Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/1/2022

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am vergangenen Sonntagabend konnten wir uns mit den Koalitionsfraktionen auf die Einzelheiten einer Grundgesetzänderung zur Errichtung eines Sondervermögens verständigen, mit dem die Ansätze für die Ausrüstung und die Aufrüstung der Bundeswehr mit zusätzlich 100 Milliarden Euro ausgestattet werden. Dieser Sonntag war und ist zuallererst ein guter Tag für die Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit unseres Landes, und er ist ein guter Tag für die Bundeswehr. ({0}) Ich will an dieser Stelle herzlich danksagen denjenigen, die auf unserer Seite, auf Seite der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die Gespräche mit den Koalitionsfraktionen geführt haben: unseren Kollegen Alexander Dobrindt, Mathias Middelberg, Jo Wadephul und Florian Hahn. Herzlichen Dank dafür, dass Sie die Verhandlungen zielorientiert und konstruktiv in unser aller Namen geführt haben! ({1}) Ich will ebenfalls danksagen den Koalitionsfraktionen, dass sie bereit waren, unseren Wünschen vollumfänglich zu folgen, was die Ausgestaltung dieses Sondervermögens – – ({2}) – Sie sind unseren Wünschen vollumfänglich nachgekommen. Ich will das noch mal kurz referieren: Die 100 Milliarden Euro werden nur für die Bundeswehr zur Verfügung gestellt. ({3}) Es wird einen Wirtschaftsplan geben, in dem alle Vorhaben aufgelistet werden. ({4}) Die Bundeswehr wird erstmalig in ihrer Geschichte ein Finanzierungsgesetz bekommen, in dem klargestellt wird, dass Deutschland auch nach der Erschöpfung dieser 100 Milliarden Euro alle Verpflichtungen gegenüber der NATO in Zukunft einhalten wird, und das können auch mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sein, meine Damen und Herren. Und das ist ein guter Vorschlag gewesen, der übrigens gar nicht zuerst von uns vorgetragen wurde. ({5}) Es wird darüber hinaus bis zur Sommerpause – Herr Bundeskanzler, da sehen wir Sie in der Pflicht, das wirklich auch einzuhalten, was Ihre Verhandlungsführer zugesagt haben – einen Vorschlag zur Reform des Beschaffungswesens geben. Das sehen wir als notwendig und als dringlich an. Es wird schließlich eine Beteiligung des Haushaltsausschusses mit einem Unterausschuss an der einzelnen Finanzierung geben. ({6}) Und es wird abschließend, Herr Bundesfinanzminister, einen Tilgungsplan geben, den Sie ebenfalls zugesagt haben. Besser hätten wir es gemeinsam nicht zu einem Abschluss bringen können. Herzlichen Dank noch mal auch an Ihre Adresse, meine Damen und Herren aus der Koalition! ({7}) Nun hätten wir uns gewünscht, dass auch im Hinblick auf die unmittelbare Herausforderung, vor der wir in diesen Tagen und Wochen stehen, nämlich der Eindämmung des Krieges in der Ukraine, ähnlich klare und eindeutige politische Entscheidungen in Deutschland getroffen worden wären. Wir hätten uns vor allem gewünscht, meine Damen und Herren, dass die Bundesregierung dem Wunsch und dem Auftrag des Deutschen Bundestages nachgekommen wäre, den wir – wenn auch in Ihrer Abwesenheit, Herr Bundeskanzler – am 28. April ebenfalls in großer Übereinstimmung hier im Deutschen Bundestag in einem Entschließungsantrag formuliert haben. Wir haben – zur Erinnerung – unter anderem beschlossen, neben der humanitären und finanziellen Hilfe der Ukraine auch schwere Waffen zu liefern, damit dieses Land sich gegen die russische Aggression ausreichend und erfolgreich verteidigen kann. ({8}) So haben wir es hier gemeinsam beschlossen, Herr Bundeskanzler. Nun muss ich feststellen: Mehr als einen Monat nach dieser gemeinsamen Entschließung im Deutschen Bundestag sind der Ukraine bis zum heutigen Tag die zugesagten Waffen nicht geliefert worden – mehr als einen Monat! Stattdessen werden von Mitgliedern Ihrer Bundesregierung, Herr Bundeskanzler, und aus Ihrer Partei heraus ständig irgendwelche Behauptungen aufgestellt, die schlicht und einfach falsch sind. So wird von einer Parlamentarischen Staatssekretärin aus dem Bundesverteidigungsministerium behauptet, es gebe da eine NATO-Vereinbarung, dass es keine schweren Waffen für die Ukraine gebe. Ihre Parteivorsitzende, Herr Bundeskanzler, sagt, auch andere Länder würden keine schweren Waffen liefern; das sei zwar keine formale Vereinbarung, aber es gebe so eine Art informelle Vereinbarung, dass diese Waffen nicht geliefert werden. ({9}) Und Sie, Herr Bundeskanzler, reden in letzter Zeit etwas mehr als sonst. Aber Sie sagen unverändert nichts. ({10}) Was ist eigentlich Ihre Meinung zu dem, was da aus dieser Koalition kommt? Hört man sich um unter den Staats- und Regierungschefs, den Abgeordneten in der Europäischen Union, dann kann ich feststellen: Über die Haltung der Bundesregierung gibt es mittlerweile nur noch Verstimmungen – vorsichtig formuliert. ({11}) Es gibt Enttäuschungen über die unklare Rolle Deutschlands. Und es gibt richtig Verärgerung über Sie und Ihre Regierung. Nicht nur wir, die Opposition, sondern Abgeordnete aus Ihren Reihen, Herr Bundeskanzler, machen ihrem Ärger und ihrem Unmut über das, was hier in den letzten Tagen und Wochen geschieht, immer lauter Luft – bis hin zu der Wortmeldung einer Europaabgeordneten, der Kollegin Viola von Cramon von den Grünen, die in der letzten Woche gesagt hat, Sie brüsteten sich damit, was man bereits für die Ukraine schon alles geleistet habe; Sie würden dabei auf Absprachen verweisen mit vermeintlichen Partnern, die es überhaupt nicht gebe; ohne die Hilfe der USA wäre die Ukraine längst von Russland überrollt worden. Abschließendes Zitat: Für Deutschland bleibt jetzt nur noch Verachtung übrig. – Ja, das ist nicht aus unseren Reihen, Herr Bundeskanzler. Das kommt aus Ihren Reihen, aus den Reihen Ihrer Koalition. ({12}) Und am Montag dieser Woche titelt die „FAZ“: „Scholz ruiniert das Ansehen der deutschen Politik“. Wörtliches Zitat im Text: Olaf Scholz hat immer wieder auf seinen Amtseid hingewiesen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. ({13}) Der Schaden, den er gerade nicht abwendet, liegt im Ansehensverlust der deutschen Politik. Reflexion und Vorsicht – so schreibt einer der Herausgeber der „FAZ“ - gelten nicht ohne Grund als Tugenden. Sie als Fassade für Zaudern zu verwenden, ist unredlich. „Unredlich“, Herr Bundeskanzler! ({14}) „Unredlich“, so eine Auszeichnung durch eine große deutsche Tageszeitung muss man sich erst mal verdienen. ({15}) „Unredlich“ steht synonym für „böswillig verschweigend“, „unaufrichtig“, „unehrlich“. Was verschweigen Sie uns eigentlich, Herr Bundeskanzler? Sie telefonieren 80 Minuten mit dem russischen Staatspräsidenten. Morgen kommt der Parlamentspräsident der Ukraine nach Deutschland, nach Berlin, und Sie verweigern ihm bis zu dieser Minute einen Gesprächstermin morgen. ({16}) Herr Bundeskanzler, was ist da eigentlich los in Ihrer Regierung? Ich kann begrenzt verstehen, dass Sie nicht nach Kiew reisen wollen. Aber wenn der Parlamentspräsident, der zweithöchste Repräsentant der Ukraine, morgen in Berlin ist, warum geben Sie dem Parlamentspräsidenten der Ukraine keinen Gesprächstermin? Was ist da los in Ihrer Regierung? ({17}) Und was heißt das, wenn Sie sagen: „Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen“? Was heißt das, wenn Sie sagen: „Die Ukraine muss fortbestehen“? Warum sagen Sie nicht einfach und ganz klar: „Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen“? ({18}) Und warum sagen Sie nicht ganz klar: „Russland muss zumindest hinter die Kontaktlinie vom 24. Februar 2022 zurückgedrängt werden“, ({19}) so wie es viele andere Staats- und Regierungschefs auf der Welt und in Europa sagen? Es ist auch nicht meine oder unsere Frage allein: Gibt es da mittlerweile eine zweite Agenda? Warum widerspricht aus Ihren Reihen, aus den Reihen der SPD niemand Ihrem Vorgänger im Amt des Ersten Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg, Klaus von Dohnanyi, der in diesen Tagen hier in Berlin von einer Talkshow in die andere geht, Russland in Schutz nimmt, Putin verteidigt und fast ausschließlich den Vereinigten Staaten von Amerika die Schuld an diesem Krieg zuweist? ({20}) Herr Bundeskanzler, was machen Sie da? Und warum stellen Sie nicht klar, was Sie für eine Meinung zu diesem Thema haben? ({21}) Sie haben am 27. Februar von dieser Stelle aus eine vielbeachtete Regierungserklärung abgegeben. Sie haben hier im Deutschen Bundestag sehr viel Zustimmung bekommen, stehenden Applaus auch von meiner Fraktion ({22}) – ja, das haben wir wohl zur Kenntnis genommen –, ({23}) aber, meine Damen und Herren, Sie bleiben hinter den selbstgestellten Ansprüchen dieses 27. Februar mittlerweile Tag für Tag immer weiter zurück. ({24}) Sie haben an diesem Tag Klartext gesprochen. Sie haben an diesem Tag gesagt, wie Sie die Lage sehen. Seitdem verdampft und verdunstet alles, was Sie da gesagt haben, im Unklaren, im Ungefähren, und es wird keine konkrete Entscheidung hier getroffen und hier begründet, die an dieses Niveau, an diesen Level anschließt, den Sie am 27. Februar 2022 hier selbst gesetzt haben. ({25}) Ich will einen zweiten Aspekt hinzufügen – wir sind ja nicht allein auf dieser Welt –: ({26}) Warum gibt es eigentlich von Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler, auch von Ihnen persönlich keine einzige europäische Initiative, zum Beispiel zusammen mit dem französischen Staatspräsidenten, wie man in einer solchen historischen Situation jetzt Europa voranbringt und mit anderen Mitgliedstaaten zusammen auch in der europäischen Politik klar zeigt, in welche Richtung jetzt Europa entwickelt werden soll und welche Chancen Europa auch in diesem Konflikt für die eigene bessere Integration in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik sieht? Ich will es mal so sagen: Haben Sie eigentlich außer der formalen Rhetorik irgendeinen Vorschlag, wie sich Europa in dieser historischen Phase des Umbruchs aufstellen und dauerhaft auch verteidigen kann? Gibt es irgendeinen Vorschlag aus Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler? ({27}) Bringen Sie wenigstens Teile des Geldes, das wir jetzt in diesem Sondervermögen bereitstellen wollen, in eine europäische Sicherheitsarchitektur ein, die es uns erlaubt, Schritt für Schritt hin zu einer europäischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu kommen. In diesem Zusammenhang: Wie wird eigentlich die Bundesregierung, wie werden Sie, Herr Bundeskanzler, votieren, wenn in wenigen Tagen der nächste Europäische Rat stattfindet und auf der Tagesordnung die Frage steht, ob der Ukraine, ob Moldau und ob den Westbalkanstaaten der Kandidatenstatus für den Beitritt zur Europäischen Union gegeben wird? Herr Bundeskanzler, Sie können es doch nicht der EU-Kommission überlassen, das irgendwie formal vorzubereiten. ({28}) Das ist doch eine zutiefst politische Entscheidung, in der auch Führung erwartet wird, in der Klarheit erwartet wird, in der eine Meinung erwartet wird. ({29}) Herr Bundeskanzler, wenn Sie es offenlassen, wenn die größte Nation der Europäischen Union in dieser Frage unklar bleibt und keine klare Antwort gibt, dann bleibt es in ganz Europa unklar, dann wird es in ganz Europa keine Antwort geben. ({30}) Also: Bitte sagen Sie, was Sie von dieser Frage halten und wie Sie das sehen, ob die Westbalkanstaaten, Moldau und die Ukraine den Kandidatenstatus bekommen sollen oder nicht! ({31}) Oder setzen Sie das fort, was Sie mit Ihrer Politik als Finanzminister schon in den letzten Jahren Ihrer Regierung getan haben, nämlich praktisch jedes Problem einfach nur mit neuem Geld zuzuschütten und ansonsten politischen Entscheidungen aus dem Wege zu gehen? ({32}) Meine Damen und Herren, ich will das in Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt 2022 stellen: Sind Ihnen eigentlich die Risiken bewusst, mit denen Sie diesen Bundeshaushalt in dieser Woche hier verabschieden wollen, und zwar ganz unabhängig von den neuen Schulden, die jetzt mit diesem Sondervermögen gemacht werden? Es könnte doch sein, Herr Bundeskanzler, dass Sie in wenigen Wochen 60 Milliarden Euro für den Klima- und Energiefonds gar nicht zur Verfügung haben, weil Ihnen das Bundesverfassungsgericht nicht erlaubt, diese Mittel aus den Coronahilfen zweckzuentfremden ({33}) für Entscheidungen Ihrer Regierung, die eigentlich aus dem normalen Haushalt finanziert werden müssten. ({34}) Es könnte sein, dass Sie Jahr für Jahr 10 Milliarden Euro zurückzahlen müssen an diejenigen, die Einkommensteuer und Körperschaftsteuer zahlen, weil es an Ihnen gescheitert ist, den Solidaritätszuschlag in der letzten Wahlperiode vollständig abzuschaffen. Das ist ein jährliches Risiko von 10 Milliarden Euro. ({35}) Und in dem Zusammenhang: Wenn Sie sich damals nicht aus ideologischen Gründen geweigert hätten, den Soli ganz abzuschaffen, ({36}) hätten Sie heute mit diesem Instrument, das Sie selbst diskreditiert haben, ein Instrument zur Verfügung, mit dem wir wahrscheinlich die neuen Schulden für das „Sondervermögen Bundeswehr“ gar nicht hätten aufnehmen müssen. ({37}) Sie hätten uns nämlich den Vorschlag machen können, Herr Bundeskanzler, dass wir einen solchen Solidaritätszuschlag erheben auf die Einkommensteuer und auf die Körperschaftsteuer für die Bundeswehr. Dann wäre das von heutigen Generationen gezahlt worden – das ist eigentlich Aufgabe der heutigen Generation – und müsste nicht von der jungen Generation in einigen Jahren und Jahrzehnten mühsam abgezahlt werden. ({38}) Und in dem Zusammenhang: Was sagen Sie eigentlich der jungen Generation? ({39}) – Dass dabei Unruhe bei Ihnen aufkommt, das kann ich wirklich gut verstehen, meine Damen und Herren. ({40}) Bei dem Wort „Soli“ glänzen ja Ihre Augen, das hätten Sie gerne. Aber Sie können ihn nicht einführen, weil Sie dieses Instrument einfach mutwillig zerstört haben. ({41}) Was sagen Sie eigentlich, Herr Bundeskanzler, der jungen Generation, dass Sie es auch mit diesem Bundeshaushalt erneut versäumen, eine Reform der Rentenversicherung vorzulegen? ({42}) Also eine Reform der Rentenversicherung, die einerseits den Bundeszuschuss begrenzt und andererseits der jungen Generation eine sichere Altersversorgung ermöglicht? Auch hier eine Zahl. ({43}) – Ich kann das gut verstehen, dass es nicht nur im Plenum, sondern auch auf der Regierungsbank gehörige Unruhe gibt. ({44}) Sie müssen mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr an Zuschuss in die Rentenversicherung zahlen. Es gibt bis heute keinen Vorschlag aus Ihrer Koalition, diese Rentenversicherung zu reformieren. ({45}) Der letzte Reformvorschlag ist an Ihnen von der SPD gescheitert und an Ihnen, Herr Bundeskanzler, in der letzten Koalition. ({46}) Wir hätten hier längst eine Reform machen müssen. Sie ist an Ihnen gescheitert. Sie haben Ihre Zustimmung verweigert zu jedem Reformvorschlag, der gemacht worden ist. So bleibt heute festzustellen: Das Wort „Zeitenwende“, das Sie am 27. Februar 2022 geprägt und verwendet haben, bleibt, außer dass neue Schulden für dieses Sondervermögen gemacht werden, mehr oder weniger beziehungslos im Raum stehen. ({47}) Es gibt nichts außer neuen Schulden, was Sie mit dem Wort „Zeitenwende“ ernsthaft verbinden. ({48}) Alles andere soll so schön bleiben, wie Sie es in Ihrem Koalitionsvertrag, der mittlerweile nur noch ins Archiv gehört, verabredet haben. Im Gegenteil: Aus Ihren Reihen kommen fast im Wochenrhythmus neue Vorschläge, wie man zusätzliches Geld ausgibt. Der jüngste Vorschlag Ihres Sozialministers: ein soziales Klimageld für Einkommen bis 8 000 Euro im Monat. ({49}) – Meine Damen und Herren, schauen Sie sich mal die Reihen dieser Koalition an und welche Reaktionen das Wort „soziales Klimageld“ hier im Hause auslöst. Es ist schon ganz interessant, das hier zu beobachten. ({50}) Vielleicht kriegen Sie noch ein bisschen Beifall von der Linkspartei; aber ansonsten kriegen Sie überhaupt keinen Beifall mehr für dieses Thema. ({51}) Sie machen solche Vorschläge ohne jede Gegenfinanzierung und planen einfach zusätzliche neue Schulden. Das ist die Botschaft dieser Regierung. ({52}) Herr Bundeskanzler, ich möchte Ihnen zum Abschluss meiner Rede einen Vorschlag machen. Sie haben heute Morgen vermutlich ein vorformuliertes, ausformuliertes Redemanuskript des Bundeskanzleramtes mitgebracht. ({53}) Legen Sie dieses doch mal auf die Seite, und beantworten Sie bitte, wenn es Ihnen möglich ist, drei sehr konkrete Fragen. Die erste Frage ist: Welche Waffen liefert die Bundesrepublik Deutschland wirklich an die Ukraine? Welche Waffen wollen Sie liefern? Was ist Ihre präzise Antwort auf diese Frage? ({54}) Zweitens. Herr Bundeskanzler, wie werden Sie im Europäischen Rat abstimmen, wenn die Frage beantwortet werden muss: Gibt es für die Ukraine und andere Staaten den Kandidatenstatus für einen Beitritt zur Europäischen Union? ({55}) Dritte Frage – auch diese bitte ich Sie heute Morgen abweichend vom vorgetragenen, vorgelesenen Redemanuskript hier zu beantworten –: ({56}) Welche Vorschläge machen Sie zur Reform der Deutschen Rentenversicherung, damit die junge Generation in diesem Land die Perspektive einer gesicherten Altersversorgung hat? ({57}) Ich finde, Deutschland hat Anspruch darauf, in einer Debatte über den Etat des Bundeskanzlers diese Fragen beantwortet zu bekommen. Herzlichen Dank. ({58})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Als Nächstes spricht nun für die Bundesregierung der Bundeskanzler Olaf Scholz. ({0})

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Verehrter Herr Merz, Sie haben sich mit dem Text, den Sie vorbereitet haben, mit ihrem Manuskript, ja sehr viel Mühe gegeben. ({0}) Allerdings muss man ausdrücklich sagen: Das, was Sie hier vorgetragen haben, sind lauter Fragen. Sie sind hier durch die Sache durchgetänzelt und haben nichts Konkretes gesagt. ({1}) „More beef“ wäre wirklich sehr vernünftig gewesen. ({2}) Sie werden nicht damit durchkommen, immer nur Fragen zu stellen und sich niemals in irgendeiner Frage sinnvoll zu positionieren. Und wenn Sie es dann machen, dann wird es peinlich. ({3}) Sie kritisieren hier, dass ich mit dem russischen Präsidenten telefoniere. ({4}) – Sie insinuieren das. – Dann sagen Sie, ich soll was Gemeinsames mit dem französischen Präsidenten machen, und während Sie in Ihrer Rede das insinuiert haben, haben Sie völlig übersehen, dass das letzte Telefongespräch ein gemeinsames mit dem französischen Präsidenten war, übrigens eine europäische Aktion dieser beiden Länder, die eine wichtige Rolle für die Zukunft Europas spielen. ({5}) Ganz anders, als Sie das hier darstellen, sind die anderen Länder Europas überwiegend sehr, sehr froh darüber, dass wir genau das machen, und freuen sich darüber, ({6}) dass wir mit ihnen unsere Erkenntnisse austauschen, dass wir darüber reden, was gemeinsam vorzutragen ist und was wir tun wollen. ({7}) Na ja, und dann hatten Sie ja doch noch einen konkreten Vorschlag; den muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Ihr Vorschlag, den Sie heute hier im Deutschen Bundestag gemacht haben, ist, dass wir die Steuern für fast alle Bürgerinnen und Bürger über einen Soli erhöhen sollen, um die bessere Ausrüstung der Bundeswehr zu bezahlen. Was für ein merkwürdiger Einfall! ({8}) Einen ganzen Bundestagswahlkampf haben Sie damit geführt, zu fordern, dass der Soli auch für die Leute, die 200 000, 300 000 und 400 000 Euro im Jahr verdienen, wegmuss, um jetzt vorzuschlagen, dass Leute, die 70 000 und 60 000 Euro im Jahr verdienen, den Soli ab nun zahlen sollen, ({9}) damit dies jetzt hier finanziert werden kann. Das ist keine gute Idee. ({10}) Ich werde Ihre Fragen ja beantworten bzw. sie sind alle längst beantwortet worden bei den Gelegenheiten, die dazu da waren. ({11}) Ich will aber ausdrücklich dazu sagen – dies ist ganz, ganz zentral –: Wenn man über das redet, über was wir hier reden, wenn es um die Verbesserung unserer Verteidigungsanstrengungen geht, ({12}) dann muss man als Oppositionsführer, der von der CDU/CSU kommt, schon sagen: Die Verteidigungsministerinnen und ‑minister der letzten Jahre waren in der CDU und in der CSU. ({13}) Die Kanzlerin war in der CDU. Darüber hätten Sie zumindest ein Wort verlieren können, Herr Merz. ({14}) Die schlechte Zeit für die Bundeswehr hat begonnen, als ein presseaffiner, viel kommunizierender, selten sich in seinem Amt aufhaltender Bundesverteidigungsminister Guttenberg entschieden hat, alles Mögliche anders zu machen, ordentlich einzusparen und die Wehrpflicht abzuschaffen. ({15}) Noch heute leiden wir darunter, dass all das Geld damals zusammengestrichen worden ist. ({16}) Manchmal ist Sacharbeit wirklich eine nützliche Sache, Herr Merz. ({17}) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! ({18}) Die Preise für Benzin und Diesel, für Lebensmittel und fürs Heizen steigen rasant. Millionen Bürgerinnen und Bürger fragen sich jeden Tag: Komme ich hin mit meinem Geld? Reicht es noch am Monatsende? Das sind sehr, sehr, sehr gravierende Fragen, Fragen, auf die es in der Tat eine klare Antwort braucht. Die Bundesregierung hat umfangreiche Entlastungen für Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen auf den Weg gebracht. In der Summe reden wir über mehr als 30 Milliarden Euro. Diese Entlastungen kommen jetzt an, in den nächsten Tagen und Wochen. Rückwirkend ab Januar wird die Pendlerpauschale erhöht, um die hohen Spritpreise etwas auszugleichen. Ab 1. Juli werden die Stromrechnungen günstiger, weil wir die EEG-Umlage streichen. Eine vierköpfige Familie spart so mehrere Hundert Euro im Jahr. Ab Juli bekommen Bürgerinnen und Bürger mit kleinen Einkommen, Wohngeldempfänger/-innen und Studierende mit BAföG einen Zuschuss zu den Heizkosten. Familien werden gezielt entlastet durch den Kinderbonus. Von Armut betroffene Kinder und Jugendliche erhalten einen Sofortzuschlag, und zwar monatlich. Jeder Beschäftigte erhält ab September zum Ausgleich für die gestiegenen Energiekosten einmalig 300 Euro ausgezahlt. Schon heute treten zwei Maßnahmen in Kraft, über die wohl am meisten geredet worden ist in Deutschland in den vergangenen Wochen: die Steuersenkung auf Benzin und Diesel und das 9‑Euro-Ticket im ÖPNV. ({19}) Wir entlasten damit diejenigen, die nicht aufs Auto verzichten können, und all diejenigen, die täglich Bus und Bahn nutzen. Vielleicht gewinnen wir auch den einen oder anderen dafür, künftig etwas häufiger die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Jedenfalls ist der Ansturm auf das 9‑Euro-Ticket ganz massiv. Das zeigt: Die Maßnahmen wirken. Sie kommen direkt bei den Bürgerinnen und Bürgern an. ({20}) Das hat diese Bundesregierung und die Regierungsmehrheit im Bundestag auf den Weg gebracht. ({21}) – Weil die Öffentlichkeit ihre eigenen Themen hat, die sie diskutiert und über die geschrieben wird, ist es so, dass das vielleicht noch nicht so präsent geworden ist. Aber wenn das Geld jetzt gezahlt wird, dann, hoffe ich, wird den Bürgerinnen und Bürgern, die diese Hilfe wirklich dringend brauchen, auch sichtbar: Sie kommt; und wir haben das gemacht. Übrigens profitieren auch die Rentnerinnen und Rentner von den Entlastungspaketen: bei der Stromrechnung, vom Tankrabatt und von dem 9‑Euro-Ticket. Zum 1. Juli steigen die Renten so stark wie seit Jahrzehnten nicht, nämlich um 6,12 Prozent im Osten und über 5,35 Prozent im Westen. ({22}) Für 3 Millionen Rentnerinnen und Rentner haben wir höhere Erwerbsminderungsrenten auf den Weg gebracht. Wir werden das Rentenniveau bei 48 Prozent stabilisieren, damit es nach 2025 nicht unterschritten wird. Das ist eine wichtige Leistung dieser Regierung. ({23}) Wer sein Leben lang gearbeitet und Beiträge gezahlt hat, der oder die muss sich auf seine oder ihre Rente verlassen können. Das ist ein Kernversprechen des Sozialstaates, und wir werden es erneuern. ({24}) In diesen Zeiten, wo große Veränderungen stattfinden, da ist es umso wichtiger, dass sich alle auf Sicherheit und Zusammenhalt verlassen können. Wir entlasten übrigens auch die Unternehmen, vor allem diejenigen, die jetzt mit dem Krieg und den hohen Energiekosten zu kämpfen haben, und haben einen Schutzschild errichtet, um Betrieben bei Bedarf mit Zuschüssen, Bürgschaften oder günstigen Krediten unter die Arme zu greifen. Mit ähnlichen Instrumenten haben wir es geschafft, durch die Coronapandemie zu kommen, und es ist gelungen, Arbeitsplätze zu erhalten. Das ist eine gute Botschaft, vor allem, wenn wir jetzt sagen können: Die Beschäftigung ist gegenwärtig höher als vor der Pandemie. Es zeigt: Wenn ein Land zusammenhält, dann kann man auch durch schwere Krisen kommen. – Diesen Weg werden wir weiter verfolgen. ({25}) Aber ich sage ganz offen: Natürlich ist damit das Problem steigender Preise noch nicht gelöst. ({26}) Denn der Preisanstieg hat eine ganze Reihe von Ursachen, ganz vorn der von Russland angezettelte Krieg. ({27}) – Was lachen Sie? Der von Russland angezettelte Krieg! ({28}) Er heizt die Energie- und Rohstoffpreise an. Die internationalen Lieferketten sind oft noch durch die Pandemie gestört, insbesondere in Asien. Man soll sich nur einmal die Vorstellung vergegenwärtigen von den vielen Schiffen in den Containerhäfen Chinas, insbesondere in Schanghai. Natürlich haben die milliardenschweren Konjunkturpakete, die viele Länder, nicht nur wir, aufgelegt haben, dazu geführt, dass es eine höhere Nachfrage gibt, zum Beispiel nach Rohstoffen. Noch sind also diese Preissteigerungen wahrscheinlich auf solche einmaligen Schocks zurückzuführen. ({29}) Aber wir müssen aufpassen, dass daraus keine dauerhafte Entwicklung mit zu hohen Inflationsraten wird. ({30}) Bei allem, was wir heute und auch künftig tun, ist eins klar: Kreditfinanzierte Dauersubventionen sind keine Lösung, zumal wir nächstes Jahr die verfassungsmäßig vorgeschriebene Schuldenbremse wieder beachten werden. ({31}) Ziel muss also sein, den Inflationsdruck nachhaltig zu mildern. Zugleich behalten wir weiterhin die finanzielle Lage von Rentnerinnen und Rentnern, von Grundsicherungsempfängern, von Studentinnen und Studenten und Familien genau im Blick. Auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fragen sich, was sie sich noch werden leisten können. Die Tarifpartner in der Chemieindustrie haben kürzlich einen sehr interessanten Weg gewählt. Beschlossen wurde, gestiegene Preise schnell und substanziell über eine einmalige Sonderzahlung auszugleichen. Auch in der Stahlindustrie und in anderen Tarifbereichen wird darüber gerade diskutiert. Zum Beispiel bei Erziehern haben Zahlungen, auch einmalige Zahlungen, eine Rolle gespielt. Die gute Idee dahinter ist, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern finanziell Luft zu verschaffen, ohne die Arbeitgeber zu überfordern und Inflationsrisiken anzuheizen. Ich habe mich deshalb zusammen mit allen Verantwortlichen der Regierung zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen: Ich möchte die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ihre Gewerkschaften und die Arbeitgeber zu einer konzertierten Aktion zusammenrufen. ({32}) Es hat schon einmal geholfen, dass wir zusammengestanden haben, Gewerkschaften, Arbeitgeber, Staat und auch viele andere, die in diesem Land Verantwortung haben, um mit einer schweren Herausforderung umzugehen. Ich finde, es ist richtig, Instrumente der Zusammenarbeit und des Zusammenhalts, die schon einmal in schwierigen Lagen geholfen haben, von Unternehmen, von Beschäftigten, von Gewerkschaften, von Unternehmerverbänden, von Staat, von Kommunen und von allen Institutionen zu nutzen und zu sagen: Hier muss erneut zusammengestanden und herausgefunden werden: Wie wollen wir mit dieser Preisentwicklung umgehen? Ich bin dazu bereit, dass wir uns so zusammensetzen. ({33}) Natürlich wird das keine Aktivität sein, wo wir uns treffen und mal reden. Da wird ganz konkret gesprochen. Ich will auch sagen: Alle werden etwas beitragen müssen: die Sozialpartner, selbstverständlich auch die Arbeitgeber – denn sie haben eine große Verantwortung dafür, dass die Finanzkraft ihrer Beschäftigten groß genug ist –, aber auch wir als Gemeinschaft und der Staat. Deshalb ist es eben umso richtiger, dass wir das miteinander machen. Wir brauchen eine gezielte Kraftanstrengung in einer ganz außergewöhnlichen Situation. Wir sind dazu bereit. Wir wollen eine konzertierte Aktion gegen den Preisdruck. ({34}) Das ist natürlich keine Lohnverhandlungsrunde; das machen die Tarifpartner. Aber es geht darum, das miteinander zu besprechen. Ich weiß aus den Gesprächen mit den Verantwortlichen in Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden und Unternehmensverbänden, dass sie das sehr begrüßen, wenn wir genau das jetzt machen. Die Coronapandemie hat uns gezeigt, wie wichtig gesellschaftlicher Zusammenhalt ist. Ich wünsche mir, dass wir das bewahren. Die aktuelle Infektionslage verschafft uns Zeit zum Handeln. Wir nutzen sie intensiv, um uns und unser Gesundheitssystem gut auf Herbst und Winter vorzubereiten. ({35}) Wir stellen unser Gesundheitssystem so auf, dass es zukunftssicher ist. Dazu gehört, die gesetzliche Krankenversicherung verlässlich zu finanzieren. Darauf können sich die Patientinnen und Patienten, aber auch die Beschäftigten im Gesundheitswesen verlassen, die in den vergangenen zweieinhalb Jahren so unglaublich viel für unser Land geleistet haben. Wir werden sie nicht vergessen und sie weiter unterstützen. ({36}) Weil der Zusammenhalt so wichtig ist, werden auch Sozialreformen weiter eine Rolle spielen. Es ist nicht so, dass das alles jetzt hinter dem Krieg verschwindet, Herr Merz, sondern es bleibt gerade in dieser Situation ganz, ganz wichtig, dass wir etwas für den Zusammenhalt tun. Deshalb werden wir die Reform weiter voranbringen, die wir uns als Regierung vorgenommen haben: das Bürgergeld, mit dem wir auf Beratung und Unterstützung setzen statt auf unnötige Bürokratie und komplizierte Antragsverfahren, und die Kindergrundsicherung, die eine unübersichtliche Vielzahl unterschiedlicher Familienleistungen zusammenführen und verbessern soll. Alles beides wird weiter vorangebracht. ({37}) Kinder und Jugendliche, die in Armut aufwachsen, darf es in einem so reichen Land wie Deutschland nicht geben. Das ist ein Grundsatz, der für diese Regierung unabdingbare Priorität hat. ({38}) Selbstverständlich gehört dazu auch, dass wir jetzt das voranbringen, was wir uns letztes Jahr vorgenommen haben, nämlich dass diejenigen, die am wenigsten verdienen, einen besseren Lohn bekommen. Der Mindestlohn wird ab Oktober auf 12 Euro in der Stunde steigen. Es war ein langer Kampf. Jetzt wird das Realität. Das Versprechen ist umgesetzt! ({39}) Wir wissen alle, dass 12 Euro in der Stunde keine großen Sprünge erlauben. Aber es ist eine Erleichterung für viele, die sehr, sehr wenig Geld haben, gerade wenn jetzt die Preise steigen. Und es macht einen Unterschied für 6 Millionen Bürgerinnen und Bürger. Was für eine Aussage über unser Land und darüber, was hier verdient wird! Aber wie dringlich ist diese Reform – gut, dass sie jetzt kommt! ({40}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, faire Löhne sind das eine; aber viele Bürgerinnen und Bürger stellen sich grundsätzlichere Fragen: Wie sicher ist der Arbeitsplatz, wenn Energie teurer wird und Lieferketten unsicherer? Wie geht es weiter mit dem Industrieland Deutschland? – Ich kann das gut verstehen, ({41}) und wir wissen alle, dass wir vor einer zweiten industriellen Revolution stehen. Nur ein Beispiel: Um in Zukunft mit sauberem Strom betrieben zu werden, braucht ein Chemiestandort wie Ludwigshafen mit BASF ({42}) in etwa die Strommenge von acht bis neun Windparks auf See. Das klingt viel, und das ist es auch. Die gute Nachricht ist: Schon vor dem Kriegsbeginn in der Ukraine hatte die Bundesregierung einen Zukunftsplan, um das Industrieland Deutschland bis 2045 CO2-neutral zu machen. Dieser Plan gilt heute immer noch, mehr als vorher. ({43}) Zwei Dinge sind dafür entscheidend: Erstens: Versorgungssicherheit. Energie muss immer verfügbar sein, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Die Bundesregierung hat zuletzt erhebliche Fortschritte durchgesetzt, um unabhängig von russischem Gas zu werden. Schwimmende Flüssiggasterminals werden kurzfristig bereitstehen. Mit einem eigenen Gesetz beschleunigen wir den Ausbau so, dass in wenigen Monaten und nicht in Jahren oder Jahrzehnten die nötige Infrastruktur errichtet wird. Wir erschließen neue Bezugsquellen. Erst vorige Woche habe ich dazu Gespräche in Afrika geführt; wir reden auch mit Norwegen, mit Kanada, den USA und Katar. Terminals und Leitungen sollen künftig auch für Wasserstoff genutzt werden; denn darin liegt die Zukunft. Zweitens. Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird massiv beschleunigt. Das Osterpaket ist bereits verabschiedet, zwei weitere Pakete folgen im Sommer und Herbst, ({44}) und wir wollen die Dauer der Verwaltungsverfahren mindestens halbieren. ({45}) Das will ich an dieser Stelle auch sehr klar sagen: Wir werden uns nicht den Schneid abkaufen lassen, meine Damen und Herren – nicht von den Lobbyisten, nicht von den Bedenkenträgern und auch nicht von den Verteidigern des Status quo; denn wenn wir erst einmal anfangen, Dinge auf die Zeitschiene zu schieben, ({46}) dann werden wir niemals rechtzeitig fertig werden. Das ist zu lang; wir haben die Zeit dafür nicht mehr. ({47}) Dieses Jahr ist das Jahr der Entscheidungen, und die Entscheidungen werden getroffen. ({48}) Mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus den Niederlanden, Dänemark und Belgien und mit der EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen haben wir kürzlich die Weichen gestellt, um aus Nordseewind so etwas zu machen wie ein riesiges Windenergiekraftwerk. Das Gleiche wollen wir für die Ostsee erreichen. Die Kommission hat auch ihren Beitrag geleistet mit dem Paket REPowerEU, das dazu beitragen soll, dass viele Dinge schneller gehen. Neben vielen Fragen, die jetzt von einigen im Vordergrund diskutiert werden, ist ja eine Sache dabei ganz zentral: Es soll noch mal neue Möglichkeiten der Beschleunigung beinhalten, damit Verfahren einfacher werden und wir die Dinge besser voranbringen können; auch darüber haben wir bei der Sondertagung des Europäischen Rates gesprochen. Es bleibt ein Ziel für ganz Europa, was für uns unmittelbar gilt: Wir wollen Energieunabhängigkeit erreichen, so schnell wie möglich. Das, wissen wir, ist in diesen Tagen ganz, ganz dringend angesichts des russischen Angriffs. ({49}) Wir wollen vollständige CO2-Neutralität bis 2045 erreichen. Das ist machbar. Beides gehört zusammen – es schließt einander nicht aus –, und wir werden beides erreichen. ({50}) Natürlich gehört dazu auch, dass wir jetzt die Grundlagen dafür legen, all das voranzubringen, was für unser Land wichtig ist: bei Forschung und Innovation, bei der Digitalisierung, wo wir mehr Tempo brauchen, bei der Aus- und Weiterbildung. Deshalb schaffen wir ein Qualifizierungsgeld. Deshalb wollen wir neue Aufstiegsmöglichen und Chancengerechtigkeit schaffen. Wir schaffen ein Startchancen-Programm, wir bauen die Ganztagsbetreuung an Grundschulen aus, die BAföG-Reform läuft, und wir wollen uns für eine Ausbildungsgarantie einsetzen, damit Jugendlichen ein Berufseinstieg nicht verwehrt bleibt. Alles das sind Investitionen in die Zukunft. ({51}) Denn wir brauchen sie, diese Investitionen in unsere Zukunft. Wir brauchen die besten Erfinderinnen, die weltbesten Ingenieure und gut ausgebildete Facharbeiterinnen und Facharbeiter. Ich habe eingangs über die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger gesprochen, über ihre Fragen und Sorgen, die wir in den Mittelpunkt unserer Politik stellen. Die aktuell größte Sorge ist ganz unbedingt der furchtbare Krieg, den Russland gegen die Ukraine begonnen hat. Uns alle schmerzen die Opfer dieses verbrecherischen Krieges, der ja nun schon fast 100 Tage währt. Mit jedem Tag steigen die Opferzahlen. Mit jedem Tag werden durch die russischen Bomben und Artillerie mehr Städte und Orte in Trümmerwüsten verwandelt. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns über das einig sind, was wir erreichen wollen: Putin darf und wird diesen Krieg nicht gewinnen. ({52}) Es gibt ja jetzt eine Situation, in der immer wieder darüber diskutiert wird, was die Kriegsziele sind. Unser Ziel ist, dass Putin nicht gewinnt. Unser Ziel ist, dass die Ukraine sich verteidigen kann und damit erfolgreich ist. ({53}) Aber ich will ausdrücklich sagen: Es ist überheblich, es ist unangemessen und es ist völlig fehl am Platze, wenn hierzulande darüber diskutiert wird, was die Ukraine richtigerweise zu entscheiden hat. Ich sage es mit dem amerikanischen Präsidenten: ({54}) Über die Ukraine entscheiden die Ukrainerinnen und Ukrainer und niemand sonst, Herr Merz. ({55}) Man muss vielen genau zuhören, was sie da machen. Da höre ich viel, was mir nicht gefällt. Ich höre auch viel aus den anderen Ländern, was dort diskutiert wird – das will ich ausdrücklich sagen –; da gibt es den einen oder anderen, der vielleicht auch denkt: So könnte das doch gelingen, dann ist die Sache endlich vorbei. – Aber das kann nicht sein. ({56}) Wir werden die Ukrainerinnen und Ukrainer so lange unterstützen, wie das erforderlich ist, mit all den Möglichkeiten, die wir auf den Weg gebracht haben. ({57}) Putin darf seine Ziele nicht erreichen. Er darf nicht mit seinem Konzept durchkommen, mit einem brutalen militärischen Einsatz ein Land oder Teile davon zu erobern. Das ist Imperialismus, und den werden wir in Europa nicht akzeptieren. ({58}) Deshalb wirken unsere tiefgreifenden Sanktionen. Es sind übrigens die weitreichendsten Sanktionen, die jemals weltweit gegen ein so großes Land verhängt worden sind. ({59}) Es sind sehr wirksame Sanktionen; auch das muss dazu gesagt werden. Es sind Sanktionen, mit denen Putin niemals gerechnet hat, ({60}) weil es Sanktionen sind, die aus Geschlossenheit entstanden sind und gerade dadurch ihre Wirksamkeit entfalten. Diese Geschlossenheit müssen wir bewahren. ({61}) Deshalb ist es gut, dass sich der Europäische Rat gestern nach den fünf Sanktionspaketen, die vorher beschlossen waren, auf ein sechstes verständigt hat, mit vielen weiteren, sehr detaillierten Sanktionen, an denen wir lange gearbeitet haben, und auch mit einem Ölembargo, ({62}) das dazugehört. Ich bin froh, dass diese Entscheidung jetzt getroffen worden ist. ({63}) Wir steigen zum Herbst aus dem Import russischer Kohle aus. Für uns in Deutschland gilt trotz der Ausnahme für die Pipeline-Anrainer: Wir werden unverändert daran arbeiten, bis zum Jahresende auch aus dem Import von Öl auszusteigen. Das bleibt unverändert unser Ziel. ({64}) Außerdem unterstützen wir die Ukraine finanziell mit sehr vielen Mitteln. Gerade erst haben wir 1 Milliarde Euro im Rahmen der G 7 zugesagt, eine direkte Zahlung aus Deutschland, die dazu beitragen soll, dass die Ukraine der Gefahr Herr werden kann, der sie ausgesetzt ist. ({65}) Neben der wirtschaftlichen und finanziellen Unterstützung liefern wir auch Waffen. Eines will ich klarstellen: Deutschland muss sich da nicht verstecken. Wir liefern kontinuierlich von Beginn des Krieges an. Unmittelbar nach Kriegsbeginn haben wir diese Entscheidung getroffen und mit einer langjährigen Staatspraxis in Deutschland gebrochen. ({66}) Das war eine richtige Entscheidung. Es war eine mutige, neue Entscheidung dieser Regierung, meine Damen und Herren. ({67}) Weil Sie ja fragend durch die Landschaft getänzelt sind, Herr Merz, noch mal der Hinweis: ({68}) Es ist eine Regierung, die von der CDU geführt worden ist, ({69}) die diese Staatspraxis in den letzten Jahren vertreten hat. Ich will das nicht kritisieren. Aber so zu tun, als sei das kein ganz besonders weitreichender Schritt gewesen, dass wir das jetzt gemacht haben, ist nicht in Ordnung und auch nicht vernünftig. ({70}) Die Zeitenwende ist der furchtbare imperialistische Angriff Russlands auf sein Nachbarland, das unschuldig überfallen worden ist. Wir reagieren darauf mit weitreichenden Maßnahmen. Zu diesen weitreichenden Maßnahmen zählte als Allererstes, dass wir diese Staatspraxis verändert haben – ich verstehe nicht, dass immer wieder von Ihnen vorgetragen wird, es sei nichts passiert –; allein das ist eine massive Änderung der Politik in Deutschland. ({71}) Wenige Tage nach Kriegsausbruch haben wir Flugabwehrraketen und Panzerabwehrwaffen geliefert, also genau das, was zu dem Zeitpunkt am dringendsten nötig war. Dazu kommen bislang mehr als 15 Millionen Schuss Munition, 100 000 Handgranaten, über 5 000 Panzerabwehrminen, umfangreiches Sprengmaterial, Maschinengewehre, Dutzende Lastwagenladungen mit sonstigen relevanten Gütern, zum Beispiel zur Drohnenabwehr, für Mobilität, Kommunikation und zur Verpflegung und Versorgung Verwundeter. ({72}) Gemeinsam mit Dänemark haben wir der Ukraine auf ihren Wunsch hin 54 modernisierte gepanzerte Truppentransporter geliefert. Über einen ersten Ringtausch mit unseren tschechischen Freunden bekommt die Ukraine vertrautes Gerät sowjetischer Bauart, zunächst 20 Kampfpanzer T‑72. Wir sorgen für Ersatz für Tschechien. ({73}) Weitere Gespräche laufen. Erst gestern habe ich mit dem griechischen Ministerpräsidenten Mitsotakis verabredet, dass Griechenland Schützenpanzer aus ehemaligen NVA-Beständen liefern wird und wir dafür die griechischen Bestände mit deutschen Schützenpanzern auffüllen; auch das sollte nicht vergessen und beiseitegeschoben werden. Zu unserer Unterstützung gehört auch, dass die Bundeswehr bislang 168 besonders schwer verwundete ukrainische Soldaten ausgeflogen und hier in Deutschland behandelt hat. ({74}) Wir helfen also in umfangreicher Weise. Das könnte auch zur Kenntnis genommen und nicht durch Fragen in Zweifel gezogen werden, die mit Fakten einfach nichts zu tun haben. Das ist ja nur eine Flucht vor der Tatsache, dass die Realität mit dem, was Sie hier insinuieren, nicht übereinstimmt, dass Sie Fragen stellen, um nicht zugeben zu müssen, dass diese beantwortbar wären, und zwar sehr gut. ({75}) Aber es geht weiter. In der letzten Woche hat die Ukraine den Vertrag mit der Rüstungsindustrie über die Gepard-Flakpanzer unterzeichnet. Die rund dreiwöchige Schulung läuft dieser Tage an. Das will ich ausdrücklich sagen: Die wurden von der Ukraine gewünscht. Ich habe in den Talkshows dieser Republik gehört, dass gesagt wurde: Die wollen das gar nicht. Hier im Bundestag haben das auch welche erzählt. ({76}) Ganz naseweis haben sie das berichtet so wie Sie eben über Terminvereinbarungen. ({77}) Ehrlicherweise: Das war nie und zu keinem Zeitpunkt richtig. Das ist eine hochwirksame, eine hochschwere Waffe – um diesen komischen Begriff zu benutzen –, und sie wird in der Ukraine eingesetzt werden. ({78}) Der eine oder andere könnte ja mal seine ganzen Äußerungen, die er in der Hitze des Redegefechts so gesagt hat, noch mal überprüfen. Da ist ganz schön viel dabei, das mit der Wirklichkeit einfach nichts zu tun hat. Diese Waffe kommt mit einer Erstausstattung von 59 000 Schuss Munition; das reicht für 1 200 Bekämpfungsvorgänge. ({79}) Dazu habe ich gehört und auch gelesen, dass manche gesagt haben, das sei eine Artilleriewaffe, mit der man zum Beispiel Flugzeuge oder Drohnen, die einen bedrohen, nicht bekämpft, sondern das sei etwas, das einfach dazu genutzt würde, um in die Gegend und anderswohin zu schießen. Das ist nicht richtig gewesen, und trotzdem durften Leute überall in Deutschland diesen Kram erzählen. ({80}) Wo leben wir eigentlich? Was macht das für einen Sinn? ({81}) In den kommenden Wochen werden wir der Ukraine, eng abgestimmt mit den Niederländern, zwölf der modernsten Panzerhaubitzen der Welt liefern. Die Ausbildung ukrainischer Soldaten daran wird in wenigen Tagen abgeschlossen sein. Es sind wirklich sehr moderne, sehr schwere Waffen. Abgesehen davon, dass das Abschießen von Flugzeugen mit Luftabwehrraketen auch ein schwerer Vorgang ist: Was sollen denn das für andere schwere Waffen sein als zum Beispiel der Gepard oder die Panzerhaubitze? Das ist doch einfach dahergeredetes Zeug, das Sie da vortragen. ({82}) In den kommenden Wochen werden wir der Ukraine auch weitere Waffen liefern. Zum Beispiel hat die Bundesregierung aktuell entschieden, dass wir mit dem System IRIS‑T das modernste Flugabwehrsystem liefern, über das Deutschland verfügt. Damit versetzen wir die Ukraine in die Lage, eine ganze Großstadt vor russischen Luftangriffen zu schützen. Auch das ist eine Entscheidung dieser Bundesregierung. ({83}) Ferner werden wir der Ukraine ein hochmodernes Ortungsradar liefern, das feindliche Haubitzen, Mörser und Raketenartillerie aufklärt. Auch das ist eine Entscheidung, die wir getroffen haben und die die Sicherheit der Ukraine mit modernstem Gerät sicherstellen wird. Alles, was Sie sagen, ist nicht richtig. Wir machen das, was möglich ist, mit aller Präzision. ({84}) Präsident Biden hat gerade einen sehr lesenswerten und wohldurchdachten Beitrag für die „New York Times“ geschrieben über die Unterstützung, die die USA und die Verbündeten der USA leisten, mit denen die USA immer eng abgestimmt handeln. Ich will übrigens sagen: Es ist aus meiner Sicht eine wirklich beeindruckende Qualität unserer transatlantischen Beziehungen, dass wir intensiv miteinander abgestimmt sind, dass wir uns sorgfältig absprechen, dass wir gemeinsam handeln. Angesichts der Verlagerung des Gefechts in den Osten der Ukraine hat Präsident Biden gesagt, man will über das hinaus, was bisher geliefert worden ist, die Möglichkeit nutzen, Mehrfachraketenwerfer zur Verfügung zu stellen. Er hat gesagt, er werde keine Waffen liefern, mit denen die Ukraine in der Lage wäre, nach Russland zu schießen. Aber das, was notwendig ist hinsichtlich solcher auch von Russland in der Ukraine auf diese Distanz genutzten Raketenwerfer, werden die USA tun. Wir sind mit ihr seit Tagen darüber im Gespräch, und wir haben mit den USA besprochen, dass das, was im Rahmen unserer technischen Möglichkeiten ist, beigetragen wird. Auch das gehört zu unseren Entscheidungen. ({85}) Natürlich ist alleine dieser Aufsatz es wert, sehr sorgfältig diskutiert zu werden; denn die Besonnenheit, die Fähigkeit, abzuwägen, das Für und Wider zu erörtern, wünschte ich mir auch von der Opposition in diesem Deutschen Bundestag. ({86}) Wir handeln jedenfalls im Geleitzug mit unseren Verbündeten – so habe ich es oft gesagt –, und diesen Geleitzug habe ich eben beschrieben. Er wird auch weiter unsere Politik bestimmen. Natürlich weiß ich, dass das eine Situation ist, in der das Für und Wider mit großem heißen Herzen erörtert wird. ({87}) Aber es gibt dabei auch eine klare Haltung. Natürlich ist es gut, sich hinzustellen und zu denen zu gehören, die immer sagen: Von allem noch mehr, davon noch was, davon noch was! – Genauso, wie es ganz einfach ist, zu sagen: Gar nichts! ({88}) Aber das, was man tun muss, ist genau der Weg, den diese Regierung eingeschlagen hat: ({89}) große Entschlossenheit, Mut und kluge Abwägung zeigen. Das ist das, was wir tun. ({90}) Damit bin ich bei dem, liebe Kolleginnen und Kollegen, ({91}) was wir mit dem Sondervermögen für die Bundeswehr erreichen wollen. ({92}) Ziel ist eine leistungsfähige und fortschrittliche Bundeswehr, eine Bundeswehr, die ihren Kernauftrag, die Landes- und Bündnisverteidigung, erfüllen kann, weil sie ausreichend ausgestattet ist. Ich wiederhole, was ich am Anfang gesagt habe: Die Versäumnisse der letzten 16 Jahre von CSU- und CDU-Verteidigungsministern und der dortigen Regierungschefin, ({93}) die werden jetzt aufgearbeitet und aufgeholt. ({94}) Das weiß jeder Soldat in Deutschland: Es waren CSU und CDU, die die Sparzeit bei der Bundeswehr begonnen haben. Das ist die Wahrheit. ({95}) Gleichwohl: Ich bedanke mich bei allen, die in den letzten Tagen mitgeholfen haben, dass wir diese Entscheidung zustande bringen können, dass so konstruktiv und auch über Parteigrenzen hinweg verhandelt worden ist. Denn das, was wir hier hinbekommen, ist ein Quantensprung. Und es hat auch eine Konsequenz: Die Bundeswehr wird dann wohl die größte konventionelle Armee im europäischen NATO-System sein. ({96}) Und wir werden alles dafür tun, dass wir uns auch ansonsten weiter verbessern, was unsere Sicherheitsarchitektur betrifft, zum Beispiel, wenn es um Fragen der Cybersicherheit geht. Deshalb müssen wir den Moment, der jetzt stattfindet, auch genau verstehen. Es ist anders als in früheren Zeiten, wo man in Paris, in Warschau, in London, in Washington oder Prag Angst und Sorge hatte, wenn die Bundeswehr, die deutsche Armee, so viel stärker war. Es ist Erleichterung, was jetzt dort zu spüren ist. Alle sind von diesem Schritt sehr beeindruckt. „Endlich“, sagen sie, „übernimmt Deutschland die sicherheitspolitische Verantwortung, die es im 21. Jahrhundert hat“, ({97}) und zwar von einer Ampelregierung angeführt, liebe Freunde von CSU und CDU. ({98}) Das ist die richtige Antwort auf die Zeitenwende, und wir geben sie, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir bringen in Ordnung, was nicht in Ordnung war. Deshalb ist es auch so richtig, weil unsere Soldatinnen und Soldaten es verdienen, dass sie eine gute Bundeswehr haben, genauso wie die Bürgerinnen und Bürger des Landes; denn es geht um Sicherheit, und wir haben die Verantwortung, die Sicherheit unseres Landes und unseres Bündnisses zu gewährleisten. ({99}) Herr Merz, Sie haben darüber berichtet, dass hier, als ich das sagte, auch aus den Reihen Ihrer Fraktion Beifall geklatscht wurde. Dafür bedanke ich mich, wie ich mich übrigens ernstlich dafür bedanke, dass es möglich war, hier konstruktiv das Ergebnis zu verhandeln. Ich möchte mich auch bei allen, die mitverhandelt haben, intensiv bedanken, weil ich weiß: Es geht immer auch um konkrete Personen, die in der Lage sind, das zu tun, was notwendig ist. ({100}) Aber das will ich an dieser Stelle doch auch sagen: So zu tun, als wäre das jetzt alles schon passiert, weil vor drei Monaten die Rede gehalten wurde, ist ein Irrtum. Das ist die größte Veränderung der sicherheitspolitischen Architektur dieses Landes, und ich bin stolz, dass wir, dass diese Regierung sie auf den Weg bringen kann. Ich bin dankbar, dass die Opposition dabei hilft. ({101}) Eins will ich hier noch kurz sagen, weil das für mich wichtig ist: Internationale Solidarität ist keine Einbahnstraße. ({102}) Deshalb habe ich sehr bewusst die aufstrebenden Demokratien des Globalen Südens – Indien, Indonesien, Südafrika, Senegal und Argentinien – als Partnerländer zum G‑7-Gipfel in Elmau eingeladen. Denn es darf uns nicht passieren, dass wir diese Länder als Bündnispartner verlieren. Und das ist ja eine große Gefahr angesichts der Auswirkungen dieses Krieges, der Gefahren von Hunger und für die Sicherheit und Energieversorgung dieser Länder. Deshalb ist es wichtig, dass wir darüber nicht hinwegsehen. Der Krieg ist aus der Perspektive mancher dieser Länder ganz weit weg, aber die Konsequenzen sind ganz nah. Wir müssen ihnen helfen, und das werden wir in größter Solidarität tun, und gleichzeitig werden wir die Botschaft aussenden, die auch in jedem Gespräch ausgesandt werden muss: Es ist Putins Krieg, der diese Krise verursacht, und nichts anderes. ({103}) Zum Schluss: Wir leben mit einer Herausforderung, wie sie die Bundesrepublik Deutschland noch nicht in dieser Art gekannt hat. Wir müssen etwas dafür tun, dass wir in dieser besonderen Situation auch besonders handeln, und das drückt dieser Haushalt aus. Das sind nicht meine Worte, sondern die Worte meiner Vorgängerin aus dem Jahr 2020. Seinerzeit hat die Bundeskanzlerin damit eine Neuverschuldung begründet, die deutlich höher lag als die Neuverschuldung im aktuellen Haushaltsentwurf. ({104}) Anders als damals haben wir es heute allerdings nicht nur mit der Pandemie und ihren Folgen zu tun, sondern zusätzlich mit einem Krieg in Europa, mit einer globalen Energie- und Nahrungsmittelkrise und weltweit steigenden Preisen. In diesen unsicheren Zeiten sorgen wir mit dem Haushalt 2022 und dem Sondervermögen für die Bundeswehr für Sicherheit. Zugleich stellen wir die Weichen für den Aufbruch in die Zukunft. Das erwarten die Bürgerinnen und Bürger. Dafür steht die Bundesregierung. Dafür steht dieser Haushalt. Schönen Dank. ({105})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die AfD-Fraktion Dr. Alice Weidel. ({0})

Dr. Alice Weidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004930, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist ja schön, dass Sie sich zwischen Opposition und Regierung so gut verstehen, dass Sie zu einem Kompromiss gefunden haben. Aber uns liegen alle diese Anträge gar nicht vor. Haben wir hier geschlafen, oder haben Sie geschlafen? ({0}) Was ist hier eigentlich los? Legen Sie doch die Anträge vor, damit wir darüber hier auch vernünftig abstimmen können! ({1}) Aber zurück zum Haushalt – es ist ja eine Haushaltsdebatte –: Wenig hat Herr Merz über den Haushalt geredet. Aber dieser Haushalt ist ein Dokument der Abgehobenheit, der Realitätsverweigerung und der Ignoranz gegenüber dem Zustand des Landes und seiner Menschen. ({2}) Die Regierungskoalition maßt sich an, die Welt zu retten, die Energieversorgung für ein Industrieland im Alleingang neu zu regeln und das Klima in 50 oder 100 Jahren zu regeln; aber das eigene Land und seine Menschen werden ruiniert. Sie reden von „Zeitenwende“, aber Sie handeln nicht danach. Sie kapseln sich in Ihre ideologischen Fantastereien von Klimaschutz, Energiewende, Multikulturalismus, Diversität ein und verweigern den Blick auf die Realität. ({3}) Deutschland steckt in einer fundamentalen Wirtschafts-, Finanz- und Staatskrise, die alles bisher Dagewesene übertrifft. ({4}) Und dennoch geben Sie das Geld mit vollen Händen aus. Sie verteilen es in alle Welt: Klimamilliarden für Indien hier, Waffenmilliarden für die Ukraine da. Sie blähen den Staatsapparat noch weiter auf; Sie schaffen neue Regierungsposten und genehmigen sich großzügig noch mehr Stellen in den Ministerien und Verwaltungen. Für die eigenen Bürger und Steuerzahler bleiben dagegen nur Trostpflaster und Alibipolitik. Die Deutschen zahlen mit die höchsten Steuern und Abgaben der westlichen Welt. Sie bekommen dafür miserable Renten und einen zunehmend funktionsunfähigen Staat, ({5}) einen Staat, der immer weniger in der Lage ist, seine Kernaufgaben – die Aufrechterhaltung von Rechtsstaatlichkeit und öffentlicher Ordnung, die Gewährleistung von innerer und äußerer Sicherheit – wahrzunehmen, der sich aber immer dreister und übergriffiger in das Privatleben der Bürger einmischt, sie bevormundet und ihnen dafür immer tiefer in die Tasche greift. Die Krise, in der unser Land steckt, ist nicht vom Himmel gefallen; sie ist politisch gemacht. Inflation, Energieknappheit, explodierende Energiepreise, gestörte Lieferketten, Fachkräftemangel und überlastete Sozialkassen sind die Folge politischer Fehlentscheidungen. ({6}) Und nein, Sie können die Verantwortung dafür nicht allein auf Putins Angriffskrieg schieben. ({7}) Die Ursachen liegen tiefer. Die fatalen Fehlentscheidungen wurden früher getroffen, ({8}) und sie sind vor allem in Berlin und Brüssel gefallen. ({9}) Die galoppierende Inflation ist die Quittung für exzessives Schuldenmachen und für die Geldschwemme und Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank zur Subventionierung der Eurohochschuldenstaaten. 8 Prozent Inflation heißt: Sparguthaben, Rücklagen und Rentenansprüche sind nach sechs Jahren nur noch die Hälfte wert. Die Reallöhne sinken als Folge der Inflation. Fast 40 Prozent der Deutschen wissen gar nicht mehr, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten sollen. Was haben Sie dazu eigentlich gesagt? Was haben Sie an Lösungen angeboten? ({10}) Nichts! Noch mehr bürokratische Umverteilung ist alles, was diese Ampel anzubieten hat. Tankrabatt, 9‑Euro-Ticket, Einmalzuschüsse oder Klimageld sind teure bürokratische Strohfeuer, die nichts bringen und – ich muss es einfach so sagen – die nur Ihre eigene Unfähigkeit kaschieren sollen. ({11}) Steigende Energiepreise heizen die Inflation weiter an und treiben Mittelstand und Mittelschicht in die Verarmung. Die deutsche Energiekrise hat einen Namen: die Energiewende. Kohle- und Atomausstieg zeitgleich, Flatterstrom aus Wind und Sonne als Ersatz für eine grundlastfähige, günstige Energieversorgung, wie wir sie einmal hatten in diesem Land, und dazu als neueste Idee aus dem Hause Habeck die Beseitigung der Erdgasinfrastruktur für die Wohnungsbeheizung. Das konnte und das kann nicht gut gehen. Sie aber missbrauchen den Krieg in der Ukraine, um diesen Irrweg noch zu beschleunigen, noch mehr Geld dafür zu verbrennen und noch mehr Naturzerstörung durch monströse Windräder voranzutreiben. Die deutschen Energiekosten sind jetzt schon die höchsten aller Industrieländer, ({12}) ob mit oder ohne Ukrainekrieg. Die Energiewende ist gescheitert und muss schleunigst korrigiert werden. ({13}) Und dazu muss die Erkenntnis kommen, dass Energiesanktionen gegen Russland kontraproduktiv sind und unserem Land mehr Schaden zufügen als Russland, sehr geehrte Damen und Herren. ({14}) Durch den freiwilligen Verzicht auf Erdöllieferungen auf dem Landweg – das muss man sich mal vorstellen – gefährden Sie die Treibstoffversorgung im Osten Deutschlands und bürden den Bürgern noch höhere Energiepreise auf. Auf den drohenden Zusammenbruch der sozialen Sicherungssysteme, vor dem der Bundesrechnungshof gerade in einem Alarmbericht gewarnt hat, haben Sie ebenfalls keine Antwort. Unkontrollierte Migration löst weder Fachkräftemangel noch Demografieprobleme, und schon gar nicht, wenn man wahllos Migration von Bildungsfernen und Nichtintegrierbaren aus fremden Kulturkreisen zulässt ({15}) und sogar noch fördert. ({16}) Dagegen sind im vergangenen Jahr 1 Million Menschen aus Deutschland ausgewandert. Nicht wenige sind Hochqualifizierte, die für immer verloren sind. Diesen Braindrain nehmen Sie achselzuckend hin ({17}) und fahren fort mit der negativen Anreizsetzung für qualifizierte Arbeitnehmer. ({18}) So sieht die Politik aus. Von den Asylzuwanderern seit 2016 – Stichwort „Wir schaffen das“ – sind rund 1 Million – 1 Million! – immer noch zusätzliche Kostgänger in unserem Sozialsystem. Was tun Sie? Sie funktionieren die Hartz-IV-Leistungen durch Streichung der Sanktionsmöglichkeiten zum De-facto-Grundeinkommen um, ({19}) und Sie wollen den Zugang zu diesen Leistungen im nächsten Schritt nicht nur für ukrainische Kriegsflüchtlinge, sondern auch für alle Asyleinwanderer öffnen. Das heißt: Sie beschleunigen diesen Trend unqualifizierter Einwanderung noch. Wer dagegen 45 Jahre bei einem Durchschnittsbruttolohn von 24 000 Euro im Jahr gearbeitet hat, landet gerade auf einem Hartz‑IV-Niveau, und Sie tun nichts, um diese offensichtliche Schieflage zu beseitigen und das Rentensystem auf eine tragfähige Grundlage zu stellen. Und das ist der Offenbarungseid für die sozialdemokratisch geführte Ampelregierung. ({20}) Wir brauchen tatsächlich eine echte Zeitenwende in der deutschen Politik, und das bedeutet Abschied von ideologischen Illusionen und Konzentration der Staatsaufgaben und ‑ausgaben auf das Wesentliche. Es ist richtig und überfällig, den Aufrüstungs- und Investitionsstau der Bundeswehr mit zusätzlichen Ausgaben anzugehen. Jahrzehntelang wurde die Armee vernachlässigt und heruntergewirtschaftet. Dafür tragen Sie alle, vor allem aber Ihre Partei, Herr Merz, die Verantwortung. 16 Jahre lang hat die Union Kanzlerin und Verteidigungsminister gestellt. Da ist es schon mehr als scheinheilig, sich hier als Retter und Beschützer der Bundeswehr aufzuspielen. ({21}) Und den Soli, wie Herr Merz es hier eben dargelegt hat, umzufunktionieren als Sondersteuer zur Reparatur der eigens heruntergewirtschafteten Bundeswehr, das ist ein Schlag ins Gesicht für alle Steuerzahler. ({22}) Die Bezeichnung „Sondervermögen“ für zusätzliche Schulden ist ebenfalls irreführend. Warum nennen Sie das „Sondervermögen“? Es sind Sonderschulden. Das wäre ehrlicher. Dass diese Ausgabe im Grundgesetz verankert werden soll, um sie aus der allgemeinen Staatsverschuldung hinauszurechnen, ({23}) ist ein unnötiger und unlauterer Bilanztrick, und das wissen Sie ganz genau. ({24}) Besser wäre es – dafür steht die AfD –, überflüssige Posten aus dem Haushalt zu streichen. Wir sprechen hier von einem Rekordvolumen des Haushaltes. Streichen Sie überflüssige Posten, und konzentrieren Sie die Staatsausgaben auf das Wesentliche! Niemand kann behaupten, dass dafür keine Spielräume vorhanden wären. Der Staat hat in Deutschland nicht zu wenig Geld, sondern zu viel – das Konzept verstehen Sie vielleicht –, und er setzt bei diesen Ausgaben die falschen Prioritäten. Darum geht es doch. Der auf das Vierfache des Vor-Corona-Haushalts aufgeblasene Etat des Gesundheitsministeriums ist durch nichts zu rechtfertigen. Der überforderte Gesundheitsminister darf also weiter Milliarden nicht benötigter Impfdosen bestellen und anlasslose Massentestungen veranlassen. Unser Land hat gerade wahrhaftig andere Sorgen als die Neuauflage faktenfreier Grundrechtseinschränkungen und rechtswidriger Impfkampagnen. ({25}) Viel Geld wird ausgegeben für Zensurmaßnahmen, Meinungskontrolle – da sind Sie ja Spitzenreiter – und den sogenannten Kampf gegen rechts. Drängende echte Sicherheitsprobleme werden dagegen heruntergespielt, vor allem, wenn es sich um die importierte Kriminalität handelt. Deutschland braucht weder neue Steuern noch neue Schulden, um wieder auf die Beine zu kommen. Wir brauchen die Rückkehr zu soliden Staatsfinanzen, und das erfordert mehr als folgenlose Tweets dieses Bundesfinanzministers. ({26}) Stampfen wir lieber einige Lieblingsprojekte grüner und linker Ideologie und Klientelpolitik ein, dann haben wir auch Geld zur Entlastung der Menschen. Lassen wir den Bürgern ihr sauer verdientes Geld in ihrem eigenen Portemonnaie. Dort ist es am besten aufgehoben. ({27}) Geben wir der bürgerlichen und der unternehmerischen Freiheit wieder Vorrang statt Bevormundung und Kontrollwahn, liebe Ampelkoalition, kehren wir zurück zur Realpolitik und setzen die Interessen des eigenen Landes genau dahin, wo sie hingehören, und zwar an die erste Stelle. Ich bedanke mich. ({28})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Britta Haßelmann. ({0})

