Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/28/2022

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit dem 24. Februar ist unsere Welt eine andere. Mitten in Europa tobt ein furchtbarer Krieg: völkerrechtswidrig, mit Kriegsverbrechen und an Brutalität und Grausamkeit, die wir jeden Tag erleben, kaum vorstellbar. Dieser Angriffskrieg bricht in eklatanter Weise mit dem international geltenden Recht, auf das sich die Weltgemeinschaft gemeinsam verständigt hat. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber seit dem 24. Februar beginnt jeder Morgen mit neuen schrecklichen Nachrichten aus der Ukraine und beginnt jeder Tag mit Trauer, mit Schmerz und mit Fassungslosigkeit über das Ausmaß der Zerstörung, über das Leid von Menschen, über Tod, über Kinder auf der Flucht, mit Bildern von Menschen, die durstend in Bunkern hausen, von ermordeten Zivilistinnen und Zivilisten, toten Soldaten und Vergewaltigungen, die inzwischen systematisch als Kriegswaffe gegen Frauen eingesetzt werden. Der Krieg zerstört unsere europäische Friedens- und Sicherheitsordnung und ist ein Angriff auf unsere Werte, auf Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung. ({0}) Wir alle verurteilen diesen Krieg aufs Schärfste. Die russische Regierung muss alle Kampfhandlungen unverzüglich einstellen. ({1}) Seit zwei Monaten arbeiten wir hier im Parlament, in der Bundesregierung, mit unseren europäischen Partnern, im Rahmen der G 7, der Weltgemeinschaft und der internationalen Staatengemeinschaft ununterbrochen und mit Nachdruck daran: Wie können wir Hilfe und Unterstützung bieten? Dazu gehören finanzielle Unterstützung, wirtschaftliche Unterstützung, humanitäre Unterstützung und auch die Unterstützung mit Waffen. Wir ringen seit dem ersten Tag um ehrliche Antworten. Wir wägen ab, wir zweifeln, und, ja, wir hadern. Aber wir entscheiden, und das ist am Ende das, was zählt. ({2}) Niemand weiß heute genau, was werden wird, meine Damen und Herren, und mich beunruhigen die, die heute schon ganz genau wissen, was gestern zu tun war und übermorgen zu tun ist. ({3}) Ich finde es wichtig, zum Ausdruck zu bringen, wie schwer die Situation ist und wie darum gerungen werden muss, was die richtigen Antworten sind. Wir haben inzwischen fünf harte Sanktionspakete gegen Russland und die russische Führung vereinbart. Das ist wichtig und notwendig, alles getragen im europäischen Kontext, von der NATO und der Weltgemeinschaft. Wir tun alles, um so schnell wie möglich aus dieser wahnsinnig zementierten Abhängigkeit fossiler Energien, in die uns die Fehlentscheidungen der letzten Jahre gebracht haben, herauszukommen. ({4}) Auch das ist wichtig und notwendig. ({5}) Wir sind bei allem, was wir tun, vom festen Grundsatz geleitet, dass die Ukraine nach der Charta der Vereinten Nationen ein uneingeschränktes Recht auf Selbstverteidigung hat. Wir nehmen unsere Aufgabe verantwortungsvoll wahr, einerseits nicht Kriegspartei zu werden – das ist die erklärte Absicht nicht nur Deutschlands, sondern aller europäischen Partnerinnen und Partner – und andererseits die Ukraine nicht schutzlos dem Aggressor Putin auszuliefern. Genau hier ist unsere Verantwortung im Spannungsfeld immer wieder, jeden Tag aufs Neue zu entscheiden, was zu tun notwendig ist, um die Ukraine in ihrem Recht auf Selbstverteidigung zu unterstützen, meine Damen und Herren. ({6}) Deshalb ist es auch wichtig und notwendig, dass wir neben der finanziellen und humanitären Hilfe und den Waffenlieferungen, für die wir bereits direkt im Anschluss an den Angriffskriegsbeginn gesorgt haben, jetzt auch den Ringtausch schwerer Waffen und die massive finanzielle Unterstützung der Ukraine für direkte Waffenkäufe und die Lieferung eigener schwerer Waffen da, wo es möglich ist, in aller Sorgfalt zu prüfen und dann auch zu entscheiden, so wie wir das im vorliegenden Antrag getan haben, und noch einmal gemeinsam bekräftigen: Die Ukraine kann sich auf unsere Unterstützung verlassen, meine Damen und Herren. ({7}) Es freut mich, dass wir dieses Signal heute gemeinsam mit Ihnen von der Union abgeben; das sei an dieser Stelle ganz eindeutig in Richtung der CDU/CSU gesagt. Denn ein wichtiges Signal in dieser Krisenzeit ist nach innen und nach außen, dass Demokratinnen und Demokraten in diesem Haus an dieser Stelle zusammenstehen, und dafür bin ich dankbar. ({8}) Das Handeln der Bundesregierung und unser gemeinsamer Antrag heute hier im Parlament sind ein starkes Signal an die Ukraine. Bitte, meine Damen und Herren, verstehen Sie es als solches! Es ist auch ein klares Signal an die Menschen hier im Land, die voller Sorge auf das Leid, die Zerstörung und die Entwicklung dieses Krieges schauen. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Unionsfraktion erteile ich das Wort dem Kollegen Friedrich Merz. ({0})

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diesen „Jungs und Mädels muss ich mal sagen: Weil ich nicht tue, was ihr wollt, deshalb führe ich“. So hat sich der Bundeskanzler einige Tage vor Ostern in einem Rundfunkinterview auf die Frage eingelassen, ob und wie er denn in diesem Land führe. Mit „Jungs und Mädels“ waren dabei offenbar die drei Ausschussvorsitzenden gemeint, die eine Reise in die Westukraine unternommen hatten. Mal ganz unabhängig davon, wer gemeint war: ({0}) Mitglieder des Deutschen Bundestages herablassend mit „Jungs und Mädels“ zu bezeichnen, ({1}) ist für einen Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland völlig inakzeptabel. ({2}) Meine Damen und Herren, einfach nur das Gegenteil von dem zu tun, was Mitglieder des Deutschen Bundestages für richtig halten, ist auch kein Ausdruck von Führung. Dieser Sprachgebrauch ist eher ein Zeichen von Unsicherheit und von Schwäche. ({3}) Der Bundeskanzler hat über Wochen in der Diskussion über die Frage, ob der Ukraine denn nun Waffen geliefert werden sollten oder nicht, hingehalten, seine Antwort offengelassen und die Frage ausweichend beantwortet. ({4}) Ich erinnere nur an die Regierungsbefragung, die wir hier vor drei Wochen hatten. Der Bundeskanzler hat alle Fragen beantwortet, die ihm nicht gestellt worden sind, und keine einzige Frage von denen beantwortet, die wir ihm gestellt haben, meine Damen und Herren. ({5}) Das ist kein Ausdruck von Besonnenheit, wie Sie von den Ampelfraktionen es in den letzten Tagen versuchen zu erklären. Das ist Zögern, das ist Zaudern, und das ist Ängstlichkeit. ({6}) Nun regen Sie sich darüber auf, dass wir das Thema hier im Plenum ansprechen. Aber, meine Damen und Herren, das Problem für den Bundeskanzler war und ist nicht die Opposition. ({7}) Das Problem für den Bundeskanzler war und ist bis zum heutigen Tag die Kritik aus den eigenen Reihen. ({8}) Dabei waren Worte wie „Führungsschwäche“ und „Kommunikationsdesaster“ noch harmlose Formulierungen. ({9}) „Politische Hütchenspiele“ sind dem Bundeskanzler vorgeworfen worden, bis hin zu der offenen Frage, ob er seinem Amt noch gewachsen sei. – Ich will es dabei bewenden lassen. ({10}) Wenn Sie die staatspolitische Verantwortung der Opposition nur so verstehen, dass wir Ihnen in allem, was Sie hier vorlegen und vorschlagen, kritiklos zustimmen, ({11}) dann ist das ein großer Irrtum, meine Damen und Herren. ({12}) Wir erlauben uns hier schon, diese Kritik, die geäußert wird, aufzunehmen und zum Gegenstand einer parlamentarischen Diskussion zu machen. Es ist trotzdem gut, dass wir heute gemeinsam den Versuch unternehmen, einen Antrag zu verabschieden, der sich umfassend mit der Hilfe für die Ukraine befasst. ({13}) Wenn die Bundesregierung in den letzten Tagen und Wochen zu diesen Fragen eine klare und einvernehmliche Haltung eingenommen hätte und wenn der Bundeskanzler dies klar und unmissverständlich hier gesagt hätte, ({14}) dann wäre weder der Antrag noch diese ganze Debatte heute Morgen notwendig gewesen. ({15}) Wenn wir in der letzten Woche nicht einen Antrag vorgelegt hätten, ({16}) dann wären Sie doch nie auf den Gedanken gekommen, nun Ihrerseits tätig zu werden und einen solchen Antrag dem Deutschen Bundestag vorzulegen. ({17}) Nein, meine Damen und Herren, wir führen hier eine wichtige Diskussion, und wir nehmen in dieser Diskussion auch unsere Verantwortung wahr. ({18}) Ich will Ihnen zu der Debatte von gestern noch mal etwas sagen. Wir hatten gestern die Diskussion über das 100-Milliarden-Euro-Programm für die Bundeswehr und die dazu vorgeschlagene Änderung des Grundgesetztextes. Meine Damen und Herren, wir haben die sechs Punkte genannt, die für uns wichtig sind, wenn wir dem zustimmen sollen. Ich sage Ihnen noch mal: Nehmen Sie das bitte nicht auf die leichte Schulter! Wir sind grundsätzlich bereit, mit Ihnen einen solchen Weg zu gehen. Aber wir lassen uns nicht einfach nur so zur Zustimmung auffordern. ({19}) Wir haben einige Punkte genannt. Ich will es hier an dieser Stelle sehr deutlich wiederholen: Unsere Zustimmung ist auch davon abhängig, dass wir in wenigen Jahren nicht wieder da stehen, wo wir heute stehen, nämlich bei einer unterfinanzierten Bundeswehr. ({20}) Deswegen wollen wir sehen, dass der Einzelplan 14 für die Verteidigung kontinuierlich aufwächst und nicht einmalig ein bestimmter Betrag zur Verfügung gestellt wird. Wir wollen die Beschaffungssystematik ändern. Übrigens war der Bundeskanzler begeistert, als wir ihm vorgeschlagen haben, dass wir am Beschaffungssystem etwas ändern wollen. Dann machen wir es doch jetzt gemeinsam! ({21}) Nörgeln und kritisieren Sie doch nicht ständig an der Opposition herum. – Ich will nur diese beiden Punkte nennen. ({22}) Wir haben hier noch einen ziemlich langen Weg vor uns. Seitdem der Bundeskanzler vor acht Wochen den Vorschlag unterbreitet hat, ist wertvolle Zeit verstrichen. Wir sind zu keinem dieser Punkte bisher übereingekommen, geschweige denn, dass wir ein gemeinsames Gesamtkonzept ausformuliert und aufgeschrieben haben. ({23}) Wir sind noch ziemlich weit entfernt von einer Einigung. Meine Damen und Herren, mit dem Antrag des heutigen Tages sind wir dankenswerterweise einen Schritt weiter. Richtigerweise enthält dieser Text nicht nur Bewertungen und Einschätzungen zu Waffenlieferungen an die Ukraine. Richtigerweise! Auch wir wissen, dass Waffengewalt in einer solchen Auseinandersetzung immer nur das letzte Mittel sein darf und letztendlich auch das Eingeständnis des Scheiterns von Diplomatie und der Suche nach politischen Lösungen umfasst. Das ist so. Aber an dieser Stelle stehen wir seit dem 24. Februar 2022. Ich will es mal mit diesen Worten deutlich sagen: Niemand von uns befürwortet leichtfertig den Einsatz militärischer Gewalt. Niemand! ({24}) – Diese Zwischenrufe verstehe ich nun wirklich überhaupt nicht. Wir wollen hier eine gewissenhafte Diskussion führen. ({25}) Wenn bei diesem Satz solche Zwischenrufe von Ihnen kommen, ({26}) dann frage ich mich, wie ernst Sie die Bereitschaft meinen, ({27}) mit uns zu einer gemeinsamen Lösung in diesen schwierigen Fragen zu kommen. Ich frage mich wirklich, wie ernst Sie das nehmen! ({28}) Meine Damen und Herren, wir haben doch alle diese schrecklichen Bilder vor Augen, und sie beschweren uns doch jeden Tag: die Bilder von Menschenrechtsverletzungen, die Bilder vom Stahlwerk in Mariupol. Das sind doch furchtbare Bilder. Aber gerade weil wir diese Bilder vor Augen haben, müssen wir doch heute sagen: Einem Aggressor wie Putin und seinem Machtapparat muss man in einer solchen Situation als Ultima Ratio mit militärischer Gewalt begegnen. Es geht nicht anders in einer solchen Situation! ({29}) – Es bestreitet hier niemand. Aber wir müssen doch auch nach draußen hin erklären, warum wir heute zu einem solchen gemeinsamen Antrag kommen. ({30}) Noch mal: Wenn Sie das schon vor einigen Wochen getan hätten, dann bräuchten wir es heute nicht gemeinsam zu tun. An der Stelle stehen wir doch heute. ({31}) Wenn die Ukraine und ihre mutige Armee sich nicht militärisch verteidigten und wenn wir der Ukraine dabei nicht helfen würden, dann wird uns diese unterlassene Hilfe – wie schon in der Vergangenheit – als Schwäche und als Zögerlichkeit ausgelegt, und dann wird es nach der Ukraine weitere Länder und weitere Regionen geben, die von dem russischen Regime bedroht werden, meine Damen und Herren. ({32}) In diesem Zusammenhang ist der Hinweis des Bundeskanzlers, dass unsere deutschen Waffen möglicherweise einen dritten Weltkrieg auslösen würden, ebenso unverantwortlich wie aus unserer eigenen historischen Erfahrung heraus falsch und irreführend. ({33}) Der Hinweis ist unverantwortlich; denn er lässt ja nur den Schluss zu, dass aus der Sicht des Bundeskanzlers alle anderen Länder, die mehr für die Ukraine tun als wir – und davon gibt es viele –, die Kriegsgefahr in Europa erhöhen. Meine Damen und Herren, das ist doch eine geradezu groteske Umkehrung ({34}) von Ursache und Verantwortung für diesen Krieg. Eine groteske Umkehrung! ({35}) Ich frage in Richtung der SPD: Warum sollten gerade deutsche Waffen diese Wirkung haben, alle anderen aber nicht? ({36}) Der Hinweis ist auch historisch falsch, weil doch gerade wir wissen, dass Besänftigung und Beschwichtigung – in der internationalen Sprache der Politik heißt das „Appeasement“ – die Ausweitung einer Aggression überhaupt erst möglich machen. Deshalb ist es gut, dass wir heute mit diesem gemeinsamen Antrag und der Beschlussfassung darüber Klarheit schaffen. Die Bundesregierung kann sich ab heute auf ein breites zustimmendes Votum des Deutschen Bundestages stützen und der Ukraine die Waffen liefern, die sie braucht und die wir ihr dann zur Verfügung stellen können. ({37}) Meine Damen und Herren, deswegen will ich abschließend sagen: Ich will mich bei den Fraktionen der SPD, der Grünen und der FDP ({38}) und bei ihren jeweiligen Vorsitzenden ausdrücklich bedanken, dass wir in den letzten Tagen hier zu dieser gemeinsamen Haltung gefunden haben. Die Arbeit an den Texten und die vielen Gespräche, die wir in den letzten Tagen dazu geführt haben, haben sich gelohnt. Herzlichen Dank. ({39})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Lars Klingbeil hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Lars Klingbeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit über zwei Monaten führt Wladimir Putin einen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Täglich sehen wir das Leid, das Putin und seine Vasallen über die Menschen im Land bringen: gezielte Tötung von Zivilisten, die Bombardierung von Krankenhäusern, von Schulen, von Kindergärten. Wladimir Putin trägt die Verantwortung für diesen Krieg. Er wird als Kriegsverbrecher in die Geschichte eingehen. Und wir werden alles daransetzen, dass er vor den zuständigen Gerichten dieser Welt für diesen brutalen Krieg zur Verantwortung gezogen wird. ({0}) Es ist gut, dass wir heute hier im Parlament ein eindeutiges, ein unmissverständliches Signal aus der Mitte des Deutschen Bundestages setzen: Putin muss diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg beenden! Wir stehen an der Seite derjenigen, die mutig und tapfer in der Ukraine kämpfen. Wir stehen an der Seite der Ukraine. Das machen wir mit diesem gemeinsamen Antrag deutlich. ({1}) Herr Merz, mir war wichtig, diesen Punkt am Anfang meiner Rede zu nennen. ({2}) Bei Ihnen hat es fünf Minuten gedauert, bis Sie zum ersten Mal etwas zum Krieg und zum Leiden der Menschen in der Ukraine gesagt haben. Ich habe hier eigentlich auf meinem Zettel stehen: Dank an die Union. Herr Merz, ich muss Ihnen das in aller Emotionalität sagen: Das hätte heute von Ihnen eine staatspolitische Rede werden können. ({3}) Es ist aber eine parteipolitische Rede geworden. Sie haben zu Ihren eigenen Leuten gesprochen. Ich will Ihnen sagen, Herr Merz: Ich bin dankbar dafür, dass wir einen gemeinsamen Antrag auf den Weg gebracht haben. Danke an die vier Fraktionen und die Vorsitzenden! Aber hier ist kein Platz für parteipolitische Profilierung. ({4}) Herr Merz, ich will das anhand meiner eigenen Geschichte beschreiben. Ich bin 2009 in dieses Parlament gekommen. Die SPD ist damals in die Opposition gegangen. Das war schwierig für uns, weil wir lange regiert haben. Wir haben eine schwarz-gelbe Regierung erlebt, die nicht immer harmonisch war. Und trotzdem haben wir damals als SPD bei den großen internationalen Fragen, die abgestimmt wurden, nach dem Prinzip gehandelt: Erst das Land, dann die Partei. ({5}) Erinnern Sie sich, Herr Merz, an das Karfreitagsgefecht, das erste Mal, dass deutsche Soldaten im Ausland gefallen sind. Trotzdem hat die SPD am Afghanistan-Mandat festgehalten, hat ein klares Bekenntnis zur Bundeswehr abgegeben. Erinnern Sie sich an die großen Debatten über die Schutzschirme für Griechenland, für Spanien, den Eurorettungsschirm. Wir hätten uns das einfach machen können, aber wir haben damals nie gegen die Regierung gestimmt. Lieber Herr Merz, ich habe mir in den letzten Tagen Sorgen um die Union gemacht, ({6}) als Sie kritisiert haben, dass Olaf Scholz nach Japan fährt, dass Olaf Scholz sich mit einem der wichtigsten westlichen Verbündeten trifft. ({7}) Da habe ich mich gefragt: Was ist nur aus der Union von Angela Merkel geworden? Was passiert da gerade in der Union? ({8}) Lieber Herr Merz, diejenigen, die am Antrag mitgeschrieben haben, haben nach dem Prinzip gehandelt: Erst das Land, dann die Partei! ({9}) Ich hätte mir gewünscht, dass diejenigen, die Ihre Rede geschrieben haben, auch nach diesem Grundsatz gehandelt hätten. ({10}) Aber zur Sache. Ich will ein paar Sätze zu diesem Antrag sagen, weil er mir wirklich wichtig ist. Dieser Antrag stützt das Handeln der Bundesregierung. Diese Regierung handelt, sie liefert, sie führt. ({11}) Ich will das an dieser Stelle sagen, weil Antragsberatungen ein Moment sind, wo man mal Danke sagen kann. Die Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung haben Entscheidungen mit einer Reichweite für die nächsten 10, 15, 20 Jahre zu treffen, mit einer Tragweite, die Leben und Tod betreffen. Es sind Entscheidungen, die man sich in der Regierung nicht einfach macht. Ich will hier stellvertretend Nancy Faeser, Christian Lindner, Annalena Baerbock, Christine Lambrecht, Robert Habeck und vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz für das danken, was wir in den letzten Wochen an guter Führung durch die Bundesregierung gemeinsam erlebt haben. ({12}) Ich habe in den letzten Tagen viele Bewertungen der Bundesregierung gelesen. Ich empfehle übrigens, mal die aktuelle Ausgabe der „Time“ zu lesen; da bekommt man einen Überblick, wie Deutschlands Rolle in der Welt gesehen wird. Lassen Sie uns einmal auf die Fakten schauen. Fakt eins. Deutschland hat mit den Partnern Sanktionen vorbereitet und setzt diese massiv durch. Selten gab es ein so großes, umfassendes Sanktionspaket wie jetzt gegen Russland. Russland wird ökonomisch von den internationalen Märkten abgekoppelt und wird es über einen langen Zeitraum bitter zu spüren bekommen, was die Konsequenzen dieser Sanktionen sind. Fakt zwei. Deutschland reduziert die Abhängigkeit von russischem Gas und russischem Öl. Das tun wir in einem größeren Tempo, als es im Koalitionsvertrag schon vorgesehen war. Ich bin dankbar dafür, dass wir das täglich in aller Entschiedenheit gemeinsam tun. Fakt drei. Wir agieren eingebettet in die internationale Kooperation. Der Westen – die NATO, die Europäische Union – war lange nicht mehr so geeint und so stark wie jetzt. Ich sage: Daraus müssen wir etwas machen. Wir können nicht nur zusammenkommen, weil Putin uns treibt, sondern wir brauchen jetzt eine transatlantische Agenda für die Zukunft. Wir brauchen jetzt eine starke Europäische Union. ({13}) Das ist ein Geschenk für uns, aber es kommt auf das Handeln der Bundesregierung an. Und ja, Deutschland liefert Waffen. Diese Bundesregierung hat mit einem Prinzip gebrochen, das über Jahrzehnte in Deutschland galt. Wir liefern seit dem Beginn des Krieges, und wir sind jeden Tag einen Schritt weitergegangen: in der Qualität, in der Quantität dessen, was wir tun. Aber wir hatten auch hier Prinzipien. In dieser Kontinuität stehen die Entscheidungen der letzten Tage. Wir haben gesagt: Wir stimmen uns mit den internationalen Partnern ab. Wir haben gesagt: Wir gefährden nicht die eigene Landes- und Bündnisverteidigung. Und wir haben gesagt, dass wir selbst nicht zur Kriegspartei werden. Alles das tut die Bundesregierung. Ich bin dankbar dafür – das ist der letzte Punkt, den ich ansprechen will –, dass wir eine Regierung haben, die weiß, dass sie konsequent und schnell entscheiden muss, ({14}) die aber nicht – Herr Merz, dieser Eindruck entsteht manchmal bei Ihnen – morgens aufwacht und überlegt: Was können wir heute tun? – Gerade in diesen Zeiten, gerade in Zeiten von Leben und Tod, von Krieg und Frieden geht es darum, dass man Grundüberzeugungen und Prinzipien hat und diese auch in einer Zeitenwende nicht über den Haufen wirft. ({15}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz aller parteipolitischer Differenzen will ich am Ende noch einmal betonen: Es ist richtig und wichtig, dass es hier aus der Mitte des Parlamentes ein klares Signal an Wladimir Putin und ein klares Signal an die Menschen in der Ukraine gibt, dass wir als Deutscher Bundestag auf der richtigen Seite der Geschichte stehen. ({16}) Aber ich sage Ihnen auch: Kleingeistigkeit und Kleinkariertheit, wie sie manches Mal gerade in der politischen Debatte erlebt werden, bringen uns nicht weiter. ({17}) Wir haben schwierige Entscheidungen vor uns, beispielsweise zum Sondervermögen. Herr Merz, das ist mein letzter Appell: Machen Sie deutlich, dass Sie an der Seite der Soldatinnen und Soldaten stehen! ({18})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Klingbeil.

Lars Klingbeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Machen Sie deutlich, dass Sie bereit sind, ({0}) die Fehler aus 16 Jahren unionsgeführtem Verteidigungsministerium zu korrigieren –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Lars Klingbeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– und mit der Ampel gemeinsam daran zu arbeiten, die Bundeswehr entsprechend auszustatten. ({0}) Das wäre ein richtiges Signal aus der Union. Vielen Dank fürs Zuhören. ({1})

Tino Chrupalla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004695, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Landsleute! Vor nunmehr über zwei Monaten hat Russland die Ukraine angegriffen. Wir haben wieder Krieg in Europa. Noch zu Beginn haben wir alle hier in diesem Hohen Haus gehofft, dass der Konflikt schnell beendet sein wird und die Bevölkerung in der Ukraine wieder in Ruhe leben kann. Leider kam es anders. Die AfD-Fraktion gedenkt aller Kriegstoten und trauert mit deren Hinterbliebenen. ({0}) Der neue Krieg in Europa stellt uns alle vor eine schwierige Situation und Entscheidung. Plötzlich werden alte Wunden aufgerissen und überkommene Denkmuster bedient. Aber gerade für ein friedliches Zusammenleben müssen wir die ideologischen Scheuklappen absetzen und uns der Diskussion im eigenen Land stellen. Ich finde es unentschuldbar, dass Bundeskanzler Olaf Scholz heute an so einem wichtigen Tag hier nicht anwesend ist. Bislang stand er zu seinem Wort, dass Waffen keine Lösung sind. Heute bringen die Koalition und die Unionsfraktion einen gemeinsamen Antrag ein, der den Ukrainekrieg verlängern wird und uns zur Kriegspartei in einem atomar geführten Krieg machen könnte. Werte Kollegen, wir streiten über die Zukunft Deutschlands. Es geht um Krieg und Frieden, auch in Mitteleuropa, und Herr Scholz reist zur Kirschblüte nach Japan. Und nein: Auch Reisepläne kann man ändern. Erinnern Sie sich: Der Bundeskanzler ließ Außenministerin Baerbock vorfristig nach Berlin zurückkehren, um über die Impfpflicht abzustimmen. ({1}) Daran sieht man, wo die Prioritäten dieses Bundeskanzlers liegen. Alle, die immer davon sprechen, aus der Geschichte gelernt zu haben, sind heute die Ersten, die uns aktiv in einen Krieg hineinziehen wollen. Genau das besagt dieser heute vorliegende Antrag. Er liest sich wie die Beitrittsbekundung zu einem Krieg. ({2}) Vom Duktus her erinnert er an die dunkelsten Zeiten. ({3}) Ich muss es hier noch mal deutlich sagen: Wir befinden uns nicht im Krieg mit Russland oder irgendeinem Land, und die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung möchte nicht an diesem Krieg beteiligt werden. ({4}) Deswegen muss man fragen: Welchen Zweck verfolgen Sie? Die Ukraine gehört nicht der NATO an, auch nicht der EU und ist ebenso ein souveräner Staat in Europa wie Russland. Es liegt im deutschen Interesse, auch zukünftig zu beiden Staaten ein gutes Verhältnis zu unterhalten, politisch, wirtschaftlich und kulturell. ({5}) Schon mit der Entscheidung der Bundesregierung, Gepard-Panzer an die Ukraine zu liefern, wurde die Position Deutschlands entschieden geschwächt; denn wir können nicht mehr als neutraler Vermittler auftreten, wir können eigentlich nur noch hoffen, dass dieses Vorgehen die diplomatischen Wege nicht endgültig versperrt hat. Sie intervenieren mit Waffenlieferungen in einen fremden Krieg und nennen das „wertegeleitete Außenpolitik“. Haben Sie sich eigentlich mal gefragt, welche Wirkung diese Entscheidung auf unsere Partner China und Indien hat? Wir brauchen interessengeleitete Außenpolitik für Deutschland und Europa. ({6}) Die Fraktion der Alternative für Deutschland im Bundestag spricht sich ganz entschieden gegen die Lieferung von Waffen an die Ukraine aus. Waffen haben Kriege noch nie verkürzt und sind keine humanitären Hilfsgüter. ({7}) Wir müssen unsere humanitäre Hilfe fortführen. Ich meine damit sowohl die Unterstützung von Kriegsflüchtlingen als auch die Hilfe für die Notleidenden vor Ort, zum Beispiel durch die Lieferung von medizinischen Hilfsmitteln, von Medikamenten sowie durch die Bereitstellung von sauberem Wasser und Energie. Viele hier im Plenarsaal und gerade auch die Medien müssen endlich rhetorisch abrüsten. Die Friedensrhetorik muss in den Vordergrund treten, nicht die Kriegsrhetorik. ({8}) Werte Kollegen, bitte kommen Sie zur Vernunft. Lassen Sie Ihr Gewissen entscheiden, und stimmen Sie gegen die Waffenlieferung an die Ukraine! Die Alternative für Deutschland –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie kommen bitte zum Schluss.

Tino Chrupalla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004695, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– ist die einzige Fraktion im Deutschen Bundestag, die aktiv für den Frieden auf dem Kontinent Europa eintritt. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Christian Dürr hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit über zwei Monaten herrscht bereits Krieg in der Ukraine und damit Krieg gegen einen freien Staat, gegen freie Menschen, gegen die Freiheit an sich. Man darf nicht müde werden, zu sagen: Dieser Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen. Es ist ein Angriffskrieg Russlands gegen das Völkerrecht, gegen jegliche Humanität. Wir müssen diesen Krieg verurteilen, an jedem Tag, in jeder Stunde. ({0}) Wir dürfen uns an die Bilder aus der Ukraine nicht gewöhnen, meine Damen und Herren. ({1}) Dass Russland Zivilisten die Flucht aus umkämpften Gebieten wie Mariupol nicht erlaubt, ist eine Schande. ({2}) Putin muss wissen: Die ganze Welt sieht die Kriegsverbrechen, die die russische Seite täglich begeht. Wir werden als Deutschland, als Westen die Kriegsverbrecher zur Rechenschaft ziehen. ({3}) Putin führt Krieg gegen die Ukraine und damit gegen die liberale Demokratie. Deshalb ist es eben auch im sicherheitspolitischen Interesse Deutschlands, dass die Ukraine diesen Krieg nicht verliert. Deshalb müssen wir jetzt alles tun, was wir können, um die Ukraine bei diesem Ziel zu unterstützen, und dafür steht der Antrag aus der Mitte des Hauses an diesem Tag. ({4}) Herr Kollege Merz, mir geht es ähnlich wie dem Kollegen Lars Klingbeil – das war mir wichtig vorab zu sagen –: Ich bin dankbar dafür, dass die CDU/CSU-Fraktion sich bereit erklärt hat, dem Antragsentwurf der Regierungsfraktionen beizutreten. Das ist ein wichtiges Signal heute; das anerkenne und wertschätze ich. ({5}) Ich will übrigens daran erinnern: Die erste Reaktion kam vom Kollegen Frei, glaube ich, der sagte: Dieser Antrag ist zu lang, wie immer bei der Ampel. Er ist viel zu unkonkret. – Jetzt hat er aus Sicht des Fraktionsvorsitzenden genau die richtige Länge und spricht die richtigen Punkte an. Ja, man kann dazulernen. Darüber freuen sich die Ampelregierungsfraktionen, Herr Kollege Merz. ({6}) Ich will eines zum Thema Sondervermögen sagen, weil es gestern Thema der Debatte war und auch heute schon angesprochen worden ist und es auch legitim ist, es hier zum Gegenstand zu machen: Ich stelle mir eine Sekunde vor, die Oppositionsfraktionen Bündnis 90/Die Grünen und FDP hätten bei viel kleineren Themen in der vergangenen Wahlperiode, wie beim DigitalPakt für Schulen oder beim Thema Grundsteuer, gesagt: Wir reden mit den Regierungsfraktionen nur unter der Prämisse, dass wir keinen Abgeordneten mehr in die Abstimmung schicken, als für die Zweidrittelmehrheit nötig ist. – Wie kleinteilig wäre das schon damals bei diesen kleinen Themen gewesen? Herr Merz, ich fordere Sie auf, an dieser wichtigen Stelle, bei der Debatte um das Sondervermögen, Ihre Strategie zu ändern, im sicherheitspolitischen Interesse Deutschlands und gerade auch im Interesse der Ukraine. Sie müssen Ihre Strategie ändern und endlich sagen, dass Sie dabei sein wollen, und zwar als gesamte CDU/CSU-Bundestagsfraktion! ({7}) Da kann es doch keine andere Antwort und keine zwei Meinungen geben, Herr Kollege. ({8}) Meine Damen und Herren, es geht um die Rolle Deutschlands in dieser Krise und darum, was wir konkret tun können, um gemeinsam mit unseren Partnern die Ukraine bestmöglich zu unterstützen. Vor diesem Hintergrund ist es der richtige Schritt, Waffenlieferungen zu ermöglichen, sowohl direkte als auch indirekte Lieferungen durch unsere Partner und uns selbst. Es ist richtig – ich will das aussprechen –, schwere Waffen in diese Lieferungen mit einzubeziehen. Russland hat die Ukraine überfallen, mit einem Vielfachen an Militärgerät, fünfmal so vielen Panzern, dreimal so vielen aktiven Soldaten. Die Ukraine befindet sich in einem Krieg auf offenem Boden, es geht um ganz konkrete Geländegewinne, und wir haben gesehen, was das bedeutet. Butscha ist kein Einzelfall. Jeder russische Vorstoß bedeutet, dass sich diese Verbrechen wiederholen. Die Lieferung schwerer Waffen ist natürlich – Lars Klingbeil hat es gesagt – keine Selbstverständlichkeit, aber sie ist jetzt eine Notwendigkeit, meine Damen und Herren. ({9}) Dabei sollten wir uns an zwei Prämissen orientieren. Wir liefern die Art Waffen, die auch andere Verbündete liefern. Wir liefern, was unsere eigene Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit nicht gefährdet. Und deshalb liefern wir jetzt, was die Ukraine braucht. Um das in einen Kontext zu stellen: Die Vereinigten Staaten, Frankreich, Großbritannien und andere haben schon schwere Waffen geliefert oder planen deren konkrete Lieferung. Wir stehen also mit diesem Schritt eng – eng! – an der Seite unserer Partner. Deutschland muss seiner Verantwortung gerecht werden, und das drückt dieser gemeinsame Antrag aus der Mitte des Deutschen Bundestages heute aus, meine Damen und Herren. ({10}) Ich will zum Schluss eines sagen, was mir wichtig ist, Frau Präsidentin. Putin hat mit seinem Angriffskrieg die alte Weltordnung zerrissen. Das Alte kommt nicht wieder. Deshalb werden wir auch die wirtschaftlichen Beziehungen mit Putins Russland beenden, und wir werden die Beziehungen zu liberalen Demokratien weltweit stärken. ({11}) Deshalb ist es richtig, dass der Bundeskanzler dieser Tage nach Japan gereist ist, um genau das zu tun. ({12}) Auch das möchte ich an dieser Stelle sagen: Ich bin dem Bundeskanzler ausdrücklich dankbar, dass er genau das tut.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Dürr.

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Letzter Satz, Frau Präsidentin. – Es ist es ein wichtiges Zeichen, dass wir heute einen Antrag beraten, der von der großen demokratischen Mitte des Hauses getragen und am Ende auch beschlossen wird. Deutschland, meine Damen und Herren, steht gemeinsam mit seinen Verbündeten und Partnern in der Welt an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer. Ich danke Ihnen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dietmar Bartsch hat das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Dietmar Bartsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003034, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um es klar und deutlich zu sagen: Meine Fraktion verurteilt auf das Schärfste den brutalen und völkerrechtswidrigen Krieg, den Putin führt – ohne Wenn und Aber. ({0}) Der Bundeskanzler hat am vergangenen Wochenende gegenüber dem „Spiegel“ ein Interview gegeben und dort seinen bisherigen Kurs verteidigt, keine schweren Waffen in die Ukraine zu liefern. Ich darf seine Begründung zitieren: „Ich tue alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt. Es darf keinen Atomkrieg geben.“ ({1}) Millionen Menschen in Deutschland haben genau diese Sorgen und Ängste. Meine Fraktion unterstützt diese Haltung ausdrücklich, und das sollte auch Richtschnur Ihrer Politik sein, meine Damen und Herren. ({2}) Unter anderem mit der Angst vor einem Atomkrieg hat der Bundeskanzler die Lieferung schwerer Waffen ausgeschlossen, und zwar zu Recht. Deswegen verstehe ich überhaupt nicht, dass die Verteidigungsministerin 72 Stunden später das Gegenteil verkündet: Deutschland liefert schwere Waffen in die Ukraine. ({3}) Meine Damen und Herren, das heißt: Jeden Tag eine Kehrtwende! Ich komme da nicht mehr mit. Und es geht vielen Menschen in unserem Land so, dass sie da nicht mehr mitkommen. Wir erleben ein Kommunikationsdesaster der Ampel. Herr Klingbeil, ist das die Führung, die Olaf Scholz versprochen hat und die man bei ihm bestellen kann? Sie haben die Schattenminister Hofreiter und Strack-Zimmermann. Die führen eine Paralleldiplomatie. Das ist die Lage bei der Ampel. ({4}) Nachdem ich den Antrag gelesen habe, muss ich dem Bundeskanzler sagen: Es tut mir leid, die „Jungs und Mädels“ haben sich tatsächlich durchgesetzt. Das ist die Wahrheit. In Ihrem Antrag machen Sie jetzt sogar China zu einer Konfliktpartei. Wollen Sie wirklich für Frieden sorgen, indem Sie China in dem Antrag aufführen? Nein, das ist das Gegenteil. ({5}) Herr Scholz tut jetzt genau das, was andere gewollt haben. Dass vier Tage nach dem „Spiegel“-Interview ein Antrag vorliegt, der im Widerspruch zu seinen Aussagen steht, ist kein Ausweis von Führungsstärke. Das ist das Gegenteil, meine Damen und Herren. ({6}) Jetzt zu Ihnen, Herr Merz. Sie haben hier ja so nachdrücklich Ihre Position verteidigt. Was Sie seit Tagen aufgeführt haben, ist ein Schauspiel und hat mit Verantwortung, ehrlich gesagt, nichts zu tun. Das ist der Situation völlig unangemessen, und im Übrigen schadet das dem Ansehen Deutschlands, weil Sie nämlich die Spaltung befördern. Sie haben die drei doch erpresst mit Ihrer Zustimmung zu dem 100-Milliarden-Euro-Paket. Deswegen gibt es doch den Antrag. Sonst hätte es ihn überhaupt nicht gegeben. ({7}) Das ist letztlich Putins Spiel. Ihnen geht es nicht um die Ukraine. Ihnen geht es um Profilierung und innenpolitischen Geländegewinn, gerade mit Blick auf die Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Das ist inakzeptabel, meine Damen und Herren. ({8}) Nun muss man die Frage stellen, an welchem Punkt wir denn jetzt eigentlich sind. Lieber Rolf Mützenich, Sie haben davon gesprochen – völlig zu Recht –, dass es eine „militärische Schlagseite“ in der Debatte gibt. ({9}) Ja, das ist meines Erachtens sogar untertrieben. Es gibt einen fatalen Wettlauf: höher, schneller, weiter. Wer liefert die schwersten Waffen? Glaubt wirklich irgendwer hier im Hause, dass dieser Krieg mit der Lieferung schwerer Waffen beendet wird? Was ist denn eigentlich das strategische Ziel von Deutschland? Was ist denn eigentlich das strategische Ziel der Ukraine? Es wäre doch die Voraussetzung, das zu wissen, bevor man liefert. Warum liefern eigentlich nicht die Amerikaner modernstes Kriegsgerät? Das müssten sie doch eigentlich machen, wenn das so eindeutig wäre. Nein, hier wird viel zu wenig über diplomatische Vorstöße und Initiativen geredet. Herr Guterres war in Moskau und ist heute in Kiew. Das sollte eine Rolle spielen. Da sollte es Unterstützung geben, meine Damen und Herren. ({10}) Lassen Sie mich auf die Aussage des Bundeskanzlers zurückkommen: „Ich tue alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt. Es darf keinen Atomkrieg geben.“ Ja, meine Damen und Herren, das erwarten die Menschen. Das erwarten die Menschen auch von der Bundesregierung, und das muss das oberste Ziel in dieser dramatischen Entwicklung sein; denn darauf haben Sie Ihren Amtseid geschworen. Ich hoffe, dass das, was Sie, Herr Klingbeil, gesagt haben – „Wir hatten … Prinzipien“ –, wirklich ein Versprecher war. Dieser Krieg Putins muss schnellstmöglich enden. Er darf sich nicht ausweiten. Aber Solidarität mit der Ukraine, mit den Menschen in der Ukraine einerseits, Deeskalation und jegliche diplomatische Bemühung andererseits, das sind zwei Seiten einer Medaille.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie kommen bitte zum Ende, Herr Kollege.

Dr. Dietmar Bartsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003034, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Schwere Waffen zu liefern, macht vielen Menschen Angst, meine Damen und Herren. Deswegen werden wir uns auch dagegen positionieren. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Agnieszka Brugger hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder und jede von uns mit Herz und Verstand will doch nur eins: dass diese blutige Gewalt gegen die unschuldigen Menschen in der Ukraine endlich sofort aufhört. ({0}) Wie viele Verhandlungsangebote, wie viele Sanktionsdrohungen gab es vor dem 24. Februar mit dem Ziel, diesen Krieg zu verhindern? Wie viele harte Sanktionen nach dem Beginn des Angriffskriegs gab es, damit es zu einem Ende der Gewalt kommt? All das war zwar richtig und notwendig, hat Wladimir Putin bisher aber nicht unmittelbar gestoppt. Das Einzige, was ihn aufhält, noch mehr Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verüben, das Einzige, was zur Befreiung bereits besetzter Gebiete beigetragen hat, ist der entschiedene und mutige Widerstand der Ukraine. ({1}) Die Menschen dort verteidigen gerade mit allem, was sie haben, ihr Land, ihr Leben und ihre Sicherheit. Angesichts ihres Kampfes für Frieden, aber auch für unsere Sicherheit stehen auch wir in der Verantwortung. Ja, es ist nie eine einfache Entscheidung, tödliche Waffen zu liefern; das darf es auch nie sein. Aber in diesen dramatischen Wochen kann und darf es auch keine falsche Zurückhaltung geben, die dem brutalen Kriegskalkül nichts entgegenzusetzen weiß. Lassen Sie mich an dieser Stelle auch zu allen sagen, die meinen, Waffenlieferungen würden diesen Krieg verlängern: Ein militärischer Sieg Russlands bedeutet kein Ende der Gewalt und keine Befreiung, sondern das Gegenteil. ({2}) Das haben die letzten Wochen, die ganzen Berichte über Morde, Misshandlungen, systematische Vergewaltigungen und weitere schwere Menschenrechtsverletzungen bewiesen. Dafür stehen die Toten von Butscha und an vielen anderen Orten in der Ukraine. Der Plan von Präsident Putin ist eine Durchsetzung eigener imperialer Machtansprüche auf den Trümmern der Ukraine. Mit jeder zerstörten Stadt will er seine Position am Verhandlungstisch stärken. Deshalb ist eine Unterstützung der Ukraine mit Waffen und allem, was nötig ist, auch die Voraussetzung dafür, dass dieser Krieg am Ende auch mit Verhandlungen beendet werden kann, die nicht von Russland diktiert werden. ({3}) Denn eine solche vermeintliche Verhandlungslösung würde keinen Frieden, sondern nur neue Verbrechen bringen und den Weg für weitere Aggression und Gewalt in der Ukraine und auf unserem Kontinent bahnen. Das, meine Damen und Herren, sind die Gründe, warum viele in diesem Hohen Haus die Unterstützung mit Waffenlieferungen in einer sehr schwierigen Abwägung für richtig halten. Ich finde, wir haben heute in dieser Debatte vielleicht ein bisschen zu viel darüber gesprochen, wer wie was wo gesagt hat, wer wie wo aufgetreten ist. Ich möchte mich ganz herzlich bei allen Kolleginnen und Kollegen in den Ampelfraktionen, aber auch bei den Kolleginnen und Kollegen in der Union, die anders aufgetreten sind, die anders argumentiert haben, als wir das heute hier erlebt haben, bedanken, dass es zu diesem starken Zeichen der Einigkeit und der Solidarität mit der Ukraine in diesen dramatischen Zeiten gekommen ist. ({4}) Denn die Botschaft ist, dass unsere Solidarität mit der Ukraine riesig ist und dass Russland diesen Krieg mit seinen Verbrechen und seiner Brutalität nicht gewinnen darf. ({5}) Mit dem Ringtausch gelangen mit deutscher Unterstützung schwere Waffen schnell in den Einsatz der ukrainischen Streitkräfte. Zugleich müssen mit Blick auf die Lieferungen modernerer und komplexerer Systeme, die länger brauchen, jetzt Entscheidungen und Vorbereitungen getroffen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, verständlicherweise ist in den letzten Tagen viel über Waffenlieferungen diskutiert worden. Es ist eine schwierige Entscheidung; aber es wäre falsch, das deutsche, das europäische Engagement allein auf die Frage von Waffenlieferungen zu reduzieren. Es gehört so viel mehr dazu: eine Diplomatie, die alles für ein Ende der Gewalt tut und das System Putin international isoliert, alles Mögliche, was wir tun können, um das Leid der Menschen zu lindern, von der Erhöhung der humanitären Hilfe bis zur psychosozialen Versorgung der Frauen, die Vergewaltigungen erlitten haben, die Vorbereitung weiterer Sanktionen, die Aufklärung und Verfolgung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die finanzielle Unterstützung der Ukraine und eine politische Perspektive in der Europäischen Union, wie wir sie auch in unserem Antrag beschrieben haben. ({6}) Dazu gehören ebenso die Rückversicherung und der Schutz unserer mittel- und osteuropäischen, aber auch der skandinavischen Partnerinnen und Partner, eine Entwicklungszusammenarbeit, die versucht, die Folgen für den Globalen Süden abzumildern, und besonders auch eine Energiepolitik, die Abhängigkeiten, Verwundbarkeiten, aber auch unseren Beitrag zur Finanzierung des Kremlregimes massiv reduziert. Minister Habeck hat vorgestern angekündigt, dass nach der bereits drastischen Reduzierung der Abhängigkeit von russischem Öl in den letzten Wochen nun ein sehr baldiger und deutlich schnellerer Ausstieg möglich ist. Das ist ein sehr wichtiger Schritt von großer Tragweite. ({7}) Meine Damen und Herren, all das gehört zu einem umfassenden Ansatz dazu. Am Ende zählt, was wir tun und dass unsere Bundesregierung weiter entschlossen handelt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin. ({0})

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Denn die Menschen in der Ukraine brauchen in diesen düsteren Zeiten alle Unterstützung, die wir geben können. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Johann Wadephul hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Spät kommt ihr, doch ihr kommt!“, möchte ich den Kolleginnen und Kollegen der Ampelkoalition entgegenrufen. Das macht es uns möglich, heute dem Antrag zuzustimmen. Wir stimmen dem Antrag zu, weil Sie die Gretchenfrage, die die Geschichte Deutschland heute stellt, richtig beantworten: Deutschland steht entschlossen an der Seite der Ukraine und liefert schwere Waffen. ({0}) Wir stehen zusammen, und wir betonen die Gemeinsamkeit der Demokratinnen und Demokraten hier in der Mitte des Hauses. Das tun wir gerne, das tun wir voller Überzeugung. Insofern schließe ich an viele Äußerungen der Rednerinnen und Redner der Koalitionsfraktionen hier an. ({1}) Es ist wichtig, gerade in dieser Zeit, dass Deutschland ein Bild der Geschlossenheit zeigt. Wir werden Putin diesen Angriffskrieg, diesen Vernichtungskrieg nicht durchgehen lassen. Deutschland steht geschlossen an der Seite der Ukraine, geschlossen an der Seite der Alliierten, die die Ukraine hier unterstützen. Das ist ein wichtiges Signal der Humanität, der Menschlichkeit, ein wichtiges Signal für Freiheit und für die Friedensordnung in Europa. ({2}) Deswegen, Herr Kollege Bartsch, will ich schon sagen – auf die Kollegen der AfD braucht man gar nicht einzugehen –: Wir haben ein strategisches Ziel. Europa, das zusammensteht, hat ein strategisches Ziel: Wir wollen Putin stoppen. Wir wollen nicht zusehen, wie er einen Genozid begeht, wie Frauen vergewaltigt werden, wie Zivilisten getötet werden, wie Flächenbombardements vorgenommen werden und wie hier die Friedensordnung Europas in einer Art und Weise zerstört wird, wie wir es uns vor kurzer Zeit nicht haben vorstellen können. Ich glaube, das wäre eigentlich ein Ziel, bei dem auch eine linke Partei, die ja auch mal den Anspruch hatte, für Frieden und Völkerverständigung einzustehen, ({3}) darüber nachdenken sollte, ob sie an dieser Stelle nicht auch an der Seite der freien Ukraine stehen sollte. Aus meiner Sicht wäre das angemessen. ({4}) Ich halte es auch für richtig, dass der Deutsche Bundestag darüber entscheidet. Ich bin froh, dass der Deutsche Bundestag darüber entscheidet. Manch eine Äußerung aus den Reihen der Koalition, als wir den Antrag angekündigt haben, habe ich nicht ganz verstanden – gerade von der FDP –: Das sei Parteipolitik, das sei parteipolitisches Bodenturnen. Dabei haben wir doch nur Ihren Antrag, den Sie auf dem Bundesparteitag einstimmig verabschiedet haben, hier zur Geltung gebracht. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, stellen wir unser Licht nicht unter den Scheffel. Es ist eine schwierige, es ist eine Abwägungsfrage. Aber dass eine derartige Frage, ob Deutschland schwere Waffen liefert, gerade vom höchsten Beschlussgremium in einer parlamentarischen Demokratie beantwortet wird, das muss doch alle Demokraten, alle Parlamentarier hier einen. Das muss es uns doch wert sein. Es ist doch richtig, dass der Deutsche Bundestag darüber entscheidet. Es ist gut, dass der Deutsche Bundestag darüber entscheidet. ({6}) Eines will ich mit allem Respekt sagen: Ich bin ein großer Freund Japans. Es ist richtig, dass der Bundeskanzler dahin reist. Aber ich sage Ihnen auch: In dieser historischen Situation, nach einer langen Osterpause, nach dieser schwierigen Entscheidung, nachdem er selber die Frage aufgeworfen hat, ob diese nicht einen Atomkrieg hervorrufen könnte, da wäre es nicht nur der Respekt gegenüber dem Hohen Hause gewesen, ({7}) sondern da wäre es seine Verantwortung als Bundeskanzler Olaf Scholz gewesen, Deutschland – und er ist der Kanzler dieses Landes – und der Welt zu erklären, warum diese Entscheidung getroffen wird. ({8}) Sie haben von einer staatspolitischen Rede gesprochen, Herr Klingbeil. Die staatspolitische Rede hätte heute hier der Bundeskanzler halten müssen. Der wäre hier gefordert gewesen. Den hätten wir sehen wollen. ({9}) Und wenn Sie sagen: „Erst das Land und dann andere Dinge“, dann gilt das für alle. Ich habe großen Respekt vor Menschen, die früher diese Regierung geführt haben. Aber wenn Gerhard Schröder sagt: „Erst mein Konto und dann alles andere“, dann ist es Ihre Aufgabe als Parteivorsitzender, da aufzuräumen ({10}) und dafür zu sorgen, dass das beendet wird, Herr Klingbeil. ({11}) Danke schön.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Nils Schmid hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Nils Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004876, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schade, schade, Herr Wadephul, das war so eine gute Rede, bis auf ihren Schluss. ({0}) Zur Reise des Bundeskanzlers nach Japan will ich nur eines sagen: Japan ist in Asien der wichtigste Wertepartner Deutschlands, ein G‑7-Mitglied. ({1}) Wir haben alle gemeinsam die letzte Bundesregierung dazu beglückwünscht, eine Indopazifik-Strategie verabschiedet zu haben. ({2}) Deshalb ist es gut, dass die erste Asien-Reise des neuen Bundeskanzlers Olaf Scholz gerade nach Japan geht ({3}) und dass wir damit auch ein deutliches Signal setzen, wie wichtig uns Japan, wie wichtig uns Asien insgesamt ist. ({4}) Genauso ist es wichtig, dass die deutsch-indischen Regierungskonsultationen demnächst stattfinden. Deshalb stehen wir voll hinter dieser Reise, auch zu diesem Zeitpunkt, meine Damen und Herren. ({5}) Historische und staatspolitische Reden kann man halten. Im Unterschied zur Unionsfraktion hat der Kanzler dies mit der „Zeitenwende“-Regierungserklärung zum Ukrainekonflikt schon getan. Dass wir jetzt hier im Deutschen Bundestag noch einmal gemeinsam klarziehen, dass wir hinter der Ukraine, hinter dem ukrainischen Volk stehen, dass wir dazu einen gemeinsamen Antrag verabschieden, ist ein unglaublich starkes Zeichen. Ich will dann doch insbesondere Herrn Wadephul noch einmal danken, dass er diese Gemeinsamkeit hervorgehoben hat, und ich setze darauf, dass diese Gemeinsamkeit für die Dauer des Krieges, aber auch für die langwierige Auseinandersetzung mit einem aggressiven Russland unter Putin möglichst lange erhalten bleibt. Und es ist auch ein gutes Zeichen, dass die Union jetzt dem Koalitionsantrag beitritt, ihn unterstützt. Wir haben sechs Wörter verändert, aber ansonsten ist der umfassende Antrag der drei Ampelparteien die Grundlage dieser gemeinsamen breiten Beschlussfassung. Damit schließt sich auch die Union einem umfassenden Sicherheitsbegriff an, wo es eben nicht nur um Waffenlieferungen geht, sondern auch um die internationale Ordnung, ({6}) die Verteidigung des Völkerrechts, die Strafverfolgung von Kriegsverbrechen, die Auswirkungen auf die globale Ernährungssicherheit, die Rolle Chinas in diesem Konflikt. All das ist in diesem Antrag zu Recht aufgegriffen worden, ({7}) und im Ergebnis unterstützt dieser Antrag die sorgfältig abwägende Politik der Bundesregierung und des Bundeskanzlers. Deshalb sind jegliche Vorwürfe, da seien Zaudern und Führungsschwäche zutage getreten, völlig fehl am Platz. Mit diesem Antrag sind diese Vorwürfe hinfällig geworden, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({8}) Mit diesem Antrag bekennt sich die große Mehrheit des Deutschen Bundestages auch zu den zwei tragenden Prinzipien der Politik Deutschlands während des Krieges Russlands gegen die Ukraine. Das erste Prinzip ist von der NATO schon sehr frühzeitig, vor Ausbruch des Krieges, festgelegt worden: Die NATO – und damit auch Deutschland – wird nicht Kriegspartei. Das ist ein Leitprinzip, das auch jeden Schritt dieser Bundesregierung leitet. Das zweite Prinzip ist: Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen. ({9}) Deshalb unterstützen wir die Ukraine mit allem, was wir zur Verfügung haben: politisch, diplomatisch, ökonomisch und natürlich auch, sehr wohl abgewogen, militärisch. Und natürlich wollen wir alle möglichst bald ein Ende des Krieges, aber – das sage ich auch Richtung Linkspartei – nicht um den Preis, dass der Aggressor gewinnt. Denn Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Deshalb ist jeder Schritt, auch der der Waffenlieferungen, sorgfältig abzuwägen mit dem Blick auf die Möglichkeit einer Eskalation und auf die Möglichkeit, dass die NATO doch Kriegspartei werden könnte. Deshalb ist auch kein Drehbuch vorhanden, gibt es nicht eine einfache Wahrheit in den Diskussionen, die wir führen. Und deshalb ist es so wichtig, dass sehr vorsichtig, sehr ausgewogen entschieden wird durch diejenigen, die die Verantwortung tragen, in erster Linie die Bundesregierung. Wir müssen das Dilemma aushalten, dass der Krieg erst dann – und dann besonders schnell – zu Ende geht, wenn die Ukraine militärisch in die Lage versetzt wird, eine Kapitulation gegenüber Putin zu verhindern. Agnieszka Brugger hat es angesprochen: Es ist ein Paradox, auch ein Dilemma, dass ein schnelles Ende des Krieges voraussetzt, erst mal Waffen zu liefern, damit die Ukraine überhaupt in eine Verhandlungsposition kommt, dass Putin nicht einseitig das Ende des Krieges diktieren kann. ({10}) Damit müssen wir umgehen, das müssen wir aushalten. Es ist schwierig, meine sehr verehrten Damen und Herren. Und deshalb ist es auch so wichtig, dass bei den militärischen Entscheidungen so sorgfältig abgewogen wird. Zum Schluss komme ich zu einer Bitte an uns alle – nicht nur an uns im Parlament, sondern auch an die deutsche Gesellschaft, an die Medien, an die Social-Media-Welt. Diese Debatte treibt uns um, dieser Krieg treibt uns um. Wir wollen der Ukraine helfen; aber es gibt eben keine einfachen Lösungen. Man kann nicht heute mal eine Waffe heranziehen und sagen: „Die muss geliefert werden“ und morgen eine andere. Das ist eine wirklich, wirklich schwere und auch neuartige Debatte hier in Deutschland. In keinem anderen NATO-Land wird öffentlich über die Details von Waffenlieferungen so ausgiebig diskutiert wie in Deutschland. ({11}) – Nein, das hat nichts mit Zögern zu tun, sondern es hat was damit zu tun, dass uns das umtreibt und dass es nicht einfach ist, meine sehr verehrten Damen und Herren! ({12}) Und gerade weil es nicht einfach ist, verbietet es sich auch, bei Twitter oder sonst wo medial zu meinen, das ist der einzig mögliche Weg. ({13}) Deshalb wünsche ich mir, dass wir manche Stilblüte, –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Kommen Sie zum Ende, bitte.

Dr. Nils Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004876, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– manche überschießende Übertreibung in der Debatte in Zukunft vermeiden und dass wir diese Debatte mit heißem Herzen und kühlem Kopf führen – genauso wie der Bundeskanzler es tut. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die AfD-Fraktion spricht Dr. Alexander Gauland. ({0})

Dr. Alexander Gauland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004724, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist immer ein undankbares Geschäft, nach Erklärungen für ein Verhalten zu suchen, das Frauen und Kinder tötet und Städte in Schutt und Asche legt. Und wenn es außerdem noch um Freiheit, Demokratie und westliche Werte geht, muss man in einem Land wie Deutschland auf der richtigen Seite der Geschichte stehen. Die Moral schlägt immer die Geopolitik. Wissen wir doch seit Langem, dass die NATO ein Verteidigungsbündnis ist und Putin, wenn er nicht Angst vor der Freiheit hätte, die NATO nicht zu fürchten bräuchte. So einfach, so unterkomplex! Denn es kommt eben nicht auf unsere Einschätzung der NATO an, sondern auf die russische Sicht. Und da erleben die Russen seit der deutschen Wiedervereinigung ein unaufhaltsames Vorrücken eines ihnen entgegengesetzten Militärbündnisses gegen die russischen Grenzen. ({0}) Meine Damen und Herren, es ist nicht nur eine Auseinandersetzung zwischen Autokratie und Demokratie, sondern auch ein Zusammenprall politischer, militärischer und wirtschaftlicher Interessen. Und deshalb ist es auch falsch, diesen Konflikt mit schweren Waffen anzuheizen. ({1}) Denn – so der frühere Militärberater Angela Merkels, Erich Vad –: „Jede militärische Lösung führt in die Katastrophe.“ ({2}) Wenn deutsche Politiker – und heute ist es wieder geschehen – postulieren: „Russland darf nicht gewinnen“, muss man deshalb hinzufügen: Es darf auch nicht verlieren, da eine Atommacht auch in einem Krieg nach Art des 19. Jahrhunderts die Mittel des 20. und 21. Jahrhunderts einsetzen kann, wenn sie zu unterliegen droht. Und das wollen Sie hoffentlich auch nicht! ({3}) Im Falle Russland kommt ein weiteres Dilemma hinzu: Völkerrechtlich normierte Ordnungen haben sich in der Geschichte nur dann als haltbar erwiesen, wenn die unterlegene Seite gleichberechtigt eingebunden war. Bestes historisches Beispiel ist die Wiener Ordnung von 1815 nach dem Sieg über Napoleon. Indem Frankreich eine gleichberechtigte Rolle spielen konnte, vermieden die Akteure von Wien eine dauernde revolutionäre Unzufriedenheit des Besiegten. Das ganze Gegenteil davon war Versailles 1919. Und genau das, meine Damen und Herren, ist heute das Problem Russlands: Es hat die einseitigen Veränderungen nach 1989 innerlich nie wirklich akzeptiert. Sie wären besser im Zusammenwirken mit Russland und nicht gegen eine unter Jelzin vorübergehend geschwächte Macht durchgesetzt worden. ({4}) Vergleiche hinken immer – die NATO-Osterweiterung war aber mehr Versailles als Wien. Das hat ein schwaches Russland geschluckt. Jetzt, wo in der Ukraine der Kern des Zarenreiches wie der Sowjetunion tangiert wird, sehen die russischen Eliten eine rote Linie überschritten. ({5}) Solange Russland Großmacht und Atommacht ist, werden Abmachungen nur reißfest sein, wenn sie das Land innerlich mitträgt. Eine westliche Ukraine ist es nicht. Folglich kann nur ein Kompromiss – nur ein Kompromiss! –, aber nicht der Sieg der einen oder anderen Seite diesen Krieg beenden. Die Lieferung schwerer Waffen ist dazu kein sinnvoller Beitrag, meine Damen und Herren. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Gauland, Sie kommen zum Ende, bitte.

Dr. Alexander Gauland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004724, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Eine diplomatische Initiative Deutschlands wäre sehr viel sinnvoller und wichtiger. Ich bedanke mich. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat die Kollegin Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich zitiere: Der Organisierung des Friedens stehen starke Kräfte entgegen. Wir haben erfahren, in welche Barbarei der Mensch zurückfallen kann. Keine Religion, keine Ideologie, keine glanzvolle Entfaltung der Kultur schließt mit Sicherheit aus, daß aus den seelischen Tiefenschichten der Menschen Haß hervorbrechen und Völker ins Unheil reißen kann. Der Frieden ist so wenig wie die Freiheit ein Urzustand, den wir vorfinden: Wir müssen ihn machen, im wahrsten Sinne des Wortes. Das sagte Willy Brandt, als er 1971 den Friedensnobelpreis in Oslo entgegennahm, heute gespenstisch aktuell. Er sorgte sich bereits seinerzeit um die Zukunft Europas und deutete die Verantwortung Deutschlands. 51 Jahre später werden wir brutal von diesem Szenario eingeholt. Vor 63 Tagen überfiel Russland die Ukraine, mordet und brandschatzt und greift damit auch unser aller regel- und wertebasierte Ordnung an, meine Damen und Herren, eine Ordnung, die 1945 als Konsequenz aus dem barbarischen Zweiten Weltkrieg erwuchs. Nie wieder sollte das Prinzip des Stärkeren gelten. Die Vereinten Nationen wurden gegründet, um künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren. Auf diese Charta konnten sich seit Jahrzehnten weltweit alle Staaten berufen, und diese Gewissheit ist seit dem 24. Februar zerstört. ({0}) Die Erosion dieses Werteverfalls nahm vor vielen Jahren ihren Anfang. Die Warnzeichen waren da und die Annexion der Krim bereits brutale Realität. Das Weißbuch wurde erneuert und die Landes- und Bündnisverteidigung in den Vordergrund gestellt, um dann – sagen wir es ganz deutlich – naiv, ignorant, in deutscher Ruhe dabei zuzusehen, wie Russland, bereits vor acht Jahren, einen Krieg in der Ostukraine anzettelte. Meine Damen und Herren, 14 000 Menschen sind dort seitdem ums Leben gekommen. Es geht um Freiheit, um Demokratie, um Selbstbestimmung, um Menschenrechte, die mit Füßen getreten werden. Und deshalb bittet, deshalb ruft, ja deshalb schreit die Ukraine nach unserer Hilfe. Das mag manchem tierisch auf den Keks gehen. Wir sollten aber so lange bereit sein, dazustehen, bis die vollständige territoriale Integrität der Ukraine wiederhergestellt ist. ({1}) Meine Damen und Herren, der vorliegende Antrag ist daher unser Kodex, wie wir darauf gemeinsam über Parteigrenzen hinweg als Abgeordnete, aber vor allem als Menschen reagieren, aus der Mitte des Parlaments heraus. Die vergangenen Wochen waren für uns alle eine immense Herausforderung. Wer in Deutschland aufgewachsen ist, kennt keinen Krieg; das ist der wunderbare Teil der Geschichte. Wie man dem Krieg begegnet, sorgte auch deswegen für knallharte Diskussionen, und ich bin sehr froh, dass unsere Bundesregierung, eingebettet im westlichen Bündnis, den Weg frei gemacht hat, auch schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Dies hätte Willy Brandt wie folgt eingeordnet – er sagte es 1992 –: Nichts kommt von selbst. Und nur wenig ist von Dauer. Darum – besinnt Euch auf Eure Kraft und darauf, daß jede Zeit eigene Antworten will und man auf ihrer Höhe zu sein hat, wenn Gutes bewirkt werden soll. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Thomas Erndl für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es gut, dass wir uns auf diesen gemeinsamen Antrag geeinigt haben. Wir hätten sicherlich manches direkter, stringenter formuliert. Aber es ist wichtig, dass Koalition und Union hier gemeinsam vorangehen. Denn eines ist klar: Die Ukraine braucht die größtmögliche Unterstützung unseres Landes, und da ist es wichtig, dass eine Mehrheit im deutschen Parlament ein starkes Signal der Verantwortung sendet und sich entschieden hinter das Land stellt, das brutal angegriffen wurde. ({0}) Wahr ist aber auch, meine Damen und Herren, dass es ohne die Unionsfraktion heute weder diese Debatte noch den Antrag gegeben hätte ({1}) und dass es womöglich auch keine Bewegung bei der Lieferung schwerer Waffen gegeben hätte, sondern möglicherweise weiterhin nur Streit in der Koalition und ein Zaudern und Zögern ganz speziell im Kanzleramt. Das sind die Fakten, und das unterstreicht, wie wichtig eine konstruktive Opposition ist, meine Damen und Herren. ({2}) Ein paar Worte, an die SPD gerichtet. Sie können uns natürlich öffentlich taktische Spielchen vorwerfen, Herr Klingbeil. Sie können hier Parteipolitik kritisieren und trotzdem eine parteipolitische Rede halten oder, Herr Mützenich, vor einer militaristischen Debatte warnen. Ich finde, das ist ein völlig absurder und unerträglicher Ausfall gewesen. ({3}) Oder Sie können uns wie Herr Kühnert als ignorant abtun, weil wir die Anwesenheit des Kanzlers hier im Parlament fordern. Kann man alles machen. Was Sie aber auch tun könnten – das fände ich wesentlich sinnvoller –, wäre, sich besser mit Ihrem Kanzler abzustimmen; denn dann würden Sie nämlich nicht morgens öffentlich das Gegenteil von dem erzählen, was Kanzler und Verteidigungsministerin wenig später entscheiden und verkünden, so wie das bei der Freigabe der Gepard-Lieferungen der Fall war. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kanzler reist heute zum Geburtstag der Deutschen Handelskammer nach Tokio. Kann man machen. Japan ist natürlich ein wichtiger Partner. Aber der Bundeskanzler war nicht in Kiew, er war nicht im Baltikum, nicht in Tschechien, der Slowakei oder in Rumänien – bei den Nachbarn, die von der Zögerlichkeit dieses Bundeskanzlers zutiefst irritiert und enttäuscht sind, bei den Nachbarn, die ihm von ihren Ängsten berichten könnten, vom Trauma der russischen Herrschaft über ihre Gesellschaften, Nachbarn, die wirklich alles tun, damit die Ukraine diesen Krieg gewinnt, –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– weil sie wissen, dass sie die Nächsten sein könnten, wenn Putin nicht in der Ukraine gestoppt wird.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage. ({0})

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, das möchte ich nicht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Gut.

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Besuche dort wären wichtige Signale gewesen. Das hätten die Reiseziele in diesen Tagen sein müssen, meine Damen und Herren; das hätte ich vom Regierungschef des größten europäischen Landes erwartet. ({0}) Und ich hätte in so einer Krise wirkliche Führung erwartet. Denn wer vorausschauend führt, argumentiert nicht mit Punkten, die er kurz darauf immer wieder einkassieren muss. Wer umsichtig führt, betreibt keine Angstmacherei. Und wer immer als Letzter eine Entscheidung trifft, handelt nicht im Verbund mit Partnern, sondern muss von Verbündeten immer erst bedrängt werden, bis endlich etwas passiert. Meine Damen und Herren, die „Zeitenwende“ darf nicht nur ein rhetorischer Kniff bleiben. Es braucht jetzt schwere Waffen für die Ukraine, und die Regierung hat mit diesem Antrag die Rückendeckung des Parlaments. Das ist wichtig. Aber für uns ist damit eine klare Erwartungshaltung verbunden: liefern, was geht, auch die Leopard 1, auch die Marder, perspektivisch modernere Systeme; keine Ausreden, keine Verzögerungen mehr. Und die Entscheidung für den Gepard darf jetzt kein Ruhigstellen des Parlaments und unserer Partner sein. Ich hoffe wirklich, dass dieses System auch eingesetzt werden kann. Am Ende geht es nicht darum, dass wir uns bemüht haben, dass wir auch was geliefert haben. Es geht einzig und allein darum, dass das Ziel erreicht wird, nämlich dass Russland militärisch in der Ukraine nicht erfolgreich sein darf.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie kommen zum Ende, bitte?

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. – Daran werden wir Sie messen, und daran wird diese Bundesregierung auch vor der Geschichte gemessen werden. Deshalb: Beherzt handeln statt zaudern! Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich erteile dem Kollegen Klaus Ernst das Wort zu einer Kurzintervention. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. – Meine Damen und Herren, wir diskutieren hier, ob der Kanzler nach Japan fährt oder nicht. Von der Union kommen jetzt permanent solche Diskussionen. Ich glaube, uns ist gar nicht klar, was wir hier gerade beschließen. Und Sie diskutieren eine Reise eines Kanzlers! Der Kanzler hat vor Kurzem einen wichtigen Satz gesagt. Er hat gesagt – das war in dem bereits zitierten „Spiegel“-Interview –: Wir müssen beachten, dass wir möglicherweise auf eine weitere militärische Eskalation, auf einen Atomkrieg zugehen könnten. – Deswegen hat er bisher schwere Waffen ausgeschlossen. Und jetzt frage ich Sie alle, insbesondere Herrn Merz. – Also, ich muss sagen, Herr Merz: Ich bin ja froh, dass die Kanzlerin dazu beigetragen hat, dass Sie uns einige Jahre erspart geblieben sind. ({0}) Aber ich möchte Sie auch mal fragen: Sind wir denn nun mit dem, was wir hier tun, mit diesem Beschluss, den wir heute hier fassen, einer atomaren Auseinandersetzung in dieser Welt näher, oder sind wir weiter weg? Und ich sage Ihnen: Wir sind mit jedem Schritt, den wir hier weiter in Richtung Eskalation gehen, dem Atomkrieg und der weiteren Auseinandersetzung näher als vorher. Näher sind wir als vorher! ({1}) Und deshalb wundert mich, mit welchen Fragen Sie sich hier beschäftigen. Mit Reisen des Kanzlers! Mein Gott, über was reden wir denn hier eigentlich? Wir reden hier über die Frage, ob wir hier in einem halben oder einem Jahr noch durch ein Berlin gehen können, das nicht zerstört ist; denn wenn wir in einem Atomkrieg sind, sind wir auch betroffen, meine Damen und Herren. Und ich würde mich freuen, wenn wir hier wenigstens ein wenig darüber reden könnten, welche Vorschläge wir haben, den Krieg zu beenden, außer zusätzlicher Militarisierung, Herr Merz. Dazu hätte ich gerne von Ihnen eine Antwort. Das ist unglaublich, was wir hier machen. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Antwort kann jetzt der Kollege Erndl geben, wenn er möchte. Bitte schön.

