Entscheidungen die Parlamentarier weder im Verteidigungsausschuss noch im Deutschen Bundestag informiert worden? Wie wollen Sie in Zukunft die bisher praktizierte Genehmigung und entsprechende Unterrichtung des Parlaments sicherstellen? Soll dies, wie gestern, nur durch eine Veröffentlichung auf der Internetseite Ihres Ministeriums erfolgen?
Anträge auf Rüstungsexporte werden selbstverständlich auch weiterhin im Bundessicherheitsrat entschieden. Das ist das entsprechende Gremium. So ist es auch erfolgt, und so wird es auch erfolgen. Man muss hier unterscheiden. Die Panzerhaubitze ist eine Länderabgabe; das ist kein Rüstungsexport. Ein Rüstungsexport ist es nur dann, wenn der Antrag aus der Industrie kommt und die Waffen in die Ukraine abgegeben werden. Aber die Panzerhaubitze ist kein Rüstungsexport, sondern eine Abgabe. Deswegen ist es auch nicht notwendig, dies im Bundessicherheitsrat zu entscheiden.
Vielen Dank. – Wir haben noch zwei weitere Nachfragen aus der CDU/CSU-Fraktion.
Frau Ministerin, vielen Dank für Ihre Ausführungen. – Könnten Sie noch einmal erklären, was bezüglich der Einstufung eines Panzers der Unterschied zwischen Gepard und Marder ist? Ich habe noch nicht verstanden, warum der Gepard kein Panzer sein sollte, der Marder aber einer ist.
Das ist eine militärische Bewertung, die von den Beratern, die uns zur Verfügung stehen, so getroffen wurde. Der Gepard ist zum Beispiel dafür da, auch kritische Infrastruktur zu schützen, indem er mit dem Rohr in die Luft schießt
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und auch Objekte, die sehr weit entfernt sind, erfassen kann. Das kann der Panzer nicht. Das brauche ich Ihnen als Experten nicht zu erklären. Das ist also etwas anderes. Natürlich sind beide schwer; beide haben große Rohre.
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Aber der Gepard ist eben kein Panzer. Und deswegen ist die Entscheidung getroffen worden, den Gepard zu liefern, weil er kritische Infrastruktur absichern kann. Es ist dem Kollegen Resnikow, dem ukrainischen Verteidigungsminister, auch sehr wichtig gewesen, die Möglichkeit zu haben, durch den Gepard diese Sicherung vorzunehmen.
Herr Kollege, hatten Sie noch eine Nachfrage? – In Ihrer Fraktion gab es so viele Meldungen.
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– Ja, aber ich muss auch mal wechseln.
Ich bin ja da.
Es ist ja nicht so, dass die CDU/CSU-Opposition die Ministerin befragt und der Rest des Hauses schweigen muss. – Aber bitte, Sie haben eine Nachfrage.
Ich würde gern noch einmal nachfragen, Frau Bundesministerin, weil Sie gesagt haben, der Bundessicherheitsrat habe über Waffenexporte – natürlich nicht aus Eigenbeständen, sondern aus der Industrie – beraten und entschieden. Wie erklären Sie sich vor diesem Hintergrund die Auskunft der Bundesregierung auf eine schriftliche Anfrage, wonach der Bundessicherheitsrat im Jahr 2022 noch nicht getagt habe und die Entscheidung über erfolgte Waffenlieferungen auch nicht im Bundessicherheitsrat, sondern auf Leitungsebene der Ministerien getroffen worden sei. Haben Sie persönlich an einer Sitzung des Bundessicherheitsrates teilgenommen? Können Sie sich daran erinnern?
Eine Sitzung muss nicht unbedingt in Präsenz stattfinden; das ist Ihnen bewusst. Das hat nämlich auch in den Ausschüssen wochen- und monatelang anders stattgefunden. Von daher kann man sich beispielsweise auch in einem Umlaufverfahren abstimmen. Das ist durchaus möglich.
Noch einmal: Solche Entscheidungen werden ja nur getroffen, wenn die Genehmigung erteilt worden ist. Selbstverständlich haben wir diese Entscheidungen dann im Umlaufverfahren getroffen.
So, nun noch die Kollegin aus der CDU/CSU-Fraktion, und dann kommen die anderen Fraktionen dran.
Herr Präsident, vielen Dank. – Frau Ministerin, teilen Sie die Auffassung, dass die Fortführung der nuklearen Teilhabe das Rückgrat deutscher Abschreckung im NATO-Bündnis ist?
Das ist zumindest ein Teil der Abschreckung und ein Teil der deutschen Verpflichtung. Wir haben uns im Koalitionsvertrag ganz klar verpflichtet, nukleare Teilhabe zu gewährleisten. Deswegen war es auch eine meiner ersten Entscheidungen, die ich getroffen habe – diese Entscheidung ist ja bei meinen Vorgängerinnen sehr lange liegen geblieben –, dafür zu sorgen, dass die Tornado-Nachfolge geregelt wird, damit es dazu kommt, dass die nukleare Teilhabe sichergestellt werden kann. Deswegen habe ich entschieden, dass es die Beschaffung der F‑35 geben wird. Wie gesagt, diese Entscheidung ist lange liegen geblieben. Aber unter meiner Verantwortung ist dann sehr schnell entschieden worden, weil wir das, was wir als Ampelregierung im Koalitionsvertrag miteinander vereinbart haben, ernst nehmen und dies auch gegenüber unseren Verbündeten deutlich machen.
Ich fasse zusammen: Ihre Entscheidung, die F‑35 zu bestellen, erfolgte ausschließlich mit der Begründung, die Sie gerade gegeben haben, was die nukleare Teilhabe betrifft. Es gab keinerlei andere Gründe dafür. – Haben wir das so richtig verstanden?
Das habe ich nicht gesagt, aber Sie mögen das so einordnen.
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Der Tornado wird nach 2030 nicht mehr fliegen, und er ist es, der momentan eingesetzt wird. Wenn der Tornado nicht mehr fliegt, kann ich entweder sagen: „Wir steigen aus, wir sind nicht mehr dabei“, oder wir gewährleisten, dass wir weiterhin dabei sind. Dafür, dass wir weiterhin bei der nuklearen Teilhabe dabei sind, bedarf es der F‑35 bzw. eines Ersatzes für diesen dann nicht mehr fliegenden Tornado. Und das wird dann ab, so hoffe ich, round about 2026 – dann kommen vielleicht die ersten – die F‑35 sein.
Vielen Dank. – Nun aus der Fraktion Die Linke eine Nachfrage.
Frau Ministerin, ich will auf die erste Frage des Kollegen von der Union zurückkommen, wo Sie einen Unterschied gemacht haben zwischen Abgabe und Export. Nun ist natürlich die Frage, wie Rüstungsexporte reguliert und kontrolliert werden, eine, mit der wir uns als Parlament regelmäßig beschäftigen. Wie Sie wissen, ist meine Fraktion nicht besonders überzeugt von der Regelung des Bundessicherheitsrates. Aber selbst da gehen Sie jetzt noch raus, indem Sie von dem, was Sie selber definiert haben, abweichen, sodass es dann angeblich kein Export ist, obwohl Waffen aus Deutschland ins Ausland verbracht werden, und dies dann als „Abgabe“ kennzeichnen. Was unterscheidet denn die Abgabe an die Ukraine von den Exporten, die die Bundesregierung in den vergangenen Jahren aus Beständen der Bundeswehr und aus anderen Beständen getätigt hat, beispielsweise im Rahmen der Ertüchtigung? Warum machen Sie da jetzt Unterschiede? Soll das ein Präzedenzfall für die Zukunft sein?
Das ist keine Unterscheidung, die ich mir habe einfallen lassen oder die jetzt neu vorgenommen wird, sondern die gab es schon immer. Dann, wenn aus den Beständen der Bundeswehr etwas abgegeben wird, ist es eine Länderabgabe. Die Entscheidung darüber liegt im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Wenn es ein Rüstungsexport ist, also wenn die Wirtschaft, die Industrie einen Antrag auf Export gestellt hat, was sie ja muss – sie haben einen Vertrag, möchten diesen Vertrag erfüllen, brauchen dafür aber aufgrund der Exportrichtlinien die Genehmigung –, dann ist es ein Export und keine Abgabe. Wenn die Wirtschaft etwas woandershin verbringen möchte, braucht sie dafür eine Genehmigung, und die wird über den BSR erteilt. Der Hintergrund ist wahrscheinlich der, dass, wenn ich als BMVg das mache, die politische Entscheidung dahintersteht, dass man das auch will, dass es politisch gewollt ist. Wenn aber ein Wirtschaftsunternehmen das machen möchte, gab es bisher das Problem, dass es eine solche Entscheidung noch nicht gab. Deswegen kam es zu dieser Entscheidung im Bundessicherheitsrat. Das ist der Unterschied. Den gab es aber schon immer; das ist nichts Neues.
Vielen Dank, Frau Ministerin. – Herr Lucassen, Sie haben die Gelegenheit zur weiteren Nachfrage.
Frau Ministerin, zur Einordnung der Panzerfrage: Der Gepard ist ein Flugabwehrkanonenpanzer, und der Marder ist ein Schützenpanzer. Das weiß auch Ihr Generalinspekteur.
Zur Ausbildung. Sie haben im Zusammenhang mit der Ausbildung an der Panzerhaubitze in Idar-Oberstein im gleichen Atemzug die Ausbildung am Gepard erwähnt. Jetzt frage ich Sie als Ressortchefin: Heißt das, dass Ihr Haus auch die Ausbildung am Gepard durchführt respektive unterstützt?
Beim Gepard handelt es sich um eine Abgabe aus der Industrie. Es ist also keine Abgabe aus der Bundeswehr, weil wir die auch gar nicht mehr in den Beständen haben. Deswegen ist die Industrie zum einen dafür verantwortlich, dass der Gepard, der ausgeliefert wird, entsprechend instand gesetzt ist, und zum anderen auch für die Ausbildung daran. Wir sehen es als unsere Verpflichtung an, wenn er dann in die Ukraine geliefert wird, dass wir auch bei der Ausbildung unterstützen, wenn das notwendig ist. Ja, da werden wir unterstützen. Das werden wir dann auch tun, weil wir wollen, dass die ukrainischen Soldaten daran bestmöglich ausgebildet sind.
Am Gepard?
Ja.
Vielen Dank. – Es gibt eine weitere Nachfrage aus der AfD-Fraktion.
Vielen Dank. – Eine Frage noch zur Bewaffnung Gepard. Wir hatten das schon im Ausschuss gehabt: Die Bundesrepublik Deutschland hat ungefähr 65 000 Schuss zur Verfügung gestellt. Die erste Unterfrage wäre: Was haben die Verhandlungen mit Brasilien ergeben? Sind diese 300 000 Schuss sozusagen verfügbar für die Bewaffnung des Gepards? Wenn ja, liegt dann jetzt die Obergrenze für alle 50 Geparde bei 365 000 Schuss? Mit anderen Worten – wenn Sie das aufteilen –: Nach drei, vier oder fünf Tagen hat kein Gepard mehr Munition. Was passiert in den nachfolgenden Tagen? Wollen wir die dann auf die anderen Truppen zurollen lassen? Oder ist das womöglich ein völlig unsinniger Deal, der hier praktiziert wird?
Wir stellen an Munition für den Gepard zur Verfügung, was wir können und was wir haben. Es sind keine über 60 000 Schuss, sondern es sind, glaube ich, 58 000 Schuss. Das ist aus deutschen Beständen bzw. aus Deutschland heraus möglich. Nein, aus Brasilien ist momentan nicht mehr erwartbar.
Ich habe extra, weil diese Diskussion in allen Talkshows gelaufen ist, meinen Kollegen Resnikow angerufen und habe gesagt: „Oleksij, wollt ihr diesen Gepard unter diesen Bedingungen? Das ist das, was ich jetzt an Munition gewährleisten kann. Ist das etwas, mit dem ihr dann entsprechend kämpfen könnt?“, und er hat gesagt: „Ja, bitte, unbedingt.“ Um es zu wiederholen: weil ich damit insbesondere die kritische Infrastruktur schützen kann. Deswegen ist das, was jetzt geliefert werden kann, ausdrücklich im Interesse der Ukraine und von ihr auch ausdrücklich gewollt.
Vielen Dank.
Kurze Nachfrage: Können Sie als Verteidigungsministerin dem Parlament eine Idee geben, was man mit einer schweren Waffe machen kann, für die keine Munition vorhanden ist?
Vielleicht sollten wir wirklich noch einmal einen kleinen Exkurs machen, was man mit diesem Gepard macht. Noch einmal: Den Gepard stellt man nicht auf Dauerfeuer. Nein, das macht man nicht. Das macht wirklich keinen Sinn. Denn dann ist nicht nur nach drei Tagen die Munition weg, sondern auch alles andere, also das Rohr ist auch kaputt. Der Gepard ist dafür da, einzelne Flugobjekte zu identifizieren und dann eben auch mit 10, 15, 20 Schuss entsprechend darauf zu schießen. Das ist die Aufgabe eines Gepards. Wenn Sie das jetzt noch einmal ausrechnen, dann kommen Sie wahrscheinlich auf völlig andere Zahlen.
Vielen Dank. – Eine weitere und letzte Nachfrage zu diesem Themenkomplex kommt aus der Unionsfraktion.
Frau Ministerin, wir bekommen von Experten gesagt, dass man mit dem Gepard ohne ein Extraradar überhaupt keine Flugabwehr machen kann, weil der Gepard dann selber ortbar und damit auch angreifbar ist, und dass man davon ausgeht, dass die Ukraine damit nur Erdkampf macht. Wie verstehen Sie das? Können Sie dazu etwas sagen? Denn das steht ja im Widerspruch zu Ihren Aussagen.
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Herr Kollege, es wäre schön, Sie würden bei der Antwort stehen bleiben.
Das geht jetzt aber nicht von meiner Zeit ab.
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Also: Ich habe den Eindruck, dass die ukrainische Armee und all diejenigen, die dort die Einsätze organisieren und befehligen, sehr hoch qualifiziert sind und sehr erfolgreich arbeiten. Deswegen muss ich ehrlich sagen: Wenn die Ukraine etwas angeboten bekommt und ich frage: „Ist das für euch von Interesse?“, und der Verteidigungsminister der Ukraine sagt: „Bitte, ja, wir brauchen das, wir wollen das“, dann steht es mir nicht zu, zu sagen: „Oh, aber hast du dir das einmal überlegt? Manches geht nicht, und anderes könnte man vielleicht so machen.“ Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Die Ukraine ist momentan in einer ganz, ganz, ganz schwierigen Situation, und wir sollten alles dafür tun, sie zu unterstützen, und dies nicht, wenn sie so eine Anfrage stellt und wir die Unterstützung leisten können, hinterfragen. Deswegen: Wenn der Kollege Resnikow sagt, dass das für ihn in der aktuellen Phase das ist, was er braucht, dann bekommt er diese Unterstützung.
Vielen Dank. – Nächster Fragesteller ist der Kollege Rüdiger Lucassen, AfD-Fraktion.
Danke schön, Herr Präsident. – Frau Ministerin, der Bundeskanzler sagte in einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses am 13. Mai: Aus Sicht der Bundeswehr ist mit der Lieferung der Panzerhaubitze die Bundeswehr über das Leistbare hinausgegangen. – Sie haben vor Kurzem bei der Ankündigung der Lieferung des Mehrfachraketenwerfers öffentlich erwähnt, dass Sie an die Grenze dessen gegangen sind, was zu leisten ist, um die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zur Landes- und Bündnisverteidigung nicht zu gefährden. In Ihren Eingangsworten haben Sie das wiederholt. Ich möchte Sie bitten, jetzt einmal direkt, und zwar unmittelbar, zu bestätigen, dass die Bundesregierung damit beabsichtigt, keine weiteren sogenannten schweren Waffen aus Beständen der Bundeswehr an die Ukraine zu liefern.
Ich kann Ihnen versichern, dass wir aus der Bundeswehr heraus alles möglich machen, um die Ukraine in diesem mutigen Kampf zu unterstützen. Dabei ist es wichtig, immer die aktuelle Situation zu betrachten. Wir haben Verpflichtungen in der NATO, wo wir unsere Waffen einbringen müssen. Wir haben immer auch Waffen in der Instandsetzung, und wir brauchen Waffen für die Ausbildung. Wenn sich beispielsweise aus Instandsetzungsvorgängen ergibt, dass etwas frei würde, dann muss ich entscheiden bzw. all diejenigen, die mich beraten: Was mache ich mit diesen freiwerdenden Waffen? Wir bekommen momentan natürlich auch immer mehr Anfragen aus der NATO heraus, uns dort noch mehr zu engagieren.
Vor dieser Gesamtsituation wird dann immer aktuell entschieden, ob wir auch nur noch den geringsten Spielraum haben, um die Ukraine zu unterstützen oder nicht. Aber ich habe immer im Blick zu haben – das sage ich noch einmal –: Was brauche ich in Bezug auf die Bündnis- und die Landesverteidigung? Was brauche ich auch, um auszubilden? Wenn sich dazwischen durch erfolgte Instandsetzung Spielraum ergibt, dann nutzen wir den. Aber ich sehe da momentan kaum Spielraum.
Sie haben eine Nachfrage, Herr Kollege. – Bitte.
Ja. – Ich darf nicht belehrend sein, aber auch was sich in der Instandsetzung befindet, gehört nicht nur zum Verfügungs-, sondern auch zum Einsatzbestand der Streitkräfte, für die Sie zuständig sind.
Ich habe eine Frage zu den weitreichenden Waffen, um die es hier geht – Panzerhaubitze und Mars –: Wie hat die Bundesregierung sichergestellt, dass diese weitreichenden Waffen – wir reden hier von einer Reichweite von 80 Kilometern – durch die Ukraine nicht so eingesetzt werden, dass das Territorium der Russischen Föderation unmittelbar betroffen wird? Das könnte, wie Sie auch wissen, Frau Ministerin, der Fall sein, wenn zum Beispiel diese Waffen in der Nähe der uns bekannten Kontaktlinie eingesetzt werden würden.
Wir mussten da überhaupt keine Bestätigungen oder Versicherungen einfordern. Die Ukraine hat von sich aus diese Versicherung abgegeben. Dem Kollegen Resnikow war es ganz wichtig – er war letzte Woche in Brüssel dabei und hat an verschiedenen Sitzungen teilgenommen –, explizit für die Ukraine zu erklären, dass diese Waffen nur dafür genutzt werden, sich zu verteidigen, und dass es aus ihrem Handeln heraus keinen Beschuss von russischem Gebiet geben wird. Er hat es explizit erklärt, und von daher haben wir diese Sicherheit.
Vielen Dank. – Eine Nachfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich bleibe bei der Bündnis- und Landesverteidigung und frage Sie, Frau Bundesministerin: Die zivile Verteidigung ist im Landesverteidigungsfall eine zentrale Aufgabe. Militärische Verteidigung und zivile Verteidigung sind formal zwar eigenständig, sind aber beides wichtige Bestandteile der Gesamtverteidigung unseres Staates und der Bevölkerung und unlösbar miteinander verbunden, wollen wir die Bevölkerung auch schützen. Mich würde interessieren, wie Sie sicherstellen wollen, dass die benötigten Fähigkeiten in der Landesverteidigung im Ernstfall auch da sind, wenn sie von zivilen Kräften gestellt werden. Wie wollen Sie hier einen Nutzungskonflikt zwischen zivilen und militärischen Einheiten im Verteidigungsfall vermeiden?
Die Landes- und Bündnisverteidigung ist die Kernaufgabe der Bundeswehr und nicht der zivilen Anbieter, und sie wird auch von ihr gewährleistet. Dafür stehe ich als Bundesministerin der Verteidigung.
Eine weitere Nachfrage dazu?
Ja, vielen Dank. – Im Verteidigungsfall sind die Streitkräfte auf zivile Partner angewiesen, zum Beispiel auf die Sanitätseinheiten vom Deutschen Roten Kreuz, wie es auch im DRK-Gesetz steht. Eine Stärkung der Landesverteidigung erfordert daher aus meiner Sicht auch eine Stärkung der zivilen Kräfte, beispielsweise des Sanitätsdienstes. Mich würde interessieren, wie Ihre Pläne zur Stärkung des Sanitätsdienstes und der Partnerorganisation aussehen.
Zuerst einmal ist es wichtig, dass wir die Sanität in der Bundeswehr stärken. Das ist ein ganz wichtiges Anliegen. Wir erleben doch gerade in der Ukraine, was geschehen kann, wenn man tatsächlich in so einer Situation ist, was so ein Kriegsfall bedeutet. Wir behandeln beispielsweise ukrainische verletzte Soldaten. Dort vor Ort sind aber weiterhin sehr viele, die nicht immer so behandelt werden können, wie man sich das wünscht, auf dem Standard, den man sich wünscht. Aber darauf müssen wir ausgerichtet sein.
Wir sind insbesondere mit dem Inspekteur des Sanitätsdienstes in entsprechenden Verhandlungen, um das gewährleisten zu können. Das ist meine Aufgabe, und der komme ich auch nach. Dazu gehört, dass die Bundeswehrkrankenhäuser entsprechend ausgestattet sind und das Beschaffungswesen auch in diesem Bereich schneller wird, sodass wir zügig besser aufgestellt sind. Das habe ich sehr wohl im Blick. Aber die Zusammenarbeit mit zivilen Akteuren zu organisieren, zum Beispiel dem Roten Kreuz, das fällt nicht in meinen Zuständigkeitsbereich.
Vielen Dank. Jetzt kann ich Sie sehen, Herr Kollege. – Herr Kollege Huber, fraktionslos, hat eine Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident, für die Zulassung der Frage. – Frau Ministerin, ich hätte eine Nachfrage zum Themenkomplex der Waffenlieferungen aus den Beständen der Bundeswehr selbst. Wenn wir jetzt Panzerhaubitzen in die Ukraine schicken und auch, wie wir angekündigt haben, Mehrfachraketenwerfer schicken, dann ist für uns die Frage des internen Ringrausches wichtig. Diese müssen, der Logik nach, in den Beständen der Bundeswehr auch wieder aufgefüllt werden. Ich wollte nachfragen, wann denn dieser interne Ringtausch bewerkstelligt worden ist. Also, ganz konkret: In welchem Monat können wir damit rechnen, dass die kompletten Bestände der Bundeswehr, die ja mit den 100 Milliarden Euro noch aufgefüllt werden müssen, wieder auf dem Niveau von vor diesen Lieferungen sind?
Vor jeder Entscheidung, etwas aus der Bundeswehr abzugeben, wird ganz klar überprüft: Wenn ich das abgebe, kann ich dann noch die Kernaufgabe, die Landes- und die Bündnisverteidigung, gewährleisten? Kann ich dann noch meiner NATO-Verpflichtung nachkommen? Und vor allen Dingen wird auch überprüft: Kann ich die entsprechende Ausbildung organisieren? – Nur wenn das gewährleistet ist, dann wird abgegeben. Also, es wird weder zulasten des einen noch zulasten des anderen abgegeben. Deswegen entsteht auch keine Lücke, so wie Sie das jetzt beschreiben; sondern wir geben etwas ab, was nicht nötig wäre für die Landes- und Bündnisverteidigung oder für die Ausbildung.
Das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen wird uns selbstverständlich in die Lage versetzen, uns in allen Bereichen, nicht nur in denen, in denen wir jetzt abgegeben haben, noch besser aufzustellen. Ich habe bereits beschrieben, dass zukünftig mehr Anforderungen an uns gestellt werden, und zwar seitens der NATO, aber auch seitens der EU, in der gerade die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik neu aufgestellt wird. Darauf müssen wir vorbereitet sein.
Vielen Dank. – Eine weitere Nachfrage, bitte.
Vielen Dank. – Eine kurze Nachfrage. Habe ich Sie richtig verstanden, Frau Ministerin, dass die Bundesregierung derzeit nicht plant, die Bestände, die wir an die Ukraine liefern, für die Bundeswehr selbst wieder nachzurüsten?
Nein, da haben Sie mich nicht richtig verstanden. Sie haben gesagt, es sei eine Lücke entstanden. Die ist nicht entstanden. Aber wir werden dennoch unsere Bestände auffüllen, weil wir an die Grenze gehen und weil es immer sein kann, dass beispielsweise bei der Ausbildung an bestimmten Waffensystemen festgestellt wird, dass etwas in die Instandsetzung gehen muss. Darauf muss ich vorbereitet sein. Deswegen werden wir selbstverständlich die Bundeswehr besser ausstatten müssen, und zwar nicht nur da, wo wir abgegeben haben, sondern auch weit darüber hinaus, um auf diese Situationen vorbereitet zu sein.
Vielen Dank. – Herr Kollege Lucassen, eigentlich hatten Sie in dieser Runde Ihr Fragerecht bereits erschöpft; aber da Sie vorhin nur eine Nachfrage gestellt haben, lasse ich ausnahmsweise Ihre zweite Nachfrage zu.
Herr Präsident, ich danke Ihnen ausdrücklich für diese Großzügigkeit. – Frau Ministerin, noch einmal zu den Waffensystemen: Die Panzerhaubitze und MARS, die geliefert werden – davon ausgehend natürlich, dass die Bundesregierung – –
Die Haubitze ist schon geliefert.
Okay, sie ist schon geliefert; aber sie ist noch nicht im Einsatz. – Davon ausgehend, dass sie ohne Balkenkreuz in die Ukraine verbracht werden, wie sieht es mit einer Endverbleibskontrolle aus? Das heißt, wie behält sich die Bundesregierung vor, dass im Falle eines hoffentlich baldigen Ende des Krieges diese Systeme, sofern sie in Gänze oder in Teilen noch einsatzbereit sind, durch die Ukraine nicht an andere Länder gegeben werden, sondern entweder in der Ukraine oder in Deutschland sind?
Unser Schwerpunkt liegt momentan darauf, wirklich alles auszuloten, wie wir die Ukraine unterstützen können. Es war keine einfache Entscheidung, Waffen in ein Kriegsgebiet zu liefern. Selbstverständlich legen wir Wert darauf – das habe ich eben schon beschrieben –, dass daraus keine weitere Eskalation entstehen kann. Deswegen ist es uns wichtig, dafür zu sorgen, auch aus der Ukraine heraus bestimmte Zusicherungen zu bekommen. Die Reichweite haben wir ja schon angesprochen; es geht aber auch darüber hinaus.
Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Wenn ich mir dieses Kriegsgeschehen momentan anschaue, dann habe ich nicht den Eindruck, dass die Ukraine hier versucht, Waffen oder Waffensysteme zu horten, sondern sich zu verteidigen gegen den Aggressor aus Russland.
({0})
Vielen Dank. – Weitere Nachfragen zu diesem Themenkomplex liegen nicht vor.
Die nächste Fragestellerin ist die Kollegin Sara Nanni, Bündnis 90/Die Grünen.
Danke schön, Herr Präsident, für das Wort. – Liebe Frau Ministerin, Sie haben gerade schon angesprochen, dass wir jetzt mit dem Sondervermögen eine große Verantwortung haben, was das Ausgabenmanagement angeht. Sie haben einige Dinge auch schon angestoßen. Wir werden in dieser Woche die erste Lesung des Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetzes haben. Welche weiteren Maßnahmen planen Sie noch, um im Bereich Beschaffung effizienter zu werden, schneller zu werden?
Also, ich muss dazusagen: Das, was wir jetzt innerhalb von ein paar Wochen auf den Weg gebracht haben, ist ein Quantensprung im Vergleich dazu, wie das Beschaffungswesen davor aussah. Das muss man einfach deutlich machen. Bisher war die freihändige Vergabe von Aufträgen in der Bundeswehr bis zu 1 000 Euro möglich. Bis zu 1 000 Euro! Man kann sich ausrechnen, was das für ein riesiger Bürokratieaufwand war, wenn man jedes Mal in ein Vergabeverfahren gehen musste. Mittlerweile ist es möglich, 20 Prozent aller Aufträge der Bundeswehr freihändig zu vergeben. Das ist die erste Maßnahme.
Das Zweite ist, dass wir viel stärker die Möglichkeit nutzen werden, vom europäischen Vergaberecht abzuweichen. Ja, die Möglichkeit hätte es theoretisch auch schon vor dem Krieg in der Ukraine gegeben. Frankreich hat davon ganz oft Gebrauch gemacht. Die Voraussetzung dafür ist, dass die Beschaffung dringlich ist und der nationalen Sicherheit dient. Wenn das jetzt nicht der Fall ist, dann weiß ich nicht, wann. Das, glaube ich, ist ein riesiger Schritt, und wir werden diesen Schritt gehen.
Mit dem Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz werden wir die Strukturen weiter verändern: dass bestimmte Fristen eingehalten werden müssen, dass nicht mehr in einzelne Lose aufgeteilt werden muss und, und, und.
All das wird zu einer deutlichen Beschleunigung führen, aber auch die Tatsache, dass in Zukunft stärker auf die Marktverfügbarkeit gesetzt wird. Es wird also geschaut: Wo kann ich jetzt – „jetzt“ im Sinne von „bald“ – etwas bekommen? Ich lasse es also nicht über viele Jahre erforschen, sondern ich habe die Möglichkeit, etwas zu beschaffen. Das sind Meilensteine im Vergleich dazu, wie die Beschaffung davor ausgesehen hat.
Vielen Dank. – Sie haben eine weitere Nachfrage, Frau Kollegin? – Bitte.
Sie sprachen die Marktverfügbarkeit an. Damit ist sicherlich der europäische Markt gemeint. Es gab auf EU-Ebene die Verständigung zwischen den Ländern, dass man auch auf europäischer Ebene mehr gemeinsam beschaffen will. Wie bewerten Sie die ersten angestoßenen Schritte auf dieser Ebene, und wie bringt sich die Bundesregierung hier weiter ein, wenn es um die gemeinsame europäische Beschaffung geht?
Ein Punkt in diesem Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz ist, dass wir mehr auf solche europäischen Beschaffungen setzen wollen, weil es in den einzelnen Ländern dann eben nicht zu diesen unterschiedlichen Verfahren kommt. Es ist nicht so, dass sich nur Deutschland jetzt besser ausstattet, sondern in anderen Ländern ist das auch der Fall. Um ein abgestimmtes Verfahren zu haben, damit das schneller gehen kann, vielleicht auch kostengünstiger und effizienter, weil man das zusammen macht, setzen wir darauf, beispielsweise über OCCAR, diese Möglichkeit der europäischen Beschaffung mehr zu nutzen. Damit sind die Systeme auch interoperabel; das ist auch ein positiver Nebeneffekt. Daher setzen wir sehr darauf, dass das in Zukunft weiter möglich ist.
Die Eurodrohne ist ein Beispiel, wo das gelebt wird. Wir Deutschen – da bin ich mit meinem französischen Kollegen, der neu im Amt ist, schon in regem Austausch – setzen weiter auf Projekte wie FCAS; das ist uns ganz wichtig. Wenn wir gute Industriearbeitsplätze in Europa, auch in Deutschland haben wollen, dann müssen wir auch die entsprechenden Aufträge vergeben können. Auf diesem Weg sind wir.
Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt Jens Lehmann von der CDU/CSU-Fraktion.
Frau Ministerin, Sie reden immer von marktverfügbarem Gerät und davon, dass es keine Goldrandlösung geben soll. Ich habe eine Frage zum schweren Transporthubschrauber. Letzte Woche ist zu lesen gewesen, dass er jetzt 800 Millionen Euro mehr kostet. Woran liegt das? Hat er mehr Fähigkeiten? Ist das jetzt doch die erwähnte Goldrandlösung? Wie kommt man auf diese Summe?
Ich weiß gar nicht, wie Sie oder derjenige, der das veröffentlich hat, auf diese Summe kommen. Wir haben natürlich entsprechende Angebote eingeholt. Jetzt geht es erst in das klassische Verfahren der Beschaffung. Der schwere Transporthubschrauber ist verfügbar. Es ist gewährleistet, dass die Zulassung sehr schnell erteilt wird. Das ist das Wichtige. Darauf müssen wir setzen. Die Entscheidung ist aber nicht nur deswegen auf den Chinook gefallen. Es hat auch eine Rolle gespielt, dass er in vielen anderen Staaten zu Einsatz kommt. Das alles wurde bei der Entscheidung berücksichtigt.
Bitte.
Ich habe eine Nachfrage dazu. – Es ist also nicht davon auszugehen, dass er deutlich teurer wird und dass er andere Fähigkeiten hat, als wir bisher als Anforderung an ihn gestellt haben?
Er wird die Fähigkeiten haben, die ein schwerer Transporthubschrauber braucht. Wir werden in den Vertragsverhandlungen sehr darauf achten, dass das auch alles gewährleistet ist.
Ich will etwas zur Kostenentwicklung sagen. Wenn in fast allen Ländern der Welt mehr in Ausstattung, in Ausrüstung investiert wird, dann müssen wir uns jetzt auf die Hinterfüße stellen, dass es nicht zu einer Kostenexplosion kommt. Hier kann es helfen, dass sich Staaten zusammentun, um sich der Industrie gegenüber besser durchsetzen zu können. Ich bin gerne bereit, die entsprechenden Möglichkeiten gemeinsam mit den Verbündeten durchzusetzen. Das wird für die Zukunft wichtig sein. Ich bin froh, dass das in vielen Ländern auch so gesehen wird. Denn ansonsten geschieht genau das, was Sie beschrieben haben, nämlich dass überall die Preise hochploppen, weil die Nachfrage so hoch ist.
Vielen Dank. – Es gibt eine weitere Nachfrage, nämlich des Kollegen Wundrak aus der AfD-Fraktion.
Frau Ministerin, Sie haben dargestellt, dass Sie ein Beschleunigungsgesetz auf den Weg bringen wollen. Sie haben angekündigt, dass Sie Strukturen verändern wollen. Ist es nicht an der Zeit, Artikel 87b des Grundgesetzes abzuschaffen, der wirklich aus der Zeit gefallen ist? Schon einer Ihrer Vorgänger, der spätere Bundeskanzler Schmidt, hat Artikel 87b des Grundgesetzes als große Katastrophe bezeichnet.
Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich habe den Eindruck, dass die langwierigen Beschaffungsprozesse der letzten Zeit nicht an Artikel 87b des Grundgesetzes gescheitert sind, sondern daran, dass das Verfahren insgesamt sehr viel Zeit in Anspruch nimmt und sehr aufwendig ist. Dadurch ist es zu den Verzögerungen gekommen. Mir ist daran gelegen, jetzt nicht irgendwelche großen, neuen Strukturen aufzubauen. Es wurde beispielsweise gefordert, dass man das Beschaffungsamt privatisiert oder das Grundgesetz ändert. Wenn ich – und natürlich der Gesetzgeber – die Möglichkeit habe, unterschwellige Veränderungen vorzunehmen – ich habe es beschrieben: Unterschwellenvergabeordnung, Abweichung vom europäischen Vergaberecht, die Beschleunigung der Verfahren, mehr auf Marktverfügbarkeit zu setzen –, dann wird das sehr viel Schwung hineinbringen. Das wird die Beschaffung nach vorne bringen. Dann wird es deutlich zügiger möglich sein.
Vielen Dank. – Nächster Fragesteller ist der Kollege Ali Al-Dailami, Fraktion Die Linke.
Danke, Frau Bundesministerin, für Ihre einleitenden Worte, die mich motivieren, eine Frage zu stellen. Es geht um Folgendes: Sie haben in Ihrem Eingangsstatement das sogenannte Sondervermögen, aber auch das Beschaffungswesen kurz angeschnitten.
Nach Ansicht des Präsidenten zu lange.
Nun ist es so: Beim Sondervermögen reden wir von 100 Milliarden Euro neuen Schulden. Es ist kein Vermögen, das wir auf der hohen Kante haben; vielmehr zahlen dafür die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Das wird damit begründet, dass die Bundeswehr schlecht ausgestattet war.
Sie wissen, dass der Wehretat seit 2014 um 55 Prozent gestiegen ist. Trotzdem waren die Soldatinnen und Soldaten mit der Situation konfrontiert, dass sie Gewehre hatten, die nicht geradeaus schießen. Die Herstellerfirma musste nicht dafür haften. Wir haben flächendeckend bis heute keine Gefechtshelme, und auch witterungsgerechte Unterwäsche ist nicht in adäquater Menge vorhanden ist. Der Etat ist stark gestiegen, aber diese Punkte sind nicht abgestellt worden.
Ich frage mich: Was soll im Beschaffungswesen konkret passieren? Eine Beschleunigung des Verfahrens gewährleistet nicht, dass man gute Verträge schließt und es nicht trotzdem an Dingen fehlt. Deshalb meine Frage: Was konkret wird dort geändert?
Da sind jetzt viele Fragen zusammengekommen. Ich versuche, sie abzuschichten.
Ja, das Sondervermögen ist notwendig, weil ich mit dem Einzelplan 14 nicht in der Lage bin, die Defizite aufzufangen, die entstanden sind. Sie haben gesagt, dass der Etat ab 2014 wieder angestiegen ist; das ist richtig. Sie müssten aber auch die Zeit davor mit ins Spiel bringen; denn da ist der Etat richtig nach unten gefahren worden. Erst dann wurde der Etat ganz langsam wieder erhöht. Ja, der Etat ist angestiegen, aber zuvor ist er heruntergefahren worden, als man sich entschieden hat, die Bundeswehr deutlich zu verkleinern. Deswegen reicht der derzeitige Aufwuchs nicht aus, um das alles aufzuholen.
Round about 50 Milliarden Euro stehen im Einzelplan zur Verfügung. Ich trage für round about 250 000 Menschen die Verantwortung. Sie können sich vorstellen, was 250 000 Menschen an Kosten bedeuten. Mir ist wichtig, dass es auch entsprechende Lohnerhöhungen gibt; denn auch Soldatinnen und Soldaten und Zivilbeschäftigte sind von Preissteigerungen betroffen. Für den Bereich Personal sind circa 20 Milliarden Euro veranschlagt. Weitere 20 Milliarden Euro müssen für den Betrieb eingesetzt werden. Sie können sich vorstellen, was das angesichts der vielen Standorte bedeutet, auch angesichts der aktuell steigenden Energiepreise. Dann stehen noch – eventuell, wahrscheinlich werden es in Zukunft weniger – 10 Milliarden Euro zur Verfügung, um zu investieren. Daran erkennen Sie, dass ich mit 10 Milliarden Euro nicht sicherstellen kann, dass beispielsweise die F‑35-Kampfflugzeuge, die die nukleare Teilhabe gewährleisten sollen, oder die Bewaffnung von Drohnen bezahlt werden. Ich habe in anderen Zusammenhängen beschrieben, dass 50 Hubschrauber zur Verfügung stehen, aber tatsächlich nur 9 einsatzfähig sind. Daran kann man sehen, dass das mit diesem Etat nicht zu leisten ist. Es ist wichtig, dieses Sondervermögen jetzt dazu zu nutzen, die Bundeswehr endlich so auszustatten, dass sie die Aufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung vor der sich neu darstellenden Herausforderung erfüllen kann.
Eine Nachfrage. Bitte.
Danke für Ihre Antwort, Frau Bundesministerin. – Aber die Frage ist immer noch: Was konkret werden Sie im Beschaffungswesen ändern, damit ein solcher Umgang mit Steuergeldern, wie eben benannt, nicht mehr vorkommt?
Erstens. Ein konkreter Punkt ist schon entschieden. Sie haben angesprochen, dass nicht allen Soldatinnen und Soldaten die persönliche Schutzausrüstung zur Verfügung steht. Der Plan war, dass man das bis 2031 ändern will. Bis 2031 hätten die Soldatinnen und Soldaten auf die persönliche Schutzausrüstung warten müssen. Ich habe den Zeitpunkt vorgezogen und gesagt: Das machen wir jetzt. Wir ziehen alle Verträge vor, bei denen wir es können. – Wir haben 2,4 Milliarden Euro in die Hand genommen, damit Soldatinnen und Soldaten in Zukunft mit Helmen, Schutzwesten und allem, was dazugehört, schon deutlich früher ausgestattet sein können – 2,4 Milliarden!
Zweitens. In Bezug auf das Beschaffungswesen kann und muss ich mich anscheinend auch wiederholen. Durch die Unterschwellenvergabeordnung werden 20 Prozent aller Aufträge nicht mehr bürokratisch über ein Vergabeverfahren vergeben, sondern abweichend vom europäischen Vergaberecht. Diese Woche haben Sie die Gelegenheit, ein Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz zu beraten. Bitte verabschieden Sie es noch vor der Sommerpause, damit die Beschaffung noch schneller geht.