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der Rede von Herrn Merz habe ich gedacht, die Überschrift lautet „sagt einer, dessen Bundestagsfraktion und Bundesregierung 16 Jahre Verantwortung getragen haben und uns allen im Parlament und in der Gesellschaft einen Riesenberg nicht erledigter Aufgaben hinterlassen haben“, meine Damen und Herren. ({0}) Herr Merz – ich weiß nicht, wo er gerade ist, vielleicht noch im Plenum oder nach gehaltener Rede schon weg –, ein bisschen weniger Männereitelkeit, ein bisschen mehr Selbstreflexion ({1}) und vor allen Dingen, meine Damen und Herren, ein bisschen mehr gemeinsame Verantwortung angesichts dieser wirklich krisenhaften Zeit wären notwendig und wichtig und angemessen. ({2}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, seit fast 100 Tagen tobt Putins Angriffskrieg in der Ukraine. Es kann keine Aussprache geben, ohne diesem Thema eine große Relevanz, eine große Aufmerksamkeit zu widmen; denn die Lage ist dramatisch. Morde an ukrainischen Zivilistinnen und Zivilisten, Vergewaltigungen, Vertreibung, massive Menschenrechtsverletzungen durch die russische Seite sind Kriegsalltag geworden. Und die große Sorge treibt wahrscheinlich nicht nur mich, sondern uns alle um: Es gibt irgendwie eine gewisse Gewöhnung an das, an das sich niemand gewöhnen darf, nämlich an die Grausamkeit dieses Krieges. ({3}) Und dennoch hat Putin, obwohl er die Offensive in den letzten Tagen deutlich erhöht hat, seine Kriegsziele nicht erreicht. Und das liegt an der Ukraine, an der Art, wie die Ukraine durchhält, wie sie kämpft. Die Zeit läuft mit jedem weiteren Tag gegen Putin. Die Menschen in der Ukraine kämpfen und verteidigen ihr Land, ihre Demokratie, ihre Freiheit. Russland muss diesen Krieg sofort stoppen und alle Kampfhandlungen einstellen. Das ist eine wichtige Forderung Europas, aller, der Weltgemeinschaft, auch nach fast 100 Tagen Krieg, meine Damen und Herren. ({4}) Putin führt nicht nur den Krieg gegen die Ukraine, sondern auch gegen unsere gemeinsamen europäischen und internationalen Werte. Menschenrechte, Demokratie, Freiheit, Selbstbestimmung – dafür kämpft die Ukraine. Wir werden nicht akzeptieren, dass Putin die europäische Friedensordnung zerstört mit dem Recht des Stärkeren, ({5}) Grenzen zu verschieben, mit Hunger, um die Welt in Geiselhaft zu nehmen oder um das Rad der Geschichte zurückdrehen zu wollen. Und deshalb, meine Damen und Herren, darf Putin diesen Krieg nicht gewinnen. ({6}) Mir ist wichtig, an dieser Stelle noch einmal deutlich zu sagen: Wir stehen an der Seite der Ukraine. Ja, wir machen uns die daraus folgenden Entscheidungen nicht leicht. Wir nehmen die Sorgen, Nöte und Ängste vor einer Ausweitung des Krieges sehr ernst. Auch wir hadern manchmal. Auch wir wägen ab. Und ja, vielleicht könnten manche Entscheidungen auch schneller getroffen werden. Aber wir stehen an der Seite der Ukraine und sagen Ja zum Recht auf Selbstverteidigung und zu Waffenlieferungen, zu Lieferungen schwerer Waffen, zu denen wir Ja gesagt haben, die gebraucht werden, dringend gebraucht werden und die zugesagt sind und auf den Weg gebracht werden, meine Damen und Herren. ({7}) Wir sagen Ja zu weiteren Sanktionen und zum Ende der Nutzung fossiler Energien aus Russland. Es ist wichtig, dass der Beschluss zum Ölembargo endlich kommt. Er hat lange gedauert, aber jetzt ist er da. Die Rolle Ungarns ist unrühmlich; das wissen wir alle. Aber wir werden die Ukraine jetzt weiter unterstützen beim Wiederaufbau und bei ihrem Weg in die Europäische Gemeinschaft. Das ist klar, und auch dieses Signal ist eindeutig von uns hier im Parlament ausgegangen. ({8}) Und auch hier kommen wir jetzt zu der Frage, dass Deutsche eine besondere Verantwortung für den Frieden in Europa tragen. Herr Merz, es darf doch nicht Ihr Ernst sein: ein Soli für die Bundeswehr. Nach 16 Jahren Regierungsverantwortung, die Gott sei Dank vorbei sind, ({9}) fordern Sie einen Soli für die Bundeswehr – nachdem Sie die Bundeswehr mit allen Entscheidungen aller Verteidigungsminister der CDU/CSU in den letzten 16 Jahren so abgewirtschaftet haben. ({10}) Ich hätte mir mehr Verantwortung von Ihnen gewünscht. Das ist klar und eindeutig. Wir Deutsche tragen eine besondere Verantwortung für Frieden in Europa. Unsere Nachbarn und Verbündeten schauen auf uns, erwarten Klarheit, Entschlossenheit und gemeinsames Handeln. Und auch deshalb ist es wichtig, dass dieser für uns nicht einfache Kompromiss zum Sondervermögen jetzt gelungen ({11}) und ausgehandelt ist. Ein Scheitern wäre keine Option gewesen, meine Damen und Herren, und das wissen alle. Auch wenn die grüne Bundestagsfraktion ganz klar gesagt hat, dass die vorliegende Fassung des Kabinetts die bessere Grundlage gewesen wäre, ({12}) war aber klar: Wir brauchen eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Deshalb ist es wichtig und richtig, dass es hier zu einem Ergebnis gekommen ist. Ich nehme zur Kenntnis, dass Leute wie Manfred Weber weiter sind als Ihre ganze Fraktion und allen voran Ihr Vorsitzender. ({13}) Denn er drängt jetzt auf die europäische Verteidigung und die Cyberabwehr, was wir eigentlich verankern wollten, und das nicht einfach nur benannt im Text, sondern durch Geld hinterlegt. Das fällt manchen jetzt sehr spät ein. Wir Grüne fordern seit Monaten eine Cybersicherheitsstrategie, mehr Geld für den Zivilschutz. ({14}) An uns wird es nicht scheitern. ({15}) Das ist dringend notwendig, und dieser erweiterte Sicherheitsbegriff, was die Bündnisfähigkeit angeht, ist dringend notwendig. ({16}) Sie sind weit, weit hinter der aktuellen Debatte in Deutschland und in Europa, meine Damen und Herren. ({17}) Die Einigung unterstreicht, dass Notlagen eine Einigung zum Sondervermögen außerhalb der Schuldenbremse dann doch möglich machen. Wir haben gerade gehört, was Herr Merz zur Schuldenbremse gesagt hat. Wir haben auch gehört, was er zum Sondervermögen gesagt hat. Schlüssig ist das alles nicht, meine Damen und Herren. ({18}) Jetzt sind wir in der Lage, ein Sondervermögen aufzubauen: für die Bundeswehr geht’s, der EKF – also der Energie- und Klimafonds mit 60 Milliarden Euro – wird beim Bundesverfassungsgericht beklagt. Gleichzeitig lässt man ihn aber stehen und nimmt ihn zur Deckung sämtlicher Projekte der Union. So funktioniert Haushaltsberatung à la CDU/CSU, meine Damen und Herren. ({19}) Aber wir stehen vor ganz anderen Herausforderungen, als uns jetzt mit der Union zu beschäftigen. Auf dem weiteren Weg werden wir hier im Haus, hier in unserem Land darüber diskutieren müssen, wie wir unserer Verantwortung besser gerecht werden: bei der Wahrung von Frieden und Sicherheit, beim Schutz der Menschenrechte, bei der globalen Entwicklung, beim globalen Klimaschutz. Ich bin dankbar, dass Annalena Baerbock hier erste Wegmarken gesetzt hat mit der nationalen Sicherheitsstrategie. Ich bin auch dankbar, dass Robert Habeck in den letzten Tagen klar gesagt hat, dass Investitionsgarantien verweigert werden, nachdem deutlich wurde, welche gravierenden Menschenrechtsverletzungen in China an den Uiguren begangen werden. ({20}) Es ist deutlich geworden: Es ist an der Zeit, klare Haltung, einen klaren Kompass und entschlossenes Handeln zu zeigen – hier und jetzt. Das tun wir in dieser Woche und unterstreichen das nicht nur durch die sehr schwierige Debatte zum Sondervermögen, sondern auch durch die Entlastungspakete und den Haushalt, die wir jetzt auf den Weg bringen, gemeinsam als Ampel. ({21}) Meine Damen und Herren, viele Menschen im Land spüren, dass die Krisen groß sind, dass es eine gemeinsame Verantwortung bräuchte, mehr gemeinsame Verantwortung bräuchte, um diese Krisen zu bewältigen. Jeder in seinem Lebensalltag spürt es – an der Kasse im Supermarkt oder bei der Nebenkostenabrechnung. Und in dem Kontext: Da Olaf Scholz vorhin die konzertierte Aktion angesprochen hat: Was ist das angesichts dieser Lage für ein Signal, wenn ein großer Wohnungsbaukonzern heute ankündigt, die Mieten zu erhöhen? Ist das das Signal einer sozialen Marktwirtschaft? Nein, das ist es nicht, meine Damen und Herren. ({22}) Wir haben zwei große Entlastungspakete auf den Weg gebracht als Ampelkoalition. Viele Maßnahmen wie etwa das 9‑Euro-Ticket greifen ab heute. 7 Millionen verkaufte Tickets! Meine Damen und Herren, Sie sehen: Die Menschen wollen, dass es Angebote im öffentlichen Personennahverkehr gibt. Wenn sie bezahlbar sind, dann werden sie auch genutzt. Das ist eine Riesenchance für uns, hier umzusteuern, was auch seit Jahren dringend notwendig ist. ({23}) Wir helfen mit den Entlastungspaketen gezielt von Armut betroffenen Kindern mit einem Sofortzuschlag von 20 Euro und Erwachsenen in der Grundsicherung mit einer Einmalzahlung von 200 Euro. Jede Familie erhält für jedes Kind 100 Euro, und es wird ein einmaliger Heizkostenzuschuss in Höhe von 270 Euro ausgezahlt. ({24}) In der Breite entlasten wir mit der Anhebung des Grundfreibetrags, der Energiepreispauschale oder dem 9‑Euro-Ticket. ({25}) Allein in diesem Jahr sind das Entlastungen der Bürgerinnen und Bürger von weit über 30 Milliarden Euro. ({26}) Meine Damen und Herren, das ist ein wichtiges Signal in Krisenzeiten an die Bürgerinnen und Bürger, und ich bin froh, dass wir das als Ampel gemeinsam auf den Weg bringen. ({27}) Corona, Putins Angriffskrieg, die Klimakrise und die notwendige soziale und ökologische Transformation: Wir haben Verantwortung in dieser Krise übernommen und tun unser Möglichstes, und das mit aller Ernsthaftigkeit. Wir wissen aber auch, dass wir an vielen anderen Stellen dranbleiben müssen, dass wir da liefern müssen. Eine Vielzahl von Herausforderungen drängt zum Handeln. Da ist auch der Berg nicht erledigter Aufgaben, den uns die Union in 16 Jahren hinterlassen hat, der uns jetzt drängt, meine Damen und Herren. ({28}) Die unmittelbaren Entlastungen sind das eine. Die Ampel bringt nötige strukturelle Veränderungen auf den Weg: die Abschaffung der EEG-Umlage oder die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns – alles sehr wichtige sozialpolitische Maßnahmen, um die notwendige Transformation zu begleiten. Das ist ein wichtiges Signal an die Bürgerinnen und Bürger. Weitere strukturelle Reformen liegen vor uns. Jedes fünfte Kind lebt in Armut. Die Kindergrundsicherung muss eingeführt werden. Wir haben Riesenlücken sowohl bei der Frage der Zukunft der Rentenversicherung als auch bei der Frage der Gesundheitsversorgung und der Pflegeversicherung übernommen. ({29}) Und da kommen Sie und fordern diese Regierung auf, bei der Rente was zu tun? ({30}) Wo waren Sie eigentlich die letzten 16 Jahre, meine Damen und Herren? ({31}) – Ja, es ist schwer für Sie; ich weiß das. ({32}) Strukturreformen sind notwendig. Die Lücke in der GKV von 20 Milliarden Euro haben Sie verursacht und nicht wir. ({33}) Die ist jetzt da, und damit müssen wir uns befassen. ({34}) Daher erwarte ich von Ihnen mehr, als zu sagen: Bringen Sie mal ein paar Vorschläge zur Rente. – Wo leben Sie denn, Herr Merz? ({35}) Sie waren 16 Jahre nicht da, aber es ist doch Ihre Aufgabe. ({36}) – Ja, das ist auch Ihre Aufgabe. ({37}) Denn wenn Sie Verantwortung tragen in dieser Situation und in dieser Krise, dann ist es Ihre Aufgabe, diese Krisenbewältigung mitzutragen. ({38}) Diese Erwartungen habe ich an Sie als demokratische Fraktion, meine Damen und Herren. ({39}) Meine Damen und Herren, all das, was an notwendigen Strukturreformen wirklich vor uns liegt, in Fragen der ökologischen Transformation, in Fragen der sozialen Transformation, ist nicht durch ein halbes Jahr Regierung mal eben zu regeln. Und deshalb habe ich auch gerade, Herr Merz, an Ihre Verantwortung appelliert. Ich meine das ganz ernst. Bei ganz großen gesellschaftlichen Aufgaben sollten auch Sie Verantwortung tragen. Denn wir sind zum Teil in dem Schlamassel, weil Sie ihn nicht bewältigt haben, weil Sie weggeguckt haben. Das betrifft zum Beispiel gerade die Bekämpfung der Klimakrise. Wo waren Sie denn die letzten 16 Jahre? ({40}) Wir haben alle gewusst, dass ein Umsteuern dringend notwendig gewesen wäre. Der Ausbau der erneuerbaren Energien wurde blockiert, die Energieeffizienz nicht vorangebracht, die Energieeinsparung auch nicht. ({41}) Nein, Sie haben uns in diese zementierte Abhängigkeit von fossilen Energien reingebracht mit Ihren Entscheidungen. ({42}) Deshalb liegen gerade viele große Baustellen vor uns. Wir können doch nicht darüber hinwegsehen, was in Indien, was in Pakistan passiert. Wir können nicht über die Hitzerekorde, die Dürre, die Wetterextreme – selbst bei uns – hinwegsehen. Wir erleben dramatische Folgen, und wir haben vor allen Dingen vom Bundesverfassungsgericht ganz klar als Aufgabe für das Parlament gesetzt bekommen – auch Sie –: Die Bekämpfung der Klimakrise, die Frage der künftigen Generationen und ihrer Freiheit ist bei allen künftigen Entscheidungen zu wahren und zu beachten. ({43}) Das ist unser Auftrag, und den haben Sie 16 Jahre verweigert. Also blasen Sie heute mal die Backen nicht so auf, sondern machen Sie mit! Das wäre angesagt. ({44}) Meine Damen und Herren, wenn ich an diese ganzen, wirklich relevanten und großen Veränderungen denke, dann ist doch klar, dass das nicht durch ein paar Einsparungen hier oder da oder zwei Bekenntnisse zur Schuldenbremse zu regeln ist. Wir sind in einer Notlage, und wir werden überlegen müssen, wie wir aus dieser Notlage mit Zukunftsinvestitionen rauskommen. ({45}) Das ist die zentrale Frage, meine Damen und Herren, und darum geht es hier und heute und für die Zukunft. Wir haben im Bereich der internationalen Verpflichtungen eine Menge Akzente gesetzt in diesem Haushalt. Aber bei einem Eins-zu-eins-Prinzip sind wir noch nicht, und deshalb geht es auch um die globale Verantwortung für uns alle. Darüber wird weiter zu diskutieren sein. Ich halte es für dringend geboten, dass es in den nächsten Monaten mit klarem Kompass, klarer Haltung und entschlossenem Handeln für die Zukunft weitergeht. Vor uns liegen klare Aufgaben, die anzugehen sind. Machen Sie mit! Entscheiden Sie sich dafür, auch Verantwortung zu übernehmen! Sie müssten sie eigentlich spüren aus den letzten 16 Jahren Untätigkeit. ({46})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Amira Mohamed Ali. ({0})

Amira Mohamed Ali (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004823, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! 38 Prozent der Menschen in Deutschland fällt es zunehmend schwer, die Dinge des täglichen Bedarfs zu bezahlen, man kann nicht mehr von einer Minderheit sprechen. Das sagte Anja Kohl vorgestern in der Sendung „Börse vor acht“. Butter kostet inzwischen über 3 Euro, Sonnenblumenöl 5 Euro, Milch im Discounter schon 1,20 Euro. Frisches Obst und Gemüse werden zunehmend zum Luxusgut. „Eine solche Preissteigerung habe ich seit langer Zeit nicht mehr erlebt“, das sagte mir neulich eine 93‑jährige Dame aus meinem Wahlkreis. Zum Glück fahre sie kein Auto mehr, sagte sie; die Spritpreise heute könnte sie mit ihrer kleinen Rente nicht bezahlen. Das 9‑Euro-Ticket hält sie für eine gute Idee. Aber dort, wo sie wohnt, da fährt fast kein Bus. Und, nichts für ungut: Wenn man sich das Chaos bei der Umsetzung mal anschaut, dann könnte man meinen, Andi Scheuer sei noch im Amt. ({0}) Von den 300 Euro Energiepauschale wird sie als Rentnerin auch nichts sehen – anders übrigens als die Ministerinnen und Minister der Bundesregierung. Auch Sie, Herr Scholz, bekommen die Energiepauschale – die alte Dame nicht. ({1}) Wie abgehoben kann man eigentlich sein! Das ist doch wirklich ein Skandal. ({2}) Und da wundern Sie sich, dass viele Leute nicht mehr zur Wahl gehen? Weil sie das Vertrauen in Politik verloren haben. Solche Gesetze treiben die Spaltung der Gesellschaft voran, Herr Scholz; das müssen doch auch Sie inzwischen mal merken. ({3}) Wir haben seit über zwei Jahren mit den Auswirkungen der Coronapandemie zu kämpfen. Viele Menschen sind ausgelaugt. Die Bundesregierung hat immer noch keinen Plan. Herr Lauterbach fürchtet ja, dass im Herbst die Infektionszahlen wieder nach oben gehen könnten. Sind wir darauf eigentlich vorbereitet? Gibt es inzwischen zum Beispiel genug Personal in den Krankenhäusern? Ich werde es Ihnen sagen: Nein – woher soll es auch kommen! Sie haben nichts, aber auch gar nichts an den schlechten Arbeitsbedingungen der Pflegerinnen und Pfleger verbessert. Nicht mal den Pflegebonus haben alle bekommen. Aber von nichts kommt nun mal nichts, Herr Lauterbach. ({4}) Viele Menschen blicken mit großer Sorge in die Zukunft. So unsicher wie jetzt war das Leben hierzulande lange nicht mehr. Zwei Flugstunden von uns entfernt tobt Putins Krieg in der Ukraine. Seit über drei Monaten sterben dort Tag für Tag Menschen. Tausende sind auf der Flucht. Die weitere Entwicklung und auch die Auswirkungen sind vollkommen ungewiss. Außerdem geht der Klimawandel weitgehend ungebremst voran. Auch er befördert die soziale Spaltung hierzulande und in der Welt. Fakt ist: Diese Bundesregierung gibt keine sozialen Antworten auf die Krisen unserer Zeit, und das geht so nicht, Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Beginnen wir mit den steigenden Lebenshaltungskosten. Hier braucht es dringend eine wirksame staatliche Preisaufsicht für Lebensmittel und Energie, damit Schluss ist mit den Mondpreisen. ({6}) Es braucht Direktzahlungen, die die realen Preissteigerungen auch wirklich abfedern. ({7}) Es braucht einen Schutzschirm für betroffene Unternehmen und Beschäftigte, gerade im Hinblick auf das bevorstehende Ölembargo, das die Lage ja deutlich verschärfen wird. Es braucht eine echte Offensive zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, besonders in Ballungsgebieten; denn Wohnraum darf kein Luxus sein. Das ist ein Menschenrecht. ({8}) Und ja, wir brauchen entschlossene Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel. Aber dafür muss man auch bereit sein, in Klimaschutz zu investieren, in die notwendige Transformation, vor allem in die Dekarbonisierung der Wirtschaft, in erneuerbare Energien zu investieren. All das muss aber auch einhergehen mit klaren Perspektiven und einer Sicherung von Arbeitsplätzen. Klimaschutz kann nur gelingen, wenn er sozial gerecht ist; das ist die Wahrheit. ({9}) Aber was macht stattdessen die Bundesregierung? Für keines der aufgezeigten Probleme sind im Haushalt auch nur ansatzweise genügend Mittel eingestellt. Im Bereich „sozialer Wohnungsbau“ wissen Sie ja nicht mal, wie viel Mittel Sie einstellen müssten, um Ihre Zahl von 100 000 Sozialwohnungen pro Jahr zu erreichen; das hat eine Anfrage meiner Kollegin Caren Lay aufgedeckt. Das ist doch wirklich ein Skandal. ({10}) Für die explodierenden Energiekosten gibt es löchrige Entlastungspäckchen – die realen Mehrkosten werden nicht mal im Ansatz ausgeglichen. Einmalig bis zu 300 Euro! Das ist lächerlich. Studierende sowie Rentnerinnen und Rentner gehen, wie gesagt, komplett leer aus. Das ist einfach unerhört! Hubertus Heil will jetzt mit einem sozial gestaffelten Klimageld nachbessern. Schön! Aber davon müssen Sie, Herr Heil, erst mal Ihr eigenes Kabinett überzeugen; da kommt ja jetzt schon eine Menge Gegenwind. Und selbst wenn das kommen sollte, dann frühestens Anfang nächsten Jahres. In welcher Höhe? Keiner weiß es. Das ist doch wirklich absurd, Kolleginnen und Kollegen. ({11}) Bei all dem fragt man sich doch zu Recht: Für wen machen Sie eigentlich Politik, meine Damen und Herren von der Ampel? Für die 38 Prozent der Menschen in unserem Land, die kaum noch über die Runden kommen, sicher nicht. Aber es gibt durchaus Leute, die von Ihrer Politik profitieren. Die Aktionäre von Energiekonzernen zum Beispiel freuen sich gerade über Rekordgewinne. Der Ölmulti Shell hat gerade verkündet, dass seine Gewinne um 43 Prozent gestiegen sind. Man könnte diese krassen Krisengewinne steuerlich abschöpfen. Das macht Italien zum Beispiel. Wir haben das als Linke hier mehrfach eingebracht. Mit diesen steuerlichen Mehreinnahmen könnte man die Menschen entlasten. Aber das scheint für Sie unvorstellbar. Ich finde das unglaublich. ({12}) Wissen Sie, alle Superreichen in Deutschland können sich darauf verlassen, dass diese Bundesregierung ihnen unter keinen Umständen an das prall gefüllte Bankkonto geht, und zwar egal, wie groß die Not ist. Denn wo ist sie, die Vermögensteuer, liebe SPD, liebe Grüne? Im Wahlkampf waren Sie doch noch voll dafür, da haben Sie noch verstanden, dass zum Beispiel der Lidl-Chef Schwarz, dessen Vermögen in einem Jahr um sage und schreibe 16 Milliarden Euro gestiegen ist, selbstverständlich einen angemessenen Anteil davon fürs Gemeinwohl zurückführen müsste. Aber seit Sie in der Regierung sind, kein Wort mehr von einer Vermögensteuer! Und bei wem knallen in diesen Wochen die Sektkorken so richtig? Genau: bei den Aktionären der Rüstungskonzerne; weil Sie an diesem Freitag allen Ernstes unser Grundgesetz ändern wollen, um ein 100 Milliarden schweres Aufrüstungsprogramm hineinzuschreiben. Seit der bloßen Ankündigung dieses Aufrüstungsprogramms ist der Aktienkurs von Rheinmetall bereits um 100 Prozent gestiegen. Merken Sie was? 100 Milliarden Euro für Rüstung! ({13}) Und das, obwohl der Wehretat bereits heute bei 50 Milliarden Euro pro Jahr liegt. Er ist Jahr für Jahr gestiegen. Es ist einfach falsch, zu behaupten, dass da abgewirtschaftet wurde. Jahr für Jahr ist er angestiegen. Trotzdem behaupten Sie, die 100 Milliarden wären notwendig, um die Bundeswehr fitzumachen. Um es mal klar zu sagen: Natürlich muss die Bundeswehr in der Lage sein, ihren grundgesetzlichen Auftrag – die Landesverteidigung – zu erfüllen. Aber dass sie das heute nicht kann, das liegt nicht an zu wenig Geld. Auch der Bundesrechnungshof sagt, man müsse klären, ob nicht andere Gründe ursächlich sind für die mangelnde Einsatzbereitschaft, zum Beispiel strukturelle Defizite ({14}) bei der Organisation der Bundeswehr. Wir wissen doch, dass es ein eklatantes Missmanagement gibt, und das ist auch der Grund für die Probleme, nicht zu wenig Geld. Das ist die Wahrheit. ({15}) Um es ganz klar zu sagen: Dieses Sondervermögen ist gegenüber den Millionen Menschen in unserem Land, die existenzielle Sorgen und Nöte haben, einfach eine Unverschämtheit; ich kann das nicht glauben. ({16}) Aber auch friedenspolitisch ist es verheerend. Eine Aufrüstungsspirale macht die Welt nicht friedlicher – das wissen wir doch –, das Gegenteil ist der Fall. Dass die Union und die FDP mit so einer Politik keine Probleme haben, ist keine Überraschung. Aber, Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie kommen aus der Tradition von Willy Brandt. Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie kommen doch aus der Friedensbewegung. ({17}) 100 Milliarden Euro für Aufrüstung ins Grundgesetz schreiben, das ist doch Irrsinn. Machen Sie da doch nicht mit! ({18}) Übrigens – das möchte ich auch einmal sagen –: Gegen Waffenlieferungen in Kriegsgebiete zu sein, insbesondere gegen die Lieferung schwerer Waffen, das hat nichts mit Pazifismus zu tun – wie Herr Habeck das hier vor Kurzem einmal dargestellt hat –, es hat etwas mit Vernunft zu tun. Russland ist die größte Atommacht der Welt. Mit militärischen Mitteln ist dieser Krieg nicht zu gewinnen. Es braucht Deeskalation, es braucht Diplomatie, es braucht wirksame Sanktionen gegen die russische Führung, ({19}) gegen die mächtigen Oligarchen, damit der Krieg möglichst schnell endet. Da sind die Mittel längst noch nicht ausgeschöpft, und das wissen Sie auch. ({20}) – Ja, ich weiß, das hören Sie ungern; es ist aber die Wahrheit. Herr Lindner, Sie haben versprochen, unter Ihnen als Finanzminister werde es keine neuen Schulden geben. Was Sie hier aber irreführend als „Sondervermögen“ bezeichnen, ist in Wirklichkeit nichts anderes, es sind neue Schulden, plötzlich geht das. Für alles andere soll aber ab 2023 die Schuldenbremse wieder gelten, diese Schuldenbremse, wegen der es seit Jahren immer wieder heißt, es sei kein Geld da, die Schuldenbremse, wegen der Städte und Gemeinden immer öfter Schwierigkeiten haben, öffentliche Schwimmbäder, Bibliotheken, Jugendklubs oder sogar Frauenhäuser offenzuhalten, die Schuldenbremse, wegen der es bei Straßen, Brücken und Schienennetz einen verheerenden Investitionsstau gibt – von schnellem Internet will ich gar nicht anfangen. Herr Lindner sagt: „Wir müssen an unsere Kinder und Enkel denken“; deshalb bräuchte es die Schuldenbremse. ({21}) Aber das ist volkswirtschaftlich leider völliger Unsinn; denn selbst die sprichwörtliche schwäbische Hausfrau, die Angela Merkel damals als Kronzeugin für die Einführung der Schuldenbremse bemüht hat, als Sinnbild für eine ordentlich wirtschaftende Person, würde einen Kredit aufnehmen, um ihr kaputtes Dach zu sanieren, statt es einfach reinregnen zu lassen, insbesondere in Nullzinszeiten. ({22}) Ja, wir müssen an unsere Kinder und Enkel denken. Deshalb dürfen wir ihnen kein verfallendes Haus hinterlassen. Das ist doch die Wahrheit, Kolleginnen und Kollegen! ({23}) Wir brauchen Investitionen für unsere Zukunft, zum Beispiel für den konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien. Herr Habeck, meinten Sie das eigentlich mit „progressiver Politik“, wenn für Aufrüstung 100 Milliarden Euro bereitgestellt werden, die Investitionen in erneuerbare Energien aber unter dem Vorbehalt der Schuldenbremse stehen oder wenn Sie Ihre Umweltziele einfach aufgeben und sich für Fracking-Gasterminals einsetzen oder wenn Sie zulassen, dass das Weltnaturerbe Wattenmeer durch Gasbohrungen gefährdet wird? Wie erklären Sie das eigentlich Ihren Wählerinnen und Wählern? Das ist mir ein Rätsel. Ich denke, es ist klar geworden, warum wir diesem Haushalt nicht zustimmen können. Er ist nicht sozial und zutiefst ungerecht, und dazu können wir als Linke niemals Ja sagen. Vielen Dank. ({24})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Christian Dürr. ({0})

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Jahr 2022, also der Start dieser Regierungskoalition, steht unter Vorzeichen, die wir uns vor fast genau einem halben Jahr, während der Koalitionsverhandlungen, nicht hätten vorstellen können. Nicht nur spüren wir die wirtschaftlichen und sozialen Nachwirkungen des Höhepunktes der Coronapandemie; das alles rückt ja in den Hintergrund angesichts des Angriffskrieges Russlands in der Ukraine und der schrecklichen Bilder, die wir von dort täglich sehen. Die Zerstörung und das Leid, das wir dort sehen, sind schrecklich, und jegliche Unterstützung, die wir leisten, ist richtig und notwendig. Ich möchte daher an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen: Egal was wir tun, wir dürfen uns an die Bilder aus der Ukraine nicht gewöhnen, meine Damen und Herren. Wir dürfen uns an diese Bilder nicht gewöhnen! ({0}) Wir reagieren, indem wir eng an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer stehen, die auch für die europäische Freiheit kämpfen. Wir unterstützen finanziell ganz konkret den ukrainischen Staat, damit er weiterhin funktioniert. Ganz konkret: In diesem Bundeshaushalt, abgestimmt mit den G 7, stellen wir 1 Milliarde Euro deutsches Steuergeld zusätzlich zur Verfügung, um die Funktionsfähigkeit des ukrainischen Staates aufrechtzuerhalten. Auch das ist ein wichtiges Signal dieser Haushaltsberatung, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Wir schaffen etwas Weiteres mit diesem Bundeshaushalt – es ist ja auch schon viel über Stellen gesprochen worden –: ({2}) Beim Generalbundesanwalt, der der Dienstaufsicht des Bundesjustizministers untersteht, schaffen wir Stellen für die Verfolgung von Kriegsverbrechen. ({3}) Diese Kriegsverbrechen in der Ukraine dürfen nicht ungesühnt bleiben; auch die deutschen Strafverfolgungsbehörden werden die Täter verfolgen. Wenn wir also über den Bundeshaushalt von diesem Jahr sprechen, sprechen wir über veränderte Gegebenheiten, über eine geopolitisch andere Welt als noch vor gut drei Monaten. Hier steht ja insbesondere das Sondervermögen für die Bundeswehr im Fokus. Der Bundeskanzler hat das hier am 27. Februar vorgeschlagen. Ich bin dem Bundesfinanzminister für seine Verhandlungsführung ausdrücklich dankbar; ich bin ihm dankbar, dass er die CDU/CSU-Bundestagsfraktion davon abgehalten hat, hier am Freitag einen absurden Abzählreim durchzuführen. Wir schaffen es mit diesem Sondervermögen, die Bundeswehr endlich so auszustatten, wie sie ausgestattet werden muss, wie eine moderne Armee ausgestattet werden muss. Das wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten sträflich vernachlässigt. ({4}) Das dient nicht nur unserer eigenen Sicherheit, sondern das sind wir am Ende den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr schuldig, um das auch klar zu sagen. ({5}) Ein zweiter Punkt, der mir im Zusammenhang mit dem Sondervermögen wichtig ist: Wir weichen nicht von der Schuldenbremse ab. Wir schleifen nicht die Schuldenbremse im Grundgesetz, sondern wir werden dieses Sondervermögen, das speziell der Bundeswehr zur Verfügung steht, am Freitag mit Zweidrittelmehrheit beschließen. Vor allen Dingen, Herr Kollege Merz: Wir erhöhen nicht die Steuern. Ich war mir heute Morgen sicher, dass der Oppositionsführer erneut viele Fragen stellen wird, ohne eigene Konzepte vorzulegen. Aber an einer Stelle haben Sie mich blank überrascht – damit war nicht zu rechnen –: ({6}) Sie werfen der SPD vor, sie hätte den Soli abschaffen müssen, damit Sie als CDU/CSU jetzt ernsthaft den Vorschlag machen können, den Soli für alle Menschen wieder einzuführen. Wie absurd ist das denn, meine Damen und Herren? Das ist die neue finanzpolitische Kompetenz der CDU/CSU in Deutschland. Absurd! Was für ein absurder Vorschlag! Ich hätte es mir nicht träumen lassen. ({7}) Herr Merz, diese Bundesregierung, diese Koalition, ist mit einer doppelten Hypothek der 16-jährigen unionsgeführten Bundesregierungen gestartet. ({8}) Erstens: eine vernachlässigte Bundeswehr. Ich sprach gerade darüber. Zweitens: eine sehr gefährliche Abhängigkeit von Russland bei Energie. Deshalb ist das im Koalitionsvertrag verankerte Thema Planungsbeschleunigung – wir wollen die Planungsbeschleunigung in Deutschland so voranbringen, dass wir die Planungs- und Genehmigungszeiten halbieren – dringlicher denn je. Hier sind wir in der letzten Sitzungswoche mit dem Ausbau von LNG-Terminals einen ersten Schritt gegangen, einen ersten wichtigen Schritt. Ich schlage vor, dass wir genau daran anknüpfen. Wir reden darüber, dass die Wirtschaft in den nächsten Jahren massive Investitionen tätigen muss. Das darf nicht Jahrzehnte dauern, sondern da brauchen wir schnelle Verfahren in allen Bereichen der Wirtschaft und der Industrie in Deutschland, aber auch bei den Infrastrukturvorhaben des Staates, meine Damen und Herren. Das, was wir hier vorgeschlagen haben, das, was wir beim Thema LNG-Terminals mit dem Ziel der Energieunabhängigkeit durch den Deutschen Bundestag gebracht haben, ist ja geradezu eine Blaupause für weitere Projekte, um die Transformation der Wirtschaft nach vorne zu bringen. Kaum ein anderes Land der Welt – ich will das zum Thema Klimaschutz an der Stelle sagen – hat in den letzten Jahrzehnten so viel Geld für Klimaschutz ausgegeben, aber so wenig beim Klimaschutz erreicht. Das müssen wir umdrehen. Wir brauchen Planungsbeschleunigung auch, damit wir energieunabhängig werden und endlich den Klimaschutz in Deutschland und die Transformation unserer Volkswirtschaft entsprechend voranbringen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({9}) Diese Ampelkoalition ist ja angetreten, um das Leben der Menschen in Deutschland zu verbessern. ({10}) Das mag erst pathetisch klingen; aber das ist jetzt sehr konkret, Herr Merz. Denn das, was wir jetzt sehen, ist, dass die letzten Wochen und Monate für viele Menschen sehr, sehr hart gewesen sind und dass es leider wahrscheinlich nicht einfacher wird. Ich denke an die Millionen Familien mit kleinen Einkommen, die die gestiegenen Preise jetzt sehr deutlich spüren und dennoch alles dafür tun, damit ihre Kinder alles bekommen, was sie brauchen. Ich denke an die Gastronomen in unserem Land, die erst unter der Pandemie gelitten haben und jetzt unter einem enormen Personalmangel leiden. Ich denke an die vielen Handwerksbetriebe, die weiterhin junge Menschen ausbilden und jeden Tag auf die Lieferwagen und ihre Transporte angewiesen sind. Ich finde es daher richtig, dass wir es in den letzten Wochen geschafft haben, so viele Entlastungen auf den Weg zu bringen, um all diese Menschen zu erreichen. Wir haben den Kinderbonus erhöht, die Heizkostenpauschale erhöht und die Einmalzahlung in Höhe von 100 Euro für Transferempfänger, die Energiepauschale in Höhe von 300 Euro für alle Erwerbstätigen, die Einführung des 9‑Euro-Tickets – das wurde gesagt – sowie die Senkung der Steuern auf Benzin und Diesel beschlossen. Wir erhöhen bei der Einkommensteuer dauerhaft und rückwirkend zum 1. Januar 2022 den Grundfreibetrag, den Arbeitnehmerpauschbetrag und die Pendlerpauschale. Meine Damen und Herren, wir werden für die Unternehmen in Deutschland den steuerlichen Verlustrücktrag dauerhaft ausweiten, was ich damals noch als Haushalts- und Finanzpolitiker in der Opposition immer gefordert habe. Mit dem, der in der Vergangenheit als Unternehmer in Deutschland solidarisch mit dem Steuerstaat war, weil er – oder sie – Steuern auf Gewinne gezahlt hat, muss jetzt auch der Steuerstaat in schwierigen Zeiten solidarisch sein. Das macht diese Regierungskoalition, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({11}) Wir entlasten gezielt und reagieren angemessen auf die aktuelle wirtschaftliche Lage und die hohe Belastung der Menschen in diesem Land. Heute tritt die Senkung der Energiesteuer in Kraft, um die Pendlerinnen und Pendler zu entlasten. Ich habe die ersten Meldungen dazu gesehen. Obgleich noch altes Benzin und alter Diesel in den Tanks ist, als die Steuersätze noch höher waren, sinken glücklicherweise heute Morgen die Preise an den Tankstellen. Wir müssen die Menschen im ländlichen Raum weiter im Blick behalten. 60 Prozent der Menschen in Deutschland wohnen nicht in urbanen Zentren, sondern im ländlichen Raum. Das sind viele Pendlerinnen und Pendler. Das sind viele Familien. Und diese Regierungskoalition behält genau diese Menschen im Blick; auch das will ich deutlich sagen. ({12}) Wir schaffen mit diesem Bundeshaushalt etwas Weiteres. Über Bildung ist heute Morgen für meine Begriffe noch zu wenig gesprochen worden. Diese Bundesregierung bringt eine große BAföG-Reform auf den Weg und finanziert sie auch. ({13}) Ja, ich muss das sagen, Herr Merz: Die letzte Bundesbildungsministerin, die über Milchkannen philosophiert hat, kam von der CDU. Ich will das in aller Klarheit sagen: Wir müssen an einer Stelle in Deutschland in einer Gerechtigkeitsfrage den Hebel umlegen. Die Frage, wie man im Leben vorankommt, darf nicht vom Elternhaus abhängig sein, sondern muss davon abhängig sein, wie man sich im Leben anstrengt. Jeder muss die gleichen Chancen haben, und dafür sorgen wir mit unserer BAföG-Reform. ({14}) Ich will diesen Haushalt insgesamt ins Verhältnis setzen. Wir erhöhen die Investitionen um 50 Milliarden Euro. Das sind bis zum Jahr 2026 350 Milliarden Euro Investitionen des Bundes, mehr als jemals zuvor. Wir werden die Ausgaben im Bundeshaushalt 2022 um 77 Milliarden Euro reduzieren, und gleichzeitig machen wir 100 Milliarden Euro weniger Schulden als die Große Koalition 2021. Wir setzen die richtigen Prioritäten, und der Bundeshaushalt 2022 ist der Auftakt für den Bundeshaushalt des kommenden Jahres, über den wir hier bereits in wenigen Wochen diskutieren werden. Das ist der Unterschied zur unionsgeführten Vorgängerregierung. Herr Merz, wer immer mehr fordert und gleichzeitig zu hohe Ausgaben kritisiert, dem sage ich: Das passt nach meiner Rechnung nicht zusammen. Jetzt will ich auf Ihre Arbeit als Opposition während der letzten Wochen zu sprechen kommen. Wenn es nach Ihren Vorschlägen ginge, machten wir als Koalition in diesem Jahr 60 Milliarden Euro mehr Schulden. Das ist doch die Wahrheit, Herr Merz. Ich habe mir Ihre Anträge im Haushaltsausschuss sehr genau angeschaut. Sie wollen 60 Milliarden Euro aus dem Energie- und Klimafonds einsetzen für das, was Sie vorhaben. Sie nutzen also eine Rücklage, von der Sie selbst sagen, sie sei verfassungswidrig. Das passt nicht. Ich frage Sie: Welches Verfassungsorgan wollen Sie hinter die Fichte führen, das Bundesverfassungsgericht oder den Deutschen Bundestag? Herr Kollege Merz, das müssen Sie beantworten. ({15}) Ich frage Sie: Wo ist Ihr Plan für die Rückkehr zur Schuldenbremse? Wo ist eigentlich der Plan der Union, um im kommenden Jahr zur Schuldenbremse zurückzukehren? Ich habe es schon mal gesagt und wiederhole es an dieser Stelle gerne: Die Schuldenbremse ist bei Christian Lindner und Olaf Scholz in besseren Händen als bei Friedrich Merz und Alexander Dobrindt, um das in aller Klarheit zu sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({16}) Ich habe in der letzten Wahlperiode öfter gesagt, dass man Oppositionsarbeit so verstehen muss, dass man Serviceopposition ist, die intelligente Vorschläge macht und auch Alternativen zur Regierungsarbeit aufzeigt. Gerade die Öffentlichkeit hat aus meiner Sicht ein Anrecht darauf. Herr Kollege Merz, die 60 Milliarden Euro, die gemäß Ihren Haushaltsvorschlägen dem Energie- und Klimafonds entnommen werden sollen, fehlen in der Sache; denn Sie selbst sagen, das sei verfassungswidriges Geld. ({17}) Stichwort „Serviceopposition“: Das, was wir in den letzten Wochen bei den Haushaltsberatungen seitens der CDU/CSU erlebt haben, ist keine Serviceopposition. Das ist eine einzige Servicewüste gewesen. Meine Damen und Herren, dabei ist haushaltspolitisch nichts, aber auch gar nichts von dem herumgekommen, was Sie vorgelegt haben. ({18}) Ich will zum Schluss ein wichtiges Thema ansprechen, das Sie vorhin in Ihrer Rede angedeutet haben und das ein Kollege der CDU/CSU-Fraktion schon gestern bei der Debatte über die Finanzpolitik im Zusammenhang mit dem Einzelplan des Bundesfinanzministers erwähnt hat, nämlich die Altersversorgung in Deutschland. ({19}) Diese Bundesregierung wird den Nachholfaktor in der Rente wieder einführen. Wir priorisieren im Haushalt so, dass wir in Zukunft in Richtung Kapitaldeckung/Teilkapitaldeckung bei der Altersvorsorge gehen. Ich bin da schon sehr verwundert, Herr Merz. Sie sagen nach 16 Jahren Verantwortung, bei der Rente sei es irgendwie gescheitert. Sie haben die Bundeskanzlerin gestellt. Mit Verlaub, das alles ist nicht – ich habe hier die letzten vier Jahre gesessen – an der SPD gescheitert, sondern vor allem an der Union, die bis heute kein Rentenkonzept vorlegen kann. Bis heute haben Sie keinen Vorschlag gemacht, aus dem hervorgeht, wie es besser geht. ({20}) Ich will einen sehr konkreten Kürzungsvorschlag aufgreifen, den Sie als Fraktion vorgelegt haben. Sie kürzen bei der beruflichen Integration von Zuwanderern. Das mag erst mal wie ein kleiner Titel klingen. Ich glaube aber, das ist ein verräterischer Vorschlag, weil dahinter in Wahrheit eine andere Haltung bei einem viel größeren Thema steckt. ({21}) Ich will Ihnen, Herr Merz, eine klare Frage stellen: Wollen Sie mit dem historischen Fehler der eigenen Partei aufräumen und Deutschland endlich zu einem modernen Einwanderungsland machen, oder wollen Sie das nicht? ({22}) Es liegt im besten wirtschaftlichen und nationalen Interesse der Bundesrepublik Deutschland, dass wir endlich ein modernes Einwanderungsland werden; denn nur so werden wir die notwendigen Fachkräfte bekommen. ({23}) Nur so werden wir die Renten der Zukunft absichern. Auf diese zentrale Zukunftsfrage, auf die wir im Koalitionsvertrag eingehen, haben Sie weder heute noch in der Vergangenheit eine einzige Antwort geliefert. Wir handeln. Ich danke Ihnen. ({24})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Thorsten Frei für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es schon eine bemerkenswerte Strategie, dass die Vertreter der Koalitionsfraktionen, denen ich zugehört habe, den überwiegenden Teil ihrer Redezeit darauf verwenden, die Opposition zu beschimpfen. Das ist sicherlich keine zukunftsträchtige Strategie, wenn es darum geht, die Herausforderungen der Zukunft zu lösen und zu bewältigen. ({0}) In der Tat, es sind wichtige Zeiten, in denen wir leben. Es gibt Ereignisse, die teilen die Zeit in ein Davor und in ein Danach. Der verbrecherische Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ist ein solches Ereignis. Deswegen hat der Herr Bundeskanzler heute ja auch sehr viel über die Zeitenwende der großen Staaten gesprochen. Es gibt aber zeitgleich auch eine Zeitenwende der kleinen Leute, und die beginnt nicht mit einer Kriegserklärung, sondern die kommt schleichend und lautlos daher. Sie ist unerbittlich und enttäuschend für viele Menschen und auch existenzbedrohend. ({1}) Diese Zeitenwende macht vor allen Dingen Rentner, Arbeiter und Sparer zu den großen Verlierern dieser Zeit, und diese Zeitenwende wird „Inflation“ genannt. ({2}) Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, antworten darauf nur mit dem Kurieren von Symptomen und bekämpfen nicht die Ursachen der Inflation, der Geldentwertung. Sie, Herr Bundeskanzler, haben heute Morgen gelobt, wie hoch die Rentensteigerung ausfallen wird. Ja, wir hatten im letzten Jahr eine Geldentwertung von 3,1 Prozent und haben in diesem Jahr eine von 7,9 Prozent. Das sind über 2 Prozentpunkte mehr als die Rentensteigerung, die wir dieses Jahr bekommen werden; das heißt nicht mehr, sondern weniger in den Geldbeuteln der Menschen. Das ist die Wahrheit. Darauf sollten Sie eine Antwort finden. ({3}) – Die gebe ich Ihnen gerne. – In dieser Situation sind vor allen Dingen diejenigen betroffen, die den Ratschlag vieler Politiker in den vergangenen Jahren beherzigt und für das Alter vorgesorgt haben. Aber in dieser Situation schmilzt die Altersvorsoge der Menschen hier in Deutschland wie Eis in der Sonne. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. ({4}) Ich will an dieser Stelle, meine sehr verehrten Damen und Herren – auch von den Grünen –, einmal den ehemaligen Bundesfinanzminister zitieren. Er hat im Juni letzten Jahres, also vor ziemlich genau einem Jahr, folgenden Satz gesagt: Ich will allen die Sorge nehmen, dass wir mit der Inflation ein allzu großes Problem bekommen. Die Inflation wird viel geringer ausfallen, als viele befürchten. – Das hat der damalige Bundesfinanzminister vor einem Jahr gesagt. Ich will Ihnen nicht vorwerfen, dass Sie anders als andere die heraufkommenden Probleme nicht erkannt haben, dass Sie sie weggeschwiegen haben. Aber Ihnen ist vorzuwerfen, dass Sie es bis heute nicht als zentrale Herausforderung Ihrer Kanzlerschaft begriffen haben, etwas dagegen zu tun, dass das Geld der Menschen mehr und mehr entwertet wird. Das ist die Herausforderung. Wenn Sie es täten, dann würden Sie eine andere Fiskalpolitik machen ({5}) und dann würden Sie insbesondere auf europäischer Ebene nach anderen Regeln rufen. Sie tun das allerdings nicht, und deswegen sage ich Ihnen eines: Der Kampf gegen die Geldentwertung, das ist soziale Verantwortung. Der Kampf gegen die Geldentwertung, das ist Leistungsgerechtigkeit. Deswegen fordern wir Sie auf, dieses Thema endlich anzugehen, ({6}) und zwar nicht, indem man an den Symptomen herumdoktert, sondern indem man die Ursachen bekämpft. Ich will vor diesem Hintergrund ein letztes Zitat heute ansprechen. ({7}) Es stammt vom früheren Oppositionspolitiker und heutigen Finanzminister Christian Lindner. Er hat den damaligen Bundesfinanzminister Scholz, den er mit einem Karnevalsprinzen vergleicht, attackiert und über die Inflation, die er früher als andere erkannt hat, Folgendes gesagt – Zitat –: … der Staat ist einer der größten, wenn nicht der größte Treiber von Inflation. … Als Finanzminister warf Olaf Scholz mit Kamelle um sich. Und weiter: Die öffentlichen Finanzen solide zu halten, ist dafür der wesentliche Baustein. Wenn die EZB in das Schlepptau der Fiskalpolitik stark verschuldeter Staaten geraten würde, dann hätte sie kaum Möglichkeiten, die Inflation zu bekämpfen. ({8}) Statt neuer Schulden müsste Deutschland, so Lindner, den – Zitat – „Tilgungsturbo“ anwerfen. Also, unsolide Staatsfinanzen, schmettert Lindner Scholz entgegen, gefährden die Preisstabilität. Ich finde, besser kann man es nicht zusammenfassen. Umso mehr fragt man sich, ob das wirklich der Mann ist, der sechs Monate später einen verfassungswidrigen Nachtragshaushalt mit 60 Milliarden Euro neuen Schulden vorlegt, der ganz sicher vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern wird, ob das der gleiche Mann ist, der zwölf Monate später mit 240 Milliarden Euro Nettoneuverschuldung die höchste Neuverschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu verantworten hat. ({9}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will Ihnen sagen: Es gibt etwas, das noch schneller schmilzt als das Vermögen der Deutschen, und das ist die Glaubwürdigkeit der FDP. Sie schmilzt wie Eis in der Sonne. ({10}) Wir haben einen Bundeskanzler, der das Problem negiert und auch jetzt so tut, als gäbe es das nicht. Und wir haben einen Bundesfinanzminister, der das Problem erkennt, aber gegensätzlich handelt. Damit wird eines deutlich – es ist das Muster Ihrer Koalition –: Diese Koalition wird durch Schulden, Schulden und noch mehr Schulden zusammengehalten. ({11}) Sie sind der Kitt dieser Koalition. Damit wird alles zugeschüttet. Aber was der Zement für diese Koalition ist, ist Sprengstoff für die Glaubwürdigkeit der FDP. Das sollten Sie sich sehr gut überlegen. ({12}) Man muss eines sagen: Bei der einen oder anderen Rede hat man den Eindruck gewinnen können, dass Geldentwertung Schicksal sei, eine Naturgewalt. Nein, das ist es nicht. Die Geldentwertung ist das Ergebnis politischer, ökonomischer, fiskalischer und geldpolitischer Entscheidungen, ({13}) und jede einzelne dieser Entscheidungen kann man auch anders treffen. ({14}) Ich will Ihnen das an drei Beispielen benennen. Natürlich stimmt es, dass wir den Lockdown in China haben, dass wir den Krieg in der Ukraine haben – da haben Sie vollkommen recht –, dass wir eine Delokalisierung von Produktionsstätten haben, dass es eine Fiskalpolitik der Staaten und die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank gibt. Aber an drei Beispielen möchte ich Ihnen zeigen, dass man es auch anders machen kann. Erstens: zur Verlagerung von Produktionsstätten. Ja, es ist richtig, sich aus Russland zurückzuziehen, und es ist auch richtig, in den Blick zu nehmen, dass wir strategische Abhängigkeiten von China reduzieren oder gar beenden. Aber wenn man das tut, dann muss eine internationalisierte Volkswirtschaft, wie wir sie haben, nach neuen Räumen Ausschau halten. Das bedeutet noch mehr internationale Zusammenarbeit mit den Staaten, die unsere Werte von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit teilen. Dann geht es um Staaten wie die USA und um Kanada. CETA ist seit vier Jahren ausverhandelt und vom Bundesverfassungsgericht ausgeurteilt. Seit Wochen bemühen wir uns in jeder einzelnen Sitzungswoche, das Ratifizierungsgesetz hier im Bundestag zur Abstimmung zu bringen. Wer verhindert es? Die Koalition verhindert es. Das macht Sie unglaubwürdig, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Frei, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der Grünenfraktion?

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Katharina Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005019, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Frei, wir haben uns ja letzte Woche schon 40 Minuten zum Thema Inflation ausgetauscht. Ich finde es schön, dass Sie jetzt nicht nur die Symptome bekämpfen, sondern auch die Ursachen angehen wollen. Ganz unumstritten liegen die Ursachen zum einen in unserer massiven, klumpenrisikohaften Abhängigkeit von russischem Gas, die Sie uns hinterlassen haben. ({0}) 55 Prozent Abhängigkeit, das muss man erst mal schaffen. Wir sind jetzt dabei, das zu ändern. Zum anderen liegt es an den Energiemärkten, die auch vom BMF und Kartellamt als oligopolistisch bezeichnet werden. Angebot und Nachfrage regeln hier eben nicht den Preis. Wir haben vor fünf Minuten schon danach gefragt, dass Sie uns da mal Lösungen präsentieren. Sie haben gesagt, Sie wollten das machen. Bitte nennen Sie uns doch mal Ihre Lösungen für den Energiemarkt und das Problem der hohen Preise, die übrigens auch Ursache für die hohen Lebensmittelpreise in Deutschland sind, und zwar massiv, also für das, was Sie 16 Jahre lang kaputtgemacht haben. Vielen Dank. ({1})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Beck, einen Punkt habe ich gerade erwähnt, beispielsweise was internationale Handelsverträge angeht. ({0}) Einen zweiten Punkt als wesentliche Ursache für die Geldentwertung will ich gerne ansprechen. Das ist der Angebotsschock, den wir in Europa haben. Darauf hat die Europäische Kommission übrigens reagiert, indem sie es ermöglicht, dass wir auch auf ökologischen Brachflächen, auf Vorrangflächen Feldfrüchte anbauen. So könnte man allein in Deutschland 800 000 Tonnen Getreide anbauen, mit denen man 3 Millionen Menschen ernähren könnte. ({1}) Alle Länder in Europa praktizieren das; einer ist dagegen. Herr Bundeskanzler, das ist Ihr Bundeslandwirtschaftsminister. ({2}) Das ist nicht nur ein Beitrag, um die Probleme noch weiter zu verschärfen. ({3}) Das ist auch ein Beitrag dazu, nichts zu leisten, wenn es darum geht, eine weltweite Hungersnot zu bekämpfen. ({4}) Ich will einen dritten Punkt benennen. Frau Beck, Sie haben ganz konkret das Thema Energie angesprochen. Wenn ich Ihre Pläne hier im Deutschen Bundestag anschaue, dann ist zum Beispiel auch das Osterpaket dabei. Ich bin ein Abgeordneter aus dem Schwarzwald. Da gibt es seit Jahrhunderten Wasserkraft. Wasserkraft versorgt etwa 1 Million Haushalte in Deutschland mit regenerativer Energie, die aber anders als Wind und Sonne dann zur Verfügung steht, wenn man sie wirklich braucht. Im Osterpaket sind Regelungen enthalten, die Wasserkraftwerke für 90 Prozent der Betreiber verunmöglichen. Das machen Sie in einer Zeit, wo es darum geht, autark zu werden, wo es darum geht, unabhängig zu werden. Da nehmen Sie diese Möglichkeiten vom Tisch, genauso wie Sie die letzten drei verbliebenen Atomkraftwerke ausgerechnet dann abschalten wollen, wenn wir im nächsten Winter wahrscheinlich den Pik der Herausforderungen erreichen werden. ({5}) Das ist sicherlich keine kluge und verantwortungsvolle Politik. ({6}) Natürlich ist für die Inflation auch die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, die zu Recht unabhängig ist, entscheidend. Aber der Handlungsspielraum der Europäischen Zentralbank, die selbst in Zeiten dieser Inflation noch auf negative Einlagezinsen setzt und Anleihekäufe tätigt, ergibt sich natürlich auch aus der Fiskalpolitik der Staaten. Da würde ich mir wirklich wünschen, dass Sie einer sicherheitspolitischen Zeitenwende eine haushalts- und finanzpolitische Zeitenwende folgen lassen, dass Sie Schwerpunkte setzen und dass Sie nicht jedes Problem mit neuen Schulden lösen, womit wir dann natürlich auch negatives Vorbild für ganz Europa sind. ({7}) Wir bräuchten hier einen starken Bundesfinanzminister, der als Liberaler eigentlich die linken Blütenträume aus dem Koalitionsvertrag herausstreichen müsste. Und wir bräuchten einen Bundeskanzler, der in diesem Zusammenhang nicht von einem Hamilton-Moment träumt. Herr Bundeskanzler, Sie haben nicht die ganze Geschichte erzählt, als es um die Verschuldung in Europa ging. Als Alexander Hamilton 1790 die Vergemeinschaftung der Schulden in den USA ermöglicht hat, hat er im Grunde genommen nicht den Zement für den neuen Staat angerührt, sondern Sprengstoff gelegt. Er hat viele Staaten in die Insolvenz getrieben. Die Auswirkungen reichten bis zum Amerikanischen Bürgerkrieg. Das wollen wir nicht. Schulden sind keine Zukunftspolitik, in Deutschland nicht und in Europa nicht. Sie sollten eine Politik machen, die dazu führt, dass wir auch die Regeln einhalten, die wir uns in Europa gegeben haben und die es ermöglichen, dass wir kraftvoll gegen Inflation, gegen Geldentwertung vorgehen können. Herzlichen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Achim Post das Wort. ({0})

Achim Post (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004378, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ehrlich gesagt, frage ich mich nach den Reden von Herrn Merz und Herrn Frei, den ich sehr schätze, wie Sie wissen: Muss man eigentlich alles negieren, was man in 16 Jahren Regierungszeit gemacht hat? ({0}) Kann man negieren, dass man selbst für die größte Nettokreditaufnahme in diesem Lande verantwortlich war, und es jetzt den anderen in die Schuhe schieben, weil man in der Opposition ist? Ist das nicht ein bisschen wenig? Ist das nicht vielleicht unterkomplex, wenn ich das mal fragen darf? ({1}) Wenn wir über diesen Haushalt reden, dann müssen wir feststellen: Diese Ampelkoalition, diese Bundesregierung, dieser Bundesfinanzminister und diese Fraktionen der Ampel haben einen guten und verantwortbaren Haushalt vorgelegt, und dieser Haushalt ist in Zeiten wie diesen auch dringend notwendig. Denn mit diesem Haushalt gewährleisten diese Koalition, diese Bundesregierung, dieser Bundeskanzler und dieser Bundesfinanzminister, dass wir es hinbekommen, etwas für die äußere Sicherheit, für die innere Sicherheit und gleichzeitig für die soziale Sicherheit zu tun. Diese drei Dinge gehören zusammen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Ja, es stimmt: Dieser Haushalt hat ein hohes Volumen, 495 Milliarden Euro. Das ist viel Geld; das weiß ich. Es gibt Gründe dafür. Der erste Grund ist die Coronapandemie, mit der wir uns seit zwei Jahren auseinandersetzen müssen und die noch nicht zu Ende ist und weiter erfordert, dass wir Betrieben und Beschäftigten helfen. Und diese Koalition wird das auch machen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Es gibt einen zweiten Grund: Putins Angriffskrieg hat Auswirkungen, nicht nur auf Millionen von Menschen in der Ukraine – er ist für viele Tote verantwortlich –, sondern auch auf uns, auf Deutschland, auf Europa und auf die Welt. Das ist keine Petitesse, sondern eine Zeitenwende, von der wir alle hier zu Recht geredet haben. Ich will deshalb eines sagen: Ich weiß, dass es richtig ist, dass wir uns in dieser Zeitenwende auf das „Sondervermögen Bundeswehr“ geeinigt haben, und zwar die Ampel zusammen mit der größten Oppositionsfraktion, mit der CDU/CSU-Fraktion. Und ich weiß zu schätzen, dass wir diese Zeitenwende mit einer gemeinsamen Antwort versehen, nämlich mit einer starken Bundeswehr. Wenn ich da mal was zur Kollegin Mohamed Ali von der Linken sagen darf: Wenn Sie Willy Brandt zitieren, dann dürfen Sie das gerne machen. ({4}) – Sie dürfen ihn auch gerne nennen. Sie dürfen alles, was Sie möchten, mit Willy Brandt machen, aber ich darf auch darauf antworten. ({5}) Und ich möchte darauf antworten. – Willy Brandt ist der falsche Kronzeuge gegen das Sondervermögen; denn Willy Brandt hat den Friedensnobelpreis bekommen für eine wertegeleitete Realpolitik, für die Aussöhnung mit dem Osten, mit der damaligen Sowjetunion und den anderen Ländern Osteuropas. Er hat diesen Friedensnobelpreis bekommen, weil er das auf der Grundlage einer starken Verankerung in der NATO, im westlichen Bündnis, und in der Europäischen Union gemacht hat. ({6}) Die Bundeswehr hatte damals 500 000 Soldatinnen und Soldaten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Also keine falschen Kronzeugen suchen!

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sind Sie bereit, eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Korte zuzulassen?