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Es ist ja interessant, am Applaus zu sehen, von welchen Seiten die Zustimmung zu Ihrer Einlassung kommt, Herr Kollege. ({0}) Sie haben in der Tat wichtige Fragestellungen aufgeworfen. Die Situation ist ganz klar so, dass wir hier vom Bundeskanzler erwartet hätten, das in dieser Debatte anzusprechen und zu erklären. ({1}) Weder ist seine Reise in diesen Tagen angemessen, während diese Fragen auf dem Tisch liegen, noch ist es angemessen, eine Erklärung über das Regierungshandeln, über möglicherweise erfolgte Meinungsänderungen in einem „Spiegel“-Interview kundzutun. Hier im Parlament wäre der Ort, wo der Bundeskanzler das hätte machen sollen. Das ist unsere Position. Deswegen haben wir das hier auch richtigerweise angesprochen. Danke schön. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion gebe ich jetzt das Wort dem Kollegen Dr. Joe Weingarten. ({0})

Dr. Joe Weingarten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die dramatischen Opferzahlen des russischen Überfalls auf die Ukraine, die getöteten Menschen, die Aushungerung der Zivilbevölkerung in Mariupol und an anderen Orten werden wir in diesem Haus niemals hinnehmen. Deswegen ist es richtig, dass Koalition und CDU/CSU-Opposition in dieser Zeit besonnen und gemeinsam vorgehen. Denn es ist Zeit für abwägendes Handeln. Die Menschen stehen hinter der ruhigen und unaufgeregten Politik des Bundeskanzlers. Die Menschen wollen nicht, dass wir Kriegspartei werden. Ich sage mal in Richtung der Linken zu dem, was wir eben gehört haben: Wir alle würden uns sehr viel wohler fühlen und es wäre besser für dieses Land, wenn mit der moralischen Empörung der Linken auch die Bereitschaft einherginge, in dieser Zeit Verantwortung zu übernehmen und diesem Antrag zuzustimmen. ({0}) Meine Damen und Herren, Olaf Scholz führt dieses Land in die richtige Richtung, und er führt es auf die richtige Weise. Ich sage dazu: Er führt es nicht nur, wenn er auf diesem Stuhl sitzt, sondern er führt es auch, wenn er mit den wichtigsten Verbündeten, die wir auf dieser Welt haben, engen Kontakt hält; denn den brauchen wir noch in der Zukunft. ({1}) Meine Damen und Herren, die Linie der Koalition zu Waffenlieferungen ist eindeutig: Wir liefern das, was wir verfügbar haben. Wir liefern das, was wir entbehren können, ohne die Sicherheit und die Bündniszusagen Deutschlands zu gefährden. Und wir liefern das, was der Ukraine in ihrer schwierigen Situation unmittelbar und nachhaltig hilft, ihr Selbstverteidigungsrecht wahrzunehmen. Was das jeweils konkret bedeutet, definieren in den ersten beiden Punkten wir und im letzten Punkt natürlich die Ukraine. Dabei gibt es keine Vorbehalte beim Material. Darauf haben wir uns diese Woche mit unseren Alliierten in Ramstein geeinigt. Das Signal von Ramstein ist eindeutig: Es gibt in dieser Frage keine Alleingänge, sondern wir handeln eng abgestimmt mit unseren Partnern. Wir sind unserer Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht außerordentlich dankbar, dass sie mit hohem Engagement zu diesem Schulterschluss beigetragen hat. Herzlichen Dank! ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in dieser schwierigen Situation ist die NATO nicht die Bedrohung, sondern das große Arsenal der Freiheit und der Demokratie. Aber dieses Arsenal der Freiheit hat mehr zu bieten als nur Waffenlieferungen. Die NATO ist eine Wertegemeinschaft, deren Anziehungskraft weiter zunimmt, wie das Interesse von Schweden und Finnland an einer Mitgliedschaft zeigt. Die NATO repräsentiert zugleich die größte wirtschaftliche Kraft auf dieser Welt, die wir gemeinsam mit der EU einsetzen, um Russland das hohe Risiko für die eigene Zukunft klarzumachen. Die NATO und ihre Mitglieder haben auch eine kulturelle Strahlkraft, die Russlands repressivem Staatsmodell weit überlegen ist. Die Freiheit des Wortes – dagegen kann Russland auf Dauer keine Barrieren errichten. Deswegen ist es beispielsweise auch richtig, dass der gemeinsame Antrag ausdrücklich die Deutsche Welle als Stimme der Freiheit stärkt. Darüber hinaus ist jeder Cent, den wir in die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik stecken, ein Schritt zur Eindämmung von Desinformation in Russland und in der Welt. ({3}) Dies alles zeigt uns: Waffenlieferungen werden zur Verteidigung der Ukraine gebraucht. Aber der Weg zu Sicherheit und Frieden führt eben auch über andere Pfade. Deswegen müssen wir uns stets die Frage stellen, was unser gemeinsames Ziel ist. Eins ist klar: Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen. Aber wie kann er enden? Da darf sich die Diskussion nicht auf die Vorstellung verengen, Russland militärisch in der Ukraine komplett zu besiegen und zur Kapitulation zu bringen. Das ist eine Strategie mit hohem Risiko. Die politische Lösung dagegen ist völlig klar: Wir brauchen im Einklang mit dem UN-Generalsekretär und der Mehrheit der Weltgemeinschaft einen sofortigen Waffenstillstand, umgehend humanitäre Hilfe und einen Friedensschluss. ({4}) Wir brauchen, liebe Kolleginnen Kollegen, eine diplomatische Lösung, auch wenn sich bei allen demokratisch gesinnten Mitgliedern dieses Hauses der Magen umdreht bei der Vorstellung, dass die Ukraine mit Putin verhandeln muss, um ihre Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Unverletzlichkeit zu sichern. Aber es wird am Ende nicht anders gehen. Deswegen ist es ein großes und richtiges Signal, dass Deutschland bereit ist, für diesen Fall dauerhaft die Sicherheit der Ukraine mit zu garantieren. Ich danke Ihnen. ({5})

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Wirtschaft, Wachstum, Wohlstand – das klingt wie ein Selbstläufer, aber ist es mitnichten. Die wirtschaftliche Lage bei uns in Deutschland trübt sich merklich ein. Die Wirtschaftsforschungsinstitute, der Internationale Währungsfonds und die Bundesregierung korrigieren in diesen Wochen laufend ihre Wachstumsprognosen nach unten und die Inflationserwartungen nach oben. Unsere Wirtschaft kommt ab dem zweiten Quartal in sehr unsicheres Fahrwasser. Für 2022 werden nur noch 2 Prozent Wachstum prognostiziert, und man rechnet mit einer Inflationsrate von über 6 Prozent; das bedeutet eine massive Preissteigerung, der höchste Wert seit 40 Jahren. Erst Corona und jetzt der Russland-Ukraine-Krieg – unsere Volkswirtschaft bleibt im Krisenmodus, die Belastungen für Unternehmen und Beschäftigte nehmen kein Ende. Es geht um Belastungen, die auf Dauer nicht zu verkraften sind. Das birgt Potenzial für eine echte Wirtschaftskrise. Und von Monat zu Monat werden die Wirtschaftszahlen schlechter. Das sind abstrakte Zahlen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, aber das sind ganz konkrete Belastungen für Betriebe und Beschäftigte vor Ort. Schauen wir uns die hohen Energiekosten an. Die Papier- und die Glasindustrie haben ihre Produktion teilweise schon stillgelegt. Das dicke Ende kommt noch; denn über langfristige Lieferverträge sind viele Unternehmen momentan noch gegen hohe Energiekosten abgesichert. Schauen wir uns die Lieferketten an. In der Automobilindustrie laufen die Bänder teilweise oder nur eingeschränkt. Wichtige Zuliefererteile wie Kabelbäume fehlen uns. Es gibt Engpässe. Vor Schanghai stecken, wie wir wissen, über 300 Schiffe fest. Frachtschiffe können nicht entladen werden. Unser Leben wird teurer; das spüren alle, ob an der Zapfsäule, bei Strom- und Heizkostenrechnungen oder beim Einkauf im Supermarkt. Auch die Preise für Getreide sind deutlich gestiegen. Ich will hier sagen: Die Bundesregierung gibt keine Antwort auf die sich abzeichnende Wirtschaftskrise. Was die Bundesregierung macht, ist Unterlassung. Ich will an dieser Stelle auch etwas zum Bundeslandwirtschaftsminister sagen: Dass er in dieser Zeit, wo Lagerhallen für Nahrungsmittel zerstört werden und wo Ernten nicht gesichert werden können, darauf verzichtet, ökologische Vorrangflächen für die Nahrungsmittelproduktion zu nutzen, das ist sträflich, das ist Vorsatz, und das ist kein Handeln aus einem Guss, um dieser Krise zu entgegnen. ({0}) Was macht die Ampel? Sie tut so, als ginge sie das alles gar nichts an, und beschließt darüber hinaus fortlaufend Mehrbelastungen. Vor allen Dingen tobt sie sich bei den Berichts- und Dokumentationspflichten aus. Gerade die kleinen und mittleren Unternehmen brauchen mehr Luft zum Atmen. Und wir sehen, dass der Facharbeitermangel eine Wachstumsbremse ist. Genau an dieser Stelle wäre die Bundesregierung gefragt, eben nicht mit Stückwerk zu handeln, sondern aus einem Guss. Wir brauchen jetzt einen Impuls für unsere Wirtschaft; denn diese Krisen müssen entschiedener angepackt werden. Eine entschlossene Ausrichtung der Wirtschaftspolitik auf Leistungsfähigkeit, auf Digitalisierung, auf Nachhaltigkeit ist gefragt. Weil die Bundesregierung das nicht tut, haben wir heute diesen Antrag vorgelegt, ein Gesamtkonzept aus einem Guss, ein „Sofortprogramm für Unternehmen und Beschäftigte“. Das fordern wir von der Bundesregierung. Sie machen das nicht; wir legen es Ihnen vor. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen die Unternehmen und die Beschäftigten jetzt nicht im Regen stehen lassen. Wir brauchen ein neues Bürokratieentlastungsgesetz, das Melde- und Aufbewahrungsfristen sowie die Bearbeitungsfrist für Ausfuhrkontrollen verkürzt und diese gegebenenfalls durch eine Genehmigungsfiktion ersetzt. ({2}) Wir schlagen die Einführung von Gründerschutzzonen vor. Gründer sollen in den ersten zwei Jahren weitgehend von bürokratischen Vorschriften befreit werden. Und für die Krisenzeit brauchen wir ein Belastungsmoratorium. Das ist für den einen oder anderen vielleicht locker dahergesagt. Aber schauen wir uns die EU-Ebene an, dann stellen wir fest: Dort macht man gerade so weiter, übrigens unterstützt durch die Bundesregierung, als gäbe es diesen Krieg und diese Krisen nicht. – Es geht jetzt darum, auch zu überlegen, ob die Vorstellungen zur Taxonomie und zu den Dokumentationspflichten wirklich das sind, was wir in dieser Krisenzeit brauchen. ({3}) Wir brauchen jetzt ein Belastungsmoratorium, eine Bürokratiebremse, und wir müssen im Übrigen einen Turbo für Abschreibungen anschalten. Es ist ja schön, dass die Bundesregierung das in ihrem Koalitionsvertrag stehen hat. Aber worauf warten Sie denn noch? Wenn nicht jetzt, wann dann brauchen wir diese Turboabschreibungen, um einen Schub für unsere Wirtschaft in Deutschland zu bekommen? ({4}) Genauso sieht es bei Maßnahmen gegen die kalte Progression aus. Worauf warten Sie? Wir brauchen eine Reform des Arbeitszeitgesetzes – und dabei nicht eine tägliche, sondern eine wöchentliche Höchstarbeitszeit, auch in der digitalen Arbeitswelt. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz haben wir gemacht. Bringen Sie es doch jetzt zum Blühen! Wo sind zum Beispiel Ihre Umsetzungsoffensiven bei der Digitalisierung? Wo ist der zuständige Minister? Liebe Kolleginnen und Kollegen, allein dass Sie als Koalition nicht bereit sind, morgen über das Handelsabkommen CETA abzustimmen, dass Sie es mit Ihrer Mehrheit zum zweiten Mal nicht auf die Tagesordnung haben setzen lassen, zeigt, dass Sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben. Wir müssen jetzt handeln. Jetzt braucht die Wirtschaft einen Schub. Wir haben bei der Finanz- und Wirtschaftskrise gesehen, dass das unter den richtigen Rahmenbedingungen funktionieren kann. Was machen Sie? Sie haben keinen Aktionsplan; Sie haben keine konsistente Strategie. Wir sagen: Für „made in Germany“ brauchen wir ein Gesamtkonzept, dieses Sofortprogramm.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mehr Geld für Verteidigung und unsere Freiheit setzt eine funktionierende und blühende Wirtschaft voraus. Daher fordern wir Ihre Zustimmung zu unserem Antrag. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bernd Westphal hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Bernd Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Situation, in der wir uns zurzeit befinden, ist sehr ernst. Die Themen nehmen mit jeder Sitzungswoche an Größe zu. Wir brauchen eine kluge, abgewogene, intelligente Politik, die auf diese Situation reagiert. Das, was die Bundesregierung zurzeit leistet, wird in den Entlastungsprogrammen sichtbar, die nicht eines Antrags der Opposition bedürfen, sondern schon lange auf dem Weg sind. ({0}) Dem, was die Bürgerinnen und Bürger an Energiepreisen zurzeit zu stemmen haben, und dem, was die Wirtschaft an Belastungen auszuhalten hat, wird mit den Maßnahmen, die die Bundesregierung und die Ampelkoalition auf den Weg gebracht haben, begegnet. Das nennen wir „soziale Marktwirtschaft“, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({1}) Respekt und Anerkennung für das, was die Bundesregierung in Gänze, vor allen Dingen auch unser Wirtschaftsminister, leistet! Unser Wirtschaftsminister hat eine Menge zu tun, um unsere Energieversorgungssicherheit zu organisieren und gleichzeitig den Transformationsprozess, in dem sich unsere Wirtschaft befindet, zu begleiten. Das ist genau das, was wir machen. Es ist die sozial-ökologische Marktwirtschaft, die jetzt Dynamik erfährt, wovon unter den Vorgängerregierungen nichts zu sehen war, meine Damen und Herren. Wir haben mit dem Osterpaket, das jetzt vorliegt, klar aufgezeichnet, wie die ambitionierten Ausbaupfade für erneuerbare Energien gestaltet werden müssen. Genau das ist die Basis für industrielle Produktion, für Wertschöpfung in Deutschland. Dabei geht es natürlich darum, den Verbrauch von Kohle, Öl und Gas zu reduzieren, und das gerade seit dem 24. Februar mit Dynamik, ({2}) aber gleichzeitig auch zu gucken, wie wir die erneuerbare Welt organisiert bekommen. Da stellt sich neben der Frage des Ausbaus natürlich auch die Frage der Infrastruktur, nicht nur hinsichtlich der Ladeinfrastruktur, sondern auch hinsichtlich der Pipelines, der Stromnetze, der hybriden Netzplanung und dessen, was an Speichermöglichkeiten für einen Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft notwendig ist. Das sind die Dinge, die jetzt zu organisieren sind. Dafür brauchen wir Regelungen auf europäischer Ebene, in die wir eingebettet sein müssen. Deshalb bedarf es nicht nur nationaler Programme, sondern auch des Dialogs mit der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament, ob die Dinge, die bisher vereinbart worden sind, zu dem passen, was jetzt an der Tagesordnung ist. Lassen Sie mich, Frau Klöckner, zum Antrag der CDU/CSU noch sagen: Ja, es sind einige wichtige Punkte drin. Wir haben den Antrag sicherlich als Diskussionsgrundlage im Ausschuss; da können wir die Debatte vertiefen. Aber ich muss sagen: Das, was Sie hier aufgeschrieben haben, braucht auch ein Finanzierungskonzept, und da sind Sie blank. Da kommt überhaupt nichts. ({3}) Deshalb sind die Hilfsprogramme, die jetzt auf den Weg gebracht worden sind, mit einer Entlastung der Haushalte und der klaren Forcierung auf die soziale Balance in diesem Land seriöser. Wir lassen die Menschen nicht allein und legen einen klaren Fokus darauf, den Standort Deutschland so zu organisieren, dass es mit den neuen Technologien vorwärtsgeht. Wenn man heute mit Unternehmerinnen und Unternehmern im Dialog ist, merkt man doch die Aufbruchsstimmung und die Zuversicht, dass etwas passieren muss. Ich war gestern Abend hier in Berlin bei einer Veranstaltung. Am Beispiel Wilhelmshaven wurde gezeigt, wie sich der Bürgermeister mit dem Land Niedersachsen, mit dem Bund und mit den Akteurinnen und Akteuren aus der Wirtschaft vor Ort zusammentut. Dort investieren die Unternehmen, um mittels der Offshoreanbindung für den erneuerbaren Strom die Wasserstoffwirtschaft zu organisieren. Neben Wilhelmshaven wird das auch in Brunsbüttel, Stade und Rostock so sein. Genau diese Impulse setzen wir jetzt. Das ist die Dynamik, die die Ampelkoalition nach vorne bringt. Darüber werden wir auch im Wirtschaftsausschuss noch diskutieren müssen. ({4}) Wir haben durchaus Grund zur Zuversicht. Es mangelt nicht am Geld. Ich glaube schon, dass die Unternehmen genug Kapital haben, diese Investitionen mit staatlicher Unterstützung zu wuppen. Wir werden noch einmal überlegen, ob wir neben dem Geld, das wir jetzt zur Kompensation der hohen Energiepreise benötigen, nicht auch besondere Abschreibungen von jetzt getätigten Investitionen ermöglichen, um noch schneller eine Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern zu bekommen. Auch das wird in den nächsten Wochen und Monaten Thema sein. Wie gesagt: Die Rahmenbedingungen verändern sich sehr dynamisch und sehr schnell. Wir vermitteln Zuversicht und organisieren Sicherheit in diesem Wandel für diesen Prozess. Ich darf Sie auffordern, die Regierung in dieser Frage zu unterstützen. Herzlichen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Enrico Komning hat jetzt das Wort für die AfD-Fraktion. ({0})

Enrico Komning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004787, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Damen und Herren Kollegen! Dieser Antrag der Union ist ein reiner Schaufensterantrag. Liebe Frau Klöckner, Sie waren Regierungsmitglied in der letzten Legislatur. Was hat Sie eigentlich in den 16 Jahren Regierungszeit daran gehindert, all das, was Sie jetzt in diesen Antrag schreiben, damals durchzusetzen? ({0}) Weder der Krieg noch Ihre Pandemie sind für den derzeitigen Schlamassel verantwortlich, sondern Ihre eigene Politik. Sie reden jetzt von Bürokratieabbau. Dabei sind Sie es doch, die diesen Mount Everest bürokratischer Vorschriften aufgetürmt haben. Sie sind doch dafür verantwortlich, dass der Mittelstand in Auflagen und Berichtspflichten versinkt und gegenüber Konzernen um ein Vielfaches belastet wird. ({1}) Und Sie haben doch die rein ideologisch getriebenen Verschärfungen der Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsgesetzgebung und die Änderung des Infektionsschutzgesetzes zu verantworten. Sie haben doch erst die energieintensiven Betriebe durch Ihre Monstersteuern ins Ausland getrieben, und jetzt fordern Sie eine Verlängerung des Spitzenausgleichs, übrigens gerade für die KMU ein bürokratisches Monster. Haben Sie sich einmal § 10 des Stromsteuergesetzes angesehen? Wenn Sie, liebe Kollegen von der Union, ernsthaft am Bürokratieabbau interessiert wären, reicht eine einzige Forderung, nämlich die Rückabwicklung von 16 Jahren CDU/CSU- und Merkel-Politik. ({2}) Meine Damen und Herren Kollegen, einiges in Ihrem Antrag ist ja gut gemeint, vieles aber ist reines Blendwerk. Sie wollen jetzt eine Entfristung der Homeoffice-Pauschale, wissend, dass diese durch die Verrechnung mit der Werbungskostenpauschale bei normalen Arbeitnehmern einfach verpufft. Sie von der CDU/CSU waren es aber, die unseren Antrag mit tatsächlichen und substanziellen Erleichterungen für mobile Arbeit – im Übrigen schon vor Corona – abgelehnt haben. Sie von der CDU/CSU sind es, die für den massiven Wohlstandsverlust des Mittelstands in Deutschland durch die kalte Progression verantwortlich sind. Nicht nur, dass Sie in den vergangenen Jahren dagegen nichts unternommen haben, Sie haben die Existenz der kalten Progression sogar schlicht geleugnet. Und Sie sind doch mit Ihrer obskuren Energiepolitik dafür verantwortlich, dass ein normaler Arbeitnehmer, geschweige denn ein Rentner, kaum noch seine Strom- oder Heizkostenrechnung bezahlen kann. ({3}) Aber das Beste ist nun wirklich, dass Sie von der Union jetzt ernsthaft die Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken verlangen. Sie haben doch Kohle und Kernkraft beerdigt und damit erst die Energiekrise und die Abhängigkeiten verursacht. ({4}) Und nach dem Globalisierungs- und Lieferkettendesaster der letzten Jahre jetzt TTIP aus der Mottenkiste zu holen, darauf muss man erst einmal kommen. Da dieser Antrag keine der von Ihnen zu verantwortenden Ursachen für die Krise benennt und behebt, ist der Anspruch, mit diesem Antrag die bestehenden Probleme lösen zu wollen, illusorisch. Das reicht schlicht nicht aus. Deshalb werden wir uns bei diesem Antrag enthalten. Den ökosozialistischen Unsinn im Antrag der Linken lehnen wir ab. Danke sehr. ({5})

Dieter Janecek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004312, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Die Lage der deutschen Wirtschaft ist angesichts der Krisen, die wir gerade global zu erleiden haben, vergleichsweise robust. Angesichts des schrecklichen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der Störung der Lieferketten – aktuell in Schanghai und Peking, demnächst übrigens in China –, aber darüber hinaus der Folgen der Coronapandemie, die wir alle noch zu bewältigen haben, stehen wir verhältnismäßig gut da. Das ist aber keine Garantie für die Zukunft. Ich hatte heute früh ein Gespräch mit Unternehmen der Logistikbranche, die von den Preisschocks auf den Energiemärkten sehr stark betroffen sind. LNG zum Beispiel hat sich im Verhältnis zu Diesel noch einmal deutlich verteuert. Das heißt, auf der einen Seite müssen wir jetzt Krisenbewältigung machen für das Nichthandeln der vergangenen Jahrzehnte – dafür steht, Herr Spahn, insbesondere Ihre Regierung – bei erneuerbaren Energien, Energieeffizienz, Modernisierung und Digitalisierung. Das müssen wir jetzt verschärft anschieben und nach vorne bringen, jetzt und sofort. ({0}) Auf der anderen Seite müssen wir zielgerichtet helfen. Das ist der Unterschied zwischen uns und Ihnen. Sie haben einen Antrag geschrieben, in dem Sie in einem Punkt Einigkeit mit den Kollegen von der Linken zeigen: Das ist die Maßlosigkeit in der Ausgabenpolitik. ({1}) Sie sind bei den Entlastungen nicht zielgenau. Wir wollen unseren Haushalt nicht überlasten. Wir wollen die nötigen Anpassungen der Wirtschaft, weg von russischem Öl und Gas, befördern. Wir wollen nicht Anreize schaffen, damit wir noch mehr verbrauchen. Das sind die Unterschiede, die wir hier haben. Und wir müssen uns gleichzeitig mit unseren europäischen Partnern absprechen. Das tun wir bei den Hilfsprogrammen. Deswegen gibt es jetzt das Temporary Crisis Framework. Das orientiert sich bei den energieintensiven Unternehmen an den Notwendigkeiten, die wir haben. Trotzdem wird es uns wohl nicht gelingen, den Wohlstandsverlust auszugleichen. Herr Merz hat ja in einem bemerkenswerten Beitrag ausgesprochen, dass wir möglicherweise bei einer Überschreitung unserer Wohlstandsschwelle angekommen sind. Die Frage ist nur: Wie verteilen wir die Verluste? Um es einmal andersrum zu sagen: Es sollten nicht alle gleich profitieren bzw. nicht profitieren. Deswegen kommt es jetzt darauf an, dort wirtschaftliche Hilfen zu geben, wo sie notwendig sind, und zwar zeitlich begrenzt, zielgerichtet und nicht für alle. Ich muss nicht den Grundpreis für Benzin für einen SUV-Fahrer garantieren, aber ich muss dafür sorgen, dass Menschen, die mit Gas heizen, durch den Winter kommen, und ich muss dafür sorgen, dass ich überhaupt noch Gas habe, um durch den Winter zu kommen. Wir müssen als staatliche Institution jetzt dafür sorgen, dass wir Modernisierungsinvestitionen anschieben. Darauf kommt es an; das ist unser Ansatz bei Wirtschaftshilfen. Ihr Antrag, Frau Klöckner, beinhaltet die eine oder andere Analyse und Stellschraube, die ich unterschreiben würde, so beim Thema Bürokratieabbau, bei der Frage der Planungsbeschleunigung. Da wollen wir vorangehen. ({2}) Aber was nicht geht – und damit möchte ich abschließen –, ist, dass Sie wirtschaftliche Kompetenz abbilden, indem Sie maßlos in Ihren Forderungen sind und all das fordern, was Ihnen Lobbyverbände einflüstern. Aufgabe einer Regierung ist es, zu handeln, aber für die, die es brauchen. Das tun wir, und das tun wir kraftvoll. Vielen Dank. ({3})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Janecek, es ist wirklich sehr interessant, dass ein Grüner uns Maßlosigkeit vorwirft, weil wir 100 Milliarden für eine klimaneutrale Wirtschaft und Lebensweise in Deutschland fordern, während die Grünen mit 100 Milliarden für Aufrüstung kein Problem mehr haben. ({0}) Auch die Grünen müssen doch eigentlich sagen, dass Investitionen in Klimagerechtigkeit sinnvoller wären als Investitionen in Aufrüstung. Das ist unser Vorschlag. Die Antwort auf den Krieg von Putin kann doch nicht Aufrüstung heißen, sondern muss Energiesouveränität, Energiesicherheit und Ausbau der erneuerbaren Energien bedeuten. Dass wir bei den Grünen darum kämpfen müssen, diesen Weg zu gehen, und dass sich die Grünen innerhalb von einem halben Jahr in Regierungsverantwortung so verändern, hätte ich nie gedacht. ({1}) Wir sind in einer wirtschaftlich schwierigen Lage. Der Bundeswirtschaftsminister musste gestern die Wachstumsprognosen korrigieren. Wir glauben, dass die Zahlen, die jetzt dargestellt werden, noch sehr optimistisch sind; denn vieles ist noch nicht eingepreist. Deshalb sind auch die Hilfen, die von der Bundesregierung bisher beschlossen worden sind, sowohl die Soforthilfen für die Wirtschaft als auch die Programme, unambitioniert und viel zu klein. Ob die Sozialverbände, die Gewerkschaften oder viele andere Interessengruppen, sie alle sagen: Hier muss nachgebessert werden. Herr Westphal, wenn Sie sagen, das sei soziale Marktwirtschaft, dann erklären Sie mal einem Rentner oder einer Rentnerin, warum sie die 300 Euro nicht bekommt. ({2}) Das hat mit sozialer Marktwirtschaft nichts zu tun. Eine große Gruppe, die sehr belastet ist, wird von Ihnen an den Rand gestellt. Da müssen Sie im Gesetzgebungsverfahren noch mal nachbessern. ({3}) Wir haben deutlich gemacht, dass wir Druck machen müssen beim Umbau der Wirtschaft auf Wasserstoff, auf erneuerbare Energien und dass wir da viel mehr Geld in die Hand nehmen müssen. Dann kommt ja immer die FDP und sagt: Das ist nicht zu machen. Wir müssen wieder schnell zurück zur Schuldenbremse und zur schwarzen Null. – Wir hoffen, dass man durch diese Krise mal erkennt, dass die Schuldenbremse und die schwarze Null keine Zukunft haben können. Wir brauchen dringend Zukunftsinvestitionen, damit Deutschland nicht abgehängt wird. Dieser Krieg und die Coronapandemie haben gezeigt: Wir müssen deutlich mehr investieren, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa. Deshalb muss der Stabilitäts- und Wachstumspakt in Europa reformiert werden. Die goldene Regel, dass Investitionen bei der Verschuldung nicht mitgerechnet werden, muss endlich eingeführt werden. ({4}) Wir müssen auch mal die Frage stellen – das müsste bei einer sozialen Marktwirtschaft, Herr Westphal, möglich sein –: Wer zahlt denn eigentlich die Kosten, die der Staat aufwenden muss? Wir hören von dieser Bundesregierung nichts dazu, dass auch die Krisen- und Kriegsgewinnler mal an diesen Kosten beteiligt werden. ({5}) Es gibt sehr viele Unternehmen, die sich nach dem heutigen Beschluss, schwere Waffen zu liefern, die Hände reiben. Warum geht man nicht mal hin und besteuert diese Krisen- und Kriegsgewinnler, damit auch die endlich mit dazu beitragen, dass der Staat seine Aufgaben erfüllen kann? Deshalb: Ran an die Vermögensabgaben, und ran an die Extraprofite der Wirtschaft! ({6}) Wir haben die Debatte ja schon sehr oft geführt. Herr Janecek, ich verstehe das nicht: Wir haben noch zu Oppositionszeiten gemeinsam das Programm der Gewerkschaften mit den Industrieverbänden verteidigt. Wir brauchen viel mehr Zukunftsinvestitionen. Da sind Zahlen von mindestens 500 Milliarden in den nächsten zehn Jahren genannt worden. Warum stellen Sie sich jetzt hin und sagen, das sei maßlos, wenn es vor einem halben Jahr noch die richtige Entscheidung war? Sie können nicht, nur weil Sie jetzt vier Minister haben, Ihre Politik komplett verändern. ({7}) Es muss viel mehr getan werden in diesem Land, um Arbeitsplätze zu sichern, um Wohlstand zu generieren, um dem Klimawandel zu begegnen. Da ist unser Programm, notfalls ein Sondervermögen über 100 Milliarden zu machen, eine richtige Antwort, eine andere als die, nur der Waffenindustrie zu helfen; denn Ihre Zukunftsinvestitionen sind die falschen. Zum Schluss: Wir glauben auch, dass die wirtschaftlichen Schockwellen in diesem Jahr noch groß sein werden. Deshalb ist es schon jetzt richtig und wichtig, dass wir das Signal aussenden, dass Kurzarbeit die richtige Antwort sein kann. Darum muss die Kurzarbeit bis mindestens Ende des Jahres ausgedehnt werden. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Reinhard Houben hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Reinhard Houben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004763, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 13. April, Frau Klöckner, haben Sie gegenüber dpa das vorliegende Sofortprogramm für Unternehmen und Beschäftigte platziert. Vorgelegt haben Sie den Antrag aber erst knapp zwei Wochen später. Bei einem Sofortprogramm sollte man doch eigentlich erwarten, dass es auch sofort vorgelegt wird; aber Spaß beiseite! ({0}) Als ich gelesen habe, was in dem Antrag so alles drinsteht, habe ich mir die Frage gestellt: Verfolgt die CDU/CSU eigentlich die Arbeit der Bundesregierung? Hat denn seit der Pressemitteilung Anfang April niemand mehr diesen Antrag gegengelesen und geschaut, ob bestimmte Maßnahmen, die gefordert werden, nicht schon längst erledigt sind? ({1}) – Ich werde noch dazu kommen. ({2}) Anders kann ich es mir, ehrlich gesagt, nicht erklären, warum Sie eine temporäre Unterstützung für besonders von der Krise betroffene Unternehmen fordern. Sie fordern Bürgschaften, Garantien und Kredite, Darlehen und ein KfW-Programm. Und wenn Sie am 13. April dieses Papier ankündigen, aber schon am 8. April die Minister Lindner und Habeck mit entsprechenden Maßnahmen an die Öffentlichkeit gegangen sind, ({3}) muss ich schon die Frage stellen: Wer hat denn Ihr Papier geschrieben und hat das nicht kontrolliert? ({4}) Außerdem, meine Damen und Herren: Die Überbrückungshilfe IV steht doch weiterhin zur Verfügung. Auch darauf nehmen Sie keinen Bezug in Ihrem Papier. ({5}) Weiter hinten im Papier steht dann etwas über die Sicherstellung einer Gasversorgung für die Zukunft, „die nicht von Gasimporten aus Russland abhängig ist und unsere Souveränität gewährleistet“. Ja, was macht denn die Bundesregierung? Wo war denn, bitte schön, Minister Habeck? Er war doch in Katar, hat sich darum gekümmert; ({6}) LNG-Ports werden jetzt gebaut. Also, Sie müssen Ihre Papiere schon an die politische Wirklichkeit anpassen, sonst sind Sie eben nicht glaubwürdig. ({7}) Dann sprechen Sie das Thema Digitalisierung an; da hatte ich besonders viel Freude. ({8}) – Darf ich zu Ende ausführen, Frau Kollegin Klöckner? ({9}) Es ist in den letzten Jahren viel über Diversifizierung und Digitalisierung gesprochen worden. Wenn Sie mal den Forderungskatalog Ihres Antrages angucken, dann sehen Sie: Alle Forderungen von Punkt B 6 a bis i sind im Koalitionsvertrag gesetzt. ({10}) Ich frage mich, wieso Sie nach vier Monaten bei einem Thema, das uns seit einem Jahrzehnt beschäftigt, sofortige Ergebnisse erwarten. Das ist politisch an der Stelle einfach unseriös. ({11}) Die Bundesregierung, insbesondere Minister Wissing, ist bei diesem Thema unterwegs, und wir als Ampel werden sicherlich Ergebnisse vorlegen können, aber, wie gesagt, nicht zwingend nach vier Monaten. Ich halte es auch nach Ihren Regierungsergebnissen der letzten 16 Jahre für ein bisschen schwierig, zu sagen: Jetzt muss alles ganz schnell gehen. ({12}) Also zusammengenommen: Bitte setzen Sie sich mit der politischen Situation auseinander, prüfen Sie, was die Regierung macht und was sie nicht macht, und kommen Sie dann mit einem etwas schmaleren Papier, in dem dann vielleicht wirklich vernünftige Kritikpunkte enthalten sind, wieder auf uns zu! Dann können wir gerne darüber diskutieren. Seriöse Oppositionsarbeit sieht jedenfalls nicht so aus, dass man ein Sammelsurium von schönen Forderungen vorlegt, die man anscheinend aus den unterschiedlichsten Quellen abgeschrieben hat. Eine Bemerkung zur Linken: Das ist mehr so NÖSPL 2.0, was Sie hier vorgelegt haben. Das Einzige, was mir in Ihrem Antrag noch gefehlt hat, ist, dass Sie das Tempolimit einbringen. Das haben Sie nun leider nicht getan. ({13}) Deswegen können wir auch Ihrem Antrag nicht zustimmen. Vielen Dank. ({14})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was die Unternehmerinnen und Unternehmer, die Soloselbstständigen, die gesamte deutsche Wirtschaft, der gesamte deutsche Mittelstand in den letzten drei Jahren an zusätzlichen Belastungen auf sich genommen haben, ist enorm. Es gab viele schlaflose Nächte. Viele fragten sich: Wie kommen wir durch die Krise? Wie sichern wir das Überleben unseres Unternehmens? Das bereitete viel Kopfzerbrechen. Viel Eigenkapital wurde eingesetzt, auch viel privates Vermögen. Wir haben im betrieblichen Bereich zielgerichtet und gut geholfen durch die Coronahilfen, durch die Kurzarbeitergeldregelungen, durch KfW-Kredite und anderes, um gemeinsam im betrieblichen Bereich gut aus der Krise herauszukommen. Nun kommen aber neue Belastungen dazu: Lieferengpässe, Fachkräftemangel, stark gestiegene Preise und natürlich der Ukrainekonflikt. Alle Ihre bisherigen Maßnahmen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel, zielen eigentlich nur auf den privaten Bereich. ({0}) Im unternehmerischen Bereich machen Sie nichts. Herr Houben, ich weiß nicht, was Sie da vorhin angekündigt haben. Ich wüsste nicht, was Sie in diesem Bereich gemacht hätten, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft jetzt anzukurbeln und Investitionen voranzutreiben. Sie machen in diesem Bereich derzeit gar nichts, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Ich möchte einmal zwei Punkte aus unserem sehr umfangreichen Antrag herausgreifen, ({2}) die Sie sofort umsetzen könnten und über die wir uns natürlich auch einig wären. Der erste Punkt betrifft Abschreibungsmöglichkeiten. Finanzminister Lindner hat im Wahlkampf – er tut dies auch jetzt – die Turboabschreibung, also die 100-Prozent-Sofortabschreibung, versprochen. Übrigens: „Sofortabschreibung“ heißt, Sie müssten sie auch sofort durchsetzen. Sie haben sie angekündigt; es ist nichts vorgelegt worden. Das würde Investitionen ankurbeln, übrigens Liquidität schaffen und auch sich selber finanzieren, weil es reine Verschiebungseffekte sind. Lieber Herr Kollege Herbrand, Sie haben es selber in der letzten Wahlperiode beantragt; die Grünen auch. Der Bundesfinanzminister sagt, er wolle es machen. Wahrscheinlich will die SPD nicht. Setzen Sie es durch, und setzen Sie diese Turboabschreibung endlich um, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({3}) Der zweite Punkt: der steuerliche Verlustrücktrag und der steuerliche Verlustvortrag. Auch hier gibt es aus der letzten Wahlperiode – es ist damals an der SPD gescheitert – umfangreiche Anträge von Grün, von Gelb und von uns, den steuerlichen Verlustrücktrag über drei Jahre zu verlängern, also über die Krisenjahre hinaus bis 2019, und den Verlustvortrag nicht so einzuschränken, wie er jetzt eingeschränkt wird. Auch das wäre eine Maßnahme, die wir gemeinsam durchsetzen könnten. Die Grünen haben es gefordert, die FDP hat es gefordert, die CDU/CSU hat es gefordert, der Bundesfinanzminister hat es gefordert. Wahrscheinlich scheitert es an der SPD. Aber das könnten wir gemeinsam durchsetzen. Auch das ist finanzierbar, weil es eine reine Verschiebung von Steuersubstrat von einem Jahr in das andere ist. Das wäre sofort machbar, das könnten Sie tun. Sie sind jetzt in der Regierung. Die Anträge, die Sie damals gestellt haben, interessieren Sie aber anscheinend nicht mehr. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, genau das wäre die Maßgabe: jetzt schnell helfen, indem man Liquidität in den Unternehmen schafft durch Abschreibungen, durch Verlustverrechnung, und zwar Liquidität aus eigener Kraft. Liquidität schafft Wachstum. Wir brauchen jetzt Wachstumsimpulse für den deutschen Mittelstand und für die deutsche Wirtschaft, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Wenn Sie das nicht tun, legen Sie die Axt an die deutsche Wirtschaft und an die Wettbewerbsfähigkeit unseres Mittelstandes. Deswegen kann ich Sie nur auffordern: Nehmen Sie die Anträge, die Sie in der letzten Wahlperiode selber gestellt haben, ernst, und setzen Sie sie jetzt um! ({6}) Sie haben jetzt die Möglichkeit, nicht nur zu reden, sondern wirklich auch zu handeln. Handeln ist jetzt das Gebot der Stunde. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind gerne bereit, in den Beratungen miteinander zu sprechen und uns hier auszutauschen, damit wir wenigstens diese Punkte gemeinsam umsetzen können. Herzlichen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Brehm. – Nächster Redner ist der Kollege Sebastian Roloff, SPD Fraktion. ({0})

Sebastian Roloff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute schon viel über konstruktive Oppositionsarbeit gehört und gesprochen. Ich habe eine halbe Stunde zugehört und mehrmals auf die Tagesordnung gesehen. Ich habe verzweifelt das Sofortprogramm, über das wir reden, gesucht. Ich habe es nicht gefunden; es liegt zumindest nicht vor. ({0}) – Es kann daran liegen. – Aber, Frau Klöckner, es sieht eher so aus, als hätte da jemand eine Festplatte aufgeräumt und alles, was man irgendwo noch gefunden hat, zusammenkopiert und herausgeschickt. Aber das ist kein Sofortprogramm. ({1}) Ich erkläre Ihnen auch gerne gleich, warum. Es ist mitnichten so, dass alles im Forderungsteil falsch ist. Die Einleitung ist korrekt: Wir stehen vor Riesenherausforderungen – Transformation nach Covid, jetzt natürlich auch die Ukrainekrise und die entsprechenden Folgen. Die Analyse ist richtig, und Sie stellen da teilweise auch richtige Forderungen. Sie fordern zum Beispiel ein Maßnahmenpaket für besonders von der Krise betroffene Unternehmen oder für energieintensive Unternehmen. Das Problem ist: Das haben wir schon gemacht. Das können Sie natürlich fordern; aber es ist schon lange auf den Weg gebracht. ({2}) Genauso beim Thema Bürokratie: Sie fordern ein neues Bürokratieentlastungsgesetz. Das finde ich ganz bezaubernd; wir sind sehr dafür. Das ist in der Erstellung, das ist schon auf dem Weg, genauso wie das Unternehmensbasisregister und natürlich die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsprozessen. ({3}) Da sind wir mit Ihnen total auf einer Linie. Das Problem ist nur: Es hätte dieses Antrags nicht bedurft; denn das ist schon auf dem Weg. ({4}) Beim Bürokratieabbau ist aus unserer Sicht klar, dass das auf der einen Seite natürlich ein Selbstzweck ist, auf der anderen Seite aber natürlich nicht dazu führen darf, dass soziale und ökologische Standards abgebaut werden. ({5}) Dementsprechend werden wir da sehr genau hinschauen. Im Ziel sind wir aber vereint. Dann – das finde ich noch viel charmanter – fordern Sie Sachen, die Sie selber jahrelang verhindert haben, ({6}) die Verbesserung der Fachkräfteanwerbung zum Beispiel. Das wollten die Unternehmen schon immer, das wollte auch die SPD nachweislich in der letzten Regierung. Sie haben das immer verhindert und finden es auf einmal toll. Wir finden es gut, dass es da einen Lernprozess gab. Es ist aber fraglich, ob das mit einem Sofortprogramm einhergehen muss. Themen wie die Frauenerwerbsquote oder so diskutieren Sie gar nicht; das finde ich auch immer einigermaßen verstörend. ({7}) Und bei der Beschleunigung beim Aufbau von digitaler Infrastruktur muss man nur die Namen Dobrindt und Scheuer sagen, um festzuhalten, wer da ganz offensichtlich gebremst hat und dass das in der letzten Regierung ganz offensichtlich nicht an uns lag. ({8}) Es wird aber leider noch schlimmer. Sie ahnen deswegen schon, dass wir Ihrem angeblichen Sofortprogramm wahrscheinlich nicht zustimmen werden. Sie fordern auch unverantwortliche Dinge. Ich habe Ihnen sehr genau zugehört, Frau Klöckner, wie Sie über das Belastungsmoratorium gesprochen haben. Das wundert mich ein bisschen. Der Kollege Altmaier hat vor Kurzem relativ schweren Schiffbruch erlitten. Dementsprechend habe ich noch nicht so ganz verstanden, warum Sie daraus nichts gelernt haben und da nicht einen Schritt weiter sind. Denn völlig klar ist, dass man die Fortschritte, die man mit Blick auf Lieferketten und Nachhaltigkeit erreicht hat, nicht einfach durch ein Belastungsmoratorium wieder einkassieren kann, das zudem gar nicht wirkt. Reden Sie gerne einmal mit dem Kollegen Altmaier; dann sehen Sie, dass das nicht funktioniert. Herr Kollege Brehm, wir sind ja beide aus Bayern. ({9}) Weil Sie in diesem Sofortprogramm auch den Weiterbetrieb von Kernkraftwerken fordern: Wir können gerne einmal auf unseren Ministerpräsidenten zugehen – der wohnt in Nürnberg, also näher bei Ihnen als bei mir –, der uns immer erklärt: Atomkraft ist super, aber ein Endlager in Bayern geht gar nicht. Erneuerbare Energien sind prinzipiell schon ganz okay; aber wir brauchen Abstand – 10‑H-Regelung –, und eigentlich wollen wir es so schwer wie möglich machen. – Also: Da ist viel Kokolores dabei; das muss ich so deutlich sagen. Wer bei der Frage, ob Atomkraftwerke in der jetzigen Situation noch weiterlaufen sollten, mir nicht glaubt oder der Regierung nicht glaubt, kann sich immerhin auf die entsprechenden Fachgutachten verlassen. Da sind Sie leider auf einem Irrweg, und es wäre schön, wenn Sie von dem wieder herunterkommen. ({10}) Schließlich sind wir aber auch wieder beieinander, wenn wir darüber sprechen, dass wir ein Milliardenprogramm für Steuererleichterungen und gegebenenfalls auch Steuersenkungen für eine gesunde Wirtschaft brauchen. Klar ist aber auch, dass wir dann ein Riesenproblem im Bundeshaushalt haben. Da könnte man sich auch einmal darüber unterhalten, ob die Schuldenbremse so eine gute Idee war. Da sind wir uns in der Regierung auch noch nicht ganz einig, aber wir haben uns immerhin auf eine Aussetzung verständigt. Klar ist aber auch, dass die Mittel für die Deckung dieses Investitionsbedarfs irgendwo herkommen müssen. Dazu sagen Sie auch nichts, außer dass Sie wohlfeile Forderungen stellen. Ich darf zum Abschluss alle Kolleginnen und Kollegen der Union, die an einer konstruktiven Mitarbeit interessiert sind, herzlich einladen, diese Debatte mit uns im Wirtschaftsausschuss zu führen; das funktioniert teilweise ganz gut. Sie ist in der Öffentlichkeit im Moment eher ein bisschen trumpesk, wenn ich das so sagen darf, aber vielleicht kommen Sie von diesem Trip wieder herunter. Herr Merz hört gerade zu: Wir würden Sie auch nicht verraten, wenn Sie sich in diesen Fragen dann an uns wenden und konstruktiv mit uns über solche Themen reden. Das heute hilft leider nicht weiter. Vielen Dank. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Dr. Malte Kaufmann, AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Malte Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005099, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach 16 Jahren Regierung Merkel mit teils verheerenden Auswirkungen auf den Standort Deutschland fordert die Union nun ein „Sofortprogramm“ für die Wirtschaft – besser spät als nie, könnte man sagen. ({0}) Ihr Antrag, liebe Kollegen von der Union, ist ein Rundumschlag, um vieles anzugehen, was jahrelang von Ihnen versäumt wurde. Beispielsweise wollen Sie endlich die öffentliche Verwaltung digitalisieren und modernisieren. Das wollen wir als AfD auch, und zwar schon lange. Auch viele andere Ihrer Vorschläge wirken wie bei uns abgeschrieben, ({1}) beispielsweise der überfällige Bürokratieabbau. Viele Ihrer Forderungen sind aus unserer Sicht also richtig. Dennoch: Ihr ganzer Antrag macht den Eindruck, als wollten Sie nur an ein paar einzelnen Stellschrauben drehen; um die wirklich großen Probleme unserer Zeit dagegen machen Sie einen weiten Bogen. ({2}) So fordern Sie jetzt beispielsweise eine – ich zitiere – „sichere, bezahlbare und souveräne Energieversorgung“. Das ist richtig, aber der entscheidende zweite Satz fehlt; er müsste lauten: eine Energieversorgung also, wie wir sie früher hatten, ({3}) bevor eine unionsgeführte Bundesregierung in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die sichere und grundlastfähige Kernkraft abgeschafft hat und dann auch noch den Ausstieg aus der Kohleverstromung beschlossen hat, um beides gegen unzuverlässigen Flatterstrom aus Wind und Sonne einzutauschen. – Das wäre mal Mut zur Wahrheit, liebe Kollegen. ({4}) Immerhin schlagen Sie vor, man solle den Weiterbetrieb von Kernkraftwerken prüfen. Ich frage Sie: Was gibt es denn da jetzt noch zu prüfen angesichts der aktuellen dramatischen Versorgungslage und der immer näher rückenden Energiekrise? Natürlich müssen die Meiler am Netz bleiben. Was denn sonst? ({5}) Weiterhin fordern Sie die Verminderung der Energiepreise durch Steuerentlastungen. Was Sie dagegen nicht sagen: Ihre CO2-Steuer ist es doch, die die Preise an den Tankstellen ganz bewusst und permanent nach oben treiben soll. Diese Steuer muss weg, ersatzlos! ({6}) Das aber, meine Damen und Herren, fordern Sie nicht. Warum? Damit würden Sie ja zugeben, dass die links-grüne Politik der Ära Merkel ein großer Fehler war. In Ihrem Antrag stehen viele gute Sachen, unbestritten; aber das große Ganze fehlt. Die fatalen Fehler der letzten Jahre werden nicht benannt und nicht korrigiert. Deshalb werden wir uns enthalten. Vielen herzlichen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Kaufmann. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Katharina Beck, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Katharina Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005019, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Fraktion der CDU/CSU, ich möchte mich als Erstes noch einmal bedanken, dass wir heute gemeinsam als Deutschland gegenüber der Ukraine Verantwortung übernommen haben. Vielen Dank! ({0}) Es geht jetzt darum, dass wir hier im Rahmen dieser Krisen, aber auch anderer Krisen helfen – unserem Land, unseren Beschäftigten, unseren Unternehmen, unserer Wirtschaft. Die deutsche Bundesregierung macht mit den Entlastungspaketen I und II, mit dem Corona-Steuerhilfegesetz, mit Wirtschaftshilfen in unfassbarer Größenordnung in Bezug auf Kredite, aber auch mit Zuschüssen ein riesiges Angebot und schnürt ein riesiges Paket. Parallel dazu geben wir noch Zukunftsorientierung; denn die Zukunft dieses Kontinents und dieses Landes ist energieunabhängig. Mit Siebenmeilenstiefeln – schön, dass Sie da sind, Herr Minister – gehen wir hier voran in die Energieunabhängigkeit und in eine prosperierende grüne Zukunft. Darauf freuen wir uns; das ist der Fortschritt dieser Ampel. ({1}) Bei den Maßnahmen, die Sie hier vorlegen – es wurde schon als ein „Sammelsurium“ beschrieben –, musste ich direkt bei der ersten erst einmal schmunzeln. Wir haben gerade die degressive Abschreibung beschlossen: ein großes Paket mit 10 Milliarden Euro Belastung über die nächsten vier Jahre – Entlastung für die Unternehmen, Belastung für den Haushalt. Wir haben uns auf eine Superabschreibung geeinigt, ({2}) und Sie schlagen jetzt noch eine „Turboabschreibung“ vor, wobei Sie selber auch bei der degressiven AfA völlig dabei waren. ({3}) Das ist ein lustiges Wortspiel, aber kein wesentlicher Beitrag zur Debatte. Bei der Umsatzsteuer fordern Sie diverse Entlastungen und behaupten, das würde das Verbraucherklima unterstützen. Dabei wissen wir alle: Umsatzsteuersenkungen haben nicht unbedingt diesen Effekt; die Preise werden nicht unbedingt weitergegeben. Das ist nicht zielgerichtet; das sind noch einmal weitere Kosten. Energiesteuersenkungen, Stromsteuersenkungen: All das kostet und hat noch nicht einmal mehr die Lenkungswirkung, die wir uns wünschen; denn das sind Mengenanreize. Wir müssen doch gerade heute eher anders wirtschaften und nicht einfach nur mehr an Energie verbrauchen. Das sind einfach die falschen Maßnahmen. Ihre Maßnahmen führen leider zu weiterer Marktverzerrung, auch zwischen Groß und Klein, setzen die falschen Anreize und haben nicht kalkulierbare Kosten. Das geht gegen solide Finanzen, was Sie selber eigentlich immer fordern. Erschütternd an Ihrer Analyse finde ich, dass das Thema Klima gar nicht vorkommt. ({4}) Sie waren bestimmt auch schon einmal in Davos. Die top drei Risiken der Weltwirtschaft, die im Januar vom Weltwirtschaftsforum publiziert wurden, hatten mit Klimawandel und Lieferengpässen wegen schlimmer Wetterereignisse zu tun. Sie geben doch immer vor, so nah an der Wirtschaft zu sein. Das sind die Dinge, die extrem bewegen. Deswegen kann man es gerade jetzt nicht so verkaufen, als wäre es ein Belastungsmoratorium, sondern es ist eine Entlastung für Unternehmen, wenn wir mit Sustainable-Finance-Maßnahmen endlich Klarheit an den Kapitalmärkten haben und klar ist, wohin denn das Geld fließen soll; denn wir brauchen die privaten Investitionen. So kann auch wieder Prosperität entstehen. Ich bitte Sie: Kommen Sie bitte mit uns im 21. Jahrhundert an! Die Zukunft und der Fortschritt, den wir wollen, sind beschrieben. Wir arbeiten da gerne konstruktiv miteinander, aber nicht mit einem nichtwirksamen Sammelsurium an Maßnahmen, die einfach nicht die richtigen Effekte haben. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Beck. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Markus Herbrand, FDP-Fraktion. ({0})

Markus Herbrand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004745, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen der CDU, also um einen Innovationspreis sollten Sie sich mit diesem Antrag wirklich nicht bewerben. Alles, aber wirklich alles, was hier niedergeschrieben steht, gibt oder gab es in irgendeiner Form schon. Der Antrag ist ein Sammelsurium an Plagiaten, die Sie von allen Seiten regelrecht schamlos kopiert haben. ({0}) Ich habe auch FDP-Forderungen darin gefunden; das gebe ich zu. Auf der Suche nach Neuem bin ich dann auch fündig geworden – die Kollegin hat sie genannt –: die „Turboabschreibung“. Aber auch nur auf den ersten Blick; denn auf den zweiten Blick müssen wir sagen: Selbst das haben wir in Teilen schon, wenn wir nur an die digitalen Wirtschaftsgüter denken, die wir im Augenblick auch schon mit einer unterstellten Nutzungsdauer von einem Jahr sehr schnell abschreiben, so schnell, wie es eigentlich nur geht. ({1}) Aber wir sehen hier eben auch klar und deutlich, was wir als Ampel anderes vorhaben. Wir wollen gezielt und eben nicht mit der Gießkanne, sondern eher mit der Spritze die identifizierten Probleme lösen, die Digitalisierung fördern und die Dekarbonisierung beschleunigen. Das sind Probleme, die Sie uns hinterlassen haben. Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, das gezielt anzugehen und eben diese Super-AfA auf den Weg zu bringen. Herr Kollege Brehm – ich glaube, Frau Klöckner hat es auch gesagt –, zu der Frage: Warum kommt sie nicht? Sämtliche Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft haben gesagt, dass es im Augenblick eigentlich gar nicht die richtige Zeit dafür sei, diese Super-AfA in Anspruch zu nehmen. ({2}) Man muss einfach auch einmal festhalten, dass nicht jede Maßnahme immer zu jedem Zeitpunkt richtig ist. Wir werden das machen. Übrigens wirkt die Ampel auch schon an anderer Stelle: Peu à peu, Schritt für Schritt verfolgen wir unsere Ziele ({3}) und zeigen dabei auch die notwendige Flexibilität, wenn es wirklich notwendig ist. Weil die Super-AfA noch nicht kommt, verlängern wir jetzt die degressive AfA. Auch das ist eine sehr gute und wichtige Regelung, um weitere Investitionen anzureizen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben es hier nicht nur mit einem Plagiat zu tun; es ist auch noch eine Märchenliste. „Märchen“ nicht deshalb, weil die Vorschläge nicht in Teilen sehr sinnvoll wären, sondern weil für deren Umsetzung die Sterne als Silbertaler nur so vom Himmel fallen müssten – möglicherweise besser sogar als Goldtaler. Insofern fehlt es sowohl der langen Liste als auch der Union an zwei Aspekten. Es mangelt zum einen am staatlichen Verantwortungsbewusstsein. Die Lage wegen der Ukrainekrise, wegen Corona und wegen der inflationären Wirkungen ist in der Tat sehr ernst. Mit solchen kopierten Anträgen zeigen Sie, dass Sie die Situation nicht angemessen ernst nehmen. Zum anderen: Wenn man Forderungen in Milliardenhöhe aufstellt, dann muss man auch sagen, woher die Mittel kommen sollen. Wie paradox, dass Sie sich auf der einen Seite als seriöse Haushälter profilieren möchten und auf der anderen Seite viele Milliarden Euro an Ausgaben fordern und nicht ansatzweise sagen, wo das Geld herkommen soll! ({4}) Schließlich kann ich Ihnen auch nicht ersparen – den einen oder anderen Vorschlag formulieren Sie selber hier schon seit Jahren –: Sie bleiben uns die Erklärung schuldig, weshalb Sie in den letzten 16 Jahren Ihre Forderungen selbst nie umgesetzt haben. Es kommen noch Redner der Union. Vielleicht könnte man das einmal aufklären, um der Versachlichung hier Genüge zu tun. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein solcher Antrag wird der aktuellen Krisensituation nicht gerecht. Deshalb ist es auch gut, dass wir heute direkt darüber abstimmen und keine Ausschussberatungen mehr dafür verwenden. Herzlichen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Herbrand. – Nun hat das Wort der Kollege Hansjörg Durz, CDU/CSU Fraktion. ({0})

Hansjörg Durz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn Millionen von Menschen eine politische Gemeinschaft bilden, dann braucht es ein Narrativ, eine Erzählung, die aus ganz vielen Ichs ein Wir macht. Dabei spielt in Deutschland das Wohlstandsversprechen eine zentrale Rolle. Vom Wirtschaftswunder bis zum Exportweltmeister: Wirtschaftlicher Erfolg ist ein Kernelement unserer DNA. Mit den Worten eines amerikanischen Politstrategen könnte man es so zusammenfassen: „It’s the economy, stupid!“ Das muss man dieser Bundesregierung tatsächlich auch noch einmal deutlich sagen, einer Regierung, die ein Entlastungspaket ohne jegliche Entlastung für Unternehmen beschließt; denn das kann nicht sein. ({0}) Die Wirtschaftsmacht Deutschland gerät zunehmend unter Druck. Nach zwei Coronajahren und der Hoffnung auf mehr Normalität und wirtschaftliche Erholung belasten der Angriffskrieg Russlands, gestörte Lieferketten und die Inflation die Bilanz, sodass sämtliche Wirtschaftsforschungsinstitute und auch die Bundesregierung ihre Wirtschaftsprognosen spürbar nach unten korrigieren mussten. Kurzfristige Hilfsmaßnahmen für Unternehmen sind absolut richtig und wichtig. Sie sind die Notversorgung akuter Beschwerden. Was wir aber auch dringend brauchen, ist ein langfristiges Fitnessprogramm. Deswegen muss unser Wirtschaftsminister nicht nur Notfallsanitäter sein, sondern auch Fitnesstrainer. Während unter der Coronakrise vor allem der Dienstleistungssektor litt, stellen die aktuellen Herausforderungen die deutsche Industrie vor große Probleme und damit einen der Wohlstandsgaranten unseres Landes. Für diesen ist bezahlbare Energie elementar. Wir alle wissen aber, dass die Energiekosten in den nächsten Jahren tendenziell eher weiter steigen werden. Umso wichtiger ist es, dass wir unsere Wettbewerbsfähigkeit insgesamt deutlich verbessern, so schnell wie möglich, meine Damen und Herren. ({1}) Unser Ziel muss sein, dass wir in Deutschland die besten Rahmenbedingungen für Gründer und Unternehmer haben. Das Fitnessprogramm für die Wirtschaft, das wir mit diesem Antrag vorlegen, beinhaltet eben nicht nur Forderungen, die Geld kosten, wie vorher mehrfach angeklungen ist, sondern vor allem auch Maßnahmen, die die Rahmenbedingungen verbessern, um Unternehmen das Bestehen im Wettbewerb zu ermöglichen, und Wachstum generieren. Drei Elemente möchte ich herausgreifen: Erstens. Die Bundesregierung darf die Wirtschaft nicht weiter mit Paragrafen und Vorschriften gängeln, übrigens auch nicht durch aktuelle Gesetzgebung; darin besteht nämlich auch eine große Gefahr. ({2}) Unternehmen brauchen Luft zum Atmen. Wir verschreiben der Wirtschaft eine Bürokratiediät. Und ganz kurzfristig: Die Unternehmen brauchen ein Belastungsmoratorium. ({3}) Zweitens. Der Staat muss schneller, agiler und digitaler werden. Endlos lange Planungs- und Genehmigungsverfahren bremsen Dynamik und Innovation. Das sehen wir alle so. Als Union haben wir 2017 das Onlinezugangsgesetz auf den Weg gebracht. Sämtliche Dienstleistungen der öffentlichen Hand müssen bis Ende dieses Jahres, bis Ende 2022, digital zur Verfügung gestellt werden. Mit dem Zukunftspaket haben wir Mitte 2020 zusätzliche Milliarden für die Umsetzung zur Verfügung gestellt. Das heißt, die Voraussetzungen sind geschaffen, von der Registermodernisierung bis zum digitalen Unternehmenskonto. Jetzt muss die Bundesregierung einfach nur umsetzen. Drittens. Gerade in dieser Zeit wird deutlich, dass wir Partner in der Welt brauchen – politisch, aber auch wirtschaftlich. Das Freihandelsabkommen mit Kanada liegt auf dem Tisch. Wir legen es in jeder Sitzungswoche wieder auf den Tisch. Eine Stimme für CETA ist eine Stimme für den Wohlstand und eine Stimme für den Zusammenhalt in der westlichen Welt. Stimmen Sie diesem Abkommen zu! Vielen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Durz. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Lena Werner, SPD-Fraktion. ({0})

Lena Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe 9 b des Thomas-Morus-Gymnasiums aus meinem Wahlkreis oben auf der Tribüne! Liebe Unionsfraktion, haben wir das gleiche Verständnis von dem Wort „sofort“? Laut Duden bedeutet es „innerhalb kürzester Zeit“ und „ohne weitere Verzögerung“. Wenn ich mir jetzt Ihren Antrag anschaue, dann stellt sich mir die Frage, wie all die Maßnahmen, die sicher teilweise auch richtig sind, unverzüglich umgesetzt werden sollen. Ihr Antrag legt auch keine Sofortmaßnahmen fest. Hier finden wir fast das gesamte Wahlprogramm der Union und teilweise sogar Vorhaben, die Sie seit Jahren umzusetzen versuchen. Mit vielen Ihrer Feststellungen stimme ich überein. Die Coronapandemie bedeutet weiterhin eine Belastung für viele Unternehmen. Dazu kommen nun die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Energieversorgung und die Lieferketten. Wir müssen alles daransetzen, die Belastungen für die Menschen und auch die Unternehmen in der aktuellen Lage so gering wie möglich zu halten. Wir stehen vor einem Jahrzehnt der wirtschaftlichen Transformation. Wobei ich in diesem Punkt nicht ganz übereinstimme; denn die Transformation hat bereits begonnen. Wir von der SPD-Bundestagsfraktion sowie die Bundesregierung arbeiten bereits mit Hochdruck an all diesen Punkten, um die Unternehmen und Beschäftigten sofort zu entlasten. In Ihrem Antrag lassen Sie komplett außen vor, dass bereits Maßnahmen auf den Weg gebracht wurden. Da Sie uns hier eine sehr lange Liste vorgelegt haben, möchte ich jetzt nur auf wenige Punkte eingehen und diese klarstellen. Sie fordern unter anderem temporäre Unterstützung für besonders von der Krise betroffene Unternehmen. Genau darauf hat man sich doch in der Bundesregierung bereits geeinigt. Für Unternehmen, die vom russischen Angriffskrieg und dessen Folgen betroffen sind, steht bereits ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Verfügung. Mit dem KfW-Kreditprogramm und dem Bürgschaftsprogramm werden schnelle Liquiditätshilfen für Unternehmen sichergestellt. Diese Maßnahmen können schon in dieser bzw. in der nächsten Woche starten. Einen direkten Zuschuss zu den Stromkosten können die Unternehmen beantragen, die von deutlich gestiegenen Energiekosten betroffen sind. Im härtesten Fall erhalten betroffene Unternehmen bis zu 50 Millionen Euro an Zuschüssen zu Strom- und Gaskosten. Allein diese Maßnahme wird voraussichtlich einen Umfang von bis zu 6 Milliarden Euro haben. Zu behaupten, die Wirtschaft fände in Entlastungspaketen kaum Berücksichtigung, ist deswegen schlichtweg falsch. ({0}) Im Titel Ihres Antrags fordern Sie außerdem ein Sofortprogramm für Beschäftigte. Mit den Entlastungspaketen der Ampelkoalition von Februar und März sorgen wir bereits für massive Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger, und das nicht nur bei den Energiekosten. Noch heute werden wir über den Wegfall der EEG-Umlage entscheiden, und somit werden ab dem 1. Juli alle Verbraucher/-innen direkt und unverzüglich entlastet. Darüber hinaus wurden massive Steuerentlastungen beschlossen. Hinzu kommen eine Erhöhung des Arbeitnehmerpauschbetrags und der Pendlerpauschale sowie eine Einmalzahlung für Beschäftigte in Höhe von 300 Euro, um für direkte und schnelle Entlastungen zu sorgen. Das 9‑Euro-Ticket für den ÖPNV steht für jede Bürgerin und jeden Bürger ab dem 1. Juni zur Verfügung. Und ja, ich gehe davon aus, dass dies auch im ländlichen Raum aktiv genutzt wird. Aus meinem Wahlkreis Bitburg habe ich schon von vielen gehört, die das Angebot sehr gerne nutzen wollen. Zu guter Letzt schließt sich auch eine Absenkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe an die Maßnahmen an. – Dies sind konkrete Entlastungen, von denen die Verbraucher/-innen direkt und unmittelbar profitieren. Wir müssen zukunftsfähige, soziale und vor allem nachhaltige Wirtschaftspolitik machen. Als junger Mensch einer Generation, die bisher in jeglicher Hinsicht in Sicherheit gelebt hat, bin ich mir der Verantwortung, die wir für unser Land haben, mehr als bewusst. Besonders durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine stehen wir jetzt vor der großen Herausforderung, unser Land, unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft in eine neue Zeit zu führen. Dass wir nicht so weitermachen können wie bisher, wird nicht mehr allein durch die Klimakrise getrieben. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir brauchen, sind Weitsicht, eine differenzierte Analyse der Herausforderungen und passgenaue Lösungen. Ich danke daher der Bundesregierung für die bereits auf den Weg gebrachten Maßnahmen für die Bevölkerung und Unternehmen, die sofort helfen. Insbesondere in der aktuellen Situation ist eine konstruktive und zielorientierte Oppositionsarbeit besonders wichtig. Anträge wie dieser helfen dabei nicht weiter. Es geht um unsere Zukunft. Vielen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Werner. – Als Nächster hat das Wort der Parlamentarische Staatssekretär Michael Kellner für die Bundesregierung. – Ach, jetzt sehe ich Sie auch; ich hatte Sie schon vermisst, weil ich Sie auf der Regierungsbank erwartet hätte. ({0})

Michael Kellner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11005102

Das passiert mir selten, dass ich übersehen werde. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ich habe Sie hinter Ihrer Maske nicht deutlich erkannt.

Michael Kellner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11005102

Danke, Herr Präsident. – Sehr geehrte Damen und Herren! Wir sind eine Koalition, die handelt, und sie handelt in Zeiten, in denen die Wirtschaft immer noch von der Coronapandemie und jetzt von dem brutalen Krieg Russlands in der Ukraine belastet ist. Lassen Sie mich sagen, was „handeln“ heißt: Wir schaffen zum 1. Juli die EEG-Umlage ab. Davon profitiert der Handwerker auf dem Land genauso wie der Händler in der Innenstadt. ({0}) Mit dem Osterpaket machen wir es für Unternehmen attraktiver, selber in ihren Betriebsstätten in grünen Strom zu investieren. Wir senken dort die Abgaben, wir verringern dort die Bürokratie. Das hilft gerade dem Mittelstand, dem Rückgrat unserer Wirtschaft. Das ist der nächste Punkt, in dem wir handeln. ({1}) Voraussichtlich nächste Woche starten wir mit einem KfW-Kreditprogramm und einem Großbürgschaftsprogramm, um Unternehmen Liquidität zu sichern, ({2}) die durch die Ukrainekrise unverschuldet in Schwierigkeiten gekommen sind. Und wir legen ein neues Zuschussprogramm zur temporären Kostendämpfung des Preisanstieges bei Erdgas und Strom für energieintensive Unternehmen auf, die im internationalen Wettbewerb stehen; das betrifft circa 4 000 Unternehmen und umfasst 5 Milliarden Euro. Damit erhalten wir die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Damit dämpfen wir den Schock. Aber lassen Sie mich auch klar sagen: Wir können nicht alle Preissteigerungen ausgleichen; deswegen helfen wir zielgerichtet. Dass dieser Krieg keine Belastung, keine Kosten für die deutsche Gesellschaft, für die Unternehmen, für die Wirtschaft mit sich bringt, können wir nicht versprechen. Das ist nicht möglich, und das sollten wir auch ehrlich sagen. ({3}) Wer meint, es gäbe keine Belastung, der sieht doch nicht, was in der Welt geschieht. Diese Ehrlichkeit würde ich mir wünschen. Wir diversifizieren die Energieversorgung, sodass wir nie wieder so abhängig sind, wie wir es von Russland waren und teilweise sind. ({4}) Wir machen uns auf den Weg, die Unternehmen machen sich auf den Weg. Sie stellen ihre Lieferketten um. Sie helfen Geflüchteten. Sie unterstützen die Sanktionen. Dafür danke ich ihnen recht herzlich. ({5}) Wir legen gemeinsam einen Pfad raus aus der fatalen Abhängigkeit. Wir müssen schneller werden bei der Dekarbonisierung, bei der sozial-ökologischen Transformation. Das liegt im Interesse des Klimaschutzes, der nationalen Sicherheit und des wirtschaftlichen Wohlstands. Herzlichen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Gitta Connemann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Wohnung, Urlaub, soziale Sicherheit, gute Ausbildung für Kinder: Das wünschen sich alle – am Ende Wohlstand für alle. Mit diesem Ziel von Ludwig Erhard ist Deutschland groß geworden. Sein Erfolgsmodell: die soziale Marktwirtschaft – Freiheit und Verantwortung, getragen von Betrieben und Mitarbeitern. 99 Prozent davon sind Mittelständler: Handwerk, Handel, Gewerbe, Industrie – das Rückgrat unserer Gesellschaft, Motor für Innovation, Garant für Arbeitsplätze und Ausbildung. Sie denken nicht in Jahresabschlüssen, sondern in Generationen. Sie übernehmen Risiko und Verantwortung. Deshalb haben sie aus Sicht der Union ein Recht auf unser Vertrauen, auf unseren Respekt. ({0}) Das erleben sie aber häufig nicht. Das Unternehmerbild wird verzerrt; das erleben wir aktuell. Wenn in einer Zeit, in der der Mittelstand so viel schultert – sich übrigens auch bei den Flüchtlingen engagiert –, von Krisen- oder Kriegsgewinnlern gesprochen wird, dann ist das einfach nur erbärmlich. Abgabenlast, Arbeitskräftemangel, Regulierungswahn gehören zum Alltag. Zur Wahrheit gehört: Auch wir als GroKo haben dazu beigetragen. Hier ein Gesetz, dort eine Verordnung. Der Mittelstand konnte es bislang schultern, aber jetzt ist die Schmerzgrenze erreicht. Pandemie, Krieg, Lockdown in Schanghai, Lieferketten brechen, Rohstoffe fehlen, Preise explodieren, Inflation, es gibt keine Planungssicherheit: Der Mittelstand kommt aus dem Krisenmodus nicht mehr heraus. Deshalb stehen wir am Rande einer Rezession. Deutschland hat viele Krisen erlebt. Wir können auch diese meistern; aber nur mit unseren Unternehmerinnen und Unternehmern, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Diese wissen, wie es geht. Dafür brauchen sie keinen Amtsvormund, liebe Ampel, sondern sie brauchen einen Befreiungsschlag. ({1}) Dafür legen wir als Union ein Entfesselungspaket vor, damit der Mittelstand seine Kraft wieder frei entfalten kann; denn der Wohlstand fällt nicht vom Himmel. Dazu gehört, den Menschen wieder etwas zuzutrauen. Dafür brauchen wir einen Belastungsstopp, ein Bürokratiemoratorium – national, aber auch europäisch. Auf der Agenda der EU stehen zurzeit Dutzende von neuen Reglementierungen. Brüssel will zum Beispiel mit der Taxonomie Vorgaben machen, wer wann wo investiert. Damit diskreditiert die Kommission die Europaidee; dabei brauchen wir gerade jetzt Europa mehr denn je. Wir brauchen den Einsatz für offene Märkte, für internationale Freihandelsabkommen wie CETA. Die Aufsetzung hier scheitert an der Ampel, und das ist unverantwortlich für die Exportnation Deutschland. ({2}) Aber hier wird erkennbar auf Umverteilung statt auf Wachstum gesetzt; auch hier in der Debatte. Bestes schlechtes Beispiel: Ihre Steuerpolitik. Statt zu entlasten, wird kassiert: bei Sprit, bei Strom. Ja, die Ampel hat Entlastungen angekündigt; aber die Hilfen kommen zu spät und gehen mit Paketen wie Ihrem Energiepreisgeld an Rentnern, Studenten, Minijobbern und dem Mittelstand vorbei. Den Traum vom Eigenheim haben Sie mit der Abschaffung der Förderung sowieso schon geschrottet. Gehälter müssen mit der Inflation Schritt halten können. Derzeit wird der Lohnausgleich aber vom Staat wegbesteuert. Die Ampel sieht zu, kassiert und verteilt dann um. Aber der Staat ist kein Gutsherr. Die Bürger und Betriebe brauchen keine Almosen, sondern sie brauchen Entlastung. Technologieoffenheit statt Ideologie, Eigenverantwortung statt Auflagen, auch für digitale Transformation und Energiewende – nur dann wird unser Land seine Wettbewerbsfähigkeit bewahren.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin.

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dafür legen wir Ihnen ein Programm vor im Sinne dessen, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– was Ludwig Erhard wollte und möglich machte: Wohlstand für alle. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Connemann. – Nächster Redner ist der Kollege Jens Peick, SPD-Fraktion. ({0})

Jens Peick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Unionsfraktion! Ich verstehe Sie ja ein Stück weit. ({0}) – Ja, das hilft Ihnen auch nicht viel weiter, ich weiß. – Wir alle haben ja das ZDF-„Politbarometer“ von Anfang April gesehen. Wir alle haben gesehen, dass nur noch 18 Prozent der Menschen in diesem Land bei der Union die größte Wirtschaftskompetenz vermuten. Die Menschen haben das Zutrauen in Ihre Wirtschaftspolitik verloren. Mittlerweile sehen sie vollkommen zu Recht die größten Kompetenzwerte bei der SPD. ({1}) Dann ist man bei der Opposition natürlich gefragt; man muss was tun. Dann fängt man an, Anträge zu schreiben. Aber ich sage Ihnen: Auch dieser Antrag wird Ihnen nicht helfen. ({2}) Sie fordern ernsthaft, den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken zu prüfen. Da waren Sie schon mal weiter. Auch das DIW, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, hat 2019 noch mal bekräftigt: Atomkraft war nie eine saubere und kostengünstige Energiequelle und wird es auch nicht sein. ({3}) Sie fordern auch eine Neuauflage des Freihandelsabkommen TTIP, das es Unternehmen ermöglicht, vermeintlich entgangene Gewinne einzuklagen, in dem aber Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte gar keine Rolle spielen. Zu weiten Teilen des Antrags kann man sagen: Liebe CDU/CSU, die 90er-Jahre haben sich gemeldet; Sie hätten gern Ihre wirtschaftliche Programmatik zurück. ({4}) Gute und fortschrittliche Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik muss zusammengedacht werden. Obwohl Ihr Antrag die Beschäftigten im Titel trägt, kommen sie de facto in Ihrem Antrag gar nicht vor. ({5}) Wir aber wissen: Der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens hängt maßgeblich von seinen Beschäftigten ab. Deswegen haben wir – auch das findet keine Erwähnung – die Sonderregelungen zum Kurzarbeitergeld verlängert. Aber der erleichterte Zugang, der erhöhte Leistungssatz, die längere Bezugsdauer, die Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen, die Einbeziehung der Leiharbeit, all das ist Ihnen keine Erwähnung wert, obwohl das die Kriseninstrumente schlechthin waren. 8 Millionen Menschen wurde so der Arbeitsplatz gerettet. Und wir haben – Herr Brehm hat es angesprochen – auch den Unternehmen geholfen, die Liquiditätsengpässe zu überwinden. Aber auch das findet keine Erwähnung, ebenso wenig wie die Tatsache, dass das ein internationales Vorbild für andere war: Frankreich, Großbritannien, die USA haben das Modell des Kurzarbeitergeldes kopiert. Es war schon 2009 der Garant für das deutsche Jobwunder. All das findet keine Erwähnung. ({6}) Das ist der Grund, warum die Menschen mittlerweile mehr Vertrauen in unsere Wirtschaftspolitik haben als in Ihre. Für uns ist klar: Gute Arbeitsmarktpolitik ist gute Wirtschaftspolitik; beides geht nur zusammen. ({7}) Für uns zählt der Erhalt von Arbeitsplätzen; für uns ist eine gute Lohnentwicklung wichtig. Gerade wenn es Exportprobleme gibt, wenn wir konjunkturelle Flauten haben, ist es wichtig, die Binnennachfrage zu stärken. ({8}) Deswegen gilt für uns: Die Wirtschaft dient in erster Linie den Menschen und nicht umgekehrt. ({9}) Das werden wir auch gleich bei der Beratung des Gesetzentwurfs zur Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro sehen. Wenn Sie uns unterstützen möchten, die Binnennachfrage zu stärken und gute Wirtschaftspolitik zu machen, ({10}) dann stimmen Sie diesem Gesetzentwurf gleich zu! Mit den vorhandenen Wirtschaftshilfen, die hier schon erwähnt wurden, dem Kurzarbeitergeld und dem Mindestlohn sichern wir Arbeitsplätze, helfen den Unternehmen in Deutschland, stärken die Binnennachfrage und bringen unser Land durch die Krise. Herzlichen Dank. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Peick. – Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erhält das Wort der Kollege Felix Banaszak, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Felix Banaszak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005016, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Durz, Sie haben einen großen amerikanischen Politstrategen zitiert. Ich möchte Ihnen das Zitat eines großen Sozialdemokraten entgegenhalten: „Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit.“ ({0}) Was Sie hier heute dargestellt haben – auch Sie, Herr Brehm –, nämlich dass es Entlastungen nur für die Bürgerinnen und Bürger, aber nicht für die Unternehmen geben würde, hat mit der Realität schlicht nichts zu tun; der Parlamentarische Staatssekretär und viele andere haben das ausgeführt. Als ich mir Ihren Antrag angeschaut habe, habe ich mich ein bisschen in eine Autofahrt zurückversetzt gefühlt, bei der im Hintergrund Hitradio 99 von laut.fm läuft: Das Beste aus den 80ern, 90ern und die Superhits von heute. – Das ist aber nicht das, was wir brauchen. ({1}) – Die Superhits von heute, genau. Ich will nur ein paar Dinge aus Ihrem Antrag exemplarisch darstellen – der Kollege Roloff hat auch einiges angesprochen –: ein Belastungsmoratorium, also das Außerkraftsetzen sämtlicher Belastungen durch Regulierungen wie die von Lieferketten – all das würde jetzt gerade nicht gehen –, der Rohrkrepierer TTIP als die Verheißung einer großartigen Zukunft. Sie müssen mir mal erklären, wie in der aktuellen Situation das, was Sie schon immer gefordert haben – die Arbeitszeitregulierung einzuschränken und es Betrieben zu ermöglichen, einfach die tägliche durch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit zu ersetzen – helfen soll, Lieferkettenproblematiken, Produktionsengpässe, Produktionsrückführungen und Energiepreisproblematiken zu bekämpfen. Das hat doch mit der Realität schlicht nichts zu tun. ({2}) Ich habe mich über einen Satz in Ihrem Antrag gefreut: Entscheidend ist einerseits, die aktuellen Krisen zu überwinden, und andererseits, die wirtschaftspolitischen Weichen entschlossen auf Leistungsfähigkeit, Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu stellen. Ein guter Satz. Nur, daraus folgt bei Ihnen überhaupt nichts. Nada! Niente! Wenn Sie das ernst meinen, überdenken Sie bitte, ob es eine kluge Idee war, gegen den Nachtragshaushalt zu klagen, mit dem 60 Milliarden Euro genau für die Transformation, die Sie ansprechen, zur Verfügung gestellt werden sollen. Das wäre ein Beitrag dazu, dieses Land in die Zukunft zu führen. Vielen Dank. ({3})

Hubertus Heil (Minister:in)

Politiker ID: 11003142

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Am kommenden Sonntag ist der Tag der Arbeit, der 1. Mai, ein Feiertag mit wirklich stolzer Tradition, ein Tag, auf den ich mich als Arbeitsminister, aber auch ganz persönlich freue, ein Tag mit großer Tradition, an dem es aber auch um hochaktuelle Themen geht. Am Sonntag werden viele Millionen Menschen auf der Welt auf die Straße gehen, für Werte wie Frieden, für Freiheit, für soziale Gerechtigkeit und für Solidarität. Am 1. Mai geht es natürlich aber immer wieder auch um den Wert und die Würde der Arbeit. Es geht darum, meine Damen und Herren, dass Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern das bekommen, was ihnen zusteht: anständige Arbeitsbedingungen und faire Löhne. Dazu gehört eben auch die Erhöhung des Mindestlohns. ({0}) Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir sind heute hier, um eine Zusage, ein Versprechen einzulösen: Mehr Respekt! Auch dafür ist diese Bundesregierung angetreten: mehr Respekt für diejenigen, die Tag für Tag dafür sorgen, dass der Laden läuft, die Großes leisten, und das oftmals für kleines Geld. Die Rede ist ganz konkret von Verkäuferinnen, die in einer Bäckerei arbeiten, von denjenigen, die als Helferinnen und Helfer in der Landwirtschaft tätig sind, oder auch von Friseurinnen. Meine Damen und Herren, es sind gerade diese Menschen mit kleineren und normalen Einkommen, die sich schon während der Pandemie in den letzten zwei Jahren große Sorgen gemacht haben und jetzt angesichts steigender Preise besonders beunruhigt sind. Die Bundesregierung hat deswegen dafür gesorgt, dass besonders diese Menschen in der jetzigen Krise entlastet werden. Deswegen haben wir Entlastungspakete auf den Weg gebracht, um Härten abzufedern. Wir entlasten damit zum Beispiel eine Familie mit normalem Einkommen – Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer mit zwei Kindern, beide Eltern berufstätig – um mehr als 950 Euro in diesem Jahr. Hinzu kommen individuelle Entlastungen, etwa beim Strom, bei Kraftstoffen, beim Nahverkehr. Das ist Politik für soziale Stabilität in unserem Land. ({1}) Denn es kann nicht sein, dass gerade die Menschen mit den kleinen Einkommen die größten Lasten tragen. Sie brauchen unsere Solidarität. Herr Präsident, meine Damen und Herren, „mehr Respekt“ bedeutet auch, dass wir gerade jetzt das Gesetz zur Erhöhung des Mindestlohns auf den Weg bringen. Die Evaluation, also die Untersuchung, des bestehenden Mindestlohns aus dem Jahr 2020 hat uns zwei klare Botschaften mit auf den Weg gegeben. Erstens. Die Einführung des Mindestlohns ist ein Erfolgsmodell. Er hat sozialversicherungspflichtige Arbeit gesichert und höhere Löhne für rund 4 Millionen Menschen gebracht. Ich kann mich übrigens noch sehr lebhaft an die ideologischen Debatten aus der damaligen Zeit um die Einführung des Mindestlohns erinnern. Damals waren manche auf dem Plan, die den Untergang der sozialen Marktwirtschaft an die Wand gemalt haben; interessanterweise sind das auch diejenigen, die sich jetzt wieder zu Wort melden; insofern sollten sie ihre eigenen Worte erinnern. Die Wahrheit ist: Das Gegenteil ist richtig. Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns war und ist ein sozialpolitischer Meilenstein. Ich will mich auch heute noch dafür bedanken, dass meine Amtsvorgängerin Andrea Nahles das damals durchgesetzt hat. ({2}) Unser Ziel muss es in einer sozialen Marktwirtschaft doch sein, dass die, die Vollzeit arbeiten, auch davon leben können. Die zweite Botschaft dieser Evaluation aus dem Jahre 2020 war: Wir müssen dafür sorgen, dass sich der Mindestlohn angemessen weiterentwickelt. Das ist sozialpolitisch geboten, das ist sozialstaatlich geboten, auch angesichts der aktuellen Preisentwicklung, damit Millionen Menschen nicht den Anschluss an die arbeitende Mitte in diesem Land verlieren. Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist es daher wichtig, dass die Erhöhung des Mindestlohns jetzt schnell kommt. Zugleich allerdings fordern die Arbeitgeber und ihre Verbände, dass es einen hinreichenden Vorlauf dafür gibt. Ich – wie auch die Bundesregierung – bin überzeugt, dass mit dem Inkrafttreten zum 1. Oktober 2022 hier ein fairer und auch schonender Interessenausgleich gelungen ist. Klar ist auch, dass die Weiterentwicklung des Mindestlohns als Instrument des Sozialstaates eine Aufgabe des Gesetzgebers ist. Gleichzeitig will ich betonen, dass das bewährte System des sozialpartnerschaftlich verhandelten Mindestlohns damit nicht grundsätzlich infrage gestellt wird. Wir wollen es nur insoweit anpassen, wo das erforderlich ist, um für einen angemessenen Mindestschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu sorgen. ({3}) Klar ist auch, dass die Mindestlohnkommission in Zukunft weitere Anpassungen übernehmen wird. Das heißt, dass damit auch die Sozialpartnerinnen und Sozialpartner eingebunden sind. Natürlich, meine Damen und Herren, ist der Mindestlohn auch nach dieser Erhöhung immer nur eine absolute Lohnuntergrenze. ({4}) Die ist notwendig. 12 Euro – das entspricht ungefähr 60 Prozent des mittleren Einkommens in Deutschland – sind eine vernünftige Lohnuntergrenze. Aber ich sage auch: Uns als Bundesregierung reicht das nicht aus. Wir wollen wieder mehr Tarifbindung in Deutschland, und dafür werden wir auch Anreize setzen. ({5}) Deshalb bin ich froh, dass wir im Koalitionsvertrag verankert und vereinbart haben, dass beispielsweise öffentliche Aufträge des Bundes zukünftig nur an die Unternehmen gehen sollen, die nach Tarif bezahlen, meine Damen und Herren. Das ist ein konkreter Anreiz für mehr Tarifbindung. ({6}) Mit diesem Gesetzentwurf sorgen wir dafür, dass der Mindestlohn zum 1. Oktober 2022 auf 12 Euro steigt. Wer Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet, verdient bisher brutto rund 1 700 Euro, dann rund 2 100 Euro. Ich will noch mal sagen, wer vor allen Dingen davon profitiert: Millionen von Menschen, vor allen Dingen Frauen, die am Arbeitsmarkt arbeiten, die den Laden am Laufen halten, und auch sehr viele Beschäftigte in Ostdeutschland. Das ist eine Lohnerhöhung von rund 22 Prozent. Das haben wir versprochen, und wir machen das, meine Damen und Herren. ({7}) Ich sage das gerade in diesen Zeiten. Wir haben am heutigen Vormittag zu Recht über Frieden und äußere Sicherheit gesprochen. Aber das ist kein Gegensatz zu sozialer Stabilität im Inneren. Im Gegenteil, meine Damen und Herren: Äußere Sicherheit und innerer sozialer Frieden sind zwei Seiten einer Medaille. Deshalb geht es nicht um Krisenmanagement oder sozialen Fortschritt; wir müssen beides schaffen in Deutschland. ({8}) Unser Sozialstaat, meine Damen und Herren, und auch unsere soziale Marktwirtschaft sind stark. Der Sozialstaat sorgt für verlässlichen Schutz und gesellschaftlichen Zusammenhalt, gerade auch in Zeiten der Krise. Unser Ziel – und dafür leistet die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro einen wichtigen Beitrag – ist und bleibt ein starkes und ein faires Deutschland. Herzlichen Dank. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Minister Heil. – Nächster Redner ist der Kollege Stephan Stracke, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unter Führung der Union in der Kanzlerschaft von Angela Merkel haben wir den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland zum 1. Januar 2015 eingeführt. ({0}) Wir haben dies in dem Bewusstsein getan, dass gute Arbeit in Deutschland auch fair entlohnt werden muss. Dort, wo der tarifvertragliche Schutz nicht oder nicht hinreichend ausgebildet ist, braucht es eine angemessene Lohnuntergrenze, um zu verhindern, dass der Wettbewerb zwischen Unternehmen auf dem Rücken von Beschäftigten ausgetragen wird. Wir wollen auch dafür sorgen, dass man von dem Lohn tatsächlich leben kann. ({1}) Der Mindestlohn hat sich bewährt. Durch die Beschlüsse der Mindestlohnkommission liegt die Höhe des Mindestlohns aktuell bei 9,82 Euro; sie steigt zum 1. Juli dieses Jahres weiter an auf 10,45 Euro, ({2}) und nun soll der Mindestlohn auf 12 Euro erhöht werden. Dies erfolgt nicht auf der Grundlage der Beschlüsse der Mindestlohnkommission, sondern durch eine politische Setzung des Gesetzgebers. Ich will an dieser Stelle ganz klar sagen: Ein Mindestlohn von 12 Euro ist angemessen, und er ist richtig. ({3}) 12 Euro sind eine wichtige Unterstützung von Menschen mit geringen Einkommen. ({4}) 6 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer profitieren davon. ({5}) Der Minister hat darauf hingewiesen: Es sind überwiegend Frauen. Sie sind es ja, die infolge von Mehrfachbelastungen, der Schwierigkeit, Familie und Beruf in Einklang zu bringen, häufiger im Niedriglohnbereich beschäftigt sind und deshalb auch niedrige Renten haben. Zugleich bleibt aber auch der Hinweis richtig, dass wir in einer sozialen Marktwirtschaft wie der unsrigen keine politische Lohnfindung wollen; ({6}) das lehnen wir ab. ({7}) Ein Überbietungswettbewerb bei der Höhe von Löhnen, meistens ja dann zu Wahlkampfzeiten vorgetragen, ist brandgefährlich. Ein solcher Wettbewerb schwächt die Sozialpartnerschaft. Wir brauchen jedoch starke Arbeitgeber und starke Gewerkschaften, und wir dürfen sie nicht beschädigen. Letztendlich würde ein solcher Überbietungswettbewerb, wenn er auf Dauer ausgetragen würde, zulasten der Schwächsten am Arbeitsmarkt gehen. ({8}) Denn sie sind es, die letztendlich durch neue Barrieren am Eintritt in den Arbeitsmarkt gehindert werden. Wir brauchen jedoch nicht neue Hürden, sondern weniger. Wir wollen auch, dass der erhöhte Mindestlohn von 12 Euro tatsächlich bei den Menschen ankommt, und zwar dauerhaft. Für eine vollzeitbeschäftigte Arbeitskraft mit 40 Stunden beispielsweise bedeutet die Erhöhung ein Einkommensplus von brutto 270 Euro. Sie verdient rund 15 Prozent mehr als bei einer Mindestlohnhöhe von 10,45 Euro, muss aber 48 Prozent mehr Steuern zahlen. Im Verhältnis muss sie also mehr Steuern zahlen als vorher. Ursache dafür ist die Gestaltung des Steuertarifs; wir nennen das auch „kalte Progression“. Die kalte Progression müssen wir in diesem Bereich verhindern, damit die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro tatsächlich bei den Menschen ankommt. ({9}) Die kalten, klammen Hände des Bundesfinanzministers dürfen sich nicht tief in die Taschen der Geringverdiener hineingraben. Hier ist die Bundesregierung gefordert, ({10}) aktiv zu werden, den Effekt der kalten Progression abzumildern. Das bleiben Sie aber schuldig. Wir brauchen mehr Netto vom Brutto. An dieser Stelle liefert die Bundesregierung nicht, und das ist etwas, was wir bemängeln und auch klarmachen. ({11}) Ein zweiter Effekt, der hinzukommt, ist der der steigenden Sozialbeiträge. Die Entwicklung der Abgabenlast kennt bei dieser Koalition absehbar nur eine Richtung, und zwar die nach oben. Bei der Krankenversicherung – es fehlen rund 17 Milliarden Euro für 2023 –, bei der Pflegeversicherung – auch da ein Defizit –, bei der Rente und bei der Arbeitslosenversicherung sind Erhöhungen entsprechend angekündigt. Es droht auf der ganzen Breite ein Beitragssatztsunami. Auch hier ist die Bundesregierung gefordert, die Sozialbeiträge stabil zu halten; denn sie sind es letztendlich, die in besonderem Maße Geringverdiener belasten. ({12}) Wir als Union haben dies mit unserer Sozialgarantie von 40 Prozent gemacht. Diese Koalition bleibt diesen Ansatz schuldig. ({13}) Ein dritter Effekt kommt hinzu. Das ist der massive Kaufkraftverlust, den wir derzeit erfahren: 7 Prozent in diesem Monat. ({14}) Das merken wir bei den Grundnahrungsmitteln, bei den Spritpreisen, bei den Heizkosten. Auch das belastet natürlich gerade Bezieherinnen und Bezieher von geringen Einkommen in massiver Art und Weise. Auch da muss diese Koalition mehr tun, als sie es tatsächlich macht. ({15}) Und auch hier ist der Ansatz wieder die Steuer. Hier können Sie zeigen, dass Sie tatsächlich dafür Sorge tragen, dass die Erhöhung auf 12 Euro Mindestlohn bei den Menschen ankommt. ({16}) Von der Mindestlohnerhöhung sollen auch diejenigen profitieren, die in einem Minijob beschäftigt sind. Es ist richtig, dass dies getan wird. Nötig und richtig ist auch, dass dies dynamisiert wird. Sie gehen auch eine Teilzeitfalle an, nämlich den Übergang zwischen Minijob und Midijob. Aber das, was Sie tun, ist nicht die Lösung. Auch da müssen Sie an das Steuerrecht heran, um die Teilzeitfalle tatsächlich wirksam zu beseitigen. ({17})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege.

