Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleg/-innen! Vor wenigen Wochen durfte ich die Außenministerin auf ihrer Reise nach Mali und Niger begleiten. Eines haben meine Kolleg/-innen dort immer wieder gehört: Sicherheit; wir brauchen Sicherheit. Von der Regisseurin in Bamako: Sicherheit. Von der Schriftstellerin: Sicherheit. Von der zivilgesellschaftlichen Aktivistin in Gao: Sicherheit. – Die Frauen, die ich treffen durfte, wollen und brauchen Sicherheit beim Ausüben ihres Berufes, beim Einkaufen, auf dem Weg zum Brunnen.
Dass Sicherheit kein ausschließlich militärisches Konzept ist, das diskutieren wir hier im Hause seit Wochen, seit Monaten. Aber wenn die Frauen, die ich unter anderem in Gao treffen durfte, eins deutlich gemacht haben, dann ist es Folgendes: Es ist schwer, sich sicher zu fühlen, wenn die Welt um einen herum von Terror, von Organisierter Kriminalität bestimmt ist. Die Sicherheit der Frauen, der Männer, der Kinder, aller Menschen in Mali wiederherzustellen, das ist unser Interesse.
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Und das ist das Mandat, das wir der Bundeswehr für die UN-Mission MINUSMA erteilen wollen. Unser Engagement soll weiter zur Stabilisierung des Landes beitragen. Wir wollen helfen, den Frieden zu wahren und Menschenrechte zu schützen.
Das tun wir nicht kritiklos, um die malische Regierung zu schützen. Den Militärputsch verurteilen wir. Der Transitionsprozess hin zur demokratischen Ordnung muss weitergehen.
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Aber in meinen Gesprächen mit Menschen in Mali ist klar geworden, dass demokratische Wahlen, dass Kritik an dem Militärputsch nicht ganz oben auf ihrer Agenda stehen. Das nämlich ist und bleibt vorerst Sicherheit. Das hören wir, und das nehmen wir ernst. Deshalb ist der wichtigste deutsche Auftrag in Mali die Umsetzung des Friedensabkommens und die Wahrung der Menschenrechte.
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Unsere Soldat/-innen, denen unser großer Dank gilt, unterstützen die Einhaltung der Waffenruhe. Wir fördern vertrauensbildende Maßnahmen und helfen, die staatliche Integrität wiederherzustellen. In einem Land, das von Terror und organisierter Gewalt geplagt ist, das höchst fragil ist, braucht es diese staatlichen Strukturen umso mehr. Die UN-Mission will kriminellen und terroristischen Netzwerken in der Region dadurch den Nährboden entziehen. So schaffen wir wichtigen Raum für die Arbeit von zivilem Personal, für UN-Personal, für humanitäre Hilfe, die dringend dort ankommen muss, wo sie gebraucht wird.
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Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist also der Grundgedanke dieses Einsatzes.
Dieses Mandat ist ein Zeichen für neue Verantwortung, eine Antwort auf geostrategische Herausforderungen. Wenn die französischen Truppen sich im Spätsommer aus Mali zurückziehen, dann sind wir dort der größte Truppensteller aus dem Globalen Norden. Mit 300 neuen Soldat/-innen schließen wir die Lücke, die die Franzosen hinterlassen, gerade bei der Rettungskette und dem Betrieb des Flughafens. Wir haben die benötigten Transporthubschrauber und die benötigten Drohnen. Diese sind bei der Umsetzung des Mandates praktisch nicht ersetzbar. Natürlich bedeutet der Aufwuchs gleichzeitig eine enorm gewachsene Verantwortung. Diese tragen wir, für die Menschen in Mali, aber auch für unsere Soldat/-innen.
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Was wir nicht haben – das gehört zur Ehrlichkeit dazu –, sind Kampfhubschrauber, und die werden fehlen, wenn die Franzosen abziehen. Das birgt Risiken; denn ohne die Luftnahunterstützung sind unsere Soldatinnen und Soldaten höherer Gefahr ausgesetzt. Gerade deshalb ist die Bundesregierung im engen Austausch mit unseren Partner/-innen, um diese Fähigkeiten zu ersetzen; nur so können wir den Schutz durchgängig gewährleisten. Und auch deshalb haben wir eine Ausstiegsklausel im Mandat: um einen vollen Abzug zu ermöglichen, wenn die Sicherheitslage nichts anderes mehr erlaubt.
Natürlich muss ein deutscher Beitrag zu MINUSMA auch im Kontext der anderen Akteure in Mali gesehen werden. Wir wissen, dass russische Kräfte der „Gruppe Wagner“ vor Ort sind. Wir wissen, dass sie schwere Menschenrechtsverstöße begehen und dass die Militärjunta mit ihnen zusammenarbeitet. Wir wissen auch, dass diese Zusammenarbeit zugenommen hat. Die gezielten russischen Desinformationskampagnen, mit denen versucht wird, unseren französischen Partnern Kriegsverbrechen anzuhängen, können und werden wir nicht akzeptieren.
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Auch deshalb sollten wir alles dafür tun, jetzt nicht zu weichen. Für die Weltgemeinschaft ist es ein Anliegen, die Länder im Sahel zu stabilisieren und nicht der russischen Propaganda zu überlassen. Malis Regierung ist dabei, sich in russischem geostrategischem Kalkül zu verfangen. Darunter wird am Ende die Zivilgesellschaft leiden. Auch das hat die Außenministerin auf unserer Reise deutlich gemacht.
Um auf die Zivilgesellschaft zurückzukommen: Ich möchte mich für die Frauen in Gao, die Menschen in Mali einsetzen, die gerade in Unsicherheit leben. Denn nur – und darum geht es am Ende – aus Sicherheit heraus kann sich Stabilität für demokratische Wahlen entwickeln, nur aus Sicherheit heraus kann sich Freiheit entwickeln.
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Wenn wir hierzu beitragen können, dann sollten wir das tun, und das können wir durch die Beteiligung der Bundeswehr an MINUSMA. Deswegen, liebe Kolleg/-innen, empfehle ich, dieses Mandat zu unterstützen.
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Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Johann Wadephul.
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Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt dieses Mandat – wie in der Vergangenheit, so auch jetzt. Wir haben eine Verantwortung für diese Region, die geschunden ist, die unter Überbevölkerung, Unterernährung, Terrorismus leidet. Europa und Deutschland haben eine Verantwortung für die Sahelregion. Diese nehmen wir wahr. Deswegen unterstützt die CDU/CSU-Fraktion den Antrag der Bundesregierung und wird heute zustimmen.
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Wir unterstützen damit auch die Vereinten Nationen. In dieser weltpolitischen Lage – wir diskutieren in den Ausschüssen und natürlich auch hier im Plenum des Deutschen Bundestages über viele andere Regionen der Welt – müsste man die Vereinten Nationen geradezu erfinden, wenn es sie nicht schon gäbe. Deswegen ist jeder Einsatz, den wir gerade im Rahmen der Vereinten Nationen machen, ein besonders wertvoller.
Es ist jeden Einsatz Deutschlands wert, die Vereinten Nationen zu stärken. Es gibt genug Nationen, die die Vereinten Nationen schwächen wollen, sie unterminieren wollen, die eine eigene Regelordnung aufsetzen wollen. Das ist nicht unsere Politik. Wir sind der internationalen, regelbasierten Ordnung verpflichtet. Dieser Einsatz manifestiert das, und deswegen ist es gut, wenn es eine breite Mehrheit im Deutschen Bundestag dafür gibt, diesen Einsatz in Mali und in der Sahelzone fortzusetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich habe dennoch einige Anmerkungen zum Verfahren und zum Inhalt unseres Engagements für die Zukunft.
Das eine betrifft das Verfahren; das möchte ich den Kolleginnen und Kollegen – Frau Haßelmann, wir haben einige Zeit im 1. Ausschuss zusammengearbeitet – schon noch mal in aller Ernsthaftigkeit sagen. Den Mandatstext haben wir zwei Stunden vor der ersten Lesung bekommen. Wir waren in den Arbeitsgruppen unserer gesamten Fraktion nicht in der Lage, vor der Beratung des Ausschusses darüber zu informieren, wie dieses Mandat unter welchen Umständen fortgeführt werden sollte. Sie alle wissen, dass die Ausschussdebatte entscheidend dafür ist, dass wir alle Fraktionskolleginnen und ‑kollegen darüber unterrichten, unter welchen obwaltenden Umständen die Bundesregierung gedenkt den Einsatz fortzusetzen. Das Bundestagsbeteiligungsgesetz ist kein Bundestagskenntnisgabegesetz.
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Wir erwarten von der Koalition in Zukunft einen anderen Umgang mit dem Parlament in toto.
Ich setze voraus, dass auch Ihre Kolleginnen und Kollegen ein Interesse daran haben, fachgerecht informiert zu werden. Ich denke, so was darf sich in Zukunft nicht wiederholen.
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Dabei könnte man klatschen, und es würde nicht die Koalition verraten, wenn man das vielleicht sogar teilt; ein bisschen Nicken habe ich in Ihren Reihen gesehen.
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Das Zweite ist – auch das möchte ich in aller Ernsthaftigkeit sagen –: Frau Spellerberg, ich kann Ihre Ausführungen fast vollständig teilen. Das ist sehr erfreulich, und das tun wir auch gerne. Sie haben mit einem kurzen Satz die Rückzugsklausel erwähnt, die wir im Verteidigungsausschuss vertieft haben. Ich möchte schon noch mal dazusagen: Wir müssen wissen, worum es hier geht. Die Verteidigungsministerin hat im Ausschuss gesagt, dass ein vollständiger Rückzug unserer Kräfte möglich ist, wenn ein Ersatz der Kräfte, die die Franzosen jetzt stellen, nicht gewährleistet ist. Zugleich wurde uns signalisiert, dass man damit rechnet, dass etwa im August ein Abzug der französischen Kräfte erfolgt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, reden wir heute ernsthaft über ein Mandat, das die Bundesregierung gedenkt schon im August wieder vollständig zu beenden? Wollen Sie ernsthaft im August über 1 000 Soldatinnen und Soldaten aus diesem UN-Einsatz – ich habe etwas zur UN gesagt – zurückziehen, Hals über Kopf die UN – Frau Kollegin, Sie haben darauf hingewiesen – sozusagen ohne diese wichtigen Aufklärungskräfte zurücklassen? Ich kann nur sagen: Das ist eine abenteuerliche Vorstellung.
Frau Lambrecht, das, was Sie dazu im Verteidigungsausschuss gesagt haben, zeigt einmal mehr, dass der Ratschlag unseres Fraktionsvorsitzenden an den Bundeskanzler mehr als angemessen war. So geht es nicht! Entweder wir stimmen hier einem Mandat zu, bei dem die Vereinten Nationen sich darauf verlassen können, dass deutsche Kräfte in dieser Stärke, als stärkste Mandatskraft vor Ort, für ein Jahr verlässlich vor Ort sind, oder wir stimmen dem Mandat nicht zu. Wir müssen uns darauf verlassen können, dass die Bundesregierung alles daransetzt, dass das Mandat eingehalten werden kann. Das ist Ihre Hausaufgabe; die geben wir Ihnen mit.
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– Das ist kein spannendes Konstrukt, Herr Kollege Lechte.
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Ich will das in aller Ernsthaftigkeit sagen: Man weiß seit Februar, dass die Franzosen sich definitiv zurückziehen. Diejenigen, die, wie Sie, über die gesamte Lage vor Ort und das Verhältnis zwischen der malischen Regierung und der französischen Regierung sehr informiert sind, konnten auch schon vorher davon ausgehen, dass das geschehen werde. Also, das ist keine Sache, die vom Himmel gefallen ist, und es wäre die Aufgabe der Verteidigungsministerin gewesen, sich darum zu kümmern.
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Wir müssen die Zeit jetzt nutzen. Für meine Fraktion biete ich die Zusammenarbeit und die Diskussion in den Fachausschüssen in den nächsten Monaten an. Wir brauchen jetzt eine Strategie für diese Region.
Das Trilemma ist ja richtig beschrieben worden. Frau Spellerberg, ich teile das: Natürlich müssen wir weiterhin die sicherheitspolitische Voraussetzung dafür schaffen, dass in dieser Region, insbesondere im Staat Mali, eine demokratische Entwicklung, eine soziale Entwicklung stattfinden kann, dass Frauen, aber auch alle anderen Menschen sich sicher bewegen können. Dazu brauchen wir einen erweiterten Sicherheitsbegriff; das ist vollkommen eindeutig. Natürlich dürfen wir nicht zulassen, dass die Russen mit „Wagner“-Kräften an Einfluss gewinnen, und natürlich müssen wir den internationalen Terrorismus bekämpfen. Dafür braucht es eine Gesamtstrategie, die bisher fehlt.
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Darum sollten wir uns alle bemühen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Nils Schmid.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst mal bin ich der CDU/CSU-Fraktion dankbar, dass sie diesen Einsatz unterstützt. Es ist gut, dass wir in der Frage, wohin die Bundeswehr ins Ausland entsendet wird, möglichst breite Unterstützung aus der Mitte des Hauses erfahren.
Ich bin aber etwas verwundert, Kollege Wadephul, über Ihre Aussage zu dem Mandat und der Frage eines möglichen Abzugs der Bundeswehr.
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Umgekehrt wird doch ein Schuh draus: Sie als CDU/CSU-Fraktion wollen doch nicht ernsthaft den Einsatz fortsetzen, wenn die Sicherheit und die medizinische Versorgung unserer Soldaten nicht mehr gewährleistet sind.
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Es geht hier nicht um ein abstraktes Bekenntnis zu einer UN-Mission. Natürlich will diese Bundesregierung, wie auch die vorangegangenen Bundesregierungen, die Arbeit der UN stärken und insbesondere bei einer der größten Friedensmissionen der UN Unterstützung leisten. Aber wenn unsere Soldatinnen und Soldaten in Gefahr sind, weil die medizinische Versorgung im Krisenfall mangels Transportkapazitäten nicht mehr ausreichend gewährleistet ist, dann müssen wir Konsequenzen ziehen. Das ist unsere Verantwortung als Parlamentarier für unsere Bundeswehr. Deshalb gibt es diese Ausstiegsklausel in dem Mandat, so wie von der Bundesregierung vorgelegt, und wir bekennen uns ausdrücklich dazu, dass wir die Bundeswehrsoldaten abziehen müssen, wenn ihre Sicherheit nicht mehr gewährleistet ist.
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Ich will aber auch deutlich sagen, dass der Mali-Einsatz einmal mehr den engen Zusammenhang zwischen Sicherheit und Entwicklung aufzeigt: Ohne Sicherheit keine Entwicklung; ohne Entwicklung aber auch keine nachhaltige Sicherheit. – Deshalb ist dieser Einsatz der Bundeswehr in Mali schon seit Jahren ein Testfall für den vernetzten Ansatz; denn die Konfliktlagen, die Problemlagen in Mali sind vielfache: Es sind vor allem soziale Verteilungskonflikte, verschärft durch die Veränderung des Klimas in der Sahelzone insgesamt, es sind ökonomische Konflikte, und es sind ungelöste politische Konflikte.
Hinzu kommt vor allem die mangelhafte Vertretung der jungen Generation im politischen System, verstärkt durch politische Fehlentwicklungen der letzten Jahre: dass auch in Mali die Regierung in der Vergangenheit auf den Einsatz von Milizen gesetzt hat, die ebenfalls schwerer Menschenrechtsverletzungen bezichtigt worden sind, dass jetzt die „Wagner“-Miliz dazugekommen ist – ebenfalls schwerer Menschenrechtsverletzungen beschuldigt –, dass Wahlen nicht durchgeführt werden und dass sie, wenn sie durchgeführt werden, nicht auf ausreichend Akzeptanz stoßen, weil eben nicht alle Bevölkerungsgruppen abgebildet werden.
Die Demilitarisierung und Wiedereingliederung bewaffneter Kämpfer geht schleppend voran. Der zivile Schub, der auf dem Gipfel von N’Djamena im Sinne einer Schaffung von Inseln der Stabilität versprochen worden ist, geht auch sehr zögerlich und schwerfällig voran. Es gibt also eine durchaus schwierige Gesamtgemengelage, wo aber gerade diese Mission, MINUSMA, zentrale Stabilisierungsfunktionen wahrnimmt.
Deshalb ist es gut, dass wir heute zweierlei tun im Deutschen Bundestag: Dort, wo es nicht gut läuft, nämlich bei EUTM, bei der Ausbildungsmission, haben wir den Mut, einen klaren Schnitt zu machen, und zwar nicht länger zuzuwarten, sondern diesen Schnitt jetzt zu machen, nachdem die Putschisten die Grundlage für die Zusammenarbeit entzogen haben. Gleichzeitig bekennen wir uns zur Arbeit der Vereinten Nationen, zur Stabilisierungsarbeit für MINUSMA, zur Unterstützung des Friedensabkommens von Algier und natürlich auch zur Absicherung der beträchtlichen deutschen Entwicklungshilfe, die in Mali weiterhin gewährleistet werden soll. Insofern ist für uns MINUSMA eine Mission, die im Sinne des vernetzten Ansatzes das Richtige tut. Wir sind auch bereit, Fähigkeitslücken zu schließen, sofern die Bundeswehr selber Fähigkeiten zusätzlich einbringen kann.
Aber es ist eine UNO-Mission. Deshalb ist die gesamte UNO in der Verantwortung, ausreichend technische Fähigkeiten für diese Mission zu entsenden. Es ist eben nicht Aufgabe der Bundeswehr – das kann sie auch gar nicht –, alle Lücken zu schließen, die seit Jahren beklagt werden, sondern das ist eine Aufgabe der Weltgemeinschaft. In diesem Sinne ist die Bundesregierung auch im Gespräch, um Fähigkeitslücken wie bei den Transporthubschraubern zu schließen.
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Wir wissen, dass der Prozess in Mali mühselig sein wird. Aber ohne Wahlen – eine ausreichend solide Wählerregistrierung im Vorfeld ist Voraussetzung –, die auch neuen Kräften die Möglichkeit eröffnen, sich an diesem demokratischen Prozess zu beteiligen, und ohne ein Mindestmaß an demokratischen Institutionen in Mali werden wir auch die zugrundeliegenden ökonomischen und gesellschaftlichen Konflikte nicht lösen können.
Es ist mir ganz wichtig, darauf hinzuweisen, dass der Ansatz, den wir in Mali verfolgen, nicht aussichtslos ist; denn Mali hat auch schon lange Phasen demokratischer Regierung erlebt. Es gibt eine lebendige Zivilgesellschaft und Institutionen, die man weiter aufbauen kann, auf die man setzen kann. Deshalb ist es aller Mühen wert – von uns im Deutschen Bundestag, der Bundesregierung, der Bundeswehr, aber auch des zivilen Engagements –, diese Unterstützung über MINUSMA für dieses Land weiter zu leisten.
Ich danke all denjenigen bei der Bundeswehr und den in der Entwicklungshilfe Tätigen, die sich weiterhin in diesem Land engagieren.
Selbstverständlich wird die SPD zustimmen.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Jan Nolte.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Mandat, das uns hier heute zur Abstimmung vorliegt, ist ja wirklich bemerkenswert. Schon in den ersten Sätzen steht ja drin, dass es vielleicht gar nicht funktionieren wird und wir es frühzeitig werden beenden müssen. Die Bundesregierung hat offensichtlich kein Vertrauen in das eigene Mandat; aber wir sollen heute auf dieser Grundlage schon mal 1 400 deutsche Soldaten nach Mali entsenden. Die Alternative für Deutschland wird das sicher nicht mitmachen.
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Ich will mal zwei Argumente aufgreifen, die von den Befürwortern dieses Mandats des Öfteren genannt werden. Das eine ist, dass wir nicht abziehen könnten aus Mali, weil dann ein Vakuum entstünde. Das mag ja sogar sein. In dem winzigen Teil Malis, den wir irgendwie kontrollieren, da könnte ein Vakuum entstehen. Aber dieses Argument, das können wir doch nur gelten lassen, wenn die Bundesregierung uns ein Konzept vorlegt, mit dem sich das perspektivisch mal ändert, sodass irgendwann mal der Tag kommt, an dem wir unsere Soldaten aus Mali wieder abziehen können und kein Vakuum mehr entsteht. Ein solches Konzept bleibt die Bundesregierung uns aber schuldig, sodass es heute im Kern darum geht, 1 400 Bundeswehrsoldaten nach Mali zu schicken, damit sie dort ausharren, und dass wir einfach mal das Beste hoffen – hoffen, dass sich einer findet, der die Luftnahunterstützung bereitstellt. Das ist verantwortungslos gegenüber unseren Soldaten. Wir stimmen heute mit Nein.
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Der andere Punkt, der manchmal genannt wird, ist, dass es zu Migrationsbewegungen von Mali aus nach Deutschland kommen könnte, wenn wir abziehen würden, oder dass vielleicht auch Terroristen herüberkommen. Da gibt es eine relativ einfache Lösung. Liebe Bundesregierung, machen Sie Ihren Job! Kontrollieren Sie, wer einwandert nach Deutschland! Schützen Sie die Grenzen! Das ist Ihr Auftrag, nicht der unserer Soldaten.
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Ich will mal ein paar Zahlen zu Mali nennen, weil ja alles so toll läuft, wie man schließen könnte aus Ihren Reden, die Sie hier gehalten haben. 2013 fing der Einsatz an. Da stand Mali auf Platz 19 des Globalen Terrorismus-Index. Vier Jahre später, 2017, stand Mali auf Platz 10. Und heute steht Mali auf Platz 7 des Globalen Terrorismus-Index. Diese Verschlechterung konnten wir nicht verhindern. 2020 gab es 393 Terrortote in Mali, ein Jahr später 574. Das ist eine Erhöhung von 46 Prozent. Terrororganisationen in Nord- und Zentralmali rekrutieren so erfolgreich neue Kämpfer wie nie zuvor. MINUSMA ist der gefährlichste UN-Einsatz mit 272 Toten; 2 davon waren Bundeswehrsoldaten.
Wir reden hier über ein Land, das dreieinhalb mal so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland, und die Regierung meint, mit 300 zusätzlichen Soldaten könnten wir hier irgendwas bewegen, während gerade 5 000 französische Soldaten aus Mali wieder abziehen. Ich habe einen Vorschlag für alle, die meinen, wir müssten da deutsche Soldaten jetzt hinschicken: Gehen Sie in die nächste Kaserne, empfangen Sie ein G36, setzen Sie sich einen Helm auf, und dann fliegen Sie selbst nach Mali und lassen unsere Soldaten aus der Nummer mal raus!
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Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Ulrich Lechte.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Versuch des latenten Vorwurfs, dass wir leichtfertig Soldaten in Missionen entsenden,
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ist eine bodenlose Frechheit,
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weil wir über Wochen und Monate darüber diskutiert haben. Der Grund, warum wir das Mandat so spät vorgelegt haben, war, dass wir darum gerungen haben, die beste Variante Ihnen allen hier im Hause vorlegen zu können, weil dieses Mandat so schwierig ist.
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– Die schlechteste Variante ist, dass Sie überhaupt in dieses Haus gewählt wurden.
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Aber damit müssen wir leider leben.
Dem Kollegen Wadephul möchte ich entgegnen:
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Ich weiß, es ist ein sehr, sehr schwerer Prozess, in der Opposition seine Rolle zu finden. Ich bin sehr dankbar, dass die Union auch heute diesem Mandat zustimmt und dass wir in vielen, vielen Aspekten, die wir momentan behandeln müssen, auch im Auswärtigen, kooperieren und zu gemeinsamen Lösungen kommen,
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siehe der Ukraineantrag, siehe die Mandate, die unsere Bundeswehr betreffen.
Uns ist gerade die Sicherheit der Soldaten wichtig. Wir wissen, was dort unten passiert. Deswegen haben wir alle Möglichkeiten in diesem Mandat angelegt, dass wir auch einen Rückzug beordern können. Wir haben der Bundesregierung die Möglichkeit dazu gegeben, je nachdem, wie sich die Lage für unsere Soldatinnen und Soldaten in Mali entwickelt. Das ist der Grund, warum das Mandat so angelegt ist.
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Sie wissen auch, dass unserer Bundeswehr gewisse Komponenten fehlen, dass sie die derzeit nicht in ausreichender Menge zur Verfügung hat, etwa Kampfhubschrauber. Wir haben davon mehr – das ist bekannt –, nämlich über 50
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– danke, Herr Brandner, für den Zwischenruf; ich weiß es selber –; aber es sind momentan nur 9 einsatzfähig. Ich meine, ich muss zur Kenntnis nehmen, dass 16 Jahre lang die Verantwortung für die Bundeswehr leider bei der Union lag. Das ist halt nun mal ein historischer und politischer Fakt.
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Wir müssen uns jetzt damit beschäftigen, das alles zum Fliegen zu bringen, so wie es der Bundeskanzler auch gesagt hat. Wir müssen die Sachen zum Schwimmen bringen, wir müssen die Sachen zum Fliegen bringen, wir brauchen Munition. Das muss ausgerechnet eine Koalition machen, in der die Grünen mit ihrem großen Friedensanteil dabei sind und die SPD.
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– Ihr habt das nicht hinbekommen. – Wir als FDP unterstützen das natürlich. Deswegen brauchen wir auch die Zustimmung von euch für die 100 Milliarden Euro. Welche Überraschung!
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Deswegen: Die ganzen politischen Diskussionen können wir uns hier im Hause schenken, wenn wir uns nicht den Realitäten stellen. Die Realität ist, dass wir an der Ostflanke einen Aggressor haben, wie es heutzutage so schön neudeutsch wieder heißt. Um diesem etwas entgegenzusetzen, dafür müssen wir gemeinsam streiten und die Kommentare einmal weglassen. Ich freue mich schon auf die Rede, die gleich kommen wird. Ich hoffe, dass der Kollege von der SPD das dann entsprechend verfrühstücken können wird.
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Wir diskutieren hier heute MINUSMA als den bis vor Kurzem wichtigsten Einsatz der deutschen Bundeswehr im Ausland. In Mali sind nicht nur „Wagner“-Söldner aus Russland, sondern da sind auch offizielle russische Truppen. Hätten wir deswegen aber jetzt gesagt: „Wir gehen dort raus“, dann hätte Russland ohne Probleme immer mal wieder 100, 200, 300 Soldaten in irgendwelche Krisengebiete entsenden können. Daraufhin hätte sich der Westen seiner Verantwortung entzogen. Das dürfen wir nicht machen.
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Damit das auch mal hier im Hause gesagt wird: Neben den Franzosen, die Probleme mit der malischen Regierung haben – die malische Regierung ist wahrlich nicht einfach; ich war dabei, als die Außenministerin mit dem Präsidenten Goϊta diskutiert und gesprochen hat –, sind wir ja nicht das einzige Land auf Gottes Erdball, wie man nach den Ausführungen in diesem Haus manchmal meinen könnte, das dort Truppen stellt. Dort gibt es viele kleinere Truppensteller, die sich an diesem Mandat beteiligen und die sich auf uns verlassen. Dazu gehören unter anderem Belgien, Estland, Litauen, die Niederlande als unsere europäischen Partner vor Ort, aber auch große Truppensteller wie Bangladesch, Burkina Faso, Niger, Senegal, Togo und die Elfenbeinküste – multinational. Und sie alle verlassen sich auf das großartige deutsche Kontingent, auf unsere Fähigkeiten, die wir dort unten bereitstellen, und darauf, dass wir mit ihnen zusammen für Sicherheit sorgen.
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Ich habe in der letzten Debatte schon gesagt, dass sich in Gao mittlerweile über 30 000 Menschen mehr befinden als zu Beginn des Konfliktes. Diese Menschen vertrauen darauf, dass wir dort präsent sind.
Wenn es am Ende des Tages aber nicht mehr funktionieren sollte und die Grundlagen für die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten nicht gewährt sind, dann hat die Bundesregierung mit diesem Mandat die Möglichkeit, abzuziehen. Gleichzeitig haben wir in das Mandat geschrieben, dass der Bundestag von der Bundesregierung jederzeit einen Bericht bekommt, wenn wir das wünschen. Neben der Evaluierung haben wir also auch noch eine weitere Komponente: die Berichte für uns Parlamentarier. Deswegen bitte ich um Zustimmung. Ein besseres und diversifizierteres Mandat wurde diesem Haus lange nicht mehr vorgelegt.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Ali Al-Dailami.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit 2013 ist die Bundeswehr im Rahmen des Einsatzes MINUSMA in Mali. Gegenwärtig sind knapp über 1 000 Soldatinnen und Soldaten vor Ort. Und heute, nach neun Jahren, kann man feststellen: Dieser Einsatz ist krachend gescheitert. So gut wie keines der verkündeten Ziele wurde erreicht. Schlimmer noch, die Lage, nicht nur in Mali, sondern in der gesamten Sahelzone, ist völlig eskaliert. Diese Mission entwickelt sich immer mehr zu einem Kriegseinsatz mit undurchsichtigen Folgen. Für diese Folgen tragen auch Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, die Mitverantwortung.
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Bisher sind 272 UN-Soldaten bei diesem Einsatz ums Leben gekommen. Es ist somit einer der verlustreichsten UN-Einsätze seit dem Koreakrieg in den 1950er-Jahren. Seit Beginn dieses Einsatzes sind Tausende Menschen getötet und Millionen vertrieben worden.
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Gleichzeitig haben sich die Anschläge terroristischer Gruppierungen mehr als vervierfacht. Doch anstatt sich das Scheitern einzugestehen und die Soldatinnen und Soldaten endlich nach Hause zu holen, wollen Sie weitere 300 in das Pulverfass Mali entsenden. Ich sage Ihnen: Das ist nichts anderes als die Fortsetzung des bisherigen Scheiterns mit Ansage. Das ist verantwortungslos, und daran werden wir uns nicht beteiligen, meine Damen und Herren.
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Wenn man sich Ihren Antragstext mal so durchliest, dann findet man, dass da unter anderem als Auftrag für diesen Einsatz unter Punkt 3 steht – ich darf zitieren –:
a) Unterstützung für die Umsetzung des Abkommens für Frieden und Aussöhnung in Mali;
b) Unterstützung bei der Wiederherstellung der staatlichen Autorität …
Das ist deshalb erwähnenswert, weil es sich hier – das wurde schon erwähnt – um das Friedensabkommen von Algier aus dem Jahre 2015 zwischen der damaligen malischen Regierung und zweier Rebellengruppen handelt. Ganze sechsmal berufen Sie sich heute in Ihren Anträgen auf genau diesen Friedensschluss. Das Problem ist nur: Dieses Abkommen hat mittlerweile jegliche Grundlage verloren; denn es gab seitdem zwei Putsche in Mali. Der zweite Unterzeichner dieses Abkommens wurde mittlerweile ermordet. Die dritte Unterstützergruppe will davon gar nichts mehr wissen, paktiert mittlerweile mit der al-Qaida und verdient ihr Geld mit Drogen und Menschenhandel.
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In Anbetracht dieser Fakten reden Sie in Ihrem Antrag auch noch ernsthaft davon, das Friedensabkommen von Algier umsetzen und die staatliche Autorität in Mali wiederherstellen zu wollen. Meine Damen und Herren von der Regierung, das ist an Absurdität und Realitätsfremdheit kaum zu überbieten. Deshalb: Kommen Sie zurück in die Realität! Ziehen Sie die Soldatinnen und Soldaten endlich ab!