Das sind die Schritte, die quasi in den ersten Wochen meiner Amtszeit auf den Weg gebracht wurden. Ich finde, das macht deutlich, dass jetzt ein anderer Spirit im Haus herrscht. Wir wollen, dass die Beschaffung schneller und auch effizienter ist. Und ich setze mehr auf Marktverfügbarkeit – dieses eine Beispiel gönnen Sie mir noch –: Acht Jahre lang gab es ein Forschungsvorhaben, um den weltbesten Rucksack für die Bundeswehr zu entwickeln. Ich muss Ihnen sagen: Dafür habe ich kein Verständnis. Ich habe es gestoppt.
Frau Ministerin.
Wir werden in Zukunft Rucksäcke organisieren, die marktverfügbar sind und deren Entwicklung eben nicht jahrelange Erforschung benötigt, sodass die Soldatinnen und Soldaten schnellstmöglich das bekommen, was sie brauchen.
({0})
Noch eine Nachfrage, aber es ist die letzte. Eine können Sie noch stellen; aber fragen Sie nicht noch einmal, was sie machen will. Das hat sie jetzt dreimal erklärt.
Nein, das werde ich nicht fragen. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir werden dem Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz nicht zustimmen.
Schade.
Meine Frage intendierte die Strukturen des Beschaffungswesens. Sie haben von Beschleunigung geredet, davon, was schneller gemacht wird. Aber die Strukturen sind doch das Problem.
Frau Ministerin, bitte.
Lesen Sie das Beschleunigungsgesetz doch einmal ausführlich durch. Da werden Sie ganz viele Antworten auf diese Fragen finden. Es geht unter anderem darum, Verfahren zu beschleunigen, es geht nicht mehr um einzelne Lose.
Frau Ministerin, ich sehe ein, dass es für Sie ungewöhnlich ist, dass ich mich hier durchsetze.
({0})
Aber wir machen hier keine allgemeine Erklärung. Wie gesagt: Dreimal dieselbe Frage zu stellen, macht wirklich keinen Sinn; insofern müssen Sie sie auch nicht mehr beantworten. Wir haben jetzt dreimal gehört, was Sie beabsichtigen. Wenn es dem Fragesteller nicht gefällt, ist das sein Problem.
Wir haben noch eine Nachfrage aus der SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Verehrte Bundesministerin, ich erliege jetzt nicht der Versuchung, die Debatte über das Beschleunigungsgesetz vorzuziehen. Aber ein Punkt, den Sie eben kurz angesprochen haben, war ja das Thema der persönlichen Schutzausrüstung. Es wurde ja vom BundeswehrVerband und von allen Beteiligten immer wieder geäußert, wie wichtig das ist. Vielleicht können Sie noch einmal sagen, warum Ihnen das Thema so wichtig war, dass Sie es nicht erst mit wesentlichen Teilen des Sondervermögens angehen, sondern – schon vorgezogen – ein wichtiges Ausrufezeichen bei dem Thema „persönliche Schutzausrüstung“ setzen.
Egal wo ich die Truppe besucht habe – vom ersten Truppenbesuch in Deutschland über die Besuche in Mali, im Irak und bis hin zu dem Besuch in Rukla –, überall habe ich Beschwerden gehört, dass die Soldatinnen und Soldaten nicht mit dem ausgestattet sind, was sie zu Recht von uns, die wir sie ja dorthin schicken, erwarten können. Da geht es nicht um Schnickschnack, sondern da geht es um Helme, da geht es um Schutzwesten, da geht es um entsprechende Ausstattung wie Unterwäsche, die dann auch den Temperaturen standhält. Da geht es also nicht um irgendwelche Nice-to-Haves, sondern wirklich um Schutzausrüstung. Und wenn ich das überall höre, dann ist es doch meine Verantwortung als Verteidigungsministerin, dafür zu sorgen, dass damit Schluss ist und dass ich den Soldatinnen und Soldaten nicht mehr sagen muss: Bis 2031 wird es geregelt. – Nein, das muss jetzt geregelt werden, und deswegen haben wir alle Möglichkeiten genutzt, das vorzuziehen.
Ich bin vor allen Dingen auch allen Abgeordneten dankbar, die mir dabei im Haushaltsausschuss den Rücken gestärkt haben. Das haben unsere Soldatinnen und Soldaten verdient. Deswegen war es mir auch ganz persönlich so wichtig, das zu organisieren.
({0})
Keine Nachfrage mehr von Ihnen? – Dann eine Nachfrage aus der CDU/CSU-Fraktion.
Da Sie gerade Mali und die Wichtigkeit des Schutzes der Soldaten erwähnt haben, habe ich dazu eine Frage, und zwar: Wie wird von Ihnen als Bundesregierung jetzt nach der Absage der Niederlande, die wichtigen Fähigkeiten der Kampfhubschrauber beim Einsatz MINUSMA bereitzustellen, der Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten gewährleistet?
Wir werden jetzt erst einmal an die Vereinten Nationen herantreten; denn MINUSMA ist eine Mission der Vereinten Nationen. Und ich erwarte auch, dass, wenn sich etwas so bedeutend verändert wie durch den Abzug der Franzosen und die Sicherheit damit nicht mehr gewährleistet ist, von denen, die dieses Mandat initiiert haben, auch die Verantwortung dafür wahrgenommen wird.
Darüber hinaus, wie gesagt, habe ich persönlich – ich bin jetzt nicht die Vereinten Nationen, aber ich fühle mich meinen Soldatinnen und Soldaten gegenüber verpflichtet – bei Spanien, bei den Niederlanden, bei Italien angefragt, ob die Aufgabe übernommen werden kann. Und ich werde nächste Woche mit meinem französischen Kollegen noch einmal darüber sprechen, ob es dabei bleibt, dass der Abzug der französischen Kampfhubschrauber im Sommer – Juli, August, September – genauso, wie ursprünglich einmal geplant, ablaufen wird.
Wenn es dann tatsächlich dazu kommt, dass die Vereinten Nationen uns keine Möglichkeit anbieten können, um einen bestmöglichen Schutz zu gewährleisten, weise ich darauf hin, dass im Mandat, so wie es der Deutsche Bundestag beschlossen hat, auch die Möglichkeit des Abzugs vorgesehen ist. Ich werde mich meinen Soldatinnen und Soldaten gegenüber verantwortlich verhalten.
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Möchten Sie noch eine Nachfrage stellen?
Ja, es ist auch eine ganz kurze. – Ist denn der Abzug schon entsprechend geplant, vorbereitet, damit es dann notfalls auch wirklich schnell dazu kommen kann?
Wir denken über diese Möglichkeit nach seit dem Moment, wo wir gehört haben, dass Frankreich seinen Beitrag nicht mehr zur Verfügung stellt.
Gibt es aus der AfD-Fraktion noch eine Nachfrage zu diesem Thema? – Bitte.
Frau Ministerin, man liest fast täglich Berichte über Terroranschläge in Mali. Die Terrororganisationen in Mali gewinnen immer erfolgreicher Rekruten; ihre Macht wächst. Die Bundeswehr ist jahrelang vor Ort, und es sind keine Erfolge zu sehen. Wir haben gerade gesehen, wie das Engagement in Afghanistan trotz professionellstem Einsatz unserer Soldaten gescheitert ist, weil einfach die Strategie von vornherein die falsche war. Mali ist ein Riesenland, dreieinhalbmal so groß wie Deutschland. Ich gehe natürlich davon aus, dass Sie unsere Soldaten verantwortungsvoll einsetzen – sie riskieren ihr Leben dort in Mali – und dass Sie eine Idee haben, wie die Bundeswehr es schaffen kann, in Mali ihre Ziele zu erreichen, für Frieden zu sorgen. Die Lage verschlimmert sich ja stetig; es wird von Jahr zu Jahr schwieriger und gefährlicher in Mali.
Also: Warum ist Mali nicht das Gleiche wie Afghanistan? Warum droht dem Einsatz in Mali nicht dasselbe Schicksal wie dem Afghanistan-Einsatz? Und wie kann die Bundeswehr hier mit diesem Ansatz und dieser Strategie überhaupt Erfolge erzielen? Die Soldaten sind hochprofessionell, aber ich sehe die Strategie nicht.
Sie haben zu Recht beschrieben, dass sich der Terrorismus nicht nur in Mali, sondern im ganzen Sahel weiter ausbreitet. Wir sehen die positiven Ergebnisse, die wir uns erwünscht haben, nicht. Das muss ich genauso beschreiben wie Sie, und so machen es auch die malische Regierung und die Regierung in Niger, wo wir ja mit Gazelle engagiert sind.
Aber die Frage, die sich stellt, wenn sich die Vereinten Nationen aus MINUSMA und damit komplett aus dem Sahel zurückziehen, wenn sich alle anderen aus Mali komplett zurückziehen, ist, was das dann für den Sahel bedeutet, für diese Region. Es gäbe dann auch keinerlei Unterstützung wie beispielsweise unseren deutschen Beitrag zur Aufklärung mehr. Das ist ja die Aufgabe, die wir bei MINUSMA hauptsächlich wahrnehmen: dazu beizutragen, dass Terroristen zurückgeschlagen, zurückgedrängt werden können. Das ist unser Beitrag; aber da ist die Bundeswehr nicht alleine, sondern sie ist eingebunden in ein VN-Mandat, eine VN-Mission. Das ist eben der Ansatz: nicht einzelne Länder, nicht einzelne Beiträge, sondern zusammen die Möglichkeit zu schaffen, dass aufgeklärt und dann eben auch zurückgedrängt werden kann. Das ist der Ansatz.
Aber Sie haben recht: Wir erleben derzeit, dass sich der Terrorismus wieder verstärkt. Und die Frage, die sich daraus ergibt, ist: Was bedeutet es, wenn wir alle uns zurückziehen? Wir sind daran interessiert, den Kampf gegen den Terrorismus weiter zu unterstützen.
({0})
Ich gehe davon aus: Sie möchten keine Nachfrage mehr stellen, weil Sie sich hingesetzt haben. – Gut.
Ich will eine Ankündigung machen. Ich würde jetzt diese Befragung noch bis ungefähr 14.15 Uhr fortführen, würde mit dem nächsten Fragesteller, wenn es jetzt zu diesem Thema keine weiteren Fragen gibt, weitermachen, und danach gehen wir zur Fragestunde über.
Der nächste Fragesteller ist der Kollege Wadephul aus der CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, Sie haben vorhin zu Recht vom mutigen Kampf der Ukrainerinnen und Ukrainer gesprochen, der auf der einen Seite mit allem, was wir zur Verfügung haben, unterstützt werden muss, und haben auf der anderen Seite deutlich gemacht, dass wir selbstverständlich davon ausgehen, dass dieser Kampf nicht auf russisches Staatsterritorium hinübergetragen wird.
Wie würden Sie für die Bundesregierung positiv formulieren, was legitime Kriegsziele der Ukraine sind? Wie lange und wie weitgehend wird die Bundesregierung die Ukraine da unterstützen?
Es gibt ganz klare Äußerungen – nicht nur des Bundeskanzlers, aber darauf beziehe ich mich jetzt –, die Ukraine, auch wenn es einen länger währenden Krieg geben wird, darin zu unterstützen, die territoriale Integrität zu verteidigen, für die eigenen Werte einzustehen. Das ist unsere Aufgabe auch über den aktuellen Moment hinaus. Da dürfen wir nicht nachlassen, und da sind wir auch ein verlässlicher Partner der Ukraine.
({0})
Möchten Sie eine Nachfrage stellen?
Ja. – Vielen herzlichen Dank; das unterstützt die CDU/CSU-Fraktion.
Darf ich noch einmal nachfragen? Sie haben die territoriale Integrität genannt. Das heißt, Sie halten einen Kampf der Ukraine zur Herstellung der vollständigen Souveränität für legitim und sagen dafür die Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland zu?
Die Ukraine entscheidet, wie sie diesen Kampf führt
({0})
– es ist meine Redezeit – und wann sie bereit ist, in Verhandlungen einzutreten. Das ist die Entscheidung der Ukraine. Das ist nicht die Entscheidung von uns. Ich werde diese Entscheidung ganz bestimmt nicht treffen, und ich werde das der Ukraine nicht vorgeben. Es muss von der ukrainischen Regierung und vor allen Dingen auch von der Gesellschaft dort entschieden werden, ab wann man bereit ist, Verhandlungen zu führen, und zu welchen Kompromissen man bereit ist.
Ich maße mir nicht an, der ukrainischen Regierung Vorgaben zu machen. Ich glaube, dass diese Entscheidung bei ihr gut aufgehoben ist; denn sie muss ja dann hinterher auch die Entscheidungen in der ukrainischen Gesellschaft durchsetzen. Deswegen wird es von uns keinerlei Vorgaben geben. Der Kanzler sagt zu Recht: Wir werden keinen Diktatfrieden unterstützen oder fordern. Nein, das muss die Ukraine für sich entscheiden.
({1})
Nein, ich muss ein bisschen auf die Tube drücken. Vor allen Dingen hat sich der Kollege hinter Ihnen aus Ihrer Fraktion gemeldet.
({0})
Wenn Sie erlauben, würde ich diese Frage jetzt zulassen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Bundesministerin, vom SPD-Vorsitzenden, von dem Kollegen Klingbeil, war zu lesen, dass Deutschland den Anspruch einer Führungsmacht haben muss. Da frage ich mich, wenn Sie diesem Anspruch gerecht werden wollen: Wie stehen Sie zu der gerade aufgeworfenen Frage? Wollen Sie, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt? Ja oder nein? Das ist Führungsmacht. Das ist Führungsanspruch. Wie sehen Sie das?
Das Gleiche gilt für die Waffenlieferungen. Sie haben uns vorhin in der Einleitung erklärt, dass Sie darauf warten, dass die Alliierten untereinander besprechen, wie es um die im Westen gebauten Panzer bestellt ist. Machte es der Anspruch an die Führungsrolle Deutschlands nicht notwendig, mit einer eigenen Position in diese Verhandlungen hineinzugehen, und, wenn ja, wie lautet sie?
Also, unsere Position ist ganz klar: Wir unterstützen die Ukraine in ihrem Kampf, und vor allen Dingen machen wir der Ukraine keine Vorgaben. Das hat nämlich nichts mit Führung zu tun, sondern das hat etwas mit Vorschreiben zu tun. Das ist ganz bestimmt nicht die Aufgabe Deutschlands, und das werden wir auch nicht tun.
({0})
Was wir allerdings machen, ist, uns konsequent mit unseren Verbündeten abzustimmen und dann auch zu Entscheidungen zu kommen, beispielsweise, wie ich es schon genannt habe, dafür zu sorgen, dass in der Slowakei die Luftverteidigung durch die Niederlande und uns gewährleistet ist, dass zusammen mit den Niederlanden Panzerhaubitzen geliefert werden, dass jetzt mit Großbritannien und mit den USA zusammen die Abgabe der Mehrfachraketensysteme erfolgt. Das ist unsere Vorstellung von Führung: nichts vorschreiben, keine Alleingänge, sondern zusammen mit unseren Alliierten nach vorne gehen. Ich kann meinem Parteivorsitzenden wie immer nur zustimmen. Das ist Führung, und genau so handhaben wir es auch.
({1})
Sie dürfen noch eine Nachfrage stellen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ein Ort, wo wir als Deutsche in der Tat Führung zeigen, ist Litauen. Die Lage, wie sie sich jetzt entwickelt, zeigt, dass die Sanktionen, die Litauen umsetzt, offensichtlich ziehen. Die Reaktion aus Moskau lässt Nervosität erkennen.
Können Sie uns sagen: Wie ist der Alarmzustand des deutschen Kontingentes dort? Blinken die roten Linien der NATO? Wie ist die Situation?
Die Situation in Litauen ist so, dass wir als Bündnis klar gesagt haben: Wir unterstützten die Ostflanke ganz massiv. Wir haben das sehr schnell gemacht und unsere Truppen dort verstärkt. Wir sind ja eine Nation, die mit Soldatinnen und Soldaten unterstützt, aber auch mit entsprechenden Waffen, also mit Gerät.
Es ist uns ganz wichtig, dass jeder unserer Verbündeten darauf vertrauen kann, dass wir füreinander einstehen, und dass sich jeder darauf verlassen kann, dass in diesem Bündnis niemand alleine gelassen wird und dass wir davon auch keinen Millimeter preisgeben. Das ist unser gemeinsames Vorgehen, und das ist die Stärke, die wir in den letzten Wochen bewiesen haben und die Putin wahrscheinlich nicht erwartet hat. Aber das ist unsere Stärke, und genau so müssen wir weiter vorgehen.
Zu diesem Fragenkomplex lasse ich jetzt noch zwei Nachfragen zu: einmal von einem Kollegen aus der Fraktion der Grünen und dann noch von Herrn Ziemiak. Danach muss ich einmal der FDP-Fraktion das Wort geben, weil sie in den ganzen Runden noch gar nicht dran war.
({0})
– Nein, wir haben eine gewisse Abfolge. Insofern machen wir das. – Sie haben jetzt das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Bundesministerin, ein wichtiger Bestandteil zur Unterstützung der Ukraine ist auch das Ausfliegen von verwundeten und schwer erkrankten Menschen. Ich habe zu dem Projekt Air MedEvac eine Frage.
Eine etwaige zeitliche Differenz zwischen dem Enddatum des Einsatzes des aktuellen MedEvac-Flugzeuges A310 und seinem Nachfolger A330 soll durch den Einsatz des A400M überbrückt werden. Mit wie vielen Flugzeugen des A400M beteiligt sich die Luftwaffe an der Evakuierung von verwundeten oder schwer erkrankten Menschen aus der Ukraine? Welche Auswirkungen hat das auf die Anzahl der voraussichtlich zu evakuierenden Personen und auf die Einsatzverfügbarkeit des A400M in anderen Aufgabenbereichen? – Vielen Dank.
Also, wir stehen ganz klar zu der Verantwortung, dass wir verletzte, verwundete ukrainische Soldaten ausfliegen, um sie dann hier oder in anderen Ländern zu behandeln. Das ist unsere humanitäre Pflicht, und dazu stehen wir auch. Deswegen werden wir gewährleisten, dass das ohne irgendwelche Lücken möglich ist; das werden wir sicherstellen. Wir werden auch sicherstellen, dass das nicht zulasten unserer Landes- oder Bündnisverteidigung geht oder zulasten anderer Einsätze. Das ist gewährleistet; darauf können Sie sich verlassen, darauf können sich aber auch die ukrainischen Soldaten verlassen. Das ist uns ganz wichtig, und das werden wir weiterhin genauso handhaben.
Die genaue Anzahl werde ich Ihnen nachreichen, weil sich das natürlich täglich verändert. Aber da bekommen Sie eine tagesaktuelle Nachreichung.
({0})
Dann hat jetzt der Kollege Paul Ziemiak aus der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Frau Ministerin, Sie haben gerade auf die Frage meines Kollegen, ob die Ukraine diesen Krieg gewinnen solle, geantwortet, Sie würden das nicht sagen, weil Sie der Ukraine keine Vorgaben machen möchten.
({0})
Sie lehnen das ab, weil es unangemessen wäre. Das heißt, das, was unsere Außenministerin gesagt hat, lehnen Sie ab. Sie sagen jetzt also: Annalena Baerbock macht der Ukraine Vorgaben.
({1})
Frau Ministerin, bei allem Respekt, das, was Sie gerade gemacht haben, ist ziemlich frech, insbesondere gegenüber dem ukrainischen Volk. Sie missbrauchen Ihre Aussage, man wolle der Ukraine keine Vorgaben machen, um Ihre unklare Haltung zu rechtfertigen. Sind Sie bereit, diese wirklich unqualifizierte und auch wirklich freche Aussage zurückzunehmen?
({2})
Ich glaube, Sie sollten bei Gelegenheit das Protokoll nachlesen. Ich habe keineswegs gesagt, was die Ukraine alles nicht machen soll. Ich lasse mir keine Worte in den Mund legen. Ich habe auf die Frage geantwortet, wie wir die Ukraine unterstützen wollen; das habe ich deutlich gemacht.
Aber wenn Sie hier jetzt versuchen, durch Wortklauberei und Verdrehen – –
({0})
– Doch, genau das haben Sie gemacht; das muss ich Ihnen jetzt auch in aller Deutlichkeit sagen. Das lasse ich nicht zu.
({1})
Ich habe ganz klar gemacht: Wir unterstützen die Ukraine in ihrem mutigen Kampf. Wir unterstützen die Ukraine darin, für ihre Rechte und für unsere Rechte zu kämpfen – das tut sie –, und wir unterstützen die Ukraine darin, die territoriale Integrität zu verteidigen. Wann die Ukraine bereit ist, zu welchem Preis zu verhandeln, ist alleine Sache der Ukraine. Weder ist das Ihre Sache, noch ist das meine Sache. Das ist meine Aussage, und dazu stehe ich mit aller Deutlichkeit.
({2})
Sie dürfen eine Nachfrage stellen.
Sie haben jetzt wieder lange erklärt, was Sie damit meinen, aber die Frage, die auch andere gestellt haben, ist doch weiterhin im Raum. Frau Ministerin, die Frage ist doch ganz einfach. Die ukrainische Regierung hat gesagt, sie wolle diesen Krieg gegen Putin gewinnen. Unterstützen Sie die Ukraine, diesen Krieg zu gewinnen? Sind Sie dafür, dass die Ukraine den Krieg gewinnt? Sie können das doch mit Ja oder Nein beantworten.
Ich kann das aber auch so beantworten, wie ich es entscheide.
({0})
Ich entscheide, dass die Ukraine unterstützt wird – mit allem, was wir verantworten können. Genau diesen Weg gehen wir: die Ukraine zu unterstützen, diesen mutigen Kampf zu führen und sich für ihre, für unsere Werte zu entscheiden.
({1})
– Herr Ziemiak, Sie werden es mir schon überlassen, welches einzelne Wort ich verwende.
({2})
Ich bin sehr gut in der Lage, abzuwägen, und genau das tue ich. Die Ukraine kann sich darauf verlassen, dass sie uns in diesem mutigen Kampf an ihrer Seite hat.
({3})
Jetzt schaue ich noch mal auf die Liste der Namen der angemeldeten Fragesteller, und da hat das Wort aus der FDP-Fraktion Alexander Müller.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Bundesministerin, die Digitalisierung der Bundeswehr ist für uns Koalitionsfraktionen von ganz großer Bedeutung. Unsere Soldatinnen und Soldaten müssen in der Lage sein, miteinander digital zu kommunizieren, kryptiert und sicher zu kommunizieren, und das ohne Eigengefährdung.
Als Parlament haben wir im Rahmen des Sondervermögens über 20 Milliarden Euro für die Digitalisierung und Führungsfähigkeit der Bundeswehr zur Verfügung gestellt. Das heißt, wir als Parlament haben das getan, was wir tun konnten. Wie ist denn jetzt der Zeitplan der Bundesregierung, um mit diesen Projekten voranzukommen? Was wollen Sie in Zukunft tun, wenn eines Tages das Sondervermögen ausgelaufen ist, um diese Fähigkeiten zu erhalten?
Zunächst – das steht ja auch in dem Plan, den wir mit Ihnen allen zusammen aufgestellt haben – ist es eine der ersten Herausforderungen, dafür zu sorgen, dass die entsprechenden Funkgeräte vorhanden sind. Sie haben es zu Recht angesprochen: Die Soldatinnen und Soldaten müssen in der Lage sein, nicht nur miteinander, sondern auch mit anderen Nationen zu kommunizieren; denn wir sind ja in der Regel in einem Bündnis mit anderen Nationen engagiert. Das ist momentan nicht möglich, weil die Interoperabilität nicht gegeben ist. Das muss sich schnellstmöglich ändern. Daher ist es eine der ersten Aufgaben, marktverfügbare Geräte zu finden.
Das wird der erste Schritt sein, den wir jetzt gehen werden. Diese Geräte sind noch nicht da – das muss ich zugeben –; Sie haben wahrscheinlich auch nicht erwartet, dass ich das innerhalb von zwei Wochen organisiere. Aber ich kann Ihnen versichern: Mit Hochdruck wird genau daran gearbeitet; denn das ist ein Zustand, der nicht länger hinnehmbar ist.
Wenn das Sondervermögen nicht mehr vorhanden sein sollte, weil es ja irgendwann aufgebraucht ist, erwarte ich, dass all die Abgeordneten, die sowohl zum Sondervermögen standen als auch zu dem dazugehörigen Begleitgesetz – darin ist ganz klar festgehalten, dass wir in der Lage sein müssen, die Landes- und Bündnisverteidigung zu gewährleisten und auch die NATO-Fähigkeitsziele zu erfüllen –, dieser Verpflichtung dann nachkommen und dafür sorgen, dass der Einzelplan 14 genauso ausgestattet wird, dass das möglich ist. Da ist der Haushaltsgesetzgeber in der Verantwortung, und da sehr viele dem zugestimmt haben, gehe ich auch davon aus, dass man dann dieser Verantwortung nachkommt.
Möchten Sie noch eine Nachfrage stellen?
Ich möchte eine Nachfrage stellen. Ich hatte nach einem Zeitplan gefragt. Dass dieser jetzt noch nicht so präzise vorhersehbar ist, ist mir klar. Aber vielleicht können Sie ja grob eine Jahreszahl nennen, wann unsere Soldatinnen und Soldaten in der Lage sein werden, miteinander und mit den Bündnispartnern sicher digital zu funken.
Ich allein kann diese Frage nicht beantworten, weil das natürlich auch davon abhängt, inwieweit die Industrie die Funkgeräte zur Verfügung stellen kann und auch zur Verfügung stellen wird. Ich habe es ja schon beschrieben: Viele Nationen statten sich jetzt anders aus und beschaffen. Deswegen kann ich Ihnen schlecht ein Datum nennen, auf das ich alleine keinen Einfluss habe. Ich kann Ihnen sagen, wann ich ein Beschleunigungsbeschaffungsgesetz vorlege, weil ich das erarbeite. Aber in diesem Fall bin ich von dem, was die Industrie leisten kann, abhängig.
Wir werden mit Hochdruck daran arbeiten; es wird schnellstmöglich geschehen. Sie haben gesehen, was passiert, wenn wir wirklich rangehen und uns endlich auf die Hinterbeine stellen. Sie haben gesehen, wie schnell die Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten mit Schutzausrüstung gelungen ist. In diesem Stil werden wir auch weiterarbeiten.
Gibt es noch eine Nachfrage zu diesem Thema? – Das ist nicht der Fall. Dann beende ich jetzt die Regierungsbefragung.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Anfang des Monats haben wir das Fundament einer neuen Sicherheitsarchitektur für unser Land gelegt. Mit überwältigender Mehrheit hat dieses Haus Ja zum Sondervermögen für die Bundeswehr gesagt. Allen, die das mit ihrer Zustimmung möglich gemacht haben – hier im Bundestag und auch im Bundesrat –, sage ich heute von Herzen Danke.
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Sicherheit ist das fundamentalste Versprechen, das ein Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern schuldet. Dieses Versprechen haben wir erneuert im Angesicht des russischen Angriffskrieges, im Angesicht der Zeitenwende. Wir werden die Bundeswehr so ausstatten, dass sie unser Land und unsere Bündnispartner gegen alle Angriffe wirksam verteidigen kann. Das ist der Maßstab für die neue Bundeswehr. Damit bekommen wir für unsere Soldatinnen und Soldaten endlich auch die Unterstützung, die sie bei ihrem wichtigen Dienst für unser Land verdienen, und dafür sage ich ebenfalls – hoffentlich im Namen von uns allen hier – Danke.
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Die Neuausrichtung unserer Sicherheitspolitik ist bei unseren Freunden in Europa und in der Welt auf Anerkennung gestoßen. Unsere Botschaft wird verstanden. In der größten Sicherheitskrise Europas seit Jahrzehnten übernimmt Deutschland, das wirtschaftsstärkste und bevölkerungsreichste Land der Europäischen Union, ganz besondere Verantwortung, und zwar nicht nur für seine eigene Sicherheit, sondern eben auch für die Sicherheit seiner Alliierten. Bei meinem Besuch vor zwei Wochen im Baltikum habe ich klargestellt: Ein Angriff auf euch wäre ein Angriff auf uns alle.
Und wir belassen es nicht bei Worten. Unmittelbar nach Kriegsbeginn haben wir zusätzliche Soldatinnen und Soldaten und militärische Fähigkeiten, zum Beispiel zur Luftabwehr, ins östliche Bündnisgebiet verlegt. Mit dem litauischen Präsidenten Nauseda habe ich vereinbart, dass wir die deutsche Präsenz dort dauerhaft verstärken und Litauen eine robuste Bundeswehrbrigade fest zuordnen. Wir werden außerdem unsere Präsenz mit Luft- und Marinestreitkräften im Ostseeraum ausweiten, und wir sind dabei, Soldatinnen und Soldaten in die Slowakei zu entsenden und die Slowakei bei der Sicherung ihres Luftraums zu unterstützen.
All das untermauert, was ich schon am 27. Februar 2022 hier im Bundestag gesagt habe: Wir werden jeden Quadratmeter des Bündnisgebietes verteidigen.
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Aus unserer eigenen Geschichte wissen wir Deutschen doch, was wir dieser Zusage zu verdanken haben, und deshalb können unsere NATO-Partner im Osten Europas sich heute auf Deutschland verlassen.
Mit dieser Zusage gehen wir kommende Woche in den NATO-Gipfel. Und weil sich dort auch andere Verbündete mit ganz konkreten Beiträgen zu unserer gemeinsamen Sicherheitsverantwortung bekennen werden, bin ich fest überzeugt: Vom NATO-Gipfel wird ein Signal des Zusammenhalts und der Entschlossenheit ausgehen.
Mit einem neuen strategischen Konzept werden wir die NATO auf die Herausforderungen der Zukunft einstellen. Das künftige Verhältnis zu Russland spielt dabei eine wichtige Rolle. Um es klar zu sagen: Eine Partnerschaft mit Russland, wie sie noch das Strategische Konzept von 2010 als Ziel ausgegeben hat, ist mit Putins aggressivem, imperialistischem Russland auf absehbare Zeit unvorstellbar.
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Doch wir sollten daraus keine falschen Schlüsse ziehen. Es wäre unklug, unsererseits die NATO-Russland-Grundakte aufzukündigen. Das würde nur Präsident Putin und seiner Propaganda in die Hände spielen. Die NATO-Russland-Grundakte bekräftigt genau die Prinzipien, gegen die Putin verstoßen hat und verstößt: den Verzicht auf Gewalt, die Achtung von Grenzen, die Souveränität unabhängiger Staaten. Daran sollten wir Putin immer wieder erinnern. Wir werden uns jedenfalls mehr denn je für den Erhalt einer internationalen Ordnung starkmachen, die auf Recht statt auf Gewalt basiert, gemeinsam mit unseren Partnern und Alliierten.
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Zu diesen Alliierten – da bin ich zuversichtlich – werden bald auch Schweden und Finnland gehören. Für uns alle, denke ich, ist klar: Schweden und Finnland sind als neue Verbündete ein Sicherheitsgewinn für alle NATO-Mitglieder und für ganz Europa.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich in den nächsten Tagen am Treffen der EU mit den Westbalkanstaaten, am Europäischen Rat, am G‑7-Gipfel und am Treffen der NATO-Staats- und Regierungschef teilnehme, dann werden mich die Eindrücke meines Besuchs in der Ukraine begleiten. Da sind vor allem die Erinnerungen an das kriegszerstörte Irpin. Ich werde sie nicht vergessen: die frischen Gräber, die zerbombten Wohnblocks, die zerstörten Brücken, die von Schüssen durchsiebten Autos. Sie sprechen eine eindeutige Sprache.
Russland führt einen erbarmungslosen Krieg gegen das ukrainische Volk, gegen unschuldige Frauen, Männer und Kinder. Das ist ein barbarisches Verbrechen. Die Ukraine hat jedes Recht, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Und es ist unsere Pflicht als europäische Nachbarn, als Verteidiger von Recht und Freiheit, als Freunde und Partner der Ukraine, sie dabei bestmöglich zu unterstützen.
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Europa steht geschlossen an der Seite des ukrainischen Volkes. Das ist die Botschaft, die Emmanuel Macron, Mario Draghi, Klaus Johannis und ich mit nach Kiew gebracht haben. Ich habe Präsident Selenskyj versichert: Wir werden die Ukraine auch weiterhin massiv unterstützen – finanziell, wirtschaftlich, humanitär, politisch und nicht zuletzt mit der Lieferung von Waffen, und zwar so lange, wie die Ukraine unsere Unterstützung braucht.
({7})
Die Ausbildung ukrainischer Soldatinnen und Soldaten an den Flakpanzern Gepard läuft. An den zugesagten Mehrfachraketenwerfern beginnt sie in den kommenden Tagen. Der Vertrag über das Luftabwehrsystem IRIS‑T, das eine ganze Großstadt vor feindlichen Luftangriffen schützt, wurde vor wenigen Tagen zwischen der Ukraine und der Industrie unterzeichnet. Ein erster Ringtausch mit Tschechien steht. Gespräche mit weiteren Tauschpartnern führen wir mit Hochdruck. Und ich kann mitteilen, was sich gestern schon herumgesprochen hat: Die Panzerhaubitzen, an denen wir ukrainische Soldatinnen und Soldaten in den vergangenen Wochen intensiv trainiert haben, sind inzwischen vor Ort in der Ukraine.
({8})
Die Ukraine bekommt die Waffen, die sie in der jetzigen Phase des Krieges besonders braucht. Genau über diese Lieferungen und diese Waffen habe ich mit dem ukrainischen Präsidenten gesprochen. Wir liefern sie heute und in Zukunft.
Damit wir alle künftig auf Basis von Fakten über diese Entscheidung diskutieren, hat die Bundesregierung entschieden, eine Übersicht über alle schon erfolgten und alle kommenden Waffenlieferungen zu veröffentlichen, analog zur Praxis vieler unserer Verbündeten.
({9})
Meine Damen und Herren, Städte wie Irpin oder Butscha sind Orte des Grauens. Aber Irpin und die anderen befreiten Orte machen auch etwas Hoffnung, dass es gelingen kann, die russischen Angreifer mit vereinten Kräften zurückzudrängen, und das bleibt unser Ziel. Deshalb werden wir mit Präsident Selenskyj auch über weitere Unterstützung für die Ukraine beraten, immer ohne dass die NATO dadurch selbst zur Kriegspartei wird.
Noch etwas haben wir Präsident Selenskyj bei unserem Besuch in Kiew versichert: Die Ukraine – und nur die Ukraine – entscheidet in möglichen Verhandlungen mit Russland, was für sie richtig ist. „Nichts über die Ukraine ohne die Ukraine“ lautet unsere Devise.
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Die Wahrheit ist doch: Wir sind von Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland weit, weit entfernt, weil Putin noch immer an die Möglichkeit eines Diktatfriedens glaubt. Umso entscheidender ist es, dass wir standhaft Kurs halten, mit unseren Sanktionen, mit den international abgestimmten Waffenlieferungen und mit unserer finanziellen Unterstützung für die Ukraine – so lange, bis Putin seine kolossale Fehleinschätzung endlich erkennt.
Bei alldem, meine Damen und Herren, brauchen wir einen langen Atem. Auch der Wiederaufbau der Ukraine wird eine Generationenaufgabe; auch das wird einem in den zerschossenen Häuserruinen von Irpin sehr deutlich. Das Ausmaß der Zerstörung ist enorm. Manches dort erinnert nicht nur mich an die Bilder der zerstörten deutschen Städte nach dem Zweiten Weltkrieg.
Wie damals das kriegszerstörte Europa braucht heute auch die Ukraine einen Marshallplan für einen Wiederaufbau. Die EU hat in den letzten 100 Tagen Mittel in Milliardenhöhe zur Unterstützung der Ukraine mobilisiert. Deutschland ist immer vorne mit dabei. Aber wir werden viele weitere Milliarden Euro und Dollar für den Wiederaufbau brauchen, und das über Jahre hinweg.
Das geht nur mit vereinten Kräften, gemeinsam mit den internationalen Finanzorganisationen, mit anderen großen Geberländern, mit anderen internationalen Organisationen. Ich habe Präsident Selenskyj zum G‑7-Gipfel nach Elmau eingeladen, um auch darüber zu reden.
Neben den Finanzmitteln ist eines besonders entscheidend: Wir müssen uns darüber verständigen – auch mit dem Rat von Expertinnen und Experten und Wissenschaftlern –, wie ein solcher Marshallplan für die Ukraine aussehen kann, wie wir ihn international koordinieren, wie wir künftig gemeinsam entscheiden, welche Investitionen die Ukraine am schnellsten voranbringen auf ihrem europäischen Weg.
Gemeinsam mit der Kommissionspräsidentin werde ich deshalb auch beim Europäischen Rat und an anderer Stelle dafür werben, eine hochrangige internationale Expertenkonferenz einzuberufen, und zwar im Rahmen unserer G‑7-Präsidentschaft, eng abgestimmt mit internationalen Partnern.
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Der europäische Weg der Ukraine war das zentrale Thema meines Besuchs in Kiew. Emmanuel Macron, Klaus Johannis, Mario Draghi und ich haben unisono klargestellt: Die Ukraine gehört zur europäischen Familie. Deshalb werde ich mich auch beim Europäischen Rat morgen und übermorgen mit allem Nachdruck dafür einsetzen, dass die gesamte EU geschlossen Ja sagt: 27‑mal Ja zum Kandidatenstatus.
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Deutschland ist für eine positive Entscheidung, übrigens auch für die Republik Moldau. In diesen Tagen gab und gibt es wohl keinen passenderen Ort, um das klarzustellen, als Kiew, Seite an Seite mit dem ukrainischen Präsidenten, Seite an Seite auch mit Freunden und Partnern aus alten und neuen EU-Mitgliedstaaten aus dem Norden, Süden, Osten und Westen.
Inzwischen hat die Kommission unsere Haltung ausdrücklich unterstützt. Zugleich hat sie klare Reformschritte benannt. Richtschnur und Zielmarke sind die Kopenhagener Kriterien. Von besonderer Bedeutung sind dabei Fragen der Rechtsstaatlichkeit, die weitere Reform des Gerichtswesens, der Kampf gegen Korruption und der Schutz von Minderheiten. Auch die Ukrainerinnen und Ukrainer wissen: Der Weg in die EU ist voraussetzungsreich.
Aber sie wollen den Weg jetzt gehen, weil sie sich davon weniger Korruption, weniger Einfluss von Oligarchen und mehr Rechtsstaatlichkeit, mehr Transparenz, mehr Demokratie und eine stärkere Wirtschaft versprechen. Das ist die Hoffnung, die auch wir mit dem Weg der Ukraine Richtung EU verbinden. Und dabei werden wir die Ukraine unterstützen.
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Das gilt übrigens auch für Georgien, dessen europäische Perspektive wir weiter fördern wollen. Zugleich wissen wir: Auch die EU muss sich auf den Beitritt neuer Mitglieder vorbereiten. Das heißt, dass wir unsere internen Strukturen und Verfahren reformieren müssen. Deshalb werbe ich intensiv dafür, künftig mehr Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit zu treffen, etwa in der Außenpolitik. Wir müssen die Europäische Union aufnahmefähig machen. Das erfordert institutionelle Reformen, und wir sollten diese Reformen nutzen, um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch in der Europäischen Union zu stärken.
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Die Entscheidung für den Kandidatenstatus der Ukraine und Moldaus ist eine Antwort Europas auf die Zeitenwende. Dieselbe klare Antwort verdienen auch die Länder des westlichen Balkans.
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Deshalb war es mir wichtig, die Region vor meiner Reise in die Ukraine zu besuchen. Fast 20 Jahre ist es her, dass die EU diesen Ländern den Beitritt in Aussicht gestellt hat – in Thessaloniki. Ich war vor wenigen Tagen dort, und alle haben mich daran erinnert: Als das damals in Thessaloniki – am gleichen Ort – beschlossen wurde, haben alle gedacht: So in fünf bis acht Jahren sind die alle Mitglied. Das hat sich bis heute nicht bewahrheitet. Deshalb muss in diesen neuen Zeiten klar sein: Jetzt gilt es! Wir wollen und wir brauchen den westlichen Balkan in der Europäischen Union.
({16})
Das war meine Botschaft bei meiner Reise in die Region, und es wird auch die Botschaft sein, die vom morgigen EU-Treffen mit den sechs Westbalkanstaaten ausgehen muss.
Ich sage hier ganz ausdrücklich: Es findet nun hoffentlich statt. Wir haben heute auch verfolgt, dass das nicht so sicher war. Darüber darf man sich ehrlicherweise auch nicht wundern. Denn wenn man Hoffnungen weckt, wenn man Nationen, wenn man Länder davon überzeugt, dass es sich lohnt, sich auf den Weg in die EU zu machen, wozu Anstrengungen unternommen und politische Konflikte im eigenen Land riskiert werden – ein Land hat seinen Namen in „Nordmazedonien“ geändert, um den Streit mit Griechenland beizulegen –, das aber alles nichts hilft und die Dinge nicht vorankommen, dann ist es völlig richtig, dass das Störgefühl, das die politisch Verantwortlichen dieser Länder und ihre Bürgerinnen und Bürger haben, auch ausgedrückt wird. Deshalb wird das bestimmt kein einfacher Gipfel mit diesen Staaten. Aber es ist richtig, dass wir uns da so positionieren, dass sie wissen: Deutschland ist auf ihrer Seite.