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es bleibt für diese Koalition viel zu tun, um es richtig zu machen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Stracke. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Frank Bsirske, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Frank Bsirske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005034, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Abgeordnete! Erinnern wir uns: Bevor 2015 eine gesetzliche Lohnuntergrenze eingezogen wurde, befanden sich die Löhne in vielen Bereichen auf einer Rutschbahn nach unten, begünstigt durch eine sinkende Tarifbindung. Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden ohne Tarifbindung und das Ausscheren vieler Unternehmen aus Tarifverträgen führten dazu, dass immer mehr Menschen, statt von Tarifverträgen geschützt zu sein, sich mit der Rückkehr von Unsicherheit konfrontiert sahen: damit, das eigene Leben in Zeiten prekärer Arbeitsverhältnisse nicht mehr wirklich planen zu können, damit, von Armut bedroht zu sein, obwohl sie arbeiteten – arbeitende Armut eben. Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns war ein wichtiger Schritt, dem entgegenzutreten. Es war eine Reaktion auf die anhaltend rückläufige Tarifbindung und entsprach dem Willen der großen Mehrheit der Menschen in unserem Land, die nämlich nicht in einer Gesellschaft leben wollen, in der Arbeit armmacht und entwürdigt. ({0}) Mit dem Mindestlohn ist klargestellt worden, dass es rote Linien gibt, die zu überschreiten politisch nicht zugelassen werden soll, genauso wie es seinerzeit ein US-Präsident – Franklin Delano Roosevelt – auf den Punkt gebracht hat, als er bei der Einführung des nationalen gesetzlichen Mindestlohns sagte – Zitat –: Unternehmen, deren Existenz lediglich davon abhängt, ihren Beschäftigten weniger als einen zum Leben ausreichenden Lohn zu zahlen, sollen in diesem Land kein Recht mehr haben, weiter ihre Geschäfte zu betreiben. ({1}) Wenn wir heute, sieben Jahre nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland, schauen, wo wir stehen, so müssen wir feststellen: Deutschland befindet sich im langfristigen EU-Vergleich weit abgeschlagen auf einem der letzten Plätze. Der Mindestlohn ist seit seiner Einführung um nur 15,5 Prozent gestiegen. Da bleibt nach Abzug der Inflation nur eine reale Steigerung von weniger als 1 Prozent pro Jahr. Dem wollen wir nicht länger zuschauen. ({2}) Mit der Anhebung auf 12 Euro bringen wir den deutschen Mindestlohn in die Nähe des auch von der EU‑Kommission für notwendig gehaltenen Richtwerts von 60 Prozent des Medianlohns – jenseits der Armutsgefährdung – und verbessern so die Entlohnung von rund 6 Millionen Menschen in unserem Land. Das hilft gerade jetzt vielen angesichts steigender Preise, die die Menschen mit niedrigen Einkommen ja besonders hart treffen. Von der Anhebung profitieren insbesondere Menschen in den neuen Bundesländern und vor allem auch Frauen; denn sie haben doch ein doppelt so hohes Risiko wie Männer, zu Löhnen unterhalb von 12 Euro zu arbeiten. Es ist durchaus bemerkenswert, wie jetzt darauf reagiert wird. Dieselben Arbeitgeberverbandsfunktionäre, die sich öffentlich – wie in der Mindestlohnkommission – stets gegen deutliche Anhebungen des Mindestlohns gesträubt haben, erklären nun, das Problem sei ja gar nicht die Höhe von 12 Euro – die sei durchaus vertretbar –, das Problem sei, dass der Schritt politisch beschlossen werden solle. Das sind dieselben Leute, die seit vielen Jahren die Augen davor verschließen, dass die Tarifbindung kontinuierlich sinkt: von rund 85 Prozent Anfang der 90er-Jahre auf knapp 50 Prozent heute. Das sind dieselben Leute, die OT‑Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden kultivieren und bestens damit klarkommen, dass Tarifunterbietung zum Zwecke zusätzlicher Profite und höherer Dividenden längst auch in der Beletage deutscher Unternehmen angekommen ist, wie zum Beispiel in der hochprofitablen Wohnungswirtschaft. ({3}) Zur weiteren Deregulierung braucht man bei einer solchen Ausgangslage keine neuen Gesetze mehr. Staatliches Nichtstun reicht vollkommen aus. Dann könnte sich die Tarifautonomie in Teilen der Wirtschaft von selbst erledigen – wenn nicht gegengesteuert wird. Dazu aber – gegenzusteuern – sind wir fest entschlossen. ({4}) Ein höherer Mindestlohn ist notwendig, reicht aber nicht aus; denn das wirkungsvollste Instrument, um die Ungleichheit der Markteinkommen zu verringern, ist und bleibt eine höhere und eine hohe Tarifbindung. ({5}) Dazu werden wir ein Bundestariftreuegesetz erlassen, die kollektive Nachwirkung von Tarifverträgen im Verbund mit den Unternehmen festschreiben und weitere Schritte prüfen. Denn ohne die Stärkung des Tarifsystems, ohne die Festigung der Bindungskraft von Tarifverträgen wird sich die Ungleichheit in der Einkommensverteilung weiter verfestigen oder sogar noch erhöhen. Ist es nun mit Risiken verbunden, den Mindestlohn in einem Schritt auf 12 Euro anzuheben? Schritte wie dieser haben nirgendwo zu relevanten negativen Konsequenzen für den Arbeitsmarkt geführt. In Großbritannien zum Beispiel ist der Mindestlohn bereits auf 60 Prozent des Medianlohns angehoben worden und soll bis 2024 weiter auf 66 Prozent erhöht werden. Die Anhebung auf 12 Euro ist deshalb auch ein Signal in Richtung Mindestlohnkommission, den Mindestlohn mutig weiterzuentwickeln, dafür zu sorgen, dass er nicht wieder unter 60 Prozent des Medians fällt, dafür zu sorgen, dass der Mindestlohn für eine auskömmliche Rente reicht. ({6}) Da sind wir nicht, auch nicht mit 12 Euro; aber da sollten wir hin. Dass dies erreicht wird, dass es gelingt, die Tarifbindung wieder zu erhöhen, ist zentral, um faire Entlohnungsbedingungen für alle Menschen in unserem Land in einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft zu ermöglichen, in der Arbeit nicht armmacht und nicht entwürdigt. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Bsirske. – Nächster Redner ist der Abgeordnete Jürgen Pohl, AfD-Fraktion. ({0})

Jürgen Pohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004856, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist die erste Aufgabe und Pflicht der Opposition, wenn nötig, Wasser in den Wein zu gießen und die Wahrheit auszusprechen. Der vorliegende Entwurf des Mindestlohnerhöhungsgesetzes ist zuvörderst ein Wahlgeschenk, ein Wahlversprechen, das aber in einer gänzlich anderen Zeit abgegeben wurde. Heute leben wir in der seit der Wiedervereinigung höchsten Inflationsrate von bald 10 Prozent. Diese Inflation raubt Normalverdienern und Rentnern im Land die mühsam erarbeitete Existenzgrundlage. Warum handeln wir am Mindestlohngesetz vorbei? Warum tagt trotz grassierender Inflation die Mindestlohnkommission nicht? Im Juni 2020 war die letzte Tagung. Seit dieser Zeit wird die Teuerung konsequent ignoriert. Meine Damen und Herren, der bisher stärkste Mindestlohnstieg um satte 22 Prozent wird in Zeiten einer rasant kletternden Inflation alsbald von der Teuerung aufgefressen. Zwar ist die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohnes auf 12 Euro pro Arbeitsstunde grundsätzlich zu begrüßen, doch wir wissen seit einer Anfrage der nunmehr zerfallenden Linksfraktion aus dem Jahr 2018, dass rein rechnerisch ein Mindestlohn von 12,63 Euro nötig ist, um eine Altersrente oberhalb der Grundsicherung zu gewährleisten. Demnach garantiert die in Rede stehende Mindestlohnerhöhung nicht einmal einen Schutz vor Altersarmut, was scharf zu kritisieren ist. ({0}) Somit fällt das Wahlgeschenk für rund 6 Millionen Beschäftigte dann doch nicht so generös aus, wie es uns die Ampelkoalitionäre und die Parteizentralen weismachen wollen. Eigentlich ist es schlimmer, meine Damen und Herren. Wie das DIW zutreffend feststellt, sind die von Armut betroffenen Haushalte nicht die, die vom Mindestlohn profitieren, weil der Effekt des Mindestlohns als Instrument zur Bekämpfung von Familienarmut sehr begrenzt ist. Die gegenwärtige Inflation trifft die Armen ungleich härter als die reichen Bevölkerungsgruppen. So weiß der Armutsforscher Professor Butterwegge – ich zitiere –: Wer mehr als 5.000 Euro netto im Monat verdient, den bringt es nicht um, wenn seine Lebenshaltungskosten um 4,8 Prozent steigen. Einen Paketboten in München mit 1 300 Euro netto machten um 4,8 Prozent höhere Preise aber noch ärmer. – Da ging es noch um 4,8 Prozent. Zur Erinnerung: Wir stehen jetzt bei 7,3 Prozent Inflation. Empirische Analysen des DIW zeigen, dass der Anstieg des Mindestlohnes für viele Beschäftigte, vor allen Dingen in Minijobs oder in Teilzeit, mit einem Rückgang der Arbeitsstunden einhergeht. Daher übersetzt sich das Wachstum des Stundenlohnes nicht unmittelbar in ein Wachstum des Monatseinkommens; alle Sozialpolitiker dieses Hauses wissen das. Kurzum, die bloße Erhöhung des Mindestlohns löst nicht die Probleme des deutschen Arbeitnehmers. ({1}) Diese Probleme liegen tiefer und sind grundsätzlicher Natur. Der gesetzliche Mindestlohn ist doch nur Ausdruck der Krise des Sozialstaates sowie eines völlig maroden Lohngefüges. Dass wir heute mit den Mindestlöhnen Systemkosmetik betreiben, hat eigentlich seine Ursache in den unsäglichen Lohnzurückhaltungen der letzten Jahre. Unseren unsozialen Sozialdemokraten – unter dem nun nicht mehr geliebten Kanzler Schröder – und den abgehobenen Grünen, den Gestaltern von Hartz IV, denen haben wir dieses Elend zu verdanken. ({2}) Die politisch gewollte Lohnzurückhaltung, also das Nichtausschöpfen des Verteilungsspielraums aus Produktivitätszuwächsen, kostete nicht nur Lohn, sondern auch Hunderttausende von Arbeitsplätzen. Das sind verschenkte Wachstums- und Wohlstandschancen in Deutschland. Wenn man solche Chancen verschenkt, dann braucht man nämlich einen Mindestlohn. Die auf das Konto von Rot-Grün gehende brutale Deregulierung des Arbeitsmarktes unter Hartz IV führte, wie wir heute wissen, zu einem dramatischen Anstieg von prekären Beschäftigungsverhältnissen und Leiharbeit – meistens zu Hungerlöhnen –, zu einer massiven Ausweitung von Teilzeit- bzw. befristeten Jobs. Da liegt der Hase im Pfeffer. Alle Maßnahmen zur Lohnerhöhung werden durch die neuerliche Ausweitung atypischer Arbeitsverhältnisse konterkariert. Das ist genau der Punkt, wo wir als AfD ansetzen wollen. Der AfD als soziale Volkspartei – – ({3}) – Lachen Sie weiter! Ihre Wähler da oben – das hatte ich Ihnen in der letzten Legislatur erklärt –, die schauen alle zu. ({4}) Wir wollen auch was tun für die Arbeitnehmer. Lachen Sie weiter! ({5}) Das ist genau der Punkt, wo wir als AfD ansetzen, als soziale Volkspartei, ({6}) die sich um die Belange der Arbeitnehmer und der Steuerzahler kümmert. Drei Dinge sind für uns unverhandelbar. Erstens. Man muss von seiner Arbeit leben können. Zweitens. Man muss von seiner Arbeit eine Familie gründen können. Drittens. Man muss diese Familie auch ernähren können. ({7}) Ziel der AfD ist es, mit einer soliden Wirtschafts- und Sozialpolitik Mindestlöhne endlich überflüssig werden zu lassen. Wir brauchen den Wohlstandslohn zum Wohle der Arbeitnehmer und der Familien. Unter diesen Aspekten stimmen wir der Überweisung in den Ausschuss zu. Danke schön. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Pohl. – Nächster Redner ist der Kollege Pascal Kober, FDP-Fraktion. ({0})

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach neun Jahren Stillstand, nach neun Jahren – quasi – Zementdeckel auf der Minijobgrenze wird nun endlich einmal die Minijobgrenze erhöht. ({0}) Das ist eine gute Nachricht für 6,2 Millionen Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, die in einem Minijob arbeiten. Zum ersten Mal wieder seit 23 Jahren wird die Minijobgrenze dynamisiert. Seit 1999 war sie starr, festgeschrieben; sie wurde das letzte Mal während der Regierungsbeteiligung der FDP 2013 auf 450 Euro erhöht. Damit hören wir jetzt auf. Wir werden sie wieder dynamisieren. ({1}) Das wird dazu führen, dass alle, die arbeiten, auch wirklich bei Lohnerhöhungen mehr Geld in der Tasche haben können. Denn bisher ist es ja so, dass bei einer Erhöhung des Lohns die Minijobberinnen und Minijobber ihre Arbeitszeit reduzieren müssen, um nicht über die Grenze zu kommen. Das ist ungerecht, und hier schaffen wir mehr Gerechtigkeit. ({2}) So werden wir die Minijobgrenze künftig für eine Wochenarbeitszeit von zehn Stunden berechnen. Bei durchschnittlich 4 ⅓ Wochen pro Monat macht das bei der Erhöhung des Mindestlohns im ersten Schritt 520 Euro. Künftig wird dieser Betrag mit jeder Mindestlohnerhöhung ansteigen. Das ist ganz besonders wichtig für die 850 000 Minijobberinnen und Minijobber, die in einem Mindestlohnarbeitsverhältnis arbeiten. ({3}) Ich weiß, Herr Bundesminister, ich weiß, liebe Koalitionspartner, das war nicht Ihr allererster Wunsch; ({4}) aber das ist die Stärke dieser Koalition, dass wir eben Fortschritt ermöglichen, indem wir Kompromisse schließen. Ich bin dankbar dafür, dass das möglich war, weil uns das wichtig war. Dafür haben wir am Ende gemeinsam gekämpft. ({5}) Gerade viele Minijobberinnen und Minijobber wurden von der Pandemie ganz besonders hart getroffen, weil ihre Arbeitsverhältnisse von Einschränkungen betroffen waren, beispielsweise in der Gastronomie. Auch für sie ist das jetzt zumindest eine kleine Möglichkeit, verlorenes Einkommen nachträglich wiedergutzumachen. Darüber freuen wir uns. Das ist auch ein gutes Zeichen. ({6}) Letzten Endes profitieren wir alle von den Minijobberinnen und Minijobbern: Die morgendliche Zeitung, das Sonntagsbrötchen beim Bäcker, der Besuch im Biergarten, all das wäre ohne Minijobs kaum möglich. Wir alle profitieren von den Minijobs, ({7}) weil die Angebote in vielen Fällen nur deshalb gemacht werden können, weil es die Motivation von Menschen gibt, speziell in einem Minijob zu arbeiten. Ohne sie wäre vieles in unserer Gesellschaft nicht möglich. Auch deshalb ist das eine wichtige Lösung, die wir hier anstreben. ({8}) Es sind 3,5 Millionen Unternehmen in Deutschland, die mindestens einen Minijobber beschäftigen. Das sind Schüler, die beispielsweise über das Austragen von Zeitungen ihr Taschengeld aufbessern. Das sind Studierende, die uns beispielsweise durch die Arbeit in einer Bäckerei und vor allen Dingen in der Gastronomie unsere Freizeit ermöglichen und sich damit etwas für das Studium dazuverdienen. Oder denken Sie an die vielen Rentnerinnen und Rentner, die nicht mit einem Schlag aus dem Erwerbsleben aussteigen wollen. Eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat ergeben, dass 90 Prozent derjenigen, die im Alter nach Renteneintritt noch arbeiten, dies tun, weil sie Freude an der Arbeit haben, weil sie schrittweise aussteigen wollen, weil sie Kollegen haben wollen und weil sie noch einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen wollen, zumindest in Teilzeit. ({9}) Auch für sie ist es jetzt möglich, von Lohnerhöhungen zu profitieren. Ja, es gibt sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – gerade auch im Handwerk –, die einen Minijob ganz bewusst auch als eine Freizeitbeschäftigung ausüben, die motiviert sind, das zu tun, weil es da Euros gibt, brutto für netto. Das ist wahrscheinlich die Motivation, weswegen wir es ermöglichen können, dass dringend benötigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Handwerk gefunden werden können. Auch für sie ist diese Lohnerhöhung in Zukunft eine tolle Sache. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Schritt war längst überfällig. Jetzt ist er vollzogen worden, mit dieser Koalition. Ich danke allen, die daran mitgewirkt haben, und freue mich auf die weiteren Beratungen. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Kober. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Susanne Ferschl für die Fraktion Die Linke.

Susanne Ferschl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister! Was Die Linke seit Jahren fordert, wird jetzt Realität: Der Mindestlohn wird auf 12 Euro erhöht. Das ist eine sehr gute Nachricht für Millionen von Beschäftigten, und das begrüßen und unterstützen wir natürlich ausdrücklich. ({0}) Wir haben natürlich auch Kritik, zum Beispiel, dass jungen Menschen ohne Berufsausbildung oder Langzeitarbeitslosen oder Menschen mit Behinderung in Werkstätten auch weiterhin der Mindestlohn vorenthalten wird. Aber die dickste Kröte in Ihrem Gesetzentwurf – dazu haben Sie gar nichts gesagt, Herr Minister – ist: Die 12 Euro gibt es nur bei einer gleichzeitigen Ausweitung der Minijobs, also von Jobs, von denen man nicht leben kann. Das ist ein ganz, ganz schmutziger Deal, den Sie da in der Bundesregierung gemacht haben, meine Damen und Herren! ({1}) Nicht nur wir lehnen das ab, wie die Onlinepetition von Verdi und auch die Positionierungen der Gewerkschaften innerhalb des DGB zeigen. Selbstverständlich wird das auch auf den Kundgebungen am 1. Mai ein Thema sein. Insbesondere Grüne und SPD wissen doch ganz genau, dass Minijobs ein Paradebeispiel für prekäre Beschäftigung sind. Nicht umsonst waren Sie, Grüne und SPD, vor der Bundestagswahl noch für eine massive Eindämmung. Gute Gründe dafür gibt es genug: Minijobbende sind nicht sozial abgesichert. Sie haben weder Anspruch auf Kurzarbeitergeld noch auf Arbeitslosen- oder Krankengeld. Sie erwerben kaum Rentenansprüche, und betroffen davon sind insbesondere Frauen. ({2}) Das ifo-Institut hat erst letzte Woche bestätigt, dass sich durch Ihr Gesetz die Teilzeitfalle für Frauen verschärfen wird. Sie verursachen also auch noch ein gleichstellungspolitisches Desaster. Das ist völlig inakzeptabel! ({3}) Minijobbende sind fast immer Beschäftigte zweiter Klasse: tarifliche Bezahlung, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaub usw. – meistens Fehlanzeige. Diese Aufzählung könnte ich als langjährige Betriebsrätin noch eine ganze Weile weiterführen. Aber was dem Ganzen wirklich die Krone aufsetzt, ist, dass Sie durch diese Regelung die Erhöhung des Mindestlohns konterkarieren. Denn Minijobs ohne tagesaktuelle und ohne manipulationssichere Arbeitszeitaufzeichnungen sind – das stimmt schon – das Haupteinfallstor für Mindestlohnbetrug. Aktuell werden schon 2,5 Millionen Beschäftigte um ihren Lohn betrogen. Das ist doch Wahnsinn! ({4}) Sie ziehen bei den Kontrollen zum Mindestlohn nicht alle Register. Auch hier sehen wir großen Nachholbedarf. Die Regelung zur Arbeitszeitaufzeichnung beispielsweise stand im Referentenentwurf noch drin und wurde ganz offensichtlich auf Wunsch der FDP gestrichen. Man könnte fast meinen, dass dieser Lohnraub an den Beschäftigten nicht nur billigend, sondern auch vorsätzlich in Kauf genommen wird. Das ist Teil des schmutzigen Deals, und das ist schäbig, meine Damen und Herren. ({5}) Schäbig – das sei an der Stelle auch erwähnt – ist auch das Verhalten der Arbeitgeber, die die ganze Zeit den Fachkräftemangel bejammern und jetzt juristisch gegen die Mindestlohnerhöhung vorgehen wollen. Sie als Bundesregierung könnten hier Abhilfe schaffen: Weiten Sie prekäre Beschäftigung nicht aus, sondern dämmen Sie sie ein; das hilft nämlich gegen den Fachkräftemangel. ({6}) Schützen Sie Beschäftigte und die sozialen Sicherungssysteme. Jede Stunde Arbeit muss sozialversicherungspflichtig sein, und das will laut einer Umfrage des DGB auch die Mehrheit der Befragten. Noch haben Sie die Chance, diese Kröte aus dem Gesetzentwurf wieder herauszustreichen. Sie haben uns bei der Erhöhung des Mindestlohns voll und ganz an Ihrer Seite; aber die Ausweitung von Minijobs lehnen wir strikt ab. Vielen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Ferschl. – Nächster Redner ist der Kollege Bernd Rützel, SPD-Fraktion. ({0})

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Trotz aller Herausforderungen durch Putins Krieg in der Ukraine ist es wichtig, dass wir unsere Aufgaben, die wir uns vor dem 24. Februar dieses Jahres vorgenommen haben, weiterhin beackern. Äußere Sicherheit und innere Sicherheit sind genauso wichtig wie soziale Sicherheit, und deswegen erhöhen wir den Mindestlohn zum 1. Oktober auf 12 Euro. ({0}) 6,2 Millionen Menschen profitieren davon. Wir begegnen ihnen täglich, wir kennen sie: Es ist die Verkäuferin in der Bäckerei. Es ist der Reiniger, der die Büros, die Bahnen und die Busse saubermacht. Hubertus Heil, unser Minister, hat ganz viele Beispiele genannt: die Friseurin, die Boten, die uns die Pakete liefern, usw. All das sind die Menschen, denen wir Respekt zollen müssen, denen wir dankbar sein müssen, dass unser Leben, so wie wir es kennen, läuft. Das sind die Menschen, die früh aufstehen, die abends noch tätig sind, die in der Nachtschicht sind, die hart arbeiten. Und: Wer Vollzeit arbeitet, muss von seinem Lohn leben können. ({1}) Das ist ein wichtiger Vorsatz, nicht nur des amerikanischen Präsidenten, sondern auch von Päpsten. Der Mindestlohn ist aber kein Normallohn. Er ist eine Lohnuntergrenze, und alles, was darunter liegt, ist sittenwidrig. Lieber Kollege Stephan Stracke, meine erste Rede im Deutschen Bundestag hatte ich zum Mindestlohn gehalten. Seitdem haben wir uns häufig damit auseinandergesetzt und beschäftigt. Ich kann mich an vieles erinnern. Ich kann mich auch daran erinnern, dass 2014 die CSU in ganz Bayern noch gegen den Mindestlohn plakatiert hat. Es hat nichts genutzt. Ich bin sehr froh, dass heute das ganze Haus glücklich ist über diese Erfolgsgeschichte des Mindestlohnes und auch nicht mehr über die Höhe des Mindestlohnes diskutiert. Ja, wenn es am Ende 400 Euro mehr „Cash in the Täsch“ gibt, dann muss man natürlich auch mehr Steuern bezahlen. Und dann kommen auch 700 Millionen Euro mehr in die Sozialkassen hinein, die wiederum unser System stützen. Deswegen ist der Mindestlohn insgesamt absolut notwendig und ein Erfolgsmodell. ({2}) Aber der Mindestlohn ist ein Mindeststandard. Er ist kein Goldstandard. Der Goldstandard sind Tarifverträge, und der Goldstandard sind sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen. Das ist das, was man anstreben sollte. ({3}) Auch mit dem neuen Mindestlohn lassen sich keine großen Sprünge machen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Aber es geht um Respekt, und es geht hauptsächlich darum, dass viele Frauen in diesen Berufen beschäftigt sind. Es ist nämlich eine Frage der Gleichberechtigung, dass man die Erhöhung des Mindestlohns gerade bei Frauen durchsetzt, die in Dienstleistungsberufen tätig sind. Das ist dringend notwendig. Und noch ein Satz: Die Volkswirtschaft wird produktiver. Die Kaufkraft steigt durch den Mindestlohn, weil die Leute, die jetzt die 12 Euro bekommen, dieses Geld nicht auf die Cayman Islands bringen, sondern im nächsten Geschäft ausgeben. Und deswegen ist das wichtig. ({4}) Ja, bei einem höheren Mindestlohn von dann 12 Euro profitieren auch Tariflöhne. Es gibt Tariflöhne, die knapp darüber oder sogar noch unter den 12 Euro liegen, und die kriegen dadurch noch mal einen Push. Lieber Frank Bsirske, wir haben uns diese Woche darüber unterhalten: Es gibt sehr viele Menschen, die dann auch von höheren Tariflöhnen profitieren, und das ist doch ein ganz positives Zeichen. ({5}) Über Tariflöhne spricht Yasmin Fahimi nachher, über Minijobs Annika Klose. Liebe Yasmin Fahimi, wir müssen dich gehen lassen. Du hältst heute vielleicht deine letzte Rede hier. Wenn die Delegierten des DGB-Kongresses dich wählen, dann freuen wir uns, dass du unsere nächste DGB-Chefin bist. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, trotz dieser Glückwünsche müssen Sie langsam zum Schluss kommen.

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich wünsche uns allen, dass wir diese Botschaften am 1. Mai überall hinaustragen. Einen schönen 1. Mai, Herr Präsident! ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Danke sehr, Herr Kollege Rützel. – Ich habe das richtig verstanden, dass Sie die Kollegin Fahimi lieber hierbehalten würden? ({0}) – Gut. Darüber lässt sich reden, Herr Kollege Rützel. Nächster Redner ist der Kollege Wilfried Oellers, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Wilfried Oellers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004365, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie hoch soll der gesetzliche Mindestlohn sein? Wer soll ihn bestimmen? Und wie viel soll man im Rahmen eines Minijobs auch nebenher verdienen können? Auf diese und weitere Fragen geht das durch die Bundesregierung eingebrachte Gesetz zur Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns ein. Auch wenn der Krieg in der Ukraine das bestimmende Thema dieser Tage ist, so sind auch diese Fragen wichtige Fragen der aktuellen Politik. In der derzeitigen Situation, die von Preissteigerungen geprägt ist, ist ein Lohn von mindestens 12 Euro nicht infrage zu stellen. ({0}) Schließlich geht man arbeiten, um davon das Leben zu bezahlen und um auch im Alter eine auskömmliche Rente zu haben. So einverstanden wir mit den 12 Euro sind, so umfangreich muss man allerdings die Frage diskutieren, wer eigentlich den Mindestlohn bestimmen soll. Bei der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns war sich die damalige Große Koalition einig darüber, dass es ein einmaliger Eingriff in die ureigenste Aufgabe der Tarifpartner sein sollte, die Lohnfindung zu gestalten. Selbst Andrea Nahles hat dies damals als Arbeitsministerin ganz deutlich gesagt. Die Große Koalition war sich auch einig darüber, dass ab Inkrafttreten des gesetzlichen Mindestlohns die Weiterentwicklung letztlich in die Verantwortung der Mindestlohnkommission und damit in die Hände der Tarifpartner gelegt werden soll, weil nämlich gerade die Tarifpartnerschaft, die ja in allen Reden hochgehalten wird, in der Mindestlohnkommission im Ergebnis auch praktiziert und gelebt wird. Daher sollte die Weiterentwicklung des Mindestlohns auch dort verortet sein und nicht hier im Parlament. Die Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns muss allerdings auch entsprechend kontrolliert werden und auch kontrollierbar sein. Damit komme ich zum Thema der Dokumentation. Es ist erforderlich, dass dokumentiert wird, damit kontrolliert werden kann. Allerdings jetzt den Schwellenwert von etwa 2 900 Euro auf über 4 100 Euro anzuheben, scheint doch sehr überzogen zu sein, zumal, wenn man die Berechnungen in der Begründung des Gesetzgebungstextes liest, dass man monatlich von 348 Arbeitsstunden bei 29 Arbeitstagen ausgeht. So scheint dies doch an der Realität vorbeizugehen. Es wäre richtiger, hier nicht auf bestimmte Gesamtlöhne zu setzen, sondern eher auf den eigentlichen Stundenlohn. Hier sehen wir Nachbesserungsbedarf. Aber man muss auch die Frage stellen, welche Wege es sonst noch gibt, damit die Leute mehr Geld in der Tasche haben. Das ist ja schließlich auch die Frage, die mit der Erhöhung des Mindestlohnes beantwortet werden soll. Um für mehr Geld in der Tasche zu sorgen, ist es auf der einen Seite natürlich eine Möglichkeit, zu sagen: Wir greifen hier in die Aufgabe der Mindestlohnkommission ein. – Auf der anderen Seite kann der Staat aber auch seinen Beitrag dazu leisten, indem er Abgaben und Steuern entsprechend senkt. Wir haben es in der letzten Legislaturperiode so gemacht, dass mit der Abschaffung des Solis für viele Menschen mehr Geld in der Tasche da war. Das Stichwort „kalte Progression“ hat mein Kollege Stracke eben schon angesprochen. Finanzielle Mittel dazu gibt es, weil durch die Erhöhung des Mindestlohns mehr Steuereinnahmen generiert werden und auch entsprechende Minderausgaben bei den Sozialkassen zu verzeichnen sind. Daher wird das Geld schon da sein. Gestatten Sie mir eine letzte Anmerkung zu den Inklusionsunternehmen; denn wir sollten sehen, dass die Erhöhung des Mindestlohns auch hier weitere Auswirkungen hat. Inklusionsunternehmen bekommen einen Nachteilsausgleich. Die Bescheide sind schon geschrieben und gehen über den 1. Oktober 2022 hinaus. Deswegen muss auch hier in meinen Augen im parlamentarischen Verfahren eine Lösung gefunden werden. Ich freue mich auf die Beratungen. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Oellers. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Beate Müller-Gemmeke, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste auf den Tribünen! Zwölf Jahre lang war ich in der Opposition, und jetzt können wir endlich politisch gestalten. ({0}) Das ist aber gar nicht so einfach; denn in so einer Ampel haben wir natürlich bei manchen Themen – nicht immer, aber bei manchen Themen – unterschiedliche Einschätzungen und unterschiedliche Ziele. Und dann wundert es auch nicht, dass wir das Gesetz heute auch unterschiedlich bewerten. Wenn es um die Veränderungen bei den Minijobs geht, dann sind wir Grüne nur an einer Stelle wirklich zufrieden. Einen höheren Mindestlohn hingegen fordern wir schon lange; denn jegliche Arbeit hat ihren Wert und muss deshalb fair entlohnt werden. ({1}) 12 Euro Mindestlohn, das bringt über 6 Millionen Beschäftigten ganz konkrete Verbesserungen: 3,5 Millionen Frauen werden mehr im Geldbeutel haben. Das sind immerhin 20 Prozent der weiblichen Beschäftigten. Im Bereich „Gastronomie und Hotels“ werden zwei Drittel der Beschäftigten von einem höheren Mindestlohn profitieren. Und profitieren werden auch all diejenigen, die in den Krankenhäusern das Essen ausgeben oder die Zimmer reinigen. Das ist Arbeit, die wir in Zeiten von Corona als systemrelevant bezeichnen, die aber scheinbar nichts kosten darf. Diese Zahlen machen deutlich, wie groß der Niedriglohnsektor in Deutschland ist. Es wäre falsch, das weiterhin zu ignorieren. Wir müssen hier politisch eingreifen und den Mindestlohn endlich auf 12 Euro erhöhen. ({2}) Damit wir den Mindestlohn erhöhen können, mussten wir aber bei den Koalitionsverhandlungen eine bittere Pille schlucken, und das war die Erhöhung der Minijobverdienstgrenze auf 520 Euro. ({3}) Und Kollegin Ferschl, das ist eben die harte Regierungsarbeit. Diese Regelung – und da bin ich ganz offen und ehrlich – tut richtig weh; denn wir vertreten natürlich noch immer die Auffassung, dass die Minijobs enorme Nachteile haben und dass deshalb auch kleine Jobs unbedingt sozialversicherungspflichtig sein müssten. Davon würden die Sozialversicherungen profitieren, aber vor allem die Beschäftigten und hier insbesondere die Frauen. ({4}) Deshalb ist es uns besonders wichtig, dass Minijobs für Frauen keine Teilzeitfalle sein dürfen. Minijobs dürfen auch nicht als Ersatz für reguläre Arbeitsverhältnisse missbraucht werden. Beides haben wir im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Dort steht auch, dass wir die Hürden abbauen wollen, die einen Wechsel in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erschweren. Und genau das tun wir auch: Wir erleichtern den Übergang vom Minijob zum Midijob. Diese Regelung ist wirklich richtig gut. ({5}) Diese Verbesserung ist wichtig; denn viele Frauen wollen aus dem Minijob raus und länger arbeiten. Wer heute aber den Minijobbereich verlässt und nur wenig mehr verdient, muss sofort 52 Euro in die Sozialversicherungen zahlen. Die Frauen verdienen also teilweise erst einmal weniger, obwohl sie mehr arbeiten. Und genau diese Stelle haben wir geglättet. Künftig fallen beim Wechsel in die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erst einmal gar keine Sozialabgaben an. 52 Euro dann erst bei einem Verdienst von 700 Euro. Die Belastung steigt dann ganz langsam an – bis zu einem Verdienst von 1 600 Euro. Damit schaffen wir also diese Hürde beim Übergang in reguläre Beschäftigung ab. Das ist gut und wichtig, und das war uns ein besonderes Anliegen. ({6}) Und wenn wir dann noch ein anderes Vorhaben der Ampel umsetzen und endlich die leidige Steuerklasse V abschaffen, wenn Frauen dann eben nicht mehr ständig das Gefühl haben, dass sie zwar arbeiten, aber dass es sich eigentlich gar nicht lohnt, zu arbeiten, weil fast nichts übrig bleibt, dann wird der Wechsel in sozialversicherungspflichtige Arbeit noch attraktiver. ({7}) Mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung – ja, das ist unser Ziel. Ob uns das mit diesem Gesetz gelingt, ob Minijobs nicht mehr zur Teilzeitfalle werden, all das werden wir am Ende mit einer Studie auch noch überprüfen. Ich hoffe auf ein positives Ergebnis. Und wenn das Ergebnis nicht gut ist, dann müssen wir nachsteuern. Aber unabhängig davon: Das Gesetz heute ist wichtig. Denn 12 Euro Mindestlohn – das ist einfach eine Frage der Gerechtigkeit. Vielen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Gemmeke. – Nächster Redner ist der Kollege Carl-Julius Cronenberg, FDP-Fraktion. ({0})

Carl Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es dürfte das Hohe Haus nur bedingt überraschen, wenn ich feststelle, dass die Idee, den gesetzlichen Mindestlohn auf 12 Euro anzuheben, nicht dem Wahlprogramm der Freien Demokraten entsprungen ist. ({0}) Aber offensichtlich haben unsere Partner von der Sozialdemokratie bei den Koalitionsverhandlungen so bestechende Argumente vorgetragen, dass wir schon jetzt einen Gesetzentwurf einbringen können. ({1}) Noch schneller als wir war die Kritik der Union; denn die kam schon im Januar. Der geschätzte Kollege Knoerig hat dabei seine Argumentation ausgiebig auf einen FDP-Antrag aus dem letzten Jahr gestützt, in dem die Bedeutung der Unabhängigkeit der Mindestlohnkommission betont wurde. Also wenn die Anpassung des Mindestlohns als Erstes dazu führt, dass die Union ihren ordnungspolitischen Kompass an den Anträgen der FDP ausrichtet, dann ist das erst einmal eine gute Nachricht, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Dennoch, werte Kollegen von der Union, empfehle ich einen Blick ins Gesetz. § 1 Absatz 2 des Mindestlohngesetzes besagt, dass die Anpassung des Mindestlohns durch Rechtsverordnung der Bundesregierung auf Vorschlag der Mindestlohnkommission erfolgt. Würde die Regierung bei der Erhöhung auf 12 Euro die Mindestlohnkommission einspannen, wie von Ihnen im Januar gefordert, würde sie diese quasi nötigen, 12 Euro zu empfehlen. Dann hätten wir genau die Einschränkung ihrer Unabhängigkeit, die wir vermeiden wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Deshalb hat die Koalition bewusst einen anderen Weg gewählt und die Kommission einmalig aus dem Spiel genommen, um ihre Unabhängigkeit zu schützen. ({4}) Wir alle wissen, dass viele Betriebe, die einen hohen Personalkostenanteil haben – oft betrifft dies kleine Betriebe; vielfach auch solche, die unter Corona gelitten haben –, durch die Erhöhung um 15 Prozent belastet werden. Die Koalition weiß das und nimmt die Sorgen sehr ernst. Aus diesem Grund entlasten wir kleine und mittlere Unternehmen an anderer Stelle: Die vorgezogene Streichung der EEG-Umlage hilft genauso wie die Bürokratieentlastungen, die kommen werden, und die Sicherung der Minijobs; darauf ist eingegangen worden. Kollege Stracke, wir haben auch den steuerlichen Grundfreibetrag kräftig angehoben, ({5}) um die Folgen für diejenigen, die jetzt mehr verdienen, zu relativieren. ({6}) Die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns mag man richtig oder falsch finden, aber eines ist klar: Niemand kann sich wünschen, dass Menschen, die fleißig arbeiten, am Monatsende nur mit Mindestlohn nach Hause gehen. Nun wird, rein statistisch gesehen, die kräftige Erhöhung des Mindestlohns voraussichtlich erst einmal dazu führen, dass der Anteil an Mindestlohnempfängern unter allen Beschäftigten vorübergehend steigt. Lassen Sie mich klar sagen: Unser gemeinsames Ziel muss es sein, mit kluger Politik dafür zu sorgen, dass diese Quote wieder sinkt, ({7}) dass so viele Menschen wie möglich die Chance bekommen, am Arbeitsmarkt bessere Jobs zu finden als Mindestlohnjobs. ({8}) Deshalb schaffen wir Investitionsanreize für Unternehmen in der Transformation. Investitionen schaffen neue, meistens gut bezahlte Jobs, zum Beispiel bei Tesla in Grünheide, Northvolt in Schleswig-Holstein oder Intel in Magdeburg. Deshalb fördern wir Beschäftigte, die sich weiterbilden wollen. Qualifizierung sichert nicht nur Jobs, sondern schafft auch Aufstiegsmöglichkeiten. ({9}) Ein Wort zum Antrag der Linken: Wer Ausnahmen vom Mindestlohn für Auszubildende abschafft, der riskiert Ausbildungsplätze. ({10}) Wer Ausnahmen für Langzeitarbeitslose abschafft, der erschwert ihnen den Weg zurück in den Arbeitsmarkt, statt zu helfen. ({11}) Beides finde ich nicht sozial. Da machen wir nicht mit, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({12}) Freuen wir uns mit den Menschen, die nach der Verabschiedung des Gesetzes in Zukunft mehr Geld verdienen werden. Bis dahin freue ich mich auf die weiteren Beratungen. ({13})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Kollege Cronenberg. – Nächster Redner aus der CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Axel Knoerig. ({0})

Axel Knoerig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004073, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie kennen alle aus Ihren Wahlkreisen diese Berichte von hart arbeitenden Mitbürgern, denen am Monatsende zu wenig übrig bleibt. Letzte Woche sprach ich mit einer Verkäuferin in meinem Wahlkreis. Sie berichtete mir, dass sie mit ihrem Geld kaum auskommt, obwohl sie 40 Stunden in der Woche arbeitet. Am Ende stehen bei ihr knapp 1 300 Euro auf ihrem Konto. Damit kam sie bislang einigermaßen über die Runden. Aber jetzt machen ihr die steigenden Preise schwer zu schaffen. Diese Situation trifft viele Menschen in unserem Land. Sie machen sich große Sorgen, wie sie im Alltag zurechtkommen sollen. Das wurde mir in vielen Gesprächen mit Unternehmern, Betriebsräten und Beschäftigten in den letzten Wochen noch einmal bestätigt. Herr Bundesminister Heil, Sie schaffen keine langfristigen Lösungen dafür, dass den Menschen mehr im Geldbeutel bleibt. Stattdessen leiten sie einen politischen Überbietungswettbewerb ein: heute 12 Euro, morgen 13 Euro. ({0}) Wie ist Ihr Plan? ({1}) Sie schwächen die Sozialpartnerschaft. Sie hebeln die Mindestlohnkommission aus. Sie haben aber kein Konzept dafür, wie die Arbeit der Kommission verbessert werden kann. ({2}) Es muss zu einer schnelleren Umsetzung der Tarifentwicklung kommen. Hier müssen Sie nachbessern! Machen Sie uns mal konstruktive, hilfreiche Vorschläge. ({3}) Die Einführung des Mindestlohns von 12 Euro ist aus unserer Sicht ein richtiges Ziel. Jeder, der hart arbeitet, muss von seinem Lohn auch leben können und darf nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen sein. Ich ergänze: Jeder, der von dieser Erhöhung profitiert, hat sie auch verdient. ({4}) Doch wie viel bleibt davon übrig, wenn die Inflation weiter steigt? Unser Fraktionsvorsitzender fordert völlig zu Recht, dass Steuerentlastungen kommen müssen. Aber diese müssen natürlich richtig gemacht werden. Ihr Entlastungsparket wirkt nicht zielgerecht. Ob Millionär oder Azubi – jeder bekommt das Gleiche. ({5}) Für die SPD ist die Umverteilung ein hohes Gut. Wo bleibt hier eigentlich die soziale Gerechtigkeit? ({6}) Um denjenigen zu helfen, die jetzt am meisten Hilfe brauchen, müssen wir das Gegenteil von dem tun, was die Regierung macht: nicht mit der Gießkanne ausschütten, sondern gezielt unterstützen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der SPD-Fraktion?

Axel Knoerig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004073, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. – Ich frage die FDP: Haben Sie Ihre Ideale – jetzt muss ich mich korrigieren – schon aufgegeben? Nein. Sie haben Ihren Kompass fallen lassen. Meine Damen und Herren, es ist richtig: Bundeskanzler Scholz hat den Mindestlohn als Wahlkampfschlager genutzt. Ich erinnere an den Slogan „Respekt für dich“. War der Weg hierher nicht eher zynisch? Fragen Sie einmal die Rentner, die Sie bei der Entlastung bei den Energiekosten ganz bewusst außen vor gelassen haben. Ich fasse zusammen: 12 Euro sind das richtige Ziel. Aber zur Wahrheit gehört auch: Die Mindestlohnkommission muss strukturell verbessert werden und jeder Einzelne durch flankierende Maßnahmen mehr Netto vom Brutto im Geldbeutel haben. Dann hat auch die Verkäuferin in meinem Wahlkreis mehr als 1 300 Euro auf dem Konto und kann ihren Lebensunterhalt besser bestreiten. Das ist der richtige Ansatz. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Bevor ich der charmanten Kollegin Annika Klose das Wort erteile, hat die SPD-Fraktion um eine Kurzintervention gebeten, die ich zulasse. Es ist keine persönliche Erklärung, sondern eine Kurzintervention.

Mathias Papendieck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005176, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön, Herr Präsident. – Ich möchte klarstellen: Sie haben jetzt gerade davon gesprochen, dass Verkäuferinnen und Verkäufer mehr Lohn bekommen müssen und auch bekommen sollen. Ich selber bin Verkäufer. Ich habe im Jahr 1999 mit einem Stundenlohn von 5,11 Euro angefangen. Meine Kolleginnen und Kollegen verdienen jetzt aktuell, bis wir die 12 Euro Mindestlohn beschließen, weniger. Für sie ist es wichtig. Sie tun so, als ob wir hier als Regierung einen Entwurf für ein Gesetz machen, durch das die Mindestlohnkommission in Zukunft gar nicht mehr weiß, wie sie weiterarbeiten soll. Das Gegenteil ist der Fall: Ab 30. Juni 2023 wird wieder getagt, und der Mindestlohn wird um einen weiteren Schritt erhöht. Der nächste Schritt wird in dieser Legislaturperiode am 30. Juni 2025 passieren. Dann wird der Mindestlohn noch einmal erhöht. Auch das sind Fakten. Das sollten Sie im Gesetz nachlesen. Denn genau das steht dort. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Knoerig, Sie haben die Gelegenheit zur Erwiderung.

Axel Knoerig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004073, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, Sie wissen doch selbst – diese Kritik haben wir fortlaufend in den vergangenen Jahren formuliert –: Die Nachzeichnung der Tarifverträge und deren Ergebnisse dauert bis zu zwei Jahre, und selbst wenn die Mindestlohnkommission nach zwei Jahren über die Nachzeichnung befunden hat, gehen noch mal sechs Monate ins Land. Das Ganze dauert im Grunde genommen also bis zu zweieinhalb Jahre. Das ist ein viel zu langer Zeitraum. ({0}) Von daher sagen wir – noch mal: wir kritisieren nicht die Erhöhung auf 12 Euro –, dass wir auch inhaltlich und strukturell etwas verändern müssen. Dies muss dann in eine vernünftige Steuerentlastung eingebunden werden. Dann bleibt von den 12 Euro auch mehr übrig. ({1})

Annika Klose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005108, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer/-innen! Ich würde mal vermuten, dass die meisten Frauen in diesem Land folgende Sätze schon einmal gehört haben und sehr gut kennen: „Mach dich nicht abhängig!“ oder „Pass bloß auf, dass du auf eigenen Beinen stehen kannst!“ Zumindest bei mir waren das Sätze, die meine Mutter und meine Großmutter immer wieder zu mir gesagt haben. Als Teenager war ich davon natürlich genervt, aber heute ist mir die bittere Realität hinter diesen Sätzen sehr bewusst. Nach wie vor besteht bei den Löhnen eine Lohnlücke von 18 Prozent zwischen Männern und Frauen. Das bedeutet, dass Frauen oft von ihrer Arbeit nicht leben können. Teilzeit und prekäre Beschäftigung betreffen ebenfalls vor allem Frauen. Entsprechend sind es vor allem Frauen, die von Altersarmut betroffen sind. Unser ökonomisches System und vor allem unser Lohngefüge drängt Frauen daher nach wie vor in die ökonomische Abhängigkeit von ihren Partnern und Partnerinnen. Das damit verbundene Machtgefälle und Missbrauchspotenzial muss ich an dieser Stelle wohl kaum weiter ausführen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Weg hin zu einer echten Gleichstellung von Frauen kann nicht länger sein, junge Frauen zur Vorsicht zu mahnen, sondern er muss darin liegen, dass wir die Rahmenbedingungen schaffen, damit Frauen endlich auch ökonomisch auf ihren eigenen Beinen stehen können. ({0}) Die Maßnahmen in diesem Gesetz sind dafür ein sehr wichtiger Schritt. Der Mindestlohn von 12 Euro kommt vor allem Frauen zugute, da ihre Löhne und Gehälter im Schnitt niedriger sind. Der Mindestlohn von 12 Euro bringt uns ein ganzes Stück näher zu einer Lohnuntergrenze, die eine Rente oberhalb der Grundsicherung ermöglicht und somit Altersarmut vorbeugt. Von diesem Mindestlohn von 12 Euro profitieren 20 Prozent aller erwerbstätigen Frauen in Deutschland – eine traurig hohe Zahl, die uns aber noch einmal sehr eindrücklich zeigt, wie wichtig dieser Schritt ist. ({1}) Teil dieses Gesetzespakets ist aber auch die Ausweitung der Einkommensgrenze für Minijobs auf 520 Euro. Nun ist es kein Geheimnis – das haben wir bereits gehört –, dass wir Sozialdemokratinnen und ‑demokraten diese Ausweitung nicht unbedingt gebraucht hätten. Unter zwei Prämissen, die im Koalitionsvertrag festgehalten wurden, gehen wir diesen Schritt jedoch mit: Erstens dürfen Minijobs keine reguläre Beschäftigung ersetzen. Zweitens dürfen Minijobs nicht länger zur Teilzeitfalle für Frauen werden. Für uns als Ampelkoalition ist klar, dass vor allem sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gestärkt werden muss. ({2}) Mit dieser Gesetzesreform bauen wir daher eine Brücke von Minijobs in die Sozialversicherungspflicht. Wir schaffen die harte Abbruchkante bei der Überschreitung der Minijobgrenze ab.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke? Ihre Redezeit wird angehalten, und Sie haben für die Beantwortung auch noch zusätzliche Redezeit.

Annika Klose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005108, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gerne.

Susanne Ferschl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, liebe Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich möchte nur kurz nachhaken, weil Sie gesagt hatten, es sei eine Prämisse, dass letztendlich keine regulären Jobs ersetzt werden, und Sie fragen, was Sie zu der ifo-Studie sagen, die letzte Woche veröffentlicht worden ist. Der ifo-Forscher Maximilian Blömer wird dazu in einem Zeitungsbericht wie folgt zitiert: Als Folge der Reform dürften vor allem Männer ihre Arbeitszeit erhöhen, während viele Frauen „ihre Arbeitszeit verringern und noch häufiger in Teilzeit arbeiten“ werden. Die „Teilzeitfalle, von der vor allem Frauen als Zweitverdienerinnen betroffen sind“, drohe sich zu verschärfen. Was sagen Sie denn zu dieser Aussage angesichts Ihrer Prämisse?

Annika Klose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005108, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin, für diese Frage. Ich denke, dass Frauen durch die neue Regelung, die wir im Übergangsbereich schaffen – ehemals als Midijobs bekannt –, ({0}) eben doch den Weg in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung finden. ({1}) Es ist in diesem Gesetzentwurf jetzt ja vorgesehen, dass die harte Abbruchkante, die bisher bestand, also dass man, wenn man über 450 Euro bzw. künftig 520 Euro verdient hat, in die volle Sozialversicherungspflicht fiel und von daher über 100 Euro mehr verdienen musste, um am Ende überhaupt mehr Netto vom Brutto zu haben, abgeschafft wird, indem nun die Sozialversicherungsbeiträge zunächst dadurch geschmeidig ansteigen, dass der Arbeitgeberanteil sinkt. ({2}) Genau das führt doch dazu, dass eine Brücke gebaut wird von den Minijobs hin in die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Von daher glaube ich, dass dieses Instrument, das die Bundesregierung vorgeschlagen hat und das wir gerne unterstützen, der richtige Weg ist, um den Weg heraus aus dem Minijob zu finden. – Das sage ich auf Ihre Frage. Vielen Dank. ({3}) Es ist also richtig, dass es diese Brücke gibt; denn es ist unser Ziel, dass insbesondere Frauen mehr als zehn Stunden in der Woche arbeiten und damit eine eigenständige ökonomische Absicherung erhalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, für eine echte ökonomische Gleichstellung von Frauen ist noch viel zu tun. Insbesondere ist eine zügige Abschaffung der Steuerklasse V zu wünschen. ({4}) Trotzdem kann ich voller Überzeugung sagen: Der Tag, an dem wir dieses Gesetzespaket beschließen, ist ein guter Tag für die Frauen in diesem Land. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der Kollege Max Straubinger, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute den eingebrachten Gesetzentwurf zur Erhöhung der Einkommensgrenzen bei Minijobs und Midijobs und gleichzeitig zur Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro. Für die Union ist völlig klar: Wir sind einmal die Partei der sozialen Stärke für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sind aber auch die Partei für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Seine Erhaltung ist ja die Voraussetzung dafür, dass wir ordentliche Löhne zahlen können. Wir sind für höhere Löhne. Und wenn es einer Lohnuntergrenze bedarf, so sind wir auch da gefordert, und wir stimmen natürlich der Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro zu; der Kollege Stracke und die anderen Kollegen haben das bereits gesagt. Aber, Herr Kollege Bsirske, es ist entscheidend, dass auch die wirtschaftliche Grundlage dafür da ist. Stellen Sie sich vor, wir hätten vor 16 Jahren 12 Euro Mindestlohn gefordert und umgesetzt, also nach Rot-Grün, als wir fast 6 Millionen Arbeitslose hatten. Da hätte ein Mindestlohn in dieser Höhe garantiert wirtschaftlichen Schaden verursacht; das muss man verdeutlichen. ({0}) Es geht schon auch um das Umfeld, in dem das gemacht wird. Also, wir stehen für die 12 Euro, und wir stehen letztendlich für gute Löhne für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Aber wir müssen im Gesetzgebungsverfahren vielleicht noch über den einen oder anderen Teil reden. Die Mindestlohnkommission hat ja – das ist schon dargelegt worden – bereits Schritte unternommen: Der Mindestlohn ist zum 1. Januar gestiegen, und er wird zum 1. Juli auch wieder ansteigen, und zwar auf 10,45 Euro. All dies ist mit Bürokratie bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und in den Betrieben verbunden. Jetzt soll der Mindestlohn zum 1. Oktober auf 12 Euro steigen – das führt ebenfalls zu Bürokratie bei den Betrieben – und darüber hinaus wieder zum 1. Januar 2024; auch das bedeutet letztendlich Bürokratie. ({1}) Ich bin dafür, Bürokratie abzubauen. Dementsprechend wäre es vielleicht wesentlich besser, darüber nachzudenken, wenn der Mindestlohn eh zum 1. Juli auf 10,45 Euro angepasst wird, ihn zum 1. Juli sofort auf 12 Euro anzupassen. ({2}) – Ja, das ist doch völlig klar. Oder soll der 1. Oktober als Hubertus-Heil-Gedenktag in die Geschichte der Lohnpolitik eingehen? ({3}) Das ist also mit eine Frage, die man sachlich diskutieren sollte; das gehört meines Erachtens dazu. Was den heutigen Tag zu einem rabenschwarzen Tag macht, sind die vermehrten Aufzeichnungspflichten im Gesetzentwurf. Die ursprünglich angedachten sind ja jetzt zum Teil zurückgenommen worden. Setzen wir das mal in Bezug zum Mindestlohn: Die Grenze des monatlichen Einkommens, bis zu der strikte Aufzeichnungen erforderlich sind und die vor Arbeitsbeginn angemeldet werden muss, wird durch den Gesetzentwurf auf 4 176 Euro festgesetzt. Um diese Grenze zu erreichen, müsste ich, wenn ich 12 Euro in der Stunde bekomme, 348 Monatsstunden arbeiten. Ich kann man mir nicht vorstellen, dass die SPD plötzlich die Arbeitszeit so ausweiten will. ({4}) Das bedeutet von daher umgekehrt, dass ein Stundenlohn von 24 Euro unterstellt wird. Das heißt, Arbeitnehmern, die 24 Euro in der Stunde verdienen, traut man nicht zu, über ihre Arbeitszeit richtig Buch zu führen. ({5}) Das ist ein Misstrauen gegenüber den Arbeitnehmern und ist ein Misstrauen letztendlich gegenüber den Arbeitgebern. Darüber sollte man auch nachdenken. ({6}) Das Dritte ist die Teilzeitfalle. Ich danke ausdrücklich Frau Kollegin Müller-Gemmeke, dass sie das auch dargestellt hat. Aber Ihre FDP-Kollegen denken hier zu kurz; denn die Teilzeitfalle besteht. Wir haben zwar die Angleichung bei den Sozialversicherungsbeiträgen – löblich, wir unterstützen das, gar keine Frage.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Straubinger, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber dann muss man bei 521 oder 522 Euro den gesamten Betrag voll versteuern.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie jetzt bitte zum Schluss –

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist die Schwelle, die dann bedeutet, dass niemand in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung geht. Darüber sollte die FDP nachdenken –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

– oder ich entziehe Ihnen das Wort, Herr Kollege Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– und nicht ihre steuerpolitischen Ansprüche reduzieren auf die Erhöhung des Grundfreibetrages. Es ist traurig von der FDP, die steuerpolitischen Ansprüche zu reduzieren. Entschuldigung, Herr Präsident. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Was heißt „Entschuldigung“? So sind unsere bayerischen Freunde einfach. Regeln spielen keine Rolle. Vielen Dank. – Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat die Kollegin Yasmin Fahimi, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Yasmin Fahimi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004713, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer an den Monitoren! In drei Tagen begehen wir den 1. Mai, den Tag der Arbeit, ein Tag, an dem es darum geht, für bessere Arbeitsbedingungen zu demonstrieren und Erfolge zu feiern. Deswegen ist es ein großartiges Zeichen, das heute hier von diesem Deutschen Bundestag ausgeht. Endlich führen wir den Mindestlohn von 12 Euro in Deutschland ein; versprochen – gehalten. ({0}) Ich sage aber auch: Das ist eine Entscheidung, die überfällig ist. Die Umstände, warum wir es nicht schon haben tun können, sind allseits bekannt. Sie sitzen heute in der Opposition. Es ist auch ein Grund dafür, warum Sie heute in der Opposition sitzen. ({1}) Denn die Menschen wissen ganz genau, dass der Mindestlohn von 12 Euro eine politische Notwehr ist, eine politische Notwehrreaktion auf schwindende Tarifbindung, weil zu viele Arbeitgeber einfach glauben, dass die Lohnfindung auf dem freien Markt stattzufinden hätte, also im Lohndumpingwettbewerb. Genau das wollen wir abstellen. ({2}) Faire Löhne entstehen nur in Tarifverhandlungen, und wer sich denen entzieht, muss sich nicht wundern, wenn die Politik eingreift. Denn Tatsache ist vielmehr – das haben hier schon viele dargestellt –, dass über 6 Millionen Beschäftigte in Deutschland davon profitieren werden, insbesondere in Ostdeutschland, insbesondere Frauen. Das ist gut so, und es ist zugleich traurig, dass so viele Menschen heute immer noch einer Beschäftigung nachgehen müssen, die nicht ansatzweise existenzsichernd ist mit allen Konsequenzen, auch für die Armut im Alter. Das einzige Argument, das immer noch dagegen ins Feld geführt wird, ist die Behauptung, es widerspräche der Tarifautonomie. Deswegen noch mal zur Erklärung für alle: Die garantierte Tarifautonomie in unserem Land ist die Anerkennung autonomer Ausgestaltung der sozialpartnerschaftlichen Zusammenarbeit. Die Intention des Gesetzgebers war und ist klar, nämlich das Recht der eigenständigen Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch Tarifverträge. Es ist nicht das Recht auf Verweigerung. Es ist der Auftrag zur Regelung. ({3}) Wer sich also auf die Tarifautonomie bezieht, um ebendiesen Auftrag abzulehnen – entschuldigen Sie bitte –, der vergeht sich an dem Grundverständnis, an der Grundarchitektur unserer sozialen Marktwirtschaft. ({4}) Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Einführung des Mindestlohns auch ein klares Zeichen an die Wirtschaft: Schafft mehr Tarifbindung. ({5}) Die zweite gute Nachricht des Tages ist: Genau das tut es auch. Wir haben das schon bei der Einführung 2015 erlebt, wo es einen Fahrstuhleffekt gegeben hat auch für Lohngruppen kurz oberhalb des Mindestlohns. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Frau Präsidentin, da dies mit nennenswerter Wahrscheinlichkeit meine letzte Rede im Deutschen Bundestag sein könnte, lassen Sie mich noch ein paar kurze Anmerkungen machen. Ich hoffe, dass sich dieses Haus stets daran erinnert, dass die Sozialpartnerschaft quasi mit Verfassungsrang die Geschicke dieses Landes maßgeblich mitgestaltet hat. Eine der Lehren bezogen auf die Schwächen der Weimarer Republik war es, dass es ohne sozialen Frieden keinen äußeren Frieden gibt, keinen dauerhaften Wohlstand und keine innovative Wirtschaft. Es war Hans Böckler 1951, der in den Verhandlungen mit der damaligen Regierung von Konrad Adenauer das Montan-Mitbestimmungsgesetz durchgesetzt und damit die Grundlage dafür geschaffen hat, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land keine Bittsteller sind, weder gegenüber dem Staat noch gegenüber der Wirtschaft, dass sie Mitbestimmungsrechte haben sowohl in der Aufsicht der Unternehmen als auch bei der Arbeit im Betrieb und bezüglich ihrer Arbeitsbedingungen samt Löhne und Gehälter in Tarifverträgen. Diese Dinge sind untrennbar miteinander verbunden, und sie müssen bitte auch von diesem Haus immer wieder neu verteidigt und weiterentwickelt werden, wenn Friede, Freiheit und Gerechtigkeit über alle Veränderungen und Krisen hinweg gelingen sollen. ({6}) Liebe Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, es gibt erste und letzte Momente, die einem vor Augen führen, was es heißt, Parlamentarierin zu sein, die einem auch manchmal die Knie weichwerden lassen, egal wie geübt man ist. Das erste Mal in diesem Saal, in dem Otto Wels die Ehre der Weimarer Republik verteidigt hat, war mein erster Moment. Und heute, das letzte Mal an diesem Pult, verabschiede ich mich von Ihnen in schweren Zeiten dieses Landes und möchte Ihnen die Worte von Ernest Hemingway gerne in Erinnerung rufen: „Weisheit, Macht und Wissen haben ein Geheimnis, es ist die Demut.“ Ich bedanke mich recht herzlich für die Zusammenarbeit ‑fraktionsübergreifend –, wünsche Ihnen alles Gute, weiterhin viel Tatkraft und Mut. Ich freue mich darauf, an anderer Stelle mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Glück auf! ({7})

Dr. Bernd Baumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004662, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In diesen Tagen ist viel von Offensiven die Rede, von schweren Waffen, Panzerhaubitzen und Ähnlichem mehr. Diese Töne kommen insbesondere von den Grünen, einer Partei, die einst aus Friedensbewegung und Wehrdienstverweigerern entstand. Bevor jetzt Ministerin Baerbock, Herr Hofreiter und all die anderen neuen Militärexperten dafür sorgen, dass Deutschland schwere Waffen in die Ukraine liefert, sollten sie angesichts der neuen Flüchtlinge lieber eine Offensive starten, die Deutschland viel dringender braucht, nämlich eine Abschiebungsoffensive für Hunderttausende Asylbewerber, die hier längst abgelehnt sind, meine Damen und Herren. ({0}) Denn diesmal kommen echte Flüchtlinge. Anders als 2015, bei der Welle aus Orient und Afrika, flüchten jetzt vor allem Frauen und Kinder. Ihre Männer bleiben in der Ukraine, um für Freiheit und für ihre Heimat zu kämpfen – ganz anders als 2015, als zum Großteil Männer kamen, die Frauen und Kinder zu Hause sitzen ließen. Die einen zeigen heute freiwillig ihre Pässe vor und kooperieren bei der Feststellung ihrer Identität, die anderen damals oft nicht. Die Ukrainer ziehen jetzt in Nachbarländer, weil sie schnell wieder in ihre Heimat zurückwollen; die anderen zogen mithilfe krimineller Schleuserbanden über Tausende Kilometer in unser Land, ins Land der Sozialhilfe. Von den jetzt über 5 Millionen echten Ukraineflüchtlingen nahmen allein Polen, Ungarn und die Slowakei 4 Millionen auf – echte Flüchtlinge! Das war eine große Tat, ein Vorbild für tiefe Menschlichkeit und für politische Vernunft, meine Damen und Herren. ({1}) Den Ländern Osteuropas gebührt zugleich aber auch höchste Anerkennung dafür, dass sie die Unterschiede so deutlich erkannt haben. Sie haben die Schleppermigranten infolge von Merkels Grenzöffnung abgewehrt und sich nicht von der EU zur Aufnahme drängen und erpressen lassen. Dafür werden wir ihnen ewig dankbar sein. ({2}) Diese Länder haben richtig gehandelt; bei uns ist heute „Land unter“. Berlin und andere Städte schreien bereits Alarm, müssen den Notstand ausrufen. ({3}) Es fehlt an allem: an Unterbringung, an Wohnungen, an Schulen, an Kitas, an Geld zur Versorgung so vieler Menschen. Dabei müsste all das gar nicht sein. In Deutschland tummeln sich mittlerweile über 800 000 Asylbewerber, die bereits vollends abgelehnt sind, der Großteil davon ausreisepflichtig. ({4}) Ihnen stehen nur rund 10 000 Abschiebungen pro Jahr gegenüber. Das sind minimale Anteile der Ausreisepflichtigen. Das kann nicht sein; das darf nicht sein. Das verhöhnt auch unseren Rechtsstaat, und das muss sich ändern, meine Damen und Herren. ({5}) Aber warum ist das hierzulande so? Warum ist das so? Weil entscheidende Teile von Politik und Medien das so wollen. Polizeiexperten der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum Thema Rückführungen stellten schon vor Jahren fest: Für konsequente Abschiebung fehlt schlicht die Unterstützung der Landes- und Bundespolitik, der politischen Parteien. – Bürgermeister und Landräte brechen wegen massivstem Druck Abschiebungen ab, oft in letzter Minute. Die Polizeiexperten beklagen – ich zitiere –: Ein breites Netzwerk übt auf allen Ebenen Einfluss aus. Es schreckt selbst vor gezielten Unwahrheiten nicht zurück. In unserem Land hat sich ein Zeitgeist breitgemacht, ein links-grüner Mainstream, bis hin zu Universitätsoberen und Kirchenfürsten, insgesamt ein polit-medialer Komplex, der das Land, unser Land, im Kern verändern will. Er will unbedingt mehr Diversität, mehr Buntheit, wie es auch heißt. Gemeint sind: andere Herkunft, andere Hautfarben, bunter eben, im Sinne von weniger weiß. ({6}) Aber darf Buntheit ein Ziel der Politik sein, meine Damen und Herren? Darf Hautfarbe Gegenstand aktiver Politik sein? Nein, ganz klar nein. In einer freiheitlichen Demokratie darf das niemals Gestaltungspunkt einer Politik sein – niemals! ({7}) Wir brauchen eine ideologiefreie Migrationspolitik. ({8}) Dazu gehört, dass nicht Hunderttausende einfach ins Land kommen und hierbleiben, obwohl sie nicht schutzbedürftig sind. Andere Demokratien zeigen doch längst, wie es geht. ({9}) Beispiel Dänemark: Dort hat selbst eine sozialdemokratische Regierung entschieden: Asylbewerber betreiben ihre Verfahren vom Ausland aus, kommen nicht gleich ins Land. Wenn jemand ohne Pass schon im Land ist und seine Identität nicht klarmacht, kann er in Auffanglager außerhalb der EU abgeschoben werden, kann sein Aufnahmeverfahren nur von dort aus betreiben. ({10}) Ähnlich werden die Briten es jetzt machen: Illegal einreisende Migranten schieben sie nach Ruanda ab. Meine Damen und Herren, so muss man es machen; dann hat man auch Platz für richtige Flüchtlinge, wenn sie dann mal kommen. ({11}) In Frankreich wählten vergangenen Sonntag bereits über 40 Prozent Le Pen und damit eine Partei, die genau das alles auch will. ({12}) Auch die Franzosen wollen keine muslimischen Parallel- und Gegengesellschaften. ({13}) Sie wollen keine brennenden Städte wie vergangene Woche wieder in Schweden. ({14}) Die Dänen, die Briten, die Franzosen, ebenso wie die Polen, die Ungarn und die Slowaken – sie kämpfen um ihre nationale Souveränität; sie wollen ihre Kultur erhalten, ihre Identität. Und das wollen wir auch! ({15}) All diese Länder machen das erfolgreich. In Deutschland wird einem dafür der Verfassungsschutz auf den Hals gehetzt. ({16}) Meine Damen und Herren, das gibt es sonst nirgendwo, und das darf nicht sein; denn was in all diesen Demokratien richtig ist, kann in Deutschland nicht falsch sein. ({17}) Auch wir stehen zu unserer kulturellen Identität; auch wir wollen keine Masseneinwanderung von Menschen aus entfernten Kulturen, die sich kaum integrieren lassen. Wir lassen uns auch nicht einschüchtern, meine Damen und Herren. Und wenn der Verfassungsschutz mich jetzt sucht: Sagen Sie Herrn Haldenwang, ich bin gleich hinten in der Cafeteria. ({18})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Helge Lindh für die SPD-Fraktion. ({0})

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! – Den Verfassungsschutz hat man Ihnen nicht auf den Hals gehetzt; Sie tragen ein riesiges Schild vor Ihrem Bauch, auf dem steht: Wir sind beobachtungswürdig. Bitte, Verfassungsschutz, guck auf uns! ({0}) Das ist die Realität. Und ich glaube, es sollte Ihnen zu denken geben, dass jede und jeder ehemalige Vorsitzende der AfD mittlerweile diese Partei aufgrund ihrer zunehmenden Radikalisierung verlassen hat. Das könnte etwas mit Verfassungsfeindlichkeit zu tun haben. ({1}) Nach diesen Vorbemerkungen möchte ich aber noch mal darauf hinweisen, dass – und Sie führen das wieder vor – die AfD im Selbstwiderspruch beginnt und endet. Sie nennen ja diesen Antrag „Nationale Kraftanstrengung“, und Sie dachten: Das ist wahrscheinlich ein super Gag. Wir nehmen ein Zitat von Angela Merkel zur Frage der Abschiebungen. – Das ist aber höchst selbstwidersprüchlich, weil Sie die letzten fünf Jahre im Parlament nichts anderes gemacht haben, als auf erbärmliche, inakzeptable, unwürdige Weise unsere sehr respektable Altkanzlerin zu beschimpfen. Deshalb: Sehr peinlich, sehr instrumentalisierend und sehr dämlich! ({2}) Zum Zweiten ist es auch wieder aus der Reihe „Selbstwiderspruch“, weil Sie ja einerseits sagen, Sie wollen die Zahl derjenigen, die sich hier vollziehbar ausreisepflichtig aufhalten, reduzieren. Sie wollen aber auch möglichst keine Flüchtlinge reinlassen; sie wollen Grenzkontrollen und geschlossene Grenzen. Andererseits ist aber darauf Ihr ganzes Leben aufgebaut. Das heißt: Sie brauchen geschäftsmäßig, berufsmäßig möglichst viele Geflüchtete und Flüchtlinge, die kommen. Auch deshalb bewegen Sie sich mal wieder im Selbstwiderspruch. ({3}) Und das Dritte ist: Sie berufen sich in dem Antrag in verschiedenen Teilen, im Übrigen auch im Begründungsteil, auf das Volk und weite Teile der Bevölkerung – ich werde das später noch ausführen –; am Ende sprechen Sie aber nur für sich selbst. Wenn man nur für sich selbst spricht, kann man nicht für das Volk sprechen. Es sei denn, man meint, man wäre das Volk. Das haben Sie aber eben auch wieder glänzend widerlegt. ({4}) Unlängst stand vor meinem Büro eine Gruppe von jungen Menschen, die Folgendes einte: Alle waren in Duldung; einer von ihnen war gerade aus der Abschiebehaft gekommen. Es war ein geeinter Kraftakt, um zu verhindern, dass er abgeschoben wird. Er hielt sich schon seit sechs, sieben Jahren in Deutschland auf, genauso wie all diejenigen, die neben ihm standen. Alle sind berufstätig, alle bestens integriert – ich mag dieses Wort nicht; es wirkt ein bisschen paternalistisch; aber ich verwende es, damit Sie es auch einigermaßen verstehen –, alle erfolgreich, alle seit vielen Jahren da und alle im Zustand der Duldung. Ich halte mir jetzt folgendes Bild vor Augen: Ich sehe diese Gruppe junger Männer und Frauen vor meinem Büro – die Mehrheit von ihnen kam aus westafrikanischen Ländern –, und dann erlebe ich Sie. Und da muss ich an das in einem anderen Zusammenhang geprägte Zitat von Guido Westerwelle denken, nämlich: „anstrengungsloser Wohlstand“ und „spätrömische Dekadenz“. ({5}) Sie sind „anstrengungsloser Wohlstand“ und „spätrömische Dekadenz“, und diejenigen, die vor meinem Büro gestanden haben, sind Leistungsträgerinnen und Leistungsträger unserer Gesellschaft. ({6}) Diese Menschen dürfen nicht abgeschoben werden, sondern sie verdienen es, dank eines künftigen und möglichst schnell zu schaffenden Chancenaufenthaltsrechts und verbesserter Bleiberechtsregelungen hierbleiben zu können. Diese Menschen abzuschieben, ist nicht nur nicht human; es ist volkswirtschaftlich dumm, und es ist gesellschaftlich dämlich. Und wenn Sie es fordern, dann sind Sie hoffentlich ganz allein mit dieser Forderung. ({7}) Um Ihnen das deutlich zu machen – Sie berufen sich ja auf die Gesellschaft und das Volk –, ist es hilfreich, Ihnen diese Gesellschaft, in der wir leben, mal vorzustellen. Nehmen wir mal den Fall einer drohenden Abschiebung; leider sind es nicht wenige Fälle, in denen eine Abschiebung überhaupt nicht berechtigt ist. Da kommen Menschen vorbei, die sich für andere einsetzen, wie zum Beispiel Marieke, eine Frau, die über den Tellerrand guckt, im buchstäblichen wie im abstrakten Sinne, die sich nicht nur um ihre eigenen Befindlichkeiten kümmert, sondern auch um das Schicksal von geflüchteten Menschen. Und es gibt viele wie sie: Nachbarn der geflüchteten Menschen, ein GdP-Engagierter, der nebenbei Sicherheitsberatung macht, diverse Journalistinnen und Journalisten, Kirchengemeinden, Nachbarschaften, ganze Schulklassen, Mitschülerinnen und Mitschüler eines Berufskollegs, Mitstudierende, ganz normale Leute, Unternehmerinnen und Unternehmer – ich könnte Ihnen Hunderte, ja Tausende aufzählen. Wenn Sie für das Volk sprechen und wir Lehrerinnen und Lehrer, Polizistinnen und Polizisten, Schülerinnen und Schüler, Kirchengemeinden abziehen, bleibt da nicht mehr so viel übrig. ({8}) Also was ist „das Volk“, für das Sie sprechen? Jedenfalls nicht die Bevölkerung dieses Landes. Weite Teile dieser Bevölkerung haben überhaupt nicht den Wunsch, dass wir einen Abschiebungsmaximalismus erleben, sondern die Mehrheit dieses Landes wünscht sich einen pragmatischen Umgang. ({9}) Das heißt nicht, dass die Mehrheit des Landes nicht akzeptiert, dass im Fall von Gefährdern und wirklichen Straftätern Abschiebungen erfolgen. Aber all diejenigen, über die Sie gesprochen haben, die Hunderttausenden, die kein Verfahren auf Anerkennung haben, die aber in dem unwürdigen Zustand der Kettenduldung leben oder sich in anderen Duldungsformaten bewegen, all diese brauchen eine Zukunft in diesem Land; denn sie sind schon Teil dieses Landes, und sie sind die Zukunft dieses Landes – anders als Sie. ({10}) Also: Diese Frau, diese Marieke, und die vielen anderen Mariekes dieser Welt, die solidarisch sind, sind dieses Deutschland. Dieses Deutschland sind aber auch Ali und Akram, um eine Syrerin und einen Syrer zu nennen, die sich jetzt aktiv für ankommende ukrainische Geflüchtete einsetzen. Das ist doch ein schönes Beispiel. Aber was machen Sie? Das haben Sie eben ja wieder vorgeführt: Sie wollen ankommende Ukrainerinnen und Ukrainer gegen muslimische Geflüchtete ausspielen. Was machen die Syrerinnen und Syrer? Die helfen. Sie von der AfD: kleinkariert. Die Syrerinnen und Syrer: ohne Scheuklappen, mit offenem Herzen, open-minded und solidarisch. Das ist ein großer Unterschied. ({11}) Und nicht nur das. Es kommt noch schlimmer: Die Ukrainerinnen und Ukrainer, für die Sie sich angeblich einsetzen – Unterstützung erfahren sie zum Beispiel von der Initiative „Stand with UA“, mit der ich in Wuppertal, in NRW engstens zusammenarbeite –, sind bestens befreundet mit muslimischen Geflüchteten und anderen. Die begreifen das als eine menschenrechtliche Aufgabe. ({12}) Die unterscheiden nicht zwischen sich und anderen. Die wollen nicht, dass Sie vermeintlich ihre Interessen vertreten. Also: Für wen setzen Sie sich ein? Weder für die Bevölkerung dieses Landes noch für die Ukrainerinnen und Ukrainer oder für die Syrerinnen und Syrer. Sie sind verdammt allein mit Ihren Forderungen; darauf möchte ich Sie noch mal hinweisen. ({13}) Dann noch ein weiterer Punkt. Sie machen ja eine Kostenrechnung auf: Was kostet das alles? Dabei vergessen Sie aber, was Hunderttausende von Abschiebungen kosten würden. Wissen Sie, was eine einzelne Sammelabschiebung kostet, mit welchem Aufwand die verbunden ist? Denken Sie mal darüber nach! Aber ich mache eine Gegenrechnung auf: Was kosten Sie denn uns? ({14}) Was kosten die diversen Gerichtsverfahren gegen die AfD? Was kosten Diäten und sonstige Zahlungen an Abgeordnete in Landesparlamenten und im Bundestag? ({15}) Was kosten ganze Abteilungen des Verfassungsschutzes, die nichts anderes zu tun haben – leider –, als sich mit Ihnen zu befassen? Diese Gegenrechnung möchte ich mal sehen, und ich bin gespannt, was dabei rauskommt. ({16}) Wir, diese Koalition – ich spreche auch für meine Fraktion –, sind lernfähig. Wir gucken uns die Dinge an und korrigieren in Zukunft auch Dinge, die nicht richtig waren, zum Beispiel die Duldung von Personen mit ungeklärter Identität, bekannt als „Duldung light“, ({17}) weil wir auch bereit sind, Fehlerkultur – das ist etwas, was Sie überhaupt nicht kennen; „Fehler“ ist für Sie ein Fremdwort – zu betreiben, und weil wir uns ganz streng daran orientieren, was menschlich ist, was pragmatisch ist und was angebracht ist. Ihr Spiel des Gegeneinanderausspielens, des Kostenverrechnens, –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege.