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Zuallerletzt. 2,5 Milliarden Euro haben Sie bisher nur für das Militärische dieses Einsatzes regelrecht verpulvert. Sie können sich ja mal fragen, wie viel Leid, Elend und Hunger man mit nur einem Bruchteil dieses Geldes hätte verhindern können.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Florian Hahn.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Richtig ist: Die Sicherheitslage in Mali verschlechtert sich, sie ist prekär. Ende Juni läuft das Mandat der Vereinten Nationen aus, und Kenntnisse über eine substanzielle Verbesserung des VN-Mandats haben wir nicht. Aufgrund des französischen Rückzugs entstehen die bereits genannten Fähigkeitslücken. Nach dem Rückzug weiterer Partner verbleibt Deutschland als einzige größere europäische Nation bei MINUSMA. Eine Perspektive mit klaren Zielen ist weder bei der VN noch bei der Bundesregierung zu sehen; auch die Beiträge von Frau Spellerberg, Herrn Lechte und Herrn Schmid haben dazu nicht wirklich beigetragen.
Das Vakuum, das durch den französischen Abzug entsteht, wird in den umkämpften Gebieten vermutlich schnell durch nichtstaatliche und terroristische Akteure gefüllt werden. Die Bundesregierung konnte uns auch nicht schlüssig darlegen, wie die Terrorbekämpfung zukünftig durchgeführt werden soll. Folglich wird diese gefährliche Mission noch gefährlicher werden. Das Mandat versucht deswegen, Lücken vorrangig durch ein Mehr an Personal zu schließen. Dies generiert aber nicht ein Mehr an Fähigkeiten für die Mission und ist auch nicht ausreichend, um die Sicherheitslage in der Region zu verbessern bzw. die politischen Ziele des Einsatzes tatsächlich zu erreichen.
Ich muss deswegen feststellen: Die Mission definiert keinen Zielzustand, enthält keine realistische Bewertung des Machbaren und vor allem keine Evaluation der Wirksamkeit der Mission und des Bundeswehreinsatzes.
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Der Wirkungsradius der deutschen Soldaten für die zentrale Aufgabe, den Schutz der Zivilbevölkerung, wird entsprechend auf das Umfeld des Camps begrenzt sein. Weiterhin frage ich mich, für wen die Aufklärungsergebnisse wirksam genutzt werden können, wenn keine Wirkmittel mehr da sind und niemand mit diesen Aufklärungsergebnissen im Anschluss arbeitet,
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Aufklärungsergebnisse, für die unsere Soldaten entsprechend ihr Leben riskieren.
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Die Bundesregierung hat sich scheinbar bei den VN und anderen Partnernationen nicht durchsetzen können. Sie ist also nicht in der Lage gewesen, die Relevanz und die Perspektiven gegenüber den Partnern zu erklären. Deswegen stelle ich fest: Das Mandat ist schlecht durch die Bundesregierung vorbereitet und auf den letzten Drücker zusammengestöpselt worden. Die Ausstiegsklausel ist dafür signifikant. Sie ist ein Zeichen für die schlechte Vorbereitung, die eigene Unsicherheit, die fehlenden Perspektiven und Absprachen. Da helfen auch alle anderen Ablenkungsmanöver nicht.
Deswegen fordern wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dass die roten Linien für den Einsatz unserer Soldaten fortlaufend bewertet und dem Parlament berichtet werden. Sollten die Voraussetzungen für einen Einsatz nicht mehr gegeben sein, müssen Konsequenzen gezogen,
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die entsprechenden Szenarien und Planungen vorbereitet werden.
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Das, was Sie, Kolleginnen und Kollegen der AfD, fordern, nämlich von heute auf morgen über 1 000 Bundeswehrsoldatinnen und ‑soldaten einfach so abzuziehen, ist völlig unverantwortlich,
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das wäre mit größter Gefahr für dieselben verbunden, und das wäre im Übrigen auch mit Blick auf die sechs Nationen, die sich dort auf uns verlassen, unverantwortlich.
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Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, stimmen nur mit größten Bauchschmerzen zu. Wir tragen das Mandat nur mit, weil wir Verantwortung für diese Region haben
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und, noch viel mehr, weil wir es unseren Soldatinnen und Soldaten schuldig sind, sie bei dieser immer schwieriger werdenden Mission zu unterstützen. Das geschieht zum Schutze, um den geordneten Rückbau zu ermöglichen
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und der Truppe dabei den verdienten breiten parlamentarischen Rückhalt zu geben.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Christoph Schmid.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie es mich gleich zu Beginn sehr deutlich machen: Ja, wir als Abgeordnete tragen eine hohe Verantwortung für das Wohl unserer Soldatinnen und Soldaten, denen ich an dieser Stelle für ihren Einsatz sehr herzlich danke.
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Und vielen Dank an den Kollegen Lechte für die Geduld als Nachhilfelehrer für die rechte Seite des Hauses. Ich dachte, ich müsste das für die linke Seite übernehmen; jetzt muss ich es für Herrn Hahn auch noch ein bisschen übernehmen.
Herr Hahn, es ist ein UN-Mandat, und wir bewegen uns in einem internationalen Rahmen. Und wenn Sie genau aufgepasst hätten, dann wüssten Sie: Das steht entweder im Mandatstext oder im Koalitionsvertrag, wo wir uns die Evaluierung vorgenommen haben. Wir gehen mit dieser Verantwortung sehr, sehr vernünftig um.
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Deshalb danke ich ausdrücklich auch der Bundesregierung dafür, dass alle Anregungen aus den intensiven Beratungen der letzten Wochen und Monate in diesen Mandatstext jetzt mit eingeflossen sind,
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über den wir heute abstimmen. Dadurch findet nämlich auch der Schutz der Soldatinnen und Soldaten die erforderliche Berücksichtigung.
Wie bereits erwähnt, die Mission MINUSMA hat mehrere Säulen.
Es soll der Friedensvertrag von Algier gesichert werden. Dieser Frieden war und ist brüchig, ja, und dennoch ist dieser Friedensvertrag das grundsätzliche Gerüst für ein friedliches Zusammenleben. Es ist besser, einen brüchigen Frieden zu schützen, als einen heißen Krieg zu riskieren.
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Zweitens soll mit MINUSMA die Zivilbevölkerung geschützt werden. Leib und Leben von Kindern, Frauen und Männern zu schützen und durch Präsenz von internationalen Kräften ein Leben ohne Angst zu ermöglichen, das ist doch ein sich selbst erklärendes Ziel. Die meisten von uns wissen nicht aus eigener Erfahrung, wie es ist, in einem unsicheren Krisengebiet leben zu müssen. Wir leben in Sicherheit. Was wir aber tun können, ja tun müssen, ist, den Menschen in der Sahelzone etwas mehr Sicherheit und Angstfreiheit zu garantieren. Die internationale Präsenz im Land wird von der lokalen Bevölkerung sehr begrüßt. MINUSMA genießt hohe Zustimmung in den Regionen, in denen die Mission aktiv ist.
Drittens. Ja, MINUSMA – und das wurde auch schon erwähnt – ist auch ein Garant für die Absicherung der Entwicklungszusammenarbeit und damit für die Zukunft im Sahel. Wir wissen alle, dass die Menschen eine Zukunftsperspektive brauchen. Deutschland ist ein willkommener und zuverlässiger Partner. Das Haus von Ministerin Svenja Schulze koordiniert in Mali zahlreiche wichtige Initiativen. Und viele dieser Initiativen, ja, viele wichtige Projekte sind ohne ein Mindestmaß an Sicherheit – und das hat Frau Spellerberg erwähnt – einfach nicht durchführbar. Mit unserer zugesagten Beteiligung an MINUSMA sorgen wir dafür, dass diese wertvollen Projekte weitergeführt werden.
({4})
Wir zeigen aber auch der Weltgemeinschaft, dass Deutschland bereit ist, Verantwortung im Rahmen der VN zu übernehmen.
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Und hier nun die gewünschte Ansage an die ganz linke Seite des Hauses: Internationale Verantwortung bedeutet eben nicht, dass man der UNO einen Kriegseinsatz unterstellt.
({6})
Mit der Anhebung der Personalobergrenze unterstützen wir den Ausgleich bisher von Frankreich übernommener Fähigkeiten, vor allem im Bereich der sanitätsdienstlichen Einrichtungen. Das, Herr Al-Dailami, nennen Sie kriegerisch? In welcher Welt leben Sie denn? Finden Sie wirklich, dass das die Realität ist?
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Ich bin froh, dass meine Realität anders aussieht.
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Aber wir formulieren im Sinne unserer Soldatinnen und Soldaten auch Bedingungen an die VN; und diese Ausstiegsklausel wurde bereits mehrfach erwähnt. Damit auch die Bürgerinnen und Bürger wissen, worüber wir sprechen, darf ich kurz zitieren:
Sofern während des Mandatszeitraums ein ausreichendes … Schutzniveau für deutsche Soldatinnen und Soldaten nicht mehr gewährleistet werden kann, sind Maßnahmen zur Anpassung des deutschen Beitrags einzuleiten bis hin zur Beendigung des Einsatzes. Dies betrifft insbesondere die fortgesetzte Verfügbarkeit von Luftnahunterstützung nach dem Abzug der französischen Kampfhubschrauber.
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Ich bin der Verteidigungsministerin Christine Lambrecht sehr dankbar, dass sie im Ausschuss noch einmal sehr klar dargestellt hat, wie wichtig auch ihr dieser Punkt ist.
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Sie hat in vielen Gesprächen bis zuletzt versucht, eine Lösung mit anderen Nationen zu finden, und wird sich dort auch weiter einbringen.
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Aber – und das sollten auch die Kollegen von der Union wissen – die Sicherstellung des Anteils der Luftnahunterstützung an der Mission ist nicht die originäre Aufgabe der deutschen Verteidigungsministerin, sondern die Aufgabe der Vereinten Nationen.
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Wir zeigen den Vereinten Nationen, dass wir zur Verantwortungsübernahme bereit sind. Aber wir ziehen zum Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten auch eine klare Grenze. Wir formulieren einen klaren Arbeitsauftrag an die UNO. Ich gehe davon aus, Herr Dr. Wadephul, dass wir uns da einig sind. Sie haben über die UNO gesprochen. Die UNO ist bestimmt nicht perfekt. Aber sie ist das beste Mittel zur multinationalen Konfliktbeilegung, das wir haben,
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und es liegt an den einzelnen Nationen, die UNO zu verbessern.
Lassen Sie uns durch die Zustimmung zum veränderten Mandat MINUSMA signalisieren, dass Deutschland bereit ist, seinen Teil zur Stärkung der internationalen Zusammenarbeit beizutragen.
Herzlichen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder Mensch will und soll sich sicher im Alltag bewegen und sich dabei auf Sicherheitskräfte verlassen können. Deshalb ist ja auch die Idee grundsätzlich richtig, gerade in kaum funktionierenden Staaten kluge Sicherheitssektorreformen auf den Weg zu bringen. Das war auch der Hintergrund der 2013 begonnenen europäischen Ausbildungsmission für das malische Militär.
Eine Sicherheitssektorreform muss aber immer mehr sein als nur Training von Polizei oder Militär. Good Governance, Rechtsstaatlichkeit und politische Kontrolle gehören zwingend dazu.
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Jahrelang ist hier leider zu wenig passiert. Stattdessen hat die korrupte Vorgängerregierung in Mali das Vertrauen der Menschen verspielt. Aus der immer größer gewordenen Unzufriedenheit ist dann die Militärjunta über einen Putsch an die Macht gekommen, hat Wahlen abgesagt und denkt trotz zahlreicher Verhandlungen, Drohungen und Sanktionen nicht daran, sich an den vereinbarten Übergangsfahrplan zur Demokratie zu halten. Gleichzeitig arbeitet sie mit russischen Söldnern und Truppen zusammen, die sicher nicht in erster Linie Menschenrechte, Frieden und Sicherheit für die Menschen in Mali zum Ziel haben.
Ende März kam es in der Kleinstadt Moura in der südlichen Region Mopti zu einem Massaker unter Beteiligung malischer und wahrscheinlich auch russischer Truppen. Die Vereinten Nationen sprechen von 500 Toten, die meisten Zivilistinnen und Zivilisten. Bis jetzt erhalten UN‑Ermittler/-innen keinen Zugang zu Moura. Das ist völlig inakzeptabel. Die Vorfälle müssen schonungslos aufgeklärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden!
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Die Präsenz russischer Söldner ist offensichtlich Teil einer russischen Strategie, den eigenen Einfluss in Afrika auszuweiten. So kann unsere Schlussfolgerung aber doch nicht sein, dass wir einfach abhauen, wenn irgendwo ein russischer Söldner auftaucht. Aber eine Militärjunta, die so eng mit russischen Truppen und Söldnern kooperiert, Reformen verweigert und immer wieder Menschenrechte missachtet und damit die Grundlage unserer Kooperation der letzten Jahre de facto komplett infrage stellt, die können, werden und dürfen wir nicht weiter unterstützen.
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Deshalb wird mit diesem Mandat die Ausbildung beendet; eine Fortsetzung wäre unverantwortbar.
Gleichzeitig werden wir den Druck auf die malische Militärjunta weiter hoch halten, den vereinbarten Friedensprozess fortzusetzen und endlich Fortschritte auf dem Weg zur Demokratie zu machen. Auch zu diesem Zweck und um ein Lagebild vor Ort zu erhalten, bleiben ein paar wenige Soldatinnen und Soldaten in Bamako.
Der Tschad taucht im Mandats- und Operationsgebiet nicht mehr auf, im Gegensatz zu den vergangenen Jahren. Das ist ein Land, in dem die Menschenrechtssituation furchtbar ist und das von der Demokratie noch deutlich weiter entfernt ist als Mali.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ganz anders zu bewerten ist unser Engagement in Niger, wo wir nicht nur die Ausbildung der Spezialkräfte wie geplant fortsetzen und in den nächsten Monaten abschließen werden. Vielmehr wollen wir im Anschluss weiter miteinander darüber beraten, welche Bedarfe sie selbst sehen und wie wir sie dabei unterstützen können.
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Hier wird noch einmal deutlich: Ausbildung ist eben nicht gleich Ausbildung. So richtig es ist, den Tschad auszuschließen und die Ausbildung des malischen Militärs umgehend zu stoppen, so richtig ist es, für eine echte und effektive Sicherheitssektorreform in Niger weiterzumachen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade die Stimmen, die auch in der Vergangenheit berechtigterweise auf die Schwächen der Missionen in Mali hingewiesen haben, warnen uns heute vor einem vollständigen Abzug. Vielmehr müssen wir jetzt endlich die Gelegenheit ergreifen und auch aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Mali ist ja eines der ärmsten Länder der Welt. Wie viele andere in der Sahelzone leidet es besonders unter den Auswirkungen der Klimakatastrophe und erlebt seit Jahren eine ständige Sicherheitskrise. Da spielt die Zivilgesellschaft eine extrem wichtige Rolle. Gerade Frauen und junge Menschen stehen dort mutig für Wandel ein. Wir müssen sie stärker unterstützen.
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Wir müssen in Zukunft auch gerade auf die lokale Ebene schauen, um zu sehen, wo es Perspektiven und Potenziale gibt, die wir zu wenig sehen, und wo es Verhandlungsansätze gibt, die wir deutlich stärker unterstützen müssen. Auch aus diesen Gründen haben wir vorhin in der Debatte darum geworben, die Mission der Vereinten Nationen nicht nur nicht zu beenden, sondern sogar leicht zu verstärken. Das ist auch hier im Gesamtansatz ein sehr wichtiger Beitrag.
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Mein großer Dank gilt den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und den vielen zivilen Expertinnen und Experten, die sich in Mali unter sehr schwierigen Bedingungen für eine bessere Zukunft des Landes einsetzen. Aber auch ihnen sind wir es schuldig, dass wir die Mandate kritisch und schonungslos auf den Prüfstand stellen. Vielen geht ja in der Mali-Debatte aus meiner Sicht der Afghanistan-Vergleich viel zu leicht über die Lippen. Ich denke immer auch sehr viel über das Ende von Mandaten nach – seit dem Abzug aus Afghanistan noch mehr –: Wann ist ein Einsatz eigentlich endgültig gescheitert? Wann ist es besser, abzuziehen statt zu bleiben? Wie geht denn ein verantwortungsvoller Abzug, und welche Folgen entstehen aus dem Vakuum, das wir hinterlassen?
Als Koalition müssen wir in Mandaten auf diese schwierigen Fragen Antworten geben. Wir dürfen die Dilemmata nicht ignorieren oder klein- und schönreden, wie das in der Vergangenheit immer wieder passiert ist, sondern wir müssen die Schwierigkeiten und Spannungsfelder benennen und beantworten. Eine wertegeleitete und aktive Außenpolitik wurschtelt sich nicht irgendwie durch und wartet ab, was andere machen, um dann halbherzig mit dabei zu sein, sondern sie verlangt, dass man gemeinsam und proaktiv mit unseren Partnern vorangeht, Entscheidungen trifft und sie transparent kommuniziert.
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Deshalb passen wir unser Engagement der veränderten Realität in Mali an und übernehmen auch weiter Verantwortung in der Sahelregion. Wir überlassen Russland nicht das Feld, aber senden eine klare Antwort auf die Präsenz russischer Söldner. Wir beenden in weiten Teilen die Zusammenarbeit mit der Militärjunta, aber verstärken unsere Unterstützung für die Zivilgesellschaft und die Vereinten Nationen. Für diesen Vorschlag werbe ich um Ihre Unterstützung und damit für die Zustimmung zum Mandat.
Vielen Dank.
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Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Annette Widmann-Mauz.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie es mich gleich zu Beginn ganz deutlich sagen: Wir können mit der Situation in Mali und im Sahel nicht zufrieden sein. Die Entscheidung, die wir heute zu treffen haben, ist deshalb schwierig, und sie ist komplex. Wir als Union machen sie uns deshalb auch nicht leicht.
Nach dem erneuten Militärputsch im Mai letzten Jahres ist eine schnelle Rückkehr zu Demokratie und Verfassung in Mali nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil: Die malische Regierung verschleppt den Übergang zu einer durch Wahlen legitimierten Regierung. Sie arbeitet mit Russland und den sogenannten „Wagner“-Söldnern zusammen, die im Verdacht stehen – wir haben es gehört –, für schwerste Menschenrechtsverletzungen in Moura verantwortlich zu sein.
Die Übergangsregierung blockiert deren Aufklärung. Sie behindert die Arbeit der internationalen Missionen vor Ort, indem sie zum Beispiel westlichen Truppenstellern willkürlich Flugrechte zur Aufklärung, Überwachung und Versorgung verweigert.
Schließlich erklärte das Regime von Übergangspräsident Goïta erst vor wenigen Tagen den Austritt Malis aus der Gruppe der G‑5-Sahelstaaten und bezichtigt jetzt den Westen, an einem mutmaßlichen Militärputsch beteiligt gewesen zu sein.
Mali geht seit geraumer Zeit einen eigenen Weg. Das Regime definiert seine Allianzen neu und geht immer mehr in Konfrontation zu Frankreich und zum Westen.
Während der gemeinsamen Reise mit der Bundesaußenministerin und ihrem Gespräch mit Goïta wurde klar, dass Mali sich in Sachen Sicherheit auf Russland stützt und auch dessen völkerrechtswidriger Angriff auf die Ukraine und der verbrecherische Krieg Putins es davon nicht abhalten. Malis Enthaltung bei der Abstimmung in der VN-Generalversammlung unterstreicht einmal mehr diese Haltung.
Es sind also berechtigte Zweifel angebracht, ob es in Mali noch eine gemeinsame Grundlage und ein geteiltes Verständnis für die Zusammenarbeit mit der EU und mit uns gibt. Deshalb ist es folgerichtig, ja, es ist konsequent, unser militärisches Engagement für Mali unter Vorbehalt zu stellen. Das heißt: Die Tür wird nicht endgültig zugeschlagen. Denn das würde erstens nur Russland in die Hände spielen, das unsere westlichen Werte dort diskreditiert und das Vakuum schwacher und korrupter Staaten ausnutzt, um seine strategische Einflusssphäre in Afrika zu vergrößern. Und zweitens würde es den Systemwettbewerb auf dem afrikanischen Kontinent weiter anheizen und eine Spaltung in prowestliche, prorussische oder prochinesische Staaten befördern. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das kann eindeutig nicht in unserem Interesse sein.
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Auf der anderen Seite bleibt mit dem Vorbehalt aber auch eine Perspektive offen, allerdings unter klaren Voraussetzungen: Unsere Bundeswehr kann und darf keine Sicherheitskräfte ausbilden, die gleichzeitig an schlimmsten Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind.
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Genauso konsequent ist es daher, jetzt den Schwerpunkt der militärischen Ausbildungsmission EUTM Mali bis auf Weiteres in das Nachbarland Niger zu verlagern. Niger hat sich nämlich als verlässlicher Partner für Deutschland erwiesen und wird als Stabilitätsanker für die ganze Region gebraucht. Denn bei unserem militärischen Engagement im Sahel geht es zunächst um Sicherheit. Es geht aber vor allem auch darum, die Grundvoraussetzung für Staatlichkeit zu schaffen und das Vertrauen der Menschen in die staatliche Ordnung zu stärken. Dafür steht der vernetzte Ansatz, den Deutschland vor Ort verfolgt und der neben Sicherheit auch Stabilisierung und Entwicklung zum Ziel hat. Das erwarten die Menschen zu Recht – seien es die beeindruckenden jungen Unternehmerinnen, die wir in Bamako getroffen haben, die Studierenden an der Universität in Niamey oder die Menschen in Gao und Ouallam, die sich ein Leben ohne Angst vor Gewalt und mit Perspektiven wünschen.
Für sie setzen sich unsere Soldatinnen und Soldaten im Rahmen von MINUSMA und EUTM Mali unter sehr gefährlichen Bedingungen ein. Sie tragen mit ihrem wichtigen Dienst dazu bei, Failing States zu verhindern und Ursachen für Flucht und Vertreibung zu bekämpfen.
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Ihnen und – das will ich ganz ausdrücklich sagen – auch den Polizistinnen und Polizisten in den zivilen EUCAP-Missionen möchte ich für diese schwierige, aber vor allen Dingen hervorragende Arbeit danken.
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Mit der deutschen Spezialkräfteoperation Gazelle hat die Bundeswehr im Rahmen von EUTM einen maßgeblichen Anteil am Aufbau und der Ausbildung der nigrischen Spezialkräfte. Die neue Spezialkräfteschule in Tillia ist Ausdruck dieser erfolgreichen Zusammenarbeit. Wir konnten vor Ort selbst erleben, welch hohe Wertschätzung unser deutsches Engagement dort genießt. Meine Damen, meine Herren, das hat auch Gründe:
Die deutsche Führungs- und Sicherheitskultur bindet die Kräfte vor Ort aktiv ein. Dabei hat die Arbeit mit dem geschlossenen, nationalen Verband enorm geholfen.
Und unser Engagement bei Ausbildung und Training agiert auf Augenhöhe, ist gemeinsam mit den Partnern vor Ort konzipiert und eng an ihren Bedarfen ausgerichtet.
Darauf können wir aufbauen.
Obwohl die nigrischen Sicherheitskräfte enorm von der internationalen Ausbildungs- und Ausrüstungsunterstützung profitiert haben, sind sie der zunehmenden terroristischen Bedrohung alleine weder quantitativ noch qualitativ gewachsen. Gerade einmal acht Sicherheitskräfte kommen auf 1 000 Quadratkilometer Land. Die Regierung hat es sich zum Ziel gesetzt, diese Zahl bis 2025 zu verdoppeln – ein minimaler Aufwuchs, für Niger aber eine enorm große Kraftanstrengung. Dabei sollten wir das Land nach besten Kräften unterstützen.
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Unser Engagement in Niger ist daher auch nach Beendigung der Operation Gazelle eine gute Investition in die Sicherheit und in die Zukunft des Landes und der gesamten Sahelregion. Aus diesem Grund wird die Union der Verlängerung des Mandats und der Reduzierung der Soldatenobergrenze für Mali zustimmen.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Frank Schwabe.
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Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Viele Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag hatten ja die Gelegenheit, mal in Mali oder in Niger gewesen zu sein und sich die Lage vor Ort anzugucken. Wer das nicht konnte, dem empfehle ich den preisgekrönten Film „Timbuktu“ von 2014, der noch mal deutlich macht, welche Hoffnungen die Menschen in der Region haben, welchen Bedrückungen sie ausgesetzt sind, wie dramatisch die Lage für viele Menschen in Mali ist, stellvertretend für die gesamte Region des Sahel. Das macht deutlich, wie dringend notwendig es ist, dass wir uns dort entsprechend engagieren.
Viele halten dem das Beispiel Afghanistan entgegen und sagen: Da hat es auch nicht funktioniert, daher kann es da jetzt auch nicht klappen. – Ich finde, so können wir nicht denken, sondern wir haben die Verantwortung, in jedem Einzelfall – Afghanistan werden wir aufarbeiten und diskutieren – darüber nachzudenken: Was können wir aus Deutschland im Gleichklang mit den Vereinten Nationen tun, um in schwierigen Teilen dieser Welt stabilisierend zu wirken? 2014 – das muss man sich immer klarmachen – standen wir kurz davor, dass Dschihadisten die Macht in Mali komplett hätten übernehmen können. Das war der Moment, wo Frankreich mit Kampftruppen reingegangen ist, wo MINUSMA kreiert wurde und wo am Ende auch die Ausbildungsmission EUTM Mali, über die wir jetzt hier reden, ins Leben gerufen wurde.
Wir reden über eine Region von großer Instabilität. Mittlerweile werden drei der fünf Länder des Sahel von einer Putschregierung geführt. Deswegen ist es eine schmale Gratwanderung, einerseits alles zu tun, was wir tun können, damit die Region nicht weiter im Chaos versinkt. Aber gleichzeitig wollen wir natürlich keine Putschregierung unterstützen. Das ist die schmale Gratwanderung, die auch für dieses EUTM-Mandat gilt. Auf der einen Seite wollen wir dableiben und weiter ausbilden. Aber wir wollen auf der anderen Seite nicht Soldatinnen und Soldaten einer Putschregierung ausbilden. Deswegen die Fokussierung und die Konzentration auf Niger und deswegen auch die Mandatsreduzierung von 600 auf 300 Soldatinnen und Soldaten.
In den letzten Tagen bin ich am Sitzungssaal des Verteidigungsausschusses vorbeigelaufen. Da gibt es diesen Gedenkort für die Soldatinnen und Soldaten. Wenn man sich mal ein paar Minuten Zeit nimmt und guckt, dann sieht man, wie viele Soldatinnen und Soldaten aus Deutschland in Mali gefallen sind. Deswegen ist es notwendig, dass wir um dieses Mandat heftig ringen, und deswegen, Herr Wadephul, habe ich nicht verstanden – Sie werden es selber vielleicht gar nicht wissen; aber es ist eigentlich ein bisschen unter Ihrem Anspruch –, dass Sie an dieser Stelle eine Verquickung mit einer Kritik an der Verteidigungsministerin vornehmen.
Natürlich ist es unsere Verantwortung, bei jedem Mandat immer darüber nachzudenken: Ist es verantwortlich für die Soldatinnen und Soldaten aus Deutschland? Können wir das Risiko, dem sie ausgesetzt sind, jedenfalls so einschränken, dass wir dieses Mandat verantworten können? Deswegen ist es natürlich richtig, dass die Verteidigungsministerin und wir alle gemeinsam in diesem Haus darüber nachdenken: Was sind die Voraussetzungen für solche Militäreinsätze? Und wenn sie nicht gegeben sind, dann werden wir diesen Militäreinsatz auch beenden müssen.
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Aber wir halten ihn für notwendig. Deswegen müssen wir den Soldatinnen und Soldaten erklären, dass wir glauben, dass wir unseren Beitrag leisten müssen, damit die Region nicht weiter im Chaos versinkt – nicht Niger, nicht die anderen Länder des Sahel, wo islamistische Gruppen ihr Unwesen treiben, wo kriminelle Banden herrschen, wobei Niger als Transitland für Waffen, Drogen und Menschenschmuggel gilt, wo es auch ein rasantes Bevölkerungswachstum, Knappheit an Ressourcen und Ernährungsunsicherheit gibt. Deswegen – und das würde ich für uns reklamieren, für die Kolleginnen und Kollegen der Koalition – ist es so, dass wir einen integrierten Ansatz fahren wollen, dass wir das, was Entwicklungszusammenarbeit ausmacht, mit dem, was wir an sicherheitspolitischen Komponenten leisten können, verbinden wollen.
Wir leisten eine umfassende Entwicklungszusammenarbeit im gesamten Sahel. Wir unterstützen Justizreformen, wir unterstützen Korruptionsbekämpfung, wir unterstützen Bemühungen zur Dezentralisierung, zur Effektivierung der Polizei, zur lokalen Konfliktlösung, zur Vergangenheitsbewältigung und zur Extremismusprävention, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Palette könnte man fortführen. Wir sind also tätig. Und damit wir dort tätig sein können, stabilisierend wirken können im Sinne der Entwicklungszusammenarbeit, ist es nötig, auch eine militärische Komponente zu haben. Dazu gehört die Ausbildung der Soldatinnen und Soldaten der Regierungen, die dort demokratisch gebildet werden. Das ist es, was wir mit diesem Mandat EUTM Mali tun.
Ich will noch mal um Unterstützung dafür werben. Es gehören zwei Dinge dazu. Das Erste ist der Selbstschutz, die Fähigkeit zum Selbstschutz der deutschen Soldatinnen und Soldaten. Das Zweite ist, dass wir alles tun und sicherstellen, dass wir keine Putschregierungen unterstützen. Deswegen ist Mali jetzt – jedenfalls mit kleinen Ausnahmen – nicht mit in diesem EUTM-Mandat. Sollte sich das ändern, weil wir hoffentlich wieder eine demokratische Regierung in Mali bekommen, würden wir im Deutschen Bundestag darauf zurückkommen und um eine Mandatsveränderung bitten.
Vielen herzlichen Dank.
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Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, komme ich zurück zu Tagesordnungspunkt 26. Die Zeit für die Abstimmung ist fast vorbei. Ist noch ein Mitglied im Haus, das noch nicht abgestimmt hat?
({0})
– Der Kollege Schwabe.
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– Es ist alles gut. Er hat ja jetzt auch noch Zeit. Wenn er sich ein bisschen schneller bewegt,
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können wir die Abstimmung gleich schließen.
Dann fahren wir jetzt erst mal in der Debatte fort. Als nächster Redner für die AfD-Fraktion spricht Gerold Otten.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Monaten und Jahren hat das Militär in Mali und in anderen westafrikanischen Staaten fünfmal geputscht. Kurz nachdem hier vor einem Jahr das aktuelle Mandat beschlossen wurde, riss im Mai 2021 das Militär in Mali die Macht an sich. Der Transitionsprozess wurde gestoppt, und die Wahlen wurden auf unbestimmte Zeit verschoben. Das Regime Goïta behindert MINUSMA, wo es nur geht, und am vergangenen Sonntag hat Mali auch noch seinen Austritt aus der G 5 Sahel verkündet.
Seit 2012 tobt in dem im Land ein bewaffneter Konflikt, dem bereits mehrere Tausend Soldaten und Zivilisten zum Opfer gefallen sind. Inzwischen sind seit mehreren Monaten auch russische Söldner der sogenannten „Gruppe Wagner“ aktiv. Diese unterstützen das Regime Goïta im Kampf gegen seine Feinde und Islamisten. Dabei gehen sie äußerst gewalttätig und brutal vor. Es kommt bei deren Aktion offenbar immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen. Laut eines Berichts der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sollen malische Streitkräfte gemeinsam mit russischen Söldnern Ende März in der Stadt Moura circa 500 Zivilisten getötet haben, darunter auch einige mutmaßliche Dschihadisten. Das alles führte letztendlich dazu, dass die Ausbildung malischer Einheiten durch EUTM Mali ausgesetzt wurde.