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Ich hoffe sehr, dass nun alle über ihren Schatten springen und ihre Verantwortung für das große Ganze sehen. Die EU muss endlich grünes Licht geben für Beitrittsverhandlungen mit Albanien und mit Nordmazedonien.
Das will ich hier auch sagen: Meine Gespräche mit dem bulgarischen Ministerpräsidenten haben mir gezeigt, dass er sehr konstruktiv an die Gespräche mit Skopje herangeht. Und wir wissen auch: Gegenwärtig finden darüber heftige Debatten in dem Land statt; denn das, was das Miteinander in Europa so schwierig macht, ist immer wieder, dass Dinge, die irgendwie ein Fundament in lange zurückliegenden Ereignissen der Geschichte haben, plötzlich genutzt werden, um aktuell alles Mögliche durcheinanderzubringen, was uns eine friedliche Zukunft ermöglicht. Deshalb hoffe ich, dass Bulgarien einen Weg wählt, der es möglich macht, dass es seine eigene Kraft in der Europäischen Union entfalten kann, aber vereint mit seinen engsten Nachbarn im westlichen Balkan.
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Ich unterstütze deshalb die Bemühungen der französischen Ratspräsidentschaft, einen Kompromiss zu vermitteln. Ich hoffe, dass alle ihre Streitigkeiten beilegen. Ein stabiler, wohlhabender europäischer Westbalkan liegt schließlich in unser aller Interesse.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch etwas hat bei unserem Besuch in Kiew eine wichtige Rolle gespielt. Wir haben über die globalen Folgen des Kriegs gesprochen: über steigende Energiepreise und knappe Rohstoffe. Abgestimmt mit unseren europäischen und internationalen Partnern tun wir alles dafür, um Vorsorge für den Winter zu treffen. Das gilt besonders für die Energieversorgung. Wir arbeiten auch an Lösungen für die Ausfuhr von ukrainischen Nahrungsmitteln. Erst gestern habe ich mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen noch einmal darüber diskutiert, wie wir die Verhandlungen jetzt zu einem guten Ergebnis führen können. Es kann nicht dabei bleiben, dass Millionen Tonnen ukrainisches Getreide in Speichern feststecken, obwohl sie weltweit dringend gebraucht werden.
({19})
Die Vereinten Nationen warnen schon vor der größten Hungersnot seit Jahrzehnten. Dabei kämpfen viele Länder des Globalen Südens noch mit den Folgen der Pandemie. Wenn es uns nicht gelingt, diesen Ländern solidarisch beizustehen, dann werden Mächte wie Russland und China das ausnutzen. Deshalb ist es von ganz entscheidender Bedeutung: Von den Gipfeltreffen der kommenden Tage muss nicht nur die Botschaft ausgehen, dass die Europäische Union, die NATO und die G 7 so geschlossen zusammenstehen wie nie, sondern auch, dass die Demokratien der Welt zusammenstehen im Kampf gegen Putins Imperialismus, aber eben genauso im Kampf gegen Hunger und Armut, gegen Gesundheitskrisen und den Klimawandel. Mit Indonesien und Indien habe ich daher die aktuelle und die künftige G-20-Präsidentschaft zum Gipfel eingeladen. Auch Senegal als Präsidentschaft der Afrikanischen Union, Argentinien als Vorsitz der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten sowie Südafrika werden mit am Tisch sitzen.
Als Präsidentschaft der G 7 haben wir Vorarbeit geleistet. Zusammen mit der Weltbank haben wir ein Bündnis für globale Ernährungssicherheit ins Leben gerufen. Mit einem Pakt zur Bekämpfung künftiger Pandemien wollen wir die Früherkennung von möglichen Ausbrüchen und die Reaktionsfähigkeit stärken. Und wir werden über die Rolle von Demokratien sprechen bei der Verteidigung offener, resilienter Gesellschaften und der Durchsetzung von Menschenrechten. Und nicht zuletzt brauchen wir dringend Fortschritte beim Klima- und Umweltschutz. Ich habe daher einen offenen kooperativen Klimaklub vorgeschlagen, und ich bin zuversichtlich, dass wir ihn in Elmau weiter aufs Gleis setzen. Das Ziel ist ein internationaler Markt mit vergleichbaren Standards, ein Markt, der Länder für klimafreundliches Wirtschaften belohnt und sie vor Wettbewerbsnachteilen schützt. Die Beachtung von Klimaschutz wird damit zum Wettlauf um Wettbewerbsvorteile.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zeitenwende war nie nur eine Zustandsbeschreibung. Aus ihr ergibt sich ein Handlungsauftrag an unser Land, an Europa, an die internationale Gemeinschaft. Als Land haben wir die Weichen neu gestellt. Wir investieren massiv in unsere Sicherheit. Wir lösen das Versprechen deutscher Sicherheitsverantwortung für Europa ein. Wir werden energieunabhängig von Russland, und wir werden klimaneutral. Jetzt erst recht!
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Auf den internationalen Gipfeltreffen der kommenden Tage werden wir ähnlich tiefgreifende Veränderungen anstoßen. Die Europäische Union muss sich zur europäischen Zukunft ihrer Nachbarschaft bekennen und zu den notwendigen internen Reformen. Die NATO wird geschlossen wie nie die sicherheitspolitischen Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit geben. Und die G 7 wird klare Zeichen setzen für mehr Klimaschutz, mehr internationale Zusammenarbeit und mehr globale Solidarität. Deutschland spielt bei alldem eine zentrale Rolle. An unser Land richten sich große Erwartungen. Wir stellen uns dieser Verantwortung, und das wird die Aufgabe der nächsten Tage sein.
Schönen Dank.
({21})
Ich eröffne hiermit die Aussprache. Als Erster hat das Wort Friedrich Merz für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir erleben zurzeit in der Tat die tiefste Zäsur der europäischen Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Ergebnisse der jetzt in sehr dichter Abfolge stattfindenden Gipfeltreffen der Europäischen Union, der G 7 und der NATO werden auf lange Zeit die politische Ordnung auf unserem Kontinent und damit das Leben der Menschen in ganz Europa und darüber hinaus bestimmen.
Herr Bundeskanzler, wir haben aus Überzeugung mitgestimmt bei der Neuausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik und bei der neuen Art der Finanzierung der Bundeswehr. Das ist ein wesentlicher Bestandteil einer neuen deutschen und damit auch einer neuen europäischen Sicherheitspolitik.
Wir begrüßen ausdrücklich, dass Sie in der letzten Woche – will sagen: nun endlich – in Kiew gewesen sind und dass Sie dort mit dem französischen Staatspräsidenten, dem rumänischen Präsidenten – das war besonders wichtig – und dem italienischen Ministerpräsidenten zu Besuch waren. Das war ein wichtiges Zeichen der europäischen Solidarität mit diesem unverändert geschundenen Land und seinen Menschen. Dieser Besuch aber, meine Damen und Herren, ändert nichts daran: Der russische Vernichtungskrieg in der Ukraine trägt von Tag zu Tag mehr – so sagt es das Wallenberg Centre for Human Rights – „die zentralen Merkmale eines intendierten Völkermords“.
Wir alle – Sie, die Mitglieder der Bundesregierung, wir, die Mitglieder des Deutschen Bundestages – haben in diesen Tagen den Brief einer großen Zahl von anerkannten Historikern, Völkerrechtlern und weiteren Personen des öffentlichen Lebens erhalten, die uns alle zusammen eindringlich auffordern, auch unserer Schutzverantwortung für die Ukraine nachzukommen und die immer größer werdende Gefahr eines Völkermordes abzuwenden. Wir stehen zu dieser Verantwortung auch als CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
({0})
Herr Bundeskanzler, wir begrüßen ausdrücklich, dass nun auch endlich die Lieferung der Waffen in Gang kommt, die wir hier gemeinsam am 28. April im Deutschen Bundestag mit sehr großer Mehrheit beschlossen haben und die Sie schon seit Wochen ankündigen. Es hat offenbar in Ihrer Regierung einen Meinungswechsel gegeben im Hinblick auf die Veröffentlichung von Listen und auch auf die Lieferung. Wir begrüßen das ausdrücklich. Wir hätten es uns früher vorstellen können.
({1})
Es ist vor allem angesichts der Tatsache wichtig, dass Russland nun offenbar dabei ist, auch die Spannungen zu einem weiteren Nachbarland zu verschärfen, nämlich gegenüber Litauen.
({2})
Herr Bundeskanzler, Sie haben das hier mit einem Halbsatz angesprochen; ich will es etwas deutlicher sagen: Dies zeigt, dass wir in unserer Einschätzung richtig liegen, dass Putin in der Ukraine gestoppt werden muss. Wenn das nicht gelingt, macht er weiter.
({3})
Nun will ich allerdings unserer Überraschung schon ein wenig Ausdruck verleihen, dass ausgerechnet in einer solchen Lage der außenpolitische Berater des Bundeskanzlers, Ihr wichtigster Mitarbeiter in der Außenpolitik im Bundeskanzleramt, es für richtig und angezeigt hält, öffentlich darüber zu räsonieren, wie denn nun unser Verhältnis zu Russland sein könnte. Wörtlich:
Mit 20 Mardern kann man viele Zeitungsseiten füllen, aber Artikel darüber, wie wird unser Verhältnis zu Russland sein, gibt’s jetzt irgendwie weniger.
Herr Bundeskanzler, solche Äußerungen sind genau die Äußerungen aus Ihrer Bundesregierung, die im Inland und noch mehr im europäischen Ausland und außerhalb der Europäischen Union berechtigte Zweifel daran auslösen, ob Sie es wirklich ernst meinen mit dem, was Sie auch heute hier von dieser Stelle aus wieder gesagt haben.
({4})
Sie verlieren mit diesen Zweifeln aus Ihren eigenen Reihen das wichtigste Kapital, das Sie gerade jetzt in dieser internationalen Krise brauchen, nämlich Vertrauen und Verlässlichkeit in den deutschen Bundeskanzler.
({5})
– Sie haben auch schon mal witzigere Zwischenrufe gemacht.
({6})
Ich vermisse übrigens in Ihren Reihen den Parteivorsitzenden der SPD. Wo ist der eigentlich?
({7})
Der macht hier kluge Vorschläge zur Außen- und Sicherheitspolitik, und dann sieht man mal in Ihre Reihen und stellt fest: Die Hälfte der SPD-Bundestagsfraktion fehlt. Was ist eigentlich los, Herr Bundeskanzler, in Ihrer eigenen Koalition, dass noch nicht einmal Ihre beiden Parteivorsitzenden heute da sind und Ihren Ausführungen zugehört haben?
({8})
Wir sind da und hören zu.
Also, immerhin der Beschluss der Staats- und Regierungschefs, meine Damen und Herren, über den Kandidatenstatus der Ukraine ist wichtig. Er ist ein wichtiges politisches Signal des europäischen Zusammenhalts. Aber wir alle wissen: Der Beschluss allein, die Ukraine jetzt in den Kandidatenstatus zu setzen, hilft diesem Land noch nicht, und die Ukraine ist damit von einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union – wir wissen es – noch viele Jahre entfernt. – Deswegen stellt sich die berechtigte Frage: Was geschieht in der EU mit der Ukraine eigentlich in der Zeit bis dahin?
Sie haben sich, Herr Bundeskanzler, bei anderer Gelegenheit offen gezeigt – so haben Sie es gesagt – für den Vorschlag des französischen Präsidenten einer europäischen politischen Gemeinschaft. Nun sind diese Vorschläge, zwischen der Vollmitgliedschaft und der Nichtmitgliedschaft eine Art Zwischenstatus in der Europäischen Union zu schaffen und auch institutionell abzusichern, nicht neu. Aus unseren Reihen hier, aus dem Deutschen Bundestag, aus der Bundestagsfraktion der CDU/CSU sind schon 1994 Vorschläge gemacht worden für eine abgestufte Integration innerhalb der Europäischen Union. Aber was folgt denn nun daraus, wenn der französische Staatspräsident eine solche Frage stellt? Was ist die Antwort der Bundesregierung, der Bundesrepublik Deutschland? Ich finde, Europa könnte – und ich meine sogar: Europa muss – bis zur Vollmitgliedschaft der Ukraine in der Europäischen Union einen Weg finden, um die Beitrittskandidaten – eben nicht nur die Ukraine, sondern auch Moldau, möglicherweise auch Georgien – Schritt für Schritt an diese Europäische Union heranzuführen.
Der französische Präsident, meine Damen und Herren, hat weitere Vorschläge gemacht für die Reform der Europäischen Union. Er hat unter anderem eine Reform des Maastricht-Vertrages vorgeschlagen.
({9})
Und es ist aufschlussreich, dass Sie in Ihrer Regierungserklärung heute kein Wort darüber verloren haben, dass auch die Präsidentin der Europäischen Zentralbank an diesem Gipfel der Europäischen Union teilnimmt und dort einen Ausblick auf die finanz- und wirtschaftspolitische Lage geben wird. Meine Damen und Herren, ich will von unserer Seite hier jedenfalls festhalten: Für uns gibt es keinen Zweifel daran, dass wir am Maastricht-Vertrag und am Stabilitäts- und Wachstumspakt der Europäischen Union ohne Wenn und Aber festhalten wollen.
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Es gibt Gründe, diesen Hinweis zu geben. Denn, meine Damen und Herren, wenn ich Überlegungen aus der Europäischen Zentralbank höre, dass man jetzt der „Fragmentierung der Eurozone“ begegnen will, dann sind dies erste Hinweise darauf, dass offensichtlich die Europäische Zentralbank vorhat, außerhalb ihres Mandats weitere Stützungsmaßnahmen für einzelne Länder innerhalb der Währungsunion vorzubereiten. Auch hier gilt: Die Bundesregierung, Herr Bundeskanzler, ist im Rahmen des Mandats der Europäischen Zentralbank gebunden an die Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichtes vom 5. Mai 2020.
({11})
Ich will das hier noch einmal in Erinnerung rufen.
Vor allem sind Sie gebunden an die strikte Regel, dass Anleihen von der Europäischen Zentralbank nur quotal nach den jeweiligen Kapitalschlüsseln der nationalen Zentralbanken gekauft werden. Das hört sich jetzt sehr technisch an. In Wahrheit, meine Damen und Herren, ist dies eine ganz wesentliche politische Frage der zukünftigen Stabilität der Europäischen Währungsunion, wenn die Europäische Zentralbank ihren Auftrag weiter erfüllen will, für Geldwertstabilität zu sorgen, und zwar nur für Geldwertstabilität. Ein anderes Mandat hat die Europäische Zentralbank nicht.
({12})
Und es ist schon aufschlussreich, dass Sie in dieser Regierungserklärung den Stabilitäts- und Wachstumspakt der Europäischen Union mit keinem Wort erwähnen,
({13})
obwohl er gerade in diesen Tagen 25 Jahre alt wird und man eigentlich doch die Gelegenheit hätte nutzen können, mal zu sagen: Die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland hält ohne Wenn und Aber an den Zielen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes der Europäischen Währungsunion fest.
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Das hätten wir eigentlich gerade vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Verschuldung und Zinsentwicklung von Ihnen erwartet, Herr Bundeskanzler.
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Die Menschen machen sich nicht nur Sorgen um den Krieg in der Ukraine und die mögliche Ausweitung, sondern auch um die Inflation, die Geldentwertung und die Zinsentwicklung. Je höher die Schulden, umso höher ist die Inflation. Die Situation hätte es durchaus verdient, ein Wort zu den Schulden und zu den Zinsen in der Europäischen Währungsunion zu sagen. Herr Bundeskanzler, Sie haben diese Gelegenheit leider nicht genutzt. Ich will deswegen für uns sagen: Wenn Sie sich an irgendeiner Stelle auf den Weg machen, eine Transferunion und eine Schuldenunion in der Europäischen Währungsunion zu ermöglichen, dann werden Sie dabei auf den erbitterten Widerstand unserer Bundestagsfraktion stoßen,
({16})
und wir werden alles tun, um genau das zu verhindern.
({17})
– Den Zwischenruf, dass das von vorgestern ist,
({18})
greife ich gerne auf und freue mich, dass er im Protokoll festgehalten ist. Stabilität in der Währungsunion ist also von vorgestern.
({19})
Diesen Zwischenruf aus der SPD, meine Damen und Herren, den merken wir uns, und darauf kommen wir bei Gelegenheit gerne zurück.
({20})
Dafür werden die Menschen in Deutschland Ihnen ganz große Dankbarkeit aussprechen.
Lassen Sie mich abschließend einen oder zwei Sätze zum G-7-Gipfel sagen: Es ist eine sehr kluge Entscheidung, Herr Bundeskanzler, einige Länder hier als Gäste einzuladen. Sie haben Südafrika, Senegal, Indonesien, Indien und Argentinien genannt. Über Südafrika kann man streiten und auch darüber, ob es nicht vielleicht sinnvoller gewesen wäre, Australien statt Südafrika einzuladen. Aber immerhin: Sie haben Indien eingeladen. Es ist eine strategisch sehr kluge Entscheidung, dass Sie ein Land, das zu den größten der Welt zählt, dazu einladen, hier über die zukünftige politische Ordnung der Welt mitzudiskutieren.
Wir hätten Ihnen gerne noch ein kleines Gastgebergeschenk mit in Ihr Reisegepäck gegeben.
({21})
Wir hätten nämlich spätestens heute das Handelsabkommen mit Kanada verabschieden können. Dann wäre diese Initiative umso glaubwürdiger gewesen, dass Sie diese Länder einladen.
({22})
Nur, damit es alle wissen: Ihre Koalition, Herr Bundeskanzler, hat heute Morgen im Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages zum fünften Mal hintereinander die Ratifikation dieses Abkommens abgelehnt.
({23})
Sagen Sie, wenn Sie mit diesen Ländern reden wollen – und Sie müssen mit diesen Ländern reden –, warum sind Sie denn dann nicht in der Lage, Ihrer Koalition mal zu sagen: „Wir verabschieden vor einem solchen großen Gipfel, wo die Kanadier dabei sind, dieses Freihandelsabkommen mit Kanada“?
({24})
Das wäre wirklich glaubwürdig gewesen. Dann hätten Sie etwas im Gepäck gehabt, auch aus der Mitte des Deutschen Bundestages.
Nun, Sie haben es nicht hinbekommen. Sie schaffen es offensichtlich nicht, Ihre Koalition da zur Vernunft zu bringen. Wir wünschen Ihnen und der Bundesregierung trotzdem viel Erfolg bei diesen wichtigen Gipfeln, die jetzt bevorstehen. Wir bleiben skeptisch – und das werden Sie uns nachsehen, wenn ich das sage –, ob Sie in zwei Wochen wirklich mit den Ergebnissen nach Berlin zurückkehren, die Europa und die auch unser Land in dieser schwierigen Situation jetzt so dringend brauchen.
Herzlichen Dank.
({25})
Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Katharina Dröge.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Merz, es gibt einen Punkt in Ihrer Rede, bei dem ich Ihnen zustimmen würde.
({0})
Wir erleben gerade Krisen, die tatsächlich unser Leben, das Leben der Menschen in Europa, nachhaltig und auf Dauer verändern werden. Dazu gehört der Krieg in Europa, der furchtbare Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, ein Angriffskrieg gegen die Menschen in der Ukraine, aber auch gegen unser aller Sicherheit. Dazu gehört eine sehr hohe Inflation im Euroraum, die die Menschen belastet,
({1})
eine Inflation, die insbesondere die Energie- und Lebensmittelpreise betrifft.
Aber es gibt eine Krise, die Sie zum wiederholten Male nicht angesprochen haben in Ihrer Rede, und das ist die globale, sich verschärfende Klimakrise.
({2})
Politik auf der Höhe dieser Zeit zu machen, heißt, in der Lage zu sein, alle Krisen zu erkennen, die wir gerade bearbeiten müssen, zu erkennen, wie diese Krisen zusammenhängen, und zu erkennen, dass wir diese Krisen nur gemeinsam beantworten können. Da war in Ihrer Rede eine riesige Leerstelle.
({3})
Wir sind diejenigen, die gewählt sind, diese Krisen gleichzeitig zu lösen, und dabei kommt es wie nie auf die Europäische Union an.
Die Menschen in der Ukraine kämpfen jeden Tag um jeden Quadratmeter ihres Landes, um ihre Städte, um ihre Dörfer, aber auch um ihr Leben, um ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung. Es ist unser Auftrag als Europäische Union, alles dafür zu tun, alles, was in unserer Möglichkeit steht, die Ukraine hierbei zu unterstützen. Ich war froh, dass wir es geschafft haben, gemeinsam und fraktionsübergreifend hier im Deutschen Bundestag einen Antrag zu beschließen, der eine klare Richtung dafür beschreibt, wie wir die Ukraine unterstützen können und müssen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, genau das tun wir auch. Wir unterstützen die Ukraine auf der einen Seite durch scharfe wirtschaftliche Sanktionen. Wir unterstützen die Ukraine durch enorme finanzielle Hilfen. Wir unterstützen die Menschen, die aus der Ukraine zu uns geflüchtet sind, indem wir sie hier aufnehmen.
Und ja, wir unterstützen die Ukraine auch mit der Lieferung von militärischem Material und schweren Waffen. Wir alle hätten uns mit Sicherheit gewünscht, dass das schneller geht. Wir alle bedauern, dass es Restriktionen gibt wie Ausbildungszeiten, wie die Verfügbarkeit von Materialien, die es nicht sofort möglich gemacht haben, all das zu liefern, was wir bereits beschlossen haben. Umso wichtiger ist, dass die ersten schweren Waffen jetzt auch in der Ukraine angekommen sind. Umso wichtiger ist, dass wir uns gemeinsam verpflichten, hier zu handeln.
({5})
Es gibt eine Sache – wir alle haben mit dem ukrainischen Außenminister Kuleba gesprochen, als er hier in Berlin zu Besuch war –, worum die Ukraine ganz besonders gebeten hat, die ihr ganz besonders wichtig war, und das war eine klare Beitrittsperspektive zur Europäischen Union. Deswegen ist es so fundamental wichtig, wenn vom Europäischen Rat jetzt das Zeichen ausgeht, dass die Ukraine und dass auch Moldau den Kandidatenstatus bekommen werden. Das ist ein wichtiges, gemeinsames und entschlossenes Zeichen vonseiten der Europäischen Union.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Auswirkungen dieses brutalen Krieges spüren natürlich zuallererst die Menschen in der Ukraine. Aber die spüren auch wir hier. Russland versucht mit allen Mitteln, die EU wirtschaftlich zu schwächen. Russland setzt insbesondere fossiles Gas in diesem Konflikt als Waffe gegen uns ein. Wir sehen momentan eine angespannte Lage auf dem Gasmarkt durch gedrosselte Gaslieferungen. Wir alle schauen natürlich mit Sorge auch auf die Situation im Herbst. Aber hier – und deswegen ist es so wichtig, die unterschiedlichen Krisen gleichzeitig zu sehen – zeigt sich eben auch die Gleichzeitigkeit verschiedener Krisen. Denn unser Hunger nach fossilen Energien, der hat uns nicht nur in ein massives Sicherheitsrisiko geführt, der hat uns nicht nur massiv erpressbar gemacht von Russland, sondern der ist auf der anderen Seite auch der Brandbeschleuniger für die Klimakrise und trägt die Verantwortung, wenn wir die Zukunft unserer Kinder zerstören. Deshalb müssen wir diese Krisen gleichzeitig lösen.
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Da sind die kurzfristigen Maßnahmen wie das Kaufen von fossilem Gas aus anderen Regionen der Welt, um durch den Winter zu kommen. Aber da sind vor allen Dingen auch die strukturellen Maßnahmen, die wir jetzt angehen müssen. Und da kann ich mir einen Blick in die Vergangenheit nicht verkneifen. Denn hätten Sie gehandelt, dann stünden wir heute anders da. Hätten wir mehr erneuerbare Energien, hätten Sie Ernst gemacht mit der energetischen Gebäudesanierung, dann wären die Leute nicht so abhängig von den hohen Preisspitzen bei den Fossilen. Hätten sie Ernst gemacht mit der Förderung des Umtauschs von Heizungen, dann wären die Leute jetzt nicht so empfindlich getroffen von den hohen Preisen für fossile Energien. Sie haben in der Vergangenheit massive Fehler gemacht, indem Sie in diesen Bereichen nicht gehandelt haben. Sie müssen jetzt mit uns alle gemeinsam den Weg gehen, diese strukturellen Fehler zu beheben. In der Reduzierung des Gasverbrauchs liegt die einzige vernünftige Antwort auf diese Krise.
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Wir haben gleichzeitig die Aufgabe, die Menschen in dieser Zeit, in der sie von hohen Kosten für fossile Energien belastet werden, zu unterstützen. Wenn jeder Sechste angibt, dass er aufgrund der hohen Inflation eine reguläre Mahlzeit täglich ausfallen lässt, dann ist das ein Warnsignal an die Politik, dann ist das ein Handlungsauftrag an die Politik. Insbesondere für die ärmsten Menschen in diesem Lande werden die hohen Lebensmittelpreise zu einem enormen Problem, und deswegen müssen wir insbesondere mit Blick auf die Grundsicherung handeln. Die Sätze sind dort zu niedrig. Die Menschen brauchen hier mehr finanzielle Unterstützung.
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Eins begründet diese Inflation nicht: Wir haben eine Inflation, die aufgrund von Preissteigerungen bei Fossilen getrieben wird. Wir haben keine Inflation, die zurückzuführen ist auf eine falsche Geldpolitik, und wir haben auch keine Inflation, die zurückzuführen ist auf eine zu hohe Staatsverschuldung. Angemessene Politik heißt auch, das Problem an den Wurzeln zu packen. Deswegen ist die Lösung jetzt nicht, über angemessene und sachorientierte Geldpolitik und Staatsverschuldung zu sprechen. Die richtige Politik ist, die Preise für fossile Energien in den Blick zu nehmen sowie die Erneuerbaren als günstigste Energieform auszubauen, und mit Sicherheit nicht, mit einem Rollback in die Atomenergie ausgerechnet die teuerste Form der Energieerzeugung wieder anschalten zu wollen.
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Mit Blick auf die Klimakrise ist die Europäische Union gefordert, und die Europäische Union handelt. Sie hat ein weitreichendes Klimapaket mit dem „Fit for 55“-Paket beschlossen, das unsere Unterstützung hat, das Ernst macht mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien, das Ernst macht mit der Energieeffizienz und das Ernst macht mit einer klimafreundlichen, klimaneutralen Mobilität. Auch hier hat die Europäische Union unsere Unterstützung.
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Die Gleichzeitigkeit der Krisen bedeutet aber auch, dass wir die globale Verantwortung sehen müssen. Putin benutzt den globalen Hunger als Waffe, und die Klimakrise verschärft den globalen Hunger, indem sie die Lebensgrundlage gerade der ärmsten Menschen auf diesem Planeten zerstört. Mit Blick auf den G‑7-Gipfel haben wir die Verantwortung, klare Zusagen zu machen für die internationale Klimafinanzierung, klare Verantwortung zu übernehmen für die Finanzierung der Beseitigung von Verlusten und Schäden, die aus der Klimakrise entstehen, und klare, verbindliche Vereinbarungen zu treffen, weil die Länder, die am meisten zum Entstehen der Klimakrise beigetragen haben, jetzt auch die Verantwortung haben, den größten Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise zu leisten. Die ärmsten Länder dieser Welt können am wenigsten dafür, in welcher Situation sich dieser Planet befindet, müssen aber die größte Last tragen. Deswegen: Machen Sie diesen G-7-Gipfel zu einem klaren Zeichen für gemeinsamen Klimaschutz, zu einem klaren Zeichen für entschlossenes Handeln.
Ich danke Ihnen.
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Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Tino Chrupalla.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Landsleute! Die Erwartungen an die bevorstehenden Gipfeltreffen sind ja offensichtlich sehr hoch; meine Vorredner hier haben das eingangs schon gezeigt. Bundeskanzler Scholz möchte auch hier für seine Vorstellung vom Wahren und Guten werben. – Dafür wünsche ich Ihnen viel Erfolg bei diesen Gipfeltreffen, zum Beispiel im Bereich der Energieversorgung.
Mittlerweile hat man erkannt, dass überambitionierte grüne Klimapläne nicht umsetzbar sind – Frau Dröge, darauf sind Sie in Ihrer Rede überhaupt nicht eingegangen –; denn sie sind reine Ideologie und nicht anschlussfähig an die reale Situation in Deutschland.
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Deshalb hat sich die Bundesregierung jetzt bei unseren Ansätzen für eine vernünftige Klimapolitik bedient; das ist eigentlich mal was Positives. Einige Beispiele: Stromerzeugung durch Kohlekraftwerke, Weiterentwicklung von Verbrennermotoren und der Weiterbetrieb der Kernkraftwerke – alles Forderungen der AfD, die neben Robert Habeck nun auch die FDP für sich entdeckt hat.
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„Willkommen in der Realität!“, kann man da sagen. Christian Lindner forderte das mittlerweile auf Twitter. Damit folgt er nur konsequent der Rolle, die die FDP einnimmt als eine Partei, die wie ein Fähnlein im Wind stets so agiert, dass ihre Macht gesichert bleibt. Eigene Ideen? Fehlanzeige.
Fest steht – das ist die Linie der AfD –: Wir brauchen in Deutschland einen vernünftigen Energiemix.
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Denn wir sind bei wachsendem Energiebedarf und hoher Inflation einfach nicht imstande, auf konventionelle, vor allem grundlastfähige Energieerzeugung zu verzichten; das wird die nächsten 20, 30 Jahre auch so bleiben. Von Speichern ganz zu schweigen; die haben wir nämlich auch nicht.
Werte Kollegen, Deutschland und unsere Bürger stehen vor schwierigen Zeiten wie seit 50 Jahren nicht mehr. Wo bleibt die Unterstützung der Bundesregierung? Ihre Entlastungen für drei Monate, die Sie beschlossen haben, sind allenfalls ideologisch motiviert, Makulatur, mittlerweile verpufft und eigentlich schon jetzt gescheitert.
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Meine Damen und Herren, Sie verlangen allen Bürgern sehr viel ab. Viele sind trotzdem zum Verzicht bereit. Es bleibt ihnen ja auch eigentlich gar keine andere Wahl; denn Ihre starrsinnige Politik führt dazu, dass schon heute die Lebensmittelpreise vollkommen von den Einkommensstrukturen abgekoppelt sind. Sie auf der Regierungsbank steuern uns planlos in die größte Krise nach dem Zweiten Weltkrieg.
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Der Bundeskanzler möchte sich im Klimaklub verstärkt um Wasserstofftechnologien bemühen – wir haben es gehört –, zum Beispiel um Leitungs- und Versorgungsnetze.
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Schauen Sie sich in diesem Zusammenhang doch mal völlig unvoreingenommen Nord Stream 2 an. Dieser Leitungsweg ist bereits für Wasserstoff ausgelegt und auch betriebsbereit. Sie aber wollen sich den Luxus leisten, auf eine Kooperation mit einem der rohstoffreichsten Länder der Erde zu verzichten. Das ist Russland, und Russland gehört zu Europa. Ihre europäische Idee ist somit nicht zukunftsfähig, werte Bundesregierung. Heute kaufen Sie Gas von Katar, das Sie vor Kurzem noch als Menschenrechtsverletzer an den Pranger gestellt hätten. Das ist die reine Doppelmoral dieser Bundesregierung.
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Auch wir – das will ich hier noch mal klar betonen – verurteilen den russischen Angriff auf die Ukraine. Aber wir wissen auch, dass nur der Dialog und die Zusammenarbeit den Frieden wiederherstellen können.
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Was erhoffen Sie sich von schweren Waffen? Weniger Kriegstote und dafür einen demokratischen Frieden? Als Alternative für Deutschland haben wir von Anbeginn des Konflikts zur Abrüstung aufgerufen. Dabei bleiben wir, und eine große Zahl der deutschen Bürger denkt auch so.
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Viel schlimmer ist: Sie spielen mit den Ängsten unserer Bürger. Einerseits wollen Sie mit Waffenlieferungen Putin in der Ukraine stoppen, damit die russische Armee nicht weiter nach Westen vordringen kann. Andererseits entwaffnen Sie die ohnehin kaputtgesparte Bundeswehr nahezu vollständig und setzen die Verteidigungsfähigkeit unserer Streitkräfte damit auch aufs Spiel. Versuchen Sie endlich einmal, ehrlich und offen zu den Bürgern zu sein und interessengeleitete Politik für Deutschland zu machen.
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Stück für Stück wird immer klarer, dass Sie unser Land und den ganzen Kontinent Europa aufs Spiel setzen, und das nur, um Bündnisinteressen zu dienen, die eigentlich nichts anderes als Hegemonialinteressen sind. Machen Sie endlich Schluss damit! Mit Ihren einseitigen Bestrebungen demontieren Sie die wirtschaftlichen und finanziellen Kapazitäten Deutschlands und bringen uns in neue Abhängigkeiten. Gerade diese wollen Sie doch aktuell bekämpfen, indem keine Geschäfte mehr mit Russland gemacht werden. Das ist einfach nur unglaubwürdig.
Wir brauchen gute Beziehungen zu möglichst allen internationalen Partnern. Aber Sie wollen nicht vermitteln, sondern mit Ihren Erweiterungsplänen Russland eine starke und mächtige EU gegenüberstellen. Da muss ich fragen: Gibt es die denn wirklich? Die marode Finanzpolitik hat schon Großbritannien aus dem Bündnis getrieben. Die Gelddruckmaschine EZB hat den Kontinent mit Banknoten überschwemmt. Das ist der Hauptgrund für die Inflation. Daran hat auch die CDU ihren Anteil, Herr Merz. Sie können sich nicht einfach wegstehlen. Sie sind genauso verantwortlich für das, was diese Inflation in diesem Land anrichtet.
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Das war alles unverantwortlich. Viel zu spät lenken jetzt die Hüter der Eurowährung langsam ein bisschen ein.
Ich sage Ihnen: Mit dem Versprechen, dass die Ukraine schnell beitreten kann, gaukeln Sie auch der ukrainischen Bevölkerung eine Art Sicherheit vor, die Sie niemals einhalten können. Das macht die schwache Europäische Union noch schwächer und vor allen Dingen noch viel ärmer; denn die Idee, neue Märkte zu erschließen, setzt voraus, dass diese Länder wirtschaftlich auch etwas zur Gemeinschaft beitragen können. Das ist doch die Idee der Europäischen Union, die Sie hier immer beschworen haben. Das Gegenteil ist aber der Fall: Die EU ist zu einer riesigen Geldverteilungsmaschine geworden. In der multipolaren Weltordnung könnte der gesamte Kontinent Europa eine eigene, erfolgreiche Rolle spielen. Das geht aber nur, wenn wir, erstens, aktiv für den Frieden einstehen und, zweitens, jedes der europäischen Länder souverän agieren darf. Wir brauchen keine uniforme Kultur und Verwaltungsstruktur in allen Bereichen des Lebens.
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Sie, Herr Scholz, nennen sich Europäer und haben mit Ihrem Versuch, nach Gutsherrenart durch die Balkanländer zu reisen und Bedingungen zu diktieren, das gegenseitige Vertrauen ebenso beschädigt wie das Amt des deutschen Bundeskanzlers. Dabei wurde zumindest eines deutlich: Die EU, die angeblich für Offenheit und Vielfalt steht, ist eine Gemeinschaft des aufgezwungenen Gemeinsinns. Gerade die Länder des Ostens, die diese Erfahrungen schon gemacht haben, möchten das ein zweites Mal nicht erleben.
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Ihre Hoffnung, Herr Bundeskanzler, auf Verständigung mit Russland teile ich zutiefst. Deshalb: Rüsten Sie alle hier endlich auch verbal ab, und suchen Sie nach Lösungen für Deutschland. Wir sind in einer Situation, in der wir auf das Wohlwollen Russlands mittlerweile angewiesen sind.
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Überzeugen Sie die G-7-Mitglieder und die Gäste, dass wir nur im Dialog und gemeinsam mit der Ukraine und Russland eine Zukunft haben.
Vielen Dank.
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Einen schönen guten Tag von meiner Seite, liebe Kolleginnen und Kollegen! – Wir führen die Debatte fort. Ich erteile das Wort dem Vorsitzenden der FDP-Fraktion, Christian Dürr.
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Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor knapp drei Wochen war der ukrainische Parlamentspräsident Stefantschuk zu Gast hier im Deutschen Bundestag. Viele von Ihnen haben mit ihm persönlich sprechen können; ich hatte auch die Gelegenheit. Er hatte eine Botschaft dabei: Die Ukraine möchte den europäischen Weg gehen. – Dabei war seine Botschaft in Wahrheit noch differenzierter: Nicht die Regierung, nicht die Eliten des Staates, sondern die Menschen in der Ukraine, das Volk der Ukraine will den europäischen Weg gehen.
Herr Chrupalla, Sie haben gerade gesagt, die Europäische Union sei aufgezwungener Gemeinsinn. Mit Verlaub: Das Volk der Ukraine, das sich gerade gegen Ihren Freund Wladimir Putin verteidigt, will in Europa stattfinden und Teil dieser Europäischen Union sein. Das hat nichts mit Aufgezwungenheit zu tun. Welch ein Quatsch!
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Die Realität straft Sie Lügen, liebe Kollegen der AfD.
Ich bin froh, dass wir heute im Deutschen Bundestag sagen können, auch nach dem gemeinsamen Antrag der demokratischen Mitte des Hauses, dass dieser europäische Weg jetzt beim Europäischen Rat konkretisiert wird, und zwar, indem wir der Ukraine den Kandidatenstatus anbieten werden. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Europäischen Union, dass einem Land, gegen das Krieg geführt wird, der Beitrittskandidatenstatus angeboten wird.
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Das ist auch eine historische Wende. Dieser Kandidatenstatus, meine Damen und Herren, diese Beitrittsperspektive in das Haus Europa, hat die volle Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland; auch das ist ein Signal des Europäischen Rates in dieser Woche.
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Ich glaube, es geht um mehr als das Teilen der gemeinsamen Werte; darüber haben wir in den vergangenen Debatten hier schon viel gesprochen. Es geht natürlich um die Perspektive auf Freiheit, auf Wohlstand und auf Rechtsstaatlichkeit. Es geht um die Werte, die das russische Regime mit seinem Angriffskrieg fundamental bedroht und zerstören will. Es wurde vielfach gesagt: Putin hat Angst vor Demokratie und vor der Freiheit. – Diese Werte verteidigt die Ukraine, und genau deshalb sind wir gerade als Deutschland der Ukraine tief verbunden.
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Aktuell – das muss man sich bewusst machen – sterben in der Ukraine junge Menschen. Sie werden von russischen Soldaten ermordet.
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Es sind junge Menschen, die noch 2014 – ebenfalls unter Einsatz ihres Lebens – auf dem Maidan für die europäische Perspektive, für die Freiheit, für die Gerechtigkeit demonstriert haben. Einer von ihnen ist Roman Ratuschny. Er ist vor Kurzem in der Nähe von Charkiw im Krieg getötet worden. Damals, 2014, war er als junger Student unter den ersten Demonstranten auf dem Maidan und hat für Demokratie und Freiheit gekämpft, die damals mit Gewalt durch russische Unterstützung unterdrückt werden sollten. Er ist im Februar dieses Jahres der ukrainischen Armee beigetreten, um die neu gewonnene Freiheit, die Werte, für die er schon damals unter Einsatz seines Lebens eingestanden ist, zu verteidigen. Im Juli dieses Jahres wäre Roman 25 Jahre alt geworden.
Sein Beispiel ist es, das die Bedeutung der europäischen Perspektive für die Ukraine und die Werte unterstreicht, auf die wir uns ebenfalls immer wieder besinnen müssen, die wir als Europäer immer wieder erkämpfen müssen. Dass sein Schicksal, seine Geschichte eine von vielen ist, zeigt genau das, was der Parlamentspräsident meinte: Das ukrainische Volk möchte den europäischen Weg gehen. – Wir stehen an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer, die zurzeit ihr Leben dafür geben würden, diesen Weg und insbesondere die Freiheit ihres Landes zu verteidigen, meine Damen und Herren.
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Eine Perspektive bietet auch das, was Sie angesprochen haben, Herr Bundeskanzler, nämlich der Wiederaufbau des Landes nach diesem fürchterlichen Krieg. Auch das ist Teil der ukrainischen Perspektive auf dem europäischen Weg. Der beste Weg dorthin ist das Erfolgskonzept der Europäischen Union schlechthin: der gemeinsame Binnenmarkt; auch das muss eine Perspektive sein. Ich spreche wie viele von Ihnen mit Ukrainerinnen und Ukrainern. Die denken bereits heute an die Zukunft, trotz des Krieges. Obwohl ihre Verwandten dort sterben, denken sie bereits an die Zukunft und wollen Teil dieses Wohlstandsprojekts werden.