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– des Versuchs, Gewinne auf Kosten anderer zu erzielen, das wird nicht gelingen. Das funktioniert jetzt nicht, und das wird nie funktionieren. Game over! Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Josef Oster für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Josef Oster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004845, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte am heutigen Nachmittag gehört zu den ausgesprochen vorhersehbaren in diesem Parlament. Die AfD würde natürlich am liebsten alle Flüchtlinge konsequent aus diesem Land abschieben, und die linken Parteien werden sich darüber maximal empören; wir haben gerade schon erlebt, wie das hier abläuft. Diese Debatte wird damit aber diesem sensiblen Thema meines Erachtens nicht gerecht. ({0}) Insbesondere, sehr geehrter Herr Baumann, ist der Zeitpunkt dieses Antrages, wie ich finde, ungehörig. Wir erleben zurzeit erneut eine großartige Hilfsbereitschaft in unserem Land. Die vielen Haupt- und Ehrenamtlichen nehmen die geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer mit offenen Armen auf; sie helfen in größter Not. Wir Deutschen stehen zusammen. Wir helfen und unterstützen immer dann, wenn es darauf ankommt. Dafür will ich mich auch an dieser Stelle herzlich bei all jenen bedanken, die hier großartige Menschlichkeit zeigen. ({1}) Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, Kernpunkt des Antrags der AfD ist allerdings die Abschiebung quasi um jeden Preis. Das ist bezeichnend für eine Partei, der die Einigkeit in unserer Gesellschaft ein Dorn im Auge ist. Sie hoffen doch quasi darauf, dass Flüchtlinge in möglichst großer Anzahl nach Deutschland kommen, damit Sie Ihr fremdenfeindliches Weltbild weiter verbreiten können. ({2}) Das ist schlicht und ergreifend Ihr einfaches, aber verwerfliches Geschäftsmodell. Herr Baumann, es ist doch nicht so, dass der Verfassungsschutz Sie wegen Ihrer Haltung in der Flüchtlingsfrage beobachtet. ({3}) Man darf politische Haltungen vertreten; wir sind ein freies Land. Er beobachtet Sie, weil Sie Rechtsradikale und Nazis in Ihren Reihen zulassen. Das ist der Grund. ({4}) Meine Damen und Herren, wir als Union, als Partei der Mitte, haben dagegen immer beide Seiten im Blick. ({5}) Wir haben auf der einen Seite das Schicksal jedes einzelnen Flüchtlings im Blick, auf der anderen Seite aber eben auch die Leistungsfähigkeit unseres Landes. Denn klar ist: Weder wir noch unsere Partner in Europa können alle Flüchtlinge dieser Welt aufnehmen. Wir benötigen daher kontrollierte und geordnete Migrations- und Asylverfahren, und abgelehnte Asylanträge müssen Konsequenzen haben, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({6}) Deutschland leistet – das kann man gar nicht oft genug erwähnen – einen großartigen humanitären Beitrag. Aus der Ukraine kamen bisher rund 380 000 Kriegsflüchtlinge zu uns, und das sind wohlgemerkt nur die offiziell registrierten. Darüber hinaus – das sollten wir alle gemeinsam nicht vergessen – kommen aber weiterhin jeden Monat rund 15 000 Menschen aus anderen Ländern zu uns, die hier erstmals einen Asylantrag stellen. Diese Migrationsströme haben mit Beginn des Krieges in der Ukraine natürlich nicht aufgehört. Viele Menschen, die nicht aus der Ukraine, sondern aus anderen Ländern kommen, haben aber eben keinen Schutzanspruch in Deutschland. Die Gesamtschutzquote der letzten beiden Jahre lag nur bei 41 Prozent; alle anderen Asylanträge wurden abgelehnt. Wir dürfen, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, die Hilfsbereitschaft unseres Landes und das Vertrauen unserer Bevölkerung nicht verspielen. Deshalb muss man an dieser Stelle ehrlich sagen: Zu einer aufrichtigen Asylpolitik gehört eben auch, dass diese Menschen unser Land wieder verlassen. ({7}) Abschiebungen sind eben kein Ausdruck eines kaltherzigen Staates. Ganz im Gegenteil: Abschiebungen sind Ausdruck eines funktionierenden Rechtsstaates, ({8}) und sie sind wichtig für das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit unseres Staates insgesamt. Hier besteht ganz ohne Zweifel Handlungsbedarf; das steht für uns als Union jedenfalls außer Frage. Ich kann die Koalitionsfraktionen daher nur auffordern, hier tätig zu werden und deutlich über das hinauszugehen, was sie in ihrem Koalitionsvertrag in dieser Hinsicht verabredet haben. ({9}) Wir haben dazu in der Vergangenheit gute Vorschläge gemacht. ({10}) Sie sind leider in der Regel am Widerstand von SPD und Grünen gescheitert; auch das gehört zur Wahrheit dazu. ({11}) Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, zu einer gewissenhaften Asylpolitik gehören Abschiebungen schlicht und ergreifend dazu. Nur so können wir unsere Hilfsbereitschaft dauerhaft aufrechterhalten. Für Sozialromantiker sind Abschiebungen immer ein Akt der Kälte, für die Radikalen Ausdruck von Menschenfeindlichkeit. ({12}) Wir von der Union wollen eine verantwortungsbewusste Migrationspolitik. Wir von der Union stehen für Humanität, Steuerung und Ordnung. Wir unterstützen daher nicht den radikalen Ansatz der AfD. Aber dass hier großer Handlungsbedarf besteht, kann niemand ernsthaft bestreiten. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Filiz Polat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Filiz Polat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004857, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte um Abschiebungen muss sich endlich an Fakten orientieren. Wiederholt werden von der AfD Zahlen aus Zusammenhängen gerissen und zu Schreckensszenarien des Staatsversagens zusammenfantasiert. Das ist Populismus pur, und das ist vor allem hochgradig verantwortungslos. Lassen Sie uns über Abschiebung sprechen, aber nicht anhand von Fake News. Sie behaupten in Ihrem Antrag, dass 800 000 Personen in Deutschland leben, deren Asylantrag abgelehnt wurde. Bemerkenswert ist aber, was Sie nicht sagen: Ein Drittel davon hat einen unbefristeten Aufenthaltstitel ({0}) und über 40 Prozent einen befristeten Aufenthaltstitel. ({1}) Wer sind die wenigen ausreisepflichtigen Personen in Deutschland, deren Daten im Ausländerzentralregister stehen? Das sind nicht unbedingt Menschen, die vorher in Asylverfahren waren. Das sind teilweise EU-Bürger/-innen. Das sind teilweise Menschen, die über Kurzvisa eingereist sind, etwa zum Urlaub, und nicht rechtzeitig ausgereist sind, oder Studierende, die hier eine Arbeit aufnehmen wollen, aber noch ein Visum zu Studienzwecken haben. Meine Damen und Herren, und wer sind die Menschen in Duldung, die derzeit gar nicht abgeschoben werden können, ({2}) die aus guten Gründen nur vorübergehend bleiben? ({3}) Sie bleiben entweder aus tatsächlichen Gründen, weil die Ausreise unmöglich ist, oder weil dem rechtliche Gründe entgegenstehen, zum Beispiel das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit oder Familie. Dieses Grundrecht gilt für alle, auch für Geduldete, meine Damen und Herren, unabhängig von der Staatsangehörigkeit. ({4}) Was bleibt? Wenn Sie sich die Zahlen genau ansehen, werden Sie entdecken, dass die Zahl ausreisepflichtiger Personen mit abgelehntem Asylantrag ohne Duldung Ende letzten Jahres nur rund 18 000 Personen betrug, meine Damen und Herren. Ich wiederhole: 18 000. ({5}) Also hören Sie endlich auf mit Ihrem Populismus. Es gibt kein massives Abschiebungsdefizit – das auch in Richtung der Unionskollegen, Herr Oster –, wohl aber bei Ihnen, bei der AfD, ein schlimmes Defizit bei der Wahrheitsliebe. ({6}) Auch bei den Angaben des Ausländerzentralregisters zu Ausreisepflichtigen ist Vorsicht geboten. Bisher mussten die Angaben, wie Sie alle wissen, häufig korrigiert werden, weil etwa auch Personen, die gar nicht mehr in Deutschland sind, im AZR noch aufgeführt waren; die sind schon längst ausgereist. Dieses Register muss dringend überarbeitet werden, und deshalb haben wir im Koalitionsvertrag die Modernisierung von Registern vereinbart. Die Debatte über scheinbare Abschiebungsdefizite lenkt von einem viel wichtigeren Thema ab: In Wahrheit haben wir ein Chancendefizit, meine Damen und Herren. ({7}) 43 Prozent der Geduldeten leben seit mehr als fünf Jahren aus den besagten Gründen mit Kettenduldung; es sind zum Teil Menschen aus Kriegsgebieten. 25 000 Menschen mit Duldung sind Afghaninnen und Afghanen, meine Damen und Herren. Mehr als ein Viertel der geduldeten Menschen sind Kinder und Jugendliche. Die bisherigen Regelungen – Helge Lindh hat es ein Stück weit angesprochen – für gut integrierte Jugendliche und Erwachsene sind wegen hoher Hürden ins Leere gelaufen. Selbiges gilt für die Regelungen, die Geflüchteten eine Ausbildungsperspektive eröffnen sollten. Ich frage Sie: Wie soll man den Lebensunterhalt sichern – das ist eine Voraussetzung –, wenn man gleichzeitig einem Arbeitsverbot unterliegt? Nur 20 Prozent der Geduldeten dürfen überhaupt arbeiten. Die meisten haben keine Arbeitserlaubnis. Das ist einmalig in der Bundesrepublik Deutschland. Ansonsten haben Menschen nur ein Arbeitsverbot, wenn sie in einer bestimmten Zeit ihrer Schwangerschaft nicht arbeiten dürfen. Meine Damen und Herren, das wird diese Koalition ändern – also nicht das mit der Schwangerschaft, sondern das andere. ({8}) Unser gemeinsames Ziel ist es, die Kettenduldungen endlich abzuschaffen. Das war zwischen FDP, SPD und uns wirklich einer der Punkte, wo wir uns von vornherein einig waren und nur daran gearbeitet haben, zu klären: Wie können wir diese Dinge optimal gestalten, damit die Kettenduldungen wirklich abgeschafft werden? ({9}) Das werden wir gemeinsam mit unserer Innenministerin Nancy Faeser noch in diesem Jahr auf den Weg bringen. Auch die bisherigen Regelungen zu den Bleiberechtsregelungen werden neben dem Chancenaufenthaltsrecht ausgeweitet. Voraufenthaltszeiten werden verkürzt. Die Ausbildungsduldung wird endlich zu einer Aufenthaltserlaubnis, und die Beschäftigungsduldung wird reformiert. Integrationsbarrieren – das hat Helge Lindh angesprochen – werden wir abbauen. Die Duldung light wird abgeschafft, und bereits in Deutschland Lebende werden dann keinen Arbeitsverboten mehr unterliegen. ({10}) Ich glaube, das ist ein ganz, ganz wichtiges Signal, meine Damen und Herren. ({11}) Es lohnt sich, den Menschen eine echte Chance zu geben. Stellvertretend für viele individuelle Geschichten von Personen, die mit einer Duldung ihr Leben in Deutschland beginnen mussten und höchst erfolgreich in unserer Gesellschaft sind, möchte ich einige Namen nennen: meine hochgeschätzte Parteikollegin und Spitzenkandidatin Aminata Touré, Deutschlands jüngste schwarze Landtagsvizepräsidentin aus Schleswig-Holstein; Neven Subotić, der als Fußballer unter anderem mit Borussia Dortmund große Erfolge feierte und seine Karriere stets auch mit großem sozialen Engagement verband; die Journalistin Vanessa Vu, die mit ihren mutigen Worten einer Generation von jungen PoC in Deutschland eine wichtige Stimme verleiht; den Schauspieler Hassan Akkouch, der sich, motiviert durch seine eigene Geschichte, gegen Stereotype in der Filmbranche einsetzt. Meine Damen und Herren, wir wollen, dass diese Geschichten nicht die Ausnahme sind, sondern die Regel. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Clara Bünger für die Fraktion Die Linke. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Ihr Antrag und Ihre Rede, Herr Baumann, machen wieder deutlich, dass Sie von Rechtsstaatlichkeit keine Ahnung haben. Was Sie eigentlich wollen, ist die Errichtung eines Unrechtsstaats, in dem Sie Ihre rassistischen Vorstellungen umsetzen können. Ich sage Ihnen dazu eines: Wir werden das verhindern. Ihr Rassismus muss endlich raus aus diesem Bundestag! ({0}) Außerdem verbreitet die AfD Mythen und Unwahrheiten, wie es meine Kollegin Filiz Polat bereits erwähnt hat. Es ist völlig irreführend, zu beklagen, dass 800 000 abgelehnte Asylsuchende noch im Land seien, wie Sie es in Ihrem Antrag formulieren. Im Ausländerzentralregister, aus dem Sie Ihre Zahlen nehmen, wird diese Eintragung nämlich ein Leben lang nicht gelöscht. Eine Reform des AZR, wie es Frau Polat vorgeschlagen hat, ist deshalb dringend notwendig. ({1}) Überwiegend leben diese Menschen mittlerweile völlig legal in Deutschland, aber eben mit einem anderen Aufenthaltszweck. Darunter können zum Beispiel Polinnen und Polen sein, deren Anträge in den 90er-Jahren eine Ablehnung im Asylverfahren erfahren hatten, aber jetzt selbstverständlich als Unionsbürger/-innen hier in Deutschland leben, oder Menschen, die geheiratet haben und sich deshalb vollkommen rechtmäßig in Deutschland aufhalten. Kurz gesagt: Wenn jemand in der Vergangenheit mal im Asylverfahren abgelehnt wurde, sagt das über den aktuellen Aufenthaltsstatus überhaupt nichts aus. ({2}) Entweder ist die AfD nicht in der Lage, das zu verstehen, oder sie weiß das sehr genau, aber verwendet diese irreführenden Zahlen für ihre demagogischen Zwecke. Dafür sollten Sie sich schämen. ({3}) Wenn die AfD fordert, die Ausreise von abgelehnten Asylsuchenden – Zitat – „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu forcieren“, klingt das wie eine Aufforderung zu mehr Brutalität und Polizeigewalt. Dabei wird doch längst gnadenlos abgeschoben, und das seit Jahren. Meine letzte Anfrage an die Bundesregierung hat ergeben, dass im Schnitt jeden Tag 34 Menschen außer Landes geschafft werden. Sie werden zurück an Orte gezwungen, wo ihnen existenzielle Notlagen, Folter, Haft oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Ich sage Ihnen ganz klar: Jede einzelne dieser Abschiebungen ist eine zu viel. ({4}) Viele der betroffenen Menschen hatten seit Jahren ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland. Sie haben hier gearbeitet, ihre Kinder gingen hier zur Schule. Diese Menschen werden durch die Abschiebung aus ihrem Leben gerissen. Immer wieder werden auch Familienangehörige voneinander getrennt. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Ende Januar ist die Polizei in Celle mitten in der Nacht in die Wohnung einer Familie mit vier kleinen Kindern eingebrochen, um sie nach Georgien abzuschieben. Der Vater ist psychisch schwer krank; er hat mehrere Suizidversuche hinter sich. Die Mutter war zu diesem Zeitpunkt hochschwanger, und die Behörden wussten, dass sie aufgrund einer Risikoschwangerschaft nicht abgeschoben werden durfte. Trotzdem versuchten sie zunächst, die gesamte Familie abzuschieben. Nur weil die Frau protestierte, durfte sie zunächst bleiben, wurde aber angewiesen, freiwillig auszureisen. Nachtabschiebungen, Fesselungen, Polizeigewalt – all das kommt systematisch vor. Das ist nicht nur unmenschlich, sondern eines Rechtsstaats nicht würdig. ({5}) Ein besonderer Skandal in der Sache ist der sprunghafte Anstieg der Zahl an Abschiebungen in die Türkei. Über 360 Menschen wurden letztes Jahr in das Land abgeschoben. Darunter sind viele linke und kurdische Oppositionelle, denen in der Türkei massive Verfolgung droht. Das ist besonders perfide vor dem Hintergrund, dass Erdogan gerade wieder einen völkerrechtswidrigen Krieg in Kurdistan führt. Zuletzt sage ich auch noch eine Sache, die sich an Sie richtet, liebe Koalition: Wir brauchen aus meiner Sicht keine Rückführungsoffensive, sondern eine Bleiberechtsoffensive. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Stephan Thomae für die FDP-Fraktion. ({0})

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich mir den Antrag der AfD anschaue, denke ich an den Filmtitel „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Der Antrag ist das – ich weiß nicht, das wievielte – Remake Ihres alten Geschäftsmodells, möglichst die Ängste der Menschen vor Flüchtlingen zu schüren und zu verstärken. Wenn man Ihren Antrag durchliest, hat man das Gefühl: Wenn wir nicht in kurzer Zeit auf eine große Anzahl an Abschiebungen kämen, dann drohte sozusagen der Zerfall des Rechtsstaates in Deutschland. Man liest Ihren Antrag und hat das Gefühl, Tausende von Straftätern liefen auf den Straßen umher, was einfach nicht so ist, was nicht den Tatsachen entspricht. Und – das Thema ist auch schon angesprochen worden – Sie schreiben, dass Kosten in Milliardenhöhe entstehen, und verschweigen dabei, dass viele Menschen, die hierhergekommen sind, hier geduldet sind, einer Arbeit nachgehen, Arbeitsplätze schaffen sowie Steuern und Mieten zahlen, meine Damen und Herren. ({0}) Mit Ihrem Antrag rühren Sie die Paniktrommel. Sie sind das Panikorchester dieses Parlamentes. Man hat das Gefühl, dass die Apokalypse jeden Augenblick droht, wenn man sich Ihren Antrag durchliest. ({1}) Da ist die Haltung der Koalition schon weitaus differenzierter, meine Damen und Herren. Wir versuchen, einen realistischen Blick auf die Lage zu werfen. Das Problem ist immer noch, dass wir häufig die Falschen abschieben. Nicht alle Menschen, deren Asylantrag abgelehnt worden ist, die aber hier geduldet werden, die hierbleiben können, sind üble Schurken. Viele von ihnen sind gut integriert: Sie gehen einer Arbeit nach. Die Kinder besuchen die Schule, spielen in der F-Jugend des Fußballvereins, in der Dorfjugend, und ministrieren am Sonntag in der Kirche. Das ist auch ein Teil der Wahrheit, meine Damen und Herren. Viele leisten ihren Beitrag zum Gelingen unserer Gesellschaft, zahlen Steuern, zahlen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, zahlen in die Rentenversicherung ein, zahlen Miete und schaffen Arbeitsplätze bei uns. Bei vielen dieser Menschen wären die volkswirtschaftlichen Nachteile ihrer Abschiebung weitaus größer als die Kosten, die entstehen, wenn sie hier bei uns im Land bleiben. Deswegen stellen wir die sinnvolle Überlegung an: Gut integrierten Geduldeten, die hier sind, wollen wir die Chance geben, einen dauerhaften Aufenthaltsstatus zu erhalten, statt ständig, von Jahr zu Jahr, in Kettenduldungen hierzubleiben und keine Perspektive zu haben, sodass es sich für sie auch nicht lohnt, hier etwas aufzubauen. Das ist das Problem, und deswegen wollen wir Chancen schaffen: Chancen für beide Seiten – für die Menschen, die hier sind, aber auch für unsere Gesellschaft –, sodass diese Menschen einen Beitrag zum Gelingen unseres Landes leisten können, meine Damen und Herren. ({2}) Natürlich gibt es auch Straftäter und Gefährder. Nur, wenn Sie in Ihrem Antrag sagen, dass die uns auf der Nase herumtanzen, dann kann ich nur sagen: Nein, gucken Sie mal nach Nordrhein-Westfalen, wo der FDP-Integrationsminister Jo Stamp viel tut für die Integration der Menschen, die sich an das Hausrecht halten, der aber sehr konsequent ist bei der Abschiebung von denen, für die eben kein Platz ist und die das Gastrecht missbrauchen. Da sind beide Dinge enthalten. Jo Stamp lebt es vor in Nordrhein-Westfalen: Integration, aber auch Abschiebungen dort, wo eben Integration misslingt und wo Straftäter und Gefährder das Gastrecht bei uns im Land missbrauchen. Diese Koalition will eine Rückführungsoffensive starten. ({3}) Deswegen brauchen wir auch einen Sonderbevollmächtigten, der Migrationsabkommen mit Herkunftsländern schließt, die nicht nur, aber eben auch dafür Sorge tragen, dass Rückführungen und Abschiebungen gelingen können, und denen wir auch legale Migrationsmöglichkeiten eröffnen wollen. Darum geht es. Das ist eine wichtige Aufgabe, die sich uns stellt. ({4}) Ich wäre sehr froh, wenn wir im Innenministerium einen solchen Sonderbevollmächtigten ansiedeln würden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Thomae, ich habe die Uhr angehalten und frage Sie, ob Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Oster zulassen.

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr gerne, Herr Kollege Oster.

Josef Oster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004845, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade den Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen angesprochen, dessen Einsetzung Sie in Ihrem Koalitionsvertrag vereinbart haben. Das ist einer der ganz wenigen Punkte, den wir im Koalitionsvertrag durchaus begrüßen. ({0}) – Da steht ansonsten nicht viel Gutes drin. Aber das ist ein sinnvoller Aspekt, den Sie dort hineingeschrieben haben. Ihre Regierung ist ja nun schon einige Zeit im Amt. Deshalb die Frage: Wo ist denn dieser Sonderbevollmächtigte? Das ist ein wichtiges Thema; das haben Sie ja gerade auch bestätigt. Wann kommt dieser Sonderbevollmächtigte, und wer soll diese verantwortungsvolle Position denn übernehmen?

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehen Sie, Herr Kollege Oster, ich habe ja auch persönlich etwas mit dieser Funktion zu tun. Ich habe mich sehr dafür eingesetzt, dass sie kommt. Es ist ein so großes Erfolgsmodell – das beschreiben Sie ja auch –, dass sich viele darum reißen. Viele hätten diesen Bevollmächtigten ganz gern. ({0}) Ich bin der Meinung, dass er am besten im Innenministerium aufgehoben wäre, ({1}) weil es sich bei diesen Migrationsabkommen schon um umfassende Abkommen handelt. ({2}) Da geht es auch um Rückführungen, um Abschiebungen, aber eben auch um die Frage, zu welchen Bedingungen jemand legal zu uns kommen kann. Es geht also durchaus um Fragen des Aufenthaltsrechtes und des Migrationsrechts, und das sind klassische Fragen des Innenministeriums. Deswegen finde ich, es wäre im BMI am besten aufgehoben. Aber alle wollen ihn haben, alle reißen sich darum, und deswegen ist noch unentschieden, wer dieses Goldstück denn nun bekommen soll. ({3}) Das ist jedenfalls ein wichtiger Punkt, und ich bin der Meinung, dass wir darauf hinwirken sollten, dass der Posten des Bevollmächtigten alsbald beim BMI eingerichtet wird. ({4}) Ich will noch einen letzten Punkt ansprechen – auch das ist ein wichtiges Anliegen von uns –: Wir müssen darauf hinwirken, dass die Verfahren beschleunigt zum Ende kommen. Dafür müssen Unsicherheiten dahin gehend beseitigt werden, wie Asylanträge von Antragstellern verschiedener Länder zu entscheiden sind. Wir sind der Meinung, dass es nützlich wäre, wenn wir Länderleitentscheidungen bekämen, dass also das Bundesverwaltungsgericht eine Leitentscheidung trifft, die es den Ausländerämtern, den Asylbehörden, dem BAMF, aber auch den Verwaltungsgerichten an die Hand gibt und die besagt, für welche Länder welche Entscheidung die richtige wäre, damit wir schneller zu rechtskräftigen Entscheidungen in Asylverfahren kommen. Ich danke Ihnen. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der nächste Redner ist der Kollege Christoph de Vries für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Christoph Vries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004926, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es ganz bemerkenswert, dass wir heute über Rückführungen diskutieren, aber ich bisher in fast keiner Rede etwas zu Rückführungen gehört habe, außer in der meines geschätzten Kollegen Josef Oster. Herr Lindh, man hat gemerkt: Der Grat zwischen Philosophie und Sinnlosigkeit ist manchmal ein schmaler. ({0}) Das muss ich an der Stelle durchaus sagen. ({1}) Bei den Grünen habe ich festgestellt, dass die eigenen Statistiken valider sind als alle öffentlichen Statistiken der Bundesrepublik Deutschland. Auch das konnte ich heute mitnehmen. ({2}) Herr Baumann, dass nun ausgerechnet Ihre Partei den Krieg gegen die Ukraine zum Anlass nimmt, hier Abschiebungen zu forcieren, ist mehr als zynisch. Ihre Partei ist mit Putin und seiner Propaganda in Deutschland erst groß geworden. ({3}) Das hier zum Anlass zu nehmen, ist wirklich absurd. Da haben Sie einen Riesennachholbedarf in Sachen Glaubwürdigkeit. ({4}) Wir müssen über das Thema Rückführung debattieren; denn es ist doch völlig klar, dass das trotz vieler Anstrengungen, die auch wir unternommen haben, bis heute in Deutschland nicht zufriedenstellend gelingt. Es gibt rechtliche Hindernisse, es gibt tatsächliche Hindernisse, die wir in Deutschland haben. Aber es gibt auch ganz andere Ursachen. Damit meine ich vor allen Dingen den mangelnden politischen Willen mancher Landesregierung, deren Farben uns hier nur allzu gut bekannt sind. Wir können über die Zahlen gerne streiten. Aber lassen Sie mich nur mal das Beispiel Bremen – Rot-Rot-Grün – nennen. Dort wurden im letzten Jahr 0,63 Prozent der gesamten ausreisepflichtigen Personen abgeschoben. Nicht einmal 1 Prozent! In diesem Zusammenhang kann man auch nicht unerwähnt lassen, dass die Grünen die Ausweitung der Zahl sicherer Herkunftsstaaten seit Jahren im Bundesrat mit ihrer Stimme, die sie dort haben, blockieren. ({5}) Neben Parteien wie Grüne und Linke sind es aber auch zivilgesellschaftliche Organisationen, die regelmäßig rechtsstaatliches Handeln, das teilweise durch alle gerichtlichen Instanzen bestätigt wurde, gezielt medial anprangern und versuchen, es als inhuman zu desavouieren. ({6}) Lassen Sie mich deshalb in aller Deutlichkeit sagen: Wir leben immer noch in einem Rechtsstaat. Das darf ich auch Ihnen als Vertreter der Grünen gerne einmal sagen. Für uns als CDU/CSU ist eines ganz klar: Die konsequente rechtsstaatliche Rückführung von ausreisepflichtigen Asylbewerbern ist ein integraler Bestandteil eines funktionierenden Asylsystems in Deutschland. ({7}) Deshalb bekennen wir uns ausdrücklich zum geschützten Recht auf Asyl. Aber jeder, der Abschiebungen ausreisepflichtiger Personen behindert, immer neue Abschiebehindernisse aufbaut oder im Einzelfall Stimmung dagegen macht, muss sich auch immer darüber im Klaren sein, dass er damit die Funktionsfähigkeit und Akzeptanz unseres Asylsystems in Deutschland beschädigt, meine Damen und Herren. ({8}) Die AfD fordert eine nationale Kraftanstrengung zur Abschiebung; es ist angesprochen worden. Das ist in der Sache nicht falsch, und einige Forderungen sind auch berechtigt. ({9}) Aber Ihre Forderungen sind an vielen Stellen unsauber, und es gibt einen grundsätzlichen Punkt, den wir als Union auch aus unserem europäischen Grundverständnis heraus entschieden ablehnen. Sie fordern zum Beispiel die Bundesregierung auf, die Zahl der Abschiebehaftplätze zu erhöhen und Abschiebungen durch die Bundespolizei vornehmen zu lassen. Das sind alles Aufgaben, die eindeutig in die Zuständigkeit der Länder gehören. Insofern haben Sie Ihre Forderungen an dieser Stelle falsch adressiert. Aber der ganz entscheidende Punkt ist folgender: Eine der größten europäischen Errungenschaften ist die Freizügigkeit in Europa, der ungehinderte Verkehr zwischen den europäischen Ländern, das Zusammenwachsen der grenznahen Regionen. Wir wollen diese großartige Errungenschaft nicht aufgeben. ({10}) Deswegen lehnen wir diese Forderung ab. Etwas anderes ist es, wenn wir temporäre, gezielte Kontrollen vornehmen, wenn es Krisensituationen erfordern, so wie wir es auch schon gemacht haben. Doch zurück zur Sache und zur Bundesregierung, die am Zuge ist. Es ist angesprochen worden: Sie haben großspurig eine Rückführungsoffensive angekündigt. Dass Ihre Bundesregierung nach fünf Monaten im Amt noch nicht eine einzige konkrete Maßnahme ergriffen hat, ist bezeichnend. ({11}) Der Sonderbevollmächtigte für den Abschluss von Migrationsabkommen ist erwähnt worden. Die Wahrheit ist doch – das ist auch heute in den Reden deutlich geworden –: Diese Koalition möchte am liebsten niemanden aus Deutschland abschieben. – Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren! ({12}) Dabei würde eine Abschiebeoffensive durchaus zur Entlastung der Lage beitragen, um Frauen und Kindern aus der Ukraine in der jetzigen Situation zu helfen, meine Damen und Herren. Sie verfolgen ein anderes Modell. Sie wollen die Zahl der freiwilligen Ausreisen erhöhen; das kann ja auch ein Ansatz sein. Das waren im letzten Jahr immerhin 21 000 Personen. Aber da frage ich mich: Warum sind die Mittel im Haushaltsplan dieses Jahres dann nicht mal erhöht worden? Auch da ist vonseiten der Bundesinnenministerin nichts passiert. ({13}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der „Focus“ hat im Innenministerium einmal angefragt, was im Rahmen dieser Rückkehrinitiative bisher unternommen wurde. Die einzige Auskunft ist dort gewesen – ich zitiere –: „Die nähere Ausgestaltung … ist Gegenstand von Beratungen innerhalb der Bundesregierung.“ Da kann man nur sagen: Frau Bundesministerin Faeser – sie ist inzwischen leider nicht mehr hier –, zeigen Sie endlich mal Initiative, und packen Sie dieses Thema an! Es ist dringend überfällig. Vielen Dank. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich bitte, bei der Vorbereitung der noch zu haltenden Reden Zitate und Ähnliches in die Redezeit einzupreisen. Ansonsten reden Sie nämlich irgendwann auf Kosten Ihrer Kolleginnen und Kollegen, die in der Redeliste noch vorgesehen sind, und dann muss ich deren Redezeit kürzen. Das Wort hat die Kollegin Gülistan Yüksel für die SPD-Fraktion. ({0})

Gülistan Yüksel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004448, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Demokratinnen und Demokraten! Von meiner langjährigen ehrenamtlichen Integrationsarbeit weiß ich, dass nicht jeder Mensch, der zu uns kommt, bleiben kann. Ich weiß aber auch, dass es abgelehnte Asylbewerber gibt, die schon längst Teil unserer Gesellschaft sind. Immer wieder habe ich deshalb genau das getan, was die AfD mit ihrem Antrag zu verhindern trachtet: Ich habe Menschen, die hier zu Hause sind, geholfen, ein Bleiberecht zu bekommen. ({0}) Von einem dieser Fälle möchte ich hier kurz berichten. Es geht um einen Jungen, der hier zur Schule gegangen ist. Nennen wir ihn Alexander; er hieß zwar anders, aber vielleicht fällt es der AfD ja leichter, bei einem deutschen Vornamen zuzuhören und vielleicht auch mitzufühlen. Alexanders Eltern waren nach Deutschland geflohen und hatten hier einen Duldungsstatus. Als Alex 18 Jahre alt wurde und kurz vor seinem Abitur stand, sollte er abgeschoben werden – in das Land seiner Eltern, getrennt von seinen Eltern und Geschwistern, weg von seinem vertrauten Umfeld, in ein Land, das ihm fremd war. Mit seiner Volljährigkeit gab ihm der Duldungsstatus seiner Eltern keinen Schutz mehr. Er galt plötzlich als abgelehnter Asylbewerber. Zusammen mit vielen Engagierten haben wir uns dafür eingesetzt, dass Alex in Deutschland sein Abitur machen konnte. Später hat er sogar Jura studiert. Sehr geehrte Damen und Herren, die AfD schreibt in ihrem Antrag, dass der deutschen Bevölkerung nicht vermittelbar sei, dass – so wörtlich – „dieser Personenkreis trotz der finalen Ablehnung des ihres Antrages in Deutschland verbleiben kann“. Das ist nicht nur falsches Deutsch, es ist vor allem inhaltlich falsch. ({1}) – Gucken Sie mal in die Begründung Ihres Antrags; da steht es genau so drin. – Vielen Menschen ist nämlich schlichtweg nicht vermittelbar, warum gut integrierte Menschen, die seit vielen Jahren in Deutschland leben, abgeschoben werden sollen. Auch die Menschen im Umfeld von Alex haben nicht verstanden, warum ein Junge, der hier groß geworden ist, kurz vor seinem Abitur Deutschland verlassen sollte. Die AfD versucht immer wieder, den Eindruck zu erwecken, als würde sie für die Mehrheit der Deutschen sprechen. Das tun Sie eben nicht! ({2}) Vermutlich weiß sie das selbst nur zu gut und hat es in ihrem Antrag auch deshalb auf die Zivilgesellschaft abgesehen. NGOs, die sich gegen Abschiebungen engagieren, will sie kurzerhand von jedweder Förderung ausschließen. Das lassen wir nicht zu! Wir lassen auch nicht zu, dass Sie die Helferinnen und Helfer diskreditieren und mundtot machen. ({3}) Auch in diesem Antrag wird mal wieder von „tausenden Straftätern“ und einer „Nationalen Abschiebeoffensive“ fabuliert, um so „notwendigen Platz“ schaffen zu können. Solche Formulierungen sind menschenverachtend. Sie säen Hass und spalten unsere Gesellschaft. Und dem stellen wir uns entschieden entgegen. ({4}) Sehr geehrte Damen und Herren, meine zu Anfang geschilderte Geschichte des 18-jährigen Alex ist längst kein Einzelfall. Kürzlich erschien in der „taz“ ein lesenswerter Artikel über eine Abschiebung von 17 Menschen in das Bürgerkriegsland Äthiopien. Darunter war nicht nur ein schwer kranker Menschenrechtsaktivist mit Schwerbehindertenausweis, sondern auch Abere, ein junger Mann, der seit Jahren hier gelebt, gearbeitet und Steuern gezahlt hat. Wer sich die Geschichten der Abgeschobenen anhört, wird nicht länger für Hass und Hetze empfänglich sein. Wer die aktuelle Abschiebepraxis kennt, wird verstehen, dass es vor allem eine Kraftanstrengung für ein humaneres und besseres Aufenthaltsrecht braucht. Und genau das haben wir uns als Koalition vorgenommen. Menschen wie Abere und Alex sollen nicht abgeschoben werden. Deshalb ändern wir das Aufenthalts- und Bleiberecht. Wir werden nicht nur die Beschäftigungsduldung entfristen. Wir werden insbesondere auch Integrationsleistungen von Geduldeten würdigen, indem wir ihnen nach sechs bzw. Familien nach vier Jahren ein Bleiberecht eröffnen. Jugendlichen bis zum 27. Lebensjahr wollen wir schon nach drei Jahren Aufenthalt in Deutschland die Möglichkeit für ein Bleiberecht geben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, sosehr wir auf politischer Ebene pragmatische Regelungen für betroffene Menschen suchen und umsetzen, so wichtig bleibt das Engagement der Menschen vor Ort. Ob Mahnwache, Hilfsverein oder individuelle Unterstützung: Viele Menschen helfen Geflüchteten, auch und gerade in der Ausnahmesituation einer drohenden Abschiebung. – Herr Baumann, es wäre schön, wenn Sie zuhören würden. Sie quatschen die ganze Zeit. Sie haben den Antrag gestellt. Vielleicht hören Sie einfach mal zu. ({5}) Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, bin ich sehr dankbar. Dank der vielen Helferinnen und Helfer konnte Alex in Deutschland bleiben. Er und seine Familie sind nur ein Beispiel von vielen Geflüchteten, die heute Teil von Deutschland geworden sind. Deutschland ist ein vielfältiges Land, und das ist auch gut so. Danke schön. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU hat nun der Kollege Alexander Hoffmann das Wort. ({0})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Dem Grunde nach ist das heute eine Fortsetzung der Debatte, die wir vor drei Wochen geführt haben. Auch damals war es ein Antrag der AfD, und es ging um die Frage der Registrierung der Menschen, die aus der Ukraine zu uns kommen. Wie damals ist es auch heute so, dass der Antrag der AfD eigentlich keiner Rede wert ist. Es wird mit falschen Zahlen operiert. ({0}) Wissen Sie, gerade das Thema Migration ist ein Thema, das seit 2015 gesellschaftspolitisch wirklich breit diskutiert wird. Deswegen ist es ein fataler, ja, ich möchte fast sagen: ein schäbiger Ansatz, wenn Sie wieder versuchen, das Thema so aufzuziehen, dass Sie die Gesellschaft spalten. ({1}) Was auch völlig inakzeptabel ist – das ist ja der Duktus, der sich durch Ihren Antrag zieht –, ist, dass Sie versuchen, die einen Menschen, die zu uns kommen, gegen die anderen auszuspielen. Deswegen gibt es heute wie auch damals gar nicht so viel zu diesem Antrag. Meine Damen, meine Herren, es wird Sie nicht überraschen: Über die Wortbeiträge der Ampelkoalitionäre ist natürlich gerade beim Thema „Abschiebung und Rückführung“ schon zu reden. Wir haben heute den Kollegen Lindh von der SPD und die Kollegin Polat von den Grünen gehört. Die Überschrift, die uns nervös macht, war wieder: Wir machen die Tür auf, wir lassen alle rein, und niemand mehr muss das Land verlassen. ({2}) – Man merkt die Reaktion. – Das war eine Art von Sonnenblumenrhetorik: ausschließlich blumige Darstellungen zum Thema „Zuwanderung und Asyl“. ({3}) Wissen Sie, meine Damen, meine Herren, ich sehe auch die positiven Seiten, und ich sehe auch die Chancen. Aber wenn man Ihnen zuhört, muss man feststellen, dass Sie die Realitäten im Bereich „Asyl und Zuwanderung“ völlig aus dem Blick verlieren. ({4}) Sie machen sich keine Gedanken um die sicherheitsrechtlichen Aspekte von Zuwanderung. Für Sie spielt offensichtlich überhaupt keine Rolle, wie Sie Zuwanderung in Sozialsysteme verhindern können. ({5}) Und Sie machen sich schlussendlich auch überhaupt keine Gedanken darüber, was Sie tun können, um nicht noch mehr Pull-Effekte zu setzen. ({6}) Das ist am Ende des Tages leider auch die Überschrift des Kapitels in Ihrem Koalitionsvertrag. Heute ist ganz kurz der Begriff „Rückführungsoffensive“ aufgeblitzt. Der Gesichtsausdruck bei den Grünen war beeindruckend, ({7}) als der Kollege Thomae sich tatsächlich getraut hat, das hier an der Kanzel anzukündigen. ({8}) Ich glaube genauso wie alle in der Union nicht daran, dass es tatsächlich zu einer Realisierung kommt. Es ist geradezu mit Händen zu greifen, dass die Ampel so weit nach links gerückt ist, dass es bei einem solchen Thema mit Sicherheit nicht zu einer Umsetzung kommen wird und die FDP unter Umständen als einsamer Rufer in der Wüste enden wird. Der letzte Punkt, der beim Thema Rückführungen wichtig ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist doch folgender: Wir alle haben seit 2015 verstanden, dass wir das Thema „Zuwanderung und Migration“ europäisch denken müssen. Dazu sagt die Ministerin immer gern, sie kämpfe für das Gemeinsame Europäische Asylsystem und habe da schon große Erfolge verbucht – Erfolge, die wir bis heute leider noch nicht alle sehen. Aber im Kern wird das nur realisierbar sein, wenn Sie alle europäischen Staaten von Ihrem Kurs überzeugen. Wenn Sie nur sagen: „Wir machen die Tür auf, lassen alle rein, und niemand muss das Land mehr verlassen“, dann wird Ihnen ein Großteil der europäischen Staaten nicht mehr folgen. Sie werden Antworten auf die Frage geben müssen: Was machen wir mit den Menschen, die alle Verfahren durchlaufen haben, ({9}) bei denen am Ende des Verfahrens aber das Ergebnis steht: „Sie müssen dieses Land in Europa wieder verlassen“? Sie werden Ländern wie Ungarn und Polen für ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem nur Mut machen, wenn Sie eine Antwort auf diese Frage haben. ({10}) Diese Worte müssen Sie sich vor allem bei diesem Thema gefallen lassen. Vielen Dank. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun der Kollege Julian Pahlke. ({0})

Julian Pahlke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005173, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Demokratinnen und Demokraten! Die Bilder aus Afghanistan haben wir hoffentlich noch alle vor Augen: Checkpoints in den Straßen von Kabul, das Rollfeld des Flughafens, auf das für ein paar Tage die ganze Welt geschaut hat, und ein Mensch, der aus dem Radkasten eines Flugzeugs gefallen ist, weil er dort in aller Verzweiflung Schutz gesucht hatte. Das war in den Tagen nach dem 16. August letzten Jahres. Am 10. August, also sechs Tage vorher, hat Horst Seehofer noch öffentlich Abschiebungen nach Afghanistan gefordert – in ein Land, das sich in diesen Tagen schon an der Klippe, kurz vor dem freien Fall in die Rechtlosigkeit der Taliban befand, aus dem die Soldaten fluchtartig ausgeflogen wurden. Diese Verantwortungslosigkeit war das System, nicht erst im August 2021. Wenn hier heute von konservativ bis rechts gefordert wird, Menschen zurückzuschicken, dann würde es zur Ehrlichkeit dazugehören, dass Sie auch die Verantwortung dafür übernehmen, in welche Umstände, in welche ferne Lebensrealität Sie Menschen schicken wollen; ({0}) Menschen, die für viel Geld in Länder geflogen werden, in denen sie nicht einmal Familie oder Freunde haben. Es ist einfach, sich hier ans Pult zu stellen und Abschiebungen zu fordern. Aber Sie selbst würden es nicht schaffen, der fünfjährigen Amina zu sagen, während sie morgens aus der Kita von der Polizei abgeholt wird, dass man sie in ein Land fliegt, das sie noch nie in ihrem Leben betreten hat. Und erklären Sie dem 58-jährigen Dayo, der seit Jahren arbeitet, eine Wohnung gefunden hat und nur wegen Papierkram zu einer Behörde gegangen ist, warum er dort festgenommen wird und wochenlang in Abschiebehaft sitzt. Wo die AfD beim Thema „Abschiebungen und Rechtsberatung“ steht, haben wir im Antrag gelesen, nämlich ganz weit am rechten Abgrund. Aber dass Sie von der Union in den letzten Jahren von einer „Antiabschiebeindustrie“ gesprochen haben, das haben wir nicht vergessen. ({1}) Und deshalb will ich es in aller Deutlichkeit sagen: Ich bin froh über Organisationen wie Pro Asyl, die denen zur Seite stehen, deren Leben, deren Zukunft auf dem Spiel steht. Und ich bin froh, dass es diese Organisationen gibt, die den Rechtsstaat nutzen, um Menschen zu schützen, die Gerichte entscheiden lassen. Das ist doch keine Industrie; das ist vor allem demokratierelevant. ({2}) Denn jede Diffamierung von Organisationen wie Pro Asyl ist nicht nur eine Verhöhnung der Brutalität, der Geflüchtete ausgesetzt sind, sondern es ist auch eine Verhöhnung des deutschen Rechtssystems, das Sie am liebsten gleich mit abschaffen würden. Stattdessen sind Geflüchtete längst Teil dieses Landes und haben ihren Platz in dieser Gesellschaft. Jetzt kommt es darauf an, das auch zügig und entschlossen umzusetzen: mit einem Chancenaufenthaltsrecht, das Menschen die Möglichkeit gibt, in diesem Land zu bleiben, anstatt sie vom Ausbildungsplatz in den Flieger zu bringen. Aber es braucht auch verlässliche Wege, wie Menschen auf der Flucht bei uns Sicherheit finden können, vor allem aus Afghanistan, wo Zehntausende Menschen zurückgelassen worden sind – ein Land, in das es keine Abschiebungen hätte geben dürfen. Das ist das historische Versagen, und es muss uns eine Lehre sein, dass die Forderung nach Abschiebungen in Chaos, in Leid und, ja, auch in Tod enden kann. Wir beweisen doch gerade, wie mit Geflüchteten aus der Ukraine umgegangen werden kann, wie das Ankommen gelingen kann, wie wir eine schnelle Integration schaffen, wie groß das Verständnis und die Solidarität sind. Es ist unser Anspruch, geflüchteten Menschen eine Teilhabe in dieser Gesellschaft zu geben, einen Platz im Arbeitsleben, Selbstbestimmung und vor allem eine Perspektive; denn diese Gesellschaft ist längst bereit, sicherer Hafen zu sein und vor allem, es auch zu bleiben. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Pahlke, ein gutes Beispiel für die Einsicht, dass wir hier keine Mindestredezeit haben, sondern eine maximale Redezeit. Auch so geht es. ({0}) Das Wort hat der Abgeordnete Matthias Helferich.

Matthias Helferich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005079

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man muss nicht in die Großstädte dieser Republik schauen, um zu erfahren, wie fatal Ihre Migrationspolitik ist. Es genügt bereits ein Blick in das beschauliche Hennef am Rhein: Hier vergewaltigte 2019 der abgelehnte syrische Asylbewerber ({0}) Mohammed B. die deutsche Mutter zweier Kinder auf einem Rewe-Parkplatz. Die Kinder von Opfer und Täter besuchten denselben Kindergarten, die Familien wohnten sogar nebeneinander. Über Jahre musste das Vergewaltigungsopfer Mohammed B.s Erniedrigungen ertragen, schließlich wurde der fremde Sextäter zunächst weder inhaftiert noch abgeschoben. Ebenfalls in Hennef schändete der abgelehnte Nordafrikaner Binian T. im Mai 2017 eine Jugendliche unter einer Autobahnbrücke. Nachdem das Opfer nach vollendetem oralen Missbrauch auf der Flucht stolperte, vergewaltigte sie der völlig enthemmte Afrikaner dann noch vaginal. Der Siegauen-Vergewaltiger, ein 31-jähriger, abgelehnter Ghanaer, bedrohte im selben Jahr ein junges Pärchen mit einer Säge und zwang die junge Frau zum Sex. Besondere Lust verschaffte es dem Triebtäter offenkundig, dass der Freund der Frau dem Vergewaltigungsakt hilflos beiwohnen musste. Doch was tat die Stadt Hennef? Sie erklärte nicht den Illegalen den Kampf, sondern sie erklärte sich in einem ethnomasochistisch morbiden Akt zum sicheren Hafen für noch mehr Fremde, darunter natürlich auch noch mehr fremde Täter. In Deutschland halten sich über 800 000 abgelehnte Asylbewerber auf, unter ihnen auch Gewalttäter, Vergewaltiger und auch Kinderschänder. Ich lege Ihnen jetzt mal eine einfache Rechnung vor: Eine Sammelabschiebung per Flugzeug kostet rund 300 000 Euro. Damit können um die 50 Fremde außer Landes geschafft werden. Nehmen wir die 675 Millionen Euro aus Ihrem Haushaltsplan, die für Integrationsprogramme vorgesehen sind, so könnte man über 2 000 Flugzeuge mit über 100 000 kriminellen, illegalen und abgelehnten Asylbewerbern ausstatten. Das wäre nicht nur haushalterisch eine sinnvolle Investition. Beenden Sie diese Ersetzungsmigration, schützen Sie das Asylrecht für wirklich Verfolgte, und dienen Sie endlich Ihrem Volk! Vielen Dank. ({1})

Dr. Ann Veruschka Jurisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005094, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine geschätzten Damen und Herren! Ich zitiere: „Wut, ich habe wirklich Wut gespürt, und auch Trauer. Diese Menschen, die Arbeit haben, hier Fuß gefasst haben und uns nicht zur Last fallen, die wieder wegschicken – unmöglich!“ und „Arbeitgeber brauchen doch ganz dringend solche Leute!“ Das sind Zitate aus meiner Heimatstadt Konstanz, als Ende 2019 ein junger Mann aus Nigeria in seine Heimat abgeschoben wurde. Er war bestens integriert und ein geschätzter Mitarbeiter bei einem Konstanzer Gastronomen. Es gab Demonstrationen in Konstanz gegen die Abschiebung, einen offenen Brief der Gemeinderatsfraktion an Bundeskanzlerin Merkel, eine Petition – alles ohne Erfolg. Es war am Ende eine Abschiebung, die uns als Gesellschaft nur geschadet und nichts genützt hat. ({0}) Ich möchte an dieser Stelle aber nicht verschweigen, dass es natürlich auch Fälle nicht glückender Integration von geflüchteten Menschen gibt, wie wir sie ebenfalls in meinem Wahlkreis vor Kurzem in nichtakzeptabler Form erlebt haben. Hier muss mit allen Mitteln des Rechtsstaats konsequent reagiert werden. ({1}) Aber kommen wir zum Anfang zurück. Es ist höchste Zeit, dass wir das uns hinterlassene Stückwerk von Frau Merkels Flüchtlings- und Einwanderungspolitik zu einem sinnhaften Ganzen bringen. ({2}) Es ist höchste Zeit, dass wir die Migrationspolitik vom Kopf auf die Füße stellen. Das beginnt damit, dass wir mit offenen Augen sehen, wer und was wir in Deutschland sind: Deutschland ist ein Einwanderungsland. ({3}) Noch hadern wir mit dieser Erkenntnis und gestalten viel zu wenig – genauso übrigens, wie wir uns bis vor Kurzem kollektiv der Erkenntnis verweigert haben, dass wir eine sicherheitspolitische Verantwortung in Europa haben. Machen wir die Augen auf für diese Realität: Deutschland ist ein Einwanderungsland, ({4}) und das ist gut so. ({5}) Unsere migrantischen Mitbürgerinnen und Mitbürger leisten einen wichtigen und großen Beitrag an die Stabilität und Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft. Deutschland ist ein Einwanderungsland; lassen Sie uns das ambitioniert, strategisch und zukunftsorientiert gestalten. Erstens. Räumen wir bei den Altfällen in der Duldung auf, und schaffen wir für gut integrierte, straffreie Migranten Rechtssicherheit im Sinne eines Chancenaufenthalts. Ich möchte hier ausdrücklich betonen, dass es sich um die Regelung von Altfällen handelt, also für Menschen, die schon bei uns sind, um auch diesen gern bedienten Narrativen von Pull-Effekten gleich mal einen Riegel vorzuschieben. ({6}) Zweitens. Einer Stärkung der legalen Migration, vor allem auch der Migration in den Arbeitsmarkt, muss natürlich eine konsequente Reduktion illegaler Migration gegenüberstehen. ({7}) Wir benötigen schnellere Entscheidungen in Asylprozessen sowie eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung. ({8}) Dies geht Hand in Hand mit dem Abschluss von mehr Rückführungsabkommen, um das Ausreisen von Straftätern und Gefährdern auch umsetzen zu können. Der dazu nötige Sonderbevollmächtigte muss deswegen zügig ernannt werden. ({9}) Drittens – und am Wichtigsten aus meiner Sicht –: Angesichts der demografischen Lage und 400 000 fehlender Arbeitskräfte jährlich müssen wir unser Land für eine gezielte, bedarfsorientierte Arbeitskräftemigration öffnen. Wer Einwanderungsland sagt, sollte sich auch für Arbeitskräftemigration starkmachen. Wir haben deshalb in unserem Koalitionsvertrag ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild zur Einwanderung in unseren Arbeitsmarkt vereinbart. ({10}) Auch auf europäischer Ebene gibt es dazu seit ein paar Tagen übrigens ganz konkrete Vorschläge. Die Erleichterung von Arbeitsmigration sollten wir jetzt gerade auch mit Blick auf die letztlich ja auch nur geduldeten Kriegsvertriebenen aus der Ukraine sehr zügig umsetzen. Wir alle sind gewählt worden, um die richtigen Entscheidungen für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu treffen. Dabei sind eine aktive und gestaltende Arbeitsmigrationspolitik und Asylpolitik ein zentraler Baustein. Lassen Sie uns das so schnell wie möglich umsetzen. Vielen herzlichen Dank. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Michael Breilmann für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Breilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005032, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei diesem Antrag und in dieser Debatte ist die Haltung der AfD noch einmal deutlich geworden. Der Antrag enthält im Grunde genommen nur einen konkreten Kernpunkt, und das ist die unbedingte Abschiebung um jeden Preis und nichts anderes. ({0}) Dazu, dass ausgerechnet Sie in Ihrem Antrag das Funktionieren des Rechtsstaates versuchen zu betonen und gleichzeitig – ich konnte es gerade bei Ihrem Zwischenruf mit anhören – hier im Plenum den Verfassungsschutz so diskreditieren, wie Sie es getan haben, kann ich nur sagen: Das ist der Gipfel, und das schlägt dem Fass den Boden aus. ({1}) – Es ist gut, Herr Baumann, dass Sie es jetzt noch mal wiederholt haben, dass Sie es jetzt noch mal betont haben. Gut, dass Sie das getan haben. ({2}) Dieser Antrag gibt nichts Neues her, und er zeigt einmal mehr, um was es Ihnen geht: um die Spaltung unserer Gesellschaft und um nichts anderes. ({3}) Sie haben hier gerade in unerschütterlicher Weise – ich finde das furchtbar – Flüchtlingsgruppen gegeneinander ausgespielt, und das in einer Zeit, wo es auf europäischem Gebiet Krieg gibt. ({4}) – Weil es mich wirklich erzürnt, in der jetzigen Lage Flüchtlingsgruppen gegeneinander auszuspielen. ({5}) Für uns als CDU/CSU ist und bleibt das Grundrecht auf Asyl ein sehr hohes Gut, und es gehört zu unserem Verständnis von Humanität. Alle Asylsuchenden haben einen Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren. Die Steuerung und Begrenzung von Migration nach Deutschland muss in unserem Handeln ebenso zum Ausdruck kommen wie die Tatsache, dass Menschen nach Abschluss des rechtsstaatlichen Verfahrens Deutschland verlassen müssen, wenn sie vollziehbar ausreisepflichtig sind. ({6}) Dafür sind zwei Dinge wichtig: erstens, an Ausreisehindernissen zu arbeiten, und zweitens: Aufenthaltserlaubnisse bei Geduldeten müssen an echte Integrationsvoraussetzungen geknüpft werden. Ich bin auch Kommunalpolitiker. Ich finde, das ist in der heutigen Debatte ganz wichtig zu sagen. Wir als Union verstehen uns in der Frage der Asylpolitik als Partner der Kommunen, als Partner der engagierten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Das gilt es im Moment auch deutlich zu machen. Es gilt, die Kommunen und Kreise in Zukunft weiter zu ent- und nicht zu belasten. ({7}) Ich finde, wir sollten die Debatte heute daher dazu nutzen – das ist vorhin auch schon getan worden –, gerade in der jetzigen Situation den vielen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, Landrätinnen und Landräten, aber auch den ehrenamtlich tätigen Bürgerinnen und Bürgern vor Ort zu danken, die seit vielen Jahren, aber auch in der jetzigen Situation Enormes im Bereich der Asyl- und Flüchtlingspolitik leisten. Das kann man nicht genug betonen. ({8}) Die Landesinnenminister haben sich anlässlich ihrer jüngsten Sitzung im März in Brüssel für eine verbesserte Rückführungspolitik auf Unionsebene ausgesprochen. Gut so, sage ich. Zudem pochen sie auf gemeinsame Anstrengungen bei der Rückführung von Personen unter anderem aus dem islamistischen Spektrum und von Straftätern, die eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen. Dem kann ich mich nur anschließen. Nur die konsequente Durchsetzung des Rechts sichert das Vertrauen in den Rechtsstaat. Zu einer glaubwürdigen und breit akzeptierten Migrationspolitik gehört es daher, dass einer Pflicht zur Ausreise eine tatsächliche Ausreise folgen muss. ({9}) Dies gilt insbesondere für diejenigen, die die Rechts- und Gesellschaftsordnung in Deutschland missachten. Wir haben was getan: Mit dem Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht haben wir diese Politik mit der Großen Koalition in Regierungsverantwortung in der Vergangenheit konsequent umgesetzt. Insgesamt – und das ist heute bei Ihrem Verhalten, bei Ihren Reden deutlich geworden – brauchen wir Ihren AfD-Antrag nicht, und das wird auch so im Ausschuss beraten werden. Herzlichen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Hakan Demir für die SPD-Fraktion. ({0})

Hakan Demir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Drei Anmerkungen vorab. Vor Wochen habe ich einen Antrag gelesen, der in etwa so hieß: EU-Flüchtlingspolitik voranbringen, aber nicht auf Kosten Deutschlands. – Ich muss sagen, dass ich erst mal nicht auseinanderhalten konnte, ob dieser Antrag von der AfD oder einer anderen Partei kam. Das hört sich zumindest für mich nicht nach Mitte an, und das finde ich erst mal schade. Das vorab. ({0}) Der zweite Punkt bezieht sich auf die Pull-Faktoren, von denen wir gerade gehört haben. Sie glauben doch nicht wirklich, dass die Menschen hier nach Deutschland kommen, weil unsere Sicherungssysteme so sind, wie sie sind. ({1}) Sie kommen nach Deutschland, weil sie vor Krieg fliehen. Das haben sie aus Syrien so gemacht, und das machen sie auch aus der Ukraine. ({2}) Ich sehe zwischen Menschen aus beiden Staaten keinen Unterschied. ({3}) – Ich sage es einfach mal. Dann ganz kurz der dritte Punkt, weil der oder die Sonderbevollmächtigte für Migrationsabkommen ab und zu genannt worden ist, was richtig ist. Diese Person soll aber nicht nur eine Rückführungsoffensive starten, sondern sie soll auch darauf achten, dass die Menschen in den Herkunftsländern wieder integriert werden können, und sie soll natürlich auch überprüfen, wie man Möglichkeiten schaffen kann, legal nach Deutschland zu kommen, Stichwort „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“. Wir verstehen die Aufgaben also breiter. ({4}) – Es steht so im Koalitionsvertrag; aber wir können sonst noch mal mit Stephan Thomae sprechen. ({5}) Zumindest eine Fraktion tut in ihrem Antrag so, als ob geduldete Menschen überhaupt keine Rechte hätten. Nein, sie haben Rechte. Bei der Duldung handelt es sich um eine Aussetzung der Abschiebung, und dafür gibt es gute Gründe. Einige haben wir gehört. Ich nenne nur mal drei. Der erste Punkt. Die Sicherheitslage in dem Heimatland oder auch dem EU‑Land, in das die Menschen zuerst eingereist sind, ist prekär. Der zweite Punkt ist schwere Krankheit, sodass die Rückführung nicht möglich ist. Der dritte Punkt ist das, was wir mit der Union eingeführt haben und was wir verbessern wollen, nämlich die Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung. Die Menschen haben also auch gute Gründe, hierzubleiben, und das ist auch gut so. Wir halten daran fest, dass Menschen nicht in Länder abgeschoben werden, in denen für sie die Gefahr besteht, Opfer eines Krieges oder eines bewaffneten Konflikts zu werden. Wir werden Menschen nicht in Perspektivlosigkeit und Lebensgefahr abschieben. ({6}) Und ich sage Ihnen auch: Es gibt nicht nur humanitäre Gründe für meine Position. Im Innenausschuss bin ich für meine Fraktion auch für das Einwanderungsgesetz zuständig. Wir alle wissen: Die geburtenstarken Jahrgänge der Nachkriegszeit gehen allmählich in den Ruhestand. Bereits bis 2030 werden 3,9 Millionen Menschen fehlen, bis 2060 sind es sogar über 10 Millionen Menschen. Vor diesem Hintergrund ist es mehr als sinnlos, Menschen aus den Schulen, aus den Betrieben, Menschen, die hier angekommen sind, hier einen Mittelpunkt gefunden haben, zurückzuführen. Das wollen wir als SPD einfach nicht mehr. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in meinem Wahlkreis, in Neukölln, hatten wir den Fall einer syrischen Familie. Sie war ursprünglich nach Rumänien geflohen, aufgrund des unzureichenden Asylsystems dort aber weiter nach Deutschland eingereist. Nach mehrmaliger Duldung und einer insgesamt vierjährigen Wartezeit hier in Deutschland sollte sie wieder nach Rumänien zurückgeführt werden. Nach aktueller Rechtslage ist das korrekt. Aber was ist in der Zwischenzeit passiert? Die Familie ist hier angekommen. Eine Tochter hat gerade ihre Gymnasialempfehlung bekommen. Ihr Bruder engagiert sich in einem Kunstförderprogramm, kümmert sich um die Finanzierung des Vereins, lernt jetzt, nachdem er fließend Deutsch spricht, auch noch Japanisch und steht kurz vor dem Abschluss der zehnten Klasse. Als dem Vater mit der Duldung erstmals eine Arbeitserlaubnis ausgestellt wurde, fand er innerhalb eines Monats einen Job als Lagerarbeiter. Dank des ehrenamtlichen Einsatzes vieler Menschen in Neukölln – ich sage noch mal Danke dafür – und der Entscheidung der Härtefallkommission darf die Familie hier bei uns bleiben. Aber Härtefallkommissionen sind nicht die Lösung. ({8}) Deshalb werden wir mindestens drei Dinge voranbringen: Wir werden Arbeitsverbote für geflüchtete Menschen abschaffen. Wir werden es fliehenden Menschen möglich machen, im Asylverfahren einen Aufenthaltstitel zu erhalten, und wir werden Menschen mit dem Chancenaufenthaltsrecht eine Chance geben, hierzubleiben. Oder anders ausgedrückt: Wir wollen keine Abschiebung von Menschen aus ihrer Arbeit oder Ausbildung. Wir wollen keine Abschiebung von Schulkindern, die keine andere Sprache sprechen als Deutsch, und wir wollen keine Abschiebung von Menschen, die ein Teil dieser Gesellschaft geworden sind. Vielen Dank. ({9})

Beatrix Storch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004905, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich habe kein Foto aus der Sitzung veröffentlicht. Ich habe kein Foto aus dem Plenarsaal veröffentlicht. Ich habe ein Foto aus der Fernsehübertragung von Phoenix veröffentlicht, und ich bitte Sie daher, diesen Ordnungsruf zurückzunehmen. Ich habe nichts Unerlaubtes getan.

Johannes Steiniger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle merken es: Das Leben wird teurer. Das merken wir an der Zapfsäule, wenn wir tanken gehen; das merken wir bei jedem Einkauf im Supermarkt. Wir werden es, wenn wir zur Miete wohnen, auch am Ende des Jahres merken, wenn die Nachzahlung fällig wird. Dann wird es für viele ganz besonders schlimm werden. Wir sehen also: Das Leben von vielen Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land ändert sich. Manche müssen sich nur einschränken, aber bei ganz vielen herrscht die große Sorge, dass sie sich nicht nur einschränken müssen, sondern dass am Ende des Monats nicht mehr genug Geld da ist, um diese hohen Preise zu bezahlen. Wir erleben eine Rekordinflation: 7,3 Prozent im März. Seit 40 Jahren hatten wir nicht mehr solche Zahlen. Mir ist es in neun Jahren Bundestag jetzt das erste Mal passiert, dass ich eine Petition von einem Gemeinderat aus meinem Wahlkreis bekommen habe, und zwar aus der kleinen Gemeinde Weidenthal. Die Kommunalen und Ehrenamtlichen wollen sich dafür einsetzen, dass wir im Deutschen Bundestag handeln. Das zeigt aus meiner Sicht, dass es wirklich schon fünf nach zwölf ist. Wir fordern daher die Ampel auf, jetzt endlich zu reagieren. ({0}) Sie werden gleich in der Debatte sagen: Ja, wir haben doch gestern was verabschiedet und auch in den letzten Wochen immer mal wieder was gemacht. ({1}) Aber das Muster, das wir bei dieser Ampel sehen, ist immer gleich: Die Ampel reagiert zu spät, sie macht zu wenig. Und wenn Sie etwas machen, dann machen Sie es so bürokratisch, dass das am Schluss sehr viel mehr an Kosten produziert. ({2}) Ich würde mir wünschen, dass auf dieser Koalition nicht nur „Fortschrittskoalition“ draufsteht, sondern dass Sie diesen Fortschritt auch mit viel PS auf die Straße bringen; denn zum Fortschritt gehört auch die Schnelligkeit dazu. ({3}) Wir sind als Union eine konstruktive Opposition. Wir weisen auf diese Themen seit vielen Monaten hin. Wir haben schon im letzten Jahr hier in den Debatten auf die hohe Inflation hingewiesen. Da habe ich noch gehört: Das gibt es doch gar nicht; das wird sich in den nächsten Monaten ausgleichen. – Wir sehen heute: Das ist falsch. Wir haben zum Thema „hohe Energiepreise“ schon vor Monaten einen Antrag eingebracht; der wurde von Ihnen abgelehnt. ({4}) Ich selbst habe hier im Dezember letzten Jahres, kurz vor Weihnachten, zum Thema „kalte Progression“ gesprochen und gesagt, dass Sie dort etwas machen müssen. Sie machen nichts, und das liegt daran, dass sich die FDP im Koalitionsvertrag nicht durchsetzen konnte. ({5}) Der Begriff „kalte Progression“ kommt im Koalitionsvertrag nicht vor, und deswegen gleichen Sie es – anders, als wir es früher gemacht haben – nicht aus. ({6}) Das dicke Ende wird jetzt kommen, weil nun die Tarifrunden anstehen. Dann wird es so sein, dass die Lohnerhöhungen, die es bei den Tarifverträgen geben wird, aufgefressen werden. Tun Sie etwas dagegen, und zwar nicht nur, indem Sie den Grundfreibetrag erhöhen, sondern indem Sie auch etwas bei den Eckwerten machen. Dazu fordern wir Sie auf. Jetzt haben Sie in den letzten Tagen einiges an Ankündigungen und Maßnahmen vorgestellt. Das eine haben Sie im Grunde genommen von uns kopiert; ({7}) das andere ist superbürokratisch und handwerklich schlecht gemacht. Sie führen einen Familienbonus ein: 100 Euro. Wir haben vor wenigen Wochen hier vorgeschlagen, einen Kinderbonus von 150 Euro zu machen. Da bleiben Sie hinter unseren Forderungen zurück. Ich kann übrigens auch nicht mehr ertragen, wenn Sie sich hier abfeiern. Auch gestern habe ich Ihren Fraktionsvorsitzenden Christian Dürr bei „Bild“ gesehen, der sich dafür abgefeiert hat, was für eine große Entlastung man hier vor sich hat. Jetzt gucken wir uns einfach noch mal an, was die Union in den letzten Jahren gemacht hat: Erster Punkt. Wir haben den Kinderbonus zweimal gemacht – wir haben ihn zweimal für 150 Euro gemacht –, wir haben allein in den beiden Familienentlastungsgesetzen über 20 Milliarden Euro Entlastung gemacht, und Sie feiern sich jetzt hier mit diesen Dingen ab. Das ist nicht in Ordnung. ({8}) Zweiter Punkt: Energiesteuer. Bei der Energiesteuer finden wir es gut, dass Sie unseren Vorschlag aufnehmen, diese zu reduzieren. Aber wir hätten gern, dass Sie es nicht nur für drei Monate machen, sondern dass Sie unseren Vorschlag aufnehmen und dies für zwei Jahre machen. Denn eins ist doch klar: Diese Krise wird nicht in drei Monaten zu Ende sein. Jetzt das Thema Energiegeld. Wir hatten eine Anhörung dazu im Finanzausschuss. Das war schon sehr erschreckend, wenn man sich anschaut, was für einen Rattenschwanz diese 300 Euro, die Sie hier auszahlen wollen, nach sich ziehen. Es kommt zu spät und ist ungenügend. Sie vergessen im Übrigen auch viele: Sie vergessen die Studenten und die Rentner. Aber am allerschlimmsten ist Folgendes – und das wundert mich dann schon, wenn die FDP an einer solchen Bundesregierung beteiligt ist –: Sie schaffen hier ein Bürokratiemonster. Heute beziffert das „Handelsblatt“ die Bürokratiekosten allein für das Energiegeld auf 1 Milliarde Euro. Die Steuerverwaltungen in den Bundesländern werden mit 550 Millionen Euro Bürokratiekosten mehr belastet – ein Wahnsinn, wenn man sich das anschaut. Und manchmal muss man ja etwas lachen. Ich habe dann gesehen: Der Finanzminister hat sich zitieren lassen, dass man das so bürokratieschonend wie möglich umsetzen will. Ich frage mich manchmal, was die FDP, als sie noch in der Opposition gewesen ist, zu solchen Gesetzen gesagt hätte. ({9}) Ich kann es mir gut vorstellen, und das sagen wir Ihnen jetzt auch. Von daher: Kommen Sie hier in die Puschen, und kommen Sie Ihrem Auftrag nach! ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Dr. Nina Scheer das Wort. ({0})

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es immer wieder erschreckend, mit welchen platten Versuchen ({0}) Sie aus den CDU/CSU-Reihen heraus Anträge vorlegen und sie überschreiben, das sei jetzt eben irgendetwas Neues, was wir nachgemacht hätten. Meistens lässt sich durch Tweets, ({1}) durch Pressemitteilungen ziemlich schnell nachvollziehen, dass Sie mit ziemlicher Sicherheit und Regelmäßigkeit immer ein, zwei Monate nach hier schon eingebrachten Entwürfen oder jedenfalls schon mit Eckpunkten versehenen Entwürfen Vorschläge unterbreiten. Insofern wäre es, wenn die Situation, in der wir uns befinden, angesichts der Dringlichkeit, Entlastungen zu schaffen, nicht so tragisch wäre, wirklich ein Treppenwitz, was Sie aus Ihren Reihen heraus immer wieder auf die Tagesordnung setzen. ({2}) Und dazu ist Ihnen dann auch keine Aktuelle Stunde zu schade. Ich möchte einfach noch mal – das ist vielleicht eine kleine Philosophiestunde – einfach auf der Zunge zergehen lassen, welchen Titel Sie gewählt haben: Von der Bundesregierung angekündigte Kehrtwende bei Energiepreisen so schnell wie möglich richtig und unbürokratisch umsetzen Was heißt denn eigentlich „angekündigte Kehrtwende“? Ich wüsste jetzt nicht, dass wir irgendeine Kehrtwende angekündigt haben, weil es ja schließlich eine Entwicklung ist, die sich keiner ausgesucht hat. – Das zum einen. ({3}) Es geht also darum, dass man Dinge beklagt, die sich aus verschiedensten Gründen ereignen, einmal, weil wir eine Coronapandemie hatten und immer noch haben, aber auch, weil wir enorme Einbrüche in der Wirtschaft hatten und deswegen auch Reduktionen in der Energienachfrage da waren. Darauf haben sich die Märkte eingestellt. Dann sind wir wieder in eine Wachstumsphase zurückgekommen. Darauf mussten die Märkte erst mal reagieren, und daher haben wir auch Effekte an den Märkten und Preissteigerungen gehabt. Also wo, bitte schön, möchten Sie eigentlich das Wording „Kehrtwende“ anknüpfen? Es ist mir nicht klar. Insofern: Angekündigt haben wir schon gar nichts. Eine Kehrtwende ist auch nicht in dieser Phase zu erkennen, weil wir schließlich handeln. Wir machen Entlastungspakete dort, wo sie zielgerichtet hingehören ({4}) und wo wir es auch für sinnvoll halten. ({5}) Zudem unterstellen Sie mit diesem Wording, dass Energiepreise irgendwas Garantiertes seien, irgendetwas vom Himmel Gefallenes. Wenn es im Zusammenhang mit den fossilen Energiemärkten steht, ist es besonders irritierend, dass Sie in der heutigen Zeit immer noch meinen, dass man von garantierten Energiepreisen im fossilen Energiesystem ausgehen könnte. Das ist also auch da schon mal wieder ein grobes Missverständnis, was Sie schon mit dem Titel der Aktuellen Stunde in die Diskussion bringen. ({6}) Zudem wollen Sie es „richtig“ und „unbürokratisch“ umsetzen. ({7}) „Richtig.“ – Ja, was ist denn in der Politik richtig, wenn es Ereignisse gibt, für die es keine Schablone gibt? Es geht doch darum, die Situation zu analysieren. ({8}) Und wenn Sie einfach in diesen Raum stellen, Sie wollen etwas richtig machen, dann merke ich schon an dem Wording, dass Sie sich überhaupt nicht mit der Analyse auseinandergesetzt haben. Denn sonst würden Sie gar nicht zu diesem seltsamen, schwammigen und auch wirklich wenig subsumierbaren Begriff in diesem Titel gelangen. ({9}) „Unbürokratisch“ ist ja auch immer so ein Kampfbegriff. Wir wollen es ja schließlich auch gerecht machen. Wenn man etwas gerecht ausgestalten will, dann muss man auch Einzelfallgerechtigkeit schaffen. Das ist aber bei generellen Regeln, wie sie nun mal Gesetze mit sich bringen, und dann, wenn man es schnell auf den Weg bringen möchte, gar nicht so einfach. Deswegen haben wir mit zwei Entlastungspaketen, sehr gut austariert, im Umfang von über 30 Milliarden Euro, die das insgesamt umfasst, verschiedene Gruppierungen in der Bevölkerung fokussiert und zielgenau geschaut: Wie kann man da entlasten? Beim Heizkostenzuschuss, im Energiebereich haben wir entlastet, wir haben mit dem Kinderbonus entlastet. Einiges ist schon umgesetzt, einiges ist auf dem Weg. Ich habe eine lange Liste, die sich in 53 Sekunden jetzt gar nicht runterlesen lässt. Aber die kennen Sie ja alle; sie sind verbrieft mit den zwei Entlastungspaketen, die wir haben. Heute machen wir noch einen weiteren Schritt mit der EEG-Umlagenabsenkung, die wir noch beschließen werden. Auch die wird eine Entlastung bringen. Sie ist zugleich mit Blick auf die Energiewende wichtig, weil wir da einen Anreiz für den Einbau von Wärmepumpen kriegen, die damit attraktiver werden. Das ist also auch zielgerichtet in dieser Hinsicht. Wir versuchen und haben es mit den Entlastungspaketen auch geschafft, einmal Schnelligkeit hinzubekommen, zugleich aber auch Gerechtigkeit, weil hier ja nicht die Großverdiener entlastet werden müssen; vielmehr sind Maßnahmen enthalten, die natürlich dort ansetzen, wo auch besondere Bedarfe sind. Aber da muss man die auch analysieren. Analyse bedeutet auch Bürokratie. Aber die muss einem im Rechtsstaat, in dem es gerecht zugehen soll, auch etwas wert sein. In diesem Sinne sind auch die Entlastungspakete zu verstehen. Also ist der Titel der von Ihnen beantragten Aktuellen Stunde und ist das, was Sie damit verfolgen, fehlgeleitet. Vielleicht darf ich mit folgender Bemerkung schließen. Sie haben ja gestern in der CSU versucht, die 10‑H-Regelung etwas abzumildern. Sie stehen aber nach wie vor zu dieser 10‑H-Regelung. Sie haben immer noch nicht kapiert, –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin.

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– dass die energiepolitischen Erkennungsmerkmale Ihrer Fraktion nur eines versprechen, nämlich dass sie eine Verteuerungsgarantie sind. Und damit möchte ich schließen. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Bernd Schattner für die AfD-Fraktion. ({0})

Bernd Schattner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005203, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits am 18. Februar dieses Jahres forderte ich an dieser Stelle in meinem Antrag auf der Drucksache 20/707, die Mehrwertsteuer für Kraftstoffe und Heizöl auf 7 Prozent zu reduzieren und die CO2-Steuer abzuschaffen. Mit dieser Maßnahme wäre zum damaligen Zeitpunkt ein sofortiger Preisnachlass von rund 37 Cent je Liter Kraftstoff umsetzbar gewesen. Hätten Sie damals unserem Antrag zugestimmt, bräuchten wir heute nicht Ihre Aktuelle Stunde, und die Bürger wären bereits seit Monaten entlastet. ({0}) Sechs Tage später, am 24. Februar, begann der Krieg in der Ukraine. In der Folge überschlugen sich die Preise für Kraftstoffe. Ebenso steigen seit diesem Zeitpunkt die Preise für Lebensmittel nahezu täglich an. Ein Ende dieser Preisspirale ist noch lange nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil: Wir kämpfen bereits jetzt wieder mit Versorgungsengpässen und leeren Regalreihen in den Supermärkten. Infolge dieser Preisexplosionen forderten wir am 6. April als AfD-Bundestagsfraktion auf Drucksache 20/1034, die Mehrwertsteuer und die CO2-Steuer bei Kraftstoffen komplett zu streichen und ebenso Lebensmittel von der Mehrwertsteuer zu befreien. Damals wies die Koalition diese Forderungen weit von sich. Nur drei Wochen später hat Minister Özdemir offensichtlich den Vorschlag der AfD aufgenommen und fordert nun selbst die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel. Immerhin, es gibt auch lernfähige Grüne. Das hätte ich persönlich so nicht gedacht. ({1}) Auch dieser Antrag von der einzigen echten Oppositionspartei im Deutschen Bundestag zur Entlastung unserer Bürger und des Mittelstandes wurde wieder durch alle anderen Parteien abgelehnt. Mit anderen Worten: Bereits zweimal wurde hier durch die sogenannten Volksvertreter ihren eigenen Wählern eine deutliche finanzielle Entlastung verwehrt. Und was tut unsere Regierung für die Menschen im Land? Minister Habeck und Kanzler Scholz sorgen mit massiven Wirtschaftssanktionen gegen Russland und Waffenlieferungen für die Ukraine dafür, dass die heimische Wirtschaft mit den dadurch steigenden Energiepreisen enorm belastet wird und die Angst vor einem dritten Weltkrieg berechtigterweise zunimmt. Herr Scholz, gerade durch Ihre Jugendkontakte zur FDJ müssten Sie doch eigentlich noch den Wahlspruch „Schwerter zu Pflugscharen“ kennen. Kriege löst man eben nicht mit Waffengewalt, sondern mit Diplomatie. Zurück zum Thema „Entlastung unserer Bürger“. Das jetzt von der Regierung beschlossene Maßnahmenpaket zur Entlastung der deutschen Bürger lässt sich mit einem Satz zusammenfassen: zu wenig, zu spät und zu bürokratisch. ({2}) Hätte dieses Hohe Haus unseren bereits genannten Anträgen zugestimmt, könnten die Bürger schon längst entlastet sein. Der deutsche Steuerzahler sollte sich in Zukunft entscheiden, ob er sich von dieser Regierung noch den letzten Euro aus der Tasche ziehen lassen will ({3}) oder mit uns von der AfD mehr Geld im Portemonnaie haben möchte und wirklich spürbar entlastet wird. ({4}) – Na ja. ({5}) Zur Wahrheit gehört auch, dass Finanzminister Lindner überhaupt kein Interesse daran hat, den deutschen Steuerzahler zu entlasten. Durch die extrem hohen Energiekosten hat er in den letzten Monaten Milliarden von Steuermehreinnahmen zu verbuchen gehabt. Vorgestern wurden von Gazprom die Gaslieferungen an Bulgarien und Polen eingestellt. Heute Vormittag hat sich die Mehrheit dieses Hauses dafür entschieden, auch schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch an uns die Gaslieferungen eingestellt werden. Da frage ich mich: Wie gedenkt denn unsere Regierung in einem solchen Falle die Bevölkerung mit Energie und Wärme kurzfristig zu versorgen? Von dem Energiebedarf der deutschen Wirtschaft wollen wir an dieser Stelle gar nicht erst sprechen. Wäre es nicht doch besser gewesen, die Kohle- und Atomkraftwerke zumindest so lange am Leben zu erhalten, bis wir eine gewisse Energieautarkie besitzen? Oder sollen jetzt jeden Tag 2 000 Schiffe aus Amerika mit umweltschädlichem Fracking-Gas die deutsche Wirtschaft am Laufen halten? Meine Damen und Herren, mit dieser olivgrünen Kriegs- und Katastrophenpolitik müsste nun auch dem Letzten aufgefallen sein, dass sich Deutschland mit erneuerbaren Energien eben nicht autark versorgen lässt. ({6}) Kohle und Atomenergie werden in Deutschland noch Jahre benötigt, sichern Arbeitsplätze und Wohlstand für die Mittelschicht, auch für die Bürger im ländlichen Raum. ({7}) – Das Genuschel mit den Masken ist normal, keine Angst. – Deswegen, Herr Habeck, sollten Sie nicht bei Antidemokraten in Katar um Gas betteln, sondern heimische Energiequellen wie Kohle und Atomenergie, die Sie seit Jahrzehnten kaputtmachen, die aber sauber und günstig und seit Jahren verfügbar sind, ({8}) stärken und sichern. ({9}) Ihre Politik heißt nicht: „Frieren gegen Putin“, sondern das Aus für die deutsche Wirtschaft. Letzter Satz. – Atomstrom ist die Zukunft für Deutschland. Mit den neuen Reaktoren haben wir die Möglichkeit, wieder Marktführer zu werden und Energiesicherheit in Deutschland zu erreichen. Vielen Dank. ({10})

Andreas Audretsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005011, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren dieses Thema heute nicht im luftleeren Raum, sondern in der sehr fragilen Situation, in der wir uns befinden. Der Gaslieferstopp Putins gegenüber Polen und Bulgarien macht deutlich, um was es gerade geht. Es geht darum, dass Energiepreise, dass Gaslieferungen von Putin als Waffe genutzt werden. Es geht darum, dass Menschen zutiefst verunsichert und Gesellschaften gespaltet werden sollen. Ich sage Ihnen: Das wird Putin nicht gelingen. Und wissen Sie, warum? Weil wir als Ampel dafür sorgen werden, dass diese Gesellschaft zusammengehalten wird, weil wir die Maßnahmen ergreifen, die jetzt notwendig sind. Das gilt für die gesamte Breite der Wirtschaft und der Gesellschaft: für Großimporteure und Zwischenhändler, für Unternehmen, Metallindustrie und Chemieindustrie, für jeden einzelnen Menschen und gerade auch für Menschen mit wenig Geld. ({0}) Ich möchte konkret werden, um einmal deutlich zu machen, wie weit wir auf diesem Weg schon vorangekommen sind, und weil wir gerade eine so was von rückwärtsgewandte Rede gehört haben. ({1}) Die Preissprünge, die wir gerade erleben, entstehen wegen der Abhängigkeit von fossilen Energien und wegen der fossilen Inflation. Robert Habeck hat das gestern wunderbar in seinem Video auf Twitter erläutert. Wer es nicht gesehen hat: Schauen Sie es sich an! Es ist sehenswert. – Wir gehen Stück für Stück weg von diesen fossilen Energieträgern, wir gehen raus aus der Abhängigkeit und sorgen dafür, dass die Versorgungssicherheit in der Zukunft, auch was die Preise angeht, für die Menschen immer realer und immer greifbarer wird. ({2}) Wir werden Putin nicht die Möglichkeit geben, uns zu treiben. Wir entscheiden, wann wir handeln. Wir geben den Takt vor. Wir entscheiden, was passiert. Wir bereiten uns auf den schlimmsten Fall vor. Aber was dazugehört, ist, dass wir Schritt für Schritt verantwortlich handeln und dafür sorgen, dass die Sicherheit bei der Energieversorgung in Deutschland weiterhin besteht. Ich bin Ihnen dankbar, liebe Union, dass Sie dieses Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt haben, weil das Kabinett genau einen Tag vorher die Punkte für das zweite Entlastungspaket beschlossen hat. ({3}) Ich will sie Ihnen noch einmal aufzählen, falls Sie da etwas verpasst haben: Der Grundfreibetrag wird angehoben, die EEG-Umlage wird abgeschafft, es gibt 300 Euro Energiepreispauschale für alle Angestellten und Selbstständigen, ({4}) 270 Euro Heizkostenzuschuss, 200 Euro für die Menschen in der Grundsicherung, 100 Euro Einmalzahlung für Menschen im Arbeitslosengeld I, 100 Euro für alle Kinder und Jugendlichen über das Kindergeld und dauerhaft künftig 20 Euro pro Monat Kindersofortzuschlag. Herr Steininger, Sie haben gesagt, der Familienbonus müsse jetzt kommen. ({5}) Ich hatte dazu gestern Abend die letzte Besprechung in der Ampelrunde. ({6}) – Ja, das ist wichtig, das sage ich Ihnen; denn daran hängt die Umsetzung. – Ich sage Ihnen eines: Nichts im Raum war stärker als der Wille, das jetzt schnell auf die Straße zu bekommen. Und genau das werden wir tun. Sie werden sehen: Der Familienbonus wird kommen, und dann wird er seine Wirkung entfalten. ({7}) Wir wissen, dass die Auseinandersetzung, in der wir uns befinden, nicht schnell zu Ende geht; vielmehr werden wir mit dieser Auseinandersetzung eine ganze Weile leben und arbeiten müssen. Deswegen planen wir, deswegen gehen wir voran, und deswegen haben wir das Energiegeld auf den Weg gebracht, das gerade ausbuchstabiert wird. Damit haben wir in Zukunft ein Instrument, mit dem wir Menschen, die es nötig haben, sehr schnell direkt Geld zukommen lassen können. Egal ob Selbstständige, Angestellte oder Kinder im Kitaalter – all diese Menschen sollen direkt Geld bekommen. Ich sage Ihnen eines: Die Gießkannenpolitik, die Sie immer wieder vorschlagen – wir haben das hier in verschiedenen Situationen gesehen –, funktioniert nicht. ({8}) Nichts ist finanziert, Ihre Haushälter stellen alles unter Haushaltsvorbehalt. Sie reden, wir machen. Das ist der Unterschied. Und das ist die Politik der Ampel. ({9}) Zum Schluss eine grundsätzliche Bemerkung. Fast alle in diesem Haus – gerade mit Blick auf den Redner vor mir sage ich: fast alle in diesem Haus – dürften am letzten Sonntag froh gewesen sein, dass in Frankreich Emmanuel Macron Präsident geworden ist und nicht die rechtsextreme Marine Le Pen. Es ist noch einmal gut gegangen. Das liegt auch daran, weil sich sehr viele Menschen trotz ihrer Wut entschieden haben, für Macron zu stimmen. Diesen Menschen müssen wir sehr dankbar sein. Sie haben für Macron gestimmt, auch wenn sie wenig Geld hatten, auch wenn sie Sorgen hatten, auch wenn sie Probleme hatten; sie sind der rechtsextremen Propaganda nicht auf den Leim gegangen. Das heißt aber für uns: Die Lehre muss sein, dass wir gerade in Krisen, gerade wenn Spaltung im Raum steht, gerade wenn Putin versucht, sich in unsere Gesellschaften einzumischen, keinen zurücklassen dürfen. ({10}) Wir dürfen es nicht zulassen, dass unsere Gesellschaft gespalten wird. Das ist eine Aufgabe von fundamentaler Größe. Wir als Ampel werden niemanden zurücklassen. Das ist die Politik der Ampel, die wir gemeinsam umsetzen. Vielen Dank. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Christian Leye, Fraktion Die Linke. ({0})

Christian Leye (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005127, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Energiepreise gehen durch die Decke, allein Heizöl und Kraftstoffe sind um 63 Prozent teurer geworden. Die jährlichen Energiekosten für einen Familienmusterhaushalt sind im März um 80 Prozent gestiegen. Das sind über 3 200 Euro obendrauf. Können Sie sich vorstellen, was 3 200 Euro zusätzlich für einen Musterhaushalt bedeuten? Eines kann ich Ihnen sagen: Der Musterhaushalt verdient nicht so gut wie wir hier, meine Damen und Herren. ({0}) Schon im Februar hatten 80 Prozent der Menschen draußen im Land Angst vor der nächsten Heizkostenabrechnung. Daher sage ich Ihnen: Der Bundestag darf den sozialen Sprengstoff nicht unterschätzen, der im Anstieg der Energiepreise liegt. Das Konzept „die Mittelschicht und die kleinen Leute zahlen, und oben knallen die Sektkorken“ wird in dieser Krise nicht funktionieren. Wir brauchen jetzt eine Zeitenwende für mehr soziale Gerechtigkeit, meine Damen und Herren! ({1}) Was machen eigentlich andere Staaten gegen die hohen Energiepreise? In der sonst so wirtschaftsliberalen Schweiz gibt es seit Jahrzehnten das Amt des Preisüberwachers, der im Extremfall Preisvorgaben per Verordnung durchsetzen kann. ({2}) In Italien kontrolliert die Finanzpolizei die Preise für Strom, Öl und Gas, und zwar vom Einkauf über die Produktion bis zum Verkauf. Und warum? Damit Spekulanten keine Kasse machen können! ({3}) Und in Frankreich reguliert der Staat die Strompreise. Die französische Regierung hat den Anstieg der Energiepreise beim staatlichen Stromkonzern auf 4 Prozent gedeckelt. Zum Vergleich: Bei uns stiegen die Strompreise in der gleichen Zeit um 23 Prozent. 4 Prozent zu 23 Prozent, den Unterschied merken Sie selber, oder? ({4}) So, und was tut unsere Politik gegen die steigenden Preise? Ein hochbezahlter Ex-Politiker gab die Parole „Frieren für die Freiheit“ aus. Eines sage ich Ihnen: Er wird nicht frieren, wenn die Preise weiter steigen. ({5}) Minister Habeck gab Energiespartipps und kommentierte: „Das schont den Geldbeutel und ärgert Putin“. Das Bundeskartellamt schießt den Vogel ab und rät wegen Monopolpreisen an Autobahntankstellen dazu, zum Tanken von der Autobahn abzufahren. Heidewitzka! Vielleicht wäre es die Aufgabe des Kartellamtes gewesen, Monopolpreise zu verhindern, anstatt solche Geheimtipps auszuarbeiten. ({6}) Es ist ja ein Witz: Woanders reguliert die Politik die Energiepreise, und bei uns werden Energiespartipps und Durchhalteparolen von gut bezahlten Politikern an weniger gut bezahlte Haushalte durchgegeben. Wir sagen daher: Das Problem muss bei der Wurzel gepackt werden. Der Staat ist jetzt gefordert, Mondpreise bei der Energie so weit es geht zu verhindern. ({7}) Das fängt damit an, dass Strompreise eben auch an der Börse gebildet werden. An der Börse gibt es das Merit-Order-Prinzip. Wie funktioniert das? Das teuerste Gaskraftwerk gibt den Preis für alle anderen Kraftwerke vor. ({8}) Das teuerste Kraftwerk gibt den Preis für alle anderen, billigeren Kraftwerke vor, und das mitten in einer Energiepreiskrise. Was für ein Wahnsinn – außer für die Kraftwerksbetreiber, für die gerade Party ist, meine Damen und Herren. ({9}) Der freie Markt regelt das gerade nicht. Deswegen sagen wir: Es braucht eine staatliche Preiskontrolle. Und das geht, wenn man will; denn das gibt es in Deutschland schon, und zwar beim Netzentgelt. Da funktioniert der Markt auch nicht, und deswegen kontrolliert der Staat die Preise. Wie macht er das? Er lässt sich die Betriebskosten auf den Tisch legen. Dann wird eine Profitmarge festgesetzt, die natürlich nicht durch die Decke geht. So werden Mondpreise verhindert. Wenn wir schon ein solches Instrument haben, warum wird das dann hier nicht angewandt? Wir sagen: Deckeln Sie die Energiepreise jetzt! Das wäre vernünftig und gerecht. ({10}) – Ich höre hier Widerspruch. Ich denke, das liegt daran, dass sich das wie eine halbe Verstaatlichung anfühlt, weil es ja auch eine halbe Verstaatlichung ist. ({11}) Das ist in Ordnung, das ist okay. ({12}) Energieversorgung ist Daseinsvorsorge. ({13}) Wir merken doch gerade: Die Liberalisierung der Energiemärkte war ein Fehler. Das ist wie bei den Krankenhäusern. Das liberalisiert man einfach nicht. ({14}) Wenn die Bevölkerung für die Topprofite von einigen wenigen so hohe Stromrechnungen zahlen muss, dann ist das einfach falsch. Wir sagen Ihnen: In der Krise des Kapitalismus hilft nicht noch mehr Markt. Dann braucht es eine Regierung, die sich mutig vor ihre Bürgerinnen und Bürger stellt und sich mit den Konzernen anlegt. So geht Gerechtigkeit in der Krise. Danke schön. ({15})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Leye. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir freuen uns, dass wir auch mal wieder einen Vertreter des Bundesrates unter uns haben. ({0}) Nun bekommt das Wort der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, Professor Andreas Pinkwart. ({1})

Andreas Pinkwart (Minister:in)

Politiker ID: 11003610

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren in dieser Aktuellen Stunde des Deutschen Bundestages über die Energiepreisentwicklung vor dem Hintergrund außergewöhnlicher, schwieriger Herausforderungen für das Energiesystem in unserem Land. Unser Energiesystem war noch nie so stark herausgefordert wie im Moment durch den schrecklichen Krieg in der Ukraine. Deswegen muss sich eine Debatte zu Energiepreisen natürlich einerseits mit der Frage beschäftigen, wie wir insbesondere die einkommensschwächeren Haushalte und die energieintensiven Unternehmen in dieser schwierigen Situation entlasten können. Das tut die Bundesregierung. Sie hat unterschiedliche Pakete auf den Weg gebracht. Der Bundesrat hatte darum gebeten. Wir sehen, dass die Bundesregierung viele wichtige Schritte unternommen hat. Herr Habeck, Sie werden heute Nachmittag dankenswerterweise mit den Mitgliedern der Wirtschaftsministerkonferenz über die die energieintensiven Unternehmen betreffenden Maßnahmen sprechen. Dafür sind wir dankbar. Hier ist vieles auf dem Weg, was kurzfristig hilft, Haushalte und Unternehmen zu entlasten. Das ist dringend notwendig. Hier arbeiten wir eng zusammen, meine Damen und Herren. ({0}) Wir müssen uns in dieser Situation, in der auch ein Gasembargo drohen könnte – schneller als wir das vielleicht bislang befürchteten und voraussehen konnten –, andererseits mit Blick auf die Energiepreise fragen: Wie gehen wir mit dem Energieangebot um? Wie gehen wir mit der Energienachfrage um? Wie können wir es so gestalten, dass die Energiepreise in dieser Notsituation nicht noch dramatischer ansteigen? Denn da könnte der Staat mit allen Mitteln, die er mobilisieren könnte, gar nicht gegenhalten. Wir müssen uns also fragen: Wie können wir die Energiequellen schneller diversifizieren? Wie können wir neue Quellen erschließen? Wie können wir in dieser Situation den Fuel Switch von Gas zu Kohle, zu Schweröl und zu anderen Energieträgern beschleunigen, gerade hinsichtlich der energieintensiven Unternehmen? Meine Damen und Herren, wir haben hier Spielräume. Wir müssen allerdings auch die Genehmigungsverfahren anpassen. ({1}) Auch hier bitten wir die Bundesregierung um Unterstützung. Wenn jetzt das Embargo käme, müsste die Industrie trotzdem, soweit es ginge, weiterarbeiten können. Hier müssen wir innovativ werden. Hier müssen wir zusehen, dass das schnell angepasst werden kann. Darauf müssen wir uns konzentrieren. ({2}) Dann ist es entscheidend, dass wir den Weg zum klimaneutralen Ufer überbrücken und Gas auf dem Weg dorthin durch andere Stützpfeiler ersetzen. Dafür brauchen wir andere konventionelle Energien, von denen wir glaubten, dass wir uns von ihnen schon längst hätten verabschieden können. Möglicherweise werden wir diese kurz- und mittelfristig stärker einsetzen müssen. Das gilt aus meiner Sicht bis Ende der 20er-Jahre für alle konventionellen Energien. Ich möchte für die nordrhein-westfälische Landesregierung hier bekräftigen: Wir wollen möglichst bis 2030 abschließend aus der Kohle aussteigen; aber bis dahin brauchen wir eine Brücke zum klimaneutralen Ufer, die auch tragfähig ist. Dafür müssen wir alles in den Blick nehmen. Wir brauchen auch neue Stützpfeiler aus Erneuerbaren, die schneller ausgebaut werden. ({3}) Das müssen wir beschleunigen. Hier unterstützen wir das von Herrn Habeck vorgelegte Osterpaket. ({4}) Wenn wir den Ausbau erneuerbarer Energien endlich als überragendes öffentliches Interesse einordnen, werden wir es einfacher haben, Planungs- und Genehmigungsverfahren in unserem Land durchzuführen und auch endlich – das füge ich aus nordrhein-westfälischer Sicht hinzu – die Netze auszubauen. ({5}) Denn bislang ist die Offshorewindenergie in Nordrhein-Westfalen frühestens ab 2030 verfügbar. Der Netzausbau muss, meine sehr verehrten Damen und Herren, deutlich beschleunigt werden. ({6}) Hier setzen wir auf mutige Entscheidungen der Bundesregierung. Damit der Ausbau der Erneuerbaren auch ganz lebenspraktisch schneller vorankommt, brauchen wir mehr Standardisierung, mehr Digitalisierung, mehr Manpower in den Genehmigungsbehörden. Wir brauchen auch viel mehr Fachkräfte im Handwerk. Bundesweit werden 140 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Handwerk benötigt, um die Energiewende hin zu den Erneuerbaren möglich zu machen. Hier gilt es, die berufliche Qualifizierung, die Tätigkeit im Handwerk und in anderen Bereichen unserer Gesellschaft endlich wieder anzuerkennen, damit mehr junge Leute dorthin gehen. ({7}) Für mich sind Handwerkerinnen und Handwerker die Klimamacher unserer Zeit. Wir müssen dafür werben, meine Damen und Herren, damit wir dort vorankommen. ({8}) Neben der Verteuerung der Energiepreise sehen wir, dass auch die Materialpreise galoppieren und das Handwerk und alle anderen Bereiche massiv darunter leiden, dass sie gar nicht das Material haben, um die Energiewende vorantreiben zu können. Dies könnte sich noch verschärfen, wenn die energieintensiven Unternehmen in Deutschland nicht mehr die Energie verfügbar haben, um in der Grundstoffindustrie und in anderen Industrien ihre Beiträge zu leisten. Wenn wir auch das noch alles importieren wollten, würden wir uns im Übrigen ein neues Klumpenrisiko an Abhängigkeit zulegen. Dann wären wir auch nicht mehr so leistungsfähig, und die Preise würden explodieren. Deswegen möchte ich für die nordrhein-westfälische Industrie und auch für die Sozialpartner, die sich am vergangenen Wochenende noch einmal ganz deutlich zu Wort gemeldet haben, mit Blick auf ein Energieembargo sagen – und wir sind der Bundesregierung und dem Energieminister sehr dankbar; sich in die Brandung zu stellen, ist alles andere als selbstverständlich –: Ein Energieembargo zum jetzigen Zeitpunkt hieße aus deutscher Sicht, dass wir uns stärker belasteten als den Aggressor und dass wir uns die Möglichkeiten nähmen, all diese Umbaumaßnahmen in der notwendigen Weise voranzubringen. Das würde unserem Standort schaden, das würde dem Klima schaden. Deswegen wollen wir alles unternehmen, um die Abhängigkeit vom Gas, vom Öl, von der Kohle weiter zu reduzieren, bevor wir eine solche Entscheidung treffen, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({9}) Wir müssen auch auf Folgendes achten – die Bundesnetzagentur arbeitet Tag und Nacht daran, sich vorzubereiten; auch dafür sind wir dankbar –: Es könnte sein, dass uns ein solches Embargo, ein solcher Ausfall der Gaslieferungen in den nächsten Wochen trotzdem bevorstehen könnte. Das würde zu ganz erheblichen Friktionen führen. Deswegen muss man sich klug darauf vorbereiten. Wir müssen uns eng abstimmen, und wir müssen sehen, dass wir uns die Brückenpfeiler, die wir brauchen, nicht selber wegschlagen, indem wir das nicht gut organisiert bekommen. Wir brauchen eine gesicherte Versorgung für eine starke Industrie, um beim Umbau unseres Energiesystems und unserer Industrie voranzukommen, mit vereinfachten Planungs- und Genehmigungsverfahren, mit mehr Bereitschaft, in diese Bereiche zu investieren, um dann den Vorteil der erneuerbaren Energien für unser Land endlich nutzen zu können. Wenn wir sie konsequent ausbauen und dies mit einer entsprechenden Wasserstoffwirtschaft verbinden, dann schaffen wir es auch, die Energiepreise langfristig stabilisieren zu können. Dafür brauchen wir Technologie, Innovation und Investition. Das gilt es jetzt klug voranzutreiben, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({10}) Es wird ja immer wieder gefragt: Wer ist denn da wie weit gekommen? Wir müssen dringend davor warnen, uns der allgemeinen Illusion hinzugeben, wir hätten das Ziel schon halb erreicht. Leider stehen wir, gemessen an unseren sehr ehrgeizigen Zielen, erst am Anfang. Ich will das einmal an wenigen Beispielen verdeutlichen: Wir haben in Nordrhein-Westfalen seit 2016 den jährlichen Photovoltaikausbau vervierfachen können. Wunderbar! Das wollen wir aber in den nächsten acht Jahren noch mal verdrei- bis vervierfachen. Zum Windausbau ein Vergleich zu Baden-Württemberg, auch ein wichtiges Industrieland wie Nordrhein-Westfalen, aber 1 000 Quadratkilometer kleiner: Nordrhein-Westfalen hat eine dichtere Wohnbevölkerung. Trotzdem haben wir in den letzten vier Jahren dreimal so viel im Bereich Wind zugebaut wie Baden-Württemberg. ({11}) Und wir haben achtmal mehr Genehmigungen für die nächsten Jahre, die uns vorliegen, als Baden-Württemberg. Meine, Damen und Herren, wenn wir das alles ernst meinen, dann müssen jetzt auch alle mitmachen, und dann müssen Sie sich auch vor Ihre Bürgerinnen und Bürger stellen und auf die Notwendigkeit dieser Ausbaumaßnahmen hinweisen, sich hinter diese Maßnahmen stellen, Bund und Länder. Wir wollen es dem Energieminister nicht allzu schwer machen, die Ziele zu erreichen. Wenn wir sie nicht erreichen, werden wir hier in Zukunft ganz andere Debatten über Energiepreissteigerungen haben. Das sollten wir vermeiden.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Minister.