Halten wir also fest: Goïtas Interesse ist einzig und allein die eigene Machtsicherung. Russlands Interesse ist die Schwächung des Westens. Beide verbindet das Interesse am Zurückdrängen des Einflusses Frankreichs und der EU in der Region.
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Was lässt sich daraus also schlussfolgern? Das internationale Krisenmanagement in Mali, der Aufbau eines stabilen, demokratischen, rechtsstaatlichen Systems ist gescheitert, Frau Strack-Zimmermann – gescheitert in Afghanistan und ebenfalls in Mali. Es wird immer scheitern, wenn die Interessen von denen, die helfen, und denen, denen geholfen wird, nicht übereinstimmen.
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Es scheitert aber auch, weil Sie, meine Damen und Herren, Interessen mit Illusionen verwechseln, beispielsweise wenn Sie versuchen, in Stammeskulturen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu etablieren. Solange Sie unsere nationalen Interessen als Teil dieser Illusion betrachten, werden Sie ein ums andere Mal an der Realität scheitern.
Wenn ich von Interessen spreche, denke ich nicht an die schwammigen Leitlinien der Bundesregierung und nichtssagende Phrasen wie „Krisen verhindern“, „Konflikte bewältigen“, „Frieden fördern“ oder inhaltsleere Floskeln wie die Rede von einem „zivilen Schub“. Es geht um präzise Aufträge, die unter dem richtigen Ansatz von Mittel und Methode erreichbar sind.
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Letztendlich sind Sie es, meine Damen und Herren, die unsere Soldaten in den vergangenen Jahren wiederholt in Auslandseinsätze geschickt haben, bei denen eingesetzte Mittel und Methoden eben nicht geeignet waren, Ihren Illusionen auch nur ein Stück näher zu kommen.
({3})
Bei EUTM Mali kommt nun auch noch die räumliche Entgrenzung dazu. Mit einem Einsatzgebiet von Mali, Mauretanien, Burkina Faso und Niger – ein Gebiet mehr als zehnmal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland – ist die Trainingsmission zu einem Sammelmandat für unterschiedliche Aufgaben unserer Soldaten geworden. Das ist im Einzelnen vielleicht noch sinnvoll, im Zusammenspiel aber keineswegs zielführend. Diese Feststellung fällt mir umso schwerer, weil dadurch die bewiesene Einsatzbereitschaft, der Mut und die Opferbereitschaft unserer Soldaten letztendlich vergeblich sind.
Ich möchte aber auch den persönlichen Einsatz unserer Soldaten bei EUTM Mali hervorheben. Weit entfernt von zu Hause und den Familien, in einem klimatisch extremen Umfeld und in einer militärisch unsicheren Region erfüllen sie dort mit großem Engagement den von Ihnen und diesem Parlament übertragenen Auftrag. Dafür haben sie unseren Respekt verdient.
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Meine Damen und Herren, es muss aber endlich Schluss sein mit Auslandseinsätzen, in denen es letztendlich nur darum geht, irgendwie dabei zu sein und einer vorgeblichen internationalen Verpflichtung oder Verantwortung Deutschlands gerecht zu werden. Das vorliegende Mandat lehnen wir deshalb ab.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ich komme noch einmal zurück zu Tagesordnungspunkt 26. Ich gehe jetzt davon aus – Herr Schwabe ist wieder anwesend –, dass alle inzwischen abgestimmt haben. – Das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis werde ich Ihnen dann später bekannt geben.
Nächste Rednerin für die FDP-Fraktion ist Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben 2013 das erste Mal deutsche Soldatinnen und Soldaten nach Mali entsandt, und Ziel war und ist es seitdem, Mali und seine Partner in der Sahelregion im Kampf gegen den Terrorismus zu unterstützen. Zum einen verstärken wir, wie gerade gesagt wurde, mit über 1 200 Soldatinnen und Soldaten die Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen, zum anderen haben wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnern malische und nigerianische Streitkräfte ausgebildet.
Zu internationalen Einsätzen, an denen die Bundeswehr beteiligt ist, hört man öfter süffisant hinter vorgehaltener Hand: Na ja, die anderen kämpfen, wir bilden aus. – Meine Damen und Herren, das ist eine Aufgabenteilung, die sinnvoll ist, solange unsere Ausbildung fruchtet und die so ausgebildeten Soldatinnen und Soldaten befähigt werden, das Gelernte anzuwenden und es auf Dauer auch weiterzuvermitteln: Train the Trainer.
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Aber die Erfahrung lehrt uns, dass Ausbildungseinsätze der Bundeswehr so gut wie immer mit einem besonderen Problem einhergehen: Wen bilden wir eigentlich aus? Die Soldatinnen und Soldaten als Teil der Streitkräfte entsprechen in vielen Bereichen, milde ausgedrückt, nicht unseren Ansprüchen an eine Armee: Korruption, fehlendes Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. Letztendlich gehen wir auch das Risiko ein, dass die gelernten Fähigkeiten nicht in unserem freiheitlich-demokratischen Sinne eingesetzt werden. Diese Risiken kennen wir, und wir begegnen ihnen aktiv, indem wir gezielt die Vermittlung von Grundwerten in die Ausbildung mit einbauen.
Ja, in Mali gestaltet sich die Situation inzwischen schwierig. Seit dem Putsch vor einem Jahr erleben wir zunehmend Probleme auf Regierungsebene – sie wurden hier genannt –: Die Militärregierung verweigert zeitnahe Neuwahlen; der Transitionsprozess geht nicht voran; es wird auch offen und ohne Hemmungen mit Russland zusammengearbeitet; Überfälle, Massaker, Menschenrechtsverletzungen. Das alles sind natürlich große Probleme, und diese Probleme haben in der Summe eine weitere Ausbildung der malischen Armee schlichtweg unmöglich gemacht.
Ja, es ist ein bitteres Zwischenfazit im zehnten Jahr. Die malische Regierung ist nicht so kooperationsfähig, wie wir das wollen, und die Sicherheitslage wird schlechter. Das Terrorismusproblem wird größer. Das ist unser Dilemma. Das Ziel unseres Einsatzes ist definitiv noch nicht erreicht. Aber ein voreiliger Abzug würde diesen Status zementieren. Wir würden Platz machen für islamische Terroristen.
Meine Damen und Herren, das würde auch uns in Deutschland und Europa unmittelbar betreffen. Wir würden Platz machen für mehr russische Streitkräfte, die sofort das Vakuum füllen würden.
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Ich halte es deswegen für richtig, dass wir zum Schutz der Zivilbevölkerung mit MINUSMA, aber auch mit EUTM Mali vor Ort, im Raum der Sahelstaaten bleiben.
Wir können unseren Einsatz aber nicht bedingungslos um jeden Preis fortsetzen. Die Ampelregierung hat sich dazu bekannt: kein Copy-and-paste mehr wie die Regierung zuvor.
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Wir evaluieren diese Einsätze, und wir hinterfragen sie. Wenn sich die Lage ändert, dann müssen wir auch das Mandat ändern.
Ich danke Ihnen ausdrücklich, Frau Ministerin, dass wir uns vor Ort einen Eindruck machen konnten. Wir beschränken diese Ausbildung auf Niger, um die demokratischen Kräfte der Region weiter zu unterstützen. Und ja, wir halten unsere Tür auch für die malische Regierung geöffnet.
Eins muss aber klar sein: Mali hat nur eine Chance auf eine einigermaßen sichere und stabile Zukunft und darauf, wieder mit den übrigen Staaten der G 5 Sahel zu kooperieren, wenn es auch auf die Forderung der ECOWAS eingeht und die Unterstützung der Europäischen Union auf allen Ebenen wiedererlangt. Der Pfad aus dieser Isolation ist klar: die Achtung und Wahrung der Menschenrechte durch alle staatlichen Akteure. Denn es ist schon ziemlich unerträglich, dass wir, wenn es zu einem Attentat kommt, bei dem wieder Frauen und Kinder ermordet werden, nicht die Chance haben, diese Vorfälle aufzuklären. Diese Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen erwarten wir und auch eine Beendigung der Kooperation mit russischen Truppen. Das weiß auch der malische Verteidigungsminister. Das konnten wir ihm in einem Gespräch, an dem die Ministerin beteiligt war – auch Kollege Otte und ich –, sehr deutlich zu verstehen geben.
Meine Damen und Herren, wir werden dem Mandat zustimmen. Aber lassen Sie mich in den letzten Sekunden meiner Redezeit den Soldatinnen und Soldaten danken, die in Koulikoro über Jahre eine tolle Arbeit geleistet haben, die Menschen ausgebildet und auch Familien begleitet haben, die vor einigen Jahren einem schweren Attentat ausgesetzt waren. Sie sind dort geblieben, um ihren Auftrag zu erfüllen, den wir hier erteilt haben. Dieser Auftrag ist beendet; er wird jetzt ausgesetzt. Unser Dank gilt diesen Soldatinnen und Soldaten von ganzem Herzen.
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Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Kathrin Vogler.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit abenteuerlichen Argumenten begründet die Bundesregierung die Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes im Sahel. Die ehemalige europäische Trainingsmission EUTM Mali heißt jetzt „Fähigkeitsaufbau der Europäischen Union im Sahel mit Schwerpunkt Niger“. Warum? Weil nach Afghanistan nun auch in Mali das Konzept der Ertüchtigung krachend gescheitert ist, wovor Die Linke immer gewarnt hat.
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Die EU verfolgte im Sahel von Beginn an eine postkoloniale Agenda, geprägt von den französischen Interessen am Zugriff auf die Gold- und Uranvorkommen in Mali und Niger. Das sind die westlichen Werte, über die wir hier reden. Während die Bundesregierung bis heute unerschütterlich behauptet, der Militäreinsatz in Mali sei ein wesentlicher Faktor für die Stabilisierung der Sahelregion, stürzt doch in der Realität gerade Ihr ganzes Propaganda-Bierdeckelgebäude mit großem Getöse ein.
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Frankreich zieht Militäreinheiten ab, Mali verlässt das Militärbündnis G 5 Sahel und kooperiert jetzt mit russischen Söldnertruppen. Auch in Burkina Faso ist inzwischen das Militär an der Macht, und der politische und militärische Einfluss Russlands wächst auch dort. In Niger hat das Militär jetzt schon zweimal versucht, die letzte prowestliche Regierung in der Region wegzuputschen. Es kommt täglich zu schweren Menschenrechtsverletzungen, an denen das Militär beteiligt ist.
Sowohl in Niger als auch in Mali zieht die Bevölkerung in Massen auf die Straßen und fordert den Abzug der fremden Truppen. Warum tun die das, wenn es doch so sehr ihrer Sicherheit dient, dass die Bundeswehr in Mali oder in Niger ist?
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Die Gründe dafür erklärt Ihnen ein Vertreter der Zivilgesellschaft in Niger ungefähr so: Die Einsätze der westlichen Streitkräfte in Mali hätten die Lage nicht zum Besseren gewendet,
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und daher gebe es doch keinen Grund, anzunehmen, dass das jetzt in Niger anders sein würde. – Hören Sie doch mal den Leuten zu!
Dazu missbrauchen die EU-Staaten den Sahel seit Jahren für ihre zutiefst menschenverachtende Migrationsabwehr. Niger zum Beispiel ist ein bedeutendes Transitland für reisende Händler ebenso wie für Flüchtende. Die militärische Grenzabschottung durch die EU hat viele Menschen wirtschaftlich schlicht ruiniert – in einem Land, das sowieso das ärmste der Welt ist.
Jeder Zweite lebt unterhalb der Armutsgrenze, und 1,7 Millionen Menschen hungern. Infolge des Klimawandels verschärfen Dürreperioden die Nahrungskrise und schüren Konflikte um Wasser und Land. Von Kabul bis nach Niamey muss es doch inzwischen auch den verbohrtesten Militärbefürwortern klar geworden sein, dass die Ausbildung von Soldaten gerade ein solch krisengeschütteltes Land eben nicht nachhaltig stabilisiert und schon gar nicht demokratisiert.
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Meine Damen und Herren, eine zivile, nichtmilitärische Außenpolitik, die mithilft, Menschen in Krisenregionen die Perspektive für ein auskömmliches Leben zu schaffen und ihre Konflikte friedlich zu lösen, das wäre eine Chance für Sicherheit und Stabilität. Dieser Aufgabe stellt sich die Bundesregierung leider nicht, und das machen wir als Linke nicht mit.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Soldatinnen und Soldaten! Vielleicht ein Satz zu meiner Vorrednerin Frau Vogler: Ohne Sicherheit gibt es keine Entwicklung. Das ist ein Grundsatz, den Sie leider seit Jahren nicht verstehen.
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Die Stabilität in der Sahelregion ist unser ureigenstes Interesse. Rückzugsräume für Terrorgruppen, Organisierte Kriminalität und Menschenschmuggler darf es vor der Haustüre Europas nicht geben.
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Denn Chaos dort bedroht nicht nur die Menschen im Sahel, sondern am Ende auch unsere Sicherheit in Europa. Deshalb ist unser Engagement in dieser Region nach wie vor richtig und wichtig. Und so war natürlich auch der Ansatz richtig, die malischen Streitkräfte durch EUTM Mali zu stärken.
Seit 2013 hat die Bundeswehr einen wertvollen Beitrag für Stabilität und Sicherheit in der Region geleistet. Unsere Soldatinnen und Soldaten haben ihren Auftrag dort professionell und hoch motiviert erfüllt, und dafür verdienen sie unseren Dank und unsere Anerkennung.
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Doch wir können nicht so weitermachen wie bisher; denn es gibt Entwicklungen, die für uns einfach nicht akzeptabel sind. Seit Monaten fordert die internationale Gemeinschaft vom Übergangspräsidenten Go ï ta einen Fahrplan zu demokratischen Wahlen – leider ohne Erfolg. Dann gibt es die offene Kooperation mit Russland, mit „Wagner“-Söldnern, und die Weigerung, massive Menschenrechtsverletzungen wie etwa das Massaker in Moura unter Beteiligung der UN transparent aufzuklären.
Die Bundesaußenministerin hat bei unserem Besuch in Mali diese Dinge beim Gespräch mit dem Übergangspräsidenten Go ï ta unmissverständlich angesprochen; das war auch sehr, sehr wichtig. Aber die Entwicklung ging leider negativ weiter; denn in den letzten Tagen erfolgte dann auch der Ausstieg aus der G‑5-Sahelgruppe. Damit müssen wir feststellen, dass sich die Rahmenbedingungen für das Mandat grundlegend geändert haben. Deshalb ist es nur konsequent, dass die Beteiligung der Bundeswehr an der Ausbildung der malischen Sicherheitskräfte nicht fortgesetzt werden kann.
Trotzdem müssen wir einen Weg finden, wie wir in der Region präsent bleiben. Es ist daher ein richtiger Schritt, den Fokus von Mali auf Niger zu verlagern. Niger hat sich trotz schwierigster wirtschaftlicher Bedingungen in den letzten Jahren zu einem Stabilitätsanker in der Region entwickelt. Die dortige Regierung ist ein verlässlicher Partner und an einer ernsthaften Kooperation interessiert.
Die Operation Gazelle hat sich als erprobtes Konzept für die Ausbildung der nigrischen Sicherheitskräfte erwiesen. Daher unterstütze ich ausdrücklich, dass die Ausbildung dieser Spezialkräfte im Rahmen des EUTM-Mandats fortgesetzt wird. Der Eindruck vor Ort zeigt, dass das wirklich in hoher Professionalität einerseits und andererseits in einem Geiste der Partnerschaft durchgeführt wird. An dieser Stelle auch noch mal herzlichen Dank an die Soldatinnen und Soldaten, die im Rahmen dieser Mission dort im Einsatz sind!
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Die Bundesregierung sollte sich aber Gedanken machen, in welcher Form das Engagement der Bundeswehr in Niger über das Jahresende hinaus fortgesetzt werden kann, wenn die Operation Gazelle beendet wird. Denn das internationale Engagement im Sahel und die Stärkung der Handlungsfähigkeit der G‑5-Sahelstaaten bleibt weiterhin wichtig.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.– Vor einigen Wochen war ich mit der Bundesaußenministerin in der Region. Die Eindrücke haben gezeigt, dass die Region vor enormen weiteren Herausforderungen steht, zum Beispiel mit Blick auf die Nahrungsversorgung und die Bevölkerungsentwicklung; aber auch die Folgen des Klimawandels sind dort spürbar. Deswegen ist unsere Unterstützung weiterhin notwendig.
Es ist unser ureigenstes Interesse, Sicherheit und Stabilität weiter zu fördern. Deshalb ist es richtig, dieses Mandat fortzusetzen. Wir stimmen dem gerne zu.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Johannes Arlt.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Soldatinnen und Soldaten! Zweifel sind immer erlaubt, wenn es um die Entsendung von Soldaten in Auslandseinsätze geht. Für mich ist es heute ein ein bisschen emotionaler Tag, hier in diesem Hohen Hause mitzuberaten über Einsätze in einem Einsatzland, in dem ich dreimal als Soldat gedient habe. Ich weiß also, wie es ist, in Bamako anzukommen mit einem Berghaus-Rucksack und einer Metallkiste und dort mehrere Monate zu verbringen.
Es ist eine folgenschwere Entscheidung. Aufgrund dessen ist es ja sehr wichtig, dass wir ernsthaft diskutieren, ob ein Investment, ob ein Engagement in einem Land gerechtfertigt ist oder nicht.
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Dabei kommen viele Aspekte zum Tragen: sicherheitspolitische und außenpolitische Erwägungen. Ist unser Engagement vorausschauend, umfassend und multilateral? Ist der Schutz der Soldaten gewährleistet? Aber auch: Ist der Einsatz effektiv oder nicht?
In Mali engagieren wir uns auf vielfältige Weise, nämlich in drei Auslandseinsätzen. Wir haben gerade über das erneute MINUSMA-Mandat abgestimmt. Wir sind bei EUCAP Sahel aktiv, einer zivilen Polizeimission. Und wir engagieren uns eben auch bei EUTM Mali.
Was ist der Auftrag dieser Mission? Der Auftrag ist, dass die Befähigung zur Gewährleistung von Sicherheit im Sahel gestärkt wird, dass die Sahelstaaten ihre territoriale Integrität selber schützen können. Und das machen wir auf zwei Weisen: seit 2013 mit der Ausbildung malischer Streitkräfte, logistischer Kräfte und auch Infanteriekräfte sowie der Führerausbildung und seit 2018 mit der Operation Gazelle, also einer Spezialkräfteausbildung im Niger, die einmal als kleiner Einsatz von Kampfschwimmern in der Wüste begann und jetzt dort als ein nationaler Spezialkräfteverband im Einsatz ist.
Wir müssen uns aber, wenn wir uns für Einsätze entscheiden, auch fragen: Unterstützen wir die Richtigen? Womit unterstützen wir? Und erreichen wir unsere Ziele? Dort müssen wir ganz klar sagen: Auch wenn nach einer neuesten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung 84 Prozent der Bevölkerung die Sicherheitslage in Mali als besser empfinden als im Vorjahr, auch wenn 90 Prozent der malischen Bevölkerung die Militärregierung unterstützen, können wir es mit unseren außenpolitischen Zielen und unseren Werten nicht vereinbaren, zu sagen: „Wir bilden weiter malische Soldaten aus“, wenn diese nach ihrer Ausbildung Menschenrechtsverletzungen begehen.
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Dennoch ist es wichtig, den Gesprächskanal nicht abreißen zu lassen und mit einem schmalen Footprint im malischen Generalstab zu bleiben, während wir unseren Schwerpunkt auf den Niger verlagern und dort 230 Soldaten einsetzen, um weiter Spezialkräfte auszubilden; denn diese Regierung ist ein Stabilitätsanker in der Region und will trotz ihrer schwierigen Rahmenbedingungen dort als demokratische Regierung einen Beitrag für Stabilität im Sahel leisten.
Womit erreichen wir unsere Ziele? Darin unterscheiden sich der Einsatz im Niger und die Spezialkräfteausbildung doch von dem bisherigen Engagement in Mali. Denn: Haben wir in Mali nur ausgebildet, aber kein Material zur Verfügung gestellt, was oft dazu geführt hat, dass Soldaten nach ihrer Ausbildung nicht in ihrer Funktion oder in dem Ausbildungsverband weiter eingesetzt werden konnten, haben wir das im Niger verändert. Wir stellen dort Infrastruktur. Wir stellen die Ausbildung. Wir stellen die Ausrüstung, ertüchtigen die nigrischen Sicherheitskräfte und leisten damit einen nachhaltigen Beitrag zu einer Stabilisierung in der Region.
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Wir sollten immer schauen: Kein Mandat ist alternativlos. Das gebieten der Respekt und die Verantwortung gegenüber unseren Soldaten, die wir in die Welt schicken, und gegenüber deren Familien; denn letztendlich besteht immer das Risiko, dass Soldaten an Leib oder Seele verwundet oder sogar gefallen in einem Metallsarg zurückkehren.
Deshalb ist es wichtig, dass wir dieses Mandat evaluieren; das haben wir uns als Ampelkoalition vorgenommen. Ich hoffe, dass unsere nationale Sicherheitsstrategie dazu beitragen wird, dass wir noch einfacher anhand fester Kriterien evaluieren können: Lohnt sich ein Engagement? Lohnt es sich nicht? Wie erreichen wir das?
Was haben wir getan? Wir haben den Personalansatz reduziert. Wir haben den Schwerpunkt verändert; wir haben den Tschad aus dem Mandatsgebiet gestrichen. Ich denke, all das wird dazu beitragen, dass wir jetzt mit diesem Ansatz erfolgreich im Niger weiteragieren können. In einem Jahr, wenn die Überprüfung dieses Mandats ansteht, können wir erneut darüber sprechen, ob wir unsere Ziele erreicht haben oder nicht, und werden dementsprechend gegebenenfalls noch einmal anpassen.
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Herr Arlt – ich halte mal die letzten Sekunden an –, erlauben Sie aus der Fraktion Die Linke noch eine Zwischenbemerkung oder Zwischenfrage?
Nein. – Die Soldaten können sich auf uns verlassen, dass wir verantwortungsvolle Entscheidungen treffen. Ich möchte noch mal allen Soldaten danken, die sich in Mali engagieren, die unter schwierigsten Bedingungen in Mali und im Niger ihren Dienst leisten, und möchte für die Zustimmung zum Mandat werben.
Vielen Dank.
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Ich schließe damit die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Eigenheim, eine Stadtwohnung, ein kleines Haus im Grünen – das ist gelebte Freiheit. Das Bundesverfassungsgericht hat das mal sehr schön in die Worte gekleidet, dass Eigentum die wirtschaftliche Basis für individuelle Freiheit ist. Das ist auch so.
Ein Eigenheim ist auch noch viel mehr. Das ist eine gute Altersvorsorge; es sichert Unabhängigkeit von steigenden Mieten, Unabhängigkeit von Inflation. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass Millionen von Menschen in unserem Land davon träumen; vier von fünf träumen diesen Traum von den eigenen vier Wänden.
Die Wahrheit ist aber leider, dass sich für viel zu wenige Menschen dieser Wunsch auch verwirklichen lässt. Er bleibt ein Traum. Deutschland ist in Europa Schlusslicht bei der Eigentumsquote, und das gilt gerade für junge Familien, für Menschen mit geringen oder mittleren Einkommen. Sie alle träumen diesen Traum; aber er zerplatzt allzu oft wegen steigender Kosten beim Bauen, wegen zu wenig Bauland, das zur Verfügung steht, und manchmal eben auch wegen der politischen Rahmenbedingungen.
Dann müsste es ja eigentlich, wenn man doch weiß, dass Millionen Menschen davon träumen, Ausdruck einer guten, einer bürgernahen Politik sein, darauf zu reagieren und diesen Menschen zu ermöglichen, diesen Traum von den eigenen vier Wänden auch wirklich zu leben.
Wenn wir jetzt aber gucken: „Was macht denn die Ampel an der Stelle?“, dann muss man leider konstatieren: Das ist eine große Leerstelle, die die Ampel hier hat.
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Wenn man den Koalitionsvertrag liest, sieht man: Es gab noch hehre Ziele. Es gab wohlklingende Versprechen, dass man eigenkapitalersetzende Darlehen machen möchte, Zinsverbilligen und viele, viele Sachen mehr, mit denen man ja den richtigen Weg eingeschlagen hätte. Ich war ehrlicherweise auch ganz positiv überrascht, als ich das gelesen habe.
Wenn man sich jetzt aber mal die Realität anschaut: „Was bleibt eigentlich davon übrig?“, muss man feststellen: nichts. Nichts bleibt von diesen hehren Zielen und wohlklingenden Versprechen übrig. Denn: Was macht die Ampel? Im Haushalt gibt es keinen eigenen Ansatz, um die Themen „Eigentumsbildung“, „Förderung von jungen Familien“ an dieser Stelle nach vorne zu bringen.
Ganz im Gegenteil: Wir wissen schon, dass es beim Baukindergeld – das ist eine Maßnahme, die wir als Union auf den Weg gebracht haben, wovon viele Hunderttausend Familien profitiert haben und die sich einer riesengroßen Beliebtheit erfreut – wahrscheinlich so sein wird, dass viele Familien, die antragsberechtigt sind, am Ende leer ausgehen, weil die Gelder nicht bereitgestellt werden. Wir haben einen KfW-Förderstopp gehabt, der massiv Vertrauen zerstört hat, der jungen Familien auf dem Weg in die eigenen vier Wände die Grundlage ihrer Finanzierung entzogen hat. Wir sehen, dass die Bauministerin, die ja eigentlich die Erste sein müsste, die diese Maßnahmen nach vorne bringt, sich in Zeitungsinterviews zu diesem Thema einlässt und sagt, der Bau von neuen Einfamilienhäusern sei ökologisch und ökonomisch unsinnig.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel, ich sage Ihnen: Das sind die völlig falschen Weichenstellungen; das sind die falschen Signale. Wir müssen das Gegenteil machen. Wir müssen mehr Menschen in die eigenen vier Wände bringen. Das versäumen Sie mit Ihrer Politik.
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Das greifen wir als Union in einem Papier auf, in dem wir neun Punkte herausgearbeitet haben, die zeigen, was die richtigen Weichenstellungen wären, um genau dieses Ziel, den Traum von den eigenen vier Wänden, zu ermöglichen. Da geht es darum, dass wir eine verlässliche, eine auskömmliche und eine nachhaltige KfW-Förderung auf den Weg bringen, die diesen Dreiklang ermöglicht: Neubau, Eigentumsbildung, Klimaschutz. Und damit sind gleichzeitig auch bezahlbare Mieten verbunden.
Das werden wir nur hinkriegen, wenn dieses Förderchaos, dieses Hin und Her bei der KfW, endlich aufhört und die Menschen, die Bauherren Planungs- und Investitionssicherheit haben, sodass sie sich auf den Weg machen können, um neu zu bauen, bezahlbar zu bauen, energieeffizient zu bauen. Das schaffen wir nicht mit diesem Attentismus, den wir jetzt haben, dass alle Projekte zurückgestellt werden, weil keiner weiß, wie es eigentlich weitergeht. Sie müssen endlich Klarheit schaffen, wie es mit der KfW-Förderung weitergeht!
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Natürlich müssen vor allen Dingen die Nebenkosten runtergehen. Da möchte ich insbesondere die Grunderwerbsteuer adressieren. Das ist eine Steuer, die in den letzten Jahren vom Aufkommen her enorm angestiegen ist. Wir prognostizieren, dass es 2022 ein Volumen von etwa 18 Milliarden Euro bei der Grunderwerbsteuer geben wird. Das ist ja klar: Weil die Kaufkosten und die Immobilienpreise sich so entwickeln, steigen diese Steuereinnahmen. Das ist eine riesige Hürde, gerade für junge Familien. Diese Nebenkosten kriegen sie nicht finanziert; die finanziert ihnen keine Bank.
Deswegen brauchen sie Eigenkapital dafür. Wir wissen doch alle, dass Menschen mit geringem, mit mittlerem Einkommen und jungen Familien dieses Eigenkapital fehlt. Deswegen sagen wir als Union: Wir brauchen für selbstgenutztes Wohneigentum familienfreundlich ausgestaltete Freibeträge, damit auch junge Menschen, Familien endlich diesen Traum leben können. – Ihr Bundesfinanzminister, der jetzt Bundeskanzler ist, hat das in der letzten Wahlperiode verschleppt. Er hat sich nicht mit den Ländern auseinandergesetzt. Das muss jetzt endlich anders werden. Wir brauchen diese Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer.
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Einen letzten Punkt möchte ich ganz kurz erwähnen. Uns geht es vor allen Dingen darum, vielen Mieterinnen und Mietern endlich die Chance zu geben, Eigentum zu erwerben. Deswegen setzen wir uns für staatlich abgesicherte Mietkaufmodelle ein, dass man über eine lange Frist statt nur Miete zu zahlen, in die eigene Tasche, ins eigene Portemonnaie zahlen kann, Tilgung leisten kann und am Ende auch als Mieter die Chance hat, Eigentum zu erwerben.
Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstrengung. Ich will, wir wollen als Union, dass Deutschland kein Land von Träumern bleibt, sondern ein Land von Eigentümern wird. Unterstützen Sie uns dabei. Wir sind dazu bereit. Wir haben die richtigen Konzepte vorgelegt. Deswegen: Unterstützen Sie unseren Antrag.
Vielen Dank.
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Nächste Rednerin: für die Bundesregierung die Bundesministerin Klara Geywitz.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Unionsfraktion, ganz herzlichen Dank für diesen Antrag. Ich glaube, angesichts der vielen Herausforderungen, die wir gerade im Bausektor haben, ist es sehr gut, dass wir uns Zeit nehmen, darüber zu sprechen, wie es die Menschen in diesem Land schaffen, preiswerten Wohnraum für sich zu finden, wie wir Neubau fördern können, wie wir die Sanierung fördern können. Das kann man sehr ruhig und sachlich miteinander besprechen.
Ich bin ja dafür bekannt, dass ich eigentlich eher eine ruhige Person bin. An dieser Stelle möchte ich aber doch mal eine Emotion äußern, Herr Dr. Luczak: Es ist für mich nicht ganz nachvollziehbar, dass Sie mich derart verkürzt zitieren.
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Sie sagen, ich hätte was dagegen, Häuser zu bauen, weil das ökonomisch und ökologisch unsinnig ist. Das wäre in der Tat etwas verwunderlich,
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wenn die Bauministerin grundsätzlich Probleme mit dem Bauen hätte.
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Deswegen bitte ich, dass Sie das Zitat noch mal nachlesen. Da stand: Es ist ökonomisch und ökologisch unsinnig, wenn jede Generation ihre eigenen Eigenheime baut.
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Ehrlich gesagt, das ist jetzt nicht so revolutionär. Ich bin nicht der erste Mensch, der auf diese Idee gekommen ist. Wir haben in Deutschland seit Jahrhunderten die Tradition, dass natürlich Häuser von einer Familie in die nächste vererbt werden.
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Es ist ganz klar wünschenswert, dass man sein Elternhaus umbaut, dass man es modernisiert. Heute ist es aber so, dass viele Menschen nicht mehr in dem Dorf wohnen, in dem ihre Eltern wohnen. Das heißt, dass sie, wenn sie ein eigenes Haus haben wollen, erst einmal denken: Ich baue ein neues. – Das alte Haus der Eltern ist ja nicht da, wo man wohnt. Das müssen wir adressieren.