Achim Post (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004378, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke. – Ich möchte Sie etwas fragen, weil Sie einen kurzen Exkurs zu Willy Brandt gemacht haben, und dabei in der Historie zurückblicken, insbesondere auf die Auseinandersetzung, die der auch von mir sehr verehrte Willy Brandt mit seinem Nachfolger Helmut Schmidt geführt hat, wo es ja insbesondere um die Aufrüstung ging. Teilen Sie meine Einschätzung, dass Willy Brandt insbesondere für die damalige Friedensbewegung eine sehr große Rolle gespielt hat, als er sich explizit gegen die Aufrüstung starkgemacht hat, unter anderem mit Heinrich Böll und vielen anderen? Und finden Sie deswegen das, was meine Fraktionsvorsitzende eben zu Recht ausgeführt hat, dann nicht doch historisch treffender als das, was Sie gerade entgegnet haben? ({0})

Achim Post (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004378, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege, ich weiß nicht, ob man es besser macht, wenn man noch einen anderen Äpfel-mit-Birnen-Vergleich hinzufügt. Ich glaube, das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. ({0}) Ich bedanke mich für die Zwischenfrage. Aber ich glaube, dass sie mehr oder weniger sinnlos war. Schönen Dank! ({1}) Jetzt kommen wir zum Sondervermögen. Was ist das Gute am Sondervermögen? Das Gute ist, dass Deutschland, dass die Bundesregierung auf die Zeitenwende reagiert, dass wir uns wehrhafter machen, dass wir unsere Bundeswehr besser ausstatten und gleichzeitig über die Konstruktion des Sondervermögens dafür sorgen, dass in anderen Bereichen, beim Klimaschutz, in der Bildungspolitik und in der Sozialpolitik, nicht gekürzt wird, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist ein ganz hohes Gut, ein ganz hoher Wert. Das ist genau die richtige Politik. ({2}) Was ich gerade über die Politik von Willy Brandt und Helmut Schmidt gesagt habe, dass sie eingebettet war in das westliche Bündnis, das gilt auch jetzt für die Bundesrepublik Deutschland. Das galt schon zu Zeiten, als Sie regiert haben, liebe Kollegen und Kolleginnen von der CDU/CSU, und das gilt erst recht für diese Ampelkoalition, für diese Außenministerin, für diesen Bundeskanzler, für diesen Bundesfinanzminister und für alle anderen, die auf der Regierungsbank sitzen. Das, was wir machen, folgt einem Grundmuster. Das Grundmuster heißt: Koordinierung und Kooperation. Wir koordinieren und kooperieren innerhalb der Europäischen Union, innerhalb der NATO und mit unseren transatlantischen Partnern und anderen Freundinnen und Freunden in der Welt. Genau das ist die richtige Haltung, um Außen- und Friedenspolitik zu machen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Zu der Frage, was für Deutschland wichtig ist, würde ich auch gerne etwas sagen. Wenn wir hier in Deutschland über die äußere und die innere Sicherheit reden, dann müssen wir auch über die soziale Sicherheit reden, gerade in Zeiten wie diesen. Ich schaue zur Regierungsbank, zu Hubertus Heil. Ich kann mich für meine Fraktion beim Bundesarbeitsminister nur dafür bedanken, dass er den 12-Euro-Mindestlohn einführt, dass ab dem 1. Oktober Millionen von Menschen von diesem Mindestlohn profitieren. ({4}) Dazu eine Anmerkung in Richtung der Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU: Erst waren Sie immer gegen den Mindestlohn, ganz grundsätzlich. Vor den letzten Landtagswahlen hatte ich den Eindruck, dass Sie dafür sind. Ich kenne viele Zitate; auch der jetzige Ministerpräsident Wüst hat gesagt, er sei für die Einführung eines Mindestlohns von 12 Euro. Jetzt höre ich, dass Sie sich am Freitag enthalten wollen. Was für ein machtvolles Dokument der Hilflosigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU! ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Post, Sie können natürlich weitersprechen. Ich mache Sie aber darauf aufmerksam, dass Sie das jetzt auf Kosten Ihrer nachfolgenden Kolleginnen und Kollegen tun. ({0})

Achim Post (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004378, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da ich das nie mache, beende ich meine Rede mit einem ganz klaren Hinweis: Diese Bundesregierung, dieser Bundeskanzler, diese Ampelkoalition sind gut für Deutschland. Ich bin stolz darauf, dass Olaf Scholz unser Bundeskanzler ist, und niemand, der bei Ihnen da vorne sitzt. Schönen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Tino Chrupalla für die AfD-Fraktion. ({0})

Tino Chrupalla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004695, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Landsleute! Der Deutsche Bundestag ist aufgefordert, den Bundeshaushalt 2022 zu verabschieden. Wir beraten in dieser Woche über eine Neuverschuldung in schwindelerregender Höhe von circa 139 Milliarden Euro. Damit wachsen die geplanten Ausgaben auf nahezu 500 Milliarden Euro an. Werter Herr Bundeskanzler, wann konnten Sie als Regierungschef dieser Ampelkoalition eigentlich einen Arbeitstag mit dem Gewissen beenden, unser Land vorangebracht zu haben? Denn eines muss ich sagen: Die Verantwortung für die desolate Lage unseres Landes lastet zu Recht schwer auf Ihren Schultern. Als ehemaliger Bundesfinanzminister und Sozialdemokrat haben Sie Ihrer Vorgängerin im Amt über Jahrzehnte den Boden für eine realitätsferne Wirtschafts- und Finanzpolitik geebnet. ({0}) Wir erleben hier und heute den wirtschaftlichen und sozialen Abstieg Deutschlands und seiner Bürger. Und wie ist Ihre Reaktion darauf? Entweder hört und sieht man den Bundeskanzler nicht, oder man hört von einem ehemaligen Bundespräsidenten, dass man auch mal für den Frieden frieren könne. Genau das ist unwürdig, meine Damen und Herren, ({1}) unwürdig dem Land gegenüber, für das Sie als Bundesregierung Verantwortung übernommen haben, und vor allem unwürdig den Menschen gegenüber, die tagtäglich zur Wertschöpfung in Deutschland und damit zum Wohl unserer Gesellschaft beitragen. Die CDU steht Ihnen im Übrigen in nichts nach. Herr Merz, Sie haben ja selbst in der ARD vom Ende unseres Wohlstandes für eine gewisse Zeit gesprochen. Für mich hört sich das so an, als hätte die CDU Deutschland bereits aufgegeben und den Glauben an sich selbst verloren; denn Lösungen haben die Christdemokraten und heute auch Sie, Herr Merz, nicht hervorgebracht. Sie haben kein Wort zu den deutschen Bürgern gesagt, kein Wort zu den Steuerzahlern in diesem Land. Meine Damen und Herren, diese beiden Politiker bringen heute ihre eigene Ernte ein. Schauen Sie sich in unserem Land um! Sie werden die Ergebnisse fehlgeleiteter Politik der letzten Jahrzehnte überall erkennen, wenn Sie durch unser Land fahren. Diese treten immer stärker in den Vordergrund und lassen sich auch nicht mehr vertuschen. Beispielsweise wurde der Spalt zwischen den strukturstarken und den strukturschwachen Regionen sogar noch vertieft. Wir alle wissen: Für kaum ein Unternehmen des Mittelstands ist es wirtschaftlich überhaupt noch attraktiv, sich in einer strukturschwachen Region dauerhaft niederzulassen. Hier hat der deutsche Staat seit Jahren seine Grundaufgabe nicht erfüllt, die heißt: Aufbau und Erhalt von Infrastruktur. Verkehrsnetze von Straße und Schiene, Breitbandausbau, Gesundheitsversorgung und Bildung sind nur einige Eckpfeiler, die einfach vorhanden sein müssen. Es ist die Aufgabe der Regierungen in den Ländern und im Bund, die grundlegenden Voraussetzungen zu schaffen, damit gerade auch kleine und mittelständische Unternehmen und insbesondere das Handwerk existieren können. ({2}) Was ist eigentlich Ihre Idee für Deutschland und den Kontinent Europa in den nächsten 20 Jahren, werte Bundesregierung? Wie werden wir nach der sogenannten Energiewende leben und arbeiten? Wie geht es weiter? Dazu schweigen Sie sich komplett aus. Damit endet die einseitige Utopie der Ampelkoalition, meine Damen und Herren. Welche Industrien beispielsweise werden noch in Deutschland existieren, und welche werden wir entwickeln müssen? Womit werden die Menschen in diesem Land ihr Geld verdienen? Wer wird in diesem Land überhaupt noch wertschöpfend arbeiten? Zu diesen Fragen hören wir schon lange keine Antworten mehr von Ihnen. Sie fahren mit Ihrer Politik nur noch auf Sicht. Und weiter: Was sollen wir den nachfolgenden Generationen raten? Was würden Sie Ihren Kindern raten, welchen Beruf sie erlernen sollten, welches Studium sie ergreifen sollten? Wie sehen die Berufsbilder der Zukunft eigentlich aus? Investieren Sie überhaupt noch einen Gedanken in diese wichtigen Fragestellungen? Wir und viele deutsche Bürger jedenfalls können das aktuell nicht erkennen. Ihre Politik, werte Bundesregierung, schafft Deutschland und Europa als eigenständigen und zukunftssicheren Wirtschafts- und Bildungsraum vollkommen ab. ({3}) Damit nicht genug, diese Bundesregierungen versuchen seit Jahren, die strukturellen Probleme mit neuen Staatsschulden zu lösen, natürlich auch in diesem Haushalt. Als Alternative für Deutschland haben wir stets und ständig darauf hingewiesen, dass Sie unser Land damit in eine Inflation hineinsteuern. Und auch hier sollten wir recht behalten, meine Damen und Herren. Die steigenden Preise für die Waren des täglichen Bedarfs und Kraftstoffe haben die Bürger Ihnen zu verdanken. Sie sollten sich wirklich schämen, die Ergebnisse Ihrer mangelhaften Politik mit dem Deckmantel des Ukrainekriegs verhüllen zu wollen. ({4}) Sie alle hier wissen, dass die Notenpresse der EZB seit Jahren auf Hochtouren läuft, um die Missstände zu verschleiern. Genau das ist der Hauptgrund: die Geldmenge in Europa. ({5}) Dazu kommt jetzt noch das beschlossene Ölembargo. Auch das wird uns hier in Europa schwächen. In den Erdölraffinerien von Schwedt und Leuna werden Arbeitsplätze und in den Regionen dadurch die Wirtschaftskraft verloren gehen. Ideologisch verblendet beharrt diese Bundesregierung seit Monaten auf ihren Standpunkten. Ebenso lange machen wir Sie auf wirkliche Einsparpotenziale aufmerksam. Sie jedoch sind an einem ehrlichen Kassensturz überhaupt nicht interessiert. Einnahmen und Ausgaben gegenüberzustellen, ist nicht gewollt. Dabei wäre es möglich, dass Sie über 100 Milliarden Euro bei dem Energie- und Klimafonds, durch Auflösung der Asylrücklage oder eine ordentliche Außen- und Entwicklungspolitik im deutschen Interesse einsparen. Auch das Bürokratiemonster EU darf nicht weiter unbedacht gefüttert werden. Würde man nur einen Teil dieser Vorschläge in Erwägung ziehen, könnten wir den Staatshaushalt entlasten. Vielmehr wäre dieses Geldvolumen frei, ja, auch für die Finanzierung der Bundeswehr – ohne neue Schulden aufzunehmen und ohne das Grundgesetz zu ändern – oder um in die chronisch unterfinanzierten sozialen Sicherungssysteme zu investieren. Das sind Sie nämlich den Bürgern schuldig, die einen Großteil ihrer Einkommen jeden Monat dafür aufwenden und damit den Sozialstaat auch aufrechterhalten. ({6}) Aber diese Bundesregierung reagiert wie gewohnt nachdenklich und kündigt zunächst einmal ein Entlastungspaket an. Das hört sich natürlich immer toll und schön an. Nicht nur, dass es lange auf sich warten lässt, man hat sich zuallererst auch noch im ideologischen Klimabaukasten bedient und versucht, mit einem 9‑Euro-Ticket die Bürger über die Sommermonate weg von ihren Autos hin zum ÖPNV zu bringen. Natürlich können wieder nur diejenigen davon profitieren, bei denen noch Busse und Bahnen fahren. Wieder werden die infrastrukturschwachen Regionen abgekoppelt. Frau Haßelmann, kommen Sie gerne in meinem Wahlkreis, nach Görlitz. ({7}) Da fährt pro Woche ein Bus. Da können Sie dann einmal für 9 Euro fahren. Das ist der Grund: Die Menschen dort haben rein gar nichts von dieser kurzfristigen Symbolpolitik. Sie sind zur eigenen Versorgung nämlich auf ihr Auto angewiesen. ({8}) Hiervon besonders betroffen sind ausgerechnet die Älteren und Ältesten in unserem Land, ausgerechnet diejenigen, denen wir unseren Wohlstand zu verdanken haben. Diejenigen, die unser Land aufgebaut haben, werden zum Dank von den Regierungen gedemütigt und vergessen. Aber gerade diese Menschen brauchen unsere Unterstützung, verdienen unsere Wertschätzung, und auch Entlastung haben diese Menschen verdient. Ja, die Preisspirale dreht sich immer weiter. Hohe Kraftstoffpreise werden höhere Lebensmittelpreise zur Folge haben. Die Erzeugerpreise liegen schon über den Handelspreisen. Ergreifen Sie endlich pragmatische Lösungen, die bei den Bürgern und Unternehmen ankommen! Setzen Sie die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel aus! Schaffen Sie Entlastung bei der Lohn- und Einkommensteuer durch Anhebung der Grundfreibeträge! Und noch einmal: Die CO2-Abgabe gehört abgeschafft. ({9}) Wir selbst hier im Deutschen Bundestag müssen endlich die Wahlrechtsreform vorantreiben. Hätte dieses Parlament die angemessene Zahl von 598 Abgeordneten anstelle von 736, würden wir pro Jahr 100 Millionen Euro einsparen. Das würde zum Vertrauen der Bürger in unsere parlamentarische Arbeit und in die Politik beitragen und könnte sich vielleicht sogar positiv auf die Wahlbeteiligung auswirken. Wahrscheinlich wollen Sie das aber gar nicht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Tino Chrupalla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004695, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Letzter Satz, Frau Präsidentin. – Werte Kollegen, ein Weiter-so kann und darf es nicht geben. Wir brauchen eine Politik, in der unsere Bürger ebenso zuerst bedacht werden wie Deutschland. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Staatsministerin Claudia Roth. ({0})

Claudia Roth (Gast)

Politiker ID: 11003212

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Krieg ist ein Zustand, bei welchem die niedrigsten und lasterhaftesten Menschen Macht und Ruhm erlangen.“ Das sagte Lew Tolstoi. In diesen düsteren Zeiten leben wir. Und so ringen wir um die richtigen Antworten. Unsere Koalition, das Parlament genauso wie die Menschen in unserem Land, wir alle ringen um richtige Antworten; denn genau das zeichnet eine demokratische Politik aus. Wir stellen uns den Aufgaben offen mit all unseren Zweifeln und mit den notwendigen Diskussionen; denn es gibt sie nicht, die einfachen Antworten. ({0}) In diesen Zeiten haben wir dem Absolutheitsanspruch des Krieges etwas entgegenzusetzen: die demokratische Meinungsbildung und unser Unterscheidungsvermögen. Das ist auch Aufgabe der Kultur- und Medienpolitik. ({1}) Ich werde mich in zwei Wochen mit den Medienministerinnen und Medienministern der G 7 treffen. Wir wollen uns zu drei ganz zentralen Punkten verständigen: Was können wir tun, um für das Gesellschaftsmodell der Demokratie zu werben? Was können wir tun, um Propaganda und Desinformation entgegenzutreten? Und was können wir tun, um diejenigen zu schützen, die dem demokratischen Streit und der freien Meinungsbildung verpflichtet sind und genau deswegen aus ihren Herkunftsländern und besonders aus Russland fliehen müssen? Journalistinnen und Journalisten sind Fachkräfte der Demokratie. ({2}) Deswegen haben wir zusammen mit dem AA ein Programm zu ihrem Schutz aufgelegt und kämpfen mit anderen Ressorts gegen Desinformation. ({3}) Was wir nicht brauchen, sind Kulturboykotte und die Kulturalisierung von Konflikten. Es ist Putins Krieg und nicht Puschkins Krieg. ({4}) Die Freiheit von Kunst und Kultur zu verteidigen, das ist grundlegende Aufgabe von Kulturpolitik, und das sage ich auch und gerade mit Blick auf aktuelle Debatten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich vier Beispiele benennen, wie wir den kulturellen Zusammenhalt in unserem Land stärken. Erstens. Wir kümmern uns um die Künstlerinnen und Künstler. Erst vorgestern habe ich mich gemeinsam mit Hubertus Heil mit Kulturschaffenden ausgetauscht. Es geht jetzt um einen konkreten Arbeitsprozess, um ihre soziale Lage zu verbessern. ({5}) Von der Künstlersozialkasse über Formen der selbstständigen Beschäftigung, von Mindesthonoraren, dem Gender-Pay-Gap bis zur Altersvorsorge. Es ist wichtig, dass das Zukunftsprogramm „Neustart Kultur“ bis Mitte nächsten Jahres fortgesetzt werden kann, wichtig mit Blick auf die weiteren anhaltenden Risiken und Folgen der Coronakrise, mit denen die Kulturszene ja nach wie vor zu kämpfen hat. Zweitens. Wir wollen eine breite, in die Zukunft gerichtete Erinnerungspolitik, die an die Verbrechen des Nationalsozialismus erinnert, die an das SED-Unrecht erinnert, die an den Kolonialismus erinnert und mit der Rückgabe von Benin-Bronzen richtige Zeichen setzen wird. ({6}) Wir wollen aber auch eine Erinnerungspolitik in und für die Einwanderungsgesellschaft. Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus, sie zeigen doch ihre hässliche Fratze, von Mölln bis Solingen, von Halle bis Hanau. Eine lebendige Erinnerungspolitik muss und wird darauf Antworten geben müssen. ({7}) Diese Erinnerungspolitik wird europäisch sein – deswegen habe ich meine erste Auslandsreise nach Frankreich unternommen –, und sie muss ein deutliches Zeichen gegen den Antisemitismus und für unsere Freundschaft mit Israel setzen. ({8}) Deswegen war ich auf meiner zweiten Reise in der vergangenen Woche in Israel und habe mit dem israelischen Kulturminister eine verstärkte Zusammenarbeit verabredet. ({9}) Drittens. Wir wollen die Vielfalt von Kunst und Kultur und Medien in unserem Land fördern. Es geht um den Erhalt der Kinos, vor allem im ländlichen Raum, ({10}) um einen Preis für Plattenläden, um Bibliotheken und Museen als „dritte Orte“, um wichtige Institutionen der musikalischen Bildung. Es geht um den Filmfestivalverband QueerScope, um den Bundesmusikverband Chor & Orchester, um das Jugendballett und um so viel mehr. Nicht zuletzt geht es darum, die vielen Einrichtungen und Bauten in Ihren Wahlkreisen zu erhalten und zu sanieren und sie instand zu halten. ({11}) Viertens. Das alles wird nur gelingen, wenn wir Nachhaltigkeit als Voraussetzung von Freiheit verstehen. Ohne Nachhaltigkeit werden zukünftige Generationen keine Freiheiten mehr haben. ({12}) Das ist also unsere Verantwortung. Auch in der Kultur- und Medienpolitik und mit Green Culture können wir einen entscheidenden Beitrag gegen die dramatische Klimakrise leisten. ({13}) Wir wollen Kunst und Kultur mit allen und für alle ermöglichen, indem wir ihre Vielfalt und ihre Freiheit sichern und verteidigen. All dies ist möglich dank Ihrer Unterstützung, liebe Kolleginnen und Kollegen: zum einen durch die Fachpolitiker/-innen – ich nenne stellvertretend für alle die Vorsitzende des Kulturausschusses, Katrin Budde – und zum anderen heute ganz besonders durch die Haushaltspolitiker, namentlich Otto Fricke, Dennis Rohde, Andreas Audretsch, aber eben auch Kerstin Radomski und Gesine Lötzsch. ({14}) Ja, wir leben in düsteren Zeiten. Wir müssen uns darauf einstellen. Wir müssen Lösungen erarbeiten. Wir müssen handeln. Lassen Sie uns deshalb Kunst, Kultur und Medien in Freiheit, in Gerechtigkeit und in Nachhaltigkeit erblühen. Vielen Dank. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun Otto Fricke das Wort. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzte Frau Vizepräsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich als Hauptberichterstatter für den Einzelplan 04 am Anfang noch einen Aspekt erwähnen, der etwas mit dem Vertrauen innerhalb dieser Koalition zu tun hat. Das ist die Tatsache, dass wir gar nicht mehr darüber reden, dass wir – ich danke hier meinen Sprecherkollegen Kindler und Rohde – die Frage der Altkanzler in einer, wie ich finde, sehr eleganten Weise gelöst haben. Diese Koalition ist im Haushaltsausschuss in der Lage, komplizierte Probleme zu lösen. Ich danke dafür, dass wir das geschafft haben; viele dachten ja, dass uns das nicht gelingen würde. ({0}) Meinen Dank möchte ich auch an den Kollegen Haase richten. Er sitzt gerade beim Kollegen Merz, der sich sicherlich bei Herrn Haase dafür entschuldigt, dass er ihn nicht erwähnt hat bei der Frage, wie wir beim Sondervermögen zu Lösungen kommen. Ich möchte sagen: Es ist auch Haushaltsarbeit, an dieser Stelle dafür zu sorgen, dass man so etwas hinbekommt. Kollege Haase, ohne Ihre Arbeit an dieser Stelle wäre es nicht gelungen, dass wir heute Nachmittag, heute Abend, so hoffe ich, ein vernünftiges Ergebnis finden werden. ({1}) – Ich hätte mich auch gerne bei der Linken bedankt, wenn sie da konstruktiv mitgearbeitet hätte, ja. ({2}) Meine Damen und Herren, eines will ich noch einmal ausdrücklich sagen, auch weil jetzt noch ein Großteil des Kabinetts anwesend ist: Die Frage, wie wir gegenüber der Regierung mit dem Haushalt umgehen, hat auch etwas mit der Frage zu tun, wie ein selbstbewusstes Parlament der Regierung sagt, was es von der Regierung erwartet und wo es Notwendigkeiten für Veränderungen sieht. Das hat etwas zu tun mit der Frage, wie man mit kw‑Vermerken umgeht. Das hat etwas mit Selbstbewirtschaftungsmitteln zu tun. Dies alles hört sich sehr technisch an. Aber es geht, liebe Regierung, um die Bindung an den Parlamentswillen. Ich bitte, auch in den nächsten Jahren sehr genau darauf zu achten. Denn im Haushaltsausschuss, in Verbindung mit den Fachausschüssen, werden Dinge erarbeitet, die manchmal eben doch viel näher am Menschen, am Bürger, an der Bürgerin dran sind als das, was ein Ministerialbeamter in sicherlich guter Fachlichkeit denkt. Deswegen: Hören Sie öfter aufs Parlament! Gerade beim Haushalt kann das von Vorteil sein. ({3}) Meine Damen und Herren, zur Kultur will ich nur noch eine Sache ergänzen. Claudia Roth hat in einer großen Linie all die Dinge genannt, die sie wollte, die wir wollten, die beschlossen worden sind. Ich möchte für den Bereich Kultur eine Sache hervorheben, die sich eigentlich im Einzelplan des Kollegen Heil befindet, nämlich im Einzelplan 11: die Künstlersozialkasse. Ich als Liberaler bin sehr glücklich darüber, dass es uns gelungen ist, für die Künstler an der Stelle ein größeres Maß an Sicherheit zu schaffen, wo sie in den letzten Jahren ganz besonders betroffen waren, nämlich bei der Frage ihrer Altersvorsorge. Hier danke ich allen Beteiligten, dass sie, ich sage das einmal so, Wünschen und Anregungen, die auch ein wenig aus den Reihen der FDP kamen, nachgegangen sind und wir hier eine Lösung finden konnten, die wir dann noch gesetzlich ergänzen. So sollte Politik in der Ampel funktionieren. Sie sorgt nicht nur dafür, dass Kultur funktioniert, sondern auch dafür, dass Kulturschaffende eine soziale Absicherung haben. Das ist Ampel. ({4}) Meine Damen und Herren, ich muss zum Schluss doch noch zur CDU/CSU kommen. Herr Frei – er ist, glaube ich, jetzt schon nicht mehr da – hat eben gefragt: Warum kritisieren Sie uns? Na ja, ich muss einfach sagen: Eine solche Opposition in Haushaltsverhandlungen habe ich noch nie erlebt. Ich gehe da einfach ein paar Dinge durch. Diese Koalition stellt Kürzungsanträge für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. Wir kürzen die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit unserer Regierung, weil wir sagen, es sei zu viel. Dazu sagt die CDU/CSU: Nee, nee, die Regierung braucht mehr Geld. – Bei der Frage über 300 000 Euro für ein Konzept wirkungsorientierter Haushaltsführung sagt die CDU/CSU: Das brauchen wir nicht. Wirkungsorientierte Haushaltsführung ist für uns nicht wichtig. – Bei der Frage der Künstlersozialkasse, die ich gerade erwähnt habe, stimmt die CDU/CSU dagegen. Jetzt ist das neueste Projekt der Haushaltspolitik der Merz-Soli. Man wundert sich an dieser Stelle schon über diese Art von Oppositionspolitik. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, man muss dann damit rechnen, dass das nicht funktioniert und dass Sie dann hier auch inhaltlich angegangen werden. ({5}) Ein Letztes. Warum gelingt Ihnen eigentlich keine richtige Kritik und Oppositionspolitik? Das habe ich gestern wieder beobachten können. Es ist doch ganz einfach so: Wenn man bei Ihnen mit den Haushältern redet, hört man folgenden Satz: Na ja, unsere Fachpolitiker, die wollen ja alle viel, viel mehr Geld ausgeben, und die lassen wir auch einfach. Ihr Problem ist, um es mit Matthäus 5,37 zu sagen – Matthäus statt Shakespeare, Kollege Rohde –: Ihre Rede ist nicht „Ja, ja“, Ihre Rede ist auch nicht „Nein, nein“, sondern das, was Sie machen, ist: Sie wollen auf der einen Seite stetig mehr Ausgaben haben, können aber auf der anderen Seite überhaupt nicht darstellen, wie Sie diese finanzieren wollen. Die Krönung – das muss ich auch sagen – war dann für mich – damit möchte ich auch schließen – die Ausschussdrucksache 20(8)1410, weil Sie, Herr Merz, das Umschichten dieser 60 Milliarden Euro immer verfassungswidrig genannt haben. Da heißt es hier in dem Antrag der CDU/CSU bei den Einnahmen für den Haushalt – Achtung! – „Entnahmen aus Rücklage“. Dann schreiben Sie: „Rückabwicklung des … Vorgehens beim 2. Nachtragshaushalt 2021 in Höhe von 60 Mrd. €“. Ja, das heißt, Sie nehmen etwas, von dem Sie sagen, Herr Merz, es sei verfassungswidrig, es sei nichtig – diese Mittel sind übrigens überhaupt noch nicht aktiviert und noch nicht ausgegeben –: Die CDU/CSU nimmt also dieses Geld, um ihre Wünsche und ihre Träume davon, wie man mehr Geld ausgeben kann, umzusetzen. Das ist keine Oppositionspolitik, sondern das ist etwas, wo der Rest besser Schweigen ist. Herzlichen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Fricke, ich merke positiv an, dass Sie die Danksagung an den Anfang Ihres Beitrages gestellt haben, und bitte nachfolgende Rednerinnen und Redner, den Hinweis zu beachten, dass wir, egal ob es zum Schluss um Danksagungen geht oder dann noch etwas übrig ist, was Sie mitteilen wollen, trotzdem bitte in der Redezeit bleiben. ({0}) Das Wort hat der Kollege Ulrich Lange für die CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mit etwas beginnen, was mich seit einigen Wochen und Monaten doch ein bisschen verwundert, liebe Kolleginnen und Kollegen insbesondere der SPD. Lieber Kollege Post, Sie haben vorhin etwas als „unterkomplex“ bezeichnet. Ich bezeichne es als unterkomplex, wenn eine Fraktion 20 Jahre von 24 Jahren regiert oder mitregiert hat und dann ein Bundeskanzler sich hinstellt und mit dem Finger auf andere zeigt. Herr Bundeskanzler, das ist unter dem Niveau eines Kanzlers dieses Landes, der auch zur Politik der Vergangenheit, die er mitgestaltet hat, stehen sollte. ({0}) Warum sage ich das? Wenn es um die Verteidigungsminister geht, erinnere ich einmal an Scharping und Struck, wenn es um die Finanzminister geht, erinnere ich an Lafontaine, Eichel, Steinbrück und Scholz, und wenn es um Sozialminister geht, an Nahles, Scholz, Müntefering, Schmidt, Clement, Riester usw. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben zusammen regiert. Sie haben mit den Grünen regiert, wir haben mal mit der FDP regiert; da haben wir übrigens die Wehrpflicht abgeschafft. Jeder hat hier Verantwortung für dieses Land und hat diese Verantwortung entsprechend getragen. ({1}) Was uns allerdings aus den letzten sechs Monaten dieser neuen Regierung belastet, ist eine gigantische Neuverschuldung, wie sie die Bundesrepublik Deutschland bisher nicht gekannt hat. ({2}) Da nützen die Rechentricks nichts, lieber Kollege Lindner: ({3}) 140 Milliarden Euro Neuverschuldung, 60 Milliarden Euro im zweiten Nachtragshaushalt. Ein Betrag heißt zwar „Sondervermögen“ – das nennt man auch „Euphemismus“ –, letztlich sind es Schulden, mit denen das hier finanziert wird. Unter dem Strich 300 Milliarden Euro Schulden. ({4}) Das ist mehr als Adenauer, Erhard, Kiesinger, Brandt, Schmidt und Kohl bis 1990 zusammen an Schulden gemacht haben. Unsolide, unsolidarisch, unverantwortlich, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({5}) Niemand bestreitet, dass wir mit Corona und dem russischen Überfall auf die Ukraine eine ganz besondere Situation haben. Aber zum Glück hat die Union seit 2014 hart für die schwarze Null gearbeitet und ein Fundament geschaffen, ({6}) sodass wir überhaupt in der Lage sind, das zu leisten, was wir uns in den letzten Monaten jetzt geleistet haben. ({7}) Lieber Kollege Lindner, ich habe vorgestern Ihr Interview im „heute-journal“ gesehen. Das war schon wirklich beachtlich. Da reden Sie zum einen davon, dass die Schuldenbremse eingehalten werden muss, sprechen aber auf der anderen Seite davon, dass man sich ans Schuldenmachen gewöhnt habe; da meinen Sie wohl Ihre beiden Koalitionspartner. Gleichzeitig erklären Sie, 2023 zur Schuldenbremse zurückkehren zu wollen. Zeitgleich verkündet der Herr Sozialminister die Einführung eines Klimageldes. Wir haben es vorhin beim Beifall zum Thema Klimageld gesehen: tosender Applaus bei der SPD, ein bisschen Applaus bei den Grünen und kein Applaus bei der FDP. – So etwas nenne ich eine Zerfallskoalition, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({8}) Solide Haushaltspolitik ist ein Fundament für Generationengerechtigkeit; denn die Generationen nach uns müssen sonst das ausbügeln, was wir jetzt machen. Folgender Satz besitzt einfach Richtigkeit: Auf Schuldenbergen können Kinder nicht spielen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der jetzigen Phase der aktuellen Inflation wird das Ganze noch viel brandgefährlicher; das wissen Sie. Wir hatten in diesem Land in den 70er-Jahren schon einmal eine Stagflationskoalition. Auch daran möchte ich erinnern; denn wer darunter zu leiden hat, sind die mittleren und kleinen Einkommen; das sind die Rentnerinnen und Rentner. Genau an dieser Schwelle stehen wir. Deswegen brauchen wir Solidität, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({9}) An der Einhaltung der Schuldenbremse, lieber Finanzminister, werden wir Sie messen. Man hat manchmal das Gefühl, Sie wären in dieser Koalition gerne der neue Ludwig Erhard geworden. Tatsächlich drohen Sie zum neuen Hans Eichel zu werden. Das Ganze würde ich dann auch im nächsten Jahr wieder kommentieren wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({10}) Wir hatten vorhin schon die Widersprüchlichkeiten: einerseits offene Märkte, andererseits kein Freihandelsabkommen mit Kanada, einerseits brauchen wir Gas, andererseits sollen die Stadtwerke die Gasnetze zurückbauen. Wir haben, lieber Landwirtschaftsminister, auch bei Ihnen eine Widersprüchlichkeit. Wir geben Ihnen recht: Regionale Erzeugnisse sind positiv. Der Wochenmarkt ist etwas Positives. All das ist richtig. Aber trotzdem droht der Welt in manchen Teilen eine Hungerkatastrophe. Deutschland allein rettet davor sicherlich nicht. Aber jeder Hektar Fläche, auf dem im Sinne der Lebensmittelversorgung angebaut wird, ist in einer solchen Situation ein gewonnener Hektar. Wir haben kein Misstrauen gegen unsere Bauern und gegenüber unseren Landwirten. Wir haben Vertrauen und sagen Danke für die Nahrungsmittelsicherheit, die wir bei uns haben. ({11}) „Zeitenwende“, ein Schlagwort, das seit ein paar Wochen die Diskussion prägt und inzwischen selbst bei Wikipedia zu finden ist. Außer dem Wort haben wir eher das Gefühl einer ruhigen Hand, vor allem dann, wenn es um die Waffenlieferungen an die Ukraine geht. Die ruhige Hand, lieber Herr Bundeskanzler, scheinen Sie sich von Ihrem letzten SPD-Vorgänger abgeschaut zu haben, der in einem ganz besonderen Verhältnis zu Russland und Putin steht. Unsere Verbündeten setzen auf uns; das sagen sie uns jeden Tag. Wenn wir dann allerdings lesen, was der polnische Staatspräsident Duda sagt oder der litauische Außenminister Landsbergis, dann sehen wir, dass genau das hier nicht zutrifft. Die Geschlossenheit, die wir brauchen, die Waffenlieferungen, die die Ukraine von uns zu Recht erwarten kann, liefern Sie nicht. ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, niemand kann sich aussuchen, in was für Zeiten er oder sie lebt. Niemand kann vorab wissen, wie man mit einer solchen Situation umgeht. Aber „Zeitenwende“ bedeutet besondere Verantwortung. „Zeitenwende“ bedeutet für uns, dass wir die politische Ordnung in Europa gemeinsam mit unseren europäischen Partnern konstruktiv neu gestalten, dass wir uns den vielfältigen Krisen und Herausforderungen stellen – nicht gegeneinander; das haben auch wir als Union, als Opposition in den letzten Wochen deutlich unter Beweis gestellt –, aber auch nicht ideologiegetrieben, sondern mit klarem Verantwortungsbewusstsein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Fraktionsvorsitzender hat heute drei Fragen an Sie gestellt, Herr Bundeskanzler. ({13}) Die Bevölkerung hat einen Anspruch auf Antworten. ({14}) Wir werden Sie an diesen Antworten hier messen. Danke schön. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Staatsministerin Reem Alabali-Radovan. ({0})

Reem Alabali-Radovan (Gast)

Politiker ID: 11005006

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt und die Politik der Koalition sprechen eine klare Sprache: Wir wollen mehr Fortschritt und Respekt, mehr Sicherheit und Zusammenhalt für alle, ob mit oder ohne Einwanderungsgeschichte, ob geflüchtet oder zum Arbeiten oder Studieren hierhergekommen. 16 verschlafene Jahre Integrationspolitik holen wir jetzt mit einer klaren Agenda nach: ({0}) für Teilhabe von Anfang an, für ein modernes Einwanderungsland, für knallharte Kante gegen Rassismus. Das ist der Neuanfang in der Integrationspolitik. ({1}) Dazu zwei Beispiele, hinterlegt in meinem Haushalt: Erstens. Wir legen im Kampf gegen Rassismus endlich richtig nach. Die Straftaten sind gezählt, die Probleme bekannt; sie wurden gerade erst vom Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor benannt. 90 Prozent der repräsentativ Befragten sagen: Ja, es gibt Rassismus in Deutschland. Aber die große Mehrheit will Rassismus mit Widerspruch im Alltag, mit Demonstrationen, mit ehrenamtlicher Arbeit entgegentreten. Als Antirassismusbeauftragte der Bundesregierung werde ich diese Aufgabe erstmals mit einem Haushaltstitel in Höhe von 8 Millionen Euro angehen. Dafür danke ich besonders den Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses. ({2}) Wir brauchen beste Hilfe vor Ort, von Polizei und Sicherheitsbehörden, aber auch von unabhängigen Beratungsstellen. Da ist noch viel Luft nach oben, auch strukturell. Darum will ich die bestehenden Beratungsstrukturen vor Ort stärken und dafür sorgen, dass ihre Arbeit deutschlandweit bekannt wird und erreichbar ist. ({3}) Das ist wichtig; denn die Opferberatungsstellen helfen allen, die Rassismus erleben, individuell und persönlich. Gemeinsam mit der Zivilgesellschaft, mit den Migrantenorganisationen, mit der Wissenschaft, mit den Ländern und Kommunen, mit Verbänden werden wir schauen, wo die Lücken noch offen sind, und wir werden diese schließen. Wir dürfen die von Rassismus Betroffenen nie wieder alleine lassen. ({4}) Auch die Erinnerung darf nicht verblassen. Das schulden wir den Hinterbliebenen der NSU-Morde, der Anschläge von Solingen, Mölln, München, Halle und Hanau, den Angehörigen von Marwa al-Sherbini, den Menschen, die vor 30 Jahren in Rostock-Lichtenhagen um ihr Leben gefürchtet haben. Sie sind unvergessen. ({5}) Allein diese Aufzählung und das, was wir heute wieder aus der ganz rechten Ecke des Saals gehört haben, zeigen: Wir haben ein Problem, und das werden wir jetzt angehen. ({6}) Zweiter Punkt. Wir brauchen Integration ab Tag eins für alle, die hier leben: für Eingewanderte und Geflüchtete, auch für die 800 000 Menschen, die bisher aus der Ukraine zu uns geflohen sind. Wir täten gut daran, viele der positiven Erfahrungen, die wir gerade machen, auch für andere Menschen zu nutzen. Das Chancenaufenthaltsrecht wird dafür eine gute Gelegenheit sein. Für eine gute Aufnahme von Menschen aus der Ukraine sorgen in diesen Wochen auch die vielen, vielen Ehrenamtlichen in den Kommunen vor Ort. Sie verdienen unseren großen Respekt und Dank. Aber es darf nicht bei Worten bleiben. Deshalb unterstütze ich die ehrenamtliche Koordination unter anderem mit 20 Millionen Euro aus meinem Haushalt. Wir lassen die Ehrenamtlichen nicht allein. ({7}) Abschließend noch in aller Klarheit: Jeder Cent, den wir aus dem Bundeshaushalt in Integration und Antirassismusarbeit investieren, zahlt sich doppelt und dreifach aus. Das ist eine Investition in unseren Zusammenhalt, in ein friedliches Miteinander, in unsere Demokratie. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Martin Renner für die AfD-Fraktion. ({0})

Martin Erwin Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004862, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrtes Präsidium! Kunst und Kultur bedürfen zwingend der Freiheit. Ist diese Freiheit nicht vorhanden, dann werden Kunst und Kultur ganz schnell zur vorgegebenen Auftragsarbeit. Artikel 5 unseres Grundgesetzes garantiert die Freiheit von Kunst und Kultur. Aber das wissen Sie ja alle hier im Hohen Hause; Sie sind ja alle Experten in Politik, Demokratie und Recht. Ganz unverhohlen werden Kunst, Kultur und Medien im Haushalt der so kulturbegeisterten Frau Roth immer massiver auf modernen „Wokismus“ getrimmt, und es werden immer schön das „Cultural Mainstreaming“, das „Diversity Management“ und der „Genderdadaismus“ betont. ({0}) Doch hat das noch viel mit unserer deutschen Kultur und ihren Förderern zu tun? Nein. Wie denn auch, wenn man schon immer gerne hinter Transparenten hinterherlief, auf denen steht „Nie wieder Deutschland!“, oder wenn man einen Ampelmann zum Kollegen hat, der noch nie etwas mit Deutschland anzufangen wusste und es bis heute nicht weiß, oder wenn man eine Kollegin in der Ampelbeutegemeinschaft hat, die eine spezifisch deutsche Kultur jenseits der Sprache schlicht nicht identifizieren kann? Der ausgebeutete Steuerzahler hat die Einengung kultureller und künstlerischer Freiheit unter so ideologiegetränkten vorgegebenen Parametern wie Geschlechtergerechtigkeit, Diversitätsentwicklung, Multikulturalismus und Klimaneutralität zu alimentieren, vorgegeben innerhalb der Kultur, der Kunst, der Medien. Vorgegeben wird natürlich auch der allgegenwärtige Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus, der von Kulturmarxismus aufgeblasene, ungeistige Popanz unserer Zeit. Was früher das durchaus strittige Kunstprojekt war, ist heute der Klimabeauftragte, der die Planung und die Durchführung eines Kunstprojektes zu überwachen hat, oder die Anlaufstelle Green Culture für die Beratung von Kultureinrichtungen zu Fragen der ökologischen Transformation. Na ja! Wer dagegen aufbegehrt, der ist nicht länger nur ein ordinärer Kulturbanause, nein, er ist auch ein nicht zu tolerierender Rechter, den es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt. Sie und Ihre Politik haben nicht nur im Bereich der Kultur und in den Medien, sondern überall unüberwindbare Ideologiemembranen installiert. Diese Membranen sollen demokratische Freiheit vorgaukeln. Doch diese Membranen sind nur mit einem Zeitgeist, dem kulturmarxistischen Ungeist, durchlässig. Wer die Triggerthemen Ihrer ökosozialistischen, globalistischen Ampelpolitik unterstützt, dessen Futtertröge werden durch das Füllhorn des Steuerzahlers „hosianna!“ singend gefüllt. ({1}) Auf diese Weise bastelt und werkelt Ihr ach so hypermoralisches „Ampelarium“ weiter an einer neuen Gesellschaft, die die Mehrheit der Bürger gar nicht haben will. Und Sie lassen immer öfter und deutlicher erkennen, dass dieser andersdenkende Teil unserer Gesellschaft für Sie gar keinen Wert mehr hat. Ich rate Ihnen Umkehr. Also, Metanoia ist dringend notwendig. Danke schön. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Abgeordneter Renner, ich mache Sie darauf aufmerksam, dass wir hier eine Regelung haben, dass die amtierenden Präsidenten bzw. Präsidentinnen zu Beginn einer Rede gewürdigt werden. Dabei geht es nicht um die Person, sondern tatsächlich um die Würde des gesamten Parlamentes. Ich habe zwar darauf verzichtet, Sie in Ihrer Rede zu unterbrechen und die Anrede, welche nicht korrekt war, zu rügen, weise aber darauf hin, dass, sollte sich das im Laufe des Tages noch einmal ereignen, die dann amtierende Präsidentin oder der dann amtierende Präsident sicherlich die entsprechenden Maßnahmen ergreifen. ({0}) Das Wort hat der Kollege Andreas Audretsch für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({1})

Andreas Audretsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005011, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Während wir hier sprechen, sterben in der Ukraine Menschen oder sie werden von einem autoritären, rechtsextremen Diktator mit größter Brutalität in die Flucht geschlagen. Viele Hunderttausende von ihnen kommen zu uns hier nach Deutschland. Wir haben da eine riesige Aufgabe, und es ist richtig, dass wir uns dieser Aufgabe annehmen. Vor allem vor dem Hintergrund dessen, was in den letzten Wochen in den rechtsextremen Netzwerken zu dieser Frage unterwegs war, ist es mir ein Anliegen, mit größter Überzeugung zu sagen: Es ist richtig, dass wir diesen Menschen die Sozialsysteme öffnen. Es ist richtig, dass wir diesen Menschen unseren Arbeitsmarkt öffnen und Beratung geben. Es ist darüber hinaus richtig, dass wir im Etat von Reem Alabali-Radovan 3 Millionen Euro extra einstellen, um Projekte und Programme voranzutreiben, die an dieser Stelle helfen. Das ist gut investiertes Geld. ({0}) Ich möchte ergänzen: Explizit einen großen Dank an Christian Dürr dafür, dass er das gerade so deutlich gemacht hat. Wir werden den historischen Fehler der Union, der über Jahrzehnte hier in Deutschland ein Problem war, nicht wiederholen. Wir werden den Menschen eine Zukunft geben. Sie werden Teil dieser Gesellschaft, und davon werden wir alle profitieren. ({1}) Der Krieg in der Ukraine ist auch ein Krieg gegen die Freiheit des Denkens, gegen Journalistinnen und Journalisten, gegen die liberale Demokratie, die uns so wichtig ist. Claudia Roth hat es gesagt: Wir werden dieses Thema auch zum G‑7-Thema machen, weil es auf diese Ebene gehört. Aber wir warten nicht darauf. Wir legen Exilprogramme für geflüchtete Kultur- und Medienschaffende auf, die von hier aus den Kriegstreibern sagen, dass wir weiterhin für Demokratie, für Freiheit auf der Welt eintreten. Wir stärken die Deutsche Welle mit über 13 Millionen Euro, um freie Medien, freies Denken in diese Welt zu tragen. Das ist die Botschaft auch aus der Kulturpolitik hier in Deutschland. Wir werden für die liberale Demokratie streiten, in Deutschland und weltweit. ({2}) Ein zweiter Punkt ist mir wichtig. Mit dem Krieg in der Ukraine gehen soziale Härten für Kulturschaffende einher. Kollege Fricke hat es genannt – das ist schon das zweite Lob für einen Kollegen aus der FDP; mache ich gerne –: ({3}) Wir haben bei der Künstlersozialkasse richtig was draufgelegt. 58 Millionen Euro haben wir an der Stelle zusammenbekommen, um dafür zu sorgen, dass der Beitragssatz im nächsten Jahr nicht durch die Decke schießt. Ich bin darauf gerne eingegangen, ich habe das mit Freuden unterstützt; aber die Initiative kam vom Kollegen Fricke. Auch das muss man hier einmal anerkennen. ({4}) Die Klimakrise ist ein weiteres riesiges Thema, das in den Sälen und auf den Bühnen überall in Deutschland längst eine Rolle spielt. „Green Culture“ ist die ganz konkrete Antwort, die aus der Kulturbranche heraus kommt. Wenn man da unterwegs ist, stellt man fest: Das ist dort ein Riesenthema. Die Kulturschaffenden stehen in den Startlöchern. Sie wollen das Thema angehen. Was wir tun, ist, das Signal vonseiten der Bundesregierung zu veranlassen: Ja, das ist richtig. Wir unterstützen das mit dem Aufbau des Green Culture Desk und 5 Millionen Euro im Etat der Kulturstaatsministerin. ({5}) Ein weiteres Thema ist mir wichtig: der Umgang mit der Aufarbeitung unseres kolonialen Erbes und das Entwickeln einer neuen Erinnerungskultur. Meine Kollegin Awet Tesfaiesus hat es in der letzten Debatte so plastisch gesagt. Ich möchte das wiederholen – Zitat –: Stellen Sie sich vor, dass große Teile unseres Kulturgutes nicht in unseren Museen liegen, sondern auf einem anderen Kontinent. … Werke von Schiller, Goethe, Kant lägen nicht in unseren Bibliotheken. Um sie zu erforschen, müssten Sie in ein anderes Land reisen, wofür Sie ein Visum brauchen, was Ihnen in der Regel nicht gewährt wird. … Was würde das mit uns als Gesellschaft machen? Wir haben hier eine zutiefst ernste Verantwortung, die wir angehen müssen. Es bestürzt mich, liebe Union, dass Sie sich dieser Verantwortung weiterhin explizit verweigern. ({6}) In den Verhandlungen hier im Bundestag haben Sie den Antrag gestellt, fast das komplette Geld, das wir dafür eingestellt haben, zu streichen. Wer das nicht glaubt: Es steht schwarz auf weiß in den Protokollen. Ich kann Sie nur auffordern: Kommen Sie im 21. Jahrhundert an, in dem wir als Ampel Politik machen! ({7}) Wir haben 6,5 Millionen Euro im Etat eingestellt; wir gehen das Thema an. Für uns haben der Umgang mit der Vergangenheit und das Entwickeln einer neuen Erinnerungskultur an der Stelle erst begonnen. Für Aufsehen hat gesorgt – deswegen möchte ich das an der Stelle noch einmal erwähnen –, dass wir 6 Millionen Euro für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz gesperrt haben. Ich möchte Ihnen sagen, warum: nicht weil es uns an Wertschätzung für den großen Kulturschatz mangelt, den es dort ohne Zweifel gibt – im Gegenteil, wir schätzen das sehr wert –, sondern weil die Stiftung Reformen braucht. Deswegen haben wir gesagt: Wir sperren das Geld, und es wird erst weiteres Geld vom Bund geben, wenn diese Reformen auch umgesetzt werden. ({8}) Die Ampel steht für eine progressive Kulturpolitik. Das machen wir mit diesem Etat deutlich. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit zu dem Thema in den nächsten Jahren. Danke schön. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Anikó Merten für die FDP-Fraktion. ({0})

Anikó Merten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005150, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kunst und Kultur sind mehr als Unterhaltung. Sie sind Spiegel unserer Gesellschaft und zugleich Motor für die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der Gegenwart. Sie schaffen Verbindungen, öffnen Räume für den Austausch über alle Grenzen hinweg. Die Coronakrise hat in den vergangenen Jahren jedem Einzelnen von uns vor Augen geführt, wie einschneidend der Verzicht auf das kulturelle Leben war, und uns in der Erkenntnis bestärkt, wie bedeutend Kunst und Kultur sind. Kunst und Kultur formen Gesellschaften zu Gemeinschaften, bauen Brücken für die Menschen unterschiedlichster Herkunft und über Generationen hinweg. Kultur stiftet Orientierung und Haltung. In Zeiten beispielloser globaler Krisen brauchen wir Kunst und Kultur als Türöffner und Bühne; nur so werden Denkanstöße transportiert und diskutiert. ({0}) Das ist die Basis unseres demokratischen Fundaments, und das gilt es mit ganzer Kraft zu stärken und zu verteidigen. ({1}) Unser Bekenntnis zur Demokratie drückt sich durch den spürbaren Mittelaufwuchs für Kultur und Medien in dieser wirtschaftlich schwierigen Zeit aus; denn gerade in Zeiten von Krieg und Krise gilt es, Sicherheiten zu schaffen, und das haben wir, liebe Kolleginnen und Kollegen. In diesem Haushaltsjahr liegen wir bei einer Rekordsumme von 2,29 Milliarden Euro für Kultur und Medien. Das entspricht einem Wachstum des Kultur- und Medienetats um rund 7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. ({2}) Als kulturpolitische Sprecherin meiner Fraktion freue ich mich sehr, dass wir mit diesem Haushaltsentwurf Impulse setzen können, die in unserem Sinne wirken werden. ({3}) Wir investieren in den Ausbau eines vielfältigen und nachhaltigen Kulturbetriebs und in die Verbesserung der sozialen Lage zur Stärkung von Künstlerinnen und Künstlern. Durch die Steigerung der einzusetzenden Mittel können die Hilfen für Deutschlands Kreative, die pandemiebedingt unter großen finanziellen Einbußen leiden, weiterhin fortgesetzt werden. Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist ein integraler Bestandteil der deutschen Wirtschaft und benötigt für eine langfristige Stabilität dringend Planungssicherheit. ({4}) Als Kunstwissenschaftlerin, die einen direkten Einblick in die Kultur- und Kunstszene hat, wünsche ich mir eins daher ausdrücklich: Unser gemeinsames Ziel muss ganz klar lauten – Vorhang auf, und zwar für alle Bereiche! ({5}) Ich möchte hier nicht mit Zahlen um mich werfen, auch wenn der diesjährige Haushaltsentwurf wirklich dazu einlädt. Aber ein paar Beispiele möchte ich zumindest gern hervorheben: Wir investieren in Steine und Beine, das bedeutet Investitionen von 66 Millionen Euro für kulturelle Bauten, um notwendige Sanierungsmaßnahmen anzustoßen. Weitere 10 Millionen Euro fließen in die Erhaltung der Kinolandschaft, insbesondere um Kinos im ländlichen Raum zu unterstützen. ({6}) Und wir stärken den Bundesmusikverband Chor & Orchester. Denn besonders in diesen Zeiten können wir festhalten: Singen überwindet Grenzen. Derzeit blicken wir aber wohl alle fokussiert über unsere Landesgrenzen hinaus. Wir sind mit der brutalen Realität konfrontiert, dass sich die Welt verändert und damit all unsere Lebensbereiche sich verändern. Kunst und Kultur haben in Zeiten von Umbrüchen schon immer eine besondere Rolle eingenommen. Sie reflektieren unsere Gesellschaft, bewerten, kommentieren und stellen sich den Herausforderungen. Nur eines wird Kunst gewiss niemals tun: Sie unterwirft sich nicht, nichts und niemandem. Sie ist Transmitter und bleibt Türöffner, während die Welt um sie herum erschüttert. Wir wollen und werden nicht zusehen, wie ein Aggressor alles daransetzt, die Kultur und Identität einer Nation sukzessive auszulöschen. ({7}) Daher werden wir 20 Millionen Euro zusätzlich in Kultur- und Medienhilfen für die Ukraine investieren, um die gravierenden Auswirkungen des Krieges weiter abzufangen. Wir werden alles daransetzen, die ukrainischen Kulturstätten vor der russischen Zerstörungswut zu bewahren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns viel vorgenommen. Es gibt viel zu tun, aber auch viel zu bewirken. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun die Kollegin Kerstin Radomski. ({0})

Kerstin Radomski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004382, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erstmals seit dem Regierungswechsel soll der Haushalt des Einzelplans 04 verabschiedet werden. Von der Kultur- über die Integrationspolitik, die Anliegen der Vertriebenen bis hin zum Ostbeauftragten geht es in diesem Einzelplan tatsächlich um wichtige Themen für unser Land. Wir alle sind mit großen Kraftanstrengungen um das bemüht, was gerade in den aktuell bewegten Zeiten unsere Verantwortung fordert, insbesondere unsere Verpflichtung im Sinne unseres kulturellen Erbes. Deshalb erkennen wir als Opposition, wie die Regierungskoalition die Bemühungen ihrer Vorgänger auch in der neuen Legislaturperiode fortzusetzen versucht. Nachdem der Kulturetat in der Amtszeit von Staatsministerin Monika Grütters um mehr als zwei Drittel aufgewachsen ist, legen Sie immerhin noch 7 Prozent drauf. Das entspricht nicht dem Steigerungsvolumen der letzten acht Jahre, aber wir sehen Ihr Zeichen des guten Willens an dieser Stelle. Zugleich kritisieren wir, dass Sie so wenig aus dem Geld machen, und hätten doch deutlich mehr Mut erwartet. Ihr Ansatz „Green Culture“ soll innovativ klingen, ist aber vor allen Dingen ideologiebeladen. ({0}) Wenn Sie, Frau Roth, fragen, was man für die Pressefreiheit tun kann – Sie befinden sich ja als Bundesregierung mit dem Finanzministerium sozusagen schon in den Haushaltsberatungen für den Herbst –, dann rate ich Ihnen, doch etwas für den Presserat zu tun. Die Parlamentarier der Ampelkoalition haben das gemacht und haben mehr Geld für den Presserat zur Verfügung gestellt. ({1}) Ich möchte aber heute Projekte hervorheben, die konkreter, vor allen Dingen näher bei den Menschen wirken, und erklären, wie wir Sie dabei unterstützen können, kulturelle Dinge zu machen. Wir haben gefordert, dass ehrenamtliche Chöre und Orchester vor Ort unterstützt werden. Der Amateurmusikfonds sollte von uns aus mit 10 Millionen Euro ausgestattet werden; denn Amateurmusik ist das Fundament unseres kulturellen Lebens, auch in ländlichen Regionen. ({2}) Damit heben wir ein Engagement von 14 Millionen Freizeit- und Laienmusikern in Deutschland hervor und treten zugleich für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse sowie für die Stärkung des Gemeinwesens ein. Es ist für uns gemeinsames Interesse und Verpflichtung, das Engagement und die Arbeit der vielen zu unterstützen und zukunftssicher zu machen, auch im Sinne des immateriellen Kulturerbes. Wenn möglichst viel Geld konkret bei 11 000 Vereinen im ganzen Land ankommt, dann landet es in der Herzkammer der Musiklandschaft statt nur bei Spitzengremien oder Dachorganisationen. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die Förderung des „Zukunftsprogramms Kino“ wurde um 10 Millionen Euro auf 25 Millionen Euro angehoben. Wir haben diesem Ampelantrag zugestimmt; denn er entspricht unseren Forderungen, und deshalb ist er gut. Das Programm wurde 2020 von der damaligen Staatsministerin Monika Grütters ins Leben gerufen. Besonders Kinos, die ihre strukturellen oder kulturellen Funktionen an ihrem Standort erfüllen, wollen wir stärken. Wir alle sollten dafür eintreten, dass dieses Zukunftsprogramm auch weiterhin Bestand hat. Blicken wir auf das neue Humboldt Forum in Berlin. Im Rahmen der Einbringung des Etats habe ich dazu aufgerufen, sich noch stärker mit diesem jungen Ort auseinanderzusetzen. Wir als zuständige Unionsabgeordnete haben gestern diesen Ort besucht. Ich weiß, viele von uns waren auch schon vorher einmal einzeln dort. Wir möchten, dass sich das Humboldt Forum zu einem Ort entwickelt, wo den Kulturen ganz im Sinne der Aufklärung und Weltoffenheit eine Bühne geboten wird. Deshalb haben wir natürlich der Kürzung des Etats nicht zugestimmt, die die Ampelkoalition vorgenommen hat. Auch der Sperre des Geldes für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz von 6 Millionen Euro konnten wir nicht zustimmen, weil das dringend benötigtes Geld ist. Ich habe es im Ausschuss schon gesagt: Eine Sperre der politischen Gremien führt nicht zu einer Reform, für die die Politik an der Stelle nicht verantwortlich ist. ({4}) Zum Schluss möchte ich einen Punkt ansprechen, der bei den selbsternannten Progressiven leider häufig als antiquiert und als Auslaufmodell abgetan wird: das Schicksal der Vertriebenen und ihr lebenslanges Trauma. Es wurde heute viel der Begriff „Erinnerungskultur“ bemüht, und es wurde sogar von „neuer Erinnerungskultur“ gesprochen. Ich finde es wichtig, dass wir auch nicht die Teile unserer gemeinsamen Geschichte vergessen, die unserer Erinnerungskultur entsprechen. Die Ampel hat gerade in Zeiten, in denen Millionen Menschen aus ihrer Heimat fliehen und voller Ängste sind, im Grunde genommen den Menschen die Projektfördermittel gekürzt, für die die deutschen Heimatvertriebenen stehen; 1 Million Euro wurden gekürzt. Wenn das oder das Umschichten von Geld in neue Erinnerungspolitik Ihre neue Erinnerungskultur ist, dann finde ich das wirklich schwierig. Dabei kommen gerade viele ältere Menschen inzwischen angesichts der Bilder, die sie im Fernsehen sehen, mit ihren Ängsten nicht mehr klar. Es kommen die Ängste aus ihrer Kindheit und Jugend hervor, und das scheinbar Bewältigte bricht wieder auf. Ich finde, wir als Parlamentarier müssen da gemeinsam zusammenstehen, und ich fordere Sie auf, im nächsten Haushaltsentwurf dieses Geld wieder draufzulegen. Denn Vertreibung findet nicht nur heute statt; Vertreibung gab es in vielfältiger Art und Weise, und wir haben in diesem Bereich eine große Verantwortung. ({5}) Wir werden alle Maßnahmen kritisch begleiten. Ich möchte aber auch allen Kollegen des parlamentarischen Bereichs für die guten Beratungen danken und hoffe auf einen guten Verlauf der nächsten Haushaltsberatungen, die schon bald anstehen. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Audretsch das Wort.

Andreas Audretsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005011, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Radomski, eine Anmerkung hätte ich, und zwar zu dem Fakt, dass Sie gesagt haben, Sie seien im Humboldt Forum gewesen und hätten sich das angeschaut. Auch ich war da und habe mir das sehr genau angeschaut. An der Stelle vermisse ich erneut die Differenziertheit im Umgang zum Beispiel mit unserer kolonialen Vergangenheit. ({0}) Wenn man dort ist und sich anschaut, was dort passiert, sieht man einen Teil, die Stiftung Humboldt Forum, die versucht, da tatsächlich eine weltoffene Debatte zu etablieren. Wenn man weitergeht, sieht man dort Vitrinen, bei denen ohne jegliche Erklärung „Wissmann, Eroberung des Kongo“ und eine Jahreszahl dazu stehen. Nichts über die Verbrechen, nur eine Ausstellung des Raubgutes, das damals nach Deutschland gebracht wurde. Keine Erklärung, keine Auseinandersetzung! Das sind Vitrinen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die dort stehen. Wenn man mit diesem Humboldt Forum umgeht, dann kann man sagen, dass da Leute sind, die sich bemühen – das kann man wertschätzen –, eine weltoffene Debatte zu etablieren. Aber dann muss man auch sagen, dass das ein Ort ist, der mit unserer Vergangenheit in einer Form umgeht, die nicht adäquat ist. ({1}) Genau diese Debatte müssen wir hier ernsthaft führen. Deswegen führen wir die ernsthaft. Deswegen haben wir an der Stelle auch gesagt, dass wir Geld sperren, dass wir noch mal Geld rausnehmen, um Druck zu erzeugen, weil wir Änderungen brauchen, und diese Veränderungen werden wir mit aller Kraft angehen. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Erwiderung.