Dass das so wichtig ist, zeigen die weiteren internationalen Gipfeltreffen, die jetzt anstehen: neben dem Europäischen Rat die G 7 und natürlich auch der NATO-Rat. Ich will an der Stelle auch noch mal auf das G‑7-Treffen zu sprechen kommen, Herr Bundeskanzler. Wir haben eines gelernt, nämlich dass die Abhängigkeit, insbesondere die Energieabhängigkeit, von einer Nation sehr gefährlich ist. Gleichzeitig hat dieses Land, eine der erfolgreichsten Exportnationen der Welt und die viertgrößte Volkswirtschaft des Planeten, gelernt, dass Freihandel mit anderen Ländern zu Wohlstand und Demokratie beiträgt. Aber die Sätze der Vergangenheit – „Wandel durch Handel“ – stimmen leider in der Form nicht mehr. Dieses Konzept ist in Bezug auf Russland gescheitert;
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das muss man sagen.
Aber ich werbe dafür, dass wir uns jetzt erst recht mit den liberalen Demokratien der Welt zusammentun. Das geht über Kanada und die Vereinigten Staaten hinaus. Es geht dabei auch um Asien; ich denke an Japan beispielsweise und die anderen Demokratien in der Region. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, im Rahmen der G 7, im Rahmen der Wertegemeinschaft der liberalen Demokratien der Welt erneut auf Freihandel zu setzen. Auch das schafft Demokratie in der Welt und Wohlstand in der Zukunft, meine Damen und Herren.
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Ich will zum Schluss natürlich auch auf die wirtschaftliche Situation in Deutschland zu sprechen kommen, weil Herr Merz das angesprochen hat. Ich will in einer Sache in der Debatte, die wir dieser Tage führen, ganz klar sein: Wir stehen vor einer großen Herausforderung im Winter. Ich glaube, an einer Stelle kann es keine zwei Meinungen geben: Eine Energielücke für Deutschland im Winter kann keine Option sein. Das heißt, wir müssen hier an Alternativen arbeiten, meine Damen und Herren. Das ist auch unser Auftrag als Bundesregierung in den kommenden Wochen. Das ist das eine.
Aber Herr Merz sprach ja beispielsweise auch den Bundeshaushalt und die Frage des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes an. Herr Merz, der Satz hätte anders lauten müssen. Sie haben begonnen mit: „Es ist für uns als CDU/CSU“, und dann hätte folgende Ergänzung kommen müssen: Es ist für uns als CDU/CSU nach 16 Jahren
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wieder die klare Haltung, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt gilt.
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Das wäre der richtige Redebaustein gewesen; so wäre es richtig gewesen.
Ich bin schon sehr verwundert, weil Sie den richtigen Zusammenhang dargestellt haben, nämlich zwischen solider Haushaltspolitik, dem Einhalten der Schuldenbremse und der Bekämpfung der Inflation hier in Deutschland, meine Damen und Herren.
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Ihre eigenen Vorschläge zum Bundeshaushalt 2022 sprechen an der Stelle Bände: lauter neue Ausgabenvorschläge ohne echte solide Gegendeckung.
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60 Milliarden Euro fehlten in Ihren Vorschlägen! Das Gegenteil dessen, was Sie hier propagieren, machen Sie in Ihrer Politik als Opposition im Deutschen Bundestag, Herr Merz. Auch das muss man unterstreichen.
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Frau Bundestagspräsidentin hat, als sie den Tagesordnungspunkt einleitete, gesagt: Wir reden über die internationalen Gipfeltreffen und über zwei Entschließungsanträge der CDU/CSU. – Mir ist das in Ihrer Rede gar nicht aufgefallen, Herr Merz.
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Ich habe mir auch die Anträge noch mal angeguckt. Die sind so was von alt und aus der Zeit gefallen. Ein Stück weit – bedaure, das so sagen zu müssen – sind das auch die Vorschläge zur aktuellen Politik, verehrter Herr Kollege.
Eines will ich zum Schluss sagen. An der Stelle haben Sie den Bundeskanzler angegriffen, und ich fand wichtig, was er hier gerade gesagt hat: Partnerschaft mit Russland ist auf absehbare Zeit unvorstellbar.
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Umso mehr: Machen wir uns auf den Weg, Partnerschaft mit den liberalen Demokratien der Welt einzugehen!
Ich danke Ihnen.
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Für die Fraktion Die Linke hat das Wort Dr. Dietmar Bartsch.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit nunmehr vier Monaten führt Russland einen brutalen, erbarmungslosen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Zehntausende haben ihr Leben verloren. Millionen sind geflohen, sind traumatisiert. Dieser Wahnsinn muss enden, und Russland muss ihn beenden.
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Weil Russland aber bislang keinerlei Friedensambitionen zeigt, muss sich jede Maßnahme, die die EU, die Bundesregierung oder die NATO ergreift, daran messen lassen, ob sie geeignet ist, den Frieden näher zu bringen. Es besorgt mich, meine Damen und Herren, wenn der NATO-Generalsekretär Herr Stoltenberg sagt, wir müssen uns darauf vorbereiten, dass dieser Krieg noch Jahre dauern könnte – Jahre, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das bedeutet weiter Zigtausende Tote, Flucht und Vertreibung. Ich kann nur sagen: Wir müssen alles tun, dass Herr Stoltenberg unrecht behält, meine Damen und Herren.
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Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, Sie haben der Ukraine jetzt das Versprechen des EU-Beitritts gemacht. Ich frage mich: Wie soll denn ein Land, auf das es Raketen regnet, über 35 Beitrittskapitel und mehr als Hunderttausend Seiten des Rechtsbestandes der EU verhandeln? Wie soll es die notwendigen Reformen und den Kampf gegen die Korruption vorantreiben? Die Debatte über den Beitritt der Ukraine zur EU ist eine Scheindebatte.
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Sie kostet nichts, aber sie lenkt ab von nicht richtig durchgesetzten Sanktionen und einer zunehmend gespaltenen Union. Unterstützung, ja, Hoffnung, ja, aber keine falschen Hoffnungen wecken, meine Damen und Herren!
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Hören Sie auf die stellvertretende EU-Parlamentspräsidentin Katarina Barley.
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Sie sagte: „Überstürzte Beitritte darf es nicht geben.“ Wer einmal in der EU ist, der kann nicht mehr ausgeschlossen werden.
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Und wir alle wissen, dass die EU schon heute sehr problematische Mitglieder hat.
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Herr Bundeskanzler, Sie haben völlig zu Recht gesagt: Dieselbe klare Antwort verdienen die Länder des Balkans. – Dort herrscht seit 20 Jahren kein Krieg. In Albanien und Nordmazedonien hat das Versprechen der vier, die in Kiew waren, für Enttäuschung und Verdruss gesorgt. Nordmazedonien, seit 18 Jahren Beitrittskandidat, hat sogar, wie Sie richtig sagen, seinen Ländernamen geändert. Da brauchen wir endlich Klarheit, und da brauchen wir Ergebnisse. Statt dass sie eigene Perspektiven erhalten haben, wurden diese Länder degradiert. Korrigieren Sie das auf dem Gipfel und geben Sie den Balkanländern im Hinblick auf Europa eine Perspektive!
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Lassen Sie mich, Herr Bundeskanzler, noch auf zwei Punkte eingehen, die Sie genannt haben. Zum einen haben Sie in Ihrer Rede noch einmal gesagt: Nur wer dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro zugestimmt hat, hat verantwortungsvolle Politik betrieben. – Ich will ausdrücklich sagen, dass ich das nicht teile und es zurückweise. Sowohl die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die dagegengestimmt haben – sie kamen übrigens aus mehreren Fraktionen –, als auch die Bundesländer, die im Bundesrat dagegengestimmt haben, haben aus Verantwortung gehandelt.
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Es liegen nicht nur die richtig, die immer wieder das Militärische nach vorne stellen.
Zum zweiten Punkt, zur Geschlossenheit Europas und zu seinem einheitlichen Agieren: Derzeit schippern griechische Reeder mit russischem Öl in alle Welt. Das ist einheitliches Handeln? Das soll einheitliches Handeln sein? Und während Deutschland kein russisches Öl importiert, kauft Indien es günstig ein, raffiniert es und verkauft es nach Europa. Das ist abenteuerliche Heuchelei, die die EU beschädigt, meine Damen und Herren. Das ist die Wahrheit.
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Meine Damen und Herren, einen Aspekt, der hier angeklungen ist, will ich noch einmal deutlich betonen: Das Blutvergießen in der Ukraine muss auch enden, weil die globalen Folgen für Millionen Menschen nicht durchzuhalten sind. 240 Millionen Menschen fürchten dieses Jahr um Nahrung. Das sind 50 Millionen mehr als im vorigen Jahr.
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4 500 Hungertote jeden Monat schon jetzt – und es wird täglich dramatischer –; Mütter, die aktuell entscheiden müssen, welches Kind überleben soll: Darüber reden wir zu wenig. Allein im Südsudan droht 60 Prozent der Bevölkerung der Kampf ums Überleben. Für diese Menschen ist die Aufforderung, nicht kriegsmüde zu werden, Zynismus, meine Damen und Herren – blanker Zynismus.
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Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch eines sagen. Der SPD-Parteivorsitzende hat ja gestern im Zusammenhang mit Deutschland von „Führungsmacht“ geredet. Ich bin einverstanden mit der Verantwortung, sehr einverstanden. Deutschland sollte Verantwortung übernehmen, gern auch mehr, und das muss nicht zuallererst militärisch sein. Aber „Führungsmacht“, das sind wirklich alte Großmachtambitionen. Das verbietet sich aus historischer Sicht, und das verbietet sich auch aus europäischer Perspektive; denn die EU muss stark werden, aber nicht allein Deutschland. Deshalb: Es ist der falsche Weg, den Herr Klingbeil hier eingeschlagen hat.
Ja, meine Damen und Herren, jede Maßnahme muss sich daran messen lassen, ob sie uns dem Frieden näherbringt. Ja, ein Marshallplan für die Ukraine ist vernünftig; an den Wiederaufbau zu denken, ist richtig. Dafür wünsche ich Ihnen Erfolg bei diesen Gipfeln – weniger Bilder und mehr konkrete Maßnahmen.
Herzlichen Dank.
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Die nächste Rednerin ist Gabriela Heinrich, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben Krieg mitten in Europa. Zivilisten, Frauen, Kinder werden von Putins Armee ermordet, und Putin eskaliert weiter. Die Bundesregierung gibt darauf die richtigen Antworten: glaubwürdige militärische Abschreckung an der NATO-Ostflanke, die unverbrüchliche Unterstützung der Ukraine und gleichzeitig die Isolation Putins. Das wird im Kreis der EU, der G 7 und auch der NATO weiter vorangetrieben durch die härtesten Sanktionen, durch die gemeinsame Ächtung von Putins Verbrechen. Das Wichtigste: Unsere Unterstützung für die Ukraine ist sehr konkret, und sie ist vor allen Dingen breit aufgestellt. Denn für uns ist klar: Wir denken Sicherheit umfassend. Wir unterstützen mit militärischem Gerät – ja –, aber die Ukraine muss auch wirtschaftlich und gesellschaftlich bestehen.
Auch wenn Sie das gerne vergessen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union: Dieser umfassenden Unterstützung der Ukraine haben Sie im April hier im Deutschen Bundestag zugestimmt. Dabei ging es mitnichten nur um die Lieferung schwerer Waffen.
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Der Krieg in der Ukraine mit seinen vielen Opfern ist blutiger Ernst und damit nicht geeignet für politische Spielchen.
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Sie wissen ganz genau: Deutschland ist seit Langem einer der größten Geldgeber der Ukraine. Wir unterstützen wirtschaftlich, wir unterstützen finanziell und auch humanitär – und das auch schon seit langer Zeit. Was in der öffentlichen Wahrnehmung überhaupt nicht durchdringt: Wir sind, weil wir der größte Geber innerhalb der EU sind, natürlich auch der größte Geber bei den europäischen Hilfen; denn auch die werden maßgeblich von Deutschland finanziert.
Wir agieren dabei in enger Abstimmung mit unseren Partnern. Es ist doch klar: Nur gemeinsam können wir Putins Barbarei beenden. Genau darum wird es auch beim Gipfel der EU, der G 7 und der NATO in den nächsten Tagen gehen. Und es ist gut und weitsichtig, dass der Kanzler zum G‑7-Gipfel weitere demokratische Partnerländer eingeladen hat und Präsident Selenskyj zugeschaltet wird. Aber das hat ja auch die Union zugegeben.
Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland liefert. Und das wird international auch sehr anerkannt. In der öffentlichen Debatte kommt das bisher aber kaum vor. Es wird versucht, unsere Unterstützung kleinzureden, und das grenzt, so sage ich, schon an Selbstverzwergung. Der ukrainische Außenminister Kuleba hat gesagt, Deutschland spiele die erste Geige in Europa. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wollen uns glauben machen, wir bimmeln nur mit der Triangel.
Spätestens seit der Lieferung deutscher Panzerhaubitzen sollte doch Schluss sein mit Scheindebatten, die Waffen seien nicht schwer genug. Aber ich habe heute verstanden, dass der eine Entschließungsantrag von Ihnen eigentlich erledigt ist und der andere im Grunde auch. Das sind die Fakten.
Für ihre faktenbasierte Politik hat die Bundesregierung die Zustimmung der Bevölkerung; das zeigt jede Umfrage.
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Eine sehr breite Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land unterstützt den besonnenen Kurs des Bundeskanzlers. Anstatt gefährliche Alleingänge zu starten, handeln wir gemeinsam mit unseren Freundinnen und Freunden in der Welt; denn darauf kommt es in der Zeitenwende an.
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Ich glaube, darüber sind sich alle einig: Wladimir Putin hat unterschätzt, wie eng die demokratische Welt zusammenrückt. Deshalb sind die anstehenden Gipfeltreffen auch Gipfeltreffen der Demokratien und der Demokratinnen und Demokraten, und das ist wichtig in dieser Zeit.
Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort Dorothee Bär, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn die Lage nicht so verdammt ernst wäre, hätte man in dieser Debatte ja wirklich einmal lachen müssen. Es erklärt natürlich auch die schlechte Politik der Bundesregierung, wenn man sich die Reden von Frau Dröge und Herrn Dürr einmal nebeneinanderlegt. Es verwundert nicht: Da passt ja nichts zusammen, und zwar gar nichts.
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Also, da sind so viel Uneinigkeit, so viele differierende, unwahre Geschichten, dass man wirklich sagen muss, Herr Dürr: Das ist der Lage nicht angemessen gewesen.
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Die einzige Idee, die Sie haben – andere eigene haben Sie nicht –, ist, gegen die Opposition zu schießen. Das ist einfach zu dünn und der Lage nicht angemessen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Es ist mehrfach erwähnt worden: Wir haben in dieser Woche den Europäischen Rat, bei dem es um die Frage des Kandidatenstatus der Ukraine geht. Es wurde bereits angesprochen: Wir sagen Ja zum Kandidatenstatus. Deswegen war es richtig, Herr Bundeskanzler, dass Sie, als Sie vergangene Woche endlich in Kiew waren, das auch zum Ausdruck gebracht haben. Aber wir erwarten jetzt, dass Sie das auch durchsetzen.
Sie haben die Latte sehr hoch gelegt. Ich sage deswegen auch so betont „Wir erwarten, dass Sie es durchsetzen“, weil Sie am 27. Februar gute Worte gefunden haben, danach aber nicht viele Taten folgten. Gute Worte finden im Parlament ist das eine; aber wenn keine Taten folgen, ist es zu wenig. Wir stehen momentan leider international sehr beschädigt da.
Wir müssen mit der Ukraine auch ehrlich sein. Seit Monaten versprechen Sie Waffen, die dann nicht kommen, nicht schnell genug kommen oder von denen zu wenige kommen. Es ist auch schofel, wenn Sie jetzt einen schnellen Beitritt versprechen, der dann aber nicht kommt, weil das die Ukraine weiter von Europa wegtreiben würde, und das hätte sie nicht verdient.
Mein Fraktionsvorsitzender hat Ihren außenpolitischen Berater angesprochen. Ich darf noch ein Zitat hinzufügen: „Nur weil man angegriffen wird, wird man ja nicht automatisch ein besserer Rechtsstaat.“ Ich frage mich: Wer berät Sie denn im Bundeskanzleramt? Es ist doch nicht in Ordnung, dass Sie hier Berater haben, die ein „Verhältnis zu Russland“ wollen, dass Sie Berater haben, die die Ukraine in der Öffentlichkeit diffamieren. Da fragt man sich schon, was Sie seit Amtsantritt in den letzten 200 Tagen an Mitarbeitern ausgetauscht haben.
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Zögern und Zaudern ziehen sich wie ein roter Faden durch Ihre Politik.
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Die Angriffe werden immer skrupelloser, und weil die Angriffe skrupelloser werden, müssten wir doch viel entschlossener sein, der Ukraine zu helfen. Aber: Je heftiger die Attacken sind, desto verzagter ist unsere deutsche Reaktion.
Sie, Herr Bundeskanzler, haben in der letzten Sitzungswoche hier am Rednerpult gesagt: „Wir handeln … im Geleitzug mit unseren Verbündeten …“ Unsere Verbündeten haben diesen Eindruck nicht. Unsere Verbündeten werfen uns Wortbruch vor – wie der polnische Präsident. Der ukrainische Außenminister hat erklärt, es gebe Länder, bei denen die Ukraine auf Lieferungen warte, und „Länder, bei denen wir es inzwischen satthaben, zu warten“. Deutschland würde in die zweite Gruppe gehören.
Frau Heinrich, Sie haben dann betont gesagt, dass unsere Hilfe international anerkannt wird. Alleine diese beiden Zitate zeigen ja schon, dass diese Anerkennung nicht stattfindet.
Der Ukraine Support Tracker des Instituts für Weltwirtschaft hat letzte Woche errechnet, dass quasi nirgendwo Ankündigungen und Taten so weit auseinanderliegen wie bei uns Deutschen – und das trotz der sieben Panzerhaubitzen gestern. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein, und das ist noch schnell vor dem Gipfel gemacht worden.
Deswegen kann man der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Frau Strack-Zimmermann, auch nur zustimmen, wenn sie sagt: „Es darf nicht sein, dass die Welt Deutschland als kompletten Bremser und Loser empfindet ...“ Da bin ich schon dankbar, dass es in dieser Ampel wenigstens noch ein paar Abgeordnete gibt, die dann auch mal die Wahrheit so aussprechen.
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Ihr Parteivorsitzender – das ist auch erwähnt worden – hat gesagt: Deutschland soll eine Führungsmacht sein. – Er bestellt Führung bei Ihnen. Dann wäre es doch schön, wenn Sie auf Ihren Parteivorsitzenden auch hören würden. Bislang sind das Sinnbild der gesamten Koalition wuchtige Worte, viele Ankündigungen, aber eben keine Taten.
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Herr Mützenich, Sie haben gestern vor der Fraktionssitzung ein Statement abgegeben. Ich hab mir dieses Statement mehrfach angehört, weil ich es nicht glauben konnte. Sie haben dauernd davon gesprochen, dass es immer nur um schwere Waffen geht, und haben mehrfach das Wort „unverantwortlich“ in den Mund genommen. Dazu sage ich ganz offen: Ich finde es unverantwortlich, dass Sie schwere Waffen unverantwortlich finden.
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Ich würde Ihnen gerne mal die Frage stellen, ob Sie diese Aussage auch in der Ukraine vor ukrainischen Frauen und Männern, die gerade ihr Leben verteidigen, ihr Land verteidigen, wiederholen würden, ob Sie es auch dort als unverantwortlich diffamieren würden. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich von diesen Aussagen distanzieren, Herr Mützenich.
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– Ich habe mir das mehrfach angeschaut. Herr Mützenich hat mehrfach von Unverantwortlichkeiten gesprochen.
„Wir haben so viele Krisen parallel zu lösen“, hat Frau Dröge gesagt. Aber Sie wollen es nicht als Krise ansehen, dass wir uns momentan ohne Ende verschulden; das sehen Sie nicht als notwendig an. Ich finde es beeindruckend, dass Ihnen solide Haushalts- und Wirtschaftspolitik nicht wichtig ist. Ich würde mir von den Grünen schon ein bisschen mehr Ehrlichkeit in der Energiepolitik wünschen.
Die Gaskrise zeigt, dass die Energiepolitik der Grünen gescheitert ist, und zwar massiv gescheitert ist. Sie wollen aus der Kernenergie aussteigen. Sie wollen aus der Kohle aussteigen. Der gleichzeitige Ausstieg hat aber die Abhängigkeit von russischem Gas noch verstärkt, anstatt sie zu verringern, und statt Atomenergie zu nutzen, setzt die Bundesregierung auf den Klimakiller Kohle. Wenn Robert Habeck als Antwort auf die drohenden Gasengpässe die Wohnungstemperaturen gesetzlich drosseln will, dann zeigt das doch nur, dass sogar ein Frosterlass für Familien in Deutschland den Grünen lieber ist, als die letzten Kernkraftwerke weiterlaufen zu lassen. Das ist unverantwortlich, Frau Kollegin Dröge.
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Ich würde mir wünschen, dass Sie nicht nur Parteipolitik, sondern auch Regierungspolitik machen würden. Wir brauchen jetzt einen nationalen Gasgipfel mit dem klaren Ziel, echte Versorgungssicherheit zu erreichen.
Das Nächste ist die Inflation als die neue soziale Megafrage für Deutschland und Europa. Einkommen, Renten werden durch die Inflation entwertet. Die Sparvermögen verringern sich jede Woche. Die Ampel verweigert bis heute wirksame Maßnahmen, um die Folgen der Inflation abzufedern: Kein Abbau der kalten Progression, Studenten und Rentner sind bei der Energiepauschale ausgeschlossen. Das nenne ich wenigstens mal Generationengerechtigkeit; Sie sind nämlich gegen beide: gegen Studentinnen und Studenten und gegen Rentnerinnen und Rentner. Wenn Sie damit generationengerecht Politik machen wollen!
Der Tankrabatt ist gescheitert. Der Liter Diesel kostet inzwischen mehr als bei der Einführung im Juni. Sie schaffen keine soziale Haushaltsführung. Sie entlasten die Bürgerinnen und Bürger nicht. Sie bauen die kalte Progression nicht ab. Und wie gesagt: Das Energiegeld belastet beide Gruppen, die Jüngeren und die Älteren.
Sie sehen: Die Probleme und Aufgaben in Deutschland, in Europa sind so groß, dass es schade ist, dass es dieses jetzt schon gescheiterte Projekt Ampel gibt. Ich würde mir wünschen, dass Sie uns eines Besseren belehren und dass Sie bei den kommenden drei Gipfeln uns wirklich zeigen, dass die nächsten 200 Tage dieser Bundesregierung besser werden als die ersten 200 Tage, und dass die politische Vertretung auf den künftigen Gipfeln ein besseres Bild abgibt als bislang. Das würde ich mir nicht nur für mich, für unsere Fraktion, sondern für alle Menschen in unserem Land und in Europa wünschen. Sie hätten es sich verdient.
Vielen Dank.
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Der nächste Redner ist Jürgen Trittin, Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Bär, Sie fordern hier die Verlängerung von Laufzeiten, und Sie regieren in Bayern in einer Koalition, die sich darauf verabredet hat, Bayern aus dem bundesweiten Suchverfahren für ein nukleares Endlager rauszuhalten.
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Wissen Sie, wie man das bei uns in Bremen nennt? Keine Zähne im Maul, aber „La Paloma“ pfeifen!
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Es ist gut, dass nach Wochen der Ausbildung jetzt gemeinsam jene Haubitzen Deutschlands und der Niederlande – das ist praktische europäische Solidarität – geliefert worden sind.
Ich hätte mir von Ihnen, Herr Merz, eigentlich gewünscht, dass Sie auf der Basis unseres gemeinsamen Entschließungsantrages hier im Bundestag den Bundeskanzler gelobt hätten, weil wir beide in diesem Entschließungsantrag gesagt haben: Die Bundesregierung möge die Beitrittsperspektive – steht da wörtlich drin! – der Ukraine und Moldaus nicht einschränken. – Jetzt kommt der Bundeskanzler aus Kiew zurück und will nicht nur nicht einschränken, sondern hat gemeinsam mit Macron, mit Draghi, mit Johannis festgelegt: Wir wollen, dass die Ukraine zusammen mit Moldawien Kandidatenstatus bekommt. Ich finde, dafür hätte er Lob verdient.
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Warum kann er dieses proeuropäische Bekenntnis auch so klar machen? Das hat etwas damit zu tun, dass sich dieses Europa nicht an Ihre Ratschläge gehalten hat, die Sie hier mit Kritik an der EZB formuliert hatten. Es waren die von einer CDU/CSU-Bundeskanzlerin durchgesetzten europäischen Anleihen, die dafür gesorgt haben, dass in der Coronapandemie dieses gemeinsame Europa nicht auseinandergeflogen ist. So viel zum Thema Schuldenunion. Manchmal muss man welche machen, wenn man politisch einen solchen Laden zusammenhalten will.
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Schließlich, meine Damen und Herren, will ich an der Stelle auch mit aller Ernsthaftigkeit eines sagen: Ich höre manchmal, wenn ich in der Welt so unterwegs bin:
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Ihr da in Europa, ihr regt euch über die Ukraine und den Krieg auf. Bei uns im Kongo passiert das regelmäßig. – Wir haben in Südamerika den Zerfall ganzer Gesellschaften über interne Drogenkriege.
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Also auf Deutsch: Stellt euch nicht so an. Und was geht uns euer Krieg an?
Ich finde, wir haben schon die Verantwortung, klarzumachen, dass dies kein rein europäischer und vor allen Dingen auch kein rein ukrainischer Krieg ist. Das, was wir gerade erleben, infolge von Corona, infolge einer eskalierenden Klimakrise und infolge dieses Krieges, ist nichts, was irgendwo lokal beschränkt bleibt. Die Folgen dieser drei miteinander verwobenen Krisen kriegen alle Länder zu spüren, und wir müssen darauf eine internationale, gemeinsame und solidarische Antwort finden.
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Sie heißt eben auch und gerade, dass wir uns von solchen Debatten wie „Das eine ist gut“ und „Wir waren schon immer für Atomenergie“ und „Wir waren schon immer für Erneuerbare“ verabschieden müssen; wir müssen uns der Verantwortung stellen.
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Und wenn wir uns der Verantwortung für die explodierenden Energiepreise stellen,
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dann heißt das, dass die G-7-Staaten als größte Nachfrager und als die Länder, die für die meisten Emissionen in die Atmosphäre verantwortlich sind, die Verantwortung haben, ihren eigenen Nachfragedruck auf die Energien zu mindern, indem sie massiv erneuerbare Energien ausbauen.
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Denn eine Situation, in der als Folge dieser drei Krisen das reiche Europa dem Rest der Welt die knapper werdenden Ressourcen wegkauft, wird uns nicht in eine bessere Welt führen. Deswegen ist dieser Gipfel so wichtig.
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Ich wünsche Ihnen, Herr Bundeskanzler, eine gute und glückliche Hand in Elmau.
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Der nächste Redner ist Matthias Moosdorf, AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Westen scheint aus seinem Scheitern in Afghanistan ebenso wenig gelernt zu haben wie aus den Verirrungen auf anderen Politikfeldern. Zwei Zahlen der letzten Tage: Experten beziffern die Kosten der selbstauferlegten Sanktionen für die EU mit mindestens 400 Milliarden Euro. Russland hat derweil im Vergleich mit 2021 einen Überschuss von 55 Milliarden Euro im Staatshaushalt zu verzeichnen. Was für eine irre, gegen unsere Interessen gerichtete Politik, meine Damen und Herren!
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Wir haben Mühe, die jetzige EU, taumelnd von Krise zu Krise, zusammenzuhalten. Statt sie aber zu konsolidieren, sollen ihre Strukturen und Kosten nun noch erweitert werden. 300 Milliarden Euro sind allein für „Rebuild Ukraine“ aufgerufen. Und es folgen Moldau und Georgien. Warum nicht die Mongolei?
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Wir behaupten, für Werte einzustehen, liebe Kollegen. Die Ukraine hat am 20. März elf Oppositionsparteien verboten und die Medien gleichgeschaltet. Am Montag dieser Woche wurden nun russische Bücher und russische Musik verboten, auch Klassiker. Warum? Tolstoi und Tschaikowsky sollen Separatisten unterstützen. – Meine Damen und Herren, diesen verzerrten Irrsinn müssen wir ablehnen.
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Worum geht es also? Oleksij Danilow, Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates der Ukraine, lehnt ein Friedensabkommen mit Russland ab. Für ihn gibt es nur einen möglichen Ausgang des Konflikts: Russland muss kapitulieren. Der litauische Außenminister Landsbergis fordert nicht nur den Sturz Putins, sondern auch den der gesamten russischen Regierung! Die wichtigste Aussage in diesem Zusammenhang stammt allerdings von Zbigniew Brzezinski, dem ehemaligen nationalen Sicherheitsberater der USA. Ich zitiere – aufmerksam zuhören! –:
Die neue Weltordnung unter amerikanischer Hegemonie wird gegen Russland, auf Russlands Kosten und auf Russlands Scherbenhaufen geschaffen. Die Ukraine ist für uns ein Vorposten des Westens gegen die Restauration der Sowjetunion.
Gerade vor diesem Hintergrund ist die Lieferung von Waffen aus Europa in ein Land im Kriege falsch und kein deutsches Interesse.
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Wir haben auch einschlägige Erfahrungen: Nachdem der Wahn von Heiko Maas einer selbstbewussten afghanischen Zivilgesellschaft an der Realität zerschellt ist, verfügt nun eine der übelsten Terrororganisationen, die Taliban, über die beste und teuerste Ausstattung an Waffen, Munition und Fahrzeugen. Mittlerweile werden Waffenhandbücher in Russisch für Soldaten gedruckt; so viele werden täglich von der Ukraine erbeutet. Erste Javelin-Raketen sind übrigens auf der Seite der Kurden im Nordirak aufgetaucht.
Machen Sie sich mit dem Gedanken vertraut, dass Ihre Krisenpolitik gescheitert ist: ökonomisch, militärisch und auch geopolitisch. China und Indien stehen hinter Russland, aber auch Lateinamerika, der Mittlere Osten und fast ganz Afrika.
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Während wir, wie angeboten, unsere Energie auch übergangsweise mit der einsatzbereiten Nord Stream 2 decken könnten, fahren Sie einen weiteren deutschen Sonderweg, und zwar gegen unsere Interessen. Kehren Sie endlich –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– sofort – zu einer wirklichen Friedenspolitik im Interesse Deutschlands und Europas zurück. Bildung, Energiesicherheit und Digitalisierung, dort muss Europa investieren. Unter den ersten 50 Universitäten der Welt ist keine der EU mehr. Fragen Sie die Menschen, aber nicht über Zukunftskonferenzen –
Herr Moosdorf.
– von 800 EU-Anhängern ohne Gesicht.
Frau Präsidentin, letzter Satz: Während der Coronaverordnungen haben Sie das Leben gegen die Freiheit gerechnet,
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jetzt soll eine instrumentalisierte Freiheit mit Leben bezahlt werden. Liebe Kollegen, werden Sie realistisch.
Das waren schon drei letzte Sätze.
Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort Ulrich Lechte, FDP-Fraktion.
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Also, hier muss man ja immer wieder ziemlich viel Luft holen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist unglaublich. Die AfD hat irgendwie richtig Sehnsucht nach diesem Pult gehabt, hat es nach diesem wunderbaren Parteitag mit Sicherheit bitter nötig.
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Die Liebesgrüße aus Moskau sind Ihnen allen sicher, lieber Herr Chrupalla, Herr Moosdorf.
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Dass Sie stets Interesse daran haben, dass wir die Sanktionen fallen lassen, ist mir klar: damit endlich die Bankverbindungen wieder perfekt funktionieren. So ist nun mal leider das Leben: Das funktioniert momentan nicht.
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Angenehmer waren die Beiträge der Union. Aber, Herr Merz, ich muss da tatsächlich sagen: Alle Möglichkeiten, die EU voranzubringen, die es schon während der ersten Präsidentschaft von Emmanuel Macron gegeben hat, wurden damals vom Kanzleramt, das von Ihnen besetzt war, nicht genutzt. Das Ohr, das Herrn Macron gehört hätte, hat offensichtlich auf taub geschaltet.
Und CETA – nur um mal darüber zu reden, damit auch hier ein bisschen historischer Unterricht kommt – ist seit 2017 ohne Probleme ratifizierbar. Da war auch die CDU in der Verantwortung,
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und Ihr Kollege Andreas Lämmel, ein hochdekorierter ehemaliger Kollege von uns allen, hat an diesem Pult am 14. Juni 2018 gesagt: Wir warten das Bundesverfassungsgerichtsurteil ab. – So, und das ist Mitte März gekommen, und jetzt räumen wir wie üblich als Ampel hinter Ihnen auf
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und werden in dieser Periode dazu kommen, zu entscheiden, wie wir mit CETA verfahren.
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Es ist immer das Gleiche.
Und geliebte Kollegin Dorothee Bär,
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die CSU-Realität ist mir als Bayer ja sehr wohl bekannt. Das ist eine ganz, ganz besondere, und ich muss darauf leider auch an dieser Stelle eingehen. Erst einmal ist Bayern das Land, das in dieser Bundesrepublik dank der CSU am meisten von Öl und Gas aus Russland abhängig ist. Die CSU hat wohl offensichtlich schon seit Jahrzehnten in Bayern die Verantwortung dafür gehabt.
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30 Prozent der Importe im vergangenen Jahr gingen nach Bayern – in Höhe von 5,7 Milliarden Euro.
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Ich heize in Regensburg mit Gas und weiß noch nicht so genau, ob ich durch den nächsten Winter kommen werde.
Einen Satz noch: Ich würde mal sagen, dass die FDP und die Grünen in dieser Koalition besser harmonieren als CDU und CSU in den vergangenen beiden Koalitionen,
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die wir hier ertragen mussten.
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Gegebenenfalls harmonieren sie sogar besser als zu den besten Zeiten.
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Dem Kanzler sei noch kurz mitgegeben: Viel Erfolg bei den internationalen Gipfeltreffen, die jetzt anstehen! Wir als FDP sind sehr hinterher, dass wir die Perspektiven zur EU-Aufnahme schaffen und dass wir sie für die bisherigen Kandidaten erhalten und diesen klarmachen, dass es im Vergleich zu ihnen keine Bevorzugung der Ukraine geben wird.
Einen Punkt sage ich aber noch. Man muss auch Serbien mal deutlich machen: Wer in diesen Laden, in unseren großartigen Klub eintreten möchte, der muss sich auch entsprechend verhalten; und so, wie Serbien sich derzeit verhält, kann es nicht Mitglied der EU werden.
Vielen Dank.
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Jürgen Hardt, CDU/CSU, ist der nächste Redner in der Debatte.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Dürr von der FDP hat sich eben über die beiden Entschließungsanträge der CDU/CSU-Fraktion despektierlich geäußert.
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Ich würde das nicht so laut sagen. Denn die Koalitionsfraktionen haben keine eigenen Positionen zur Regierungserklärung des Bundeskanzlers zustande gebracht.
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Wir haben früher regelmäßig als CDU/CSU Entschließungsanträge zu diesen wichtigen Themen „EU-Gipfel, NATO-Gipfel, G‑7-Gipfel“ vorgelegt. Aber vermutlich wäre es ja auch recht schwierig für Sie, untereinander einen gemeinsamen Entschließungsantrag zu formulieren.
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Aber ich gebe Ihnen einen guten Ratschlag: Lesen Sie unsere Anträge sorgfältig! Ich glaube, Sie können diesen Anträgen zustimmen, und ich glaube, die Frau Strack-Zimmermann kann unserem Schwere-Waffen-Antrag sowieso zustimmen.
Warum ist dieser Antrag wichtig? Herr Bundeskanzler, wir erkennen an, dass mit Blick auf die Lieferung der Panzerhaubitzen jetzt konkret etwas geschehen ist. Wir erkennen auch an, dass Sie gestern eine Informations- und Öffentlichkeitsoffensive gestartet haben, mit der die bisher geheimen Informationen dargelegt werden. Aber wenn ich mir das angucke, so stelle ich fest, dass bis jetzt, abgesehen von dem, was gestern über die Panzerhaubitzen gesagt wurde, keine schweren Waffen der Ukraine zur Verfügung gestellt worden sind.
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Das ist jetzt seit fast zwei Monaten der Zustand.
Wenn wir im Übrigen bereits im Februar auf Rat der CDU/CSU-Opposition angefangen hätten, uns Gedanken zu machen, wie wir der Ukraine Waffen bereitstellen können, dann wären die Panzerhaubitzen deutlich früher da gewesen und hätten vielleicht dazu beigetragen, dass das, was wir jetzt erleben, ein Stück weit hätte zurückgedrängt werden können.
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Ich habe mich auch vorhin bei der Befragung der Bundesverteidigungsministerin sehr gewundert, als sie uns klar gesagt hat, dass es eine westliche Vereinbarung gebe, keine westlichen Panzer zu liefern,
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und Marder seien eben westliche Panzer. Die Geparde werden geliefert. Dann sagte die Ministerin: Die Geparde sind ja keine richtigen Panzer. – Ich sage mal: Die Munition der Gepard-Flugabwehrpanzer hat ein 35-Millimeter-Kaliber, die der Marder hat ein 20-Millimeter-Kaliber. Da kann jedes Schulkind ausrechnen, was da wohl die stärkere Waffe ist. Also, da gibt es nach wie vor viele Dinge, die nicht zusammenpassen. Es passt auch nicht zusammen, dass wir von der deutschen Industrie wissen, dass sie Gerät auf dem Hof stehen hat, das sie liefern könnte und das zum Teil sogar in einen einsatzfähigen Zustand versetzt worden ist, und zugleich hören, dass andere Länder in Europa, die deutsche Rüstungsgüter haben, erklärt haben, dass sie in ihrem eigenen Land eingesetzt werden und sie jetzt eine deutsche Genehmigung bräuchten, um diese Güter in die Ukraine zu schicken. Beides passiert nicht. Die Geheimniskrämerei, was den Bundessicherheitsrat angeht, geht also weiter, und ich kann Sie wirklich nur ermutigen und auffordern, den Schwung, den Sie Anfang dieser Woche an diesem Punkt entfaltet haben, jetzt in die richtige Richtung zu lenken und dafür zu sorgen, dass die Ukraine die Waffen bekommt.
Warum ist das so wichtig? Nicht alle Konflikte kann man mit Waffen lösen. Aber blicken wir auf die Situation in der Ukraine! Was ist überhaupt die realistischste Perspektive für uns alle, aus diesem Konflikt herauszukommen? Dass Putin im Sandwichdruck der Sanktionen auf der einen Seite und dem militärischen Druck der Ukraine, die ihm widerstehen kann, auf der anderen Seite zu der Erkenntnis kommt, dass für ihn persönlich das Risiko beim Eintreten in ernsthafte Verhandlungen geringer ist, als wenn er diesen Kampf fortführt und die wirtschaftlichen Nachteile hinnimmt, die er durch die Sanktionen hat. Das muss unser Ziel sein. Ich kenne keinen anderen, erfolgversprechenderen Weg, Putin in seine Schranken zu weisen, als diesen. Solange uns nichts Besseres und nichts anderes einfällt, sollten wir gemeinsam entsprechend handeln. Deswegen sind die Waffenlieferungen an die Ukraine wichtig.
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Nur noch ein kurzer Satz, weil ich jetzt leider nur noch eine Minute habe, zu dem Antrag auf eine EU-Perspektive für die Ukraine, Moldau und auch Georgien. Ich bin der Auffassung, dass die Zeitenwende, die wir gerade erleben, auch bedeutet, dass die jungen Menschen, die junge Generation in den Ländern Ukraine, Moldau, Georgien, vielleicht auch in Ländern des Westbalkans, sich jetzt möglicherweise ermutigt fühlen könnten, doch das eine oder andere beherzt in die Hand zu nehmen, was an Reformen in ihrem eigenen Land durch alte verkrustete Strukturen, die zweifellos noch da sind, verhindert wird. Ich glaube, dass die junge Generation – im Übrigen genauso wie viele russischstämmige Menschen in diesen Ländern – weiß, was die Stunde geschlagen hat. Sie weiß, wo ihre Freunde sind, sie weiß, wo ihre Zukunft ist. Deswegen ist es total wichtig, dass wir diese Signale setzen. Der Bundeskanzler hat unsere volle Unterstützung.