Wir haben seit dem Zweiten Weltkrieg Tausende von Einfamilienhäusern gebaut, in denen heute keine Familien mehr leben. Diese Häuser stehen irgendwann demnächst zum Weiterverkauf an. Wir haben einen riesigen Sanierungsstau in diesem Bereich. Der Gebäudesektor ist ein großes Problem bei der Erreichung der Klimaziele. Und in der Tat haben wir sehr viele Familien, die nachvollziehbarerweise davon träumen, ein eigenes Häuschen mit Garten zu haben. Ich als Mutter von drei Kindern kann das sehr gut nachvollziehen.
Aber wie bringen wir denn diese beiden gesellschaftlichen Pole zusammen: die vielen Häuser im Bestand, die alle eine neue Heizung brauchen, die gedämmt werden, die energetisch saniert werden müssen, und diesen nachvollziehbaren Wunsch? Eine ganz einfache Sache ist eine Sanierungsförderung, dass wir also einen Anreiz setzen, damit junge Familien darüber nachdenken, ein wunderschönes Bestandshaus zu wählen und für ihre Bedürfnisse umzubauen.
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Herr Dr. Luczak, ich war ja bei Ihnen in der Fraktion, in der Arbeitsgruppe. Vielen Dank für die gute Diskussion dort. Da haben wir gemeinsam zum Beispiel über das von Ihnen erwähnte Programm „Jung kauft Alt“ gesprochen. Das ist etwas, was es schon gibt, was wir gerne stärken wollen. Auch mit der BEG – Stichwort „Sanierungsförderung“ – gibt es einen großen Anreiz, um auch jetzt schon zu sagen: Ja, ich erwerbe. – Mein Ziel ist, dass wir mit den Modellen zur Eigentumsförderung, die wir entwickeln werden – das ist eine feste Verabredung; Sie haben den Koalitionsvertrag erwähnt –, einen Schwerpunkt auf die Sanierungsförderung setzen.
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Ein weiterer Punkt, den wir umsetzen werden, ist die Anhebung des Prozentsatzes für die lineare Abschreibung von 2 auf 3 Prozent. Ich denke, Ihnen ist sicherlich auch nicht entgangen, dass der Kollege Christian Lindner gerade sehr intensiv mit den Ländern darüber spricht, wie man die Grunderwerbsteuer so entwickeln kann, wie Sie das angedeutet haben, dass die Länder in der Lage sind, differenzierte Hebesätze zu machen. Es ist ja so, dass die meisten Menschen sich nur ein einziges Mal in ihrem Leben ein Haus bauen. Und da kann man dann auch darüber nachdenken, einen anderen Grunderwerbsteuerhebesatz zu nehmen.
Wichtig ist – viele von Ihnen waren ja gestern beim Tag der Bauindustrie dabei –, dass wir jetzt auf die Baukostensteigerung reagieren. Es ist natürlich nicht denkbar, dass wir sämtliche Baumaterialien subventionieren; aber wir müssen überlegen, wie wir in dieser Situation dämpfend auf die Baukosten einwirken können. Ein wichtiger Punkt dabei ist die ganze Frage der Modernisierung der Bauindustrie. In zehn Jahren werden Baustellen anders aussehen: Weniger Fachkräfte, mehr Technisierung und mehr Digitalisierung, und wir werden natürlich mit anderen Baumaterialien arbeiten. Ein wichtiger Punkt bei der Kostendämpfung ist die ganze Entwicklung zum seriellen Bauen, zum modularen Bauen, zum typisierten Bauen. Ja, das sieht dann auch schön aus. Ja, das kann man auch mit nachhaltigen Materialien machen. Und nein, das sieht nicht aus wie in den 70er-Jahren.
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Ich lade alle dazu ein, dass wir gerade in diesem Punkt auf die Länder zugehen. Sie wissen, dass es 16 unterschiedliche Bauordnungen in Deutschland gibt. Wenn Sie mit typisiertem Bauen wirklich Kosteneinsparungen erreichen wollen, dann muss es natürlich möglich sein, denselben Bautyp von Hamburg bis München zu bauen. Darüber werden wir mit den Kollegen in den Ländern sprechen müssen. Ich habe sie zum Bündnis für bezahlbaren Wohnraum eingeladen. Ich würde mich sehr freuen, Herr Dr. Luczak, wenn ich dann auch auf Sie zugehen könnte, auf die Unionsfraktion, dass wir die wesentlichen Bestimmungen der Bauordnung in Deutschland vereinheitlichen, um die Bauindustrie von unnötiger Bürokratie zu entlasten.
Herzlichen Dank für den Grund der Debatte.
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Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Marc Bernhard.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Mieten sind ganz oben und das Vertrauen in die Regierung ganz unten. Ein halbes Jahr Ampelregierung hat genügt, um den Traum vieler Menschen von den eigenen vier Wänden gründlich zu zerstören. Im Januar haben Sie von der Regierung die KfW-Förderung von heute auf morgen ohne irgendeine Vorwarnung eine Woche vor dem offiziellen Ende einfach gestoppt und damit vielen Tausend Familien die eigenen vier Wände gestohlen,
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Menschen, die bereits viele Zehntausend Euro für Architektenpläne, Energieberater, Grundstückskauf, Baugenehmigungen, Grunderwerbsteuer, Notarkosten usw. bezahlt haben und sich auf Ihr Förderversprechen verlassen haben.
Viele von diesen Menschen stehen jetzt wegen dieser Regierung mit vielen Tausend Euro Schulden da, ohne Hoffnung, sich die eigenen vier Wände noch leisten zu können. Und diejenigen, die es sich leisten konnten, für viele weitere Tausend Euro die Baupläne und die energetische Planung so zu ändern, dass sie Ihrem neuen Förderprogramm nach KfW‑40-Standard entsprechen, sind nun endgültig am Boden zerstört, indem Sie Ihr neues Förderversprechen nach gerade mal drei Stunden ohne jegliche Vorwarnung gestoppt haben. Sie haben also innerhalb kürzester Zeit das Vertrauen und damit den Traum von den eigenen vier Wänden für viele Menschen ruiniert.
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Jetzt wollen gerade ausgerechnet Sie von der Union, die in der Vorgängerregierung dieses ganze Desaster mitverursacht hat, angeblich den Traum von den eigenen vier Wänden ermöglichen. Schön ist, dass Sie dafür den AfD-Antrag aus dem Jahr 2018 offensichtlich gelesen und vieles Richtige daraus abgeschrieben haben. Was Sie damals als Regierung abgelehnt haben, wollen Sie also jetzt angeblich selber umsetzen.
Ihre Scheinheiligkeit geht aber noch weiter. Denn natürlich ist es richtig, dass die Grunderwerbsteuer, wie von uns seit Jahren gefordert, gesenkt werden muss, ganz besonders für junge Familien; aber es waren doch gerade Sie von der Union, die die Grunderwerbsteuer immer weiter in die Höhe getrieben haben. So hat bereits die unionsgeführte Regierung unter Helmut Kohl 1997 die Grunderwerbsteuer von 2 Prozent auf 3,5 Prozent erhöht. Es war die unionsgeführte Regierung unter Angela Merkel, die es 2006 den Bundesländern ermöglicht hat, die Grundsteuer selbstständig weiter zu erhöhen. Und die Erhöhungen sind natürlich postwendend auch gekommen.
Besonders peinlich – das muss ich schon mal sagen – für Ihren Antrag ist aber, dass gerade die CDU-regierten Länder Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein heute den höchsten Grunderwerbsteuersatz in Deutschland haben, nämlich 6,5 Prozent.
Wenn Sie also die Menschen wirklich entlasten wollen würden, dann hätten Sie doch 16 Jahre dafür Zeit gehabt – 16 Jahre nichts gemacht. In den von Ihnen regierten Ländern könnten Sie immer noch sofort handeln und die Grunderwerbsteuer auf 3,5 Prozent senken. Daran, dass Sie das nicht tun, sieht man, dass es sich bei Ihrem Antrag um nichts anderes als einen billigen Schaufensterantrag ohne jegliche Substanz handelt.
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Die Deutsche Bundesbank stellt fest, dass das größte Hindernis für die eigenen vier Wände die hohen Grunderwerbsteuern in Deutschland sind. Deren Höhe ist die direkte Folge der Unionspolitik der letzten Jahre. Die CDU ist also das größte Hindernis für den Traum von den eigenen vier Wänden hier in Deutschland.
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Das sieht man auch ganz klar und deutlich bei den Wohnungsbaukosten. In 16 Jahren Merkel sind die Kosten des Wohnungsbaus durch unzählige komplizierte Bauvorschriften und energetische Vorgaben geradezu explodiert: teure Heizungsanlagen, extreme Wärmeschutzverglasungen, zweifelhafte Dämmvorschriften, die einen regelrechten Dämmwahn ausgelöst haben. Über 500 Milliarden Euro Styropor wurden auf deutsche Häuser geklebt, ohne dass es laut deutschem Wirtschaftsinstitut irgendeinen Nutzen gehabt hätte. Wenn die Union jetzt in ihrem Antrag die von ihr selbst eingeführten kostentreibenden Anforderungen angeblich senken will, dann ist das nichts als blanker Hohn.
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Tatsache ist, dass ein neu gebauter Quadratmeter an Wohnfläche in Deutschland heute im Schnitt 3 400 Euro kostet und das Ganze zu einer Kaltmiete von mindestens 13,50 Euro führt. Und das können sich eben 80 Prozent der Menschen in unserem Land nicht leisten.
Deutschland ist also nicht ohne Grund Schlusslicht in Europa, was die Wohneigentumsquote betrifft. Die Deutsche Bundesbank stellt klar fest, dass die Wohnungspolitik der Regierung dafür verantwortlich ist, dass unsere Wohneigentumsquote die niedrigste in ganz Europa ist, nämlich gerade mal 45 Prozent, während der europäische Durchschnitt deutlich über 70 Prozent liegt.
Wir wollen Deutschland von einem Land der Mieter zu einem Land der Eigentümer machen, und darum fordern wir:
Erstens. Alle kostentreibenden Bauvorschriften müssen auf ein erträgliches Maß reduziert und Kostentreiber eliminiert werden.
Zweitens: die Abschaffung der Grundsteuer. Das wäre nämlich eine sofortige Entlastung für jeden Haushalt in unserem Land von 400 bis 500 Euro pro Jahr.
Drittens: eine generelle Absenkung der Grunderwerbsteuer auf 3,5 Prozent.
Viertens: eine komplette Grunderwerbsteuerbefreiung für die ersten selbstgenutzten eigenen vier Wände.
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Liebe Kollegen von der Union, es macht doch einfach viel mehr Sinn, den Anträgen der AfD gleich zuzustimmen, statt sie erst abzulehnen und dann hier als Plagiat wieder einzubringen.
Herzlichen Dank.
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Ich komme kurz zurück zu Tagesordnungspunkt 27. Die Zeit für die namentliche Abstimmung ist gleich vorbei. Ich möchte daher fragen: Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das noch nicht abgestimmt hat? – Das ist der Fall. Dann warten wir das noch kurz ab.
Ich rufe in der Zwischenzeit die nächste Rednerin auf: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dr. Sandra Detzer.
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Sehr verehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wohnen ist so viel mehr als ein Dach über dem Kopf. Wo und wie wir wohnen, entscheidet darüber, ob wir uns als Teil dieser Gesellschaft fühlen, ob wir Wurzeln schlagen und ja, ob wir uns frei fühlen. Und nein, der Markt regelt leider nicht die Versorgung mit bezahlbarem, klimafreundlichem und sozial durchmischtem Wohnraum alleine.
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Das ist die bittere Erkenntnis aus den Deregulierungsfehlern der 1990er-Jahre, etwa dem Rückzug des Bundes damals aus der Wohnraumförderung oder auch dem Verkauf der kommunalen Wohnungsgesellschaften, die wir gesehen haben. Sie haben dazu geführt, dass der Wohnraummangel heute eine der sozialen Fragen unserer Zeit ist. Darum ist es genau richtig, dass die Ampelkoalition die Wohnraumpolitik ins Zentrum ihrer Politik stellt.
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Dabei ist natürlich die Bedeutung der grauen Energie im Gebäudesektor ganz enorm. Wenn wir uns jetzt gemeinsam auf den Weg in Richtung Klimaneutralität gemacht haben, dann ist es auch ganz entscheidend, dass wir in Zukunft klimafreundlich bauen und klimafreundlich sanieren. Genau dieses Problem adressiert doch jetzt die neue KfW-Förderung der Bundesregierung für effiziente Gebäude.
Es ist so, dass seit dem 20. April die neuen Anträge auf die KfW-Förderung für die Effizienzhaus-Stufe 40 gestellt werden können, nachdem das Programm eben nicht von der alten Regierung ausfinanziert worden ist. Das war das Problem, das wir hatten.
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Es ist umgehend adressiert worden; deswegen sind wir jetzt in dem zweiten Schritt dieses Programmzyklus. Jetzt können Anträge gestellt werden, die auch die Kriterien für nachhaltiges Bauen erfüllen. Da ist eine ganz wichtige Weiterentwicklung enthalten. Ich denke schon, dass wir uns hier in diesem Hause unter Demokratinnen und Demokraten einig sind, dass wir genau dort mit der staatlichen Finanzierung reingehen wollen, wo die wertvollen Steuereuros auch den größten Effekt haben. Genau das ist jetzt in dem Fall gegeben.
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Ab 2023 werden wir ein neues, umfassendes Programm mit dem Titel „Klimafreundliches Bauen“ auflegen, mit dem besonders auch die Treibhausgasemissionen über den kompletten Lebenszyklus eines Gebäudes stärker im Fokus sind. Ich glaube, da werden wichtige Schritte gemacht, um auch den Bausektor in die Klimaneutralität zu integrieren.
Liebe Union, Sie sehen: Die guten Ideen in Ihren Anträgen haben wir in der Umsetzung; die schlechten werden wir auch weiter den Bürgerinnen und Bürgern ersparen. Ich glaube, eins zeichnet diese Förderpolitik der Ampel aus: Wir verbinden die Anreize mit der Ambition.
Herzlichen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist heute schon ein seltsamer Anlass. Da bemüht die Union den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung, weil ein vollkommen überlaufenes Bauförderprogramm gestoppt wurde, das noch aus ihrer eigenen Amtszeit stammt.
Ich meine, Sie reden über Häuslebauer, und wenn, sagen wir mal, eine Facharbeiterfamilie ein Häuschen baut, dann wollen wir ja auch, dass sie dabei Sicherheit hat. Aber bei dem Programm, über das wir heute reden, waren 75 Prozent der nicht genehmigten Anträge Anträge von Unternehmen und eben nicht von Menschen, die den Traum von den eigenen vier Wänden haben, wie es in Ihrem Antrag heißt.
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Meine Kollegin Caren Lay schaut der Immobilienwirtschaft genau auf die Finger. Da stellt sich für uns die Frage: Wie viele Millionen von Euro sind eigentlich aus diesen Fördertöpfen in Wohnungskonzerne wie Vonovia geflossen? Ich glaube nicht, dass hier jemand dort wohnt. Spaß macht das nicht; das kann ich Ihnen sagen.
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Dann spielt die Union heute den Rächer der Arbeiterklasse; das ist schon ein dickes Ding. Sie geben der Ampel die Schuld, weil sie das Programm ja gestoppt hat. Als neuer Abgeordneter denkt man sich da manchmal: Ja, hätte die Union in den letzten Jahren im Kanzleramt gesessen, dann hätten wir viele Probleme heute nicht.
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Liebe Union, ich hatte in diesen Worten jetzt eine geheime Botschaft an Sie versteckt. Haben Sie sie gefunden? – Sie haben sie gefunden. Okay.
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Dann zur Ampel. Die drängenden Probleme werden auch von Ihnen nicht angegangen. Wir bräuchten 6,3 Millionen Sozialwohnungen, wir haben aber gerade einmal noch 1 Million Sozialwohnungen. Das ist ein historischer Tiefstand, gleichzeitig werden Energiehäuser mit 18 Milliarden Euro gefördert. Durch eine Anfrage meines Kollegen Pascal Meiser wissen wir, dass Sie nicht wissen, wie viel davon eigentlich sozialer Wohnraum sind. 18 Milliarden Euro gibt es für Energiehäuser, und für den sozialen Wohnungsbau gibt es 2 Milliarden Euro, aber eine davon heißt „Klimamilliarde“, weil die Grünen mit an Bord sind. – Ampel, da war jetzt eine versteckte Botschaft für Sie. Ich sage das, weil ich eher der subtile Typ bin.
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Nun einmal Klartext: Wenn man mit dem Jahreswirtschaftsbericht so großes Ballett tanzt, dann sollte man sich auch um die großen Fragen kümmern, die die Menschen draußen beschäftigen. Das sind nun einmal eine Energiepreiskrise und eine Inflation, die den Menschen den Boden unter den Füßen wegziehen. Die Menschen zahlen bei jedem Wocheneinkauf dick obendrauf. Sie haben Angst vor der nächsten Heizkostenabrechnung. Es muss doch um die Interessen der Menschen gehen, die uns gewählt haben, und nicht um die Interessen der Bauwirtschaft, meine Damen und Herren.
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Der Punkt ist: Es gibt im Moment genügend Gas. Es liegt also nicht am mangelnden Angebot, nein, es werden sogar noch Gasvorräte angelegt, und trotzdem steigen die Preise.
Ich will Ihnen noch einen subtilen Hinweis geben – dabei geht es um die Energiebörse –: Anfang des Jahres brach der wichtige Gasterminkontrakt Dutch TTF plötzlich um die Hälfte ein. Warum? Weil es Aussichten auf gutes Wetter gab. Wegen einer verdammten Wetterprognose bricht ein wichtiger Gasterminkontrakt um die Hälfte ein. Was glauben Sie, was an der Börse los ist, wenn ein Krieg ausbricht? Deswegen sagen wir: Spekulationen dort müssen verboten werden. Das funktioniert nicht in der Energiepreiskrise.
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Deswegen schlagen wir als Linke vor, dass es zu einer staatlichen Kontrolle von Energiepreisen kommt, dass der Staat kontrolliert, was eigentlich die Erzeugerkosten und was die Produktionskosten sind. Spekulationen und Krisengewinne müssen verboten werden. Wissen Sie auch, warum? Weil Energie zur Daseinsvorsorge gehört. In unserer Gesellschaft kann niemand ohne Energie leben. Oder kennen Sie jemanden, der das kann? Weil Energiepreise die Inflation treiben, und zwar doppelt, einmal durch Öl, Gas und Strom und einmal, weil in allen anderen Produkten Energie drinsteckt, sagen wir: Das Recht auf Profit und das Recht auf Krisengewinne von einigen wenigen ist nicht höher anzusehen als das Recht von allen anderen auf ein Leben ohne Angst vor dem Ende des Monats.
Danke schön.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich grüße Sie alle herzlich am Freitagvormittag und erteile sofort das Wort Daniel Föst für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Leye, ich bin mir ziemlich sicher, dass die Union beim Jahreswirtschaftsbericht nicht großes Ballett tanzt, die trampelt unbeholfen durch den Raum. Und das ist auch der Punkt.
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Ja, Millionen Menschen haben den Traum vom Eigentum. Das ist ein gelebtes Aufstiegsversprechen. Es ist eine Lebensleistung. Wohneigentum schafft Sicherheit, es schützt vor Altersarmut, nicht nur die Generation, die es erreicht hat, sondern auch Generationen darüber hinaus.
Noch eine wichtige Information an den eher linksorientierten Teil dieses Plenums: Wohneigentum schließt eine Lücke bei der Vermögensverteilung. Das ist sozial gerecht. Deswegen steht für uns Freie Demokraten völlig außer Frage: Wir wollen Deutschland zu einer Eigentümernation machen.
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Aber auf dem Weg dahin – das muss man ja feststellen – ist noch viel zu tun.
Herr Luczak, Sie wissen, die Eigentumsquote in Deutschland stagniert und trotz des von Ihnen gefeierten Baukindergeldes ist sie zuletzt gesunken. Gleichzeitig steigen die Preise, gleichzeitig sinkt das Angebot. Es gibt also einen guten Grund, dass Sie das Wohneigentum thematisieren; denn hier gibt es große Wünsche, aber auch einige Probleme. Ich finde es wirklich beeindruckend, dass Sie das tun, obwohl Sie wissen, dass wir dann auch darüber reden, was Sie in den letzten 16 Jahren alles nicht gemacht haben. Das ist fast ein selbstloser Zug. Wer hat Sie denn eigentlich aufgehalten, die KfW-Eigentumsförderung auszubauen? Wir kriegen das mit der SPD hin. Wer hat Sie denn aufgehalten, die Grunderwerbsteuerfreibeträge zu machen? Wir kriegen das mit unseren Koalitionspartnern hin. Aber dann muss man ehrlich sagen: Wenn wir über Wohneigentum reden – und es ist wichtig, dass wir das thematisieren –, dann müssen wir auch einmal sagen, warum Deutschland da steht, wo es steht, und dann muss man sagen: Ihr Antrag hilft bei der Vergangenheitsbewältigung schon, beim Blick in die Zukunft nicht.
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Zwei Punkte muss ich aber gesondert herausnehmen, weil sie mich ein bisschen schockiert haben. Sie haben ja Ihre eigene Interpretation des Grunderwerbsteuerfreibetrags: für jeden Erwachsenen 250 000 Euro, für jedes Kind 150 000 Euro, fast 1 Million Euro Grunderwerbsteuerfreibetrag für eine vierköpfige Familie.
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Glauben Sie ernsthaft, dass einer Ihrer Ministerpräsidenten – Herr Wüst oder Herr Söder – auch nur annähernd 1 Million Euro Grunderwerbsteuerfreibetrag ausreichen wird? Das ist ein Schaufensterwitz ohnegleichen.
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Ich finde es unanständig – ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen –, dass Sie insinuieren, wir würden gegebene Förderversprechen nicht halten, das bewilligte Baukindergeld sei unsicher, Ich finde das nicht nur erbärmlich, ich finde es unsäglich. Der deutsche Staat hält sich natürlich an die Verträge, die er abgeschlossen hat. Das Einzige, was überraschend kam, war das komplette KfW-Aus, das Sie ausgelöst haben.
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Ich muss zugeben: Bei der KfW-Förderung haben wir in den ersten Monaten tatsächlich nicht optimal regiert.
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– Ja, im Gegensatz zur Union hilft bei uns Selbsterkenntnis beim Besserwerden.
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Sie haben sich 16 Jahre alles angeschaut, haben nichts gemacht und sind jetzt hier und schwingen große Reden. Ja, das erste Quartal bei der KfW-Förderung war nicht optimal, aber jetzt läuft das Programm und auch die Vorarbeiten für ein neues Programm, das sich auf die gesparte Menge CO2 konzentriert, das technologieoffen ist, das die Menschen mitnimmt, laufen. Das wird kommen, und dann lösen wir auch den Zielkonflikt CO2-Reduktion im Bestand, unbezahlbarer Wohnraum. Dafür werden wir eine komplett neue Fördersystematik aufbauen. So bringt man das Land voran.
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Ich komme noch einmal zum Eigentum zurück. Es ist wirklich wichtig – danke, dass Sie es formuliert haben, Frau Ministerin –, dass wir an die Baukosten herangehen. Was wir in den letzten Monaten – es sind ja nicht mal Jahre – an Baukosten-, Baupreissteigerungen gesehen haben, ist absurd. Deswegen ist es dringend – das erwarte ich auch vom Bauministerium, vom BMWSB, weil die alleinige Existenz einen Unterschied machen muss –, dass wir an die Baukosten herangehen. Wir brauchen den Baukosten-TÜV. Wir müssen digitalisieren: von der Planung über die Genehmigung bis zur Ausführung. Wir müssen all das, was bremst, entrümpeln. Time is money. Geschwindigkeit hilft. Da ist viel zu tun. Das werden die Freien Demokraten in dieser Regierung vorantreiben.
Aber jetzt werden wir erst einmal – letzter Satz, Frau Präsidentin – bei der großen Hürde des Eigenkapitals auf dem Weg ins Eigentum zielgenau ansetzen. Viele Familien kommen mit den Zinszahlungen, mit den Tilgungszahlungen einigermaßen zurecht. Aber das Eigenkapital ist ein Problem. Deswegen arbeiten wir an eigenkapitalersetzenden Darlehen, wie es im Koalitionsvertrag steht.
Aber jetzt wirklich der letzte Satz.
Und wir arbeiten am Grunderwerbsteuerfreibetrag. Wenn Sie es mit Ihrer Wohneigentumsförderung ernst meinen, dann fangen Sie jetzt schon an, Ihre Länder zu überzeugen, dass sie bei der Grunderwerbsteuer mitgehen, weil ohne die Länder der Traum vom Eigenheim nichts wird.
Vielen Dank.
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Das waren jetzt relativ viele letzte Sätze, aber es hielt sich noch im Rahmen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Föst, das war schon ein bisschen eine Märchenstunde, als Sie gesagt haben, Sie kriegen das KfW-Förderprogramm auf die Reihe. Also, in der Vergangenheit hat man davon nichts gesehen. Die Förderpolitik, die Sie machen, hat nichts mit Fördern zu tun, sie hat eher was mit Verhindern zu tun. Schauen Sie mal, dass Sie das hinkriegen.
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Am Haushalt 2022 waren natürlich auch Sie beteiligt und letztendlich auch unser ehemaliger Finanzminister Olaf Scholz; das muss man auch dazusagen.
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Der hätte auch Sorge dafür tragen müssen, dass diese Lücke geschlossen wird.
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Wenn man die Ampel anschaut, so stellt man fest: Sie ist sehr gut in der Problembeschreibung, aber weniger gut in der Lösungskompetenz. Doch ich glaube, da müssen wir hinkommen.
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Meine Damen, meine Herren, die Ampel ist für den Wohnungsbau zuständig, und der Wohnungsbau steht momentan auf Dunkelrot. Da geht nichts voran. Es gibt einen Baustopp durch diese Förderpolitik. Die Zahlen gehen zurück. Mit Blick auf den Klimaschutz wird nicht so gebaut, wie gebaut werden sollte, weil die Förderung ausbleibt. Daran müssen wir doch arbeiten. Wir sind in einer Situation, in der wir steigende Baukosten haben, steigende Zinssätze haben, steigende Inflation haben, steigende Energiekosten haben. Und was passiert vonseiten der Ampel? Nichts. Keine Antwort im Bereich des Wohnungsbaus.
Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt. Zum einen geht es natürlich darum, das Eigentum zu fördern. Zum anderen geht es aber auch darum, auf die Baukosten einzugehen und das Ganze klimaschonend zu tun. Was wir momentan sehen, ist, dass durch Ihre Förderpolitik – oder besser gesagt: durch Ihre Nicht-Förderpolitik – bezahlbarer Wohnbau, Klimaschutz, der Traum vom eigenen Heim und vor allem das Vertrauen in die Politik verloren gehen. Die selbsternannte Fortschrittskoalition macht genau das Gegenteil. Sie sorgt nicht dafür, dass in den Wohnungsmarkt Dynamik reinkommt. Im Gegenteil: Er wird momentan ausgebremst.
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Wer solche Entscheidungen in der Wohnungspolitik trifft, der dreht auch das Quadrat bei Tetris. Anders gesagt: Mit solchen Entscheidungen kommt der Bau in keinster Weise voran.
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– Ja, ich hätte noch den subtilen Hinweis vom Kollegen Leye machen sollen, aber gut; das sei mal dahingestellt.
Wir brauchen Verlässlichkeit, wir brauchen Dynamik vor Ort. Wir brauchen die Förderung für mehr Wohneigentum. Letztendlich müssen wir auch auf die Baukostenexplosion eine Antwort finden. Sie haben gesagt: Wir gehen in die Zukunft des Bauens, der Bau muss fortschrittlicher werden, wir müssen digitalisieren. – Das ist alles gut und richtig. Das haben wir in der letzten Legislaturperiode auch auf den Weg gebracht. Aber das hilft uns doch momentan nicht bei den Preisen. Wir brauchen doch auch kurzfristig eine Antwort, und die fehlt.
Man kann sich vielleicht überlegen: Kann man steuerlich was tun? Kann man über Zuschüsse arbeiten? Wie schaffen wir es, die Bauwilligen so zu entlasten, dass jetzt gebaut wird und dass Bauprojekte nicht verschoben werden? Wir brauchen die Baukapazitäten in der Baubranche, und es hilft nichts, wenn Projekte auf die nächsten Jahre verschoben werden, meine Damen und Herren. So schaffen wir nicht mehr Wohnraum.
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Wir brauchen auch Investitionsbedingungen, die funktionieren. Wir brauchen Sonderabschreibungen für energieeffiziente Wohngebäude, wir brauchen Anreize. Es war interessant, was die Kollegin von den Grünen gesagt hat: dass Sie fördern und – – Wie war der Begriff? Was hatten Sie gesagt?
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– Nein: Fördern und unterstützen. Aber das Unterstützen ist dann, glaube ich, bei Ihnen – –
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– Ja, ich habe es nicht aufgeschrieben. Ich habe es vergessen; ich gebe es ja offen zu.
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Der Punkt war ja, dass Sie sagen – jetzt weiß ich es –, Sie fördern ambitioniert. Aber die Ambitionen bei Ihnen liegen ja vermutlich im Ordnungsrecht. Wie bringe ich die Leute dazu, diese Forderung, die Sie auf den Weg bringen, auch umzusetzen?
Ich glaube, wir müssen Anreize zum Bauen schaffen. Die Leute müssen mitgenommen werden. Wir sehen ja, welche Sanierungsquoten wir haben; das schreiben wir auch in unserem Antrag. Wir brauchen beides:
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Wir brauchen den Neubau, und wir brauchen auch das Bauen im Bestand, die Bestandsnutzung. Doch das ist ja der Punkt: Wenn die Leute gezwungen werden, was zu tun, wenn die Preise steigen und wir keine Förderung haben, dann hilft auch das Ordnungsrecht nicht; denn dadurch wird nicht mehr Wohnraum geschaffen.
Meine Damen und Herren, schauen Sie sich den Antrag noch mal an. Nehmen Sie die Punkte raus, die Sie nicht unterstützen können. Ich glaube, es sind viele gute Punkte dabei, um Wohnraum zu schaffen, um Eigentum und auch bezahlbares Wohnen zu schaffen, um Mieten im Eigentum zu ermöglichen.
Herzlichen Dank.
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Jetzt erhält das Wort Bernhard Daldrup für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU sagt ja des Öfteren, wir sollten uns nicht davon distanzieren, dass wir 16 Jahre lang gemeinsam regiert haben. Ich will das auch gar nicht tun;
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ich will aber an ein paar Stellen beispielhaft deutlich machen, wo es Unterschiede gibt.
Fangen wir vielleicht mal mit der Ministerin an. Uli Lange hat vorgestern getwittert: „Hat jemand Bauministerin Geywitz gesehen?“ Also, heute ist sie auf der Regierungsbank.
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Gestern war sie beim Tag der Bauindustrie. Vorgestern habe ich sie bei der Bundesingenieurkammer getroffen. Ich könnte weitermachen: bei den Mieterverbänden, bei der Wohnungswirtschaft.
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Diese Ministerin sucht den Dialog, setzt eigene Akzente und motiviert. Das ist einer der Unterschiede zu ihrem Vorgänger. Der war, glaube ich, so eine Art Phantom der Baupolitik. Gesehen wurde er jedenfalls nicht.