Kerstin Radomski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004382, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Audretsch, für Ihre Anmerkung. – Ich glaube, dass mit Geldstreichen Dialog nicht möglich wird. Ich glaube, das ist eine unterschiedliche Herangehensweise. Sie bemängeln, dass die Beschriftungen im Humboldt Forum Ihren Ansprüchen an dieser Stelle nicht entsprechen. Ich konnte gestern tatsächlich nicht alle lesen. Ich glaube, man braucht viele Tage, um sich jedes Detail anzuschauen. Aber dann muss man in den Dialog gehen mit den Wissenschaftlern vor Ort und auch mit den Ländern, die da betroffen sind, um zu erfahren, ob die das genauso sehen. 5 Millionen Euro zu streichen, um Dinge zu erpressen, ({0}) ist für mich der falsche Weg der politischen Auseinandersetzung; aber jeder wählt da seinen eigenen Weg. Ich denke, wir kommen da sicherlich alle gemeinsam zu einer guten Lösung. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion spricht nun Dr. Wiebke Esdar. ({0})

Dr. Wiebke Esdar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Hinter uns liegen zehn Wochen Haushaltsberatungen, zehn Wochen, in denen sehr deutlich geworden ist, dass diese Regierung handelt, dass sie die Menschen spürbar entlastet, dass sie die Wirtschaft stabilisiert und auch Investitionen anschiebt, weil wir einen Gestaltungsanspruch haben, der eben auch auf die Zukunft ausgerichtet ist. Wir tun dies und haben dies in den vergangenen zehn Wochen getan unter den dunklen Wolken, die drei große Krisen mit sich bringen: die aktuellen Auswirkungen – innen- wie außenpolitisch – des Ukrainekrieges, die Nachwirkungen der Coronapandemie, die noch nicht zu Ende ist, und auch die Klimakrise, die wir nicht vergessen dürfen, mit ihren drohenden, viel größer werdenden zukünftigen Auswirkungen. Wir haben diesen Haushalt so aufgestellt, dass er trotz der nahezu größtmöglichen Unsicherheit mit dem, was wir beschließen werden, ein Maximum an Sicherheit für die Menschen bietet, weil wir – Bundeskanzler Olaf Scholz hat es zu Beginn dieser Debatte sehr deutlich gesagt – die Sorgen der Menschen in den Blick nehmen und unsere Politik daran ausrichten. ({0}) Für uns gehört zur Sicherheit die äußere, die innere und die soziale Sicherheit. Wir stärken die äußere Sicherheit mit dem Sondervermögen der Bundeswehr. Aber unser Sicherheitsbegriff geht selbstverständlich darüber hinaus. Darum haben wir angesichts des Ukrainekriegs 40 Milliarden Euro zusätzlich eingestellt, unter anderem für humanitäre Hilfsmaßnahmen in der Ukraine. Wir haben den Etat des BMZ gestärkt, um Maßnahmen für Ernährungssicherheit ergreifen zu können. Wir haben für „Krisenbewältigung und Wiederaufbau, Infrastruktur“ nahezu 900 Millionen Euro bereitgestellt. Und wir haben noch während der Bereinigungssitzung auf das G‑7-Finanzministertreffen reagiert: Die Liquiditätshilfen für die Ukraine werden mit 1 Milliarde Euro aus Deutschland unterstützt. Die äußere Sicherheit ist so prägend für diesen Haushalt wie lange nicht mehr. Aber wir stärken auch die innere Sicherheit, beispielsweise indem wir zusätzliche Stellen beim Zoll schaffen, um Geldwäsche und Steuerbetrug zu bekämpfen, aber auch um die Einhaltung des Mindestlohns zu kontrollieren, der ab Oktober auf 12 Euro erhöht wird. Wir bauen die Extremismusprävention aus. Und: Wir haben auch Lehren aus der Flutkatastrophe im Ahrtal gezogen und werden dem THW Mittel für zusätzliche Unimogs zur Verfügung stellen und die Regionalstellen des THW stärken, damit wir angesichts dessen, was wir zukünftig zu befürchten haben, mehr Leben retten können. ({1}) Für uns als Sozialdemokratie ganz wichtig ist die soziale Sicherheit, die wir mit den Entlastungspaketen stärken werden, die wir sehr schnell und sehr differenziert auf den Weg gebracht haben. Mit diesen drei Sicherheitsbegriffen schaffen wir Sicherheit im Wandel und sind gleichzeitig mit diesem Haushalt schon in der Lage, Investitionen in die Zukunft anzuschieben und langfristige Perspektiven aufzumachen. Wir haben für den internationalen Klimaschutz noch etwas draufgelegt. Wir haben für die Investitionen in die LNG-Terminals Verpflichtungsermächtigungen eingestellt. Ich bin total froh, dass wir es geschafft haben, den Bau der „Polarstern II“ anzuschieben und zu finanzieren. Endlich ist damit die Sicherheit gegeben, dass sie gebaut werden kann. Herr Merz, da ich Sie dort sitzen sehe, möchte ich auch in Gedanken an Ihre Rede die Kritik meiner Vorrednerinnen und Vorredner ergänzen, was die Frage der Reflexion und Selbstkritik der schwarz geführten Häuser der letzten 16 Jahre angeht. Die „Polarstern II“ ist ein weiteres Beispiel dafür – das begegnet uns immer wieder –, dass Etatisierungen nicht vorhanden sind. Es gab immer das Versprechen: Die „Polarstern II“ kommt. Aber es war null im Haushalt eingestellt. Null! Wir müssen mit mindestens 1 Milliarde Euro dafür rechnen. Das haben wir jetzt auf den Weg gebracht. ({2}) Meine Damen und Herren, ganz zum Schluss gehört es sich in einer Generaldebatte, dass wir als Abgeordnete den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Fraktionen, in der AG Haushalt, in den Fach-AGs, in unseren Büros, aber auch in den Ministerien danken; denn wir hätten die Beratungen nicht so vollziehen können, wenn nicht auch sie Nacht- und Wochenendschichten dafür eingesetzt hätten. Darum mein herzlicher Dank! ({3}) Ich freue mich auf die Beratungen zum Haushalt 2023. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Luise Amtsberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Haushalt hat besonders im kulturpolitischen Bereich zwei Herausforderungen zu meistern: Er muss zum einen nach zwei Jahren Pandemie, in der die Belange von Kunst- und Kulturschaffenden immer wieder in den Hintergrund geraten sind und Politik nicht angemessen oder viel zu spät auf die Lebenslagen von Kulturschaffenden reagiert hat, Vertrauen zurückgewinnen. Zum anderen muss er auf die realen Herausforderungen reagieren, die eine über so viele Jahre andauernde, auch einseitige Kulturpolitik verursacht hat. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir es mit diesem Haushalt sehr gut hinbekommen, dem ein ganzes Stück näher zu kommen. ({0}) Unsere Demokratie lebt von freier Kunst, von Meinungsfreiheit. Und weil das so ist, müssen wir auch einen Beitrag dazu leisten, dass Gleichberechtigung und Chancengleichheit im Kulturbereich gefördert werden. ({1}) Diese Koalition hat sich deshalb vorgenommen, die Entstehung von Räumen zu unterstützen, in denen ganz unterschiedliche Menschen ihre künstlerischen Ausdrucksformen finden, stärken und zeigen können. Natürlich ist das nicht für jeden und jede die Opernbühne, das Schauspielhaus oder das Museum. Es sind auch Proberäume im ländlichen Raum, Umsonst- und Draußen-Festivals, Clubs oder Graffitiwände – Kulturräume, in denen in unserem Land jeden Tag die Kunstfreiheit gelebt wird. ({2}) Ich freue mich, dass wir mit der Unterstützung für die Musikfestivals „c/o pop“, „jazzahead!“ und „Pop-Kultur Berlin“ diesem Auftrag auch nachkommen. Kulturförderung heißt aber auch, die vielfältigen Lebensrealitäten abzubilden. So unterschiedlich wie Menschen in unserem Land leben und lieben und arbeiten, so wichtig ist es, ebendiese Vielfalt auch in Filmen, Büchern oder auf den Bühnen zu zeigen – gerade für junge Menschen, um sich mit gesellschaftspolitischen Fragen, mit Ideen und auch mit Hoffnungen zu identifizieren. Deswegen fördern wir QueerScope, einen Zusammenschluss queerer Filmfestivals in ganz Deutschland. Wir stärken die ökologische und nachhaltige Kulturarbeit und natürlich auch die Kinos. Weil wir leider Gottes gerade im Filmbereich erleben mussten, dass die notwendigen Reformen in den letzten Jahren verschleppt wurden, werden wir uns in dieser Legislatur natürlich auch endlich die Filmförderung vornehmen und sie auf solide und nachhaltige Füße stellen. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf sehr schmerzhafte Weise haben Tontechnikerinnen, Filmemacher, Musikerinnen und Werbeleute während der Pandemie zu spüren bekommen, wie wenig Wissen und Aufmerksamkeit in der Politik für die vielfältigen Arbeits- und Lebensrealitäten in den unterschiedlichen Kulturbranchen herrschen. Das muss sich dringend ändern, und zwar auch losgelöst von der Pandemie. Mit der Förderung des Bündnisses D-Popkultur, das eine Vertretung für ganz verschiedene Akteurinnen und Akteure im Bereich der Popmusik ist, setzen wir eben mehr als nur ein Zeichen. Wir werden Popkultur endlich strukturell fördern – nicht über ihre Köpfe hinweg, sondern mit ihnen gemeinsam. Genau so muss Kulturpolitik funktionieren. ({4}) Abschließend: Diese Beispiele zeigen ganz konkret, wo der Unterschied zwischen dieser Ampelkoalition und der vorherigen Koalition liegt, nämlich Kultur in all ihrer Vielfalt, ihren unterschiedlichen Ausdrucks- und Organisationsformen zu fördern und damit gleichermaßen auch den Kulturbegriff endlich ein Stück zu weiten. Dieser Haushalt ist ein guter Auftakt dafür – ein Neuanfang für das dringend notwendige Umdenken und Andershandeln in der Kulturpolitik. Herzlichen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Stefan Seidler. ({0})

Stefan Seidler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005219

Frau Präsidentin! Moin, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({0}) Für den SSW ist dieser Haushalt ein gutes Zeichen in schweren Zeiten; denn überall auf der Welt werden Minderheiten ausgegrenzt und verfolgt, häufig sogar mit dem Tode bedroht. Die Enthüllungen über den Umgang der chinesischen Diktatur mit den Uiguren führt uns das Ausmaß der Gewalt vor Augen. Daraus müssen wir in unseren Beziehungen zur Volksrepublik klare Konsequenzen ziehen. Bei uns in Deutschland leben Minderheiten frei. Dennoch erfahren etwa Roma und Sinti noch immer Diskriminierung. Doch mit dem vorliegenden Haushalt stellt die Bundesregierung sich dem entgegen und erhöht die Bundesmittel zur Förderung der vier bei uns beheimateten Minderheiten. Als Vertreter der friesischen Volksgruppe und der dänischen Minderheit, als Fürsprecher für alle unsere Minderheiten hierzulande möchte ich den Mitgliedern des Hauses, die dies ermöglicht haben, ganz herzlich danken. ({1}) Die Koalition hat hier den richtigen Weg eingeschlagen und wird ihn in den kommenden Jahren hoffentlich auch weiterverfolgen. Liebe Ampelkoalition, wo es Licht gibt, gibt es aber auch Schatten. Ich zähle zu euren, zu Ihren Unterstützern, aber inzwischen ist fast ein halbes Jahr vergangen, und bislang bleibt die Fortschrittskoalition hinter den geweckten Erwartungen zurück. Ich weiß, dass der Angriffskrieg auf die Ukraine, die Pandemie, steigende Energie- und Lebenshaltungskosten die Kräfte binden, aber wie so viele andere Bürgerinnen und Bürger in unserem Land hoffe ich, dass bald der Turbo gezündet wird. Trotz der großen Herausforderungen drohen wir in den alten Trott und die Trippelschritte zurückzufallen. Es fehlt der Schwung. Statt Zuversicht ist die „German Angst“ zurück. Bei neuen Ideen und Visionen geht es immer erst darum, warum etwas nicht geht, und Projekte werden zerredet. Digitalisierung, Mobilitätswende, Entrümpelung der Verwaltung brauchen mutigen Fortschritt. Doch während es bei manchen Themen nur schleppend vorangeht, drohen wir trotz Ihrer ambitionierten Klimapolitik im selben Bereich teilweise sogar Rückschritte zu tätigen. So sollen Stein- und Braunkohlekraftwerke nun doch auf Jahre hin als Reserve erhalten bleiben. Im Wattenmeer soll nach Gas und Öl gebohrt werden. Man kann nicht stets vom Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen sprechen und dann immer wieder Entscheidungen treffen, die Deutschland an Kohle, Öl und Gas auf Jahre binden. ({2}) Ich hatte mir erhofft, dass wir zusammen den Blick noch etwas mehr auf die Lösungen aus dem Norden richten: mehr Bürgerbeteiligung, schnellere und effizientere Prozesse, Vertrauen in die Selbstständigkeit der Bürgerinnen und Bürger, Stärkung regionaler Strukturen. Aber da sind wir noch nicht angekommen. Ich habe dennoch das Vertrauen, dass die Ampelkoalition Willen und Potenzial hat, auch über den vorliegenden guten Haushalt hinaus die richtigen Reformen zu verfolgen, die unser Land so dringend braucht. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion erhält nun die Kollegin Linda Teuteberg das Wort. ({0})

Linda Teuteberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004913, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation – auch um dieses Projekt geht es in dieser Zeit. Die Kommission „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“ hat es vorgeschlagen. Die Koalition hält an diesem Vorhaben fest und will es jetzt umsetzen. Wir brauchen darüber eine gesamtdeutsche Debatte, auch im Lichte der aktuellen Herausforderungen. Es ist ein gesamtdeutsches, kein ostdeutsches Anliegen, dieses Zentrum zu verwirklichen und darüber zu sprechen, was es leisten kann und muss. ({0}) Es gab gerade angesichts des Krieges, den Russland gegen die Ukraine führt, auch aktuelle Debattenbeiträge dazu, was dieses Zentrum leisten muss. Da war zum Teil die Rede von Bedenken, dass es zu einer nationalen Nabelschau kommen könnte, versus die gesamteuropäische und auch stärker nach Mittel- und Osteuropa gerichtete Perspektive. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist kein Entweder-oder. Wir brauchen beides. Wir brauchen die innere Einheit und den gemeinsamen antitotalitären Konsens gesamtdeutsch und gesamteuropäisch. Darum geht es auch bei diesem Zentrum. ({1}) Denn auf die auch geschichtspolitische Kriegserklärung Putins muss eine auch geschichtspolitisch fundierte Verteidigung unserer liberalen Ordnung folgen. ({2}) Dazu müssen wir uns auch mit der Geschichte vor 1989 beschäftigen, zum Beispiel mit dem Beitrag, den unsere polnischen Nachbarn für diesen Kampf um Selbstbestimmung, gegen Diktatur geleistet haben. Wenn wir uns übrigens mit den Fehleinschätzungen deutscher Außenpolitik in den letzten Jahren beschäftigen, dann lohnt es sich, auch mal Stellungnahmen bundesdeutscher Politiker Anfang der 80er-Jahre zu Solidarnosc und ihrer Rolle anzusehen. Wir haben viel aufzuarbeiten für eine gemeinsame europäische Zukunft. Die Worte von Donald Rumsfeld über das alte und neue Europa sollten uns zum Nachdenken anregen. Einen solchen Konsens, der uns geeint in Europa vorgehen lässt, brauchen wir. ({3}) Dazu ist die praxisorientierte Auseinandersetzung mit unserer Geschichte – gesamtdeutsch und gesamteuropäisch –, die dieses Zentrum leisten soll, ein Beitrag. Wir müssen gemeinsam außen- und sicherheitspolitisch erwachsen werden. Wenn in den letzten Jahren – manchmal auch zu Wahlkampfzwecken – wichtige Themen wie das NATO‑2-Prozent-Ziel oder auch TTIP für ein bisschen schnellen Anti-Trump-Applaus instrumentalisiert wurden, dann gilt es jetzt auch zu sehen: Der gesinnungsethischen Klarheit und Rhetorik, gerade auch in den aktuellen Fragen – dass die Ukraine unterstützt wird, dass wir um die europäische Freiheit gemeinsam kämpfen –, muss auch das verantwortungsethische Handeln in der Praxis folgen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Abstimmungen über die angemessene Ausstattung unserer Bundeswehr bieten jedem und jeder von uns Gelegenheit, zu zeigen, dass wir diese Botschaft verstanden haben und handeln. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Sepp Müller für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist jetzt fast ein halbes Jahr her, dass uns Staatsminister Schneider im Deutschen Bundestag seine politischen Schwerpunkte vorgestellt hat. Es waren große Worte zur Schaffung des Amtes eines Staatsministers für Ostdeutschland – ich zitiere –: Das ist ein klares Bekenntnis von Olaf Scholz für die Region, für Ostdeutschland, und es ist eine klare Verpflichtung der Bundesregierung, dieser Entscheidung etwas folgen zu lassen. Das heißt, Sie können uns daran tatsächlich messen. Das war die Messlatte, die sich Staatsminister Schneider damals selbst gesetzt hat. Wenn wir heute Zwischenbilanz ziehen, dann fällt diese ernüchternd aus. Klar ist: Wir leben durch den brutalen Angriffskrieg Russlands in einer neuen Zeitrechnung. Die Herausforderungen für die Europäische Union und Deutschland sind gewaltig. Die Herausforderungen sind insbesondere in Ostdeutschland mit den Händen zu greifen. Zu einem der dringlichsten Megathemen gehört die Teuerung in den Regalen der Supermärkte. Ein halbes Pfund Butter kostet mittlerweile 3,29 Euro. Die Bundesregierung steht in der Pflicht, die bezahlbare Energieversorgung in ganz Deutschland, Herr Schneider, zu gewährleisten. Die Bundesregierung steht in der Pflicht, gut bezahlte Arbeitsplätze zu sichern. Es geht darum, die Attraktivität unseres Wirtschaftsstandortes für Großinvestitionen wie Tesla und Intel hoch zu halten. Sehr geehrter Herr Staatsminister, die Menschen in Leuna und Schwedt machen sich seit geraumer Zeit große Sorgen. Beide Raffinerien sind die Lebensadern zu einer Energiesicherheit, zu einer gut bezahlbaren Energieversorgung Ostdeutschlands. Die Anspannung vor Ort war besonders in den vergangenen Tagen mit Händen zu spüren. Auch war die Kritik der Finanzministerin in Brandenburg, Katrin Lange – im Übrigen eine Sozialdemokratin –, am Kurs von Bundeswirtschaftsminister Habeck mehr als deutlich: „Keine Entscheidungen ins Blaue hinein“, „Weiterbetrieb, Versorgung und Bezahlbarkeit müssen verbindlich gesichert sein“. ({0}) Es ist schon so, sehr geehrter Herr Staatsminister: Zu Krisenzeiten schlägt die Stunde der Regierung. Aber umso wichtiger ist es jetzt, dass die Menschen in Ostdeutschland für ihre Belange einen durchsetzungsstarken Fürsprecher in der Bundesregierung an ihrer Seite haben, jemanden, der in der Bundesregierung für den Osten die Strippen zieht. ({1}) Wo ist Ihr klares Bekenntnis, Herr Schneider, dass wir den EU-Ratsbeschluss zum Ölembargo eins zu eins umsetzen? Wo ist Ihr klares Bekenntnis, dass russisches Öl durch die Druschba zumindest für Schwedt weiterhin genutzt werden kann? Wo bleibt Ihr Einfordern, dass Bundeskanzler Olaf Scholz endlich zu einem großen nationalen Energiegipfel einlädt? Wo ist Ihr Bekenntnis zu bezahlbarem Sprit in Ost und West? ({2}) – Das ist klar, dass das bei den Grünen viele Zwischenrufe herausfordert, wenn man circa 5 Prozent in Schwedt hat und noch schlechtere Wahlergebnisse produziert. Die Leute vor Ort haben Existenzängste. Da sind 30‑jährige junge Frauen und Männer, die ihre Familienschicksale darauf ausgerichtet haben, und Ihre Bundesregierung sagt ihnen nichts. ({3}) Bündnis 90/Die Grünen sagt in Gestalt von Robert Habeck: Da kriegen wir schon eine Lösung hin. – Ja, wie sieht denn die Lösung aus? ({4}) Wie wollen Sie den 30‑Jährigen mit ihrem zweijährigen Kind erzählen, die dieses Jahr gerade eine Hausfinanzierung abgeschlossen haben, dass Ende des Jahres dort kein Arbeitsplatz mehr zur Verfügung steht, wenn wir keine Lösung haben? Aber vom Staatsminister Schneider für Ostdeutschland kommt dazu nichts. ({5}) Wir brauchen jemanden in der Bundesregierung, der zum Hörer greift und sich gegen den Wirtschaftsminister durchsetzt, wenn existenzielle Fragen einer bezahlbaren und sicheren Energieversorgung in Ostdeutschland auf der politischen Agenda stehen. ({6}) Wie viel soll das halbe Pfund Butter in ostdeutschen Regalen noch kosten, bis diese Bundesregierung endlich aufwacht? ({7}) Ich sage es offen heraus: Ich finde es enttäuschend, ({8}) dass sich der Staatsminister für Ostdeutschland in dieser für uns so wichtigen Debatte nahezu vollständig weggeduckt hat. ({9}) Es spricht Bände, dass in den vergangenen Tagen, wo viele Menschen in Leuna und besonders in Schwedt von existenziellen Ängsten geplagt sind, der für Ostdeutschland zuständige Staatsminister nicht Tag und Nacht in der Regierungszentrale arbeitet, um Lösungen anzubieten. Wo ist der Staatsminister, liebe Sozialdemokratie? ({10}) Ihr Staatsminister hat es für wichtiger gehalten, in den letzten Tagen an einem Fußballturnier im finnischen Lahti teilzunehmen, anstatt den Ostdeutschen eine Antwort auf die drängenden Fragen zu geben. ({11}) Das ist der Respekt des Staatsministers gegenüber dem Osten. ({12}) Sehr geehrter Herr Schneider, es fehlt Ihnen offensichtlich an Respekt gegenüber den betroffenen Menschen in Leuna und Schwedt, ({13}) es fehlt Ihnen offensichtlich an Demut vor dem Amt, und es fehlt Ihnen offensichtlich an politischer Durchsetzungsfähigkeit, wenn es für den Osten darauf ankommt. Es ist richtig, liebe Linda Teuteberg, dass das Transformationszentrum endlich kommt. Es ist richtig, weil wir als Große Koalition in der letzten Wahlperiode bereits das Fundament dazu gelegt haben. Und es ist richtig, dass die Transformation auch Osteuropa mit in den Blick nimmt. Doch wo ist jetzt der Respekt den Osteuropäern gegenüber? Polen liefert an die Ukraine Panzer und hat von unserer Bundesregierung Ersatz versprochen bekommen. Ich zitiere: Tatsächlich haben wir ein solches Versprechen auch bekommen und Deutschland hat versprochen, uns diese Panzer zu liefern. Sie haben dieses Versprechen nicht erfüllt … Offen gesagt: Wir sind sehr enttäuscht darüber. ({14}) Das sagt kein Geringerer als Polens Präsident Andrzej Duda. Wer ostdeutsche Interessen wahrnimmt, wer weiter Scharnier sein will zwischen Ost- und Westeuropa, der muss auch mit den osteuropäischen Staaten sprechen, und das ist Ihre Aufgabe, Herr Staatsminister. Dieser kommen Sie nicht nach. Daran sind Sie bereits gescheitert. Ihre Messlatte ist gerissen. Danke. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Helge Lindh das Wort. ({0})

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2,29 Milliarden Euro für Kultur und weitere Maßnahmen. Warum? Kultur ist aus der Sicht der Koalition nicht Zwangsbeglückung, nicht Reparaturbetrieb, nicht Ornament bei Bedarf, sondern Recht und Anspruch auf kulturelle Teilhabe. ({0}) Das verkörpert mit diesem offenen Geist unsere Kulturstaatsministerin Roth. ({1}) Kultur ist im Übrigen auch Erinnerung und nicht Kunst der Amnesie und Selbstamnestie des Oppositionsführers Merz, um das einmal deutlich zu machen. Kunst und Kultur heißt auch Arbeit. Das bedeutet Stärkung der Künstlersozialkasse. Das bedeutet anständige Honorare. Das bedeutet Mindesthonorare und Mindestvergütung. ({2}) Kunst und Kultur heißt auch, die ukrainische Kultur, Nation, Identität und Sprache am Leben zu halten, ihr Räume zu geben und sie zu verteidigen gegen die Versuche der kulturellen Auslöschung des Putin-Regimes und gegen den Genozid von Mariupol. Und es heißt, zu erinnern an den völkermörderischen Holodomor. Auch das heißt Kultur. Kultur bedeutet aber auch im Sinne dieser Demokratie die Verleihung des deutschen Sachbuchpreises an Stephan Malinowski, was ein demokratischer Schlag ins Gesicht der Hohenzollern und ihrer SLAPP-Einschüchterungsstrategie gegen Journalistinnen und Journalisten und gegen die Geschichtspolitik und den Geschichtsrevisionismus der Hohenzollern ist. Apropos Geschichtsrevisionismus. Bei allem Verständnis für Profilierung und Selbstprofilierung: Kultur heißt auch Kultur des Umgangs miteinander und heißt nicht, Bundeskanzler Olaf Scholz Geschichtsrevisionismus vorzuwerfen und damit den tatsächlichen, unerträglichen Geschichtsrevisionismus der Rechten und Rechtspopulisten tagtäglich in diesem Lande zu verharmlosen und zu bagatellisieren. ({3}) In diesem Sinne stehen wir als Koalition für eine Kultur, in der Menschen sprechen und nicht wir für Menschen sprechen. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU Fraktion hat nun Dr. Christiane Schenderlein das Wort. ({0})

Dr. Christiane Schenderlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach zwei Jahren Durststrecke kommt das Kulturleben in unserem Land endlich wieder zurück. Das Berliner Theatertreffen, die Eröffnung der Festspiele in Mecklenburg-Vorpommern und „Rock am Ring“ finden statt. Viele Künstler gehen wieder auf Tournee. Die Zahl der Veranstaltungen steigt auf Rekordniveau. Aber trotz dieser Öffnungseuphorie bleiben die Zeiten unkalkulierbar. Deshalb braucht die Kultur jetzt genau zwei Dinge: Planbarkeit und Verlässlichkeit. ({0}) Die Verlängerung des Neustart-Programms ist daher richtig, aber nicht ausreichend. Zwölf Monate sind schnell um, und es bedarf einer Evaluierung. Der Sonderfonds für den Ausfall von Veranstaltungen muss dringend entbürokratisiert und vor allem der Realität angepasst werden. Und leider gibt es immer noch keinen Ansprechpartner der Bundesregierung für die Kultur- und Kreativwirtschaft, ganz entgegen den Ankündigungen im Koalitionsvertrag. Die Branche wartet händeringend darauf – bisher vergeblich. ({1}) Andere neue Personalstellen wurden hingegen schon geschaffen, allein 18 bei der Bundesbeauftragten. Zur Verlässlichkeit gehört auch, dass nicht gekürzt wird. Das haben Sie aber gemacht, und zwar bei Projektförderungen wie zum Beispiel für die Vertriebenen oder aber allein 75 Millionen Euro für die Auswärtige Kulturpolitik. Dabei haben Sie, Frau Roth, auf der Münchner Sicherheitskonferenz noch betont: Kulturpolitik ist Sicherheitspolitik. – Das passt dann aber nicht zusammen. Denn jetzt wird bei der Programmarbeit der Kulturvermittler und den Auslandsschulen der Rotstift angesetzt. Stattdessen werden 7 Millionen Euro in das neue Programm „Globaler Süden“ gesteckt, ohne dass ein Konzept vorliegt. Wir wissen gar nicht, wofür diese Mittel in diesem Jahr noch ausgegeben werden sollen. Deshalb wollten wir dieses Geld der Amateurmusik zugutekommen lassen. Aber das hat die Ampel leider abgelehnt. Erst am Wochenende konnten wir beim Deutschen Chorfest in Leipzig mit 350 Chören erleben, wie eindrucksvoll Amateurmusik sein kann. Sie waren dabei, Frau Roth. ({2}) Auch der Präsident des Deutschen Chorverbands, Christian Wulff, ermahnte – ich zitiere –: „Ohne stärkere politische Unterstützung wird die Chorszene die Coronakrise nicht bewältigen.“ Es gibt auch Vorhaben, die parteiübergreifende Unterstützung haben. Dazu gehört das Denkmalschutz-Sonderprogramm und das „Zukunftsprogramm Kino“. Wir stärken damit den ländlichen Raum. Das ist ein Kernanliegen unserer Fraktion. Daher sind die zusätzlichen 10 Millionen Euro für die notwendigen Investitionen in Kinos gut angelegt. Allerdings nehmen Sie dem Humboldt Forum dafür 5 Millionen Euro weg – dem größten nationalen Kulturprojekt. Das ist der falsche Weg. Anstatt es zur Chefsache zu machen, erklären Sie es öffentlich zur „Riesenbaustelle“. Meine Fraktion – meine Kollegin hat es bereits ausgeführt – war gestern sehr beeindruckt, und wir stehen – das ist entscheidend – ganz klar zum Kreuz. Einen gemeinsamen Besuch im Humboldt Forum kann ich daher nur sehr empfehlen. ({3}) Die Auswirkungen der Coronapandemie auf die Kultur haben nicht nur eine kulturpolitische, sondern sie haben vor allen Dingen auch eine wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Dimension. Umsatzeinbrüche von bis zu 80 Prozent, allein 2020 ein Verlust in Höhe von 15 Milliarden Euro in der Kreativwirtschaft, haben Folgen. Viele Beschäftigte mussten sich umorientieren und fehlen jetzt. Daher gehört die soziale Situation von Künstlerinnen und Künstlern durchaus ganz oben auf die Agenda. Ihrem erklärten Willen, hier etwas voranzutreiben, müssen Taten folgen. Wir werden da genau hinschauen; zum Beispiel müssen wir im Blick haben, ob die Erhöhung des Bundeszuschusses ausreichen wird. Kultur muss bezahlbar bleiben. Das gilt für den Unternehmer, aber das gilt vor allen Dingen auch für den Einzelnen. Die Inflation darf auf gar keinen Fall dazu führen, dass es für Familien nicht mehr möglich ist, ein Kulturerlebnis wahrzunehmen. Der Ukrainekrieg und die Inflation überschatten das politische Tagesgeschäft und fließen selbstverständlich auch in die Kulturpolitik ein. Daraus resultieren zusätzliche Aufgaben, die auch von der Kulturstaatsministerin angegangen werden müssen. Das darf aber keine Entschuldigung dafür sein, die Grundlagen der Kulturpolitik zu vernachlässigen. Die Ampelkoalition hat einen ambitionierten Koalitionsvertrag vorgelegt. Den gilt es jetzt umzusetzen; aber aktuell kommen Sie über den Ideenstatus nicht hinaus. Künstler, Kulturschaffende und Kreative benötigen jetzt Sicherheit und Verlässlichkeit. ({4}) Lassen Sie sie nicht im Stich und sorgen Sie dafür, dass die kulturelle Vielfalt auch in den kommenden Jahren sichergestellt wird! ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich grüße Sie an diesem Mittag sehr herzlich und darf als letztem Redner in dieser Debatte dem Abgeordneten Stefan Gelbhaar für Bündnis 90/Die Grünen das Wort geben. ({0})

Stefan Gelbhaar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004726, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Nun soll es noch einmal um den Haushalt des Ostbeauftragten gehen. Ich möchte Sie eingangs auf eine Merkwürdigkeit hinweisen. Sie alle kennen die „Süddeutsche Zeitung“, Sie alle kennen die Radiowellen des Norddeutschen Rundfunks oder den Westdeutschen Rundfunk, WDR. Was Sie nicht kennen, ist ein ostdeutscher Rundfunk oder eine ostdeutsche Zeitung. Das ist schon für sich genommen bemerkenswert. Gleichwohl fordere ich hier nicht die Neugründung einer Zeitung oder eines Rundfunks. Aber: Explizite und ausdrückliche Begegnungs- und Diskussionsräume fehlen im Osten. Mit dem Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation wird ein solcher Ort geschaffen, und das ist auch notwendig. ({0}) Warum? Noch immer lässt sich das Gebiet der DDR in thematischen Karten gut erkennen, etwa wenn es um die ältesten Regionen in Deutschland geht oder um die Höhe des Aufkommens aus der Erbschaftsteuer, Impfquoten, Einkommen und Vermögen, die Zustimmung zu Waffenlieferungen, die ärztliche Versorgung und vieles, vieles mehr. Ja: Auch daran wird von der Ampelkoalition gearbeitet, etwa mit der Erhöhung des Mindestlohns oder der Finanzierung des Härtefallfonds. ({1}) Aber die Baustellen sind nicht weniger geworden. Die Debatte um die Entindustrialisierung des Ostens ist geschichtlich hochrelevant: War das ein planvoller DDR-Scherbenhaufen oder ein planloses Verscherbeln der Treuhand? Ich verrate Ihnen was: Daran haben beide – allerdings unterschiedlichen – Anteil. Politisch aktueller aber sind die folgenden Fragen: Wie konnten zum Beispiel die Solar- und die Windbranche im Osten in den letzten Jahren so zugrunde gehen – Conergy, SKET, jetzt Nordex in Rostock? Wie steht es um die Repräsentanz, um die Durchsetzung legitimer Interessen? Explizit ostdeutsche Reflexionsräume werden gebraucht. ({2}) Denken Sie auch an die Außenpolitik. In Ostdeutschland wird das Sicherheitsgefühl von Putin deutlich stärker beeinträchtigt. Aber dann muss doch die Störung des Sicherheitsgefühls von Polen oder Litauen umso mehr wahrgenommen werden – und die Zerstörung der Ukraine. ({3}) Für diese notwendigen Debatten über die Rolle der Bundesrepublik in Europa, insbesondere in Osteuropa, braucht es Räume. Da sehe ich die Bundesregierung in der Pflicht, aber nicht nur die. Wirksame Sanktionen fordern, aber ein Ölembargo ausschließen – das muss man erst einmal in einem Satz unterbringen, Frau Mohamed Ali! ({4}) Da sitzen Sie dann in einem Boot mit Orbans Ungarn und Teilen der Ost-CDU. Ich frage mich: Ist das wirklich links? ({5}) Unser Wirtschaftsminister hat da einen klaren Kurs. Wir brauchen neue Aufgaben für PCK in Schwedt oder auch in Leuna, etwas mit erneuerbaren Energien. Das ist der Weg. Vielen Dank. ({6})

Carsten Körber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004332, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist vollbracht: Elf Wochen voller intensiver Haushaltsberatungen liegen hinter uns. Neulich, in der ersten Lesung, habe ich meine Rede mit einem deutlichen und klaren Lob unserer Außenministerin begonnen. Und heute stelle ich fest: Sie, liebe Frau Ministerin, und Ihr Haus haben das Niveau gehalten. ({0}) Das Auswärtige Amt – das konnte ich in den letzten Wochen intensiv erleben – ist ganz offensichtlich vom Geist und von der Kultur her ein Haus, das es als eine ehrenvolle Aufgabe begreift, Vertretern der Legislative Auskunft und Informationen zu geben, gerade auch denen der Opposition. Davon können sich viele andere Häuser gerne eine Scheibe abschneiden. Der Etat des Auswärtigen Amtes liegt in diesem Jahr inklusive Ergänzungshaushalt bei rund 7,5 Milliarden Euro; 6,5 Milliarden Euro waren es im Regierungsentwurf, und circa 1 Milliarde Euro kam durch die parlamentarischen Beratungen on top. Das ist ein Rekord, aber das ist ein Rekord, über den sich keiner von uns wirklich freuen kann; denn wir alle kennen den Grund für diesen Rekordetat. Er kann uns nicht glücklich machen, ganz im Gegenteil. Aktuell erleben wir mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine die schlimmste Aggression in Europa seit 1945. Der russische Angriff auf die Ukraine hat es leider erforderlich gemacht, diesen Etat, wie viele andere Etats auch, massiv zu erhöhen. Der Krieg zeigt seine dramatischen Folgen beinahe überall auf der Welt. Deswegen war es gut, richtig und leider auch notwendig, dass allein die Mittel für humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt um 700 Millionen Euro erhöht wurden. ({1}) Der Bedarf an humanitärer Hilfe weltweit steigt dramatisch. Während der Bedarf weltweit 2019 noch bei weniger als 20 Milliarden Euro lag, liegt er in diesem Jahr leider schon bei über 43 Milliarden Euro. Als Bundesrepublik Deutschland tun wir, was wir tun können; immerhin sind wir nach den USA der zweitgrößte Geber weltweit. Es gäbe für uns als Union im Detail sicher vieles zu kritisieren – zum Beispiel sind uns die Einschnitte gerade im Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik zu groß; wir glauben, dass mit diesem Haushalt viel Engagement, Potenzial und Know-how zu Grabe getragen wird –, ich möchte mich hier in dieser Rede aber auf einen besonderen, geradezu skandalösen Missstand beschränken. Damit meine ich die Verschleierungstaktik, die das Finanzministerium beim Ergänzungshaushalt verfolgt hat. Das Auswärtige Amt beispielsweise erhält aus dem Ergänzungshaushalt 450 Millionen Euro; das ist beinahe eine halbe Milliarde. Dafür bekommt man mehr als 12 000 funkelnigelnagelneue vollelektrische VW ID.3, die übrigens im meiner Heimat Zwickau gebaut werden. ({2}) Auch der Ergänzungshaushalt wurde ja neulich beschlossen. Nicht beschlossen wurde aber die Aufteilung, wofür das BMF die Mittel ans AA gibt. Uns ist zwar die Antragsliste bekannt, aber diese Liste ist eben nicht verbindlich. Was hat das mit Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit zu tun? ({3}) Aber es kommt noch schlimmer. Der Ergänzungshaushalt enthält eine globale Mehrausgabe in Höhe von 13,7 Milliarden Euro. Dafür bekommt man übrigens schon rund 370 000 VW ID.3. ({4}) Diese Mittel kann das BMF nach Gutdünken auf die einzelnen Ressorts verteilen. Das ist nichts weniger als die mutwillige Entmachtung des Haushaltsgesetzgebers durch die Exekutive. Die Ampelregierung legt hier die Axt an das Budgetrecht des Parlaments. Liebe Haushälterkolleginnen und ‑kollegen der Ampel, dass Sie dieses Spiel von Bundeskanzler Scholz und Finanzminister Lindner mitgespielt haben, finde ich wirklich schade. ({5}) Für die im Herbst anstehenden Haushaltsberatungen wünsche ich Ihnen dringend mehr parlamentarisches Selbstbewusstsein. ({6}) Dass Sie das brauchen, zeigt auch noch ein weiteres Beispiel. Gerne hätte die Union einem Antrag der Koalition zugestimmt, im Auswärtigen Amt eine Länderdatenbank aufzubauen, sozusagen eine Maßnahmenübersicht auf Knopfdruck. Die sollte es geben. Ein neuer Aufschlag war geplant, nachdem ein anderes Ressort an dieser Stelle zwei Jahre nicht geliefert hat. Aber dieser Antrag kam nicht. Ich weiß, dass Sie als Berichterstatter willens waren; wir haben im Vorfeld viel darüber gesprochen. Das Projekt wurde aber trotzdem verhindert, offenbar durch andere, die es selber nicht besser können. Sie haben es durchgehen lassen, liebe Kollegen von der Ampel, wider besseres Wissen, und das ist für mich das eigentlich Traurige; das ist der eigentliche Skandal. ({7}) Aber wie heißt es so schön? Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Ich möchte mich für die engagierten Verhandlungen bei meinen Kolleginnen und Kollegen Mitberichterstattern herzlich bedanken. Ebenso möchte ich mich bei allen Beteiligten im Auswärtigen Amt bedanken. Herzlichen Dank. ({8})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Das Wort erhält für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Jamila Schäfer. ({0})

Jamila Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005200, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche Außenpolitik war leider lange von einem gefährlichen Irrlauben geprägt: dass wirtschaftliche Zusammenarbeit automatisch Frieden und Menschenrechte stärkt. Egal ob wir nach Butscha oder nach Xinjiang gucken: Wir werden laufend eines Besseren belehrt. Eine von wirtschaftlichen Interessen geprägte Außenpolitik, die sich sonst in Zurückhaltung übt, übernimmt nicht nur zu wenig Verantwortung. Sie kann sogar zu gefährlichen Abhängigkeiten von autoritären Machthabern führen und der werte- und regelbasierten Ordnung schaden. ({0}) Der Haushalt des Auswärtigen Amtes, den wir hier heute beschließen wollen, steht deswegen für eine ganz andere Außenpolitik. Er legt den Fokus auf eine aktive Prävention von Krisen, auf eine wertegeleitete Sicherheitspolitik und auf eine Klimaaußenpolitik, die die Länder des Globalen Südens als gleichberechtigte Partner versteht. ({1}) Er unterstreicht den Anspruch unserer Ministerin Annalena Baerbock, dass Menschenwürde und Freiheit, die Werte, auf denen unser Völkerrecht einst gebaut wurde, unsere Außenpolitik leiten. Die Nachrichten aus Xinjiang zeigen uns genauso wie die traurige Geschichte rund um Nord Stream 2: Wirtschaftsinteressen gehören hinter universelle Werte angestellt, zum Schutz von Menschenrechten und zum Schutz unserer Sicherheit. ({2}) Eine aktive Außenpolitik braucht eine angemessene finanzielle Ausstattung. Wenn wir diesen Haushalt heute beschließen – der Kollege Körber hat das schon angesprochen –, wird der Etat für das Auswärtige Amt so groß sein wie nie zuvor: 7,56 Milliarden Euro inklusive des Ergänzungshaushaltes. Das ist angesichts eines neuen imperialistischen Krieges in Europa, der Angriffe auf Demokratien weltweit und der globalen Klimakrise genau richtig. ({3}) Wir vergrößern unser Engagement in der humanitären Hilfe auf ein Rekordniveau von 2,7 Milliarden Euro. Wir statten die zivile Krisenprävention mit einem Höchstwert von rund 600 Millionen Euro aus, mit Aufwüchsen zum Beispiel auch in der Kulturaußenpolitik, bei den Goethe-Instituten und bei den politischen Stiftungen. Ganz besonders gefreut hat mich die Anschubfinanzierung für das Nothilfereferat für verfolgte Wissenschaftler/-innen aus Russland und aus Belarus. ({4}) Damit bieten wir wichtigen Stimmen eines pluralistischen Osteuropas eine Perspektive. Das ist menschlich wichtig. Aber es ist auch sicherheitspolitisch wichtig; denn jede Investition in eine starke Zivilgesellschaft in autoritären Ländern ist auch eine Investition in unsere Sicherheit. ({5}) Unsere Außenpolitik beruht auf Multilateralismus, der völkerrechtlichen Ordnung und einer engen Partnerschaft mit den Ländern dieser Welt, die sich für Stabilität und Demokratie einsetzen. Dazu gehört natürlich auch, die Tätigkeiten der Vereinten Nationen zu stärken. Noch eine Bemerkung zum Thema „Zusammenarbeit mit Afrika“. An unserem Umgang mit den afrikanischen Staaten wird sich unser außenpolitisches Handeln vielleicht mit am stärksten messen lassen. Hier können und müssen wir zeigen, dass wir als Europäische Union der Partner für wirtschaftliche, humanitäre und politische Allianzen sind. Mit diesem Haushalt, liebe Kolleginnen und Kollegen, schaffen wir das Fundament für eine wertegeleitete Außenpolitik. Vielen Dank dafür an meine Mitberichterstatter/-innen und an unsere Außenministerin Annalena Baerbock und vielen Dank auch an das Auswärtige Amt für die hervorragende Zusammenarbeit. Vielen herzlichen Dank. ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Das Wort erhält für die AfD-Fraktion Dr. Michael Espendiller. ({0})

Dr. Michael Espendiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004711, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und bei Youtube! Am Giebel dieses Gebäudes, in dem wir uns gerade befinden, steht geschrieben: „Dem deutschen Volke“. Danach müsste es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, dass sich auch die deutsche Außenpolitik an diesem Leitsatz ausrichtet. Doch leider sehen wir in vielen Fällen das Gegenteil. Im deutschen Interesse wäre es, sparsam mit den deutschen Steuergeldern umzugehen und sich genau zu überlegen, wie man dieses Geld einsetzt. Es wäre im deutschen Interesse, Schulden abzubauen und auf solide Finanzen hinzuwirken. ({0}) Und doch haben wir auf der Schlussgeraden bei den Haushaltsberatungen erlebt, wie eine optimistische Steuerschätzung für das Jahr 2022 dazu geführt hat, dass der Etat des Auswärtigen Amtes über die 7‑Milliarden-Euro-Grenze gehoben wurde. Die Mehrausgaben von rund einer halben Milliarde Euro fließen fast ausschließlich in Richtung Ukraine, wohlgemerkt zusätzlich zu dem, was ohnehin schon vorgesehen war und was auch noch aus anderen Etats kommt. Damit fließt das Geld in ein Land, mit dessen kriegsgebeuteltem Volk sich wohl jeder solidarisiert, der ein Herz in der Brust hat, wo man sich aber gleichzeitig die Frage stellen muss, was mit diesem Geld eigentlich passiert und ob es tatsächlich da ankommt, wo es gebraucht wird, und nicht in irgendwelchen undurchsichtigen Kanälen versickert. ({1}) Dass Herr Selenskyj in den Pandora Papers auftaucht und man ihn noch letzten Herbst der Korruption bezichtigte, will ja momentan keiner hören, ist für mich als Haushälter tatsächlich aber auch schon nebensächlich. Denn der entscheidende Punkt bei der Ausgabenpolitik im Auswärtigen Amt ist für mich die mangelnde Evaluation. Es gibt keinerlei Bilanz, keinerlei Auswertung und keinerlei Erfolgskontrolle darüber, was der Einsatz hart erarbeiteten deutschen Steuergeldes im Ausland eigentlich konkret bringt. ({2}) Tatsächlich, werte Kollegen, ist man im Auswärtigen Amt bis heute nicht in der Lage, auf Nachfrage zu sagen, was genau in welchem Land mit welchem Beitrag zu welchem Zweck gefördert wird. Niemand hat einen Gesamtüberblick über den undurchdringbaren Wildwuchs an Projekten, die weltweit mit deutschem Steuergeld finanziert werden. Aber im Ausschuss sind sich alle anderen Fraktionen einig, dass man auf jeden Fall mehr Geld braucht. Das ist absolut verrückt. ({3}) Immerhin, Frau Ministerin Baerbock hat in den Beratungen zugesichert, dass man bis zum Herbst ein System entwickelt haben will, mit dem man auf Knopfdruck Daten zu den weltweiten Projekten des Auswärtigen Amtes abrufen kann. Das findet nicht nur unsere Zustimmung, sondern wir fordern das auch ein. Denn nur wenn wir endlich einmal einen Gesamtüberblick bekommen, können wir auch mit einer echten Evaluation beginnen und uns ausgiebig der Frage widmen, wo wir Geld sparen können. Bis dahin möchte ich der Regierung aber auch noch ein paar kurze Anmerkungen dazu mitgeben, was den Interessen dieses Landes dient und was nicht. Ein Gasembargo gegen Russland ist nicht im deutschen Interesse; denn es bedroht in großer Zahl Arbeitsplätze und führt zu neuen haushälterischen Belastungen in den Bereichen Arbeit, Soziales und Wirtschaft. ({4}) Es führt zu unkalkulierbaren Risiken bei unserer Energiesicherheit. Man kann die Frage, womit denn im nächsten Winter in Deutschland geheizt werden soll, nicht einfach unbeantwortet lassen. Man kann auch nicht die über Jahrzehnte geschaffenen Abhängigkeiten Deutschlands von Energieimporten ignorieren und so tun, als gäbe es sie nicht. ({5}) Bei allem Verständnis für die aktuelle Situation, die Solidarität mit der Ukraine darf nicht so weit gehen, dass wir unseren Wirtschaftsstandort gefährden und die Menschen im nächsten Winter bei uns frieren. Und zu guter Letzt: Auch Waffenlieferungen an die Ukraine sind nicht im deutschen Interesse, was auch eine wachsende Mehrheit in der Bevölkerung so sieht. ({6}) Vor diesem Hintergrund ist es geradezu ironisch, dass die Inschrift „Dem deutschen Volke“ hier draußen am Haus aus eingeschmolzenen Kanonen gefertigt wurde. Die Bundesregierung sollte über die tiefere Bedeutung dieser Materialauswahl vielleicht noch einmal nachdenken und zur Besinnung kommen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weise Sie noch mal darauf hin, dass nach der nächsten Rede die Abstimmung geschlossen wird. Also, falls es Mitglieder des Hauses gibt, die ihre Stimme noch nicht abgegeben haben, sollten sie sich jetzt auf den Weg machen. Als Nächstes erhält das Wort der Kollege Dr. Nils Schmid für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Nils Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004876, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich mich bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses bedanken für die Verbesserungen am Etat des Auswärtigen Amtes, die vorgenommen worden sind. Dieser Dank gilt natürlich in erster Linie der Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion Wiebke Papenbrock, die diese Woche entschuldigt ist, und Dennis Rohde als Sprecher, der sie die letzte Zeit vertreten hat. Dank geht aber auch – das will ich ausdrücklich sagen – für die gute Vorbereitung im Auswärtigen Amt an Staatssekretärin Baumann, die dafür gesorgt hat, dass die Grundlagen für diese guten Beratungen gelegt worden sind. Herzlichen Dank an all diejenigen, die hier haushaltspolitisch mitgewirkt haben. ({0}) Aus Sicht von uns Außenpolitikern sind eine funktionstüchtige Diplomatie, ein gut ausgestattetes Auswärtiges Amt besonders wichtig. Deshalb will ich bei den allgemeinen Haushaltstiteln auf einen hinweisen, der uns besonders am Herzen liegt. Das ist der stetige Aufwuchs der Personalreserve des Auswärtigen Amtes, der auch in diesem Haushalt fortgesetzt wird und der auch in den Folgehaushalten – das will ich ausdrücklich sagen – fortgesetzt werden muss. Der zweite Punkt, der mir wichtig erscheint anzumerken, ist die Lösung, die der Haushaltsausschuss gefunden hat für die Veranschlagung der Ertüchtigungshilfe mit Blick vor allem auf die neuen Herausforderungen, die aus der Unterstützung für die Ukraine erwachsen. Es ist gut, dass wir für diesen Haushalt und auch für die Folgehaushalte den Weg gebahnt haben und entsprechende Mittel veranschlagt haben. Auch dafür ein herzliches Dankeschön! ({1}) Allgemein gesprochen steht auch der Haushalt des Auswärtigen Amtes im Zeichen der Zeitenwende. Die außenpolitischen Möglichkeiten werden durch den Bundeshaushalt deutlich verstärkt – angefangen mit der militärischen Seite des vernetzten Ansatzes – durch die Verankerung des Sondervermögens; denn wir sind uns ja einig, dass angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine die militärische Abschreckung gestärkt und die Bundeswehr ausreichend modernisiert werden muss. Mir ist aber auch wichtig, dass gerade im Sinne des vernetzten Ansatzes die Mittel für die Entwicklungshilfe in diesem Haushalt angemessen ausfallen und dass die Funktionsfähigkeit des Auswärtigen Amtes einschließlich des ZIF – der zivilen Krisenpräventionskomponente, die auch im Auswärtigen Amt angesiedelt ist – ebenfalls gestärkt wird. Denn eines ist klar: Diese Zeitenwende wird politisch nur dann nachhaltig von uns im Parlament, aber auch von der Gesellschaft in Deutschland getragen werden können, wenn wir im Sinne des vernetzten Ansatzes Krisenprävention, Entwicklung und Abschreckung zusammendenken und Diplomatie nie aufgeben, meine Damen und Herren. ({2}) Schließlich gehört zu der Lehre, die wir aus erfolgreicher Außenpolitik sozialdemokratisch geführter Regierungen in den letzten 50 Jahren ziehen können, auch dazu, dass wir genauso entschieden und entschlossen, wie wir gegen äußere Bedrohungen Vorkehrungen treffen und die Landesverteidigung stützen sowie auf Dialog und Entspannung setzen, die inneren Reformen unseres Landes, die Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft angehen müssen. Dieser Dreiklang gehört für eine progressive, fortschrittliche Regierungspolitik aus sozialdemokratischer Sicht zusammen. Genauso wie Willy Brandt den Tornado mit Atombomben ausgestattet hat und gleichzeitig das BAföG eingeführt hat, wird Olaf Scholz F‑35 mithilfe des neuen Sondervermögens kaufen und gleichzeitig das BAföG modernisieren. Zusammen mit den Ampelpartnern werden wir das Staatsangehörigkeitsrecht modernisieren, werden wir die Digitalisierung vorantreiben, werden wir den Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigen. Das ist Politik aus einem Guss im Sinne eines modernen Deutschlands und eines modernen Europas. Diesen Weg wollen wir die nächsten Jahre gemeinsam fortsetzen. ({3}) All das fügt sich dann zusammen in einem Begriff, den Olaf Scholz in einem Buch schon vor einigen Jahren geprägt hat: Hoffnungsland. Deutschland ist ein Hoffnungsland für viele Menschen, für unsere Bürgerinnen und Bürger, aber auch für Menschen, die aus Not, aus Gründen politischer Verfolgung oder wegen Krieg fliehen müssen. Dieses Hoffnungsland wird durch einen Punkt symbolisiert – Frau Schäfer hat dankenswerterweise darauf hingewiesen –, der auch im Etat des Auswärtigen Amtes verankert ist, nämlich das Programm zur Aufnahme von Menschen aus Belarus, Russland, Ukraine, die aus politischen Gründen aktuell das Land verlassen müssen: Journalisten, Akademikerinnen, Akademiker. Wir haben die große Chance, dass der Begriff des Hoffnungslandes gerade für diese sich für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit engagierenden Menschen Realität wird. Genau aus diesem Grund wird die SPD diesem Einzelplan mit großer Freude zustimmen. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, das Auswärtige Amt könnte umbenannt werden in ein Aufrüstungs-, Waffenexport- und Sanktionsministerium. ({0}) Denn all das geht ja von dieser Politik aus. Ich verstehe auch nicht, dass sich die CDU/CSU immer mit der Bundesverteidigungsministerin Lambrecht auseinandersetzt. In Wirklichkeit macht das doch die Bundesaußenministerin Baerbock. Also, da müssen Sie die Adressatin der Auseinandersetzung wechseln. ({1}) Was haben denn die Sanktionen gegen China und Russland gebracht? Das Ziel war ja: China soll die Uiguren anständig behandeln. Machen sie es? Nein. Russland sollte mit dem Krieg aufhören. Geschieht es? Nein. ({2}) Vielleicht sollte man mal wechseln von der Sanktionspolitik hin zu Angeboten. Man könnte doch China auch sagen: Wenn ihr die Menschenrechte gegenüber den Uiguren achtet, bekommt ihr erstens, zweitens, drittens. Warum immer nur in Form von Sanktionen denken und nicht mal umgekehrt herangehen, um mit Angeboten wirklich weiterzukommen? ({3}) Die Politik lebt von Glaubwürdigkeit, lebt davon, dass sie in allen Situationen und an alle Staaten den gleichen Maßstab anlegt. Die Außenpolitik dieser Bundesregierung ist davon aber weit entfernt. Die Werte, die Sie verteidigen und für die Sie auch Waffengewalt einzusetzen bereit sind, gelten offenbar nicht für alle Staaten. Es ist keine Frage, dass Menschenrechte, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat verteidigt werden müssen und dass die Ukraine alles Völkerrecht auf ihrer Seite hat, ihre territoriale Integrität gegen den Aggressor Russland zu verteidigen. Doch eines bleibt unabdingbar: Die Entscheidung, wie dieser Krieg geführt und vor allem, wie er beendet wird, liegt zuallererst bei den Kriegsparteien, und niemand hat das Recht, der Ukraine vorzuschreiben oder sie anzutreiben, diesen Krieg bis zu einem bitteren Ende hin zu einer militärischen Entscheidung zu führen. Und das taten Sie, Frau Bundesministerin Baerbock, als Sie sagten, der Krieg sei erst beendet, wenn der letzte russische Soldat das ukrainische Staatsgebiet verlassen habe. ({4}) Wenn die Ukraine aber auf einen Kompromiss eingehen sollte, haben Sie, haben wir das zu respektieren. ({5}) Wir haben zu der Frage, ob Deutschland mit seiner Geschichte Waffen an die Ukraine liefern sollte, unterschiedliche Positionen. Die gibt es aber offenbar auch in der Koalition. Ich bleibe dabei: Deutschlands Schuld und Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg und das Menschheitsverbrechen des Holocaust ({6}) hätte es uns ein für alle Mal verbieten müssen, dass deutsche Unternehmen an Waffenexporten jemals wieder etwas verdienen, auch der Staat nicht. ({7}) Deutschland ist aber der fünftgrößte Waffenexporteur der Welt. Wer so viele Waffen exportiert, exportiert auch Krieg und macht eben mit Kriegen Gewinne. Wenn Jürgen Habermas und andere gegenwärtig zur Besonnenheit aufrufen – was ihr gutes Recht ist –, werden sie beschimpft. Sie, Frau Bundesministerin, haben in Bezug auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine die Befürchtung geäußert, dass unsere Bevölkerung – ich zitiere Sie wörtlich – „kriegsmüde“ wird. Was wäre denn die Alternative? Soll die deutsche Bevölkerung etwa kriegsbegeistert werden? Ausgerechnet Sie, die oberste deutsche Diplomatin, wollen in Deutschland also die Akzeptanz dafür steigern, dass Konflikte kriegerisch gelöst werden. ({8}) Dazu möchte ich Karl Kraus zitieren. Der sagte: Kriegsmüde – das ist das dümmste von allen Worten, die die Zeit hat. Kriegsmüde sein das heißt müde sein des Mordes, müde des Raubes, müde der Lüge, müde der Dummheit, müde des Hungers, müde der Krankheit, müde des Schmutzes, müde des Chaos. War man je zu all dem frisch und munter? Ich sage Ihnen: Die Mehrheit unserer Bevölkerung ist friedliebend und deshalb immer kriegsmüde. ({9}) Sie bestrafen nicht nur die russische Führung, sondern auch die russische Bevölkerung, die den Krieg nicht beschlossen hat. ({10}) Und große Teile unserer Bevölkerung sind es leid, dass sie mit Energie- und Lebensmittelpreisen die Milliardenkonsequenzen des Krieges tragen sollen, ({11}) während Sie bei dem Einfrieren von Oligarchenvermögen weit hinter anderen Staaten hinterherhinken ({12}) und im Unterschied zu Italien, Spanien, Griechenland und sogar einer entsprechenden Planung in Großbritannien keine Übergewinnsteuer für die Kriegsgewinnkonzerne, für die Kriegsgewinnler in Deutschland erheben wollen. ({13}) Die sollen reicher und reicher werden, aber dafür keinen Euro zusätzlich bezahlen müssen. Ich weiß, dass die FDP dahintersteckt. ({14}) Das hat mit Liberalität nichts zu tun, gar nichts. ({15}) Und nun zur Ungleichbehandlung. Das Vorgehen des türkischen Präsidenten gegen die Kurdinnen und Kurden ist anzuprangern. Man hört von Ihnen dazu so gut wie nichts. Und nichts macht die Unglaubwürdigkeit deutlicher als dieses Schweigen. Erdogan bombt gegen jene kurdischen Einheiten in Syrien und im Irak, die am Boden den entscheidenden Kampf gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ geführt haben. Und Sie schauen zu und liefern an die Türkei Waffen, obwohl das Ganze auch noch völkerrechtswidrig ist? ({16}) Nun verlangt er auch noch für seine Zustimmung zum NATO-Beitritt ({17}) F-16-Bomber und dass die Kurdinnen und Kurden weltweit schlechter behandelt werden. Ich befürchte, dass er beides erreicht.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Abgeordneter.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, dann komme ich zum Schluss. – Der gravierendste Fehler ist, dass Ihnen keine Ordnung für Frieden und Sicherheit für die Zukunft vorschwebt: Wie können wir denn zu Deeskalation zurückkehren, zu Interessenausgleich – es gibt auch ein Interesse des Gegenübers –, zu sehr viel mehr Diplomatie und zur strikten Wahrung des Völkerrechts durch alle Seiten? ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als Nächstes erhält das Wort für die FDP-Fraktion der Kollege Michael Georg Link. ({0})

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Gysi, als Sie kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine Stellung nahmen, hatte ich für einen Moment gedacht, dass zumindest bei Ihnen Realismus eingekehrt sei. Ihre Fraktion hat sich ohnehin gleich anders geäußert. Aber in welchem Zentralkomitee ist denn Ihre heutige Rede geschrieben worden? ({0}) Sie haben heute einen Rückfall in ein Wunschdenken schlimmster Szenarien des Kalten Krieges gehabt, wie ich ihn selten erlebt habe. Und ich kann nur sagen: Wenn Sie denken, dass das funktioniert, dann nutzen Sie bitte die sehr guten Kontakte nach Russland, in den Kreml, die Sie und viele Ihrer Parteikollegen haben. Das gilt im Übrigen auch für die Abgeordneten auf der entgegengesetzten Seite des Plenums. Der Beifall hier heute von ganz links und von ganz rechts spricht Bände und zeigt uns erneut, dass wir Demokraten zusammenhalten müssen. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, man kann viel kritisieren. Man kann in der Tat bei den Sanktionen viel kritisieren, aber nicht, dass sie zu weitgehend sind. Vielmehr sage ich nach dem Sondergipfel von gestern Abend einmal ganz deutlich: Was für ein erbärmliches Schauspiel, wie es Orban aufgrund der Einstimmigkeitsregel gelungen ist, aufzuführen, und – ich sage das deutlicher, als unsere Regierungsvertreter das können und dürfen – was für ein erbärmliches Schauspiel, dass es immer noch möglich ist, dass ein Land alle anderen am Nasenring durch die Manege führt! Das muss sich ändern. ({2}) Denn die EU bleibt in der Tat hinter ihren Möglichkeiten zurück. ({3}) Deshalb hat sich die Ampel im Koalitionsvertrag vorgenommen, dass wir an diesem Thema arbeiten, um endlich zu qualifizierten Mehrheiten in der Außen- und Sicherheitspolitik zu kommen, damit sich so etwas wie gestern nicht wiederholt. Es war – ich sage es noch einmal – ein Trauerspiel. Und wenn man sieht, wie Orban sich dann auch noch produziert hat, kann ich nur sagen: Wir müssen uns gut auf den nächsten Europäischen Rat vorbereiten. Lasst uns auch überlegen, welche Möglichkeiten bestehen, wie wir ohne das Einstimmigkeitserfordernis jetzt schon Wege finden, um uns nicht mehr von einzelnen Mitgliedern erpressen zu lassen – von Mitgliedern, die wie Viktor Orbans Ungarn erkennbar mit Putin über Bande spielen.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion, von Herrn Bystron?

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Petr Bystron (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004692, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben sich selbst hier gerade zu einem Demokraten erklärt, und im gleichen Atemzug kritisieren Sie demokratische Spielregeln in der EU, also das Einstimmigkeitsprinzip. Viktor Orban ist mit 54 Prozent in seinem Land gewählt worden. Das sind Mehrheiten, von denen Sie nur träumen. Er hat somit eine hohe Legitimation, sein Volk zu vertreten. Ist das Ihr Verständnis von Demokratie, dass Sie ihn auf Linie bringen wollen? ({0})

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich danke Ihnen für die Frage. Ich empfehle Ihnen, den Bericht der Wahlbeobachter der OSZE zu lesen sowie die Analyse über das ungarische Wahlrecht. ({0}) Ich empfehle Ihnen auch, den letzten Bericht der Europäischen Grundrechteagentur ({1}) oder der OSZE-Medienfreiheitsbeauftragten über die fehlende Pressefreiheit in Ungarn zu lesen. ({2}) Die ungarischen Wahlen als demokratische Wahlen zu bezeichnen, geht über das hinaus, was wir unter einen solchen verstehen – also ich bezeichne sie nicht als eine demokratische Wahl. ({3}) Sie ist eine Wahl, in der das Wahlrecht durch geschickte Manipulation im Vorfeld es dem jetzigen Regierungsinhaber erleichtert hat, wiedergewählt zu werden. Deshalb sage ich ganz deutlich: Demokratisch gewählt heißt noch lange nicht demokratisch gesinnt. ({4}) Diese Frage der demokratischen Gesinnung, die Frage, wie wir Demokratie leben, die zeigt sich nicht nur am Tag der Wahl. ({5}) Demokrat wird man nicht durch Wahl, Demokrat wird man durch Haltung. Und das würde ich mir von Ihnen wünschen. ({6}) Deshalb sagen wir ganz klar: Ja, wir wollen mehr Mehrheitsabstimmungen in der Europäischen Union, weil wir – das geht natürlich weit über diese Wahlperiode hinaus – sie weiterentwickeln wollen, auch dazu haben wir uns in unserem Koalitionsvertrag bekannt. Wir haben uns dazu bekannt, weil dieses Europa keine Zeiterscheinung ist, die jeweils bis zur nächsten Wahl existiert, sondern weil wir diese Europäische Union dauerhaft stärken wollen. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte – das wäre mein Punkt – ermutigen wir die Bundesregierung! Greifen Sie vor dem nächsten Europäischen Rat wirklich noch einmal auf die vielen Europäerinnen und Europäer in anderen Regierungen und auch hier auf die große Mehrheit in diesem Hause zurück, die sagt: Wir sollten der Ukraine eine europäische Perspektive, eine Beitrittsperspektive aufzeigen. Das wird das große Thema des nächsten Europäischen Rates werden. Wir ermutigen Sie, hier gemeinsam mit anderen voranzugehen. ({8}) Kollegin Schäfer hat bereits zum Haushaltsetat gesprochen, Kollege Schmid ebenfalls. Und übrigens: Kollege Körber, danke auch Ihnen für die hervorragende Zusammenarbeit unter Demokraten, schön, was wir erreicht haben, um diesen Haushalt zu stärken. Jetzt ist die Zeit weit fortgeschritten; deshalb nur noch einige wenige Aspekte zum Haushalt, die aber wichtig sind: Wir haben das ZIF gestärkt. Wir haben die humanitäre Hilfe gestärkt. Wir haben den Bereich der Menschenrechtsverteidiger gestärkt. Wir haben die Ausstattung der Visumsstellen verstärkt. Wir haben die nötigen Mittel für das Visumsportal vorgesehen, weil wir dort vorankommen wollen. Frau Ministerin, da danke ich den vielen Aktiven in Ihrem Haus, die genau bei diesen strukturellen Fragen vorankommen wollen. In all diesen Dingen haben wir im parlamentarischen Verfahren noch mal deutliche Signale gesetzt. Es war uns sehr wichtig, dieses Signal zu setzen, das Haus strukturell zu stärken. Denn es ist eines der wichtigsten Ministerien von denen, die wir haben. Früher ist manchmal die Struktur nicht mitgewachsen; jetzt ist sie mitgewachsen, da es Leute geben muss, die alles, was gemacht werden muss, auch umsetzen. Deshalb bedurfte es einerseits mehr Mittel für humanitäre Hilfe – das haben wir gemacht – und andererseits für die Struktur. Ich glaube, das war ein wichtiges Signal, sodass dieses Ministerium jetzt wirklich auch angemessen reagieren kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen, weil es für mich persönlich die letzte Berichterstattung war, die ich zum Einzelplan 05 gemacht habe, und ich mich jetzt auf die Arbeit als transatlantischer Koordinator konzentriere, will ich mich ganz besonders bei den vielen Angehörigen des Auswärtigen Dienstes bedanken, die weltweit eine fantastische Arbeit machen, die oft auch an sehr gefährlichen Orten geleistet wird, genauso wie in der Zentrale. Da ist es nicht so gefährlich, aber da ist es jedenfalls manchmal besonders schwierig. ({9}) Es ist natürlich so, dass wir mit den anderen Häusern, die immer mehr international tätig sind, mehr Abstimmung brauchen. Ja, das Haushälterherz sagt: Bitte, wir brauchen mehr Kontrolle bei der Mittelverwendung! – In der Tat, da gibt es viele gute Ideen, gerade auch aus dem Auswärtigen Amt. ({10}) Wir müssen auch bei dem Thema Länderdatenbank vorankommen. Ich übergebe das vertrauensvoll an meinen Nachfolger als Berichterstatter, der da weiter dranbleiben wird; denn wir als Parlament müssen und wir werden da dranbleiben. Wie gesagt: Danke für die hervorragende Zusammenarbeit in diesem Bereich. Meine Fraktion stimmt diesem Einzelplan gerne zu. Und ich freue mich auf die zukünftige Zusammenarbeit in anderen Funktionen. Danke schön. ({11})

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Verlauf der Debatte gibt mir Anlass, eingangs noch einmal das zu betonen und festzuhalten, was wir als CDU/CSU-Fraktion uns für die gesamte Wahlperiode vorgenommen haben und was wir versucht haben auch zu praktizieren: dass wir nämlich bei Wahrnehmung der Rolle als Oppositionsfraktion dennoch in den zentralen Fragen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik und der Europapolitik die Bundesregierung und die Ampelkoalition unterstützen. Das zeigt auch die heutige Debatte. Auf Abweichungen werde ich zu sprechen kommen. ({0}) Aber es ist uns wichtig, uns gerade von den beiden Fraktionen, die sich hier an den Rändern versammelt haben, abzugrenzen und zu sagen: Deutschland ist das zentrale Land in Europa, ist ein wichtiges Land in Europa. Europa ist unsere Zukunft. Die NATO ist das Sicherheitsbündnis, das uns alle zusammenhält und Freiheit und Sicherheit auch für die Bundesrepublik Deutschland gewährleistet. Und: Die internationale regelbasierte Ordnung, zu der insbesondere auch die UN-Menschenrechtscharta gehört, basiert auf Werten, die wir gemeinsam als Deutsche verteidigen, und da stehen wir in der demokratischen Mitte zusammen. ({1}) Das hat seinen konkreten Ausdruck darin gefunden, dass wir uns gemeinsam entschlossen haben, ein großes Paket, ein 100-Milliarden-Euro-Paket, zu schnüren, verbunden mit einer Verfassungsänderung, zur Stärkung der Bundeswehr. Und das will ich zu den Debatten, die wir dazu geführt haben, noch einmal hinzufügen: Die Verwendung dieser Mittel nur für die Bundeswehr war uns wichtig, weil es bei der Bundeswehr einen starken Nachholbedarf gab. Ich will aber ausdrücklich dazusagen, dass das, was in der öffentlichen Debatte hier, aber auch in unseren Gesprächen von der Außenministerin, von Vertretern der Grünenfraktion und auch der anderen Ampelfraktionen immer wieder gesagt wurde, stimmt: Natürlich besteht Sicherheit nicht nur in militärischer Stärke, sondern wir haben einen erweiterten Sicherheitsbegriff zu verfolgen. Nachhaltige Sicherheit können wir eben nur herstellen, wenn wir Entwicklungspolitik weiter so aktiv betreiben, wie das gute Tradition in Deutschland ist, und wenn wir natürlich auch Cyberabwehr betreiben. Das ist alles richtig, und das findet alles unsere vollständige Unterstützung. Auch in diesem Bereich gibt es in der demokratischen Mitte dieses Hauses einen Konsens, und ich glaube, der ist auch wichtig. ({2}) Es ist also wichtig, die Bundeswehr an der Stelle zu stärken. Der Bundeskanzler hat es heute Morgen noch mal angesprochen und darauf hingewiesen, dass die Union die zentrale Verantwortung dafür hat, weil sie viele Verteidigungsministerinnen und ‑minister gestellt hat – worauf wir stolz sind, insbesondere darüber, dass es zwei Frauen in diesem Amt gab, die diese große Verantwortung wahrgenommen haben. Wir haben jedenfalls in allen Debatten immer wieder gesagt: Natürlich fällt der Zustand, in dem die Bundeswehr sich jetzt befindet, auch in unsere Verantwortung. ({3}) Aber ich muss sagen: Sich als Bundeskanzler – er wohnt dieser Debatte jetzt nicht mehr bei –, der in der vergangenen Legislaturperiode Finanzminister gewesen ist, hierhinzustellen und die Verantwortung für die finanzielle Ausstattung der Bundeswehr allein der Unionsfraktion zu geben, wird der Sache nicht gerecht. ({4}) Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben mindestens eine ebensolche Verantwortung. Wir haben manche Debatte in den vergangenen Jahren hier geführt, bei der zum Beispiel Annegret Kramp-Karrenbauer gesagt hat, sie wünscht sich 2 Prozent, und Frau Esken und Herr Mützenich als Fraktionsvorsitzende haben mit glatter Ablehnung reagiert. Das ist die Wahrheit, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir sitzen insofern in einem Boot, und das sollte hier nicht verleugnet werden, erst recht nicht vom Regierungschef. Das war keine gute Rolle heute Morgen. ({5}) Damit komme ich insgesamt zu der Rolle, die die Bundesregierung wahrnimmt. Die Bundesaußenministerin hat an vielen Stellen Richtiges gesagt, die richtigen Wertentscheidungen getroffen. Insofern haben wir, Frau Außenministerin Baerbock, überhaupt nichts zu kritisieren, sondern wir unterstützen die zentralen Aussagen, die Sie in Kiew und anderswo auf der Welt zu Fragen, die die freie Welt betreffen, getroffen haben. Dieses Urteil können wir für die Bundesregierung insgesamt aber nicht abgeben. Vom Leader of the free World, wie das „New York Times Magazine“ Deutschland noch unter Leitung von Angela Merkel bezeichnet hat, sind wir zum Sorgenkind geworden. Das sieht man schon an der Frage der Ukraine und an der Rede, die der Bundeskanzler hier heute gehalten hat. Auf konkrete Fragen keine Antworten: ({6}) Was ist das strategische Ziel Deutschlands und des freien Europas in dieser kriegerischen Auseinandersetzung? Wollen wir, dass die Ukraine ihre territoriale Souveränität zurückgewinnt? Das muss doch unsere gemeinsame Auffassung sein. Das hat der Bundeskanzler in der Debatte heute wieder nicht gesagt. ({7}) Keine konkrete Antwort auf die Waffenlieferungen, die notwendig sind. Wieder die Ankündigung eines neuen komplexen Systems. Zum Gepard hat er heute gesagt: in drei Wochen Ausbildung. ({8}) Dazu sage ich nur, Frau Nanni, als jemand, der ein paar Jahre in der Truppengattung gedient hat: In drei Wochen jemanden am Gepard auszubilden, ist völlig unverantwortlich und völlig ausgeschlossen; noch nicht einmal in drei Monaten ist das möglich. Jetzt wird ein neues System angeboten. ({9}) Das mag man in einigen Monaten auch liefern. Aber heute könnten Schützenpanzer geliefert werden; sie hätten schon vor einem Monat geliefert werden können. Seit einem Monat führt die Bundesregierung nicht das durch, was wir alle von ihr erwartet haben, nämlich der Ukraine jetzt und hier zu helfen. Das ist ein schwerer historischer Fehler. ({10}) Die Worte in Davos übrigens fand ich auch völlig unangemessen. Es ist nicht so, dass Putin strategische Ziele nicht erreicht, sondern die Ukraine verliert gerade und hat größte Verluste, und darunter leidet die Zivilbevölkerung. Das ist unterlassene Hilfeleistung von der Bundesregierung und ein Verstoß gegen Bundestagsbeschlüsse. Das lassen wir Ihnen so nicht durchgehen. ({11}) Es fehlt auch jede Antwort zur europäischen Zukunft. Es fehlt jede Antwort darauf – das hat der Bundeskanzler heute auch nicht gesagt –, ob denn nun der Kandidatenstatus angestrebt wird. Natürlich ist es formal so, dass dazu die Kommission einen Vorschlag macht. Aber Sie haben sich in Ihren eigenen Ampelkoalitionsvertrag hineingeschrieben, dass Sie da vorangehen wollen, dass Sie dazu Vorschläge unterbreiten wollen. Es ist natürlich notwendig, dass Deutschland als das größte Land hier vorangeht und sagt, was es will. Wenn Deutschland nicht sagt, dass es an der Seite der Ukraine ist, dann werden das viele andere in Europa erst recht nicht tun. Hier versagt die Bundesregierung. Hier wäre Führung notwendig. ({12}) Deswegen sage ich: Im Kleinen, in vielen konkreten Reden ist manches Richtige enthalten, die große Linie in der Außenpolitik fehlt. Deutschland ist zum Sorgenkind geworden. Das wird die Anforderung der nächsten Zeit sein. Frau Außenministerin, da kommt auf Sie in der Bundesregierung eine große Verantwortung zu. In vielem haben Sie gute Ansätze gezeigt. Darin werden wir Sie unterstützen. Aber der Bundeskanzler, der muss seine Rolle in der Außenpolitik noch finden. Danke. ({13})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für die Bundesregierung erhält das Wort die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. ({0})