Ich freue mich, dass der französische Außenminister heute mitgeteilt hat: Es sieht nach einer einvernehmlichen Entscheidung zum Thema „Kandidatenstatus für Moldau und Ukraine“ aus. – Das freut mich.
In diesem Sinne: Alles Gute, Herr Bundeskanzler, für die anstehenden schwierigen und wichtigen Beratungen!
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Für die SPD-Fraktion hat das Wort Axel Schäfer.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Jürgen Hardt, vielen Dank für die Unterstützung und die guten Wünsche an den Bundeskanzler für den Gipfel. Ich kann den Kolleginnen und Kollegen von der Union versichern: Auch ohne Entschließungsantrag steht diese Koalition geschlossen wie entschlossen hinter der Politik, die hier gemeinsam betrieben wird und die Olaf Scholz auf den verschiedenen Gipfeln auch repräsentieren wird.
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Wir wissen doch alle, um was es geht. „Die Ukrainer sind bereit, für diese europäische Perspektive zu sterben.“ Wir sollten alles dafür tun, dass wir in Europa friedlich zusammenleben. – Das hat Ursula von der Leyen, CDU, Präsidentin der EU-Kommission, gesagt, und sie hat recht.
Aber wie ist diese europäische Perspektive möglich? Reden wir mal über Führung. Olaf Scholzʼ Stil – das haben wir ja erlebt –, zu führen, ist Reden und Überzeugen. Denn das, was wir in den nächsten Tagen erleben, ist ja nicht sozusagen ein planierter Weg, wo alle 27 Staats- und Regierungschefs sagen: Jawohl, wir sind für die Beitrittsperspektive der Ukraine. – Es war wichtig, dass Olaf Scholz in den letzten Wochen ohne große Kameras, ohne immer nur schöne Bilder mit so vielen Staats- und Regierungschefs persönlich gesprochen hat, dass auch die Skeptiker – die gehören ja zu den verschiedenen Parteifamilien; Christdemokraten und Liberale und auch manche Sozialdemokraten gehören wohl dazu – jetzt geschlossen und entschlossen sind, der Ukraine diesen Weg zu ermöglichen. Das ist wichtig, und das ist richtig. Deshalb können wir den Bundeskanzler da nur voll unterstützen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ein Weiteres gehört auch dazu. Ich habe gestern im Europarat mit dem Kollegen Sergej Sokolew, Christdemokrat aus der Ukraine, gesprochen. Ich habe ihm gesagt: Sergej, wir sind oft nicht einer Meinung; aber als deutscher Sozialdemokrat sage ich dir hier: Wir haben uns in Einschätzungen von Russland in den letzten Jahren geirrt. Wir haben auch Fehler gemacht. – Es gehört auch dazu, dass man solche Dinge ausspricht.
Es gehört auch dazu – da ist Politik im Großen wie im Kleinen –, dass der ukrainische Weltklasseschwimmer Romantschuk – herzlichen Glückwunsch zur Medaille gestern – und der deutsche Weltklasseschwimmer Wellbrock – herzlichen Glückwunsch auch dir zur Medaille – gemeinsam zusammen in Magdeburg trainieren können, seit Romantschuk aus der Ukraine rausmusste. Auch das gehört zur gelebten Solidarität, zur Völkerverständigung gerade zwischen Deutschland und der Ukraine.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, weil das so ist, brauchen wir auch Tapferkeit vor dem Freund. Ich kritisiere diejenigen in Regierungsverantwortung in der Ukraine, die den Bundespräsidenten ausgeladen oder sonstige Dinge über dieses Land behauptet haben, die nicht stimmen. Das muss man auch sagen. Das gehört zur Selbstachtung und zu unserer eigenen Selbstbehauptung.
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Manche Kritik des ukrainischen Botschafters in Berlin und auch des Außenministers ist einfach nicht zutreffend. Deshalb widerspreche ich hier bewusst als Sozialdemokrat dieser Position.
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Dann reden wir mal über den Westbalkan. Ich höre hier Zustimmung von der Union – wunderbar. Aber ich weiß auch, lieber Herr Bundeskanzler, dass gerade der Vorsitzende der Christdemokraten in Bulgarien, GERB – das ist Herr Bojko Borissow –, zwölf Jahre als Regierungschef eng mit Angela Merkel zusammen das Parlament beschlussunfähig gemacht hat. Ich kann nur hoffen, dass es Ministerpräsident Petkov aus Sofia morgen gelingt, eine Pro-Position einzunehmen, damit mit Albanien und Nordmazedonien, das sogar seinen Staatsnamen geändert hat, tatsächlich Beitrittsverhandlungen beginnen können. Hier, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, beginnt die europäische Solidarität. Sorgen Sie dafür, dass die Christdemokraten in Sofia dieses Projekt nicht blockieren!
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– Das werden wir morgen mal abwarten. Wir werden das morgen sehen, und wir werden morgen genau darauf achten. – Kollege Hacker und Kollege Mijatovic waren vor drei Tagen mit mir zusammen in Sofia, und wir haben Petkov die Unterstützung zugesagt, genauso wie es auch der Bundeskanzler getan hat.
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In diesem Sinne, lieber Olaf Scholz: Glück auf für die Gipfel! Alles Gute, lieber Herr Bundeskanzler!
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Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Robin Wagener.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Verleihung des Kandidatenstatus für die Ukraine ist ein Meilenstein auf dem mühseligen, schwierigen und bisweilen auch tragischen Weg in die EU. Und die Ukraine verdient den Kandidatenstatus als ein Land, das sich seit 2014 wegen seiner europäischen Ausrichtung dem russischen Krieg ausgesetzt sieht und trotz aller Schwierigkeiten in dieser Zeit und trotz der russischen Destabilisierung an seiner Reformagenda festhält und auch schon Fortschritte zu verzeichnen hat.
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Der Kandidatenstatus für die Ukraine ist der Beleg dafür, dass Putin den souveränen Pfad dieses Landes eben nicht verhindern kann.
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Der Kandidatenstatus ist noch lange kein Sieg über Putin, aber er ist ein Gewinn für die Ukraine und für uns alle: als Friedensprojekt, als Wiederaufbauleistung, für die wirtschaftliche Integration und Stärkung und für eine nachhaltige Energiepolitik in Europa, die uns gemeinsam unabhängig macht von russischer Erpressung.
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Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, so politisch unbedeutend Russlands Ex-Präsident Medwedew mittlerweile auch sein mag: Seine Behauptung, der Kandidatenstatus der Ukraine sei irrelevant, weil die Ukraine in zwei Jahren nicht mehr auf der Weltkarte existiere, macht einmal mehr deutlich, dass sich der Kreml gegen nichts und niemanden verteidigen muss, sondern vielmehr einen aggressiven Vernichtungskrieg gegen die Ukraine führt. Das sind ebenjene weitverbreiteten russischen Erzählungen, die die Warnungen von renommierten Wissenschaftlerinnen, von Historikern und von Völkerrechtlern stützen: Russlands völkerrechtswidriger Angriffskrieg weist Charakteristika auf, die auch im Rahmen der Völkermordkonvention geächtet sind.
Aus dieser Erkenntnis heraus haben wir im Haus mit breiter Mehrheit beschlossen, die Ukraine zusätzlich durch schwere Waffen zu unterstützen. Diese breite Mehrheit, das ist unsere Stärke hier in Deutschland gegen ein spalterisches Regime. Es darf überhaupt keinen Zweifel daran geben, dass diese Politik, die wir hier beschlossen haben, bis zum Sieg der Ukraine engagiert und ohne den Eindruck von Zögerlichkeit umgesetzt wird.
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Schwere Waffen sind eine zentrale Form der Unterstützung zum Schutz der Ukraine und zur Wiederherstellung der territorialen Integrität. Sie müssen der Ukraine ermöglichen, besetzte Gebiete zu befreien; denn das beendet die russischen Kriegsverbrechen in diesen Gebieten. Jeder befreite Kilometer bedeutet weniger ermordete, vergewaltigte und verschleppte Menschen. Die stärkste humanitäre Hilfe, die wir für die Ukraine leisten können, ist die konsequente Unterstützung auch mit schweren Waffen.
Abschließend möchte ich den Herrn Bundeskanzler zitieren: Die Ukraine soll leben. Slawa Ukrajini!
Vielen Dank.
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Für die SPD-Fraktion hat das Wort Sanae Abdi.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Mai kamen die G‑7-Entwicklungsminister/-innen unter der Leitung von Bundesministerin Svenja Schulze in Berlin zusammen. Es wurden sehr wichtige Ziele festgehalten, die im Einklang mit den UN-Nachhaltigkeitszielen stehen: ein stärkerer Klimaschutz, mehr Geschlechtergerechtigkeit und eine effektive Bekämpfung des globalen Hungers.
Ich freue mich sehr, dass das von Svenja Schulze vorangebrachte Bündnis für globale Ernährungssicherheit die Unterstützung der G‑7-Staaten hinter sich hat. Ein entscheidendes Merkmal dieses Bündnisses ist der multilaterale Ansatz, eine Offenheit für Staaten des Globalen Nordens und des Globalen Südens, für Organisationen wie das UN-Welternährungsprogramm und die Weltbank sowie für zivilgesellschaftliche und private Akteure. Erst ein solcher gemeinschaftlicher Ansatz ermöglicht eine effektive und koordinierte globale Hungerbekämpfung.
Auch der von Bundeskanzler Olaf Scholz im Rahmen der deutschen G‑7-Präsidentschaft initiierte Klimaklub verfolgt, wie von ihm heute schon erwähnt, ein inklusives Konzept. Ein solcher Klimaklub, in dem Staaten sich auf Klimaziele einigen und sich zu diesen verpflichten, steht erstmals allen interessierten Ländern offen.
Ohne Frage: Institutionen wie die OECD und die G 7 leisten sehr wertvolle Arbeit, um globalen Problemen zu begegnen. Aber diese exklusiven Klubs schließen wichtige Stimmen aus den Ländern des Globalen Südens aus. Daher braucht es neben den bestehenden Formaten neue und kooperative Angebote, um im Rahmen eines solidarischen Multilateralismus kooperativ an Lösungen zu arbeiten.
({0})
Nur wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen, werden wir für die globalen Herausforderungen auch langfristig gewappnet sein.
({1})
Zahlreiche unserer Partnerländer im Globalen Süden befinden sich in wirtschaftlichen und sozialen Notlagen. Es überschneiden sich dabei Krisen wie der Klimawandel, Ernährungsunsicherheit und die Folgen der Coronapandemie. Dabei können Regierungen ihren Bürgerinnen und Bürgern aus eigener Kraft oftmals keine soziale Sicherung bieten. Viele Menschen arbeiten dort im informellen Sektor, und wenn sie ihre Einnahmequelle verlieren – sei es aufgrund von Missernten, Krankheiten oder Erwerbsunfähigkeit –, kann der Staat sie nicht auffangen. Die Folgen sind dramatisch: Oft müssen letzte Ersparnisse aufgebraucht werden, wichtige Medikamente können nicht mehr bezahlt werden, und die Kinder müssen anstatt zur Schule zur Arbeit gehen. Die Förderung sozialer Basisschutzsysteme muss in der internationalen Zusammenarbeit künftig eine viel wichtigere Rolle einnehmen. Sozialer Basisschutz schafft langfristige und sichere Strukturen und wirkt präventiv gegen die Entstehung von gesellschaftlichen Konflikten.
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Ein möglicher Weg, um betroffene Partnerländer dabei finanziell zu unterstützen, ist der Erlass von Schulden. Die hohe Verschuldung vieler Länder des Globalen Südens ist besorgniserregend. Sie birgt nicht nur die Gefahr einer globalen Schuldenkrise; sie hemmt Entwicklung und fördert Abhängigkeiten der Schuldner gegenüber ihren Gläubigern. Schulden werden damit zu einem geopolitischen Instrument. Und das ist nicht in unserem Interesse.
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Eine Möglichkeit, dem entgegenzuwirken, bietet etwa ein Staateninsolvenzverfahren. Die deutsche Regierung muss den Vorsitz der G‑7-Präsidentschaft dazu nutzen, dieses Thema weiter oben auf die Agenda zu setzen.
In einer solchen krisenhaften Zeit ist ein gut ausgestatteter entwicklungspolitischer Bundeshaushalt keine freiwillige Wohltat, er ist eine humanitäre Pflicht.
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Die Zeitenwende steht eben nicht nur für die Ausstattung verteidigungspolitischer Kapazitäten; sie muss weiter gefasst werden. Eine progressive Zeitenwende steht auch für eine konfliktpräventive Entwicklungspolitik, für verbindliche Regeln entlang globaler Lieferketten und für eine weltweite Klimagerechtigkeit. Eine solche Gewichtung muss sich auch im BMZ-Haushalt wiederfinden. Wenn wichtige Programme der internationalen Zusammenarbeit unterfinanziert sind, wird es zukünftig nicht mehr möglich sein, auf Notsituationen zu reagieren und neuen Krisen vorzubeugen.
Es geht in der kommenden Zeit darum, dass die gesteckten internationalen Ziele keine leeren Worte bleiben. Lassen Sie uns diese gemeinsam mit unseren Partnern in konkrete und inklusive Maßnahmen umsetzen, von denen alle gleichermaßen profitieren!
Danke.
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Ich erteile das Wort für die SPD-Fraktion Andreas Larem.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat gezeigt: Als Demokratinnen und Demokraten stehen wir in Zeiten großer Krisen zusammen. Und auch im Vorfeld des G‑7-Gipfels unter deutscher Präsidentschaft senden wir ein deutliches Zeichen nach Moskau und in die Welt: Wir stehen geschlossen an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer. – Daher freue ich mich ganz besonders, dass Präsident Selenskyj am G‑7-Gipfel in Elmau teilnehmen wird.
Gerade jetzt müssen wir als G 7 zusammenstehen und die Allianzen mit unseren demokratischen Partnern stärken. Deshalb freue ich mich ebenso über die Einladung an Argentinien, Indien, Indonesien, Senegal und Südafrika zum G‑7-Treffen, ausgesprochen von unserem Bundeskanzler Scholz. Das Treffen in Elmau steht ganz im Zeichen der internationalen Zusammenarbeit. Das Motto des G‑7-Gipfels unter deutscher Präsidentschaft heißt deshalb zu Recht: „Fortschritt für eine gerechte Welt“. Fortschritt!
Fortschritt hin zu einer gerechten Welt bedeutet dabei einerseits, bestehende Ungerechtigkeiten aufzudecken und Missstände direkt zu ändern, und andererseits, langfristig gerechtere Strukturen zu etablieren. Ganz konkret: Ein besseres Leben für die Menschen in den Ländern der G 7 selbst und ebenso für die Menschen in den Ländern des Globalen Südens.
Lassen Sie mich hierzu ein Beispiel hervorheben: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine blockiert aktuell wichtige Lieferungen von Weizen. Davon sind besonders Länder im Nahen Osten und in Afrika betroffen. Hier wirken die Folgen des Krieges in der Ukraine und die Auswirkungen des Klimawandels zusammen und führen zu einer drohenden Hungerkrise. Die Gründung des Bündnisses für globale Ernährungssicherheit ist daher eine wichtige, richtige und notwendige Maßnahme. Sie zeigt, dass wir in Notlagen direkt handeln und auch die Länder des Globalen Südens nicht im Stich lassen.
Um dem Klimawandel entschieden entgegenzutreten, schlägt Bundeskanzler Olaf Scholz eine beschleunigte Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens vor, indem er die Gründung eines internationalen Klimaklubs empfiehlt. Dieser Klimaklub verpflichtet die Mitgliedstaaten, bis 2045 bzw. 2050 klimaneutral zu werden. Durch einheitliche Mindeststandards im Klimaschutz soll ein fairer Handel im Wettbewerb etabliert und gemeinsam ein koordinierter Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen gefunden werden.
Meine Damen und Herren, neben der Bekämpfung des Klimawandels ist der Einsatz für die Gleichberechtigung der Geschlechter eine der zentralen Aufgaben unserer Zeit. In diesem Bereich haben wir auch in Deutschland noch eine Menge zu tun. Eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen auf allen gesellschaftlichen Ebenen und der entschlossene Einsatz gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen sowie gegen sexualisierte Gewalt in Konflikten sind hierbei wichtige Leitplanken im Kampf für eine gerechtere und friedlichere Welt.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die G 7 stehen in einer großen globalen Verantwortung: für einen effektiven Klimaschutz, die Transformation unserer Industrien, Innovationen und Bildung, Förderung nachhaltiger Entwicklung und die Verhinderung kommender Pandemien.
Der Krieg gegen die Ukraine führt uns dabei auch vor Augen, wie Desinformationskampagnen und Falschmeldungen taktisch genutzt werden und wie wichtig der Zugang zu verlässlichen Informationen heute ist. Unabhängige Medien, Pressefreiheit und eine aktive Zivilgesellschaft sind zentrale Pfeiler in einer Demokratie, die es zu schützen und zu stärken gilt.
In den kommenden Tagen wird von Elmau ein Zeichen ausgehen: Wir stehen zusammen für Demokratie und die Einhaltung der Menschenrechte, für eine Erneuerung unserer internationalen Friedensordnung, für den Kampf gegen den Klimawandel und für weltweite Allianzen für unseren Planeten. – Ich wünsche gute und konstruktive Gespräche in Elmau.
Vielen Dank.
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Der nächste Redner ist Johannes Huber.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Mitbürger! Vor den kommenden Gipfeln steht nichts weniger auf dem Spiel als die bisher gegen Putin als Stärke ins Feld geführte westliche Geschlossenheit.
In der Europäischen Union zeigt die steigende Divergenz auf den Märkten der Staatsanleihen, dass die Eurokrise nach zehn Jahren der historischen Kreditmengenausweitung mit voller Wucht zurückkehrt. Die über 4 Prozent Zinsen auf italienische oder griechische Staatsanleihen sind jedoch immer noch weniger als die Inflation in der EU bei den Verbraucher- und vor allem bei den Erzeugerpreisen. Mut zur Wahrheit ist es, auszusprechen, dass die horrenden Staatsschulden in der EU durch die Inflation auf Kosten der Bürger und Unternehmer entwertet werden und das auch gewollt ist. Deshalb zögert die EZB ihre marginale Zinswende – anders als die sie leitenden Märkte und auch anders als die Schweizerische Nationalbank – hinaus.
In diesem Umfeld kann die Ukraine aufgrund der militärischen Beistandsklausel erst dann in die EU aufgenommen werden, wenn sie sich als souveräne Nation nicht mehr im Krieg befindet. Bei aller Niedertracht von Putins Angriffskrieg und seinem geopolitischen Interesse, die USA auch in Europa als Hegemon abzulösen, gibt es eine weitere unangenehme Wahrheit: Es wäre vor allem im ukrainischen Interesse gewesen, in den letzten Jahren durch die Umsetzung des Minsker Abkommens die vollständige territoriale Integrität wiederzuerlangen. Das ist das, was sie jetzt wollen. Diese heute zurückzuerkämpfen mithilfe westlicher Waffen, die nicht alle an der Front landen, und auf Kosten immenser ziviler und militärischer Opfer, erscheint aktuell zunehmend aussichtslos.
Die NATO hat aber selbst viele Baustellen. Wenn Finnen und Schweden Mitglied werden wollen – was Russland im Übrigen wegen der dann gefährdeten Murmansk-Anbindung unter keinen Umständen akzeptieren wird –, dann müssen sie zumindest bei der Unterstützung der PKK und YPG weitere konkrete Schritte auf die Türkei zugehen. Genauso muss Griechenland auf die Forderung der 12-Seemeilen-Grenze und Erdogan dafür auf seine illegitimen Ansprüche auf griechische Inseln verzichten.
Ein Konflikt zwischen zwei NATO-Staaten, der sich bis hin zu einer nicht ausgeschlossenen türkischen Aggression ausweiten kann, hilft letztlich nur Putin, der in diesem Szenario Erdogan als südliche NATO-Flanke in den Rücken stechen wird. Halten wir also den türkischen Staatspräsidenten von dieser historischen Dummheit ab.
Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort Wolfgang Hellmich, SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes muss ich mal was abräumen: Herr Kollege Hardt, ich weiß nicht, wo Sie vorhin waren. Ich war aber bei derselben Befragung. Die Ministerin hat zu den von Ihnen hier genannten Aussagen nicht ein Wort gesagt.
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Sie hat nicht ein Wort gesagt über irgendeine Vereinbarung,
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die in der NATO oder sonst wo abgeschlossen worden wäre.
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Ich habe sehr genau zugehört. Ich glaube, es ist bei Ihnen eher eine Frage der Autosuggestion, das hier immer öffentlich hochzuziehen.
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Jetzt glauben Sie das alles schon selber. Aber was soll ich machen? Daran kann ich nichts ändern. Ich wollte es an der Stelle nur sagen.
Meinem Kollegen aus dem Sauerland – aus dem Süden –, Herrn Merz, möchte ich sagen: Es wird Ihnen nicht gelingen, zwischen dem Fraktionsvorsitzenden, dem Parteivorsitzenden und dem Bundeskanzler irgendein Blatt Papier zu kriegen, wenn Sie meinen, es wäre irgendjemand nicht hier.
Wenn Sie sich die Rede von Lars Klingbeil zu dem Thema Verantwortung richtig angehört haben – das ist auch ein Hinweis an Herrn Bartsch; der hat es auch nicht verstanden –, dann werden Sie festgestellt haben, was dort unter dem Begriff der Zeitenwende als Führungsmacht skizziert worden ist: die Umsetzung der Wirkungsmacht einer der größten Volkswirtschaften in Europa in verantwortliches Handeln für dieses Europa, in der NATO und an anderen Stellen. Nicht anders ist es doch zu verstehen – wenn Sie den Text noch weiter lesen –, auf Augenhöhe darüber zu reden und partnerschaftlich mit anderen zusammen diese Wirkungsmacht anzuwenden, um Probleme zu lösen – sei es im Bereich Klima, sei es bei der Frage von Krieg und Frieden in der Welt, sei es hinsichtlich der sozialen Fragen. Genau das ist unter dieser Wirkungsmacht, unter der Führungsmacht und Führungsverantwortung zu verstehen.
Nichts anderes tun wir auch im Bündnis. Wenn die Erwartungshaltung an Deutschland, die wir gerade bei der NATO-Parlamentarierversammlung von fast allen anderen Staaten weltweit, die dort vertreten waren, vernehmen, lautet, Verantwortung zur Lösung von Problemen zu übernehmen – nicht im Sinne „Führung sui generis“, sondern zum Zwecke, Probleme zu lösen und dazu auch die eigenen Fähigkeiten einzusetzen –, dann sage ich: Deutschland tut das. Und so ist das Sondervermögen verstanden worden: Es ist verstanden worden als Signal an alle anderen, diese Verantwortung zu übernehmen – und das partnerschaftlich an der NATO-Ostflanke. Die Litauer haben genau verstanden, was wir zugesagt haben, um die Fähigkeiten der NATO dort aufzubauen, und sie verlassen sich darauf, dass wir das tun. In der Slowakei der Einsatz der Patriots, um den Luftraum zu schützen, das Air Policing im Baltikum und im Süden und der Einsatz maritimer Fähigkeiten im Kontext der NATO: Das ist die Übernahme von Verantwortung mit den eigenen Partnern. Denn wir verlangen von ihnen auch, dass sie sich partnerschaftlich für uns einsetzen. Das ist eine Form von Führung, von Führungswirkung und von Führungsmacht, wie wir sie uns als Sozialdemokraten vorstellen. Es ist kein Selbstzweck zur Durchsetzung irgendwelcher Interessen.
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An dieser Stelle meinen herzlichen Dank an die Soldatinnen und Soldaten, die in all diesen Einsätzen in Uniform genau diese Verantwortung Deutschlands repräsentieren. Und das wissen sie. Sie wissen, was sie dort tun. Sie wissen, in welcher kritischen Situation sie sind und welche Aufgabe sie da haben. Die Menschen in dieser Republik verlassen sich genau darauf: dass die Regierung ihre Interessen schützt, dass sie das Schutzversprechen umsetzt. Sie vertrauen in diese Uniformen. Man merkt es jeden Tag mehr. In meinem eigenen Wahlkreis möchte eine der ersten Städte eine Partnerschaft mit einer anderen Kaserne, und sie hat das mit der Glückauf-Kaserne in Unna jetzt hingekriegt. An vielen Stellen in der Bevölkerung gibt es diesen Ausdruck von Verantwortung und diesen Ausdruck von Vertrauen. Deshalb an dieser Stelle, Herr Bundeskanzler: Glück auf für die Veranstaltungen, bei denen Sie mit hoher Verantwortung genau dies alles auch umzusetzen haben!
Vielen Dank.
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Die letzte Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Baradari, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die gegenwärtigen Krisen sind leider vielfältig. Russlands völkerrechtswidriger Krieg gegen die Ukraine erschüttert die europäische Sicherheitsordnung in ihren Grundfesten. In Zeiten des russischen Angriffskrieges ist es umso wichtiger, dass Solidarität und Zusammenhalt nicht allein Schlagworte bleiben, sondern auch in Europa gelebt werden.
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Die Coronapandemie ist weiterhin eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Die Inzidenzzahlen steigen wieder. Die Situation im Herbst ist für uns derzeit kaum abzuschätzen, aber eine neue Coronawelle auch nicht unwahrscheinlich. Hinzu kommt eine mögliche Influenzawelle. Hier gilt es, gemeinsam zu handeln, etwa in der Impfstoffbeschaffung.
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Deutschland kommt durch seine Vorreiterrolle in der EU eine besondere Verantwortung in der Bewältigung der Krisen zu – und nimmt diese auch an, etwa über eine Stärkung des WHO Hub for Pandemic and Epidemic Intelligence in Berlin mit 30 Millionen Euro.
Eine europäische Gesundheitspolitik muss im Zeitalter von Pandemien, Klimakrise und Krieg vernetzt gedacht und in Partnerschaft durchgeführt werden. Deshalb habe ich als Vorsitzende der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung der Union für den Mittelmeerraum letzte Woche intensive Gespräche vor Ort in Barcelona geführt. Die Themen waren Umweltschutz, erneuerbare Energien, Migration, Frauenrechte und Sicherheitspolitik im Mittelmeerraum. Deutschland stellt sich dieser Verantwortung und plant, mehr als 500 Millionen Euro für gute Arbeit im südlichen Mittelmeerraum bereitzustellen.
Eine weitere Herausforderung für Deutschland, den Mittelmeerraum, Europa und den Rest der Welt ist zweifelsohne die Klimakrise. Durch die Klimakrise können Krankheiten mit verursacht oder verschlechtert werden, insbesondere in Hitzewellensituationen. Sie führen zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit Todesfolge, insbesondere bei Kindern und bei älteren Personen.
Ich möchte hier auf einige Punkte eingehen, die für mich als Gesundheitspolitikerin und Europapolitikerin von besonderer Bedeutung sind. Dabei weise ich auf die Ergebnisse des EPSCO-Rates vom 14. Juni hin. Aber für mich ist auch Folgendes noch wichtig: Bei der Konferenz zur Zukunft Europas haben sich die beteiligten Bürgerinnen und Bürger klar und deutlich mit folgenden Forderungen im Bereich Gesundheit positioniert:
Erstens. Das europäische Gesundheitssystem muss gestärkt werden – durch Investitionen in die Gesundheitssysteme, insbesondere in den öffentlichen und nicht gewinnorientierten Bereich, in die Infrastruktur und in einen digitalen Gesundheitsraum. Gerade junge Menschen wünschen sich eine gemeinsame europäische Gesundheitspolitik, also eine Gesundheitsunion.
Zweitens. Alle Menschen in Europa sollen Zugang zu Informationen über eine gesunde Ernährung und zu bezahlbaren Lebensmitteln bekommen.
Drittens. Wir brauchen endlich einen ganzheitlichen Gesundheitsansatz, der über Krankheiten und Heilung hinaus auch einen präventiven Ansatz berücksichtigt. Nötig ist die Verstetigung des Ansatzes „Eine Gesundheit“, „One Health“, der als grundlegender Grundsatz, der alle EU-Politikfelder umfasst, hervorgehoben werden sollte.
Viertens. Lassen Sie uns ein Recht auf Gesundheit schaffen, indem allen Menschen in der EU der gleichberechtigte Zugang zu einer präventiven, kurativen und vor allem hochwertigen Gesundheitsversorgung gerade in Gesundheitskrisen garantiert wird.
Wir als Politikerinnen und Politiker sind alle aufgefordert, die Ergebnisse der Zukunftskonferenz zu respektieren und in die politischen Entscheidungsprozesse mit einfließen zu lassen.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Herausforderungen sind komplex und vielschichtig. Mögliche Lösungen können nur in einer gemeinsamen Kraftanstrengung auf den Weg gebracht werden. Daran arbeitet diese Regierung jeden Tag mit voller Kraft. Und wir können froh und stolz sein, dass wir einen sozialdemokratischen Bundeskanzler Olaf Scholz haben, der uns besonnen, mit ruhiger Hand und mit klarem Kompass durch diese vielfältigen Krisen navigiert.
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Sehr geehrter Herr Kanzler, vielen Dank. Wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier stehen Ihnen gerne zur Seite.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Damit schließe ich die Aussprache.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn der westliche Balkan in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers und der anschließenden Debatte gerade zu Recht eine Rolle gespielt hat, ist es gut, dass wir der Thematik eine eigene Debatte widmen.
Die CDU/CSU-Fraktion ist seit vielen Jahren diesem Thema verschrieben, auch mit einer eigenen Arbeitsgruppe, die sich nur um das Thema „Westlicher Balkan“ kümmert. Wir sind stolz darauf, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel den Berliner Prozess angeschoben und damit dafür gesorgt hat, was in diesen Tagen wieder diskutiert wird, dass Deutschland eine Führungsrolle übernommen hat und innerhalb Europas treibende Kraft ist. Das sollten wir aus unserer Sicht auch bleiben, damit das Versprechen von Thessaloniki an alle Staaten des früheren Jugoslawiens, aber auch Albanien, dass diese Staaten eine Chance haben, Mitglied der Europäischen Union zu werden – der Bundeskanzler hat es erwähnt –, Realität wird. Wir sehen, dass der Prozess lahmt. Deswegen zielt dieser Antrag darauf ab, den sehr breiten Konsens, den es in diesem Hause gibt, der Bundesregierung noch einmal vorzutragen und sie aufzufordern, den Faden von Angela Merkel wieder aufzunehmen. Der westliche Balkan muss wieder Topthema der Außenpolitik Deutschlands werden. Das ist eine Aufforderung, die sich an den Bundeskanzler und auch an die Außenministerin richtet.
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Die Außenministerin hat dort früh ein kluges Besuchsprogramm absolviert und vor allen Dingen den früheren Kollegen Manual Sarrazin, der über sehr viel Fachkunde verfügt, damit beauftragt, sich um den westlichen Balkan zu kümmern. Er war in unserer Arbeitsgruppe. Wir bedanken uns schon jetzt für einen sehr konstruktiven Austausch. Die Reise des Bundeskanzlers ist fast missglückt. Erst nach Pristina und dann nach Belgrad zu reisen, ist schon von der Reihenfolge her hoch problematisch gewesen. Dann hat er den serbischen Präsidenten auch noch in einer großen Pressekonferenz damit konfrontiert, dass alles unter der Bedingung stünde, am Ende dieses Prozesses das Kosovo völkerrechtlich anzuerkennen. Das ist natürlich wünschenswert – das weiß ja jeder –, aber der Vermittlungsprozess ist für Serbien dadurch schwierig geworden. Dass das in dieser etwas amateurhaften Art und Weise sozusagen vor der serbischen Öffentlichkeit gemacht worden ist, hat die Sache jetzt belastet. Insofern ist meine Hoffnung, dass das Auswärtige Amt hier die Führung übernimmt. Bei Annalena Baerbock und Manuel Sarrazin ist das definitiv in besseren Händen als bei Olaf Scholz.
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Die Bundesregierung insgesamt muss sich dieses Themas annehmen; denn es drängt.
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Das zeigen insbesondere der Antrag auf Verlängerung des Mandates KFOR und der Antrag auf Neumandatierung von Althea für Bosnien-Herzegowina, die die Bundesregierung uns in dieser Sitzungswoche vorlegen wird. Es sind übrigens nicht weniger Mandate, sondern es ist eines mehr. Aber okay! Das zum Thema Evaluierung, das Sie sich vorgenommen haben; aber das ist Ihr Thema. Die Bundesregierung hat also im Kern erkannt, dass die Region volatil ist, dass wir schnell wieder in der Situation der Kriege der 90er-Jahre landen können und dass wir deswegen jetzt vorankommen müssen.
Weil es vorhin vom Kollegen aus der SPD-Fraktion angesprochen worden ist, möchte ich nur darauf hinweisen: In Bulgarien hat die der EVP-Familie angehörige Fraktion GERB jetzt entschieden, dass sie bereit ist, einem Kompromiss, den die französische Ratspräsidentschaft vorgetragen hat, was Nordmazedonien angeht, zuzustimmen. Deswegen kann ich nur sagen: Christdemokraten in Europa arbeiten gut zusammen und sorgen dafür, dass es auch im westlichen Balkan vorangehen kann. Wenn Sie in Ihren Parteienfamilien freundlicherweise Ähnliches vorantreiben könnten, werden wir gemeinsam erfolgreich sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ich will noch eine Bemerkung machen. Der Bundeskanzler hat hier gesagt, dass es natürlich eine große Ungeduld gibt und dass wir jetzt vorankommen müssen. Was er nicht gesagt hat, was aber dazugehört – das wird immer nur in der Debatte um die Ukraine gebracht –: Auch die Staaten des westlichen Balkans sind von der Fähigkeit, in die Europäische Union aufgenommen zu werden, bedauerlicherweise – und in natürlich unterschiedlichem Maße – sehr weit entfernt. Die kriminellen Clans, die in der Vergangenheit allem Anschein nach Drogenhandel, Menschenhandel und sogar Organhandel betrieben haben, sind in einem so hohen Maße einflussreich, dass die staatlichen Strukturen, die wir in einigen Ländern sehen, nur eine Farce sind. Tatsächlich wird dort Politik von Clans gemacht. Die Kopenhagen-Kriterien sind hart. Sie müssen eingefordert werden, und ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie insbesondere die Beschlüsse, die der Deutsche Bundestag hier zu Albanien und Nordmazedonien gefasst hat, beachtet, dass wir auch hier kein Fast-Track-Verfahren machen und die Kriterien nicht aufweichen. Wenn wir in diesem Sinne weiter zusammenarbeiteten in diesem Hause, wäre das für den Frieden in Europa ein großer Gewinn.
Herzlichen Dank.
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Ahmetovic aus der SPD-Fraktion.
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Eigentlich ist es unfair, wenn man auf seinen Vorredner eingeht, weil er nicht darauf antworten kann, aber ich muss eine Sache sagen, Herr Dr. Wadephul: Ja, die Bundesregierung hat erkannt, dass in den letzten 16 Jahren Fehler gemacht worden sind, und die korrigieren wir jetzt mit der neuen Bundesregierung. Das ist die Wahrheit, und das ist das Richtige.
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Ich bin stolz darauf, dass unser Bundeskanzler und unsere Bundesverteidigungsministerin die richtigen Entscheidungen treffen werden, unter anderem, EUFOR Althea, ein Mandat, das 2012 beendet wurde, wieder aufzunehmen.
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Deshalb: Der Bundeskanzler ist auf dem richtigen Weg.
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Sie merken es: Mit der neuen Bundesregierung weht ein neuer Wind im Deutschen Bundestag. Die Region bekommt wieder mehr Aufmerksamkeit. So häufig wie jetzt, in unserer Anfangsphase, wurde der westliche Balkan schon lange nicht mehr thematisiert. Mit der neuen Bundesregierung werden wir wichtige Beschlüsse fassen, damit Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien eine Beitrittsperspektive bekommen. Das ist ebenfalls ein richtiger Plan der neuen Bundesregierung.
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Es ist richtig: Es sind kleine Länder im Südosten Europas, über die wir heute sprechen. Aber sie sind keinesfalls unbedeutend. Oftmals werden diese Länder und die gesamte Westbalkanregion als Rand, als Hinterhof Europas dargestellt. Meine Damen und Herren, Südosteuropa, der Westbalkan, das ist nicht der Hinterhof, sondern der Innenhof Europas und als solcher fundamental wichtig für Frieden, Stabilität und Sicherheit auf unserem Kontinent.
Knapp vier Monate sind seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine vergangen – ein Angriffskrieg, der uns auch vier Monate später noch zutiefst erschüttert. In enger Absprache mit unseren internationalen Partnern haben wir klar gezeigt: Wir stehen an der Seite der Ukraine. – Wir haben eine Zeitenwende ausgerufen, und dies bedeutet auch eine Zeitenwende in der deutschen Westbalkanpolitik.
Die Europäische Union ist eines der wichtigsten Friedensprojekte der Geschichte, ein Garant für Frieden, Freiheit und Fortschritt ihrer Mitglieder. Es liegt deshalb in unserer Verantwortung, die Annäherung des Westbalkans an die EU nun tatkräftig voranzutreiben. Jetzt ist der historische Moment da. Wir müssen die Westbalkanländer auf ihrem Weg in die EU unterstützen. Das hat unser Bundeskanzler heute deutlich gemacht.
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Was passiert, wenn wir dies nicht tun, zeigt sich bereits heute. Drittstaaten wie China, die Vereinigten Arabischen Emirate und eben auch Russland haben längst die Zögerlichkeit der EU als geostrategische und wirtschaftliche Chance erkannt. Seit Jahren bauen sie ihren autokratischen Einfluss aus und füllen das Machtvakuum, das die EU in Südosteuropa hinterlassen hat. Es sollte uns beunruhigen, wenn in Sankt Petersburg Staatspräsidenten aus der Region hofiert werden und von freundschaftlichen Beziehungen gesprochen wird. Genauso sollte es uns beunruhigen, wenn der russische Botschafter in Bosnien-Herzegowina dem Land droht, sollte es der NATO beitreten. Noch ist es nicht zu spät, aber wir müssen jetzt aktiv werden. Es sind nicht nur der Krieg in der Ukraine oder das Zurückdrängen dieser Drittstaaten, welche das momentane Opportunitätsfenster begründen, sondern es ist auch die Zustimmung der Bevölkerung. Noch befürwortet eine Mehrheit der Menschen auf dem westlichen Balkan einen EU-Beitritt. Obwohl sie lange – teilweise zu lange – warten mussten, sind sie noch immer überzeugt von diesem Friedensprojekt.
Um es einmal ganz klar zu sagen: Ohne schnelle Fortschritte bei den EU-Beitrittsverhandlungen wird diese Zustimmung zur EU auf dem Westbalkan kippen und der europäische Geist erlöschen. Bezeichnendes Beispiel hierfür ist Nordmazedonien. Auf dem Weg in die EU hat das Land 2019 einen Namensstreit mit Griechenland beendet. Was kam ein Jahr später, als es darum ging, Albanien und Nordmazedonien für Beitrittsverhandlungen zuzulassen? Es gab eine Blockade von Bulgarien. Dieses Blockadeverhalten ist nicht nur absurd, sondern schadet der ganzen EU. Deshalb müssen wir daran arbeiten – und ich begrüße die entsprechenden Vorschläge unseres Bundeskanzlers –, die Entscheidungsfindung innerhalb der EU zu reformieren und die EU-Erweiterung Südosteuropas wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Nicht zuletzt durch ihre Reisen in die Region haben Olaf Scholz, Christine Lambrecht und auch Annalena Baerbock gezeigt, welche hohe Priorität die Erweiterung für die Bundesregierung hat. Auch das ist Teil der Zeitenwende.
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Zeitenwende – das bedeutet Wandel, den es zu gestalten gilt, indem wir entschlossen auftreten und auch etwas wagen. Was dies für den Westbalkan heißt, möchte ich noch einmal konkret skizzieren: Erstens. Bosnien-Herzegowina sollte den EU-Kandidatenstatus erhalten. Zweitens. Die Visaliberalisierung für den Kosovo muss schnell auf den Weg gebracht werden. Drittens. Die seit 2012 laufenden Beitrittsverhandlungen mit Montenegro brauchen eine neue Dynamik und schnelle und sichtbare Fortschritte. Viertens. Die Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien sollten schnell beginnen. – Das ist der Plan der Bundesregierung. Darauf können wir als Deutscher Bundestag stolz sein, meine Damen und Herren.
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Lassen Sie uns gemeinsam dafür eintreten, dass wir schon beim morgigen EU-Gipfel unter Beweis stellen, dass die EU glaubwürdig und handlungsfähig ist! Lassen Sie uns die Westbalkanstaaten endlich in die Europäische Union, in die europäische Familie aufnehmen! Noch schlagen die Herzen auf dem Westbalkan für die EU. Noch ist es nicht zu spät. Aber wir müssen jetzt aktiv werden.