Not found (Minister:in)

Hier gilt es jetzt, die Ärmel hochzukrempeln. Alle müssen dabei Verantwortung übernehmen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank, Herr Minister Pinkwart, dass Sie noch mal deutlich gemacht haben: Wo die CDU regiert, da geht es mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien voran. Vielen Dank dafür! ({0}) Zur aktuellen Debatte. Wir hätten uns übrigens einen politischeren Titel der Debatte gewünscht, aber bei den Titeln der Aktuellen Stunden ist es leider immer so, dass sie neutral sein sollen. Unser Titel wäre gewesen: „Kehrtwende der Bundesregierung – zu spät, zu wenig, zu bürokratisch“. Alles drin in dem Titel. Das träfe es dann ziemlich genau. ({1}) Zu „zu spät“ will ich sagen: Wir haben hier auf Antrag der Union bereits am 18. Februar und am 17. März Debatten zu den Energiepreisen gehabt. Ich habe sie noch im Ohr, die Kollegen Mohrs, Gremmels und Audretsch. Heute machen Sie zum Teil das, wogegen Sie vor zwei Monaten noch gesprochen haben. Ich empfehle Ihnen, Herr Kollege Gremmels: Denken Sie daran, wenn Sie hier gleich wieder lautstark reden! Sie könnten Ihre Worte in vier oder sechs Wochen wieder ändern müssen, weil Sie am Ende doch tun, was richtig ist und was wir hier vorschlagen. ({2}) Nachdem Sie es vor zwei Monaten nicht anerkannt haben, erkennen Sie nun endlich an, dass es ein Problem bei den Energiepreisen gibt, und Sie tun etwas – immerhin. Das ist eine Kehrtwende, aber eben zu spät, zu wenig, zu bürokratisch. „Zu spät“ ist am Ende auch ein Problem für die Bürgerinnen und Bürger. Seit vielen Wochen und Monaten überlegen sich Pendler und diejenigen, die heizen, Handwerk und Mittelstand, wie sie am Ende die Tankfüllungen und das Heizen noch bezahlen können. Jede Woche später, in der die notwendigen Entscheidungen getroffen werden, ist für diese Bürgerinnen und Bürger, für die breite Mitte der Bevölkerung, eine Woche zu spät an Hilfe in dieser schwierigen Zeit. Deswegen: Tun Sie endlich, was wir schon seit zwei Monaten einfordern, und beschließen Sie es hier im Deutschen Bundestag! ({3}) Es ist zu wenig in der Breite und der Tiefe. Rentner, Studenten, Handwerk und Mittelstand gehen leer aus. Viele Millionen Menschen lassen Sie mit den steigenden Energiekosten alleine. Ja, es ist richtig, dass Sie, wie gerade von Ihnen angekündigt, etwas für die Geringverdiener tun. Das ist gut. Aber es sind mittlerweile auch die Normalverdiener, die breite Mitte in Deutschland, von diesen starken Energiepreisen betroffen. Und zu viele davon erreichen Sie mit Ihren Maßnahmen nicht, und das ist ein Problem. Das ist zu wenig, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel. ({4}) Es ist übrigens auch zu wenig in der Summe. Selbst die 300 Euro Pauschale kommen ja, weil Sie die noch besteuern, bei niemandem als 300 Euro an. Das muss man einmal dazusagen, weil Sie das hier immer so rausstellen. ({5}) Es ist deswegen zu wenig in der Breite und in der Tiefe, weil Sie nicht das Problem in den Mittelpunkt stellen, die hohen Energiepreise, sondern weil Sie in der Binnenlogik einer Ampelkoalition am Ende versucht haben, ein Paket zu schnüren, wo jeder seine Spielwiese hat. Wenn Sie wirklich die Gesellschaft zusammenhalten wollen, dann machen Sie das, was richtig ist, und nicht das, was sich aus der Binnenlogik einer Ampelkoalition ergibt, weil jeder ein bisschen was haben muss. ({6}) Dadurch ist es eben auch zu bürokratisch geworden. Der Kollege Steiniger hat schon darauf hingewiesen: Über 1 Milliarde Euro Bürokratiekosten bei der Pauschale von 300 Euro! Wir haben heute Morgen über ein Belastungsmoratorium für Bürokratie diskutiert. Auch für die Arbeitgeber bedeutet es zusätzlichen Aufwand, wenn die Pauschale über den Lohn mit ausgezahlt werden soll. Das ist genau das, was wir heute Morgen gemeint haben. In dieser schwierigen Zeit ist es eben das Falsche, die Wirtschaft, Handwerk, Mittelstand, vor allem die kleinen Unternehmen mit zusätzlicher Bürokratie für Ihre Pauschale zu belasten. Genau damit so etwas nicht mehr passiert, brauchen wir dieses Bürokratiemoratorium, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Dann ist die Frage: Was denn stattdessen? Ich kann Ihnen sagen, was stattdessen: eine Entlastung über Steuern, über die Steuern auf die Energie. Das wäre der richtige Weg gewesen. Das wäre schneller gegangen. Etwa bei der Mehrwertsteuer: Streiche 19, setze 7! Den Gesetzentwurf hätte ich Ihnen noch schreiben können. ({8}) Den hätten wir in einer Woche hier im Deutschen Bundestag beschließen können, wenn wir gewollt hätten. Der Weg über die Steuern wäre einfach gewesen, es wäre schnell gegangen, und es hätte vor allem alle erreicht. Deswegen bitten wir Sie inständig im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, von Handwerk und Mittelstand: Gehen Sie weg von Ihrem Paket mit den unterschiedlichsten bürokratischen Maßnahmen, die am Ende bei vielen gar nicht ankommen, und gehen Sie den Weg über eine Entlastung bei den Energiesteuern! Denn die kommt bei allen an, die gerade betroffen sind. ({9}) Ein Letztes. Planbarkeit und Bezahlbarkeit sind zwei Seiten einer Medaille. Das sehen wir übrigens gerade auch bei der Situation in Polen und Bulgarien. Der Stopp der Lieferungen von Gas führt zu Unsicherheit an den Gasmärkten und zu steigenden Preisen. Das tut es unter anderem deswegen, weil es keinen Plan gibt. Den fordern wir auch seit Monaten ein. Ich finde das mit Insta gut; das ist die Kür. Ich freue mich auch, wenn die Kommunikation da gelingt. Ich würde mich nur gelegentlich freuen, wenn auch die Pflicht mit dabei wäre, nämlich dass dem Deutschen Bundestag, diesem Parlament, ein Konzept vorgelegt wird. Übrigens haben Sie heute Morgen in einem Antrag einen „Ausstiegsfahrplan“ aus der russischen Abhängigkeit beschlossen. Das fordern wir seit zwei Monaten ein. Wenn es diesen Fahrplan gäbe, dann könnten sich auch alle Marktteilnehmer darauf einstellen, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– und nicht jede kleine Verunsicherung durch Neuigkeiten würde zu steigenden Preisen führen. Das ist der entscheidende Teil. Also legen Sie endlich diesen Ausstiegsfahrplan vor! Auch das beruhigt die Preise. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Spahn. – Nächster Redner ist der bereits angesprochene Kollege Timon Gremmels, SPD-Fraktion. ({0})

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte nicht gedacht, dass ich das irgendwann einmal sagen würde: Herr Spahn, wären Sie doch lieber bei Gesundheitsthemen geblieben. Da hatten Sie mehr Kompetenz als bei diesem. ({0}) Ich überlege mir noch einmal, ob ich diesen Satz nicht zurücknehme. Aber ich bin echt sprachlos. Vor allem: Was wäre geschehen, wenn man Ihren Forderungen hier gefolgt wäre? Herr Spahn, ich erinnere nur daran: Sie haben gesagt, wir sollten öfter auf die CDU hören. Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Merz, hat am 9. März gefordert, die Gaslieferungen über Nord Stream 1 sofort einzustellen. Was hätte denn das für Auswirkungen auf die Energiepreise gehabt? Das, was Sie hier machen, sich hierhinzustellen, ist doch ein doppelzüngiges Spiel. Sie fordern einerseits Dinge, die die Energiepreise nach oben getrieben hätten, andererseits fordern Sie hier Energiepreissenkungen. Das ist zynisch, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({1}) Dann fordern Sie hier von der Bundesregierung ein, sie solle doch endlich handeln, und die solle endlich etwas tun und einen Fahrplan erarbeiten, wie wir unabhängig von fossilen Energien werden. Herr Spahn, sind Sie denn einmal in den Ausschusssitzungen? Was macht denn Robert Habeck tagtäglich, Tag und Nacht? Er macht nichts anderes, als daran zu arbeiten. ({2}) Übrigens waren die Schubladen leer, als Sie den Bundeswirtschaftsminister hier gestellt haben. ({3}) Wo waren denn die Schubladen? Wo waren denn Ihre Konzepte? Wo war denn der Fall, der auch schon früher hätte eintreten können? Es war doch nichts da. Das muss jetzt diese Regierung erarbeiten. 16 Jahre hat die CDU die Kanzlerin gestellt, und Sie tun so, als ob Sie mit den letzten 16 Jahren nichts zu tun hätten. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist unredlich. Das sage ich Ihnen an dieser Stelle. ({5}) Diese Koalition handelt nicht erst seit dem 24. Februar, sondern wir haben uns schon vorher um steigende Energiepreise gekümmert, weil das eine fossile Inflation ist, die wir erleben, die verstärkt wurde durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, aber die vorher schon da war. Unser erstes Entlastungspaket – insofern sind wir dankbar für die Aktuelle Stunde, weil man es darin noch einmal darlegen kann – haben wir am 23. Februar, einen Tag vor dem Angriff Russlands, als Koalition auf den Weg gebracht. Ich erinnere mal an die Punkte: Abschaffung der EEG-Umlage zum 1. Juli, die wir gleich beschließen werden, Erhöhung der Fernpendlerpauschale rückwirkend zum 1. Januar, Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger, Azubis und Studierende, Einmalzahlungen für Bedürftige, Sofortzuschlag für von Armut betroffene Kinder, höhere Grundfreibeträge, Erhöhung der Werbungskostenpauschale, Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro, Verlängerung des Kurzarbeitergeldes, steuerliche Erleichterungen für die Wirtschaft. Dann das zweite Entlastungspaket, vom 24. März: Energiepauschale von 300 Euro, Einmalbonus von 100 Euro zusätzlich für jedes Kind, Einmalzahlungen von 100 Euro für Empfänger/-innen von Sozialleistungen zusätzlich zu den bereits im Februar beschlossenen 100 Euro, Absenkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe, ÖPNV-Flatrate. – Das waren 15 konkrete Maßnahmen, die die Bürgerinnen und Bürger spürbar entlasten. ({6}) – Ja, es ist alles zu spät, Herr Spahn, wie Sie hier hereinrufen. Wissen Sie, was zu spät ist? Das, was Sie die letzten 16 Jahre ausgebremst haben, war nämlich die Energiewende. Hätten wir vorher den Turbo bei der Energiewende, beim Ausbau der erneuerbaren Energien gezündet, ({7}) dann hätten wir heute deutlich preiswertere Energie, weil die erneuerbaren Energien heute deutlich preiswerter sind. ({8}) Deswegen: Das Argument „zu spät“ fällt doch auf Sie selber zurück, Herr Spahn. Sie haben nicht gehandelt; Sie haben hier gebremst und den Ausbau verhindert, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({9}) Ansonsten – wir haben das jetzt auch bei Herrn Pinkwart gerade gehört – war das ein bisschen Wahlkampf NRW; ist okay. Aber ich meine: Wenn nun die Landesregierung von NRW sozusagen beim Ranking von 16 Bundesländern sagt: „Es gibt aber ein Bundesland, das noch schlechter ist als NRW, und daran orientieren wir uns; das ist Baden-Württemberg“, ({10}) finde ich das, ehrlich gesagt, ein bisschen wenig. Ich hätte mir schon noch gewünscht, Herr Pinkwart, nachdem Sie hier auch Herrn Habeck gelobt haben – zu Recht, wie ich finde – und gefordert haben, dass man beim Osterpaket beim Ausbau der Windkraft noch einmal nachlegen muss, dass Sie vielleicht auch etwas zur Ankündigung, 1 000 Meter Abstand für Windkraftanlagen in NRW zu kassieren, gesagt hätten. Das habe ich leider vermisst, meine sehr verehrten Damen und Herren. Sie haben gerade eben vereinfachte Planungsverfahren für die Transformation in Richtung Wasserstoff eingefordert. Da bin ich sofort bei Ihnen. Aber wenn wir von vereinfachten Planungsverfahren sprechen, dann möchten wir auch vereinfachte Planungsverfahren für den Ausbau von Windkraft, nicht nur in NRW, sondern in ganz Deutschland. Daran arbeiten wir mit dem Osterpaket. Dieses Land und die Menschen sind mit dieser Ampelkoalition gut versorgt. ({11}) Wir werden das erfolgreich umsetzen. In diesem Sinne: Alles Gute, und Glück auf! ({12})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Gremmels. – Wir sind alle in diesem Hause überrascht darüber, dass hier auch Wahlkampfreden gehalten werden. Das ist völlig ungewöhnlich. ({0}) Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Ingrid Nestle, Bündnis 90/Die Grünen. ({1})

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich sehr, dass Sie von der CDU/CSU heute hier diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Das ist ein sehr, sehr wichtiges Thema, und ja, es ist auch sehr wichtig, dass wir über die Rolle der CDU/CSU bei diesem Thema sprechen. ({0}) Sie haben gesagt, dass Sie sich große Sorgen wegen der hohen Energiepreise machen. Das teile ich; das teile ich zu mindestens 100 Prozent. Ich könnte mir vorstellen, dass ich mir noch größere Sorgen mache als Sie, weil ich mir sehr genau angeschaut habe, wo die Preise für die Endkunden noch hingehen werden. Das wird weiter steigen, weil die Importkosten von fossilen Energieträgern so hoch sind, weil das Gas, das wir jetzt einspeichern und im nächsten Winter an die Endkunden verkaufen, nicht 70 Prozent teurer als in der Vergangenheit, nicht doppelt so teuer, nicht dreifach so teuer aus dem Ausland eingekauft wird, sondern sieben- bis achtmal so teuer. Das ist der Grund, warum wir uns wirklich Sorgen machen und warum ich mit Ihnen in diesem Punkt sehr einig bin. Aber wir müssen auch darüber reden, wo eigentlich die Verantwortung liegt. Das ist, glaube ich, die Flucht nach vorne, dass Sie jetzt, in Wahlkampfzeiten, versuchen, möglichst laut zu schreien: „Die Situation ist übrigens großer Mist“, und hoffen, dass dann alle glauben: „Oh, wenn die Situation Mist ist und sie schreien; dann muss wohl jemand anderes schuld sein.“ Ich glaube, da haben Sie einen kleinen Denkfehler gemacht; denn es ist zu eindeutig. ({1}) Das ist zu eindeutig. Das Schlamassel ist die Abhängigkeit von den fossilen Energien; das Schlamassel ist, dass wir weiter kaufen müssen, weil Sie die Energiewende verpennt haben, ({2}) weil Sie jahrelang auf Hinweise, dass wir unabhängig werden wollen, mit Abwiegeln reagiert haben, mit Nein, mit Bedenken, und den Ausbau der Erneuerbaren ausgebremst haben. So geht das nicht. Jetzt schauen wir uns den zweiten Teil an, nachdem wir einmal auf die Sorge und die Verantwortung geschaut haben. Was ist denn mit Ihrem Lösungsvorschlag Steuergeld? Ja, das ist richtig. Wir haben schon das zweite Entlastungspaket, übrigens mit mehr Milliarden als Sie, weil Sie so stolz auf Ihre 20 Milliarden Euro hingewiesen haben. Sicherlich muss man den Menschen jetzt helfen. Aber sonst habe ich nichts bei Ihnen gehört. Kann das das Einzige sein? Nichts von erneuerbaren Energien, nichts von Energieeffizienz, nichts davon, das Problem bei der Wurzel zu packen und tatsächlich herauszukommen aus dem Schlamassel. Wollen Sie wirklich auf Dauer dieses Problem einfach mit Steuergeld zukippen? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. ({3}) Jeden zweiten Tag fließt aus der EU allein für Gas nach Russland 1 Milliarde Euro. Da wollen Sie einfach sagen: „Ja, dann müssen alle jetzt ganz viel Steuergeld bekommen, dass es ihnen nicht mehr wehtut“? Das ist doch Quatsch; das ist doch kurzsichtig. Das kann doch nicht funktionieren! Herr Leye, ich möchte ein paar Worte an Sie richten. Ich finde nämlich, dass auch Ihre Rede ziemlich an der Realität vorbeiging. Sie haben Mut gefordert, und es war tatsächlich mutig, würde ich sagen, mit doch relativ dünner Sachkenntnis so markige Forderungen aufzustellen. Sie haben gesagt: Bei den Netzentgelten gibt es doch eine Regulierung. Dann können wir doch einfach die restlichen Energiepreise regulieren – fertig, aus, kein Problem mehr. ({4}) Dass die Netzentgelte im Moment deutlich günstiger sind als der Strom an der Börse, liegt natürlich daran, dass die Beschaffung dieser Netze tatsächlich deutlich günstiger ist als die Beschaffung von Gas und Kohle, die wir brauchen, um Strom zu produzieren. ({5}) Und da kann keine Regulierung helfen. Wenn das Gas zum siebenfachen Preis über die Grenze kommt, dann können Sie das nicht wegregulieren. ({6}) Was ich besonders schlimm finde, ist, dass Sie sich lustig machen über Menschen, die Energiespartipps geben, dass Sie sich lustig machen über Menschen, die Wege aufzeigen, solidarisch zu sein mit denen, die abhängig sind vom Energieverbrauch. ({7}) Sie wollen die Energieversorgung günstiger machen. Ja, günstiger kann sie werden, wenn wir weniger verbrauchen. Energie ist extrem knapp – Gas ist knapp, Öl ist knapp –, und deshalb ist sie so teuer. Ja, natürlich können wir alle, insbesondere die Reichen – Sie tun mal wieder so, als würden Energiespartipps sich nur an die Ärmeren richten –, solidarisch sein. Die Reichen verbrauchen viel mehr Energie als die Armen. Und ja, natürlich: Wir alle müssen dazu beitragen, dass sich das ändert. Ich bin sicher, dass Herr Habeck sehr viel mehr dazu beiträgt als Sie, weil er nämlich verstanden hat, um was es geht: ({8}) Es geht darum, den Energieverbrauch zu reduzieren, um die Energiepreise wieder zu senken, weil gerade die Leute mit wenig Geld in der Tasche darauf angewiesen sind, bezahlbare Energie zu bekommen. Und ja, da hilft auch mal ein Energiespartipp. Ehrlich gesagt: Ich glaube, die Menschen sind ziemlich verratzt, wenn sie auf Sie hören. Dann werden sie nämlich sagen: Ach, nee, ich versuche gar nicht erst, mit weniger Energie zurechtzukommen. – Und wenn sie im nächsten Winter und im nächsten Sommer ihre Abrechnungen sehen und dann bei Ihnen anklopfen und sagen: „Sie haben doch gesagt, ich soll nicht sparen, aber ich kann es nicht bezahlen“, dann sagen Sie: „Nein, das war alles lächerlich“? ({9}) Das ist nicht lächerlich. Das ist Solidarität, das ist Teil der Lösung eines riesigen Problems, eines riesigen Schlamassels. ({10}) – Ich würde supergerne Zwischenfragen beantworten, aber es gibt keine in der Aktuellen Stunde. Machen Sie es gerne morgen. ({11}) Was wir machen müssen, ist handeln. Es wurde mehrmals gesagt: Was Minister Habeck allein mit seinem entschlossenen Handeln in der ganzen Geschichte um Gazprom Germania den Endkunden an Kosten erspart hat, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– haben Sie, glaube ich, in zehn Reden mit Ihren Vorschlägen nicht zustande gebracht. Herzlichen Dank. ({0})

Till Mansmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004815, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Der brutale Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat enorme Auswirkungen auf unsere Energieversorgung. Für alle bezahlbare Energiepreise sind aber die Grundlage für die Lebensqualität und den Wohlstand nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Aber in so einer Debatte müssen wir uns zu Beginn immer klarmachen, dass gerade steigende Energiepreise den Wohlstand im Land ganz generell betreffen. Der Staat kann das mit Umverteilungsmaßnahmen nicht wirklich ausgleichen; er kann es nur dämpfen und zeitweise etwas verschieben. Da machen Sie von der Unionsfraktion es sich – das muss ich ehrlich sagen – ein bisschen zu einfach. Es ist auch klar Aufgabe des Staates, diese Schocks befristet abzumildern und insbesondere denen zu helfen, die den Wohlstand im Land erwirtschaften und damit den Staat überhaupt erst finanzieren, all denen, die jeden Tag mit ihrer Arbeit die Produkte und Dienstleistungen produzieren, die unser Leben so reich machen, und damit übrigens auch unser glücklicherweise umfangreiches Sozialsystem überhaupt erst ermöglichen. Bevor wir zu den eigentlichen Energiepreisen kommen, erlauben Sie mir eine Vorbemerkung: Die systematisch wichtigste und richtige Maßnahme ist die Erhöhung der Pendlerpauschale. Da Steuerrecht immer auch Eingriffsrecht ist, ist das geradezu grundrechtlich geboten. Es geht um das objektive Nettoprinzip im Steuerrecht, und deswegen haben wir das auch gemacht. Aber weil wir wissen, dass gerade diese Anpassung durch die Grundsätze der Steuerverwaltung nur sehr langsam greift, haben wir eine Reihe von anderen zielgerichteten Maßnahmen beschlossen, die schnell wirken, wie zum Beispiel die Absenkung der EEG-Umlage auf null bereits im Juli dieses Jahres. Deutschland hat die höchsten Strompreise in Europa. Damit senken wir den Strompreis um über 10 Prozent – ein Entlastungsvolumen von 6,6 Milliarden Euro. Zusätzlich sollen alle einkommensteuerpflichtigen Erwerbstätigen einen einmaligen Zuschuss von 300 Euro als Energiepreispauschale bekommen. Es wird kritisiert, Herr Kollege Spahn, dass diese Pauschale der Einkommensteuer unterworfen wird. Aber genau das sorgt steuersystematisch dafür, dass diese Entlastung entsprechend der Progression auch sozial gerecht wirkt. ({0}) Man könnte auch eine niedrigere Pauschale nehmen und gleichmäßig verteilen. Das hätte die gleiche fiskalische Wirkung, aber wäre sozial nicht so gerecht. Wir wollen auch bereits zur Jahresmitte befristet die Steuerlast auf Treibstoffe auf das europäische Mindestmaß absenken. Das macht Diesel pro Liter 14 Cent billiger, Benzin sogar um 30 Cent. Das Entlastungsvolumen hier beträgt 3 Milliarden Euro. Dazu kommen die sehr breit wirksame Erhöhung des Grundfreibetrags, der Familienzuschuss, der Heizkostenzuschuss und weitere Maßnahmen. Insgesamt bringen wir Entlastungen von ungefähr 16 Milliarden Euro auf den Weg. Das ist doch genau das richtige Maß dessen, was der Staat in so einer Krise kurzfristig tun kann und soll. Wir wissen, dass das den Menschen zwar kurzfristig hilft – deswegen machen wir es auch –; aber die Probleme, die den Preisschock ausgelöst haben, löst das nicht. Deswegen ist es gleichzeitig sehr wichtig, dass wir die langfristige Perspektive nicht aus den Augen verlieren: Wir müssen unser Land, unseren ganzen Kontinent in den nächsten Jahren vor allem wirtschaftlich neu ausrichten, um künftig allgemein aus der Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen wegzukommen, speziell aus der Abhängigkeit von problematischen Lieferländern wie Russland. Die Energieerzeugung wird künftig also wirtschaftlich wie auch globalstrategisch und klimapolitisch eine zentrale Rolle bekommen. Alleine aus nationalen nachhaltigen Quellen wird das nicht zu schaffen sein. Wir werden weiter jedes Jahr große Mengen Energie importieren müssen. Um künftig besser vor solchen Schocks geschützt zu sein, müssen diese Lieferungen aber nachhaltiger und breiter diversifiziert werden. Daher werden wir die deutsche, die europäische Wirtschaft auch dabei unterstützen, die neuen Technologien, die im Wesentlichen schon entwickelt sind, auf den global umfassenden Maßstab hochzuskalieren, der nötig ist. Es geht im Wesentlichen um Stromerzeugung und als Energieträger im Kern um Wasserstoff. Daran hängen dann viele andere Technologien, seien es Ammoniak, E-Gase oder E-Fuels; Minister Pinkwart hat das auch schon erwähnt. Damit helfen sie auch, die immensen Herausforderungen, die wir bei den elektrischen Energiespeichern haben, besser in den Griff zu bekommen. Denn nur so werden wir am Ende bei der Erreichung des großen Ziels, Treibhausgasemissionen aus der Weltwirtschaft zu eliminieren, erfolgreich sein. Bei der aktuellen Energiepreiskrise sehen wir, wie wichtig diese Fragen für uns sind, damit in 20 oder 30 Jahren keine Bundesregierung mehr ein solches Bündel von Maßnahmen schnüren muss, wie wir es jetzt machen müssen, weil man in den letzten Jahren vieles verpasst hat. Vielen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Mansmann. – Nun erteile ich mit großer Freude der Kollegin Dorothee Bär, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident, und mir ist es eine große Freude, dass Sie präsidieren, wenn ich in der Aktuellen Stunde jetzt für meine Fraktion hier sprechen darf. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist bei ganz vielen Rednerinnen und Rednern der Koalition heute herübergekommen, wie sehr Sie sich freuen, dass wir diese Debatte aufgesetzt haben. Nur hat man dann leider in den Reden nicht mehr so wahnsinnig viel davon gemerkt. ({1}) Denn es war ein ziemliches Rumgestöpsel – gerade auch von Ihnen; Sie melden sich jetzt schon zu Wort –, als es darum ging, zu erklären, was eigentlich jetzt der rote Faden sein soll, der sich durch die Entlastungen der Bürgerinnen und Bürger zieht. Gerade heute, an diesem Tag, an dem die Meldung kam, dass wir mit 7,4 Prozent den Höchststand der Inflation seit 1981 haben, wäre es natürlich wesentlich besser gewesen, richtige Entlastungen zu machen statt Entlastungen nach dem Gießkannenprinzip, wie Sie sie gestern beschlossen haben. ({2}) Das Leben ist und wird teuer in unserem Land, gerade für diejenigen, die sich auch schon vor dieser Inflation immer ganz genau überlegen mussten, wofür sie eigentlich ihr Geld ausgeben. Das betrifft ganz besonders die Familien in unserem Land. Da ist die Mutter, die an der Tür klingelt und sagt: Kann ich mir Backförmchen ausleihen? Ich möchte nicht zu meiner Mutter fahren – in Klammern: die 3 Kilometer weit weg wohnt, weil die Spritkosten nicht mehr leistbar sind. – Da ist die Mutter, die sagt: Wir backen heuer auch zu Ostern nicht mehr so viel, weil die Lebensmittelpreise in die Höhe geschossen sind. – Da sind diejenigen, die ihre Kinder nicht mehr so oft zum Sport fahren, weil sie es sich nicht mehr leisten können. Die Ampel geht dann einfach so darüber hinweg und entlastet eben nicht die Mitte der Gesellschaft, ({3}) entlastet nicht die Familien, entlastet nicht die Rentnerinnen und Rentner, tut nichts für die Alleinerziehenden in diesem Land. Ich sage Ihnen ganz offen: Diese Koalition muss man sich leisten können. ({4}) Unsere Bürgerinnen und Bürger, gerade auch diejenigen, die Sie gewählt haben, bereuen jetzt zutiefst, dass sie Sie gewählt haben, weil sie sagen: Wir können uns unser Leben nicht mehr leisten; so haben wir uns das nicht vorgestellt. ({5}) Sie reden die ganze Zeit vom Aufbruch – überall Aufbruch, Aufbruch, Aufbruch, wohin man nur schaut. Nur wo ist denn dieser Aufbruch? Der klingt toll, verkauft sich gut, aber dieser Aufbruch ist, wenn man genau hinschaut, eben nicht für alle da; das ist der Haken an der Sache. Noch einmal: Studentinnen und Studenten, Rentnerinnen und Rentner, Alleinerziehende, sie alle schauen in die Röhre. ({6}) Das heißt, wir brauchen eine Entlastungs- und Unterstützungsoffensive, von der Familien und Unternehmen, aber eben auch Rentnerinnen und Rentner in Deutschland etwas haben. ({7}) Der Kollege Steiniger hat unsere Kommunen angesprochen: Wie verzweifelt muss man als Bürgermeister sein, wenn man sich an uns wendet und sagt: „Wir als Kommunalpolitiker brauchen eben auch dringend diese Unterstützung“? Deswegen ist unser Anspruch als Union, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns für alle einsetzen, für alle Bürgerinnen und Bürger in diesem Land. ({8}) Ich musste ja schmunzeln. Man merkt, dass es hier im Parlament so eine Dynamik gibt. Der FDP ist es auch ein bisschen peinlich, dass sie jetzt so ein Bürokratiemonster geschaffen hat. ({9}) – Na ja, Herr Köhler, geben Sie es zu; man hat es gemerkt. Ich habe eine große Empathie; ich spüre so etwas. ({10}) Sie werden nachher an dieser Stelle noch sprechen. Also, da merkt man einfach ganz deutlich, dass Sie, wenn Sie jetzt nicht mit in dieser Regierung und in ihr gefangen wären, ganz anders handeln würden und dass es Ihnen wahnsinnig schwerfällt, dafür jetzt die Hand heben zu müssen. So. ({11}) Wir sind, weil wir in unseren Parteien nämlich auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vertreten, der festen Überzeugung: Eine warme Wohnung darf kein Luxus sein. Das wird es aber, wenn Sie so weitermachen. Die Bundesbauministerin sagt: Wir bauen jetzt mal locker 400 000 neue Wohnungen. – Ich bin gespannt, wie da die Umsetzung ausschauen soll. Sie versprechen; Sie lösen aber nicht die Probleme. Sie lösen nicht die Lieferkettenprobleme. Mit dem, was Sie jetzt machen, schaffen Sie ein Förderchaos. Wir haben Materialmangel, wir haben explodierende Baukosten, wir haben steigende Energiekosten, steigende Zinsen, ein Zusammenbrechen der Rohstoffversorgung und, und, und. Dazu heute kein Wort, sondern Sie sagen einfach nur: Wir nehmen die Gießkanne. Frau Scheer hat mehrfach gesagt, dass es angeblich keine wäre. Aber selbst der Kollege Audretsch, der jetzt nicht mehr da ist, hat vorhin in seiner Rede auch noch einmal das Potpourri der guten Laune der verschiedenen Maßnahmen heruntergebetet, ({12}) weil es einfach gar nicht möglich war, das in einem Satz zusammenzufassen. Unterm Strich kann man sagen: Sie sind nicht ehrlich zu den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land. Sie entlasten nicht diejenigen, die dringend darauf gewartet haben, die auch eine Hoffnung mit Ihnen verbunden haben, eine Hoffnung, die Sie jetzt bitter enttäuschen. ({13}) Deswegen bin ich dankbar, dass wir eine so konstruktive Opposition sind, dass wir Ihnen Lösungen auf den Tisch legen, bei denen wir nichts dagegen haben, wenn Sie die ganz kopieren, weil wir das für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land wollen. Bitte richten Sie sich danach, weil es nicht um uns geht, sondern um alle da draußen. Ganz herzlichen Dank. ({14})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Bär. – Nächster Redner ist der Kollege Robin Mesarosch, SPD-Fraktion. ({0})

Robin Mesarosch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005151, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Frau Bär, ich kenne die Mutter nicht, die bei Ihnen geklingelt hat. ({0}) Aber wenn Sie in den letzten 16 Jahren nicht bei höheren Löhnen, niedrigeren Mieten und erneuerbaren Energien ständig weggebremst hätten, hätten Sie ihr mehr bieten können als eine Backform. ({1}) Ich wollte meine Rede mit dem Satz beginnen: Die Energiepreise sind explodiert, alles wird immer teurer. – Aber dieser Satz stimmt gar nicht. Was richtig ist: Energie aus Gas, Kohle und Öl wird teurer, und zwar massiv. ({2}) Was auch richtig ist: Wind- und Solarenergie werden seit Jahren günstiger, und zwar deutlich. Ich sage also besser den Satz: Die Preise für fossile Energieträger sind explodiert, sie werden immer teurer; aber viele erneuerbare Energien werden günstiger. – Dieser Unterschied ist wichtig. ({3}) Für Millionen Leute spielt dieser Unterschied allerdings erst einmal keine Rolle. Sie leben zur Miete und können sich nicht aussuchen, wie sie heizen. Da ist dann eben eine Gasheizung verbaut, oder sie wohnen in einem alten Haus und können sich den Umbau nicht leisten. Sie müssen für Gas, Kohle oder Öl bezahlen, ob sie wollen oder nicht. Deswegen müssen sie jetzt deutlich mehr bezahlen als noch vor ein paar Monaten. Viele bringt das finanziell an ihre Grenzen, viele über ihre Grenzen. Ich verstehe völlig: Sprachliche Unterschiede sind erst einmal zweitrangig bei der Frage, welche Energieträger teurer sind. Aber Politik muss beginnen mit dem Betrachten der Wirklichkeit, und bei den Energiepreisen ist die Sache klar: Gas, Kohle und Öl werden teurer; Wind und Solar werden günstiger. Politik muss beginnen mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Während wir in der Ampelkoalition die Wirklichkeit betrachten und an Lösungen arbeiten, steht die CDU mit dem Handy an der Tankstelle und schimpft über Benzinpreise. ({4}) An der Tankstelle über Benzinpreise zu schimpfen, ist völlig in Ordnung; das mache ich wie Millionen andere Deutsche auch. Was nicht in Ordnung ist: in unsachlichen Videos, in unsachlichen Reden, auf Instagram den Eindruck zu erwecken, man könnte leicht die Probleme lösen und es läge nur an der Regierung. Das geht nicht. ({5}) Wir müssen als Erstes verstehen: Der Staat legt nicht fest, wie teuer Energie ist; er setzt nicht die Preise fest. Wenn die CDU wollte, dass der Staat die Preise bestimmt, gäbe es theoretisch zwei Möglichkeiten: Erstens. Der Staat verordnet niedrigere Preise und entschädigt die Energieunternehmen für den verlorenen Umsatz. Zweitens. Der Staat verstaatlicht die Energieunternehmen. Beides will die CDU aber überhaupt nicht. ({6}) Sie müsste es aber wollen, wenn sie ernst meinte, was sie in Wahlkämpfen gerade ständig anklingen lässt. Von Ihren großen Ankündigungen bleibt bei Ihren tatsächlichen Vorschlägen so wenig übrig, Sie können so gar nicht erreichen, was Sie wortgewaltig versprechen. ({7}) Lassen Sie uns die Sache deswegen ernsthaft betrachten. Natürlich kann der Staat Preise in einem gewissen Rahmen beeinflussen, und hier wird es jetzt interessant. Wie sieht der Rahmen aus? Kurzfristig kann der Staat Steuern senken, und er kann Steuergeld einsetzen. Genau das macht die Bundesregierung. ({8}) Wir senken die EEG-Umlage auf null. Wir erhöhen die Fernpendlerpauschale. Wir bringen die Energiepreispauschale. Diejenigen, die es besonders dringend brauchen, bekommen direkt Geld: in Form von Heizkostenzuschüssen, in Form von Einmalzahlungen für Kinder und in Form von Einmalzahlungen an alle, die Sozialleistungen bekommen. Außerdem entlasten wir unsere Unternehmen, bevor die Energiepreise ihre Geschäftsmodelle und später Arbeitsplätze zerstören. Das und noch viel mehr machen wir als kurzfristige Maßnahmen in dieser Krise. Reicht das? Nein, das tut es nie! Aber es macht es denen, die es gerade besonders schwer haben, leichter. Diese kurzfristigen Maßnahmen sind richtig. Sie helfen, sie lösen das Problem aber nicht grundsätzlich. Und lassen Sie mich hinzufügen: Sie sind teuer. Daher werden wir sie nicht ewig weiterführen können. Gleichzeitig müssen wir davon ausgehen, dass die Energieprobleme aber bleiben. Wir brauchen also langfristige Lösungen. Darum werden wir die erneuerbaren Energien – lassen Sie mich sagen: die günstigen Energien – massiv und schneller als jemals zuvor ausbauen. Dafür ändern wir gerade die Gesetze; das hat Zukunft. ({9}) Genauso dazu gehört: Wir erhöhen den Mindestlohn auf 12 Euro und kämpfen für flächendeckende Tarifverträge, damit endlich jeder Vollzeitjob finanzielle Sicherheit bietet. In der Kombination aus günstiger, nachhaltiger Energie und anständigen Löhnen werden wir alle erfolgreich sein. Das ist der rote Faden, Frau Bär. ({10}) Das sind Lösungen, die Zeit brauchen werden; aber anders als Handyvideos sind es Lösungen. Haben Sie vielen Dank. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Mesarosch. – Als letzter Redner in der Aktuellen Stunde erhält das Wort der Kollege Dr. Lukas Köhler, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Doro, ich glaube übrigens, dass es immer günstiger und auch ökologischer ist, wenn man seine Förmchen bei der Nachbarin oder beim Nachbarn leiht und dann nicht mit dem Auto fahren muss. ({0}) Das ist so in seiner Logik irgendwie relativ zusammenhängend. ({1}) Ich freue mich auch über Empathie. Wir freuen uns als FDP sehr über Empathie; wir sind ja selber sehr empathisch und auch immer sehr offen gegenüber anderen Menschen. ({2}) – Ich habe da keine Lacher gehört. – Aber in dem Fall hätte ich mich noch viel mehr über Mitdenken gefreut. ({3}) Mitdenken hätte nämlich bedeutet, dass man versteht, dass das, was wir hier tun, die Vorbereitung dafür ist, eine Klimadividende oder ein Klimageld einzuführen, um den Menschen langfristig Geld zurückzugeben, und zwar immer so, dass wir aus ökonomischer Sicht den sinnvollsten, effizientesten und besten Weg gehen. Dies vorzubereiten, ist ganz klug. ({4}) Das kennt das deutsche Steuerrecht noch nicht. Es ist aber vor allen Dingen deswegen wichtig, weil das ein Prozess ist, der länger braucht. Und ja, am Anfang gibt es natürlich Kosten. Wir setzen uns an den diversesten Stellen gegen Bürokratie ein; das machen wir jetzt gleich, wenn wir darüber diskutieren, dass wir die EEG-Umlage abschaffen werden. Das ist nicht nur ein immenser Kostensenker; es ist auch ein immenser Bürokratiesenker. Das machen wir an vielen, vielen anderen Stellen auch, dass wir nicht mit mehr Bürokratie weitermachen wollen, sondern die Bürokratie ganz klar verringern wollen. Aber gehen wir zurück an den Anfang: Was ist denn passiert? Vor etwa zweieinhalb Monaten hat dieser schreckliche Krieg begonnen. Zweieinhalb Monate sind im politischen Berlin eine lange Zeit, Herr Spahn, habe ich das Gefühl. ({5}) Man muss sich aber vor Augen führen, was wir hier getan haben. Wir haben innerhalb dieser kurzen Zeit Entlastungspakete – zwei Stück an der Zahl – auf den Weg gebracht. Wir geben 30 Milliarden Euro an die Bürgerinnen und Bürger zurück. Wir sorgen dafür, dass die Energiekosten reduziert werden. Gleichzeitig diskutieren wir nicht nur über die Abschaffung der EEG-Umlage, über erneuerbare Energien, über die Geschwindigkeit, mit der wir diese ausbauen, über Gasspeicher-Gesetze und über alle diese anderen Dinge, sondern wir setzen sie – manchmal auch im Eilverfahren – um. Das zeigt, glaube ich, wie handlungsfähig wir sind. ({6}) Ich finde, Sie haben einen ganz interessanten Punkt gemacht, Herr Spahn. Sie haben gesagt, dass wir jetzt einen Plan brauchen. Das hat mich überrascht. Denn eigentlich – so habe ich das verstanden – macht man Pläne vorher und nicht erst dann, wenn man sie braucht; denn dann sollte man sie haben. Die Bundesnetzagentur hat Ihnen 2017 im Zusammenhang mit einem Stresstest und noch mal 2019 aufgeschrieben, was eigentlich passiert, wenn wir auf einmal kein Gas mehr haben. Ich hätte mich gefreut, wenn wir einen kompletten Plan in der Schublade gehabt hätten, den man einfach nur hätte umsetzen müssen. Den haben wir aber nirgendwo gefunden. Ich kann noch mal im Wirtschaftsministerium gucken; aber ich habe nichts davon gehört. Das, was wir gerade tun, ist das Vorlegen eines schnellen Maßnahmenpakets zur massiven Reduktion der Abhängigkeit von Energie aus Russland. ({7}) Dass wir das in so kurzer Zeit als Ampel gemeinsam hinbekommen, dass auch Robert Habeck da so vorprescht und so viel erreicht hat, ist ein echter Erfolg. Das zeigt auch, wie schnell und gut wir vorwärtskommen. ({8}) In dieser aktuellen Energiepreiskrise ist es richtig, dass wir entlasten, und zwar an unterschiedlichen Stellen. Ich glaube, dass ich die nicht alle noch mal aufzählen muss. Ich denke, Sie haben heute aus der Koalition genügend darüber gehört, was alles gut gelaufen ist und was wir alles tun. Aber ich will ein Beispiel herausgreifen, mit dem man noch mal verdeutlichen kann, warum es sinnvoll ist, dass wir jetzt entlasten und wie wir entlasten: Was braucht es bei externen Schocks? Was braucht es, wenn es eine Krise gibt und wir aktuell ein Problem haben? Dann braucht es schnelle, konkrete Maßnahmen, die den Bürgerinnen und Bürgern, die den Menschen, aber auch den Unternehmen direkt helfen, die ganz konkret dafür sorgen, dass die Preise niedriger werden. Natürlich müssen wir Preissignale aufrechterhalten. Natürlich haben Preissignale immer eine Wirkung, und das ist auch richtig so. Aber es ist trotzdem korrekt, den Menschen, die sich fragen, wie sie am Ende des Monats ihre Rechnungen bezahlen sollen, zumindest Linderung zu verschaffen; denn die Preissignale – das haben wir gesehen – zeigen weiter nach oben. Deswegen ist es richtig, an die Energiesteuer ranzugehen und sie auf das europäische Mindestmaß abzusenken. ({9}) Warum ist das richtig? Weil es systematisch korrekt ist, weil wir langfristig sehen werden, dass die Preise natürlich steigen werden, auch dadurch, dass wir Erneuerbare aufbauen, auch dadurch, dass wir Klimaschutz betreiben, aber insbesondere durch den CO2-Preis über das ETS, den hier in diesem Haus noch niemand infrage gestellt hat. Da werden Preise steigen. Deswegen ist es aber richtig – und das ist unter anderem das Ziel von Wirtschaftspolitik gemäß dem magischen Viereck –, das Preisniveau stabil zu halten. Diese Preisstabilität können wir aber nur dann erreichen, wenn wir Investitionen anreizen, wenn wir dafür sorgen, dass der Ausbau schnell geht, und wenn wir gleichzeitig Kosten senken. Das fördert und reizt Innovation an, und das sorgt für niedrige Kosten. Das ist es, was wir hier schnell und gezielt umsetzen. Das hat die Ampel bewiesen. Vielen Dank. ({10})

Hubertus Heil (Minister:in)

Politiker ID: 11003142

Moment, ich muss das Rednerpult herunterfahren. Der Kollege Köhler ist so lang.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Deswegen dauert es auch, bis das runtergefahren ist.

Hubertus Heil (Minister:in)

Politiker ID: 11003142

Das liegt daran, Herr Präsident, dass der Kollege Köhler ein wirklich großer Politiker ist. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Minister Heil, ich kann Ihnen zustimmen; aber Sie meinten wahrscheinlich „lang“ statt „groß“.

Hubertus Heil (Minister:in)

Politiker ID: 11003142

Sowohl als auch. ({0}) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Bundesregierung, diese Koalition ist angetreten, um bekanntermaßen mehr Fortschritt zu wagen. Fortschritt – das war von Anfang an klar – braucht vor allen Dingen Investitionen in die Zukunft. Wer in die Zukunft investieren will, der muss in unsere Kinder investieren. Deshalb haben wir uns vorgenommen, noch in dieser Legislaturperiode eine eigenständige Kindergrundsicherung einzuführen und damit einen echten Paradigmenwechsel in der Familienförderung einzuleiten. ({1}) Jeder von uns weiß: Das ist ein sehr großes Vorhaben. – Aber ich freue mich auf die Umsetzung gemeinsam mit Finanzminister Christian Lindner und mit der neuen Familienministerin Lisa Paus. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit bei diesem großen, wichtigen Thema. ({2}) Denn es geht um viel: Kinder, die in Armut aufwachsen, sind in unserer Gesellschaft benachteiligt – bei Bildung, bei Ausbildung, bei gesellschaftlicher Teilhabe –, und zwar nicht selten ihr Leben lang. Das, meine Damen und Herren, können wir uns in Deutschland nicht mehr leisten. ({3}) Ich will deutlich sagen, dass es Ziel dieser Bundesregierung ist, dass soziale Herkunft kein dauerhaftes Schicksal für Menschen ist, dass das Leben für Menschen offen ist. Dazu gehört auch, zu erkennen, dass Kinder, die heute noch in der Grundsicherung sind, eben keine kleinen Langzeitarbeitslosen sind, sondern Kinder, die ein Recht auf ein offenes Leben haben. ({4}) Mit der Kindergrundsicherung werden wir dafür sorgen, dass mehr soziale Sicherheit, dass Respekt, dass Teilhabechancen da sind, und wir werden damit Kinderarmut bekämpfen. Heute gehen wir einen Schritt in diese Richtung, aber einen wichtigen Schritt. Mit dem Kindersofortzuschlag in Höhe von 20 Euro monatlich wollen wir bedürftige Familien und Kinder besser unterstützen. Er soll ab dem 1. Juli dieses Jahres gezahlt werden, und zwar nicht einmalig, sondern monatlich. Den Zuschlag erhalten künftig bis zur Einführung der Kindergrundsicherung – wir werden das dann überführen – alle Kinder, die im Haushalt ihrer Eltern wohnen und bisher Leistungen der Grundsicherungssysteme oder den Kinderzuschlag erhalten. 20 Euro, meine Damen und Herren, das klingt für viele Menschen, vor allen Dingen auch hier im Deutschen Bundestag, die viel mehr verdienen, ziemlich wenig. Aber erst einmal muss man klar sagen: Den betroffenen Familien hilft es. Für jedes Kind sind es 20 Euro, und das Monat für Monat, ganz konkret für Menschen, die es eben nicht dicke haben. Wer Kinder hat – ich habe welche –, der weiß, was es bedeutet, sich zum Beispiel einen Zoobesuch oder auch mal einen Kinobesuch leisten zu können. Dass Kinder und Jugendliche sich besser entfalten und ihre Stärken ausschöpfen können, muss unser gemeinsames Ziel sein. Ich bin mir sicher, meine Damen und Herren: Am Ende profitiert davon die gesamte Gesellschaft. ({5}) Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Pandemie hat den allermeisten Menschen schwer zu schaffen gemacht in den letzten Jahren – körperlich, seelisch und vielen auch finanziell. Die sozialen Härten der Pandemie abzufedern und für sozialen Ausgleich zu sorgen, ist unser Anliegen. Das ist das Gebot der Stunde. Seit dem letzten Jahr haben wir nicht nur mit der Pandemie zu kämpfen, sondern in vielen Bereichen auch mit steigenden Preisen. Das ist gerade in der Debatte über das Entlastungspaket unter einem anderen Tagesordnungspunkt diskutiert worden. Auch der furchtbare Krieg gegen die Ukraine heizt diese Preissteigerung noch mal an. Gerade diejenigen, die es schon vor der Krise nicht leicht hatten, müssen wir jetzt gezielt unterstützen: Menschen in der Grundsicherung oder Familien mit geringem Einkommen. Deshalb haben wir zwei Entlastungspakete auf den Weg gebracht. Mit diesem Gesetz werden wir dafür sorgen, dass erwachsene Leistungsberechtigte besser unterstützt werden mit einer Einmalzahlung in Höhe von immerhin 200 Euro. Ich sage an dieser Stelle auch: Wir hatten solche Zuschläge auch in der Großen Koalition schon mal. Das ist wichtig, um Härten abzufedern. Und wir werden, wenn es notwendig ist, auch weitergehen. Ich will aber hinzufügen, dass beispielsweise von dem Familienzuschlag, den diese Koalition ebenfalls umsetzen wird, auch Kinder und Familien in der Grundsicherung profitieren werden; denn er wird nicht angerechnet, sondern es ist ein Zuschlag aufs Kindergeld. Das ist auch ein wichtiger Schritt für Grundsicherungsempfängerinnen und ‑empfänger. ({6}) Wir haben weitere Entlastungen auf den Weg gebracht; nicht mit der Gießkanne, sondern sozial ausgewogen: mit dem Heizkostenzuschuss für Geringverdienerinnen und Geringverdiener im Wohngeld, mit der Erhöhung des steuerlichen Grundfreibetrages, mit der Abschaffung der EEG-Umlage, mit der Energiepreispauschale, mit vielen anderen Maßnahmen. Es ist wichtig, dass diese Gesellschaft solidarisch zusammensteht, um in solch schwierigen Zeiten Menschen zu helfen, die es nicht leicht haben. Denn die Stärke unserer Gesellschaft, meine Damen und Herren, bemisst sich vor allen Dingen an der Frage, wie man in wirtschaftlich schwierigen Zeiten auch mit den Schwächsten umgeht, erst recht in dieser Krise. Es geht um Geflüchtete, es geht um Kinder, es geht um armutsgefährdete Menschen. Sie brauchen unsere Solidarität, und sie brauchen einen starken Sozialstaat. Das hier ist nicht das Ende der Fahnenstange. Dieses Gesetz ist nicht alles; gar keine Frage. Aber es ist ein wichtiger Schritt in diesen Zeiten, der Menschen konkret hilft. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Entwurf. Wir werden ihn noch ergänzen im Verlaufe des Verfahrens, nämlich in Bezug auf den Übergang von geflüchteten Menschen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz ins SGB II. Das ist ein ganz wichtiger Schritt, der noch dazukommt. Da bitten wir Sie im Verfahren um Zustimmung, damit wir das Gesetz zum 1. Juli in Kraft setzen können. Es ist ein wichtiger Tag, an dem wir dieses wichtige Gesetz zum Kindersofortzuschlag und weiteren Zuschlägen auf den Weg bringen, und diesen Schritt wollen wir gemeinsam gehen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Minister Heil. – Die SPD frage ich, welcher Redner eine Minute weniger redet. Nächster Redner ist der Kollege Kai Whittaker, CDU/CSU-Fraktion. Bitte. ({0})

Kai Whittaker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004443, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte die Nerven der Ampelkoalition nicht übermäßig strapazieren. Deshalb verkünde ich die frohe Botschaft gleich zu Beginn: Wir, die Union, unterstützen dieses Gesetz ausdrücklich! Lassen Sie mich das sagen. ({0}) Uns fällt es auch sehr leicht, dieses Gesetz zu unterstützen; denn Sie machen de facto das nach, was wir mit der SPD bereits in der letzten Legislaturperiode vorgemacht haben. Bekanntlich ist Nachahmung ja die höchste Form der Anerkennung. Was damals richtig war, kann heute nicht falsch sein. Aber ich muss sagen: Endlich legen Sie diesen Gesetzentwurf vor! Denn wir waren in der letzten Koalition, Herr Minister, deutlich schneller. Wir haben Anfang Februar letzten Jahres so eine Hilfe vereinbart, bereits im selben Monat das Sozialschutz-Paket III durch den Deutschen Bundestag gebracht und im Mai die Hilfen ausgezahlt. Sie haben zwei Monate gebraucht, um überhaupt zu klären, ob Sie was machen wollen. Sie haben weitere zwei Monate gebraucht, um jetzt diesen Gesetzentwurf vorzulegen. Und es dauert noch mal zwei Monate, bis Sie das Geld auszahlen. Ein halbes Jahr haben Sie jetzt gebraucht! So viel Zeit haben die Menschen in diesem Land nicht, Herr Minister. ({1}) Angesichts der grassierenden Inflation ist wirklich Tempo angesagt. Gestern konnte man noch eine volle Einkaufstasche nach Hause tragen. Heute kann man für denselben Geldbetrag die Tasche am kleinen Finger nach Hause tragen. ({2}) Bei allen außenpolitischen Herausforderungen, die wir haben, zeigt der Blick nach Frankreich eines: Das Thema Kaufkraft wird das Hauptthema sein, was Millionen von Menschen in den nächsten Jahren bekümmern wird. Ihr Entlastungspaket liefert darauf keine hinreichende Antwort. Ihre Hilfen sind befristet. Sie sind einmalig. Sie besteuern sie. Angesichts der Tatsache, dass Arbeitslosenversicherungsbeiträge und Krankenversicherungsbeiträge steigen werden, wird weniger Netto vom Brutto für die Menschen übrig bleiben. Und die Rentnerinnen und Rentner und die Studenten haben Sie auch noch vergessen. Das ist keine Entlastungspolitik, Herr Minister. ({3}) Diese Politik muss man sich wahrlich leisten können. Ich habe bei dieser Nachlässigkeit etwas Sorge; denn Sie streiten seit Monaten ebenfalls um das Sanktionsmoratorium. Sie wollten bis zum Ende des Jahres alle Sanktionen bei Hartz IV aussetzen. Gestern haben Sie dieses Thema im Ausschuss kurzfristig von der Tagesordnung genommen. Wenn Sie so weitermachen, ist das Jahr vorbei, und man braucht dieses Sanktionsmoratorium gar nicht mehr. Es zeigt sich, dass Sie schon bei diesen zwei kleinen Eingriffen, die Sie vornehmen, wahnsinnig viel Zeit vergeuden. Das lässt für Ihre Megareform „Bürgergeld“ Schlimmes befürchten. Da wollen Sie ja die große Reform wagen, die bereits zum 1. Januar nächsten Jahres gelten soll. Aber damit das gut klappt, muss die Verwaltung das sorgfältig vorbereiten. Spätestens Ende September müssen Sie hier mit dem Gesetzgebungsverfahren durch sein, damit die BA noch drei Monate Zeit hat, das einigermaßen hinzukriegen. Bis heute liegt aber noch nicht mal ein Eckpunkteentwurf vor. Da muss ich schon fragen: Wo bleibt der? – Ich könnte mir vorstellen, dass es daran liegt, dass Sie sich nicht ganz einig darüber sind, was Sie wollen. Sie müssen nämlich die Frage beantworten: Wollen Sie vom Prinzip „Fördern und Fordern“ abweichen – ja oder nein? Sie müssen die Frage beantworten, ob Sie das Arbeitslosengeld II erhöhen wollen – ja oder nein? Sie müssen die Frage beantworten, ob Sie wieder zum Bundessozialhilfegesetz mit individuellen Rechtsansprüchen zurückwollen, oder ob Sie beim pauschalen Recht bleiben wollen. Ich vermute, die rote und die grüne Fraktion wollen das, und die FDP will es nicht. Ich kann der Ampelkoalition deshalb nur raten: Fangen Sie endlich an, zu arbeiten! Die Menschen, die in diesem Land am ärmsten sind, haben es verdient. ({4}) Wenn Sie das nicht schaffen, stürzen Sie das Sozialgesetzbuch in ein Chaos, und das haben die Menschen nicht verdient. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Whittaker. Das war eine Punktlandung. – Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Bundesministerin Lisa Paus für die Bundesregierung. ({0})

Lisa Paus (Minister:in)

Politiker ID: 11004127

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Damen und Herren! Die Folgen der Coronapandemie und die steigenden Konsumpreise seit Beginn des Ukrainekrieges bringen Familien, Alleinerziehende und Sozialleistungsbezieher wirklich an ihre Belastungsgrenzen. Wem es zuvor wirtschaftlich schon nicht gut ging, der muss jetzt erst recht jeden Cent umdrehen. Bei dem zählt jeder Euro, und das jeden Tag. Darum liegt Ihnen jetzt ein Gesetzentwurf vor, mit dem genau diese Menschen entlastet werden und den wir gestern durch einen Kabinettsbeschluss noch einmal angepasst haben. Das wird Ihnen zugehen. Es geht um folgende Maßnahmen: eine Einmalzahlung für Empfängerinnen und Empfänger von Sozialleistungen in Höhe von 200 Euro statt der bisherigen 100 Euro und eine Einmalzahlung in Höhe von 100 Euro für alle, die Arbeitslosengeld beziehen. An dieser Stelle sind selbstverständlich auch noch die 100 Euro Kinderbonus zur Entlastung von Familien zu nennen. – So nehmen wir Druck von diesen Menschen, meine Damen und Herren. ({0}) Wir haben auch jene im Blick, die mit nichts dastehen, weil sie ohne jedes Hab und Gut vor dem Krieg zu uns geflüchtet sind: die Ukrainerinnen und Ukrainer, die ihr Leben nach Deutschland gerettet haben. Wer von ihnen bereits einen Aufenthaltstitel hat – also registriert ist –, erhält für seine Kinder Kindergeld, und das beinhaltet ausdrücklich auch den Kinderbonus. Ebenso erleichtert bin ich darüber, dass hilfsbedürftige geflüchtete Menschen – da denke ich ganz konkret an die Holocaustüberlebenden, die wir mithilfe der Jewish Claims Conference nach Deutschland holen konnten – künftig auch Leistungen aus dem SGB II und aus dem SGB XII erhalten. Wer als nicht hilfebedürftig gilt, kann sich dennoch gesetzlich krankenversichern lassen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Koalition ist von dem Geist getragen, ihr wirklich Möglichstes zu tun, um Menschen dazu zu bringen, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen. ({1}) Jeder nach seinen Fähigkeiten. Die aktuelle Lage erfordert hier besonderen Einsatz, unseren ganz besonderen und auch finanziellen Einsatz. Aber so akut die Not und unsere Maßnahmen sind: Es geht eben immer auch um Chancen, die dadurch besser werden, und damit um die Zukunft, meine Damen und Herren. Seit ich Politik mache, beschäftigt mich ein Thema und seine Auswirkungen ganz besonders: wie wir in diesem Land, in einem der reichsten Länder der Welt, Kinderarmut endlich wirksam begegnen können; wie Politik es erreichen kann, dass Kinder endlich gleiche Chancen haben, unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten ihrer Eltern, unabhängig davon, ob sie in Bonn, in Bremen oder in Brandenburg aufwachsen, und auch wirklich unabhängig davon, ob sich der Vorname „Deniz“ mit „z“ oder mit „s“ schreibt. Deshalb passt es sehr gut, dass ich heute meine erste Rede als Ministerin zum Kindersofortzuschlag halte, meine Damen und Herren. Der Kindersofortzuschlag kommt mit diesem Gesetz. Der Kindersofortzuschlag ist ein erster, ganz wichtiger Schritt, um Kinder vor Armut zu schützen. Er wird ab dem 1. Juli ausgezahlt. Damit bekommen 2,9 Millionen von Armut betroffene Kinder in Deutschland 20 Euro zusätzlich im Monat. Dieser Zuschlag wird ohne weiteren Antrag unbürokratisch ausgezahlt. Es gibt ihn dauerhaft und lückenlos bis zur Einführung der Kindergrundsicherung, meine Damen und Herren. ({2}) Um allen Kindern gleiche Chancen zu ermöglichen, müssen wir natürlich noch mehr tun. Wir müssen politisch Weichen für eine Familienförderung stellen, die endlich alle erreicht, für eine gute frühkindliche Bildung, für die Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern, für bessere Angebote an Fachkräfte. Wir brauchen auch mehr, um Eltern finanziell zu stärken. Dafür ist die Kindergrundsicherung ein ganz zentraler Baustein. Sie ist nicht nur Ziel des Familienministeriums oder des Arbeitsministeriums, sondern der ganzen Bundesregierung, meine Damen und Herren. ({3}) Kernelement der Kindergrundsicherung ist es, die bisherigen Leistungen zu bündeln. Konkret geht es um das Kindergeld, um Leistungen für Kinder nach dem Zweiten und nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, um Teile des Bildungs- und Teilhabepakets, um den Kinderzuschlag. Ich füge hinzu: Wir sollten auch noch mal miteinander über den Kinderfreibetrag sprechen. ({4}) Die Kindergrundsicherung soll automatisch bei allen Kindern ankommen, ohne bürokratische Antragswege, sodass sie endlich wirklich alle erreicht. Umso wichtiger ist es, dass bereits im letzten Monat, also im März, die interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet worden ist und an diesem Projekt jetzt ressortübergreifend arbeitet, sodass ich in die Arbeit zu diesem so wichtigen Projekt für unser Land direkt einsteigen kann, meine Damen und Herren. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will in meinem Amt alles dafür tun, dass die soziale Ungleichheit in Deutschland nicht weiter zunimmt, sondern dass sie zurückgeht. Ich finde mich nicht damit ab, dass Menschen mit ihren Talenten und Fähigkeiten auf der Strecke bleiben, nur weil sie benachteiligt sind oder weil sie benachteiligt werden. Das können wir uns nicht leisten. Im Gegenteil: Es gibt viel zu gewinnen. Packen wir es endlich an! ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Gerrit Huy, AfD-Fraktion. ({0})

Gerrit Huy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005091, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach 16 Jahren Merkel-Regierung und gut 100 Tagen Ampelregierung kann ein großer Teil der Bürger dieses Landes seine Rechnungen nicht mehr zahlen. Gemäß Eurostat waren bereits 2020 satte 22,5 Prozent unserer Bürger von Armut bedroht – ein Armutsrisiko übrigens, das klar über dem EU-Durchschnitt liegt. Länder wie Österreich oder Frankreich weisen deutlich geringere Armutsrisiken auf. Genauer gesagt: Wir, die wir mit großem Abstand die größten Zahlungen an die EU leisten, haben von den 27 EU-Ländern das neuntgrößte Armutsrisiko. Mehr als jeder Fünfte in Deutschland ist arm, insgesamt 18,5 Millionen Menschen in unserem ach so reichen Land, das sich laut Entwicklungsministerin Schulze dafür verantwortlich fühlt, allen Bürgern dieser Welt ein gutes Leben zu ermöglichen. Dieses reiche Land hat ziemlich arme Bürger, meine Damen und Herren. Vielleicht weil uns das Fremde immer ein Stück weit wichtiger ist als das Eigene? ({0}) Unsere Bürger sind in der Tat so arm, dass viele jetzt dringend auf das Entlastungspaket der Regierung angewiesen sind. Das gilt natürlich auch für die Transfergeldempfänger, denen jetzt, nach über zwei Jahren Pandemie, ein Helikoptergeld von 200 Euro zugedacht wird. Das ist richtig so, wenn es auch sehr spät kommt. Nur: Für die Asylbewerber in Gemeinschaftsunterkünften braucht es das eigentlich nicht; denn die werden dort auch bei steigenden Preisen voll versorgt. Gut finden wir hingegen, dass die fast 3 Millionen armen Kinder in unserem Land zukünftig 20 Euro mehr im Monat haben sollen. Für diese Kinder wie auch für alle anderen Kinder wünschen wir uns aber dringend noch etwas anderes. Sie haben am meisten unter der Pandemie gelitten und werden immer noch damit geplagt. Dreimal pro Woche müssen sich Berliner Schüler noch auf Covid testen lassen und sich dazu wenig gesunde Teststäbchen in Nase oder Mund schieben. Wir fordern, dass das umgehend beendet wird. ({1}) Auch gibt es in vielen Schulen unseres Landes immer noch eine Maskenpflicht, die mit einem fragwürdigen „Hausrecht“ begründet wird. Auch das Maskentragen ist für Kinder alles andere als gesund. Wir fordern die Regierung deshalb mit großem Nachdruck auf, darauf hinzuwirken, dass dies beendet wird. ({2}) Begründet wird das Entlastungsgesetz mit der Covid-Pandemie. Die Bürger müssten ja vielleicht noch Masken kaufen, heißt es dort, und auch die pandemiebedingte Inflation sollen sie nicht ganz alleine tragen. – Diese Begründung ist aber fadenscheinig; denn die Inflation ist natürlich nicht in erster Linie pandemiebedingt, und auch der Ukrainekrieg war bisher nur in relativ kleinem Umfang daran beteiligt. Die zwei wesentlichen Ursachen sind vielmehr zum einen die mit diversen Steuern und Abgaben finanzierte Energiewende, die mit der jährlich steigenden CO2-Steuer obendrauf nicht nur Sprit und Strom verteuert, sondern den gesamten Warenkorb. Zudem wird das Bauen durch übertriebene Wärmedämmungsauflagen und immer abenteuerlichere Heizungsvorschriften zusätzlich belastet. Das treibt die Kosten von Bauen und Mieten in absurde Höhen, die kaum noch ein Bürger erreichen kann. ({3}) Der zweite maßgebliche Grund für die Inflation ist die lockere Geldpolitik der EZB, die offenbar vergessen hat, dass ihre einzige Pflichtaufgabe darin besteht, die Preise stabil zu halten. Dazu müsste sie einfach die Zinsen erhöhen – tut sie aber nicht; denn sie hat sich ein zweites, ihr überhaupt nicht zustehendes Mandat ergriffen, nämlich die Finanzierung der überschuldeten Mittelmeerstaaten. Dies ist im Maastricht-Vertrag ausdrücklich verboten, wird aber von der EZB trotzdem gemacht durch in unfassbarem Maße erfolgte Staatsanleihekäufe von 4 Billionen Euro, also über 4 000 Milliarden Euro – mit selbstgedrucktem Geld natürlich. Wenn die EZB nun aber die Zinsen erhöht, fängt die Finanzierung der Mittelmeerstaaten an zu wanken. Und da nicht sein kann, was nicht sein darf, bleiben die Zinsen auch bei uns niedrig.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss.

Gerrit Huy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005091, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Verlierer sind wie immer die Bürger. ({0}) Nicht nur, dass ihre Sparguthaben dahinschmelzen, weil sie keine Zinsen mehr abwerfen, jetzt explodieren auch noch die Einkaufspreise –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Gerrit Huy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005091, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– und verringern zusätzlich die Kaufkraft ihrer Einkommen. Das tut die EU unseren Bürgern an, und unsere Regierung wehrt sich nicht dagegen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, Sie haben jetzt noch einen Satz, bitte.