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Der zweite Unterschied. Ihr Antrag trägt den Titel „Den Traum von den eigenen vier Wänden verwirklichen“. Es geht um Eigentumsförderung. Das ist in Ordnung. Herr Luczak, Rumänien hat die höchste Eigentumsquote, die Schweiz, glaube ich, die niedrigste. Man kann darüber diskutieren, aber Sie wissen genau: Die Quote allein macht es nicht. Es geht darum, dass wir nicht nur für diejenigen, die Eigentum schaffen wollen, sorgen – das wollen Sie, das wollen auch wir –, sondern uns auch darum kümmern, bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen. Das ist der zweite Unterschied zur Vergangenheit.
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Für Sie sind Mieterinnen und Mieter die Nutznießer der Eigentumsbildung, sozusagen als Sickereffekt. Aber das wird der Herausforderung heute nicht gerecht; das sage ich deutlich.
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Dritter Punkt. Das Baukindergeld haben wir mitgetragen. Ich habe es manchmal mehr verteidigt als Leute von Ihnen; fragen Sie mal Kai Wegner. Wir wollten auch etwas für die Eigentumsbildung in den Städten tun – Kauf von Genossenschaftsanteilen –, damit man sich auch das Wohnen in der Stadt leisten kann.
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Das ist gescheitert – nicht an der SPD, nicht am BMF – am Haus Seehofer. Im jetzigen Haushalt wird es enthalten sein. Mit 6 Millionen Euro geht es los: Ankauf von Genossenschaftsanteilen, Förderung Eigentumsbildung. Stimmen Sie zu!
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Vierter Punkt: KfW-Förderung. Ja, das ist ein kompliziertes Thema. Daniel Föst hat dazu einiges Kritisches, auch Selbstkritisches, gesagt. Aber ich will eins sagen: Die Ankündigung löste eine Antragsflut aus; das ist wahr. Es war die Ankündigung von Peter Altmaier. Davon abgesehen will ich Ihnen noch mal vergegenwärtigen, was man hätte tun müssen. 2019 gab es 86 000 geförderte Wohneinheiten, 2020 197 000 geförderte Wohneinheiten und 2021 362 000 geförderte Wohneinheiten – und das bei einem Programm, das mit 5 Milliarden Euro beginnt und mit 16 Milliarden Euro aufhört. Da könnte man als Verantwortlicher mal auf die Idee kommen, dass man da was steuern muss. Wer war da verantwortlich? – Genau: Horst war verantwortlich, und Peter war verantwortlich. Und was haben die beiden gemacht, und zwar gegen die Warnungen vom BMF? – Nichts haben sie gemacht.
Das, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ist nicht Sinn eines solchen Programms,
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eines Markteinführungsprogramms, das dann degressiv gestaltet werden muss. Da wird mir sogar Herr Merz zustimmen; davon bin ich überzeugt. Der Sinn der Förderung war nämlich in erster Linie ein klimapolitischer und ein technologischer und nicht einfach die ungesteuerte Eigentumsförderung bis zum Penthouse. Das war nicht Sinn der Sache.
Dass die Anschlussförderung – Sie haben das beklagt – in drei Stunden weg war, ist doch kein Zeichen von Attentismus. Das ist doch ein Zeichen dafür, dass Akzeptanz und Wirksamkeit, dass die Bereitschaft, klimapolitische Neubauförderung zu machen, vorhanden sind.
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Das müssen wir fortsetzen. Das haben wir in der neuen Förderung dargestellt, und das fehlt bei Ihnen.
Ich komme zurück zur Eigentumsförderung.
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Die Höhe der Grunderwerbsteuer könnte man ja in den Ländern einfach senken. In Ihren Ländern passiert das genauso wenig wie in den anderen. Man könnte es jedoch machen. Dazu will ich etwas sagen – Daniel Föst hat es aufgegriffen –: Das, worüber Sie reden, macht jedes Jahr 8 Milliarden Euro weniger Einnahmen für die Länder aus. Da bin ich mal gespannt, ob Sie das Placet Ihrer Ministerpräsidenten kriegen.
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Übrigens: Die Grunderwerbsteuereinnahmen nutzen die Länder zur Unterstützung und Förderung von Eigentumsmaßnahmen in den Ländern. Das wollen Sie vielleicht nicht mehr; kann ja sein. Wir haben das jetzt also in den Fokus genommen und mit einer Gegenfinanzierung verbunden. Im Sinne von Share Deals wollen wir also, dass nicht nur die Kleinen entlastet, sondern auch die Großen belastet werden. Sie wollen zwar auch die Kleinen entlasten, aber gleichzeitig die Allgemeinheit belasten und die Großen laufen lassen.
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Das wollen wir nicht; das ist wieder ein Unterschied.
Viele Ihrer Forderungen, die in dem Papier stehen, sind in unserem Koalitionsvertrag enthalten. Ich mache nicht auf Nummer „16 Jahre“, sondern bitte um Entschuldigung, dass in 150 Tagen noch nicht alles abgearbeitet und umgesetzt ist. Das gebe ich freimütig zu. Das ist so. Eins nach dem anderen; aber wir machen das schon. Wir werden uns auch noch mit den Indexmieten beschäftigen, damit das kleine Eigentum, das Menschen haben, das verfügbare Einkommen nicht noch mehr weggefressen wird. Dazu habe ich keinen Vorschlag von Ihnen gesehen.
Es ist keine Zeit mehr, auf alle steuerlichen Maßnahmen eingehen zu können. Das würde ich gerne tun, aber das klappt nicht mehr. Aber ich will noch zwei Punkte nennen, die Sie vergessen haben:
Erstens. Sie haben nichts zu der größten Blockade bei der Eigentumsbildung gesagt, und das sind die explodierenden Bodenpreise. Dazu kommt von Ihnen nichts.
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Zweitens. Wir verdreifachen die Mittel für die soziale Wohnraumförderung. Die soziale Wohnraumförderung trägt in den Ländern zu einem Drittel zu selbstgenutztem Wohneigentum bei; von 30 000 geförderten Einheiten macht das 11 000 aus.
Sie müssen bitte zum Schluss kommen, Herr Kollege.
Das möchten Sie in dieser Form offensichtlich auch nicht.
Ich sage Ihnen: Sie in der Opposition sind im Grunde genommen noch nicht beim Erneuerungsprozess angekommen. Die Erneuerungen machen deshalb wir.
Herzlichen Dank.
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Als Nächstes erhält das Wort für Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Kassem Taher Saleh.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher, schön, dass Sie nach den zwei harten Jahren auch endlich da sind! Um es gleich vorneweg zu sagen: Horst Seehofer und Peter Altmaier haben bei den Förderprogrammen einen komplett falschen Fokus gelegt. Der Fokus lag auf klimaschädlichem Neubau statt auf der Sanierung. Jetzt ist es wichtig, diesen gravierenden Fehler zu beseitigen und den Fokus endlich auf das Sanieren zu legen, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen. Genau das gehen wir jetzt auch an.
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Die meisten Gebäude, die 2045 unseren klimaneutralen Gebäudebestand formen werden, stehen schon heute. In einer gut durchdachten Gebäudeförderung müssen sich diese bereits gebauten Gebäude also unbedingt widerspiegeln. Dafür legen wir das ökologische Fundament, indem wir die Förderung angemessen, passend und zeitgemäß ausgestalten. Wir entwickeln die Neubauförderung und die Eigentumsförderung bis zum Jahresende weiter. Und dabei lassen wir unsere Ideen einer ökologischen Bauwende mit einfließen. Das bedeutet: Lebenszyklusbetrachtung, faire Gebäudeförderung und Kreislaufwirtschaft.
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All das wird in das neue Programm „Klimafreundliches Bauen“ einfließen. Und das ist – ich wiederhole es gerne, meine Damen und Herren – auch bitter nötig. Im Jahr 2021 hat der Gebäudesektor 115 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente emittiert. Das sind genau 115 Millionen Tonnen zu viel.
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Hauptverursacher dafür, dass wir die Klimaziele im Gebäudesektor wieder einmal verfehlt haben, sind die zahlreichen unsanierten Gebäude in unserem Land. Und Hauptverursacher dafür, dass sie nicht schon längst saniert sind, sind Peter Altmaier und Horst Seehofer.
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Die Folgen dessen sind gleichermaßen fatal für unser Klima und für die Menschen mit niedrigen Einkommen, die jetzt von den massiv steigenden Energiepreisen besonders hart getroffen sind.
Die Probleme des vorliegenden Entschließungsantrages der CDU/CSU-Fraktion sind: Erstens wird darin vieles gefordert, was wir bereits angepackt haben; genau deshalb ist er ein Schaufensterantrag. Zweitens und am wichtigsten ist, dass die Union mit diesem Antrag teilweise in eine Fördervergangenheit zurückwill, die uns alle heute aufgezeigten Probleme eingebrockt hat. Daher lehnen wir diesen Antrag entschieden ab.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Es erhält für die FDP-Fraktion der Kollege Konrad Stockmeier das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Täglich grüßt das Murmeltier – nur dass sich der Pfiff diesmal wieder anhört, als ob es die Spatzen von den Dächern trällern. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Ihr Antrag ist wieder einer, der nur darauf hinweist, was Sie in Ihrer Regierungsverantwortung nicht auf die Reihe gekriegt haben,
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nämlich eine langfristig orientierte Wohnungsbauförderung aufs Gleis zu setzen, die effizientem Klimaschutz wirklich dient.
Ganz kurzer Blick zurück. Alle Anträge – auch daran sei erinnert –, die bis zum Stopp im Januar bei der KfW eingegangen sind, werden noch bearbeitet. Dafür sind sage und schreibe nochmals 5 Milliarden Euro mobilisiert worden.
Lassen Sie uns aber nun, anders als es in Ihrem Antrag geschieht, den Blick nach vorne richten. Dabei wird klar, dass die Fördersystematik wirklich weiterentwickelt werden muss, sowohl aus technologischen als auch – das möchte ich betonen – aus fiskalischen Gründen. Nicht nur diesen, sondern auch viele andere Anträge aus Ihren Reihen durchziehen mittlerweile, parteipolitisch gesprochen, Fäden, die so was von tiefrot schimmern, dass man sich nur noch wundern kann; so schmeißen Sie auch in diesem Antrag wieder mit Geld um sich, als ob es kein Morgen gäbe.
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Aber es gibt in diesem Land ein Morgen, in dem die Menschen energieeffizient, klimaschonend und bezahlbar wohnen können sollen. Deshalb bringen wir, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, eine grundlegende Neuausrichtung der Fördersystematik auf den Weg, die sich – und das ist für uns Liberale besonders wichtig – technologieoffen an der jeweils eingesparten Menge von CO2 orientieren wird.
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Denn eine wirklich gut gestaltete und auch in der Laufzeit definierte Förderung schafft Marktanreize und stärkt die Wirtschaftlichkeit der implementierten Lösungen.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass auch bei diesem Thema verschiedene Politikbereiche ineinandergreifen müssen, um das Problem zu lösen. Es braucht beispielsweise Qualifizierung und auch qualifizierte Einwanderung, um den Fachkräftemangel zu überwinden – die Ampelkoalition ist dran –, Forschung, zum Beispiel auch die Stärkung der Hochschulen für angewandte Wissenschaften – die Ampel ist dran –, die gerade im Baubereich sehr innovativ unterwegs sind, und auch die Vereinfachung von Vorschriften. Da kann ich als Baden-Württemberger aus dem Wahlkreis Mannheim nur auf die Landesbauordnungen verweisen. Wenden Sie sich mal an Ihre Kolleginnen und Kollegen in Stuttgart! Da gibt es viel zu tun.
Und was ist von all dem in Ihrem Antrag zu finden? Nichts. Der Rückwärtsgewandtheit Ihres Antrages halte ich entgegen, was die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen jüngst in einer aktuellen Stellungnahme der Ampelkoalition mit auf den Weg gegeben hat.
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Ich zitiere mit Erlaubnis der Frau Präsidentin:
Der Bundesregierung können wir nur sagen: Halten Sie Kurs! Halten Sie den Druck aus und gehen Sie diesen Weg weiter … Wir brauchen die Umstellung auf die Zielgröße CO2 und die Lebenszyklusbetrachtung, um zielgerichtet planen, bauen, sanieren und Gebäude betreiben zu können.
Dem schließe ich mich an.
Vielen Dank.
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Für die CDU/CSU-Fraktion erhält jetzt Anne König das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sowohl Bauwillige als auch die Baubranche stehen derzeit vor drei großen Herausforderungen. Zum einen sind es die extremen Lieferengpässe bei Baumaterial, zum anderen sind es die explodierenden Energiepreise, die auch das Bauen massiv verteuern, und drittens ist es ein Fachkräftemangel, der sich durch alle Segmente der Baubranche zieht.
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Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, hat dann die Ampel noch einen draufgesattelt mit dem Drama um den KfW-Förderstopp.
Sie haben in der Tat ein Trauerspiel in drei Akten zustande gebracht. Der erste Akt beginnt am 24. Januar.
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In einer Hauruckaktion des Wirtschaftsministeriums wurde der sofortige KfW-Förderstopp für energieeffiziente Gebäude über die Homepage verkündet, was nicht nur ein Kommunikationsdesaster war, sondern zugleich ein schwerer Vertrauensbruch gegenüber Bauwilligen und vor allem gegenüber jungen Familien, die glaubten, dass Ihre Finanzierung auf sicheren Füßen stehe.
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Ich sage Ihnen ganz ehrlich: So geht man nicht mit der Lebensplanung junger Menschen in diesem Land um.
Der Wirtschaftsminister versuchte sich daraufhin in Schadensbegrenzung. Er kündigte die Fortsetzung der Förderung zumindest für den Standard EH‑40 beim Neubau an. Es wurde also umdisponiert, neue Energieberater wurden beauftragt, neue Finanzierungen wurden abgeschlossen; natürlich jetzt zu schlechteren Bedingungen.
Dann folgte der zweite Akt des Dramas: Nach drei Monaten langen Wartens wurde innerhalb von drei Stunden die Neubauförderung für EH‑40 erneut gestoppt, da die 1 Milliarde Euro, die zur Verfügung gestellt wurde, schon ausgeschöpft war. Reichen sollte das Geld eigentlich nicht nur für drei Stunden, sondern bis zum Jahresende. Diese katastrophale Fehleinschätzung des Ministeriums war für viele Betroffene ein echter Schlag in die Magengrube und ließ den Traum vom eigenen Heim endgültig zerplatzen.
Und damit sind wir auch schon beim dritten Akt: Jetzt gibt es nur noch eine Neubauförderung in Kombination mit einem Qualitätssiegel für nachhaltiges Bauen; wiederum unter verschlechterten Förderbedingungen. Diese dürfen nur von Zertifizierungsstellen ausgestellt werden, von denen es genau drei in Deutschland gibt. Zudem ist dieses Verfahren extrem langwierig und kostspielig. Damit motivieren Sie gerade nicht zum klimafreundlichen Bauen, sondern Sie schrecken eher davon ab.
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Die von der Regierung Merkel eingeführten Förderprogramme haben dafür gesorgt, dass sich mehr Menschen für effiziente Gebäudesanierung entschieden haben. Wir haben damit einen ganz entscheidenden Beitrag für den Klimaschutz geleistet. Ihr Förderchaos führt dazu, dass sich weniger Menschen in Zukunft Energieeffizienz leisten können. Sie betreiben damit eine Politik gegen Effizienz und gegen Klimaschutz.
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Zudem sendet die Ampel ein fatales Signal an die Wohnungs- und Baubranche. Ihre Politik führt zu Auftragseinbrüchen bei Mittelständlern und Handwerkern. Wenn fest eingeplante Zuschüsse wegfallen, werden nicht nur Privatleute, sondern auch Wohnungsbaugesellschaften ihre Baupläne verwerfen.
Sie halten trotzig ihr Ziel, jährlich 400 000 neue Wohnung zu bauen, aufrecht, aber tun zugleich nichts dafür, dass das überhaupt noch funktionieren kann. Das an sich richtige Ziel der Klimaneutralität im Gebäudebestand bis 2050
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rückt so immer mehr in weite Ferne. Es reicht nicht aus, feierliche Erklärungen auf internationalen Klimakonferenzen abzugeben oder wohlklingende Bündnisse für bezahlbares Bauen auszurufen. Klimaschutz gelingt in erster Linie im Baubereich ganz konkret nur mit unseren Handwerkern, Bauunternehmen und Bauherren vor Ort. Die Politik muss die Energiewende auch nicht alleine schultern, aber sie muss den Machern vor Ort zumindest Verlässlichkeit und Planungssicherheit geben; beides leider Fremdworte für die Ampel.
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– Es ist so.
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Die von Ihnen verursachte Stagnation in der Bauwirtschaft zieht in unserer Volkswirtschaft zwangsläufig noch weitere Branchen in Mitleidenschaft. Wir fordern Sie daher in unserem Antrag auf: Reißen Sie das Ruder jetzt endlich herum, und sorgen Sie wieder für die richtigen Rahmenbedingungen beim Bauen und Sanieren in Deutschland.
Wenn eine steigende Inflation Investieren teurer macht, dann benötigen die bauwilligen jungen Familien, aber auch die Bau- und Wohnungsbranche die Unterstützung des Staates in besonderem Maße. Mit unseren Anträgen liefern wir Vorschläge, die das von der Ampel verursachte Desaster abmildern können. Wir bieten Ihnen damit einen Ausweg aus Ihrer Tragödie. Sie müssen dafür lediglich unseren Anträgen zustimmen.
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Es folgt für die SPD-Fraktion die Abgeordnete Melanie Wegling.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Tribünen! Die Union verspricht den „Traum von den eigenen vier Wänden“. Der Titel des Antrages mag ja ganz gut erscheinen, aber leider nur auf den ersten Blick.
Gehen wir in die Details. Sie schreiben, dass Sie den Erwerb von „Immobilien … für Familien mit geringen und mittleren Einkommen“ fördern wollen. Das klingt ja zunächst ganz gut.
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Aber mal ehrlich: Wo können sich Geringverdiener überhaupt noch Wohneigentum leisten?
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Ihnen ist schon klar, dass für viele Familien ohne den Ausblick auf eine Erbschaft Ihr sogenannter Traum ein echter Kampf, wenn nicht sogar eine völlige Utopie ist?
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Wie hoch müsste denn die Förderung des Staates sein, um diese Familien zu erreichen? Ihr Vorschlag ist Augenwischerei. So eine Förderung kommt nur Spitzenverdienern zugute; und das ist wahrscheinlich auch der ganze Sinn und Zweck dieses Antrages.
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Schauen wir uns das mal genauer an. Eine Erzieherin im Anerkennungsjahr verdient monatlich circa 1 500 Euro brutto; damit gehört sie in meinem Bundesland Hessen gerade noch zu den Menschen, die eine geförderte Mietwohnung beantragen können. Die Union will ihr jetzt aber ein Eigenheim anpreisen? Das ist doch zynisch und vollkommen an der Realität vorbei.
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Aber bekäme sie bei mir in Hessen überhaupt eine geförderte Wohnung? Wahrscheinlich nicht; denn in Hessen ist der Bestand der Sozialmietwohnungen über die letzten zehn Jahre um 35 Prozent zurückgegangen. Das ist doch die eigentliche Baustelle.
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Und wer stellt da gleich noch mal den Ministerpräsidenten? Die antragstellende Fraktion.
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Es ist immer leicht, mehr Mittel vom Bund zu fordern, aber in den Ländern muss dann auch geliefert werden. Menschen mit geringen Einkommen brauchen bezahlbaren Wohnraum und keine Luftschlösser in Form von Unionsanträgen.
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Aber zurück zu genau diesem Antrag. Sie wollen mehr Bauland auf Brach- und Konversionsflächen gewinnen. Ist Ihnen bewusst, dass es in Ballungsräumen, also dort, wo die Arbeitsplätze für die angesprochenen Menschen mit geringen und mittleren Einkommen sind, so gut wie gar keine Brachflächen gibt? Kommunale Diskussionen beschäftigen sich mittlerweile längst mit der Frage, inwieweit man Flächen versiegeln kann bzw. darf; nur als Stichwort: die Abwägung zwischen der Nachfrage nach Wohnraum einerseits und der Lebensqualität andererseits. Angeblich vorhandene Flächen mit staatlich geförderten Einfamilienhäusern zuzupflastern, die dann auch noch für die vorgegebenen Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen völlig unerreichbar sind, ist nicht nur realitätsfern, sondern auch unaufrichtig.
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Ihren Antrag aus diesen Gründen abzulehnen, ist ganz einfach. Aber ich möchte auch darauf eingehen, was wir stattdessen tun werden.
Die Ampelregierung setzt sich dafür ein, dass es wieder mehr Sozialwohnungen gibt. Wir wollen den Abbau des Sozialwohnungsbestandes bremsen und umkehren. Deshalb werden wir den sozialen Wohnungsbau der Länder bis 2026 mit einer Rekordsumme von 14,5 Milliarden Euro fördern.
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Darin sind auch die Mittel für das Bund-Länder-Programm für studentisches und Auszubildenden-Wohnen ab dem Programmjahr 2023 enthalten. Schon dieses Jahr packt die Ampel 2 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau, davon 1 Milliarde Euro in den klimagerechten sozialen Wohnungsbau. Das klingt für mich schon viel eher nach sinnvoll investiertem Geld. In diesem Sinne: Packen wir es an!
Vielen Dank.
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Als nächste Rednerin folgt für Bündnis 90/Die Grünen: Christina-Johanne Schröder.
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Frau Präsidentin! Liebe Union, Sie haben ein paar verbale Vorschlaghämmer rausgeholt. Die möchte ich zum Ende der Debatte doch noch mal einordnen.
Erst mal haben Sie die Ministerin extrem falsch zitiert, und zwar so falsch, dass es einfach unwahr ist. Ministerin Geywitz hat völlig richtig gesagt, dass nicht jede Generation so viel Fläche verbrauchen kann, dass sie ihre eigenen Eigenheime bauen kann, sondern dass die alten saniert werden müssen.
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Wir haben ja endlich wieder Gäst/-innen hier und debattieren nicht nur unter uns.
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Die jungen Leute aus den Schulen, die hier sitzen, haben ein Anrecht darauf, zu überlegen, was sie mit ihrer Fläche machen. Das geht aber nicht, wenn wir Deutschland zugebaut haben.
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Frau König, wenn 1 Milliarde Euro in drei Stunden weg ist, dann zeigt das: Das war ein relativ erfolgreiches Förderprogramm. Das zeigt, wie wahnsinnig gut und effizient unsere Bauwirtschaft Wohnraum schaffen kann. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir die Milliarden nutzen, um eine neue Förderung auf die Beine zu stellen.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der CDU/CSU-Fraktion?
Von Herrn Luczak? – Ja.
Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade darauf rekurriert, dass die Bauwirtschaft so toll mit dem Programm umgehen kann. Ich würde Ihnen, wenn Sie erlauben, kurz ein Zitat aus einer Pressemitteilung des GdW vorhalten.
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Der GdW ist ja bekanntlich der Verband, der – aus Ihrer Sicht – die guten, sozial aufgestellten Wohnungsunternehmen vertritt. Ich will Ihnen das Zitat mal vorhalten. Dort wird formuliert:
Dringender denn je ist, das Förderchaos beim klimaschonenden, bezahlbaren Bauen zu beenden. Planbarkeit ist Grundvoraussetzung für das Entstehen von neuem Wohnraum. Dafür ist eine wirksame und verlässliche Fördersystematik dringend notwendig. Das Fiasko rund um die KfW-Förderung hat jetzt schon Verzögerungen von bis zu 12 Monaten bei Bau und Modernisierung verursacht, die nicht mehr aufzuholen sind.
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Wenn man so etwas hört, dann stellt man doch einen gewissen Widerspruch fest zu dem, was Sie sagen, dass die Bauwirtschaft so toll damit umgehen kann. Richtig ist doch, dass wir im Moment einen riesigen Attentismus haben, dass zwei Drittel der Projekte momentan zurückgestellt werden, weil keiner genau weiß, was denn eigentlich die Förderbedingungen ab 1. Januar 2023 sein werden. Da würde mich schon mal interessieren, wie Sie diesen Widerspruch eigentlich auflösen wollen.
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Erst mal: Ich differenziere zwischen Bau- und Wohnungswirtschaft. Es ist total gut möglich, klimaeffizient nach dem KfW‑40-Standard zu bauen. Das Problem, das als Nächstes angesprochen wurde, gibt es; das ist wahr. Der GdW spricht etwas an, das völlig wahr ist. Aber das Förderchaos haben wir ja nicht verursacht.
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Ich habe gerade angefangen, Wohnungs- und Baupolitik hier im Bundestag zu machen, und das Erste, was ich getan habe, war eine unfassbare Krisenkommunikation, weil über 10 Milliarden Euro in ein völlig überfördertes Programm gesteckt wurden und wir einfach als Haushaltsgeber – dieses Parlament bestimmt den Haushalt – kein Geld mehr hatten.
Minister Altmaier hat, als er noch regierte – das haben meine Kollegen schon mehrfach gesagt –, dieses Förderprogramm gestoppt. Es hatte keine Steuerungswirkung mehr. Es hat wahnsinnig viel Steuergeld verschlungen. Und es hat ganz bestimmt nicht die Wirkung gehabt, den Bau von Eigenheimen zu fördern – hin und wieder sicherlich mal. Aber es ist eine Subvention für die Wohnungswirtschaft gewesen. Das ist in Ordnung. Aber Sie haben die Bundesförderung für effiziente Gebäude dafür zweckentfremdet, Herr Dr. Luczak.
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– Wir machen das ja auch. Ich glaube, das haben alle meine Vorredner/-innen der Ampelkoalition schon gesagt: Eigentumsbildung ist uns wichtig. Wir werden aber die Förderung einmal komplett auf neue Füße stellen müssen; denn das, was wir von Ihnen übernommen haben, reicht einfach nicht.
Wir wollen das 1,5‑Grad-Ziel halten. Das sind wir der Generation, die dort oben sitzt, schuldig. Denn der Klimawandel bedroht ganz konkret den Traum vom Eigenheim. Das wissen alle, die in Rheinland-Pfalz oder Nordrhein-Westfalen von dem schlimmen Hochwasser im letzten Jahr betroffen waren. Sie haben ihr Eigenheim, ihre Erinnerungen, ihre Rentenvorsorge verloren durch den Klimawandel. Deswegen ist es wichtig, dass die Bundesförderung für effiziente Gebäude in Zukunft effiziente Gebäude fördert und nicht nur den Neubau, Stichwort „Sanieren“.
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Und es ist gut, dass wir das jetzt machen. Wir stellen die Bundesförderung für effiziente Gebäude neu auf, wir machen eine Richtlinie für die Förderung von Pilotprojekten der Seriellen Sanierung, wir machen eine Bundesförderung für effiziente Wärmenetze, wir machen ein Gesetz zur kommunalen Wärmeplanung, wir machen ein Aufbauprogramm und eine Qualifizierungsoffensive Wärmepumpen, und dann klappt das auch mit dem klimafreundlichen Wohnen.
Das ist nicht nur aus Bezahlbarkeitsgründen wichtig. Das ist eben auch wichtig, weil wir gerade eine große geopolitische Abhängigkeit haben. Vor explodierenden Gaspreisen wurde immer wieder gewarnt. Vor der hohen Abhängigkeit von Putins Gas im Wohnbereich wurde immer wieder gewarnt. Dank Ihres Nichthandelns werden wir bis 2030 permanent die Klimaziele reißen, selbst wenn wir alle Ressourcen, die wir haben, jetzt in Effizienzförderung bei Gebäuden stecken.
Wir wollen Eigentum fördern; das ist uns wichtig. Ich finde es sehr, sehr gut, dass der Finanzminister gerade mit den Ländern bezüglich der Grunderwerbsteuer verhandelt. Und: Wir wollen eine neue Eigenkapitalförderung auflegen und das Genossenschaftsprogramm. Ich glaube, damit haben wir schon die ersten Grundsteine gelegt.
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Was wir tun müssen, ist, die Bodenpreise zu senken; denn diese machen Wohnen neben Inflation und Baustoffmangel extrem teuer.
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Wir müssen Share Deals unterbinden, und wir müssen Kommunen dazu befähigen, dass sie Bodenbevorratung betreiben können.
Wir müssen uns mal die Maklercourtage angucken. In anderen Ländern sind es 2 Prozent, und es gilt: Wer bestellt, bezahlt. – In Deutschland ist sie gestiegen, seitdem das Gesetz von der GroKo 2020 beschlossen wurde: von 6 auf gut 7 Prozent. Das muss man sich mal vorstellen: Das sind bei üblichen Erwerbspreisen 30 000 Euro. Das ist ein wunderschönes Eigenkapital. Hier sollten wir dringend regulieren.
Liebe Union, wir kümmern uns jetzt, dass es klappt mit dem klimafreundlichen Wohnen, wir kümmern uns jetzt, dass es klappt mit der Eigentumsförderung, und wir kümmern uns jetzt, dass es klappt, dass die Energiepreise sinken. Ich glaube, damit haben wir ein gutes Programm, das wir zusammen abarbeiten werden.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Für die CDU/CSU folgt der Kollege Ulrich Lange.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Bauministerin, es muss ja einen Unterschied machen, wie der Kollege Föst gesagt hat, ob man ein Ministerium hat oder nicht hat. Deswegen respektieren wir, dass Sie sich der heutigen Debatte stellen. Ich sage Ihnen aber auch ganz offen: All die Bauwilligen hätten in den letzten Wochen und Monaten auch Ihren Respekt verdient, nachdem dieses Chaos ausgebrochen ist.
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Vergangenen Mittwoch hat das Statistische Bundesamt die neuen Zahlen gemeldet: minus 8,9 Prozent bei Genehmigungen für neue Wohnungen, Neubauten und Umbauten, minus 26,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat bei Einfamilienhäusern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, minus 26,2 Prozent! Das heißt: Hier sind die geplatzten Träume, die Sie zu verantworten haben.
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Und das liegt an der verkorksten Förderpolitik. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, ich frage natürlich: Wo war die Bauministerin beim Förderstopp? Diese Frage muss erlaubt sein. Denn: Wer war denn der Finanzminister, der das Programm hinterlegt hat? Das war Olaf Scholz. Der jetzige Bundeskanzler hätte ein Machtwort sprechen können
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für ein Programm, das wir gemeinsam aufgesetzt haben.
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Das hat er nicht getan. Da hat er gezögert und gezaudert, und es kam nichts, lieber Kollege Daldrup.
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Deswegen: Das war ein eklatanter Vertrauensbruch. Es gab wütende Protestschreiben der Menschen aus all unseren Wahlkreisen, die einfach bitter enttäuscht wurden von der neuen Regierung.
({5})
Liebe Ministerin, ich zitiere Sie richtig: „Es ist ökonomisch und ökologisch unsinnig, wenn jede Generation neue Einfamilienhäuser baut …“ Ja, aber minus 26,2 Prozent, das kann nicht unsinnig sein, wenn ich mir anschaue, wie groß die Lücke an neuen Wohnungen und Einfamilienhäusern ist. So werden wir das Problem steigender Mieten nicht in den Griff bekommen. Wenn weniger gebaut wird, werden die Mieten definitiv nicht sinken, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({6})
Wenn dann auch nicht energieeffizient gebaut wird, wird es auch nicht funktionieren, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen. Sie können doch kein Interesse daran haben, dass die Menschen nicht mal mehr nach Standard 55 bauen, weil sie es sich nicht leisten können
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und nach noch geringerem Standard bauen. Das ist doch nicht Ihre Politik. Das ist doch nicht Ihr Anspruch. Sie scheitern in den ersten Tagen schon an sich selber. Das ist nicht sozial und nicht ökologisch, was Sie uns bisher hier vorgelegt haben.