Herr Bundeskanzler, lieber Olaf Scholz, Frau Außenministerin, liebe Annalena Baerbock, wie Sie lesen, hören und spüren können, gibt es eine große Mehrheit im Deutschen Bundestag, die Ihren Kurs unterstützt. Lassen Sie uns gemeinsam aktiv werden! Jetzt ist der historische Moment da.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Für die AfD hat Dr. Harald Weyel das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebes Publikum allüberall! Wir sehen hier ein Spielen mit den Begriffen „Kandidatenstatus“ und „Beitrittsverhandlungen“. Sie sind der Katalysator für die geordneten Verhältnisse, die damit geschaffen werden sollen: für Demokratie, Basisdemokratie, Wettbewerb, Marktwirtschaft, Wohlstand. All das soll damit erreicht werden. Wir können uns aber fragen: Was ist denn mit der Erreichung dieser Ziele in den Gründungsländern? Ist in Italien der Unterschied zwischen Nord- und Süditalien nach 65 Jahren EU-Vollmitgliedschaft aufgehoben worden? Oder was hat die EU-Vollmitgliedschaft Griechenland in über 40 Jahren gebracht? Ein bisschen Failed State ist immer, und mit der EU ist er offenbar auch garantiert, trotz aller Subventionen und vielleicht gerade wegen der Subventionen und Institutionen, die sich nie wirklich substanziell reformiert haben und eigentlich immer nur Reformverzögerung, Reformverhinderung bedeutet haben.
Schauen wir uns ein historisches Beispiel an, das für sich spricht, und das zeigt, wie es wirklich gemacht wird: Die Beneluxstaaten – Belgien, Niederlande, Luxemburg –, ein relativ homogenes Gebiet, haben eine Zollunion und eine Wirtschaftsunion gebildet, parallel zu dem, was Deutschland, Frankreich und Italien veranstaltet haben. Diese homogenen kleinen Staaten, die zusammen einen mittleren Staat ergeben haben, konnten dann tatsächlich auf Augenhöhe mit Frankreich, Deutschland und Italien konkurrieren, kooperieren.
Der Westbalkan ist eigentlich in einer vergleichbaren Situation. Die Westbalkan-Zollunion wäre hier der erste Schritt und final vielleicht auch der bessere, der dieses Agieren auf Augenhöhe garantiert und ausschließt, dass der Automatismus greift, dass zunächst die Landwirtschaft zerstört wird, dass die klein- und mittelständische Industrie zerstört wird, dass durch die großen Player, die durch die EU den Markt übernehmen, der Handel gestört wird. Die Subventionen, der Sozialstaat, der Apparat der EU auf der anderen Seite sind natürlich als Trostpflaster gedacht; so hat jeder etwas davon. Aber das ist keine Win-win-Situation. Zu viele verlieren. Insofern ist die Ever Closer Union, die da angestrebt wird, zwar keine sexuelle Belästigung, aber eine sozioökonomische Belästigung sondergleichen. Es ist das Zwingen in eine Zwangsehe, die nicht sein muss.
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Was ist zu erwarten von den sado-ökonomischen Brüsseler Spitzen, die da verabreicht werden? Wir sehen, dass in Nordmazedonien, wie es heißen muss, aber auch in Bosnien-Herzegowina, insgesamt in verschiedenen dieser sechs Länder tatsächlich Investitionen getätigt wurden. Die deutsche und die österreichische Industrie und andere haben dort investiert. Der Automobilbau bzw. die Zulieferung, der Teilebau, ist da vorangegangen. Wir haben diesen positiven Effekt bei Delegationsreisen vor Ort durchaus feststellen können. Aber jetzt kommt die EU, jetzt kommt das Verbot des Verbrennungsmotors, und Schluss ist mit der Industrialisierung, die im Vorfeld durchaus stattgefunden hat.
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Es ist nichts als eine Verschlimmbesserung des Ganzen zu erwarten. Ein Drittel oder die Hälfte der Bevölkerung – das ist in vielen Kleinstaaten der Fall; in Zentralamerika haben Sie das Gleiche – wird gut oder schlecht bezahlt im Ausland leben und nach Hause überweisen. So wird sich ein relativ labiles Staats- und Gesellschaftsgebilde über Jahrzehnte nicht entwickeln. Ein Beitritt der Zentralamerikaner zur NAFTA oder der Balkanbevölkerung zur EU könnte mehr Risiken als Chancen beinhalten und würde die Strukturen nicht brechen, dass gut ausgebildete Leute rauswollen und dass gar nicht ausgebildete Leute rauswollen. Für die einen ist der attraktive Arbeitsmarkt im Norden das Zugpferd, für die anderen sind die Sozialleistungen und der Sozialtourismus der Anreiz. Es ist für jeden eine Win-win-Situation, außer für die Leute, die ehrlich wirtschaften wollen – sei es in Deutschland, sei es in diesen Ländern selbst.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Das Modell der zwei Geschwindigkeiten, das Macron angesprochen hat, ist eine wunderbare Sache, die das etwas abbremst. Noch besser wäre es, die zwei Geschwindigkeiten in zwei Richtungen zu treiben, also die EU der zwei Richtungen. Dann sehen wir, welche die bessere ist. 65 Jahre sind vorgegeben.
Herr Dr. Weyel, letzter Satz!
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Boris Mijatović.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, am wichtigsten ist, am Anfang festzustellen, dass wir heute überhaupt über die Region des westlichen Balkans, über die Länder des ehemaligen Jugoslawiens, sprechen. Ich komme gerade aus Sarajevo und kann Ihnen sagen: Die Leute verfolgen dort sehr genau, was wir hier besprechen und welche Anträge von welcher Fraktion vorgelegt werden. Es ist wichtig, dass wir über diese Region sprechen. Angesichts des Angriffskriegs Russlands in der Ukraine sind einige Fragen auf dem Tisch. Sie sind – so sagen es mir die Leute, die ich gestern Abend noch getroffen habe – eher ein Push. Die Leute, die an demokratische Veränderungen glauben, fühlen sich ermutigt, weiter zu kämpfen und weiter für den Weg nach Europa zu streiten.
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Berlin interessiert sich wieder für den Balkan. Das müssen wir heute nach 16 Jahren CDU-geführter Regierung feststellen. Herr Dr. Wadephul, es ist wichtig, dass wir an dieser Stelle einhaken und noch mal einzeln die Länder in Ihrem Antrag durchgehen, um zu sehen, was sich dort an Veränderung getan hat. Das ist nämlich eine Schwäche Ihres Antrags, wenn ich das so sagen darf. Sie verurteilen die Länder pauschal
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und übersehen dabei, dass es eben keine „latente Instabilität“ gibt. Es gibt sehr wohl positive Entwicklungen, und diese würde ich gern einzeln mit Ihnen durchgehen.
Da ist das Beispiel Montenegro. Das Land hat sich aufgemacht und Fortschritte erzielt. Sie haben einen demokratischen Wechsel erlebt, wie wir ihn im September hatten. Das hat Montenegro auch geschafft. In Podgorica steht die neue Regierung für einen klaren proeuropäischen Kurs; für den sind sie auch gewählt worden. Wenn Sie von „latenter Instabilität“ reden, dann möchte ich erleben, wenn Sie das den Leuten in Podgorica erklären. Das ist falsch, und das müssen wir an der Stelle richtigstellen.
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Schauen wir auf Nordmazedonien und Albanien. Beide Länder haben die ihnen gestellten Aufgaben erfüllt. Wir haben pandemiebedingt zwei Jahre lang Reiseaktivität und Verbindung im persönlichen Austausch sicher nicht zum Besten gehabt; das müssen wir feststellen. Aber wir haben erlebt, dass diese Länder durchaus mit hoffnungsfrohen Regierungen an den Start gegangen sind, schwierige Reformen in Angriff genommen. Deswegen ist es so wichtig, jetzt mit beiden Ländern diesen Schritt zu gehen. Es ist unsere Aufgabe als Europäer – da bin ich wieder bei Ihrem Antrag; das ist genau richtig –, dort unsere Glaubwürdigkeit zu verteidigen. Und wenn ich das sagen darf – ich bin Ihnen ausdrücklich dankbar, dass Sie das eben erwähnt haben –: Die konservative Kraft GERB in Bulgarien stellt sich in Sofia diesem Wechsel. Es ist Präsident Radew gewesen, der, ich glaube, gestern gesagt hat: Wir wollen hier die Tür aufmachen. Es muss eine europäische Perspektive geben. Der Einzige, der sich freuen würde, wenn das scheitert, sitzt in Moskau.
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Ich kenne die Entscheidung zur Regierung Petkov aktuell nicht. Ich glaube, es wird dieser Stunde entschieden, ob es einen Misstrauensantrag geben wird. Wenn dieser durchkommt, stünden die vierten Wahlen in etwas mehr als zwölf Monaten bevor. Das wäre eine Situation, in der wir in den Parteienfamilien gucken müssen, dass wir demokratische Kräfte unterstützen.
Kommen wir zu Bosnien und Herzegowina. Hier gibt es natürlich Schwierigkeiten; das lässt sich nicht leugnen. Wenn man sich anschaut, wie viele politische Prozesse in dem Land blockiert werden, dann muss man deutlich sagen: Hier tritt Instabilität am ehesten zutage. Wenn ich mir dann aber anschaue, mit welcher Kraft die Leute immer noch an eine Perspektive glauben, dann ist es gut, dass wir von Deutschland aus mit unserem Antrag der Koalition sehr deutlich machen, was wir dort wollen. Es sind eben nationalistische Kräfte, die im Haus der Völker die Prozesse blockieren. Ein Integrity Package, ein Integritätspaket, das auf den Weg gebracht werden sollte, um Wahlen vor Betrug zu schützen – wirklich ein technischer, kein politischer Vorgang –, wird blockiert, und zwar von allen drei großen Parteien. Das kann nicht sein, meine Damen und Herren. Deswegen bin ich Christian Schmidt sehr dankbar, dass er das Paket zur Unterstützung der Durchführung der Wahlen auf den Weg gebracht hat. Gestern sagte mir eine Beraterin: Der Spitzname für das Haus der Völker sei im Volksmund mittlerweile „der Friedhof der demokratischen Ideen“. – Das muss uns interessieren. Wir müssen das angehen und Bosnien-Herzegowina auf diesem Weg ebenfalls unterstützen.
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Serbien und Kosovo wurden angesprochen. Wir kommen gleich noch zu KFOR. Ich glaube, dass der Bundeskanzler die richtige Reihenfolge für seine Reise gewählt und dort auch die richtigen Worte gesetzt hat – übrigens eine Reihenfolge, die auch andere Leute vorgenommen haben. Sie können nicht dort loben und da kritisieren; das passt nicht zusammen. Wir müssen jetzt aber gucken, dass auch für Kosovo Entwicklungen stattfinden mit einer demokratischen Bewegung, die dort im Amt ist. Natürlich ist nicht alles von heute auf morgen gut. Aber es sind Kräfte in Pristina am Werk, die mit „Jobs & Justice“ Wahlen gewonnen, eine Mehrheit bekommen haben und jetzt daran arbeiten, dieses Land nach vorne zu bringen, und zwar proeuropäisch. Das unterstützen wir. Deswegen bin ich sehr dankbar, dass die Visaliberalisierung angesprochen wurde. Das ist etwas, was wir auf den Weg bringen sollten.
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Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ganz zum Schluss noch eine persönliche Anmerkung machen. Wie gesagt, ich komme gerade aus Sarajevo. Dort findet am Samstag um 15 Uhr die Pride-Parade statt. Ich habe die Leute getroffen. Sie führen sie jetzt zum dritten Mal durch. Das sind tolle Leute. Die sind wirklich mit Herzblut dabei. Wenn Sie die Umgebung ein bisschen einschätzen können, dann wissen Sie, dass das der Kampf aus den 70er-Jahren ist. Es ist noch richtig Kärrnerarbeit, dort eine Pride auf die Beine zu stellen. Ich bitte Sie daher, in Ihren Social-Media-Kanälen für die Pride am Samstag um 15 Uhr in Sarajevo zu werben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Der Kollege Andrej Hunko von der Fraktion Die Linke ist als nächster Redner am Pult.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Jahre 2003 wurde in Thessaloniki dem Westbalkan eine europäische Perspektive angeboten – mit großen Worten, wie man feststellt, wenn man sich die Beschlüsse noch einmal anschaut. Das ist jetzt 19 Jahre her. Wie sieht die Situation aus? Wir haben Beitrittsverhandlungen mit Serbien und Montenegro. Albanien und Nordmazedonien warten seit vielen Jahren auf ihren Kandidatenstatus, der ja von der Europäischen Kommission empfohlen wurde.
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Für Kosovo und Bosnien ist noch gar kein Kandidatenstatus in Sicht. Das ist die Realität. Man muss sagen: Es ist eine äußerst ernüchternde Bilanz, die bisher vorzuweisen ist.
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Schauen wir mal, wie es zum Beispiel in Serbien ist. Serbien hat 2009 den Beitrittswunsch geäußert. 2012 sind die Verhandlungen eröffnet worden. Heute sind 2 von 35 Kapiteln abgeschlossen.
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Das wird nichts mehr in diesem Jahrhundert, wenn man in diesem Tempo weitermacht.
Ein Punkt dabei ist, glaube ich, dass die soziale Dimension in den ganzen Beitrittsverhandlungen keine Rolle spielt. Wir haben ja die Kopenhagener Kriterien. Die Linke sagt: Wir sind für die politischen Kriterien von Kopenhagen, für Rechtsstaatlichkeit, für Demokratie, für Menschenrechte.
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Aber wir sehen die ökonomischen Kriterien sehr kritisch. Sie führen in diesen Ländern eben auch zu Sozialabbau, zu Deindustrialisierung. 71 Prozent der jungen Menschen in den sechs Ländern erwägen gegenwärtig die Auswanderung. 71 Prozent! Das ist die bittere Realität.
Die CDU/CSU legt hier einen Antrag vor, der aus meiner Sicht ziemlich unstrukturiert ist. Da sind handwerkliche Fehler drin. Die Punkte 23 und 28 doppeln sich. Dann fehlt ein Komma, sodass man meinen könnte, das Freedom House gehöre zum US State Department. Also, man müsste den Antrag noch einmal überarbeiten. Aber in diesem Antrag fehlt auch jede soziale Dimension. Es fehlt auch eine Auseinandersetzung damit, dass beispielsweise jetzt Serbien mit Albanien und Nordmazedonien den Open Balkan gestartet hat, also eine regionale Integration aus Enttäuschung über die EU. Auch das müsste meines Erachtens diskutiert werden und Gegenstand des Antrags sein.
Ich teile, dass Bulgarien ermutigt werden soll – das möchte auch der neue Ministerpräsident Petkov –, diese irre Blockade bezüglich Nordmazedonien aufzugeben. Ich finde auch den französischen Vorschlag richtig, das sozusagen im weiteren Prozess zu machen. Aber insgesamt muss man sagen, dass die bisherige Bilanz für den Westbalkan sehr schlecht ist. Ich sehe in diesem Antrag auch keine wirklich grundlegende Erneuerung.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Der nächste Redner ist Thomas Hacker, FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor einer Woche besuchten die Premierminister Albaniens und Montenegros bei digitaler Teilnahme des Premiers von Nordmazedonien Präsident Selenskyj in Kiew. Dabei sagte der ukrainische Präsident Folgendes – ich zitiere –:
Unsere Staaten – die Ukraine, die Republik Albanien, Montenegro und die Republik Nordmazedonien – müssen Vollmitglieder der EU werden, und wir sind uns einig, dass unsere Länder auf diesem europäischen Weg keine Konkurrenten sind, sondern sich nur gegenseitig ergänzen und stärken.
Diese Einheit, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein starkes Signal für die Zukunft Europas.
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Nur eines könnte man vielleicht noch hinzufügen: Genauso, wie die Länder des Westbalkans und die Ukraine sich gegenseitig ergänzen und stärken wollen, um ihren Weg in die EU zu bewältigen, muss auch Deutschland diese Länder auf ihrem Weg begleiten und stärken.
Wir in der Ampel haben uns im Koalitionsvertrag genau das zur Aufgabe gemacht. Wir wollen alle Länder des westlichen Balkans bei den Reformbemühungen unterstützen. Für uns ist klar: Die Integration des westlichen Balkans in die EU ist ein Gewinn für Menschen, Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und Wohlstand in der Region und in der EU gleichermaßen. Sie ist ein wesentlicher Baustein zur Vollendung der europäischen Einheit. Dass die Außenministerin in den ersten Wochen ihrer Amtszeit die Region besuchte, macht das deutlich. Und die Reise des Bundeskanzlers ist ja erst wenige Tage her.
Ja, wir wollen Geschwindigkeit in den Reformprozess bringen. Die erste Beitrittskonferenz mit Albanien und die mit Nordmazedonien dulden keinen Aufschub mehr. Die EU und auch Deutschland stehen hier im Wort. Die Reise des Bundeskanzlers nach Sofia zeigt, dass die Bundesregierung die letzten Hürden überwinden will. Die Regierungskrise in Bulgarien darf jetzt nicht dazu führen, dass wir weitere wertvolle Zeit verlieren. Noch besteht Hoffnung. Herr Wadephul, wenn Ihre Ankündigung wahr ist, dass Ihre EVP-Partner sich ihrer europäischen Gesamtverantwortung bewusst sind, ist das eine gute Nachricht. Wenn Sie daran mitgewirkt haben – da bin ich sicher –, dann danke ich dafür. Auch in Serbien haben Sie einen Partner, auf den Sie noch mäßigend oder motivierend einwirken können.
Mit dem 24. Februar wird noch etwas anderes deutlich. Die Erweiterungsfrage ist die zentrale Sicherheitsfrage für unseren Kontinent geworden. Das gilt nicht nur für die Ukraine. Auch in den Ländern des westlichen Balkans ist die verstärkte Einflussnahme von autoritären Akteuren Realität. Russland und China weiten ihren Einfluss im Herzen Europas aus – wirtschaftlich und dann auch politisch. Und das gefährdet die Stabilität auf dem gesamten Kontinent.
Wir wissen, dass wir auf Albanien, Montenegro, Kosovo, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien zählen können. Trotz der teilweise erheblichen wirtschaftlichen und energiepolitischen Verflechtungen mit Russland beteiligen sich diese Länder an den Sanktionen gegen das Putin-Regime. Die serbische Regierung muss wissen, dass eine schrittweise Annäherung an die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU eine wichtige Voraussetzung für den Beitritt ist. Premier Vucic sollte klar sein: Wer nach dem verbrecherischen Angriffskrieg Russlands immer noch nicht bereit ist, mit dem Kreml zu brechen, verlässt den Pfad in die EU.
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Die sicherheitspolitische Bedeutung der Region wird beim Blick auf die aktuelle Lage in Bosnien und Herzegowina deutlich. Wir brauchen klare Antworten in Form von Sanktionen gegen diejenigen nationalistischen und separatistischen Kräfte, welche die Integrität des Landes infrage stellen und die aus reinem machtpolitischen Kalkül bereit sind, einen erneuten Ausbruch von Gewalt in der Region zu tolerieren. Dazu, liebe Union, wird aktuell in den Ausschüssen ein Antrag von uns Ampelparteien beraten, dem Sie gerne auch zustimmen dürfen.
Mit der geplanten Beteiligung von Bundeswehrsoldaten bei der Operation Althea wollen wir einen weiteren aktiven Beitrag für die Stabilität im Land leisten. Doch uns muss klar sein: Dauerhafter Friede in Bosnien und Herzegowina ist eng mit der Perspektive einer Mitgliedschaft in der EU verbunden. Damit wir in der gesamten Region eine wirklich glaubhafte EU-Perspektive bieten können, müssen nicht nur die Länder des Westbalkans, sondern auch wir in der Europäischen Union unseren Willen zur Reform beweisen. Dazu gehört auch, dass wir die Empfehlungen der Zukunftskonferenz ernst nehmen.
Die Arbeit an der positiven Zukunft der Länder des Westbalkans ist für viele Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus ein Herzensthema. Der Beitrag, den Deutschland in der Region leisten kann, nutzt diese engen Netzwerke und Kontakte unserer Parlamentarier. Das ist gut. Dadurch tragen wir aber auch eine hohe Verantwortung.
Am wichtigsten, meine Damen und Herren: Viele Menschen aus den Ländern des Westbalkans sind in den letzten 30 Jahren in die Länder der EU gezogen, auch nach Deutschland. Wir leben hier gemeinsam, wir arbeiten gemeinsam, und wir feiern gemeinsam. Diese Menschen sind die Brückenbauer, die unsere Länder schon heute verbinden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Erweiterungspolitik ist Zukunftspolitik! Bauen wir an der Zukunft des gemeinsamen Hauses Europa mit neuem Elan, mit neuem Tempo und mit neuer Verlässlichkeit!
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Matthias Helferich.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Damen und Herren! Es verwundert nicht, dass die CDU/CSU im Kontext des Ukrainekrieges den Einfluss der EU und somit letztlich auch der USA auf den Balkan zu vergrößern versucht. Das Ziel ist klar: Aus Angst davor, dass Russland ihre Souveränität bedroht, sollen die Westbalkanstaaten ihre Souveränität an die Europäische Union verscherbeln. Klar ist auch, dass keines der sechs Länder die Kopenhagener Kriterien erfüllt. Besuchen Sie einmal Bosnien-Herzegowina! Dort erwartet Sie bitterste Armut, eine erschreckende Jugendarbeitslosigkeit und die Ausbreitung des radikalen Islams, protegiert von der Türkei und Saudi-Arabien.
Es ist den Menschen aber nicht zu verübeln, wenn sie sich dann im Rahmen der europäischen Freizügigkeit auf den Weg nach Westeuropa machen würden. Doch Städte wie Dortmund, Hagen und Duisburg leiden bereits jetzt unter der EU‑2-Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien. Insbesondere Angehörige der Volksgruppe der Roma belasten die städtischen Haushalte. In Dortmund lag die Beschäftigungsquote bei Südosteuropäern lediglich bei 38 Prozent. Von 10 000 Bulgaren unter 65 Jahren bezogen 4 000 Sozialleistungen. Fast 27 Millionen Euro kostete meine Heimatstadt Dortmund Ihre europäische Arbeitnehmerfreizügigkeit in 2020.
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Insbesondere die Integration der Roma, die man in den Arbeitsmarkt integrieren will, gelingt nicht. Da helfen auch keine millionenschweren Projekte wie „Willkommen Europa!“ oder „Romanes-sprachige Integrationslots*innen“ auf Steuerzahlerkosten. Natürlich gibt es auch bulgarische Facharbeiter und Ärzte, die uns nützen. Aber sie fehlen dann eben in ihrer Heimat.
Wenn es Ihnen wirklich um die Medienfreiheit in Serbien geht, liebe CDU/CSU, sollten Sie besser nicht Ihren für seinen rüpelhaften Umgang mit Journalisten bekannten Ex-Generalsekretär Mayer nach Belgrad schicken. Auch Kanzler Scholz sollte in Sarajevo besser nicht beim Spargelsüppchen über Korruptionsbekämpfung referieren. Privilegierte Partnerschaft ja, EU-Beitrittsperspektive für die Westbalkanstaaten nein.
Vielen Dank.
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Für die SPD-Fraktion hat nun Josip Juratovic das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Morgen Vormittag werden im Vorfeld der Juni-Tagung des Europäischen Rates die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union und der Westbalkanländer in Brüssel zusammenkommen. Ich begrüße es sehr, dass sich der Europäische Rat aller Voraussicht nach deutlich für die Integration der Westbalkanländer in die EU aussprechen wird. Einen wirtschaftlich starken und politisch stabilen Westbalkan wird es nur im engen Schulterschluss mit der EU geben. Dass Bundeskanzler Olaf Scholz den deutschen und europäischen Fokus wieder auf den Westbalkan gerichtet hat, ist ein wichtiger Dienst für die Demokratie und den Frieden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine echte EU-Beitrittsperspektive für alle Länder auf dem Westbalkan ist längst überfällig. Denn inzwischen sinkt in den Westbalkanstaaten der Wille zum EU-Beitritt rapide mit der Gefahr, dass man nach neuen Partnerschaften zunehmend Ausschau hält. Allerdings brauchen wir auch ein klares Bekenntnis der Menschen in der Europäischen Union zur EU-Erweiterung. Allein die Drohung des Ukrainekrieges ist für viele als Argument zu kurz gegriffen.
Wir müssen es den Menschen bei uns sagen: Ein EU-Beitrittsprozess ist noch kein EU-Beitritt. Wir müssen mit allen Ländern des Westbalkans mit EU-Beitrittsprozessen beginnen und den Beitritt nach Regattaprinzip rasch umsetzen. Das ist eine Fairnessfrage und eine Sicherheitsfrage auch für uns.
Kolleginnen und Kollegen, in Deutschland leben circa 1,5 Millionen Menschen friedlich zusammen, deren Wurzeln in den Westbalkanstaaten liegen. Auch auf dem Westbalkan ist die große Mehrheit der Menschen unterschiedlicher Nationalitäten und Religionszugehörigkeiten gewillt, in Frieden miteinander zu leben.
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Leider zeigt das politische Bild, das bewusst vor allem von ethnisch-nationalistischen Parteien nach außen getragen wird, das Gegenteil. Deshalb ist es auch von enormer Bedeutung, dass wir das wahre Gesicht des Westbalkans zeigen. Es liegt nicht an den Menschen, sondern am politischen System.
Kolleginnen und Kollegen, wir müssen die positiven zivilgesellschaftlichen und politisch-demokratischen Kräfte ans Licht holen und unterstützen. Deshalb: Wenn die CDU/CSU von der Fortsetzung der Merkel-Politik spricht, heißt das, dass sie weiterhin sogenannte Stabilokratie unterstützen wollen, auf Kosten der Demokratie.
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An dieser Stelle unterscheidet sich die aktuelle Bundesregierung, die ihren Fokus auf Stärkung der Demokratie in den aufnahmewilligen Staaten und auf Stärkung der Demokratie und Sicherheit innerhalb der Europäischen Union setzt.
Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, Ihr Antrag geht im Grunde in die richtige Richtung, bietet aber keinen besonderen Mehrwert. Vielmehr sollten Sie die Anfänge in den eigenen Reihen versuchen. So zum Beispiel sind die autokratischen, zum Teil nationalistischen Parteien des Westbalkans gleichzeitig auch Mitglied der EVP und somit auch Ihre Schwesterparteien.
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Bevor Sie also Forderungen an die aktuelle Bundesregierung stellen, wäre es ratsam, ein ernsthaftes Wort mit Ihren eigenen Schwesterparteien zu reden und sie notfalls aus Ihrer Familie auszuschließen, so wie wir Milorad Dodiks Partei ausgeschlossen haben.
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Die bosniakische SDA unter Bakir Izetbegovic und Dragan Covics HDZ sind keine staatstragenden Parteien und erst recht nicht demokratisch, sondern in vielen Facetten kriminelle Organisationen unter dem Deckmantel des praktizierenden Ethnonationalismus.
Was Aleksander Vucic anbelangt, so wird er mit Recht hierzulande als Putin-Freund angeprangert. Gleichzeitig aber hat die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Abschlussreise nach Serbien zu Vucic gemacht und ihn öffentlich in der Vorwahlkampfphase unterstützt. Wir sind gespannt, wie Angela Merkels Zögling Bojko Borissow zum Beginn des Beitrittsprozesses zu Nordmazedonien steht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die zivilgesellschaftlichen und demokratischen politischen Kräfte vor Ort müssen von uns namentlich benannt und sichtbar unterstützt werden, statt wie zum Beispiel in Bosnien-Herzegowina mit den Dodiks, Izetbegovics und Covics dieser Welt nach Kompromissen zu suchen. Sie brauchen Hilfe beim Aufbau der funktionierenden demokratischen Institutionen, insbesondere bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität und Korruption. Sie wollen, dass das, was auf dem Weg in die EU verlangt wird, auch von der EU vor Ort gelebt wird. Wir sollten es ihnen ermöglichen. Denn es geht auch um unsere Glaubwürdigkeit und unsere eigene Sicherheit.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat Dr. Christoph Ploß für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Angriffskrieg von Putin-Russland auf die Ukraine stellt eine tiefgreifende Zäsur dar. Das hat man auch in vielen Redebeiträgen in dieser Debatte, aber auch in den Debatten vorher heute wahrgenommen. Dieser Angriffskrieg von Putin hat dazu geführt, dass wir natürlich auch in der deutschen Politik viele vermeintliche Gewissheiten hinterfragen müssen und einiges ändern müssen. Die Ampelkoalition macht das im Moment vor. Sie wirft viele Sachen über Bord, für die sie jahrelang gekämpft und noch im Wahlkampf geworben hat. Die Grünen setzen sich für Kohlekraftwerke ein. Die SPD setzt sich für Aufrüstung ein. Wir erkennen an, dass Sie da eine Änderung Ihrer bisherigen Politik vollzogen haben.
Wir brauchen aber nicht nur eine Änderung in der Energiepolitik, sondern wir brauchen auch eine Änderung in der Außen- und Europapolitik. Denn im Hinblick auf das, was mit dem Angriffskrieg von Putin auf die Ukraine verbunden ist, lautet die entscheidende Frage: Wie soll Europa in den nächsten Jahren gestaltet sein, damit wir auf einer weltpolitischen Bühne, in der Mächte immer aggressiver auftreten, bestehen können, unsere Werte verteidigen können und unsere Interessen erfolgreich einsetzen können? Die vergangenen Monate haben eines eindeutig gezeigt: Jedes europäische Land – uns eingeschlossen – ist viel zu klein, um auf dieser weltpolitischen Bühne bestehen zu können. Deswegen brauchen wir ein geeintes und starkes Europa. Deswegen brauchen wir auch die Staaten des westlichen Balkans. Das ist eine der klaren Aussagen, die wir mit unserem Antrag hier einbringen wollen.
Wir haben in dieser Debatte auch einige Bedenken wahrgenommen. Es gibt einige, die sagen: Na ja, die Europäische Union ist jetzt schon sehr groß. Was ist denn, wenn wir jetzt noch weitere Staaten aufnehmen? Laufen wir dann nicht vielleicht auch Gefahr, dass wir in Zukunft noch weniger einig sind bei wichtigen außenpolitischen Entscheidungen? – Wir haben bekanntlich das Einstimmigkeitsprinzip in der Europäischen Union. Das heißt, wir müssen im Prinzip alle Entscheidungen einstimmig treffen, und häufig – das hat die Vergangenheit gezeigt – gibt es deswegen auch Entscheidungen, die auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner basieren. Je größer die Europäische Union wird, desto größer ist natürlich auch die Gefahr, dass das noch schwieriger wird.
Ich möchte daher noch einen Gedankengang in den Deutschen Bundestag einbringen, der bei dieser Debatte bisher nicht zur Sprache gekommen ist: dass wir nämlich auch eine Reform des Einstimmigkeitsprinzips brauchen, gerade wenn wir als Bundesrepublik Deutschland, gerade wenn wir als Europäische Union das richtige Signal senden, dass wir die Staaten des westlichen Balkans langfristig in die Europäische Union aufnehmen wollen.
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Das bedeutet, dass natürlich auch Souveränitätsrechte der Bundesrepublik Deutschland und auch von anderen Staaten auf die europäische Ebene transferiert werden müssen. Diese Debatte müssen wir aus meiner Sicht offen führen. Wir müssen auch die Bereitschaft zeigen, dass wir selber nationalstaatliche Souveränitätsrechte abgeben, weil wir nur so handlungsstark sein können und weil wir nur so zu wirklichen außenpolitischen Entscheidungen kommen können als Europäische Union, um dann einheitlich und stark gegenüber Russland, gegenüber China, aber auch gegenüber anderen großen Nationen in der Welt auftreten zu können.
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Ich will noch auf einen weiteren Punkt hinweisen, der aus meiner Sicht noch nicht ganz so stark beleuchtet wurde. In den vergangenen Jahren hat die Bundesregierung, hat gerade auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel sehr viele Initiativen angestoßen, damit es eine Annäherung der Staaten im westlichen Balkan an die Europäische Union gibt. Es gibt in vielen Staaten dieser Region sehr gute Fortschritte, was Rechtsstaatlichkeit angeht, was die Einhaltung von demokratischen Prinzipien angeht, auch was die Verankerung von marktwirtschaftlichen Elementen angeht.
Es ist extrem wichtig, gerade für uns als Europäer, dass wir diesen Weg, den wir in den vergangenen Jahren unter einer CDU/CSU-geführten Bundesregierung begonnen haben, jetzt weitergehen. Wenn der jetzt abgeschnitten und nicht weiter verfolgt wird, würde das bedeuten, dass wir diese Staaten möglicherweise verlieren, dass sich Staaten in Richtung Russland, in Richtung China, möglicherweise auch in Richtung Naher Osten orientieren, und das kann nicht in unserem Interesse sein.
Deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, unterstützen Sie bitte den Antrag der CDU/CSU-Fraktion! Sorgen Sie dafür, dass wir die nächsten Schritte gehen können, um die Staaten des westlichen Balkans an die Europäische Union zu binden! Das ist in unser aller Interesse.
Herzlichen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland übernimmt international Verantwortung. – Dieser Satz ist für die Bundesregierung keine leere Phrase. Er ist Teil unseres staatlichen Selbstverständnisses mit Blick auf Europa und die Welt. So war es die rot-grüne Bundesregierung, die auf Beschluss des Bundestages im Jahr 1999 erstmals deutsche Soldatinnen und Soldaten in das Kosovo entsandte. Es ging damals um nicht mehr und nicht weniger als die Verhinderung eines weiteren blutigen Bürgerkriegs in der Region. Es war der erste bewaffnete und robuste Einsatz der Bundeswehr in der Geschichte der Bundesrepublik, und er war damals wie heute verbunden mit der eindeutigen Bestätigung an unsere Freunde und Partner: Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen, auch und gerade in bedrohlichen Situationen.
Seither ist viel Zeit vergangen – über 20 Jahre. Seither hat sich sehr viel zum Positiven gewandelt, im Westbalkan und besonders auch im Kosovo. Und dennoch: Unsere Mission ist noch nicht beendet. Rund 130 000 deutsche Soldatinnen und Soldaten haben seit dem erstmaligen Beschluss des Bundestags vom 11. Juni 1999 über eine deutsche Beteiligung ihren Dienst im Kosovo geleistet. Unsere Soldatinnen und Soldaten haben Stück für Stück Sicherheit und Stabilität in eine instabile Region gebracht und dabei nicht selten Leib und Leben riskiert. 29 unserer Soldatinnen und Soldaten sind im Rahmen des Einsatzes ums Leben gekommen. Man kann es daher nicht häufig genug sagen: Ihnen, den deutschen Kosovoveteraninnen und ‑veteranen, genauso wie den momentan vor Ort stationierten Soldatinnen und Soldaten, gebührt unser außerordentlicher Dank und große Anerkennung.
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Heute blicken wir auf eine Republik Kosovo, die mit dem Kosovo des Jahres 1999 nicht zu vergleichen ist. Die paramilitärische UCK wurde längst aufgelöst und entwaffnet. Das Land hat sich eine demokratische Verfassung gegeben, und das Recht des Stärkeren wurde sukzessive von der Stärke des Rechts verdrängt. Es ist daher ein großer Erfolg der Mission, dass die NATO ihre Kräfte im Lauf der Zeit schrittweise reduzieren konnte. Von anfangs etwa 6 000 deutschen Soldatinnen und Soldaten sind nunmehr noch rund 70 vor Ort. Verantwortlich für die Sicherheit des Kosovo sind in erster Linie die kosovarischen Polizistinnen und Polizisten sowie die Bereitschaftspolizei der Rechtsstaatsmission EULEX Kosovo. Die KFOR-Kräfte stehen allerdings weiterhin bereit, falls die Sicherheit vor Ort nicht mehr gewährleistet werden kann. Hierfür sind sie auch weiterhin unverzichtbar.
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Dennoch sehen wir: Unser Engagement trägt Früchte, gerade weil wir mit Geduld und einem langen Atem konsequent im Rahmen eines vernetzten sicherheitspolitischen Ansatzes vor Ort wirken. Unser Engagement vor Ort bei den Menschen im Kosovo sowie generell bei den Menschen in der Westbalkanregion ist in diesen Tagen wichtiger denn je; denn wir sind Zeugen eines brutalen Krieges mitten in Europa. Der völkerrechtswidrige russische Angriff auf die Ukraine ist in der europäischen Nachkriegsgeschichte beispiellos. Das ist ein Krieg, der zuallererst und vor allem auf dem Rücken der Ukrainerinnen und Ukrainer ausgetragen wird. Das ist aber auch ein Angriff auf unsere Freiheit, unsere Werte und unsere Lebensweise. Er hat eben auch Auswirkungen hier im westlichen Europa und insbesondere auf den multiethnisch geprägten Westbalkan.
Russland hat seit jeher ein erhebliches Interesse an der Destabilisierung der Region,
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auch, um hierüber Druck auf die Europäische Union auszuüben. Insbesondere der serbische Teil der Bevölkerung in Bosnien und Herzegowina ist kulturell und historisch eng mit Russland verbunden und bietet Russland Möglichkeiten zur weiteren Destabilisierung. Die anhaltenden Spannungen im Land sind heute allgegenwärtig.
Aus diesem Grund haben wir uns als Bundesregierung vorbehaltlich der Zustimmung des Deutschen Bundestages entschieden, uns auch bei EUFOR Althea in Bosnien und Herzegowina weiter zu engagieren; denn es ist unabdingbar, dass wir die Sicherheit und die Stabilität in der gesamten Region des Westbalkans weiter stützen.
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Wir werden nicht dabei zusehen, dass Zwietracht und Konflikte dort entstehen, wo wir uns für Frieden und Sicherheit einsetzen. Wir stehen zu unseren Verpflichtungen im Bündnis und stehen besonders an der Seite der Menschen im Kosovo und in Bosnien und Herzegowina.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat es bei seiner Balkanreise vor zwei Wochen deutlich gemacht: Wir werden eine dauerhafte Stabilität in der Westbalkanregion nur erreichen, wenn der EU-geführte Normalisierungsdialog Erfolg hat, wenn die Republik Serbien und die Republik Kosovo ihre historisch belasteten Beziehungen normalisieren. Dies ist gewiss eine Herkulesaufgabe, aber keine unlösbare Aufgabe.
Wir sind derzeit noch nicht in der Situation, Kolleginnen und Kollegen, unser militärisches Engagement durch eine Verkleinerung des Mandats reduzieren zu können. Insbesondere im Norden des Kosovo bleibt die Lage hierzu schlicht zu fragil. KFOR bleibt der Garant für die lokale Sicherheit. Unsere deutschen Kräfte genießen in der Republik Kosovo einen hervorragenden Ruf, übrigens quer durch alle Bevölkerungsgruppen.
Kolleginnen und Kollegen, wir wollen daher auch weiter unseren Beitrag zur Erhaltung der Stabilität und des Friedens leisten. Mit einer Obergrenze von bis zu 400 Soldatinnen und Soldaten ist das deutsche Einsatzkontingent flexibel genug, um bei einer kurzfristigen Verschlechterung der Sicherheitslage angemessen reagieren zu können. Unser langfristiges Ziel bleibt, dass die Republik Kosovo ihre Sicherheit nach innen und selbstverständlich auch nach außen selbstständig wahrnehmen kann. Dazu gehört auch die tatkräftige Unterstützung des Fähigkeitsaufbaus der Kosovo Security Force. Dies geschieht durch ein eigenständiges Beratungs- und Verbindungsteam. Zudem beteiligen wir uns an der multinationalen Aufklärungskomponente sowie mit Stabspersonal im Hauptquartier.
Kolleginnen und Kollegen, eine friedliche, sichere und multiethnische Republik Kosovo, geachtet und geschätzt von ihren Nachbarländern, ist das realistische langfristige Ziel verantwortungsbewusster deutscher Außen- und Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert. Hierzu leistet die Bundeswehr einen wichtigen Beitrag. Ich freue mich, wenn der vorliegende Antrag der Bundesregierung nach der Befassung in den Ausschüssen und in den weiteren Lesungen im Plenum die Unterstützung von Ihnen allen findet.
Vielen herzlichen Dank.
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Das Wort hat Dr. Marlon Bröhr für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Auslandseinsatz KFOR im Kosovo ist nicht nur der bisher längste der Bundeswehr, sondern unbestritten auch ein besonders wichtiger und erfolgreicher; denn die für die Bevölkerung äußerst angespannte und gefährliche Lage kurz nach Beendigung des Kosovokrieges beruhigte sich mithilfe der KFOR zügig und stetig. Der KFOR-Einsatz wirkt also stabilisierend auf den Kosovo, aber auch auf die ganze Region.