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Schülerinnen und Schüler! Es sind ja sehr viele heute hier auf der Tribüne. Ich möchte mich zuallererst herzlich bedanken – das haben ja einige von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch schon gemacht –: In dieser besonderen Situation, die insbesondere diesen Haushalt besonders herausgefordert hat, haben wir, haben Sie gemeinsam zusammenarbeitet. Und wir konnten – das ist wirklich bemerkenswert – gemeinsam dafür sorgen, dass insbesondere die humanitäre Hilfe deutlich, um 35 Millionen Euro, gerade auch für die Ukraine, erhöht worden ist. Dafür meinen allerherzlichsten Dank! ({0}) Ich möchte aber gleich zu Beginn auch sagen: Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir das noch länger tun müssen: zusammenzustehen, aber vor allen Dingen gerade im Auswärtigen zusätzliche Mittel bereitzustellen. Denn der russische Präsident hat seine Strategie offensichtlich fundamental verändert. Er hat anfangs gedacht, er marschiert ganz schnell ein, nimmt die Ukraine ein und dann ist alles vorbei. Das war zum Glück nicht erfolgreich. Aber deswegen setzt er jetzt darauf, dass er einen längeren Atem hat als wir, die wir die Ukraine unterstützen, einen längeren Atem als die Ukraine, und vor allen Dingen setzt er auf mehr brutale Gewalt. Natürlich kann man da sagen: „Wir verschließen die Augen“, wie das Die Linke hier gerade noch mal unterstrichen hat, und: „Wir schauen einfach weg und tun so, als würde es das alles nicht geben.“ Die Ukrainerinnen und Ukrainer können aber nicht wegschauen. Auf sie fallen tagtäglich Bomben. In ihre Städte und Dörfer rollen tagtäglich Panzer ein. Wenn Sie sich die Fernsehbilder anschauen – ja, ich glaube, es ist richtig, dass wir das tun –, dann sehen Sie, wie gerade im Donbass Stadt für Stadt, Dorf für Dorf von russischen Truppen aus sicherer Entfernung dem Erdboden gleichgemacht wird. Es ist eine neue Strategie: Es kommen erst die Raketen, dann die Flugzeuge, die Artillerie ({1}) und, wenn alles schon platt ist, rollen die Panzer ein. Wir müssen uns ehrlich machen: Das ist eine neue Vernichtungswelle. Und das bedeutet, es ist auch eine Strategie der Entvölkerung, der Auslöschung der Zivilisation im Donbass. Man will die Staatlichkeit dort zerstören. Deswegen müssen wir heute hier aus meiner Sicht klar und deutlich sagen: Wir schauen eben nicht weg, wir machen es uns nicht einfach und wünschen uns mal, es gäbe keinen Krieg. ({2}) Nein, wir verteidigen die Menschen in der Ukraine, so wie wir das können, mit Waffenlieferungen. Das heißt, wir brauchen erstens einen langen Atem bei der Unterstützung der Ukraine, und wir brauchen zweitens jetzt weitere Waffenlieferungen, das heißt vor allem Artillerie, Drohnen und Flugabwehr. Wir sind da gemeinsam mit unseren Partnern dran. Wir haben ja schon mehrfach darüber diskutiert, warum manches etwas länger dauert. Aber auch da möchte ich einmal deutlich sagen: Es dauert halt länger, weil es nichts bringt, einfach zu sagen: „Wir versprechen euch, wir schicken was“, sondern das Zeug muss auch ankommen, und vor allen Dingen müssen die Soldatinnen und Soldaten es auch bedienen können. Ich fand es richtig, dass immer wieder kritisch hinterfragt wurde: Warum wird denn nur altes, ausrangiertes militärisches Material geschickt? Die Ukraine hat uns darum gebeten, vor allen Dingen hochmoderne Systeme zu schicken. Genau das tun wir jetzt. Deswegen werden wir ein Luftverteidigungssystem, IRIS-T, in die Ukraine liefern. Sie hatten vorhin reingerufen: „Aber das dauert dann wieder.“ Ja, das dauert, und zwar Monate, weil es das Modernste ist, was es überhaupt gibt. Es sollte eigentlich an ein anderes Land gehen. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass darauf verzichtet wird und das jetzt in die Ukraine gehen kann. Denn es braucht auch diese mittel- und langfristigen Signale, dass wir eben nicht in drei Monaten die Ukraine aufgeben, sondern dauerhaft verteidigen, so wie wir das können, ohne uns selbst an diesem Krieg zu beteiligen. ({3}) Ich möchte auch noch mal deutlich sagen – so geht es doch allen hier im Saal –: Jeder mit Herz und Verstand wünscht sich doch nichts Sehnlicheres, als dass dieser brutale Angriffskrieg endlich vorbei ist. Ich meine, wer zum Teufel wünscht sich Krieg? Niemand. Alle wollen in Frieden leben. Aber wir können doch Opfern von Vergewaltigung, wir können doch Opfern von Kriegsverbrechen nicht sagen: Wir haben euch mal die Daumen gedrückt. Leider ist es schiefgegangen. ({4}) Was wäre, wenn wir damit aufhören, wenn wir mit der Solidarität für die Verteidigung aufhören, wenn wir unsere militärische Unterstützung einstellen würden? Genau das fordern Sie von der Linken und auch von der AfD ja. ({5}) Wenn Sie sagen: „Na ja, jetzt sollten wir mal auf Putin zugehen und sollten mal Referenden stattfinden lassen“, dann sage ich: Wir haben in Nachbarländern der Ukraine gesehen, dass ein Ende der Gewalt eben nicht automatisch Freiheit bedeutet, sondern im Zweifel genau das Gegenteil. Wenn wir das akzeptierten oder auch nur suggerierten, wir würden das tun, würden wir, ehrlich gesagt, alles verraten, wofür die Ukrainerinnen und Ukrainer gekämpft haben, ({6}) würden wir die Zivilistinnen und Zivilisten verraten. Herr Gysi – er ist gar nicht mehr da – – ({7}) – Ach, dahinten. Danke, das freut mich umso mehr, weil ich glaube, dass man sich mit solchen Argumenten auseinandersetzen muss. Man hat doch über Jahre versucht, Autokraten ein bisschen Zuckerbrot und Peitsche zu geben. Und Sie haben mich jetzt aufgefordert, China mit Blick auf die Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren zu sagen: „Wir bieten euch was an.“ Das fordert doch jeden heraus: Wir machen noch ein paar mehr Menschenrechtsverletzungen, dann kriegt man vielleicht auch noch einen Bonus obendrauf. ({8}) Und ich unterscheide da nicht zwischen Uiguren in China, Ukrainerinnen und verfolgten russischen Journalisten und Menschenrechtsverteidigern, zwischen Jesiden oder Kurden. Das ist doch die Stärke der Menschenrechte: Unteilbarkeit, egal, an welchem Fleckchen der Welt man lebt. ({9})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Frau Ministerin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

Nein. – Deswegen verteidigen wir hier gemeinsam auch unsere europäische Friedensordnung, das internationale Recht. Und all denjenigen, die sagen: „Warme Worte reichen nicht aus“, sage ich sehr deutlich: Die Ukraine verteidigt nicht nur unsere europäische Friedensordnung, die Ukraine braucht eine europäische Perspektive. Es ist richtig, dass die Kommission da für alle Staaten einen Vorschlag macht; denn unsere stärkste Waffe in diesem Moment ist die Geschlossenheit aller europäischen Länder, gemeinsam für die Ukraine und den westlichen Balkan. ({0}) Darüber hinaus ist aber klar: Mehr militärische Fähigkeiten allein werden nicht reichen, um in dieser gefährlichen neuen Welt zu bestehen; das ist vollkommen klar. Russland führt auch einen hybriden Krieg, einen Kornkrieg, einen Krieg mit Desinformationen. Deswegen ist es so wichtig, dass in diesem Haushalt – wie gesagt, ganz herzlichen Dank dafür – auch die Mittel für Cybersicherheit, für Krisenvorsorge, für Ertüchtigung, für Stabilisierung deutlich gestärkt worden sind. Der Haushalt umfasst auch humanitäre Hilfe in Höhe von 2,7 Milliarden Euro. Diese geht eben nicht nur in die Ukraine; sie geht auch in den Sahel, nach Syrien, in den Jemen, nach Afghanistan, wo die Menschen nicht mehr wissen, was sie ihren Kindern eigentlich abends zu Essen geben können. Diese Mittel werden wir in Zukunft weiter erhöhen müssen. Das ist mein Wunsch, das ist mein eindringlicher Appell, wenn wir in ein paar Wochen wieder über den Haushalt verhandeln: Wir brauchen mehr! Gerade wurde gesagt, Sie wüssten gar nicht, wohin das Geld geht. Das ist immer schön: im Ausschuss die eine Rede und hier die andere Rede. ({1}) WHO, UNICEF, die ganzen internationalen Programme der Vereinten Nationen: Dahin geht unsere humanitäre Hilfe. ({2}) Denn es geht nicht darum, dass ich mir hier auf die Brust klopfen kann und sagen kann: Die deutsche Außenministerin hat das Geld gegeben. – Nein, um Effizienz geht es, darum, dass die Mittel da ankommen – zum Beispiel in Afghanistan –, wo wir zu Recht als Deutsche nicht präsent sind, wo aber UNICEF die Kinder vor Ort versorgen kann. ({3}) Eine wertebasierte Außenpolitik heißt für uns: Sicherheit ist mehr als nur die Abwesenheit von Krieg. Sie bedeutet auch Investitionen in Bildungsarbeit, in Menschenrechtsarbeit, und sie bedeutet, pragmatisch zu sein, in den entscheidenden Momenten zu handeln. Das ist unsere gemeinsame Lehre – auch aus Afghanistan. Daher möchte ich hier einmal sehr deutlich sagen: In dem Moment, wo uns auch russische Bürgerinnen und Bürger gebraucht haben – Journalistinnen, Menschenrechtsverteidiger –, haben wir ganz pragmatisch gehandelt und gesagt: Ihr könnt ohne bürokratische Hürden nach Deutschland kommen. Daher hier mein eindringlicher Appell – auch im Namen der Bundesinnenministerin – an alle Bundesländer, diese Menschen nicht im Stich zu lassen. Auch sie sind mutig gegen Putin aufgestanden. Sie brauchen eine deutsche Perspektive, hier in Sicherheit leben zu können. ({4}) Wir senden mit diesem Haushalt ein klares Signal an unsere Partnerinnen und Partner: Deutschland übernimmt außenpolitische Verantwortung auf Basis von Werten und mit Entschlossenheit. Und vor allen Dingen: Unsere Partnerinnen und Partner können sich auf uns verlassen. Danke, dass wir das als Demokratinnen und Demokraten gemeinsam tun. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für die AfD-Fraktion erhält das Wort der Abgeordnete Stefan Keuter. ({0})

Stefan Keuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004778, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Außenministerin, ich hatte hier eigentlich eine Haushaltsrede erwartet; aber dass Sie eine so ausgewiesene Militärexpertin sind, hätte ich nicht für möglich gehalten. ({0}) Fangen wir mal mit Ihrer „werteorientierten“ und „feministischen“ Außenpolitik an. Wenn ich mit Mitarbeitern Ihres Hauses zusammentreffe, frage ich einfach manchmal: Was ist eigentlich eine feministische Außenpolitik? ({1}) Das löst bei den Kollegen von Ihnen Schweißtropfen auf der Stirn aus, und es geht mit Individualdefinitionen los ganz nach dem Motto von Pippi Langstrumpf: Ich mach’ mir die Welt, widde widde wie sie mir gefällt. Ich habe mal im Internet nachgeguckt. Bei Wikipedia lautet die Definition: Feministische Außenpolitik bezeichnet ein Konzept bzw. ein Prinzip im Rahmen internationaler Außenpolitik, bei dem feministische Sichtweisen zum Maßstab gemacht werden. – Da frage ich Sie: Wie diskriminierend ist das denn? Wo bleiben denn da die Männer und das von Ihnen gefeierte dritte Geschlecht? ({2}) Sie mutieren hier am Ende noch von einer Außenministerin zur Amazonenkönigin. Die Geschlechtergerechtigkeit ist doch alter Wein in neuen Schläuchen; die wird doch in diesem Land längst gelebt. ({3}) Wir von der AfD fordern wieder eine interessengeleitete Außenpolitik, welche die Interessen des deutschen Volkes in den Mittelpunkt stellt und verfolgt. Wir sprechen hier aber über den Haushalt. Sie versuchen natürlich auch, einzusparen. Wenn ich mir das anschaue: Die Förderung deutscher Minderheiten in Mittel- und Osteuropa erfährt eine Kürzung um 50 Prozent. Wenn Sie mich fragen, ist das das Ansetzen des Rotstiftes an der falschen Stelle. Das sind die Mittler unserer Sprache und Kultur im Ausland. (Beifall bei der AfD], Gemeinsam mit der Verteidigungsministerin versuchen Sie jetzt, die Ukraine mit 2 Milliarden Euro deutschen Steuergeldes zu ertüchtigen. Da frage ich Sie: Welche deutschen Interessen verfolgen Sie in diesem hochkorrupten ehemaligen Sowjetstaat und um welchen Preis? Wenn es Ihnen ernst ist, machen Sie Herrn Lawrow doch ein Angebot: Einstellung der Kriegshandlungen gegen Einstellung der Sanktionen und Volksabstimmungen in den strittigen Regionen unter internationaler Beobachtung und Anerkennung. ({4}) Wenn Sie so weitsichtig wären, dann könnten Sie hier Konfliktpotenziale in Südossetien, Transnistrien, Abchasien und in der Republika Srpska gleich in diesem Sinne mit verhandeln und weiteres Blutvergießen vermeiden – wenn Sie echtes Interesse an einer Lösung dieses Konfliktes hätten. ({5}) Ich habe Respekt vor Ihrem Mut. Sie verschleiern nicht einmal die Schaffung von Versorgungsposten und die Versorgung Ihrer Lobbyisten. Jahrzehntelang kam das Auswärtige Amt mit zwei beamteten und zwei Parlamentarischen Staatssekretären aus. 2017 musste dann Frau Bär von der CSU versorgt werden, dafür erhielt die SPD einen hübschen Staatsministerposten für Frau Müntefering – mit allen Folgekosten. ({6}) 2021 hätten Sie die Möglichkeit gehabt, dies wieder rückgängig zu machen. Stattdessen darf sich jetzt ein grüner Abgeordneter „Staatsminister im Auswärtigen Amt“ nennen. Aber damit nicht genug! Jetzt kommt auch noch Jennifer Morgan von Greenpeace. Die dritte Staatssekretärsstelle im Auswärtigen Amt wird geschaffen, ({7}) verbunden mit einer Blitzeinbürgerung und lebenslangem Versorgungsanspruch. Ich habe mich mit Frau Morgan mal unterhalten, als sie ganz euphorisch von einer Reise nach Bangladesch zum Thema „Klima, Klima, Klima“ berichtete. Ich habe sie dann nach der Problematik der Rohingya gefragt, von denen anderthalb Millionen Menschen in Flüchtlingscamps sitzen und auf Schwemmlandinseln umgesiedelt werden sollen. Frau Morgan war in Bangladesch und wusste mit dem Thema Rohingya noch nicht mal etwas anzufangen. ({8}) Das ist eine Katastrophe für eine deutsche Staatssekretärin. ({9}) Lassen Sie uns zum Schluss noch ganz kurz über die Ortskräfte in Afghanistan sprechen, Frau Baerbock. Eine Anfrage Ihrer Fraktion der Grünen und eine Anfrage der AfD-Fraktion haben ergeben, dass es 2 000 echte Ortskräfte gab. Ihr Vorgänger im Amt rechnete mit fünf Familienangehörigen pro Ortskraft. Das sind dann 10 000 Personen. Jetzt sitzen in Islamabad 50 000 Menschen, 30 000 Afghanen auf der sogenannten AA-Liste, 20 000 auf der BMI-Liste. Das sind insgesamt 50 000. Die können sich in Islamabad Visa abholen, gegebenenfalls noch RAfAs, Reiseausweise für Ausländer. Sie fliegen Menschen, bei denen die Herkunft teilweise völlig unklar ist, mit mehreren Maschinen wöchentlich in unser Land ein. Das werden wir weiter im Auge behalten und aufarbeiten. Frau Baerbock, politisch werden wir Sie weiter jagen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als Nächstes erhält das Wort für die SPD-Fraktion die Kollegin Michelle Müntefering. ({0})

Michelle Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich sage es mal vorweg – vielleicht gibt es dem einen oder anderen auf dieser Seite zu denken –: Frauenrechte sind Menschenrechte, und Menschenrechte sind Frauenrechte. ({0}) Außenpolitik ist auf jeden Fall nichts zum Zuschauen. Demokratie und Multilateralismus brauchen den Einsatz eines jeden von uns. Putins Krieg bedeutet auch deswegen eine Zäsur für unsere Außenpolitik, weil sein brutaler Angriff auf die Ukraine die zivilen Errungenschaften der Machtgier zum Fraß vorwirft. Es ist der Bruch des internationalen Rechts auf brutale Weise. Ja, die größte Stärke, liebe Frau Außenministerin Annalena Baerbock, die wir dem entgegensetzen können, ist die Geschlossenheit unserer Antwort – international und auch hier im Parlament. ({1}) Deswegen kann ich nur dazu auffordern – auch diejenigen, die beim Sondervermögen noch unentschlossen sind –: Setzen wir auf ein starkes Zeichen aus Deutschland, auf den klaren Willen, auch in die Verteidigung unserer Überzeugungen zu investieren, sie zu schützen, gerade auch mit einer handlungsfähigen Bundeswehr. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Partnerschaft, die einfache Übersetzung von Multilateralismus, bedeutet immer auch Verantwortung. Deutschland hat Verantwortung in Europa und der Welt. Das heißt auch, dass wir einander beistehen: wir unseren Partnern, so wie wir auf den Beistand anderer zählen. Das sind keine einfachen Zeiten. Die Folgen des Klimawandels, Hunger, Ungleichheit, eine Pandemie fordern uns. Der Angriffskrieg Russlands als Tiefpunkt europäischer Nachkriegsgeschichte hat weite Auswirkungen – heute in Gänze kaum abzusehen. Er zeigt auf dramatische Weise leider auch, dass die Lesart dieses eklatanten Bruchs des Völkerrechts nicht überall auf der Welt gleich ist. Als interfraktionelle Delegation bei der IPU, der Weltparlamentarierkonferenz, angeführt von Ralph Brinkhaus, haben wir das vor einigen Wochen erlebt. Afrika und Asien wachsen immens. Gleichzeitig zielt die russische Propaganda vor allem in diese Teile der Welt. Der globale Systemwettbewerb hat an Schärfe gewonnen, und auch in Demokratien sehen wir tiefe Spaltungen in Gesellschaften. Umso mehr ist es heute Aufgabe von Diplomatie, auch diejenigen zu überzeugen, die nicht selbstverständlich auf der Straße der Demokratie fahren. Das bedeutet ja, auch in Außenpolitik, in Diplomatie zu investieren. Angesichts der weltweiten Krisen liegt der haushalterische Schwerpunkt des Auswärtigen Amtes in diesem Jahr neben den Investitionen in das diplomatische Netzwerk auf der humanitären Hilfe. Mit 2,7 Milliarden Euro macht sie ein Drittel des Etats von rund 7,5 Milliarden Euro aus. Aber als Vorsitzende des Unterausschusses für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik möchte ich auch diesen Bereich hervorheben. Die AKBP bleibt eine wichtige Säule der deutschen Außenpolitik. Im Zuge der parlamentarischen Beratungen zum Haushalt wurde die Erhöhung auf über 1 Milliarde Euro beschlossen. Wir erreichen also die Kulturmilliarde. Diese brauchen wir auch weiterhin in Ergänzung zu dem, was wir an anderen Stellen investieren. Das ist eine gute Nachricht. Ich sage aber auch: Ohne den deutlichen Willen des Bundestages und die fraktionsübergreifende Unterstützung wäre das nicht möglich gewesen. Deswegen danke auch von mir an alle Kolleginnen und Kollegen, die geholfen haben, und ganz besonders danke ich dir, liebe Wiebke Papenbrock, die du uns heute von zu Hause aus zusiehst und dein Kind erwartest. Alles Gute dir und deiner Familie. ({2}) Danke, dass Sie sich für diesen Bereich der Friedenspolitik einsetzen, für unsere Mittlerorganisationen, das Goethe-Institut, den Deutschen Akademischen Austauschdienst, das Institut für Auslandsbeziehungen, die Deutsche Welle, das Archäologische Institut oder die Alexander-von-Humboldt-Stiftung und die Auslandsschulen, die so wichtige Arbeit leisten. Aber warum setzt der Bundestag gerade hier gemeinsam ein Zeichen? Was bedeuten hier Kultur und Bildung in der Außenpolitik in Zeiten des Krieges in Europa? Die Antwort ist relativ einfach. Wir wissen, dass sich auch jenseits der Diplomatie, der Verteidigung und der multilateralen Organisationen, die es zu stärken gilt, viel Gutes bewegen lässt; ein Beitrag dazu, dass wir die Kurve noch kriegen, bevor unser Planet komplett in Schutt und Asche liegt. Dafür brauchen wir den Austausch der Menschen, Begegnungen Junger, das Potenzial Kreativer und nicht zuletzt eine lebendige Debatte darüber, wie wir in dieser Welt leben wollen – weil wir es langfristig nur schaffen, als Menschheit auf diesem Planeten zu überleben, wenn wir zivilisierte Diskussionen ermöglichen. Austausch und Demokratie brauchen Offenheit, die schützenswert und leider noch nicht überall selbstverständlich ist; viel zu oft ist sie sogar lebensgefährlich. Deswegen werden wir die Schutzprogramme für Künstler, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausweiten, ein neues für verfolgte Journalistinnen und Journalisten errichten und mit der Elisabeth-Selbert-Initiative Menschenrechtsaktivistinnen und ‑aktivsten aus der Ukraine, aus Belarus und Russland unterstützen. Danke auch dafür. ({3}) Diejenigen, die sich für Frieden und für Freiheit einsetzen, werden wir unterstützen und ihnen mit den Mitteln der AKBP unter die Arme greifen. Denn wir sehen: In unserer Nachbarschaft will eine junge Generation in Freiheit, Frieden und Demokratie leben und sich eben nicht unterdrücken lassen. Den Diskurs mit Osteuropa wollen wir vertiefen, auch mit dem Programm Östliche Partnerschaft. Wir denken auch an Osman Kavala, einen Brückenbauer zwischen der Türkei und Deutschland, der hinter Gittern sitzt und freigelassen gehört. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Außenpolitik ist nichts zum Zuschauen. Demokratie braucht uns alle, darum geht es. Die großen Verschiebungen der Macht passieren jetzt, und sie gehen auch mit gezielter Desinformation autokratischer Systeme einher. Deswegen muss auch die strategische Kommunikation ganz oben auf der Tagesordnung des Auswärtigen Amtes stehen. Den Wunsch verbinde ich mit einem herzlichen Dank an alle Kolleginnen und Kollegen im diplomatischen Dienst, an Sie, liebe Frau Außenministerin Annalena Baerbock. Ich will mit einem Zitat schließen, an das mich Präsident Selenskyj in seiner Rede in Cannes bei dem großen Filmfestival erinnert hat. Da hat er gesagt: Wir brauchen einen neuen Chaplin. – Ich habe daraufhin die Rede am Schluss des Films „Der große Diktator“ nachgelesen. Da heißt es: Zu denen, die mich hören können, sage ich – verzweifle nicht. Das Elend, das jetzt auf uns zukommt, ist nur das Vergehen der Gier – die Bitterkeit der Menschen, die den Weg des menschlichen Fortschritts fürchten. Der Hass der Menschen wird vergehen und Diktatoren sterben, und die Macht, die sie dem Volk abgenommen haben, wird zum Volk zurückkehren. Herzlichen Dank. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Es folgt für die FDP-Fraktion der Kollege Uli Lechte, Entschuldigung Ulrich Lechte. ({0})

Ulrich Lechte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004799, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

„Ulrich“ ist das, was meine Mutter immer gesagt hat. Man kennt mich in der Politik eigentlich nur als „Uli“, aber der offizielle Vorname ist natürlich Ulrich. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden hier über den ersten Bundeshaushalt seit der Zeitenwende vom 27. Februar. Der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg in der Ukraine hat vieles infrage gestellt, was wir vorher als sicher angenommen hatten. Viele neue Synapsen werden derzeit gebildet. Die Leidtragenden des Krieges sind hauptsächlich die Ukrainerinnen und Ukrainer, aber die Auswirkungen dieses Krieges spüren die Menschen auch hierzulande. Putins Krieg ist vor allem ein Angriff auf das ukrainische Volk. Er ist aber auch ein Angriff auf die regelbasierte internationale Ordnung. Deshalb ist es wichtig, dass wir gemeinsam in der EU, der NATO, der G 7 und darüber hinaus zusammenstehen, um Putin Grenzen zu setzen. Der Angriffskrieg darf sich nicht lohnen; denn sonst wird er sich anderswo wiederholen. Das kostet uns jetzt Geld, aber das ist es wert; denn der Verlust der regelbasierten internationalen Ordnung wäre langfristig deutlich teurer. ({0}) Im Haushalt des Auswärtigen Amts liegt der größte kriegsbedingte Aufwuchs bei den Mitteln für humanitäre Hilfe. Dort haben wir das Budget von 2 Milliarden Euro auf knapp 2,5 Milliarden Euro angehoben. Mein herzlicher Dank gilt allen Haushältern, die uns das ermöglicht haben, stellvertretend für die Haushälter von der FDP Otto Fricke und Michael Link, danke, dass ihr das mit euren Kollegen zusammen geschafft habt. ({1}) Der Mehrbedarf ergibt sich nicht nur aus der humanitären Hilfe für die Ukraine selbst, sondern auch durch die blockierte ukrainische Weizenausfuhr, die zu einer akuten Lebensmittelkrise, unter anderem in Nordafrika und im Sahel, führt. Preissteigerungen von bis zu 150 Prozent bei den Ärmsten der Armen der Welt! Eine erneute Flüchtlingskrise – das müsste eigentlich auch der AfD klar sein – gilt es in ungeahnten Dimensionen mit allen Mitteln zu verhindern. Neben der Erhöhung der Mittel für humanitäre Hilfe konnten wir mit einem Haushaltsvermerk sicherstellen, dass mindestens 30 Prozent der Gelder als flexible Mittel gezahlt werden, so wie es die Bundesregierung einst 2016 beim Humanitären Weltgipfel von Istanbul im Grand Bargain zugesagt hatte. So befreien wir nämlich die Hilfsorganisationen von unnötiger Bürokratie und geben ihnen den Handlungsspielraum, den sie dringend benötigen. Die Hebelwirkung von freien Mitteln ist nämlich enorm. Die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges betreffen nicht nur den klassischen Bereich der auswärtigen Politik. Dieser Krieg betrifft auch andere Bereiche: von der Verteidigungs- über die Energie- bis zur Finanzpolitik. Daher ist es umso wichtiger, dass wir nun eine ressortübergreifende nationale Sicherheitsstrategie erarbeiten. Zusätzlich zu dieser nationalen Sicherheitsstrategie wird es auch eine neue China-Strategie geben; denn auch China missachtet völkerrechtliche Vereinbarungen vom Südchinesischen Meer über Hongkong bis nach Xinjiang und stellt so ebenfalls die regelbasierte internationale Ordnung infrage. China schaut ganz genau auf die Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf den russischen Angriffskrieg, um zu sehen, wie wir auf eine chinesische Invasion in Taiwan reagieren könnten, die Xi Jinping schon mehrfach angedroht hat und den Startschuss um die Machtfrage im Pazifik bedeuten würde. Auch deshalb müssen wir dafür sorgen, dass sich der Angriffskrieg in der Ukraine für Putin nicht auszahlt. ({2}) Letzter Satz. Wenn wir den Krieg schon nicht verhindern konnten, meine Damen und Herren, dann lassen Sie uns wenigstens dafür sorgen, dass der Krieg auf dieser Welt nicht Schule machen kann. Vielen Dank. ({3})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Es folgt für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Michael Brand. ({0})

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeshaushalt wird in einer historisch einmaligen Phase beraten. Wir befinden uns in einem historischen Umbruch. In diesem Umbruch, in dieser neuen Ära muss sich die deutsche Außenpolitik neuen Fragen stellen. Mit alten Rezepten, mit dem alten Appeasement, auch mit der alten Konzeption der Europäischen Union, die Probleme zumeist mit Geld zudeckt, kommen wir nicht mehr weiter. Das spüren wir auch alle. Menschenrechtsbasierte Außenpolitik ist immer konkret. Das heißt: Es darf keine doppelten Standards geben – auch nicht im Umgang mit Katar –, und es braucht einen deutsch-chinesischen Menschenrechtsdialog auf Augenhöhe angesichts eines brutalen Vernichtungsfeldzugs gegen Minderheiten wie die Uiguren und die Tibeter. Vor allem geht es aber in dieser Zeitenwende und angesichts dieser großen Gefahr für Europa um Menschenrechte, Stabilität und Verlässlichkeit. Ohne Verlässlichkeit, ohne Glaubwürdigkeit der handelnden Akteure werden wir die existenzielle Gefahr für unseren Kontinent nicht abwenden. Allerdings – das muss ich nach vielen internationalen Kontakten in den letzten Wochen bekennen – ist durch das zynische Taktieren der Bundesregierung in Bezug auf die Hilfe für die bedrohte Ukraine mit immer neuen, nie überzeugenden, immer fadenscheinigen Manövern ein katastrophaler Vertrauensverlust für Deutschland eingetreten, der zudem die Glaubwürdigkeit Europas massiv beschädigt. ({0}) Die seltsam dünnhäutige Rede des Bundeskanzlers heute hat diese massive Beschädigung nicht repariert – im Gegenteil. Man konnte es ja geradezu mit den Händen greifen: Hier stimmt etwas nicht, hier wird nicht glaubwürdig gehandelt. ({1}) Wenn das Wort des größten EU-Landes Deutschland nicht mehr gilt, fällt Europa als wesentlicher Akteur zur Sicherung des Friedens aus. Diese Haltung schwächt die EU in dieser Krise existenziell, weil die Bundesregierung sich wegen innerparteilicher Debatten in der SPD – es ist bezeichnend, dass die Proteste gerade jetzt aus Ihren Reihen kommen – weigert, Aggression und Völkermord effektiv in die Schranken zu weisen. Das ist ein gefährliches Spiel mit dem Kontinent Europa. ({2}) Dieses zynische Spiel läuft ja vor den Augen der ganzen Welt ab, auch wenn einige hier diese bittere Wahrheit nicht vertragen können. Sie alle haben geschworen, Schaden vom deutschen Volke abzuwenden. Dazu zählt nach unserer Staatsräson, dass wir Völkermord und Angriffskrieg nicht noch einmal zulassen. Gerade die SPD hat immer wieder erklärt: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg. – Auch die SPD wird einen hohen Preis für diesen Glaubwürdigkeitsverlust bezahlen. ({3}) Wer heute der Ukraine – für jedermann ja erkennbar – die nötige und mögliche Hilfe verweigert und auch noch behauptet, man würde alle mögliche Hilfe leisten, der versagt nicht nur in den Augen der Opfer. Er schadet auch dem nationalen Interesse der Bundesrepublik Deutschland und verletzt seinen Amtseid. ({4}) Die Folgen spüren wir jetzt schon. Der Bundeskanzler wird in wenigen Tagen für einen Kurzbesuch auf den Balkan reisen. Schon jetzt gilt: Es reicht nicht mehr, dass ein europäischer Spitzenpolitiker dort kurz die Nase in die Tür steckt und sagt: „Wir sind mit euch.“ Insbesondere dieser Bundeskanzler wird es schwerhaben, weil sein Wort bei vielen nicht mehr gilt. Der Krieg in der Ukraine bedroht Millionen auf anderen Kontinenten mit dem Hungertod. Die humanitäre Hilfe muss darauf eine entschlossene und auch eine gewichtige Antwort finden. Die Außenministerin wird im Anschluss an diese Debatte im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu Gast sein. Dort werden wir über die konkreten Schritte gegen die Geiselnahme der Hungernden in der Welt durch den Kriegsverbrecher Putin sprechen. Die vom Hungertod Bedrohten brauchen keine leeren Solidaritätsadressen, sondern konkrete Aktionen. Ich weiß und ich schätze ausdrücklich, dass die Bundesaußenministerin nicht zu den Zynikern zählt und hier alles versucht, was möglich ist.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der SPD-Fraktion?

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. ({0}) Deshalb geht an uns alle – besonders an die SPD; Zuhören hilft auch manchmal – ({1}) in diesem Parlament der Appell, dass wir bereit bleiben für besondere Maßnahmen, auch im Bundeshaushalt, um eine Katastrophe abzuwenden; Frau Ministerin Baerbock hat das gerade beschrieben. Wenn wir uns insgesamt in dieser historischen Gefährdung des Friedens auf unserem Kontinent und darüber hinaus nicht bewähren, wenn wir mutlos bleiben, wenn wir unfähig bleiben, die richtigen Entscheidungen zu treffen, dann droht uns das Ende des Projekts „Europa als Friedensordnung“. Es braucht kluges, sorgfältiges, von Verantwortung und nicht von Feigheit getriebenes Überlegen. Vor allem braucht es auch rasches und richtiges Entscheiden. Dazu zählt eine echte, nicht nur rhetorische Einladung zu EU-Beitrittsverhandlungen für die Länder des westlichen Balkans – ({2}) Zugeständnisse an Serbien nur dann, wenn es sich endlich von Putin löst –, für die Ukraine und Moldau. Eine strategische Debatte und eine Neuausrichtung angesichts der global größten Gefahr China sind überfällig. Darauf hoffe ich, und dafür stehen wir als Union bereit. Vielen Dank. ({3})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für eine Kurzintervention erhält das Wort der Kollege Axel Schäfer.

Axel Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003624, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Brand, ich hätte Sie gerne gefragt, mit wie vielen Abgeordneten aus anderen europäischen Ländern Sie in den letzten drei Monaten über die deutsche Politik diskutiert haben. Sie haben die Zwischenfrage nicht zugelassen. Ich beantworte sie von mir aus. Ich habe mit dem Kollegen Krichbaum zusammen in den letzten drei Monaten in insgesamt fünf Sitzungen in der EU-Zukunftskonferenz mit Parlamentariern und Parlamentarierinnen aus 27 Ländern diskutiert. Das, was Sie über die Wahrnehmung von deutscher Politik erzählt haben, die Beschämung, die Sie hier vorgetragen haben, wird dort fast nirgendwo geteilt. Das, was Sie sagen, ist eine Fata Morgana. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Möchten Sie erwidern?

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schäfer, darauf will ich eigentlich nur kurz antworten. Wenn Sie mir oder der Unionsfraktion nicht glauben wollen, dann sollten Sie auf Stimmen in Ihrer eigenen Koalition hören: auf Frau Strack-Zimmermann, im Übrigen auch auf die Außenministerin, die ganz andere Akzente gesetzt hat als der Bundeskanzler, oder auch auf Toni Hofreiter. Wo Sie Ihre Gesprächspartner herhaben und ob Sie überhaupt nationale und internationale Zeitungen lesen, das würde ich Sie gerne zurückfragen. Sie sind ziemlich allein mit Ihrer Einschätzung über die Konsequenz der Außenpolitik des Bundeskanzlers. Ich muss sagen: Ich schäme mich dafür, dass er sich national und vor allen Dingen international so wegduckt ({0}) und vor allen Dingen nicht das tut, was er sagt. ({1})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Jetzt erhält Jürgen Trittin für Bündnis 90/Die Grünen das Wort in der Debatte. ({0})

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, Gregor Gysi, es ist eine Zeitenwende. Wir sind damit konfrontiert, dass die einst von der Sowjetunion unter Leonid Breschnew mitgeschaffene Friedens- und Sicherheitsordnung in Europa durch Putin zerstört wird. Die Konsequenz daraus scheint bei Ihnen und euch noch nicht richtig angekommen zu sein. Aber gerade wenn ich sage, dass es um die Europäische Friedens- und Sicherheitsordnung geht, dann muss ich davor warnen, den Begriff „Zeitenwende“ eurozentristisch zu verwenden. Wenn man mit anderen darüber spricht, dann wird auf verschiedene Dinge verwiesen. Zur Zeitenwende gehört, dass in Indien im Mai eine Temperatur von über 50 Grad herrschte, dass die Klimakrise mittlerweile dazu geführt hat, in Sri Lanka eine Regierung zu stürzen. Dazu gehört es, dass am Horn von Afrika der fünfte Sommer droht, wo es nicht regnet, wo Menschen vor laufender Kamera verhungern. ({0}) Zur Zeitenwende gehört auch, dass wir mit manchen Märchen aus der Vergangenheit aufhören müssen. Die Idee, dass eine Globalisierung funktioniert, die sich nur nach dem günstigsten Kostenstandort richtet, ohne dass man dabei auf Menschenrechte und Ähnliches gucken muss, ist gescheitert. ({1}) Am sichtbarsten zeigt sich ihr Scheitern an gestörten Lieferketten, an den Folgen dieser Krisen und des Aggressionskrieges: weltweite Inflation, steigende Energiepreise und eine anhaltende Weizenkrise. Darauf gibt es keine einfachen Antworten. Diese Regierung versucht, darauf Antworten zu geben. Ja, wir liefern Waffen – auch schweres Gerät – in die Ukraine. Aber nein, lieber Michael Brand, wir machen Schluss damit, in völkerrechtswidrige Kriege Waffen reinzuliefern, wie es Ihre Koalition in Richtung Saudi-Arabien vor dem Hintergrund des Jemen-Krieges jahrelang gemacht hat. Ja, das alles gehört zur Zeitenwende. ({2}) Wir glauben auch nicht, dass Handel allein Wandel schafft. Diese Regierung hat gesagt: Wir beenden zum ersten Mal Investitionsgarantien für Investitionen, die in Xinjiang stattfinden. Wir wollen uns damit nicht aus der Globalisierung verabschieden; vielmehr wollen wir Globalisierung gestalten. Und zum Gestalten der Globalisierung gehört es, menschenrechtliche Standards unter anderem durch solche Maßnahmen durchzusetzen. ({3}) Letzte Bemerkung. War dieser Haushalt dafür gut? Nein, im ersten Entwurf nicht. Für zivile Mittel im Bereich internationaler Zusammenarbeit fehlten zunächst 3,5 Milliarden Euro, aber dank der Haushälter haben wir noch viel bekommen. Ich füge eines hinzu: Diese Zeitenwende ist 2022 nicht zu Ende. Ich erwarte von dieser Bundesregierung und von dieser Koalition, dass wir im nächsten Haushalt genau diesen Herausforderungen gerecht werden, dass wir das umsetzen, was in der Koalitionsvereinbarung steht, nämlich einen Aufwuchs der Mittel eins zu eins. Vielen Dank. ({4})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als Nächstes erhält das Wort für die AfD-Fraktion der Abgeordnete Markus Frohnmaier. ({0})

Markus Frohnmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004721, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Frau Ministerin Baerbock! Wenn es nach dieser Regierung geht, muss jeder Deutsche in Zukunft den Gürtel enger schnallen, außer die Regierung selbst. Diese Regierung verantwortet die höchste Inflation seit Gründung der Bundesrepublik, diese Regierung stürzt uns in eine Energiekrise, und diese Regierung jettet nach Katar, um feministische Außenpolitik zu machen. Sie haben Geld für jedermann, außer für die eigenen Bürger. ({0}) Bis 2030 verschenken Sie für Windräder und Elektrorikschas 10 Milliarden Euro an Indien; 10 Milliarden Euro, die Indien spart, Milliarden, für die Indien russische Energie kauft. ({1}) Sie schenken der Selenskyj-Regierung 4 Milliarden Euro; dabei bewegte sich die Ukraine unter Herrn Selenskyj auf dem Korruptionsindex irgendwo zwischen Dschibuti und Angola. ({2}) Sie haben seit dem Jahr 2000 afrikanischen Pleitestaaten über 15 Milliarden Euro Schulden erlassen. Meine Damen und Herren, wer all das tut, während im Ahrtal die Katastrophenopfer noch auf Unterstützung warten und Familien nicht wissen, wie sie die nächste Gasrechnung bezahlen sollen, der vertritt fremde Interessen und nicht die Interessen der eigenen Bürger. ({3}) – Da müssen Sie gar nicht so plärren, das können Sie ernst nehmen. ({4}) Sie nennen es wertebasierte Außenpolitik, wenn Sie ein Embargo fordern. Aber funktionieren denn Ihre Sanktionen? Der russische Rubel ist stärker als in den letzten Jahren. Der Handel zwischen China und Russland wächst. Sie sanktionieren doch in Wirklichkeit 80 Millionen Deutsche. Ihre Politik ist eine Politik der Wohlstandsvernichtung. ({5}) Da stellt sich die Frage: Was könnte man mit all dem Geld eigentlich Positives in Deutschland bewirken? Man könnte in Schulen und Krankenhäuser investieren und Steuern senken. ({6}) Sie kümmern sich nicht um das Wohl der deutschen Bürger. Die sind Ihnen egal, aber die AfD hat das im Blick. ({7})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Es folgt für die SPD-Fraktion der Kollege Frank Schwabe. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Ich will Herrn Brand antworten. Wir beide schätzen den Europarat. Ich darf nicht zu viele Details verraten. Nur so viel: Dass Russland stante pede – innerhalb von Stunden – aus dem Europarat geschmissen wurde, war nicht so einfach, wie es nach außen ausgesehen hat. ({0}) Es war notwendig, dass Deutschland dort die führende Rolle eingenommen hat. Ich kann Ihnen die entscheidenden Länder nicht alle aufzählen – und ich will sie nicht alle aufzählen, weil uns das in der Zusammenarbeit und bei der Unterstützung der Ukraine nicht hilft –, aber klar ist: Das war alles andere als selbstverständlich. Wenn Deutschland an manchen Stellen nicht die drängende und führende Rolle einnehmen würde, dann wären wir bei der Isolierung Russlands nicht so weit. Ich finde, das kann man zumindest zur Kenntnis nehmen. ({1}) In diesen Tagen können wir natürlich keine Debatte führen – schon gar keine außenpolitische Debatte –, ohne zu berücksichtigen, was in der Ukraine los ist, was in diesen Minuten Schreckliches in der Ukraine passiert. Es ist in der Tat die Zeitenwende, von der der Bundeskanzler gesprochen hat. Es ist bitter, aber es ist so, dass die Friedensdividende, von der wir dachten, dass wir sie hatten – wir hatten sie auch; das kann man anhand der Zahlen der letzten 30 Jahre nachvollziehen –, gerade aufgefressen wird und im Grunde genommen jetzt weg ist. Deswegen ist es richtig – und das eint uns in der Tat in diesem Teil dieses Hauses –, dass wir sagen: Wir müssen uns militärisch stärken, und zwar nicht, weil wir Lust darauf haben, sondern weil wir es tun müssen. Wir machen das aber nicht mit großem Jubel; jedenfalls nicht in der Ampelkoalition. Ich war ein bisschen irritiert über manche Verhaltensweisen in der Union, als der Kanzler seine Rede zur Zeitenwende gehalten hat. Die militärische Antwort ist wichtig, aber sie reicht eben nicht aus; das ist betont worden. Die Frage ist: Wie können wir sie so umsetzen, dass deutlich wird, dass wir nicht in eine Rüstungsspirale eintreten dürfen, sondern andere Formen von Außenpolitik in einem umfassenden Ansatz entsprechend stärken müssen? Ich glaube, das ist das, was meine Fraktion leisten kann, das ist das, was die Ampelkoalition leisten kann, und ich finde, das ist auch das, was dieser Bundeshaushalt leistet – es ist genannt worden –: Es ist die humanitäre Hilfe, die Entwicklungszusammenarbeit, die Krisenprävention, die feministische Außenpolitik, die Stärkung internationaler Organisationen und Institutionen, übrigens auch die Klimaaußenpolitik, und es ist auch das Vordenken – das muss man sich klarmachen, auch wenn wir uns das gerade nicht vorstellen können – von neuen Abrüstungsschritten. Es wird sich wieder ein historisches Fenster öffnen, und das werden wir dann auch nutzen müssen. Ich finde, genau dieser umfassende Ansatz wird in diesem Bundeshaushalt abgebildet. Wir sind in den letzten Jahren Weltmacht im Bereich der humanitären Hilfe geworden. Jürgen Trittin hat darauf hingewiesen: Manche Entwicklungen internationaler Art haben dazu geführt, dass wir die Mittel im Haushalt noch einmal etwas erhöht haben; am Anfang war das nicht gut geregelt. Wir haben in den letzten Jahren einen Aufwuchs auf über 2 Milliarden Euro hinbekommen. Damit sind wir weltweit auf Platz zwei. Wir helfen damit nicht nur Millionen von Menschen weltweit, sondern wir haben auch unsere diplomatische Rolle auf dem internationalen Parkett gestärkt; denn wir werden sehr wohl als zweitgrößter Geber weltweit wahrgenommen. Wir stärken mit diesem Haushalt den Bereich Klimadiplomatie. Ich habe es richtig gefunden, dass das Thema im Auswärtigen Amt verankert wird, so wie es in manchen anderen Ländern schon längst der Fall war, wie zum Beispiel in Großbritannien. Man muss das Amt dann aber auch mit den entsprechenden Mitteln ausstatten. Manches hätte man sich im Auswärtigen Amt vielleicht mehr gewünscht, trotzdem ist das durchaus gelungen mit diesem Haushalt. Es ist wichtig, dass wir klarmachen: Auch dort haben wir einen umfassenden Ansatz. Das Auswärtige Amt arbeitet zusammen mit dem BMZ, dem Klima- und dem Innenministerium, dem Umweltministerium und anderen an dem Thema. ({2}) Wir stärken mit diesem Haushalt die Menschenrechtsarchitektur. Das ist auch ein wichtiges Anliegen des Koalitionsvertrags, und zwar national und international. Wir müssen aufpassen, dass im Schatten der Situation in der Ukraine die Gefahr nicht größer wird, dass Regime und Autokraten diese Situation ausnutzen und ihre Dividende einfordern. Da müssen wir vorsichtig sein. Das betrifft den Umgang mit China – auch das ist genannt worden –, das betrifft aber auch den Umgang mit der Türkei, bei der es anscheinend auch die Erwartung gibt, dass es jetzt eine Dividende für Wohlverhalten geben könnte. Ich will es noch mal unterstreichen: Wir haben in den letzten Wochen und Monaten eher eine Zuspitzung der Lage in der Türkei gesehen. Die Türkei ist schlichtweg aufgefordert – da wird es auch keinen Kredit geben –, Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umzusetzen. Insbesondere muss Osman Kavala umgehend freigelassen werden. ({3}) Aber ich will auch das sagen: Das betrifft auch Länder wie zum Beispiel Indien – eine Demokratie, die aber schwierige Tendenzen im Bereich des Hindunationalismus aufweist. Auch damit werden wir uns kritisch auseinandersetzen müssen. Auch da müssen wir deutlich machen: Es kann keinen Kredit geben für Wohlverhalten auf UN-Ebene. Wir stärken die Menschenrechtsarchitektur in Deutschland. Wir stärken das Deutsche Institut für Menschenrechte, nicht in diesem Einzelplan, aber insgesamt im Haushalt. Wir stärken die OSZE. Wir stärken den Internationalen Strafgerichtshof, den Hohen Kommissar für Menschenrechte. Wir stärken aber auch den Europarat mit 11 Millionen Euro. Das ist relativ wenig Geld im Vergleich zu diesem großen Haushalt, es hat aber eine riesengroße Bedeutung. Die Ministerin konnte – das habe ich gehört – in Turin beim Treffen der Ministerinnen und Minister glänzen. Ich will noch mal sagen: Es ist eine Riesenchance, den Europarat in einer Situation zu nutzen, wo uns allen klar ist, dass wir Südosteuropa, den Westbalkan stärker an Europa heranführen müssen und manches nicht sofort über die Europäische Union gehen wird. Da ist es eine gute Möglichkeit, den Europarat zu nutzen, indem zum Beispiel Kosovo so schnell, wie es geht, Mitglied des Europarats wird. Vielen herzlichen Dank. ({4})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Für die FDP-Fraktion erhält das Wort der Kollege Peter Heidt. ({0})

Peter Heidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004948, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In mehreren Einzelplänen des Bundeshaushaltes gibt es menschenrechtsbasierte Titel. Dies entspricht unserem im Koalitionsvertrag verankerten Grundsatz, dass „Menschenrechtspolitik … alle Aspekte staatlichen Handelns auf internationaler wie auch innenpolitischer Ebene“ umfasst. Gleichzeitig spiegelt dies das wachsende Ausmaß und die zunehmende Komplexität von Krisen und Konflikten weltweit wider. Letztendlich ist es aber auch ein Beweis dafür, dass die Bundesregierung ihre Verpflichtung ernst nimmt, dass Menschenrechte trotz wachsender Herausforderungen dezidiert zu verteidigen sind, und dass sie sich dabei für eine differenzierte Herangehensweise entschieden hat. Nicht erst seit dem völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine steigt der Bedarf an humanitärer Hilfe weltweit. Die Mittel, die wir jetzt zur Verfügung stellen, um diesen Bedarf zu decken, wachsen. Deutschland ist jetzt der zweitgrößte Geldgeber für humanitäre Hilfe weltweit. Lieber Kollege Brand, wir reden nicht nur, wir handeln tatsächlich. Das ist der Unterschied zu der alten Bundesregierung. ({0}) Dies liegt gerade auch im Interesse Deutschlands. Denn zum einen gewinnen wir durch die Hilfe Partner auf der Welt für unsere Werte. Und natürlich verhindern wir damit auch eine Flüchtlingskatastrophe, die nicht in unserem Interesse liegt. Wir geben den Menschen die Chance, in ihren Heimatländern zu bleiben. Das ist auch sehr wichtig. In vielen Ländern gerät die Zivilgesellschaft immer mehr unter Druck, und zivile Handlungsspielräume werden massiv eingeschränkt. Insbesondere Journalisten, Aktivisten, Wissenschaftler und andere Menschenrechtsverteidiger riskieren, durch ihre Arbeit selbst zum Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu werden. Gerade sie sind aber unverzichtbar für den Aufbau und Erhalt eines funktionierenden Gemeinwesens. Diese mutigen Menschen müssen wir unterstützen. Deshalb freue ich mich sehr, dass wir die Mittel für die Digitalisierung von Visaverfahren zur Verfügung stellen, damit die Antragstellung für diejenigen bedrohten Menschen erleichtert wird, die keine Möglichkeit haben, eine Botschaft zu erreichen. Ebenso freue ich mich darüber, dass wir unser Versprechen wahr machen, Förder- und Schutzprogramme für bedrohte Menschenrechtsverteidiger auszubauen; unter anderem wird die Elisabeth-Selbert-Initiative gestärkt. Gerade weil wir auf die Zusammenarbeit und die Expertise von internationalen und nationalen Organisationen angewiesen sind, kommen wir unserem Versprechen, diese personell und finanziell besser auszustatten, auch nach. Beispielsweise ist hier das Deutsche Institut für Menschenrechte zu nennen: sechs zusätzliche Stellen. Ein letzter Punkt ist mir wichtig: kein Frieden ohne Gerechtigkeit. Dazu gehört auch, dass gerade Kriegsverbrechen aufgeklärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Das gilt für die Ukraine, wo immer mehr Kriegsverbrechen ans Tageslicht kommen; das gilt aber auch für alle anderen Konfliktregionen. Diese Verbrechen müssen dokumentiert werden, und wir müssen den im Koalitionsvertrag angekündigten Ausbau der Kapazitäten für Verfahren im Bereich des Völkerstrafrechts ganz klar vorantreiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns in einem Systemwettbewerb von Demokratie gegen Diktatur. Wir brauchen den engen Austausch und den Zusammenhalt mit den europäischen und transnationalen atlantischen Partnern. Gleichzeitig müssen wir ihnen ein zuverlässiger Partner sein. Wenn uns das gelingt, dann können wir aus dieser Stärke heraus unsere Werte durchsetzen. Vielen Dank. ({1})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als Nächstes erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Thomas Erndl. ({0})

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Heidt, die Handlungsfähigkeit und diese tolle Leistung der Regierung sind unterm Strich wenig glaubwürdig, wenn sie hier beschworen werden, während zugleich aus den eigenen Reihen letztendlich genügend Damen und Herren da sind, die in die gleiche Kerbe schlagen wie wir als Union. Da geben Sie kein geschlossenes Bild ab, was letztendlich die Glaubwürdigkeit unterminiert. Vor wenigen Tagen habe ich die Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem besucht, einen zutiefst bedrückenden Ort. Besonders schmerzt der Gang durch die Gedenkstätte für die 1,5 Millionen ermordeten Kinder, eine dunkle Höhle, ein Raum, der nicht greifbar ist und in dem sich fünf Kerzen so oft spiegeln, dass man glaubt, unter einem Sternenhimmel zu sein. Im Hintergrund werden die Namen der ermordeten Kinder vorgelesen: Mira Goikhman, sechs Jahre alt, ermordet in der Ukraine; Rubim Vainshtain, zwei Jahre alt, ermordet in der Ukraine; oder Riva Grossmann, drei Jahre alt, ermordet in Cherson, Ukraine, im Jahr 1941. Es dauert drei Monate, bis alle Namen vorgelesen wurden. Meine Damen und Herren, in der Ukraine, auch in Cherson, wird wieder gemordet. 81 Jahre nachdem Riva, Rubim und Mira durch die Nazis und ihre Handlanger umgebracht wurden, sterben dort wieder grausam Kinder. Da möchte ich die Frage an die Bundesregierung und die Ampelfraktionen richten: Was bedeutet eigentlich „Nie wieder!“? Was bedeutet das eigentlich angesichts des russischen Vernichtungskriegs mitten in Europa? Was bedeutet denn „Nie wieder!“, wenn wir ein „Schon wieder!“ vor unserer Haustür haben, einen Angriffskrieg, basierend auf Rassismus und Großmachtfantasien? Wir sind immer gut darin, wenn es um das Erinnern geht, das Erinnern an die Verbrechen der Vergangenheit. Das ist wichtig, aber Erinnern darf nicht bloß ein Ritual sein, sondern aus dem Erinnern müssen konkrete Schlüsse für das Hier und Jetzt gezogen werden. Da muss auch konkretes Handeln folgen. Da muss ich sagen: Es ist einfach nicht ausreichend, was die Bundesregierung hier macht. „Nie wieder!“ muss doch bedeuten, dass wir entschieden und entschlossen handeln, aus einer Position der Stärke agieren und eben nicht durch Zaudern und Ängstlichkeit für Irritationen bei unseren Freunden und Partnern sorgen. Frau Bundesministerin, Sie haben vor einigen Wochen zum Thema Waffenlieferungen gesagt, es dürfe jetzt keine Ausreden mehr geben. Wieso suchen dann Teile der Regierung jede Woche eine neue Ausrede, wenn es um die Lieferung schwerer Waffen geht? ({0}) Setzen Sie sich durch! Sie haben dabei unsere Unterstützung. Meine Kolleginnen und Kollegen, das Bild Deutschlands ist vor allem in Osteuropa verheerend. Das ist nicht mein Urteil, sondern das ist durch viele Aussagen belegt, zuletzt durch den polnischen Präsidenten. Ist das nun die Lehre aus unserer Geschichte, dass viele Länder glauben: „Wenn es darauf ankommt, dann kann man sich auf Deutschland nicht verlassen“? Kann es unser Ziel sein, dass der ukrainische Außenminister sagt, er habe es satt, auf Deutschland zu warten? Frau Bundesministerin, Sie haben an dieser Stelle bei der ersten Lesung des Haushalts selber gesagt, Ihnen gehe das auch an die Nieren. „Nie wieder!“ muss doch heißen, dass wir dem sinnlosen Sterben von Rivas, Rubims und Miras ukrainischen Nachfahren ein Ende setzen. Das geht eben nur, wenn die Ukraine richtig befähigt ist, sich zur Wehr zu setzen. Das geht nur, wenn wir auch zu dem Punkt kommen, dass umfassend neuestes Gerät eingesetzt wird. Da muss man auch ein paar Monate in die Zukunft denken, und da muss auch die Anzahl der Fahrzeuge und Systeme angemessen sein und nicht nur die Symbolik mit wenigen Stück. Es geht nämlich nicht darum, irgendwas zu liefern, irgendwie auch bei den Unterstützern dabei zu sein. Aber diesen Eindruck hat man leider von dieser Bundesregierung. Dieser Eindruck geht eben auch durch die Selbstgefälligkeit, mit der der Kanzler heute Morgen wieder einmal die angeblich so große Unterstützung gepriesen hat, nicht weg. Es geht doch darum, ein Ziel zu erreichen – ein Ziel, das auch Sie formuliert haben: Russland darf nicht gewinnen; die Ukraine muss gewinnen. An diesem Ziel muss unser Handeln ausgerichtet sein. Da müssen wir deutlich pragmatischer werden. Die Ukraine investiert Zeit und Personal für die Bedienung der Panzerhaubitze 2000, und wir liefern 7 Stück. 60 Stück sind nicht einsatzbereit. Ist es für die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt ein Problem, diese Haubitzen in wenigen Monaten einsatzbereit zu machen? Dann könnten wir deutlich mehr aus dem Bestand liefern. Damit hätten wir schon vor drei Monaten anfangen sollen. Genauso versteht niemand, warum Marder und Leopard 1 aus den Beständen der Industrie nicht schon längst im Einsatz sind. Meine Damen und Herren, in politischen Sonntagsreden hört man oft: Europa muss souveräner werden. – Auch in Ihrem Koalitionsvertrag findet sich diese Aussage. Europa kann aber nur souveräner werden, wenn Mitgliedsländer vorangehen. Deutschland hat hier eine Führungsrolle. Aber es ist keine Führung, wenn wir immer nur unter Druck handeln. Heute wurde verkündet: Wir liefern jetzt Mehrfachraketenwerfer. – Das ist eine gute Entscheidung. Das geschieht aber nicht aus eigenem Antrieb, sondern weil der US-Präsident angerufen hat. Das ist doch keine Führung, das ist doch nicht mehr Souveränität. Das führt zur Verzwergung der EU, wenn wir so weitermachen. ({1}) Und es geht weiter: Diese Regierung hat keine Meinung zum EU-Kandidatenstatus für die Ukraine. Dabei verteidigen die tapferen Kämpferinnen und Kämpfer unsere Werte, unsere Sicherheit, unser Europa, frei und demokratisch. Ich möchte, dass wir ihnen Rückendeckung und Vertrauen und ein klares Signal für den Weg in die EU geben. Das alles ist beschämend und traurig. Ich habe noch nie von so vielen Menschen den Satz gehört: Ich schäme mich für mein Land. ({2}) Dafür ist der Bundeskanzler verantwortlich. Frau Ministerin, sorgen Sie bitte dafür, dass Deutschland in dieser Krise beherzt handelt, dass wir ein verlässlicher Partner für unsere Freunde gerade in Osteuropa sind. Das Sondervermögen für die Bundeswehr ist dabei ein wichtiges Signal. Es ist gut, dass Sie und Ihre Partei jetzt bereit sind, diese 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr auszugeben.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege. ({0})

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Letzter Satz, Frau Präsidentin. – Gehen Sie bitte auch bei den Lieferungen schwerer Waffen für die Ukraine genauso mutig voran, dann haben Sie uns an Ihrer Seite. Herzlichen Dank. ({0})