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Der Traum vom Eigenheim schützt vor Altersarmut.
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Der Traum vom Eigenheim ist Familienpolitik. 75 Prozent derer, die Baukindergeld bezogen haben, haben ein Einkommen von weniger als 60 000 Euro, 35 Jahre war das Durchschnittsalter der Antragsteller, 1,7 Kinder, 400 000 Anträge, 710 000 Kinder haben ein eigenes Dach über dem Kopf bekommen. Das ist Union. Das ist Familienpolitik.
({10})
Und deren Fortsetzung erwarten wir auch von der Ampel:
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mit Planungssicherheit, mit den Förderprogrammen, damit die Menschen sich wieder auf das verlassen können, was die Regierung, was der Deutsche Bundestag beschließt. Sie haben einen Anspruch auf ein Ende dieses Chaos. Setzen Sie das Brachflächenprogramm fort! Das hilft gegen die Bodenpreise.
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Da haben Sie, lieber Kollege Daldrup, in der letzten Legislaturperiode gebremst. Sie waren der Bremser an dieser Stelle.
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Neubauförderung braucht dringend einen Neustart.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.
Menschen träumen weiter von ihren eigenen vier Wänden.
Herzlichen Dank.
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Der letzte Redner in dieser Debatte ist Timon Gremmels für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin ja richtig froh, dass ich andere Träume habe als Friedrich Merz und die CDU/CSU-Fraktion.
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Also, ich und meine Wählerinnen und Wähler träumen von bezahlbarem Wohnen.
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Das ist der Traum der Mehrheit der Menschen. Bezahlbares Wohnen inkludiert, umfasst natürlich auch das Eigenheim, das man selber bauen möchte.
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Wenn es Ihnen um die Sache gegangen wäre, dann hätten Sie eine ordentliche Revision gemacht und ausgewertet, was Sie die letzten 16 Jahre getan oder eben nicht getan haben. Wenn Sie sich in der Sache korrigieren und verbessern wollen, dann hätte ich mir einen anderen Antrag gewünscht. Dass Sie es wirklich nötig haben, sinnentstellt zu zitieren und damit Ihren Antrag zu begründen – das hat die Ministerin schon deutlich gemacht –, dafür sollten Sie sich schämen, meine sehr verehrten Damen und Herren. So was kennen wir eigentlich nur vom ganz rechten Teil dieses Hauses.
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Ich bin ehrlich froh, dass wir eine eigene Bauministerin haben und dass das Thema Bauen nicht mehr ein Annex ist an das Innenministerium, wie das unter Horst Seehofer der Fall war.
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Wir haben dafür gesorgt, dass dieses Thema aufgewertet wird, dass es dafür ein eigenes Haus gibt, dass wir eine engagierte Ministerin haben, die hier Ideen und Konzepte vorstellt, auf die wir unter Horst Seehofer vier Jahre gewartet haben, und nicht nur wir, sondern auch die Menschen in diesem Land.
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Und Sie stellen sich hierhin und betreiben Geschichtsrevision. Wer hat denn im November letzten Jahres das KfW-Förderprogramm zum 31. Januar dieses Jahres auslaufen lassen? Wer war das? Wer war der zuständige Minister? Nicht ein Mal ist bei Ihnen der Name Peter Altmaier gefallen. Vier Redner aus Ihrer Fraktion haben zu diesem Tagesordnungspunkt gesprochen, 18 Minuten haben sie insgesamt geredet. Sie haben weder über den Bauminister Horst Seehofer gesprochen noch über den für das Gebäudeenergiegesetz zuständigen Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Sie haben Ihre eigenen Minister und Ihren eigenen Teil der Geschichte überhaupt nicht im Blick.
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Herr Lange, ich frage Sie: Was hat Herr Seehofer denn gemacht, um die 800 000 Bauüberhänge kurzfristig abzuarbeiten?
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Was haben Sie denn da geliefert? Nichts!
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Zu einer ordentlichen Aufarbeitung der eigenen Regierungsverantwortung gehört auch die kritische Selbstbefassung.
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Ich gebe zu, dass das mit dem KfW-Programm nicht gerade eine kommunikative Glanzleistung war – gar keine Frage! Wir haben da auch Vertrauen verspielt. Aber das ist eine gemeinschaftliche Verantwortung, und der haben Sie sich entzogen. Ihnen geht es hier nicht um die Sache. Ihnen geht es hier um billige Oppositionspolitik. Das ist, ehrlich gesagt, aus meiner Sicht zu wenig.
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Wir beschäftigen uns umfassend mit dieser Thematik, und wir schauen nach vorne. Ich sage Ihnen mal was aus meinem Wahlkreis: Wenn ich bei mir im ländlichen Raum unterwegs bin, beobachte ich folgendes Phänomen: Die Ortskerne der Dörfer bluten aus, weil die Häuser zu klein sind, weil sie nicht mehr den Ansprüchen von heute genügen, weil teilweise Denkmalschutzauflagen zu berücksichtigen sind, und an den Ortsrändern sollen neue Baugebiete entstehen. Wir müssen doch auch die Ortskerne stärken. Wir müssen Programme entwickeln, die sicherstellen, dass man auch im Dorfkern gut und modern und sicher leben kann, die zeigen, dass man energetisch sanieren kann, damit die Menschen dorthin zurückkehren. Wir sollten nicht immer weiter ausfransende, neue Wohngebiete haben. Darum müssen wir uns kümmern.
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Wir müssen dazu Angebote machen.
Was ich noch erlebe, wenn ich bei mir im Ort unterwegs bin, ist, dass mittlerweile ganz viele ältere Ehepaare oder auch Witwen und Witwer in großen Häusern alleine leben, weil es eben keine kleinen Wohnungen gibt, die sie mieten können; sie wollen keine Wohnung mehr kaufen. Wenn es entsprechende Wohnungen gäbe, würden Bestandsbauten für Familien frei werden. Darum müssen wir uns kümmern. Auch das ist ein Traum, den die Menschen haben, meine sehr verehrten Damen und Herren. Davon ist in Ihrem Antrag äußerst wenig zu lesen.
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Wir müssen darauf achten, dass alles, was wir tun, energieeffizient ist. Es hilft doch jetzt nichts, schnell und preiswert zu bauen, wenn die Folgekosten, die Energiekosten von morgen die Menschen genauso belasten wie ein Kredit, den sie abbezahlen müssen.
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Auch darum müssen wir uns kümmern, auch dazu hören wir viel zu wenig von Ihnen.
Deswegen ist es richtig, dass sich diese Koalition zum Ziel gesetzt hat, mehr zu bauen, bezahlbar zu bauen. Wir werden 400 000 neue Wohnungen schaffen, das werden wir gemeinschaftlich erreichen und nachhaltig machen. Dafür stehen wir bereit. Dafür steht die Ampelkoalition. Da werden wir auch liefern.
In diesem Sinne alles Gute und Glück auf!
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Ich schließe die Debatte.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bürgerinnen und Bürger des Libanon haben vergangenen Sonntag ein neues Parlament gewählt. Dabei kam es zu Stromausfällen, dabei kam es zu gewaltsamen Zwischenfällen. Diese Ereignisse sind sinnbildlich für die tiefe Krise, in der sich dieses Land befindet. Die Wirtschaft und die Finanzen des Landes liegen am Boden. Die Auswirkungen treffen die krisengeplagte libanesische Bevölkerung hart. Es fehlt an Lebensmitteln, Medikamenten, Infrastruktur. Es gibt immer wieder Stromausfälle und kaum Arbeit.
Verschärft wird die Lage durch die vielen Menschen, die aus dem benachbarten Syrien in den Libanon fliehen. Auf eine Gesamtbevölkerung von circa 6 Millionen kommen geschätzte 1,5 Millionen Geflüchtete. Das hat enorme humanitäre und auch sicherheitspolitische Folgen. Hinzu kommen die Coronapandemie und die verheerende Explosion im Hafen von Beirut vor knapp zwei Jahren.
Frau Ministerin, einen Moment bitte. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden hier über einen Einsatz unserer Streitkräfte, und da bitte ich um eine gewisse Aufmerksamkeit. Zumindest hier vorne kommt wirklich eine unglaubliche Lautstärke an. Es ist ganz schwer, dagegen anzureden.
Vielen Dank.
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Vielen Dank für die Unterstützung. Ich versuche dennoch, dagegen anzureden; denn ich glaube, dieses Thema ist es tatsächlich wert, dass man zuhört und sich dann auch entsprechende Gedanken macht, um eine Entscheidung treffen zu können, wie man mit diesem Mandat umgeht.
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Hoffnung und Zuversicht in weiten Teilen der libanesischen Bevölkerung schwinden. Deswegen ist es umso wichtiger, dass die UNIFIL-Mission der Vereinten Nationen fortgeführt werden kann. Es geht nämlich darum, dass die Gemengelage, die ich beschrieben habe, nicht erneut zum Pulverfass wird.
Der Einsatz sichert das Ende eines gewaltreichen direkten Konfliktes zwischen Israel und dem Libanon langfristig ab. Er hilft, eine erneute Eskalation zwischen den beiden Ländern zu vermeiden. Und dieser Einsatz ist der einzige direkte Kommunikationskanal zwischen Israel und dem Libanon. Wie wichtig dieser Kanal ist, hat uns gerade das vergangene Jahr gezeigt, in dem die Spannungen wieder zugenommen haben. UNIFIL trägt aber auch ganz entscheidend dazu bei, staatliche Strukturen im Libanon zu stärken. Schon die Wahlen am vergangenen Sonntag sind ein positives Zeichen, dass die Entwicklung in die richtige Richtung geht, dass wir mit UNIFIL etwas für die Menschen vor Ort verändern können. Meine Damen und Herren, unsere Soldatinnen und Soldaten leisten hierzu einen maßgeblichen Beitrag, und dafür gebühren ihnen Anerkennung und Respekt. Vielen Dank!
({1})
Die Bundeswehr ist ein substanzieller Baustein der UNIFIL-Mission. Seit Beginn der maritimen Operation stellt Deutschland Schiffe und Personal, und seit Januar vor einem Jahr führen wir den UNIFIL-Flottenverband. Wir stellen unsere Korvette „Erfurt“ für den maritimen Einsatzverband von UNIFIL bereit. So tragen wir aktiv zur See- und Luftraumüberwachung vor der libanesischen Küste bei und verhindern den Waffenschmuggel über See. Denn die Hisbollah, die das Existenzrecht Israels leugnet, diese Terrororganisation, darf in dieser Region nicht an Waffen geraten. Wir handeln, wenn die Sicherheit Israels in Gefahr ist.
({2})
Und das ist weiter nötig; denn die libanesische Marine ist noch lange nicht in der Lage, die Seegrenze des Landes eigenständig zu kontrollieren. Sie können ihre Küste überwachen und sehen, was passiert; das ist möglich. Sie können aber noch nicht selbstständig reagieren, wenn sie etwas Auffälliges beobachten. Genau hier setzen wir an. Einerseits tragen unsere Soldatinnen und Soldaten selbst dazu bei, die Seegrenzen zu sichern. Andererseits stärken wir die Eigenständigkeit der libanesischen Marine durch Material und Ausbildung. Zum Beispiel versorgen wir den Libanon mit technischer Ausrüstung für die Küstenüberwachung, und unsere Soldatinnen und Soldaten lernen die libanesischen Kameraden hieran an.
Unser Ziel bleibt: Der Libanon soll seine Seegrenzen selbst schützen können, und zwar vollständig und dauerhaft. Und ich bin stolz, sagen zu können: Die Ausbildung durch unsere Truppe, durch die Bundeswehr, verbessert die Einsatzbereitschaft der libanesischen Marine.
({3})
Meine Damen und Herren, unser Engagement ist auch hochwillkommen. Sowohl Libanon und gerade auch Israel wünschen sich, dass die Vereinten Nationen weiter präsent bleiben und dass sich Deutschland weiter an UNIFIL beteiligt. Deshalb bitte ich Sie, dieses Mandat zu verlängern.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Bundestagspräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Libanon befindet sich in einer ausgesprochen prekären wirtschaftlichen Lage. Seit 2019 herrscht die größte Wirtschafts- und Finanzkrise in der Geschichte des Landes, und das zeitigt massive Spuren. Die Inflation liegt bei über 200 Prozent. Das libanesische Pfund hat mehr als 90 Prozent seines Wertes verloren. Nach Angaben der Vereinten Nationen leben drei Viertel aller Menschen im Libanon an der Armutsgrenze. Viele können schlicht ihre Familien nicht mehr ernähren. Der massive Verlust an Kaufkraft beeinträchtigt auch die Versorgung der libanesischen Sicherheitskräfte. Dazu kommen die schon angesprochenen 1,5 Millionen Flüchtlinge aus Syrien, die noch immer im Land sind und die angesichts von 6 Millionen Einwohnern des Libanon noch immer die höchste Flüchtlingsquote weltweit bedeuten.
Wenn wir heute eine Verlängerung des UNIFIL-Mandats auf den Weg bringen, dann müssen wir schon klar benennen, wer für die Verelendung weiter Bevölkerungskreise im Libanon die Verantwortung trägt: Es ist eine politische Klasse, die offenbar in einer anderen Realität lebt als die eigene Bevölkerung, für die sie sorgen sollte. Deswegen ist schon anzumahnen, dass dringend nötige Reformen endlich auf den Weg gebracht werden, woran es seit Monaten und Jahren mangelt. Die politischen Kräfte blockieren sich gegenseitig und reißen ihr eigenes Land in den Abgrund. Die Wahlen am vergangenen Wochenende haben offengelegt, wie wenig das libanesische Volk seinen Regierenden vertraut: 41 Prozent haben sich an den Wahlen beteiligt, 59 Prozent nicht. Das ist ein glattes Misstrauensvotum der Bevölkerung gegen die eigenen politisch Verantwortlichen.
Das Proporzsystem in Regierung und Parlament lässt tiefgreifende Veränderungen wohl kaum erwarten. Aber das Wahlergebnis, insbesondere der unerwartet große Dämpfer für die Hisbollah, sollte doch Anlass zum Umdenken sein. Die Entscheidungsträger im Libanon müssen ihrer eigenen Verantwortung nachkommen, meine Damen und Herren.
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Die libanesischen Streitkräfte sind in allen Teilen der Bevölkerung anerkannt. Sie leisten einen unverzichtbaren Dienst, um Frieden und Stabilität im Libanon zu bewahren; denn sie sind im ganzen Land im Einsatz, was wir in Deutschland und Europa oft wenig wahrnehmen. Mit der Unterstützung der libanesischen Armee und mit der Präsenz im Land tragen die Vereinten Nationen deshalb erheblich zur Stabilität des Libanon bei.
Die Beteiligung der Bundeswehr an der maritimen Komponente von UNIFIL hat sich bewährt. Unsere Soldaten und Soldatinnen leisten ebenfalls einen wertvollen Beitrag zur Stabilität des Libanon, der sowohl vom Libanon als auch von Israel ausdrücklich anerkannt wird. Deswegen haben die Angehörigen der Bundeswehr, die im Libanon und an allen dazugehörenden Standorten ihren Dienst tun, einschließlich Limassol auf Zypern, unser aller Dank und unsere Wertschätzung für ihren Einsatz verdient, meine Damen und Herren.
({1})
Dass im Rahmen des neuen Mandates eine Korvette zur Maritime Task Force zurückkehren soll, macht durchaus Sinn. Zielsetzung unseres Engagements ist allerdings immer, dass wir die libanesischen Streitkräfte so ausbilden, so unterstützen, so beraten, dass sie die Verantwortung für ihre Sicherheit schrittweise in den eigenen Händen halten können. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus hilfreich, wenn wir mit Partnern der Vereinten Nationen gelegentlich rotieren: Wir waren schon mit einer Korvette im Einsatz und sind momentan raus; jetzt gehen wir wieder rein. Das macht durchaus Sinn.
Aber zur Verantwortungsübergabe in libanesische Hände gehört eben auch, dass neben Ausbildungs- und Beratungsleistungen die materiellen Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Weder wir noch unsere Partner in den Vereinten Nationen konnten dazu signifikante Beiträge leisten. Dafür gibt es Gründe. Es gibt auch eine hohe Eigenverantwortung der libanesischen Streitkräfte, ihre Marine entsprechend auszustatten. Aber es ist gut, dass wir im Rahmen dieses UNIFIL-Mandats auf die Ertüchtigungsinitiative der Bundesregierung hinweisen, die für die materielle Ausstattung der libanesischen Streitkräfte bereits eingesetzt wird. An dieser Stelle kann man in der Tat mehr tun. Die Radarüberwachung der Küste, die wir mit geschaffen und für die wir ausgebildet haben, ist dafür ein gutes Beispiel.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zurück zum Tagesordnungspunkt 30 und mache darauf aufmerksam, dass die Zeit für die namentliche Abstimmung gleich vorbei ist. Die Urnen werden um 12.17 Uhr geschlossen. Sollten Sie noch nicht Gelegenheit gehabt haben, an der Abstimmung teilzunehmen, dann wäre jetzt die Zeit.
Das Wort hat der Staatsminister Dr. Tobias Lindner.
({0})
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist das Interesse der Bundesregierung, eine weitere Destabilisierung Libanons und eine Zuspitzung der humanitären Lage zu verhindern; denn dies hätte nicht nur weitreichende lokale oder regionale, sondern eben auch internationale Folgen.
Die Parlamentswahlen, die am vergangenen Sonntag stattgefunden haben, zeichnen ein gemischtes Bild. Die Wählerinnen und Wähler haben deutlich gemacht, dass sie mit der bisherigen Regierung nicht zufrieden sind. Die Koalition um die Hisbollah hat ihre Parlamentsmehrheit verloren. Neue, unabhängige und reformorientierte Abgeordnete ziehen ins Parlament ein. Gleichzeitig droht die Gefahr politischer Blockaden und einer langen Phase der Regierungsbildung, in der dringend benötigte Reformen weiter ausbleiben. Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir unser breites Engagement zur Unterstützung des Libanon aufrechterhalten. Die Bundesregierung verfolgt dabei einen umfassenden Ansatz, der verschiedene außen-, sicherheits- und entwicklungspolitische Instrumente und Maßnahmen im Bereich der Stabilisierung und der Menschenrechte im Libanon kombiniert. Unser Engagement für Land und Region berücksichtigt dabei sowohl libanesische als auch israelische Interessen.
Meine Damen und Herren, es ist klar: Damit sich die desolate Lage des Libanon nachhaltig verbessert, muss das Land ernsthafte Reformen umsetzen. Das erfordert einen langen Atem und von der internationalen Gemeinschaft einen konsequenten und dauerhaften Einsatz. Die Unterstützung der libanesischen Streitkräfte durch die VN-Friedensmission UNIFIL ist dabei ein zentraler Faktor.
Lassen Sie mich kurz zur Lage der libanesischen Streitkräfte ausführen: Sie sind einer der wenigen Faktoren, die den Libanon konfessionsübergreifend einen. Aber leider befinden auch sie sich in einer zunehmend prekären Lage. Der Haushalt der libanesischen Armee leidet unter dem gravierenden Kaufkraftverlust des libanesischen Pfunds, und dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Einsatzfähigkeit der Streitkräfte.
Deutschland hat seit der Neuaufstellung der Mission UNIFIL nach dem Krieg zwischen Libanon und Israel im Jahr 2006 viel zu dieser Mission beigetragen. Die langjährige deutsche Unterstützung für die Streitkräfte wird im Libanon wahrgenommen. Deutschland wird als wichtiger Partner geschätzt. Die maritime Komponente ist ein zentraler Pfeiler der UNIFIL-Kernaufgabe, den Waffenstillstand zu gewährleisten. Kernstücke unseres deutschen Beitrags zur Stabilisierung und Ertüchtigung sind die Beteiligung am UNIFIL-Flottenverband zur Sicherung der seeseitigen Grenzen und eben auch der Fähigkeitsaufbau der libanesischen Marine. Denn erst wenn die libanesische Marine dauerhaft Fähigkeiten entwickelt hat, kann sie ihre Küstengewässer eigenständig überwachen. Erst dann kann der maritime Flottenverband der Mission zurückgefahren werden. UNIFIL arbeitet mit unserer Unterstützung darauf hin; aber wir sind noch lange nicht am Ziel.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Mission hat ihr Mandat in einem sehr volatilen regionalen Umfeld bisher gut erfüllt und stabilisierend gewirkt, nicht zuletzt durch Drei-Parteien-Gespräche mit Israel und Libanon. Zweifelsohne bleiben Herausforderungen. Im Südlibanon entlang der Demarkationslinie kommt es immer wieder zu Verletzungen des Waffenstillstandes. Eine besondere Gefahr – das ist angesprochen worden – geht dabei von nichtstaatlichen Gruppen, vor allem von der Hisbollah, aus. Die libanesischen Streitkräfte können dort für UNIFIL bislang nicht durchgehend den uneingeschränkten Zugang gewährleisten.
Mit unserem Beitrag zu UNIFIL leisten wir nicht zuletzt einen wichtigen Beitrag zum deutschen VN-Engagement.
({0})
Mit vergleichsweise überschaubarem Mitteleinsatz verbessern wir in einer klar definierten und erfolgreichen Mission die angespannte Lage im Einsatzgebiet maßgeblich und sind verlässlicher Partner. Im Namen der Bundesregierung bitte ich Sie deshalb um Ihre Zustimmung zur Verlängerung dieses Mandats.
Vielen Dank.
({1})
Ich mache darauf aufmerksam, dass die Urnen für die namentliche Abstimmung in drei Minuten geschlossen werden. Wer noch nicht Gelegenheit hatte, an der Abstimmung teilzunehmen, möge dies jetzt tun.
Wir kommen zurück zur Tagesordnung. Das Wort hat der Abgeordnete Joachim Wundrak für die AfD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn unmissverständlich betonen, dass wir anders als andere Parteien dieses Hauses das Existenzrecht Israels ohne Wenn und Aber anerkennen.
({0})
Als das Verteidigungsministerium im Jahr 2006 mit der Frage der Beteiligung an der maritimen Komponente von UNIFIL befasst wurde, gab es Bedenken, dass eine mögliche Konfrontation mit israelischen Kräften vor der Küste Libanons zu politischen Verwerfungen führen könnte. Die Deutsche Marine übernahm im September 2006 die Führung dieser Maritime Task Force mit einem eigenen großen Verband mit bis zu sechs Schiffen und circa 700 Soldaten. Tatsächlich gab es bald einige Zwischenfälle durch tiefe Überflüge israelischer Kampfflugzeuge über deutsche Schiffe. Dies konnte allerdings schnell und professionell durch die militärische Führung und auch durch ein Gespräch auf Ministerebene beigelegt werden. Allerdings gab es schon damals die Aussage der Israelis, dass die Anwesenheit der Deutschen Marine vor der Küste des Libanon zwar willkommen sei, jedoch werde deren Mission gegen den Waffenschmuggel, insbesondere den Waffenschmuggel zugunsten der Hisbollah, wohl unwirksam bleiben.
Werte Kollegen, mittlerweile sind 16 Jahre vergangen. Derzeit – wir haben es gehört – führt wieder ein deutscher Admiral diese Taskforce, und der deutsche Beitrag soll auf ein Schiff und circa 60 Soldaten reduziert werden. Der Nachweis der Wirksamkeit der maritimen Mission von UNIFIL gegen Waffenschmuggel kann weiterhin nicht erbracht werden. Die Verantwortung für die Überprüfung der einlaufenden Handelsschiffe liegt ausschließlich bei den libanesischen Behörden. Die Ergebnisse der Überprüfung werden nicht mitgeteilt.
Allerdings – wir haben das schon gehört – hat die Deutsche Marine in den vergangenen Jahren vor Ort durchaus Hervorragendes geleistet. Der Aufbau einer Küstenradarorganisation einschließlich der Ausbildung war ein sehr erfolgreiches Projekt, um die libanesischen Behörden in die Lage zu versetzen, ihre Küste selbst zu überwachen.
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Ebenso ist die Ausbildung der kleinen libanesischen Marine über die Jahre so erfolgreich verlaufen, dass diese ihre Ausbildung nun auch selbst leisten kann.
Wie aber sieht es auf der deutschen Seite aus? Die Deutsche Marine des Jahres 2022 ist nunmehr die kleinste Marine, die Deutschland je zur Verfügung hatte. Verantwortlich für diesen Zustand sind die Parteien dieses Hauses, die in den letzten 30 Jahren Regierungsverantwortung in unserem Land getragen haben.
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Der politische Anspruch, weltweit mehr Verantwortung übernehmen zu wollen, und die materielle und personelle Wirklichkeit der Deutschen Marine stehen im krassen Widerspruch zueinander. Es ist also an der Zeit, den deutschen Beitrag zur Maritime Task Force UNIFIL zu beenden und sich wieder der Kernaufgabe deutscher Streitkräfte, der Landes- und Bündnisverteidigung, zuzuwenden.
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Diese Aufgaben sind geographisch in erster Linie in der Ostsee, Nordsee und im Nordatlantik zu sehen. Insbesondere die aktuelle Entwicklung in Nordeuropa bedarf nun der erhöhten Aufmerksamkeit auch unserer Marine.
Die jüngsten Entscheidungen Finnlands und Schwedens, ihre Aufnahme in die NATO zu beantragen, haben zur offenen Androhung militärischer Konsequenzen durch Russland geführt. Solange der Artikel 5 des NATO-Vertrages noch nicht für Finnland und Schweden gilt, sind Schutzmechanismen nur durch bilaterale Erklärungen, zum Beispiel von Großbritannien, oder, für uns zutreffend, durch den Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrages gegeben. Dieser fragile Zustand kann aufgrund der ablehnenden Haltung der Türkei zum NATO-Beitritt von Finnland und Schweden noch einige Zeit andauern. Also sollten die Einsätze der Deutschen Marine im Mittelmeer beendet werden, um Kapazitäten für den Kernauftrag der Landes- und Bündnisverteidigung freizusetzen. Die geplante Korvette vor Beirut ist daher sinnvoller in der Ostsee einzusetzen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich vor, Sie sitzen an einem gemütlichen Samstagmorgen mit Ihrer Familie am Frühstückstisch im israelischen Kiryat Shmona oder in der Partnerstadt meiner Heimatstadt Chemnitz, in Kiryat Bialik, unweit der Grenze zum Libanon. Plötzlich explodiert eine Bombe in unmittelbarer Nähe Ihres Hauses oder Ihrer Wohnung. Wenn Sie Glück haben, kommen Sie mit dem Schrecken davon, wenn nicht, verlieren Menschen, die Sie lieben, oder vielleicht sogar Sie selbst ihr Leben, ihre Gesundheit oder ihren Besitz.
Meine Damen und Herren, leider ist dies Alltag in der einzigen Demokratie im Nahen Osten. Die Hisbollah – Staatsminister Lindner hat es angesprochen – hat nach Informationen von Militärexperten bis zu 150 000 Raketen und über 50 000 Kämpfer – nicht unerhebliche Anteile davon im Süden des Libanon stationiert – und terrorisiert, wo immer es geht, die Menschen in Israel, aber leider auch die eigene Bevölkerung im Libanon, deren Lage – das haben wir heute schon oft gehört – aktuell katastrophal ist. Allein im vergangenen Jahr sind auf Israel vonseiten des südlichen Libanons am 13. Mai drei Raketen, am 17. Mai sechs Raketen, am 19. Mai vier Raketen, am 20. Juli zwei Raketen, am 4. August zwei Raketen abgeschossen worden. Der jüngste Beschuss war in diesem Jahr am 25. April.
Vor wenigen Wochen hatte ich an der Grenze zum Libanon die Gelegenheit, mir persönlich die von der IDF entdeckten Terrortunnel anzuschauen, welche die Hisbollah unter der libanesisch-israelischen Grenze gegraben hat, um ihre tödlichen Waffen gegen Menschen, die wie wir alle in Freiheit und Demokratie leben, einzusetzen. Ich glaube, niemand von uns hier im Hause und auch nicht auf der Tribüne will erleben, wie mitten beim Kindergeburtstag beim Federballspiel der Kinder auf einmal ein Kämpfer aus einem Terrortunnel auf die Wiese emporkommt. Meine Damen und Herren, diesen Terror müssen wir beenden.
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Die Hisbollah, welche überwiegend vom Iran finanziert wird, ist aber nicht nur eine Bedrohung für Israel, sondern genauso eine Bedrohung für die libanesische Bevölkerung, deren Lage wirklich katastrophal ist. Wir alle erinnern uns noch an die gewaltige Explosion und brutale Zerstörung im Hafen der libanesischen Hauptstadt Beirut am 4. August 2020, bei der 2 800 Tonnen Ammoniumnitrat in einem geheimen Munitionslager der Hisbollah explodierten. 200 unschuldige Menschen starben dabei, und circa 300 000 libanesische Menschen wurden obdachlos. Es ist an Perversion nicht zu übertreffen, dass die Hisbollah, ähnlich wie die palästinensische Hamas, solche Munitionslager in Wohngebieten platziert und damit die Bewohner als lebendige Schutzschilde für ihren Terror missbraucht.
Man muss nur dem langjährigen Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah zuhören, der ganz offen sagte: The Zionist entity is to be temporary and in decline. – Das bedeutet, dass die Hisbollah als Proxy des Irans nur ein einziges Ziel hat: die Vernichtung des Staates Israel. Meine Damen und Herren, für ein Land wie Deutschland, in dem Menschenrechte großgeschrieben werden und dessen Staatsräson die Existenz und Sicherheit Israels ist, ist dieses Verhalten völlig inakzeptabel.
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Deshalb braucht die Region das Mandat UNIFIL – da stimme ich meinen Vorrednern, vor allem dem Staatsminister Lindner, uneingeschränkt zu – mehr denn je. Denn die Aufgaben der UNIFIL sind auch die Ermittlung und Eliminierung solcher Terrortunnel.
Aus diesem Grund werden wir Freie Demokraten für die Verlängerung des Mandats stimmen. UNIFIL ist zweifelsohne eine der ältesten UN-Missionen und – das ist schon mehrfach gesagt worden – ein ganz beständiges Vermittlerinstrument zwischen der israelischen und libanesischen Seite. Die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an UNIFIL ist vor diesem Hintergrund ein enorm wichtiger Beitrag, um die Bedrohungslage für Israel, aber auch das Leid der Bevölkerung im Libanon zu mindern und für Stabilität im Süden des Libanons zu sorgen. Mein Dank gilt an dieser Stelle ganz besonders dem Flottillenadmiral Mügge und allen Soldatinnen und Soldaten sowie den zahlreichen zivilen Einsatzkräften vor Ort.
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Die Explosion in Ain Qana zeigt eindrucksvoll, dass die Zusammenarbeit nicht ausschließlich reibungslos verlief; Staatsminister Lindner hat es gesagt. Deshalb kommt der neuen Regierung im Libanon eine enorm wichtige Rolle zu, welche UNIFIL einen uneingeschränkten Zugang zu allen Bereichen im Süden des Libanon ermöglichen muss.