Gerrit Huy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005091, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Aber die falsche Geldpolitik der EZB kann nicht auf Dauer mit Bürgerentlastungspaketen kompensiert werden. ({0}) Auch der Ampel muss klar sein, dass das nicht geht – – ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, ich habe Ihnen gerade das Wort entzogen, weil Sie auch meiner dritten Aufforderung nicht gefolgt sind und schon 50 Sekunden über der Zeit waren. Nächster Redner ist der Kollege Jens Teutrine, FDP-Fraktion, mit seiner ersten Parlamentsrede. ({0})

Jens Teutrine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005238, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diskussionsgrundlage für diese Debatte sind der Coronazuschuss für Bezieher von Sozialleistungen und der monatliche Sofortzuschlag in Höhe von 20 Euro, die wir beschließen wollen. Ich könnte Ihnen eine ganze Liste aufzählen, was noch alles im Entlastungspaket enthalten ist. Aber das haben wir heute schon, glaube ich, zwanzigmal gehört; deswegen spare ich mir das an dieser Stelle. Ich möchte trotzdem zusammenfassen: Wir entlasten in der Breite der Gesellschaft – weil auch der arbeitende Teil der Bevölkerung von den Preissteigerungen betroffen ist –, beispielsweise durch die Anhebung des Grundfreibetrags bei der Steuer, durch die Anhebung des Arbeitnehmerpauschbetrags, durch die Abschaffung der EEG-Umlage. Zeitgleich unterstützen wir diejenigen, die besonders stark von den Preissteigerungen betroffen sind. Darum geht es in unseren Paketen; denn es stellt sich die Frage, ob am Ende des Monats überhaupt noch Essen im Kühlschrank ist oder ob kein Essen mehr im Kühlschrank ist, obwohl der Monat noch weiterläuft. Es stellt sich die Frage, ob Kinder und Jugendliche noch Geld haben, um ins Schwimmbad zu fahren. Deswegen ist es richtig, dass wir die Kinder und die Familien in den Blick nehmen. Herr Whittaker, ich bin etwas überrascht, dass Sie jetzt auch mit den Studierenden angefangen haben. Sie haben in der Pandemie nicht nur die Kinder und Jugendlichen viel zu häufig vergessen, ({0}) sondern Sie haben auch vergessen, eine BAföG-Reform für die Studierenden auf den Weg zu bringen. Die haben Sie nämlich nicht in den Blick genommen. Wir werden das jetzt angehen. Erste Schritte werden folgen. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus Sicht der Freien Demokraten darf das Versprechen des Sozialstaates nicht nur sein, Menschen in der Bedürftigkeit zu versorgen. Das Versprechen des Sozialstaates muss immer auch sein, Menschen aus der Bedürftigkeit zu befreien, diejenigen zu unterstützen, die nach einem Schicksalsschlag versuchen, sich aus eigener Kraft herauszuarbeiten. Herr Whittaker, Sie haben nach der Bürgergeldreform gefragt. Ich möchte Ihnen gerne ein ganz konkretes Beispiel nennen. Eine alleinerziehende Mutter in Hartz IV, die sich nicht einfach nur auf die Solidarität der Gesellschaft verlassen möchte, sondern die sich anstrengt und aus eigener Kraft etwas erwirtschaften möchte, hat von der Mindestlohnerhöhung, zu der wir heute richtigerweise einen Gesetzentwurf eingebracht haben, recht wenig, wenn sie gleichzeitig einen Minijob hat. Sie profitiert nicht davon. Sie hat einen 100‑Euro-Freibetrag, und davon werden 80 Prozent angerechnet. Ihr Kind, wenn es als Schüler arbeiten geht, darf von den 450 Euro aus dem Nebenjob nur 170 Euro behalten; das ist mehr als der Spitzensteuersatz. Es ist problematisch für Kinder und Jugendliche, wenn der Zufall der Geburt entscheidet, ob sich die persönliche Anstrengung, neben der Schule arbeiten zu gehen – in einer Tankstelle aushelfen, etwas verkaufen, Regale einräumen –, lohnt. Da Sie nach der Bürgergeldreform fragen: Wir werden die Hinzuverdienstgrenzen so anpassen, dass diejenigen, die sich in unserer Gesellschaft anstrengen, belohnt werden. Das haben Sie in den letzten 16 Jahren verpasst. ({2}) Darum geht es uns als Freien Demokraten bei der Bürgergeldreform. Ein OECD-Ländervergleich hat ergeben, dass es in Deutschland sechs Generationen braucht, bis man sich von einem niedrigeren bis zu einem mittleren Einkommen hocharbeiten kann. Im Vergleich: In den skandinavischen Ländern sind es nur zwei Jahre. Wir sind auf einem Platz mit Chile, wenn es um die soziale Mobilität in Deutschland geht. Ja, es ist notwendig und vollkommen richtig, dass wir Unterstützungs- und Entlastungsprogramme auf den Weg bringen. Aber die wichtigste soziale, gesellschaftliche und wirtschaftspolitische Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass der soziale Hintergrund, die Hautfarbe, das Geschlecht, der Geldbeutel der Eltern nicht über Chancen im Leben entscheiden, sondern Leistung, Fleiß und Tatendrang. ({3}) Es kamen immer wieder Fragen aus der Opposition auf: Hat der Koalitionsvertrag denn überhaupt noch seine Gültigkeit? Müsste nicht alles hinterfragt werden? – Ich finde es gut, dass auch die Oppositionsparteien beispielsweise ihre Energiepolitik, ihre Sicherheitspolitik hinterfragen, dass jede Partei im demokratischen Spektrum aktuell etwas auf den Prüfstand stellt. Wir haben den Koalitionsvertrag auch in Bezug auf die Sozialpolitik auf den Prüfstand gestellt. Ich möchte Ihnen aber eins ganz deutlich sagen: Diese Koalition wird beweisen, dass wir trotz der Krisen, die wir bewältigen müssen, weiter auf Fortschritt setzen müssen, weil auch Stillstand ein Grund dafür ist, warum wir in der aktuellen Situation sind. Unser Verständnis von Fortschritt meint die Erneuerung des Aufstiegsversprechens der sozialen Marktwirtschaft, wie Ludwig Erhard es wollte. ({4}) Jetzt freuen wir uns über Ihre Unterstützung bei der Bürgergeldreform. Ich nenne einige Punkte als Beispiele: Wir könnten über den Vermittlungsvorrang sprechen, damit Menschen in Ausbildung statt als Aushilfen vermittelt werden. ({5}) Wir könnten über das Weiterbildungsgeld sprechen, weil ein großer Teil der Menschen in Hartz IV Langzeitarbeitslose sind und keine berufliche Qualifikation haben. Und wir könnten darüber sprechen, dass die Kindergrundsicherung gut ist. Aber es ist eine Unmöglichkeit, dass von den Mitteln aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, das Ursula von der Leyen auf den Weg gebracht hat, nur 30 Prozent bei den Kindern ankommen. ({6}) Deswegen enthält das Paket ein digitales Kinderchancenportal. Liebe Ministerin, ich freue mich, wenn Sie dieses Projekt angehen. Ich glaube, wir haben viel vor. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Teutrine. – Es war Ihre erste Rede, deshalb diese Nachsicht. Das wird nicht immer so sein. Nächste Rednerin ist die Kollegin Jessica Tatti, Fraktion Die Linke. ({0})

Jessica Tatti (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004911, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erinnern Sie sich noch? Vor ziemlich genau einem Jahr wurde hier schon mal eine Coronasonderzahlung für Hartz-IV-Empfänger beschlossen, damals noch von der Großen Koalition, damals in Höhe von 150 Euro für ein halbes Jahr. Damals haben die Grünen das gemeinsam mit der Linksfraktion lautstark als viel zu niedrig kritisiert, was völlig richtig war. Jetzt bringt die Ampel eine Vorlage für einen noch mickrigeren Zuschuss ein: 100 Euro für einen Zeitraum von 18 Monaten, für alle Masken, Schnelltests, Hygieneartikel seit dem letzten Sommer. Also, ich finde, das ist oberpeinlich. ({0}) Dann wollen Sie weitere 100 Euro wegen der Inflation aufgrund der krassen Preissteigerungen bei Lebensmitteln und bei Energie drauflegen. Das klingt gut, aber die spannende Frage dabei ist: Wie kommen Sie eigentlich auf diesen Betrag? ({1}) Denken Sie sich da einfach: „Ach, über 100 Euro, da wird sich schon jeder freuen“? Also, das geht doch so nicht. ({2}) Sie sind doch verfassungsrechtlich verpflichtet, die Existenz der Leute abzusichern, während einer Pandemie genauso wie während einer hohen Inflation. Ich fasse das mal zusammen: Im Januar wurde der Regelsatz um lächerliche 3 Euro erhöht. Wenn ich Ihre geplanten 100 Euro aufs Jahr dazurechne, sind das weitere 8,33 Euro, also zusammen ein Plus von 2,5 Prozent. Sie kennen die Inflationsrate: über 7 Prozent. Das heißt, Ihr Zuschlag gleicht noch nicht mal den Kaufkraftverlust der Leute aus, die sich gerade überlegen müssen: Mache ich meinen Wocheneinkauf oder bezahle ich meine Stromrechnung? Sie lassen die Leute hängen, Millionen Menschen, die unsere Unterstützung gerade am meisten brauchen, und das wird Die Linke so nicht mitmachen. ({3}) Sie müssen sich mal ehrlich machen: Sie kommen mit Einmalzahlungen nicht mehr weiter. Mit einem Pflästerchen können Sie keine klaffende Wunde versorgen. Nein, das Grundproblem ist der kleingerechnete Regelsatz. Sie schummeln seit über 15 Jahren bei der Berechnung. Schon in ganz normalen Zeiten reicht der Hartz‑IV-Satz vorne und hinten nicht. Rechnen Sie mal ehrlich – ({4}) die empirischen Zahlen haben Sie –, und dann ergibt sich auch ein deutlich höherer Regelsatz. Nicht nur Die Linke, auch die Wohlfahrtsverbände, auch die Wissenschaft rechnen Ihnen das seit Jahren vor. Mittlerweile schreiben Ihnen sogar Jobcenter, dass der Druck im Kessel zu hoch wird und dass die Leute wirklich handfeste Probleme bekommen. Wir haben ehrlich nachgerechnet, und zwar mit Ihrem eigenen Modell, mit dem Modell der Bundesregierung. Die Leute brauchen 687 Euro plus Strom, plus weiße Ware, und damit kann dann auch die Inflation abgefangen werden. ({5}) Die Leute können nicht mehr auf die Umsetzung Ihrer zweifelhaften Versprechen, dass mit dem Bürgergeld bald alles besser wird, warten. Die Probleme sind jetzt da, die Leute haben jetzt finanziellen Druck, und Sie als Bundesregierung haben die Pflicht, jetzt zu handeln. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Jessica Tatti (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004911, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

687 Euro Regelsatz, das ist der Respekt, den die Menschen verdienen, und, Minister Heil, das ist auch der Respekt, von dem Sie hier die ganze Zeit daherreden. Fangen Sie endlich damit an! ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Tatti. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Sarah Lahrkamp, SPD-Fraktion. ({0})

Sarah Lahrkamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005120, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Fast jedes fünfte Kind in unserem Land lebt in Armut. Das können und das dürfen wir nicht hinnehmen; denn Armut in Deutschland bedeutet, dass Kinder auf Dinge verzichten müssen, die für den Großteil der Gesellschaft selbstverständlich sind. Hier geht es um ein warmes und gesundes Mittagessen oder auch um Materialien für die Schule. Es geht aber auch um soziale Ausgrenzung, darum, dass Kinder auf Hobbys mit ihren Freunden oder den Kindergeburtstag verzichten müssen. Sie werden also nicht nur ökonomisch benachteiligt, sondern auch sozial. Und nicht nur das: Armut wird leider genauso vererbt wie Vermögenswerte. Damit wird deutlich, dass die Chancen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland immer noch vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Das ist ein Teufelskreis, ungerecht und unfair. Für uns Sozialdemokraten ist klar, dass wir diesen Teufelskreis durchbrechen und für Kinder gerechtere Chancen herstellen müssen. Unser wichtigstes Instrument wird dabei die Kindergrundsicherung sein, die im Koalitionsvertrag beschlossen wurde. Damit wir aber eine Kindergrundsicherung bekommen, die ihren Namen auch verdient, die Kinder und Jugendliche aus sichtbarer und aus verdeckter Armut holt, benötigt es Zeit, Genauigkeit und gute Planung. Diese sozialstaatliche Reform ist ein Paradigmenwechsel, und das geht leider nicht von heute auf morgen. Um die Zeit bis dahin zu überbrücken, haben wir uns für einen Sofortzuschlag entschieden. Er ist eine Sofortmaßnahme, damit Familien mit Kindern etwas mehr finanziellen Spielraum bekommen. Er soll die Kinder und Familien entlasten, die es am dringendsten brauchen. Konkret geht es um eine Zahlung von 20 Euro pro Kind im Monat. Alle leistungsberechtigten Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben einen Anspruch darauf. Wir erreichen also die Familien, die kein ausreichendes Einkommen erzielen. Und ja, auch wenn sich 20 Euro nicht gerade nach viel anhören, möchte ich hier an dieser Stelle noch einmal auf etwas hinweisen, was ich bei diesem Gesetzentwurf besonders wichtig finde, und zwar darauf, dass es sich um eine monatliche Zahlung handelt und um Geld, mit dem Familien fest planen und rechnen können, bis wir eine Kindergrundsicherung haben. ({0}) Der Sofortzuschlag wird zum 1. Juli 2022 eingeführt werden und erreicht immerhin 2,9 Millionen Kinder, die in Armut leben. Es ist klar: Erst mit der Kindergrundsicherung werden wir ein wirklich wirksames Instrument gegen Kinderarmut in unserem Land haben. Doch der Sofortzuschlag ist eine schnelle, wirksame Entlastung für viele Familien und ein Schritt in die richtige Richtung. An der großen Lösung werden wir weiterarbeiten. Vielen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Lahrkamp. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Ottilie Klein, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Ottilie Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kinderarmut ist eine traurige Realität in Deutschland. Werfen Sie zum Beispiel einen Blick ins Herz unserer Hauptstadt. In meinem Wahlkreis Berlin-Mitte, ganz in der Nähe vom Deutschen Bundestag, wächst fast jedes zweite Kind unterhalb der Armutsgrenze auf. Die Kollegin sagte es gerade: Insgesamt ist es hierzulande fast jedes fünfte Kind. Dabei müssen wir uns bewusst machen, was Kinderarmut bedeutet. Es bedeutet, nicht mit den Freunden im Sportverein zu spielen, weil die Mitgliedschaft zu teuer ist, im Unterricht zurückzufallen, weil das Geld für den Nachhilfeunterricht oder der ruhige Ort für die Schulaufgaben fehlt. Kinderarmut hat viele Gesichter, und wir müssen uns allen Facetten des Problems stellen. Die 20 Euro pro Monat Sofortzuschlag, die sind ein Anfang; sie sind besser als nichts. Aber mehr als ein finanzielles Trostpflaster sind sie nicht. ({0}) Auch die von der Ampel geplante Einmalzahlung ist eher ein teures Placebo. Zur wirksamen Bekämpfung von Armut sind vielmehr strukturelle Maßnahmen gefragt. Da sprechen wir über andere Herangehensweisen, und ich möchte hier zwei gesondert hervorheben: Erstens brauchen wir bessere Anreize, die die Kinder gezielt fördern, ein ganzheitliches Konzept, das Chancen und Bildungsgerechtigkeit zur Priorität macht. Meilensteine sind das Bildungspaket und das Starke-Familien-Gesetz, übrigens beides Gesetzesinitiativen, die von der CDU/CSU-Fraktion in der letzten Legislaturperiode auf den Weg gebracht wurden. Genau hier muss weiter angesetzt werden. ({1}) Zweitens. Kommen wir zu einem wesentlichen Punkt, der bislang kaum angesprochen wurde. Es braucht eine starke soziale Infrastruktur mit einem engmaschig verbundenen Netz an Helfern, Anlaufstellen und Beratungen, damit die Hilfe dort ankommt, wo sie gebraucht wird, damit Familien gezielt unterstützt werden können – gerade jetzt, gerade als Hilfe für jene Kinder, die von der Coronapandemie besonders betroffen waren. Meine Damen und Herren, wir als CDU/CSU stehen an der Seite der Familien in unserem Land. Statt eines halbherzigen Sofortzuschlags braucht es ein ernstgemeintes Sofortprogramm mit echter, unbürokratischer Unterstützung für einkommensschwache Familien und mit Lösungen, die Kinderarmut ganzheitlich bekämpfen. Vielen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Klein. – Als Nächstes erhält das Wort die Kollegin Annika Klose, SPD-Fraktion. ({0})

Annika Klose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005108, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer/-innen! Wie wir in dieser Debatte bereits mehrfach aus verschiedenen Richtungen gehört haben, sind wir derzeit mit mehreren Krisen konfrontiert. Die Klimakrise, die globale Coronapandemie sowie der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine stellen uns täglich vor neue Herausforderungen. Die Auswirkungen dieser Krisen treffen vor allem die Menschen besonders hart, die es in ihrem Leben eh schon nicht so leicht haben. Wer nur ein geringes Einkommen und kaum Vermögen hat, kann massive Kostensteigerungen bei Lebensmitteln, Energiepreisen und Wohnraum nicht so einfach ausgleichen. Klar ist, dass systemische Krisen auch systematische, wohldurchdachte und auf Dauer angelegte Antworten brauchen. Daher haben wir uns für diese Legislaturperiode große Reformprojekte vorgenommen, die Familien, Erwerbslose und Sozialhilfeempfänger/-innen dauerhaft und krisenfest vor Armut schützen sollen. Die Kindergrundsicherung wird Kinder und Jugendliche in diesem Land unabhängig vom Einkommen der Eltern absichern, weil jedes Kind es verdient hat, frei von Armut aufzuwachsen. ({0}) Der Kindersofortzuschlag ist auf dem Weg dorthin der erste wichtige Schritt. Das neue Bürger/-innengeld wird eine Kultur auf Augenhöhe schaffen, ermöglicht ein Leben in Würde und mit Respekt und fördert eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt. Diese Reformen sind der richtige Weg, um unsere Sozialsysteme krisenfest zu machen. Die von Armut betroffenen Menschen können aber gerade nicht auf die großen Reformen warten, sondern sie brauchen jetzt akute Unterstützung, um ihren Lebensunterhalt finanzieren zu können. Daher bin ich sehr froh, dass die Bundesregierung gleich zwei Entlastungspakete auf den Weg gebracht hat, um schnelle Abhilfe zu schaffen. Die Entlastungspakete umfassen 200 Euro für Empfänger/-innen von Hartz IV, von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und von Sozialhilfe, 100 Euro Familienbonus für alle Kinder, für die man Kindergeld bekommt, 300 Euro für Erwerbstätige, die 9-Euro-Flat für die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln, einen Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger/-innen. All dies hilft vielen Millionen Menschen in unserem Land in dieser Krisensituation. Das ist gut, und das ist richtig. ({1}) Wenn wir über Hilfe in der Krise sprechen, dann möchte ich auch noch sagen, dass ich mich sehr darüber freue, dass die Geflüchteten aus der Ukraine zum 1. Juni auch ins SGB II geholt werden. Das bedeutet eine deutliche Verbesserung ihrer Krankenversicherung, schafft Zugänge zu den Leistungen der Jobcenter und entlastet unsere Kommunen. Ich bin allen Beteiligten, die das möglich gemacht haben, sehr dankbar. Ich bin vor allem auch all denjenigen dankbar, die in ihrer Freizeit freiwillig helfen, die Menschen aufzunehmen und zu versorgen. Darauf bin ich sehr stolz. Das ist gelebte Solidarität, und so meistern wir auch diese Krisen. Vielen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Klose. – Sie haben die Zeit, die die Kollegin Lahrkamp überzogen hat, wieder aufgeholt. Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Silvia Breher, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Silvia Breher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004681, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal auch von mir und im Namen unserer Arbeitsgruppe: Herzlichen Glückwunsch, Frau Familienministerin Paus! Ich wünsche Ihnen alles Gute in Ihrem Amt zum Wohle der Familien in Deutschland. Wir freuen uns auf eine konstruktive Zusammenarbeit. ({0}) Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag im Dezember – jetzt legen Sie den Gesetzentwurf vor – einen Sofortzuschlag in Höhe von 20 Euro im Monat versprochen. Dies – so steht es in Ihrem Gesetzentwurf – soll „finanzielle Spielräume“ schaffen und dazu beitragen, „die Lebensumstände und Chancen der Kinder zu verbessern“. Dieses Ziel unterstützen wir ausdrücklich, und wir werden das Gesetzgebungsverfahren jetzt sehr konstruktiv begleiten. Allerdings hat sich zwischen Dezember, als der Koalitionsvertrag geschlossen wurde, und heute so einiges verändert. Die Realitäten haben sich einfach verschoben. Ich glaube einfach nicht, dass es mit 20 Euro mehr im Monat tatsächlich gelingt, finanzielle Spielräume für Kinder in Deutschland zu schaffen und ihre Chancen zu verbessern. Wir hatten im März eine Inflationsrate von 7,3 Prozent; jetzt im April liegt sie bei 7,4 Prozent. Bei einem Kinderzuschlag von 209 Euro, bei Regelbedarfen zwischen 285 bis 376 Euro sind 20 Euro allein durch die Inflation komplett weg. Da bleibt kein einziger Cent für einen finanziellen Spielraum übrig. Tatsächlich kann man einfach sagen: Vor Ihrem Koalitionsvertrag hatten die betroffenen Kinder, Jugendlichen und die jungen Erwachsenen mehr Geld in der Tasche, als sie es im Juli mit Ihrem Sofortzuschlag haben werden. Wir erwarten, dass dort im Rahmen der Beratungen nachgearbeitet wird. Wir werden das entsprechend unterstützen. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Silvia Breher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004681, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, danke. – Dazu haben wir aber auch noch konkrete Ideen, was man verbessern kann. Frau Bundesministerin, noch vor Ihrer Zeit hat meine Kollegin Gitta Connemann eine Anfrage zum Kinderzuschlag an Ihr Haus geschickt. Es ging darum, dass eine Familie durch Long Covid aus dem Erwerbseinkommen heraus und hinein ins Krankengeld gerutscht ist. Der Kinderzuschlag wird daher nicht mehr gezahlt, und die Familie muss auch auf die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket verzichten. Die Antwort der Staatssekretärin aus Ihrem Haus war eben nicht: „Wir prüfen das, wir suchen eine Lösung, wir gucken uns das mal an“, sondern sie hat das schlichtweg abgelehnt. Das wäre ein ganz konkreter Fall, in dem man Familien in der aktuellen Zeit, wenn sie in den Krankengeldbezug rutschen, helfen könnte. Ich würde mir wünschen, dass Sie sich das noch einmal anschauen. ({0}) Für uns gilt: Anliegen von Bürgerinnen und Bürgern ernst nehmen, notwendige Nachjustierungen vornehmen und dann familienpolitische Maßnahmen zielgenau mit Bund, Ländern und Kommunen auf den Weg bringen. Dabei begleiten wir Sie sehr gerne. Vielen Dank. ({1})

Dr. Anja Weisgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004440, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Klimawandel besteht aus zwei wesentlichen Säulen: auf der einen Seite aus der Vermeidung von Treibhausgasen und auf der anderen Seite aus der Anpassung an den bereits stattfindenden Klimawandel. Beide Säulen sind aus unserer Sicht gleichbedeutend, und um beide Seiten müssen wir uns gleich stark kümmern. Darum hatten wir als CDU/CSU in unser Wahlprogramm die Forderung aufgenommen, dass ein Klimaanpassungsgesetz verabschiedet werden muss. Sie, liebe Ampelfraktionen, sind auf den Zug aufgesprungen und haben ebenfalls ein Klimaanpassungsgesetz angekündigt. ({0}) Das begrüßen wir sehr. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Sie jetzt zeitnah vom Findungsmodus in den Handlungsmodus kommen und dieses Klimaanpassungsgesetz auch vorlegen. ({1}) Das von Bundesumweltministerin Steffi Lemke Ende März vorgestellte Sofortprogramm Klimaanpassung wird der Herausforderung des Klimawandels, der Klimaanpassung unserer Meinung nach nicht ausreichend gerecht. Vielmehr schafft das Konzept, schaffen die Vorschläge unnötige und aus unserer Sicht auch teure Doppelstrukturen. Mit der Kommunalrichtlinie werden ja schon die Klimamanager gefördert. In Zukunft will der Bund zusätzlich auch noch Anpassungsmanager fördern; das ist in dem Sofortprogramm zur Klimaanpassung so vorgesehen. Unserer Meinung nach sollten wir lieber die Förderung für die Klimaschutzmanager verstetigen und ihre Kompetenz um das Thema Klimaanpassung erweitern. Ich weiß aus meinem Wahlkreis, dass die Klimaschutzmanager da eine sehr, sehr gute Arbeit leisten. Ich verstehe nicht, warum man da eine zusätzliche Doppelstruktur schafft. Ich verstehe auch den Unterschied zwischen Klimaschutzmanagern und Klimaanpassungsmanagern nicht. Das sollte beides unter ein Dach. Das ist unserer Meinung nach eine unnötige Doppelstruktur. Lieber sollten diese Gelder für die wichtigen Klimaanpassungsmaßnahmen eingesetzt werden, meine Damen und Herren. ({2}) Es gibt viel zu tun; das haben uns die verheerenden Fluten im letzten Sommer in Teilen Nordrhein-Westfalens und von Rheinland-Pfalz gezeigt, die unendliches Leid und Zerstörung hervorgerufen haben. In unserem Antrag schlagen wir viele ganz konkrete und effektive Maßnahmen vor. Zum einen muss der Hochwasserschutz ausgeweitet werden. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt der Klimavorsorge. Wir fordern unter anderem eine Weiterentwicklung des Nationalen Hochwasserschutzprogramms von Bund und Ländern. Deshalb sollte unserer Meinung nach auch – das ist ein zusätzliches Thema – der Schutzstatus des Bibers dort eingeschränkt werden, wo Schäden an Hochwasserschutzanlagen zu befürchten sind. ({3}) Ebenfalls sollte man sich den Schutzstatus des Wolfes gerade da besonders anschauen, wo eine Weidetierhaltung für den Küsten- und Flussuferschutz oder zum Beispiel auch auf Almen für den Erosionsschutz notwendig ist, meine Damen und Herren. Das sind ganz konkrete Vorschläge. ({4}) Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie diese aufgreifen würden. ({5}) Außerdem fordern wir mehr Unterstützung für private Haushalte und Kommunen für die Hochwasserprävention, zum Beispiel in Form von KfW-Förderprogrammen, mit deren Geldern Gebäude vor Hochwasser geschützt werden, indem zum Beispiel auch bauliche Präventionsmaßnahmen gefördert werden. Im Katastrophenschutz und in der Katastrophenhilfe müssen dringend Lehren aus den vergangenen Fluten gezogen werden. Hier muss der Zivilschutz gestärkt und stärker in den Fokus gerückt werden. Er muss dann auch mit den zusätzlichen Haushaltsmitteln unterlegt werden. Ein Mittel gegen Starkregenereignisse sind auch die sogenannten Schwammstädte, die zum Beispiel durch Grünanlagen oder Dachbegrünungen Regenwasser aufnehmen. Damit wird verhindert, dass das Regenwasser ungebremst in die überforderten Kanalisationen fließt. Wo auf der einen Seite viel Wasser ist, fehlt es auf der anderen Seite. Einige Gegenden – ich komme zum Beispiel aus so einer Trockenregion in Franken – haben durch den Klimawandel unter extremer Trockenheit zu leiden. In der Landwirtschaft, im Weinbau – in vielen Bereichen merkt man diese Trockenheit. Deshalb brauchen wir ein verbessertes Regenwassermanagement. Wir müssen Regenwasser speichern, aber auch Abwasser wiederaufbereiten. Mit diesem aufbereiteten Wasser können zum Beispiel Grünanlagen bewässert werden. Es muss auch daran geforscht werden, wie man mit aufbereitetem Abwasser vielleicht auch in der Landwirtschaft die Flächen bewässern kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Das Thema Klimaanpassung ist sehr vielschichtig. Wir haben uns intensiv in allen Arbeitsgemeinschaften mit diesem Thema auseinandergesetzt. Es ist ein sehr fundierter Antrag. Ich hoffe, Sie haben alle Vorschläge gelesen. Wir würden uns wirklich sehr freuen, wenn viele dieser Vorschläge in das Klimaanpassungsgesetz einfließen würden. Das verstehe ich unter einer konstruktiven Oppositionsarbeit. Vielen herzlichen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Weisgerber. – Nächster Redner ist der Kollege Rainer Johannes Keller von der SPD-Fraktion. ({0})

Rainer Johannes Keller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, vielen Dank. Der Rainer reicht. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich gefreut, dass der vorliegende Antrag von der CDU/CSU eingebracht wurde; denn die Klimaanpassung ist wirklich ein extrem wichtiges Thema, dem wir uns in diesem Hause widmen müssen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt: Wir haben Wahlen, in NRW und in Schleswig-Holstein, und just in diesem Augenblick kommt dieser Antrag aufs Tapet. Das finde ich sehr spannend. Gehen wir jedoch mal weiter vor. „Die Kinder von heute werden zwei- bis siebenmal mehr Extreme erleben als ihre Großeltern“ – so lautet der Titel einer Mitteilung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung vom September 2021. Anlass für die Veröffentlichung war eine Studie zu zukünftigen Extremwetterereignissen in der Fachzeitschrift „Science“. Die Ergebnisse dieser Studie lassen die beteiligten Forscherinnen und Forscher zu einem eindeutigen Schluss kommen: Die Menschen, die heute unter 40 Jahre alt sind, werden aufgrund von Dürren, Überschwemmungen, Ernteausfällen ein Leben führen, welches man nur noch als beispiellos bezeichnen kann. Die Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, sind immens. Dennoch dürfen wir nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern müssen die uns zur Verfügung stehenden Mittel und Instrumente nach Möglichkeit entschieden nutzen. Im Koalitionsvertrag haben wir zahlreiche Maßnahmen vereinbart, damit wir bei der Klimaanpassung entscheidende Schritte vorankommen. Den Veränderungen müssen wir zielgerichtet begegnen – wohlgemerkt: zielgerichtet. Dazu benötigt es an vielen Stellen einen regelrechten Umbau des Landes, damit die nächsten Generationen besser mit den sicherlich auftretenden Extremwetterereignissen umgehen können. ({0}) Ein Projekt aus meiner nordrhein-westfälischen Heimat zeigt, wie solche Maßnahmen aussehen können. Dort ist es über viele Jahre hinweg entlang der Lippe, einem Zufluss zum Rhein, gelungen, den Flusslauf weitestgehend auf seinen natürlichen Zustand zurückzuführen. Die renaturierten Auen und Ufer tragen nicht nur zum Klimaschutz bei, sondern sie bieten auch natürliche Überschwemmungsflächen und sorgen damit für einen effektiven Hochwasserschutz. Dieses auf regionaler und kommunaler Ebene realisierte Programm ist somit eine Win-win-Situation für alle Beteiligten und eben auch die Natur. Davon brauchen wir in diesem unserem Land deutlich mehr. ({1}) Wie man jedoch Klimaanpassung nicht angehen sollte, zeigt sich leider auch in NRW. ({2}) Mit dem 2021 verabschiedeten Klimaanpassungsgesetz hat die dortige Landesregierung eine Hülle ohne Substanz und ohne Leben geschaffen. ({3}) Die Kommunen werden seitdem nicht mehr in die konkreten Maßnahmen eingebunden. Ebenso wurden keine zusätzlichen Finanzmittel zur Verfügung gestellt. Da frage ich mich schon, wie das eigentlich gehen soll. Das wird so nicht funktionieren. Darüber hinaus wurden mit dem Gesetz die Ergebnisse und Erkenntnisse des Klimaschutzplans NRW vollständig ignoriert. Diese Erfahrungen wären aber eine wichtige Grundlage für eine erfolgreiche und wirkungsvolle Klimaanpassung gewesen; denn die 66 darin vereinbarten Maßnahmen waren das Ergebnis eines intensiven Dialogs aller gesellschaftlichen Gruppen in NRW. Hier wurden von der CDU Chancen vertan, ganz eindeutig. Es wird einmal mehr deutlich, dass Ihr vorgelegter Antrag nicht Ihrem Handeln entspricht; denn dort, wo Sie noch Regierungsverantwortung tragen, gelingt es Ihnen nämlich nicht. ({4}) Daher ist es gut, dass Sie im Bund bereits in der Opposition sind und diese Rolle bald auch wieder in NRW einnehmen werden. ({5}) Klimaanpassung hat jedoch nicht nur etwas mit notwendigen baulichen oder Renaturierungsmaßnahmen zu tun. Vielmehr ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir uns stellen müssen. Der richtige Umgang mit Klimafolgen und den daraus entstehenden akuten Notsituationen rettet Leben und schützt Infrastruktur. Wir haben die Beispiele alle noch im Kopf: letztes Jahr an der Ahr und in Nordrhein-Westfalen in der Eifel. Wenn man dann weiter zurückschaut: 70 Prozent der Naturkatastrophen der letzten zehn Jahre sind laut einer Studie des Internationalen Roten Kreuzes auf den Klimawandel zurückzuführen. Das sind erschreckende Zahlen, meine Damen und Herren. Dies sehe ich auch bestätigt durch meine Erfahrungen als ehemaliger Katastrophenschutzbeauftragter: Wir sind immer mehr mit solchen Situationen konfrontiert. Extremwetterereignissen, die durch den menschengemachten Klimawandel verursacht werden, begegnen wir immer mehr in der Gefahrenabwehr; und dem müssen wir entgegentreten. ({6}) Hier, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, müssen wir deutlich besser werden, um Menschen und Natur den Schutz zu gewähren, den sie verdienen. Staatliches Handeln muss an vielen Stellen deutlich besser werden; und dafür stehen wir hier. ({7}) Jetzt sei mir noch ein letzter Satz gegönnt, aber das wird nicht mehr funktionieren bei nur noch zwei Sekunden. ({8})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Einen letzten Satz haben Sie noch.

Rainer Johannes Keller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Einen letzten Satz habe ich noch. – Wir müssen auch zusehen – und das ist enorm wichtig –, dass wir die Länder mit an Bord holen. Denn gerade die Forcierung im Bereich des Katastrophenschutzes, die Sie in Ihrem Antrag auch formuliert haben, ist Sache der Länder.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Das war der letzte Satz.

Rainer Johannes Keller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Punkt. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Vielen Dank, Herr Keller. – Einen schönen guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch von meiner Seite. Wir fahren fort in der Debatte, und der nächste Redner ist Andreas Bleck, AfD-Fraktion. ({0})

Andreas Bleck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004674, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Werte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bei keiner Partei ist die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit so groß wie bei den Grünen. Als angebliche Friedens- und Umweltschutzpartei in der Opposition gestartet, sind Sie als tatsächliche Kriegs- und Umweltzerstörungspartei in der Regierung gelandet. ({0}) Dass die Umweltpolitik der neuen Bundesregierung den Ansprüchen der AfD nicht genügt, ist nicht überraschend. ({1}) Überraschend ist, dass die Klimapolitik der neuen Bundesregierung, vor allem der Grünen, noch nicht einmal den eigenen Ansprüchen genügt. Das ist ja auch einer der Gründe, warum dieser Antrag heute vorliegt. In der Opposition kritisierten die Grünen die alte Bundesregierung, keine Klimapolitik aus einem Guss gemacht zu haben. Und was machen die Grünen in der Regierung? Für den Klimaschutz sind drei Bundesministerien verantwortlich. Beim Sofortprogramm Klimaanpassung wird eine Doppelstruktur geschaffen. Damit haben die Grünen die Fragmentierung des Klimaschutzes auf die Spitze getrieben. ({2}) Der Antrag von CDU und CSU zur Klimaanpassung – gemeint ist die Anpassung an den Klimawandel – hat Licht und Schatten. Er stellt eine wichtige Diskussionsgrundlage dar. Den Klimawandel gab es, gibt es und wird es immer geben. Menschen hatten und haben sich angepasst und werden sich immer anpassen. ({3}) Wir unterstützen daher die Wiedervernässung von Mooren, die extremwettertolerante Aufforstung von Wäldern, die Bekämpfung der Wasserknappheit und die Begrünung von Städten. Doch CDU und CSU fordern in ihrem Antrag auch, den Schutzstatus des Bibers dort einzuschränken, wo Schäden an Hochwasserschutzanlagen nicht etwa eingetreten sind, sondern befürchtet werden. Sie fordern, den Schutzstatus des Wolfs bundesweit, insbesondere aber dort einzuschränken, wo eine Weidetierhaltung für den Küsten- und Flussuferschutz notwendig ist. Die bundesweite Einschränkung des Wolfsschutzes hat jedoch weder etwas mit Klimaanpassung noch mit Hochwasserschutz zu tun. Sie instrumentalisieren hier den Hochwasserschutz für die Einschränkung des Biber- und Wolfsschutzes; und das ist bei allem Verständnis für die Probleme, die wir mit Wölfen und mit Bibern haben, eigentlich unangebracht und Ihrer nicht würdig. ({4}) Doch damit nicht genug: CDU und CSU fordern, beim Katastrophenschutz die Lehren aus der Flutkatastrophe vom Juli 2021 zu ziehen. Doch die im Bund und/oder in den Ländern regierenden Parteien sollten sich vor allem zunächst an die eigene Nase fassen. Es waren die SPD-geführte Landesregierung in Rheinland-Pfalz und die CDU-geführte Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, die mit ihren Innen- und Umweltministern völlig versagt haben. Sie, werte Kolleginnen und Kollegen, sind in diesem Punkt eben kein Teil der Lösung, sondern Sie sind Teil des Problems. ({5}) Die Bürger in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen warten bis heute darauf, dass jemand die politische Verantwortung für die Flutkatastrophe vom Juli 2021 übernimmt. Immerhin kann ich dem Antrag von CDU und CSU nicht entnehmen, dass Sie mit der Klimakrise vom völligen Versagen beim Katastrophenschutz ablenken wollen – anders die Landesregierungen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen sowie die Bundesregierung. Im Sofortprogramm Klimaanpassung heißt es beispielsweise – ich zitiere –: Bereits heute zeigt sich eine neue Dimension von Schäden infolge der Klimakrise: Die verheerende Flutkatastrophe vom Juli 2021 hat rund 190 Menschenleben gefordert … Diese Instrumentalisierung der Flutkatastrophe vom Juli 2021 für die Klimapolitik der Bundesregierung ist schäbig und widerwärtig. ({6}) Die Flut wurde nicht durch ein Klima-, sondern ein Wetterphänomen verursacht. Tote und Verletzte gab es, weil der Katastrophenschutz der Landesregierungen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen ungenügend war und ist. Vielleicht würde auch dem einen oder anderen grünen Minister ein Rücktritt gut tun. Ohne Amt kommt möglicherweise der Verstand. Vielen Dank. ({7})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der nächste Redner in der Debatte ist der Kollege Harald Ebner, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die AfD hat sich gestern bei der Debatte zur Klimakrise mit ihren hasserfüllten Hetzbeiträgen zu diesem Thema schon derart diskreditiert, ({0}) und Sie, Herr Kollege Bleck, haben das heute noch einmal bestätigt. ({1}) Der Union möchte ich zurufen: Besser spät als nie! – Vor einem Monat hat die Bundesumweltministerin Lemke das Sofortprogramm Klimaanpassung und das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz auf den Weg gebracht. Das war dringend notwendig. ({2}) Denn viele Jahre versäumter Klimaschutz erfordern jetzt von uns, dass wir uns an die heute schon unausweichlichen Folgen der Klimakrise anpassen müssen; und da ist es schön, dass auch Ihnen endlich mal was dazu einfällt. ({3}) Es grenzt allerdings auch an Dreistigkeit, 16 Jahre lang wirksamen Klimaschutz zu bekämpfen ({4}) und danach die Nachfolgeregierung dazu aufzurufen, die Scherben zusammenzukehren. ({5}) Und dass wir Ihnen jetzt noch den Unterschied zwischen Klimaschutz und Klimaanpassung erklären müssen, das spricht Bände. ({6}) Ihre eigene ehemalige Kanzlerin musste eingestehen, dass in ihren 16 Jahren Kanzlerinnenschaft in puncto Klimaschutz nicht ausreichend viel passiert sei. Gut, wenn Sie sich da jetzt neu sortieren! Man könnte aber diesen Antrag der Union auch überschreiben mit „Die Union auf der Suche“. Immerhin haben Sie auch schon was entdeckt. ({7}) – Sie haben das Vorsorgeprinzip entdeckt, Frau Kollegin. Besser spät als nie, sage ich da. Aber gerade in dieser Hinsicht haben Sie ja bislang jede Vorsorge verweigert. ({8}) Und Sie haben auch unseren Koalitionsvertrag entdeckt: Schön! Da stehen viele gute Dinge drin, die man natürlich auch gerne in Unionsanträge schreiben kann: nationale Anpassungsstrategie mit messbaren Zielen, ein nationales Klimaanpassungsgesetz, Standards für Gefahren- und Risikokarten, ({9}) eine KfW-Förderung für Hochwasser- und Starkregenvorsorge. Ihr Antrag aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, liest sich wie das Who’s who, was Sie in den letzten 16 Jahren Ihrer Regierungsverantwortung alles nicht gemacht haben. Und statt einer Stärkung des präventiven Waldschutzes haben Sie pauschal Flächenprämien verteilt, ohne damit widerstandsfähige, resiliente Wälder oder Waldbrandprävention voranzubringen. Wir erkennen es ausdrücklich an, wenn auch Sie jetzt neue Antworten suchen. Aber in einigen Punkten bleiben Sie sich ja dann doch treu und holen die ollen Kamellen aus der Mottenkiste. „Wolf und Biber bekämpfen“ ist ja Ihr altbekanntes Lied. Neu ist jetzt aber, dass Sie die gleiche Melodie nun auch in der Tonart Klimaanpassung singen wollen. Nutzen wir doch die bestehenden Möglichkeiten, in Problemfällen voranzugehen, statt dass Sie uns jetzt auch noch zwei weitere EU-Vertragsverletzungsverfahren einbrocken. Nächster Punkt. Sie wollen mit Wunderpflanzen aus der Retorte Ihre Versäumnisse in Sachen Klimaschutz, Züchtungen und Agrarpolitik wettmachen. Träumen Sie weiter! Schauen Sie doch, was Ihre Wundertechnik da gerade real auf den Markt bringt: einen Genraps, der gegen noch mehr Unmengen des Pflanzenkillers Glyphosat resistent ist, damit man noch mehr davon auf den Äckern ausbringen kann. Was ist denn dabei Klimaanpassung? Das Einzige, was da angepasst wird, sind die Aktienkurse der Glyphosat-Hersteller. ({10}) Und dann ist die Union auch noch für die Renaturierung von Mooren. Chapeau! Chapeau! Das ist auch nötig für den Klimaschutz und Bestandteil unseres Aktionsprogramms. Aber konsequent sollten Sie dann schon auch bitte sein – nicht dass morgen Ihre Agrarpolitiker/-innen um die Ecke kommen und genau das dann als böse Flächenstilllegung brandmarken. Wir handeln schon, während Sie noch nach Problemen suchen. ({11}) Wir fördern bereits Vorhaben zum Moorbodenschutz mit 48 Millionen Euro, und da fordern Sie von der Union, die Koalition solle – ich zitiere – „endlich vom Findungs- in den Handlungsmodus kommen“. ({12}) Ich wäre ja schon froh, wenn die Unionsfraktion endlich mal vom Such- in den Findungsmodus käme. ({13}) Während Sie noch weitgehend im alten Denken verharren wie bei Biber, Wolf und Co und Natur als Gegner begreifen, verstehen wir die Natur als Verbündete, gerade bei der Klimaanpassung. Aktionsplan Natürlicher Klimaschutz: Da werden wir mit der Wiederherstellung von Ökosystemen auch die Folgen der Klimakrise abfedern und die Artenkrise eindämmen. Und die Bundesregierung wird mit einer vorsorgenden Strategie systematisch Klimaanpassung und Risikovorsorge fördern. Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir klimaresiliente Kommunen, die gegen Wetterextreme gewappnet sind. Und weil Kommunen nun mal Schlüsselakteure für diese Anpassung sind, starten wir jetzt genau das: eine kommunale Beratungs- und Kompetenzoffensive für die Umsetzung von Maßnahmen vor Ort. Für das nötige Personal schaffen wir dort jetzt mehr als 100 neue Stellen. Die ersten Förderbescheide hat die Ministerin bereits überreicht. Und das ist gut so, weil nämlich die Klimaanpassung ein völlig anderer Job ist als der Klimaschutz. ({14}) Ob ich Gebäude dämme oder andere Leuchtmittel in die Lampen da oben hineinschraube, ist etwas völlig anderes als beispielsweise die Planung von Schwammstädten und all diese Dinge. Diesen Unterschied sollten Sie an der Stelle bitte erkennen. ({15}) Wir haben nach wenigen Regierungsmonaten unter Extrembedingungen nicht nur gefunden, sondern wir handeln auch, während Sie, liebe Union, scheinbar noch weiter suchen. ({16}) Wer sucht, der findet. Das gilt eines Tages hoffentlich auch für die Union und ihren klimapolitischen Kompass. Vielen herzlichen Dank. ({17})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der nächste Redner in dieser Diskussion: Ralph Lenkert, Fraktion Die Linke. Ich bitte auch, dass wir dem neuen Redner genügend Aufmerksamkeit schenken. ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! 16 Jahre führte die Union die Regierung, war verantwortlich für Nichtstun bei der Klimaanpassung ({0}) und für Blockaden beim Klimaschutz. Und jetzt, nach sechs Monaten Opposition, wirft diese Union der Bundesregierung vor: Die Ampelkoalition muss endlich in den Handlungsmodus kommen. – Ja, das erwarten wir auch. Aber ich stelle mir eine Frage: Leiden Sie an Amnesie? ({1}) Aber, Kolleginnen und Kollegen, in einem Punkt bleibt sich die Union treu: Sie war, ist und bleibt die Lobbytruppe für Großkonzerne, fordert technischen Hochwasserschutz statt Renaturierung, Gentechnik statt ökologischer Landwirtschaft. Unter dem Deckmantel „Zum Schutz von Mensch und Natur“ will sie so erneut Profite von Konzernen sichern. Diesen Etikettenschwindel machen wir nicht mit. ({2}) Die Linke ist überzeugt: Es reicht nicht, Deiche zu erhöhen, Staudämme und Polder einzurichten. Und als Techniker rechne ich gerne mal Alternativen nach. Die größte und die viertgrößte Talsperre Deutschlands sind an der Saale in Thüringen und halten im Sommer 40 Millionen Kubikmeter Wasserstauraum für Hochwasserschutz bereit. Ein Quadratmeter Nadelwald ist in der Lage, 70 Liter Wasser zu speichern. Ein Quadratmeter Laubmischwald schafft es, 200 Liter zu speichern, also 130 Liter mehr Wasserspeicherkapazität pro Quadratmeter nach dem Waldumbau. Wenn also 300 Quadratkilometer oder 6 Prozent der Waldfläche Thüringens von Fichtenmonokulturen zu Laubmischwald umgebaut werden, haben wir dieselbe Hochwasserschutzreserve geschaffen, wie derzeit an Gesamtstauraum dort besteht. Und das ist der richtige Weg. ({3}) Deshalb fördert Die Linke in Thüringen zusammen mit unseren Koalitionspartnern den Waldumbau. Und wir wünschen uns, dass die jetzige Bundesregierung im Gegensatz zur letzten die Mittel für den Waldumbau massiv aufstockt, damit wir deutschlandweit diesen Hochwasserschutz nutzen können. ({4}) Und im Übrigen: Laubmischwälder können deutlich mehr CO2 speichern und geben das Wasser deutlich langsamer ab. Das ist Klimaschutz und gleichzeitig Klimaanpassung. Kolleginnen und Kollegen, natürlich und frei fließende Bäche und Flüsse mit Überflutungswiesen und Auen verlangsamen nach Starkregen das Hochwasser, kappen den Hochwasserscheitel. Deshalb fordert Die Linke seit Jahren 50 Millionen Euro für mehr Durchgängigkeit unserer Flüsse, für den Rückbau von Wehren und kleinen Querbauwerken. Die Schäden für Fische, Amphibien, für unsere Natur sind so groß, dass Kleinwasserkraft nicht zu rechtfertigen ist. Wir fordern: keine Privilegien für Kleinwasserkraft. Und wir fordern Fördermittel zum Rückbau dieser Anlagen; denn diese verursachen mehr Schaden als Nutzen. Mit Waldumbau, Renaturierung und durchgängigen Flüssen bzw. natürlichen Fließgewässern gelingt die Klimaanpassung, können wir unsere Klimaziele erreichen. Vielen Dank. ({5})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der nächste Redner in der Debatte: Muhanad Al-Halak, FDP-Fraktion. ({0})

Muhanad Al-Halak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005008, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Fraktion der Union! Lassen Sie mich direkt zu Beginn ganz deutlich machen, wie sehr ich es unterstütze, dass der Klimaanpassung eine solche Gewichtung bei der Regierungsarbeit der Bundesregierung in dieser Legislatur zukommt. Das erst im vergangenen Monat von der Bundesministerin vorgestellte Eckpunktepapier zum Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz ist unser gemeinsamer Leitfaden, der uns bei dieser wichtigen Arbeit als Grundlage dient und uns gemeinsame Ziele aufzeigt. Und lassen Sie mich versichern: Vorsorge, um künftige Klimafolgen abzumildern, wird durch die ambitionierten Klimaschutzmaßnahmen der Bundesregierung bereits in großem Maße getroffen, meine Damen und Herren. ({0}) Aber, so ein buntes Allerlei und Wünsch-dir-Was vorzulegen, wie Sie es in Ihrem Antrag tun, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, kann nicht die richtige Gangart sein. Maßnahmen zur nachhaltigen Klimaanpassung wollen sachlich abgewogen und gut aufeinander abgestimmt sein. Und genau dafür steht diese Bundesregierung. In den vergangenen Jahrzehnten sind wir entscheidende Schritte dabei vorangekommen, zu erkennen, wie wichtig ein nachhaltiger und dem Klima angepasster Schutz unserer Ökosysteme ist. Wir alle haben doch die verheerende Flutkatastrophe aus dem vergangenen Jahr noch klar vor Augen. Die Rolle des Hochwasserschutzes und der Hochwasserrisikobewertung muss überarbeitet und neu gedacht werden. Besonders bei der Hochwasserrichtlinie besteht akuter Nachholbedarf, da hier in der vergangenen Legislatur bestimmte Risikogebiete folgenschwer vernachlässigt wurden. Glücklicherweise erfährt die Klimaanpassung unserer Wasserinfrastruktur im Koalitionsvertrag große Zuwendung. ({1}) Die notwendigen Vorsorgevorkehrungen zu treffen, vor allem auch baulicher Natur, kann in Zukunft tatsächlich viele Menschenleben retten, meine Damen und Herren. ({2}) Wie eingangs erwähnt, ist die Klimaanpassung vielschichtig und setzt im Idealfall bereits da an, wo schwerwiegende Folgeerscheinungen wie verheerende Flutkatastrophen noch abgemildert werden können, nämlich bei so wichtigen CO2-Senken wie unseren Mooren. Die Zeit, in der der Moorschutz für Umweltschützer nur ein Nischenprojekt war, ist längst vorbei. Intakte Moore federn die Folgen des globalen Klimawandels ab, und sie wirken präventiv gegen Hochwasser und Überschwemmungen. Hier schließt sich doch der Kreis, meine Damen und Herren. ({3}) Natürlich ist es dabei wichtig, jederzeit eng mit den Landwirten vor Ort zusammenzuarbeiten; denn sie profitieren am meisten von den trockengelegten Moorflächen. Doch auch viele Landwirte sind sich der zunehmenden Gefahr des Verlustes des Wassers im Untergrund bewusst. Auch sie sorgen sich zunehmend um absackende Böden durch massiven Torfverlust. Aber Sie, liebe Union, sprechen in Ihrem Antrag von KfW-Förderung für Hausbesitzer und mittelständische Unternehmen. Ja, natürlich! Aber wo bleiben die Landwirte, die in Zukunft beim Thema Klimaanpassung sicherlich eines der größten Päckchen zu schultern haben? Eine verlässliche Planungssicherheit und ausreichende Subventionen für die Landwirte der Moorlandschaften müssen gewährleistet werden, bevor sie Bewässerungskanäle zuschütten und rückbauen, meine Damen und Herren. ({4}) Wichtig muss uns auch eines sein: Um den gesellschaftlichen Wohlstand, wie wir ihn heute kennen, zu erhalten, müssen wir aufeinander zugehen und eine klare proaktive Kommunikation verfolgen, wie sie heute zwischen Umweltministerium und Landwirtschaftsministerium bereits stattfindet. Lassen Sie uns den Erhalt unserer Natur und unseres Wohlstands mit klugen Klimaanpassungsmaßnahmen anpacken. Der vorliegende Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, ist dafür keine konstruktive Grundlage. Dieser Antrag ist einfach viel Lärm um nichts. Vielleicht gehen Sie ja für die anstehenden Ausschussberatungen noch mal in sich. Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall dabei viel Erfolg. Vielen Dank. ({5})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Und der nächste Redner in der Debatte: Carsten Träger, Fraktion der SPD. ({0})

Carsten Träger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004426, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schön, dass wir heute über einen Antrag zur Klimaanpassung sprechen! Denn auch wenn uns in diesen Tagen mit Sicherheit der Krieg in der Ukraine und die Folgen der Pandemie umtreiben und die politischen Debatten dominieren, ist es doch so, dass wir im letzten Jahr tatsächlich Tote zu beklagen hatten: Tote im Ahrtal, weil dort die Folgen des Klimawandels für uns in erschreckender Weise sichtbar geworden sind. Da hätte es vielleicht auch den Kollegen auf der rechten Seite des Hauses klar werden müssen: Der Klimawandel ist existent, er ist in Deutschland, und die Folgen sind auch bei uns tagtäglich zu spüren. Wir sprechen von Hitze, wir sprechen von Starkregen, wir sprechen von anderen schrecklichen Ereignissen. ({0}) – Ja, Sie sind ja der größte aller Experten. ({1}) Das ist also ein wichtiges Thema, und es ist gut, dass wir darüber sprechen. Deswegen ist es auch in gewisser Weise gut, dass die Union einen Antrag vorgelegt hat. Allerdings, Frau Kollegin Weisgerber, war ich bei den Koalitionsverhandlungen dabei und kann Ihnen versichern: Das Wahlprogramm der CSU war nie Thema. ({2}) Also reklamieren Sie gerne bei Ihren Leuten, dass Sie das Thema aufgebracht haben. Aber es gibt bereits seit Langem eine Klimaanpassungsstrategie; die muss dringend überarbeitet werden, und im Koalitionsvertrag haben wir uns das vorgenommen. Und wir haben uns auch ein Klimaanpassungsgesetz, in dem endlich konkrete Maßnahmen beschlossen werden, die helfen werden, auf die Fahne geschrieben. Das dauert jetzt noch ein bisschen. Im nächsten Jahr wird das vorgelegt werden. ({3}) Aber seien Sie sicher, dass das gelingen wird. Da kann ich Sie beruhigen. Es gibt auch schon ein Sofortprogramm, das die Ministerin Lemke vor vier Wochen, glaube ich, vorgestellt hat, bei dem die Ertüchtigung der Kommunen im Zentrum steht. Denn es ist ja offensichtlich: Wir können diese riesige Aufgabe nicht alleine auf Bundesebene stemmen, und die Kommunen können sie auch nicht allein stemmen. Wir brauchen vielmehr den Aufbau von Know-how; und genau das passiert mit diesem Sofortprogramm. Dann wird auch ein entsprechendes Gesetz kommen, mit dem wir die Kommunen unterstützen. ({4}) In meiner Heimatstadt zum Beispiel passiert das jetzt schon ganz konkret: In Fürth werden Pläne und Karten im Hinblick auf Starkregengefahren entwickelt. Man erstellt einen Hitzeaktionsplan, man kümmert sich um Konzepte zur Entwicklung einer Schwammstadt. All das ist am Laufen. Deswegen ist es gut, dass dieses Sofortprogramm diese Maßnahmen unterstützt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir ist es wichtig, dass wir an dieser Stelle Klimawandel, Klimafolgen und die Artenkrise nicht gegeneinander ausspielen. ({5}) Das sind nicht zwei Seiten einer Medaille, sondern beides ist auf der Vorderseite dieser Medaille. Wir müssen die Synergieeffekte bei Vorsorge und bei der Bekämpfung der Klimafolgen nutzen und heben. ({6}) Da sprechen wir über Renaturierung von Mooren; da sprechen wir über Wiederaufforstung; da sprechen wir über natürlichen Klimaschutz. Wir sprechen allerdings nicht darüber, wie man Wölfe auf Almen am besten abschießen kann; denn da gibt es keinen sinnhaften Zusammenhang, Frau Kollegin, zu einem Hochwasserereignis zum Beispiel in einem anderen Teil der Republik. Deswegen werden wir – das hat sich diese Koalition vorgenommen – 4 Milliarden Euro in den nächsten Jahren in den natürlichen Klimaschutz investieren. 4 Milliarden Euro – das sind 4 Milliarden gute Argumente, die wirklich deutlich machen, dass es ein ernsthaftes Bestreben ist, dass wir es mit der Bekämpfung des Klimawandels, aber auch mit der Bekämpfung der Folgen des Klimawandels ernst meinen. Das wird gut investiertes Geld sein, viel besser investiert als die Mühe, die Sie in den Antrag gesteckt haben. Da ich jetzt noch 50 Sekunden Zeit habe, möchte ich in Ihre Richtung sagen: Ich habe mich sehr gefreut über den gestrigen Tag, als die Betonköpfe in der CSU-Landtagsfraktion der Aufweichung der unsäglichen 10‑H-Regelung zugestimmt haben. Das ist eine gute Nachricht. Aber seien Sie sich gewiss: Wir werden genau gucken, ob der Ankündigungsministerpräsident da nicht wieder nur heiße Luft vom Stapel gelassen hat und dieser Ankündigung auch wirklich Taten folgen. ({7}) 800 Windräder in Bayern hat er in Aussicht gestellt. Das wäre tatsächlich ein Schritt nach vorne. Ich stelle noch die Frage: Warum schafft man die 10‑H-Regelung nicht ganz ab? Aber das hat wahrscheinlich parteiinterne Gründe. Wir werden uns das ganze Thema genau anschauen. Im Zentrum der Klimawandelbekämpfung und auch der Anpassungsstrategie steht der Ausbau der erneuerbaren Energien. Den werden wir kraftvoll vorantreiben. Ihren Antrag werden wir überweisen. Wir haben dann im Ausschuss ausreichend Gelegenheit, sehr viel daran zu verbessern. Alles Gute! Danke. ({8})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Als letzten Redner in der Debatte und zu seiner ersten Rede bitte ich ans Rednerpult Volker Mayer-Lay, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Volker Mayer-Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005146, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit März liegt uns nun also das Sofortprogramm Klimaanpassung der Ampel vor. Wenn wir den Duden nach dem Wort „sofort“ befragen, dann erhalten wir die Bedeutungen: unmittelbar nach einem bestimmten Geschehen, ohne zeitliche Verzögerung, unverzüglich. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ich aber diesem Sofortprogramm Klimaanpassung entnehmen kann, ist vielmehr eine lose Anhäufung von Absichtsbekundungen, von Aktionsplänen, von Vernetzungskonferenzen, von Schaffung von noch mehr Bürokratie durch sogenannte Klimaanpassungsmanager, von Erfahrungsaustausch und von vorsorgenden Strategien. Konkrete, spürbare Maßnahmen? Fehlanzeige! ({1}) Ein wirkliches Klimaanpassungsgesetz, wie von der Union gefordert, wird dabei sogar erst für die Mitte der Legislatur angekündigt. Das wäre dann frühestens im Jahr 2023. Zu spät! Sehr geehrte Mitglieder der Regierungskoalition, es erwartet wahrlich niemand von Ihnen, dass Sie innerhalb von wenigen Wochen das gesamte Land vollständig fit machen für die Bewältigung der Folgen des Klimawandels. Aber was die Menschen in diesem Land erwarten dürfen, das sind zumindest schnelle Einzelmaßnahmen, meine Damen und Herren. Das kann zum Beispiel ein Programm zur Wiederaufforstung von Schadflächen in Wäldern sein oder ein Sofortprogramm für den Baumbestand in Städten, um für mehr Schatten und Kühlung zu sorgen. Das kann auch ein Aktionsprogramm zur Renaturierung von Mooren als wichtige CO2-Speicher sein, wie vom Kollegen Ebner gerade erwähnt. Wir machen in unserem Antrag eine Reihe brauchbarer Vorschläge. Nehmen Sie sie an. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Sommer steht vor der Tür, und damit ist in absehbarer Zeit auch wieder mit Starkwetterereignissen zu rechnen. Auf die nächste Flut müssen wir vorbereitet sein. Dazu brauchen wir keine Manager und Konferenzen, sondern zumindest die Umsetzung dessen, was jetzt schon umgesetzt werden kann, meine Damen und Herren. ({3}) Dazu gehört für mich übrigens auch – einmal die Zuständigkeiten außer Acht gelassen, Herr Kollege – die flächendeckende Wiederinstallation von Warnsirenen, nicht zuletzt auch aufgrund der angespannten gesamtpolitischen Situation mit einem Krieg auf europäischem Boden. ({4}) Dazu gehört aber auch, dass Sie Ihre seltsame Strategie beenden, KfW-Förderungen für energetisches Bauen von einem Tag auf den anderen zu stoppen und dann ein Programm aufzulegen, dessen Finanzierung gerade mal für drei Stunden hält. Sorgen Sie endlich wieder für eine verlässliche Förderkulisse. ({5}) Es wäre kein Hexenwerk, ein Förderprogramm für bauliche Maßnahmen zur Hochwasserschadenprävention, für Entsiegelungsmaßnahmen oder für Dachbegrünung auf die Beine zu stellen – eine konzertierte bundesweite Aktion, die Hauseigentümer, Unternehmer und Kommunen bei ihrem Handeln unterstützt oder sie dazu anspornt. Sie sprechen ja selbst vom Umbau der Städte, damit diese sozusagen Wassermassen aufnehmen, aufsaugen und ableiten können. Außer Absichtsbekundungen ist aber auch in diese Richtung einfach zu wenig spürbar, meine Damen und Herren. ({6}) Klimaanpassungspolitik des Bundes ist eben auch Katastrophenschutz, Katastrophenhilfe und somit schließlich Bevölkerungsschutz. Und die Bevölkerung schützt man nicht mit Aktionsplänen, Verfahren und Konferenzen, sondern durch rasche Maßnahmen. ({7}) Werden Sie Ihrem eigenen Anspruch gerecht und handeln Sie dort, wo es möglich ist – ohne zeitliche Verzögerung, unverzüglich, sofort. Vielen Dank. ({8})

Oliver Krischer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004081

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die EEG-Umlage ist jahrelang einer der größten Strompreisbestandteile gewesen, 6,5 Cent pro Kilowattstunde noch im letzten Jahr. Und wir entscheiden jetzt, diese Umlage in Zukunft nicht mehr zu erheben. Meine Damen und Herren, das ist für die Menschen im Land die größte Strompreisentlastung der letzten Jahrzehnte und die richtige Antwort vor dem Hintergrund der durch fossile Energien gestiegenen Energiepreise. Die Ampel schafft den entscheidenden Schritt zur Senkung der Strompreise, an dem sämtliche vorherigen Bundesregierungen gescheitert sind. ({0}) Aber die Abschaffung der EEG-Umlage entlastet nicht nur den Strompreis, sondern sie schafft auch Wettbewerbsgleichheit zwischen erneuerbaren Energien und fossilen Energien. So ermöglichen wir, dass erneuerbarer Strom im Wärme- und Verkehrssektor konkurrenzfähig wird, dass wir mit Wärmepumpen und Elektromobilität die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft schaffen. Das ist ganz entscheidend, um das Land klimaneutral zu machen. Die Abschaffung der EEG-Umlage ist hierzu ein ganz entscheidender Baustein. ({1}) Darüber hinaus ist die Abschaffung der EEG-Umlage gleichzeitig aber auch ein Bürokratieabbauprogramm; denn wo es Erhebungsbürokratie, Ausnahmenbürokratie gab, da sind Schlupflöcher gesucht worden, und das schaffen wir ab. Dass die EEG-Umlage nicht mehr erhoben wird, ist eines der größten Bürokratieabbauprogramme im Energiebereich. Ganz nebenbei wird dadurch eines der Haupthindernisse für Mieterstrom- und Eigenstromerzeugung im erneuerbaren Bereich abgeschafft. Das ist ein großer Erfolg dieser Bundesregierung. ({2}) Ich möchte an dieser Stelle eines erwähnen: Ziemlich genau vor zehn Jahren hat Peter Altmaier hier eine Strompreisbremse verkündet; diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die ein bisschen länger dabei sind, können sich vielleicht daran erinnern. Seine Politik und die Politik nachfolgender Bundesregierungen haben nicht dazu geführt, dass der Strompreis gebremst wurde – gebremst wurde nur der Ausbau der erneuerbaren Energien. Das hat uns in eine fatale Abhängigkeit von fossilen Energieimporten gebracht, die uns jetzt bitter, bitter beschäftigt. ({3}) Meine Damen und Herren, nach dieser fatalen Politik stellt die Ampelkoalition die Politik jetzt wieder vom Kopf auf die Füße. Wir beenden die fossile Abhängigkeit durch den Ausbau der erneuerbaren Energien und entlasten damit Menschen und Wirtschaft in diesem Land. Danke schön. ({4})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile das Wort dem Kollegen Mark Helfrich, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Mark Helfrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004298, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Preise steigen – die Inflationsrate ist in Deutschland so hoch wie seit 40 Jahren nicht mehr –, ebenso die Erzeugerpreise. Verbraucher müssen sich auf weitere hohe Preissteigerungen einstellen, und das nicht nur bei Strom, Heizöl und Gas. Viele Menschen und Unternehmen kommen schon jetzt nicht mehr mit den hohen Preisen zurecht. Deshalb ist die Abschaffung der EEG-Umlage zur Mitte des Jahres alternativlos. Wir als Union hatten die vollständige Abschaffung der EEG-Umlage als Priorität bereits in unserem Wahlprogramm. Folgerichtig haben wir die Abschaffung der EEG-Umlage bereits Mitte Februar von Ihnen gefordert. Deshalb dürfte es auch keine allzu große Überraschung sein, dass wir dem Gesetz der Ampel zustimmen werden. ({0}) Unser gemeinsames Ziel ist es, dass die mit dem Wegfall der EEG-Umlage entstehende Entlastung auch beim Verbraucher ankommt. Im Gesetz ist hier eine Verpflichtung der Stromlieferanten zur Absenkung des Strompreises in Höhe der wegfallenden EEG-Umlage vorgesehen. Diese Verpflichtung sehen wir kritisch. Warum? Zum einen bedeutet sie einen erheblichen Eingriff in die Vertragsfreiheit der Unternehmen. Zum anderen erweist die Ampel dem Verbraucher damit einen Bärendienst. Die Regelung verhindert nämlich keinesfalls, dass Stromlieferanten betriebswirtschaftlich notwendige Preiserhöhungen auf den 1. Juni vorziehen. Am Ende zahlen die Verbraucher sogar noch einen Monat früher höhere Preise. Deshalb an die Ampel: Gut gemeint ist nicht gut gemacht! Sehr geehrte Damen und Herren, die Abschaffung der EEG-Umlage kann nur ein erster Schritt zur Entlastung der privaten Haushalte und der Wirtschaft sein. Viele sind bereits aufgrund der hohen Energiepreise in existenzielle Schwierigkeiten geraten. Die Ampel hat hier Entlastungen für die Bürger und Hilfen für die Wirtschaft angekündigt. Das klingt erst einmal ganz gut. Schaut man sich das Entlastungspaket für die Bürger einmal genauer an, so tut sich bei der angekündigten Energiepauschale ein großes Fragezeichen auf, genauer gesagt: etwa 22 Millionen Fragezeichen; so viele Rentner und Pensionäre gibt es nämlich in Deutschland. Sie alle werden die Energiepauschale nach den Plänen der Ampelregierung nicht erhalten. Ein Viertel der Bevölkerung Deutschlands wird einfach mal hinten runtergekippt. ({1}) Das darf nicht sein! ({2}) Ebenso darf nicht sein, dass die Ampel unentwegt von 300 Euro Energiepauschale spricht, sich davon aber durch die Versteuerung im Durchschnitt wieder 100 Euro in die eigene Tasche steckt. Das ist schlicht und ergreifend eine Mogelpackung. Von der gleichen Großzügigkeit im Auslassen ist auch das Hilfspaket für die Wirtschaft gekennzeichnet. Vom Energiezuschuss, auf den die Wirtschaft so dringend gewartet hat, profitiert nur die Großindustrie aus energie- und handelsintensiven Branchen. Unser Mittelstand, das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, bleibt außen vor. Große Teile der Wirtschaft – das Handwerk, die Familienunternehmen – bekommen keinen Energiezuschuss; auch sie werden einfach hinten runtergekippt. An dieser Stelle sage ich Ihnen von der Ampel eines ganz deutlich: Die Bürger erwarten mehr von Ihnen, die Wirtschaft erwartet mehr von Ihnen, wir erwarten mehr von Ihnen. Keine Mogelpackungen mehr! Berücksichtigen Sie die 22 Millionen Rentner und Pensionäre bei der Energiepauschale! Berücksichtigen Sie unseren Mittelstand beim Energiezuschuss, und lassen Sie keine Bereiche der Wirtschaft aus! ({3}) Und kommen Sie mir jetzt bitte nicht mit dem Argument der hohen Kosten. Die Abschaffung der EEG-Umlage kostet die Ampel keine 6,6 Milliarden Euro, wie Sie uns weismachen wollen. Im Gegenteil: Sie müssen keinen einzigen Cent ausgeben. Auf dem EEG-Konto haben sich nämlich per März dieses Jahres bereits 14,6 Milliarden Euro angehäuft. Wegen der hohen Strompreise wird das EEG-Konto am Ende des Jahres sogar mit einem zweistelligen Milliarden-Euro-Betrag im Plus sein – und das trotz dieses Gesetzes. Wenn die Ampel also diese Milliarden, die den Verbrauchern über ihre Stromrechnung abgeknöpft worden sind, schon nicht zurückzahlen will, dann fordern wir Sie auf: Senken Sie die Stromsteuer auf den europäischen Mindeststeuersatz, und senken Sie die Umsatzsteuer auf Strom, Gas und Fernwärme für dieses und nächstes Jahr auf 7 Prozent! ({4}) Länder wie Italien, Spanien, die Niederlande, Österreich, Polen und Belgien haben hier bereits vorgelegt, um Bürger und Wirtschaft umfassend zu entlasten. Beides wäre schnell umsetzbar, und zwar ohne dass irgendjemand einfach hinten runtergekippt wird. ({5})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der nächste Redner in der Debatte: Andreas Mehltretter, SPD-Fraktion. ({0})

Andreas Mehltretter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005147, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Kurs auf eine Energiewende haben wir ja schon lange die Weichen in die richtige Richtung gestellt. Wir brauchen die Energiewende, weil wir den Klimawandel begrenzen müssen. Wir brauchen die Energiewende, weil sie uns unabhängig von fossilen Energieträgern macht. Und wir brauchen die Energiewende, weil schon heute die Erneuerbaren die günstigste Form der Stromerzeugung sind. Die Richtung stimmt; aber die Geschwindigkeit hat bisher nicht gepasst. Gut, dass die Energiewende mit der neuen Regierung jetzt Fahrt aufnimmt! ({0}) Mit dem sogenannten Osterpaket bringen wir eine große Beschleunigungsnovelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes auf den Weg. Schon in zehn Jahren wird der Strom in Deutschland größtenteils aus erneuerbaren Energien stammen. Saubere, sichere und bezahlbare Energie, dafür sind wir angetreten, das werden wir auch erreichen. Meine Damen und Herren, die Absenkung der EEG-Umlage auf null hatten wir schon im Koalitionsvertrag vereinbart. Die Absenkung ist wichtig, weil wir dadurch den Umstieg auf Strom gerade im Wärme- und Verkehrssektor erleichtern. Weil wir Strom einfach und effizient erneuerbar herstellen können, beschleunigen wir damit die Energiewende entscheidend. Gleichzeitig darf eine beschleunigte Energiewende niemanden überfordern. Wir wollen Preiseffekte als Lenkungsinstrumente einsetzen. Wir schaffen aber auch einen sozialen Ausgleich, wo es notwendig ist. Auch dafür ist die Absenkung der EEG-Umlage das richtige Instrument. Sie wirkt nämlich sozial gerecht: Haushalte mit geringerem Einkommen geben anteilsmäßig viel mehr für Strom aus als Haushalte mit hohem Einkommen. Die Absenkung der EEG-Umlage auf null entlastet gerade die Haushalte, die sich teure Energie nicht leisten können. ({1}) Deswegen ist es sinnvoll, die Energiewende über den Bundeshaushalt und nicht über die Stromrechnung zu finanzieren. Meine Damen und Herren, bereits im letzten Jahr mussten wir gerade beim Gas einen massiven Preisanstieg beobachten. Putins Angriff auf die Ukraine hat die Energiepreise weiter steigen lassen. Und der hohe Gaspreis schlägt sich über die damit sehr teuren Gaskraftwerke auch im Strompreis nieder. Wir brauchen jetzt wirksame Entlastungen für die privaten Haushalte und für unsere Unternehmen. Deshalb haben wir zwei große Entlastungspakete auf den Weg gebracht, und deswegen ziehen wir die Absenkung der EEG-Umlage vor. ({2}) Zum 1. Juli sinken die Strompreise um 3,7 Cent je Kilowattstunde; inklusive Mehrwertsteuer sind es sogar 4,4 Cent. So entlasten wir Haushalte und Betriebe schnell und zuverlässig um 6,6 Milliarden Euro in diesem Jahr. 130 Euro spart eine Familie mit 4 000 Kilowattstunden Jahresverbrauch in der zweiten Jahreshälfte durch die Absenkung der EEG-Umlage im Vergleich zu 2021. Wichtig ist, dass die Absenkung auch direkt bei den Stromverbraucherinnen und Stromverbrauchern ankommt. ({3}) Deswegen haben wir im Gesetz vorgesehen, dass die Stromversorger diese Preisabsenkung zum 1. Juli zwingend weitergeben müssen. Mit einer Ergänzung der Regelung schärfen wir außerdem dort nach, wo Sachverständige in der Anhörung noch eine Lücke aufgezeigt haben. Meine Damen und Herren, Klimawandel, steigende Preise, die Abhängigkeit von Rohstoffimporten aus Russland und anderen Autokratien: Wir brauchen eine schnelle Energiewende, und wir brauchen schnelle und wirksame Entlastungen. Einen Baustein zu beidem – Energiewende und Entlastungen – leisten wir heute mit der Absenkung der EEG-Umlage auf null. ({4})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile das Wort Marc Bernhard, AfD-Fraktion. ({0})

Marc Bernhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004669, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Letzte Woche ist meine Nachbarin freudestrahlend auf mich zugekommen. Sie hatte einen Brief von ihrem Energieversorger in der Hand, der ihr mitgeteilt hat, dass sie ab 1. Juli nicht mehr 33 Cent je Kilowattstunde zahlen muss, sondern nur noch 27 Cent. Überrascht hat sie mich gefragt, ob die EEG-Umlage tatsächlich ab Juli wegfallen würde. Ich habe ihr dann geantwortet: Ja, bei der Stromrechnung schon. Das hat sie dann aber doch aufhorchen lassen, und ich musste ihr erklären: Richtig ist, dass die EEG-Zahlung nicht wegfällt, sondern künftig nur anders finanziert wird, nämlich nicht mehr direkt über ihre Stromrechnung, sondern über Steuern und Abgaben auf Energie, ({0}) also immer dann, wenn sie Brot beim Bäcker kauft, im Supermarkt ihre Einkäufe erledigt oder Dienstleistungen beim Handwerker bestellt. Was wir hier von der Regierung präsentiert bekommen, ist also nichts anderes als eine Mogelpackung, die eine Entlastung suggerieren soll, aber in der Realität nichts, aber auch gar nichts an den Energiekosten ändert. ({1}) Warum haben wir in Deutschland trotz Ihres Taschenspielertricks immer noch die höchsten Strompreise der Welt? Weil selbst nach Aussage des Wirtschaftsministeriums Windenergie nur zu 5 Prozent immer sicher zur Verfügung steht. Das bedeutet, dass sie eben zu 95 Prozent nicht sicher zur Verfügung steht und wir deshalb neben jede Windindustrieanlage ein konventionelles Kraftwerk mit der gleichen Leistung stellen müssen, ({2}) damit das Licht eben nicht ausgeht, wenn gerade mal kein Wind weht. ({3}) So haben wir im Sommer mittags meistens viel zu viel Strom im Netz und müssen deshalb unsere Nachbarländer bitten, uns diesen Strom abzunehmen, und ihnen dafür auch noch viele Hunderte Millionen Euro bezahlen, damit unser Stromnetz nicht zusammenbricht, während wir in der Nacht, wenn gerade kein Wind weht, Strom zu exorbitant teuren Preisen aus dem Ausland importieren müssen. Dieser Irrsinn führt dazu, dass wir in Deutschland doppelt so hohe Strompreise haben wie unsere Nachbarländer. ({4}) Und wieso zahlen die auch sonst nur die Hälfte? Ganz einfach: Sie setzen auf Kernenergie. ({5}) Belgien verlängert die Laufzeiten seiner Kernkraftwerke um zehn Jahre. England baut sechs neue. ({6}) Frankreich, Schweden, Holland, Tschechien setzen sowieso auf Kernenergie und erzeugen damit günstigen Strom und sind vor allem von russischen Energieimporten unabhängig. ({7}) Außerdem entlasten sie ihre Bürger durch massive Steuersenkungen. So senkt Holland die Mehrwertsteuer auf Energie von 21 Prozent auf 9 Prozent, Belgien senkt sie von 21 Prozent auf 6 Prozent, und in Griechenland zahlt der Staat sogar ein Drittel der Stromrechnung. Und was macht die Regierung in Deutschland? Taschenspielertricks und sonst gar nichts! ({8}) Dabei wäre es doch eigentlich so einfach. Allein durch die Verlängerung der Laufzeit unserer drei noch aktiven Kernkraftwerke und die Reaktivierung der drei kürzlich heruntergefahrenen könnten wir sicheren und preiswerten Strom erzeugen und damit die kompletten Kohleimporte aus Russland innerhalb kürzester Zeit ersetzen. ({9}) Wir müssen es machen wie unsere europäischen Nachbarn: die Steuern auf Energien senken, Mehrwertsteuer auf null und CO2-Steuer abschaffen. Herzlichen Dank. ({10})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der Kollege Konrad Stockmeier, FDP-Fraktion, ist der nächste Redner in unserer Debatte. ({0})

Konrad Stockmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005234, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Es ist toll, dass es die Mediathek des Bundestages gibt. Gucken Sie sich mal meine letzte Rede an; dann sind die Ausführungen zur Kernenergie, die Sie getätigt haben, abgefrühstückt. Lohnt sich! ({0}) Heute fasst der Deutsche Bundestag einen Beschluss, auf den die Freien Demokraten seit Jahren in der Energiepolitik hingearbeitet haben ({1}) – jetzt seien Sie doch mal ruhig; das ist ja unerträglich –: ({2}) die vollständige Entlastung der Unternehmen und Verbraucher von der EEG-Umlage. Endlich ist es so weit. ({3}) Diese Entlastung ist angesichts der hohen Energiepreise zweifellos geboten. Sie kommt jetzt auch Unternehmen zugute, die nicht zu den stromintensiven zählen und die bisher deswegen auch nicht durch die besondere Ausgleichsregelung bei der Zahlung der EEG-Umlage begünstigt wurden. Jetzt ist es endlich so weit. Mit dieser Absenkung der EEG-Umlage auf null werden auch einige Konstruktionsfehler – energiepolitisch systematische Konstruktionsfehler – bei der EEG-Umlage endgültig beseitigt: Als Erstes möchte ich beispielhaft nennen, dass die klimapolitischen Potenziale der Sektorkopplung jetzt endlich besser genutzt werden können; denn wer will, dass mehr grüner Strom im Verkehr und in Gebäuden genutzt wird und dass in entsprechende Technologien investiert wird, der muss diesen grünen Strom eben auch billiger machen. ({4}) Zweitens war es von Anfang an fragwürdig, dass gesamtgesellschaftlich gewünschte energie- und klimapolitische Maßnahmen quasi nur von den Stromverbrauchern zu tragen waren. Deswegen ist es gut, dass auch dieser Konstruktionsfehler jetzt beseitigt wird. Über Verteilungswirkungen mit Ihnen zu reden, hat keinen Sinn; da dürfte die Einsicht begrenzt sein. Das stellt sich ein bisschen komplexer dar, als Sie das dargestellt haben. ({5}) Der gravierende verteilungspolitische Konstruktionsfehler der EEG-Umlage wird jetzt auch endlich beseitigt. Damit gehen wir zumindest einen wichtigen Schritt in Richtung der Beseitigung von Inkonsistenzen durch die ständige parallele Anwendung von mehreren Förderinstrumenten: Umlage hier, Abgabe da, Besteuerung dort, Förderung was weiß ich wo. An der Stelle will ich noch mal betonen, dass wir Freien Demokraten uns seit Langem dafür einsetzen, dass der Handel mit Emissionszertifikaten für Treibhausgase – und zwar so, dass eben nicht ständig andere Maßnahmen da reinfunken – wirklich das zentrale Steuerungselement der Energiewende wird. Dieses Ziel ist mit dem heutigen Schritt zugegebenermaßen noch nicht vollständig erreicht, aber wir gehen einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Damit die heute zu beschließende Entlastung bei den Privathaushalten und bei den Verbrauchern auch wirklich transparent ankommt, sichern wir das durch entsprechende Änderungen im Energiewirtschaftsgesetz ab. Was bietet jetzt sozusagen der Blick in die Zukunft? Der Blick in die Zukunft zeigt, dass wir bei der Energieversorgung mit erneuerbaren Energien wirklich auf freiheitliche Zeiten zusteuern, in denen wir Abhängigkeiten abbauen können. Hier lohnen sich wirklich auch der Blick in wissenschaftliche Magazine und der Austausch mit Forschern und auch mit Unternehmen: Deutsche Forscher entwickeln zurzeit Tandemsolarzellen mit ungekannten Wirkungsgraden. Es werden neue Formen der Brennstoffzellen in Kombination mit ganz spannenden Speichertechnologien entwickelt. Das Repowering bei Wasser- und Windkraft verspricht ebenfalls große Potenziale. Das heißt, die erneuerbaren Energien werden immer konkurrenzfähiger werden. Und wenn wir der Kreativität bei Speichertechnologien und auch der digitalen Steuerung des ganzen Stromnetzes und des Verbrauchs mehr Raum verschaffen, dann – Achtung, zu Hause in Mannheim würde man sagen: „Uffbasse!“; das werden Sie ewig bestreiten, aber vielleicht werden Sie es irgendwann zur Kenntnis nehmen – werden nämlich die erneuerbaren Energien auch grundlastfähig werden. In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Klaus Ernst, Fraktion Die Linke, ist der nächste Redner. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie die Lage ist, ist immer wieder angesprochen worden: Die Preise sind extrem hoch. Heute wurde eine Preissteigerungsrate von 7,5 Prozent bekannt gegeben. Immer mehr Menschen überlegen, wie sie das noch bezahlen sollen; viele haben keine Lösung. Die Strompreise sind zum großen Teil staatlich verursacht; auch das wissen wir. Insofern ist es natürlich vollkommen richtig, dass die Bundesregierung jetzt Maßnahmen vorschlägt, mit denen der Strompreis durch die Abschaffung der EEG-Umlage erst mal sinkt und eine Entlastung stattfindet. Ob dies tatsächlich zu einer Senkung des Strompreises führt, ist eine andere Frage, weil andere Faktoren den Strompreis natürlich weiter erhöhen werden. Das Maßnahmenpaket, das die Bundesregierung beschlossen hat, ist auch ansonsten nett. Aber man braucht kein Mathematikprofessor zu sein, um zu wissen, dass das hinten und vorne nicht ausreicht, um das auszugleichen, was durch diese enormen Preissteigerungsraten verursacht wird. Jetzt sind die Preissteigerungsraten aber natürlich nicht nur kriegsbedingt – auch das ist klar –; sie sind auch sanktionsbedingt. Nicht alle Preissteigerungen, die wir haben, sind unmittelbar auf den Krieg zurückzuführen, sondern viele sind darauf zurückzuführen, wie wir auf diesen Krieg reagieren. Mir kommt es manchmal so vor, als ob man sagt: Mir passt das nicht, was Putin macht, und deswegen haue ich mir selber eine rein. ({0}) Das ist nicht gerade eine vernünftige Politik. ({1}) Meine Damen und Herren, Sie wissen auch ganz genau, dass wir es auf Dauer nicht schaffen werden – auch nicht als reiche Bundesrepublik Deutschland –, durch staatliche Maßnahmen das auszugleichen, was auf wirtschaftlicher Ebene dem Bürger durch die Preise zugemutet wird. Wie soll das gehen? Übrigens hat die Union heute in einer Rede darauf hingewiesen; vollkommen richtig. ({2}) Aber wo ist die Lösung? Herr Merz fordert auf der einen Seite, 100 Milliarden Euro für Rüstung auszugeben, ({3}) und sagt auf der anderen Seite zum Kanzler: Du hältst die Schuldenbremse nicht ein. – Also, irgendwo muss man sich mal entscheiden, was man will. Natürlich geht nicht beides; das weiß jeder. Da kann man noch so herumjonglieren wie der FDP-Vorsitzende. Als Finanzjongleur könnte er mit seiner Nummer im Zirkus auftreten. ({4}) Ich will nur sagen: Wenn uns das über staatliche Maßnahmen nicht gelingt, dann müssen wir vielleicht mal darüber nachdenken, ob es sinnvoll ist, 100 Milliarden Euro für Rüstung auszugeben, ({5}) 100 Milliarden Euro für Extraprogramme. Wenn wir wissen, dass das Geld fehlt, dann müssen wir eben mehr Anstrengungen darauf verwenden, zu überlegen: Wie kann man den Krieg durch diplomatische Mittel tatsächlich beenden? ({6}) Wenn wir so weitermachen, wie wir es gerade vorhaben, nämlich Aufrüstung betreiben, dann gefährden wir die Bürger nicht nur durch Preissteigerungsraten, sondern dann wissen wir, dass wir mit jeder Maßnahme, die zurzeit zur Eskalation beiträgt, einem Atomkrieg ein Stück näher kommen, meine Damen und Herren. Ich hoffe, dass es uns gelingt, wieder einen Weg zu finden, aus dieser Spirale herauszukommen. Wenn wir nämlich so weitermachen, dann werden wir uns nicht mehr über Preissteigerungsraten Gedanken machen, sondern darüber, dass wir vielleicht auch unser Land wieder aufbauen müssen und nicht nur die Ukraine. ({7})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Katrin Uhlig. ({0})

Katrin Uhlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005242, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor einigen Tagen sprach mich eine ältere Dame an, ob ich ihr sagen könne, wie es mit den Energiepreisen weitergeht. Ihre Rente sei so knapp, obwohl sie seit ihrem 16. Lebensjahr immer gearbeitet habe. Bereits die steigenden Lebensmittelpreise seien für sie schwierig. Die Miete sei zum Glück noch bezahlbar, weil sie schon so lange dort wohnt. Aber jetzt habe sie gehört, dass auch Strom und Gas teurer würden. Ähnlich wird es sicherlich Studierenden und Auszubildenden und allen anderen Menschen gehen, die sehr genau auf ihre Ausgaben achten müssen. Denn die Energiepreise sind aufgrund der fossilen Energieträger aktuell sehr hoch, und viele Menschen wissen noch nicht, wie ihre Rechnungen für Strom und Gas aussehen werden. Aber nicht nur auf den Rechnungen sind die fossilen Energieträger teuer. Auch der aktuelle Bericht des Weltklimarats sagt deutlich: Wir müssen raus aus den fossilen Energien, ({0}) wenn wir die Klimakrise, ihre Folgen und auch ihre Kosten noch auf ein erträgliches Maß begrenzen wollen. Wir müssen jetzt ambitioniert handeln, wenn wir Hitzesommer und trockene Böden, Starkregenereignisse und Wirbelstürme und die damit verbundenen Folgen nicht noch weiter verstärken wollen. ({1}) Und als wäre das nicht schon genug, werden wir aktuell jeden Tag im Angesicht des schrecklichen Angriffskrieges daran erinnert, wie sehr wir uns von Importen fossiler Energieträger abhängig gemacht haben und dass wir nicht noch schneller Alternativen bereitstellen können, sosehr wir uns das auch wünschen. Wir brauchen endlich eine Zeitenwende auch in der Energiepolitik, die ökologische und soziale Aspekte berücksichtigt. Durch die Entscheidungen der letzten Jahre wurde der notwendige ökologische Wandel verzögert, und damit wurden auch die sozialen Auswirkungen bewusst in Kauf genommen. Es ist mehr als überfällig, dass wir nun endlich handeln. Mit dem vorliegenden Gesetz und den Ergänzungen im Verfahren stellen wir sicher, dass die Absenkung der EEG-Umlage auf null als Entlastung auch wirklich bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommt. ({2}) Das kann aber nur ein erster Schritt sein. Das nun vom Kabinett beschlossene Osterpaket stellt die Weichen für mehr erneuerbare Energien und den Energiemarkt der Zukunft, für bezahlbare Preise und für Energiesouveränität. Wir müssen diesen Wandel aktiv und ambitioniert gestalten – ökologisch für das Klima und sozial für die Menschen. Damit schaffen wir Sicherheit für alle Menschen und zeigen, was Freiheitsenergien wirklich können. Herzlichen Dank. ({3})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Die nächste Rednerin ist Dr. Nina Scheer, Fraktion der SPD. ({0})

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte, weil es in der heutigen Debatte noch nicht erläutert wurde, noch mal kurz ein bisschen ausholen, um deutlich zu machen, aus welcher Zeit das Erneuerbare-Energien-Gesetz stammt. Zu Anfang war die Überlegung: Wie kriegt man ein System zur Markteinführung erneuerbarer Energien etabliert, die sich auf einem Markt wiederfinden, der hoch subventioniert und fossil-atomar geprägt ist? ({0}) Durch die hohen Subventionen gab es auch keine Eintrittspforte für andere Energieformen bzw. keine Möglichkeit, nach den Prinzipien des Marktes Eintritt zu erhalten. Die Überzeugung war, dass man ein gesetzliches Regulativ finden muss, damit dieser ungleich gewichtete Markt einen Ausgleich erfährt und ein Markteintritt der Erneuerbaren stattfinden kann. Um dabei eine Abhängigkeit vom Haushaltsgesetzgeber zu vermeiden, gab es die Idee, dies über eine Umlage für alle Stromkunden zu finanzieren. Wenn man das aus der Perspektive der Markteinführung betrachtet und sich überlegt, dass damals keine der Ausnahmeregelungen existierte, die über die letzten Jahre hinzugekommen sind, die Kosten also auf die Stromkunden umgelegt wurden, die nicht unter die Ausnahmeregelungen fielen und somit keine Entlastung durch die sogenannte Besondere Ausgleichsregelung erfuhren, dann weiß man, dass die Belastung der Stromkunden durch die EEG-Umlage am Anfang natürlich sehr gering war und im Verhältnis zu den enormen Unterstützungseffekten beim Ausbau der erneuerbaren Energien wirklich vernachlässigungsfähig war. Allerdings wurde durch die Einführung der Besonderen Ausgleichsregelung eine Schieflage geschaffen, weil all die Entlastungen, die energieintensive Unternehmen bekamen, allein von den Privatkunden übernommen und bezahlt wurden; das wurde immer mehr und mehr und mehr. Da hätte man als Gesetzgeber schon sagen können: Okay, vielleicht besteht die Möglichkeit, die durchaus sinnvollen Entlastungen der energieintensiven Unternehmen nicht durch die Stromkunden, sondern aus dem Steuersäckel finanzieren zu lassen. – Ebenso hätte man – auch das hatten wir 2013 während der Koalitionsverhandlungen diskutiert – sagen können: Wie wäre es denn, wenn wir die ganzen Innovationsanteile, die da drinstecken, herausnähmen? Bei den erneuerbaren Energien gab es ja in den ersten Jahren eine enorme Lernkurve. Am Anfang waren sie sehr teuer. Nach der Markteinführung wurden sie immer billiger. Das war ja quasi ein Industrialisierungsprogramm. Die entsprechenden Innovationsanteile hätte man aus der EEG-Umlage herausnehmen und auch steuerlich finanzieren können. Damals hatten wir ausgerechnet: Das hätte 10 Milliarden Euro gekostet. Damals war die Situation aber anders. Es gab keine Bereitschaft – auch in der Koalition nicht –, die Finanzierung über Steuern zu leisten. Jetzt haben wir die Situation – es wurde schon vielfach angesprochen –, dass die Verbraucher eine Menge an Kostenbelastungen haben. Die Preise sind nach oben gegangen. Durch Corona gab es bestimmte Effekte, die ich jetzt nicht im Einzelnen ausführen kann; in der vorigen Rede habe ich es getan. Hinzu kommt der Ukrainekrieg. Die Spekulation auf Verknappung spielt bei den enormen Preissteigerungen auch eine Rolle. Jetzt ist in der Tat die Zeit, zu sagen: Okay, wir übernehmen Kostenlasten, die in der EEG-Umlage stecken, und finanzieren sie staatlicherseits. – Davon profitieren natürlich nicht die Unternehmen, die sowieso schon entlastet sind, sondern davon profitieren die Stromkundinnen und Stromkunden. Das macht sich durchaus bemerkbar. Für einen Vierpersonenhaushalt mit einem jährlichen Verbrauch von 6 000 Kilowattstunden sind das alleine durch diese Maßnahme 133 Euro Ersparnis. Das ist in der Summe mit den vielen anderen Maßnahmen, die wir noch beschlossen haben, einiges. Und es ist ein Stück weit auch einfach gerecht, dass diese Fördermaßnahmen jetzt auch von der Allgemeinheit getragen werden. Es ist richtig, die Absenkung der EEG-Umlage auf null vorzunehmen; es ist keine Abschaffung. Ich freue mich, dass wir das heute beschließen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Anne König von der CDU/CSU-Fraktion ist die nächste Rednerin in der Debatte. ({0})