Johannes Schraps (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004881, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Erndl, warum Sie sich schämen, kann ich nicht richtig nachvollziehen. Dann sprechen Sie ganz offensichtlich mit vielen Menschen in Ihrem Wahlkreis, die alle ganz anders denken als die Menschen, die viele andere Kolleginnen und Kollegen treffen; das hat jedenfalls die Debatte aus meiner Sicht sehr deutlich gezeigt. ({0}) Eines ist aus dieser Debatte aber auch, wenn ich das als letzter Redner so sagen darf, sehr deutlich hervorgegangen: Die Gräueltaten Russlands in der Ukraine führen uns tagtäglich vor Augen, dass die Ukraine nie wieder das Land werden wird, das sie vor diesem Krieg war. Dasselbe gilt auch für Deutschland und den europäischen Kontinent; denn mit dem russischen Angriffskrieg ist nichts mehr wie früher. Dass sich diese Zeitenwende natürlich auch in unseren Haushalten widerspiegelt, ist, glaube ich, völlig normal. Europa als Friedenskontinent, wie wir ihn über Jahrzehnte als vollkommen selbstverständlich wahrnehmen durften, diese Realität hat Putin mit seinem Angriffskrieg brutal zerstört. Ich möchte deshalb zum Abschluss dieser Debatte die Worte, die auch der Bundeskanzler heute Morgen erneut gewählt hat, unbedingt noch einmal wiederholen: Putin darf und wird diesen Krieg nicht gewinnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen; denn nur so kann Europa irgendwann wieder zum Friedenskontinent werden. ({1}) Der Krieg in der Ukraine, dieser Krieg auf europäischem Boden prägt natürlich auch alle Bereiche unseres Lebens. Deshalb ist es nur logisch, dass er auch Auswirkungen auf unsere Finanz- und Haushaltsplanung hat. Putins Krieg gegen die Ukraine braucht geschlossene Antworten der EU, und er braucht auch Antworten aus Deutschland. Weil es uns um die Zukunft Europas und um unsere Verantwortung gegenüber der Ukraine geht, geben wir mit dem hier vorgelegten Haushalt auch Antworten, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Natürlich ist dieser Haushalt geprägt von den Eindrücken des Krieges. Der Haushalt, den uns die Berichterstatterinnen und Berichterstatter, denen ich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich danken möchte, vorgelegt haben, ist aus meiner Sicht sehr gut austariert und wohlüberlegt. Ich freue mich, dass vor allem für den Bereich der humanitären Hilfe und für die Unterstützung der Ukraine als angegriffenem Land in diesem Haushalt viele Mittel eingeplant wurden. 2,7 Milliarden Euro sind richtigerweise für den Bereich der humanitären Hilfe eingestellt. – Kollege Gysi, wenn ein Drittel des Haushalts des Auswärtigen Amts für humanitäre Hilfe aufgewandt wird, kann man doch nicht von einem militaristischen Haushalt sprechen. ({3}) Entweder haben Sie den Haushalt nicht gelesen, oder Sie wussten schon vor der Aufstellung des Haushalts, was Sie hier am Pult in dieser Debatte sagen wollen. ({4}) Wir kommen schlichtweg unserer Verantwortung nach, die wir gegenüber der Ukraine haben; das haben Außenministerin Baerbock, Michelle Müntefering und andere Rednerinnen und Redner gesagt. Mit den Mitteln im humanitären Bereich wird mithilfe zahlreicher Partnerorganisationen dort Unterstützung geleistet, wo sie am allernötigsten ist, nämlich bei den Menschen in der Ukraine, wo es aufgrund der russischen Angriffe und der riesigen Zerstörungen der Infrastruktur des Landes häufig am Lebensnotwendigsten fehlt. Da müssen wir helfen, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Mit diesem Haushalt stellen wir die Mittel dafür zur Verfügung. ({5}) Außerdem unterstützen wir die Zivilbevölkerung in der Ukraine, aber auch – das ist angesprochen worden – in Russland, in Belarus und in anderen Ländern Osteuropas, in denen das dringend notwendig ist. Dazu zählen Journalistinnen und Journalisten, Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Oppositionelle, die derzeit nicht oder nur unter großer Gefahr für ihr Leben ihrer Arbeit nachgehen können. Durch die Aufstockung der Mittel im Zuge der Haushaltsberatungen fördern wir zudem auch mehrere Projekte, die sich für den Erhalt von Meinungsvielfalt und gegen Falschmeldungen einsetzen. Das ist wichtig, weil leider nicht mehr überall die Freiheitsrechte gelten, die wir in unserem demokratischen System hier gewohnt sind, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Mitbedacht haben wir – das hat Kollege Heidt richtig gesagt – auch Maßnahmen wie die Finanzierung von Ermittlungsverfahren gegen Kriegsverbrechen in der Ukraine sowie die Unterstützung besonders vulnerabler Partnerländer wie beispielsweise die Republik Moldau, die selten genannt wird, aber als kleines Land mit nicht einmal 3 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern besonders viele schutzsuchende Menschen aus der Ukraine aufgenommen hat und ebenfalls große Unterstützung von uns benötigt und diese auch bekommt, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Ich halte es für ausgesprochen wichtig, dass wir gerade vor dem Hintergrund der Auswirkungen des Krieges auch die Beziehungen zu unseren europäischen Partnerländern weiter stärken und intensivieren. Auch das tun wir mit dem vorliegenden Haushalt. Ich will hier nur einige wenige exemplarische Beispiele nennen. Ich freue mich zum Beispiel sehr, dass der Ansatz für die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit deutlich erhöht wird. Auch die 2020 ins Leben gerufene Elisabeth-Selbert-Initiative des ifa, des Instituts für Auslandsbeziehungen, die geflüchtete Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger unterstützt, wird besser ausgestattet. Das alles sind wichtige Projekte, die uns auch in der Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern helfen. ({6}) Gestärkt werden die Beziehungen zu unseren europäischen Partnern aber vor allem auch durch gegenseitiges Kennenlernen und durch das Abbauen von Vorbehalten. Deshalb halte ich es für ausgesprochen wichtig und richtig, dass wir auch einen Fokus auf die Austauschprogramme legen, insbesondere auf den Jugendaustausch: mit der Erhöhung der Mittel für die Internationale Jugendbegegnungsstätte im polnischen Kreisau, mit der Stärkung des Netzwerks der bereits genannten PASCH-Schulen oder mit der Stärkung der Jugendarbeit des Europarates. All das sind wichtige Maßnahmen, die zum europäischen Zusammenhalt beitragen, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Zum Abschluss: Gerade in den heutigen Zeiten wird uns ganz klar, dass Europa nur miteinander solidarisch sein kann und sein muss. Das ist der einzige Weg für uns, um stabil und widerstandsfähig zu bleiben und um als Europäer zusammenzustehen und mit einer Stimme zu sprechen. Diese Prioritäten spiegelt dieser Haushaltsplan eindrucksvoll wider. Wir stellen uns den Herausforderungen, die uns diese bewegten Zeiten auferlegen. Als Ampelkoalition tragen wir mit diesem Haushalt unseren Teil zur europäischen Antwort auf den Angriffskrieg Putins bei. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Ingo Gädechens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004036, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der gegenwärtig schrecklichen Situation des russischen Angriffs gegen die Ukraine diskutieren wir hier und heute den Verteidigungsetat der Bundesrepublik Deutschland für das laufende Haushaltsjahr 2022. Mittlerweile befinden wir uns im sechsten Monat des Jahres, und es wird höchste Zeit, dass dieser Einzelplan, der in weiten Teilen auch noch erkennbar die Handschrift der Großen Koalition trägt, verabschiedet wird. Die Truppe braucht dringend diesen Etat, damit Ausrüstungsvorhaben umgesetzt und damit neue Beschaffungsvorhaben beauftragt werden können. Zwischen der ersten und der jetzigen zweiten und dritten Lesung des Haushalts liegen gut acht Wochen. In meiner damaligen Rede habe ich Ihnen, Frau Bundesverteidigungsministerin – Ihnen, Frau Lambrecht –, hilfreiche Tipps gegeben, wie man in diesem zugegebenermaßen schwierigen Ministerium das eine oder andere Fettnäpfchen umschiffen könnte. ({0}) Sie haben meine Ratschläge leider nicht angenommen. Und das hatte zur Folge – um in Ihrem Sprachgebrauch zu bleiben –, dass Sie eine Torte nach der anderen ins Gesicht bekommen haben. Deshalb noch mal mein Rat: Hören Sie hin und wieder auf Menschen, die Verteidigungspolitik schon etwas länger und mit viel Herzblut betreiben. ({1}) Hier und heute geht es weniger um Sie, Frau Ministerin, sondern primär um den Haushalt. Dabei waren für mich die vergangenen Beratungen durchaus bemerkenswert. In den zurückliegenden Jahren vertrat die Union in diesem Haus ziemlich einsam die Auffassung, dass die Bundeswehr chronisch unterfinanziert ist. ({2}) Erst mit dem furchtbaren Krieg in der Ukraine hat es auch bei anderen Fraktionen und unseren ehemaligen Koalitionspartnern einen wirksamen Hallo-Wach-Ruf gegeben. „Besser spät als nie“, heißt es bekanntlich im Volksmund. Das ist auf jeden Fall eine positive Nachricht für unsere Soldatinnen und Soldaten. ({3}) Auch wenn die Beratungen in den Berichterstattergesprächen in gewohnt kollegialer Atmosphäre verliefen, war ich bei genauerem Hinsehen an einigen Stellen doch etwas enttäuscht. Schon seit Wochen müssen wir ja leider zunehmend beklagen, dass vonseiten der Bundesregierung nicht das umgesetzt wird, was oftmals großspurig angekündigt wird. Nicht ohne Grund titeln die nationalen und leider auch die internationalen Medien: Deutschland ziert sich, zaudert, zögert oder zerredet die Dinge. Die unendlichen Verwirrungen beim Thema „Waffenlieferungen an die Ukraine“ sind leider ein mahnendes Beispiel, wie eine Regierung in zentralen Fragen schon nach einem halben Jahr im Amt jeden Anspruch auf eine wahrhaftige und verlässliche Politik aufgegeben hat. Leider hat sich dies auch bei den Beratungen des Verteidigungshaushaltes gezeigt. Hinter den vielen netten Worten der Ampelkoalitionäre verbergen sich leider im Kernetat nur wenig gute Taten. Weil das so ist, benötigen wir dringend das angekündigte 100-Milliarden-Sondervermögen. Und weil meine Fraktion die Notwendigkeit sieht, hat sie sich proaktiv in die Verhandlungen eingebracht und trägt neben allen anderen Notwendigkeiten auch die Änderung des Grundgesetzes mit. Ohne diese zusätzlichen Mittel sähe es nämlich ziemlich düster im Einzelplan 14 aus. Ein Beispiel dazu: Es war gut, dass kurzfristig und unbürokratisch die Beschaffung der persönlichen Ausrüstung für alle Soldatinnen und Soldaten beschleunigt vorgezogen wurde. Für mich wäre es allerdings an dieser Stelle logisch gewesen, wenn die zusätzlich benötigten 2,3 Milliarden Euro dem Verteidigungshaushalt on top zur Verfügung gestellt worden wären. Weit gefehlt! Leider hat die Ampel im Haushaltsausschuss genau das Gegenteil beschlossen. Jeder einzelne Euro, der für persönliche Ausrüstung und Bekleidung in diesem Jahr ausgegeben wird, muss an anderer Stelle von der Bundeswehr eingespart werden. Ähnlich verhält es sich bei der dringend notwendigen Erhöhung der Ausgaben für Betriebsstoffe. Fast die Hälfte des Aufwuchses muss die Bundeswehr im Gegenzug bei der Beschaffung von Flugzeugen einsparen. Als ob die Bundeswehr etwas für gestiegene Diesel- und Benzinpreise könnte! Es ist fast schon konsequent, dass die Ampel dann einfach weniger Flugzeuge beschaffen will; dann, meine Damen und Herren, braucht man logischerweise auch weniger Sprit. Meine sehr verehrten Damen und Herren, keine Frage: Mit dem Sondervermögen bekommt die Bundeswehr endlich dringend notwendiges Geld. Darüber hinaus geht es hier aber um eine ganz grundsätzliche Frage, nämlich wie die Politik zur Bundeswehr steht. Auch wenn die Ampelkoalitionäre gebetsmühlenartig von Wertschätzung und Respekt gegenüber der Bundeswehr reden, schweben bei vielen Soldatinnen und Soldaten so einige Fragezeichen über deren Köpfen. In Vorbereitung meiner Rede habe ich mir deshalb noch mal die alten Anträge angeschaut, die insbesondere die Grünen und die FDP noch zu Oppositionszeiten in der vergangenen Wahlperiode zum Verteidigungsetat gestellt haben. ({4}) – Ja, Otto, ich habe von dir gelernt. Das hast du in den vergangenen Jahren auch immer gemacht. ({5}) Ich habe da ein Sammelsurium gesehen an Anträgen, gerade bei den Grünen. Sie wollten wild durch alle Themenfelder massiv einsparen. Okay. Gut, dass nun auch die Grünen in der realen Welt einer wehrhaften Demokratie angekommen sind. ({6}) Und von der FDP, der selbsternannten damaligen Serviceopposition, gab es ähnliche Anträge, wenn auch etwas weniger drastisch – Anträge, die aber niemals erkennen ließen, dass man einen wesentlich größeren Aufwuchs des Einzelplans herbeiführen wollte. Meine Damen und Herren, die CDU/CSU als Partei der Bundeswehr geht auch in der Opposition ihren pragmatischen und deshalb glaubwürdigen Weg weiter. ({7}) Deshalb haben wir eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht. Auch wenn die Ampel unsere Anträge allesamt abgelehnt hat, freue ich mich, dass einige Anregungen von uns doch aufgenommen worden sind. So haben wir zum Beispiel beantragt, das unsinnige Verbot einer Bewaffnung der zukünftigen Eurodrohne aufzuheben. ({8}) Auch wenn das zunächst abgelehnt wurde, kam dann in der zweiten Ausschussberatung ein leicht umgeschriebener Ampelantrag und macht nun den Weg für eine Bewaffnung frei. ({9}) Ein anderes Beispiel war unsere Idee, die riesigen Flächen auf den Hallendächern und den Dächern anderer Gebäude der Bundeswehr für den Ausbau von Solarenergie zu nutzen. Im Ausschuss wurde diese Idee von SPD, Grünen und FDP abgelehnt, um nur kurze Zeit später als Vorschlag aus der Ampelkoalition in den Medien aufzutauchen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, als einer, der über drei Jahrzehnte in der Bundeswehr gedient hat, liegt mir die Truppe wirklich am Herzen. Und dann freue ich mich für unsere Soldatinnen und Soldaten, auch für unsere zivilen Angestellten, über jedes einzelne Mal, wenn Sie einen Vorschlag von uns zwar zunächst ablehnen, aber dann bei nächster Gelegenheit doch als eigene Idee verkaufen und umsetzen. ({10}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir beschließen einen Gesamthaushalt, bei dem aus meiner Sicht noch viele Fragen offen sind, gerade auch mit Blick auf eine Rekordneuverschuldung und die vielen Ausgabensteigerungen. Da hätte ich mir eine bessere Priorisierung gewünscht. Zugleich ist es mir aber enorm wichtig, in der aktuellen Situation die Chancen für unsere Bundeswehr zu nutzen. Endlich ist es nicht nur die Union, die von einer chronischen Unterfinanzierung der Bundeswehr spricht und dies ändern will. Endlich sind sich anscheinend die meisten hier im Hause einig. Wir wissen, dass bei einem Beschaffungsprozess nicht nur ein Reförmchen notwendig ist, sondern eine Reform, um diese Prozesse zu beschleunigen. Endlich erhalten die Soldatinnen und Soldaten für ihren Dienst aus den meisten Fraktionen dieses Hauses den angemessenen Respekt. Lassen Sie uns in diesem Sinne weiterarbeiten für die Sicherheit unseres Landes und für unsere Bundeswehr! Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Einen guten Tag auch von meiner Seite! – Für die Bundesregierung hat nun das Wort die Ministerin Christine Lambrecht. ({0})

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Aufbau der Bundeswehr ab 1955 gründete auf einer großen parteiübergreifenden Verfassungskoalition. Richard Jaeger von der Union, Erich Mende aus der FDP und natürlich der große Helmut Schmidt und viele mehr: Sie haben Geschichte geschrieben mit der Gründung der Bundeswehr als Parlamentsarmee. Heute stehen wir erneut vor einer grundlegenden Zäsur. Der brutale russische Angriffskrieg führt uns schmerzhaft eine lange verdrängte Tatsache vor Augen: Wer in Freiheit leben will, braucht militärische Stärke, um diese Freiheit zu verteidigen. ({0}) In diesem entscheidenden Moment steht unser Parlament erneut in großer Geschlossenheit hinter seiner Armee, in einer Verfassungskoalition aus Ampel und Union. Gemeinsam werden wir das größte Ertüchtigungspaket in der Geschichte der Bundeswehr im Grundgesetz verankern, ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, mit einem großen Ziel: Wir wollen die Bundeswehr wieder zu dem machen, was sie sein muss – eine leistungsfähige Armee, die ihren Kernauftrag voll erfüllen kann, unser Land und unser Bündnis zu verteidigen. ({1}) Meine Damen und Herren, über Jahrzehnte wurde unsere Truppe sträflich vernachlässigt und heruntergewirtschaftet, und das hat Spuren hinterlassen. Die Ausrüstung ist auf Kante genäht – und vielfach nicht einmal das. Das sehen wir gerade jetzt, wo mitten in Europa ein brutaler Krieg tobt. Wir stehen in diesem Krieg fest an der Seite der Ukraine. Und diese Bundesregierung hat eine für unser Land historische Entscheidung getroffen: Wir liefern Waffen in ein Kriegsgebiet, wir liefern Waffen in die Ukraine – Millionen Schuss Munition, Tausende Panzerabwehrminen, Panzerfäuste und Flugabwehrraketen, sieben hochmoderne Panzerhaubitzen 2000, schwere Artillerie, an der wir die ukrainische Armee auch ausbilden. Herr Wadephul, Sie haben es völlig richtig gesagt: 21 Tage wären zu kurz für diese Ausbildung. Deswegen sind es 42 Tage. Das ist ganz wichtig, damit die Soldaten, die dann mit diesem hochmodernen Gerät kämpfen, auch entsprechend ausgebildet sind. ({2}) Dafür, für das, was ich eben aufgezählt habe, sind wir an die Bestände der Bundeswehr gegangen, und wir werden das, wo immer möglich, in enger Abstimmung mit unseren Verbündeten auch weiterhin tun, wie zum Beispiel bei den Mehrfachraketenwerfern in Abstimmung mit den USA. Meine Damen und Herren, zur Wahrheit gehört aber auch: Wir stoßen hier an unsere Grenzen. Als deutsche Verteidigungsministerin muss und werde ich sicherstellen, dass wir selbstverteidigungsfähig bleiben und dass wir unsere Bündnispflichten auch wahrnehmen können. Deshalb nutzen wir zur Unterstützung der Ukraine viele Wege: direkt von der Industrie Flugabwehrpanzer Gepard einschließlich Ausbildung und Munition. Damit kann man dann kritische Infrastruktur schützen. Das geschieht auf ausdrücklichen Wunsch der Ukraine. Ich muss ehrlich zugeben: Ich reibe mir manchmal die Augen, wenn ich selbsternannte Experten in Talkshows höre, die sich darüber lustig machen, dass die Munition, die da mitgeliefert wird, nur für soundso viele Minuten ausreichen würde. Ja, wenn man auf Dauerfeuer stellen würde! Aber niemand, der auch nur einigermaßen eine Ahnung davon hat, wie man den Gepard nutzt, käme auf diese Idee. Denn dann wäre nicht nur die Munition verbraucht, auch das Rohr wäre kaputt. Wer kommt auf so eine alberne Idee? ({3}) Das muss ich sagen: Bei solch ernsthaften Entscheidungen, bei solch einem ernsthaften Thema würde ich mir manchmal ein bisschen mehr Ernsthaftigkeit wünschen und nicht nur die Gier nach der flotten Überschrift, meine Damen und Herren. ({4}) Ein weiterer Weg, über den wir die Ukraine unterstützen, ist der Ringtausch, zuletzt mit Tschechien, das schwere Waffen sowjetischer Bauart in die Ukraine liefert, die ohne Ausbildung sofort einsetzbar sind. Wir helfen dabei, die tschechischen Lücken aus Industriebeständen zu schließen. Auch mit Griechenland organisieren wir einen solchen Ringtausch. Und nicht zuletzt unterstützen wir die Ukraine mit sehr viel Geld – Geld für Waffen und Munition. Auf diesen beschriebenen Wegen, auf diesen vielfältigen Wegen helfen wir wirksam, ohne dass wir die Bestände der Bundeswehr unverantwortlich schwächen. Das ist auch immens wichtig; denn gerade jetzt haben wir große Aufgaben. Es geht doch darum, auch ein verlässlicher Partner im Bündnis zu sein. Deswegen geht es auch darum, die NATO-Ostflanke zu stärken; denn unsere osteuropäischen Alliierten schauen sehr genau hin, was wir da tun. Deswegen war es mir wichtig, gleich zu Beginn meiner Amtszeit die Präsenz in Litauen, in der Slowakei zu verstärken, dafür zu sorgen, dass Air Policing in Rumänien möglich ist, und auch unsere Präsenz in der Ostsee zu verstärken. Auch als logistische Drehscheibe der NATO sind wir besonders gefordert. Diese Aufgaben können wir erfüllen. Aber ich muss Ihnen auch sagen: Es sind Mammutaufgaben. Und die Aufgaben der Bundeswehr werden noch weiter wachsen. Was das bedeutet, ist klar: ({5}) Es muss Schluss sein mit der Vernachlässigung der Bundeswehr, und es muss Schluss sein mit Zögern und Zaudern. ({6}) – Sie werden sich gleich noch freuen, meine Damen und Herren. – Daher ist es wichtig, dass der diesjährige Verteidigungshaushalt deutlich steigen wird, nämlich um rund 3,5 Milliarden Euro gegenüber dem Plan, gegenüber dem ursprünglichen Entwurf. Das ist ein wichtiges Zeichen. Mit diesen jetzt rund 50,4 Milliarden haben wir eine solide Grundlage für den Betrieb unserer Bundeswehr und gerade auch dafür, wichtige Rüstungsgüter anzuschaffen. Dafür bin ich dankbar. Aber ich sage Ihnen auch: Das ist viel zu wenig Geld, um die Versäumnisse der Vergangenheit nachhaltig auszubügeln. Das wird schon an einem einzigen Beispiel klar: Wir brauchen alleine 20 Milliarden Euro, um unsere ausgehöhlten Munitionsvorräte aufzufüllen und auf NATO-Niveau zu bringen. Deshalb ist es so wichtig, dass jetzt neben dem Verteidigungshaushalt auch das Sondervermögen kommt, 100 Milliarden zusätzlich. Damit können wir die dringendsten Fähigkeitslücken nicht nur identifizieren, so wie das lange geschehen ist – lange wurde darüber lamentiert –, sondern jetzt können diese Lücken auch geschlossen werden, meine Damen und Herren. ({7}) Dieses Geld ist gut investiert. Es geht um unsere Fähigkeiten zur Landes- und Bündnisverteidigung. Deswegen ist es gut, dass Schluss ist mit Kaputtsparen, mit Zögern und Zaudern, vor allen Dingen auch Schluss damit, dass wichtige Entscheidungen viel zu lange verschleppt wurden. Bei der Tornado-Nachfolge ging es jahrelang nicht voran; jahrelang wurde diese Entscheidung verschleppt. ({8}) Jetzt ist sie getroffen: Es soll die F-35 werden. Oder die Bewaffnung der Drohnen zum Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten: ({9}) Wer hat das denn durchgesetzt? ({10}) Haben Sie es durchgesetzt? Wir setzen es jetzt durch. Das sind Entscheidungen, die wir treffen. ({11}) Oder eine andere ganz wichtige Entscheidung. Wer wollte denn die Soldatinnen und Soldaten erst 2031 – man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: 2031! – mit persönlicher Ausrüstung ausstatten? Das ist vorgezogen worden. Das geht deutlich schneller; es erfolgt jetzt sechs Jahre früher. Das nenne ich mal konsequentes Handeln. Das ist eben kein Zögern und Zaudern. ({12}) Jetzt lassen Sie mich noch eine Entscheidung begründen, die ebenfalls viel zu lange verschleppt wurde. Ich habe die folgende Frage ganz oft gehört – ich glaube, seit dem ersten Tag meiner Amtszeit –: Was machen Sie mit den schweren Transporthubschraubern? – Ja, warum wurde diese Entscheidung denn nicht früher getroffen? Weil man gezögert und gezaudert hat. Und jetzt ist Schluss damit! ({13}) Die Entscheidung ist gefallen: Wir wollen, dass es der Chinook ist. Das, Herr Gädechens, habe ich sehr wohl mit all denjenigen bei mir im Hause, die gute Ratschläge geben können, beraten, zum Beispiel mit dem Generalinspekteur der Bundeswehr, mit den Inspekteuren der Luftwaffe und des Heeres. Wir haben sehr wohl gründlich die Vor- und Nachteile abgewogen, und deswegen haben wir uns genau für dieses Modell entschieden. Es ist erprobt, ({14}) es ist das Rückgrat des europäischen Lufttransports, und mit diesem Modell stärken wir unsere Kooperationsfähigkeit in Europa. Und für all diejenigen, die die Frage gestellt haben, ob es Vergleichsangebote gab: Natürlich gab es die. Deswegen kann ich Ihnen auch sagen: Wir bekommen durch diese Entscheidung eine größere Flotte und damit auch mehr Flexibilität. ({15}) Deswegen ist das die richtige Entscheidung für unsere Truppe. So muss agiert werden. So muss übrigens auch beim Beschaffungswesen agiert werden. Jetzt schaue ich noch mal genau: Was ist denn da in der letzten Amtszeit so geschehen? ({16}) Das geht dann recht schnell: So gut wie nichts. Es gab zwar teure Berater, es gab zwar große Pläne, aber es ist nichts umgesetzt worden. ({17}) So viel zum Zögern und Zaudern. In den ersten Wochen habe ich entschieden, dass in Zukunft 20 Prozent aller Aufträge aus der Bundeswehr freihändig vergeben werden können und damit deutlich weniger Bürokratie – deutlich weniger Bürokratie! – anfällt ({18}) und die entsprechenden Ressourcen freigesetzt werden für große Projekte. Es ist endlich entschieden, dass wir die Möglichkeit nutzen, vom europäischen Vergaberecht abzuweichen, nämlich immer dann, wenn es die nationale Sicherheit betrifft und dringlich ist. Wo waren da in der Vergangenheit die Entscheidungen? Jetzt wird diese Möglichkeit angewandt. Und es wird noch viel mehr kommen; die Eckpunkte liegen auf dem Tisch. Ich bin zur Beschleunigung bereit, ich bin bereit, zu handeln. Schluss mit Zögern und Zaudern! Meine Damen und Herren, wir haben jetzt eine historische Chance. Wir können die Versäumnisse der Vergangenheit ausbügeln und die Bundeswehr wieder voll auf die Beine stellen. Lassen Sie uns diese Chance gemeinsam nutzen, so wie damals, in den Gründungsjahren der Bundeswehr, 1955, in einer großen, parteiübergreifenden Koalition für unsere Parlamentsarmee. Es sind unsere Soldatinnen und Soldaten, die unsere Freiheit verteidigen – unsere Freiheit, unsere Demokratie. Stehen wir geschlossen hinter ihnen! Vielen Dank. ({19})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die AfD hat das Wort Dr. Michael Espendiller. ({0})

Dr. Michael Espendiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004711, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und bei Youtube! ({0}) Mein Fraktionskollege Fabian Jacobi hat vorgestern gesagt, dass er auch deshalb in die Politik gegangen ist, weil die anderen Parteien die Bürger regelmäßig für dumm verkaufen und sie auch für dumm halten würden. Und er hat auch gesagt, dass die Bürger eben genau das nicht sind. Als ich das hörte, musste ich unweigerlich an den Verlauf der Beratungen über diesen Verteidigungsetat und an die Debatte zum Sondervermögen denken. Denn alle anderen Parteien, die hier im Hause sitzen, tun auf die eine oder andere Weise genau das: Sie verkaufen die Menschen für dumm. Da haben wir zum einen eine Regierung aus SPD, Grünen und FDP, eine linke Regierung, die selbst kräftig dabei mitgeholfen hat, die Bundeswehr so rettungslos kaputtzusparen, dass sie jetzt in einem so schlechten Zustand ist, dass man um die Verteidigungsfähigkeit dieses Landes ernsthaft besorgt sein muss. ({1}) Genau diese linke Regierung wäscht ihre Hände jetzt in Unschuld und schwingt sich nun zum Retter der Bundeswehr auf; wir haben es gerade von der Verteidigungsministerin gehört. ({2}) Aber eigentlich hat sie noch nicht einmal den blassesten Schimmer, wie sie mit diesem Scherbenhaufen umgehen soll. Die FDP müsste aus haushalterischen Gründen hier eigentlich schon im Dreieck springen. Aber was interessiert die Minister das Liberalala-Geschwätz von gestern? Die Union wird nicht müde, zu betonen, dass sie ja schon immer für die Bundeswehr war und dass nur die SPD schuld daran ist, dass unsere Truppe nicht besser ausgestattet wurde. Dazu muss man einfach mal festhalten, dass die deutsche Regierungschefin 16 Jahre lang Angela Merkel hieß und dass auch das Verteidigungsministerium 16 Jahre lang in den Händen der Union war – 16 Jahre, in denen Sie die Missstände in der Bundeswehr bestenfalls verwaltet und nichts gegen den fortschreitenden Verfall unserer Streitkräfte unternommen haben. ({3}) Ja, es gab seit 2014 Etaterhöhungen. Aber was ist eigentlich mit dem Geld passiert? Da fallen einem dann leider nur diverse Beschaffungsskandale und Berateraffären ein. Und für diesen Mist haben Sie Frau von der Leyen dann auch noch zur Präsidentin der Europäischen Kommission befördert. Dann haben wir natürlich noch die alles entschuldigende Ausrede – für alles und jeden –: Der Russe ist schuld. ({4}) Früher war alles Friede, Freude, Eierkuchen, es brauchte doch gar keine Armee mehr, und überhaupt konnte man doch die Wahrnehmung der eigenen Sicherheitsinteressen gepflegt den Amerikanern aufbürden. Das 2‑Prozent-Ziel hat hier niemanden interessiert. ({5}) Im Gegenteil: Man war noch empört, als der damalige Präsident Trump forderte, Deutschland möge doch endlich mal seine Bündnisverpflichtungen erfüllen. Und das führt uns direkt zu dem Elefanten im Raum, den keiner hier benennen will: Sie alle hier haben dabei mitgemacht, dass die Bundeswehr so heruntergewirtschaftet wurde, dass man den entstandenen Schaden nur noch mit der Aufnahme massiver Schulden oder durch harte Einschnitte im Gesamthaushalt beheben kann. Wenn man das Prinzip eines ausgeglichenen Haushalts nicht aufgeben und dabei die Sicherheitsinteressen Deutschlands nicht preisgeben will, dann geht das nur über radikale Kürzungen in sämtlichen anderen Etats. ({6}) Das ist die fürchterliche Wahrheit, vor der wir hier alle stehen. Das ist die riesige Hypothek, die Sie allen Bürgern dieses Landes durch Ihre Verantwortungslosigkeit und Ihre laxe Haushaltspolitik in der Vergangenheit aufgebürdet haben. ({7}) Ich habe Frau Ministerin Lambrecht in den Beratungen gefragt, was wir denn machen, wenn das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen aufgebraucht ist. Sie hat geantwortet, dass es natürlich eine Möglichkeit wäre, ein neues Sondervermögen aufzulegen, dass sie das aber selbstverständlich nicht möchte. Schon klar! Ich glaube Ihnen kein Wort. ({8}) Ein souveränes Land muss sich verteidigen können. Daran führt kein Weg vorbei, und das haben wir hier auch immer wieder gesagt. Aber mit Ihrer Haushaltspolitik laufen wir auf eine dauerhafte Finanzierung unserer Parlamentsarmee durch Schulden zu – allen gegenteiligen Bekundungen zum Trotz. Natürlich könnte man das noch verhindern. Aber alle anderen Fraktionen haben in den Haushaltsberatungen deutlich gemacht, dass sie zu dem dafür erforderlichen Sparkurs nicht bereit sind. Wenn Sie diesen Weg also gehen, dann sollten Sie wenigstens so ehrlich sein und den Bürgern darüber die Wahrheit sagen. Denn das haben die Bürger nicht nur verdient, darauf haben sie auch ein Recht. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({9})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Bündnis 90/Die Grünen erteile ich das Wort Dr. Sebastian Schäfer. ({0})

Dr. Sebastian Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005201, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Zeitenwende ist in der Verteidigungspolitik angekommen. Wir beschließen heute den, gemessen am BIP und am Haushalt, größten Verteidigungshaushalt seit 1992. Die Friedensdividende kann leider nicht mehr fließen. Der brutale russische Großangriff auf die Ukraine vom 24. Februar stellt eine neue Eskalationsstufe dar. Dieser Krieg läuft in unterschiedlicher Intensität seit 2014. Seitdem wussten wir, dass wir in Sachen Landes- und Bündnisverteidigung mehr tun müssen; der Einzelplan 14 ist auch sehr deutlich angewachsen. Es ist aber trotz der mehr als 50 Milliarden Euro, die zusätzlich ausgegeben wurden, also trotz eines halben Sondervermögens, nicht gelungen, den Investitionsstau aufzulösen und eine angemessene Ausrüstung unserer Bundeswehr sicherzustellen. ({0}) Das liegt vor allem an den Problemen bei der Beschaffung, aber leider auch an Wahlkreisinteressen, die eben nicht immer deckungsgleich sind mit den Interessen der Bundeswehr. ({1}) Ein besonderes Negativbeispiel stellen die beiden Marinetankschiffe dar. Da scheint es eine ganze Reihe von Fehlern gegeben zu haben, die wir jetzt teuer bezahlen. Klar ist: Wir müssen diese militärischen Tanker schnellstmöglich erneuern, damit wir die Umweltschutzvorgaben einhalten und die Modelle aus den 70er-Jahren endlich abwracken können. Erhalt industrieller Kernfähigkeit darf nicht bedeuten, dass die Kosten nicht zu beachten sind; wir gehen hier ja bekanntlich mit Steuergeld um, das uns die Bürgerinnen und Bürger anvertrauen. Entsprechend groß ist unsere Verantwortung, gerade bei den Summen, um die es in diesem Einzelplan geht. ({2}) Fehlende Mittel sind also nur eine Seite der Medaille. Wir brauchen jetzt zeitgemäße Strukturen in der Beschaffung, aber auch in der Bundeswehr selbst. Verantwortlichkeiten müssen klar sein; Entscheidungen dürfen nicht permanent zentralisiert werden, sondern müssen wieder viel stärker auch dezentral getroffen werden können. Der russische Angriffskrieg zeigt, wie zentral heute auch die Cyberabwehr für eine Armee und die Landesverteidigung sein kann. Es ist bedauerlich, dass das Sondervermögen nicht genutzt werden kann, um damit auch die dringend notwendigen Investitionen im Bereich der Cybersicherheit und beim Zivilschutz abzusichern. Diese Investitionen müssen jetzt an anderer Stelle im Bundeshaushalt finanziert werden. ({3}) Im Haushaltsverfahren haben wir beschlossen, dass die Reform des Beschaffungswesens jetzt zügig angegangen werden muss. Über die Beschleunigung der Vergabeverfahren hinaus geht es, zur schnellen Stärkung unserer Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit, darum, marktverfügbare Systeme bei der Beschaffung zu priorisieren. Es geht aber genauso darum, die gemeinsame europäische Zusammenarbeit zu suchen und möglichst gemeinsam zu bestellen. Und nicht zuletzt geht es darum, den Mut zu haben, die Strukturen und Prozesse in der Beschaffung zu vereinfachen. Insbesondere dafür muss auch das Beschaffungsamt endlich ausreichend Personal und Expertise erhalten. Der Haushaltsausschuss erwartet Quartalsberichte zu den Fortschritten bei den Reformen. Der Bundesrechnungshof wird das eng begleiten. Wir setzen auch darauf, dass die bisherigen Maßnahmen noch mal genau beleuchtet werden: die leichtere Auftragsvergabe, die Anhebung der Vergabegrenze von 1 000 auf 5 000 Euro und auch die Erhöhung des Handgelds für die Kommandeure, die wir im Haushaltsausschuss beschlossen haben. Die Umsetzung effizienterer Beschaffungsstrukturen ist eine große Aufgabe für das Verteidigungsministerium. Wir werden am Erfolg auch die Arbeit der Frau Ministerin messen. Eine reine Beschleunigung des Vergabeverfahrens reicht dafür nicht aus. ({4}) Ich will hier bewusst nicht mehr über die Vergangenheit sprechen; das hilft uns nicht weiter. Die alte Bundesregierung hat zumindest in den letzten beiden Jahren schon kleine Korrekturen bei den Investitionen vorgenommen. Mit dem nun zu beschließenden Haushalt 2022 und dem Sondervermögen werden wir die Fähigkeitslücken der Bundeswehr im Rahmen der internationalen Bündnisfähigkeit zügig schließen. Wir stellen die Mittel zur Verfügung für eine zeitgemäße, aufgabenorientierte Ausstattung für unsere Soldatinnen und Soldaten und die Bundeswehr. Die Bundeswehr wird jetzt, anders als die Union, im 21. Jahrhundert ankommen. ({5}) Wir haben in einem Eilverfahren Mittel zur Verfügung gestellt, um eine persönliche Vollausstattung aller Soldatinnen und Soldaten sicherzustellen. Ihrem potenziell sehr gefährlichen Auftrag müssen unsere Soldatinnen und Soldaten bestmöglich geschützt nachkommen können. Das sind wir unserer Parlamentsarmee schuldig. Herzlichen Dank. ({6})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Die nächste Rednerin in der Debatte: Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Krieg Russlands gegen die Ukraine muss sofort beendet werden. Die russische Armee muss sich zurückziehen. Ich fordere die Bundesregierung auf, alles zu tun, damit es zu einem sofortigen Waffenstillstand kommt. ({0}) Ich will auch in aller Klarheit sagen, weil es schon in der vergangenen Debatte so komische Zwischenbemerkungen gab: Hätten wir als Linke irgendeinen Einfluss auf Putin, dann hätte es diesen Krieg nicht gegeben. Es gibt keinerlei Spitzenpolitiker aus meiner Partei, die sich mit Putin getroffen haben. ({1}) In den anderen Parteien sieht das anders aus, um das hier mal in aller Klarheit zu sagen. ({2}) Meine Damen und Herren, mit SPD, FDP, Grünen und der Union hat sich die größte Koalition aller Zeiten zusammengefunden, um ein gigantisches Konjunkturprogramm für die Rüstungsindustrie zu starten. Wir als Linke sagen ganz klar: Es darf kein neues Wettrüsten in dieser Welt geben. Es darf kein dritter Weltkrieg riskiert werden. ({3}) Wir müssen alles tun, um den Frieden zu bewahren. ({4}) Für die Erstellung des 100-Milliarden-Euro-Aufrüstungsprogramms haben Sie nur 100 Tage gebraucht. Zum Vergleich: Die angekündigte Kindergrundsicherung wollen Sie uns erst zum Ende der Legislaturperiode vorlegen; das wären 1 000 Tage. Es kann doch nicht sein, dass Sie ganz langsam sind, wenn es um den Kampf gegen Kinderarmut geht, und ganz schnell, wenn es um die Interessen der Rüstungsindustrie geht. Das ist ein Missverhältnis, ein Trauerspiel. Das darf so nicht weitergehen, meine Damen und Herren. ({5}) Als der Koalitionsvertrag unterschrieben wurde, stand der Aktienkurs von Rheinmetall bei knapp 83 Euro. Am 3. Mai lag die Aktie schon bei 222,40 Euro. Das ist fast eine Verdreifachung des Kurswerts. Da knallen die Korken bei den Besitzern dieser Aktien. Ich denke, die dürfen wir nicht finanzieren. Das ist der falsche Weg, meine Damen und Herren. ({6}) Ich will die Grünen auch daran erinnern, dass sie mal dafür gekämpft haben, dass die Rüstungsindustrie von der EU als nicht nachhaltig eingestuft wird. Warum haben Sie das vergessen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen? Kehren Sie zu dieser Auffassung zurück! ({7}) Der Bundesregierung ist auch zu verdanken, dass Rheinmetall in den DAX 40 aufsteigen wird. Wir lehnen solche staatlichen Investitionen in derartige, todbringende Aktien ab, meine Damen und Herren. ({8}) Es darf nicht vergessen werden – das hat der Kollege vor mir schon zugegeben –, dass die 100 Milliarden Euro Sondervermögen zusätzlich zum ganz normalen Militärhaushalt zur Verfügung stehen. Dafür sind allein in diesem Jahr 50,4 Milliarden Euro vorgesehen, nach NATO-Kriterien berechnet sind es sogar 55,6 Milliarden Euro. Zusätzlich zu dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen geben Sie in diesem Jahr für das Militär mehr Geld aus als insgesamt für Bildung, Forschung, Familien, Senioren, Frauen, Jugend, Wohnungsbau und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Das geht so nicht weiter. Wir müssen in den Frieden investieren, meine Damen und Herren. ({9}) Es ist auch ein Ammenmärchen, dass die Bundeswehr kaputtgespart worden wäre. Olaf Scholz, der Bundeskanzler, hat in seiner Amtszeit als Finanzminister für einen Aufwuchs bei der Bundeswehr gesorgt, und zwar addiert um 38,5 Milliarden Euro. ({10}) Das ist ja wohl nicht nichts, meine Damen und Herren. ({11}) Nicht nur wir, sondern auch der Bundesrechnungshof und sicher auch viele Soldatinnen und Soldaten stellen sich zu Recht die Frage: Wo ist denn das viele Geld für die Bundeswehr geblieben? Wir hören von Bürokratieproblemen und Beschaffungsproblemen. Nun soll es ein Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz geben; das soll die Probleme lösen. Aber, ich glaube, die Probleme liegen ganz woanders, nämlich in knallharten wirtschaftlichen Interessen. ({12}) Der Kollege vor mir hat ein Beispiel genannt: Die Bremer Lürssen Werft wird für die Bundeswehr zwei Tankschiffe für 870 Millionen Euro bauen. Bundeswehrintern wurde dieser Preis als exorbitant hoch bezeichnet, und das Beschaffungsamt wurde beauftragt, den Preis zu überprüfen. Das Amt stellte fest, dass der Preis um 250 Millionen Euro zu hoch ist. Trotzdem wurde dieser überteuerte Vertrag geschlossen. Meine Damen und Herren, geht es Ihnen wirklich um eine bessere Ausrüstung der Bundeswehr, oder geht es um hohe Gewinne für die Rüstungsindustrie? Da müssen Sie sich entscheiden. ({13}) Wir als Linke sagen: Wir brauchen Abrüstung. Wir brauchen eine friedliche Weltordnung. Und ich erwarte, dass die Bundesregierung dafür kämpft. Vielen Dank. ({14})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die FDP erteile ich das Wort Karsten Klein. ({0})

Karsten Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004780, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich war der verbrecherische und völkerrechtswidrige Angriffskrieg, den Wladimir Putin über die Ukraine gebracht hat, das bestimmende Moment der Verhandlungen zum Einzelplan des Verteidigungsministeriums. Uns ist, denke ich, allen klar, dass Wladimir Putin diesen Krieg nicht gewinnen darf, dass die NATO und Deutschland keine aktiven Teilnehmer an diesem Kriegsgeschehen werden dürfen und dass wir alles tun müssen, um unsere Freundinnen und Freunde in der Ukraine zu unterstützen, ohne dabei unsere Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit entscheidend zu gefährden. Mit Blick auf diese Verteidigungsfähigkeit haben wir, die Koalition aus SPD, Grünen und FDP, in diesen Haushaltsberatungen die entscheidenden Weichenstellungen vorgenommen. Wir haben dem Kernhaushalt in der Planung für diese Legislaturperiode, Frau Ministerin, schon über 9 Milliarden Euro zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt für Investitionen in Ausrüstung, Material und Ausstattung, 9 Milliarden Euro mehr als die Große Koalition. Herr Kollege Gädechens, ich will kurz erwähnen: Wir können uns nicht an einen einzigen Antrag der Union für einen Mittelaufwuchs erinnern, den wir abgelehnt hätten. Deshalb kann ich nur zurückgeben: Vielleicht arbeiten Sie ein bisschen an Ihrem Oppositionsverhalten, bevor Sie das anderen Leuten vorwerfen. ({0}) Frau Ministerin, ich fand es ein sehr schönes Zeichen, dass wir gemeinsam mit 2,4 Milliarden Euro die Vollausstattung der Soldatinnen und Soldaten auf den Weg gebracht haben, die statt 2031 schon 2024/25 den Soldatinnen und Soldaten zugutekommen wird. Das ist ein gutes Zeichen und unterstreicht die Wertschätzung dieses Hauses den Menschen gegenüber, die unseren Frieden, unsere Freiheit und unsere Sicherheit jeden Tag verteidigen. ({1}) Sie haben es angesprochen: Wir haben über die Nachfolge des Tornados und unseren Beitrag zur nuklearen Teilhabe der NATO entschieden. Wir haben zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die Bewaffnung von Drohnen beschlossen. Wir werden in Kürze Ihren Vorschlag für die Beschaffung des schweren Transporthubschraubers bewerten und dann auch hier im Parlament darüber entscheiden. Die wichtigste Weichenstellung aber, die wir ergriffen haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir Freitag hoffentlich beschließen: das Sondervermögen für die Bundeswehr. Dieses Sondervermögen bietet die Chance, die Verteidigungsfähigkeit wiederherzustellen. Dieses Verhandlungsergebnis zeigt die Handlungsfähigkeit der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP in dieser besonderen Krise, einen solch großen Kraftakt auf den Weg zu bringen. ({2}) Ich möchte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, da ausschließlich mit einbeziehen. Denn es ist ein gutes Zeichen, dass diese parlamentarische Demokratie, dass die demokratischen Kräfte in diesem Haus in dieser Krise zusammenarbeiten und dieses Vermögen auf den Weg bringen werden. Wer sich die Entscheidungsgrundlage anschaut und sich noch mal die Genese vor Augen führt – 100 Milliarden Euro zusätzlich für die Ausstattung der Bundeswehr, im Grundgesetz verankert, mit Tilgung verbunden, reine Verwendung für die Bundeswehr –, dem wird klar, dass den Freien Demokraten die Zustimmung am Freitag leichtfallen wird. Ja, wir nehmen dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, 100 Milliarden Euro Schulden auf. Aber das sind nicht die Schulden der Ampelkoalition. Das sind erst recht nicht die Schulden von Bundesfinanzminister Christian Lindner. Nein, diese Schulden sind der Preis dafür, dass wir alle gemeinsam einer eklatanten Fehleinschätzung in den letzten Jahrzehnten aufgesessen sind, nämlich der Friedensdividende. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, ich hätte das an dieser Stelle gar nicht so betont, aber nachdem diese Einlassungen in der Generaldebatte gemacht wurden: Ich finde es richtig, dass Sie Verantwortung übernehmen in dieser Situation; denn ein Großteil dieses Projekts ist auch Ihrer Verantwortung bzw. Ihrer Nichtwahrnehmung von Verantwortung in den letzten Jahren geschuldet, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union. ({4}) Es ist richtig, dass wir durch eine entsprechende Änderung das Sondervermögen im Grundgesetz verankern und damit auch diese Besonderheit abbilden. Aus den 100 Milliarden Euro erwächst natürlich eine besondere Verantwortung für uns alle – die Verantwortung, dass die Mittel am Ende effizient und effektiv ausgegeben werden und dass die Ausrüstungsgüter und das Material am Ende zeitgerecht, qualitativ hochwertig und vor allem funktionsfähig bei der Truppe ankommen. Und dieser Verantwortung, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir gerecht durch den Wirtschaftsplan, in dem wir die Maßnahmen abbilden, dadurch, dass wir die Entscheidungshoheit dieses Parlaments, des Haushaltsausschusses noch mal unterstreichen, was wir als Ampelkoalition mit der 25-Millionen-Euro-Vorlage schon im Haushaltsverfahren getan haben. Wir werden unserer Verantwortung gerecht, indem wir nicht nur die Änderungen beim Beschaffungswesen, die Sie schon vorgenommen haben, Frau Ministerin, begrüßen und weitere Schritte fordern, sondern auch die Veränderungen im Parlament begleiten wollen.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Karsten Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004780, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das haben wir als Ampel in den Verhandlungen beschlossen. Das werden wir am Freitag bestätigen.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Kollege, letzter Satz.

Karsten Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004780, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Am Ende kommt es darauf an, dass das Material auch bei der Truppe ankommt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die CDU/CSU spricht Florian Hahn. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Um es vorwegzunehmen: Der Einzelplan 14, den die Regierung vorgelegt hat, ist aus unserer Sicht ungenügend. Wir werden deshalb nicht zustimmen; das ist keine Überraschung. Aber, Frau Ministerin, ich möchte schon feststellen, dass Sie Ihren öffentlichen Versprechungen, den Verteidigungshaushalt entsprechend der verteidigungspolitischen Bedrohungslage anzupassen, nicht ausreichend nachgekommen sind. Nun bleiben Sie der Regierungslinie treu. Es gibt eine erhebliche Diskrepanz zwischen den vollmundigen Ankündigungen und dem, was tatsächlich umgesetzt wird. Als Beispiel nenne ich die Unterstützung für die Ukraine. Seit Wochen gibt es mit Blick auf die entsprechenden Listen in der Geheimschutzstelle keinen substanziellen Unterstützungsaufwuchs für die Ukraine. Die Ukrainer kämpfen gerade ums Überleben. Und was tun wir? Sie feiern sich für neue Vereinbarungen zum sogenannten Ringtausch. Hier werden umständliche, zeitraubende und qualitativ schlechte Tausche vorgenommen, statt direkt verfügbare Waffensysteme wie den Schützenpanzer Marder oder den Kampfpanzer Leopard 1 auf den Weg in den Donbass zu bringen. So können wir doch nicht weitermachen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Hinzu kommt, dass Ihre Parlamentarische Staatssekretärin Möller im Fernsehen behauptet – so viel zum Thema, was öffentlich gesagt wird, Frau Ministerin –, es gebe eine NATO-Vereinbarung, nach der keine Schützenpanzer westlicher Bauart in die Ukraine geliefert werden sollen. ({1}) Das ist schon sehr verwunderlich. Und hier, Frau Ministerin, genau hier würde ich mir mehr Ernsthaftigkeit von Ihrer Staatssekretärin und von der Bundesregierung wünschen. ({2}) Denn es gibt eine solche Vereinbarung schlicht nicht. Das bestätigt nicht nur die Nato , sondern das musste sogar Ihre SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken öffentlich einräumen. Liebe Kollegen der Ampelregierung, mit diesem politischen Handeln machen Sie nicht nur sich selbst lächerlich, sondern schaden auch unserem Ansehen bei unseren Bündnispartnern erheblich und machen Deutschland zunehmend zum Gespött. ({3}) Es bedurfte leider erst des Weckrufs vom 24. Februar mit dem Beginn des schrecklichen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine, dass auch SPD und Grüne erkennen, dass einsatzbereite Streitkräfte für uns existenziell sind. Und, Frau Ministerin, Sie haben vorhin gesagt, das sei in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt worden. Dazu kann ich nur sagen: Da haben Sie recht. Aber bei der sträflichen Vernachlässigung waren Sie, war die SPD ganz weit vorne. ({4}) Zum Thema „Zögern und Zaudern“: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir waren diejenigen, die immer die Einhaltung des 2‑Prozent-Ziels eingefordert haben. ({5}) Aber das haben Sie verweigert. Wir waren es, die seit über acht Jahren die Bewaffnung der Drohnen wollen. Sie waren es, die das verhindert haben. ({6}) Kolleginnen und Kollegen, es war Finanzminister Scholz von der SPD, der im letzten Sommer mehrere 25-Millionen-Euro-Vorlagen, die fix und fertig im Ministerium lagen, einfach nicht weitergeleitet und abgearbeitet hat, wie beispielsweise das zweite Los Korvette; diese Aufzählung könnte ich beliebig fortsetzen. Es war die SPD, die das verhindert hat. Sie machen sich einen gewaltig schlanken Fuß, wenn Sie, nachdem Sie in den letzten 25 Jahren geschlagene 21 Jahre in der Regierung saßen, sagen: Damit haben wir nichts zu tun, und jetzt geben wir mal richtig Gas auf Kosten des Steuerzahlers und machen 100 Milliarden Euro Schulden. – Um das Ganze zu unterstreichen: Sie haben ja nicht nur so gehandelt, sondern damit auch noch Wahlkampf gemacht. Ich lese Ihnen aus der mir vorliegenden Wahlkampfanzeige der SPD vor: Zeit für mehr Gerechtigkeit. Das will die CDU: teure Aufrüstung, vom Panzer bis zur Drohne. Das will die SPD: kostenfreie Bildung von der Kita bis zur Uni. – Das war genau Ihr Approach, und der hat Deutschland und die Bundeswehr dorthin gebracht, wo sie heute sind. Es war die SPD, die entsprechende Gegenmaßnahmen verhindert hat. ({7}) Es ist umso wichtiger, dass wir jetzt gemeinsam erkennen, dass hier viel zu tun ist. Deswegen müssen wir auch ganz genau über das Sondervermögen diskutieren. Wir sind hier sehr weit. Aber 100 Milliarden Euro, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind kein Klacks. Jede Milliarde muss im Sinne unserer Bundeswehr gut investiert sein. Deshalb wollen wir als Union genau wissen, wofür die Ampel das Geld ausgeben will. So ein riesiger Berg Schulden darf nicht mit heißer Nadel gestrickt werden. Ich hoffe hier sehr auf die Gespräche, die wir heute noch führen, und darauf, dass wir dann tatsächlich zu einem entsprechenden Abschluss kommen. Ich sage auch ganz deutlich, Frau Ministerin: Wenn das Sondervermögen auf den Weg gebracht ist, geht es darum, dass Sie dann auch liefern. Wir brauchen weniger Staat, wir brauchen mehr Truppe. Wir brauchen eine höhere Einsatzbereitschaft und weniger technokratische Detailverliebtheit. Die Eckpunkte des Generalinspekteurs und die umfangreiche Vorarbeit, die die Inspekteure und die Truppe dafür geleistet haben, liegen aber auf Eis. Das haben Sie, Frau Ministerin, auf Eis gelegt. Aber die Soldatinnen und Soldaten fragen sich: Was wollen Sie denn stattdessen? Und warum gibt es eigentlich immer mehr Stellen in Ihrem eigenen Stab? – So haben Sie zum Beispiel gleich zwei Kommunikationschefs. Angesichts der „gelungenen“ Kommunikation der letzten Woche fragt man sich, wofür; aber das ist ein anderes Thema. Wofür haben Sie ein ganzes Referat mit persönlichen Referenten? Das gab es so wirklich noch nie. Das sind immer neue Stäbe und neue bürokratische Strukturen. Stärkt das wirklich unsere Verteidigungsbereitschaft? Diesen Weg, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, geht die Union nicht mit. Deswegen lehnen wir den Haushalt ab. Wenn es tatsächlich um die Unterstützung der Bundeswehr geht, dann haben Sie uns immer an Ihrer Seite. Das kann ich Ihnen zusagen. Herzlichen Dank. ({8})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die SPD hat das Wort Andreas Schwarz. ({0})

Andreas Schwarz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004407, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren an den Bildschirmen! Lieber Kollege Hahn, der Blick zurück hilft heute und hier nicht viel. Was heute gefordert ist, ist Haltung. Vor allen Dingen müssen wir gemeinsam Verantwortung für die Soldatinnen und Soldaten in unserem Land übernehmen. ({0}) Es gab Zeiten – wenn man kurz einen Blick zurückwirft –, da war die Kanzlerin bei der CDU, der Verteidigungsminister bei der CSU ({1}) und der Finanzminister bei der CDU, also alles aus einem Guss. Wenn das alles so wichtig gewesen wäre – die Kanzlerin hat auch die Richtlinienkompetenz –, hätte man manches anders entscheiden können. ({2}) Das war der kurze Blick zurück. Der gute alte Philosoph Aristoteles sagte schon: „Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.“ Sehr geehrte Damen und Herren, genau das machen wir mit diesem Verteidigungshaushalt und auch mit dem Sondervermögen. Der Wind, der uns aus Russland entgegenweht, ist ganz schön stürmisch. Es ist ein Orkan, und wir wissen nicht, wann er abebbt. Dieser Verteidigungshaushalt leitet eine Zeitenwende ein. Lag der Etat im Haushaltsjahr 2021 noch bei 46,9 Milliarden Euro, Tendenz stagnierend, hat sich das nach der Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar verändert. Wir reden heute von einem Verteidigungsetat, der 50,3 Milliarden Euro beinhaltet, immerhin ein Plus von 7,3 Prozent. Bis 2026 sieht die Finanzplanung vor, dass er kontinuierlich bei 50,1 Milliarden Euro bleibt; das sind immerhin 3 Milliarden mehr als noch in unserer von der GroKo vorgesehenen Finanzplanung. Leider bedurfte es dieses brutalen Angriffskrieges, um zu erkennen, dass die Bundeswehr besser und moderner ausgestattet werden muss. Dem kommt diese Fortschrittskoalition jetzt nach. Danke an dieser Stelle vor allen Dingen an die Soldatinnen und Soldaten; einige sitzen ja heute hier im Plenum. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so steigen die Ausgaben für militärische Beschaffungen im Haushalt 2022 auf über 10 Milliarden an. Damit sind wichtige Beschaffungen möglich: im Lkw-Bereich, im Bereich des satellitengestützten Radar-Aufklärungssystems, bei flugtechnischem Gerät etc. Ausdrücklich hinweisen möchte ich darauf, dass wir erst kürzlich 2,4 Milliarden Euro für Schutzausstattungen der Soldatinnen und Soldaten beschafft haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit aber nicht genug. Äußere Sicherheit muss Kernaufgabe des Staates sein. Dafür braucht man eine weiter gehende umfassende, vernünftige Ausstattung der Bundeswehr, die sicher viel Geld kostet. Danke an die Opposition, dass Sie sich Ihrer staatspolitischen Verantwortung stellen und der Grundgesetzänderung zustimmen. Damit zeigt Deutschland nach außen: Wir sind eine starke Demokratie. Bei allem, was uns trennt, gibt es auch vieles, was uns verbindet. Das Sondervermögen wird 100 Milliarden Euro betragen. Diese Kreditermächtigung wird dazu beitragen, die Zusagen an NATO etc. zu erfüllen. Das Signal an die Partner in Europa und die NATO ist klar: Deutschland ist ein zuverlässiger Partner, und wir sind uns unserer neuen Verantwortung auch bewusst. Aus diesem Sondervermögen lassen sich dann endlich wichtige und dringend benötigte Fähigkeiten realisieren – einige wurden schon genannt –, vom schweren Transporthubschrauber über die F-35. Damit werden wir die Bundeswehr zu einer leistungsfähigen Armee ausbauen, die ihre Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit festigt und unsere Freiheit in Europa schützt. Das sind wir den Menschen im Land, aber auch unseren Soldatinnen und Soldaten schuldig. Apropos „schuldig“: Nicht nur die Ausstattung muss auf Vordermann gebracht werden. Auch bei den Unterkünften ist noch einiges im Argen. Auch hier sollten wir zügig aktiv werden. Die Unterkünfte sind oft nicht mehr zeitgemäß, und es mangelt an Ausstattung. Aber auch die ökologische Situation ist oft nicht toll. Die Bundeswehr ist einer der größten Energieverbraucher Deutschlands. Wir könnten hier sparen, wenn wir uns zügig an ein Sanierungsprogramm machen, das neben Photovoltaik natürlich auch andere ökologische Maßnahmen beinhaltet. Ich glaube, der Gesetzgeber ist aufgefordert, freiwillig mit gutem Beispiel voranzugehen. Wir fordern im Zuge des Klimawandels auch den Hausbesitzern in diesem Land einiges ab. In dem Zusammenhang könnten wir auch Gebäulichkeiten von THW und Zoll in dieses Programm aufnehmen. Das würde nicht nur dem Klima helfen. Wir würden am Ende auch Geld sparen, und das trägt zur eigenen Glaubwürdigkeit bei. Meine Damen und Herren, wie bringt man die PS auf die Straße? Die Ministerin hat schnell und mutig reagiert und vieles auf den Weg gebracht, damit es schneller geht; das wurde schon erwähnt. Uns ist es innerhalb der Koalition gelungen, die Kommandeurspauschale noch mal zu verdoppeln. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein großer Teil dieses Geldes ist gut für unsere – –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Schwarz, kommen Sie bitte zum Schluss.

Andreas Schwarz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004407, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Jawohl. – Dann sage ich nur noch Danke an meine Berichterstatter. Ich freue mich schon auf die nächsten Haushaltsverhandlungen, die in Kürze für den Haushalt 2023 anstehen. Danke schön. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die AfD-Fraktion erteile ich das Wort Gerold Otten. ({0})

Gerold Otten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004846, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Am 24. Februar begann der russische Angriff auf die Ukraine. Zur Überraschung aller wurde hier vom Bundeskanzler drei Tage später in der Sondersitzung des Bundestages die Schaffung eines Sondervermögens angekündigt, also die Aufnahme neuer Schulden außerhalb des Etats zur Umgehung der grundgesetzlich vereinbarten Schuldenbremse. Dies sollte seiner Aussage nach dazu dienen, die notwendige Beschaffung für die Bundeswehr planungssicher finanzieren zu können. Ebenfalls erklärte der Kanzler, dass künftig das 2‑Prozent-Ziel der NATO dauerhaft erreicht werden solle. Bei den Koalitionsfraktionen gab es für diese Ankündigung von stehendem Applaus bis hin zu demonstrativem Sitzenbleiben mit verkniffenem Gesicht alle Varianten der Kenntnisnahme. Nun, eine solide Finanzierung der Bundeswehr sowie die Erreichung des 2‑Prozent-Ziels waren von Anfang an zentrale Forderungen der Alternative für Deutschland. ({0}) Dafür haben Sie uns als Militaristen und Aufrüster verunglimpft; nun ist es politische Leitlinie. Dass es erst eines Alarmrufs durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine bedurfte, beweist nur eines: die Unfähigkeit der hier schon immer regierenden Parteien, für die Sicherheit und die Verteidigung unserer Heimat und des deutschen Volkes Sorge zu tragen. ({1}) Wahr ist doch: Die SPD hatte schon immer ein Problem mit der Finanzierung der Bundeswehr und von Rüstungsprojekten. Forderungen wie „Lieber 6 Prozent mehr für Bildung als 2 Prozent für Rüstung“ macht man sich dort schon lange zu eigen. Ebenso die Grünen: Dort denkt man deutsche Verantwortung global. Es geht um Humanität, Klimawandel, Frauenrechte, Demokratieexport oder den viel zitierten vernetzten Ansatz. Man ist aber zu naiv oder vielleicht auch zu verschlagen, um den Wählern eines klarzumachen: Die Verfolgung einer globalen Agenda führt zwangsläufig zu einem globalen Interventionismus. ({2}) Und bei der FDP träumt Christian Lindner nun davon, durch das Sondervermögen die Bundeswehr zu einer der „schlagkräftigsten Armeen in Europa“ aufzubauen. ({3}) Gleichzeitig aber – danke für den Zwischenruf – will seine Parteikollegin und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Frau Strack-Zimmermann, gerade schwere Waffen von der Bundeswehr abziehen, um diese in die Ukraine zu schicken, ({4}) ein Vorschlag übrigens, vor dem sogar der stellvertretende Generalinspekteur der Bundeswehr warnt, weil damit die Einsatzfähigkeit der Streitkräfte gefährdet wird. Durch Putins Angriff auf die Ukraine brauchen wir Antworten, wie nun die Streitkräfte vom Kopf auf die Füße gestellt werden können. Dazu braucht es wie immer Geld. Wenn das nicht ausreicht, wie so oft bei dieser Bundesregierung, werden eben Schulden gemacht. Das nennt man dann euphemistisch „Sondervermögen“. Ich frage mich immer: Welcher Marketing-Fuzzi erfindet eigentlich solche rhetorischen Nebelkerzen? Mehr Geld für die Bundeswehr ist dringend nötig, keine Frage. Wir Alternativen fordern seit Jahren die Erreichung des 2‑Prozent-Ziels der NATO. Dieser Richtwert ist jedoch eher ein politisches Statement. Dahinter steht das Wissen, dass unsere Nation weder die militärische Schlagkraft noch den Selbstbehauptungswillen hat, einen Angriff, wie ihn die Ukraine derzeit erlebt, auch nur ansatzweise aufhalten zu können. ({5}) Das ist das Versagen aller Bundesregierungen seit 1990. ({6}) Die Bundeswehr kann schon seit Jahren ihren verfassungsmäßigen Auftrag, nämlich die Landesverteidigung sicherzustellen, nicht erfüllen. Dafür tragen alle ehemaligen Regierungsparteien, von der SPD, der CDU/CSU bis hin zur FDP und den Grünen, die Verantwortung. Ihr Versagen, Ihr jahrzehntelanges Sparen am Verteidigungshaushalt ließen die Bundeswehr und das Wehrmaterial veralten. Die Aussetzung der Wehrpflicht – übrigens unter einem CSU-Verteidigungsminister – sowie die verhängnisvolle Schwerpunktverlagerung auf das Krisenmanagement in Auslandseinsätzen gaben ihr den Rest; denn alles musste sich dem Vorrang des Krisenmanagements unterwerfen, auch Material, Grundbetrieb und Ausbildung. Strukturen und Fähigkeiten wurden abgebaut, die nun teuer wieder aufgebaut werden müssen. Das überalterte Material ist wie die immer noch unverschlüsselte Kommunikation im Gefecht eher eine Gefahr als eine Hilfe. Auch die Munitionsbeschaffung wurde sträflich vernachlässigt. Die Bundeswehr besitzt nicht einmal genug Munition, um einen hochintensiven Verteidigungskampf auch nur wenige Tage durchhalten zu können. Obwohl das allen Verantwortungsträgern bekannt war, änderte sich nichts. Alle bisherigen Haushalte stellten immer ungenügende Finanzmittel zur Verfügung. 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr sind also dringend notwendig. Wenn Sie aber den Wiederaufbau unserer Streitkräfte ernsthaft wollen, braucht die Bundeswehr deutlich mehr Geld, und das über einen längeren Zeitraum. Dies erfordert künftig einen stetigen und berechenbaren Aufwuchs des Verteidigungsetats. Denn was geschieht, wenn das sogenannte Sondervermögen in fünf Jahren aufgebraucht ist? Haben wir dann hochmoderne Waffensysteme, die nicht einsatzbereit sind, weil es an Ersatzteilen, ausgebildetem Personal und den Mitteln zum Betrieb fehlt? Aber Geld allein ist nicht die Lösung. Es muss auch richtig eingesetzt werden. Die Truppe muss das von ihr benötigte Material möglichst schnell erhalten. Kontrollwahn, Verantwortungsdiffusion und überbordender Bürokratismus müssen fallen. Die Truppe muss weitaus enger in die Bedarfsdeckung eingebunden werden. Die historisch überkommene Trennung von Streitkräften und Wehrverwaltung muss beendet werden. ({7}) Wir brauchen aber auch eine patriotische Wende. Wenn nur noch circa 30 Prozent der jungen Deutschen bereit sind, ihre Heimat zu verteidigen, wenn die politische Führung glaubt, „Heimat“ sei ein problembehafteter Begriff, der positiv umgedeutet werden müsse, wie Bundesinnenministerin Faeser meint, dann ist es eben kein Wunder, wenn der Wehrwille der Gesellschaft am Boden liegt. Dann läuft in dieser Gesellschaft etwas völlig falsch. ({8}) Für uns Alternative dagegen gilt auch heute noch Heraklits antiker Leitspruch: Kämpfen soll das Volk für das Gesetz und seine Mauer. – Streitkräfte waren und sind der zentrale Ausdruck nationaler Souveränität und außenpolitischer Handlungsfähigkeit. Starke Streitkräfte sind Ausdruck des Selbstbehauptungswillens einer Nation. Ohne kampfkräftige Streitkräfte gibt es keine Glaubwürdigkeit als Bündnispartner. Wir lehnen daher den Einzelplan 14 ab. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Philip Krämer, Bündnis 90/Die Grünen, ist der nächste Redner. ({0})

Philip Krämer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005114, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit der Verabschiedung des Bundeshaushalts und des geplanten Sondervermögens werden wir die angestrebte Zeitenwende in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik weiter vorantreiben und die Bundeswehr spürbar stärken. Neben dem Volumen des Einzelplans 14 von 50 Milliarden Euro werden wir einmalig weitere 100 Milliarden Euro bereitstellen, um unsere Verpflichtungen innerhalb der Nato erfüllen zu können und dringend notwendige Verbesserungen der Ausstattung zu finanzieren. Mir sind dabei folgende vier Punkte wichtig: Erstens. Zentral muss die Verbesserung der persönlichen Ausstattung von Soldatinnen und Soldaten sein. Die durch den Bund finanzierte persönliche Ausstattung muss endlich ein Niveau erreichen, das Zusatzbeschaffungen wie Stiefel, Schutzbekleidung oder Wintermäntel aus persönlichen Mitteln entbehrlich macht. ({0}) Zweitens. Es braucht transparentere Planungs- und Entscheidungsprozesse bei der Beschaffung. Die Bundeswehr verfügt über die hierfür notwendigen Strukturen, leider dominierten in der Vergangenheit zu oft regionale oder industriepolitische Erwägungen. Bei der anstehenden Beschaffung eines schweren Transporthubschraubers bietet sich eine erste gute Gelegenheit für das Verteidigungsministerium, die eigenen Prozesse zu verbessern und uns Parlamentarierinnen und Parlamentariern eine nachvollziehbare Entscheidungsgrundlage zu geben. ({1}) Drittens. In der Vergangenheit kam es bei den einzelnen Beschaffungsprojekten zu erheblichen Verzögerungen der Einsatzfähigkeit der Systeme sowie zu nachträglichen Kostensteigerungen. Das hat konkrete Auswirkungen, wie wir am temporären Abzug des A400M aus dem Anti-Daesh-Einsatz zur Stärkung der Ostflanke sehen können. Unser Fokus muss daher auf solchen Investitionen liegen, die für die Erfüllung des Verteidigungs- oder Bündnisauftrags benötigt werden und zur zeitnahen Verbesserung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr führen. Viertens. Ich möchte den bestmöglichen Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten. Wenn wir Staatsbürgerinnen und ‑bürger in Uniform in lebensgefährliche Situationen entsenden, möchte ich mir jedenfalls gewiss sein, alles für ihren bestmöglichen Schutz getan zu haben. ({2}) Daher ist es beispielsweise wichtig, dass wir über das Sondervermögen schnellstmöglich auch die Fähigkeitslücke in der Luftverteidigung im Nah- und Nächstbereich schließen. Zeitenwende, meine Damen und Herren, bedeutet eine neue, positivere Haltung zu Verteidigungspolitik und unseren internationalen Bündnissen, eine bessere Ausstattung der Bundeswehr entsprechend den beschlossenen Fähigkeiten und ein effizienteres Beschaffungswesen. Die Grundlage hierfür schaffen wir in dieser Woche, und ich lade Sie alle ein, uns dabei zu unterstützen. Herzlichen Dank. ({3})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die FDP-Fraktion erteile ich das Wort Alexander Müller. ({0})