Den Grundstein dafür bildete die am 10. Juni 1999 durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verabschiedete Resolution 1244, die bis heute fortbesteht. Zu Beginn beteiligten sich an der KFOR-Mission über 40 Staaten mit einer Truppenstärke von fast 50 000 Soldatinnen und Soldaten. Aktuell wird die KFOR-Truppe von 28 Staaten gestellt und besteht nur noch aus 3 770 Soldaten. Das deutsche Kontingent verringerte sich in der gleichen Zeit von circa 8 000 Soldaten auf nur noch 66 zum aktuellen Zeitpunkt. Diese erhebliche Truppenreduzierung kann als ein deutliches Indiz dafür gewertet werden, dass man bei der Erreichung der Resolutionsziele, nämlich der Unterstützung der Entwicklung zu einem friedlichen, demokratischen, multiethnischen und stabilen Kosovo, der Unterstützung und Koordinierung internationaler humanitärer Bemühungen und ziviler Organisationen sowie der Hilfe beim Aufbau von Sicherheitskräften im Kosovo, bereits einige Erfolge vorzuweisen hat. Dafür, meine sehr verehrten Damen und Herren, verdienen unsere Soldatinnen und Soldaten, die diese positive Entwicklung im Kosovo erst möglich gemacht haben, Respekt, Dank und Anerkennung.
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Aber natürlich gibt es noch Hürden und Herausforderungen auf dem langen Weg zu einer Stabilisierung und einem dauerhaften Frieden im Kosovo, nicht zuletzt, weil sich – hier zitiere ich den letzten deutschen Kontingentführer, Oberst Wolfgang Joppich – „einige Serben und Kosovaren in vielen Bereichen noch immer unversöhnlich gegenüberstehen“.
Wie fragil die Lage leider zum Teil immer noch ist, zeigt ein Ereignis vom September 2021. Das Auslaufen einer Übergangsvereinbarung hatte zur Konsequenz, dass die Benutzung der offiziellen Nummernschilder der Republik Kosovo für alle inländischen Fahrzeuge verpflichtend wurde. Einige Serben im Kosovo errichteten daraufhin Straßensperren und attackierten sogar Kfz-Zulassungsstellen. Gleichzeitig reagierte die serbische Regierung mit einer militärischen Machtdemonstration an Kosovos Nordgrenze, indem sie dort ihre Truppen in Alarmbereitschaft versetzte. Kampfjets überflogen die Grenzregion, und der serbische Verteidigungsminister besuchte aus diesem Anlass gemeinsam mit dem russischen Botschafter die Grenztruppen. Trotz aller Fortschritte bleibt die Lage also angespannt.
Vor diesem Hintergrund besteht weiterhin die Notwendigkeit, den KFOR-Einsatz fortzuführen und auch der Bitte des Premierministers Albin Kurti um Fortführung der Mission zu entsprechen. Derzeit arbeiten 13 deutsche Soldaten im Stab des KFOR-Hauptquartiers, 29 in der nationalen Einsatzunterstützung, 11 in der Aufklärung und 12 Soldaten in der Beratung der einheimischen Kosovo Security Force. Die Bundeswehr stellt auch den Direktor des NATO Advisory and Liaison Teams, das die für den Zivil- und Katastrophenschutz konzipierte Kosovo Security Force berät und unterstützt.
Darüber hinaus erfährt die Republik Kosovo aber auch weitere, nichtmilitärische Unterstützung. So hilft EULEX, eine zivile Mission der Europäischen Union, beim Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen. Bis zu 2 000 Polizisten, Richter, Gefängnisaufseher und Zollbeamte helfen beim Aufbau von Polizei, Justiz und Verwaltung.
Zwar hat sich die Sicherheitslage im Kosovo im Laufe der letzten Jahre erheblich verbessert, doch insbesondere der Norden der Republik weist weiterhin Konflikt- und Eskalationspotenzial auf. Vor diesem Hintergrund ist eine fortdauernde Präsenz von KFOR wichtig, um eventuelle Spannungen frühzeitig einzuhegen. Deshalb unterstützt die CDU/CSU-Fraktion wie auch in den vorangegangenen Jahren die anstehende Mandatsverlängerung, um den Weg zu einer dauerhaften freiheitlichen und friedlichen Ordnung der Republik Kosovo weiter zu fördern und zu sichern. Damit verbunden ist die Hoffnung, dass sich Serbien und Kosovo dauerhaft aussöhnen. Es bleibt die Daueraufgabe der deutschen Bundesregierung, diesen Prozess zum Erfolg zu führen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun der Kollege Boris Mijatović das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Stabilisierung von Frieden und Sicherheit im westlichen Balkan ist von zentraler Bedeutung für Deutschland und Europa. Das haben wir heute schon einige Male gehört, und es steht fest.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die verstörenden Bilder von Tod und Zerstörung schockieren uns zutiefst. Für die Menschen in der Region aber geht das noch tiefer. Die aktuellen Ereignisse reißen alte Wunden auf, sie bringen den Schmerz der eigenen jüngeren Vergangenheit zurück. Die Erinnerungen an das unfassbare Leid, das die Kriege auf dem westlichen Balkan über die Menschen brachte, zeigen uns: Der heutige Frieden in der Region ist vielleicht nicht perfekt, aber er ist verdammt kostbar.
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Das gilt auch für uns, für Europa als Ganzes. Denn weiterhin ist wichtig: Instabilität in der Region hat direkte Auswirkungen auf den ganzen Kontinent und auch auf Deutschland. Der westliche Balkan ist Teil Europas. Frieden und EU-Perspektive der Region haben für uns in Europa daher höchste Priorität.
Die Bundesregierung setzt sich mit dem in Rede stehenden Engagement dafür ein, die Stabilisierung der Region zu konsolidieren und die EU-Integration voranzubringen. Das haben der Bundeskanzler, Außenministerin Baerbock und Verteidigungsministerin Lambrecht mit ihren Reisen in die Region deutlich unterstrichen. Zudem haben wir mit Manuel Sarrazin erstmals einen Sondergesandten der Bundesregierung, der für die ganze Region im Einsatz ist. Diese Ernennung unterstreicht den politischen Einsatz der Bundesregierung für die Region. Sie verstärkt unsere Präsenz vor Ort und die Sichtbarkeit.
In meinen Gesprächen in Pristina mit unseren Partnern in der Region wird mir immer klar gesagt, neben unserem politischen Einsatz werde gerade jetzt auch unser sicherheitspolitisches Engagement in der Region nicht nur geschätzt, sondern auch weiterhin gebraucht. Das gilt sowohl für Kosovo als auch für Serbien. Beide unterstützen ausdrücklich den Einsatz KFOR. Der KFOR-Einsatz, an dem sich Deutschland mit seinen Soldatinnen und Soldaten seit 1999 beteiligt, ist eine Erfolgsgeschichte. Kosovo hat inzwischen ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU geschlossen und bei der Konsolidierung der staatlichen Institutionen erhebliche Fortschritte erzielt.
Neben der Präsenz von KFOR trägt als Stabilisator auch das umfangreiche zivile EU-Engagement zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit im Kosovo bei. Dieses umfasst unter anderem die Mission EULEX, die den Aufbau des Justiz- und Polizeiwesens unterstützt hat. Es umfasst auch die Arbeit der Kosovosonderkammern, die vor wenigen Wochen erste Urteile gefällt haben. Lassen Sie mich kurz ergänzen: Sonderkammern sind durchaus ein interessantes Instrument des Völkerstrafrechts. Sie sind ein wichtiges und deutliches Zeichen für die Entschlossenheit zur gerichtlichen Aufklärung der jüngeren Geschichte in einer Region, die viel erlebt hat. Das gebündelte und umfassende Engagement gemeinsam mit unseren Partnern in EU und NATO hat dazu beigetragen, dass die Menschen im Kosovo in Frieden und Sicherheit leben können. Es ist wichtig, dass wir diesen Beitrag unvermindert fortsetzen.
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Ja, Herausforderungen bestehen fort. Der weiterhin ungelöste Konflikt zwischen Serbien und Kosovo ist ein Hemmschuh für die Entwicklung der gesamten Region. Es ist zentral, dass beide Länder eine politische Lösung finden. Der EU-geführte Normalisierungsdialog ist dafür der richtige Weg. Wir unterstützen den EU-Sonderbeauftragten Miroslav Lajcak mit voller Kraft. Ziel des Dialogs ist ein umfassendes, nachhaltiges Abkommen, das beiden Ländern den EU-Beitritt ermöglicht und auch zur regionalen Sicherheit beiträgt. Ich unterstreiche hier noch mal und teile ausdrücklich die Auffassung des Bundeskanzlers Olaf Scholz, der in Belgrad auch die Frage der Anerkennung beider Länder angesprochen hat. Es ist nicht vorstellbar, dass zwei Länder, die sich nicht anerkennen, Teil der Europäischen Union werden.
Wir unterstützen darüber hinaus die überfällige Visaliberalisierung – ich hatte es vorhin schon gesagt – für das Kosovo. Bereits seit 2018 attestiert die EU-Kommission Kosovo die Erfüllung der hierfür notwendigen Kriterien. Der Wille im Kosovo zum EU-Beitritt ist stark ausgeprägt. Das für Ende des Jahres angekündigte Beitrittsgesuch ist aus unserer Sicht folgerichtig. Schließlich unterstützen wir auch die Aufnahme des Kosovos in den Europarat. Kollege Max Lucks arbeitet schwer daran; wir unterstützen ihn dabei.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Woche konnte Miroslav Lajcak auch eine seit Langem erwartete Einigung zwischen Kosovo und Serbien im Energiestreit über die Stromversorgung im Norden Kosovos erreichen. Das ist ein wichtiger, positiver Schritt, der für Kosovo von großer Bedeutung ist. Die Bundesregierung, die sich in den letzten Monaten mit Nachdruck und Erfolg für diesen Dialog eingesetzt hat, unterstützen wir insgesamt bei diesem Vorhaben.
Bis wir eine politische Normalisierung der Beziehungen beider Länder erreichen, ist unser politisches und sicherheitspolitisches Engagement gleichermaßen wichtig. Noch wird KFOR weiter als Sicherheitsgarant in Kosovo gebraucht, um die erreichten Erfolge zu verstetigen und sie nicht aufs Spiel zu setzen. Daher ist es gut und folgerichtig, dass wir mit der Bundeswehr vor Ort sind. Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen, die dort im Einsatz sind, dass sie hier mit Augenmaß arbeiten, dass wir mit KFOR Präsenz zeigen. Hierfür bitte ich Sie, auch im Namen der Bundesregierung, um Ihre Unterstützung.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Markus Frohnmaier für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Grundgesetz erlaubt die Aufstellung von Streitkräften für zwei Zwecke: die Landesverteidigung einerseits und internationale Verpflichtungen Deutschlands andererseits. Wofür die Bundeswehr nicht eingesetzt werden darf, ist deswegen auch klar: für ewige Kriege und endlose Auslandseinsätze.
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Bei der deutschen Beteiligung an KFOR, der Kosovo Force, handelt es sich um einen Auslandseinsatz der Bundeswehr, der jetzt in sein 23. Jahr geht. Eines muss man klar sagen: Mit den Argumenten für diesen Einsatz, die hier heute auch schon vorgetragen worden sind, könnte man die Verlängerung des Einsatzes um ein Jahr, um zehn Jahre, um zwanzig Jahre, ja, eigentlich für immer rechtfertigen. Wenn Auslandseinsätze kein Fass ohne Boden sein sollen, dann müssen Sie begreifen: Irgendwann muss Schluss sein.
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Deutschland hat über 464 Millionen Euro an Entwicklungshilfe in den Kosovo gepumpt, und vor Kurzem haben wir weitere 72 Millionen Euro zugesagt. Der ehemalige und langjährige Staatspräsident Thaci pflegte beste Verbindungen zur Organisierten Kriminalität und wurde in Den Haag wegen Kriegsverbrechen angeklagt. Trotz 23 Jahren Auslandseinsatz bleibt der Kosovo ein hoch korruptes Entwicklungsland. Ich will gar nicht bestreiten, dass die Absicht hinter der KFOR eine gute war, nämlich zu verhindern, dass sich Serben und Kosovo-Albaner gegenseitig massakrieren. Deswegen beschloss der UN-Sicherheitsrat nahezu einstimmig den Einsatz, damals mit der Zustimmung der jugoslawischen Regierung. Sogar Russland beteiligte sich an KFOR und stellte bis 2003 Truppen.
Doch kurz danach gab es zwei Einschnitte. Das waren 2004 die Ausschreitungen der Kosovo-Albaner gegen die serbische Bevölkerung, bei denen über 1 000 Menschen verletzt und 4 000 aus ihren Häusern vertrieben worden sind. Hier war der erste Sündenfall; denn die KFOR hat damals im Grunde tatenlos zugeschaut und nichts gegen diese versuchte ethnische Säuberung unternommen. Die zweite wichtige Zäsur war die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo im Jahr 2008. Es darf nicht vergessen werden: Der Auslandseinsatz und die territoriale Integrität Jugoslawiens waren zwei Seiten ein und derselben Medaille. Der Sicherheitsrat stimmte dem Einsatz der KFOR in der Resolution 1244 zu, bekräftigte aber zugleich die territoriale Unversehrtheit Jugoslawiens. Doch die Unversehrtheit Jugoslawiens wurde durch die Schaffung eines kosovarischen Staates auf serbischem Gebiet verletzt.
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Seitdem agiert die KFOR nicht mehr als bloße Friedenstruppe, sondern sie stellt eine Schutzmacht für die korrupte kosovarische Regierung dar. Aus einem Friedensmittel wurde ein Machtmittel. Das, meine Damen und Herren, hätte niemals passieren dürfen.
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Die NATO hat bereits einen katastrophalen Fehler begangen, indem sie ohne Autorisierung des UN-Sicherheitsrats in Jugoslawien interveniert und Belgrad bombardiert hat. Diese Verletzung des Völkerrechts hat die Büchse der Pandora geöffnet. Seitdem beruft sich jeder, der geltendes Völkerrecht bricht, auf die NATO.
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Lassen Sie uns heute darum unseren Teil dazu beitragen, die Büchse ein Stück zu schließen. Beenden Sie bitte diesen Einsatz.
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Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Lars Lindemann.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute über die Fortführung und Fortentwicklung des KFOR-Einsatzes, des ältesten Einsatzes der Bundeswehr, seit 1999. Auf der Basis eines Beschlusses des UN-Sicherheitsrats und verschiedener anderer Rechtsakte sorgt die Bundeswehr im Rahmen des KFOR-Einsatzes für Stabilität und auch Ruhe in dem Land – so kann man die Lage heute beschreiben –, was aber nicht davon ablenken soll, dass es im Kosovo weiterhin Probleme gibt: Probleme durch Organisierte Kriminalität, aber auch Probleme bei der Aussöhnung der Republik Serbien mit der Republik Kosovo.
Ursprünglich galt eine Mandatsobergrenze von 8 500 Soldatinnen und Soldaten. Diese ist dann auf 800 abgesenkt worden, mittlerweile auf 400; dort soll sie auch bleiben. Heute sind 66 Soldatinnen und Soldaten im aktiven Dienst im Kosovo. Dort sind sie jeweils tätig in den Stäben und auch bei der Ausbildung; der Staatssekretär hat es schon ausgeführt.
Ich möchte mich an dieser Stelle bei den Soldatinnen und Soldaten für diesen langen Dienst für unser Land dort vor Ort herzlich bedanken.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hatte am Montag die Gelegenheit, mit einigen von Ihnen das Einsatzführungskommando in Geltow zu besuchen. Wir hatten dort die Gelegenheit, mit dem Befehlshaber über die derzeit aktuellen Einsätze zu diskutieren. Ein Eindruck, den ich mit Ihnen teilen möchte, war die beeindruckende Offenheit, Ehrlichkeit und Diskussionsfreudigkeit betreffend Sinn und Zweck der Einsätze und die Gründe, warum man das eine tun und das andere lassen sollte.
Es gibt aber noch etwas anderes, was ich beeindruckend fand und ebenso mit Ihnen teilen möchte: Auf dem Gelände des Einsatzführungskommandos in Geltow befindet sich die Gedenkstätte „Wald der Erinnerung“; dort wird all jener gedacht, die in Verrichtung ihres Dienstes für die Bundeswehr, für uns verstorben sind, so auch bei KFOR. Natürlich wissen wir: Bei KFOR gab es keine Gefallenen im klassischen Sinne. Aber es gab 29 Tote durch Unfall und – das will ich hier auch sagen – durch Suizid. Ich weise darauf hin, dass sich bei der Verlängerung solcher Mandate jeder immer klarmachen muss, welchen Belastungen wir unsere Soldatinnen und Soldaten im Ausland aussetzen, sei es durch Konflikte in der Heimat, sei es durch Erlebnisse vor Ort, die nur sehr, sehr schwer zu verarbeiten sind; PTBS kommt nicht von ungefähr. Auch das müssen wir alle im Blick haben, wenn wir über solche Dinge entscheiden.
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Wir müssen darum – darum ging es heute auch in der Befragung der Bundesministerin – alles daransetzen, dass wir unsere Bundeswehr bestmöglich ausrüsten, und das Ganze auch schnell. Es ist für die Soldatinnen und Soldaten schwer verständlich, wenn wir hier bei bestimmten Beschaffungsvorgängen über Laufzeiten von sechs, sieben, acht Jahren diskutieren. Das ist indiskutabel. Das muss schneller gehen, damit die Soldatinnen und Soldaten auch das Gefühl haben, dass wir als Parlament für unsere Parlamentsarmee dasjenige, was in unserer Macht steht, tun, damit sie vor Ort die Aufgaben, die ich gerade beschrieben habe, auch erfüllen kann.
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Das sind wir nicht nur den Soldatinnen und Soldaten schuldig, sondern auch uns selbst. Wenn wir uns die Konfliktherde in Europa anschauen – in der Ukraine, aber auch auf dem Westbalkan –, erkennen wir: Wir müssen uns in naher Zukunft darauf verlassen können, dass wir in der Lage sind, in solche Konflikte regulierend einzugreifen, damit in Europa kein Flächenbrand entsteht.
Russland versucht auch auf dem Westbalkan fortgesetzt – durch allerlei Einfluss auf Serbien –, zu destabilisieren. Es wird darum immer mehr darauf ankommen, dass wir solche kleinen Beiträge – zum Beispiel den Beitrag, den die 66 Soldatinnen und Soldaten jetzt darstellen – leisten, um die Lage vor Ort besser beurteilen zu können, damit wir im Fall der Fälle in der Lage sind, schnell eigene Kräfte nachzuführen, wenn das notwendig wird.
Es folgt auch dem vernetzten Ansatz, dass wir vor Ort sind. Wir haben in den letzten Jahren 750 Millionen Euro für den Aufbau des Kosovo ausgegeben. Es ist ein Anliegen dieser Koalition, dass wir diesen vernetzten Sicherheitsansatz verfolgen und das Ganze ständig evaluieren – was wir auch mit dieser Debatte heute tun. Und ich möchte hier offen sagen: Mir ist dabei jeder Beitrag wichtig, egal von welcher Fraktion, um daran zu reflektieren, ob wir mit unserer Sicht auf die Dinge und mit der Fortsetzung von solchen Mandaten richtig liegen. Ich meine, das tun wir. Deswegen werden wir von der Koalition dem auch zustimmen. Ich werbe bei allen, dass sie das mittragen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Für die Fraktion Die Linke hat nun Dr. Gregor Gysi das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Abtrennung des Kosovo war völkerrechtswidrig. Es gab und gibt einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates vom 10. Juni 1999 mit der Nummer 1244, und da steht drin, dass die Bundesrepublik Jugoslawien – so nannte sich Serbien damals –
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unbedingt Bestand haben muss, ihre territoriale Integrität zu wahren ist, dass Kosovo innerhalb Serbiens aber eine substanzielle Autonomie benötigt. Dann erklärte die NATO, man habe sich mit der serbischen Regierung über die substanzielle Autonomie nicht verständigen können und deshalb trenne man das Kosovo ab. Aber der Sicherheitsratsbeschluss wurde nicht aufgehoben, der gilt noch heute; also ist es völkerrechtswidrig.
Auch der Krieg gegen Serbien war völkerrechtswidrig. Serbien hatte keinen Staat angegriffen, und es gab keinen Sicherheitsratsbeschluss nach Kapital VII der Charta der Vereinten Nationen. Aber das interessierte die NATO nicht. Wie war die Begründung? Die serbische Armee kämpfte gegen die UCK, die mit Waffengewalt eine Lostrennung des Kosovo von Serbien erreichen wollte. – Übrigens: Wer hat die UCK eigentlich bewaffnet? Aber gut. – Jeder Staat würde sich gegen bewaffnete Kräfte wenden, die einen Teil des Landes auf diese Art und Weise loslösen wollen. Aber bei diesem Kampf wurden auch nicht wenige Zivilisten getötet. Das war die Begründung der NATO.
Wir lehnten die Begründung ab und sagten, dass der Krieg völkerrechtswidrig sei. Ich sagte damals einem Vertreter der Bundesregierung, dass die zweifache Völkerrechtsverletzung – der Krieg und die Abtrennung des Kosovo – Schule machen wird. Das wurde bestritten. Aber so kam es: Russland trennte die Krim von der Ukraine, mit dem Hinweis auf die russische Schwarzmeerflotte und den geplanten NATO-Beitritt als Begründung. Auch das war klar völkerrechtswidrig; aber man berief sich auf das Kosovo.
Jetzt führt Russland einen völkerrechtswidrigen, schlimmen Krieg gegen die Ukraine. Die Begründung lautet, es gebe Faschisten in der Ukraine, die bekämpft werden müssten. Das ist überhaupt nicht haltbar. Natürlich gibt es da Faschisten; aber die gibt es auch in Russland, die gibt es auch bei uns und in vielen anderen Ländern. Das ist überhaupt kein Grund für einen Krieg.
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Die zweite Begründung lautet, dass die ukrainische Armee gegen von Russland bewaffnete Kräfte im Donbass vorgeht – die genauso separatistisch sind, wie es die UCK war – und dass bei diesem Kampf ebenfalls nicht wenige Zivilisten ums Leben gekommen sind. Sehen Sie, meine Partei kann dieses Argument überhaupt nicht akzeptieren. Wir haben es ja schon bei der NATO abgelehnt, also können wir es jetzt unmöglich bei Russland anerkennen. Wir verurteilen deshalb den Krieg.
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Aber die anderen Parteien und Fraktionen, die dieses Argument der NATO immer akzeptiert haben, müssten sich wenigstens schwertun, es jetzt bei Russland vollständig abzulehnen.
Natürlich sind diese Kriege nicht gleichzusetzen; der heutige ist viel brutaler, und es gibt deutlich mehr Kriegsverbrechen.
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Aber Kriegsverbrechen gab es in Serbien auch, zum Beispiel als ein Zug mit Zivilisten bombardiert wurde und wir erst ein gefälschtes und dann erst das echte Video sahen.
Sie wollen das Bundeswehrmandat verlängern. Es besteht jetzt seit 23 Jahren. Schon an der Dauer des Einsatzes wird deutlich, dass diese Konflikte militärisch nicht zu lösen sind.
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Ich frage erneut: Wie lange soll die Bundeswehr im Kosovo bleiben? 30 Jahre? 50 Jahre? Für immer?
Kollege.
Ich bin sofort fertig, Frau Präsidentin. – Vielleicht denken Sie, dass ich keinen Anspruch auf eine Antwort habe, was übrigens dem im Grundgesetz vorgesehenen Verhältnis zwischen Regierung und Parlament widerspricht. Auf jeden Fall haben aber die Bundeswehr, unsere Bevölkerung und die Bevölkerung des Kosovo Anspruch auf eine Antwort.
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Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Adis Ahmetovic.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war gerade hart, dem zuzuhören,
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weil diese Äußerungen den Opfern in Bosnien-Herzegowina, den Opfern im Kosovo nicht gerecht wurden. Warum haben Sie nichts zu Milosevic gesagt?
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Hätten wir mit der NATO 1999 nicht angegriffen, dann wäre Ähnliches passiert wie in Predoch und in Srebrenica. Das vergessen Sie immer wieder. Ich habe Sie bis jetzt noch nie ein einziges Wort, einen einzigen Satz zu diesen Kriegsverbrechen sagen hören. Das geht so nicht. Deshalb bin ich froh, dass wir diese Bundesregierung haben.
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Und nur mal so nebenbei: Ihre Meinung, Herr Gysi, ähnelt der Meinung derjenigen, auf die Sie abgezielt haben, als Sie bei dem Wort „Faschisten“ nach rechts gezeigt haben. Sie unterscheiden sich in Ihrer Außenpolitik gar nicht, aber auch wirklich gar nicht von der AfD.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, Olaf Scholz sagte: „Der Westbalkan gehört zu Europa. Alle seine Länder müssen künftig auch zur Europäischen Union gehören.“ Mit dieser Klarheit hat unser Kanzler Olaf Scholz das neue strategische Ziel der Bundesregierung in Bezug auf die Westbalkanpolitik formuliert, und das, meine Damen und Herren, ist angesichts der ausgerufenen Zeitenwende genau der richtige Weg.
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Nur so lassen sich langfristig Stabilität, Frieden und Wohlstand nicht nur in der Region, sondern auch auf unserem gesamteuropäischen Kontinent garantieren; davon sind wir als Ampelfraktionen überzeugt.
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Wenn wir davon sprechen, dann gehört dazu auch, eine junge Demokratie wie den Kosovo beim EU-Integrationsprozess tatkräftig zu unterstützen und weiterhin am eingeschlagenen Weg zu mehr Sicherheit und Stabilität festzuhalten. Die Verlängerung des KFOR-Mandats ist dazu ein wichtiges und richtiges Signal.
Lassen Sie mich ein paar Sätze zu diesem Auslandseinsatz sagen. In diesem Monat jährt sich die KFOR-Mission im Kosovo. Wir gehen in das 23. Jahr. Der Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten für Frieden und Stabilität im Kosovo verläuft seit vielen Jahren größtenteils geräuschlos und unterhalb des Radars vieler Menschen. Dies kann man auf der einen Seite positiv werten. Durch den NATO-geführten KFOR-Einsatz hat sich die Lage im Kosovo stabilisiert. Angesichts einer verhältnismäßig ruhigen Lage sind derzeit rund 70 deutsche Einsatzkräfte vor Ort. Diese lange Periode des Friedens ist ein großer Erfolg; denn ganz anders sah es 1999 im Kosovo aus, als der Einsatz auf Grundlage eines UN-Mandats beschlossen wurde. Von rund 2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern mussten 850 000 Zivilisten fliehen – 850 000 Zivilisten! Weitere 600 000 Menschen wurden innerhalb des Landes vertrieben. Allein Deutschland entsandte damals 6 000 Einsatzkräfte in die Region. Und warum? Weil es einen Kriegstreiber gab wie Milosevic! Das muss man immer wieder sagen, und das darf man nicht unterschlagen.
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Es ist also unter anderem auch ein Verdienst deutscher Soldatinnen und Soldaten, unserer Bundeswehr, dass im Kosovo über die Jahre hinweg ein stabiles und ein sicheres Umfeld geschaffen wurde und dass viele Menschen in ihre Heimat zurückkehren konnten. Dafür gebührt unseren Soldatinnen und Soldaten der allergrößte Dank.
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Jedoch dürfen wir uns von diesem vermeintlichen Frieden und der aktuell ruhigen Lage nicht täuschen lassen. Viele meiner Vorrednerinnen und Vorredner haben es gesagt: Der Einfluss Russlands ist groß, der Einfluss autokratischer Kräfte in dieser Region ist groß, und die Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo haben sich verschlechtert. Das haben zuletzt auch die Attacken auf Patrouillen der kosovarischen Grenzpolizei gezeigt, und das müssen wir ernst nehmen. Angesichts dieser Eskalationsspirale und dieses Eskalationspotenzials ist es wichtig, dass wir die KFOR-Einsatzkräfte stärken, dass wir das Mandat verlängern, damit diese deeskalierend und vermittelnd weiter agieren können.
Uns persönlich geht es aber nicht nur, wenn wir über den Westbalkan oder über Kosovo sprechen, um die verteidigungspolitische Dimension, sondern wir haben auch einen politischen Plan für den Westbalkan. Dafür brauchen wir aber eine Sicherheitsarchitektur. Wie sieht dieser politische Plan aus?
Erstens. Wir unterstützen den Antrag des Kosovo auf Aufnahme in den Europarat.
Zweitens. Wir möchten dafür werben, dass neben allen anderen EU-Mitgliedstaaten auch die restlichen fünf den Kosovo anerkennen.
Drittens. Ein weiterer entscheidender Faktor sind die Fortschritte im Normalisierungsprozess zwischen Serbien und Kosovo.
Letzter Punkt. Wir brauchen endlich die überfällige Visaliberalisierung für die Menschen im Kosovo.
So sieht der Plan der Bundesregierung und der Ampelfraktionen aus, und ich glaube, dass dieser Plan Zukunft hat.
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Aber bis dahin brauchen wir die KFOR-Mission. Deshalb unterstützen wir als SPD-Fraktion die Verlängerung dieses Mandates. Wir werben hier um Zustimmung für eine europäische Perspektive in Frieden und Prosperität für die Region und für die Menschen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin; vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die NATO hat im Kosovo schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen beendet. Deshalb war dieser Einsatz gerechtfertigt; er war auch erfolgreich. Seit 1999 haben über 130 000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Kosovo gedient. Sie haben einen elementaren Beitrag zur Stabilität des Kosovo und der gesamten Region geleistet. Dafür gebühren ihnen unser tiefer Dank und unsere ausdrückliche Anerkennung.
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Derzeit sind Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Rahmen des KFOR-Mandates eingesetzt: im Stab des KFOR-Hauptquartiers, beim deutschen nationalen Unterstützungskontingent, bei den multinationalen Aufklärungskräften und auch beim NATO Advisory and Liaison Team, also bei der Beratung der kosovarischen Sicherheitskräfte.
Bis heute ist KFOR ein Stabilisierungsfaktor für die gesamte Region. Es ist schon angesprochen worden, dass die internationalen Kräfte insgesamt deutlich reduziert werden konnten. Aber dass der militärische Einsatz, dass die militärische Präsenz weiter notwendig ist, das kann man nicht in Abrede stellen, auch wenn es ein Ausdruck des Erfolges dieser Mission ist, dass KFOR nur als Third Responder angesprochen wird nach der kosovarischen Polizei und nach der Bereitschaftspolizei der EU-Rechtsstaatsmission EULEX; erst an dritter Stelle kommen also die KFOR-Kräfte.
Es gibt auch eine Reihe von politischen Fortschritten in jüngerer Vergangenheit. Dazu zählt beispielsweise das Treffen des kosovarischen Premierministers Albin Kurti mit dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic hier in Berlin. Es findet auf Arbeitsebene eine Reihe von regelmäßigen Gesprächen der Unterhändler aus Serbien und Kosovo statt, um 33 bilaterale Abkommen umzusetzen, die seit 2011 unterschrieben worden sind. Erst gestern beispielsweise wurde eine bilaterale Übereinkunft zur Energieversorgung im Nordkosovo getroffen.
Der Kosovo hat alle EU-Anforderungen für eine Visaliberalisierung seit 2018 bereits erfüllt. Deswegen begrüße ich es, wenn sich die Bundesregierung mit Nachdruck weiter für die Visaliberalisierung einsetzt.
Die große Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten hat das Kosovo anerkannt; es fehlen fünf. Auch hier, glaube ich, dürfen wir die Erwartung äußern, dass diese Staaten, die ja oft aus innenpolitischen Erwägungen die Anerkennung des Kosovo bisher ablehnen, einen Schritt nach vorne machen.
Wir unterstützen auch die Anliegen des Kosovo, künftig in internationalen Organisationen präsent zu sein, insbesondere die Aufnahme in den Europarat. Auch hier sollte die Bundesregierung begleitend unterstützen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Präsenz von militärischen Kräften im Kosovo ist weiter notwendig, um nachhaltig Sicherheit, Stabilität und robuste staatliche Strukturen zu schaffen. Deshalb ist es nur konsequent, dass die Bundesregierung in ihrem vorliegenden Antrag explizit vor russischen Destabilisierungsversuchen in der Region warnt. Hier muss man allerdings auch, meine Damen und Herren, die Rolle Serbiens im russisch-europäischen Spannungsfeld kritisch betrachten. Es ist gut, dass Serbien in den vergangenen Jahren stets wohlwollend gegenüber den KFOR-Kräften aufgetreten ist, weil es auch ein eigenes Interesse an Stabilität in der Region und an der Präsenz der KFOR-Kräfte hat. Aber klar ist: Bei der Systemfrage nach Freiheit oder Unfreiheit, nach Demokratie oder Autokratie kann man nur auf einer Seite stehen und darf nicht über Bande spielen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das militärische Mandat für KFOR bleibt unverändert, ebenso die Mandatsobergrenze. Gleichwohl habe ich, wenn ich richtig gerechnet habe, festgestellt, dass sich die Kosten für den Einsatz der Bundeswehr halbieren. Deswegen will ich an dieser Stelle nur sagen, dass für uns gilt: Wir sind bereit, das, was im Kosovo notwendig ist, auch zu tun. Ich würde es begrüßen, wenn die Bundesregierung sich weiter für den Kapazitätsaufbau der kosovarischen Sicherheitskräfte einsetzt; denn sie sollen schrittweise mehr Verantwortung im eigenen Land übernehmen.
Vielen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst einmal erleben wir hier schon bei der Diskussion der Tagesordnung einen, sage ich mal, ungewöhnlichen Vorgang. Wir haben hier einen Antrag, der das deutsche Abstimmungsverhalten, das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung in der Ministersitzung der EU beeinflussen soll, nämlich dass die deutsche Zustimmung zu dem Zulassungsverbot nicht stattfindet, dass es eine Ablehnung gibt. Das geht natürlich nur, wenn die Beratung oder die Abstimmung über diesen Antrag vor dieser Ministersitzung stattfindet. Die Ministersitzung soll am 28. Juni sein. Deshalb bitte ich Sie, hier im Plenum darüber abzustimmen. Wir verzichten auch gerne auf die namentliche Abstimmung, aber wir müssen heute über diesen Antrag befinden. Eine Ausschussüberweisung macht überhaupt keinen Sinn, weil die Ausschussüberweisung und die zweite Lesung ja nach diesem 28. Juni wären. – So viel vorweg.
Bei diesem Thema, das tatsächlich das Ende des Verbrennungsmotors in Europa bedeuten sollte, wird das ja immer unter der Flagge gefahren, dass es dadurch eine CO2-Reduktion im Verkehrssektor geben soll. Wir wissen aber ganz genau, dass die Alternative zum Verbrennungsmotor, der Elektroantrieb, nur dann CO2-frei ist, wenn der Strom für diese Elektrofahrzeuge auch CO2-frei ist, und genau das ist in vielen EU-Ländern eben nicht der Fall. Es gibt einen Strommix, auch in Deutschland, und genau deshalb macht diese CO2-Reduktion eben nur auf dem Papier Sinn und nicht tatsächlich.
Es kommt hinzu, dass mit der erwartbaren Hochlaufzahl an Elektrofahrzeugen bis 2035 auch über 2035 hinaus noch sehr viele Bestandsfahrzeuge in Europa am Fahren sind, die tatsächlich mit Verbrennungsmotoren fahren, und die sind nicht CO2-neutral. Wenn wir also eine CO2-Reduktion im Verkehrssektor, im Individualverkehr wollen, dann müssen wir einen anderen Weg als den gehen, der hier vorgeschlagen wurde, indem man den Verbrennungsmotor verbietet und damit auch die synthetischen Kraftstoffe im Prinzip sinnlos und überflüssig macht. Wir wollen einen anderen Weg.
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Jetzt komme ich noch zu dem Thema Kundenakzeptanz. Es ist doch völlig klar, dass die Kunden, die diese Elektroautos fahren sollen, natürlich auch über die entsprechende Ladeinfrastruktur verfügen müssen. Wir haben heute 59 000 Ladepunkte im öffentlichen Raum. Jeder von Ihnen hat ein Handy. Wenn Sie 50 Millionen Fahrzeuge ersetzen wollen, dann brauchen Sie ungefähr genauso viele Ladepunkte. Wo sollen die denn herkommen? Es gibt überhaupt gar keine Ladeinfrastruktur bis ins Jahr 2030. Und jeder, der ein Handy hat, weiß, dass er in der Regel zwei oder drei Ladegeräte hat. Ich komme deshalb auf diesen Punkt, weil das, was hier passiert, nichts anderes ist als die Demobilisierung oder das Ende der Individualmobilität in Europa, und dem können wir nicht folgen.
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Ich komme zum dritten Punkt. Das ist die Arbeitsplatzreduktion in Europa. Hier wurde ja oft von Ihrem Kollegen, dem Herrn Özdemir, in der Vergangenheit argumentiert: Die Autohersteller wollen das ja. – Ja, ich kann Ihnen sagen, warum die Autohersteller das wollen. Die wollen ihre Produktion von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren am besten aus Deutschland herausverlegen und haben mit diesem Gesetz, mit diesem Verbot von Verbrennungsmotoren auf europäischer Ebene, das ideale Argument, vorher noch staatliche Subventionen für die Transformation zu kassieren und danach die Arbeitsplätze für die Fertigung dieser Antriebe komplett zu verlagern. Wir wissen alle: Es werden Hunderttausende Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen.
Und da bin ich jetzt mal bei der Union. Im EU-Parlament hat Ihr Kollege, Herr Christian Ehler, ganz klar gesagt: Es ist schwierig, dass ein halbes Parlament applaudiert, wenn es gerade Hunderttausende Arbeitsplätze riskiert hat. – Wie können Sie hier sitzen, ohne eine eigene Initiative, die genau dieses Thema, was Sie hier aufbringen, unterstützt? Warum kommt von Ihnen nichts? Wir hätten übrigens einem Antrag der Union zu diesem Thema auch zustimmen können.
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Ganz besonders spreche ich den Teil der Regierungskoalition an, der hier vor mir sitzt und der einen Verkehrsminister hat, der sagt, sie möchten das nicht mittragen. Liebe Kollegen von der FDP, in Ihrem Wahlprogramm heißt es konkret:
Wir … fordern technologieoffene Gesetze und Verordnungen im Fahrzeugbau. Einseitige Subventionen und Vorgaben müssen beendet werden.
Wissen Sie, was Ihr Problem ist? Sie sagen vor der Wahl das, und nach der Wahl stimmen Sie dem Verbot des Verbrennungsmotors zu.
Es ist auch völlig egal, ob die Bundesregierung sich hier enthält. Sie müssen dafür sorgen, dass die Bundesregierung auf europäischer Ebene das Ende des Verbrennungsmotors ablehnt.
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Und wenn Sie sich fragen, wie das mit der Glaubwürdigkeit und dem Ende dieser Glaubwürdigkeit ist: Wenn Sie vor der Wahl etwas versprechen und nach der Wahl etwas anderes machen, dann verlieren Sie an Glaubwürdigkeit. Das ist das, was bei vielen Menschen in diesem Land die Politikverdrossenheit mittlerweile größer werden lässt.
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Hören Sie auf damit! Machen Sie ehrliche Politik!
Wir ändern den Antrag gerne so in der Begründung, wie Sie das wollen, und dann können wir hier im Parlament die Bundesregierung auffordern, das Verbrennungsmotorverbot in Europa zu stoppen.
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Vielen Dank.
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Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Isabel Cademartori das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Tagen hat der Verbrennungsmotor in der Tat mal wieder für einige Schlagzeilen gesorgt. Was ist also passiert? Das EU-Parlament hat entschieden, dass ab 2035 in der EU nur noch Fahrzeuge zugelassen werden dürfen, die 0 Gramm CO2 pro Kilometer emittieren. Das bedeutet de facto und durch Beschluss bestätigt, dass keine neuen Pkw oder leichten Nutzfahrzeuge mit Verbrennungsmotor zugelassen werden können. Was zugelassen werden kann, sind batterieelektrisch betriebene und Fahrzeuge mit Brennstoffzellen. Und natürlich wird niemandem verboten sein, sein Auto mit Verbrennungsmotor nach 2035 zu fahren.
Jetzt fragen sich viele: Warum nicht den Verbrennungsmotor behalten und irgendwie darauf hoffen, dass E‑Fuels die Dekarbonisierung vorantreiben? Darauf antworte ich: Das tun wir ja. Wir brauchen E‑Fuels, um die Flugzeugflotte zu dekarbonisieren, um die Schifffahrtsflotte zu dekarbonisieren,
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die Landwirtschaftsfahrzeuge, die Straßen- und Baustellenfahrzeuge, ja Panzer und militärische Fahrzeuge irgendwann,
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andere Großantriebe und nicht zu vergessen die vielen Millionen Pkw mit Verbrenner, die es in Europa auch nach 2035 noch geben wird.