Anne König (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute im Deutschen Bundestag nun endlich die Gelegenheit, die Absenkung der EEG-Umlage auf null zu beschließen. Diese Absenkung und damit die Entlastung vieler Stromkunden in unserem Land haben wir als Unionsfraktion bereits zu Jahresbeginn gefordert; denn die Energiepreise befanden sich bereits zum Jahreswechsel auf Rekordniveau. Mit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, der die Energiepreise durch die Decke gehen ließ, ist es nun erst recht eine dringende und längst überfällige Entscheidung geworden. ({0}) Unseren damaligen Antrag hat die Regierung aber zunächst abgelehnt, um den Vorschlag dann jetzt in ihr Osterpaket aufzunehmen. Wir finden zwar: Einsicht ist der erste Weg zur Besserung; deshalb unterstützen wir Sie natürlich heute bei der Senkung der EEG-Umlage – lieber spät als nie. Leider haben Sie aber in den ersten Wochen des Jahres viel zu viel Zeit verstreichen lassen, ohne sich um wirksame Entlastungen für private und gewerbliche Kunden zu kümmern. Wes Geistes Kind Ihre Politik ist, zeigt sich im Saldierungsverbot, das Sie ins Kleingedruckte Ihres Entwurfs geschrieben haben. Die Streichung der EEG-Umlage muss danach eigens ausgewiesen und darf nicht bürokratiearm verrechnet werden. Wichtiger als die Entlastung der Menschen ist Ihnen offenbar, Ihre angeblichen Wohltaten in ein strahlendes Licht zu rücken. Sie haben dabei nicht einmal mehr Hemmungen, die Energieversorger für Ihre Regierungs-PR-Arbeit in die Pflicht zu nehmen. Es gibt also keinen Grund, sich heute für diese Senkung selbst auf die Schulter zu klopfen, zumal Sie diese Maßnahme aller Voraussicht nach auch gar nichts kostet. Denn während viele Verbraucher nicht wissen, wie sie die nächste Stromrechnung zahlen sollen, ist das EEG-Konto gut gefüllt. Hier können Sie also einfach vom vorhandenen Guthaben zehren. Ja, die Abschaffung der EEG-Umlage ist ein erster richtiger Schritt, aber eben auch nicht mehr als ein erster Schritt; weitere müssen zügig folgen. Denn vermutlich wird die Absenkung bei weiteren Preissteigerungen bis Ende des Jahres für den Verbraucher leider allenfalls ein Nullsummenspiel sein. Wenn Sie einmal ehrlich zu sich selber sind, dann müssen Sie doch zugeben, dass Sie seit Beginn Ihrer Regierungsübernahme mit Ihrer Politik der Energiepreisentwicklung nur hinterherlaufen. Das haben wir bei Ihrem nachgebesserten und immer noch unzureichenden Heizkostenzuschuss beobachten müssen, und das haben wir aktuell auch bei der Posse um die Dämpfung der Spritpreise für drei Monate gesehen. ({1}) Wir befinden uns aber in der größten Krise unserer Nachkriegsgeschichte, und die Energiepolitik ist das Feld, auf dem diese Krise innenpolitisch am stärksten sichtbar wird. In dieser Zeit brauchen wir keine Regierung, die Päckchen schnürt, erst recht brauchen wir keine Überschriften und Ankündigungen mehr, sondern wir brauchen jetzt und hier eine Regierung mit einem Plan, die das Problem explodierender Energiepreise strukturell und mit Weitblick angeht. Wenn Sie hierzu noch keine durchschlagenden eigenen Ideen haben, dann hören Sie doch wenigstens einmal den wirklichen Experten zu, und fragen Sie nicht erst, von wem eine Idee kommt, sondern greifen Sie konstruktive Vorschläge auch konstruktiv auf. Wir als Union wollen den Bürgerinnen und Bürgern rasch, wirksam und nachhaltig helfen. Deshalb haben wir den Sachverständigen nicht nur in der Bundestagsanhörung genau zugehört. Wir fordern immer noch die Senkung der Stromsteuer auf den EU-rechtlichen Mindestsatz, die Senkung der Umsatzsteuer auf Kraftstoffe und die Absenkung der Umsatzsteuer auf Strom‑, Gas- und Fernwärmelieferungen. Das wären schnelle, unbürokratische und wirksame Hilfen für alle. ({2}) Bislang bestehen Ihre sogenannten Pakete neben wenigen konkreten Maßnahmen vor allem aus Ankündigungen. Die helfen niemandem, sondern untergraben nur das Vertrauen der Bürger in die Fähigkeit und den Willen dieser Bundesregierung, Probleme zu erkennen und sie dann auch zu lösen. Bessern Sie also jetzt dringend nach. Und bitte muten Sie den Menschen, die Sie mit Ihren Osterpäckchen enttäuscht haben, nicht zu, erst auf ein Pfingstwunder zu hoffen. ({3}) Geringverdiener, Familien, Rentner, Studenten, aber auch Mittelständler und unsere Industrie können in dieser Zeit beispielloser Preisschocks nicht länger auf diese Bundesregierung warten. ({4})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der letzte Redner in der Debatte: Timon Gremmels, SPD-Fraktion. ({0})

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir sollten uns in der Debatte noch mal ein bisschen Zeit nehmen, um auf die Historie dieser gesetzlichen Regelung zu blicken; denn das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das vor über 20 Jahren geschaffen worden ist, war ein echtes Parlamentsgesetz. Von der SPD waren dabei Hermann Scheer, Dietmar Schütz und von den Grünen Hans-Josef Fell und Michaele Hustedt. Das waren die Väter und Mütter des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. ({0}) Sie haben dafür gesorgt, dass wir heute beim Ausbau der erneuerbaren Energien weltweit führend sind, an der Spitze stehen und etwas geschaffen haben, was nachhaltig ist und dem Klimaschutz dient, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({1}) Sie haben einen neuen Finanzierungsweg aufgemacht. Ja, es ist ein transparentes Verfahren gewesen, weil jeder Stromkunde und jede Stromkundin auf der Stromrechnung sehen konnte, was der eigene individuelle Beitrag zur Energiewende ist. Es war transparent, es hat uns aber auch immer politische Diskussionen gebracht; das ist so. Aber ich hätte mir gewünscht, dass wir eine solche Transparenz auch bei der fossil-atomaren Energie gehabt hätten. ({2}) Das Öko-Institut hat einmal nachgerechnet, wie hoch denn eine fossil-atomare Umlage wäre. Die läge bei über 10 Cent pro Kilowattstunde – ein Preis, den die EEG-Umlage nie erreicht hat. Dann hätten wir wirklich mal Äpfel mit Äpfeln verglichen und nicht, wie die AfD das immer macht, Äpfel mit Birnen, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({3}) Deswegen war das eine gute Idee. Da wir aber immer um Ziele und nicht nur über Instrumente streiten, sagen wir: Alles hat seine Zeit. Auch die EEG-Umlage hat ihre Zeit, und sie ist nun vorüber. In der Tat sind ein paar Fehler gemacht worden. Leider muss ich sagen, dass damals auch die Wirtschaftsminister Brüderle und Rösler von der FDP daran beteiligt waren. Das war die Phase, in der die größten Industriebefreiungen auf dem Rücken der Verbraucherinnen und Verbraucher organisiert worden sind. Aber breiten wir heute mal den Mantel des Schweigens darüber. Wir finden jetzt den Weg, das abzuschaffen, damit auch die Besondere Ausgleichsregelung nur noch in den Geschichtsbüchern vorkommt; denn sie hat natürlich auch zu Fehlanreizen geführt. Wir alle kennen die Geschichten von Unternehmerinnen und Unternehmern, die gesagt haben: Damit wir in den Genuss der Besonderen Ausgleichsregelung kommen, müssen wir zwischen den Jahren unsere Maschinen laufen lassen, obwohl wir gar nichts produzieren. – Deswegen ist es gut, dass wir uns von diesem Instrument verabschieden. Das Ziel, über das EEG die erneuerbaren Energien auszubauen, bleibt bestehen. Wir werden mit den heutigen Regelungen der Energiewende einen neuen Schub geben; denn in der Tat werden wir ohne die EEG-Umlage die Sektorenkopplung voranbringen und auch neue wirtschaftliche Modelle schaffen. Das ist ein Teilbaustein. Die Reduzierung der EEG-Umlage auf null ist der richtige Weg. Wir werden das auch in Zukunft nutzen, um das EEG voranzubringen: mit dem Osterpaket und dem Sommerpaket. Die Energiewende geht weiter, auch ohne die Umlage, die wir auf null senken werden. Vielen Dank. ({4})

Kay Uwe Ziegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005265, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die einrichtungsbezogene Impfpflicht mit der erklärten Zielstellung des Fremdschutzes, in diesem Fall des Schutzes der zu betreuenden Patienten, ist krachend gescheitert und muss umgehend wieder zurückgenommen werden. ({0}) In der gestrigen Sitzung des Gesundheitsausschusses stellte ich nachfolgende Frage ans Ministerium, ans Robert-Koch-Institut und auch ans Paul-Ehrlich-Institut: Gibt es eine Studie, mit der nachgewiesen werden konnte, dass ungeimpfte Mitarbeiter in den Gesundheitsberufen mehr Patienten mit Corona infizieren als vollständig geimpfte Mitarbeiter? Vom Ministerium und vom RKI gab es nur ein ganz kurzes Nein als Antwort. Vom Paul-Ehrlich-Institut erhielt ich überhaupt keine Antwort. Professor Wieler äußerte in der nächsten Runde noch den Satz, es gebe da eine Modellierung, und die werde das wohl irgendwie nachweisen können. Eine Modellierung? Da draußen gibt es doch echte Menschen in den medizinischen Berufen, die seit über zwei Jahren mit und ohne Impfung tagtäglich ihren Job machen. ({1}) Deshalb müsste es doch möglich sein, dass in Vorbereitung dieses Gesetzes über eine einrichtungsbezogene Impfpflicht ein Beweis vorgelegt wird, dass die ungeimpften Pflegekräfte für ihre Patienten eine größere Gefahr der Ansteckung mit Covid-19 darstellen als die geimpften Mitarbeiter. Sie ahnen es vielleicht schon: Diesen wissenschaftlichen Nachweis gab und gibt es bis heute nicht. ({2}) Ich sage Ihnen auch, warum das so ist. Weil in diesem Haus immer noch alle Entscheidungen zum Thema Impfen unter einem falschen Narrativ aus dem Jahr 2020 getroffen werden. Bei den allermeisten Kolleginnen und Kollegen hier steht immer noch wie in Stein gemeißelt: Die Impfung sorgt für eine sterile und lebenslange Immunität. ({3}) Wir wissen aber heute: Dem ist nicht so. Deshalb müssen unser gesamter Umgang mit Covid-19 und die Bewertung der Impfung endlich neu gedacht werden. Die neuen Impfstoffe, die nicht leisten können, was man uns Ende 2020 vollmundig versprochen hat, dienen im günstigsten Fall dem Eigenschutz. Deshalb ist durch die Impfpflicht in den Gesundheitsberufen das eigentlich angestrebte Ziel, der Patientenschutz, nicht erreichbar. ({4}) Da gibt es noch ein Problem, meine Damen und Herren: Nicht nur, dass die Impfstoffe nicht die gewünschten Wirkungen entfalten. Sie entfalten auch noch Wirkungen, die nicht gewünscht sind. Ich empfehle allen Vertretern der Glaubensgemeinschaft „Diese Impfung ist nebenwirkungsfrei“, ({5}) den gestrigen MDR-Bericht „Impfkomplikationen: Mehr schwere Nebenwirkungen als gedacht?“ anzuschauen. Schauen Sie sich den Bericht an! Nach einer Studie von Professor Dr. Harald Matthes von der Berliner Charité können schwere Nebenwirkungen bei 0,8 Prozent aller Geimpften auftreten. Das wäre jeder Hundertfünfundzwanzigste. ({6}) Sollten sich diese Studienergebnisse bewahrheiten, meine Damen und Herren, dann stehen wir vor dem größten Medizinskandal Deutschlands, und eine Beibehaltung der Impfpflicht für die Gesundheitsberufe wäre unverantwortlich. ({7}) Nachfolgend noch eine kleine Geschichte für die, die diese einrichtungsbezogene Impfpflicht so toll finden: Stellen Sie sich vor, Sie kommen in ein Krankenhaus, hatten einen Unfall, und nach anderthalb Stunden Wartezeit fragen Sie die vorbeihuschende Schwester, wer sich denn irgendwann einmal um Sie kümmert, und dann lautet die Antwort, dass die eigentlich diensthabende hervorragende Notärztin seit gestern ein Betretungsverbot hat. Dann wird auch Ihnen schlagartig klar, dass eine Stimme für die einrichtungsbezogene Impfpflicht eine richtig, richtig schlechte Idee war. Und nein, ich wünsche niemandem ein solches Erlebnis. Aber manchmal hilft ja eine persönliche Erfahrung beim Erkenntnisfortschritt. ({8}) Sehr geehrte Damen und Herren, das Klatschen von den Balkonen ist verstummt. Es wurde daraus eine Impfpflicht für die Gesundheitsberufe, und wer dieser Pflicht nicht nachkommen will, auf den warten jetzt Betretungsverbote und der Verlust der beruflichen Existenz. ({9}) Ich möchte Sie vielmals bitten: Lassen Sie uns die persönlichen Entscheidungen der Pflegekräfte da draußen – egal ob pro oder kontra Impfung – akzeptieren! Beenden wir die bis heute anhaltende ungerechtfertigte Ausgrenzung der ungeimpften Mitarbeiter! Sie alle haben unseren Respekt verdient. Wir brauchen jeden Einzelnen, weil wir viel zu wenige von ihnen haben. Vielen Dank. ({10})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Heike Engelhardt ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion. ({0})

Heike Engelhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005051, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger, ganz besonders aus meinem Wahlkreis Ravensburg und dem Bodenseekreis! Als ich den Antrag gelesen habe, dachte ich, dass ich in einer Zeitschleife gefangen wäre. Hatte ich nicht hier am 17. Februar meine erste Bundestagsrede zu Ihrem Antrag zur Aufhebung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht gehalten? Meine Mitarbeiter konnten mir aber versichern, dass es keine fehlgegangenen Experimente im CERN gab und ich auch nicht in der Matrix gefangen bin. Ganz im Gegenteil: Unsere Zeit hier wird geraubt von der Opposition, die einfach Ihren Antrag noch einmal einbringt, obwohl der alte nicht einmal final behandelt wurde und auch keine Aussicht auf Erfolg hat. Wir hatten erst gestern die öffentliche Anhörung zu diesem Thema. Wie sehr wollen Sie sich eigentlich blamieren? Alles, was es dazu zu sagen gibt, wurde hier zu Ihrem alten Antrag schon gesagt. ({0}) Und täglich grüßt das Murmeltier! Die einrichtungsbezogene Impfpflicht ist nicht nur wichtig – nein –, sie ist auch richtig, ({1}) um besonders gefährdete Gruppen zu schützen. ({2}) Menschen, die in Gesundheitsberufen arbeiten, haben eine besondere Verantwortung gegenüber denjenigen, die sie behandeln, betreuen und pflegen. ({3}) Hochbetagte, chronisch kranke und pflegebedürftige Menschen haben ein deutlich erhöhtes Risiko, schwer an Covid zu erkranken und zu sterben. Uns geht es auch darum, das Gesundheitssystem am Laufen zu halten und dafür zu sorgen, dass es nicht erneut zu großen Ausbrüchen zum Beispiel in Alten- und Pflegeheimen kommt. Klar hätten wir von der SPD-Fraktion – bis auf wenige Ausnahmen – uns gewünscht, dass es diese Ungleichbehandlung bezüglich der Impfpflicht zwischen dem Pflegepersonal und der restlichen Bevölkerung nicht geben würde, sondern dass sich alle impfen lassen müssen. Dafür können sich diese Berufsgruppen bei FDP und CDU/CSU bedanken, die mit ihren verantwortungslosen, parteitaktischen und diesem Parlament unwürdigen Spielen eine allgemeine Impfpflicht verhindert haben. ({4}) Ich freue mich, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht jetzt umgesetzt wird, und zwar so, wie wir sie hier in diesem Parlament beschlossen haben. ({5}) Ich setze mich auch weiterhin für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren ein. ({6}) Denn die Bekämpfung der Pandemie ist eine Aufgabe, an der wir uns alle beteiligen müssen, nicht nur einzelne Berufsgruppen. Also, egal wie oft Sie den Antrag noch stellen: Wir lehnen ihn überzeugt ab. ({7}) Und ganz zum Schluss: Falls es sich doch um eine Zeitschleife handelt, hier ein kleiner Service.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sorge?

Heike Engelhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005051, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. ({0}) Hier noch ein kleiner Service für diejenigen, die in der Zeitschleife sind: Die Lottozahlen am kommenden Samstag lauten: 2, 3, 10, 24, 27, 45, Superzahl 3. ({1}) Viel Erfolg und vielen Dank. ({2})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Und ich gebe dem Kollegen Sorge die Möglichkeit zu einer Kurzintervention.

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Frau Kollegin Engelhardt, da Sie gerade den Eindruck erweckt haben, als sei die allgemeine Impfpflicht quasi an der überwiegenden Mehrheit hier gescheitert, würde ich Sie gerne fragen: Ist Ihnen bewusst, dass gegen die allgemeine Impfpflicht in der Form, wie Sie sie vorgeschlagen haben, eine negative Kanzlermehrheit gestimmt hat?

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Sie haben die Möglichkeit, zu antworten. Wenn Sie dazu aufstehen würden! ({0}) – Herr Brandner, jetzt hat die Kollegin Engelhardt die Möglichkeit, zu antworten.

Heike Engelhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005051, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann antworten, aber ich muss nicht.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Dann fahren wir fort in der Debatte. Der Kollege Dr. Georg Kippels, CDU/CSU-Fraktion, hat das Wort. ({0})

Dr. Georg Kippels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! „Geimpft zu sein ist besser, als nicht geimpft zu sein.“ Diesen Satz unterstreiche ich ausdrücklich. Er zeigt auch meine tiefe innere Überzeugung, dass Impfen nach wie vor ein hoch wirkungsvolles und erstrebenswertes Mittel im Kampf gegen die Pandemie ist. Ich werbe unverändert für die Ausdehnung der Impfquote. ({0}) Aber aus meiner Feder stammt dieser Satz nicht. Vielmehr ist er in der Urheberschaft des Präsidenten des RKI, Professor Lothar Wieler, der gestern in dieser besagten Anhörung auf die Frage des Kollegen von der AfD genau diesen komprimierten Satz gesagt hat und weiter erläutert hat, dass es nicht nur um die Wirkung des Eigenschutzes der Impfung geht, sondern natürlich auch um den Fremdschutz. Denn es ist für Dritte ein ganz erheblicher Vorteil, wenn der Ausstoß der Virenlast deutlich geringer ist, und das ist der Fall. Die Pandemie ist nicht vorbei. Wir müssen uns weiter mit diesem Thema auseinandersetzen. Alleine die heutigen Zahlen zeigen dies: Inzidenz 826 – auch wenn sich die Aussagekraft der Inzidenzzahl gewandelt hat –, 130 000 Neuinfektionen. Und wieder sind 246 Sterbefälle zu beklagen.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Kippels, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Georg Kippels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, das erlaube ich nicht. – 1 446 Intensivbetten sind belegt. Bei der Impfquote sind wir bedauerlicherweise erst bei 76,1 Prozent Grundimmunisierten und bei 59 Prozent bei den Boostern. Hier besteht Nachholbedarf. Von Delta zu Omikron haben wir in der Tat eine Veränderung im Erscheinungsbild: Wir haben weniger schwere Verläufe, aber mehr Infektionen. Dennoch sind wir weit davon entfernt, dass diese Erkrankung nur als normale Grippe deklariert werden kann. Falsche Botschaften sind brandgefährlich und vollkommen unangebracht! ({0}) Wissen wir, was kommt? Nein, das wissen wir leider nicht. Auch das hat Bundesgesundheitsminister Lauterbach heute Morgen in unserer Ausschusssitzung bestätigt. Die Entwicklung der Mutationen vorherzusehen, bedarf leider eines Blickes in die Glaskugel. Es bleibt zwar zu hoffen, aber es ist nicht sicher, dass passgenaue Impfstoffe entwickelt werden können. Nichtsdestotrotz muss es unsere gemeinsame Aufgabe sein, die Impfungen weiter fortzuführen, und das gilt gerade auch in den Einrichtungen. Die Bewohnerinnen und Bewohner von Einrichtungen, die zu Pflegenden, sind die verletzlichste Personengruppe in dieser Pandemie. Dieser müssen wir eine ganz besondere Aufmerksamkeit widmen. Deshalb ist die einrichtungsbezogene Impfpflicht auch seitens der CDU/CSU im Dezember für grundsätzlich richtig gehalten worden. Überdies bin ich der Meinung, dass die Impfung von Pflegepersonal auch eine Frage des Berufsethos ist. ({1}) Aber – das darf nicht unerwähnt bleiben – wir haben von Anfang an kritisiert, dass die Systematik und die Ausführung mangelhaft sind. ({2}) Da muss nachgearbeitet werden; hier besteht dringender Handlungsbedarf. Wir sind in der Verantwortung für Kommunen und Träger. Sie dürfen mit den Rechtsfolgen für die Mitarbeiter und für ihr Versorgungssystem nicht allein gelassen werden. Deshalb, so die Vorstellung seitens der CDU/CSU, ist es wichtig, dass an dieser Stelle nachjustiert wird – nicht durch Rücknahme der Regelung, sondern durch eine vorläufige Aussetzung, um das System nicht ohne Not zu belasten. Aber – und das sollte unser gemeinsames Bemühen sein – wir müssen die Zeit nutzen. So – das sagte heute Morgen auch Professor Hallek, der ärztliche Direktor der Universitätsklinik Köln – sollten wir mit Augenmaß nicht bei unseren Bemühungen nachlassen, auf Überzeugung hinzuwirken, damit auch das Pflegepersonal in der Zwischenzeit die Impfung an sich vornehmen lässt.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Georg Kippels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir werden diesen Antrag ablehnen und an der Steigerung der Impfquote gemeinschaftlich intensiv arbeiten. Der Antrag ist abzulehnen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Jetzt erhält der Kollege Sichert die Möglichkeit einer Kurzintervention. Herr Sichert, Sie haben das Wort.

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank für das Zulassen der Kurzintervention. – Wenn ich auch die Aufmerksamkeit vom Kollegen Kippels haben könnte, der gerade hierzu gesprochen hat? – Herr Kippels, Sie haben gesagt, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht durchaus Sinn macht, auch wegen eines gewissen Fremdschutzes. Kennen Sie beispielsweise die Studie von Hansen, in der festgestellt wurde, dass bei Omikron 90 Tage nach der Impfung mit BioNTech die Wahrscheinlichkeit eines Geimpften, sich zu infizieren, anderthalbmal so hoch ist wie bei einem Ungeimpften? Seit Omikron haben wir eine komplett andere Lage in Bezug auf den Fremdschutz, der sich durch die Impfung nach 90 Tagen nämlich ins Negative verkehrt. Entsprechend ist bei Omikron auch der Eigenschutz durch die Impfung nicht mehr relevant vorhanden. 72,6 Prozent derjenigen, die in den letzten vier Wochen auf die Intensivstationen gekommen sind, haben in den letzten sechs Monaten eine Impfung erhalten. Das sind mehr Menschen, als dieser Anteil an der Gesamtbevölkerung ausmacht. ({0}) Das heißt, wir haben bei der Impfung weder einen relevanten Eigenschutz noch einen relevanten Fremdschutz. Wie können Sie sich unter solchen Umständen dafür aussprechen, dass man eine einrichtungsbezogene Impfpflicht in irgendeiner Weise weiter braucht? ({1})

Dr. Georg Kippels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Kollege Sichert, Sie haben eine Studie zitiert, von deren Richtigkeit Sie ausgehen. Aber in dem Vortrag von Professor Wieler gestern im Ausschuss ist auch darauf hingewiesen worden, dass das RKI sich permanent mit zahlreichen Studien auseinandersetzt und daraus im Sinne einer soliden wissenschaftlichen Arbeit eine Mehrheitsmeinung herausarbeitet. Das ist im Rahmen dieser Empfehlung geschehen. Deshalb werde ich mich mit Sicherheit nicht einer einzigen Meinung anschließen, nur weil diese vielleicht Ihrem Meinungsbild besonders gelegen kommt. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Nun hat die Kollegin Kordula Schulz-Asche, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. ({0})

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Die einrichtungsbezogene Impfpflicht gegen Covid-19 hat zum Ziel, Menschen zu schützen, die hochbetagt sind, pflegebedürftig oder schwer krank oder alles gemeinsam, und zwar durch die Impfung des Personals – für den eigenen Schutz des Personals und für den Schutz der ihnen anvertrauten Menschen. Das gilt auch für die Omikron-Variante. ({0}) Die gestrige Anhörung im Ausschuss für Gesundheit hat gezeigt, dass die von einigen hier beschworene Gefahr eines massenhaften Ausstiegs von Pflegekräften aus der Pflege nicht eingetreten ist. Es gibt keinen signifikanten Anstieg bei Kündigungen oder bei Meldungen von Arbeitslosigkeit bei Pflegekräften. Die Impfquote in Krankenhäusern liegt im Durchschnitt bei über 95 Prozent – es gibt Unterschiede – und damit weit über der Impfquote der Gesamtbevölkerung. Für die Langzeitpflege liegen noch keine abschließenden Ergebnisse vor. Ich selber war vor Kurzem in einem Pflegeheim in meinem Wahlkreis, in dem es natürlich Verunsicherung gab, in dem natürlich die Aufklärung und die Diskussionen weitergingen. Inzwischen liegt die Impfquote in diesem Pflegeheim bei 100 Prozent. Das ist auch kein Wunder; denn, meine Damen und Herren, Pflegeeinrichtungen in Deutschland arbeiten wissenschaftsbasiert nach den Vorgaben des Robert-Koch-Instituts und des Paul-Ehrlich-Instituts. Das ist auch gut so. ({1}) Zudem sind Pflegekräfte in Deutschland befähigt, eigenverantwortlich zu handeln. Sie wissen um ihre besondere Verantwortung und die Sorgfaltspflicht für die Menschen, die ihnen anvertraut sind, und deren Familien. Professionelle Pflegekräfte orientieren sich an wissenschaftlichen Empfehlungen unserer Institutionen. Dazu gehören, wie schon erwähnt, das Robert-Koch-Institut und das Paul-Ehrlich-Institut. Wir werden auch von diesen Instituten erfahren, wie der weitere Verlauf dieser Pandemie sein wird, wie die Varianten sich verhalten und welche Impfstoffe wir brauchen, um diese Varianten in den Griff zu bekommen. Deswegen sind die Empfehlungen von Robert-Koch-Institut und Paul-Ehrlich-Institut Empfehlungen für die Bevölkerung im Interesse der Bevölkerung. Pandemien haben immer zur Folge, dass es ein Spannungsverhältnis zwischen Grundrechten auf der einen Seite und dem Schutz vor Infektionen auf der anderen Seite gibt. Für uns sind in der aktuellen Situation der Infektionsschutz und die Impfung Solidarität mit den Schwächsten, gerade in Zeiten der Pandemie. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Die nächste Rednerin: Kathrin Vogler, Fraktion Die Linke. ({0})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Seit dem 15. März sind Beschäftigte in Einrichtungen der Kranken- und Altenpflege, des Gesundheitswesens und von Behinderteneinrichtungen gesetzlich verpflichtet, nachzuweisen, dass sie gegen Covid-19 geimpft sind. An dieser einrichtungsbezogenen Impfpflicht gibt es durchaus sachliche Kritik sowie sicher auch Nachbesserungsbedarf bei der Umsetzung. Aber der vorliegende Antrag der AfD ist ({0}) weder sachlich noch konstruktiv, und deswegen lehnen wir ihn ab. ({1}) Gerade die AfD mit ihrem ideologischen Kampf ({2}) gegen Masken, Coronaschutzregeln und Impfungen sowie ihrer Strategie der maximalen Verunsicherung sorgt doch mit dafür, dass wir von den hohen Inzidenzen nicht herunterkommen. Das bedeutet für die Beschäftigten im Gesundheitswesen nicht nur massive Arbeitsbelastungen, sondern auch das ständige Risiko, selbst infiziert zu werden und zu erkranken. Die AfD nutzt die schlimme Situation in der Pflege, um weiter Fake News über die Coronaimpfung zu verbreiten. ({3}) Dazu hat sie uns gestern in der Anhörung des Gesundheitsausschusses sogar einen Sachverständigen zugemutet, der allen Ernstes der Auffassung ist, dass Adipositas keine Gefahr für die Gesundheit ist. ({4}) Die sehr sicheren Impfstoffe, die schon Hunderttausende Leben gerettet haben, hält er aber für echt gefährlich. Also, das ist doch absurd! ({5}) Und Sie berufen sich auf Evidenz und Wissenschaft? Sie zitieren die Deutsche Krankenhausgesellschaft, um Ihren kruden Thesen den Anschein der Seriosität zu verleihen, unterschlagen dabei aber die eigentliche Schlussfolgerung. In der Stellungnahme heißt es nämlich wörtlich – da geht es um die allgemeine Impfpflicht –: ({6}) Somit laufen wir Gefahr, dass wir im Herbst vor der gleichen Situation stehen wie vor einem Jahr: neuer Lockdown, Gefahr der Überlastung von Kliniken, Patientinnen und Patienten werden sich erneut auf Wartelisten wiederfinden. Das können Sie natürlich alles ignorieren. Aber dass Sie das unterschlagen, zeigt doch, dass Sie hier nicht seriös arbeiten. ({7}) Vor diesem Hintergrund, finde ich, sollte sich übrigens die Bundesregierung sehr viel ernsthafter damit beschäftigen, das Gesundheitswesen auf einen möglichen dritten Pandemiewinter vorzubereiten und nachhaltig die Arbeitssituation in den Kliniken und in den Pflegeeinrichtungen zu verbessern. Dafür brauchen wir dringend flächendeckende Tarifverträge für eine gute Bezahlung und die Abschaffung des kirchlichen Sonderarbeitsrechts, ({8}) Entlastungstarifverträge, die einen Ausgleich für die Belastungen in unterbesetzten Bereichen vorschreiben, also genau das, wofür im Augenblick die Kolleginnen und Kollegen der Unikliniken in NRW kämpfen. Vor allem brauchen wir – dafür sind Sie zuständig – eine gesetzliche Personalbemessung in der Pflege, und zwar schnell. ({9}) Die Beschäftigten in den Arztpraxen, in den Kliniken und in den Pflegeeinrichtungen warten schon zu lange auf wirkliche Entlastung und Anerkennung. Als soziale Opposition werden wir nicht lockerlassen, damit hier endlich etwas passiert. ({10})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Und der nächste Redner in der Debatte: Professor Dr. Andrew Ullmann, FDP-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern Nachmittag fand eine öffentliche Anhörung zur Aussetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht statt. ({0}) – Ja, Sie wiederholen auch Ihre Anträge. Also kriegen Sie ebenfalls die gleiche Rede. ({1}) Dort wurde bereits ein Antrag der AfD mit der Forderung der Aussetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht beraten. Doch anstatt Ihren Antrag weiterzuverfolgen, machen Sie Copy-and-paste und bringen dies dann als neuen Antrag ein, der natürlich wieder im Gesundheitsausschuss behandelt werden soll. Eigentlich wollen Sie uns nur in unserer wichtigen Arbeit, die wir betreiben müssen, blockieren. Ich kann Ihnen nur sagen: Rein formell gibt es überhaupt keinen Grund, so einen Antrag zu stellen. Das ist ein klassischer AfD-Showantrag. Sie brauchen offensichtlich wieder Propagandamaterial für Ihren Telegram-Channel. ({2}) – Ja, wir gucken uns das genau an. – Der große Unterschied jedoch – das war erstaunlich, wenn man gestern beobachtet hat, wie die AfD im Ausschuss agiert hat – ist, ({3}) dass Sie Ihre bisherige Politik, die Impfungen als solche immer infrage zu stellen – das haben wir heute auch wieder wahrgenommen –, aufgegeben haben. Offensichtlich kann die AfD-Fraktion dazulernen. ({4}) Ich war sehr erstaunt, als ich Ihren Antrag gelesen habe; denn Sie schreiben: Die zurzeit eingesetzten Impfstoffe gegen COVID-19 können den Geimpften vor schweren Verläufen schützen … Siehe an! Sie zitieren etwas Richtiges. Ich bin völlig erstaunt. ({5}) Und Sie zitieren nicht Telegram, sondern Sie zitieren „The Lancet“. Herzlichen Glückwunsch! Sie haben endlich kapiert, wie richtige medizinische Literatur aussieht. Unterschrieben haben diesen Antrag übrigens einige AfD-Mitglieder aus dem Gesundheitsausschuss. Ich halte an dieser Stelle für das Protokoll explizit fest – das muss man sich antun –: ({6}) Herr Martin Sichert stellt in dem vorliegenden Antrag fest, dass Covid-19-Impfungen vor schweren Krankheitsverläufen schützen. ({7}) Frau Dr. Christina Baum stellt in dem vorliegenden Antrag fest, dass Covid-19-Impfungen vor schweren Krankheitsverläufen schützen. ({8}) Herr Thomas Dietz stellt in dem vorliegenden Antrag fest, dass Covid-19-Impfungen vor schweren Krankheitsverläufen schützen. Und last, but not least: Herr Kay-Uwe Ziegler, der Erstredner von heute, stellt in dem Antrag fest, dass Covid-19-Impfungen vor schweren Krankheitsverläufen schützen. Herzlichen Glückwunsch! ({9}) Aber – das wissen Sie auch – Sie können nicht A und B gleichzeitig behaupten – auf der einen Seite „Impfungen funktionieren“, auf der anderen Seite „Impfungen funktionieren nicht“ –, wenn diese sich ausschließen. Akzeptieren Sie endlich die Fakten! Glauben Sie dem, was Sie zitieren: Impfungen schützen, Impfungen helfen dem Einzelnen, Impfungen helfen uns als Gesellschaft. Setzen Sie sich mit uns allen dafür ein, dass sich auch die wenigen in den Gesundheitseinrichtungen impfen lassen, die noch nicht geimpft sind. Das ist der richtige Weg. Und ja, da ist eine kleine Lernkurve bei der AfD; das wird wahrscheinlich doch noch mal funktionieren mit dieser Fraktion. Herzlichen Glückwunsch! ({10}) Dass wir überhaupt – und das hatte Herr Dr. Georg Kippels auch gesagt – über die einrichtungsbezogene Impfpflicht diskutieren müssen, empfinde ich ebenfalls als peinlich. Wer im Gesundheitswesen arbeitet, weiß auch, dass man die evidenzbasierte Medizin verfolgen soll, im Gegensatz zu diesem komischen sogenannten Experten, der gestern zu hören war. Das ist unser Ethos, das Ethos derjenigen, die wirklich Medizin betreiben. Wer dreifach geimpft ist – und das kann man behalten, hören Sie zu, und lernen Sie dazu; eine Vorlesung kriegen Sie nicht immer umsonst –, ({11}) ist besser geschützt, auch vor einem schweren Verlauf der Omikron-Variante. Das ist medizinische Tatsache, und das müssen auch Sie begreifen. Bis heute, meine Damen und Herren, haben viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den verschiedenen Einrichtungen ihre Vorbildfunktion wahrgenommen und sind geimpft. Sie schützen dann auch die Schwächsten der Schwachen. Ich möchte an dieser Stelle explizit Danke dafür sagen, dass in den medizinischen Einrichtungen Verantwortung getragen wird. ({12}) Gestern in der Anhörung war übrigens klar: Die wissenschaftliche Evidenz ist da. Das Risiko der Ansteckung wird durch die Impfung reduziert. Von steriler Immunität hat noch nie jemand gesprochen. ({13}) – Lesen Sie doch mal die Literatur! Lesen Sie die medizinische Literatur! Die Studien waren darauf ausgelegt, Krankheiten zu verhindern, und nicht auf eine sterile Immunität. Kapieren Sie das? Man merkt, dass Sie keine Fachleute in Ihrer Fraktion haben; das wird immer wieder offenbar. ({14}) Man muss auch sagen – das gehört zur Fairness dazu –: Natürlich ist der Infektionsschutz bei der Omikron-Variante nicht so ausgeprägt wie bei der Delta-Variante oder beim Wildtyp. Dennoch sind die Vorteile der Impfung eine Tatsache; und das kann auch eine AfD nicht wegreden. Die Politik, meine Damen und Herren, kann in dieser Frage Vorbild sein. Die AfD-Politiker haben in ihrem Antrag bewiesen, dass Sie wider besseres Wissen wiederholt gegen die Impfungen hetzen. Deshalb mein Appell an Sie, an die AfD: Werben Sie lieber für die Impfung. Setzen Sie sich für die Impfung ein, statt Ihre pseudowissenschaftlichen Aussagen zu wiederholen. Die Impfung verkürzt nämlich –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

– die langen Krankheitstage, sie verkürzt die Arbeitsunfähigkeit, sie schützt vor schweren Verläufen, und soziale Kontakte können rascher wieder aufgenommen werden. Dieser Antrag muss abgelehnt werden. Das ist, glaube ich, das letzte Mal, dass wir einen Wiederholungsantrag in dieser Art und Weise verweisen. Herzlichen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die SPD-Fraktion hat das Wort Nezahat Baradari. ({0})

Nezahat Baradari (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004947, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Eigentlich haben einige meiner Vorrednerinnen und Vorredner schon das Wichtigste gesagt, aber doppelt und dreifach hält besser. ({0}) Es ist schon wieder so weit: Von der AfD wird uns auf die Schnelle ein Schaufensterantrag vorgelegt und das auch nur, um dem parlamentarischen Geschäft Sand ins Getriebe zu streuen. Ich möchte an dieser Stelle nicht weiter darauf eingehen, sondern erneut die Möglichkeit ergreifen, die wichtigen Punkte, die für eine einrichtungsbezogene Impfpflicht sprechen, darzulegen. ({1}) Die Coronaviruserkrankung Covid-19 gehört zu den ansteckendsten Infektionskrankheiten, von der alle Bevölkerungsteile, wir alle, betroffen sind. Mit Stand vom Donnerstag, den 27. April – Kollege Dr. Kippels hat es schon gesagt –, liegt die Sieben-Tage-Inzidenz nach Angaben des Tagesberichts des RKI bei 826, 246 Menschen sind gestorben, 246! ({2}) Diese Menschen könnten heute noch leben. ({3}) Um das Infektionsgeschehen weiter zu bekämpfen, wurde die Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht ab dem 16. März 2022 beschlossen, um besonders gefährdete, vulnerable Menschen vor einer Infektion und schwerer Krankheit zu schützen. Diese Entscheidung wurde mit dem vorausschauenden Blick getroffen, unsere Gesundheitsversorgung auch weiterhin gewährleisten zu können. Wie bei allen anderen gängigen Impfungen bekannt, schützt auch die Coronaimpfung nicht zu 100 Prozent, und sie schützt wie bei allen anderen gängigen Impfungen eben auch nicht zu 100 Prozent davor, dass die geimpfte Person das Virus überträgt. Doch uns allen muss mittlerweile klar sein, dass die Coronaimpfung grundsätzlich vor einem schweren Verlauf bei Covid-19 schützt; ja, das steht tatsächlich auch so im Antrag.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Nezahat Baradari (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004947, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. – Hierzu ein Zitat von Professor Wieler vom RKI – mit Erlaubnis der Präsidentin –: Geimpfte scheiden weniger Viren aus. Die Ungeimpften stellen ein Risiko dar und tragen stärker zur Virusverbreitung bei als Geimpfte. – Bei der gestrigen Anhörung im Gesundheitsausschuss – das wurde mehrfach gesagt – wurde dies von mehreren Experten vom RKI und der Charité so bestätigt. Das findet man auch im Netz. Das kann sich jeder angucken. Vulnerable Gruppen sind vor Ansteckung in Gesundheitseinrichtungen am besten geschützt, wenn das Personal vollständig geimpft und geboostert ist. Zudem ist es doch auch so, dass sich die Kolleginnen und Kollegen untereinander vor schweren Krankheitsverläufen am besten durch eine Impfung schützen und so einem weiteren Personalausfall vorbeugen. Denn wir haben in der Pandemie doch gesehen, dass das wertvollste Gut in der Betreuung von Patientinnen und Patienten bzw. von zu Pflegenden nicht Beatmungsgeräte und Betten waren, sondern das Pflegepersonal selbst. ({0}) Enttäuschend war, dass die allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren im Deutschen Bundestag mehrheitlich von der rechten Seite des Plenums abgelehnt worden ist. ({1}) Das medizinische und pflegerische Personal bringt weiterhin sein Leben in Gefahr, um kranke und pflegebedürftige Menschen zu betreuen, unter anderem auch jene, die sich weiterhin vehement gegen eine Impfung aussprechen. Ich finde, diese Haltung ist einfach respektlos und unverantwortlich. ({2}) Wenn Pflegekräfte der Pflege den Rücken kehren, dann doch aus diesen Gründen. Wo bleibt denn deren gesundheitlicher Schutz? Abschließend möchte ich betonen: Welche neuen Virusvarianten es im Herbst geben wird, wissen wir heute noch nicht. ({3}) Daher sollten alle Anstrengungen unternommen werden, damit wir nicht mit all den Problemen der Pandemie nach dem Sommer erneut konfrontiert werden. Dazu gehören tatsächlich ein Monitoring und eine Evaluierung darüber, wie hoch die Impfquoten waren und welche Auswirkungen die Betretungsverbote in Gesundheitseinrichtungen in den einzelnen Bundesländern hatten. Denn die einrichtungsbezogene Impfpflicht gilt vorerst bis zum 31. Dezember 2022. Die von der AfD zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht vorhergesagten massenhaften Kündigungen in der Pflege sind ausgeblieben. Der Pflegenotstand besteht schon seit Jahrzehnten und hat mit zu wenigen Pflegefachkräften und schlechten Arbeitsbedingungen zu tun. Auch die Desinformationskampagnen von Ihnen tragen dazu bei, dass viele Menschen sich von dem Berufsfeld Pflege abwenden. Dies ist unverantwortlich, genauso wie Ihr Antrag. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für eine kurze Kurzintervention erteile ich das Wort Frau Dr. Baum, AfD.

Dr. Christina Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005018, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Herr Professor Matthes – das wurde heute schon von Herrn Ziegler gesagt – hat in seiner aktuellen Impfstudie festgestellt, dass in 0,8 Prozent der Fälle schwere Nebenwirkungen auftreten. Das heißt, 1 von 125 Geimpften hat schwere Nebenwirkungen. Sie scheinen vollkommen faktenresistent zu sein, da Sie das ignorieren. Was sagen Sie diesen geschädigten Menschen? Das hätte ich gerne von Ihnen gewusst. – Vielen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Baradari, möchten Sie darauf antworten?

Nezahat Baradari (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004947, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Bleiben Sie bitte stehen, Frau Dr. Baum. ({0})

Nezahat Baradari (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004947, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich danke Ihnen für die Frage; denn genau das geistert herum. Wissen Sie, als Kinderärztin impfe ich Kinder, und ich habe schon Tausende Impfungen gesetzt. ({0}) Selbst bei einer Masernimpfung, die es schon seit Jahrzehnten gibt, weise ich immer darauf hin, dass sie in besonderen Fällen sogar zum Tode führen könnte. ({1}) Das ist genauso bei den Coronaimpfungen. Niemand sagt, dass Coronaimpfungen nebenwirkungsfrei sind. Schließlich spritzen wir auch nicht Kochsalz, nicht wahr? Aber: Die Impfung bewirkt, dass vor einer schweren Krankheit sicherer geschützt wird, als im Verhältnis dazu durch die Impfung schwere Nebenwirkungen entstehen können. Wir wissen es vorher nicht genau. Das weiß man bei einem Patienten nicht; denn jeder Mensch ist einzigartig. Manche machen die Impfung gut durch und manche nicht. ({2}) Außerdem zweifele ich auch sehr an dem, was Sie eben zitiert haben. ({3})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Vielen Dank. – Der nächste Redner in der Debatte ist Stephan Pilsinger, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Stephan Pilsinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004853, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht gilt mehr als anderswo die Sentenz: Was gut gemeint ist, ist noch lange nicht gut gemacht. Ja, es stimmt: Auch die Union hatte dem Gesetz zur Stärkung der Impfprävention im Dezember 2021 – und damit der Einführung des § 20a des Infektionsschutzgesetzes – zugestimmt. Zugestimmt in der Überzeugung, dass wir so nicht nur das ärztliche und pflegerische Personal schützen, sondern vor allem die Patienten und Pflegebedürftigen, die nun mal besonders ansteckungsgefährdet und vulnerabel sind. Zugestimmt aber auch in der Überzeugung, dass das Gesetz, das ja nur den rechtlichen Rahmen vorgibt, vom Bundesgesundheitsministerium als der zuständigen Exekutive entsprechend durch konkrete und rechtssichere Handlungsanweisungen für die Länder auch umsetzbar und nachvollziehbar gemacht wird. Und genau das ist es kaum, meine Damen und Herren. Die sogenannte „Handreichung zur Impfprävention in Bezug auf einrichtungsbezogene Tätigkeiten“ des Bundesgesundheitsministeriums vom 22. März 2022 – im Prinzip ein Frage-Antwort-Katalog in Prosaform – hat bei den Ländern mehr Fragen aufgeworfen als Antworten zum Vollzug geliefert. Im Ergebnis haben wir nun einen Flickenteppich von Ausführungsbestimmungen von 16 Bundesländern, die alles andere als Rechtssicherheit und Praktikabilität mit sich bringen. Nehmen wir nur ein Beispiel: Auszubildende im Pflegebereich müssen verschiedene Praxiseinsätze absolvieren und gelten dann dort eigentlich als Neukräfte, wenn sie in der jeweiligen Einrichtung nicht vor dem 16. März regelmäßig tätig waren. Das kann zur Folge haben, dass ungeimpfte Auszubildende ihre Ausbildung nicht mehr fortsetzen können, weil sie als ungeimpfte Neukräfte qua Gesetz einem Tätigkeits- und Beschäftigungsverbot unterliegen. Diese und viele weitere Fälle sind in den Ausführungsbestimmungen des BMG nicht geregelt und stellen ein echtes Problem in der Praxis dar. Die Verunsicherung in den Gesundheitsberufen, in den Gesundheitsämtern und in der Bevölkerung ist groß. Eine Evaluation oder ein begleitendes Monitoring über die bisherigen Folgen des Gesetzes für Bund und Länder hat das BMG bislang nicht geliefert. Hätten wir dieses exekutive Versagen des Bundesgesundheitsministeriums absehen können, hätten wir dem Gesetz in dieser Form wohl nicht zugestimmt. ({0}) Nachdem die Ampel mit ihrem sowieso nicht rechtssicheren Konzept einer allgemeinen Impfpflicht krachend gescheitert ist, gleichzeitig aber unser durchaus durchdachtes Stufenkonzept für eine eventuell doch notwendig werdende Impfpflicht abgelehnt hat, stehen wir nun da mit einem Rumpf an Vorsorgemaßnahmen, die nichts Halbes und nichts Ganzes sind. Mit Blick auf den Herbst muss die Regierung ein durchdachtes, stimmiges Konzept vorlegen. Da ist insbesondere der Bundesgesundheitsminister gefordert. Herr Lauterbach, leider sind Sie ja nicht da. ({1}) Deswegen bitte ich Sie, Herr Franke, richten Sie ihm aus: Herr Lauterbach, mehr Substanz, weniger Lanz! Das sollte Ihr Anspruch sein. ({2}) Ich hoffe, Sie erkennen jetzt, dass sich rechtlich hochkomplexe Vollzugsanordnungen nicht auf 280 Zeichen bei Twitter reduzieren lassen. Kommen Sie endlich Ihrer Verantwortung nach, und machen Sie Ihre fachliche Arbeit! Vielen Dank. ({3})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Einen schönen guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf gleich in der Debatte weiterführen und für seine erste Rede im Deutschen Bundestag Johannes Wagner für die Grünen das Wort geben. ({0})

Johannes Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005248, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitbürger/-innen! Es ist schon spätabends, ({0}) und die Debatte geht schon eine ganze Weile; das ist mir durchaus bewusst. Ich bitte Sie trotzdem um eine kurze Denkübung. Denken Sie bitte an eine Ihnen sehr nahestehende Person. Es kann Ihr Partner, Ihre Partnerin sein, Ihre Eltern oder Ihre Kinder. Jetzt denken Sie daran, dass diese Person schwer krank wird und ins Krankenhaus muss. Sie machen sich große Sorgen um diesen Menschen. Wird alles gut gehen? Wird er wieder vollständig gesund werden? Jetzt stellen Sie sich vor: Zu all dieser Unsicherheit kommt noch eine weitere Sorge hinzu, und zwar die Sorge, ob sich diese Person im Krankenhaus auch noch mit Corona infiziert. Für viele Menschen mit Vorerkrankungen und einem geschwächten Immunsystem ist die Coronaerkrankung lebensgefährlich. Die Sorge von den Angehörigen ist also real; sie ist berechtigt. Ich habe viele solcher Menschen kennengelernt, als ich bis vor einem Jahr noch im Coburger Krankenhaus gearbeitet habe. Ich habe ihre Sorgen nachempfinden können. Wir alle wollen für Menschen, die uns nahestehen, nur das Beste. Im Krankheitsfall heißt das: nur die allerbeste Behandlung. Dabei geht es nicht nur um die richtige Operation oder die effektivsten Medikamente. Es geht auch darum, dass sich diese Menschen im Krankenhaus nicht noch mit anderen Krankheiten infizieren. ({1}) Diese können einen bereits geschwächten Menschen noch weiter gefährden; sie sind besonders anfällig für schwere Verläufe. Deswegen müssen sie so gut wie möglich vor einer Infektion geschützt werden. Das bedeutet auch, dass das Personal in Gesundheitseinrichtungen bestmöglich davor geschützt sein muss, andere Menschen anzustecken. Jetzt nutzen Sie von der AfD das wissenschaftlich gar nicht umstrittene Argument, dass sich auch dreifach geimpfte Menschen anstecken können. Das ist gar nicht falsch; aber wir wissen, dass sich dreifach geimpfte Menschen seltener anstecken ({2}) und dass sie, wenn es doch passieren sollte, das Virus weniger weitergeben. Das heißt, es gibt einen Fremdschutz. ({3}) Das ist genau der Punkt. Wir reden beim Personal von Gesundheitseinrichtungen von Menschen, die sehr eng mit sehr vulnerablen Gruppen zusammenarbeiten, über die Sie auch mal nachdenken sollten. Dort ist jede verhinderte Infektion ein Erfolg. ({4}) Deswegen haben Mitarbeitende in Gesundheitseinrichtungen eine besondere Verantwortung; diese nehmen sie auch schon vielmals wahr. Ihr Antrag dagegen ist verantwortungslos; deswegen lehnen wir ihn ab. Vielen Dank. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Als letzter Redner in dieser Debatte erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Erwin Rüddel. ({0})

Erwin Rüddel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004139, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Meine Fraktion hat Ende letzten Jahres aus guten Gründen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht für Beschäftigte in Alten- und Pflegeheimen, in Kliniken und in Arztpraxen zugestimmt. In NRW ist das bis jetzt auch sehr erfolgreich umgesetzt worden; aber in weiten Teilen unseres Landes sehen sich die ohnehin überlasteten Gesundheitsämter außerstande, die Probleme bei der Umsetzung im Alleingang zu stemmen. Wir sind bei der Verabschiedung des Gesetzes natürlich davon ausgegangen, dass die Bundesregierung die offenen Fragen zu Arbeitsrecht, Lohnfortzahlung und Betretungsrecht klärt. Wie ist zum Beispiel mit nicht geimpftem Personal umzugehen, das von den Einrichtungen als unverzichtbar eingestuft wird? Und wir durften mit Recht von der Bundesregierung erwarten, dass sie die Impfpflicht intensiv mit den betroffenen Ländern, Kommunen und Gesundheitsämtern vorbereitet. Tatsache ist, dass die Regierung die offenen Fragen bis heute nicht geklärt hat. Wir haben das gestern in der Anhörung eindrucksvoll dargestellt bekommen, gerade vom Städtetag. Einrichtungen und Beschäftigte werden mit den Folgen der Impfpflicht weiterhin alleingelassen. Dabei sollten doch gerade die ältesten und hilfsbedürftigsten Menschen in unserem Land, die Bewohner in Alten- und Pflegeeinrichtungen und die Patienten in Praxen und Kliniken, durch das Instrument der einrichtungsbezogenen Impfpflicht geschützt werden. Meine Damen und Herren, die Länder haben bereits am 22. Januar bei der Konferenz der Gesundheitsminister das Bundesgesundheitsministerium gebeten, gemeinsam mit ihnen unverzüglich alle offenen Fragen zu klären, ({0}) damit die Impfpflicht möglichst bundeseinheitlich vollzogen werden kann. Seither sind drei Monate vergangen, und die Fragen sind weiterhin offen. Der Vorgang wirft leider wieder einmal ein Schlaglicht auf die erratische Amtsführung des zuständigen Bundesgesundheitsministers. ({1}) Statt hier und heute seine Aufgaben zu machen und endlich Rechtssicherheit zu schaffen, traktiert er das Publikum lieber mit immer neuen künftigen Schreckensszenarien, für die es keine validen Grundlagen gibt. ({2}) Bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht müsste aber dringend nachgesteuert werden, damit die Einrichtungen und Beschäftigten wissen, woran sie sind. Hier ist Führung gefragt. Wenn der zuständige Minister dazu nicht willens ist, dann sollte ihm die Ampel jetzt Beine machen. ({3})

Erhard Grundl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004733, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Frau Staatsministerin Roth! Großes Potenzial weckt große Erwartungen. Dieses Zitat wird, soviel ich weiß, Carlo Ancelotti, dem aktuellen Trainer von Real Madrid, zugeschrieben. Die Deutsche Welle hat viel Potenzial, und ja, von der Deutschen Welle kann man auch viel erwarten. Es wird auch viel erwartet. Die Deutsche Welle ist in beeindruckender Weise von circa 290 Millionen wöchentlichen Nutzerkontakten auf über 400 Millionen gewachsen. Sie hat inzwischen Redaktionen in Subsahara-Afrika, Asien, Lateinamerika, der arabischen Welt, den GUS-Staaten, Europa und der Türkei. Die Deutsche Welle sendet in 32 Sprachen. Sie hat damit auch inhaltlich an Bedeutung gewonnen. Entsprechend gut wird die Deutsche Welle finanziell ausgestattet. Im Haushalt 2022 sind über 400 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Dennoch stelle ich eine gewisse Unwucht in ihrer Aufgabenplanung fest. Es werden drei strategische Unternehmensziele formuliert und priorisiert. Erstens. Die Deutsche Welle steigert ihre Reichweite. Zweitens. Die Deutsche Welle erhöht die Relevanz ihrer Angebote. Drittens. Die Deutsche Welle stärkt den Dialog. Genau in dieser Priorisierung liegt die Unwucht. Unsere Erwartung, die sich auch in dem heute hier beschlossenen Antrag zur Unterstützung der Ukraine widerspiegelt, beschreibt kein unternehmerisches Wachstum. In dem Antrag wird die Erwartung formuliert, dass die Deutsche Welle weiter ihren Beitrag gegen die Desinformations- und Propagandakampagnen Russlands leistet – so heißt es im Antrag in einem Punkt –, ({0}) weil nämlich Pressefreiheit von zentraler Bedeutung für die Wehrhaftigkeit von Demokratien ist. Darum wird die Deutsche Welle weiter zusätzliche Mittel erhalten, um ihre – ich zitiere noch einmal – „Programminhalte in Russland und Belarus senden zu können und so einen aktiven Beitrag gegen Desinformation zu leisten und den Aufbau von freien russischsprachigen Medien und Medieninhalten in Zusammenarbeit mit der Ukraine und anderen europäischen Partnern zu unterstützen“. So der Antrag. Das sind bedeutende demokratierelevante Aufgaben, Aufgaben – davon bin ich überzeugt –, die die Deutsche Welle ausfüllen kann. ({1}) In der Vorhabenplanung der Deutschen Welle werden Freiheits- und Menschenrechte, Demokratie sowie der Kampf gegen Terror, Ausgrenzung, Rassismus und Antisemitismus richtigerweise als Schwerpunktthemen genannt. Umso schwerer wiegen die Antisemitismusvorwürfe in der Middle-East-Redaktion, die im letzten Jahr bekannt wurden. Zwar kommt der Prüfbericht vom Februar zum Ergebnis, dass struktureller Antisemitismus in der Middle-East-Redaktion nicht festgestellt werden konnte. Allerdings zeigt er auch deutlich, dass es Strukturen gibt, die diese Entwicklung gefördert haben, etwa der tiefer greifende Veränderungsprozess der Deutschen Welle aufgrund der Erhöhung ihrer Reichweite als oberster Priorität. Wenn es im Prüfbericht von Leutheusser-Schnarrenberger und Mansour heißt, es scheine zu wenig Priorität auf die Verkörperung der Werte der Deutschen Welle gelegt worden zu sein, dann ist das sehr ernst zu nehmen; denn die Verbreiterung der Reichweite darf nie zulasten des öffentlichen Auftrags der Deutschen Welle gehen. Von der Spitze der Deutschen Welle erwarten wir weiterhin eine umfassende Aufarbeitung der Vorwürfe, die Entwicklung wirksamer Strategien zur vorbeugenden Bekämpfung von Antisemitismus in den betroffenen Redaktionen und eine umfassende Evaluierung der Maßnahmen zum nächstmöglichen Zeitpunkt. ({2}) Die Aufgabenplanung der Deutschen Welle zeigt aber auch, warum wir berechtigterweise große Erwartungen in das Potenzial der Deutschen Welle haben können. Sie hat beispielsweise dazu beigetragen, das Informationsvakuum in Russland und Belarus zu kompensieren. Das Fernsehen ist in beiden Ländern die wichtigste Informationsquelle für die Bevölkerung. Sowohl in Russland als auch in Belarus sind die staatlichen Fernsehsender williger Teil der Propagandainstrumente der Diktatoren Putin und Lukaschenka. Außerdem wird in beiden Ländern auch im digitalen Raum ein freier Informationsfluss durch Desinformation und Zensur erschwert oder unmöglich gemacht. Umso wichtiger ist hier die Stärkung von unabhängigem, kritischem Journalismus. Gerade im Angesicht des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hat sich die Deutsche Welle profiliert als verlässliche Berichterstatterin und als Partnerin für die Stärkung von Journalistinnen und Journalisten vor Ort. Meine Damen und Herren, nichts fürchten die Diktatoren dieser Welt so sehr wie Kunstfreiheit, Pressefreiheit und unabhängigen, unerschrockenen Journalismus. ({3}) Der russische Diktator Putin ist so gesehen nur einer in einer Reihe. Wladimir Putin hat Desinformation zur Waffe gemacht, wie es Barack Obama kürzlich formuliert hat. Allerdings hat die demokratische Welt gegen diese Desinformation eine stärkere Antwort: ({4}) gut recherchierten, faktenbasierten Qualitätsjournalismus. Er ist eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren und die Wehrhaftigkeit von Demokratien. ({5}) Ich danke deshalb den Mitarbeitenden der Deutschen Welle für ihren bemerkenswerten Einsatz. Erlauben Sie mir, am Ende einen persönlichen Dank an Rachel Stewart und ihr Team für die Deutsche-Welle-Sendung „Meet the Germans“ auszusprechen, eine wunderbare Möglichkeit für uns alle, in jeweils kurzen fünf Minuten mal sehr intensiv in den Spiegel zu schauen. Einigen würde es nicht schaden. Vielen Dank. ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Das Wort erhält für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Marco Wanderwitz. ({0})

Marco Wanderwitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Deutsche Welle, über die wir heute sprechen, ist unser Auslandsrundfunk, steuerfinanziert. Im Deutsche-Welle-Gesetz sind die Grundsätze und Ziele definiert, die wir ja als Gesetzgeber beschließen. Deswegen ist es auch richtig, dass wir uns – neben den Gremien der Deutschen Welle – als Parlament regelmäßig mit der gesetzlich vorgesehenen Aufgabenplanung befassen. Im Deutsche-Welle-Gesetz ist unter anderem niedergelegt, dass die Deutsche Welle repräsentieren soll, dass wir eine europäische Kulturnation sind, ein freiheitlich verfasster demokratischer Rechtsstaat; dass es um Austausch gehen soll; dass es natürlich um die Förderung der deutschen Sprache gehen soll. Es soll unabhängige Meinungsbildung geben. Die Deutsche Welle soll eine umfassende und wahrheitsgetreue Berichterstattung bieten, sie soll sachlich und qualitätsjournalistisch sein. All das tut die Deutsche Welle seit vielen Jahren in herausragender Weise. Das unterscheidet sie von einer Vielzahl ihrer Wettbewerber; nicht von allen, Gott sei Dank. Es gibt auch Wettbewerber aus der freien Welt, mit denen wir im Geleitzug unterwegs sind, aber es gibt eben auch klassische Auslandspropagandasender. Das ist die Deutsche Welle nie gewesen, und das ist auch nicht ihr Auftrag. Die Aufgabenplanung 2018 bis 2021 war äußerst ambitioniert. Sie ist in so ziemlich allen Punkten erfüllt oder übererfüllt worden. Auch das gilt es heute festzuhalten, wenn wir über die neue Aufgabenplanung sprechen, die ebenfalls wieder ziemlich ambitioniert ist. Ich möchte mich an dieser Stelle für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ausdrücklich dem Dank des Kollegen Grundl anschließen. Peter Limbourg, der Intendant, ist wieder bei uns, wie jedes Mal, wenn wir diese Debatte führen, so wie er uns auch regelmäßig im Kulturausschuss und in den anderen zuständigen Ausschüssen besucht. Die Deutsche Welle ist auch in den Haushalten des Auswärtigen Amtes und des BMZ abgebildet. Also, lieber Herr Limbourg, Ihnen und allen Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern herzlichen Dank und weiterhin viel Erfolg bei Ihrer nicht ganz einfachen Aufgabe. ({0}) Die letzte Aufgabenplanung vom Jahr 2018 hatte sich vorgenommen, dass wir im Jahr 2021 bei 210 Millionen wöchentliche Nutzerkontakte stehen wollten. Geworden sind es 289 Millionen, also deutlich mehr. Die Reichweite wurde erheblich gesteigert, und zwar sowohl im Internet als auch im klassischen TV- und Hörfunkbereich. Jetzt ist das Ziel 400 Millionen wöchentliche Nutzerkontakte, also noch mal 100 Millionen mehr. Ich bin ziemlich sicher, dass das mit dem, was in der Aufgabenplanung niedergelegt ist, gelingen kann; vor allen Dingen dann, wenn einer der Schwerpunkte der letzten Aufgabenplanung, nämlich der Umbau zu einem digitalen Medienunternehmen, der erfolgreich begonnen wurde, weiter fortgeführt wird und wenn die Deutsche Welle vor allen Dingen weiterhin das tut – Kollege Grundl hat es ebenfalls schon angesprochen –, wofür sie bekannt ist, nämlich ihre Sprachenvielfalt weiterhin zu hüten und zu fördern. Das gilt natürlich für die deutsche Sprache, aber auch für das Englische, die Lingua franca unserer Zeit, die viele Millionen Menschen sprechen. Deswegen war es richtig und wichtig, dass die Deutsche Welle im Englischen Breaking-News-fähig geworden ist und somit ihren Wettbewerbern, insbesondere der BBC, gleichberechtigt gegenübertritt. ({1}) Aber es geht natürlich auch um die vielen Regionalsprachen, beispielsweise in Afrika. Es geht auch um die Schwerpunktsetzungen, die in den letzten Jahren getroffen worden sind, die sich insbesondere in dem Teil der Aufgabenplanung finden, wo es ums Geld geht. Erst mal das Positive: Wir haben es in der letzten Legislaturperiode geschafft, dass der Haushalt der Deutschen Welle jedes Jahr um 15 Millionen Euro aufgewachsen ist. Das ist in Summe immer noch viel weniger als die allermeisten Wettbewerber zur Verfügung haben; aber es ist gut angelegtes Geld. Insbesondere geht es um das Thema Russland und Belarus, also um die russische Sprache, aber beispielsweise auch um das türkischsprachige Programm sowie um Polen und Ungarn mit einem Schwerpunkt auf Rechtsstaatlichkeit. Da ist schon viel erreicht, und da haben Sie sich noch viel vorgenommen, von dem es gut wäre, wenn das klappen könnte, vor allem, wenn es uns gelingt, dass wir weitere Mittelaufwüchse hier in diesem Parlament hinbekommen. Ein letzter Punkt, den ich noch ansprechen will, ist das Thema Akademie. Ich hatte das BMZ schon angesprochen. Die DW Akademie ist auch ein sehr wichtiger Teil der Deutschen Welle. Sie hat sich – jetzt muss ich doch noch mal auf meinen Zettel schauen – ein wunderschönes Motto gegeben, das da lautet: „Freie Medien. Freie Meinung. Freie Menschen.“ Genau in diesem Sinne arbeitet sie beispielsweise mit Deutschkursen, aber auch mit Workshops aller Art und mit Medienkompetenzentwicklung, und zwar gemeinsam mit Journalistinnen und Journalisten, die es in ihren Ländern schwer haben. Auch dieser Punkt ist segensreich und sollte unbedingt fortgesetzt werden. Wir werden Sie parlamentarisch weiter begleiten, –

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie jetzt aber bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Marco Wanderwitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– auch kritisch, wo es sein muss, aber vor allen Dingen konstruktiv. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als Nächstes erhält das Wort für die SPD-Fraktion der Kollege Helge Lindh. ({0})

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Minuten läuft auf Rossija Odin – also auf einem der russischen Staatssender – ein Beitrag, in dem die Botschaft vermittelt wird, dass Deutschland den Willen bekundet hätte, 88 Panzer an die Ukraine zu schicken, und damit ganz klar der Weg zum Neonationalsozialismus beschritten würde, weil, abgeleitet aus der Numerologie, die 88 ein Verweis wäre auf Adolf Hitler, auf das 8. Kapitel und auf einen Absatz mit 88 Wörtern in „Mein Kampf“. Das läuft gerade im russischen Staatsfernsehen. Wenn der Wahnsinn zur normalen Lesart wird, dann brauchen wir umso mehr die Stimme der Vernunft, den Text der Vernunft und die Sprache der Vernunft. Und diese Stimme, diese Sprache, dieser Text der Vernunft ist die Deutsche Welle. Diese Stimme der Vernunft sitzt auch oben auf der Tribüne, und zwar in Form einer Delegation unter Leitung von Peter Limbourg. Danke Ihnen allen, dass Sie die Stimme der Vernunft sind. Wir brauchen Sie dringender denn je! ({0}) Oft ist es ja so, dass man etwas, das selbstverständlich ist, nicht zu wertschätzen weiß, und erst, wenn es gefährdet ist, wenn es angegriffen wird, wenn wir den Gegensatz sehen, erkennen wir den Wert. Wir haben den Wert der Deutschen Welle schon lange erkannt, aber jetzt ist er uns umso bewusster geworden. Und spätestens in dem Moment, in dem durch die Verbote in Russland, durch Sanktionen, durch radikale Zensurmaßnahmen die Deutsche Welle und ihre Verkündung der vielfältigen nüchternen, journalistisch geprägten Wahrheit angegriffen wurden, die Deutsche Welle aber Wege gefunden hat, sich diesem Angriff nicht einfach zu beugen, da wurde uns auch klar, was wir an ihr haben. Es gibt von Petrarca – wir führen heute eine Kulturdebatte, deshalb machen wir auch noch lateinisches Programm – die wunderbare Arbeit „De remediis utriusque fortunae“ – „Über Heilmittel gegen beide Arten des Glücks“, also Glück und Unglück. Und als solches werte ich auch ein Medium wie die Deutsche Welle. Sie ist ein Heilmittel gegen das vermeintliche Glück der Diktatur mit einfachen Wahrheiten, mit klarer propagandistischer Linie, und sie ist zugleich auch ein Heilmittel gegen das vermeintliche Unglück der Demokratie mit Kompromissen, mit Vielfalt von Meinungen, mit dem mühsamen Diskutieren, das wir auch hier im Parlament erleben. Genau so ein solches Heilmittel ist die Deutsche Welle, und wir brauchen solche Heilmittel mehr denn je. Die Deutsche Welle ist auch so etwas wie eine genuine Waffe der wehrhaften Demokratie gegen eine systematische Politik der Desinformation. Wir unterschätzen hybride Kriegsführung, und wir unterschätzen oft auch die systematisch betriebenen Formen der Verunsicherung, der Desinformation, die jeden Tag unser Land erreichen – nicht nur im Krieg, sondern schon lange vorher. Deshalb ist es, so glaube ich, richtig, festzuhalten, dass die Deutsche Welle die Antithese ist zu Sputnik, zu Russia Today oder zu Rossija Odin. Wir brauchen diese Antithese. Das verdient übrigens auch Applaus. ({1}) Gleichzeitig erwähnen wir bei der Aufgabenbeschreibung vom Auslandssender – aber letztlich ist es ein globales Medienunternehmen – Deutsche Welle immer die Vermittlung deutscher Werte, die Vermittlung deutscher Kultur, die Vermittlung deutscher Demokratie. Das Besondere ist aber – und das müssen wir uns jedes Mal deutlich machen –, dass in den vergangenen Jahrhunderten oft das Prinzip lautete, dass am deutschen Wesen die Welt genesen sollte, und dass das deutsche Auftreten ein solches der Arroganz war. Jetzt aber wird die Deutsche Welle anders wahrgenommen, und das bestätigen mir zahlreiche Menschen: ukrainischsprachige, russischsprachige, in Russland, Belarus, Ukraine, aber auch in Europa, in Deutschland. Jetzt wird diese Form der Kulturmittlung als eine solche der Pluralität, Diversität und der Demokratie verstanden. Und das ist etwas, worauf wir stolz sein können – denke ich. ({2}) So ist im Übrigen auch das schnell aufgebaute Videoformat auf Youtube „DW Russian“ extrem erfolgreich; man könnte sagen: ein Kracher. Die Aufrufzahlen sind immens. Es funktioniert ausgezeichnet. Und weil das so ist, ist es unsere Aufgabe als Parlamentarierinnen und Parlamentarier, unsere Wertschätzung nicht nur in netten Wortbeiträgen oder in ordentlichen Anträgen, sondern letztlich auch mit Geld auszudrücken. Deshalb wird im Ergänzungshaushalt auch die Unterstützung der Deutschen Welle enthalten sein. Sie ist notwendig gerade für die Bereiche russisch- und ukrainischsprachige Beiträge, Social Media und Stärkung der Redaktion. Aber wir brauchen auch – dieses Commitment müssen wir alle miteinander eingehen, denke ich; einige werden es nicht wollen, aber die können wir in dem Zusammenhang ignorieren – eine strukturelle, kontinuierliche Steigerung der Budgets für die Deutsche Welle. Nur so ist sie konkurrenzfähig, und nur so können wir auch mit BBC World und den anderen Stimmen der Freiheit und der Demokratie mithalten. ({3}) Die Deutsche Welle ist natürlich Teil der Gesellschaft. Das Thema „Antisemitismus in der Redaktion“ wurde angesprochen. Das Entscheidende ist aber der Moment danach. Gefragt ist jetzt – da sind wir gewiss anstrengend und fordernd, aber dann auch fördernd – Konfliktmanagement und neben dem alleinigen Aspekt Antisemitismus der Umgang mit Diversität; das ist keine triviale Aufgabe. Eine partizipative Unternehmenskultur bedeutet auch gutes Konfliktmanagement, Diversitätsmanagement. Das ist Teil der Aufgabenplanung und muss es auch sein. Wir werden das begleiten, betrachten, aber auch unterstützen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen Freiheit und Demokratie in der Information. Wir wollen vor allem eines, und das ist ja das kluge Motto der Deutschen Welle: freie Information für freie Entscheidung. Wir wollen nicht Sender und Medien, –

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– die Menschen vorschreiben, was sie zu denken haben, sondern wir wollen mündige Bürgerinnen und Bürger. Das gelingt der Deutschen Welle ziemlich gut, wie Bergische sagen würden, zumindest nicht schlecht. Dafür danke ich Ihnen. Wir haben unsere Arbeit zu tun, und wir werden sie tun. Vielen Dank. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Das Wort erhält für die AfD-Fraktion Martin Renner. ({0})

Martin Erwin Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004862, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Hochverehrtes Präsidium! Wir sprechen hier über die Aufgabenplanung der Deutschen Welle für die kommenden Jahre bis 2025. Direkt vorab: Die Deutsche Welle arbeitet erfolgreich – das kann und darf man anerkennen –, wenn man mal absieht von den antisemitischen Abirrungen, die auch vorkommen. Ich bezweifle nicht, dass sie auch zukünftig ihre Ziele erreichen wird. Meine Vorredner haben das schon in den schönsten Farben ausgemalt. Als Vertreter der inhaltlich einzigen Opposition in diesem Hause ist das jedoch nicht meine Aufgabe. Meine Aufgabe ist es, meiner demokratischen und parlamentarischen Kontrollfunktion nachzukommen, den Finger in die Wunde zu legen, wo es notwendig ist, und gerade auch, weil Ihnen das nicht passt. Die Deutsche Welle überdehnt ihren Auftrag. Sie wendet sich – das ist ein wörtliches Zitat – „in allen Zielregionen und über alle Medien hinweg … in erster Linie an … Akteure der politischen Meinungsbildung“, also an die Multiplikatoren. Diese Zielgruppen, also die Multiplikatoren, werden nicht adressiert, um dort unsere deutschen und europäischen Werte darzulegen und zu beschreiben, wie es dem gesetzlichen Auftrag entspräche, sondern um dort außenpolitischen Einfluss zu nehmen, um dort die jeweilige Zivilgesellschaft in ihren Einstellungen zu verändern, um Agitation und Propaganda, ({0}) um Agitprop – nett ausgedrückt –, ({1}) um dort zu missionieren, oder, wenn wir es weniger nett ausdrücken wollen, um dort eine gewünschte politische Gesinnung und globalistische Ideologie herbeizuführen. ({2}) Doch hallo! Just in dieser Woche haben wir in verschiedenen Ausschüssen des Hohen Hauses ein Dokument der EU behandelt. Behandelt? – Nein. Wie das so üblich ist, haben wir es ohne Aussprache zur Kenntnis nehmen dürfen, nämlich die Entschließung des EU-Parlaments mit dem Titel „Einflussnahme aus dem Ausland auf alle demokratischen Prozesse in der Europäischen Union, einschließlich Desinformation“. Ich zitiere aus dieser Entschließung nur den ersten Erwägungspunkt: „in der Erwägung, dass Einflussnahme aus dem Ausland einen schweren Verstoß gegen die universellen Werte und Grundsätze darstellt, auf denen die Union beruht“. Jetzt frage ich alle Anwesenden ganz direkt: Betreibt die Deutsche Welle nicht genau das, nämlich die Einflussnahme im Ausland? ({3}) Schämen Sie sich nicht für diesen Ihren blanken Hochmut, anderen Nationen und Völkern mit eigener Identität die von Ihnen selbstherrlich und hypermoralisch als universell bezeichneten Werte aufdrängen zu wollen, umgekehrt aber jede Einflussnahme von außen als Desinformation regelrecht zu kriminalisieren und im Bedarfsfalle zu zensieren? Fällt Ihnen dieser unerträgliche Doppelstandard, diese Heuchelei nicht selbst auf? ({4}) Heuchelei, meine Damen und Herren insbesondere von der Unionsfraktion, ist im Christentum eine Sünde, und Superbia – der Hochmut, die Hoffart – ist die erste im Kanon der Todsünden. Sie ist die Königin aller Todsünden. Ja, das Generieren von Aufmerksamkeit und Wohlwollen für unsere deutschen und europäischen, auch für die christlich-abendländischen Werte ist unser aller Interesse. Das kann aber nicht nach dem Motto funktionieren: Ich mache das, was ich machen will, und du darfst nicht das machen, was du machen willst, weil du im Unrecht bist. ({5}) Die Deutsche Welle agiert nämlich so. Wir von der Alternative für Deutschland bestehen auf der strikten Einhaltung des Deutschen-Welle-Gesetzes, ({6}) nicht weniger, aber auch nicht mehr. Und ganz sicher wollen wir nicht, dass die Deutsche Welle zu einer ökosozialistischen, globalistischen Kampfmaschine wird und von der hier bereits sehr fest etablierten Korporatokratie missbraucht und entwertet wird. Ich danke Ihnen. Meinen Frieden gebe ich euch. ({7})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Das Wort erhält für die FDP-Fraktion der Kollege Thomas Hacker. ({0})