UNIFIL hilft nicht nur, Waffenschmuggel zur See zu verhindern, sondern ist auch ein unglaublich wichtiger humanitärer Einsatz, um Transportwege zu sichern. Das langfristige Ziel im Interesse der Menschen im Libanon und der Menschen in Israel muss sein, die Terrororganisation Hisbollah im südlichen Libanon zu entwaffnen und der libanesischen Armee wieder die Kontrolle zu übergeben, damit der südliche Libanon stabilisiert wird. Denn wenn die Sicherheit Israels die Staatsräson Deutschlands ist und Menschenrechte weltweit gelten, dann ist der Einsatz UNIFIL ein Teil der deutschen Verantwortung. Das galt in der Vergangenheit, und das gilt auch in der Zukunft. Deshalb freue ich mich über die Zustimmung zu diesem Mandat.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Müller-Rosentritt, Sie haben eben den Libanon als die einzige Demokratie im Nahen Osten bezeichnet.
({0})
– Dann haben Sie sich vielleicht versprochen.
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– Wir können das ja nachschauen. Ich denke, auch Israel sollte man bei aller Kritik, die man haben kann, als Demokratie einstufen.
({2})
Wir reden heute über die Verlängerung des Einsatzes UNIFIL an der Küste Libanons. Es ist der dritte Militäreinsatz, über den wir heute im Bundestag debattieren. Und es ist, seitdem wir im Bundestag überhaupt über bewaffnete deutsche Einsätze reden und entscheiden, mittlerweile der etwa 240. Einsatz. Der Bundestag kann ja nur zustimmen oder ablehnen; er kann an den Mandatstexten nichts ändern. Frau Verteidigungsministerin Lambrecht, wissen Sie, wie häufig der Bundestag ein Mandat abgelehnt hat? Kein einziges Mal! Das ist schon ein Problem, weil das Ritual entsteht, dass man völlig unabhängig von der Lage, die sich entwickelt, völlig unabhängig davon, ob die Ziele, die zu Beginn formuliert worden sind, erreicht werden oder nicht, hier im Bundestag immer zustimmt. Das sehen wir als Demokratieproblem an.
({3})
Im Libanon – das gilt auch für diesen Einsatz – gibt es seit 16 Jahren UNIFIL mit dem Hauptzweck, Waffenlieferungen vornehmlich an die Hisbollah zu unterbinden. In diesen 16 Jahren gab es nicht einen einzigen offiziell bestätigten Waffenfund. Dieser Einsatz ist aus unserer Sicht ein sinnloser Einsatz.
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In diesem Fall ist es kein Rieseneinsatz; es gibt viel größere Einsätze. Hier werden für die Verlängerung um ein Jahr knapp 30 Millionen Euro veranschlagt. Wir denken, es wäre sehr viel sinnvoller, sich darauf zu konzentrieren und dieses Geld dafür zu investieren, die sich abzeichnende humanitäre Krise im Libanon abzuwenden, die vor allen Dingen dadurch entsteht, dass die Weizen- bzw. Getreidelieferungen reduziert werden – Libanon ist da ein großer Importeur – und die Weizenpreise infolge des Krieges in der Ukraine und auch infolge der Sanktionen steigen. Frau Verteidigungsministerin, Sie sagen: Na ja, aber der Einsatz ist doch dafür gut, dass es einen diplomatischen Kanal zwischen Israel und Libanon gibt. – Ich glaube, auch dafür gibt es bessere Instrumente als einen deutschen Militäreinsatz. Wir werden diesen Einsatz ablehnen.
Vielen Dank.
({5})
Ich erteile dem Kollegen Frank Müller-Rosentritt das Wort für eine Kurzintervention.
Kollege Hunko, ich wollte es nur einmal klarstellen: Wenn man in diesem Hohen Hause ans Rednerpult geht und bei den Begriffen „Demokratie“, „Freiheit“ und „Pluralismus“ nicht automatisch an Israel denkt, dann ist man entweder total desorientiert oder bei der Linkspartei.
({0})
Deshalb meine ich selbstverständlich mit „Demokratie“ und „Pluralismus“ den Staat Israel.
Wollen Sie etwas erwidern? – Dann haben Sie das Wort.
Selbstverständlich – deswegen habe ich das ja erwähnt – habe ich an Israel gedacht. Sie können im Protokoll nachschauen. Das war dann wahrscheinlich ein Versprecher Ihrerseits. Ich denke aber, neben dem Libanon sollte man im Nahen Osten auch Israel als Demokratie erwähnen. – Vielen Dank.
Dann haben wir das geklärt.
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Das Wort hat der Kollege Andreas Larem für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Hunko, auch wenn es jetzt von meiner Redezeit abgeht, möchte ich doch noch sagen: Ich habe gestern Abend mit hochrangigen Vertretern der Ukraine gesprochen, und dabei war auch die internationale Welt- und Sicherheitsordnung ein Thema. Wir haben eine Veränderung in unserer Sicherheitsordnung; darauf komme ich auch in meiner Rede noch zu sprechen. Es ist nur gut, klug und richtig, dass wir uns an diesen Mandaten beteiligen und diese drei Mandate aufrechterhalten. Das wurde auch in dem Gespräch gestern Abend noch einmal deutlich.
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Alles hat seine Zeit. Nach dem brutalen und verachtenswerten Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, wodurch sich unsere weltweite Sicherheitsordnung verändert hat, müssen wir uns jetzt den veränderten außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen stellen. Hierzu gehört auch UNIFIL.
Somit reden wir heute über den Libanon. Er ist seit Jahrzehnten ein Konfliktherd und Schauplatz von Kriegen, und er ist ein Ort unendlichen Leids der libanesischen Zivilbevölkerung wie auch von 1,5 Millionen Flüchtlingen. Es ist eine Tragödie, was aus diesem Land geworden ist, das einst die grüne Perle des Orients war, das einst ein Modell des Ausgleichs zwischen den Religionen und Bevölkerungsgruppen im Nahen Osten darstellte.
Aktuell erlebt das kleine Mittelmeerland erneut schwere Krisen: wirtschaftlich, sozial und politisch. Die Währung verfällt, das Land ist mit aller Härte von den Getreidelieferausfällen aus der Ukraine betroffen. Es droht eine Katastrophe. Hinzu kommt, dass die zurückliegenden Wahlen keinen wirklichen Wahlsieger hervorgebracht haben, und erneut droht eine nicht handlungsfähige Regierung. Auch wenn die Aufgabe schwer lösbar erscheint, dürfen wir die Menschen dort dennoch nicht im Stich lassen. Deshalb ist es gut, klug, richtig und wichtig, dass diese Bundesregierung sich für die Fortsetzung des UNIFIL-Mandates ausspricht.
Es kommt immer wieder entlang der Blauen Linie, der Demarkationslinie, zu Zwischenfällen. Die ungelösten Fragen in Bezug auf die Seegrenze zwischen Israel und Libanon bergen nach wie vor Konfliktpotenzial. Deutschland ist unverändert daran interessiert, den dauerhaften Frieden und die Stabilität im Nahen Osten nachhaltig zu fördern.
Auch Libanon und Israel – beide – legen großen Wert auf die Präsenz der Vereinten Nationen und die deutsche Beteiligung an UNIFIL. Somit bleibt der Beitrag der UNIFIL-Friedenskommission der Vereinten Nationen für eine Deeskalation von Spannung und zum Erreichen dauerhafter Stabilität im Libanon unerlässlich. Deutschland engagiert sich derzeit mit 62 Soldatinnen und Soldaten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, an dieser Stelle, hier und heute, möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich bei den Soldatinnen und Soldaten zu bedanken, die einen großen und unerlässlichen Beitrag zum Frieden in dieser krisenerschütterten Region leisten.
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Worum geht es bei UNIFIL? Erstens. Es geht um die Funktion von UNIFIL als Deeskalations- und Kommunikationskanal, durch Diplomatie und Vermittlung Spannungen abzubauen, ganz konkret vor Ort an der Blauen Linie und insbesondere in den sogenannten Dreiparteiengesprächen mit den libanesischen und israelischen Streitkräften. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Kriegszustand zwischen Israel und dem Libanon offiziell noch nicht beendet ist. Weiterhin erkennen sich beide Staaten nicht an. Land- und Seegrenze sind nicht festgelegt. Aber beide akzeptieren und schützen den wertvollen UNIFIL-Streitschlichtungsmechanismus. Nur unter dem Dach der Vereinten Nationen tauschen sie sich direkt aus. Also beide, Libanon und Israel, haben ein großes Interesse an der Präsenz der Vereinten Nationen und der deutschen Beteiligung.
Zweitens. Es geht aber auch um die Unterbindung von Waffenschmuggel vom Meer heraus. Das hilft dabei, die Ausrüstung von Gruppen wie zum Beispiel der Hisbollah zu verhindern, die die Stabilität des Libanon und die Sicherheit Israels bedrohen. Dieser Beitrag auf See gegen den Waffenschmuggel in den Libanon hat zwei Komponenten: Zum einen sichert die maritime UNIFIL-Komponente die Seeseite ab. Es wird nur noch vereinzelt Waffenschmuggel über See registriert; das zeigt auch die Wirksamkeit dieses Einsatzes. Zum anderen leisten wir einen Beitrag dazu, dass die libanesische Marine langfristig die Grenzsicherung auf See selbst übernehmen kann.
Drittens. Die Bundesregierung verfolgt im Libanon einen vernetzten Ansatz, der außen-, sicherheits- und entwicklungspolitische Instrumente vereint. Allein der Libanon hat 1,5 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Angesichts der nur 6 Millionen Einwohner des Libanon ist das eine beachtenswerte und enorme Leistung, die unseren Respekt verdient.
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Meine Damen und Herren, bei jedem Mandat, das hier im Hause zur Zustimmung vorliegt, müssen wir abwägen zwischen Gefahren und Verantwortung. Die Beratungen zu dem UNIFIL-Mandat beginnen jetzt. Wir, die SPD-Fraktion, sind der festen Überzeugung, dass es die richtige und vernünftige Entscheidung ist, dieses UN-Mandat, diese UN-Mission, weiterhin zu unterstützen und bis zum 30. Juni 2023 zu verlängern.
Ich hoffe, dass dieses Hohe Haus sich mit großer Mehrheit zu unserer internationalen Verantwortung bekennt. Lieber Herr Wundrak, das ist eine Verantwortung, –
Kollege Larem, kommen Sie bitte zum Schluss.
– die Ihre Fraktion wohl nicht hat.
Danke schön.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das UNIFIL-Mandat ist in allen Redebeiträgen schon richtig beschrieben worden. Uns als CDU/CSU-Fraktion ist es noch einmal besonders wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir nur einen kleinen Beitrag im Rahmen der MTF, also der maritimen Unterstützung, leisten, das Mandat aber viel größer ist. Wir als Bundeswehr sind gemeinsam mit den beteiligten Nationen vor Ort, auf ausdrücklichen Wunsch der Israelis und auf ausdrücklichen Wunsch des Libanon, damit vor Ort die Einhaltung des Waffenstillstandsabkommens überwacht wird. Das klappt im Wesentlichen sehr gut, auch in der internationalen Zusammenarbeit. Deswegen ist das Mandat auch unverändert sinnvoll und notwendig.
Anders als es der Kollege Wundrak für die AfD-Fraktion hier gesagt hat, muss ich sagen: Ich halte das auch für eine Kernaufgabe der Bundeswehr, der Deutschen Marine und auch unseres Parlaments. Es geht eben nicht nur darum, die Landes- und Bündnisverteidigung auf dem eigenen Hoheitsgebiet – wie die AfD es immer wieder behauptet – zu stärken, sondern es geht darum, dass wir auch international unsere Verantwortung dort wahrnehmen, wo Krieg herrscht, wo Menschen sterben, wo es Folterung und Unterdrückung gibt und wo wir einen Stabilitätsbeitrag leisten können. Das tut die Bundeswehr in unserem Auftrag. Darauf sind wir stolz, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Anders als die AfD behauptet hat, ist der Auftrag auch nicht beendet. Ich erlebe rechtsextreme Parteien seit Beginn meiner politischen Tätigkeit mit ganz unterschiedlichen Namen und Köpfen. Aber ich würde auch nie behaupten, dass wir mit der Bekämpfung des Rechtsextremismus in Deutschland fertig sind, nur weil die AfD teilweise wieder aus den Landtagen verschwindet. Fertig ist die Aufgabe erst dann, wenn Frieden und Stabilität herrscht, wenn vor Ort sichergestellt ist, dass die Aufgaben der Küstenwache in Zukunft durch den Libanon selbst wahrgenommen werden können. Wenn vor Ort Stabilität herrscht, dann ist das Mandat und die Aufgabe erfüllt, aber nicht, wenn die AfD das hier im Parlament behauptet, meine Damen und Herren.
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Der Auftrag muss auch deswegen weitergehen, weil nach Aussage des mittlerweile mit der militärischen Führung beauftragten Admirals die Aufgabe eben noch nicht erfüllt ist. Die Libanesen sind noch nicht in der Lage, die Aufgaben des Küstenschutzes eigenständig wahrzunehmen. Das liegt teilweise an den fehlenden materiellen Fähigkeiten. Der Generalinspekteur der Bundeswehr hat unlängst die nochmalige Verstärkung der örtlichen Küstenwache durch moderne Patrouillenboote verlangt; darüber werden wir hoffentlich im Rahmen der Ertüchtigungsinitiative miteinander reden. Aber auch die Ausbildung hat noch nicht den Stand erreicht, dass die Aufgabenwahrnehmung allein von und durch die Libanesen selbst vorgenommen werden könnte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden deswegen vor Ort weiter gebraucht, um diesen Einsatz fortzusetzen. Ich bin sehr froh, dass die parlamentarische Mitte dieses Hauses in den letzten Jahren diese Mission immer unterstützt hat, und zwar unabhängig von der jeweiligen Rolle, ob in der Regierung oder in der Opposition.
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– Auch nicht unabhängig von der Lage. Wenn Sie die jeweiligen Aufträge lesen, dann werden Sie schon sehen, dass sich die Lagefortschreibung geändert hat, dass wir große Fortschritte vor Ort gemacht haben, die wir nie gemacht hätten, wenn wir Ihren politischen Ideologien gefolgt wären und den Einsatz abgebrochen hätten, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Die Argumentationen aus den beiden Blöcken links und rechts in den Extremen dieses Parlaments ändern sich ja, warum der Einsatz abgebrochen werden soll. Die Wahrheit ist doch: Als Linke sind Sie gegen jeden Auslandseinsatz der Bundeswehr. Sie wollen die NATO abschaffen. Sie wollen ein neues Militär- und Sicherheitsbündnis mit Russland gründen – wenn das noch aktuell ist, was in Ihrem Wahlprogramm steht; vielleicht ist es auch ein bisschen überholt. Sie wollen eigentlich gar keine Bundeswehr und keine Einsätze. Aber dann erfinden Sie hier doch nicht immer wieder neue Begründungen, warum Sie gegen die Einsätze sind! Sie sind gegen diese Einsätze, weil Sie gegen die Bundeswehr sind, meine sehr verehrten Damen und Herren, und dann muss man das hier im Parlament auch offen vertreten.
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Bei der AfD verhält es sich ein bisschen anders. Sie sind auch gegen die Einsätze, aus immer unterschiedlichen Gründen. Ich habe mir die letzten Parlamentsdebatten ganz bewusst in Vorbereitung auf die heutige Debatte noch einmal angeschaut: Je nach Redner sind Sie aus ganz unterschiedlichen Gründen mal dagegen, mal dafür. Ich will deswegen nur sagen: Wenn Sie sagen, es seien keine Waffen und Drogen gefunden worden, die auf dem Seeweg in den Libanon gelangt sind, dann haben Sie recht. Aber das ist doch der Erfolg der Mission – nichts zu finden.
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Es ist die Aufgabe dieser Mission, durch eine hohe Kontrolldichte die Sicherheit so zu gewährleisten, dass am Ende keine Waffen und Drogen geschmuggelt werden können.
Ich will, meine sehr verehrten Damen und Herren, schließen mit einem Bericht, den der Korvettenkapitän Pascal Störk nach der Rückkehr der Korvette „Braunschweig“ gegeben hat. Er hat gesagt:
Berücksichtigt man die zweiwöchige Quarantäne vor Einsatzbeginn, waren wir 160 Tage unterwegs und konnten uns während des Einsatzes nur auf unserer weniger als 90 Meter großen Korvette aufhalten.
Ich finde, unsere Soldatinnen und Soldaten leisten vor Ort Gewaltiges.
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Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Ich will mir gar nicht vorstellen, was dabei herauskäme, wenn man die AfD-Fraktion, die ungefähr die Größe dieser Truppeneinheit hat, 160 Tage lang allein auf ein 90 Meter langes Schiff sperren würde – auf jeden Fall kein erfolgreicher Einsatz.
Vielen Dank.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Lamya Kaddor das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 4. August 2020 um 18.08 Uhr wurde das Leben in Beirut erschüttert. Wir alle haben die schrecklichen Bilder der Explosion im Beiruter Hafen noch vor Augen. 207 Menschen wurden getötet, mehr als 6 500 verletzt; mehr als 300 000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen – eine Stadt in Schutt und Asche, eine Katastrophe, die hätte verhindert werden können.
Diese Katastrophe steht auf so tragische Weise sinnbildlich für die Korruption und Misswirtschaft der politischen Eliten.
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Bis heute ist keiner der verantwortlichen Politiker zur Rechenschaft gezogen worden – der Skandal des Skandals in einem Land, bei dem nicht nur ich mich immer wieder frage: Wann bricht es endgültig zusammen? Wie lange schaffen sie es noch? Doch die Männer und Frauen im Libanon, sie sind stark.
Gestatten Sie mir, ein Schicksal hier in den Plenarsaal zu tragen, das stellvertretend für die jungen engagierten Libanesinnen und Libanesen steht. Sahar Fares war Feuerwehrfrau. Sie eilte mit ihrem Team zum Beiruter Hafen, als die erste Rauchwolke aufstieg. Sie wollte einen Brand im Lagerhaus löschen. Nur kurz nachdem sie eintraf, fand die eigentliche Explosion statt. Sahar Fares war sofort tot, und sie war die einzige Frau im Team – Hochachtung!
Sehr geehrte Damen und Herren, Sahar wollte eine bessere Zukunft. Sie steht sinnbildlich für so viele Akteurinnen und Akteure in der libanesischen Zivilgesellschaft, die mutig sein müssen, um die politische Zukunft ihres Landes zu gestalten; denn ihr Land schenkt ihnen nichts, es liegt am Boden. Die Ergebnisse der Parlamentswahl vom vergangenen Sonntag sind dann auch der Versuch, der politischen Elite einen Denkzettel zu verpassen – wenigstens das.
Meine Damen und Herren, welche Rolle spielt UNIFIL nun? Außenpolitisch für die Gesamtregion müssen wir festhalten: Das Friedensabkommen zwischen dem Libanon und Israel ist nach wie vor nicht beschlossen. Fortschritte bei der Entwaffnung gewaltbereiter Gruppierungen, vornehmlich der im Süden präsenten Hisbollah, bleiben aus.
In diesem fragilen sicherheitspolitischen Umfeld bleibt die Zustimmung zum Mandat ein wesentliches stabilisierendes Element. UNIFIL ist aktuell der einzige Verbindungs- und Koordinationsmechanismus zwischen Israel und dem Libanon. Und: UNIFIL wird sowohl von Israel als auch vom Libanon gewünscht, und so wird es hoffentlich helfen, die Differenzen und Spannungen zwischen Israel und dem Libanon durch Dialog und Kooperation zu reduzieren.
Daher empfehle ich meine Zustimmung.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im April hat der Finanzminister Lindner Folgendes gesagt – ich zitiere –: „Der Ukrainekrieg macht uns alle ärmer.“ Für die Bevölkerung, meine Damen und Herren, stimmt das ohne Zweifel. Viele bleiben bei dieser Entwicklung auf den Kosten sitzen, die 4 Millionen Armutsrentner in der Bundesrepublik Deutschland sogar am meisten. Das ist eine politische Entscheidung, und ebenso ist es auch eine politische Entscheidung, dass einige Energiekonzerne gerade das Geschäft ihres Lebens machen.
Meine Damen und Herren, allein die europäischen Energiekonzerne haben laut einem Bericht der EU-Kommission vom 8. März 2022 – sie bezieht sich auf einen Befund der Internationalen Energieagentur – eine zusätzliche Gewinnerwartung von 200 Milliarden Euro in der Europäischen Union. Das ist angesichts dieses schrecklichen Angriffskrieges von Putin eine Feststellung, bei der man sagen kann: Nicht alle werden in dieser Zeit ärmer.
Das hat sicherlich mehrere Gründe: Marktmächtige Energiekonzerne haben zum Beispiel ihre Einkaufspreise langfristig gesichert und können dadurch einen hohen Marktpreis akquirieren und damit hier natürlich auch über Gewinne absahnen.
Ähnlich sieht es beim Strommarkt aus. An der Strombörse erhalten alle Kraftwerke für ihren Strom den Preis, den das teuerste Kraftwerk verlangt. Bei den exorbitanten Preisen, die wir da aufgerufen sehen, sorgt dieses Prinzip für Übergewinne sogar bei den günstigsten Anbietern. Übergewinne sind also all das, was zum Beispiel die Gewinne der Vorjahre übersteigt.
Auch hier, meine Damen und Herren, erleben wir eine Zeitenwende. Allein die Bilanzzahlen der europäischen Energiekonzerne offenbaren uns, worüber wir hier genau reden. Gewinnsteigerungen – Sie kennen sie – von Shell: 6,6 Milliarden Euro oder 146 Prozent mehr nach Steuern. TotalEnergies: 6,5 Milliarden Euro mehr nach Steuern und eine Gewinnsteigerung von sage und schreibe 187 Prozent. Deshalb muss ein Teil dieser Übergewinne endlich abgeschöpft werden
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und vor allen Dingen auch für die Entlastung der Menschen in dieser Bundesrepublik genutzt und damit weitergegeben werden. Das ist auch gar nicht so spektakulär.
Da schaue ich einmal in die Mitte dieses Hauses.
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Nehammer, österreichischer Bundeskanzler, ein Konservativer, macht das vor. Auch Mario Draghi, italienischer Ministerpräsident, führt gerade eine – da heißt es nicht „Steuer“, da heißt es: – „Abgabe auf Übergewinne“ ein und hat somit die Energiekonzerne deutlich in die Verantwortung genommen: erst mit 10 Prozent, und jetzt hat er es auf 20 Prozent erhöht. So geht man mit den Krisengewinnlern um und nicht wie der Bundesfinanzminister, meine Damen und Herren, der jeden Tag hier einen neuen Pappkameraden vorstellt, um dies, sagen wir einmal, abzuwürgen.
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Kollege Görke.
Mein letzter Satz, Frau Präsidentin. – Deshalb mein besonderer Appell an die Grünen und die SPD: Machen Sie den Rücken gerade! Beenden Sie diese Abzocke, und stimmen Sie unserem Antrag zu, wenigstens einen Gesetzentwurf nach italienischem Vorbild vorzulegen!
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Bernhard Daldrup für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Impuls, der mit dem Antrag hier gebracht wird, ist richtig; denn ich glaube, es verstößt gegen unser Gefühl von Gerechtigkeit und Solidarität, wenn Extraprofite durch Kriege oder durch Krisen sozusagen erwirtschaftet werden.
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Zweitens. Die staatlichen Aufgaben wachsen fast immer in solchen Situationen. Ich glaube, es ist auch berechtigt, dann die Frage nach der Finanzierbarkeit der Leistungsfähigkeit des Staates zu stellen, erst recht, wenn man sich einer Schuldenbremse verpflichtet fühlt. Daher ist der Impuls gut.
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Ich will aber auch sagen: Ich erlebe ein kleines Déjà-vu. Denn ich habe zu ziemlich genau diesem Antrag vor einem Jahr hier auch gesprochen. Vor einem Jahr hieß der gleiche Antrag: „Abschöpfung der Extra-Profite von Krisengewinnern wie Amazon“. Es war im Grunde genommen der gleiche Antrag mit anderer Überschrift. Es ging auch damals um die Übergewinnsteuer, allerdings nur für Digitalkonzerne.
Jetzt ist der alte Antrag gewissermaßen mit Copy-and-Paste aufgewärmt worden. Es ist gewissermaßen das eine Wort durch das andere ersetzt worden. Da muss ich sagen: Das ist ein meiner Meinung nach ziemlich unglückliches Vorgehen. Denn es schadet eigentlich denjenigen, die eine gewisse Sympathie für das Konzept der Übergewinnsteuer haben, wenn man es von Fall zu Fall gleich anwendet. Da muss ja jeder Sorge haben: Falls er einmal wirtschaftlich erfolgreich ist, droht ihm, wumms, so etwas. Es ist also eine schwierige Geschichte.
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– Nein, ich habe durchaus Sympathie dafür. – Aber ich will sagen: Es gibt eine Reihe von Abgrenzungsproblemen, die berücksichtigt werden müssen. Das hat auch das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes gezeigt. Die Gründe für die Entstehung eines Übergewinns können ganz unterschiedlich sein. Sie können sozusagen einfach nur ohne eigene Leistung erzielt werden. Sie können aufgrund von Innovationen erzielt werden. Und es gibt Probleme mit Referenzwerten, mit Verrechnungen beispielsweise. Das ist eine Spezialdebatte, die wir wahrscheinlich an dieser Stelle schon aus Zeitgründen nicht führen können. Das sollten wir fortsetzen.
Aber was ist denn alternativ jetzt zu tun? Zum Glück ist es auch heute schon so, dass höhere Gewinne zunächst einmal höhere Steuerzahlungen von Unternehmen nach sich ziehen.
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Ich habe ein praktisches Beispiel: Die Stadt Mainz hat ihre hohe Verschuldung gewissermaßen durch exorbitant gestiegene Gewerbesteuerzahlungen ausgleichen können. Das ist sicherlich gut.
Aber wir haben trotzdem noch ein zusätzliches Problem, nämlich bei der Gestaltung von Steuerschlupflöchern, wenn ich es einmal so sagen darf, und bei der internationalen Gestaltung. Die Mindestbesteuerung auf internationaler Ebene bei multinational agierenden Digitalkonzernen ist deswegen auch ein richtiger und wichtiger Schritt.
Ich will auch darauf hinweisen, dass wir im Koalitionsvertrag natürlich bestimmte Punkte festgelegt haben, zum Beispiel, die steuerlichen Subventionen im Energiebereich gründlich zu überprüfen und tatsächlich auch infrage zu stellen. Ich glaube nämlich, dass gerade auch in diesem Bereich Energiekonzerne in erheblichem Maße von Steuerbegünstigungen profitieren. Es ist meiner Meinung nach richtig, dass wir als SPD in der letzten Großen Koalition dem Druck – auch der Union – standgehalten haben und den sogenannten Energiespitzenausgleich nicht pauschal und ungeprüft für alle Branchen verlängert haben.
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Es sind immerhin über 9 000 Unternehmen, und da sind auch viele aus dem Energiebereich dabei.
Für Unternehmen des produzierenden Gewerbes, die im internationalen Wettbewerb stehen und gerade in der jetzigen Situation Entlastungen benötigen, sind solche Entlastungen, Ausnahmen und eine solche Unterstützung auch angebracht. Aber reine Mitnahmeeffekte für Konzerne, die überhaupt keinem Carbon-Leakage-Risiko unterliegen, müssen wir einfach beseitigen. Das System der Steuerbegünstigungen im Energie- und Stromsektor ist nicht mehr zeitgemäß und bedarf einer Überprüfung.
Ich glaube, insgesamt müssen wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt drei Dinge machen.
Erstens: Diversifizierung unserer Energieversorgung, unserer Energiequellen. Das wird hier fast in jeder Sitzung und in jeder Rede betont; das muss ich nicht weiter thematisieren.
Zweitens: Entlastungen von Bürgerinnen und Bürgern. Die Begründung ist auch gerade vom Kollegen Görke angesprochen worden. Bis hin zur Abschaffung der EEG-Umlage sind die Pakete 35 Milliarden Euro schwer. Ich sage das immer wieder, weil man das nicht geringschätzen soll.
Drittens: Stärkung des Wettbewerbs. Deswegen ist es richtig, kartell- und wettbewerbsrechtliche Maßnahmen durchzuführen, dass die Märkte funktionieren. Es ist richtig, dass wir die Voraussetzungen im Rahmen des GWB – –
Kollege Daldrup, Sie können weitersprechen, schnell oder langsam, Sie tun es aber inzwischen auf Kosten Ihrer Kollegen.
Das werde ich jetzt lassen. – Ich muss noch kurz auf das GWB hinweisen. Ich bin der Auffassung, die Spezialdebatte ist weiterzuführen, und ich hoffe, dass wir das konstruktiv hinbekommen.
Danke schön.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. Michael Meister das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linksfraktion, Herr Görke, hat hier einen Antrag über die Einführung von Gewinnsteuern auf Krisengewinne von Energieunternehmen vorgelegt. Das folgt dem Grundgedanken, dass man in diesem Land umverteilen soll.
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Herr Daldrup hat eben von Sympathien gesprochen. Ich habe Sympathien für die soziale Marktwirtschaft.
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Die soziale Marktwirtschaft hat nicht Umverteilung als Grundgedanken, sondern die soziale Marktwirtschaft hat als Grundgedanken Freiheit, Eigentum, Wettbewerb, Solidarität und Subsidiarität.
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Und für diese Grundsätze habe ich sehr viel Sympathie.
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Diese Grundsätze haben unserem Land in den vergangenen 70 Jahren den Wohlstand beschert, den wir heute haben, und den sollten wir nicht zerstören.
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Zweitens. Alle Gewinne in diesem Land werden gemäß der Bemessungsgrundlage besteuert. Also auch das, was Sie als Übergewinn besteuern wollen, wird bereits nach den Regeln besteuert, die wir haben. Was Sie fordern, ist eine zweite Besteuerung.
Dann finde ich es ganz toll, wenn Sie sagen: Unternehmen mit hohen Gewinnen – die haben schon einen großen Anteil zum Steueraufkommen beigetragen – sollen das zahlen, und zwar dann, wenn sie 10 Millionen Euro mehr Ertrag haben als im Vorjahr. – Jetzt nehmen Sie mal ein kleines Start-up, das gerade aus der Verlustzone kommt, jetzt in die Gewinnzone gekommen ist, die 10 Millionen überspringt. Das zahlt dann Ihre Übergewinnsteuer. Und der Milliardenkonzern, der es geschafft hat, Milliarden an Ertrag zu erwirtschaften, aber ungefähr auf demselben Niveau wie im Vorjahr,
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der zahlt die Übergewinnsteuer nicht. Das ist doch absoluter Blödsinn, was Sie hier vorschlagen:
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Kleine bestrafen und die Großen müssen nicht zahlen!
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Eigentlich habe ich von Ihnen immer das Umgekehrte gehört: Sie wollen an die Großen ran. – Deshalb ist es eine absolute Ungleichbehandlung von Gewinnen; es hängt nämlich nicht vom Gewinn und Entstehen des Gewinnes ab, sondern vom Vorjahr, was eigentlich überhaupt nichts mit der Sache zu tun hat.
Wir setzen in unserer Marktwirtschaft vollkommen falsche Anreize. Wir haben einen Bundeswirtschaftsminister, Frau Brantner, der momentan durch die Welt reist
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und versucht, Güter, die sich aufgrund des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine verknappt haben, nach Deutschland zu holen. Ich nenne als Beispiele Gas und Öl; man könnte die Liste beliebig fortsetzen. Gleichzeitig sagen wir jetzt: Diejenigen, die uns solche Güter liefern, wollen wir besonders hoch besteuern. – Glauben Sie, dass es dem Herrn Habeck bei seiner Werbereise durch die Welt hilft, solche Güter hierherzubringen? Nein, wir werden mit der Idee zu einer Verknappung von eh schon knappen Gütern beitragen. Das ist nicht im Interesse unseres Landes und der Menschen, die hier leben.