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Ich glaube, diese Aufzählung zeigt die vielfältigen Einsatzgebiete, die Verbrennungsmotoren und strombasierte E‑Fuels aus erneuerbaren Energien jenseits des Pkws haben werden, und zwar so, wie wir es im Koalitionsvertrag formuliert haben: außerhalb der Flottengrenzwerteregelung.
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Wenn das keine Technologieoffenheit ist, dann weiß ich es auch nicht. Ziel ist es, den Verkehrssektor möglichst schnell und wirksam zu dekarbonisieren; denn er ist nachweislich für 20 Prozent der Emissionen in der EU verantwortlich, Tendenz steigend.
Fakt ist: Neben den von mir genannten Antrieben wird Wasserstoff für die Dekarbonisierung der energieintensiven Industrien benötigt. Ich komme aus einer energieintensiven Industrieregion, der Rhein-Neckar-Region. Daher weiß ich, dass die Transformation nur gelingen wird, wenn es genügend verfügbaren bezahlbaren Grünen Wasserstoff als Energieträger geben wird. Daran hängen viele tarifliche Arbeitsplätze. Wer sich also wirklich um Arbeitsplätze in Deutschland sorgt, muss das knappe Gut „Grüner Wasserstoff“ da einsetzen, wo es am dringendsten benötigt wird und alternativlos ist, und das ist nicht der Pkw-Individualverkehr. Also, reden wir doch über Arbeitsplätze in der Automobilindustrie!
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Das Absurde an dieser Debatte, die wir ja immer wieder aufs Neue führen, ist, dass die deutschen und europäischen, ja selbst die amerikanischen und asiatischen Hersteller sich überwiegend schon längst für die Elektromobilität zur Dekarbonisierung ihrer Fahrzeugflotte entschieden haben, schon bevor die Flottengrenzwerte beschlossen wurden. Hören Sie doch auf sie, wenn Sie schon nicht auf mich hören wollen!
Kollegin Cademartori, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der AfD-Fraktion?
Nein.
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Hören Sie doch auf die Automobilindustrie, wenn Sie schon nicht auf mich hören wollen! Es ist zwar natürlich immer ein Fehler, nicht auf kluge Frauen zu hören.
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Aber wenn ich in Ihre Reihen gucke, dann sehe ich, dass Sie sich damit schwertun, auf kluge Frauen zu hören. Deswegen: Hören Sie doch auf die Chefs der Automobilindustrie! Hören Sie auf die Betriebsräte! Hören Sie auf die Gewerkschaften! Sie alle haben schon längst klargestellt: Der E‑Mobilität gehört die Zukunft im Pkw-Bereich.
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Wir unterstützen mit der Entscheidung für die Flottengrenzwerte also diejenigen, die sich entschlossen auf den Weg Richtung Antriebswende machen und sich um die Sicherung von Arbeitsplätzen in Deutschland bemühen. Das gilt auch für die Zulieferbetriebe, die mit dem Beschluss einen klaren Zeitrahmen haben, um sich zukunftsfest aufzustellen. Es ist unverantwortlich, den unvermeidbaren, von der Industrie schon längst vorbereiteten Umstieg auf E‑Mobilität künstlich hinauszögern zu wollen. Denn am Ende wird auch der Preis das entscheidende Argument für E‑Mobilität sein. Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien wird Strom als Antrieb mit dem höchsten Wirkungsgrad die günstigste Antriebsalternative sein.
Das ist sie jetzt schon. E‑Fuels werden laut Expertenschätzung auf absehbare Zeit zwischen 4,50 Euro und 10 Euro pro Liter kosten. Selbst wenn die Produktion hochskaliert wird, ist es mehr als fraglich, ob sie jemals mit dem deutlich effizienteren Elektroantrieb preislich konkurrenzfähig sein werden.
Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns diese Scheingefechte, die die Industrie längst geführt und entschieden hat, endlich beenden, und konzentrieren wir uns auf das, was wirklich unsere Aufgabe ist: den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland und Europa, den Aufbau der notwendigen Ladeinfrastruktur für Pkw und Lkw, den Aufbau der Infrastruktur für den Transport von Strom und Wasserstoff, Rohstoffpartnerschaften mit demokratischen Ländern, die Unterstützung von Unternehmen bei der Umschulung ihrer Belegschaft und natürlich den intensiven Ausbau der klimaneutralen Mobilitätsalternativen, insbesondere der Schieneninfrastruktur bei der Bahn!
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Sie sehen also: Wir haben viel zu tun, und all das wird tariflich abgesicherte Arbeitsplätze in Deutschland dauerhaft erhalten. Führungsmacht zu sein, bedeutet auch, den Kampf gegen den Klimawandel zu führen und jetzt auch bei den Flottengrenzwerten unsere europäischen Partner, aber auch unsere Automobilhersteller nicht im Stich zu lassen. Wir wollen die Antriebswende zum Erfolg führen, –
Kollegin.
– damit auch in Zukunft klimaneutrale Mobilität für alle verfügbar ist.
Vielen Dank.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. Christoph Ploß das Wort.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Der Verbrennungsmotor soll verboten werden“, „In Deutschland sind Tausende Arbeitsplätze in Gefahr“: Diese Schlagzeilen, die man vor einigen Tagen in den deutschen Medien lesen musste, waren für viele Arbeitnehmer insbesondere im Süden unseres Landes ein echter Schock.
Ich muss zu Beginn der Debatte auch mal ganz deutlich eines in Richtung der Sozialdemokraten und in Richtung der Grünen sagen: Das, was Sie da im Europäischen Parlament mitverantwortet haben, ist ein Schlag ins Gesicht der deutschen Automobilindustrie, und das ist auch ein Schlag ins Gesicht von ganz vielen Tausend Arbeitnehmern in Deutschland, die darauf angewiesen sind, dass die Automobilindustrie auch in Zukunft in Deutschland stark ist.
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Ich kann diese Entscheidung auch deswegen nicht nachvollziehen, weil wir doch in Deutschland einen technologieoffenen Ansatz verfolgen sollten. Nicht der Staat oder die Politik sollte darüber entscheiden, auf welchem Wege die Automobilindustrie die Klimaschutzziele erreicht, sondern das ist in einer sozialen Marktwirtschaft Sache der Unternehmen, und da gibt es unterschiedliche Lösungsansätze und unterschiedliche Wege, um dieses Ziel zu erreichen.
Kollege Ploß, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?
Sehr gerne doch.
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Herzlichen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben gerade gesagt, die Automobilindustrie erfahre einen Schlag ins Gesicht durch die Politik, die auf EU-Ebene gemacht werde, verantwortlich vor allen Dingen Sozialdemokraten und Grüne. Glauben Sie nicht auch, dass die vergangenen 30 Jahre – ich fange jetzt nicht mit dem Club of Rome an, dessen Bericht wir alle in den 70er-Jahren durchaus hätten studieren können und der davor gewarnt hat –, dass die letzten Jahrzehnte bei den vielen Hinweisen auf den Klimawandel und auf eine energetische Veränderung geeignet gewesen wären, dass auch die Automobilindustrie sich hätte verändern können?
Das glaube ich sehr wohl. Deswegen haben wir auch in der CDU/CSU-geführten Bundesregierung schon sehr viele Initiativen eingeleitet, damit wir die Klimaschutzziele erreichen.
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Wir haben das für das Jahr 2020 auch geschafft. Das muss man hier auch einmal klar festhalten, auch wenn Sie das nicht so gerne hören wollen.
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Aber das haben wir für das Jahr 2020 geschafft.
Jetzt stehen wir in diesem Jahrzehnt auf der einen Seite vor der großen Herausforderung, die Bestandsflotte klimaneutral zu machen; denn wir werden in den 20er- und 30er-Jahren noch 35 Millionen bis 40 Millionen Pkw auf Deutschlands Straßen haben, die mit einem Verbrenner unterwegs sind, selbst wenn wir die von der Regierung gesteckten E‑Auto-Ziele erreichen.
Auf der anderen Seite müssen wir doch schauen, ob wir nur auf eine Technologie setzen oder ob wir auf mehrere Technologien setzen. Da ist unsere Meinung ganz klar. Wir sagen: Wir wollen scharfe Klimaschutzziele politisch festlegen. Dafür haben wir uns auf europäischer Ebene eingesetzt; dafür haben wir uns auch hier im Deutschen Bundestag eingesetzt. Aber wir wollen nicht bestimmen, auf welchem Wege Unternehmen und Verbraucher diese Klimaschutzziele erreichen und ob das mit der Batterietechnologie erfolgt, mit Wasserstofftechnologie oder mit klimaneutralen Kraftstoffen wie E‑Fuels. Das ist mir persönlich völlig egal; Hauptsache, die Klimaschutzziele werden erreicht.
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Ich komme zurück zum Thema Technologieoffenheit, weil das ein ganz wichtiger Punkt ist. Da knüpfe ich direkt an das an, was wir hier eben bei Ihrer Frage besprochen haben. Es gibt ja in dem Sinne nicht die Automobilindustrie, sondern es gibt viele verschiedene Unternehmen. Wenn man mit VW spricht, dann würden die wahrscheinlich sagen: Ja, wir wünschen uns noch mehr Investitionen in die batteriegetriebene Elektromobilität. – Wenn man mit einem Unternehmen wie Porsche spricht, dann sagen die: Bitte sorgt dafür, dass E‑Fuels nicht verboten werden. – Wenn man mit einem Unternehmen wie BMW spricht, dann sagen die: Wir wollen eigentlich auf alle Technologien setzen; das ist für uns gar keine Frage eines Entweder-oder, sondern das ist eher eine Frage eines Sowohl-als auch.
Deswegen muss man eines ganz klar sagen: Wir brauchen faire Rahmenbedingungen für alle klimafreundlichen Technologien, und das ist derzeit nicht der Fall. Mit Ihrer Entscheidung im Europäischen Parlament haben Sie für eines gesorgt: dafür, dass die deutsche Automobilindustrie und viele Zulieferer und auch viele Unternehmen, die in klimaneutrale Kraftstoffe investieren und investieren wollen, möglicherweise hier in Deutschland keinen Markt haben und dass ein Markt für klimaneutrale Kraftstoffe möglicherweise in anderen Regionen dieser Welt entsteht.
Kollege Ploß, ich habe die Uhr schon wieder angehalten.
Das ist ein Versagen Ihrer Politik.
Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der AfD-Fraktion?
Sehr gerne doch. Bitte.
Sehr geehrter Herr Dr. Ploß, ich schätze Sie als Kollegen auch im Verkehrsausschuss. Es geht um Folgendes: Stimmen Sie mir vielleicht zu, dass man, wenn ein Kreuzfahrtschiff den CO2-Ausstoß von 100 000 Pkw verursacht, die Prioritäten vielleicht anders setzen sollte und sich erst mal auf die größten CO2-ausstoßenden Verkehrsmittel konzentrieren sollte, bevor wir hier die eigene Automobilindustrie kaputtmachen?
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Wenn Sie meinen Worten zugehört hätten, dann hätten Sie wahrgenommen, dass es ein ganz wichtiges Anliegen der CDU/CSU-Fraktion ist, die deutsche Automobilindustrie auch in Zukunft starkzumachen. Wir wollen nicht nur Arbeitsplätze erhalten, sondern sehen gerade im Bereich der klimaneutralen Kraftstoffe ein riesiges Potenzial, dass mit Klimaschutz in Deutschland neue Arbeitsplätze entstehen. Unser Ansatz ist also eher, zu sagen: Klimaschutz soll ein Exportschlager werden, ein Exportschlager made in Germany.
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Deswegen sehen wir auch im Verbrennungsmotor ein Potenzial – wenn der Verbrennungsmotor klimaneutral betrieben werden kann.
Es gibt im Moment aus meiner Sicht ein Grundproblem im Europaparlament – dank Unterstützung von Grünen und Sozialdemokraten – und in der Regierung, die auch irgendwann dazu Stellung nehmen müsste, wie sie sich jetzt genau verhält.
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Die Regierung wie auch SPD und Grüne im Europaparlament sagen: Man soll nur auf den Auspuff schauen. – Wir sagen aber: Man muss den Gesamtprozess betrachten. Wenn der Gesamtprozess mit E‑Fuels klimaneutral ist, dann kann und sollte man nicht nur auf E‑Fuels setzen, sondern dann ist das auch eine riesige Chance für Deutschland, mit E‑Fuels die Klimaschutzziele zu erreichen und mit deutschen Technologien und Investitionen in Deutschland neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist unser Ansatz, und deswegen unterstützen wir alle Initiativen, die Batterietechnologien fördern, die wasserstoffbasierte Technologien fördern, aber auch solche, die E‑Fuels fördern. Das ist das, was ich vorhin meinte: Für uns ist das keine Frage von Entweder-oder, sondern eher von Sowohl-als-auch.
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– Gerne.
Jetzt komme ich in der verbleibenden Redezeit noch auf etwas zu sprechen, was wir in den vergangenen Tagen erleben mussten, nämlich das Schauspiel in der Ampelkoalition. Ich war sehr erfreut und möchte deswegen Christian Lindner einmal dafür loben, dass er deutlich gemacht hat, dass die FDP sich dafür einsetzen wird, dass es kein Verbot des Verbrennungsmotors gibt und dass klimaneutrale Kraftstoffe wie E‑Fuels auch in Zukunft eine Rolle spielen und angerechnet werden sollen, wenn wir über die Klimaschutzziele sprechen. Das verdient Anerkennung und sollte von allen Fraktionen hier im Deutschen Bundestag unterstützt werden. Dass aber am selben Tag die eigenen Minister der Ampelkoalition ihm in den Rücken fallen und ihn korrigieren, das wirft schon einige Fragezeichen auf, nicht nur im Hinblick auf die Zusammenarbeit innerhalb der Ampelkoalition,
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sondern auch im Hinblick darauf, wie nun die Einstellung und Position der Regierung ist.
Ich will Ihnen von der FDP-Fraktion eines sagen: Sie haben in den vergangenen Wochen viele super Aussagen getätigt. Sie haben sich für die Verlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke eingesetzt, für ein Handelsabkommen mit Kanada und jetzt auch dafür, dass der Verbrennungsmotor nicht verboten werden soll. Eine Sache haben Sie aber bisher nicht geschafft: Sie haben bisher nicht geliefert. Deswegen gilt für Sie der Satz: An ihren Taten soll man sie erkennen, nicht an ihren Worten!
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Ich kann Ihnen eines ins Stammbuch schreiben, verehrte Kolleginnen und Kollegen der FDP: Wir werden genau darauf achten, ob die Worte von Christian Lindner sich auch im Regierungshandeln niederschlagen, und wir werden in der nächsten Sitzungswoche energisch und mit Nachdruck hier im Deutschen Bundestag dafür eintreten.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Tessa Ganserer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunehmende Hitzewellen, Ernteausfälle wegen Trockenheit und Dürre, absterbende Waldbestände: Die Folgen der Erderhitzung sind auch mitten in Deutschland immer deutlicher spürbar. Längst geht es nicht mehr darum, die Erderwärmung aufzuhalten, sondern es geht im Wesentlichen um nichts Geringeres als darum, die Auswirkungen dieser Erderhitzung auf ein für uns Menschen erträgliches Maß zu reduzieren. Deswegen hat sich die Weltgemeinschaft mit dem Klimaschutzabkommen von Paris darauf verständigt, alle möglichen und notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad zu reduzieren und zu halten.
Zugegebenermaßen: Nicht alle Verkehrsprobleme lassen sich unter der Motorhaube lösen. Verstopfte Straßen in unseren Städten, zunehmender Flächenverbrauch und Zerschneidung der Landschaft durch den Bau von immer neuen Straßen, das ist auch mit einem Wechsel der Antriebstechnologie nicht zu lösen, weshalb wir auch Verkehrsvermeidung und ‑verlagerung benötigen.
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Aber der Verkehrssektor trägt in der EU mit 26 Prozent zu den gesamten CO2-Emissionen bei. Drei Viertel davon entfallen allein auf Pkw, Motorräder und leichte Nutzfahrzeuge. Um unsere Klimaschutzziele zu erreichen, müssen wir uns deshalb auch im Verkehrssektor von der Verbrennung fossiler Rohstoffe und somit auch vom Verbrennungsmotor verabschieden.
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So bitter das ist: Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg auf die Ukraine, den Putin vom Zaun gebrochen hat, zeigt doch deutlich, wie enorm abhängig wir in Deutschland – mit unserer Wirtschaft und als gesamte Nation – vom Import fossiler Rohstoffe und Energieträger sind. Als wäre Klimaschutz alleine nicht schon Grund genug, zeigt dieser fürchterliche Krieg, dass wir uns von dieser Abhängigkeit befreien müssen.
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Ja – das sage ich insbesondere in Richtung der Fraktion CDU/CSU –, die deutsche Automobilindustrie ist ein entscheidender Wirtschaftsfaktor und sichert für viele Menschen in unserem Land Lohn und Brot. Und ja, es gibt Zulieferbetriebe, gerade solche, die sich auf Teile für den Verbrennungsmotor spezialisiert haben, die bei dieser Transformation unsere Unterstützung benötigen. Aber viele Arbeitsplätze in der Automobilindustrie sind doch von Antriebssträngen unabhängig. Ich weiß nicht, ob Sie schon mal ein Elektroauto gefahren sind:
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Eine Karosserie, eine Windschutzscheibe, ein Lenkrad, ein Sitz, Armaturen, ja sogar Räder werden auch in einem Elektroauto verbaut. Das heißt, in der Summe bietet die Elektromobilität für den Automobilstandort Deutschland mehr Chancen als Risiken.
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Ich hätte Ihnen empfohlen – eingeladen waren Sie, Kollege Ploß –, an dem Fachgespräch zur nachhaltigen Mobilität teilzunehmen, das wir gerade vorhin im PBnE durchgeführt haben. Auf Einladung Ihrer Fraktion war hier ein Vertreter von Mercedes-Benz, und der hat uns gesagt, dass es aus ökonomischen Gründen gar keinen Sinn macht, ewig lang mehrere Antriebsstränge nebeneinander zu entwickeln und zu produzieren.
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Deswegen hat unsere Automobilindustrie ein ökonomisches Interesse, möglichst bald und auf absehbare Zeit aus der Verbrennungstechnologie auszusteigen.
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Es ist daher auch wirtschaftspolitisch grundfalsch, zu versuchen, den Fortschritt aufzuhalten. Erinnern wir uns nur an Nokia; die waren bei Mobiltelefonen führend. Sie haben den Trend zu Smartphones verpasst, und innerhalb kürzester Zeit waren sie weg vom Markt.
Zahlreiche Länder und damit eben auch Exportmärkte für unsere deutschen Hersteller haben sich bereits auf ein Ausstiegsdatum aus der Verbrennungstechnologie festgelegt, ob Großbritannien, Schottland, US-Bundesstaaten, Kanada, Israel, Japan oder Thailand. Deswegen gehen viele Automobilhersteller wie Opel, Audi oder Cadillac von einem festen Ausstiegsdatum aus der Verbrennungstechnologie aus, weil es ökonomisch keinen Sinn macht, dauerhaft zwei Antriebsstränge nebeneinander fortzuentwickeln.
Kollegin Ganserer, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Spaniel?
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Nee, nee.
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Deswegen sind die Ziele der EU-Kommission – strengere CO2-Flottengrenzwerte für 2030 als Zwischenschritt und als Ausstiegsdatum für die Verbrennertechnologie 2035 festzulegen – absolut folgerichtig. Wir als Grüne haben uns sehr darüber gefreut, dass auch das Europaparlament mehrheitlich diesem Vorschlag gefolgt ist. Wir stehen hinter diesem Ziel. Damit kann der Hochlauf der Elektromobilität richtig Fahrt aufnehmen. So gelingt es uns, durch die Reduktion der CO2-Emissionen im Verkehr noch rechtzeitig die Kurve zu bekommen.
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Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Thomas Lutze das Wort.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Während uns die sogenannte AfD hier mit rückwärtsgewandten Fragestellungen Zeit stiehlt, ist diese Frage für viele Menschen bei uns zu Hause im Saarland sehr konkret.
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Dort hat der Automobilhersteller Ford heute entschieden, seinen Produktionsstandort Saarlouis im Jahr 2025 zu schließen.
Diese Entscheidung kostet Tausenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihre tarifgebundenen Arbeitsplätze. Diese Entscheidung kostet Tausenden von Beschäftigten der Zulieferer ihre meist tarifgebundenen Arbeitsplätze. Diese Entscheidung kostet Hunderten Menschen ihre berufliche Existenz und weiteren Tausenden Angehörigen ihre soziale Absicherung. Es ist ein schwarzer Tag für das Saarland. Ich hoffe sehr, dass die Bundesregierung, wie heute vom Kollegen Habeck angekündigt, jetzt handelt und diese Entwicklung umkehrt.
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2012 wurde an der Saar das letzte Bergwerk geschlossen, obwohl unter der Erde noch mehr Steinkohle als Vorkommen liegt, als in mehreren Jahrhunderten jemals gefördert wurde. Auch in der Stahlindustrie ist die Zukunft unklar, weil die Rahmenbedingungen mehr als offen sind. Wir brauchen jetzt schnelle Lösungen und keine theoretischen Debatten. Hier geht es um Jobs mit guten Arbeitsverträgen, und es geht um Steuereinnahmen, die nicht wegbrechen dürfen.
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Bislang wurden in Saarlouis und im spanischen Valencia Fahrzeuge der Kompaktklasse von Ford hergestellt. Bei der Umstellung von Verbrennungsfahrzeugen auf batteriebetriebene Elektroautos hat Saarlouis jetzt den Kürzeren gezogen. Allein der Antriebstechnik hierfür aber die Schuld zu geben, ist zu einfach und auch falsch. Wir haben uns abhängig gemacht von großen Konzernen, die die Beschäftigten, die Standorte und die jeweiligen Regierungen gegeneinander ausspielen. Das ist das Problem.
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Während in Valencia nun die Korken knallen, geht an der Saar für viele die Welt unter. Ist das wirklich die EU, die wir wollen? Oder ist das Wasser auf die Mühlen einer EU-feindlichen AfD, die sich heute wahrscheinlich die Hände reiben wird?
Wer glaubt, eine Unternehmenspolitik wie die von Ford wäre ohne den laufenden Umstieg von Verbrennungsfahrzeugen auf batteriebetriebene Fahrzeuge nicht geschehen, der glaubt auch an den Weihnachtsmann. Mit den sogenannten Elektroautos lassen sich höhere Erträge erzielen, und das bei gleichzeitiger Reduzierung der Arbeitsstunden pro Fahrzeug. Das kann man kaum vermeiden. Mitschuldig machen wir uns aber in der Form, dass wir diese Entwicklung mit einer falschen Verkehrspolitik auch noch fördern.
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen eine Wende in der Verkehrspolitik, die weit mehr ist als nur eine Wende in der Antriebstechnik.
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Und wir brauchen – letzter Satz – endlich viel mehr Solidarität mit den betroffenen Beschäftigten, die heute in Saarlouis und Umgebung auf die Straße gehen.
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Vielen Dank.
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Das Wort erhält die Kollegin Judith Skudelny für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende des Monats sollen die Umweltminister im Europäischen Rat darüber befinden, wie es mit dem Verbrennungsmotor weitergeht. Dazu möchte ich ganz klar sagen: Es geht natürlich nicht um die Bestandsflotte; es geht um die Neuzulassung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor ab dem Jahr 2035.
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Dabei – Achtung! – würde das aber bedeuten, dass die heute 140-jährige Erfolgsgeschichte des Kolbenmotors in und aus Deutschland ein jähes Ende finden würde. Die Meinungen in der Bevölkerung dazu sind durchaus gespalten. Es gibt da keine einheitliche Meinung; es gibt unterschiedliche Ansichten. Ich halte es übrigens für einen Wert dieser Ampelkoalition, dass wir diese unterschiedlichen Meinungen auch hier vorne im Plenum vortragen. Denn nur wenn wir Unterschiede öffentlich machen, können wir die Gesamtmeinung und am Ende eine ausgewogene Meinung der Ampelkoalition der Mitte repräsentieren.
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Deswegen ist es ein Mehrwert, wenn wir diskutieren, und kein Nachteil.
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Über das Thema Verbrennungsmotor diskutieren wir sehr emotional. Ich komme aus Baden-Württemberg, dem Geburtsort des „Heilig’s Blechle“ von Daimler. Ich kann total gut verstehen, wenn Leute da Emotionen reinlegen. Allerdings hilft es manchmal, einmal durchzuatmen und sich zurückzulehnen. Für die FDP-Fraktion möchte ich unsere Meinung ruhig und schlicht vortragen.
In allererster Linie müssen wir noch mal klarmachen: Worum geht es? Es geht um den Klimaschutz. Und ich möchte voranstellen, dass wir uns ganz klar zu den Pariser Klimazielen bekennen und dass wir ganz klar erkennen und bekennen, dass auch der Verkehrssektor seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten muss.
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Auf dem Weg dorthin sehen wir jedoch das faktische Verbrenner-Aus ein Stück weit kritisch. Da möchte ich Ihnen einige Argumente mitgeben, die uns umtreiben:
Das Thema Vielfalt. Vielfalt zeigt uns in vielen Bereichen der Gesellschaft und in Deutschland, dass es eine Bereicherung ist. Eine vielfältige Gesellschaft bedeutet, dass jeder seine Gedanken, seine Sichtweise, seine Art und Weise mit einbringen kann, und das bereichert uns.
Das Thema Diversität. Wir reden immer von Biodiversität. Das bedeutet, dass jedes Tier, jede Pflanze seinen Raum, seinen Platz und seine Funktion hat. Wenn wir auch nur eine einzige Art verlieren, dann machen wir das biologische Ökosystem weniger resilient, weniger anpassungsfähig und weniger flexibel. Auch bei der Motoren- und Antriebstechnik sollten wir uns dieses Bild vor Augen halten. Wir brauchen Flexibilität und Anpassungsfähigkeit für die Zukunft, und die sollten wir uns an dieser Stelle offenhalten.
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Wir sollten uns auch deswegen die Anpassungsfähigkeit offenhalten, weil sich Rahmenbedingungen manchmal plötzlich ändern können. Dazu möchte ich einfach nur auf unsere momentane Situation der Abhängigkeit bei der Energieversorgung hinweisen. Wir haben uns auch nicht vorstellen können, dass sich da Rahmenbedingungen plötzlich ändern. Heute stehen wir mit dem Rücken an der Wand und müssen als Notmaßnahmen Dinge umsetzen, die wir uns vorher nicht haben vorstellen können.
Wenn wir jetzt gucken, woher unsere Ressourcen kommen, beispielsweise im Bereich der Elektrifizierung, dann sehen wir, dass viele der Länder, von denen wir durch neue Rohstoffpartnerschaften abhängig sind, eventuell nicht ganz die lupenreinen Demokraten sind, eventuell nicht in jedem Punkt die Menschenrechte einhalten und eventuell nicht diejenigen sind, von denen wir uns perspektivisch und für die Zukunft in dem Maße ausschließlich abhängig machen sollten.
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Das wichtigste Argument für den Kolbenmotor ist jedoch, dass gar nicht der Motor das Problem ist. Es ist die Frage, was wir da reinschütten. Die erdölbasierten Kraftstoffe sind doch das eigentliche Problem, das wir verhindern müssen, wenn wir Klimaschutz betreiben wollen.
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Für dieses Problem gibt es eine Lösung: Es sind synthetische Kraftstoffe. Synthetische Kraftstoffe bestehen aus biogenen Kraftstoffen. Gut, die biogenen Kraftstoffe sind nicht wirklich populär, weil wir die Tank-oder-Teller-Diskussion haben. Aber wir haben immer noch die E‑Fuels. Die E‑Fuels sind wasserstoffbasierte Kraftstoffe, die viel leichter transportiert werden können und für die wir sogar heute schon eine Infrastruktur haben. Deswegen sollten wir uns diese Möglichkeit offenhalten und die Produktion der E‑Fuels hochfahren, nicht nur für die Bestandsflotte. Wir sollten uns auch perspektivisch die Flexibilität lassen, alle Antriebsstränge klimaneutral nutzen zu können.
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Diese Position der FDP ist auch nicht neu. Sie findet sich im Koalitionsvertrag in der Formulierung: Ab 2035 sollten Fahrzeuge neu zugelassen werden können, die nachweisbar nur mit E‑Fuels zu betanken sind. – Damit wollen wir das einlösen, was wir im Wahlkampf versprochen haben. In der Ampelkoalition werden wir eine gute, sinnvolle gemeinsame Lösung finden, wie wir Technologieoffenheit und ökologischen Klimaschutz miteinander vereinbaren können. Darauf kann sich dieses Haus verlassen.
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Das Wort hat der Kollege Markus Hümpfer für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will einige Wahrheiten nennen, die so mancher in diesem Raum nicht wahrhaben will:
Erstens. Deutschland ist Automobilland, und das ist gut so. Wir haben die besten Automobilhersteller, eine breit aufgestellte Zulieferindustrie und wahnsinnig viele Arbeitsplätze, die an dieser Branche hängen.
Zweitens. Wir haben einen menschengemachten Klimawandel, der sich rasant verschärft.
Drittens. Es gibt in unserem Land mehr als genug Ladeinfrastruktur.
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Die müssen wir zwar ausbauen, aber Sie müssten einfach mal die Augen aufmachen, wenn Sie durch das Land fahren: Es gibt Ladeinfrastruktur.
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Diese Wahrheiten, meine Damen und Herren, die bleiben. Sie verschwinden nicht, nur weil so mancher sie verneint oder verleugnet.
Um den Klimawandel zu stoppen, müssen wir Technologie und Klimaschutz miteinander verbinden
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und uns unabhängig von fossilen Energieträgern machen. Die Automobilindustrie spielt dabei eine Schlüsselrolle. Gerade weil die Automobilindustrie für Deutschland so wichtig ist, müssen wir in Zukunft auch die Besten sein. Das schaffen wir nicht, indem wir an einer Antriebstechnik aus dem letzten Jahrhundert festhalten,
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sondern indem wir die Branche zukunfts- und wettbewerbsfähig machen.
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Das ist das, was Sie nicht wollen. Das klappt nur, wenn wir heute anfangen, alle Kraft genau da zu investieren.
Kollege Hümpfer, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der AfD-Fraktion?
Nein.
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Deutsche Unternehmen sind besonders gut, weil sie die Zeichen der Zeit erkennen, sich weiterentwickeln, ihr Geschäftsmodell anpassen, Innovationstreiber sind und immer in Forschung und Entwicklung investieren. „Made in Germany“ ist unser Markenzeichen, und das muss es auch bleiben.
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Wissen Sie, ich komme aus Schweinfurt. Ich habe in meinem Wahlkreis so einige Automobilzulieferer und eine Menge Beschäftigte, die dort arbeiten. Die wollen, dass wir sie auf dem Weg unterstützen, und nicht, dass wir sie in der Vergangenheit festketten.
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Deshalb bleibt zu diesem Antrag nur zu sagen: Jeder, der heute ohne Sinn und Verstand ein einfaches Weiter-so fordert, spart eine führende deutsche Branche kaputt, vernichtet Arbeitsplätze und beschleunigt den Klimawandel. Da machen wir nicht mit. Wir stellen uns nicht der Zukunft, sondern dem Klimawandel entgegen.
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Deshalb ist der eingeschlagene Weg der richtige.
Vielen Dank.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Martina Englhardt-Kopf das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Beschluss des EU-Parlaments zum pauschalen Verbrennerverbot ab 2035 stößt auch bei uns in der Unionsfraktion auf klare Ablehnung.
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Die Union setzt ganz klar auf Technologieoffenheit. Wir hatten dazu im Übrigen im März auch unseren Antrag „Durch Technologieoffenheit die Transformation der Automobilindustrie beschleunigen und die Klimaschutzziele erreichen“ eingebracht – nur zu Ihrer Erinnerung.
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Neben uns ist zumindest auf europäischer Ebene die FDP für Technologieoffenheit; heute gab es auch einige Positionen dazu von FDP-Seite. In der Regierungskoalition ist man sich anscheinend mal wieder – wie auch in vielen anderen Fragestellungen – nicht einig.
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Ich hoffe, Herr Lindner und Herr Wissing können sich mit ihren Forderungen aus der FDP heraus durchsetzen und insbesondere die Umweltministerin Lemke überzeugen, die dieses Verbrennerverbot auf europäischer Ebene nämlich ganz klar begrüßt.
Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass wir alle Technologien nutzen, um die Klimaschutzziele im Verkehrssektor zu erreichen. Die Bundesregierung muss hierfür die Rahmenbedingungen schaffen: für eine klimafreundliche, aber auch bezahlbare Mobilität, für Kraftstoffe, für Fahrzeuge für alle Bürgerinnen und Bürger. Ohne Denkverbote müssen hier alle Möglichkeiten ausgelotet werden, und insbesondere gehören auch synthetische Kraftstoffe mit ins Portfolio.
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Die Vorteile dafür liegen auf der Hand. E‑Fuels bieten eine klimafreundliche Perspektive – ich denke an das Ziel von mindestens 30 Millionen entsprechenden Bestandsfahrzeugen noch in 2030; E‑Fuels sind speicherbar, und sie können auch entsprechend über das Tankstellennetz verteilt werden. Mit E‑Fuels lassen sich aber auch leichte Nutzfahrzeuge betreiben, entsprechend klimafreundlich als Ersatz. Wir haben viele Einsatzbereiche: Ich denke an Feuerwehren, aber auch an Bereiche des Katastrophenschutzes, an Handwerksfirmen. Das ist eine echte Option. Diese Chance haben wir sowie die FDP im Europäischen Parlament erkannt. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, diesen technologieoffenen Ansatz endlich auf Bundesebene ganz klar zu vertreten. Wir brauchen eine klimafreundliche, aber auch eine umsetzbare und realistische Politik in diesem Bereich.
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Wenn wir an Elektromobilität denken, dann stellt sich natürlich auch die Frage der flächendeckenden Ladesäuleninfrastruktur. Stand heute gibt es über 50 000 Ladepunkte. Wir wissen aber: Bei unseren Zielen für 2030, 2035 bezüglich der Anzahl an E‑Autos brauchen wir mindestens 1 Million oder sogar mehr. Ich persönlich kann, wenn ich Stadt und Land vergleiche, bisher keine flächendeckende Infrastruktur erkennen. Hier verlieren wir Zeit. Sie können nicht einerseits in der Theorie immer mehr E‑Autos und das komplette Aus des Verbrenners fordern, aber andererseits den Nutzern, den Bürgerinnen und Bürgern, keine flächendeckende Ladesäuleninfrastruktur zur Verfügung stellen.
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Wenn Sie hierzu entsprechende Anträge stellen und Bundesförderprogramme anzapfen möchten, dann weise ich Sie darauf hin – das weiß ich aus der Praxis –, dass man monatelange Wartezeiten hat, dass Investoren bei der zuständigen Bundesanstalt nicht vorwärtskommen und um Hilfe bitten. Dabei ist es doch wichtig, besser heute als morgen diese Strukturen in der Fläche auszubauen. Ich spreche jetzt gar nicht von den Verteilernetzen, die in der Fläche nicht passen, im Übrigen auch nicht beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Viele können die Anlagen nicht anschließen, weil schlichtweg die Erdkabel im Boden nicht passen. Letztendlich muss bei all den ehrgeizigen Zielen immer mitgedacht werden, woher eigentlich der Strom kommt, wie der Strom produziert wird.
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Lassen Sie mich zum Abschluss kommen. – Neben der Ladesäuleninfrastruktur gäbe es noch viele weitere Punkte. Wie sieht eigentlich die Ökobilanz eines E-Mobils aus? Woher kommen die Rohstoffe? Welche neuen Abhängigkeiten bauen wir auf? Ich denke an China. Wollen wir das wirklich? All diese Punkte müssen neben der Arbeitsplatzfrage – es geht um Hunderttausende von Jobs – berücksichtigt werden. Ich komme aus Ostbayern. Dort geht es um Zehntausende von Arbeitsplätzen. Wir brauchen längere Übergangsfristen für die Überbrückung, damit Neues entstehen kann. Für eine gute, klimafreundliche Mobilität, für eine gute Umsetzung in der Praxis braucht es einen technologieoffenen Ansatz. Dafür stehen wir als Union.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
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Auch hier gilt: Die Ankündigung des Abschlusses der Rede ersetzt nicht das Punktsetzen. Ich bitte also, darauf zu achten.
Das Wort hat Falko Mohrs für die SPD-Fraktion.
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Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir dürfen uns der Zukunft nicht entgegenstellen. Zukunft wird selten dadurch gemacht und dadurch besser, dass man die Hände in den Schoß legt und der Zukunft zuwartet.
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Zukunft wird dann gut, wenn man mit Optimismus herangeht und wenn man die Ärmel hochkrempelt und sagt: Ich habe den Anspruch, Zukunft zu gestalten. – Dann haben wir die Chance, Zukunft so auszugestalten, dass sie gut für die Menschen in unserem Land ist, und dazu gehört auf jeden Fall die Autoindustrie. Das steht hier überhaupt nicht infrage, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.
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In Richtung der CDU, von Herrn Ploß, muss man mal sagen und feststellen: Herr Ploß, bei Ihrer Rede hat die Vergangenheit angerufen. Sie möchte ihre Wirtschaftspolitik zurückhaben. – Mit dem, was Sie hier beschrieben haben, ignorieren Sie doch völlig, was von uns in Zukunft erwartet wird.
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Wir müssen uns mal klarmachen: Natürlich kann man hier jetzt irgendwie über synthetische Kraftstoffe und E‑Fuels fabulieren.
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Wir müssen uns die Geschichte aber noch einmal von Anfang an angucken. Die Grundlage für synthetische Kraftstoffe sind erneuerbare Energien. Jetzt kann man sagen, Herr Ploß: In diesem Land haben wir viel zu viele. – Ich glaube, diese Analyse teilen Sie mit sich selbst ganz alleine. Wir haben in diesem Land einen absoluten Mangel.
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Wenn man sich anguckt, wo die Energieeffizienz am höchsten ist, dann sieht man eben, dass das bei der Batterie der Fall ist, Herr Ploß.
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Das ist die Realität. Bei den synthetischen Kraftstoffen brauchen wir das Vielfache von erneuerbarer Energie, die wir in diesem Land nicht haben. Deswegen ist das, was Sie hier beschreiben, ein absoluter Irrweg.
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Man muss eben ganz klar sagen: Wenn wir als Deutschland – und unser Anspruch ist das – Industrieland und Autoindustrieland bleiben wollen, dann muss die Industrie sich verändern, und das wird sie auch, weil die Betriebsräte, weil die Beschäftigten, weil die Vorstände doch längst begriffen haben: Entweder verändern oder weg! – Das ist doch die Realität, vor der wir in diesem Land stehen.
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Man kann jetzt sagen: „Das ignorieren wir alles“, oder man kann sich an die Spitze des technologischen Fortschritts stellen. Und das ist genau das, was wir tun, um den Beschäftigten in diesem Land gute und gut abgesicherte Arbeitsplätze zu garantieren, indem wir deutlich machen: Die Wertschöpfung von Batterien muss hier in Deutschland stattfinden.
Das, was wir in Saarlouis gerade mit Ford erlebt haben, das darf uns nicht wieder passieren. Unsere klare Solidarität gilt den Menschen auf der Straße, der Landesregierung und Anke Rehlinger, die deutlich gemacht hat: Es ist ein Versagen des Managements von Ford, das hier dazu geführt hat, dass Ford den Hut nimmt und Saarlouis verlässt. Das kann uns nicht in Ruhe lassen.
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Jetzt noch mal zu dem, was Sie von der AfD hier als Begründung in diesem Antrag anführen: Sie führen eine Studie von IASTEC an. Wenn man sich – dafür braucht man nicht lange – ein kleines bisschen Mühe macht, mal nachzugucken, findet man, dass IASTEC de facto eigentlich gar nicht existiert. Ihr Professor Koch, der da als Kontaktperson steht und übrigens schon mal als Lungenfacharzt in einem Brief aufgetaucht ist, meint plötzlich, mit 170 Wissenschaftlern ein Papier verfassen zu müssen. Wenn man nachguckt, sieht man, dass nur eine Handvoll davon einen wissenschaftlichen Hintergrund hat.
Das ist die Grundlage, auf der Sie als AfD Industriepolitik in diesem Land machen wollen. Das ist ganz klar etwas, was dazu führen würde, dass die Autoindustrie und andere Industrien am Ende weg wären.
Wir sagen: Wir wollen die Beschäftigten hier, wir wollen die Wertschöpfung hier. Das ist gut für Deutschland, und deswegen setzen wir uns dafür ein, dass wir in der Zukunft an der Spitze stehen und nicht die Zukunft verhindern.
Sie müssen den Punkt setzen.
Vielen Dank.
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