Thomas Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004734, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Peter Limbourg, danke, dass Sie mit Ihren Kolleginnen und Kollegen heute an unserer Debatte teilnehmen. Wir wissen um die aktuellen Herausforderungen für die Deutsche Welle in so vielen Regionen der Welt, besonders in Russland. Bitte richten Sie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unseren Dank für ihren Einsatz für Presse- und Meinungsfreiheit als Stimme Deutschlands in der Welt aus. Herzlichen Dank! ({0}) Wir leben in Zeiten großer Umbrüche, von Desinformationskriegen und fundamentalen Bewährungsproben für die Demokratiebewegungen. In diesem Umfeld ist ein leistungsfähiger deutscher Auslandssender mit einem unerschütterlichen Freiheits- und Werteverständnis unverzichtbar. Die staatliche Unabhängigkeit der Redaktion und die hohen journalistischen Standards sind das Fundament für das Renommee und die Glaubwürdigkeit der Deutschen Welle. Als Ampel haben wir uns in unserem Koalitionsvertrag klar zur Deutschen Welle und zu einem Ausbau der Deutschen Welle Akademie bekannt. Der Ukrainekrieg im Social-Media-Zeitalter mit all seiner medialen Dynamik lehrt uns, dass wir im Krieg der Narrative nur bestehen, wenn wir gerade die Deutsche Welle für die strategischen und digitalen Herausforderungen wappnen. Die traurige Realität dieses Jahres zeigt doch, dass die Deutsche Welle eine dauerhafte Perspektive des Reifens und des Wachstums braucht. Demokratische Werte lassen sich im kulturellen Dialog nur vermitteln, wenn sie gegen Deep-Fake-Videos und Bot-Armeen bestehen können; sonst könnten wir gleich kapitulieren. ({1}) Der Wandel der Mediennutzung von der Satellitenschüssel zum Smartphone ist dabei Fluch und Segen. So einfach Desinformationen heute einen menschlichen Nährboden finden, finden Menschen im digitalen Raum aber auch eine Alternative, um sich frei und unabhängig zu informieren. Über Messenger-Dienste lassen sich die schlimmsten Kremllügen verbreiten, aber auch überzeugende journalistische Beiträge leidenschaftlicher Deutsche-Welle-Reporter vor Ort. Gerade in den von Krisen und religiösen oder ethnischen Konflikten bestimmten Regionen braucht es weitere Perspektiven. In diesen Regionen ist die Bevölkerung überdurchschnittlich jung und kommuniziert täglich mit ihrem Umfeld. Diese Realität bestimmt, was die Deutsche Welle mit ihrem Angebot leisten muss. Die Menschen sind auf der Suche nach verlässlichen Quellen, nach zielgruppengerechten und auch regionalisierten Inhalten. Die Deutsche Welle hat in den vergangenen Jahren bereits begonnen, ihr digitales Know-how kontinuierlich zu erweitern. Derzeit – wir haben es gehört – nutzen weltweit rund 289 Millionen Menschen wöchentlich die Angebote der Deutschen Welle. Wir wollen unseren Auslandssender dazu befähigen, dass es 2025 bereits 400 Millionen Menschen sein können. Dieses Ziel werden wir mit einer Fokussierung auf Broadcasting allein nicht erreichen. Damit die Menschen weltweit auch zielsicher zwischen Information und Desinformationen unterscheiden können, Herr Renner, braucht es mehr Medienkompetenz und Resilienz. ({2}) Hier leistet die Deutsche Welle Akademie neben der Ausbildung von journalistischer Expertise vor Ort eine hervorragende Arbeit. Mit ihren edukativen Angeboten ermöglicht sie nicht erst seit der Coronapandemie einen nachhaltigen und unverzichtbaren Beitrag zu selbstbestimmter gesellschaftlicher Teilhabe. Die Aufgabenplanung für 2022 bis 2025 ist eine stringente Fortsetzung des eingeschlagenen Weges unter Berücksichtigung der globalen Realitäten und Herausforderungen. Die Repriorisierung auf Schwerpunktregionen und der Aufbau neuer Standorte folgen klaren strategischen Kriterien. Dass Länder wie Russland, China oder Syrien auf der Prioritätenliste stehen und Sendeverbote in autokratischen Systemen Strukturveränderungen erfordern, ist eine logische Konsequenz. Konsequent ist dabei auch, dass für eine Steigerung regionaler Kompetenz und Präsenz zusätzliche qualifizierte Ortskräfte gewonnen werden müssen. Dabei müssen wir berücksichtigen, dass sich die Deutsche Welle in einer fortlaufend verändernden Wettbewerbssituation befindet. Journalistische Qualität und Relevanz brauchen daher auch finanzielles Entwicklungspotenzial. Die Deutsche Welle zeigt eine Alternative zu gelenkter Demokratie, zu Zensur und Repression auf. Sie vermittelt den Menschen einen alternativen Blick zu autoritären und totalitären Herrschaftsmodellen. Daher steht die Deutsche Welle auch vor besonderen Herausforderungen, kreative und technische Möglichkeiten zu finden, um ihre Zielgruppen zu erreichen. Die Zielgruppen der Deutschen Welle in der digital vernetzten Welt verändern sich, nationale Grenzen verschwimmen immer mehr. Daher sollten wir darüber nachdenken, ob die Deutsche Welle nicht auch hierzulande daran mitarbeiten kann, für europäische, demokratische Werte bei all jenen zu werben, die bei uns leben, aber unsere Sprache noch nicht sprechen. Eines möchte ich zum Abschluss betonen: Die Deutsche Welle betreibt keinen Kulturimperialismus. ({3}) Sie wirbt für unsere europäischen Werte, für Demokratie, für Rechtsstaatlichkeit, für Freiheit und Vielfalt. Vielen Dank. ({4})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als Nächstes erhält das Wort für Die Linke Dr. Petra Sitte. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden heute über die Unterrichtung durch die Deutsche Welle. Darin enthalten ist selbstverständlich die Aufgabenplanung. Diese wiederum musste durch die jüngsten Ereignisse von den engagierten Kolleginnen und Kollegen der Deutschen Welle wieder neu bestimmt werden; es musste reagiert werden. Das war in den letzten Wochen wirklich eine Riesenherausforderung. Auch von meiner Seite herzlichen Dank! Putins Krieg in der Ukraine und das Ausschalten unabhängiger Medien in Russland führen uns vor Augen, welche Gefahr Diktatoren, Autokraten, Kriegstreiber für unabhängigen Journalismus darstellen. Es ist unsere Verantwortung, uns für die überall mehr und mehr unter Druck geratene Pressefreiheit einzusetzen, und zwar überall, nicht nur vor der eigenen Haustür. Die Deutsche Welle spielt dabei mit ihrem Auftrag eine wichtige Rolle. Sie verdient unsere Unterstützung, sie verdient verlässliche Finanzierung. ({0}) Allerdings erfordert die staatliche Finanzierung der Deutschen Welle sehr viel Sensibilität von uns. Wenn also die Außenministerin bezüglich der Zulassung von RT Deutsch sagt, dass man in Deutschland keinen staatlichen Rundfunk will, dann müssen wir wirklich darauf achten, dass auch die Staatsferne der Deutschen Welle gesichert wird. ({1}) Wenigstens für die Unabhängigkeit ihrer Aufsichtsgremien sollten die gleichen Maßstäbe gelten, wie sie das Bundesverfassungsgericht für die Öffentlich-Rechtlichen bereits formuliert hat. Warum sage ich das? Würde die Deutsche Welle tatsächlich, wie von Ihnen hier behauptet, als Instrument von Regierungspolitik gelesen, dann würde das ihrer Glaubwürdigkeit natürlich erheblich schaden. Vor diesem Hintergrund habe ich gestutzt, als ich im Bericht gelesen habe, dass jetzt nicht mehr von politischer Bedeutung, sondern von geopolitischer Bedeutung gesprochen wird. Wir werden natürlich darüber zu reden haben, was das konkret bedeutet, zumal in der Unterrichtung die geopolitische Bedeutung auch mit strategischen Entscheidungen der Deutschen Welle verbunden wurde. Das mögen Nuancen sein, woran ich allerdings nicht glaube; aber sie weisen unter Umständen – deshalb sage ich: wir müssen sensibel sein – in eine Richtung, die von dem Auftrag eigentlich nicht gedeckt ist. Zu den Antisemitismusvorfällen ist vorhin etwas gesagt worden. Ich denke, dass das, was die Deutsche Welle im Ausschuss vorgelegt hat, in der Tat für eine erfolgreiche Aufarbeitung sorgen kann; der bisherige Weg ist erfolgversprechend. Bezüglich der strukturellen Probleme, die im Ausschuss bzw. im Bericht erwähnt wurden, dürfte für die Deutsche Welle eine Aufgabe darin bestehen, die Arbeitsbedingungen – wie sie es auch angekündigt hat – weiterhin sensibel zu begleiten bzw. zu verbessern und auch die personelle Mitbestimmung noch stärker in den Fokus zu nehmen. Besten Dank. ({2})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als nächsten Redner begrüßen wir hier vorne Michael Frieser von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Limbourg hat heute schon sehr viel Dank eingeheimst; ich möchte mich dem gleich am Anfang anschließen. Uns ging es bei den aufgetauchten Vorwürfen vor allem darum, auf die klare Haltung hinzuweisen: Antisemitismus darf keine Chance haben. – Dass an dieser Haltung kein Zweifel aufgekommen ist, dafür gilt es Dank zu sagen. Jede Einrichtung auf der Welt, ob ein Rundfunksender, eine Sendeanstalt oder ein Unternehmen, die mit Aberhunderten Menschen aus unterschiedlichen Nationen, Religionen zusammenarbeitet, wird tagtäglich auf Spannungen treffen. Insofern geht es immer um die Frage – da sind wir beim Thema –: Was sind denn eigentlich unsere Werte, die wir zu vermitteln gedenken? Frau Kollegin Sitte, wie sollen sie denn sonst sein als geopolitisch? Wenn wir im Ausland über die Entwicklungen in dieser Welt und unsere Haltung dazu berichten, nimmt man selbstverständlich Einfluss. Es ist der Deutschen Welle überhaupt nicht verboten, auf öffentliche Meinung – aber eben objektiv – Einfluss zu nehmen. Gerade das wollen wir ja; ansonsten bräuchten wir keinen Sender. Es geht nicht nur um die Vermittlung von deutschen Werten und deutscher Lebensart, sondern gerade auch um eine Stellungnahme und darum, eine Haltung deutlich zu machen. Insofern – das ist klar; Herr Lindh, ich höre die Botschaft sehr wohl – bedeutet das aber auch eine Verstetigung des Ansatzes und einen Zuwachs der Mittel. Das sollte am besten im Kernhaushalt verankert werden – da gehört es hin – und nicht im Nachtragshaushalt Schrägstrich drei, vier, x. Wir werden uns darüber sicherlich noch zu unterhalten haben. ({0}) Die Effizienzsteigerung im digitalen Bereich, die uns angezeigt wird, bedeutet natürlich, dass der Wechsel vom linearen Content zum „Content on Demand“ die Herausforderung der Zeit ist. Ich möchte gar nicht wissen, wie der Altersdurchschnitt der Nutzerinnen und Nutzer der Deutschen Welle ist, die noch linear auf eine bestimmte Sendung warten. Der Normalfall ist eben, dass man dann etwas abruft, wenn einem danach ist. Das gehört zur Entwicklung unserer Zeit. Insofern sollten mehr junge Menschen einbezogen werden bei den Fragen: Wie ist denn eigentlich der Status? Was haben Sie bei der Deutschen Welle bereits unternommen? Was hält die Zukunft für uns bereit, und welche Wirkungsweise muss es haben? – Diese Art von experimentellem Feld muss man, glaube ich, auch bei schmalem Geldbeutel in Zukunft im Fokus haben. Letztendlich geht es, glaube ich, mittlerweile auch darum, dass der Auftrag der Deutschen Welle im Ausland eine sehr starke Komponente nach innen hat. Wenn man das Programm der Deutschen Welle tatsächlich „On Demand“ empfangen kann, dann kann man das eben auch in Deutschland. Wir reden in diesem Zusammenhang über ganze Bevölkerungsgruppen. Lassen Sie uns nur das Beispiel der Russlanddeutschen nehmen. Es gibt ganze Bevölkerungsteile, die in Deutschland bisher in der Tat nur ihre staatlich beauftragten, diktatorisch potentatartigen Sender gesehen und konsumiert haben. Wir können darauf hoffen, dass der Deutschen Welle mit ihren Inhalten auch mittels fremder Sprache ein Zugang zu diesen gesellschaftlichen Gruppen gelingt und sie sogar diese Bevölkerungsgruppen erreicht. Insofern lassen Sie uns nicht nur sagen: „Wir nehmen diese Unterrichtung zur Kenntnis und stimmen ihr zu“, sondern wir müssen uns als Abgeordnete auch selbst fragen: Machen wir das, was gebraucht wird? Machen wir das, was wir tun können? Dabei geht es zum einen um die Verstetigung der Mittel im Haushalt, zum anderen aber auch darum, sich aus der Frage der Inhalte herauszuhalten; denn auch hier gilt die absolute Ungebundenheit der Medien. Die entscheidende Frage lautet aber: Können wir die Deutsche Welle durch die Zurverfügungstellung unserer Kontakte unterstützen, vor allem im Ausland? Wir sollten nicht nur für sie werben, sondern auch Verbindungen herstellen. Ich glaube – das zeigt zumindest das Feedback, das uns erreicht –, dass das, was die Deutsche Welle wirklich machen muss, nämlich ein Bild der Deutschen in der Welt zu vermitteln, mit ihrem Selbstverständnis, mit ihrem Verständnis von Aufgabe und Wirkungsweise zu erreichen ist. Und dafür sage ich noch einmal herzlichen Dank! ({1})

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 2 Millionen Haushalte konnten sich in diesem Winter das Heizen nicht mehr leisten; sie mussten frieren. Die Energiepreise sind heute 40 Prozent höher als vor einem Jahr, und da sind die kommenden Steigerungen durch Spekulationen und durch Krieg noch überhaupt nicht mit eingerechnet. Das ist ohnehin schon eine tickende Zeitbombe, und dann kommt der staatlich verordnete steigende CO2-Preis noch obendrauf. Das ist ja wohl völlig absurd. ({0}) Das heißt: im laufenden Jahr 130 Euro mehr für Gas, 190 Euro mehr für Heizöl. Und in Zukunft wird es noch teurer. Das ist für Familien mit kleinem Einkommen einfach nicht zu stemmen. Es ist unsozial und es ist sinnlos, sie zusätzlich zu belasten. ({1}) Derzeit ist es so, dass Mieterinnen und Mieter den CO2-Preis alleine zahlen. So wollte es die GroKo in der letzten Legislatur. SPD und Grüne haben dann im Wahlprogramm die Übernahme des CO2-Preises durch die Vermietenden gefordert. Das fordern wir als Linke heute auch in unserem Antrag. ({2}) Und im Ampelkoalitionsvertrag wurde festgehalten: Der CO2-Preis soll zum 1. Juni hälftig aufgeteilt werden. Nichts von dem ist gekommen. Nun kommt ein Stufenmodell erst ab nächstem Jahr. Das bedeutet in der Praxis, dass die allermeisten Haushalte – Mieterhaushalte – mehr als die Hälfte des CO2-Preises zahlen werden. Es ist ein Modell zulasten der Mieterinnen und Mieter. Das ist nicht zu akzeptieren. ({3}) Der Deutsche Mieterbund kritisiert zudem, dass – Zitat – „Mieterinnen und Mieter zukünftig weiterhin pauschal und unabhängig“ von ihrem individuellen Verhalten am CO2-Preis beteiligt werden. Die ohnehin fragwürdige Lenkungswirkung wird durch dieses Gesetz also grandios verfehlt. Meine Damen und Herren, der Berliner Mieterverein urteilt: Das Stufenmodell „ist unfair und belastet überwiegend Mieterinnen und Mieter“. Dem kann ich mich nur anschließen. Für uns als Linke ist klar: Der CO2-Preis darf nicht den Mieterinnen und Mietern aufgebürdet werden. Vielen Dank. ({4})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für die SPD-Fraktion erhält jetzt das Wort der Kollege Bernhard Daldrup. ({0})

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal hat Caren Lay mit ihrer Feststellung zu den Kostensteigerungen für Mieterinnen und Mieter natürlich recht. Ich will aber an dieser Stelle sofort darauf hinweisen, dass die CO2-Komponente beim Wohngeld Berücksichtigung gefunden hat. Wir haben im Übrigen auch gerade den Heizkostenzuschuss beim Wohngeld beschlossen. Wir müssen noch über eine Klimakomponente reden. Die haben wir selbstverständlich im Koalitionsvertrag. Das heißt mit anderen Worten: Wir werden uns dieser Herausforderung stellen. Das ist das eine. Dessen ungeachtet ist die Frage, ob wir uns in Anbetracht der Klimaziele mit der CO2-Bepreisung auseinandersetzen sollten, berechtigt. Ich glaube, viele Bürgerinnen und Bürger blicken bei den vielen Maßnahmen zum Klimaschutz nicht mehr durch und können die Wirkungen im Einzelnen nicht mehr so ganz nachvollziehen. Vom CO2-Preis sind Mieterinnen und Mieter betroffen, alle anderen natürlich auch. Wir wollen mit dem CO2-Preis Veränderungen bewirken, Veränderungen unserer Lebensbedingungen, unserer Verhaltensweisen, aber mit Blick auf Investitionen und Modernisierungen, die notwendig sind. Immerhin sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch 70 Prozent aller Ölheizungen und 60 Prozent der Gasheizungen älter als 20 Jahre, und nur 15 Prozent des jährlichen Wärmebedarfs wird durch erneuerbare Energien gedeckt. Diese Entwicklung müssen wir ändern. Deswegen gibt es seit dem 1. Januar 2020 den CO2-Preis. Er betrifft alle Mieterinnen und Mieter; das ist eben gesagt worden. Aktuell sind es 30 Euro pro Tonne. Ich kann mich daran erinnern, dass der Preis vielen gar nicht hoch genug sein konnte. Nicht wahr? – Herr Luczak wird das bestätigen; viele wollten deutlich mehr. – Diese 30 Euro – das ist richtig beschrieben worden – müssen zu 100 Prozent von den Mieterinnen und Mietern bezahlt werden. Warum? Ja, die Große Koalition hat das beschlossen, aber im Kern, weil die CDU/CSU das so wollte. Man muss es klar und deutlich in Erinnerung rufen: weil die Union das so wollte, weil sie auch den 50 : 50-Kompromiss abgelehnt hat, dem sogar ihre Kanzlerin zugestimmt hatte. Das war damals die Situation. Sie hat es erst verhindert und dann auch noch einen höheren Preis vorgeschlagen. ({0}) – Doch, das ist zutreffend, Herr Luczak. Ich war nämlich dabei. ({1}) Ich weiß das ganz genau. Was ich sage, stimmt. Da können Sie sich drauf verlassen. – Und weil dieses System ungerecht ist, haben wir das im Koalitionsvertrag verändert. Die Linke weiß natürlich genau, was gerecht ist. Während die CDU/CSU die Belastung bei den Mieterinnen und Mietern haben will, weiß die Linke genau: Alles muss beim Vermieter landen. – Das Problem ist, dass die Welt ein bisschen vielfältiger, ein bisschen bunter ist, wenn ich das mal so sagen darf, und dass hier eine eigene Problematik besteht, was die Mieterinnen und Mieter, aber auch die Vermieter angeht. Deswegen sprechen wir vom Vermieter-Mieter-Dilemma. Die Ampel hat sich hier auf ein, wie wir glauben, faires Stufenmodell verständigt, das im Moment noch nur eine Verständigung auf der Regierungsebene ist und uns noch nicht erreicht hat. Wir werden schon noch darüber diskutieren, wenn wir so weit sind. Vorgesehen sind dabei zehn verschiedene Einstufungen der Energiebilanz von Wohngebäuden. Im Kern ist es schlicht und ergreifend so, dass dort, wo die schlechteste Bilanz vorhanden ist, 90 Prozent der Vermieter und 10 Prozent der Mieter übernehmen muss, während umgekehrt, sozusagen bei einem Top-Gebäude, der Vermieter freigestellt wird. Das ist ein Modell, das mir noch nicht so ganz gefällt, wenn ich das so offen sagen darf, und über das wir noch werden sprechen müssen. Aber ich glaube, dass die Idee grundsätzlich richtig ist. Sich im Nichtwohnbereich auf eine Fifty-fifty-Beteiligung, also auf eine hälftige Beteiligung, zu konzentrieren, halte ich auch für richtig. Ich will noch darauf aufmerksam machen, dass perspektivisch geprüft werden soll, ob die Daten in die Energieausweise integriert werden können. Kritische Stimmen auch aus der Wohnungswirtschaft verweisen darauf, dass der individuelle Energieverbrauch in diesem Modell nicht hinreichend berücksichtigt wird. ({2}) – Ja, ich bin gerne bereit, darüber zu diskutieren. – Wir wollen jedenfalls ein bürokratiearmes Modell schaffen, das eine entsprechende Anreizwirkung hat, das das Verbraucherverhalten von Mieterinnen und Mietern und das Investitionsverhalten von Vermietern verändert. Diese Belastungen sind in der Summe berechtigt. Ich habe darauf aufmerksam gemacht, wie wir sie aufgefangen haben bzw. wie wir sie auffangen. Wir werden sie mit diesem Modell gerecht verteilen. Ich freue mich auf eine spannende Diskussion. Herzlichen Dank. ({3})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Es folgt der Kollege Dr. Jan-Marco Luczak für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich wusste gar nicht, dass Sie so groß sind, Herr Daldrup, dass ich das Rednerpult so lange herunterfahren muss. – So. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich will vielleicht mit einer sehr grundlegenden Frage, die wir uns aber stellen sollten, anfangen: Warum gibt es eigentlich einen CO2-Preis? Weil CO2 schädlich ist für das Klima. Es verursacht Kosten, die wir heute nicht unmittelbar spüren; aber nachfolgende Generationen, unsere Kinder und Enkelkinder, die müssen diese Kosten tragen. Deswegen gibt es diesen CO2-Preis. Das ist, Frau Lay, ganz anders, als Sie das sagen, nicht absurd, sondern es ist eine Notwendigkeit, dass diejenigen, die heute Kosten verursachen – auch wenn wir diese Kosten noch nicht spüren –, diese Kosten am Ende auch tragen. Nur so können wir die Lenkungswirkung erreichen, die wir brauchen, um unsere Klimaziele zu erreichen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, aus der sich keiner herausstehlen kann, Vermieter und Vermieterinnen nicht, aber auch Mieterinnen und Mieter nicht. ({0}) Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Wer ist denn jetzt der Verursacher der Kosten, wenn ein Mietverhältnis vorliegt? Da gibt es natürlich zwei Parteien: die Vermieter und die Mieter. Beide haben Einfluss darauf. Das hat Herr Daldrup richtig gesagt: Natürlich kommt es auf den Gebäudezustand an, kommt es darauf an, was der Eigentümer investiert hat, in welchen energetischen Zustand er sein Gebäude versetzt hat. Aber es kommt natürlich auch auf die Nutzerinnen und Nutzer an, auf die Mieter, wie sie mit ihrer Wohnung umgehen, wie sie sich verhalten. Deswegen finde ich das, was Sie jetzt hier vorschlagen, nämlich die Mieterinnen und Mieter völlig aus der Verantwortung zu entlassen, weder fair noch gerecht. Das wird der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung, die auch Mieterinnen und Mieter haben, nicht gerecht. Bei dem, was Sie vorschlagen, ist es am Ende völlig egal, wie sich die Mieterinnen und Mieter verhalten, ob sie bei offenem Fenster die Heizung auf fünf stellen, volle Pulle, ob sie jeden Tag eine halbe Stunde lang warm duschen. Auf all das hat der Vermieter aber überhaupt keinen Einfluss.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Erlauben Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Lay?

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, selbstverständlich; immer gern.

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Verehrter Herr Kollege Luczak, erst einmal vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich muss allerdings sagen: Das Bild, das Sie hier zeichnen, dass Mieterinnen und Mieter bei offenem Fenster volle Pulle heizen, das ist wirklich absurd. Das kann ich an dieser Stelle nicht stehen lassen. Aber zu meiner Frage. Sie haben hier von einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung, die auch Mieterinnen und Mieter tragen würden, gesprochen. Aber stimmen Sie mir zu, dass durch das, was Sie durchgesetzt haben – auch Sie ganz persönlich in der letzten Legislaturperiode –, diese gesamtgesellschaftliche Verantwortung alleine den Mieterinnen und Mietern aufgebürdet wird? Das ist der Zustand, den wir jetzt haben. Müssen nicht auch Vermietende einen Teil dieser gesamtgesellschaftlichen Verantwortung tragen?

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Kollegin Lay, vielen Dank für die Frage. – Ich will an einer Stelle zunächst einmal korrigieren: Ich habe nicht das Bild gezeichnet, dass Mieterinnen und Mieter und schon gar nicht alle irgendwie bei offenem Fenstern die ganze Zeit heizen. ({0}) – Das habe ich überhaupt nicht. – Ich habe es nur als Beispiel dafür genannt, was die Regelung, die Sie jetzt hier vorschlagen, am Ende bewirken würde. Wenn sich jemand so verhält – ich sage nicht, dass das alle machen; aber es gibt eben Menschen, die verschwenderisch mit Energie umgehen, die am Tag eine halbe Stunde lang unter der Dusche stehen oder anderes –, dann haben die Vermieter darauf überhaupt keinen Einfluss. Darum ist es nicht in Ordnung, wenn Sie fordern, dass allein die Vermieter die Kosten tragen sollen. Zur zweiten Frage, die Sie gestellt haben – ich komme noch dazu –: Ich bin sehr dafür, dass man die gesamtgesellschaftliche Verantwortung verteilt. Ich habe es gesagt: In einem Mietverhältnis gibt es zwei Parteien, Vermieter und Mieter, und beide müssen sozusagen ihren Teil der Verantwortung tragen. Die Mieterinnen und Mieter müssen ihr Nutzerverhalten anpassen. Aber es geht natürlich auch darum, dass wir Anreize setzen für die Vermieter, die Eigentümer von Gebäuden, zu investieren, damit der energetische Zustand des Gebäudes besser wird. Genau darum geht es in dieser Debatte. Wir brauchen ein abgestuftes, auf den energetischen Zustand des Gebäudes abstellendes Modell. Deswegen ist das, was Herr Daldrup gerade sagte – er hat das Modell der Ampel gelobt –, eine Mogelpackung. – Ich bin sozusagen schon über Ihre Frage hinaus; aber ich nehme mir gerne noch ein bisschen Zeit. ({1}) Was die Ampel dort vorgeschlagen hat, ist, Herr Daldrup, eine Mogelpackung, weil es – anders als Sie es kommuniziert haben – gerade nicht auf den energetischen Zustand des Gebäudes ankommt, sondern Ihr Modell stellt darauf ab, wie viel Brennstoff anteilig verbraucht wurde. Sie wollen der Heizkostenrechnung entnehmen, wie viel Brennstoff verbraucht wurde; danach wollen Sie die Gebäude klassifizieren. Das heißt, wenn es, wie ich gerade skizziert habe, wirklich Mieterinnen und Mieter gibt, die verschwenderisch mit Energie umgehen, haben diese Mieterinnen und Mieter es sogar in der Hand, die Klassifizierung des Gebäudes negativ zu beeinflussen. Wenn sie besonders viel Energie verbraucht haben, dann sind sie hinterher möglicherweise sogar im Vorteil, weil das Gebäude schlechter klassifiziert wird und sie dadurch am Ende prozentual weniger zahlen müssen. Das, liebe Ampel, ist absurd. Der Vorschlag, den Sie hier machen, ist schlecht. ({2}) Die Folge davon wird sein, dass sich die Vermieter dann sehr genau anschauen: Was sind denn das für Nutzer? – Die Leidtragenden werden dann diejenigen sein, die viel Energie verbrauchen: die kinderreichen Familien zum Beispiel, die älteren Menschen in unserem Land, die natürlich – das wissen wir alle – höhere Temperaturen in ihren Wohnungen haben. Das wird sich ein Vermieter dann sehr genau anschauen und sagen: Na, dann nehme ich doch lieber den Single, der irgendwie zweimal im Monat zu Hause ist, sonst aber beruflich unterwegs. – Das ist nicht meine Vorstellung von einem gerechten Modell. Genau das schlagen Sie aber vor. Das werden wir nicht mitmachen, kann ich Ihnen sagen. ({3}) Deswegen will ich noch einmal sagen: Ich werbe sehr dafür, dass wir die gesamtgesellschaftliche Verantwortung deutlich machen. Wir brauchen ein Modell, das dem energetischen Zustand des Gebäudes entsprechend abgestuft ist und eine Lenkungswirkung in beide Richtungen entfaltet, beim Vermieter, damit er Anreize hat, energetisch zu sanieren, gleichzeitig aber auch bei den Nutzern, damit sie ihr Verbrauchsverhalten anpassen. Dafür müssen wir Sorge tragen. Das deckt Ihr Modell aber nicht ab. Der letzte Punkt – weil Sie das ansprachen, Herr Daldrup –: Wir müssen den regulativen Rahmen so gestalten, dass das, was wir wollen – dass energetisch modernisiert wird –, auch leistbar ist, dass es sich wirtschaftlich trägt, ({4}) dass es rechtlich trägt. Deswegen müssen wir sehr aufpassen, dass wir die neuen, angedachten Regulierungen im Mietrecht nicht so ausgestalten, dass Modernisierung nicht mehr möglich ist. Das ist die gesamtgesellschaftliche Verantwortung: beide in die Verantwortung nehmen, und dafür stehen wir als Union gerne bereit. Vielen Dank. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für Bündnis 90/Die Grünen erhält jetzt Hanna Steinmüller das Wort. ({0})

Hanna Steinmüller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005230, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Luczak, die Auswirkungen der Klimakrise spüren wir schon jetzt. Der CO2-Preis ist sinnvoll, weil er jetzt schon Folgen hat. Es geht uns nicht nur um die kommenden Generationen, sondern auch um die alten Menschen, die Sie gerade erwähnt haben – die es laut Ihnen gerne warm in ihrer Wohnung haben –; sie leiden unter der Klimakrise, wenn es zu extremer Hitze kommt, dann können sie sich wegen ihres Kreislaufs nicht mehr aus dem Haus bewegen. Aber auch kleine Kinder leiden und viele andere Menschen auch. Also müssen wir jetzt etwas gegen die Klimakrise tun, wir können das nicht abstrakt auf die Zukunft schieben. ({0}) – Ein einziges Mal; da freue ich mich doch. Ein Bereich, der die Klimakrise besonders befeuert – wir haben es vorhin schon gehört –, ist der Gebäudesektor. Gerade die Bestandsgebäude spielen eine große Rolle. Die am schlechtesten sanierten Gebäude, das umfasst ein Drittel, sind für die Hälfte der CO2-Emissionen verantwortlich. Das heißt, wir haben hier auch einen besonders großen Hebel, um CO2 einzusparen. Die Faustformel muss lauten: „Worst first“. Wenn wir an die schlechtesten Gebäude nicht herangehen, werden wir unsere Ziele für den Gebäudebereich nicht einhalten, und wir werden die Klimakrise nicht in den Griff bekommen. Wie wollen wir vorgehen? Durch Forderung und durch Förderung. ({1}) Jetzt komme ich noch einmal zu Ihnen. Die Einführung des CO2-Preises ist richtig. Aber es ist falsch, dass er einseitig auf die Mieterinnen und Mieter umgelegt wird. Ich kann als Mieter/-in nicht entscheiden, ob das Haus oder die Wohnung, in der ich lebe, saniert wird. Mit meinem individuellen Verbrauch, dem Duschen oder dem Heizen, kann ich den CO2-Ausstoß nur sehr begrenzt beeinflussen; denn der Verbrauch hängt extrem davon ab, wie gut das Haus gedämmt ist. Deswegen ist es aus unserer Sicht wichtig, dass die Lasten fair verteilt werden. In der letzten Legislaturperiode haben wir – Chris Kühn sitzt da drüben – verschiedene Vorschläge gemacht, wie man zu einer fairen Verteilung kommt – sie wurden alle abgelehnt. Deswegen liegt die Last im Moment zu 100 Prozent bei den Mieterinnen und Mietern, zusätzlich zu den sonstigen Wärmekosten, die sie bereits tragen. Das widerspricht dem Verursacherprinzip, und die Lenkungswirkung entfällt. Das ist weder sozial, noch dient es den Klimazielen; deswegen müssen wir hier handeln. ({2}) Deswegen sind wir für einen Stufenmodell. Das Konzept liegt bereits vor. Die Idee ist – es wurde schon ein paarmal angesprochen –, dass wir sowohl Vermieterinnen und Vermieter als auch Mieterinnen und Mieter beteiligen. Das ist relativ einfach: Wer als Vermieter etwas tut, wer seine Hausaufgaben macht, muss weniger zahlen. Und wer sich als Vermieter aus der Verantwortung stiehlt, nicht saniert, der muss den Großteil der Kosten tragen. Ich glaube, das ist die Lenkungswirkung, die wir brauchen. ({3}) Am Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen, profitieren davon auch die Mieterinnen und Mieter. Gerade jetzt, wo die Energiekosten explodieren, ist es wichtig, dass wir den Verbrauch senken. Durch jeden eingesparten Kubikmeter Gas und jedes eingesparte Barrel Öl entziehen wir dem Krieg in der Ukraine einen Teil der Finanzierung; auch deswegen müssen wir unsere Gebäude sanieren. ({4}) Neben der Forderung brauchen wir aber auch die Förderung, und da müssen wir klar sagen, dass Sanierung den größten Hebel hat. Wir brauchen zielgerichtete Förderprogramme für die Nutzung erneuerbarer Energien und die energetische Sanierung. Darauf müssen wir unsere Förderung ausrichten, und so unterstützen wir auch Bürgerinnen und Bürger bei der Sanierung ihrer Häuser und Wohnungen. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, CO2-Preis und Stufenmodell: Das mag vielleicht sehr technisch klingen, am Ende geht es aber darum, dass wir die Auswirkungen der Klimakrise abfedern. Hier sind wir in der Verantwortung. Vielen Dank. ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als nächste Rednerin erhält Carolin Bachmann für die AfD-Fraktion das Wort. ({0})

Carolin Bachmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005014, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir beschäftigen uns heute mit einem Antrag der Linken zum Thema „Aufteilung des CO2-Preises“. Von der Vorgängerregierung zur Rettung des Weltklimas beschlossen, steht jetzt die Frage im Raum, wer die seit 2021 fällige CO2-Abgabe im Wohnbereich zahlen muss. Der Mieter oder der Vermieter? Wir haben es schon gehört: Die Koalition plant ein Stufenmodell, 50 : 50 ist auch im Gespräch, und Sie, liebe Linke, fordern, die gesamte Abgabe auf die Mieter abzuwälzen. ({0}) Das soll besonders sozial aussehen, ist es aber nicht. Ihr Antrag erschwert die Schaffung von Wohnraum, er macht die Vermietung unattraktiv und führt in letzter Konsequenz dazu, dass Kleinvermieter die Wohnungen vom Markt nehmen werden. Ihr Antrag verbessert auch nicht ihr Weltklima, weder durch die CO2-Abgabe an sich – das CO2 wird nicht reduziert – noch wenn die Mehrkosten vom Mieter auf den Vermieter übergehen. Darüber hinaus – das ist das Wichtigste – ist Ihr Antrag auch nicht sozial; denn klar ist: Die Mehrkosten landen über die Nebenkostenabrechnung oder als Mieterhöhung irgendwann sowieso wieder beim Mieter. ({1}) Ihr Vorhaben zur Umlage der CO2-Abgabe auf den Vermieter ist eine sozial angestrichene Scheinlösung. Deshalb sagen wir als AfD zu diesem Vorhaben Nein. ({2}) Wir als AfD haben aber die Lösung Ihrer Probleme: Wir fordern nämlich – das ist bekannt – die Abschaffung der CO2-Abgabe. Wir stehen generell ein für Wohlstand statt Abkassieren, und wir stehen ein für Freiheit statt für Sanierungszwang. ({3}) Der aktuelle CO2-Preis liegt bei 30 Euro je Tonne. Bis 2025 wird er auf 55 Euro anwachsen. Das ist den Linken noch nicht hoch genug; das liest man auch im Antrag. Das alles klingt auch erst einmal nicht so viel, ist aber für alle Bürger das Gleiche, was der Eisberg für die „Titanic“ war, nämlich eine Katastrophe. Dieses ideologische Konstrukt der CO2-Abgabe hat kaum Lenkungswirkung, führt aber viele Menschen in existenzielle Notlagen. Mit den aktuell enormen Preissprüngen bei den Baustoffen, die wir alle sehen, den gestörten Lieferketten und den Forderungen der grünen Klimapolitik ergibt sich ein baupolitischer und unsozialer Krisencocktail. ({4}) Man kann nicht ständig alle Preise erhöhen und sich dann fragen, warum nicht alles so weiterläuft wie bisher. Daher haben wir in unseren Anträgen bereits mehrfach die Entlastung für unsere Bürger gefordert. Wir fordern – das ist Ihnen bekannt, und das haben wir heute auch mehrfach von Ihnen gehört; ich frage mich, warum Sie unseren Anträgen nicht zugestimmt haben – die Abschaffung der Stromsteuer, der Energiesteuer und die komplette Abschaffung der EEG-Umlage sowie die temporäre Senkung der Mehrwertsteuer auf 7 Prozent. Wir fordern natürlich die Abschaffung der CO2-Abgabe und könnten somit alle Ihre Probleme einfach lösen. ({5}) Kommen Sie endlich Ihrer Verantwortung gegenüber den Bürgern nach, und stimmen Sie zukünftig bitte unseren Initiativen und Entlastungen zur Wohlstandssicherung der Bürger zu! Vielen Dank. ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Es folgt für die FDP-Fraktion der Kollege Hagen Reinhold. ({0})

Hagen Reinhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004229, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal finde ich: Beharrlichkeit ist wichtig in der Politik. – Frau Lay, Beharrlichkeit ist wichtig. Das wissen wir alle, die wir schon ein bisschen länger hier sind. Die, die gerade neu dazugekommen sind, lernen das: Beharrlich an Themen zu arbeiten, ist gut. – Ihr Antrag ist nicht neu, der ist beharrlich; er kommt nämlich immer wieder. Den hatten wir in ähnlicher Form letztes Jahr schon einmal. Wer beharrlich das Wesen des CO2-Preises ignoriert, kommt aber nicht weiter. Mehrere Kollegen haben gerade zu Recht ausgeführt, dass CO2-Preise eine Lenkungswirkung auf den Verbrauch haben sollen. Sie sind dafür da, dass der Markteintritt für neue Produkte und neue Dienstleistungen, die weniger CO2 in sich tragen, erleichtert wird, wenn sich der Preis für CO2 erhöht. Es ist also wichtig, dass wir den CO2-Preis haben. Deshalb ist Ihre Beharrlichkeit an dieser Stelle kontraproduktiv – beim besten Willen –, und deswegen gibt es ein Stufenmodell. Herr Luczak, jetzt müssen Sie kurz zuhören. Ich wundere mich darüber, wie Sie gerade über die Verbrauchsermittlung im Rahmen des Stufenmodells geredet haben; das kann man glücklich oder unglücklich finden. Ich glaube, den Energieausweis gibt es seit 2009. Sie haben 16 Jahre regiert. Wenn Ihnen die Verbrauchserfassung nicht gefällt – immerhin bildet die für jeden Mieter sichtbar ab, welchen energetischen Zustand die Wohnung hat, in die er zieht, und wie viele Nebenkosten man hat –, hätten Sie zwölf Jahre Zeit gehabt, zum Beispiel den Energieausweis zu ändern. ({0}) Ganz offensichtlich gab es gute Gründe, die Erfassung des Verbrauchs auf dem Energieausweis weiterlaufen zu lassen. Nichts anderes passiert übrigens hier. Es ist auch jedem klar, dass man in einem neuen oder anständig sanierten Gebäude weniger verbraucht als in einem alten Gebäude. Deshalb wird das Stufenmodell auch zielgerichtet sein, und es ist auch richtig, dass das so passiert, weil es genug Vermieter in diesem Land gibt, die vorbildlich die Technik tauschen, wenn neue Technik da ist, und ihre Häuser sanieren, um die Nebenkosten und den Energieverbrauch zu minimieren. Es gibt aber auch die Vermieter, die noch Einfachglas-Doppelfenster und unsanierte Häuser haben. Natürlich hat man da einen hohen Verbrauch; die werden in eine hohe Stufe fallen und sehr hohe CO2-Kosten bezahlen müssen. Wir haben Ausnahmen – auch das ist wichtig – für Denkmalschutz- und Milieuschutzgebiete vorgesehen, wo man nicht überall so sanieren kann, wie man möchte. ({1}) Jetzt zum Entlastungspaket. Frau Lay, natürlich nehmen wir als Regierung wahr, dass die Leute unter Druck stehen und immer mehr Kosten auf sie zukommen. Deshalb haben wir mehrere Entlastungspakete mit großartigen Leistungen geschnürt. Frau Bachmann, ich weiß gar nicht, wo Sie vor zwei Stunden waren. Da haben wir gerade die komplette Abschaffung der EEG-Umlage hier im Plenum eingebracht. ({2}) Übrigens, die Abschaffung der EEG-Umlage bringt für eine vierköpfige Familie im Hinblick auf die nächsten Stufen des CO2-Preises bis 2025 fast 60 Prozent mehr Einsparung, als wenn wir den CO2-Preis abschaffen würden. Diese Regierung hat also nicht nur die Energiepauschale und Heizkostenzuschüsse für 2 Millionen Bürger sowie viele andere Maßnahmen auf den Weg gebracht, sondern eben auch noch die EEG-Umlage komplett abgeschafft. Wir sind dabei, die Leute zu entlasten; denn wir wissen, sie stehen unter Druck. Jetzt noch zu zwei Nickligkeiten Ihres Antrags. Sie fordern einen Härtefallfonds für die Kleinvermieter, die sich die Sanierung nicht leisten können. 15 Millionen Wohnungen in Deutschland gehören Kleinvermietern. Wenn die sich das nicht leisten können – die Frage ist, wann das der Fall ist –, dann wollen Sie die bei der Sanierung unterstützen. Das kommt wahrscheinlich noch zu Ihren Anträgen im Umfang von 157 Milliarden Euro aus dem Bauausschuss in dieser Woche dazu, die Sie auch ausgeben wollen. Ich weiß gar nicht, woher Sie das Geld nehmen wollen, um das alles durchzuziehen. ({3}) – Doch, haben Sie so beantragt. ({4}) Wir reizen die energetische Sanierung von Gebäuden in Deutschland zurzeit mit über 30 Milliarden Euro jährlich an. Das ist auch gut und richtig so. Wer jede Logik eines Haushalts beharrlich ignoriert, der kann nicht erwarten, dass seine Anträge Erfolg haben. Dann wollen Sie noch etwas Schönes: eine Entlastung für kommunale Nah- und Fernversorger. Deren Ausfälle bei den Mieterinnen und Mietern sollen kompensiert werden. Ich habe als Mieter mit meinem Nah- und Fernversorger jedenfalls keinen direkten Vertrag. Ich weiß nicht, welcher Mieter in Deutschland das hat. Die Nah- und Fernversorger haben doch Verträge mit den Vermietern, und die rechnen die Kosten über die Nebenkostenabrechnung ab. Selbst die Systematik der Nebenkostenabrechnung verstehen Sie also nicht ganz, und solange Sie solche Anträge hier vorlegen, können Sie nicht ernsthaft glauben, dass man denen zustimmen kann. Überlassen Sie das Regieren denen, die es können. Die Ampel hat dafür hervorragende Anträge vorgelegt, und wenn Sie denen folgen, dann schaffen wir auch eine Entlastung der Mieterinnen und Mieter, und dann wird es auch ein Stück besser, als wenn Sie hier vorne stehen würden. Herzlichen Dank. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Als nächster Redner erhält Michael Kießling für die CDU/CSU das Wort. ({0})

Michael Kießling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004779, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal möchte ich festhalten, dass sich heute ein SPDler erinnern kann, dass die SPD regiert hat. Lieber Bernhard, ich bin ein Fan von dir. Schön, dass du dich erinnern kannst, dass ihr in der Regierung wart und auch Dinge mitbeschlossen habt! Aber zum Antrag der Linken. Man sieht, dass die Ideologie bei Ihnen über allem steht. Sie steht über Daten, Fakten, und sie steht teilweise auch über der Sinnhaftigkeit der politischen Forderungen, die Sie aufstellen. Wer sind denn die Vermieter bei uns in Deutschland? Hagen Reinhold hat es gesagt: Es sind nicht nur die Großen, es sind nicht die Miethaie, sondern es sind viele kleine Privatleute, die ihre Mietwohnungen zur Verfügung stellen, die den Mietern ihr Eigentum zur Verfügung stellen. Ich denke, es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, dafür zu sorgen – und wir sollten wirklich alles dafür tun –, dass die Vermieter in der Lage sind, ihre Häuser zu sanieren, und dass wir keine neuen Sanierungsfälle schaffen. Da bitte ich die Koalition, ihr KfW-Förderchaos auf die Reihe zu bekommen; denn momentan wird ohne Förderung gebaut. Das bedeutet, dass nicht nach den Standards gebaut wird, die wir benötigen, um in Zukunft CO2-einsparend oder ‑hemmend heizen zu können. Sie schaffen heute die Sanierungsfälle von morgen. Daher bitte ich Sie, sich etwas zu überlegen und schnell eine Lösung herbeizuführen, damit keine Eintagsfliegen wie neulich entstehen, als das KfW-Programm nach einem Tag bzw. nach ein paar Stunden schon wieder beendet wurde. ({0}) Zusammenfassend möchte ich sagen – ich habe nur zwei Minuten; von daher kann ich mir Zeit lassen –: Schaffen wir Anreize, dass Vermieter ihre Häusern sanieren können! Schaffen wir Anreize für den Verbraucher, Energiekosten zu sparen! Da hat die CO2-Bepreisung eine steuernde Wirkung, und daher sollten wir sie beibehalten. Aber wir sollten beide in die Lage versetzen, ihren Beitrag zu leisten. Von daher ist ein anderes Stufenmodell sinnvoll, in dem die Energieklasse des Gebäudes berücksichtigt wird und es nicht nur um den einzelnen Verbrauch geht. Ich wünsche gute Beratungen und der Koalition noch die entsprechende Eingebung, um die richtige Entscheidung zu treffen. ({1})

Schahina Gambir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005059, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Antidiskriminierungsstelle ist nicht irgendeine Beratungsstelle. Sie ist auf Bundesebene die zentrale Stelle zur Bekämpfung von Diskriminierung. Sie unterstützt von Diskriminierung betroffene Menschen und sorgt dafür, dass Betroffene mit dieser Ausgrenzung und Abwertung nicht alleine gelassen werden. Außerdem wacht sie über die Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien. Und sie wirkt mit ihrer Arbeit in Politik und Gesellschaft hinein, um Diskriminierungsstrukturen aufzuzeigen und ihnen entgegenzuwirken. Daher ist es so wichtig, die Antidiskriminierungsstelle insgesamt – inhaltlich und personell – zu stärken. ({0}) Es freut mich, dass wir den Gesetzentwurf zu diesem wichtigen Anliegen – die Änderung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zur Stärkung dieser Stelle – als Ampel gemeinsam so schnell auf den Weg bringen konnten und hier heute abschließend darüber abstimmen. ({1}) In der Sachverständigenanhörung zum Gesetzentwurf diese Woche haben wir nochmals klargestellt, dass der kommissarische Leiter, Herr Bernhard Franke, hervorragende Arbeit geleistet hat, für die unsere Fraktion ihm noch einmal herzlich danken möchte. ({2}) Aber – auch das wurde in der Anhörung betont – eine kommissarische Leitung kann eine regulär besetzte Leitung nicht ersetzen. Es ist darum notwendig, ein rechtssicheres, transparentes und demokratisches Verfahren zur Besetzung der Antidiskriminierungsstelle zu etablieren. Genau dafür schafft dieses Gesetz eine Grundlage. ({3}) Das rechtssichere Besetzungsverfahren ist der eine Teil. Das Gesetz sorgt zusätzlich aber auch für die grundsätzliche Stärkung der Leitung der Antidiskriminierungsstelle und für eine Klarstellung ihrer Rolle im Gefüge der Bundesverwaltung. Gerade die nun ausdrücklich vorgesehene Beteiligung der oder des Beauftragten stellt sicher, dass die Antidiskriminierungsstelle bei allen Vorhaben, die sie berühren, tatsächlich beteiligt werden muss. Es ist wichtig, dies so ausdrücklich zu regeln; denn bisher war eine ausreichend angemessene Beteiligung nicht immer selbstverständlich. Das haben wir zum Beispiel beim Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus gesehen. Ein Blick auf unsere europäischen Nachbarländer zeigt, dass die Stärkung der Antidiskriminierungsstelle absolut überfällig war. Deutschland war hier bisher alles andere als Vorreiter. In anderen EU-Staaten sind die Gleichbehandlungsstellen schon längst mit einem weitaus stärkeren Mandat ausgestattet und unabhängiger aufgestellt. Nicht nur die EU-Kommission hat Deutschland mehrfach darauf hingewiesen, das AGG zu überarbeiten. Gut, dass wir das jetzt endlich nachholen! ({4}) Mit Blick auf die Beratungen zu diesem Gesetz möchte ich sagen: Wir freuen uns sehr, dass die Union nun auch ihr Herz für die Antidiskriminierungsstelle und Antidiskriminierungspolitik entdeckt hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie Sie wissen, hat Antidiskriminierungspolitik für uns einen sehr hohen Stellenwert. Der vorgelegte Gesetzentwurf ist erst der Anfang. Wir als Ampel haben im Koalitionsvertrag eine weitere Überarbeitung des AGG vorgesehen. Insofern freuen wir uns, wenn wir dann künftig alle gemeinsam tatkräftig daran arbeiten, noch bestehende Schutzlücken im AGG zu schließen und den Rechtsschutz weiter zu verbessern. Vielen Dank. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als nächste Rednerin erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Katja Leikert. ({0})

Dr. Katja Leikert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004337, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der letzten Sitzungswoche habe ich noch gedacht: Super, jetzt geht es endlich los im Familienausschuss! Der erste Gesetzentwurf ist da. – Ich hätte mich auch gerne so gefreut wie Frau Gambir. Aber leider war dann die Freude doch nicht so groß, da der Gesetzentwurf zur Änderung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes in der Substanz wirklich nicht viel zu bieten hat. ({0}) Es gibt wirklich keine interessanten Aspekte in dem Gesetzentwurf, und anders als gedacht geht es nur um eine Formalie, nämlich um den Besetzungsmodus für den Leiter oder die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle. Lassen Sie mich das vorwegnehmen, Frau Gambir: Es ist eine falsche Einschätzung. Wir von der CDU/CSU schätzen diese Institutionen sehr, und wir stehen für eine Stärkung dieses Amtes gerne bereit. ({1}) Kern des Gesetzentwurfs ist das Verfahren, um die Antidiskriminierungsstelle zu verändern. Aus dem Leiter der Stelle soll künftig ein Bundesbeauftragter werden, der von der Bundesregierung vorgeschlagen und dann vom Bundestag gewählt wird. Der Grund für diese Änderung ist einfach: Die SPD hat – so viel Transparenz ist hier nötig – mehrfach versucht, diese Stelle mit einem Wunschkandidaten, einer Wunschkandidatin zu besetzen, aber alle Kandidaten haben nach dem Leistungsprinzip der Bestenauslese einfach nicht bestanden. Es gab Konkurrentenklagen, und man ist damit einfach gerichtlich gescheitert. Statt diese Stelle entsprechend zu besetzen, ist die Neubesetzung ausgeblieben. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist reine Parteipolitik, die auf dem Rücken derjenigen ausgetragen wird, die wirklich von Diskriminierung betroffen sind. ({2}) Interessant, aber wenig überraschend ist dabei, dass selbst in dieser eigentlich simplen Verfahrensfrage die Ampel innerlich gespalten ist und auch nicht abgesprochen wirkt. Aber das zieht sich ja wie ein roter Faden durch alle Debatten und sämtliche Politikbereiche. ({3}) – Sie lachen, Frau Schauws. Sie wissen es selbst: Die Grünen haben schon 2020 in einem Antrag angemahnt, dass alle Fraktionen hier im Deutschen Bundestag ein Vorschlagsrecht haben sollten. Aber das spielt jetzt offenbar überhaupt keine Rolle mehr. Die FDP bestellte sogar eine Sachverständige, die voll auf unserer Linie war. Ich zitiere mal aus ihrer Stellungnahme. Sie hat gesagt: „Es ist nicht erkennbar, wie eine solche Änderung“ – also Ihr Gesetzentwurf – „die Arbeit der Stelle verbessern hilft.“ Also weder mit Blick auf Transparenz noch auf das Leistungsprinzip oder die Bestenauslese ist hier die FDP auf der Linie. ({4}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Ampel, ich habe eine Bitte im Namen der Frauen, im Namen der Familien, der Senioren und der Jugend: Bitte fangen Sie endlich an, zu arbeiten! Herzlichen Dank. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für die SPD-Fraktion erhält das Wort die Kollegin Ariane Fäscher. ({0})

Ariane Fäscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Interessierte an den Bildschirmen! Es gibt Sachen, die kannst du dir kaum besser ausdenken. Während ich also darüber nachdenke, wie ich hier zur Notwendigkeit und zu den Vorteilen der Aufwertung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes durch eine unabhängige Beauftragte für Antidiskriminierung argumentieren könnte, kommen die AfD-Änderungsanträge zum Etat des Familienministeriums rein. Wir lesen: Mittel für Gleichstellungspolitik – ersatzlos gestrichen. ({0}) Maßnahmen der Integrations- und Migrationsforschung – auf 0 Euro herabgesetzt; wie schön enttarnend auch die Wortwahl: „herabgesetzt“. ({1}) Gleiches gilt für Maßnahmen zu Stärkung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie – auf 0 Euro herabgesetzt. Die Zentralstelle für Herabsetzung und Diskriminierung in Deutschland zeigt uns damit einmal mehr sehr deutlich, dass wir dieser Diskriminierung ein Bollwerk entgegensetzen müssen, unabhängig und mit starkem Mandat. ({2}) Die Beratungsanfragen an die Antidiskriminierungsstelle sind alleine im Jahr 2020 um 78 Prozent gestiegen und damit im Vergleich zum Vorjahr so stark wie nie vorher, insbesondere wegen rassistischer Diskriminierung. Diskriminierung hat aber viele Gesichter: Herkunft, Geschlecht, Handicap, Alter, Religion, sexuelle Orientierung. Die Mehrheitsgesellschaft definiert, was die Norm ist: um die bestehenden Machtverhältnisse zu sichern, um den Zugang zu den Eliten exklusiv zu halten. Wer von der Norm abweicht, wird einfach ferngehalten. Gleichstellung bedeutet nicht nur, dass jeder Mensch die gleichen Chancen hat, ein gestecktes Ziel zu erreichen. Im Kern geht es darum, dass jeder Mensch zumindest seine Grundbedarfe nach Wohnen, angemessenem Einkommen durch Arbeit und gesellschaftlicher Teilhabe ungebremst erfüllen kann. Es ist doch schlimm, dass wir überhaupt darüber sprechen müssen. Und alleine das bestätigt, dass es die unabhängige Beauftragte mit starken Kompetenzen dringend braucht. Die starke, einflussreiche und durch eine von der Legislatur entkoppelte Amtszeit von fünf Jahren besonders unabhängige Beauftragte, die vom Parlament gewählt und vom Bundespräsidenten vereidigt wird, wird eine Kämpferin und Ermächtigerin für alle sein, die ausgeschlossen werden: bei der Wohnungssuche, bei Lohnerhöhungen, bei der Besetzung eines Postens, bei der Blutspende oder in vielen anderen, leider alltäglichen Situationen. Wir werden sie deshalb durch Personal, durch Ausstattung, bessere Rechtsstellung und einen breiteren Zuständigkeitsbereich stärken. ({3}) Mit den Ländern werden wir das Netzwerk zivilgesellschaftlicher Beratungsstellen gegen Diskriminierung flächendeckend ausbauen und nachhaltig finanzieren. Es gibt also noch viel zu tun. Ich bin daher sehr froh, dass wir diesen wichtigen Schritt jetzt gehen. Die Bundesregierung wird mit großer Sorgfalt eine qualifizierte und geeignete Person vorschlagen. Bestenauslese erfolgt eben nicht alleine im normierten behördlichen Verfahren; denn sonst wären ja schließlich wir irgendwie auch nicht hier, nehme ich mal an. Wir werden eine Person als unabhängige Beauftragte für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wählen, die neben Qualifikationen das Entscheidende mitbringt: Mut, Rückgrat, die Fähigkeit zum Zuhören, Gerechtigkeitssinn, Verhandlungsgeschick und die Fähigkeit, Menschen aus Ohnmacht wieder in aktive Selbstwirksamkeit und damit in Selbstwert zu begleiten. ({4}) Der oder die Beauftragte wird diskriminierungsfreie Strukturen für die Zukunft auf Augenhöhe mit uns, mit den Behörden und mit der Zivilgesellschaft gestalten und denen eine Stimme geben, die alleine sprachlos sind. Es soll eine laute Stimme für alle diejenigen werden, die sonst zu oft ungehört bleiben. Vielen Dank. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für die AfD-Fraktion erhält das Wort Gereon Bollmann. ({0})

Gereon Bollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005029, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Als ich hier vor drei Wochen zur Antidiskriminierung gesprochen habe, wollte mich doch eine Kollegin prompt dreifach diskriminieren, nämlich wegen meiner Rasse, wegen meines Geschlechtes und wegen des Alters. ({0}) Frau Fäscher, Sie haben diese drei Kriterien gerade noch einmal erwähnt. Damals musste mir die Kollegin Katja Mast von Ihrer Fraktion „Alte weiße Männer!“ hinterherrufen. ({1}) Die Diskriminierung gewisser Menschen scheint also in der SPD durchaus zum guten Ton zu gehören. ({2}) Nur dass Sie hier klarsehen: Ich lasse mich von Ihnen nicht diskriminieren; ({3}) denn ich bin voll und ganz ein alter weißer Mann, und das ist auch gut so. ({4}) Nun mal im Ernst. Die Ampel will die Leitung der Antidiskriminierungsstelle nun durch eine Wahl im Deutschen Bundestag vergeben und stützt sich schon mit der Begründung auf zwei handfeste Unwahrheiten: Erstens sollen widersprüchliche Gerichtsentscheidungen erweisen, dass die derzeitige Regelung keine rechtssichere Grundlage für Besetzungsentscheidungen ist. Und zweitens soll es angeblich unklar sein, welche Anforderungen man an die Auswahl der Leitung unter dem Gesichtspunkt der Bestenauslese stellen muss. Schauen wir doch mal: Vor dem OVG Berlin-Brandenburg ging es darum, dass sich die Konkurrentin zwar ordnungsgemäß beworben hatte, ihre Bewerbung allerdings von der Verwaltung gar nicht erst an die Bundesregierung weitergeleitet wurde. Damit war die Auswahlentscheidung natürlich falsch, und zwar aus purer Schlamperei. Der zweiten Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlins lag der Versuch zugrunde, die vormalige Bundesgeschäftsführerin der SPD, Nancy Böhning, auf die Stelle wegzuloben. Sie sollte nach dem Willen der SPD den Posten bekommen, obwohl sie sich noch nicht einmal beworben hatte. Die Verwaltung hatte zudem die falschen Auswahlkriterien zugrunde gelegt und war noch nicht einmal in der Lage, die Zeugnisse und Beurteilungen der Bewerberinnen miteinander zu vergleichen. Widersprüche zwischen den genannten Entscheidungen gab es also überhaupt nicht. Im Gegenteil: Sie zeigen ganz genau auf, wie man es machen kann. Außerdem ergibt sich aus der Entscheidung des OVG: Das Anforderungsprofil des Ministeriums sei in Ordnung, und es bestünden keine Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit. Also findet sich hier schon die zweite Unwahrheit, wonach es angeblich so schwierig sei, ein ordentliches Anforderungsprofil zu definieren. Man könnte die Stelle also verfassungskonform durch die Familienministerin besetzen, wenn man denn bereit wäre, eine Bestenauswahl auch wirklich durchzuführen. Das ist doch nicht zu viel verlangt. Nur Mut, Frau Ministerin! Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als Nächstes erhält das Wort für die FDP-Fraktion die Kollegin Nicole Bauer. ({0})

Nicole Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine 27‑jährige Frau bewirbt sich um einen Arbeitsplatz in einem deutschen Unternehmen. Sie verfügt über alle erforderlichen Qualifikationen. Im Bewerbungsgespräch stellt der Vertreter des Unternehmens viele Fragen zur Motivation und Qualifikation. Am Ende des Gesprächs wird die Bewerberin jedoch auch noch zu ihrer Familienplanung gefragt und ob sie denn verheiratet sei. Wahrheitsgetreu berichtet die junge Dame von der glücklichen Ehe und dem baldigen Kinderwunsch. Kurze Zeit später erhält sie jedoch eine Absage auf ihre Bewerbung. Stattdessen erhält diese Stelle einer der männlichen Mitbewerber mit den gleichen Qualifikationen und demselben Alter. Meine Damen und Herren, wir haben in der letzten und in der heutigen Debatte schon einige Beispiele gehört, und das ist nur ein weiteres. Das ist einer von über 6 000 Fällen, mit denen die Antidiskriminierungsstelle sich im vergangenen Jahr auseinandergesetzt hat. Nie zuvor hat diese Beratungsstelle mehr Fälle bearbeitet als im letzten Jahr. Die Anzahl der Fälle ist im Vergleich zum Vorjahr um 78 Prozent angestiegen. Ja, auch die Coronapandemie hat dabei wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Dennoch wissen wir alle: Diskriminierung in unserer Gesellschaft hat verschiedene Gesichter: vom Antisemitismus über Rassismus bis hin zur Homophobie, von Benachteiligungen über verbale Attacken bis hin zu körperlichen Angriffen, ja Übergriffen. Es ist also schlicht ein Armutszeugnis, dass die Leitung der Antidiskriminierungsstelle seit 2018 unbesetzt ist. ({0}) Wir als Ampel wollen an dieser Stelle ganz besonders Bernhard Franke für die kommissarische Leitung der Antidiskriminierungsstelle danken und nicht nur ihm, sondern auch dem gesamten Team unseren großen Dank und unsere Anerkennung für die geleistete Arbeit aussprechen. ({1}) Schließlich haben doch alle Menschen in unserem Land die gleichen Chancen verdient, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Nationalität, ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer körperlichen Gesundheit. Das ist der Anspruch, den das AGG an uns stellt, aber auch Artikel 3 unserer Verfassung. Mit der Änderung des AGGs wollen wir endlich Rechtssicherheit, Klarheit und Unabhängigkeit schaffen. So stellen wir auch die Leitung der Antidiskriminierungsstelle endlich auf starke Füße. Das ist ein wichtiger und notwendiger Schritt, meine Damen und Herren. ({2}) Es ist jedoch nur der erste Schritt, und es werden weitere folgen. Denn die Ampelkoalition hat sich vorgenommen, weitere Änderungen im AGG auf den Weg zu bringen. So werden wir beispielsweise prüfen, wie wir Fürsorge leistende Eltern oder pflegende Angehörige darin stärker berücksichtigen können. Denn für uns ist klar: Wenn die Menschen in unserem Land sich stärken und unterstützen, dann bedeutet das auch, dass wir es entsprechend honorieren werden und die Verantwortung auch Teil unserer Gesellschaft werden lassen wollen. Deshalb stellen wir heute die Weichen für die Leitung der Antidiskriminierungsstelle als Grundlage für unsere zukünftige Arbeit. Vielen Dank. ({3})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Es folgt für Die Linke die Kollegin Kathrin Vogler. ({0})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch 16 Jahre nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist Diskriminierung für viele Menschen in diesem Land bittere Wirklichkeit. Noch immer werden junge Frauen etwa beim Bewerbungsgespräch nach ihrer Familienplanung befragt oder Arbeiter nach ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit, und so manche Wohnungsbaugesellschaft vermietet noch immer lieber an Familie Müller als an Frau Güler oder Herrn Diaby. Jeder dritte homosexuelle Mensch und nahezu jede zweite transgeschlechtliche Personen wird im Arbeitsleben diskriminiert, und von wirklicher Inklusion von Menschen mit Behinderungen sind wir doch noch verdammt weit entfernt. Das darf so nicht bleiben. ({0}) Seit 2006 erhalten die Betroffenen von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes Rat und Hilfe, und die Nachfrage wächst. Dass die Regierungskoalition die Antidiskriminierungsstelle mit dem vorliegenden Gesetzentwurf jetzt aufwerten will, indem zum Beispiel die Leitung vom Bundestag gewählt wird, unterstützen wir als Linke gern. ({1}) Aber, Kolleginnen und Kollegen, dann muss es weitergehen. Wir setzen uns auch dafür ein, weitere Diskriminierungsmerkmale aufzunehmen. Auch die soziale Herkunft oder etwa chronische Erkrankungen dürfen doch kein Grund für Chancenungleichheit sein. ({2}) Die finanzielle Ausstattung der Antidiskriminierungsstelle muss endlich der massiv gestiegenen Zahl der Anfragen angepasst werden. Darüber werden wir bei den Haushaltsberatungen reden müssen. Außerdem sind ein Verbandsklagerecht und eine Verlängerung der Beschwerdefrist notwendig, um den Betroffenen die Durchsetzung ihrer Rechte zu erleichtern. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, gleiche Rechte fallen nicht vom Himmel. Sie mussten immer schon erkämpft werden. ({3})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Es folgt die Kollegin Mareike Lotte Wulf für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Mareike Lotte Wulf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005263, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Ministerin, ich freue mich sehr, dass Sie, gerade zu dieser späten Stunde, anwesend sind – das sehe ich auch als Wertschätzung –, und ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen. Wir kommen heute zum Abschluss eines Gesetzgebungsverfahrens, das die Ampel im Eiltempo durch dieses Parlament gebracht hat. Es ist kaum drei Wochen alt und wurde auch noch ausgerechnet über Ostern beraten. Ich frage mich nach wie vor: Warum hatten Sie, die regierungstragenden Fraktionen, es mit diesem Gesetzentwurf eigentlich so eilig? Was hat denn diese Eile ausgelöst? Denn die Besetzung aller anderen freiwerdenden Beauftragtenposten oder neuen Beauftragtenposten wurde von der Bundesregierung im Kabinett bereits im Januar beschlossen. Gerade dieser Gesetzentwurf musste nun aber bis April warten. Man kann also nicht sagen, dass dieses Thema die alleroberste Priorität bei Ihnen gehabt hat; denn sonst hätten Sie ja bereits im Dezember angefangen, an diesem Gesetzentwurf zu arbeiten. Vielmehr scheint man im Kabinett schlicht entdeckt zu haben, dass da ja noch eine Stelle frei ist, und um diesmal auf jeden Fall nichts schiefgehen zu lassen, reichen die Fraktionen jetzt einen Gesetzentwurf ein, der sowohl die Bestenauslese ausschließt als auch den politischen Wettbewerb. Man muss leider daran erinnern – die Kollegin Leikert hat es auch schon getan –, was uns in diese Situation gebracht hat. Es waren vermeidbare Mängel der damaligen SPD-Familienministerin. Die Kollegin der Grünen, Frau Bayram, hat das damals treffend formuliert. Sie sagte nämlich, es sei ein Armutszeugnis, dass ausgerechnet die Besetzung der Leitung der Antidiskriminierungsstelle diskriminierend gelaufen sei. Frau Staatssekretärin Deligöz hat dann im Ausschuss in Bezug auf Ihr jetzt vorgeschlagenes Verfahren auf die Wehrbeauftragte verwiesen. Aber ich muss sagen: Dieses Beispiel war denkbar schlecht gewählt. Denn gerade die Wehrbeauftragte wird auf Vorschlag der Fraktionen dieses Parlamentes gewählt und eben nicht auf Vorschlag der Bundesregierung. Es gibt eine Beauftragte oder einen Beauftragten, der tatsächlich auf Vorschlag der Bundesregierung gewählt wird, und das ist der Datenschutzbeauftragte. Wenn Sie da mal in die juristischen Kommentare gucken, dann sehen Sie, dass gerade das Thema der Unabhängigkeit dieses Verfahrens kritisiert wird. Ich zitiere: Das alleinige Vorschlagsrecht der Bundesregierung ist kritisch zu beurteilen, denn dadurch ist ausgeschlossen, dass eine Kandidatin oder ein Kandidat gewählt wird, die oder der nicht das Wohlwollen der Bundesregierung genießt. … Ihre oder seine … Unabhängigkeit könnte dadurch verbessert werden, dass sie oder er nicht auf Vorschlag der Bundesregierung, sondern beispielsweise auf Vorschlag der Fraktionen des Bundestags gewählt würde. Das ist ein Kommentar von Gola/Heckmann. – Genau deshalb haben wir das hier vorgeschlagen, und es war richtig, dass wir in diesem Turboverfahren eine Anhörung beantragt haben, die auch genau das ergeben hat. ({0}) Klar geworden ist aber auch: Die Leitung der Antidiskriminierungsstelle muss besetzt werden. Das hat Frau El Samadoni, finde ich, gut betont. Deswegen haben wir auch den eigenen Vorschlag an dieser Stelle eingereicht. Ihr Vorschlag schießt über das Ziel hinaus. Sie machen es sich damit zu einfach. Deshalb werden wir ihn an dieser Stelle auch ablehnen. Es wäre schön gewesen, wenn Sie sich unserem Antrag angeschlossen hätten. Vielen Dank. ({1})

Maximilian Mordhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005158, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Letzter Tagesordnungspunkt, deswegen versuche ich, mich kurzzufassen. Glücklicherweise sind wir – das hat man ja schon im Ausschuss gesehen; jedenfalls die breite Mehrheit dieses Hauses – inhaltlich einig. Worum geht es? Das Rennwett- und Lotteriegesetz sorgt dafür, dass aus der Rennwett- und Lotteriesteuer ein Steueraufkommen entsteht, das zurzeit hauptsächlich – teilweise zu über 96 Prozent – beim Finanzamt Frankfurt am Main IV liegt. Durch das Zerlegungsverfahren – die Aufteilung unter den Ländern – wird das Ganze jährlich verteilt. Dadurch, dass das Steueraufkommen aus der Rennwett- und Lotteriesteuer extrem schwankend ist – teilweise sehr hoch, mal niedriger –, hat das Land Hessen große Probleme – haushalterische Probleme, teilweise sogar Probleme beim Länderfinanzausgleich –, weil es immer wieder in Vorkasse gehen muss. Deswegen wollen wir diese Regelung ändern. Wir sorgen mit dem Gesetzentwurf nicht für eine materielle, inhaltliche Änderung der Rennwett- und Lotteriesteuer, sondern nur bei der Abrechnung. Um haushalterische Probleme zu verhindern, sorgen wir dafür, dass die Abrechnung nicht mehr jährlich, sondern in Zukunft vierteljährlich gemacht wird. Die zuständige Freie und Hansestadt Hamburg hat sich zu dem zusätzlichen Bürokratieaufwand geäußert. Denn für uns ist das immer ein größeres Problem, wenn zusätzliche Bürokratie anfällt. Das kann man nicht leugnen, wenn man etwas vierteljährlich statt jährlich macht. Dieser Bürokratieaufwand wird von der zuständigen Behörde aber für vertretbar gehalten. Entsprechend würden wir uns sehr freuen, wenn sich dieses Haus dem 16 : 0‑Votum des Bundesrates anschließt und das Rennwett- und Lotteriegesetz entsprechend ändert, sodass in Zukunft vierteljährlich und nicht mehr jährlich abgerechnet wird. Vielen Dank. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank, Herr Kollege. Das war kurz und bündig. – Es folgt der Kollege für die CDU/CSU-Fraktion, Olav Gutting. ({0})

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfes kommen wir dem Wunsch der Bundesländer nach, eine gerechtere Verteilung des Steueraufkommens im Bereich Rennwett- und Lotteriesteuergesetz zu gewährleisten. Wir wissen, dass die Einnahmen aus Rennwetten, Sportwetten und Lotterien bei den Ländern landen. Allerdings ist zur Wahrung der Rechtseinheit in unserem Land eine bundeseinheitliche Regelung notwendig; deswegen muss das heute von uns hier in diesem Haus beschlossen werden. Das war schon die Grundlage für das neue Rennwett- und Lotteriegesetz, das wir – das sage ich bewusst –für die Bundesländer im Juni letzten Jahres verabschiedet haben. Insofern ist es ein bisschen traurig, dass auf der Bundesratsbank heute niemand anwesend ist; denn wir machen gerade die Arbeit für die Länder. Schon Mitte des letzten Jahres war uns zumindest klar, dass das gesamte Steueraufkommen aus den nun zusätzlich besteuerten Onlineglücksspielen steigen wird. Leider hat das damalige Bundesfinanzministerium diesen Aspekt nicht berücksichtigt oder berücksichtigen wollen. Das ist schade; denn jetzt musste der Bundesrat initiativ werden, um das Verteilverfahren unter den Ländern noch mal neu zu richten. Die Bundesländer unterstützen wir natürlich gerne bei steuerlichen Regelungen, mit denen die Ziele des Glücksspielstaatsvertrags umgesetzt werden sollen. Aber es wäre schön, wenn auch die anderen Ziele dieses Staatsvertrags von den Ländern umgesetzt würden, zum Beispiel die Bekämpfung der Spielsucht und der negativen Auswirkungen des Spielbetriebes. Das sind die Länder bisher nämlich noch nicht im notwendigen Maße angegangen. Wann wird denn endlich die Glücksspielaufsichtsbehörde als Anstalt des öffentlichen Rechts vollumfänglich ihre Aufgaben wahrnehmen? Das steht leider noch in den Sternen. Da fordere ich die Länder auf, dass sie jetzt auch den zweiten Teil des Staatsvertrags umsetzen. Unser gemeinsames Ziel, als wir das hier beschlossen haben, war, den Veranstaltern innerhalb des neuen Regulierungsrahmens ein legales, wettbewerbsfähiges Glücksspielangebot bei gleichzeitiger Absicherung eines verlässlichen Spieler- und Jugendschutzes zu ermöglichen. Diese Kanalisierung im neuen Glücksspielmarkt muss gelingen; denn ansonsten entsteht genau das, was wir nicht wollen: ein Zustrom in den illegalen Markt. Genau das wollen wir mit dem Glücksspielstaatsvertrag in diesem Land verhindern. Man stellt fest: Es gibt bis heute noch keinen erlaubten Markt, obwohl dieses Gesetz seit fast einem Jahr existiert. Die Erlaubnisse fehlen immer noch. Viele Antragsteller haben die Anträge schon Mitte letzten Jahres gestellt. Außer Rückfragen ist aber noch nichts geschehen. Wir haben die Hausaufgaben gemacht bzw. machen sie heute. Nun sind die Länder und ihre gemeinsame Behörde gefragt. Ich bitte darum, dass das jetzt angegangen wird. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Es folgt für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Linda Heitmann. ({0})

Linda Heitmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005078, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute im Rahmen des Rennwett- und Lotteriegesetzes über eine minimale Änderung, die zum Ziel hat, dass Steuereinnahmen planbarer und verlässlicher werden. Ich muss sagen: Als Politikerin ist es mir grundsätzlich eine Freude, über planbare, verlässliche Steuereinnahmen zu reden. Denn dadurch wird es uns als Politikerinnen und Politikern erst möglich, etwas Gutes in unserem politischen Sinne, nach unseren politischen Vorstellungen in der Gesellschaft zu gestalten. Nichtsdestotrotz ist es mir als Gesundheitspolitikerin ein Anliegen, in dieser Debatte darauf aufmerksam zu machen, dass es durchaus auch gut sein kann, dass Steuereinnahmen einmal zurückgehen. Ich möchte darauf hinweisen, dass sinkende Steuereinnahmen ein Zeichen dafür sein können, dass die Menschen, dass die Gesellschaft insgesamt möglicherweise gesünder werden und ausgewogener leben. Bei der Tabaksteuer haben wir es erlebt: In den letzten 15 Jahren haben wir politisch relativ viele Maßnahmen beschlossen, die das Rauchen unattraktiver gemacht haben. Es gab eine immer weiter eingeschränkte Verfügbarkeit von Nikotin. Es gab auch Einschränkungen bei der Werbung. Das hat gewirkt. In den letzten 15 Jahren ist die Quote der Raucher/-innen immer weiter zurückgegangen. Ich finde, das ist ein sehr erfreulicher Fakt für unser Land, selbst wenn es dazu geführt hat, dass die Steuereinnahmen aus der Tabaksteuer etwas gesunken sind. ({0}) Auch hier, beim Rennwett- und Lotteriegesetz, möchte ich, dass wir uns bewusst machen: Hohe Steuereinnahmen sind gesamtgesellschaftlich nicht immer etwas Gutes, gerade auf diesem Feld. Denn Spielsucht – es wurde eben schon im Zusammenhang mit Glücksspiel darauf hingewiesen – ist ein Problem und ist als Krankheit anerkannt. Sie bringt hohe Verschuldung mit sich, soziale Isolation und meistens massive Probleme für die betroffenen Menschen und ihre Familien. Deshalb war es mir hier ein Anliegen, einmal darauf aufmerksam zu machen und in dieser Debatte loszuwerden, dass es durchaus im Sinne von uns allen sein kann, wenn Steuereinnahmen einmal zurückgehen. Ich bedanke mich, dass Sie mir hier bei diesem Thema zu dieser späten Stunde noch zugehört haben. Vielen Dank. ({1})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Wir gehen doch davon aus, dass in diesem Plenum wirklich alle hochkonzentriert zuhören. Jetzt spricht Jan Wenzel Schmidt für die AfD-Fraktion. ({0})

Jan Wenzel Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005210, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll das Rennwett- und Lotteriegesetz angepasst werden. Die Anpassung ist durchaus angebracht; denn durch die Änderungen der Gesetzgebung 2021 sind einige Folgeprobleme entstanden. Die neuen Einnahmen aus der Besteuerung des virtuellen Automatenspiels und des Onlinepokers sorgen zwar für ein erhöhtes Steueraufkommen, durch das derzeitige Zerlegungsverfahren mit einer einmaligen Jahresabrechnung kommt es jedoch zu starken Einnahmeschwankungen, die für erhebliche Ausschläge im Kassenaufkommen sorgen. Die Lösung des Problems liegt darin, das Zerlegungsverfahren auf eine quartalsweise Abrechnung umzustellen, um die erheblichen Schwankungen abzufedern. Seit der wesentlichen Änderung des Gesetzes werden alle Anbieter des virtuellen Automatenspiels und des Onlinepokers besteuert. Diese Besteuerung gilt natürlich für alle Unternehmen, die ihre Spiele in Deutschland anbieten. Dabei ist es egal, ob sie in Deutschland ansässig sind oder im Ausland. So weit, so gut. Die 2021 eingeführte steuerliche Bevorzugung von stationären Angeboten gegenüber dem Onlineglücksspiel stellt nach unserer Auffassung aber eine unerlaubte Beihilfe dar und ist damit nicht rechtskonform. Diese Rechtsauffassung haben im Übrigen auch Sachverständige in der öffentlichen Anhörung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages am 7. Juni 2021 geteilt. Vor allem aber war für die damalige Gesetzesänderung ein Notifizierungsverfahren vorgeschrieben. Das heißt, dass die Bundesregierung bereits vor Einführung des neuen Gesetzes die Europäische Kommission und die europäischen Mitgliedstaaten über die Änderung hätte informieren müssen. ({0}) Die Europäische Kommission hätte daraufhin bis zu vier Monate Zeit gehabt, mögliche Bedenken vorzutragen. Erst nach der Notifizierung hätte das neue Gesetz beschlossen werden dürfen. Da die Bundesregierung all das verschlafen hat, entstehen nun Probleme. Bedenken der Europäischen Kommission wurden einfach ignoriert. Ein notifizierungspflichtiges Gesetz lässt sich eben nicht durch Änderungen nachträglich heilen. Alle Steuern müssten dann zurückerstattet werden. ({1}) Auch nicht ignoriert werden darf die Seite der Konsumenten. Bei all der Euphorie um frische Staatseinnahmen darf nicht vergessen werden, dass laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die Anzahl der Personen in Deutschland, die ein problematisches Spielverhalten aufweisen, bei 229 000 liegt. Daher sollte ein Teil der neuen Steuereinnahmen dazu genutzt werden, problematisches Spielverhalten frühzeitig zu erkennen und ihm entgegenzuwirken. Als Rechtsstaatspartei kann die AfD keine Gesetzentwürfe unterstützen, die auf einem wackligen Fundament fußen. Wir sind gerne bereit, nach erfolgter ordnungsgemäßer Notifizierung der sinnvollen Gesetzesänderung zuzustimmen. Bis dahin bleibt uns nur die Enthaltung übrig. ({2})

Carlos Kasper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005097, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Schmidt, ich muss kurz auf Sie eingehen: Ihre Rede war sehr verwunderlich. Sie hatten doch im Ausschuss genügend Zeit, diese Fragen zu stellen. Solche Fragen wurden dort auch zur Genüge beantwortet, und jetzt kommen Sie mit dieser Rede. Ich finde das ein bisschen komisch. ({0}) „Rennwett- und Lotteriegesetz“, das klingt – ich sage es noch mal – zunächst nicht so sexy. Es ist ein sperriger Titel, und das Thema erinnert eher an Sucht und Abhängigkeit.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD?

Carlos Kasper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005097, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. ({0}) Glücklicherweise haben wir bereits ein gutes bestehendes Gesetz, das dem Wettbusiness Einhalt gebietet und vor allem Konsumierende schützt. Mit dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf wollen wir das bestehende Gesetz noch besser machen. Wir nehmen damit eine Änderung vor, die es den Ländern einfacher macht, das Gesetz umzusetzen. Also: Was ist das Rennwett- und Lotteriegesetz? Das bestehende Gesetz haben wir im vergangenen Jahr reformiert. Das war dringend notwendig, um die Gesetzgebung endlich in das digitale Zeitalter zu überführen. Auch heute ist das Gesetz noch richtig und zeigt Wirkung. Wer kennt das nicht? Man surft im Internet, und ständig ploppt überall Werbung für Onlinespiele auf. Ständig wachsen die Angebote im Netz und senken die Hemmschwelle. Zahlen der Aufsichtsbehörde der Länder zeigen: Der Markt verschiebt sich weiter – weg vom klassischen Einarmautomaten, hin zu den Onlinespielen. Apps und spielerische Websites machen es einfach, schnell und überall auf alles Mögliche weltweit zu wetten. Das erhöht die Suchtgefahr. Fast ein Fünftel des Glücksspiels fand im Jahr 2020 bereits online statt. Gleichzeitig zeigt der Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung aus dem letzten Jahr, dass fast eine halbe Million Menschen in Deutschland ein problematisches Spielverhalten aufzeigt – Tendenz steigend –; denn durch die Coronapandemie haben wir alle mehr Zeit am Handy verbracht. Wir dürfen diese Gefahr nicht unterschätzen. Für meine Fraktion steht der Schutz der Spielerinnen und Spieler an erster Stelle. Dies bedeutet allerdings auch, Angebote vom Graumarkt in die Legalität zu überführen. Noch vor der Reform waren Onlinecasinos in Deutschland verboten. Jetzt können sie gezielt kontrolliert und gesteuert werden. Umso wichtiger war es im Juni letzten Jahres, die Gesetzgebung gemeinsam mit den Ländern anzupassen. Es wurden einheitliche Regelungen zur Besteuerung von Onlineglücksspielen wie virtuellen Automatenspielen und Onlinepoker festgelegt. Diese werden nun wie Rennwetten, Sportwetten oder die örtliche Lotterie besteuert. Damit verfolgen wir zwei Ziele: Zum einen können wir bisher illegale Spielangebote in die Legalität überführen, und zum anderen können wir negative Effekte wie Spielsucht gezielt bekämpfen. ({1}) Ein Jahr nach der Reform hat sich aber auch gezeigt, dass wir das Gesetz noch einmal anpassen müssen. Für das Gelingen des Gesetzes ist es notwendig, nun eine kleine Anpassung vorzunehmen und die Umsetzung durch die Länder zu erleichtern. Lassen Sie mich das kurz erklären. Das Rennwett- und Lotteriegesetz ist ein Bundesgesetz, dessen Aufkommen vollständig den Ländern zugutekommt. Das Steueraufkommen allerdings fällt fast vollständig im Land Hessen an. Das liegt an der zentralen Zuständigkeit des Finanzamtes Frankfurt am Main. Die Länder stehen vor der Herausforderung, dass das Aufkommen steigt und ebenfalls stark schwankt. Gleichzeitig wurde es durch Corona noch schwankender gemacht. Bisher wurde das Verteilungsverfahren bei den Ländern nur einmal im Jahr vorgenommen. Jetzt soll das Verfahren, wie auch bei anderen Steuerarten üblich, auf eine vierteljährliche Abrechnung umgestellt werden. Die Umsetzung wurde von den Ländern so gewünscht. Wir kommen dieser Initiative natürlich sehr gern nach und stimmen dem Gesetz zu. ({2})

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin, vielen Dank für das Zulassen der Kurzintervention. – Verehrter Kollege Kasper, ich weiß nicht, ob Sie Ihrem Namen entsprechend heute Morgen selbigen gefrühstückt haben. ({0}) – Ich könnte noch einen draufsetzen: Es ist ja Mode, dass Sie – wenn wir Sie beim Flunkern ertappt haben – keine Zwischenfrage zulassen. Wenn Sie der gestrigen Sitzung des Finanzausschusses gelauscht hätten, hätten Sie gemerkt, dass Frau Kollegin Hessel in ziemliche Erklärungsnot kam und die entsprechenden Informationen nachreichen wollte. Der Kollege Jan Wenzel Schmidt hat exakt nach diesem Punkt gefragt. Wir haben an dieser Stelle gesagt – auch wir können dann und wann Serviceopposition sein –: Wenn diese Notifikation erfüllt ist und Sie uns eindeutig beantworten können, ob diese vorliegt, dann könnten wir dieser Änderung sogar zustimmen. Das waren die Worte meines Kollegen Jan Wenzel Schmidt. Wenn Sie das hier in dieser ungeheuerlichen Art verdrehen und ins Lächerliche ziehen, dann komme ich zu meiner Eingangsbemerkung zurück: Der muss heute Morgen – Ihrem Nachnamen entsprechend – sehr gut geschmeckt haben, dieser Kasper. ({1})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Also, wir haben die Abmachung, uns hier nicht persönlich zu schmähen. ({0}) Ansonsten hat der Abgeordnete Kasper jetzt die Möglichkeit zur Erwiderung. Bitte schön.

Carlos Kasper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005097, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Gottschalk, ich war auf einem Sportinternat. Ihre Beleidigungen kommen 20 Jahre zu spät. Stehen Sie bitte zeitiger auf. ({0}) Ja, vielleicht hatte Frau Hessel nicht die passende Antwort parat; aber dafür gibt es die zuständigen Beamtinnen und Beamten im Finanzministerium, die die Frage sehr wohl beantwortet haben. – Vielen Dank. ({1})

Alois Rainer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004384, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss gestehen, auch ich habe gedacht: Die Rede könnte man zu Protokoll geben, wenn viele der Kollegen das auch machen, zumal der Kollege Mordhorst die Thematik so gut erklärt hat. Aber ich denke mir: Jetzt ist es 21.12 Uhr – jetzt bin ich gute acht Jahre im Deutschen Bundestag –, da hatten wir schon andere Plenumszeiten. ({0}) Ab 23 Uhr dachten wir dann mal dran, Reden zu Protokoll zu geben. ({1}) Deshalb nehme ich mir jetzt noch die knapp drei Minuten, um zu sprechen. Über das Rennwett- und Lotteriegesetz haben wir bereits in der vergangenen Legislatur ausführlich, inklusive öffentlicher Anhörung, debattiert, und wir haben neue Regelungen zur Durchsetzung der adäquaten Besteuerung von virtuellen Automatenspielen, zur Optimierung des Jugend-, Verbraucher- und Datenschutzes sowie zu einer effizienten Suchtprävention auf den Weg gebracht; das ist auch gut so. Im vergangenen Jahr konnten sich die Bundesländer auf einen einheitlichen Glücksspielstaatsvertrag einigen. Auch im Bundestag haben wir uns im Vorfeld mit dem neuen Glücksspielstaatsvertrag beschäftigt, und wir unterstützen die darin formulierten Ziele, wie zum Beispiel die Vereinheitlichung der Regelung für das Onlineglücksspiel und die Ausweitung der Konzession, besonders der für Sportwetten. Gleichzeitig waren sich alle einig, dass die Spielsucht durch entsprechende Schutzmaßnahmen und durch die Einsetzung der zentralen Regulierungsbehörde besser bekämpft werden soll. Ich bitte die Länder darum, diese Behörde auch einzusetzen; denn, so denke ich, es ist schon wichtig, dass wir neben der Besteuerung auch an der Prävention hinsichtlich der gesundheitlichen Auswirkungen des Glücksspiels arbeiten. Mit dem heutigen Beschluss schaffen wir für die Länder die Grundlage, die Verteilung des Steueraufkommens aus dem Rennwett- und Lotteriegesetz zu ändern. Ich schließe mich hier den Ausführungen des Kollegen Mordhorst an, der das perfekt auch so wiedergegeben hat. Darüber hinaus bleibt mit der Neuregelung die Steuerverteilung unangetastet. Wir alle haben sicherlich auch in unseren Wahlkreisen Spielbanken, Lotterien oder, wie in meinem Fall, eine Trabrennbahn, auf der Spiel- und Wetteinsätze gezahlt werden können. Das Gute bei diesem Gesetzentwurf ist unter anderem, dass die Betreiber der Spielbanken, Lotterien und Sportwetten zunächst keinerlei zusätzlichen Aufwand und keinerlei zusätzliche Einschnitte haben. Auch bei den Konsumenten wird sich da nichts ändern. Aber vielleicht denken wir noch ein Stück weiter: Es wäre sehr gut, wenn bei den Ländern eine Einigung bei der Buchmachersteuerrückerstattung für Veranstalter von Pferderennen zustande kommt. Das Gesetz ist eine gute Weiterentwicklung. ({2}) Wir können ihm gerne und auch mit großer Freude zustimmen. Vielen herzlichen Dank. Ich wünsche Ihnen allen eine gute Nacht. ({3})