Lieber Kollege Daldrup, Sie haben eben BioNTech mit Sitz in Mainz angesprochen. Das ist eine tolle Geschichte für uns alle, nicht nur wegen des Steueraufkommens, sondern auch, weil wir einen Impfstoff bekommen haben. BioNTech ist ein Start-up, das plötzlich nach oben geschossen ist und nun Übergewinn produziert – nicht im Energiebereich, aber darum geht es momentan nicht.
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Der entscheidende Punkt ist, dass Sie mit Ihrer Übergewinnsteuer Innovation in diesem Land bestrafen. Wer innovativ ist, wird von Ihnen bestraft.
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Wir müssen Innovationen in diesem Land belohnen und dürfen sie nicht bestrafen.
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Liebe Freunde, Sie haben Abgrenzungsprobleme: Was ist eigentlich ein Übergewinn? Sie machen es sich leicht und sagen: Wenn es 10 Millionen Euro mehr sind als im Vorjahr. – Das ist aus meiner Sicht eine ziemlich unsinnige Definition. Dann reden Sie von krisenbedingten Gewinnen. Wo wird denn in der Definition abgefragt, ob der Gewinn krisenbedingt ist oder andere Gründe hat? Es ist ganz klar: Wir haben kluge Steuerberater in diesem Land. Die werden natürlich durch die Bildung von Rückstellungen und das Festlegen des Zeitpunkts, an dem man Gewinne entstehen lässt, dafür sorgen, dass man innerhalb der Schwankungsgrenzen bleibt und die Steuer nicht zahlt. Das ist also ein Anreiz für Steuergestaltung. Ich bin der Meinung, Innovationen sollten auf das Geschäft und nicht auf die Steuergestaltung gerichtet sein.
Zum Abschluss ein Hinweis. Sie sagen: Die Vereinigten Staaten von Amerika hatten ja auch schon mal eine solche Steuer eingeführt. – Die Vereinigten Staaten von Amerika hatten genau zweimal eine Übergewinnsteuer: nach dem Eintritt in den Ersten Weltkrieg und im Zweiten Weltkrieg. Die Begründung war: Um die hohen Kosten der Kriege zu finanzieren, wird eine Übergewinnsteuer eingeführt. – Nun sage ich: Schauen Sie sich mal die Steuerschätzung für die Bundesrepublik Deutschland von der vergangenen Woche an. Nach der aktuellen Steuerschätzung können wir bis 2026 mit 220 Milliarden Euro Mehreinnahmen rechnen. Haben wir denn eine Situation, in der wir hohe Kriegskosten und – bedingt dadurch – Steuerausfälle gegenzufinanzieren haben? Ich sage: Nein. Deshalb ist auch Ihr Vergleich mit den USA hier vollkommen fehl am Platz. Wir werden diesem Antrag nicht zustimmen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Katharina Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste hier im Haus! Vielen Dank für diesen Antrag. Sehr hohe Gewinne von Mineralöl- und Energiefirmen sind schon seit einigen Wochen im Gespräch. Die Regierung prüft diese aktuell auch kartellrechtlich, und wir sind auch im Gespräch, ob eine Besteuerung sinnvoll sein könnte.
Ich möchte in diese erhitzte Debatte etwas Besonnenheit und Reflexion hineinbringen.
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Beginnen möchte ich mit meiner ehrlichen Wertschätzung für die soziale Marktwirtschaft, die uns den Wohlstand beschert hat, den wir alle heute genießen. Es ist klar: Wir müssen sie jetzt zur sozial-ökologischen Marktwirtschaft weiterentwickeln; denn die planetaren Grenzen sind einfach Fakt. Wenn wir sie nicht respektieren, entziehen wir uns jede Grundlage für unser Wirtschaften. Der Kern dieses Begriffs ist aber das Wort „Marktwirtschaft“. Gut funktionierende Märkte haben viele Marktteilnehmer/‑innen. Sie ermöglichen freien Warenaustausch, Innovationen, Ideengenerierung, im Endeffekt Freude am Experimentieren und an der Zukunftsgestaltung. Damit sie funktionieren, brauchen sie ein paar Rahmenbedingungen, die verhindern, dass es allzu anarchisch zugeht, dass eben Wettbewerb in fairem Maße möglich ist.
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Umsätze und Gewinne gehören ganz natürlich zu dieser Marktwirtschaft; das können wir ganz entspannt festhalten. Als Unternehmerin und Gründerin ist mir dieser Punkt wirklich wichtig. Umsätze und Gewinne dürfen und sollen natürlich positiv ausfallen. Wer würde es der Bäckerei, der Buchhandlung oder der Metzgerei um die Ecke nicht gönnen. Auch skalierende kleinere und große Unternehmen sollen und dürfen das in unserer Marktwirtschaft. Das sind ja gerade die innovativen Kräfte, die Ressourcen gut allokieren und die wir auch für die Zukunftsfähigkeit unseres Kontinents brauchen.
Gute Märkte regeln und sorgen auch für einen guten Preis, einen Marktpreis, der durch Angebot und Nachfrage ein ökonomisches Optimum schafft. Was wir jedoch aktuell an den Tankstellen und auf den Stromrechnungen sehen, ist alles andere als optimal.
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Vielmehr haben wir im Mineralölbereich oligopolistische Marktstrukturen; das ist überall unumstritten. Solche Strukturen verhindern aber die eigentlich positive Kraft von Märkten. Diese dysfunktionalen Märkte sind dann nicht mehr frei oder fair im Sinne der Marktwirtschaft; denn einige wenige Unternehmen können ihre Marktmacht ausnutzen und überzogene Preise durchsetzen.
Genau das beobachten wir gerade sehr wahrscheinlich im Ölbereich. Beispiel Diesel: Während der Rohölpreis im März aufgrund des Ukrainekrieges um circa 20 Cent pro Liter gegenüber Januar angestiegen war, wurden die Preise an den Tankstellen um durchschnittlich circa 48 Cent erhöht, also um zweieinhalbmal so viel.
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Und diese Differenz bleibt – das ist einfach Fakt – nach jetzigem Kenntnisstand komplett als zusätzlicher Gewinn bei den Unternehmen und summiert sich für Diesel und Benzin zusammen allein für den Monat März auf circa 1,2 Milliarden Euro.
Sind das denn auch Übergewinne? Das muss man sich ehrlich fragen. Das ist entscheidend. Nach allem, was wir jetzt wissen, sind die Kostenstrukturen im Wesentlichen ähnlich geblieben, die Risiken aber gestiegen. Das heißt, einen Aufschlag zu nehmen, ist durchaus legitim. Aber so hoch? Zweieinhalbmal so viel? Selbst wenn wir sagen, dass in normalen Zeiten 10 Prozent Risikoaufschlag okay sind, dann sind die restlichen 90 Prozent Übergewinne, also etwas mehr als 1 Milliarde Euro, und das in nur einem Monat. Zwar sind für deutsche Gesellschaften keine aktuellen Quartalszahlen vorhanden, aber die internationalen Zahlen belegen leider, dass das strukturell ist. Ähnlich wie im Mineralölbereich sieht es im Energiebereich aus, und das auch in Deutschland bei börsennotierten Unternehmen. Der Markt der freien Preisbildung ist im Energiebereich gestört. Er funktioniert nicht. Das muss man in dieser Deutlichkeit leider sagen.
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Wichtig ist der gesellschaftliche Kontext. Denn während wir auf der einen Seite offensichtlich starke Übergewinne bei einigen wenigen Unternehmen sehen – das wird gerade geprüft –, scheinen die Preissteigerungen der Energieunternehmen die Inflation kräftig anzuheizen. Wir haben ja schon letzte Woche und auch gestern wieder ausführlich über die Inflation gesprochen. Es bleibt ein Riesenproblem, dass die Verbraucherpreise derartig durch die Decke gehen. Ganz besonders zeigt sich das bei den Lebensmitteln, die – über Lieferketten reden wir immer – auch sehr stark von den Energiekosten abhängen. Laut Deutschem Brauer-Bund – das interessiert jetzt, glaube ich, einige hier in dieser Runde – droht im Sommer sogar ein Mangel an Flaschenbier, weil sich viele Brauereien die erhöhten Kosten aufgrund der energieintensiven Flaschenproduktion nicht mehr leisten können.
Klar ist: Dieser Missbrauch von Marktmacht und das Entstehen von dysfunktionalen Märkten müssen verhindert werden, und zwar nicht nur wegen des Flaschenbieres.
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Wenn Einzelne über Gebühr profitieren und der Markt nicht für einen angemessenen Ausgleich sorgt, dann muss der Staat – ich nutze hier mal einen veralteten Begriff – sozusagen als Nachtwächter eingreifen. Ausgleichen gehört zu seinen Aufgaben. Auch andere europäische Länder wie Italien oder Griechenland sowie auch die OECD befürworten die Idee der sogenannten Windfall Profits Taxation.
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Deswegen müssen wir über diese Frage weiter miteinander diskutieren, aber eher als Instrument einer kartellrechtlichen Marktkontrolle.
So würde die Übergewinnsteuer, wenn wir sie denn so nennen wollen, nicht nur zu einer gerechten Umverteilung und einer Entlastung des Haushalts beitragen, sondern sie hätte gleichzeitig auch eine wichtige Signalwirkung Richtung Zukunft.
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Überzogene Marktmacht und dysfunktionale Märkte und deren Effekte sind nicht frei. Allein durch die Präsenz einer solchen Steuer, wegen des Signals, würden Preissteigerungen, wie wir sie heute in der Energiewirtschaft erleben, in Zukunft womöglich gar nicht mehr zustande kommen. Das könnte ein wirklich wirksamer und vorausschauender Inflationsschutz sein, wie ich finde. Lassen Sie uns das gemeinsam weiter besprechen. Ich freue mich drauf.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Jan Schmidt für die AfD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Linken ist ein Musterbeispiel von Unkenntnis und der Umkehrung von Ursache und Wirkung. Lassen Sie mich kurz zusammenfassen, was Sie warum fordern, und Ihnen dann in der nötigen Einfachheit erklären, warum das Unsinn ist.
Ihr ganzer Antrag fußt auf dem sogenannten Merit-Order-Prinzip. Sie schreiben, dass dieses System dafür sorgt, dass alle Kraftwerke ihren Strom zu dem Preis verkaufen können, den das teuerste Kraftwerk verlangt – völlig zu Recht, würde jeder dieses System als ungerecht und ausbeuterisch empfinden, so wie Sie es offensichtlich auch tun. Allerdings unterschlagen Sie ein wichtiges Detail, das dieses Marktmodell überhaupt erst wirtschaftlich sinnvoll werden lässt. Nicht jedes Kraftwerk kann seinen Strom zu dem Preis verkaufen, den der teuerste Anbieter verlangt. Jedes Kraftwerk kann seinen Strom zu dem Preis verkaufen, den der teuerste, zur Deckung des Energiebedarfs benötigte Anbieter verlangt. Das ist ein gewaltiger Unterschied.
Vereinfacht gesagt: Kraftwerk A, beispielsweise ein Windpark, verlangt 150 Euro und Kraftwerk B 160 Euro pro Megawattstunde. Wenn nun gerade kein Wind weht, genügt die Energie nicht mehr, um den Bedarf zu decken. Es muss daher ein drittes Kraftwerk hinzugezogen werden, das vielleicht deutlich teurer ist. So verlangt Kraftwerk C, ein Gaskraftwerk, 200 Euro pro Megawattstunde. Diese 200 Euro gelten dann nach dem Merit-Order-Prinzip als Strompreis an der Börse. Was ist hier also wirklich das Problem? Es gibt gleich mehrere Knackpunkte, die Sie, ideologisch geblendet, natürlich vollkommen außer Acht gelassen haben.
Erstens. Wir haben sehr hohe Gaspreise für amerikanisches Fracking-Gas, das die Bundesregierung dem Gas aus Russland vorzieht. Durch die gestiegenen Preise kann das Gaskraftwerk seinen Strom nicht günstiger produzieren und ist so gezwungenermaßen der teuerste Anbieter.
Zweitens wird in Deutschland im Zuge der gescheiterten Energiewende nicht ausreichend Strom produziert, um den Bedarf zuverlässig zu decken. Gerade wenn es dunkel oder windstill ist, sind wir nach wie vor auf grundlastfähige Energieformen wie Kohle, Gas oder Kernenergie angewiesen. Da Sie viele dieser Kraftwerke abgebaut haben, müssen wir immer wieder teuren Strom aus anderen energiewendefreien Ländern dazukaufen; auch das treibt die Preise nach oben.
Ihre Lösung dieses Problems ist so falsch wie kurzsichtig. Routiniert greifen Sie zum sozialistischen Standardwerkzeug und fordern die Abschöpfung von Gewinnen. Wer künftig als Energieunternehmer außerordentliche Gewinne einfährt, soll Ihrer Ansicht nach mit Strafsteuern belegt werden. Besser wäre es aber, wenn Sie die wahren Ursachen für die katastrophalen Energiepreise benennen würden. Das sind die durch die Niedrigzinspolitik der EZB ausgelöste Inflation, der Vorzug für um ein vielfach teureres und umweltschädlicheres Fracking-Gas aus den USA, die enormen, untragbaren und immer noch steigenden Steuern auf Energie und die unerhörte Bepreisung von CO2 im Zuge Ihres Kampfes gegen das Wetter.
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Diese Gründe werden in Zukunft dafür sorgen, dass Kraftstoff, Heizen und Strom für den einfachen Bürger unerschwinglich werden. Flächendeckende Stromausfälle, sogenannte Blackouts, werden nicht ohne Grund vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe als wahrscheinlichstes Katastrophenszenario aufgeführt.
Die Abkehr von vernünftigen Lösungen zur Energieversorgung hin zu realitätsfernen Irrwegen wird noch Folgen haben, die Sie gar nicht überblicken können. Steuererhöhungen oder gar phantasievolle Steuerneuschöpfungen sind genau der falsche Weg. Vielleicht sollten Sie sich Gedanken um konkrete und wirkungsvolle Lösungen machen, solange Sie noch als parlamentarische Randerscheinung hier im Hause vertreten sind.
Vielen Dank.
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Für die FDP-Fraktion hat nun der Abgeordnete Markus Herbrand das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sogenannte Übergewinne zu besteuern, ist die Idee, mit der Die Linke heute vermeintliche Einnahmeprobleme unseres Staates lösen und zeitgleich ihre Ideen von Moral zum Gegenstand unserer Steuergesetzgebung machen möchte. Im Grunde genommen liegen die Vorschläge damit auch in einer konsistenten Reihung anderer Vorschläge: Vermögensteuer, Solidaritätszuschlag und Steuererhöhungen für Besserverdienende, Vermögensabgabe, Reichensteuer und jetzt natürlich die Übergewinnsteuer.
Die Idee, vermeintliche Profiteure von Krisen mehr zur Kasse zu bitten als andere, ist natürlich weder neu, noch ist es eine Idee, die nur den Linken überlegenswert erscheint. Ähnliche Vorschläge haben wir unlängst von der EU-Kommission vernommen. Italien hat Entsprechendes verabschiedet – darauf ist verwiesen worden –, und auch die geschätzten Kollegen der Grünen haben, zumindest in Person ihrer Parteivorsitzenden, das Thema unlängst auf die politische Agenda gebracht.
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Da wir ja gut zusammenarbeiten und noch nicht fusioniert sind, können wir doch darüber debattieren, meine ich.
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Wägen wir also die Argumente ab: Handelt es sich bei dieser Idee wirklich um ein sinnvolles Instrument oder eher um eine Schnapsidee? Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Wir tendieren zur Schnapsidee.
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Ich möchte noch drei Punkte nennen, die wirklich dagegensprechen, diese Idee ernsthaft weiterzuverfolgen:
Erster Punkt. Wer ehrlich und unvoreingenommen mit dem Thema umgeht, wird einige Fragen nicht beantworten können: Was ist überhaupt ein Übergewinn? Kollege Meister ist schon darauf eingegangen. Welcher Teil eines Gewinns ist eigentlich der krisenbegründete Gewinn? Und woran ist ein „Krisengewinner“ überhaupt zu erkennen? An wen adressieren wir denn überhaupt diese Überlegungen? Ich befürchte Sie unterscheiden dann auch noch mal zwischen guten und bösen Krisengewinnern. Energiekonzerne und Amazon dürften vermutlich böse sein und würden besteuert werden. Bei Herstellern von Masken und Impfstoffen bin ich mir nicht ganz so sicher. Bei den Anbietern regenerativer Energien würden Sie vermutlich nicht von Krisengewinnern sprechen und auf die Übergewinnbesteuerung verzichten. Im Übrigen ist es auch in Italien gar keine Gewinnsteuer, sondern eigentlich eine erweiterte Umsatzsteuer.
Im Kern ist also die Frage zu beantworten: Ist praktisch überhaupt umsetzbar, was moralisch möglicherweise so gut klingt? Dazu ein klares Nein. Jedenfalls ist es keine Frage für das Steuerrecht. Wenn überhaupt – die Kollegin Beck ist darauf eingegangen – ist es eher eine Frage für das Kartellrecht.
Zweiter Punkt. Es wird manchmal der Eindruck erweckt, als ob Krisengewinne hier in Deutschland nicht ohnehin schon besteuert werden. Unser Steuersystem besteuert diese Gewinne mit knapp 50 Prozent. Deutschland hat bereits jetzt mit seinen hohen Steuern und auch mit seiner immensen Bürokratie einen unbestrittenen Standortnachteil im Vergleich mit anderen Industrienationen. Da müssen wir nicht unbedingt noch draufsatteln.
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Dritter Punkt. Der eigentliche Antrieb für eine solche Steuer ist zweifelsfrei ein insbesondere in Zeiten von Krisen aufkommendes Gerechtigkeitsempfinden. Mit einem solchen Eingriff würden wir allerdings tatsächlich an die Wurzel der Funktionalität der Marktwirtschaft herangehen. Das stimmt schon sehr nachdenklich, wenn ich bedenke, wer hier alles Sympathien dafür hegt.
Die Marktwirtschaft funktioniert über Anreizsysteme – auch darauf ist der Kollege Meister schon eingegangen –, und zwar Anreize dafür, Waren und Dienstleistungen anbieten zu können, die die Gesellschaft dringend benötigt, und Anreize dafür, dass Unternehmen quasi rund um die Uhr dafür arbeiten und auch unternehmerische Risiken eingehen, und zwar am Ende, damit die ganze Gesellschaft davon profitiert. Dabei müssen wir aushalten, dass Unternehmen, die mit Atemschutzmasken, Impfstoffen und ja, leider auch mit Rüstungsgütern und fossilen Energien Geschäfte machen, mehr verdienen. Genau diese Anreize zu besteuern, kann das Gegenteil dessen zur Folge haben, was man eigentlich erreichen möchte, nämlich am Ende keinen Erfolg in der Sache und weniger Staatseinnahmen. Das ist im Übrigen – die Anmerkung kann ich mir nicht verkneifen – bei der Wohnungsbaupolitik das Gleiche.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Befürworter solcher Überlegungen wollen nach meinem Dafürhalten eigentlich ein anderes Wirtschaftsmodell. Man will nicht besteuern, man will eher enteignen. Dafür spricht im Übrigen auch der Wortlaut aus dem Antrag: „abschöpfen“.
Wir lehnen diesen Antrag aus voller Überzeugung ab.
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Das Wort hat der Kollege Armand Zorn für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, für diesen Antrag. Sie sprechen damit eine Thematik an, die uns hier in den letzten Wochen und Monaten beschäftigt hat, die aber auch in der öffentlichen Wahrnehmung sehr heftig diskutiert wird.
Wir haben doch die folgende Situation: Wir haben erst mit der Covid‑19-Pandemie und dann noch mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine viele Herausforderungen zu bewältigen, mit denen Menschen tagtäglich zu kämpfen haben. Sie merken das in den Supermärkten; sie merken das an der Tankzapfsäule. Wir als Staat haben als Reaktion darauf viele verschiedene fiskalpolitische Maßnahmen auf den Weg gebracht, um Menschen zu entlasten, um Menschen zu unterstützen.
Zeitgleich haben wir aber auch die Situation, dass einige Unternehmen in den letzten Jahren Gewinne gemacht haben, hohe Dividenden ausgezahlt haben und Aktienrückkaufprogramme gestartet haben. Da scheint sich auf den ersten Blick ein Paradox zu ergeben. Ich finde den Antrag durchaus gut, um darüber zu diskutieren.
Mit dem Antrag wollen Sie das Ziel verfolgen, auf der einen Seite zusätzliche Einnahmen zu generieren, weil wir als Staat gerade in einer finanziell angespannten Situation sind, und auf der anderen Seite dem Gerechtigkeitsempfinden nachzukommen – auch ich sehe das als Thema –, weil es sich nicht normal anfühlt, dass Unternehmen in einer Kriegssituation so hohe Gewinne erzielen.
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Deswegen habe ich durchaus Sympathien für den Antrag, finde aber dennoch: Wenn wir über ihn als Finanzpolitikerinnen und Finanzpolitiker diskutieren, müssen wir auf die Spannungsfelder hinweisen. Ich persönlich will auf zwei Spannungsfelder eingehen.
Das erste Spannungsfeld ist die Frage des Steuersubjekts. Welche Unternehmen wollen wir überhaupt besteuern? In Ihrem Antrag ist die Rede von Energiekonzernen. Da stellt sich für mich die Frage: Warum eigentlich nur Energiekonzerne?
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– Moment, warten Sie noch ab, lieber Kollege. – Wenn man sich das genau anschaut, dann stellt man tatsächlich fest, dass die Rüstungsindustrie und Digitalunternehmen ebenfalls hohe Gewinne machen. Ich persönlich finde, dass wir hier ein Problem der Verhältnismäßigkeit haben. Ich will infrage stellen, dass es verfassungsrechtlich überhaupt so einfach möglich ist, nur die Energiekonzerne zu besteuern. Dass man sich hier nur eine Branche herausgreift, finde ich nicht fair. Das ist nicht richtig. Deswegen finde ich Ihren Vorschlag hier nicht sinnvoll.
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Die zweite Frage betrifft das Steuerobjekt, nämlich die Bemessungsgrundlage. Darüber kann man auch eine wissenschaftliche Abhandlung schreiben. Darüber kann man sicherlich Tag und Nacht diskutieren. Es gibt die Möglichkeit, dass man sich nur die Gewinne in einem Jahr anschaut – im Jahr 2022 beispielsweise – oder dass man den Gewinn aus einem bestimmten Jahr mit den Gewinnen vergleicht, die in den Vorjahren erzielt wurden. Letzteres schlagen Sie vor. Da wäre meine Frage: Warum 10, warum nicht 5, warum nicht 20 Jahre? Was ist ein Normalgewinn, und was ist ein Übergewinn? Der Kollege Herbrand ist darauf eingegangen. Ich finde, das ist nicht etwas, was die Politik bestimmen sollte,
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und deswegen befürworte ich persönlich auch nicht das, was Sie gesagt haben.
Der dritte Punkt – damit komme ich auch bald zum Schluss, liebe Frau Präsidentin – ist, dass wir hier keine Erfahrungswerte haben. Wir können natürlich auf das verweisen, was jetzt in Italien passiert ist, wir können auf das verweisen, was in den 80er-Jahren in den USA gemacht wurde. Aber für die jetzige Situation gibt es keine Erfahrungswerte, und das macht es aus meiner Sicht noch schwieriger, genau vorherzusagen, wie sich eine solche Maßnahme, eine Übergewinnsteuer, auswirkt.
Ich finde es gut, dass wir die Diskussion führen, und würde mich freuen, diese Diskussion hier im Hause fortzuführen. Nach jetzigem Kenntnisstand lehnen wir Ihren Antrag ab.
Vielen Dank dafür und schönen Freitagnachmittag.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Alois Rainer das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich empfinde die Debatte als sehr spannend, vor allem die Reaktionen, die ich aus den Regierungsparteien gehört habe. Man könnte dem Antrag durchaus etwas Gutes, aber auch weniger Gutes abgewinnen. Ich bin gespannt, wie sich die Diskussion bei Ihnen dahin gehend weiterentwickelt.
Ich will Ihnen ein paar Gedanken mit auf den Weg geben, vor allem denjenigen, die den Antrag befürworten. Sie lösen das Problem nicht, sondern Sie blähen es am Ende nur auf. Was glauben Sie denn, was passiert, wenn Unternehmen mehr Steuern zahlen müssen? Das wird wieder obendrauf gelegt, und am Ende bezahlen es die Verbraucherinnen und Verbraucher. Berücksichtigen Sie das bitte in Ihren Diskussionen; denn das wollen wir alle nicht.
Gestern wurde in diesem Hohen Haus die Senkung der Energiesteuer für drei Monate beschlossen. Hier wird erwartet, dass sich die Preissituation dann etwas entspannt. Wenn wir jetzt den Druck durch eine zusätzliche Steuer wieder erhöhen würden, dann verpufft dieser Effekt wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Deshalb überlegen Sie es sich gut, was Sie machen.
Nicht zuletzt – das ist auch schon angesprochen worden – scheint es mir schwierig, das Ganze zu gestalten, die Gewinnanteile, die mit dem Krieg zusammenhängen, von anderen Wirtschaftsbereichen abzugrenzen.
Es wurde schon angesprochen: Italien geht den Weg der Übergewinnsteuer. Jetzt muss man auch einmal feststellen: Italien hat ein anderes Steuersystem als wir. Die Betriebe werden generell nicht so hoch besteuert wie bei uns. Wir haben ein anderes Abgabensystem. Bei uns gibt es zusätzlich die Gewerbesteuer, deren Einnahmen im Rahmen des Länderfinanzausgleichs teilweise an Bund und Länder abzuführen sind. Ich kann nur sagen: Viel Spaß dabei, Sie werden das nicht schaffen.
Die Geschichte wurde schon bemüht. Die USA hatten eine solche Steuer zweimal eingeführt. Auch Großbritannien hatte zwischen den Jahren 1915 und 1921 – ähnlich wie Frankreich im gleichen Zeitraum – eine solche Steuer erhoben, um die Rüstungsindustrie zu unterstützen. Das wollen wir so nicht.
Grundsätzlich müssen wir aber auch feststellen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken: Immer wenn Krisen vorherrschen und eine Branche davon besonders profitiert, dann wollen Sie auch ein Stück vom Kuchen haben. Dasselbe haben Sie schon im vergangenen Jahr während der Coronakrise versucht, als Sie bei Unternehmen – ich nenne als Beispiel BioNTech – Übergewinne abschöpfen wollten. Jetzt muss man eines sagen: BioNTech hat einen großen Teil seiner Übergewinne in die Forschung gesteckt, um die Impfstoffe zu verbessern, um hier weiterzukommen. Und das Gleiche – das gebe ich Ihnen jetzt mit – sollten Sie von den Energieerzeugern bzw. den Energieunternehmen fordern; denn wir wollen ja alle unabhängiger werden von russischem Gas und Öl. Fordern Sie diese Unternehmen auf, die Nutzung von erneuerbaren Energien zu erforschen und weiterzuentwickeln; denn da wäre das Geld richtig gut aufgehoben, und am Ende hätten auch die Menschen etwas davon. Da müssen wir hin, und das sollten Sie fordern.
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Es mag zwar sein, dass wir mit dieser Zufallsgewinnsteuer in Ihren Augen für mehr Gerechtigkeit sorgen. Es wurde in vielen Reden heute schon gesagt: Es wird nicht mehr Gerechtigkeit geben, sondern mehr Ungerechtigkeit. Deshalb: Lassen wir die Finger davon! Wir sollten jetzt gekonnte und richtige Anreize setzen, die dazu führen, dass sich die Energieunternehmen freiwillig unabhängig von russischem Öl und Gas machen und den Wandel hin zu alternativen Energieformen angehen. Das könnte man auf den Weg bringen, indem man sagt: Verwendet einen Teil eurer Gewinne für Forschung und Entwicklung alternativer Energien. Mit alternativen Energien könnte man – dieser Meinung sind Sie ja auch – die Verbraucherinnen und Verbraucher entlasten. Das ist der richtige Weg.
Diesen Antrag kann man mit voller Überzeugung ablehnen, weil er nicht brauchbar ist.
Danke schön.
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Das Wort hat die Kollegin Melanie Wegling für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Plus 147 Prozent für Shell, plus 190 Prozent für Total, plus 120 Prozent für Exxon, so extrem haben sich die Gewinne einiger Energiekonzerne im ersten Quartal dieses Jahres entwickelt. Eine Hauptursache dafür ist der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Es handelt sich also um eine Ausnahmesituation, für die die Energiekonzerne und die Märkte nicht direkt verantwortlich sind. Ich halte es deshalb für durchaus angemessen, das Wort „Krisengewinne“ in diesem Zusammenhang zu verwenden.
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Es geht dabei nicht darum, Unternehmensgewinne an sich anzugreifen oder anzuprangern. Angesichts der Krisenlage und der soeben erwähnten Zahlen ist es jedoch angebracht, hier einmal genauer hinzuschauen. Da sind Energiekonzerne, die, wie alle anderen Unternehmen, ihre Gewinne für Investitionen nutzen können, und das ist ja auch richtig so. Mir würden hier gezielte Investitionen in erneuerbare Energien und in die dazu passenden Infrastrukturen einfallen. Oder man könnte sich angesichts der massiv gestiegenen Lebensunterhaltskosten um spürbare Lohnerhöhungen für die Beschäftigten bemühen. Es sind jedoch Zweifel erlaubt, ob die großen Profiteure des Mineralölsektors eine dieser beiden Richtungen entschlossen einschlagen werden oder doch eher die Interessen der Aktionäre wahren wollen, wie es der BP-Chef selbst gesagt hat.
Auf der anderen Seite sind da eben auch die Menschen, die die steigenden Energiepreise schmerzhaft spüren. Wer auf sein Auto im Alltag und im Beruf angewiesen ist, muss die überhöhten Spritpreise zahlen und finanziert hierdurch die besagten Übergewinne der Energieunternehmen. Das schlägt vor allem bei Gering- und Normalverdienern auf, aber auch beim Staat, der Entlastungspakete schnürt. Eine Auseinandersetzung mit der Frage der Verteilungsgerechtigkeit finde ich an dieser Stelle durchaus angemessen.
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Klar, die aktuellen Krisen belasten sicherlich auch Mineralölkonzerne durch erhöhte Rohölpreise, Logistik- sowie Transportkosten oder auch teure Anpassungen an die geopolitischen Gegebenheiten. Aber die wirklich riesigen Gewinnzuwächse lassen aufhorchen. Vom kleinen Handwerksbetrieb bei mir um die Ecke habe ich noch nicht gehört, dass er Preisaufschläge durchdrücken kann, die ihm Gewinnzuwächse von 190 Prozent einbrächten. Meine Bäckerin bietet trotz gestiegener Weizenkosten ihre Brötchen auch nicht für aberwitzige Preise an, um damit 200-prozentige Gewinnanstiege zu erzielen.
Es handelt sich also letztendlich auch um eine Frage des Anstands gegenüber der Gesellschaft in einer Ausnahmesituation sowie um eine Frage von gerechter Umverteilungspolitik.
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Das kann man aus meiner Sicht bei diesem Thema gerne diskutieren, wenngleich auch meine Vorrednerinnen die technischen Mängel des Antrages bereits dargestellt haben. Ich freue mich deshalb auf die weiteren Beratungen im Finanzausschuss.
Vielen Dank.
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