Alexander Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004828, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen heute einen Haushalt, der für die Bundeswehr historisch ist. Die 50,4 Milliarden Euro für den Einzelplan 14 sind ein historischer Rekordwert. Wir liegen damit etwa 10 Prozent höher als in der mittelfristigen Finanzplanung der Regierung Merkel für dieses Jahr. Das ganze Gejammer der Union ist daher ziemlich geschauspielert, vor allem, wenn man sich den ziemlich beschränkten Stellenwert der Bundeswehr unter der Regierung Merkel noch einmal in Erinnerung ruft, den heutigen Zustand der Bundeswehr betrachtet und sich die Ursachen dafür überlegt. 2022 wächst der Verteidigungshaushalt von 46,9 Milliarden Euro des Merkel-Haushalts 2021 auf 50,4 Milliarden Euro der Ampel. Also hören Sie auf, zu heulen und zu heucheln, liebe Unionskollegen. Die Ampel erhöht den Verteidigungshaushalt, und gemeinsam mit der Union werden wir on top noch einmal 100 Milliarden Euro Sondervermögen obendrauf packen. ({0}) Als FDP war es uns besonders wichtig, dass das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr mit modernem Hightechgerät, welches dann durchgängig einsatzbereit ist, wieder erfüllt werden kann; dafür benötigen wir die vollen 100 Milliarden Euro rein für die Bundeswehr. Außerdem war uns wichtig, dass wir endlich das 2‑Prozent-Ziel erreichen und es auch mehrjährig durchhalten. Es ist kein Geheimnis, dass wir die von uns geforderten 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in den Koalitionsverhandlungen 2021 noch nicht durchsetzen konnten, aber umso wichtiger ist es, dass die Fortschrittskoalition dieses Ziel jetzt durchsetzt. ({1}) Was uns als FDP noch ganz besonders wichtig war, ist, dass ab 2023 die Schuldenbremse wieder eingehalten wird, und zwar dauerhaft. Deswegen kommt das Sondervermögen als gesonderter Satz ins Grundgesetz, um auch gesetzlich ganz eindeutig zu regeln, dass beides, das Sondervermögen und die Schuldenbremse, sauber abgebildet und eingehalten werden. ({2}) Wir machen uns noch diese Woche an die Beschleunigung der Beschaffungsprozesse. Wir arbeiten schon jetzt an dem Gesetz zur Beschleunigung der Beschaffung, in dem wir sie entbürokratisieren werden und in dem beispielsweise die zeitaufwendigen gerichtlichen Nachprüfungsverfahren deutlich eingeschränkt werden. Dieses Gesetz wollen wir schnellstmöglich auf den Weg bringen. Danach machen wir weiter mit der Digitalisierung der Beschaffungsprozesse und dem Test innovativer Beschaffungsverfahren anstatt des klassischen CPM-Prozesses. Es ist ein historischer Tag für die Ausrüstung und die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr, auf die wir alle stolz sein können. Frau Präsidentin, mich brauchen Sie nicht zu vertreiben. Die letzte halbe Minute würde ich gerne der nachfolgenden Rednerin Strack-Zimmermann als Gleitzeit auf ihr Konto geben. Vielen Dank. ({3})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Die nächste Rednerin in der Debatte ist Serap Güler, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Serap Güler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005072, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einem Dank beginnen, einem Dank an all diejenigen, die in den letzten Tagen und Wochen intensiv und sicherlich auch hart an diesem Sondervermögen gearbeitet und darüber beraten haben. Es ist gut und es ist richtig, dass dieses Sondervermögen jetzt kommen soll. Und: Es ist ebenso wichtig, dass hier die demokratische Mitte dieses Hauses Einigkeit gezeigt hat. Ein ganz besonderer Dank gilt – das wird Sie, liebe Kollegen aus der Ampelfraktion, nicht wundern – den Verhandlern meiner Fraktion, die maßgeblich dazu beigetragen haben, dass diese 100 Milliarden Euro jetzt ausschließlich für die Bundeswehr zur Verfügung stehen und ihr zugutekommen. Das freut mich sehr; denn das ist auch ganz im Sinne unserer Streitkräfte. ({0}) Dieser Schritt war, wie jetzt schon mehrmals deutlich geworden ist, auch bitter nötig; denn die Bundeswehr ist nicht – sie war es auch vor dem 24. Februar nicht – das notwendige Übel, wie es die Jusos-Vorsitzende dieser Tage sagte, vielmehr muss eine einsatzbereite, schlagkräftige und durchhaltefähige Bundeswehr Bestandteil der sogenannten Zeitenwende sein. Die Lehre der letzten drei Monate zeigt uns nämlich auch: Wer keinen Krieg will, darf nicht ausschließlich auf Diplomatie setzen, sondern – auch das ist eine Lehre in diesen Tagen – muss auch auf Abschreckung setzen. Diesem Ziel sollen auch die gut 50 Milliarden Euro dienen, die der Bundeswehr dieses Jahr im Einzelplan 14 zur Verfügung stehen. Ein Bestandteil, um die Durchhaltefähigkeit der Bundeswehr zu gewährleisten, ist die Unterstützung der aktiven Truppe durch die vielen engagierten Reservistinnen und Reservisten. Umso mehr wundert es mich an dieser Stelle, dass die Ampelfraktionen unseren Antrag zur Migration der Software des Wehrersatzwesen-Informationssystems – das sogenannte WEWIS – im SASPF abgelehnt haben. Ich glaube, allein der Begriff „Wehrersatzwesen“ zeigt, aus welchem Zeitalter dieses System stammt. Wenn im Kriegsfall mehrere Zehntausend Personen zeitgleich herangezogen werden müssen, dann darf ein Programm aus Zeiten des Kalten Krieges hier nicht der Flaschenhals sein, der die Aufwuchsfähigkeit der Streitkräfte behindert. Hier hätten wir uns als Unionsfraktion gewünscht, dass die Ampel diesen kleinen, aber doch sehr wichtigen und notwendigen Schritt mitgeht. Das ist leider nicht erfolgt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen, wenn wir über den diesjährigen Haushalt debattieren, die Zukunft nicht aus den Augen verlieren. Die Zukunft des Krieges ist digital, und auch dafür muss unsere Bundeswehr gut ausgerüstet sein. ({1}) Wir begrüßen, dass ein erheblicher Teil des Sondervermögens hierfür bereitgestellt werden soll. Scheitern dürfen diese für die Digitalisierung der Bundeswehr wichtigen Vorhaben allerdings nicht an der Beschaffung. Die Umsetzung der Projekte zur strategischen Kommunikation und zu Aufklärungsfähigkeiten müssen jetzt schnell angegangen werden. Das darf nicht erst in zehn Jahren einsatzfähig sein, wie wir es in der Vergangenheit oft erlebt haben. An dieser Stelle muss ich sagen: Frau Ministerin, mich wundert Ihre Amnesie schon ein wenig, genauso auch die Amnesie der SPD-Fraktion. Ich erinnere hier gerne an die Koalitionsverhandlungen 2017, als es ein ganz großes Thema war, das Beschaffungswesen zu beschleunigen. Wer war dagegen? Frau Nahles und Herr Schulz, die damaligen Parteivorsitzenden der SPD. ({2}) Dass Sie damit heute nichts mehr zu tun haben wollen, Frau Ministerin, ({3}) dass Sie sich hierhinstellen und so tun, als hätten Sie die letzten vier Jahre in diesem Land keinerlei Regierungsverantwortung gehabt, das ist wirklich zum Erschaudern. ({4}) Wir erwarten in Sachen Beschleunigungsverfahren, was die Beschaffungen betrifft, nicht nur die Ankündigung, die Sie hier gerade gemacht haben, sondern auch weitere konkrete Vorschläge, damit Projekte wie die Digitalisierung schneller vorangehen. Wir dürfen hier nicht nachlassen. Häufig sind Beschaffungsprojekte wie die, über die wir aktuell diskutieren, die Schlagzeilen machen, im Fokus – die schweren Transporthubschrauber, Kampfpanzer und Fregatten –, aber auch das ist eine Lehre dieser Tage: Die Fähigkeiten im Cyber- und Informationsraum sind genauso kriegsentscheidend. Lassen Sie uns gemeinsam hier dranbleiben. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die SPD-Fraktion spricht Jörg Nürnberger. ({0})

Jörg Nürnberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005169, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute den Verteidigungshaushalt diskutieren, ist dieser Haushalt angesichts der grundlegenden Veränderungen der sicherheitspolitischen Lage in Europa nicht isoliert zu betrachten. Wir müssen den Haushalt 2022 immer in Verbindung mit dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro sehen. Als Verteidigungspolitiker freue ich mich sehr über die Einigung mit der Union über das Sondervermögen. Ich erkenne ausdrücklich an, dass die Union wenigstens dieses Mal nicht der Versuchung nachgegeben hat, ihre parteitaktischen Interessen über die Sicherheitsinteressen des Landes zu stellen. Sie folgen dem Vorbild der SPD. ({0}) Unsere Maxime lautet nämlich immer: Erst das Land und dann die Partei. ({1}) Angesichts der riesigen, unbestrittenen Aufgaben stellt sich die Frage: Woher kommen wir eigentlich? Ein Blick in die Geschichte ist hilfreich. Am 1. Oktober 1986, also vor mehr als 35 Jahren, wurde ich als Wehrpflichtiger zur Luftwaffe eingezogen. Wir verfügten damals allein in der alten Bundesrepublik über 3 Armeekorps mit 12 Divisionen und 4 Luftwaffendivisionen und insgesamt 495 000 Soldatinnen und Soldaten im Personalsoll. All das wurde nach der ersten Zeitenwende, die ich miterleben durfte, aus richtigen Gründen zurückgefahren. ({2}) Wir haben die Truppenstärke reduziert. Das war alles folgerichtig. Aber wir haben in den vergangenen Jahren etwas den Fokus auf die Landes- und Bündnisverteidigung verloren. ({3}) In den vergangenen drei Jahrzehnten verlagerte sich der Schwerpunkt der Bundeswehr sehr auf die Auslandseinsätze. Der Krieg in der Ukraine zeigt seit Februar überdeutlich, dass Landes- und Bündnisverteidigung wieder der Schwerpunkt der Fähigkeiten unserer Streitkräfte sein müssen. Der Haushalt 2022 und das Sondervermögen setzen genau hier an. Wir brauchen wieder voll und gut ausgestattete Einheiten und Verbände, damit es in Zukunft nicht mehr notwendig sein wird, wie für die Aufstellung des deutschen Anteils an der Battle Group in Litauen, die die Größe eines verstärkten Bataillons hat, Material und Personal aus Dutzenden von Standorten und Einheiten zusammenzuziehen, weil überall Personal und Material fehlt. ({4}) Angesichts der in vielen Bereichen sehr schwierigen Lage bei der Ausrüstung der Bundeswehr sind es Herkulesaufgaben, die unsere Ministerin Christine Lambrecht zu bewältigen hat. Und die Zeit drängt. Wir brauchen eine sachgerechte Ausstattung und Ausrüstung der Bundeswehr und – das ist heute noch nicht zur Sprache gekommen – eine geeignete Personalstruktur für die Streitkräfte und die Optimierung der notwendigen Verfahren für Rüstungsbeschaffungen und für das Personalmanagement. Ganz neu sind diese Aufgaben nicht. Leider haben sie die Vorgängerinnen der heutigen Ministerin nicht bewältigt. Die eine Ministerin fiel eher durch die Anzahl der Berater im Ministerium auf, und die andere wollte sogar noch vor Beginn ihrer Amtszeit mit dem Wunsch nach Anschaffung eines Flugzeugträgers punkten. ({5}) Besonders erfolgreich war das nicht. Unsere Ministerin hingegen hat seit Beginn ihrer Amtszeit im Dezember bereits die folgenden Projekte auf den Weg gebracht: F‑35 als Nachfolger des Tornados, das 2,4‑Milliarden-Euro-Paket für die persönliche Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten, die Bewaffnung von Drohnen. Heute hat Ministerin Lambrecht angekündigt, welchen schweren Transporthubschrauber die Bundeswehr anschaffen soll. ({6}) Mit dem Chinook wird ein bewährtes System angeschafft, und zwar in Übereinstimmung mit dem Militärischen Führungsrat. Ich darf an dieser Stelle auch noch sagen: Die gesamte SPD-Fraktion steht hinter dieser Anschaffung, ({7}) entgegen dem, was man vor Kurzem manchen Presseberichten entnehmen konnte. ({8}) Wir werden auch insgesamt das Beschaffungswesen modernisieren. Liebe Kollegin Güler, es geht nicht um Privatisierung, es geht um Modernisierung. Dazu gehört neben dem bereits vorhandenen Eckpunkteprogramm für das deutsche Beschaffungsrecht insbesondere auch die verstärkte Anwendung des Artikels 346 Absatz 1 Buchstabe b des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Dadurch kann man nämlich militärische Beschaffungen wesentlich beschleunigen. Ich habe das selber einmal für ein NATO-Mitgliedsland getan. Innerhalb von drei Jahren waren die Panzer auf dem Hof. Das hat funktioniert. Das würde bedeuten, dass dringende Beschaffungen von Waffensystemen ohne förmliches und langwieriges Ausschreibungsverfahren durchgeführt werden. Ich darf deshalb an dieser Stelle der Ministerin für ihren Einsatz in den ersten sechs Monaten ihrer Amtszeit ganz herzlich danken. ({9}) Wir wollen aber auch die Sicherheit haben, dass all die Projekte, die jetzt bereits angekündigt sind, in einem Zug durchfinanziert werden können, und zwar inklusive der notwendigen Ersatzteile und der entsprechenden Serviceleistungen. Genau dazu brauchen wir dieses Sondervermögen, das hoffentlich bis Ende der Woche unter Dach und Fach ist. ({10}) Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir als SPD-Fraktion unterstützen deshalb Bundeskanzler Olaf Scholz und Ministerin Christine Lambrecht bei der Erfüllung dieser schwierigen Aufgaben. Wir halten diesen Haushalt und das Sondervermögen für eine angemessene Reaktion auf die sicherheitspolitische Zeitenwende. Wir machen Deutschland sicherer. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Niklas Wagener. ({0})

Niklas Wagener (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Soldatinnen und Soldaten! Putins grausamer Krieg gegen die Ukraine steht für uns Mitglieder des Verteidigungsausschusses ganz oben auf der Agenda, auf der Tagesordnung. Wir wollen und wir müssen der Ukraine unsere bestmögliche Unterstützung zukommen lassen. Deshalb ist es mir ein großes Anliegen, das an dieser Stelle noch einmal zu betonen: Die Unterstützung der Ukraine muss auch in den kommenden Wochen weiterhin ganz oben auf unserer Agenda stehen. Wir dürfen uns an diesen Krieg nicht gewöhnen. ({0}) Die Zeitenwende, die durch diesen furchtbaren Krieg mitten in Europa eingetreten ist, sie ist eine Zeitenwende in der Russlandpolitik dieses Landes, in der Energiepolitik, aber eben auch in der Sicherheitspolitik. Für uns Grüne steht fest, dass wir unsere Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit stärken müssen. Das ist keine Sache von Aufrüstung, sondern von Ausrüstung. ({1}) Für mich ist klar: Eine starke deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik kann es nur mit einer gut ausgestatteten Bundeswehr geben – gut ausgestattet, und zwar nicht nur mit militärischem Gerät, sondern auch mit persönlicher Ausrüstung unserer Soldatinnen und Soldaten. Dafür bringen wir als Ampelkoalition 2,4 Milliarden Euro auf den Weg. ({2}) Für uns Grüne ist offensichtlich, dass sich die Ausrüstung der Bundeswehr in einem inakzeptablen Zustand befindet. Deshalb ist es gut, dass wir zu einer Einigung über das „Sondervermögen Bundeswehr“ gekommen sind. Auch haben wir in diesem Haushalt 2022 zum Beispiel das Handgeld für Kommandeure verdoppelt, um unbürokratisch Verantwortung dorthin zu schichten, wo akuter Bedarf besteht. Ein Thema, wo wir allerdings noch deutlich besser werden müssen, ist eine geschlechterspezifische Schutzausrüstung. ({3}) Bislang verfügt die Bundeswehr – ja, rufen Sie nur! – nicht über Schutzkleidung, die speziell an die weibliche Anatomie von Soldatinnen angepasst ist. Dass die Bundeswehr im Gegensatz zu den Armeen unserer Partnerländer wie den USA oder Großbritannien noch nicht über solche Kleidung verfügt, ist verheerend. Hier können auch nur wenige Zentimeter an fehlender oder unpassender Schutzkleidung lebensgefährlich für Soldatinnen werden. Diesen Missstand müssen wir beheben. Eine geschlechtergerechte Bundeswehr gehört nämlich auch zur Zeitenwende. ({4}) Abschließend möchte ich sagen: Dieser Haushalt bedeutet einen ersten Schritt in eine gute Richtung, für eine gute Ausstattung. Das ist wichtig; denn das Wohl unserer Soldatinnen und Soldaten ist unser aller Anliegen. Sie treten für unsere Demokratie, unsere Freiheit und unsere Werte mit ihrem Leben ein. Wir sollten deshalb das Bestmögliche tun, um ihre Ausstattung, ihre Handlungsfähigkeit und ihre Sicherheit zu gewährleisten; denn ihre Sicherheit ist unsere Sicherheit. Vielen Dank. ({5})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die FDP-Fraktion erteile ich das Wort Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann. ({0})

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deutschland handelt militärisch seit der Gründung der Bundeswehr ausschließlich im Bündnis. Unsere Sicherheit basiert auf der Unterstützung unserer Partner. In einem Bündnis ist man wohlbehütet, geht aber genau deswegen auch Verpflichtungen ein, nämlich auch für die Sicherheit der Partner Verantwortung zu übernehmen. Auf Deutschland als starker Volkswirtschaft ruhen innerhalb des Bündnisses zu Recht große Erwartungen. Ich habe mit Kolleginnen und Kollegen an der Parlamentarischen Versammlung der NATO in Litauen teilgenommen. Milde ausgedrückt, sind unsere Partner spürbar genervt von uns, weil wir diese Erwartungen in deren Augen so nicht erfüllen. ({0}) Unter dem Brennglas des völkerrechtswidrigen russischen Überfalls auf die Ukraine wird unser Handeln genauso besonders beobachtet. Meine Damen und Herren, angesichts des Mordens, Verschleppens, Vergewaltigens und Zerstörens müssen wir ohne Wenn und Aber an der Seite der Ukraine stehen. Die Menschen in der Ukraine wollen von uns nicht hören, was nicht geht. Heute gilt, die Richtung vorzugeben: organisieren, umsetzen, kommunizieren. Die Ankündigung des Bundeskanzlers von der Zeitenwende, die Bereitschaft des Finanzministers, 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr als Sondervermögen ({1}) bereitzustellen, und unser heutiges parlamentarisches Auf-den-Weg-Bringen sind das historisch richtige Signal ({2}) an unsere Soldatinnen und Soldaten, an unsere internationalen Partner und an die Bürgerinnen und Bürger des Landes, dass wir in Zukunft eine moderne Bundeswehr haben. Dabei gehört der Auftrag der Bundeswehr in den Mittelpunkt unserer Entscheidungen gestellt. Die Bundeswehr ist nicht dazu da, innen- oder parteipolitische Wünsche zu erfüllen. Die Bundeswehr ist dafür da, unsere Freiheit, unsere Demokratie, unsere wertebasierte Ordnung, wo jeder Mensch ein Wert an sich ist, zu verteidigen. ({3}) Aus diesem Auftrag leitet sich das erforderliche Personal und Material ab. Dazu brauchen wir auch einen schlanken Beschaffungsprozess, eine modern strukturierte Bundeswehr und einen entsprechenden Wehretat. Meine Damen und Herren, der Kampf der Ukraine gegen den russischen Überfall lehrt uns heute eine historische Lektion: Es gibt keine Freiheit ohne Mut und Risikobereitschaft. ({4}) Die brutalen Putins dieser Erde – schmieren Sie es sich hinter Ihre Ohren! – ({5}) müssen wissen, dass weder Sie noch die Putins es vermögen, unsere freie demokratische Welt aus den Angeln zu heben. Das wird Ihnen nicht gelingen und auch nicht den Diktatoren dieser Erde. ({6}) Sie alle sollen wissen, dass wir wehrhaft sind – übrigens auch hier im Plenum –, wehrbereit und ab sofort auch wehrfähig. Vielen Dank. ({7})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Brandner, ({0}) als Parlamentarischen Geschäftsführer Ihrer Fraktion muss ich Sie doch nicht darauf hinweisen, welche Worte hier erlaubt sind und welche nicht. ({1}) – Ich bitte Sie. ({2}) Jetzt treten wir alle wieder ein Stück weit in die sachliche Debatte ein; denn ich erteile zu seiner ersten Rede jetzt das Wort Dr. Marlon Bröhr für die CDU/CSU-Fraktion. ({3})

Dr. Marlon Bröhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Tatsache, dass wir in Deutschland das Glück haben, seit über 70 Jahren in Frieden zu leben, verdanken wir mehreren Umständen, keinem aber so sehr wie der Mitgliedschaft in der NATO. Bereits zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges waren ehemalige Kriegsgegner wie die USA, England oder auch Frankreich bereit, ausgerechnet Deutschland, das so viel Grausamkeit und Schrecken über die Welt gebracht hatte, in ein gemeinschaftliches Verteidigungsbündnis aufzunehmen. Das sollte uns bis heute alle mit Dankbarkeit erfüllen. Was aber macht dieses Bündnis aus? In der NATO gilt: Einer für alle und alle für einen. Erst dieses gegenseitige Versprechen, verbunden mit den militärischen Fähigkeiten aller Mitgliedstaaten, zuvorderst denen der USA, macht das Bündnis so besonders stark und hat den Bürgern der NATO-Mitgliedstaaten diese lange Friedensepoche verschafft. Selbstredend muss man sich in einem solchen Bündnis vollständig aufeinander verlassen können. Schließlich ist Solidarität keine Einbahnstraße. Das gilt keinesfalls nur für den Verteidigungsfall, sondern in besonderer Weise bereits zum Erhalt des Friedens. Deutschland hat sich im Jahr 2014 in Newport, Wales, im Lichte der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim – wie alle anderen NATO-Mitgliedstaaten auch –, dazu verpflichtet, bis zum Jahre 2024 2 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung auszugeben. Die Abschlusserklärung von Newport trägt die Unterschrift von niemand Geringerem als dem heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Diese Übereinkunft dient den Sicherheitsinteressen des Bündnisses und damit den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland. Amerika, England und Frankreich zum Beispiel, aber auch wirtschaftlich weniger starke Länder wie Estland, Lettland und Litauen erfüllen dieses 2‑Prozent-Ziel bereits heute, Deutschland leider nicht. Vor diesem Hintergrund war und bleibt es richtig, dass Bundeskanzler Scholz am 27. Februar hier im Deutschen Bundestag angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine eine Zeitenwende ausgerufen hat. Diese soll dazu führen, endlich unsere Verpflichtung gegenüber unseren NATO-Partnern vollumfänglich zu erfüllen und die Bundeswehr schnellstmöglich so auszustatten, wie es die Landes- und Bündnisverteidigung erfordert. In diesem Zusammenhang verwundert es allerdings, dass die diesbezügliche Unterstützung des Kanzlers durch die CDU/CSU-Fraktion deutlich größer zu sein scheint, als das in weiten Teilen seiner eigenen Koalition der Fall ist. ({0}) Ohne die Union, meine sehr verehrten Damen und Herren – das muss man an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich sagen –, wäre die ausgerufene Zeitenwende eine bloße Ankündigung geblieben. Das hat keineswegs nur damit zu tun, dass für eine Grundgesetzänderung eine Zweidrittelmehrheit und damit die Stimmen der Union erforderlich sind, sondern schlicht damit, dass wichtige Vertreter der SPD diese Zeitenwende gar nicht mittragen. Oder wie sonst soll man die jüngsten Äußerungen von Herrn Mützenich und einigen anderen prominenten Vertretern der SPD verstehen? ({1}) Das darf und soll aber nicht davon ablenken, dass sich die Koalition und die CDU/CSU-Fraktion nach intensiven Verhandlungen letztlich zusammengerauft haben und ein sehr gutes Ergebnis für die Bundeswehr und damit für die Sicherheit Deutschlands und Europas erreicht haben. Zwei Verhandlungserfolge der CDU/CSU verdienen dabei besondere Aufmerksamkeit: Erstens. Es ist alleinig der Beharrlichkeit unserer Verhandler zu verdanken, dass die 100 Milliarden Euro ausschließlich der Bundeswehr zur Verfügung stehen werden. Zweitens. Wir konnten durchsetzen, dass die Bundeswehr auch nach dem Verzehr der 100 Milliarden Euro die erforderlichen finanziellen Mittel erhalten wird, die sie für eine pflichtgemäße Erfüllung in der Landes- und Bündnisverteidigung benötigt. ({2}) Deshalb an dieser Stelle noch einmal ein großes Dankeschön an unsere Verhandler von CDU und CSU. Ihr habt sehr Wichtiges für die Bundeswehr erreicht. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Marja-Liisa Völlers spricht jetzt für die SPD-Fraktion. ({0})

Marja Liisa Völlers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004942, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gemeinsam mit anderen Kolleginnen und Kollegen hier aus dem Deutschen Bundestag war ich am letzten Wochenende als stellvertretende Delegationsleiterin bei der Parlamentarischen Versammlung der NATO in Vilnius in Litauen. Auch dort spielte naturgemäß der brutale Angriffskrieg Wladimir Putins gegen die Ukraine eine große Rolle. Er hat bekanntermaßen unser Europa grundlegend erschüttert und verändert. Wir alle müssen dementsprechend unseren Kompass verändern. Wir können nicht mehr so weitermachen wie vor dem 24. Februar. In den Diskussionen wurde deutlich, dass das alle NATO-Partner genauso sehen und alle ihren Beitrag leisten. Wir tun das bereits in Rukla im Rahmen der EFP, wir werden das auch in Zukunft tun. Damit wir das eben wunderbar hinbekommen, damit das langfristig funktioniert, brauchen wir eine modernere, eine leistungsfähigere Bundeswehr; denn nur so kann sie ihren Kernauftrag – den Kernauftrag der Bündnis- und Landesverteidigung – auch erfüllen. ({0}) Ich glaube, uns allen hier ist der grundsätzliche Zustand der Bundeswehr bekannt; das muss ich nicht weiter ausführen. Aber wichtig ist, dass klar ist, dass wir in die Ausrüstung, in die Ausstattung der Bundeswehr investieren müssen. Das werden wir in zwei Bereichen tun: einmal heute mit unserem Einzelplan zum Verteidigungshaushalt und dann aber auch mit dem Sondervermögen zur Stärkung der Bundeswehr, den 100 Milliarden Euro. Ich freue mich, dass wir diesen Weg gemeinsam gehen, auch mit den Kolleginnen und Kollegen von der Union. Wir werden ja heute Abend gemeinsam in den zuständigen Ausschüssen das Programm beschließen und dann hoffentlich auch am Freitag hier mit großer Mehrheit im Plenum unsere Bundeswehr unterstützen. ({1}) Der Verteidigungshaushalt wird im Jahr 2022 um 3,5 Milliarden Euro auf 50,3 Milliarden Euro steigen. Das ist übrigens ein Plus von 7 Prozent. Ich glaube, das ist eine große Leistung unserer Fortschrittskoalition, unserer Ampelkoalition. Mein Dank an die Haushälterinnen und Haushälter von FDP, von Grünen, aber auch an die meiner eigenen Fraktion! Das ist wichtig, und das ist eine richtig gute Botschaft. Viele Kolleginnen und Kollegen haben schon erläutert, in was wir investieren werden. Ich persönlich freue mich auch, dass wir weiter den A400M kaufen werden; 450 Millionen Euro stehen dafür im Haushalt. Als Wahlkreisnachbarin von Wunstorf, das das Lufttransportgeschwader 62 beherbergt, bin ich sehr glücklich, dass wir diesen Schritt gemeinsam gehen werden. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, um auf die Realität reagieren zu können, braucht es aber mehr – das habe ich eben schon gesagt – als den reinen Verteidigungshaushalt. Wir werden noch diese Woche das Sondervermögen gemeinsam angehen und beschließen. Ich halte das für einen zentralen Baustein unserer Staatssouveränität, der staatspolitischen Verantwortung aller Fraktionen, die das Ganze hier ernst meinen. Ich danke unserem Bundeskanzler Olaf Scholz für den Impuls: Er hat die Zeitenwende beschrieben. Die 100 Milliarden Euro Sondervermögen werden ein zentraler Baustein dafür sein, gemeinsam hier Verantwortung zu übernehmen, wenn wir es als Demokratinnen und Demokraten mit unserer Bundeswehr ernst meinen. ({3}) Dies sollten wir übrigens nicht nur aus einer innenpolitischen Perspektive tun, sondern auch aus einer außenpolitischen. Bei der NATO-Tagung haben – Frau Strack-Zimmermann hat darauf hingewiesen – die anderen NATO-Partner natürlich geschaut: Was macht eigentlich die Bundesrepublik Deutschland? Fakt ist: Der stellvertretende NATO-Generalsekretär Geoana hat in seiner Rede im Plenum am Montag noch mal betont und besonders herausgestrichen, dass die Bundesrepublik jetzt diese 100 Milliarden Euro auf die Reise bringen wird. Dieses Zeichen ist wichtig, auch gegenüber der internationalen Community. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe großes Vertrauen, dass unser Verteidigungsministerium, die Ministerin mit ihrer Mannschaft, dieses Sondervermögen, das Geld, das bereitgestellt wird, sinnvoll, zeitnah und effektiv einsetzen und verwenden wird, damit wir eben unsere Bundeswehr schneller und besser ausstatten werden. Ich glaube aber – das ist der letzte Punkt, den ich noch mal ansprechen möchte –, dass es an dieser Stelle nicht nur um Geld gehen darf. Geld ist wichtig, aber Beschaffungsprozesse zu beschleunigen, das ist genauso wichtig. Wir erleben ja schon den ersten Gang in die richtige Richtung: Die ersten Beschleunigungsgesetze sind in der Mache. Auch da wünsche ich mir eine größere Einigkeit hier im Haus darüber, dass wir diesen Weg an dieser Stelle gemeinsam weitergehen werden. ({4}) Wir haben auch viel über Personal gesprochen; Kolleginnen und Kollegen haben das schon adressiert. Ich glaube aber, ein weiterer Punkt ist auch wichtig: Er nennt sich „Baumaßnahmen, Liegenschaftsmanagement“. Wir geben ganz, ganz viel Geld in Systeme; das ist richtig, und das ist wichtig. Aber wir müssen auch schneller darin sein, unsere Kasernen, unsere Liegenschaften da, wo das notwendig ist, zu modernisieren, zu erweitern. Der Bund hat da eine gewisse Verantwortung, aber auch unsere Kolleginnen und Kollegen in den Bundesländern; Stichwort „Bauverwaltung“. Da müssen wir auch ran, damit die Priorität der Bundeswehr an dieser Stelle Berücksichtigung findet. ({5}) Um zum Schluss zu kommen, liebe Kolleginnen und Kollegen: George Washington sagte einmal: „Wer auf den Krieg vorbereitet ist, kann den Frieden am besten wahren“. Niemand von uns hat sich diesen Krieg gewünscht, niemand von uns wollte, dass wir dieser Bedrohung langfristig ausgesetzt sind. Darum müssen wir Verteidigung wieder als zentrale gesamtgesellschaftliche Aufgabe betrachten. Eine gut ausgestattete, moderne Bundeswehr ist hierfür unabdingbar. Die richtigen Weichen stellen wir als Ampel im Rahmen der Zeitenwende nun mit unserem Verteidigungshaushalt und mit dem von Olaf Scholz angestoßenen Sondervermögen. Herzlichen Dank. ({6})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Die letzte Rednerin in der Debatte: Sara Nanni, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Sara Nanni (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005164, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleg/-innen! Meine Damen und Herren! Der brutale russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat unermessliches Leid über die Menschen in der Ukraine gebracht. Er ist auch ein Angriff auf unsere Sicherheitsordnung in Europa. NATO und EU sind dadurch klar herausgefordert – politisch so stark wie noch nie, aber eben auch militärisch. Für die Bundeswehr kommt diese Herausforderung zwar nicht überraschend, aber sie geht doch mit einem gewissen Schrecken einher. Können wir unsere Verpflichtungen im Bündnis erfüllen und der neuen Bedrohungslage auch militärisch etwas entgegenhalten? Die Wahrheit ist: Hinter uns liegen zuerst viele Jahre des schlechten Schrumpfens und später des schlechten Wachsens sowie eine Ausrüstungspolitik, die sich zu viel am Wunsch einzelner Abgeordneter mit ihren Wahlkreisen orientiert hat und zu wenig am Notwendigen. Das muss aufhören. ({0}) So haben Sie – ja, das gönne ich mir bei jeder Debatte –, liebe Union, auch mit dafür gesorgt, dass wir heute eben nicht aus voller Brust sagen können: Wir sind einsatzfähig! – Das ist bitter. ({1}) Herr Gädechens, weil Sie sagen, Sie machten so lange Verteidigungspolitik: Das heißt ja nicht unbedingt, dass Sie es gut machen. Es ist eben jetzt die Ampelkoalition, die sich vorgenommen hat, das zu ändern. Hier steht auf meinem Zettel: „Ich bin der Union dankbar, dass sie am Freitag das Sondervermögen mitbeschließen wird.“ – Der Kollege Silberhorn hat vorhin in die Runde gerufen: „Schaun mer mal!“ ({2}) – Er hat gerufen: „Schaun mer mal!“ – Das heißt, das, was hier passiert, sind große Reden, aber wenn es darauf ankommt -- ({3}) – Doch, als der Kollege vorhin die Rede gehalten und sich bedankt hat, dass Sie zustimmen werden, da hat er gerufen: „Schaun mer mal!“ Auch der Haushalt für dieses Jahr schafft schon die Spielräume, die wir dringend brauchen, um bündnisfähiger zu werden. Die Bundeswehr wird nun finanziell deutlich besser ausgestattet. Daraus erwächst für uns eben auch eine Pflicht, mit dem Geld besonders gut umzugehen ({4}) – Sie können es nicht glauben, aber es ist trotzdem so –, eine Pflicht, mit der Industrie besonders hart zu verhandeln, besonders klug und effizient zu planen und bei der Beschaffung und Entwicklung immer auch europäisch mitzudenken. Wir als Bündnisgrüne werden auch in Zukunft ganz genau hinschauen. Wir wollen eine modernere, aufgabenorientiertere Ausstattung der Bundeswehr erreichen. Der Verteidigungshaushalt und auch das Sondervermögen eignen sich eben nicht für Geschenke an die Rüstungsindustrie oder den Wahlkreis. ({5})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Erlauben Sie eine Frage des Kollegen Silberhorn? ({0}) – Eine Kurzintervention. Dann machen wir das danach; okay. – Entschuldigung.

Sara Nanni (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005164, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Im Gegenteil: Es geht darum, dass diejenigen, die für uns in Einsätze gehen, materiell und persönlich gut ausgestattet sind – um nicht mehr und nicht weniger. Die Bereitschaft, genau dies zu tun, steigt. Vor zwei Wochen habe ich mit einem Parteifreund aus meinem Wahlkreis gesprochen, einem ehemaligen Soldaten. Er war lange nicht bei der Bundeswehr, und er hat sich jetzt als Reservist gemeldet, weil die Zeit das erfordert. „Zeitenwende“, das ist nicht nur im Haushalt angekommen; „Zeitenwende“, das ist, liebe Kolleg/-innen, bei ganz vielen Leuten auch persönlich angekommen. Dem Parteifreund, allen Reservistinnen und Reservisten, allen Soldat/-innen kann ich schon heute deutlich besser in die Augen gucken; denn wir werden die Ausrüstungsdefizite beseitigen und für den Schutz der Soldatinnen und Soldaten sorgen. Das ist eine Frage der Verantwortung, die wir als Abgeordnete tragen. Das sind wir unseren Soldat/-innen schuldig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir legen als Fortschrittskoalition unseren ersten gemeinsamen Haushalt vor, der von der Pandemiebewältigung, der Klimakrise, dem Angriffskrieg gegen die Ukraine und vielen anderen Herausforderungen gleichzeitig geprägt ist. Der Verteidigungshaushalt ist gut ausgestattet. Wir tragen hier die Verantwortung, erst recht in diesen schwierigen Zeiten. Deswegen empfehle ich die Zustimmung zu diesem Haushalt. ({0}) Eine letzte Sache.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Sara Nanni (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005164, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bedanke mich bei allen Ampelpartnern. ({0}) Ich hoffe, dass die konstruktive Zusammenarbeit, die wir in der Ampel dazu hatten, auch die Union inspiriert und dass Sie ihre Blockade beim Wirtschaftsplan aufgeben. ({1})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile Thomas Silberhorn das Wort zu einer Kurzintervention. ({0})

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Nanni, nachdem Sie es für notwendig befunden haben, mich hier persönlich zu adressieren, kann ich nur mutmaßen, dass Sie aus den Reihen der Grünen offenbar glauben, Wortfetzen von Beiträgen zwischen Union und FDP richtig verstanden zu haben. Ich will für meine Person nur sehr klarstellen: Meine Zustimmung zu diesem Sondervermögen für die Bundeswehr steht außer Frage, und ich habe mich in den letzten Wochen sehr intensiv dafür eingesetzt, dass das zustande kommt. Wir werden aber auch sehr genau schauen, ob bei der Abstimmung, die hoffentlich am Freitag ansteht, auch aus Ihren Reihen – der SPD und der Grünen – einstimmige Zustimmung dazu möglich ist. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Nanni, Sie haben die Möglichkeit, zu antworten.

Sara Nanni (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005164, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es hat Sie ja sicherlich erreicht, dass schon heute Morgen im Verteidigungsausschuss die Gelegenheit gewesen wäre, sowohl der Grundgesetzänderung als auch – hätte es schon eine Einigung mit der Union gegeben – dem entsprechenden Wirtschaftsplan zuzustimmen. Das wurde in der Obleuterunde sozusagen verhindert. ({0}) Da stellt sich schon ein bisschen die Frage, warum das der Fall war. Es wurde auch offen damit gedroht, dass die Zustimmung entzogen wird, ({1}) und Sie haben gerade hier einen Zwischenruf getätigt – ich habe relativ gute Ohren; so alt bin ich noch nicht – und haben gesagt: „Schauen wir mal“, als der Kollege Nürnberger sagte, dass auch die Union zustimmen wird. Das habe ich sehr genau gehört. Ich freue mich aber, wenn es anscheinend nicht so gemeint war ({2}) und Ihre Zustimmung sowie die Ihrer Kolleginnen und Kollegen von der Union am Freitag sicher sind. ({3})

Carsten Körber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004332, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In diesen dramatischen Zeiten bewegt sich das BMZ in stürmischem Fahrwasser. Die Entwicklungszusammenarbeit hat regelmäßig direkte Auswirkungen auf die Menschen in den krisengeschüttelten Ländern und Regionen dieser Welt. Um es einmal in aller Klarheit zu sagen: Unsere Hilfe kann für den Empfänger den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten. Diese Verantwortung wiegt schwer. Liebe Frau Ministerin, Ihre Reise nach Kiew dieser Tage zeigt, dass Sie bereit sind, sich für Ihre Sache einzusetzen. Wichtig ist aber auch, dass man sein Haus hinter sich weiß, dass man weiß, dass die eigenen Leute einem folgen und dass die Mitarbeiter auch willens sind, politische Vorgaben umzusetzen, die Dinge möglich zu machen und nicht gute Ideen und ehrliche Einsatzbereitschaft durch kleinteiligste Auslegung von Verwaltungsvorschriften im Keim zu ersticken. Dazu ein kleines Beispiel. Ich habe mich dieser Tage im Rheinland mit einem Verein getroffen, der seit Jahren in Asien aktiv ist – sehr feine, beeindruckende, engagierte Leute mit guten Ideen. ({0}) Wer aber von einem solchen privaten Verein für eine Fördersumme von gerade einmal 4 000 Euro zum Aufbau eines Kindergartens im Gegenzug derart viele Verwendungsnachweise, Berichte und Formulare anfordert, dass am Ende des Tages mehrere Aktenordner gefüllt werden, der würgt privates Engagement ab. Der Verein will in Zukunft nichts mehr mit dem BMZ machen, sondern nur noch über Spenden agieren. ({1}) Das bedaure ich, aber das verstehe ich auch, und ja – ich höre den Zwischenruf –, das ist nicht erst in den letzten Wochen so gewesen. Leider ist es trotzdem eine Realität. Deshalb bin ich gezwungen, hier darauf einzugehen; denn ich kenne das BMZ ja schon eine ganze Weile. Ich bin überzeugt, dass es dort gelegentlich auch am zielorientierten Denken fehlt. Wehe, ein Berichterstatter, selbst aus der Regierungskoalition, kommt mit einer eigenen Idee oder mit einem eigenen Projektvorschlag um die Ecke. Dann läuft der Verwaltungsapparat des BMZ auf Hochtouren, und regelmäßig lautet dann leider das Ergebnis: Das Projekt ist wirklich richtig toll, aber leider, leider gibt es dazu keine passende Verwaltungsvorschrift. – Der Wiederaufbau des Hafens in Beirut wäre ein weiteres Stichwort, welches den geneigten Kenner des BMZ mit einiger Irritation zurücklässt. Also, viel Geld im Einzelplan zu haben, ist das eine, wirklich etwas daraus zu machen, ist das andere. ({2}) Ich wünsche Ihnen, liebe Frau Ministerin, ganz ehrlich und aufrichtig, dass Sie in der Lage sind, dass Sie die Kraft haben, dieses Haus in dem Geiste zu führen, dass es Kultur wird, dass man den Mut hat und den Mut entwickelt, auch mal neue Wege zu gehen, neue Pfade einzuschlagen, Dinge möglich zu machen und nicht zu verhindern. Der Etat des BMZ ist in diesem Jahr bei einer Rekordsumme von circa 13,3 Milliarden Euro angelangt. ({3}) Das ist der derzeitigen Lage in der Welt geschuldet. Das war aber nicht das Verdienst der Bundesregierung. Es brauchte in den Haushaltsverhandlungen erst das Engagement der Koalitionsberichterstatter, um hier die dringendst erforderlichen Akzente zu setzen. In Afrika droht die größte Ernährungskatastrophe seit Jahrzehnten. Und was macht die Bundesregierung? Sie streicht dem UN-Welternährungsprogramm 20 Millionen Euro. Die Ampelhaushälter haben dann zu guter Letzt den Etatansatz um 42 Millionen Euro gestärkt, ein erster entscheidender Schritt – um nur ein Beispiel aus den Verhandlungen zu nennen. So wurde erst in der Bereinigungssitzung verhindert, dass Deutschland hier versagt und seine internationale Verantwortung missachtet. Aber – Sie ahnen es, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel – auch die Weitsicht der Ampelberichterstatter wurde leider nicht überall gepflegt. So hatte die UN-Organisation für Industrielle Entwicklung, UNIDO, unter ihrem neuen Generaldirektor Gerd Müller um eine vergleichsweise bescheidene Mittelerhöhung für ihren Kernhaushalt gebeten. Insgesamt handelt es sich dabei um 3 Millionen Euro. ({4}) Müller, immerhin unser ehemaliger Minister im BMZ, will UNIDO grundlegend reformieren und auch von negativem chinesischem Einfluss befreien. Müller hat sich auch inhaltlich viel vorgenommen, Stichwort „Technologiekooperation beim Thema Klimaschutz, Kooperation beim Thema Wasserstoff“. Das wäre doch in unserem ureigensten Interesse, ihn hier zu unterstützen. Was tut die Ampel? Nichts, sie lässt ihn hängen. Insgesamt – so mein Eindruck – haben die Berichterstatter der Ampel in den Haushaltsberatungen zu mutlos und unambitioniert agiert, so als begriffen sie sich als Sachwalter der Ministerien. Das aber, liebe Freundinnen und Freunde, ist nicht Sache und Aufgabe der Haushälter. Hier geht es um Kontrolle und nicht um Applaus. Erlauben Sie mir bitte eine Bemerkung zum Schluss. In den letzten Jahren haben sich die Haushaltsmittel in den Einzelplänen des Auswärtigen Amtes und des BMZ mehr als verdoppelt. Insgesamt haben beide Häuser zusammen bereits fast 20 Milliarden Euro zur Verfügung. Aber die Bundesregierung ist bis heute leider nicht in der Lage, zeitnah mitzuteilen, welche Ressorts, zum Beispiel in unserem Reformpartnerland Ghana, mit welchen Programmen, mit welchen Partnern und mit welchen Geldern unterwegs sind. Das gilt leider nicht nur für Ghana, sondern auch für alle übrigen Länder. Das ist schlicht und ergreifend ein Unding. Ich glaube, wir sollten uns fraktionsübergreifend darüber einig sein, dass das abzustellen ist. Bereits 2020 hat die Große Koalition dem BMZ Personal zum Aufbau einer Länderdatenbank bewilligt. Diese sollte auf Knopfdruck die Information bereitstellen: Wo in der Welt fördert Deutschland welche Projekte? Neulich habe ich im BMZ nachgefragt, wie es denn so läuft in Sachen Datenbank. Ich habe eine wortreiche Antwort erhalten: Vielleicht gibt es im dritten Quartal ein neues Transparenzportal. – Das war nicht so verheißungsvoll. Das Auswärtige Amt hingegen hat sich willens gezeigt, eine solche Datenbank in kürzester Zeit auf die Beine zu stellen. Mein Eindruck in den Verhandlungen war, dass die Koalitionsberichterstatter für den Haushalt des Auswärtigen Amts gleichfalls willens waren, hier was zu bewegen. Wir als Opposition hätten da parat gestanden. Dennoch unterblieb leider ein solcher Beschluss. Der geneigte Beobachter könnte jetzt natürlich spekulieren, woran es denn gelegen hat. Aber das nützt alles nichts. Uns allen geht es schließlich um die Sache; das Thema ist dafür zu wichtig. Deshalb wünsche ich mir mehr ampelkoalitionären Weitblick in den Beratungen zum 2023er-Haushalt. Vielen Dank. ({5})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die Bundesregierung hat das Wort die Bundesministerin Svenja Schulze. ({0})

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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der 24. Februar markiert eine Zäsur in der deutschen Sicherheitspolitik. Das haben die heutigen Debatten hier noch mal sehr, sehr verdeutlicht. Ich sage ausdrücklich: Auch ich als Entwicklungsministerin unterstütze das Sondervermögen für die Bundeswehr. Viele haben gehofft – auch ich –, dass wir schrittweise in eine Weltordnung kommen, die Konflikte ohne Waffen lösen kann. ({0}) Aber Putins brutaler Angriffskrieg hat diese Hoffnung zerstört. Militärische Fähigkeiten sind notwendig; aber sie alleine führen uns nicht in eine friedliche Welt. Mehr noch: Sie dürfen nicht das erste Mittel der Wahl sein, weder in unserem Handeln noch in unseren Köpfen. ({1}) Neben dem täglich sich überschlagenden Ruf nach schweren Waffen müssen wir gemeinsam auch wieder unsere Stimme für nichtmilitärische Wege zur Konfliktbewältigung und vor allen Dingen zur Konfliktprävention erheben. ({2}) Dafür braucht es eine starke Entwicklungszusammenarbeit, die Ungleichheit, die Hunger und die Armut als Treiber von Konflikten bekämpft, ({3}) die Bildung, die Gesundheit, die zivilgesellschaftliche Kräfte und die Demokratieentwicklung stärkt. Das ist es, was eine friedliche Welt von morgen braucht. Deshalb setzt die Bundesregierung auf einen Dreiklang aus Diplomatie, Entwicklungs- und Verteidigungspolitik. Die Entwicklungspolitik mit ihrem langfristigen Ansatz, ihrer Partnerorientierung und ihrer starken lokalen Verankerung ist ein Kernstück dieser Strategie. Gleichzeitig kann die Entwicklungszusammenarbeit gerade durch diese Vernetzung schnell reagieren und negative Folgen von Kriegen abfedern. Nahrungsmittelknappheit und steigende Energiepreise dürfen unsere Partnerländer und das internationale System nicht weiter destabilisieren. Dieser Ansatz zahlt sich aus. Laut Berechnung der Weltbank reduziert jeder Euro, der in Resilienz investiert wird, die Kosten künftiger humanitärer Krisen um mindestens 4 Euro. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte diese Gelegenheit nutzen, Danke zu sagen: für die Unterstützung der Entwicklungspolitik in den Beratungen zum Haushalt 2022. 13,35 Milliarden Euro für Entwicklungspolitik, das ist das Ergebnis unserer gemeinsamen Arbeit hier, und darauf werden wir weiter aufbauen müssen. Durch den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine sehen wir alle die Notwendigkeit von Entwicklungszusammenarbeit hier in Europa. Ich bin letzte Woche in die Ukraine gereist, um den entwicklungspolitischen Part vor Ort zu betonen und noch mal über unsere zivile Unterstützung zu sprechen. Mein Ministerium hat Ende Februar mit einem Sofortprogramm auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine reagiert. Mit Ihrer Unterstützung, liebe Kolleginnen und Kollegen, konnten wir unser Sofortprogramm verstetigen, und so werden wir auch in Zukunft einen Beitrag leisten können. Das Entwicklungsministerium knüpft damit an die seit 1993 bestehende Zusammenarbeit mit der Ukraine an, und diese Zusammenarbeit baut auf der Partnerschaft mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, den kirchlichen Zentralstellen, politischen Stiftungen sowie mit internationalen Organisationen auf. Ein Kernstück ist die Zusammenarbeit mit ukrainischen Kommunen. Sie funktioniert, und sie ist ein Beleg dafür, dass Entwicklungspolitik mittel- und langfristig wirkt; denn die Kommunen setzen gerade jetzt maßgeblich das entwicklungspolitische Sofortprogramm schnell und sehr wirksam um. Ich kann Ihnen versichern, dass unsere Unterstützung vor Ort wirklich dringend benötigt wird. Ich war am Freitag in Borodjanka; das ist ganz in der Nähe von Kiew. Der Ort ist ein trauriges, ein furchtbares Beispiel für die Zerstörung durch die russischen Soldaten. Und jetzt, wenige Wochen nach dem Abzug der russischen Truppen, ist nicht nur die Notversorgung wiederhergestellt, sondern Borodjanka nimmt zusätzlich noch Binnenflüchtlinge auf. Ich bin wirklich beeindruckt von der Kraft der Menschen, dem Leid etwas entgegenzusetzen. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Ministerin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?

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Ja.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Bitte schön. ({0})

Markus Frohnmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004721, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Frau Ministerin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen; das ist keine Selbstverständlichkeit in dem Haus. – Ich will Sie etwas konkret fragen. Sie hatten es gerade selber angesprochen: Es gibt eine Zusammenarbeit mit der Ukraine – dieses Beispiel hatten Sie genannt – seit 1993. Was mich immer wieder bei der deutschen Entwicklungszusammenarbeit beschäftigt, ist, dass man viele Jahrzehnte mit Staaten zusammenarbeitet, dass wir aber eigentlich den Grundsatz „Hilfe zur Selbsthilfe“ verfolgen. Was glauben Sie? Wie lange ist es eigentlich richtig, mit Staaten zusammenzuarbeiten, bevor man dahin kommt, dass man dauerhaft staatliche Aufgaben übernimmt? Das kann ja nicht Ziel deutscher Entwicklungszusammenarbeit sein. ({0}) Was will diese Bundesregierung in Zukunft in diesem Zusammenhang anders machen? Wollen Sie das mal zeitlich begrenzen? Es kann ja nicht sein, dass wir Jahrzehnte staatliche Aufgaben übernehmen, während bestimmte Staaten – Sie hatten gerade die Ukraine genannt –, wenn wir den Korruptionsindex anschauen, immer noch bei Ländern wie Angola und Co angesiedelt sind. Vielen Dank.

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Herr Abgeordneter, vielen Dank für die Frage. – In der Zusammenarbeit mit der Ukraine haben wir es geschafft, kommunale Strukturen aufzubauen. Wir haben es geschafft, von über 11 000 Gemeinden jetzt zu rund 1 700 Gemeinden zu kommen, die vom Staat eben auch zusätzliche Aufgaben bekommen haben. Diese Struktur zahlt sich gerade jetzt aus. In so einer Krisensituation sind das funktionierende Einheiten, kommunale Verwaltungen, die schnell reagieren können. Das zeigt, dass eine solche langfristige Entwicklungszusammenarbeit sehr erfolgreich ist. Wir müssen jeweils gucken: Was ist in den Partnerländern notwendig? Wie ist die Situation vor Ort? Man kann nicht vorher sagen: Oh, na klar, in fünf Jahren wird es einen Krieg geben, und deswegen machen wir jetzt dies und jenes. – Das lässt sich nicht so einfach planen. Deswegen ist der unmittelbare Kontakt, dieses Partnerschaftliche auf Augenhöhe, bei dem man eben nicht sagt: „Wir wissen alles besser“, die Grundlage unserer Entwicklungspolitik, und das werden wir auch fortsetzen. ({0}) Das gibt mir vielleicht die Gelegenheit, noch mal zu sagen, dass wir seit vielen Jahren mit solchen Gemeinden wie Borodjanka in der Ukraine zusammenarbeiten. Ich war sehr froh, dass ich jetzt in Kiew unseren Kolleginnen und Kollegen dort versichern konnte, dass wir ein starker Partner bleiben werden. Wir werden diese Unterstützung weiter ausbauen. Wir werden uns am Wiederaufbau einer freien und demokratischen Ukraine beteiligen. Unser Kanzler Olaf Scholz hat es ja heute hier in der Debatte noch mal eindeutig gesagt: Wir werden die Ukrainerinnen und Ukrainer so lange unterstützen, wie es nötig ist. Die Folgen des Krieges sind darüber hinaus aber auch weltweit zu spüren. Es droht die schwerste Hungersnot seit dem Zweiten Weltkrieg. Die G‑7-Entwicklungsministerinnen und ‑minister haben Mitte Mai deshalb gemeinsam mit der Weltbank das Bündnis für globale Ernährungssicherheit gestartet. Das Bündnis, das ich vorangetrieben habe, wird bestehende Strukturen zur Bekämpfung von Hunger unter einem Dach zusammenfassen und kurz- und langfristiges Engagement international koordinieren. Unsere Zusage von 430 Millionen Euro für Ernährungssicherheit war ein ganz wichtiges Signal an unsere Partner. Mein Dank geht an Sie, dass Sie diese Zusage noch während der vorläufigen Haushaltsführung möglich gemacht haben. ({1}) Aber – das habe ich eben schon mal gesagt – der russische Angriffskrieg wird auch über die unmittelbaren Folgen in der Ukraine und in den Entwicklungsländern hinaus Folgen haben. Es zieht sich durch die heutige Debatte. Es erfordert eine neue Sicherheitspolitik mit einer gut ausgerüsteten Bundeswehr, einer klugen Diplomatie sowie einer starken Entwicklungspolitik, die künftigen Krisen vorbeugt. Die Schwerpunkte meiner Arbeit bleiben der Kampf gegen Hunger und Armut, die Just Transition, also der faire Wandel hin zu einer klimaneutralen Welt, der Einsatz gegen Covid-19 und für resilientere Gesundheitssysteme und eine feministische Entwicklungspolitik als zentraler Beitrag für Gerechtigkeit und Krisenprävention. ({2}) Kolleginnen und Kollegen, ich erinnere mich noch gut an die erste Lesung. Unter allen demokratischen Fraktionen waren wir uns einig, dass der zweite Regierungsentwurf für den BMZ-Haushalt den globalen Herausforderungen nicht gerecht wird. Jetzt stehen für dieses Jahr 13,35 Milliarden Euro für die Entwicklungspolitik zur Verfügung. Das ist in etwa das Niveau der Ausgaben, mit denen das BMZ das Jahr 2021 abgeschlossen hat. ({3}) Dieser Haushaltsansatz erlaubt es, Entwicklungsländer bei der Bewältigung der Covid‑19-Pandemie weiter zu unterstützen. Von den Koalitionsfraktionen wurden wichtige Umschichtungen vorgenommen, etwa zur Stärkung einer feministischen Entwicklungspolitik. In der Bereinigungssitzung wurden noch zusätzliche Mittel bereitgestellt. Dass es so gekommen ist, war keine Selbstverständlichkeit. Ich danke Ihnen hier ausdrücklich für die Unterstützung. ({4}) Ich sage aber auch ganz deutlich: Sorgen bereitet mir – und damit komme ich zum Ende – der Ausblick auf die kommenden Jahre. Für 2023 sind in der Finanzplanung bisher nur 10,7 Milliarden Euro vorgesehen. ({5}) Angesichts anhaltender Herausforderungen bildet dies bereits jetzt die bestehenden Realitäten nicht mehr ab. Die Folgen des hoffentlich bald beendeten russischen Krieges werden uns lange fordern: in der Ukraine, in den östlichen Partnerländern und in vielen Entwicklungsländern. Afghanistan, Syrien und der Nahe Osten, der Sahel und das Horn von Afrika bleiben Hotspots von Konflikten und Hunger. Die verstärkte Zusammenarbeit mit vielen Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas ist erforderlich, um den globalen Herausforderungen, vor allem dem Klimawandel und dem Verlust an biologischer Vielfalt, wirklich gemeinsam begegnen zu können. Deutschland muss auch in Zukunft einen angemessenen Beitrag zur Agenda 2030 leisten können, auch damit wir die militärischen Fähigkeiten, die wir jetzt schaffen, möglichst nicht nutzen müssen. Hier setze ich auch weiterhin auf Ihre Unterstützung für die Entwicklungszusammenarbeit und sage noch mal: Ganz herzlichen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Espendiller, AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Espendiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004711, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Für heute ja. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und bei Youtube! Der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat in diesem Jahr eine Höhe von 13,35 Milliarden Euro. Dazu kommen noch mal Verpflichtungsermächtigungen, also fest geplante Ausgaben in den kommenden Haushaltsjahren, von 10,7 Milliarden Euro. Das ist schon eine ganz schön heftige Summe für Projekte, bei denen eigentlich keiner so genau weiß, was mit dem Geld passiert, wohin es fließt und was es tatsächlich nutzt. ({0}) Genau wie bei den Ausgaben des Auswärtigen Amtes gibt es beim BMZ keine Gesamtübersicht darüber, welche Projekte wo in der Welt mit dem Geld der deutschen Steuerzahler finanziert werden. Das Ministerium gelobt hier Besserung und verspricht die Veröffentlichung eines Transparenzportals im dritten Quartal 2022. Wir warten gespannt darauf. Denn ein Überblick tut not. Bei allen Maßnahmen des BMZ haben wir ebenso wie beim Auswärtigen Amt grundlegende Evaluierungsprobleme. Die gibt es längst nicht nur in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit, sondern auch in der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit. Der Etat des BMZ hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Im Zuge dessen flossen immer mehr Mittel an multilaterale Organisationen wie zum Beispiel die Vereinten Nationen. Wenn man den Vertretern der Bundesregierung zuhört, dann hört man immer wieder, dass es sich dabei um – Zitat – „bewährte Partner“ handelt. Man überweist an diese Partner zusammen mit anderen Geberländern Milliardenbeträge. Mit der Überweisung fühlt man sich sofort total gut, klopft sich auf die Schulter, was man denn wieder Tolles erreicht hat. Aber was wurde eigentlich erreicht? Es gibt bei den Maßnahmen von multilateralen Organisationen oft keine zielgerichtete Steuerung und keine angemessene Erfolgskontrolle. Wenn das Geld überwiesen ist, haben wir als Geberland erst mal keine Handhabe mehr. Der Bundesrechnungshof ist nicht mehr zuständig. Abgesehen davon hat er ohnehin schon zu wenig Personal, um die hauseigenen Projekte des BMZ mal richtig durchprüfen zu können. ({1}) Wenn es um die Mittelverwendung bei den Vereinten Nationen geht, dann gibt es dort neben einer internen Kontrolle als unabhängige Kontrollinstanz noch das sogenannte Board of Auditors, eine Art Rechnungshof der UN. Obwohl die Prüfer des Boards ihren Charakter als externe Kontrollorganisation gerne betonen, sind Zweifel an der Gründlichkeit der vorgenommenen Prüfungen schon rein aus Kapazitätsgründen nicht ganz von der Hand zu weisen. Und so verwundert es auch nicht, dass erst kürzlich ein Finanzskandal bei den Vereinten Nationen nur aufgrund der Veröffentlichung eines Whistleblowers ans Licht kam. Der aus Indien stammende ehemalige UN-Berater Mukesh Kapila enthüllte auf seinem Blog, dass beim Büro für Projektdienste der Vereinten Nationen, genannt UNOPS, Misswirtschaft, Betrug und Korruption an der Tagesordnung waren. ({2}) Dort hatte man sich durch stark überhöhte Löhne an Entwicklungshilfegeldern bereichert. Außerdem sollten für 63 Millionen Dollar bezahlbarer Wohnraum für die Ärmsten der Welt und Investitionen in erneuerbare Energien getätigt werden. Doch nicht ein einziges dieser Projekte wurde bisher verwirklicht. Nach dem darauffolgenden internationalen Presserummel gaben die Vereinten Nationen dann am 8. Mai kleinlaut bekannt, dass sie den Rücktritt der verantwortlichen UNOPS-Direktorin Grete Faremo akzeptieren. Mehr passiert ist nicht. In Deutschland hören Sie von alldem übrigens mal wieder kein Wort. Wir hatten die Debatte auch heute Nachmittag beim Einzelplan des Auswärtigen Amts. Frau Baerbock hat mir ja widersprochen, was die mangelhafte Kontrolle angeht. Frau Ministerin Schulze, vielleicht nehmen Sie das mal mit: Blindes Vertrauen in multinationale Organisationen ist nicht gerechtfertigt. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Wir sind Haushälter; wir müssen auf jeden einzelnen Euro achten. ({3}) Die Moral der Geschichte ist: Diese Regierung überweist Milliarden für den guten Zweck irgendwohin, und wir haben keinen blassen Schimmer, was mit diesem Geld konkret passiert. Es ist vergleichbar mit dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Und wir als AfD stehen mal wieder hier und sagen: Der Kaiser ist nackt. – Wir müssen einen Überblick über die konkrete Mittelverwendung bekommen. Wenn wir den haben, werden wir sehr schnell feststellen, dass wir enorme Einsparpotenziale haben. Die müssen wir auch nutzen. Das sind wir den Steuerzahlern in diesem Land mehr als schuldig. ({4}) Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Felix Banaszak, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Felix Banaszak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005016, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der Rede freue ich mich über jeden Euro, der in multilaterale Organisationen fließt und nicht in die Finanzierung solcher Organisationen hier. ({0}) Aber jetzt zur Sache. Wir werden in dieser Woche noch ein Sondervermögen für die Bundeswehr zur Steigerung unserer Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit debattieren und beschließen. Ich werde wie viele von Ihnen dafürstimmen, weil ich es richtig finde, in der aktuellen Situation geopolitischer Herausforderungen die Bundeswehr so auszustatten, dass die Verteidigungsfähigkeit da ist. Aber erlauben Sie mir gerade mit Blick auf das von der Frau Ministerin Geschilderte den Hinweis, dass ich eine gewisse Schlagseite in den letzten Wochen der Debatte über unsere außenpolitischen Herausforderungen wahrgenommen habe, insbesondere aus Ihren Reihen, die einseitig das Militärische betonten und viel zu wenig über all die diplomatischen, die humanitären und die präventiven Mittel gesprochen haben. ({1}) Ich halte es für notwendig, dass wir diese Schlagseite in den nächsten Jahren überwinden. Erlauben Sie mir bitte eine zweite Bemerkung. Wenn ich mir anschaue, wie tiefgreifend die Auswirkungen des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs auf die Ukraine, auf die Region und auch beispielsweise auf Teile des afrikanischen Kontinents sind – wir sprechen über massive Hungersnöte, über Gewaltausbrüche und drohende Gewalt in den nächsten Jahren –, kommt mir die eine oder andere Debatte über die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf die Situation hier in Deutschland merkwürdig vor. Ich würde mir wünschen, dass wir uns für die nächsten Jahre vornehmen, einen Teil der Selbstbezüglichkeit in der deutschen und europäischen Debatte zu überwinden und die globale Perspektive stärker zu gewichten, auch in der Entwicklungszusammenarbeit. ({2}) Herr Kollege Körber, ich habe mir Ihre Rede sehr genau angehört. Ich finde, Sie müssen sich schon entscheiden: Wollen Sie sagen, dass die Ampelhaushälter sozusagen willfährige Erfüllungsgehilfen des Ministeriums sind, oder wollen Sie anerkennen – was Sie ja getan haben –, was alles seit dem zweiten Regierungsentwurf zum Bundeshalt und der Vorlage, über die wir diese Woche abstimmen, vonseiten der Koalition auf den Weg gebracht worden ist? ({3}) Ich würde an Ihrer Stelle ein bisschen kleinere Brötchen backen; denn ich kann mich an eine Bereinigungssitzung erinnern, wo von Ihrer Seite überhaupt keine Änderungsvorschläge mehr kamen, wo wir ausschließlich Vorschläge anderer Oppositionsfraktionen vorliegen hatten und eben Vorschläge der Koalitionsfraktionen, die genau die richtigen Schwerpunkte gesetzt haben. Da Sie eben geradezu ein Gemälde von Gerd Müller gezeichnet haben – Sie scheinen große Abschiedsschmerzen zu empfinden –, ({4}) will ich Ihnen sagen, was das Gute daran ist, dass nicht mehr Gerd Müller Minister, sondern Svenja Schulze Ministerin dieses Hauses ist ({5}) und eine neue Koalition neue Schwerpunkte setzen wird: ({6}) Wissen Sie, wie hoch der Anteil der Programme 2019 war, die sich explizit beispielsweise mit der Stärkung der Rechte von Frauen und Mädchen auseinandergesetzt haben, die sogenannte GG2-Kennung? 2,38 Prozent; 2,38 Prozent des gesamten BMZ-Etats sind dafür ausgegeben worden, insbesondere die Akteurinnen zu stärken, denen in Krisen eine sehr große Bedeutung zukommt, wenn es darum geht, diese zu überwinden. Deswegen haben wir uns in der Koalition darauf verständigt, weil wir selbstbewusste Haushälterinnen und Haushälter sind, dem Ministerium den Auftrag zu erteilen, bis zur Sitzung im Herbst einen Plan vorzubereiten, wie dieser Anteil gesteigert werden kann. Dann werden wir darüber diskutieren, was mit dem Geld passieren soll, damit die richtigen Schwerpunkte gesetzt werden. Eine feministische Entwicklungszusammenarbeit, eine feministische Geopolitik wird absolut notwendig sein, um die großen Krisen unserer Zeit zu bewältigen. Deswegen stärken wir beispielsweise auch die reproduktiven Rechte. Gerade die geraten in Konfliktsituationen besonders in Gefahr. ({7}) Und wir werden mehr Geld über alle Einzelpläne hinweg für den internationalen Klima- und Biodiversitätsschutz ausgeben. Es war Ihre Bundeskanzlerin, Angela Merkel, die das Ziel ausgegeben hat, bis Ende dieser Legislaturperiode 6 Milliarden Euro für globalen Klima- und Biodiversitätsschutz zur Verfügung zu stellen. Und ja, da ist noch einiges aufzufüllen; das haben wir in anderen Bereichen auch. Aber keine Koalition vor dieser Ampelkoalition hat jemals ernsthaft den Versuch unternommen, dieses Ziel zu erreichen. Wir stärken den Klimaschutz, wir stärken die Biodiversität, wir stärken beispielsweise explizit Programme, die sich an die indigene Bevölkerung in aller Welt richten, die diese Unterstützung besonders brauchen. Das ist ein Schwerpunkt der Ampel, den zu setzen Sie sich nie zugetraut haben. ({8}) Ich sehe die großen Herausforderungen mit Blick auf die Finanzplanung; ich sehe die großen Herausforderungen in der Welt. Aber ich bin zuversichtlich, dass es uns als Ampel gelingen wird, ihnen besser gerecht zu werden als die Vorgängerregierung. Vielen Dank. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster erhält das Wort der Kollege Victor Perli, Fraktion Die Linke. ({0})

Victor Perli (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Spaltung zwischen Arm und Reich hat sich in den letzten Jahren massiv verschärft, hier im Land, aber auch weltweit. Das ist kein Naturereignis, sondern das ist Folge einer Politik, die auf der einen Seite Millionen Menschen im Stich lässt und auf der anderen Seite Milliardäre immer reicher macht. Die Linke sagt ganz klar: Das darf so nicht weitergehen. Das muss geändert werden. ({0}) Alleine während der Coronapandemie ist das Vermögen der Milliardäre weltweit um unfassbare 42 Prozent auf 12,7 Billionen US-Dollar gestiegen. Auf der anderen Seite werden alleine in diesem Jahr mehr als eine Viertelmilliarde Menschen zusätzlich verarmen. Schon jetzt gehen 811 Millionen Menschen jede Nacht hungrig zu Bett, darunter viele Kinder. 276 Millionen sind von akuter Hungersnot betroffen. Das ist mehr als doppelt so viel wie vor drei Jahren. Auch das zeigt: Die Explosion der Lebensmittelpreise muss sofort gestoppt werden. Das ist menschenverachtend. ({1}) Die Vereinten Nationen zählen erstmals mehr als 100 Millionen Menschen auf der Flucht. „Es ist ein Rekord, den es niemals hätte geben dürfen“, sagt UN-Kommissar Filippo Grandi. Recht hat er! Was macht jetzt die Bundesregierung? In einer solchen Situation müsste sie doch Anstrengungen unternehmen wie noch nie, um zur Linderung der Not beizutragen. Aber im März, zu Beginn der Haushaltsberatungen, gab es hier einen Entwurf mit einer Kürzung in Milliardenhöhe. Unfassbar! Dieses schlimme Vorhaben konnte durch viel öffentlichen Protest und auch dank des breiten Engagements aus dem Parlament verhindert werden; das ist schon gesagt worden. Dennoch: Die bittere Wahrheit ist, dass die Ampelkoalition in diesem Jahr trotz des Kriegs in der Ukraine, trotz steigender Armut, trotz Hungersnot weniger für Entwicklungspolitik ausgibt als die Große Koalition im letzten Jahr. Es sind 290 Millionen Euro weniger. Diese Kürzung ist völlig falsch und komplett aus der Zeit gefallen, meine Damen und Herren. ({2}) Ein Beispiel: Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen bekam im letzten Jahr von der Großen Koalition 120 Millionen Euro. Die Ampel landet für dieses Jahr trotz zweier Ergänzungen nur bei 92 Millionen Euro. Dieses Programm verbleibt im Zweifel in einem Land noch vor Ort, wenn alle anderen Organisationen das Land schon verlassen haben. Für Die Linke ist klar: Die Mittel für dieses Programm dürfen auf gar keinen Fall gekürzt werden. ({3}) Wissen Sie, was mich besonders entsetzt? Als wir im Ministerium über den Entwurf gesprochen haben, habe ich gefragt: Warum wollen Sie ausgerechnet beim Welternährungsprogramm 56 Prozent, also mehr als die Hälfte, der deutschen Mittel kürzen? Die Antwort des Regierungsvertreters von der SPD war: Wir müssen kürzen, und da ist es technisch einfach möglich. – Ich bitte Sie! Man kürzt doch nicht bei den Ärmsten, weil es technisch möglich ist. ({4}) Das ist keine technische Frage, das ist eine politische Entscheidung. Da, wo die Not besonders groß ist, kürzt man nicht. ({5}) Dieses Knausern ist umso empörender, weil für Atombomber, für Kampfdrohnen usw. auf einmal 100 Milliarden Euro extra da sind. Es ist immer eine politische Frage, wofür Geld da ist und wofür nicht. Machen Sie den Menschen nichts vor! Dem „Spiegel“ war kürzlich zu entnehmen, dass SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich mit Kanzler Scholz als Gegenleistung für die Aufrüstungsmilliarden ausgehandelt hat, dass es einen Aufwuchs bei den Mitteln für die Entwicklungszusammenarbeit gibt. Wir sehen jetzt, dass dieses Plus nicht mal ausreicht, um das Minus im Vergleich zum Haushalt der Großen Koalition auszugleichen. Dass der SPD-Fraktionschef beim Kanzler darum betteln muss, ein paar Millionen Euro mehr für Entwicklungspolitik auszugeben, ({6}) während zugleich Milliarden für die Rüstungskonzerne ausgeschüttet werden, ist ein wirklich unfassbarer Zustand. Das sagt viel über diese Regierung aus, meine Damen und Herren. ({7}) Eine große Sorge von uns und den Hilfsorganisationen ist, dass die Mittel im nächsten Jahr wieder gekürzt werden, weil sie zum Beispiel im Ergänzungshaushalt nur einmalig eingestellt worden sind. Unsere Welt muss friedlicher und gerechter werden. Dazu muss Deutschland einen verlässlichen Beitrag leisten. Dafür setzen wir Linken uns weiter ein. Anstatt arme Menschen im Stich zu lassen – hierzulande und in der Welt –, muss Politik Ungerechtigkeit beenden und sich mit den Reichsten anlegen. Ganz konkret: Es gibt eine Hungerkrise in der Welt, und es ist wirklich beschämend, dass sich Konzerne und Spekulanten daran bereichern. Spekulation mit Nahrungsmitteln muss verboten werden. Kümmern Sie sich darum! ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Perli. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Claudia Raffelhüschen, FDP-Fraktion. ({0})

Claudia Raffelhüschen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005273, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Frau Ministerin Schulze! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine ersten Haushaltsberatungen als neue Hauptberichterstatterin im Einzelplan 23 gehen nun auf die Zielgerade. Daher auch an dieser Stelle nochmals vielen Dank an alle für diesen angenehmen Einstieg und die gute Zusammenarbeit. ({0}) Dieser unser Einzelplan 23 war im ersten Regierungsentwurf leicht gesunken. Das hat verständlicherweise große Entrüstung nicht nur in den Medien hervorgerufen. Inzwischen liegt der Etat auch dank des Ergänzungshaushalts aber wieder über dem Ist von 2021, und auch das lag – so ehrlich muss man vielleicht auch einmal sein – aufgrund der Pandemie schon auf einem sehr hohen Niveau, verglichen mit den Vorjahren. Das zusätzlich bereitgestellte Geld haben wir als Ampel in der ersten Runde unter anderem mit einem starken Fokus auf Frauen und Mädchen eingesetzt und bewährte multilaterale Akteure unterstützt: UN Women, UNFPA und IPPF. Das freut mich persönlich nicht nur als Mutter ganz besonders, sondern auch als Volkswirtin. Frauen gehen nämlich in aller Regel extrem effizient und effektiv mit Geldern um, sodass wir von diesen Investitionen mit Sicherheit eine für beide Seiten sehr zufriedenstellende Rendite erwarten können, wenn man in diesem Zusammenhang von Rendite sprechen darf. ({1}) Es ist gut, dass wir auch in der Bereinigung diese Linie fortgesetzt haben und beispielsweise nochmals 5 Millionen Euro in den GPE Fund der Vereinten Nationen stecken. Mit dieser Global Partnership for Education unterstützen wir nämlich die verletzlichsten Kinder in den ärmsten Ländern, zu denen Mädchen leider fast automatisch gehören. Der Zugang zu guter Bildung ist für diese Mädchen essenziell, um sich ein in jeder Hinsicht selbstbestimmtes Leben aufzubauen: ökonomisch, physisch und auch mental. In dieselbe Richtung zielen die zusätzlichen 20 Millionen Euro für den Childcare Incentive Fund. Auch hier verfolgen wir den naheliegenden Weg, auf Qualität und bewährte multilaterale Akteure zu setzen – ein ganz wichtiger Punkt, wenn wir sicherstellen wollen, dass unsere Gelder nicht nach dem Motto „gut gemeint, aber nicht gut gemacht“ versickern. Ich bin fest davon überzeugt, dass nur eine Entwicklungszusammenarbeit Sinn und Zukunft hat, die genau da ansetzt: bei Bildung und qualitativ hochwertiger Betreuung und Gesundheitsversorgung für Kinder ({2}) und natürlich beim Empowerment von Mädchen. Es war nicht sonderlich schwer vorauszusehen, was die Lage aber umso bitterer macht: Der Ukrainekrieg und die Sanktionen gegen Russland bedeuten für viele Länder, vor allem in Afrika, dass Hungersnöte schon jetzt kaum noch abzuwenden sind oder dass bereits vorhandene nochmals verschärft wurden. Es ist daher gut, dass Deutschland mit dem geplanten Bündnis für globale Ernährungssicherheit aktiv vorangeht und dabei sicherlich auch auf die Unterstützung des Parlaments hoffen und bauen kann. ({3}) Wichtig ist aber auch, dass wir diese schreckliche Situation nutzen, um bisherige Schwachstellen und Versäumnisse der Entwicklungszusammenarbeit kritisch zu beleuchten. Sprich: Es ist auf Dauer nicht zielführend, auf akute Hungersnöte mit den immer gleichen Importen der immer gleichen Produkte aus ganz wenigen Ländern zu reagieren. Wie anfällig das System „Weizen aus Russland und der Ukraine“ ist, wird uns gerade brutal vor Augen geführt. Stattdessen müssen wir sehr viel stärker an der Resilienz der betroffenen Staaten arbeiten – ökonomisch, politisch und vor allem in Sachen Ernährungssicherheit. ({4}) Und noch etwas ist uns wichtig: dass wir neben dem Blick auf die akuten Krisen – Pandemiefolgen hier, Ukrainekrieg dort – nicht die vielen anderen globalen Herausforderungen aus dem Blick verlieren. Das wäre besonders bitter, weil wir hier ja durchaus schon einiges erreicht haben. Jetzt das eine zu tun und dafür das andere zu lassen, das wäre wirklich fatal. Daher war es auch ein so wichtiges Signal, dass Deutschland zusätzliche 175 Millionen Euro in den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria steckt. ({5}) Denn gerade in Afrika ist Corona tatsächlich ein wesentlich geringeres Gesundheitsproblem als befürchtet. Dagegen sind Aids, Tuberkulose und Malaria weiterhin massive Bedrohungen, die durch die übergroße Aufmerksamkeit auf Corona fast vergessen wurden, was sie de facto noch gefährlicher macht. Zum Schluss möchte ich noch einmal auf das zurückkommen, was ich schon in der ersten Lesung gesagt habe und in meinen Reden immer wiederhole: Die Schuldenbremse ist keine Unzumutbarkeit. Sie ist, zumindest in Krisenzeiten, auch kein Selbstzweck. Sie ist aber ganz einfach das beste Instrument für haushalterische Nachhaltigkeit, das wir haben.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Claudia Raffelhüschen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005273, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Und nur, wenn wir die Schuldenbremse schnell wieder einhalten, kann Deutschland es sich langfristig leisten, in absoluten Zahlen der zweitgrößte und relativ zur Bevölkerung in vielen Bereichen sogar der größte Geber in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit zu bleiben. Und das ist unser Ziel. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Raffelhüschen. – Das Wort hat nunmehr der Kollege Volkmar Klein, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Volkmar Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004071, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beiträge haben schon ein bisschen deutlich gemacht, dass in diesem Jahr der Einzelplan 23 oder, besser gesagt, die Finanzierung der Arbeit des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung so unübersichtlich ist wie in der Vergangenheit noch nie: ({0}) anfangs vorübergehend 600 Millionen Euro im zweiten Regierungsentwurf im Einzelplan 60 schon mal geparkt, um überplanmäßige Ausgaben zu finanzieren; 784 Millionen Euro für ACT‑A, also die internationale Impfkampagne, aber neben dem Einzelplan 23, und 1 Milliarde Euro aus dem Ergänzungshaushalt für Kriegsfolgenbewältigung weiterhin im Einzelplan 60 und nicht im Einzelplan 23; ({1}) globale Mehrausgaben, wo nicht klar ist, wer und wie entscheidet, wo die am Ende ausgegeben werden. Das ist schon ein Stück weit ein Problem für die Transparenz der Finanzierung unserer Entwicklungsarbeit. Nun könnte man ja sagen: Na ja, das ist ja nicht so schlimm; das könnte ja sogar besonders kreativ und deswegen gut sein. ({2}) Mag sein, aber es birgt natürlich erhebliche Gefahren; denn der Plafond des Einzelplans 23 ist eben nicht entsprechend aufgewachsen. Nicht die mittelfristige Finanzplanung ist das Problem für die Zukunft, aber immer als Benchmark die bisherigen Ausgaben. Und die sind eben sehr viel niedriger als die Gesamtsumme, über die jetzt mehrfach geredet worden ist. Vielleicht hat sich die Ministerin ein bisschen über den Tisch ziehen lassen vom Finanzminister. ({3}) Denn wenn ich dann sehe, dass die VEs, die Verpflichtungsermächtigungen, im Einzelplan 23 deutlich zurückgefahren worden sind, unter das Niveau von 2021, dann, liebe Frau Kollegin Hagedorn, ist das für mich ein sicheres Indiz dafür, dass meine Befürchtung sehr wohl substantiiert ist. ({4}) Aber fangen wir mal vorne an, positiv. ({5}) Ich möchte mich ganz, ganz herzlich bei den Ampelkoalitionsfraktionen dafür bedanken, dass Sie sich unserer Kritik am ursprünglichen Entwurf der Bundesregierung angeschlossen haben, dass Sie auch sehr massiv eingefallen sind in die Kritik der Opposition an dem, was die Regierung vorgelegt hat. Opposition wirkt – das kann man so ein bisschen feststellen. ({6}) Das betrifft die Gesamtsumme. Sie haben ja gerade noch mal so die Kurve gekriegt. Das betrifft aber auch Einzelpunkte. Einige wurden eben schon genannt. Bei der Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“ zu kürzen, angesichts der jetzigen Situation – das war doch absurd! Den Krisentitel wollte die Regierung von 936 Millionen Euro auf 550 Millionen Euro kürzen. Das wäre doch ein Unding gewesen. Es ist gut, dass das alles korrigiert worden ist, dass auch die Kürzungen beim Kirchentitel zurückgenommen worden sind. Deswegen kann ich nur sagen: Es ist sehr gut, dass Sie sich in letzter Minute unserer Kritik angeschlossen und notwendige Kurskorrekturen vorgenommen haben. Das loben wir. ({7}) Auf der anderen Seite gibt es schon an vielen Stellen eine erhebliche Diskrepanz zwischen Reden und Handeln. Es ist eben noch mal gesagt worden, wie wichtig die Förderung von Frauen ist. ({8}) Das hat das BMZ heute in einer Pressemitteilung noch mal herausgehoben. Wenn dann aber genau in den Bereichen, in denen hauptsächlich Frauen gefördert werden, weiterhin eine massive Kürzung zu verzeichnen ist, dann passen Reden und Handeln doch nicht zusammen. ({9}) Vielleicht weiß die Ministerin nicht, ({10}) dass Mikrokredite vor allen Dingen Frauen zugutekommen. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?

Volkmar Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004071, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Felix Banaszak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005016, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Kollege Klein. – Nachdem Sie zwei Minuten für eine sehr spannende Ausführung über Einzelplansystematiken genutzt haben, haben Sie jetzt den Weg zum Inhalt gefunden. ({0}) Meine Frage wäre, ob Sie noch mal darstellen können, an welchen Stellen Ihrer Auffassung nach weniger für frauenbezogene Programme ausgegeben wird als beispielsweise im ersten Regierungsentwurf noch Ihrer schwarz-roten Vorgängerregierung. Es gibt nämlich nicht nur gegenüber dem zweiten Regierungsentwurf einen zentralen Aufwuchs – darüber debattieren wir diese Woche –, sondern einen ebenso großen Aufwuchs gegenüber dem noch von Ihrer Vorgängerregierung vorgelegten Entwurf. Wir haben gemeinsam mit der Regierung in einem guten Miteinander beispielsweise die Finanzierung von frauenspezifischen Projekten – die GFF wollten Sie vielleicht gerade im Bereich Mikrokredite ansprechen – wieder auf das ursprüngliche Niveau gebracht. Wir haben UN Women gestärkt, übrigens mit mehr Mitteln, als jemals unter einer Vorgängerregierung dafür ausgegeben wurden. Und wir haben beispielsweise die Mittel für Programme – Frau Raffelhüschen hat das gerade ausgeführt – im Bereich „reproduktive Rechte und Familienplanung“ gegenüber dem, was Ihre Vorgängerregierung zustande gebracht hat, weiter erhöht. Vielleicht können Sie einfach noch mal in Zahlen darstellen, wo ich mich getäuscht haben könnte.

Volkmar Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004071, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist schön, dass Sie die Frau Kollegin Raffelhüschen gerade noch mal erwähnt haben. Sie hat zu Recht darauf hingewiesen, dass an vielen Stellen Frauen die besseren Unternehmerinnen sind und dass es deswegen sehr sinnvoll ist, genau dort wirtschaftlich anzusetzen. ({0}) Möglicherweise wissen Sie nicht, dass Mikrokredite in dieser Hinsicht besonders wirksam sind. ({1}) Möglicherweise wissen Sie auch nicht – möglicherweise weiß das auch die Ministerin nicht –, dass der Titel „Zusammenarbeit mit der Wirtschaft“ ({2}) der Titel im Haushalt ist, aus dem im Wesentlichen die Finanzierung der Deutschen Sparkassenstiftung erfolgt, und die finanziert vor allen Dingen Mikrokredite. Wenn ich jetzt sehe, dass dieser Titel von 267 Millionen auf 194 Millionen Euro gekürzt worden ist, dann ist das für mich das Gegenteil von Förderung von Frauen. ({3}) Ich will noch eine weitere Zahl hinzufügen. Ich hatte nämlich gestern Gelegenheit, mit dem Vorstandsvorsitzenden der Sparkassenstiftung darüber zu reden. Ich ging davon aus, dass es zu 90 Prozent Frauen sind, denen die Mikrokredite zugutekommen. Heinrich Haasis hat mich korrigiert und gesagt: Bei vielen Programmen der Sparkassenstiftung sind es 100 Prozent. – Das heißt, Sie kürzen den Titel, der zu 100 Prozent Frauen zugutekommt. Das ist für mich das Gegenteil von Förderung von Frauen. ({4}) – Ja, das ist schon ein Skandal; die Kollegen haben hundertprozentig recht. Deswegen ist das etwas, was Sie sich sehr zu Herzen nehmen müssten. Ganz generell will ich sagen – das ist auch ein erfolgreiches Motto aus Nordrhein-Westfalen –: Reden reicht nicht. Es geht um „Machen, worauf es ankommt“. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Genau, Herr Kollege. Also kommen Sie jetzt zum Schluss, bitte.

Volkmar Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004071, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist auch das, was wir von der Ampelkoalition erwarten. Wenn Sie das machen, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege.

Volkmar Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004071, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– dann haben Sie auch unsere Unterstützung dafür. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Bettina Hagedorn, SPD-Fraktion. ({0})

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Volkmar Klein, ihr habt hier als Union am 23. März bei der ersten Lesung in der Tat massiv kritisiert, wie niedrig der Etat mit 10,9 Milliarden Euro war. ({0}) Das haben übrigens auch wir und die Ministerin getan. Wir haben jetzt 2,4 Milliarden Euro mehr zur Verfügung für das Haus; ich werde darauf gleich noch näher eingehen. Das ist ein großer Erfolg. Das könnt ihr zwar versuchen kleinzureden, aber das werdet ihr nicht schaffen. ({1}) Nun ist es so, dass wir und die Ministerin uns gemeinsam vorgenommen hatten, eigene Schwerpunkte zu setzen. Das heißt ja nicht, dass wir mit der Politik des Vorgängers Gerd Müller aufräumen. Aber klar ist auch, dass, wenn man neue Schwerpunkte setzen will und die Mittel nicht nur on top kommen sollen – die Union hätte es massiv kritisiert, wenn wir das getan hätten –, man eben auch umschichten muss, man Projekte auch evaluieren muss. Eines ist natürlich ganz klar, nämlich dass die feministische Entwicklungspolitik, die unter Heidemarie Wieczorek-Zeul erfunden und bis 2009 praktiziert worden ist und jetzt endlich in Gestalt von Svenja Schulze wieder eine deutliche Schwerpunktsetzung erfährt, in den zehn Jahren dazwischen – na ja – ein bisschen vor sich hin gedümpelt ist. ({2}) Natürlich hat es auch im Haushalt von Gerd Müller zum Beispiel Projekte zur Mikrokreditfinanzierung gegeben. Die finde ich super, die finden wir, glaube ich, alle super; die sind allseits anerkannt. Aber trotzdem ist es so, dass wir eigene, zusätzliche Schwerpunkte setzen; Claudia Raffelhüschen ist ausführlich darauf eingegangen. Immer wenn man Frauen stärkt, wenn man ihre Rechtspositionen stärkt, wenn man sie wirtschaftlich stärkt, dann stärkt man auch die Kinder, dann stärkt man die Gesundheit der Kinder, dann investiert man auch darin, dass die Frauen sich darum kümmern, dass es ein auskömmliches Leben, eine Zukunft für ihre Kinder gibt, und dann wirkt man gleichzeitig Fluchtursachen entgegen, dann befriedet man gleichzeitig Regionen. Darum ist eine solche Entwicklungspolitik für und mit Frauen in erster Linie eine Politik, die den Frieden stabilisiert und die präventiv wirkt. Das ist unser gemeinsames Hauptziel. ({3}) Dazu gehört ein zweiter Schwerpunkt, der in dieser Ampelkoalition natürlich viel stärker betont wird, als er bisher betont worden ist, und darauf sind wir gemeinsam stolz. Das ist der Einsatz für Klimaschutz und für den Erhalt der Biodiversität. Das steht auch so in unserem Koalitionsvertrag; auch da haben wir eine Priorität gesetzt. Auch das ist natürlich ein wichtiger Punkt; denn der Klimawandel trifft die Ärmsten immer am härtesten. Das ist in unserem eigenen Land und weltweit so. Die Folgen des Klimawandels betreffen allerdings vorrangig Länder, die sowieso schon von Dürren, von Starkregenereignissen, von Sturm, von Überschwemmungen, also von all den Dingen gekennzeichnet sind, die den Menschen ihre Lebensgrundlage nehmen, die die Menschen zur Flucht zwingen, die sie in die Armut treiben und die natürlich auch den Kampf der Nationen um Land und Rohstoffe befeuern, gerade auf der südlichen Halbkugel. Weil das so ist, ist es gut und richtig, dass wir da einen deutlichen Schwerpunkt setzen. Ich glaube, es ist eine gute Fügung, dass unsere Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nicht nur den feministischen Schwerpunkt setzt, den sie im März angekündigt hat, sondern in ihrer vorherigen Verwendung Umweltministerin in der Regierung war und vor diesem Hintergrund ein völlig anderes Verständnis für den Kampf für den Klimaschutz mitbringt, als es ihre Vorgänger hatten. Vor diesem Hintergrund, glaube ich, haben wir gemeinsam einen guten Wurf hingekriegt. ({4}) Eines möchte ich noch betonen, weil es hier Missverständnisse zu geben scheint. Ich bedanke mich für die guten Beratungen nicht nur bei unserer Hauptberichterstatterin Claudia Raffelhüschen, bei Felix Banaszak und unseren Teams, sondern auch bei der Ministerin. Denn eines stimmt nicht, lieber Carsten Körber: Das ist nicht alles nur die Arbeit der Haushälter von der Ampelkoalition. Ich nehme immer gerne Lob entgegen, aber nur für das, was wir gemacht haben. Wir haben einen Ergänzungshaushalt und einen Kernhaushalt zusammengefügt; aber für den Ergänzungshaushalt hat die Regierung gesorgt. Svenja Schulze hat mit viel Erfolg bei Christian Lindner für 1 Milliarde Euro on top geworben und diese bekommen, und das ist richtig. Darum haben wir jetzt eine weitere Milliarde Euro in Einzelplan 60; das ist hervorragend. Wir haben auch überplanmäßige Ausgaben in den Haushalt eingefügt, die von unserem Kanzler gemäß unserer Verantwortung schon weltweit zugesagt und versprochen worden sind; die sind hier mit eingeflossen. Das Geld haben nicht alles wir besorgt; ({5}) aber wir haben die Schwerpunkte gesetzt, gemeinsam und in enger Absprache mit dem Ministerium. Ich glaube, das Ergebnis – 2,4 Milliarden Euro mehr – kann sich sehen lassen. Wir haben in der Debatte in dieser Woche schon sehr viel über das Militärische gesprochen. Das ist auch richtig so. Auch ich werde am Freitag aus voller Überzeugung dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen zustimmen. Wir haben gleich noch eine Sitzung des Haushaltsausschusses, in der wir uns damit noch intensiv beschäftigen werden. ({6}) Aber eines ist auch wahr: Das militärische Eingreifen ist immer das letzte Mittel. Von jedem Cent, jedem Euro, den wir in die Prävention stecken und den wir in die langfristige Stabilisierung der Regionen, in denen die Menschen leben, stecken, kommt ein Vielfaches zurück. Das ist immer – immer! – die bessere Lösung als die militärische. Das ist der eine Punkt, den ich sagen möchte. Der andere Punkt ist der: Die Ministerin hat ihre Sorgen in Bezug auf den Etat mit Blick auf das Jahr 2023 zum Ausdruck gebracht. Diese Sorgen teilen wir. Fakt ist, liebe Claudia: Wir haben einen Koalitionsvertrag, in dem die Schuldenbremse steht, und das werde ich auch nicht infrage stellen; ich habe sie selbst mit eingeführt. Wir sind koalitionstreu. Trotzdem hoffe ich auf die Unterstützung und das Verständnis unseres Finanzministers und dass in diesen Krisen, die wir weltweit haben, das Finanzministerium mithelfen wird, die Balance zwischen Ausgaben im militärischen Bereich und den Ausgaben, die präventiv wirken – weltweit –, gerade in diesem Ressort, aber auch im Auswärtigen Amt herzustellen. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe. Ich bin ziemlich sicher: Uns wird nicht langweilig werden in den kommenden Wochen und Monaten. Aber wir haben uns in den ersten Haushaltsberatungen absolut bewährt; wir sind ein gutes Team; wir gehen fair und ordentlich miteinander um. Für diese Arbeit, die mir sehr viel Freude gemacht hat, möchte ich mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich bedanken. ({7}) Vielen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Hagedorn. – Das Wort hat nunmehr der Kollege Dietmar Friedhoff, AfD-Fraktion. ({0})

Dietmar Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004719, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Frau Ministerin! Es geht um wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, vielleicht besser bekannt als gut finanzierte Entwicklungshilfeindustrie. Um eines klarzustellen: Die AfD sieht für diesen Etat Kürzungen vor, weil die Art und Weise, wie hier Geld verpufft, weder ziel- noch erfolgsorientiert ist. Es ist seit 65 Jahren falsch, und da helfen neue Überschriften eben nicht. Denn: Wenn es richtig und gut wäre, müssten wir doch eigentlich positive Veränderungen sehen und wahrnehmen, aber wir tun es nicht. Ich werde das jetzt hier aufzeigen. Als Erstes kommen wir zu dem Selbstverständnis der Regierenden. Dr. Hoffmann von der FDP sagte in einer seiner letzten Reden, Entwicklungsgelder zu kürzen, wäre so, als ob man einem Bettler in der Fußgängerzone den Hut wegkickt und das Geld herausnimmt. – Aber genau dieses Bild, das Sie zeichnen wollen, ist nicht das Bild, das ich in Afrika wahrnehme, und es ist ein Bild, das Afrika überhaupt nicht gerecht wird: der Arme, der Bettler. Aber es zeigt das Dilemma der zu entwickelnden Länder auf, die – gewollten – Abhängigkeiten von den Spendern. ({0}) Deswegen fordern wir seit fünf Jahren eine ehrliche Selbstentwicklungspolitik, die den Menschen mental, kulturell und sozial gerecht wird, Missstände klar aufzeigt und systemisch denkt und handelt. Oder denken Sie an das Selbstverständnis der Ministerin, die biodiverse, klimagerechte, feministische Entwicklungspolitik in die Mitte des Ausblicks stellt. ({1}) Das ist westlicher Ideologieexport, aber keine Selbstentwicklungspolitik. ({2}) Übrigens: Die Grünen, die ja so ihre Probleme mit Deutschland haben, wollen indigene Völker in Lateinamerika schützen – ({3}) ich hoffe, mit ihrer Sprache, mit ihrer Kultur und mit ihren Werten. Wenn das so ist, ({4}) dann beachten Sie, liebe Grüne, bitte: Wir Deutsche sind auch indigene Bevölkerung. ({5}) Da Ihnen dieses Selbstverständnis fehlt, ist Ihre Sicht eine falsche, und damit sind auch Ihre Lösungsansätze falsch. ({6}) – Doch, das ist schon richtig. – So wird unsere Ministerin zu Karl May, der in seinem Leben ein Mal in Amerika war, aber nie einen Indianer gesehen hatte, bevor er das Bild der Europäer über die Indianer prägte. ({7}) Die Amerikaner haben die Indianer zwangskultiviert. Man nahm ihnen die Lebensgrundlagen, steckte sie in westliche Kleidung und gab ihnen westliche Namen. Die Geschichte ist uns bekannt: Die indigene Bevölkerung Amerikas wurde zum Verlierer – sozial, kulturell, finanziell. Das Indigene verschwand. Und mancher machte sie sogar sozial abhängig. Man hatte es selbstverständlich gut gemeint. Auch jetzt meint man es ja wieder gut; aber gut meinen heißt ja noch lange nicht gut machen. Die zu entwickelnden Länder sind arm wie nie, hungern wie nie und sind fragil wie nie. Niger, Mali, Burkina Faso, Südsudan, Sudan und viele andere Länder sprechen Bände. Allein in Äthiopien, der einstigen Entwicklungshoffnung am Horn von Afrika, sind in den letzten Monaten im Tigray-Konflikt 500 000 Menschen getötet worden. Aus Afghanistan werden nach wie vor Tausende von Ortskräften nach Deutschland ausgeflogen. Alles an Entwicklungsleistungen, was in den Jahren erbracht worden ist – mit einem Mal erloschen. Ihre Leuchttürme leuchten nicht mehr. ({8}) All das liegt eben auch daran, dass diese Länder nicht selbstverantwortlich und nicht resilient entwickelt worden sind, weil Ihre Entwicklungsschwerpunkte nichts, aber auch überhaupt nichts mit den Lebensrealitäten der Menschen vor Ort zu tun haben. ({9}) Gendern macht eben nicht satt. ({10}) Der Tschad hat 70 Prozent Nachernteverluste und hungert. Warum war Ihre Entwicklungspolitik, Frau Ministerin, hier nicht zielführend? In Mosambik wird Mais angebaut und günstig exportiert, damit Mosambik Maismehl für teuer Geld importiert. Warum? Weil es in Mosambik keine Maismühlen gibt. Warum ist das so? 80 Prozent der Baumwolle aus Benin verlassen Benin ohne weitere Wertschöpfung in Benin. Warum ist das so, Frau Ministerin? Der afrikanische Kontinent wird mit billigen, EU-subventionierten Lebensmitteln so zugeschüttet, dass sich der Anbau in den eigenen Ländern gar nicht lohnt. Warum ist das so, Frau Ministerin? Afrika liefert uns günstige Kaffeebohnen, damit man von uns dann teuren Filterkaffee kauft. Warum ist das so? Nach 20 verlorenen Jahren in Afghanistan und dem katastrophalen Abzug der westlichen Truppen bricht über Nacht eine Hungerkatastrophe in Afghanistan aus. Warum ist das so? Weil Ihre Ansätze und Ihre Ideologien falsch sind. ({11}) 20 Jahre Ihrer Politik in Afghanistan führten dazu, dass es mehr Kokainfelder als je zuvor in diesem Land gibt und Afghanistan Weltmarktführer auf dem Drogenmarkt wurde. Auch hier kann ich sagen: Kokain kann man leider nicht essen. Aber da will der grüne Landwirtschaftsminister, Herr Özdemir, wohl einem Trend folgen, wenn er fordert, weniger Lebensmittel in Deutschland anzubauen und stattdessen Hanf anzubauen. ({12}) Nun, die Politik der neuen Regierung kann man vermutlich auch nur mit Hanf ertragen. ({13}) Fatal ist hier, dass die Regierungsparteien vor zwei Wochen einen Antrag der CDU/CSU abgelehnt haben, die wollte, dass wir in Zeiten der Ukrainekrise mehr Weizen hier in Deutschland anbauen und damit Afrika unterstützen. Sie haben ihn abgelehnt, weil man ja das Erreichen des deutschen Klimaziels nicht gefährden will. ({14}) Auch hier ist Ihre Sicht, liebe Grüne, eine falsche. Ja, wir erleben einen Klimawandel. Es gibt einen Klimawandel, einen natürlichen, ({15}) und dieser stößt nun auf eine Umweltkatastrophe, die menschengemacht ist, und zwar das Zerstören der weltweiten Waldressourcen zusammen mit dem ungebremsten Bevölkerungswachstumsdruck und dem ungebremsten Ressourcenhunger. Aber das wollen Sie ja alles nicht wahrhaben. Da steckt man sich lieber seine SDG‑17-Brosche an und wird zum Herrn der Ringe bzw. zum Stein der Weisen. ({16})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dietmar Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004719, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Was es gerade für Afrika braucht: ({0}) mehr Wertschöpfung, einen afrikanischen Binnenmarkt, mehr Industrie und grundlastfähige Energie. Das wäre gut.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege.

Dietmar Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004719, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich komme gleich zum Ende. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ja, das hoffe ich auch.

Dietmar Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004719, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Wissen Sie, wo diese Ziele stehen? In der Agenda 2063 der Afrikanischen Union. Seien wir schlau und unterstützen wir den selbstbestimmten Weg selbstbestimmter Völker in Selbstverantwortung! Danke schön. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Deborah Düring, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Deborah Düring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005045, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Ministerin Schulze! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich morgens die Zeitung aufschlage, dann überfällt mich jeden Tag aufs Neue ein Gefühl von Traurigkeit, von Angst, von Wut. Traurigkeit, wenn ich lese, wie am Wochenende in der nigerianischen Stadt Port Harcourt bei einer Massenpanik 31 Menschen ums Leben kamen, weil sie Angst hatten, dass sie keine der Lebensmittelspenden mehr bekommen. Angst, wenn ich jeden Tag lese, wie die Klimakrise dazu führt, dass immer mehr Menschen ihr Zuhause verlieren. Wut, wenn ich weiß, dass wir als gesamte Staatengemeinschaft dafür verantwortlich sind, diese Krisen zu verhindern, und tagtäglich damit zu scheitern drohen. Wir wissen, dass nicht nur die Klimakrise oder die Nahrungsmittelkrise, sondern auch alle anderen Krisen zu mehr Vertreibung, Gewalt, Hunger und Armut führen werden. Und wir wissen, dass die aktuellen Krisen immer mehr werden. ({0}) Mit diesem Wissen stehe ich, ehrlich gesagt, gespalten vor diesem Haushalt. Denn innerhalb dessen – das wurde heute schon häufig gesagt –, was möglich war, haben wir alles rausgeholt. Wir konnten die Kürzungen von über 1,7 Milliarden Euro zurücknehmen. Wir werden im Jahr 2022 13,3 Milliarden Euro in globale Gerechtigkeit investieren. Das ist dringend notwendig und genau der richtige Schritt. ({1}) Wir konnten auch grüne Schwerpunkte setzen. Das sind zum einen, wie mein Kollege Felix Banaszak gerade schon erwähnte, die internationale Klima- und Biodiversitätspolitik und die feministische Entwicklungszusammenarbeit. Es ist zum anderen aber auch die Unterstützung der Zivilgesellschaft. Denn gerade in schwierigen politischen Kontexten sind es zivilgesellschaftliche Organisationen, die besonders wichtige entwicklungspolitische Arbeit leisten. Wir haben 15 Millionen Euro mehr für private Träger und 7 Millionen Euro für die Stärkung von internationalen Medien rausgeholt; denn freie und kritische Medien sind eine elementare Grundlage für die Demokratie. ({2}) Und – das erfreut mich, ehrlich gesagt, besonders – wir haben klargemacht: Steuergelder bekommen nur politische Stiftungen, die mit ihrer Arbeit die Demokratie stärken und sie nicht zersetzen. Das ist ein Riesenerfolg! ({3}) Wir haben in diesem Haushalt viel rausgeholt. Ich freue mich wirklich darüber – ich danke den Haushälterinnen und Haushältern, der Ministerin und uns allen als Ampelkoalition für diese wunderbare Arbeit –, aber langfristig wird es nicht reichen, Kürzungen einfach nur zu vermeiden. Wir brauchen einen echten Aufwuchs. ({4}) Dauerhaft mehr Geld für die Entwicklungszusammenarbeit ist, ehrlich gesagt, kein Nice-to-have. Es ist ein Must-have. ({5}) Wenn wir es ernst meinen mit der globalen Gerechtigkeit, müssen die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe im Haushalt in den kommenden Jahren im selben Maßstab wie die Verteidigungsausgaben ansteigen. Das ist nicht verhandelbar, das ist notwendig. Wir reden hier in der Haushaltsdebatte über abstrakte Zahlen. Aber diese Zahlen können über Leben und Tod entscheiden. Sie entscheiden darüber, ob die Krisen und Pandemien zu noch mehr Ungerechtigkeiten und Konflikten führen. Zeitenwende bedeutet nicht nur mehr militärische Sicherheit. Zeitenwende bedeutet, Gerechtigkeit nach vorne zu stellen. Denn es ist auch in unserem Interesse, dass alle Menschen auf diesem Planeten in Sicherheit leben – nicht nur in Sicherheit vor Krieg, sondern auch in Sicherheit vor Hunger, vor Armut, vor Krankheit und vor Chancenlosigkeit. Lassen Sie uns gemeinsam für diese Sicherheit global sorgen! ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nunmehr hat das Wort der Kollege Till Mansmann, FDP-Fraktion. ({0})

Till Mansmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004815, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Der Einzelplan 23 hat uns in diesem Jahr besonders viel Arbeit gemacht. An dieser Stelle darf man durchaus darauf hinweisen, dass wir erst einmal noch den Haushaltsentwurf der alten Regierung zur Vorlage hatten. Aber mit diesem Haushalt zeigen wir jetzt, dass die Bundesregierung schnell und entschieden auf die Mehrbedarfe und weltweiten Krisen reagiert. Ich möchte mich erst mal insbesondere bei meiner Kollegin Claudia Raffelhüschen, aber auch bei den anderen Kollegen aus dem Haushaltausschuss – Kollegin Hagedorn, Kollege Banaszak – und den Kollegen aus dem AwZ ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit bei dieser Arbeit bedanken. ({0}) Wir haben gerade zuletzt noch einiges erreicht. So haben wir den Einsatz für die Selbstbestimmung und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen durch erhöhte Beiträge an internationale Organisationen wie dem Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen gestärkt. Das war uns Freien Demokraten ein besonderes Anliegen, nicht zuletzt, weil wir, wie auch im Koalitionsvertrag vereinbart, die multilaterale Zusammenarbeit weiter stärken wollen. Das gilt auch für die Global Financing Facility, über die wir die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen auch in diesem Jahr wieder mehr fördern. Durch die Erhöhung der Mittel des Titels „Entwicklungswichtige multilaterale Hilfen zum Umweltschutz, zur Erhaltung der Biodiversität und zum Klimaschutz“ leistet Deutschland einen im internationalen Vergleich herausragenden Beitrag zum Klimaschutz. ({1}) Hier wird deutlich, dass Deutschland mit seinem Engagement auf der supranationalen Ebene führungsstark und zuverlässig ist. Vor der Bundestagswahl haben wir Freien Demokraten gesagt: „Nie gab es mehr zu tun“, und das gilt für kaum einen politischen Bereich so sehr wie für die Entwicklungszusammenarbeit. ({2}) Deswegen haben wir auch in Zeiten, in denen nicht nur Russland Desinformationen als Waffe einsetzt, die Mittel für den Zugang zu Informationen und die Medienförderung um 2 Millionen Euro erhöht. ({3}) Insbesondere infolge des Ukrainekriegs ist die Situation in den von Nahrungsmittelknappheit betroffenen Ländern überaus schwierig. Wir beobachten, dass allen voran China stark daran arbeitet, seinen Einfluss in Afrika über Entwicklungsprojekte auszudehnen. Gleichzeitig führt uns heutzutage ein Besuch an der Tankstelle auf drastische Weise vor Augen, wie abhängig Deutschland, wie abhängig Europa von einigen wenigen Importeuren fossiler Brennstoffe ist. Beide Probleme lassen sich mit einer klugen, ganzheitlich gedachten Entwicklungszusammenarbeit angehen. Schauen wir ein paar Jahre in die Zukunft: Wo eine brennende Sonne heute das Leben schwierig macht, kann künftig erneuerbare Energie erzeugt werden. So können praktisch alle unsere Partnerländer in der Entwicklungszusammenarbeit an globalen, nachhaltigen Wertschöpfungsketten teilhaben. Das kann auch einen erheblichen Beitrag dazu leisten, den oligarchisch geprägten Energiemarkt dezentral und marktorientiert neu aufzustellen. Diese Zukunftsvorstellungen sollten sich zunehmend auch in unseren Entwicklungshaushalten finden. Herr Kollege Körber, ich höre immer sehr gerne, was Sie zu diesem Thema sagen; aber ich muss immer wieder feststellen: In Ihren Haushalten stand das auch noch nicht drin. – Wir werden jetzt mit diesem Haushalt und den nächsten Haushalten damit anfangen. Dabei freue ich mich über Ihre Kooperation. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Mansmann. – Der Kollege Thomas Rachel, CDU/CSU-Fraktion, hat nunmehr das Wort. ({0})

Thomas Rachel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002754, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU-Fraktion nimmt ihre Kontrollfunktion als größte Oppositionsfraktion sehr ernst. Sie ist kritisch, aber konstruktiv. Zusammen mit der Zivilgesellschaft haben wir Christdemokraten die ursprünglich geplanten, massiven Kürzungen des Haushalts des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung kritisiert, gleichzeitig aber konstruktive Änderungsanträge im zuständigen Fachausschuss gestellt. Als Opposition begrüßen wir ausdrücklich, dass die Bundesregierung nun doch zusätzliche Mittel für das BMZ vorsieht. Hier hat der Druck von Opposition und Zivilgesellschaft ganz offensichtlich gewirkt. ({0}) Ebenso positiv hervorheben möchte ich die Erweiterung der BMZ-Partnerländer um Bolivien. Lateinamerika hat größere Aufmerksamkeit verdient; ({1}) denn leider verschärfen sich die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Krisen auf diesem Kontinent. Hier ist ein Paradigmenwechsel dringend geboten. Dennoch möchte ich gerne drei Bereiche herausgreifen, die uns in der Entwicklungspolitik der Bundesregierung Sorge bereiten. In diesem Jahr feiern wir zu Recht 60 Jahre Partnerschaft in der Entwicklungszusammenarbeit mit den beiden großen Kirchen. Das Hilfswerk der evangelischen Kirche, „Brot für die Welt“, und das der katholischen Kirche, Misereor, leisten einen unverzichtbaren Beitrag in der Entwicklungszusammenarbeit. ({2}) Gerade durch die starke Verankerung der Kirchen in den Zivilgesellschaften sowohl in Deutschland als auch in unseren Partnerländern erzielen die kirchlichen Hilfswerke eine ganz beachtliche Reichweite und Akzeptanz für die Hilfsprojekte. Gerade in den Ländern, in denen die staatliche Zusammenarbeit an ihre Grenzen stößt, sind die Kirchen weiterhin aktiv. Doch statt diese vertrauensvolle Partnerschaft zwischen Staat und Kirchen auszubauen, kürzt die Bundesregierung trotz Aufstockung im Ergänzungshaushalt unterm Strich die Barmittel für die Entwicklungsvorhaben der Kirchen. Dies wird der wichtigen Arbeit der kirchlichen Hilfswerke nicht gerecht und ist ein falsches Signal der Bundesregierung. ({3}) Kommen wir zum Themenfeld der Bildung. Das BMZ hat in der Bundesregierung unter Angela Merkel das Ziel formuliert, 25 Prozent der entwicklungspolitischen Ausgaben in Bildung und berufliche Bildung zu investieren. Ich glaube, das ist auch dringend notwendig. Wir erleben gerade – ausgelöst durch die Coronapandemie – eine historisch beispiellose Bildungskrise weltweit. Schulschließungen haben alle Lerngewinne der letzten 20 Jahre zunichtegemacht. Wegen der Coronapandemie werden zusätzliche 10 Millionen Mädchen den Zugang zu Bildung dauerhaft verlieren. Das ist eine echte Katastrophe! Denn Bildung leistet einen ganz wichtigen Beitrag, um Armut zu reduzieren und Chancengleichheit zu ermöglichen. „Wo bleibt das klare Ziel von Bundesministerin Schulze, 25 Prozent der entwicklungspolitischen Gesamtausgaben in Bildung zu investieren?“, frage ich hier ganz deutlich. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir Christdemokraten begrüßen die Mittelerhöhung im Bereich der Welternährung. Aber die Politik der Bundesregierung bleibt hier vollkommen widersprüchlich. Putin nutzt mit seinem Angriff auf die Ukraine Hunger als Waffe. Während andere europäische Staaten ihre Brachflächen zum Beispiel für Brotweizen freigeben, verweigert dies die deutsche Bundesregierung. Durch diese Fehlentscheidung der Bundesregierung können hier in Deutschland rund 800 000 Tonnen Weizen im Jahr nicht geerntet werden. Damit könnten rund 3 Millionen hungernde Menschen ernährt werden. Die Bundesregierung muss diese falsche Entscheidung korrigieren. ({5}) Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf: Erstens. Bekennen Sie sich zum Ziel, 25 Prozent der entwicklungspolitischen Ausgaben in Bildung zu investieren. Zweitens. Bauen Sie die wichtige Zusammenarbeit mit den kirchlichen Hilfswerken weiter aus und kürzen Sie da nicht. Und drittens. Lassen Sie die deutschen Landwirte auch die Brachflächen für den Weizenanbau nutzen; denn wir wollen den hungernden Menschen helfen. Herzlichen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Rachel. – Das Wort hat nun die Kollegin Nadja Sthamer, SPD-Fraktion. ({0})

Nadja Sthamer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Beratungen zum Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für dieses Jahr haben es mal wieder gezeigt: Das Parlament bestimmt den Haushalt. Aufgrund der vielfältigen Krisen, denen wir rund um den Globus begegnen müssen, hätte es nun wirklich weltfremd gewirkt, wenn der Haushalt des BMZ, wie im ersten Entwurf vorgesehen, um 1,6 Milliarden Euro gekürzt worden wäre. ({0}) Daher möchte ich mich auch noch einmal bei allen bedanken, die sich in den Verhandlungen zum Haushalt für ein gut ausgestattetes BMZ eingesetzt haben. ({1}) Wir sehen, dass die Coronapandemie auch in den Ländern des Globalen Südens noch immer nicht vorbei ist. Und wir wissen doch alle, dass die wirtschaftlichen und die sozialen Folgen der Pandemie in den Partnerländern viel schlimmer sind als die Pandemie selbst. Die Armut steigt rasant, die Zahl der hungernden Menschen nimmt zu, etliche Erfolge der Zusammenarbeit der letzten Jahre sind durch die Folgen der Pandemie weggewischt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wissen Sie eigentlich, was heute für ein Tag ist? Heute ist der Internationale Kindertag – ein Tag, der in meiner Heimatstadt Leipzig eine hohe Bedeutung hat, ein Tag, an dem die ganze Stadt Kinder ins Zentrum der Aufmerksamkeit nimmt. Ich finde, wir sollten das alle viel öfter tun. Die globale Situation aufgrund der Coronapandemie sieht vielerorts so aus: Kinder leiden Hunger, gehen nicht mehr zur Schule und arbeiten stattdessen im informellen Sektor. – Wir dürfen aber nicht zulassen, dass es zu einer ganzen verlorenen Generation kommt. Deshalb freue ich mich sehr, dass wir in der Entwicklungszusammenarbeit einen Fokus auf Bildungsförderung legen. Aus dem Ergänzungshaushalt konnten wir etwa Education Cannot Wait 10 Millionen Euro zusätzlich geben. Damit sind wir bei diesem Titel bei insgesamt 60 Millionen Euro angekommen. Wir sagen: Entwicklungspolitik muss Kinder schützen und stärken. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Länder des Globalen Südens erleiden schwerwiegende Folgen durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Das hat nicht nur unmittelbare Auswirkungen vor Ort, sondern bringt weitreichende Folgen für die ganze Welt mit sich, besonders im Bereich der Nahrungsmittelproduktion und des Transports. Wir reden hier nicht mehr von einer Ernährungskrise, sondern von einer echten Hungersnot. In der ganzen MONA-Region steigen die Brotpreise rasant. Im Libanon haben sie sich vervierfacht, in Ägypten verdoppelt. Der Brotpreis ist ein politischer Preis. Gerade angesichts der hohen Staatsverschuldung in Afrika sitzen einige Länder deshalb auf einem Pulverfass, und wir wissen alle nicht, wie lang die Lunte noch ist. Ich bin Svenja Schulze sehr dankbar, dass sie im Zuge des deutschen G‑7-Vorsitzes ein neues Bündnis für globale Ernährungssicherheit ins Leben gerufen hat. Diese Aufgabe liegt ganz klar beim BMZ und ist dort auch genau richtig aufgehoben. Dort brauchen wir auch weiterhin die nötigen finanziellen Mittel. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie gesagt: Die Aufgaben der Entwicklungszusammenarbeit sind nicht kleiner, sondern größer geworden. Laut UNHCR sind weltweit erstmals mehr als 100 Millionen Menschen auf der Flucht. Diese enorme Zahl an fliehenden Menschen heißt für uns auch: Wir müssen für die Menschen vor Ort echte Perspektiven schaffen; denn über die Hälfte der 100 Millionen fliehenden Menschen sind Binnenvertriebene. Um den Fluchtursachen zu begegnen, müssen wir präventiv handeln. 1 Euro vor Ort für die Entwicklung auszugeben, um wirtschaftliche und gesellschaftliche Perspektiven zu schaffen, ist ein Bruchteil dessen, was es kostet, Menschen auf der Flucht zu versorgen. Eine weitere Zahl finde ich in diesem Zusammenhang wirklich krass: Durchschnittlich sind fliehende Menschen 20 Jahre lang auf der Flucht – 20 Jahre ihres Lebens! Nichts ist destabilisierender als hungernde Menschen. Das sollten wir uns immer vor Augen führen. ({4}) Natürlich können wir die Bundeswehr, NATO- oder UN-Truppen in Krisenregionen schicken. Aber es geht auch einfacher und nachhaltiger: Wir brauchen eine ehrliche, wirksame und für alle gewinnbringende Zusammenarbeit mit den Partnerländern. Dabei sprechen wir von einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Ich denke, wir müssen bald ein neues Kapitel der Entwicklungszusammenarbeit aufschlagen und eine „neue Souveränität“ für die Partnerländer anstreben. Wer an Souveränität gewinnt, kann auf der Weltbühne selbstbewusst handeln und eine gleichberechtigte Zusammenarbeit einfordern und auch erreichen. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben im Haushalt viel Geld in die Hand genommen und dazu beigetragen, dass der Wiederaufbau der Ukraine auch vom BMZ unterstützt werden kann. Es ist eine Kernaufgabe dieses Ministeriums, nachhaltige Strukturen und damit Stabilität aufzubauen. Kein Haus kann das besser als das BMZ mit seiner langen Erfahrung und seinen kompetenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. An dieser Stelle meinen ganz herzlichen Dank an sie alle! ({6}) Ich bin übrigens auch ganz begeistert, dass Svenja Schulze im BMZ eine feministische Entwicklungspolitik zum Schwerpunkt macht. Das spiegelt sich auch im Haushalt wider. Frauen und Mädchen machen die Hälfte der Bevölkerung aus. Diese Hälfte bei politischen Entscheidungen einzubinden und ihr eine Stimme zu geben, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. ({7}) Wenn Frauen die gleiche Entscheidungsmacht haben wie Männer, gibt es einen festeren gesellschaftlichen Zusammenhalt. Vielfach sind es Frauen, die lokale Expertinnen sind oder Fachwissen aus ihren Berufen mitbringen. Und doch bleiben sie bei wesentlichen Entscheidungen oft außen vor und werden eben nicht mit einbezogen. Um das zu ändern, müssen wir bei allen entwicklungspolitischen Vorhaben eine Genderperspektive integrieren. ({8}) Und auch der Fokus auf Frauenrechte ist mir wichtig: Frauenrechte sind das Recht jeder Frau auf allgemeine Menschenrechte. Die Freiheit und Unabhängigkeit von Frauen ist der Gradmesser einer freien Gesellschaft für alle. Das werden wir auch im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung immer im Blick behalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Entwicklungszusammenarbeit ist Friedensarbeit. Was wird uns denn in diesen Tagen bewusster als die Bedeutung von Frieden, Freiheit und Sicherheit? Entwicklungszusammenarbeit schafft Stabilität auf beiden Seiten. Unsere gezielte Unterstützung der Zivilgesellschaft in den Partnerländern sorgt für die notwendige Verankerung von nachhaltigen Veränderungen. ({9}) Ich möchte daher denjenigen, die sich schon jetzt mit der Erarbeitung des Haushalts für 2023 befassen, mitgeben, dass wir auch in Zukunft eine gut ausgestattete Entwicklungszusammenarbeit brauchen, die dem vernetzten Sicherheitsgedanken und unserem Koalitionsvorhaben der Eins-zu-eins-Regelung gerecht wird. Denn nach dem Haushalt ist vor dem Haushalt. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Kathrin Henneberger, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Kathrin Henneberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005080, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Präsidentin! ({0}) Frau Ministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Seien wir ehrlich – – ({1}) – Oh, Entschuldigung. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ich bin mir auch nicht ganz klar über meine sexuelle Orientierung.

Kathrin Henneberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005080, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Macht der Gewohnheit. ({0}) – Jetzt werden wir wieder ernsthaft. Seien wir ehrlich: Internationale Klimapolitik von Industriestaaten in den letzten Jahrzehnten war besonders geprägt von schönen Worten, aber nicht durch effektive Taten. Noch immer steigen die Emissionen, noch immer sind wir auf einem Weg in eine Welt, 4 bis 6 Grad heißer. Also genug der schönen Worte! Die Emissionen müssen sinken, und die Finanzmittel für Klima- und Biodiversitätsschutz müssen steigen. Nach hartem Ringen in den letzten Monaten lässt sich nun sagen: Dank grüner Verhandlungen haben wir es in diesem Jahr geschafft, dass die gekürzten Mittel für internationale Klimafinanzen wieder erhöht wurden. Das ist ein großer Erfolg. Dafür danke ich ganz herzlich den Verhandelnden. ({1}) Wichtig war uns hierbei auch, darauf zu achten, dass Titel erhöht wurden, die indigenen Gemeinden und den am stärksten betroffenen Regionen zugutekommen sowie für Waldschutzprojekte und für Klimarisikoversicherungen bereitstehen. Gelder für internationale Klimafinanzierungen sind über die unterschiedlichen Ministerien verteilt, das BMWK und das Auswärtige Amt. Deswegen haben wir darauf geachtet, dass auch dort die Finanzmittel erhöht worden sind. Dass auch das erreicht wurde, ist ein großer Erfolg. Aber im Angesicht der grausamen Realität der Klimakrise wissen wir natürlich: Das kann nur ein Anfang sein. Damit Deutschland seinen fairen Anteil an internationalen Klimafinanzen einhält, brauchen wir erst eine Erhöhung auf 6 Milliarden Euro und dann eine Erhöhung auf 8 bis 10 Milliarden jährlich. Dafür braucht es auch eine klare Zusage vonseiten des Bundesministeriums der Finanzen, dass im Haushalt für 2023 die Mittel für das BMZ nicht weiter gekürzt werden, sondern wieder deutlich aufwachsen. Hinzu kommen in diesem Jahr natürlich auch Finanzen für Loss and Damage, für Verlust und Schäden durch die Klimakrise. Hier haben wir eine besondere globale Verantwortung, vor der wir uns mit Blick auf die nächste UN-Klimakonferenz in Ägypten auch nicht drücken dürfen. Hier werden wir Verantwortung für Klimagerechtigkeit übernehmen. Die Auswirkungen einer ungebremsten Klimakrise können wir eigentlich gar nicht beziffern. Deshalb brauchen wir eine echte Klimafinanzpolitik von Anfang an. Dafür müssen auch endlich Subventionen für Fossile der Vergangenheit angehören. Dafür werden wir arbeiten. Vielen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Christoph Hoffmann, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Christoph Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Entwicklungszusammenarbeit, was bringt denn das eigentlich? Es bringt viel, wenn wir es richtig machen, und es bringt viel für die Menschen im Globalen Süden und die gesamte Menschheit. Es bringt aber auch viel für uns selbst. ({0}) Die Entwicklungszusammenarbeit ist eine sehr große Aufgabe. Deshalb fällt es vielen Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land schwer, daran zu glauben oder auch Erfolge zu sehen. Aber es lohnt sich wirklich, und die Erfolge der Entwicklungszusammenarbeit können sich sehen lassen. ({1}) Der Haushalt 2022 hat im ersten Entwurf nur 10,8 Milliarden Euro umfasst; jetzt sind es über 13 Milliarden. Das ist eine wohltuende Erhöhung, um unsere internationalen Versprechen gegenüber Organisationen wie den Vereinten Nationen einzulösen oder zum Beispiel gegenüber der Bildungsinitiative Global Partnership for Education. Das ist ganz wichtig, weil Verlässlichkeit in der Politik ein ganz wichtiges und hohes Gut für Akzeptanz und Ansehen unserer Bundesrepublik ist. ({2}) Wir haben in dem jetzigen Haushalt auch mehr Gelder für Frauen, für Familienplanung und für Gesundheit eingestellt. Für all dies sind die Mittel noch mal erhöht worden, und die FDP hat daran durchaus ihren Anteil gehabt. Noch mehr freut mich natürlich, dass wir auch mehr Geld für Wald- und Klimaschutz, für Biodiversität haben. Auch das dient uns selbst, weil wir so diese genetischen Ressourcen erhalten und auch unser Klima sich nicht weiter verschlechtert, wenn wir Wälder erhalten. Da heißt es: Gut so, Ampel! Weiter so, Ampel! ({3}) Die Entwicklungszusammenarbeit ist wichtiger denn je. Das haben viele noch nicht so ganz verstanden. Wir haben eine Zeitenwende. Und deshalb ist es hervorragend, dass Kanzler Olaf Scholz in diesen Krisenzeiten nach Afrika in die Entwicklungsländer gefahren ist. Das war ein ganz großes Zeichen. Wir müssen uns ja überlegen: Wie sollen denn diese Länder mit der jetzigen Krise ohne unsere Hilfe fertigwerden? Die Hungerkrise, die steigenden Lebensmittelpreise, das können diese armen Länder nicht alleine bewältigen. Deshalb ist es an uns, jetzt zu helfen. ({4}) Bei uns gab es nach dem Zweiten Weltkrieg auch Hungersnöte, und uns wurde auch geholfen. Wem sind die CARE-Pakete nicht bekannt? Wem sind die Rosinenbomber über Berlin nicht bekannt? Und jetzt ist es an uns, dies auch an diejenigen Länder zurückzugeben, die hungern werden. ({5}) Das haben wir in diesem Haushalt auch abgebildet. Deshalb ist dieser Haushalt ein guter, und deshalb werden wir ihn auch unterstützen. Wir werden auch dafür sorgen, dass wir in Zukunft in diesem Haushalt genügend Geld haben, die Krisen dieser Welt zu meistern bzw. zumindest unseren deutschen Beitrag dazu leisten zu können. Herzlichen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Hoffmann. – Als Nächster hat das Wort der Kollege Nicolas Zippelius, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Nicolas Zippelius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005266, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ampel hat sprichwörtlich in letzter Sekunde verstanden, dass eine Absenkung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit angesichts der Folgen des Ukrainekrieges politisch unmöglich ist und Deutschlands Verantwortung in der Welt nicht gerecht würde. Zur Erinnerung: Frau Ministerin Schulze hatte ihren Amtsvorgänger Gerd Müller noch für den Mittelansatz kritisiert, nur um selbst dann im Anschluss einen völlig unambitionierten Regierungsentwurf vorzulegen. Daran sieht man: Oppositionsarbeit ist wichtig, Kritik der Zivilgesellschaft ist wichtig. – Und es hat ja auch Früchte getragen. ({0}) Zum Positiven zuerst: Wir begrüßen die vorgenommenen Erhöhungen bei den Titeln, die für die Bewältigung der Pandemie und der Kriegsfolgen wichtig sind. Das betrifft sowohl die Maßnahmen in der Ukraine und in den umliegenden Flüchtlingsaufnahmeländern wie auch für die internationale Ernährungssicherung. Ganz besonders zu begrüßen ist die deutliche Steigerung der Verpflichtungsermächtigung beim Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria auf 1,2 Milliarden Euro. ({1}) Damit kann Deutschland einen angemessenen Beitrag bei der Wiederauffüllungskonferenz im Herbst zusagen. Das wird auch andere Geber motivieren, ihren Beitrag zu steigern. Wenn ich jetzt hier auf die Reaktionären von der AfD schaue: Die haben schon das Vorgängerministerium kritisiert, wenn es um Projekte zur Förderung von Frauen und Mädchen ging, zum Beispiel im Bereich von Landwirtschaft, Bildung und Gesundheit. Deswegen brauchen wir darauf auch keinen Wert zu legen. ({2}) Aber zur Wahrheit gehört auch, wenn man Heidemarie Wieczorek-Zeul erwähnt: Sie hat unter dem damaligen SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder sehr gelitten und drei Kreuze gemacht, als ihre Arbeit unter Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU, endlich Anerkennung gefunden hat. Das gehört auch zur Wahrheit dazu. ({3}) Aber kommen wir zurück. Zu kritisieren ist, dass der Titelansatz für die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft zurückgeht. Nur mit der Privatwirtschaft werden nachhaltige Arbeitsplätze auch in Entwicklungsländern geschaffen. Leider, geschätzte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wird der Titel, der dies unterstützt, nicht gestärkt. Der Rückgang der Verpflichtungsermächtigung im Bereich der sogenannten strukturierten Fonds von 210 Millionen Euro auf 100 Millionen Euro beweist vielmehr, dass man diesem Instrument in Zukunft offenbar keine Bedeutung mehr beimisst. ({4}) Dabei stellt sich für mich und für uns dann die Frage, welche Strategie Sie, Frau Ministerin, gegenüber chinesischen Investitionen in Entwicklungsländern verfolgen; denn privatwirtschaftliche Investitionen und Werte zu verbinden, ist eine zentrale Antwort auf die Frage der Diversifizierung von Märkten. ({5}) Die Bundesregierung ist hier leider ganz blass und leider sehr schlecht aufgestellt. ({6}) Unzureichend bleibt auch die Mittelausstattung für die Zukunft. Wenn der Finanzplan wie auch die Verpflichtungsermächtigungen nicht angepasst werden, steht das BMZ ab 2023 vor dem gleichen Problem wie zu Beginn dieses Jahres. Es braucht aber Klarheit durch Anpassung des Finanzplans. Darauf zu hoffen, dass die Probleme von selbst verschwinden und schon keine weiteren Beiträge erforderlich sein werden, ist einfach nicht genug. Frau Ministerin, an der zukünftigen Finanzplanung können Sie beweisen, ob Sie Ihren Worten auch Taten folgen lassen. Bislang sieht es nicht danach aus. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege.

Nicolas Zippelius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005266, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin noch in der Rede.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Entschuldigung, es hörte sich so an, als seien Sie fertig.

Nicolas Zippelius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005266, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Abschließend, Frau Ministerin und Herr Präsident: Wir und ich ganz persönlich begrüßen Ihren Willen, die Ukraine beim Wiederaufbau zu unterstützen und Ihre Reise ins Kriegsgebiet. Die CDU/CSU-Fraktion würde das im Gegensatz zum Bundeskanzler auch nicht als „rein und raus mit Fototermin“ bezeichnen. Allerdings möchte ich Ihnen auf diesem Weg noch etwas mitgeben: Wenn Sie das nächste Mal an der Kabinettssitzung teilnehmen, wenden Sie sich bitte an Ihren Parteikollegen Olaf Scholz. Bitte schauen Sie ihm tief in die Augen und berichten ihm von Ihren Eindrücken aus der Ukraine. Vielleicht besteht dadurch die Chance, dass er erstens selbst nach Kiew reist und zweitens die Ukraine endlich angemessen aus Deutschland Unterstützung erhält. Denn es liegt auch in unserer Verantwortung, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen wird. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Jetzt aber: Vielen Dank, Herr Kollege Zippelius. – Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Susanne Menge, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Susanne Menge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005149, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebes Präsidium! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Zeitenwende ist auch verknüpft mit dem Blick auf alle Frauen, die in Kriegen und Gewaltherrschaften die sozialen Gefüge innerhalb einer Gesellschaft aufrechterhalten – auch im Bunker mit Kindern, ohne Wasser, stets improvisierend und das Überleben sichernd. Es geht beim erweiterten Sicherheitsbegriff in der Tat um sehr viel mehr als die Abwesenheit von Krieg. Im Zentrum unseres Handelns und unserer Entscheidungen darf dabei nicht nur die Sicherheit von Staaten stehen. Priorität hat menschliche Sicherheit: Gesundheit, Bildung, Sicherung von Ernährung usw. ({0}) Feministische Entwicklungspolitik ist feministische Außenpolitik, ist feministische Infrastrukturpolitik, ist feministische Gesellschaftspolitik und bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als unsere zumeist von Männern dominierte Welt und ihre Verhältnisse kritisch zu reflektieren und auch zu verändern. ({1}) Der große Entwurf ist immer noch eine gerechte Welt, in der wir in Frieden miteinander leben können. Frauen wollen diese Welt mitgestalten, wollen und sollen an Entscheidungsfindungen teilhaben und den Dialog zum Frieden mit führen. Aber: Mädchen, Frauen, queere Menschen, Kinder, People of Color und Menschen mit Behinderungen sind überall auf unserer Welt strukturell benachteiligt. Sie werden mehrfach auf unterschiedliche Art und Weise diskriminiert. Gleichzeitig erleben wir aber weltweit starke Veränderungsprozesse, die zumeist von jungen Frauen angeführt werden und die gewinnbringend in gesellschaftliche Prozesse eingreifen. Menschen machen Politik, und Menschen gestalten Systeme. Es liegt folglich an uns Menschen, global die Menschenrechte durchzusetzen und allen Menschen ihr Recht auf Selbstbestimmung zu gewähren. Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht nur gemeinsam mit uns Frauen. Dieser Haushalt stellt einen ersten Schritt in die richtige Richtung dar. Wir unterstützen in diesem Jahr UN Women mit insgesamt 18 Millionen Euro. Das ist eine Verdopplung des Ansatzes des ehemaligen Entwicklungsministers Müller. ({2}) 25 Millionen Euro fließen in die Global Financing Facility für Frauen, Kinder und Jugendliche. Auch die Finanzierung für das kommende Jahr ist gesichert. Die letzte Bundesregierung hatte im Vergleich dazu übrigens die Streichung des Anteils vorgesehen. ({3}) Laut den aktuellen Zahlen liegen wir bei lächerlichen 2,2 Prozent aller öffentlich geförderten entwicklungspolitischen sowie außenpolitischen Projekte und Programme, die die Geschlechtergerechtigkeit zum Hauptziel haben. Unser Ziel ist ein stetiger Anstieg dieser Mittel, den wir über einen Maßgabenbeschluss für das BMZ gesichert haben. Der Vorgänger von Ministerin Schulze hatte dafür volle acht Jahre Zeit, um genau das zu tun – hat er aber nicht. Das BMZ braucht Ressourcen zur Aufstellung der Genderkompetenzen. Bis zur Übernahme unserer Entwicklungsministerin hatte das BMZ noch nicht einmal ein eigenes Genderreferat; auch das wird nun endlich aufgebaut. Mittelfristig brauchen wir Genderkompetenzen in jeder Abteilung des BMZ und – das sage ich selbst – übrigens auch in jedem Ministerium. Gesellschaftliche Veränderungen in politische Prozesse einzubinden und entsprechend zu handeln, sind nach 16 Jahren Stillstandspolitik wahrlich nach nur einem halben Jahr schwerlich möglich.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Susanne Menge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005149, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der entwicklungspolitische Haushalt 2022 macht aber deutlich, dass wir diese Aufgabe jetzt endlich mit progressivem Schwung anpacken. Ich danke fürs Zuhören und wünsche Ihnen einen schönen Abend. ({0})